Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Ich könnte das jetzt im Einzelnen
namentlich tun. Das würde uns aber gewaltig aufhalten;
deswegen verzichte ich darauf.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung.
Das Wort für den einleitenden Bericht erhält der Bundesminister für Gesundheit, Daniel Bahr.
Vielen Dank, Herr Präsident! - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Das Bundeskabinett hat sich heute mit
dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz beschäftigt und den
Gesetzentwurf beschlossen. Das ist ein wichtiger und
richtiger Schritt für die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung. Nachdem eine christlich-liberale Koalition
Mitte der 90er-Jahre die Pflegeversicherung eingeführt
und damit deutliche Verbesserungen für die betroffenen
Menschen erreicht hat, ist es nun an der Zeit, die Pflegeversicherung im Hinblick auf den besonderen Betreuungsaufwand bei Menschen mit Demenzerkrankungen
weiterzuentwickeln.
Derzeit sind 2,4 Millionen Menschen in Deutschland
pflegebedürftig. Aufgrund der demografischen Entwicklung wissen wir, dass diese Zahl weiter steigen wird,
während gleichzeitig die Zahl der jungen Menschen immer geringer wird, um die Pflege zu leisten. Die Bundesregierung hat also das Ziel, mit dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu
sorgen. Wir wollen auch im hohen Alter eine menschenwürdige Pflege sicherstellen. Die Menschen sollen so
lange wie möglich selbstbestimmt leben können und ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechend Unterstützung bekommen.
Derzeit sind etwa 1,2 Millionen Menschen von Demenz betroffen. Wir schätzen, dass die Zahl der an Demenz erkrankten Menschen bis zum Jahre 2030 auf
1,7 Millionen Menschen steigen wird. Es ist also eine
enorme Herausforderung, die Gesellschaft und die
Pflege auf die besonderen Anforderungen der Demenz
vorzubereiten.
Der Pflegebedürftigkeitsbegriff, der seinerzeit von
der christlich-liberalen Koalition eingeführt wurde, war
verrichtungsbezogen. Es ist das Ziel des Bundestages
- im Januar wurde ein entsprechender Beschluss von
den Koalitionsfraktionen gefasst -, den Pflegebedürftigkeitsbegriff neu zu definieren und ihn auf den besonderen Betreuungsaufwand für Menschen mit Demenz
auszurichten. Ich bin sehr dankbar, dass es einen Expertenbeirat unter Vorsitz von Wolfgang Zöller und KarlDieter Voß gibt, der die noch offenen Umsetzungsfragen
beantworten wird. Es gibt noch einige Dinge zu klären,
insbesondere die neuen Begutachtungskriterien, die Abgrenzung zu anderen Sozialleistungen, die Frage des Bestandsschutzes und viele andere Fragen mehr. Damit
wollen wir keine Zeit verlieren. Insofern ist das PflegeNeuausrichtungsgesetz ein Vorgriff auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff.
Wir wollen, dass den Menschen zum 1. Januar 2013
konkrete Verbesserungen zur Verfügung stehen. Dazu
gehört, dass Menschen, die bisher keine oder kaum Leistungen aus der Pflegeversicherung bekommen, aber aufgrund der Demenzerkrankung einen besonderen Betreuungsaufwand erfordern, nun Unterstützung erhalten.
Insbesondere in der Pflegestufe 0, aber auch in den Pflegestufen I und II wird es jetzt zusätzliche Leistungen geben, sodass wir dem Grundgedanken des seinerzeitigen
Beirates, ein differenziertes Bild der Pflegebedürftigkeit
bei der Eingruppierung zu erhalten, Rechnung tragen.
Jemand mit eingeschränkter Alltagskompetenz beispielsweise erhält künftig in der Pflegestufe 0 erstmalig
ein Pflegegeld von bis zu 120 Euro bzw. eine Pflegesachleistung von bis zu 225 Euro monatlich. Für die
Menschen ist das eine deutliche Verbesserung und eine
Lösung für ihre Alltagsprobleme.
Darüber hinaus werden wir dafür sorgen, dass dem,
was die Menschen möchten, Rechnung getragen wird,
nämlich so lange wie möglich in ihrem häuslichen Umfeld zu bleiben. Zwei Drittel der Menschen werden zu
Hause gepflegt. Die Hauptlast der Pflege tragen die Familien bzw. die Angehörigen. Diese gilt es zu unterstützen. Mit dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ wollen
wir Familien und Angehörigen weiterhin die Möglichkeit geben, ihre pflegebedürftigen Eltern oder Großeltern zu Hause zu pflegen.
Dazu gehört, auch einmal eine Auszeit nehmen zu
können. Dieser Grundgedanke wird gestärkt, indem die
Krankenversicherung bei anstehenden Rehabilitationsmaßnahmen die besonderen Belange pflegender Angehöriger berücksichtigt. Sie sollen leichter die Möglichkeit erhalten, eine Auszeit zu nehmen, indem zum
Beispiel künftig das Pflegegeld zur Hälfte weitergezahlt
wird, wenn pflegende Angehörige eine Kurzzeit- oder
Verhinderungspflege in Anspruch nehmen.
Auch die rentenversicherungsrechtliche Absicherung
wird verbessert. Das erfordert eine Mindestpflegeaufwendung von 14 Stunden pro Woche. Unser Grundgedanke ist - nicht alles kann der Staat machen -, in erster
Linie die Familien und Angehörigen zu unterstützen.
Wir wollen daher die Selbsthilfegruppen in der Pflege
weiter stärken. In der Krankenversicherung haben wir
gute Erfahrungen mit der Selbsthilfe gemacht, und das
findet nun Eingang in die Pflege. Erstmals werden
Selbsthilfegruppen in der Pflegeversicherung mit
10 Cent pro Versichertem und Jahr gefördert, sodass
auch hier das Prinzip, voneinander zu lernen und sich
gegenseitig zu helfen, gestärkt wird.
Wichtig ist: Die Menschen wollen so lange wie möglich zu Hause, in ihrem häuslichen Umfeld bleiben. Das
ist jedoch nicht bei allen Wohnungen ohne Weiteres
möglich. Deswegen fördern wir den Aufbau von neuen
Wohnformen, zum Beispiel den der sogenannten Pflegewohngruppen. Wenn sich Pflegebedürftige entscheiden,
in Wohngruppen zusammenzuleben, werden diese
Pflege-WGs zusätzlich gefördert. Für solche Wohngruppen gibt es dann pro Pflegebedürftigem 200 Euro zusätzlich, um dem erhöhten Organisationsaufwand gerecht zu
werden. Darüber hinaus ist eine einmalige Förderung
von bis zu 10 000 Euro zusätzlich möglich. Beispielsweise für eine Gruppe aus vier Menschen, die sich bei
Pflegestufe I zu einer Pflege-WG zusammenschließen,
stehen dann pro Monat künftig bis zu maximal
3 400 Euro zur Verfügung. Damit kann man durchaus
eine Unterstützung in Anspruch nehmen.
Letzter Punkt. Wir wollen die medizinische und zahnmedizinische Versorgung in Heimen deutlich verbessern.
Aus den Dialogen und Gesprächen, die wir bei unseren
Besuchen geführt haben - das wird Ihnen auch so gehen -,
hören wir immer wieder heraus, dass die medizinische
Versorgung in Heimen verbesserungswürdig ist. Währende andere eine Praxis aufsuchen, funktioniert es bei
Besuchen von Ärzten und Zahnärzten in Heimen nicht
so gut, wie wir uns das wünschen. Deswegen setzen wir
gezielt Anreize, dass Ärzte und Zahnärzte in Heime gehen, um dort die medizinische Versorgung zu verbessern. Damit wollen wir perspektivisch auch Kosten sparen; denn die Einweisung in ein Krankenhaus, der
Rettungsdienst und der Krankentransport können eher zu
höheren Kosten führen. Das bedeutet also auch hier eine
klare Investition in eine bessere medizinische Versorgung.
Das ist das Pflege-Neuausrichtungsgesetz. Zu den
Eckpunkten des Kabinetts gehörte seinerzeit auch die
Förderung privater freiwilliger Pflegevorsorge. Dieser
Punkt ist aber nicht im Rahmen des Sozialgesetzbuchs
geregelt, sondern hier steht eine Regelung noch an. In
der Umsetzung dieses Eckpunkts sind noch einige Fragen zwischen Bundesfinanz- und Bundesgesundheitsministerium zu klären. Dieses Thema ist aber im Rahmen dessen, was wir bei der Pflege noch erreichen
wollen, mit zu bedenken.
Alle Verbesserungen, die das Gesetz vorsieht, werden
vollständig durch die Beitragssatzerhöhung von 0,1 Prozentpunkten zum 1. Januar 2013 finanziert. Das ist eine
maßvolle Beitragssatzerhöhung, die aber spürbar
gezielte Verbesserungen für betroffene Menschen erreichen wird. Das heißt, wir tun etwas dafür, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken und den
Menschen bei ihren Alltagsproblemen Unterstützung zu
gewähren.
Vielen Dank.
Vielen Dank. - Jetzt gibt es jede Menge Nachfragen.
Ich erinnere an die Ein-Minuten-Regelung. Das Wort hat
zunächst die Kollegin Mattheis.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben ausgeführt, dass nach Ihrem Konzept Menschen mit
Demenz bessere Leistungen erhalten werden. Ich frage
Sie: Warum führen Sie nicht sofort einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ein? Seit 2009 liegen hervorragende Unterlagen vor, und zwar vom Beirat, der sich
schon in zwei großen Berichten mit diesem Thema auseinandergesetzt und uns entsprechende Vorschläge unterbreitet hat. Jetzt geht es darum, die politische Umsetzung in die Wege zu leiten.
Wie gehen Sie damit um, dass Menschen mit Demenz
zwar diese neuen Leistungen bekommen können, dass es
aber eine große Unsicherheit gibt und möglicherweise
das Problem besteht, dass es für Menschen mit rein körperbezogener Pflegebedürftigkeit zu Ungerechtigkeiten
im Hinblick auf Leistungsansprüche kommt?
Wenn es so leicht wäre, einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff einzuführen, dann hätte die Vorgängerregierung das noch in der letzten Legislaturperiode machen
können; denn die Ergebnisse liegen bereits seit Januar
2009 vor. Schon damals hat man gesehen, dass dies noch
viele Fragen aufwirft, die es zu beantworten gilt. Meine
Vorvorgängerin Ulla Schmidt hat vor kurzer Zeit in einem Interview gesagt, dass es zur Umsetzung eines
neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs eines Zeitraums von
drei bis vier Jahren bedarf. Ich will das nicht bestätigen,
aber dem auch nicht widersprechen. Denn wir wissen,
dass in der Tat viele Abgrenzungsfragen zu klären sind.
Das hat auch die SPD-Fraktion in ihrem gestrigen Beschluss eindeutig dargelegt. Sie hat explizit gesagt: Die
Fragen der Eingliederungshilfe sind vorab zu klären, bevor ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff definiert wird.
Es sind viele Fragen zu klären. Das machen wir; wir
wollen keine Zeit verlieren. Ich bin dankbar, dass sich
der Beirat erneut zusammengefunden hat, um die Umsetzungsfragen zu beantworten. Das Gesetz ist ausdrücklich ein Vorgriff auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und setzt ihn schon um, ohne dass jemand
schlechtergestellt wird; den Menschen kommen konkrete Verbesserungen zugute.
Die nächste Frage stellt Kollege Spahn.
Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, vielen Dank
für die Vorstellung des Gesetzentwurfes. Sie haben
schon darauf hingewiesen: Wir stellen 1 Milliarde Euro
zusätzlich zur Verfügung. Die Fragen lauten: Wie ist dieses Volumen im Vergleich zu dem zu bewerten, was bisher in der Pflegeversicherung zur Verfügung steht? Welche Schwerpunkte sollen gesetzt werden, um dieses
Geld effizient einsetzen zu können?
Heute konnten wir lesen, dass die SPD gerne 6 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen will. Was
ist denn in der pflegepolitischen Debatte von einem Vorschlag zu halten, ohne jegliche Gegenfinanzierung
6 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen?
Jenseits der finanziellen Fragen geht es auch darum,
inwiefern sich die Pflegeversicherten und Pflegebedürftigen insgesamt angenommen und akzeptiert fühlen, wie
die Rückmeldung und die Zusammenarbeit mit den Pflegekassen aussehen. Was ist hier geplant?
Die erste Frage kann ich ganz leicht beantworten.
1 Milliarde Euro zusätzlich bedeuten eine deutliche Verbesserung, auch gemessen am Volumen des Budgets der
sozialen Pflegeversicherung, der jährlich etwa 19 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Vergleichen wir das
einmal mit der gesetzlichen Krankenversicherung:
Würde dort ein Gesetz eine entsprechende Leistungsverbesserung vorsehen, entspräche dies einer Summe von
9 Milliarden Euro. Damit erkennt man die Dimension
und sieht, dass das ein wichtiger Schritt in die richtige
Richtung ist.
Die SPD-Fraktion hat Leistungsverbesserungen im
Umfang von 6 Milliarden Euro vorgeschlagen. Das
würde in den folgenden Jahren zu enormen Ausgabensteigerungen führen. Ich glaube, dass man dafür eine
faire Gegenfinanzierung finden muss; diese habe ich in
dem Beschluss der SPD-Fraktion noch nicht erkennen
können. Das würde bedeuten, dass der Beitragssatz erneut um 0,6 Prozentpunkte ansteigen müsste. Ich glaube
aber, es ist wichtig, dass man die Wünsche auch finanzierbar hält. Wir haben einen Einstieg geleistet, mit deutlichen Verbesserungen, die den Menschen zugutekommen. Eine halbe Million Pflegebedürftige wird von
unseren Verbesserungen deutlich profitieren. Es geht
nicht nur um Mehrausgaben, sondern insbesondere auch
um Verbesserungen in der Betreuung. Das betrifft gerade
die Servicegrundsätze für die Pflegekasse und den Medizinischen Dienst. Die Begutachtung muss innerhalb einer Frist gewährleistet sein; sonst muss gezahlt werden.
All das ist im Gesetz festgehalten. Denn hier geht es um
ein Ärgernis vieler Betroffener, von dem ich immer wieder höre. Betroffene wollen schnell Bescheid wissen,
welche Leistungsansprüche sie haben.
Frau Golze, bitte.
Herr Minister Bahr, nach meiner Auffassung ist ein
gesetzlicher Mindestlohn die unterste Haltegrenze bei
der Entlohnung von Arbeit. Wenn Sie sich dieser Auffassung anschließen können, dann würde ich gerne wissen,
ob es nicht gerade in Zeiten des Notstands beim Pflegepersonal ein falsches Zeichen ist, wenn man, wie in diesem Gesetzentwurf vorgesehen, die reguläre Bezahlung
an dieser untersten Haltegrenze ausrichtet.
Das machen wir nicht; da muss ich widersprechen.
Der Pflegemindestlohn ist von dieser Regierung eingeführt worden. Zuvor war eine Regelung zur Entlohnung
nach der ortsüblichen Vergütung in Kraft. Da gab es Diskussionen, ob sich das nicht widerspricht; beide Regelungen haben weiterhin Bestand.
Sie sagen, es müsse das Ziel sein, den Beruf attraktiver zu machen. Dabei ist für mich nicht die Festlegung
eines Mindestlohns entscheidend - wir haben eine Regelung, die eine untere Grenze festlegt, auch um Dumping
zu verhindern -, sondern in erster Linie sind die Arbeitsbedingungen ausschlaggebend. Bei einer leistungsgerechten Vergütung der Betreffenden ist nicht der
Mindestlohn entscheidend; die Entwicklung und die Perspektive nach oben spielen eine ganz entscheidende
Rolle. Dazu leisten wir einen Beitrag.
Dieses Gesetz wird auch einen Beitrag zur Entbürokratisierung leisten. Viele Pflegekräfte beschweren sich,
dass sie zu wenig Zeit für die Pflege der Betroffenen haben. Wir haben eine Ombudsfrau als Ansprechpartnerin
zum Thema Entbürokratisierung eingesetzt. Es gibt viele
Vorschläge zur Entbürokratisierung, die wir sammeln
und die Eingang finden werden, um die konkreten Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es gibt viele andere
Fragen betreffend die Berufsausbildung, die Zusammenführung und die Weiterentwicklung.
Der Beruf des Pflegenden muss attraktiver werden.
Wir werden entsprechende Rahmenbedingungen dafür
schaffen. Wir haben eine Untergrenze gezogen. Wir
müssen aber immer im Blick behalten, dass Schwarz20150
arbeit auch in der Pflege ein Problem ist; eine solche Arbeit wollen wir nicht fördern. Vielmehr wollen wir weiterhin die reguläre Beschäftigung in der Pflege sichern.
Vielen Dank. - Frau Aschenberg-Dugnus.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, in vielen Gesprächen erfährt man immer wieder, dass sehr
viele Pflegebedürftige so lange wie möglich in ihrem
vertrauten, heimischen Umfeld leben und gepflegt werden wollen. Wie reagieren Sie darauf?
Das ist das Ziel dieser Reform. Wir wollen nicht nach
dem Gießkannenprinzip allen ein bisschen mehr Geld
geben, sondern ganz gezielt Familien und Angehörigen
helfen. Die Leistungsverbesserung kommt den Betroffenen in der ambulanten Pflege zugute, also gerade denjenigen, die bisher keine oder kaum Leistung bekommen
haben.
Wir verbessern die Möglichkeit für Angehörige, eine
Auszeit zu nehmen. Die Hauptlast der Pflege schultern
die Familien bzw. die Angehörigen, die häufig nach einer gewissen Zeit nicht mehr können. Das gilt insbesondere für die Pflege von Demenzerkrankten. Das Gesetz
sieht vor, dass der Pflegegeldanspruch nicht verloren
geht, dass der Zugang zu Rehabilitationsmaßnahmen erleichtert wird, dass Leistungen bei Demenzerkrankung
insbesondere in der ambulanten Pflege den Betroffenen
wirklich zugutekommen. Die Betroffenen werden nicht
alleine gelassen werden und sollen mehr Rechte erhalten. Beispielsweise wird eine erste Versorgungsleistung
gezahlt, wenn die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst nicht innerhalb von fünf Wochen erfolgt.
Wir stärken so weiterhin die Rechte von Familien und
Angehörigen.
Frau Scharfenberg.
Vielen Dank, Herr Minister. - Ein wesentliches Versprechen Ihres Vorgängers in Bezug auf die Pflegereform war, dass pflegende Angehörige besser unterstützt werden sollten. Im Entwurf des PNG finden wir
dazu nicht mehr viel. Der Referentenentwurf hob noch
auf den Anspruch gemäß SGB XI ab und sah vor, dass
auf pflegende Angehörige gerade in Bezug auf Rehaleistungen besondere Rücksicht genommen werden soll.
Das wurde wohl vom Bundesministerium für Arbeit und
Soziales wieder gestrichen. Wie bewerten Sie die Streichung dieses Punktes?
Die Bundesregierung legt Ihnen heute ein Gesetz vor,
das den Angehörigen in der Tat einen besseren Zugang
zu Rehabilitationsleistungen ermöglicht. Wir sorgen dafür, dass in der Krankenversicherung die besonderen Belange von pflegenden Angehörigen bei anstehenden Rehabilitationsmaßnahmen berücksichtigt werden.
({0})
Wir sorgen dafür, dass die Möglichkeit, eine Auszeit zu
nehmen, leichter genutzt werden kann, indem das Pflegegeld künftig zur Hälfte weitergezahlt wird, wenn
pflegende Angehörige eine Kurzzeit- oder Verhinderungspflege in Anspruch nehmen. Im Rahmen der Kabinettsbefassung ging es auch um die bessere Berücksichtigung in der Rentenversicherung. Die Bundesregierung
hat sich aber entschieden, im Bereich der Krankenversicherung für eine erste deutliche Verbesserung zu sorgen, um eine Perspektive aufzuzeigen, wie Rehabilitationsmaßnahmen insgesamt verbessert werden können.
Ich will aber den Beratungen über den Gesetzentwurf
nicht vorgreifen.
Frau Volkmer.
Herr Minister, Sie haben einen neuen Beirat zur Klärung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes eingesetzt. Mich
interessiert: Wann erwarten Sie, dass der Beirat seine Arbeit abgeschlossen hat? Welche finanziellen Folgen erwarten Sie, wenn der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff
zum Tragen kommt? Wie wollen Sie das finanzieren?
Ich frage Sie das vor dem Hintergrund, dass unter den
jetzigen Bedingungen und nach Ihren eigenen Berechnungen ab dem Jahr 2015 eine kontinuierliche Finanzierungslücke in der Pflegeversicherung auftreten wird.
Der Pflegebeirat ist wieder eingesetzt worden. Ich
habe mich sehr gefreut, dass alle Institutionen und Organisationen, die seinerzeit im Pflegebeirat mitgearbeitet
haben, erneut mitarbeiten. Sie haben großes Interesse
und große Bereitschaft gezeigt, die noch offenen Umsetzungsfragen zu klären und die bestehenden Probleme zu
lösen.
Der Beirat arbeitet unabhängig. Insofern kann ich seinen Arbeitsergebnissen nicht vorgreifen. Ich selbst war
bei der konstituierenden Sitzung dabei. Dort gab es sehr
unterschiedliche Meinungen. Während die einen der
Meinung sind, man könne sehr schnell ein Ergebnis vorlegen, sind andere der Meinung, dafür brauche man Zeit.
Ich möchte auf Folgendes hinweisen, weil ich den
Beschluss der SPD-Fraktion von gestern gelesen habe:
Wer möchte, dass wir beim Pflegebedürftigkeitsbegriff
schnell vorankommen, den bitte ich, die zu klärenden
Fragen nicht zu überfrachten. Wenn gleichzeitig, wie ich
dem Beschluss der SPD-Fraktion entnehme, auch noch
die Probleme der Eingliederungshilfe gelöst werden sollen, dann wird es viele Jahre dauern, bis man alle diese
Fragen geklärt hat. Ich glaube, wir sollten uns darauf
konzentrieren, den Pflegebedürftigkeitsbegriff weiter zu
fassen und dabei Abgrenzungsfragen zu klären, ohne
gleich alle Sozialleistungen einzubeziehen.
Was die Finanzierung angeht: Es ist die Logik des
Umlagesystems, dass, wenn Mehrausgaben aufgrund
politischer Wünsche oder Entwicklungen zu verzeichnen
sind, auch über Einnahmen zu sprechen ist. Ich sage nur:
Die Pflegeversicherung ist solide finanziert. Auch ohne
diese Reform stünde im Jahr 2015 erneut eine Entscheidung an. Damit haben wir übrigens die Entscheidung
weiter hinausgeschoben. Als die Legislaturperiode begann, stand das im Jahr 2013 an. Das heißt, die soziale
Pflegeversicherung ist solide finanziert und wird es weiterhin sein.
Frau Vogler.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, wir alle
sind sehr besorgt, nachdem am Wochenende die Studie
von Herrn Glaeske kommuniziert worden ist; denn danach werden viele Menschen in deutschen Pflegeheimen
und auch in der ambulanten Pflege offensichtlich mit
Psychopharmaka ruhiggestellt. In diesem Zusammenhang interessiert mich - im Fünften Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung wird festgestellt, dass
der Anteil der Menschen mit erhöhtem Betreuungsbedarf in der Pflegestufe III stark ansteigt, und zwar sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich -,
wie Sie vor diesem Hintergrund begründen, dass für
Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz in der Pflegestufe III keine zusätzlichen Leistungen
vorgesehen werden. Sehen da nicht auch Sie Anlass zur
Besorgnis, dass diese sicherlich von uns allen kritisierte
Praxis noch weiter zunehmen wird?
Ich kann die Ergebnisse der Studie von Herrn Glaeske
bisher nicht bestätigen; auch ich habe davon gelesen.
Aber wir wissen aus den Dialogen, die wir mit Experten
und Bürgern geführt haben, aus eigenen Erfahrungen
und aus Besuchen vor Ort, dass die medizinische Versorgung in Heimen ein dringend anzugehendes Thema ist.
Deswegen leisten wir mit dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz einen Beitrag zur Verbesserung der medizinischen
Versorgung in Heimen. 77 Millionen Euro aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung werden nun
budgetär zur Verfügung gestellt, damit die Ärzte in die
Heime gehen und sich dort um die medizinische Versorgung kümmern. Das ist unser Ziel.
Des Weiteren hatten Sie nach der Pflegestufe III gefragt. Wir haben es immer mit begrenzten Ressourcen zu
tun. Keine im Deutschen Bundestag vertretene Partei
- auch die Linke nicht - stellt infrage, dass die Pflegeversicherung eine Teilkostenabsicherung ist, auch wenn
gelegentlich ein anderer Eindruck erweckt wird. Wir
wissen: Uns stehen immer begrenzte Ressourcen zur
Verfügung. Wir haben Prioritäten gesetzt und geben gezielt denjenigen, die bisher kaum oder keine Leistungen
bekommen und in der Regel zu Hause gepflegt werden
- die Familien tragen die Hauptlast -, eine Unterstützung. Das ist eine klare Prioritätensetzung dieser Regierung. Ich halte diese für richtig.
Kollege Stracke.
Herr Präsident! Herr Minister, Sie haben Ihren Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung
vorgelegt und setzen den Schwerpunkt darauf, dass den
Demenzerkrankten und auch den pflegenden Angehörigen deutliche Verbesserungen zugutekommen. Mich
interessiert, wie Sie die Pflegeleistungen, speziell die
Sachleistungen, im ambulanten Bereich flexibler gestalten wollen, welche Vorstellungen Sie damit verknüpfen
und welche Wirkungen Sie sich erhoffen, insbesondere
für die Pflegebedürftigen, aber auch für die pflegenden
Angehörigen.
Eine Klage, die wir immer wieder hören - zum Beispiel in Dialogen, die wir veranstaltet haben, aber auch
in persönlichen Gesprächen mit Betroffenen und Pflegenden -, ist, dass das heutige Pflegekonzept ein sehr
starres Minutenkorsett ist und wenig Spielraum lässt,
den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. Deswegen sieht das Pflege-Neuausrichtungsgesetz mehr
Flexibilität und Wahlfreiheit vor. Künftig können zwischen den Pflegebedürftigen und den Pflegediensten beispielsweise Zeitkontingente vereinbart werden. Dadurch entstehen mehr Freiheit und Flexibilität, um den
individuellen Bedürfnissen besser gerecht werden zu
können. So können dem individuellen Bedarf entsprechend unterschiedliche Leistungen erbracht werden. Ich
glaube, damit werden wir den Wünschen und Bedürfnissen sowohl der Pflegebedürftigen gerecht als auch der
Pflegenden, die dadurch mehr Freiheiten haben und ihre
Arbeit wieder stärker selbst gestalten können. Sie müssen nicht länger das Gefühl haben, schnell alles abhaken
und die Leistung in sehr kurzer Zeit, minutengenau berechnet, erbringen zu müssen. Diese Flexibilität und
mehr Wahlfreiheit sind nötig, um den individuellen Bedürfnissen gerecht werden zu können.
Kollege Lemme.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Bahr,
ich habe zwei Fragen. Die erste bezieht sich auf Aussagen im Koalitionsvertrag. Darin steht, dass es im Bereich
der Pflege eine private Zusatzversicherung geben soll.
Meine Frage: Wann kommt es dazu, und welche Mehrbelastungen kommen dadurch auf die Menschen zu?
Zum Zweiten. Bei Vorortterminen in Pflegeeinrichtungen bzw. bei Diskussionen stelle ich immer wieder fest,
dass die Situation der Pflegefachkräfte eine hohe Brisanz
besitzt. Was sehen Sie im Rahmen der geplanten Neuordnung der Pflegeversicherung vor, um Fachkräften in diesem Bereich ein besseres Image zu verschaffen?
Das waren zwei Fragen. Ganz kurz zur ersten Frage:
Die freiwillige Pflegevorsorgeförderung kommt zum
1. Januar 2013. So ist das in den Eckpunkten des Kabinetts festgehalten. Über die Details der genauen Ausgestaltung der Förderung wird gerade beraten, weil das
nicht in den sozialgesetzlichen Regelungen, sondern in
anderen Gesetzen zu fassen ist. Ich weiß nicht, worin Sie
eine Mehrbelastung sehen. Im Gegenteil: Wir wollen die
Menschen entlasten, indem sie schon heute für den Pflegefall, in dem sie häufig einen hohen Eigenanteil zu tragen haben, mithilfe einer Förderung leichter vorsorgen
können. Das heißt, wir senken die Belastung kommender
Generationen. Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger, indem wir ihnen heute schon die Möglichkeit geben,
dafür Vorsorge zu treffen.
Zur zweiten Frage, zu den Fachkräften. Wir tun im
Rahmen des Pflege-Neuausrichtungsgesetzes und weiterer Vorhaben viel gegen den drohenden Fachkräftemangel. Durch dieses Gesetz sollen beispielsweise die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Ich habe eben
gesagt, dass Zeitkontingente vereinbart werden können.
Durch mehr Wahlfreiheit des Pflegenden werden auch
die Arbeitsbedingungen attraktiver. Mit der Ombudsperson leisten wir einen Beitrag zur Entbürokratisierung.
Diese Ansprechpartnerin bündelt alle Vorschläge, die
dann Eingang in das Gesetzgebungsverfahren finden
werden. Wir stärken die ambulante Pflege durch mehr
Leistungen für Demenzerkrankte. Auch dadurch wird
das Berufsbild attraktiver.
Daneben sind andere Vorhaben zu berücksichtigen,
zum Beispiel die Neuordnung der Berufsausbildung. In
einem Bund-Länder-Gespräch haben wir uns darauf geeinigt, die Pflegeausbildungen zusammenzulegen. Auch
dadurch wird das Berufsbild attraktiver.
Ich wehre mich gegen alle Vorschläge, die im Moment aus Brüssel kommen und darauf abzielen, den Zugang zu Pflegeberufen erst nach Abschluss von zwölf
Schuljahren zu ermöglichen. Ich glaube, das wäre die
falsche Antwort auf einen drohenden Fachkräftemangel.
Auch Haupt- und Realschüler müssen weiterhin die
Möglichkeit haben, einen Pflegeberuf zu ergreifen.
Frau Müller-Gemmeke.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, könnten
Sie bitte begründen, warum Sie zur Verbesserung der
ärztlichen Versorgung deutliche Steigerungen der ärztlichen Honorare planen und gleichzeitig bei den Pflegekräften, deren Situation ja nicht besonders rosig ist, niedrigere Löhne in Kauf nehmen, indem Sie in § 72
SGB XI die Bindung einer zugelassenen Pflegeeinrichtung an die ortsübliche Vergütung kippen und die Löhne
somit auf das Niveau des Mindestlohns absenken? Wie
sollen so gute und faire Löhne gesichert werden?
Sie stellen hier etwas gegeneinander, das nicht gegeneinanderzustellen ist. Die Grundthese, dass dieses Gesetz zu einer Absenkung der Löhne im Bereich der
Pflege führt, ist falsch. Es gilt die Regelung betreffend
die ortsübliche Vergütung im Pflegebereich. Zusätzlich
hat diese Regierung einen Pflegemindestlohn eingeführt.
Nun beseitigen wir die Widersprüche zwischen diesen
Regelungen. Das führt nicht zu einer Absenkung der
Löhne. Ich bin sehr dafür, dass im Bereich der Pflege
weiterhin leistungsgerecht vergütet wird und die Leistungen, die in diesem Bereich erbracht werden, besser
honoriert werden.
Gleiches gilt aber auch für den Bereich der Medizin.
Wir wissen, dass mit den bisherigen Vergütungsregelungen Arztbesuche in Heimen - das ist offensichtlich nicht gewährleistet sind. Also haben wir gesagt: Wir
müssen gezielte, zusätzliche Anreize setzen, damit diejenigen Pflegebedürftigen, die nicht ohne Weiteres eine
Arztpraxis aufsuchen können, von einem Arzt aufgesucht werden. Das macht man am besten, indem man
Geld zur Verfügung stellt.
Im Übrigen werden wir das evaluieren. In ein paar
Jahren kann ich Ihnen als Bundesgesundheitsminister
das Ergebnis der Evaluation vorlegen.
({0})
Dann werden wir sehen, dass wir dadurch Kosten eingespart haben. Wenn der Arzt nicht zum Patienten ins
Heim kommt, ruft das Heim vielleicht den Rettungsdienst, und der Patient wird dann ins Krankenhaus eingewiesen. Dies verursacht viel mehr Kosten im System.
({1})
Kollege Seifert.
Herr Minister, Sie haben ja eine ganze Menge vorgetragen, sodass man eigentlich sehr viele Fragen stellen
müsste.
Wir machen ja auch viel.
Ich möchte mich auf einen Punkt konzentrieren. Sie
haben vorhin gesagt, dass Sie das Geld nicht nach dem
Gießkannenprinzip ausgeben wollen. Jetzt haben Sie
aber gesagt, dass für einen Menschen mit Demenz
120 Euro pro Monat zur Verfügung gestellt werden sollen, also, wenn ich den Betrag durch 30 teile, 4 Euro pro
Tag. Wie wollen Sie mit 4 Euro pro Tag tatsächlich mehr
Teilhabe gewährleisten? Das ist der Kern des neuen Pflegebegriffes, um den Sie sich bisher etwas herumdrücken.
Wie wollen Sie mit diesem Betrag, mit 4 Euro pro Tag,
erreichen, dass Menschen, die dement werden, mehr und
besser teilhaben können? Wieso glauben Sie, dass dies
keine Verteilung nach dem Gießkannenprinzip ist?
Zunächst einmal, Herr Seifert, will ich darauf hinweisen, dass diese 120 Euro zu den bestehenden 100 bzw.
200 Euro für die Betroffenen in der Pflegestufe 0 - Sie
haben bewusst die geringste Zahl genannt - hinzukommen. Es geht also um bis zu 320 Euro für Menschen, die
bisher keine oder kaum Leistungen bekommen haben.
Im Rahmen der Pflegesachleistung werden zusätzlich
nicht 120 Euro, sondern 225 Euro gezahlt.
({0})
Sie haben es sehr zugespitzt dargestellt. Deswegen will
ich die Zahlen vergleichen. Sie sprechen von 4 Euro pro
Tag. Die bisherigen Leistungen liegen bei etwas über
7 Euro pro Tag. Ich glaube, dass man so nicht rechnen
kann.
({1})
Ich habe gesagt: Die Hauptlast tragen die Familien
und Angehörigen. Jetzt wird es möglich, dass ihnen zusätzlich Geld zur Verfügung gestellt wird. Es bedeutet
für einen Betroffenen sehr viel, wenn er sich dadurch
einmal pro Woche als Unterstützung eine Betreuungskraft leisten kann, die er sich bisher nicht leisten konnte.
Dies ist auch eine Entlastung der Angehörigen. Ich
kenne keinen Vorschlag, auch nicht von den Linken hier
im Bundestag, der besagt, dass aus der Pflegeversicherung eine Vollkaskoversicherung werden soll.
({2})
Sie bleibt eine Teilkostenabsicherung. Das heißt, ein Eigenanteil ist zu schultern.
Wir sorgen dafür, dass die Leistungen jetzt gezielter
auf Demenzerkrankte ausgerichtet werden. Ich sage
noch einmal: Es sind Verbesserungen. Niemand wird
schlechter gestellt. Das Geld wird ausschließlich zur
Verbesserung der Situation betroffener Menschen, die
bisher kaum oder nichts bekommen haben, zur Verfügung gestellt.
Frau Reimann.
Herr Präsident! Herr Minister, Ergebnis der Pflegedialoge war das Ziel, die Angehörigen zu entlasten. Ein
wichtiger Punkt dabei - Ihr Vorgänger hat diesen immer
hervorgehoben - ist der Zugang zu Rehaleistungen für
pflegende Angehörige. Jetzt haben Sie gerade ausgeführt, dass es nicht gelungen ist, weitere Verbesserungen
bei der Rentenversicherung zu erzielen, dass es aber die
Möglichkeit gibt, Rehaleistungen von der gesetzlichen
Krankenversicherung zu erhalten. Bedeutet das auch
- darüber wurde in diesem Zusammenhang ebenfalls gesprochen -, dass es für einen pflegenden Angehörigen
einen verbesserten Zugang zu Rehaleistungen in Kombination mit Rehaleistungen für den zu Pflegenden gibt
und dass diese von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden? Welche Mittel veranschlagen Sie
dafür? Gehe ich recht in der Annahme, dass diese Rehaleistungen nur Menschen zugänglich sind, die nicht im
erwerbsfähigen Alter sind?
Durch das Pflege-Neuausrichtungsgesetz werden die
Zuständigkeiten der Renten- und Krankenversicherung
nicht infrage gestellt; die in diesem Zusammenhang bestehenden Regelungen und die Zuständigkeiten von
Renten- und Krankenversicherung werden nicht verändert. Ich hatte - ich glaube, es war auf die Frage der Kollegin Scharfenberg - auf die These, es würde hinsichtlich Rehabilitationsmaßnahmen nichts für pflegende
Angehörige verbessert werden, geantwortet. Im Bereich
der Krankenversicherung wird es deutliche Verbesserungen geben: Ein leichterer Zugang zu Rehabilitationsmaßnahmen für pflegende Angehörige wird, sofern die
Krankenversicherung zuständig ist, gewährleistet. Dies
zeigt, dass diese Regierung einen erleichterten Zugang
zu Rehabilitationsmaßnahmen erreichen will und einen
ersten Schritt getan hat.
Frau Klein-Schmeink.
Herr Minister, Sie kommen wie ich aus Münster und
wissen, welchen Stellenwert dort die Wohngruppen für
Demenzkranke in der Versorgung von Demenzkranken
haben. Sie wissen, dass diese Wohngruppen ein sehr probates Instrument sind und insgesamt dazu beitragen,
dass Formen des selbstständigen Wohnens etabliert werden.
Jetzt haben Sie ein kleines Progrämmchen für diese
Wohngemeinschaften aufgelegt. Ich frage Sie, warum
Sie die Mittel für dieses Programm gedeckelt haben
- dadurch wird ja nicht gerade sehr viel möglich gemacht -, und warum Sie dieses Programm, wenn Sie
doch einen Schwenk hin zu diesen Wohnformen wollen,
auch noch befristet haben.
({0})
Frau Kollegin Klein-Schmeink, seien Sie mir nicht
böse. Aber ich rate Ihnen, einmal mit den Kolleginnen
und Kollegen der Grünen aus dem Land NordrheinWestfalen - sowohl mit Frau Steffens, der Gesundheitsministerin in Nordrhein-Westfalen,
({0})
als auch mit Frau Kollegin Scharfenberg - zu sprechen.
Ich habe der Presseberichterstattung entnommen, dass
sie meine Vorschläge zur Pflege-WG ausdrücklich begrüßt haben. Ich nehme für mich im Übrigen gar nicht in
Anspruch, einziger Erfinder der Pflege-WG zu sein, sondern ich weiß, dass viele Bundesländer und Vorgängerregierungen in diesem Bereich schon etwas getan haben.
Uns eint, dass wir etwas für neue Wohnformen tun wol20154
len, weil die Menschen so lange wie möglich in ihrem
häuslichen Umfeld bleiben wollen. Für Menschen, die
nicht mehr alleine in ihrer bisherigen Wohnung bleiben
können, ist eine Wohngruppe eine gute Alternative.
Die Förderung ist so angelegt, dass vier Pflegebedürftige der Pflegestufe I jeden Monat bis zu maximal
3 400 Euro erhalten können. Für Umbaumaßnahmen bei
Gründung einer Pflegewohngruppe werden einmalig bis
zu 20 000 Euro zur Verfügung gestellt. Ich glaube, man
kann nicht sagen, das sei wenig und stelle für die Betroffenen keine wirkliche Verbesserung dar.
({1})
Vielmehr denke ich, darauf können wir aufbauen und
das kann sich durchaus sehen lassen. Wir haben kalkuliert, wie viele Personen die Förderung in Anspruch nehmen werden. Wenn dieses Vorhaben so viel Zuspruch erfährt, wie wir hoffen, sind wir sehr glücklich, weil das
zeigt, dass dies der richtige Weg ist. Dann werden wir
weitere Entscheidungen treffen.
Frau Graf.
Dazu, dass das Pflege-Neuausrichtungsgesetz auch
ein Initiativprogramm zur Förderung von Wohngruppen
enthält, haben wir schon einiges gehört. Ich habe zwei
Fragen.
Meine erste Frage bezieht sich auf die Finanzierung.
Nach den Informationen, die mir zugänglich sind, wollen Sie dieses Vorhaben aus Restmitteln für die Finanzierung der Pflegestützpunkte finanzieren. Halten Sie das
für zielführend - schließlich ist dann keine Beratung
mehr möglich -, und meinen nicht auch Sie, dass die Befristung der Mittel ein großes Problem darstellen wird,
ganz abgesehen von dem Windhundverfahren, das der
Situation, wie ich denke, nicht gerecht wird?
Die zweite Frage, die ich habe, betrifft die Wohngruppen. Aus Erfahrung weiß ich, dass die bereits existierenden Wohngruppen sehr große Probleme mit den Heimgesetzen der Länder haben. Wie wollen Sie dieses
Problem in den Griff bekommen? Nach der Föderalismusreform ist die Zuständigkeit für das Heimrecht ja auf
die Länder übergegangen. Das bedeutet, dass Sie, wenn
Sie entsprechende Vorschläge vorlegen, verhindern müssen, dass aus Ihrem Vorhaben eine Mogelpackung wird.
Das wird nicht geschehen; diese Sorge kann ich Ihnen
nehmen. Die Regelung, dass die Zuständigkeit für das
Heimgesetz im Rahmen der Föderalismusreform mit
breiter Zustimmung des Parlaments in die Hände der
Länder gegeben wurde, kann ich durch das Pflege-Neuausrichtungsgesetz nicht aufheben. Das wollen wir auch
nicht tun. Das war seinerzeit eine vom Bundestag gemeinsam getragene Entscheidung, der auch Sie und Ihre
Fraktion zugestimmt haben. Was die Förderung betrifft,
werden wir sicherlich einen Rahmen setzen. Aber die
Ausgestaltung des Heimrechts bleibt weiterhin in den
Händen der Länder.
Im Übrigen stellen Sie hier etwas gegenüber, das
nicht gegenüberzustellen ist. Wenn es bei der Finanzierung der Pflegestützpunkte Restmittel gibt und diese verwendet werden, dann stellt dies die bestehenden Pflegestützpunkte nicht infrage. Das möchte ich klarstellen,
weil Sie gerade sagten, in Zukunft sei keine Beratung
mehr möglich. Das stimmt nicht. Vielmehr handelt es
sich um Gelder, die nicht abgerufen worden sind.
({0})
Insofern wird dadurch kein Pflegestützpunkt, der bereits
aufgebaut worden ist, infrage gestellt. So will ich das
verstanden wissen.
Es gibt ein bestimmtes Finanztableau, und wir stellen
für die Pflegewohngruppen bewusst Geld zur Verfügung. Ich habe Sie so verstanden, dass Sie dies nicht
grundsätzlich kritisieren, sondern es ebenfalls für nötig
halten, neue Wohnformen zu fördern. Dadurch werden
die bereits aufgebauten Pflegestützpunkte, wie gesagt,
nicht infrage gestellt. Die mit den Pflegestützpunkten
verbundenen Hoffnungen und Erwartungen mancher
Länder haben sich nicht erfüllt. Das ist nicht parteipolitisch gemeint. Auch in SPD-geführten Ländern sind
nicht so viele Pflegestützpunkte aufgebaut worden, wie
es sich manch ein SPD-Minister gewünscht hätte.
Wir haben das Ende der üblichen Befragungszeit erreicht. Ich habe mir noch drei Wortmeldungen notiert,
und zwar der Kolleginnen Rawert, Mattheis und
Scharfenberg. Ich schlage vor, diese Fragestellerinnen
noch aufzurufen und dann zu den übrigen Fragen zu
kommen. - Das ist offenkundig einvernehmlich.
Frau Rawert, bitte.
Herr Minister, mein Kollege Lemme hat das Thema
Pflegeausbildung vorhin schon aufgegriffen. Sie haben
gesagt, es werde jetzt zügig in Angriff genommen. Ihre
Pressesprecherin hat in den letzten Tagen mitgeteilt, es
gebe noch keinen Zeitplan für die Umsetzung der Reform der Pflegeausbildung. Zunächst einmal würde ich
gerne diesen Zeitplan von Ihnen erfahren. Zum anderen:
Ein großes Problem ist die Finanzierung der Reform der
Pflegeausbildung. Könnten Sie sich diesbezüglich bitte
äußern?
Herr Präsident, das ist nicht Gegenstand des PflegeNeuausrichtungsgesetzes, sondern anderer Vorhaben,
und hat mit dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz nichts zu
tun. Ich antworte dennoch kurz zu dem Thema.
Es gibt eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über Eckpunkte, die seit Anfang März 2012 vorliegt. Das ist gut, weil uns das einen deutlichen Schritt
vorangebracht hat, die verschiedenen Ausbildungen im
Bereich der Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege
zusammenzuführen und hier eine generalisierte Ausbildung mit der Möglichkeit der Spezialisierung einzuführen. Die Altenpflege spielt genauso im Krankenhaus
eine Rolle, wie die medizinische Versorgung im Pflegeheim eine Rolle spielt. Das heißt, die Ausbildungen müssen hier zusammengeführt werden.
Es ist erfolgreich gelungen, Bund und Länder hier zu
einer gemeinsamen Vereinbarung zu bewegen. Das ist
eine gute Grundlage für die jetzigen Beratungen. Über
die Finanzierung müssen wir in der Tat weiter reden und
noch entscheiden. Hier gibt es unterschiedliche Wünsche und Vorstellungen. Ich als Bundesgesundheitsminister werde meinen Beitrag dafür leisten, dass wir mit
den Ländern zu einer Lösung für die Finanzierung kommen.
Im Juni wird wieder eine Gesundheitsministerkonferenz stattfinden. Dort wird das sicherlich auf der Tagesordnung stehen. Ich werde mit Nachdruck und Tatendrang
daran arbeiten, dass wir schnell ein Gesetzgebungsverfahren starten können. Ich kann aber heute noch nicht
festlegen, wann ein konkreter Gesetzentwurf vorliegen
wird, weil wir das nicht alleine machen können, sondern
auch hier die Länder bewusst einbinden wollen. Das
liegt in unserer gemeinsamen Zuständigkeit.
Ich habe vorhin den Kollegen Weinberg übersehen,
der sich fraglos rechtzeitig gemeldet hatte. Ihm möchte
ich jetzt das Wort geben. Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, können
Sie erläutern, wie Sie die konkreten Beträge der im
Pflege-Neuausrichtungsgesetz vorgesehenen zusätzlichen Leistungen für Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz zusammen ermittelt haben?
Der Hintergrund meiner Frage ist: Im Arbeitsentwurf
vom Dezember 2011 standen noch höhere Beträge. Zum
Beispiel sollte das Pflegegeld in der Pflegestufe I ursprünglich um 105 Euro auf 340 Euro erhöht werden.
Jetzt ist nur noch eine Erhöhung um 70 Euro auf
305 Euro vorgesehen. Es war damals geplant, die Pflegesachleistungen in der Pflegestufe II um 325 Euro auf
775 Euro zu erhöhen, jetzt ist nur noch eine Erhöhung
um 215 Euro auf 665 Euro vorgesehen.
Meine Frage lautet: Was hat dazu geführt, dass diese
Beträge jetzt abgesenkt worden sind? War das dem Rotstift geschuldet, oder hat sich sozusagen der pflegerische
Bedarf verändert?
Das kann ich kurz beantworten: Es ist übliches Verfahren im Rahmen der Ressortabstimmung, dass man
sich zwischen den Ressorts über die Kabinettsfassung einigt. Wir haben das Ziel, dass die Verbesserungen vollständig aus der Beitragssatzerhöhung finanziert werden.
Eben gab es die Sorge, dass die Belastungen für die
Pflegeversicherung durch diese Reform höher werden,
was sich ja nicht bestätigt. Im Gegenteil: Wir sorgen für
beides, nämlich mit Augenmaß für die Finanzierbarkeit
der Pflegeversicherung und gleichzeitig für Verbesserungen, die den Menschen konkret zugutekommen.
Im Rahmen der differenzierteren Ausgestaltung der
bisherigen drei Pflegestufen haben wir Zwischenstufen
für Menschen mit einer Demenzerkrankung geschaffen:
Vor der Stufe I, nach der Stufe I und nach der Stufe II
werden Zwischenstufen eingeführt, und die Menschen
bekommen differenzierte Leistungen. Damit tragen wir
dem Grundgedanken Rechnung, den der Beirat zur
Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs seinerzeit
entwickelt hat, der ja auch eher ein Fünfstufenmodell
vorgestellt und gesagt hat: Wir brauchen eine differenziertere Betrachtung des Betreuungsaufwandes. - Das ist
die Grundidee, die dahintersteckt: mit den vorhandenen
Ressourcen das Bestmögliche für die Betroffenen zu erreichen.
Frau Mattheis.
Herr Minister, ich frage Sie jetzt erstens noch einmal:
Können Sie uns hier zusichern, das Positionspapier der
SPD noch einmal genau zu lesen.
Ja.
Dann werden Sie nämlich feststellen, dass wir die
Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs
nicht mit dem Problem der Eingliederungshilfe verknüpfen, sondern das unabhängig davon sehen?
Zweitens. Wie bewerten Sie die Aussage des pflegepolitischen Sprechers Ihres Koalitionspartners, dass eine
Pflegereform, ordentlich durchgeführt, 6 Milliarden
Euro kosten würde?
Ich zitiere aus Ihrem Orientierungspapier.
({0})
Da heißt es - Zitat -:
Die leistungsgerechten Abgrenzungen und Überschneidungen sind daher neu zu gestalten. Hierfür
ist die Reform der Eingliederungshilfe voranzutreiben.
Danach verknüpfen Sie Ihre Vorschläge noch mehr
mit dem Pflegebedürftigkeitsbegriff; denn Sie sagen zur
Umsetzung auf der kommunalen Ebene weiterhin - Zitat -:
Zum Ausbau der kommunalen Pflegeinfrastruktur
brauchen die Kommunen eine bessere Finanzausstattung. Deshalb setzen wir uns für eine Weiterent20156
wicklung der Gewerbesteuer und weitere Entlastungen bei den Sozialausgaben ein.
Das heißt, Sie kombinieren den Pflegebedürftigkeitsbegriff mit den ganzen Fragen sowohl der kommunalen
Finanzierung als auch der Eingliederungshilfe. Das kann
man machen. Das kann man diskutieren. Das erschwert
aber, dass wir beim Pflegebedürftigkeitsbegriff vorankommen.
Ich sage Ihnen - das ist meine Haltung -: Wir werden
beim Thema Pflegebedürftigkeitsbegriff nicht weiterkommen, wenn wir noch mehr Fragen damit verknüpfen,
die nicht im Bereich der Pflege zu lösen sind, sondern
kommunale Aufgaben und Fragen der Eingliederungshilfe sind. Vielmehr würden wir das Weiterkommen
damit erschweren.
Deshalb habe ich jetzt Ihren Beschluss zitiert. Ich
kann ihn aber gerne noch einmal intensiver lesen. Wenn
Sie aber sagen, hierfür sei die Reform der Wiedereingliederungshilfe voranzutreiben, ist eindeutig eine Verknüpfung gegeben.
({1})
- Ich habe es ja gelesen. Vielleicht sollten Sie diesen Beschluss korrigieren;
({2})
vielleicht habe nicht nur ich ihn so missverstanden.
Dann wird es vielleicht besser.
({3})
Kollegin Scharfenberg.
Vielen Dank. - Herr Minister, der Presse der letzten
Tage war zu entnehmen, dass Sie als Gesundheitsminister und der Bundesfinanzminister sich darauf verständigt
haben, dass zukünftig freiwillige private Zusatzversicherungen steuerlich gefördert werden sollen. Eine freiwillige Zusatzversicherung muss man sich natürlich auch
leisten können. Das heißt, man braucht das nötige Kleingeld.
Wie können Sie denn glaubhaft den Eindruck entkräften, dass dieses Vorhaben vor allem den Gutverdienern
und der privaten Versicherungsindustrie dient,
({0})
aber nicht denen, die eine bessere Absicherung brauchen, sich diese aber nicht leisten können?
Ich kann diesen Eindruck entkräften, indem ich mir
eine Entscheidung einer rot-grünen Bundesregierung
zum Vorbild nehme. Ich habe großen Respekt davor,
dass es die rot-grüne Bundesregierung war, die seinerzeit
erkannt hat, dass die Altersvorsorge nicht allein auf der
gesetzlichen Rentenversicherung als Umlagesystem aufbauen kann, sondern private Vorsorge erforderlich ist.
Sie haben seinerzeit - ich kann das ausdrücklich begrüßen - mit der Riester-Rente einen Einstieg geleistet, der
viel Akzeptanz findet. Heute haben wir rund 16 Millionen Riester-Verträge.
({0})
Einen Riester-Vertrag haben nicht nur die Spitzenverdiener abgeschlossen. Im Gegenteil, sehr viele Facharbeiter
mit kleinem Einkommen und sehr viele Familien nehmen diese Förderung in Anspruch. Das hat klein begonnen und mittlerweile eine große Akzeptanz gefunden.
Deswegen sage ich: Es gibt noch keine Einigung innerhalb der Bundesregierung über die genaue Ausgestaltung der Förderung. Es gibt aber den Beschluss, dass wir
die freiwillige Pflegevorsorge besser fördern wollen. Für
mich ist wichtig, dass das einfach und unbürokratisch
geschieht und dass möglichst viele Menschen davon profitieren, damit es sich für sie lohnt, privat vorzusorgen.
Wenn man schon frühzeitig mit kleinen Beiträgen anfängt, kann man einen erheblichen Eigenanteil leisten,
den es zu schultern gilt.
Insofern nehme ich Anleihe an die seinerzeit vom
Bundestag beschlossenen roten und grünen Ideen zur
Altersvorsorge, ohne das Konzept genau zu kopieren.
Ich glaube, das ist der richtige Weg.
Vielen Dank, Herr Minister. - Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist
nicht der Fall. Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Es liegt eine Wortmeldung der Kollegin
Enkelmann vor.
Danke, Herr Präsident. - Der Deutsche Städte- und
Gemeindebund hat festgestellt, dass noch circa 200 000
Betreuungsplätze an Kitas sowie Tausende von Erzieherinnen und Erziehern fehlen. Ab 2013 soll ein Betreuungsanspruch für jedes Kind von unter drei Jahren gelten. Was will die Bundesregierung unternehmen, um
diese Entscheidung, die auf Bundesebene getroffen worden ist, umzusetzen, oder will sie die Kommunen tatsächlich im Regen stehen lassen?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Kues, vielleicht
erheben Sie sich und erklären, ob und was Sie dazu erklären können.
Ich stehe auch.
Ich fühlte mich nicht angesprochen. Ich dachte, es
gehe um die Kabinettsbefassung.
Nein. Man kann auch sonstige Fragen stellen. Diese
Möglichkeit habe ich genutzt.
Können Sie die Frage bitte wiederholen?
Haben Sie gar nicht zugehört?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Nein.
Das ist nun wirklich nicht zu beanstanden. Der Kollege Kues konnte nicht wissen, dass Sie eine Frage stellen, die er möglicherweise beantworten kann und soll.
Wenn Sie freundlicherweise noch einmal sagen, worum es geht.
Herr Präsident, ich wiederhole die Frage natürlich
gerne. Ich finde aber, wenn wir uns hier im Parlament
bewegen, sollten wir schon einander zuhören.
Es geht um folgende Frage: Der Deutsche Städte- und
Gemeindebund hat festgestellt, dass bundesweit noch
etwa 200 000 Betreuungsplätze in Kitas und Tausende
von Erzieherstellen fehlen. Außerdem gibt es die Entscheidung der Bundesregierung, ab dem Jahr 2013 einen
Betreuungsanspruch für Kinder von unter drei Jahren
durchzusetzen. Die Frage ist: Was tut die Bundesregierung, um diesen Betreuungsanspruch durchzusetzen,
oder will sie die Kommunen tatsächlich im Regen stehen
lassen?
Nein, wir wollen die Kommunen natürlich nicht im
Regen stehen lassen. Wir haben eine Vereinbarung mit
den Ländern und den Kommunen getroffen. Wir haben
ein Programm aufgelegt, das in der Tat bis 2013 umgesetzt werden soll. Dafür gibt es einen rechtlichen Rahmen. Es gibt auch einen finanziellen Rahmen in der
Form, dass der Bund 4 Milliarden Euro, die Länder
4 Milliarden Euro und die Kommunen 4 Milliarden Euro
zur Verfügung stellen.
Wir drängen darauf, dass dieses Programm umgesetzt
wird. Wir veröffentlichen regelmäßig die Zahlen. Wir
halten auch die Länder an, darauf zu achten - einzelne
Länder melden sich -, die Vorgaben umzusetzen. Uns
steht als Bund keine Maßnahme zur Verfügung, um die
Länder zu einem beschleunigten Ausbau zu zwingen.
Aber wir sind im ständigen Gespräch mit den Ländern,
um zum Ziel zu kommen.
Im Übrigen wird es auch einen gewissen Wettbewerb
zwischen den Ländern, aber auch zwischen einzelnen
Regionen geben, weil einzelne Regionen längst so weit
sind, diesem Anspruch zu genügen, auch wenn sie keine
anderen finanziellen Bedingungen als solche Kommunen haben, die nicht so weit sind. Man wird politisch
darüber zu diskutieren haben, weshalb einzelne Regionen das schaffen und andere nicht. Aber wir bemühen
uns, das Ganze zu begleiten, sodass wir das Ziel 2013 erreichen können.
({0})
Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/9084 Ich rufe die mündlichen Fragen in der üblichen Reihenfolge auf.
Die Frage 1 der Kollegin Dr. Tackmann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz wird schriftlich
beantwortet.
Gleiches gilt für die Fragen 2 und 3 der Kollegin
Dağdelen, die Frage 4 der Kollegin Keul und die Frage 5
des Kollegen Nouripour im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Der Kollege Kues kann zur Beantwortung der Fragen
gleich stehen bleiben.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Daniela Kolbe auf:
Welche erfolgreichen Modellprojekte in der präventivpädagogischen Arbeit mit rechtsextremistisch orientierten
Jugendlichen sind der Bundesregierung bekannt?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Darauf will ich gerne antworten. Bei den pädagogischen Angeboten geht es darum, mit Jugendlichen, die
sich in rechtsextremistischen Organisationen bewegen
und entsprechend ausgerichtet sind, zu arbeiten und einer Verfestigung dieser Einstellung entgegenzuwirken.
Das passierte schon 2007 bis 2010 im Rahmen des Bundesprogramms „Vielfalt tut gut“.
Es gibt insgesamt 18 Modellprojekte. Ich will Ihnen
drei erfolgreiche nennen. Erstens: Das Projekt des Trägers „Gesicht Zeigen!“ für gefährdete Hauptschüler. Für
die Arbeit mit Hauptschülern ist damit ein neues Konzept erarbeitet worden. Zweitens: Bei dem Projekt des
Trägers „Arbeit und Leben“ ging es um junge Menschen
in strukturschwachen Regionen und Kommunen. Drittens: Das Projekt der DGB-Jugend Rheinland-Pfalz hat
als Zielgruppe ebenfalls junge Menschen in strukturschwachen Regionen und Kommunen.
In Schulen, die den Titel „Schule ohne Rassismus Schule mit Courage“ tragen, sind Lernorte geschaffen
worden, um die Jugendlichen zur Reflexion anzuregen.
Auch das aktuelle Bundesprogramm nimmt das auf,
nämlich die Auseinandersetzung mit rechtsextremistisch
orientierten Jugendlichen. Hier werden aktuell 14 Modellprojekte gefördert, die im Herbst 2011 gestartet sind.
Ich nenne Ihnen einige wichtige Träger und Partner:
Amadeu-Antonio-Stiftung, Miteinander e. V., das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung in Rheinland-Pfalz. Ergebnisse können natürlich noch nicht vorliegen, weil die Projekte erst im Herbst des vergangenen
Jahres begonnen wurden.
Zusatzfrage.
Ich habe diese Frage vor allen Dingen deshalb gestellt, weil in den Antworten der Bundesregierung zum
Thema Kampf gegen Rechtsextremismus dieser Passus
der präventiv-pädagogischen Arbeit mit rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen verstärkt auftaucht. Sie
haben jetzt Projekte aus der Vergangenheit genannt.
„Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ würde
ich zum Beispiel eher in den Bereich Prävention und
Stärkung der Zivilgesellschaft einordnen, also eine
Schule als Gemeinschaftsraum stärken, damit dort
Rechtsextreme nicht Fuß fassen können.
Sie scheinen den Fokus gerade relativ stark zu verschieben. Meine Nachfrage ist deshalb: Kann man von
einem Paradigmenwechsel der Bundesregierung im Hinblick auf den Kampf gegen Rechtsextremismus sprechen
und davon, dass sie sich umorientiert?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Nein, davon kann man nicht sprechen. In den Programmen für Vielfalt und Toleranz kommt zum Ausdruck: Wenn Sie die Arbeit mit Jugendlichen konsequent
angehen, dann werben Sie für Pluralismus und sprechen
sich dadurch letztlich gegen Extremismus jeglicher Art
aus. Aber die Akzente verschieben wir ausdrücklich
nicht; vielmehr waren die allgemeinen Programme, die
auch Sie kennen und die es seit vielen Jahren gibt, immer geeignet, etwas gegen Rechtsextremismus zu tun,
und sie sind dort anzusiedeln.
Ich habe noch eine zweite Nachfrage. Der Passus hat
mich ein bisschen an das erinnert, was man früher akzeptierende Jugendarbeit genannt hat, bei der der Fokus
stark auf Jugendliche gelegt wird, die schon rechtsextremistisch orientiert sind. Das kann man machen, und mir
sind auch Programme bekannt, die das durchaus erfolgreich umsetzen. Allerdings geht man mit solchen Programmen auch immer das Risiko ein, die Rechtsextremen noch zu stärken, sie stärker in die Szene zu bringen
und ihnen Räume oder sogar ganze Jugendklubs zu öffnen. Wenn ich böse wäre, würde ich jetzt an die drei
Neonazis erinnern, die in einem Jugendklub in Jena verkehrten, in dem es eine solche akzeptierende Jugendarbeit gab.
Inwiefern ist Ihnen bewusst, dass für diese Arbeit sehr
hohe Qualitätsstandards notwendig sind?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Frau Kollegin, ich habe bewusst einige Stiftungen genannt, die auf dem Gebiet arbeiten und, glaube ich, unverdächtig sind, gegenüber rechtsextremistisch geprägten Jugendlichen nicht hinreichend kritisch zu sein. Ich
finde das nicht ganz unwichtig. Keine der Einrichtungen,
die ich eben genannt habe, steht in dem Verdacht, mangelndes Gespür zu haben. Im Gegenteil: Ich finde es gut,
dass sie sich dieser Aufgabe stellen und offenkundig
auch die Notwendigkeit sehen, das zu tun. Die AmadeuAntonio-Stiftung beispielsweise, die auch Sie kennen, ist
dafür bekannt. Sie hat ein hohes Ansehen und arbeitet
seit vielen Jahren erfolgreich in diesem Bereich.
Bitte schön, Frau Kollegin Pau.
Herr Staatssekretär, wir haben Anfang des Jahres erfahren, dass Ihr Ministerium und das Bundesinnenministerium ein Kompetenzzentrum gründen wollen, welches
offensichtlich die Erfahrungen dieser Arbeit bündeln
soll. Inwieweit beziehen Sie sich auch schon auf die
Evaluation solcher Projekte bzw. welches Handwerkzeug holen Sie sich beispielsweise von Stiftungen wie
der Amadeu-Antonio-Stiftung, um der Gefahr entgegenzutreten, dass gerade Rechtsextremen mit einem schon
verfestigten neonazistischen Weltbild mit Steuermitteln
gefördert eine öffentliche Bühne geboten wird?
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Frau Kollegin, ich glaube, Letzteres darf nicht der
Fall sein. Wir haben aber einen Beirat und beziehen dort
ausdrücklich verschiedenste Träger der politischen Jugendbildung, die ich eben teilweise genannt habe, mit
ein. Man muss dabei sicherlich Obacht geben, aber wir
machen das als Bundesregierung auch nicht allein, sondern wir arbeiten mit den Ländern über die Landesjugendämter bei verschiedenen Projekten zusammen,
auch wenn sie strittig gewesen sind. Es ist auch nie ausgeschlossen, dass Projekte jeweils überprüft und gekippt
werden, wenn sie den Anforderungen nicht genügen.
Ich glaube, wir gehen durchaus mit einer hinreichenden Sensibilität vor. Wenn Sie andere Beobachtungen
gemacht haben, dann sollten Sie sie mir mitteilen. Mir
ist dazu nichts bekannt.
Das Zentrum gegen Rechtsextremismus hat zum Ziel,
dass alle Erfahrungen, die in diesem Zusammenhang
gesammelt worden sind, auch in der allgemeinen politiParl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
schen Jugendbildung nutzbar gemacht werden. Dort
werden wir das Ganze auch ansiedeln.
Kollege Beck.
Ich habe in diesem Zusammenhang eine Rechtsfrage
an das Ministerium. Ich möchte bezogen auf die Frage
von Frau Kolbe nachfragen, wie sich präventiv-pädagogische Projekte rechtlich mit der Unterzeichnung der
Extremismusklausel vertragen
({0})
und wie Sie diese rechtlich in diesem Zusammenhang
auslegen. Wenn Sie das jetzt nicht aus juristischer Sicht
beantworten können, dann hätte ich dazu gerne - das
meine ich jetzt ernsthaft - eine Ausarbeitung Ihrer
Rechtsabteilung; denn ich verstehe das nicht.
({1})
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend:
Die Extremismusklausel bedeutet, dass jemand erklären muss, dass er mit Partnern zusammenarbeitet, die
sich dem Grundgesetz verpflichtet fühlen. Es geht nicht
um die Zielgruppe im Einzelnen. Von betroffenen
Jugendlichen wird nicht verlangt, dass sie sich im Sinne
der Extremismusklausel äußern, sondern die Träger der
politischen Bildungsarbeit müssen eine Erklärung abgeben.
({2})
Wie Sie wissen, Herr Beck, tun sie es überwiegend,
bis auf sehr wenige Ausnahmen. Gerade auch die Amadeu-Antonio-Stiftung hat das bei den verschiedensten
Projekten getan.
({3})
Das ist hier immer wieder ein Thema, und das ist auch in
Ordnung. Aber es ist in der Breite der Träger kein
Thema.
({4})
Jetzt rufe ich die Frage 7 der Kollegin Kolbe auf:
Sind der Bundesregierung erfolgreiche präventiv-pädagogische Projekte bekannt, die mit ganzen Gruppen von rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen arbeiten, und, wenn
ja, welche?
Ich habe diese Frage eben schon beantwortet; was für
die Frage 6 gilt, gilt auch hier. Natürlich geht man bei
der präventiv-pädagogischen Arbeit immer von der Arbeit mit Gruppen aus. Insofern gilt das Gleiche, was ich
bei der Beantwortung der Frage 6 gesagt habe.
Frau Kolbe, eine Nachfrage.
Herr Dr. Kues, dem möchte ich zunächst einmal widersprechen. Es ist schon eine bewusste Entscheidung,
mit einer ganzen Gruppe von rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen zu arbeiten. Man muss schon ein
großes Vertrauen in die Trainer haben, wenn man glaubt,
dass man das bewältigt.
Sie haben jetzt Mittel für das Modellprogramm
„Dortmund den Dortmundern“ bewilligt. Soweit ich informiert bin, sollen in dieses Programm 300 000 Euro
fließen. Im Rahmen dieses Programms wird mit einer
ganzen Gruppe von etwa 20 organisierten autonomen
Nationalisten gearbeitet werden. Ich möchte Sie schon
fragen, was für eine Zielstellung Sie damit verfolgen.
Was glauben Sie in den Köpfen von 20 autonomen Nationalisten, die in ein und demselben Raum sitzen, bewegen zu können? Auf welcher Ebene - Einstellungsebene,
Verhaltensebene - glauben Sie etwas bewegen zu können?
Wir müssen uns über dieses Projekt im Einzelnen unterhalten. Wie Sie wissen, führen wir es zusammen mit
der Stadt Dortmund durch. Sie hat ein Interesse daran
bekundet, auch was eine methodische Auswertung angeht. Die Stadt Dortmund hat sich nach einer politischen
Debatte aus diesem Projekt zurückgezogen. Wir werden
uns damit noch im Einzelnen zu beschäftigen haben.
Beispielsweise im Falle von Fußballfans, bei denen
man den Verdacht hat, dass es in ihr rechtsextremistisch
ausgerichtete Jugendliche gibt, arbeitet man im Rahmen
einer Gruppe. Man geht davon aus, dass man dabei die
entsprechenden Fragestellungen aufwerfen und bei dem
einen oder anderen Nachdenklichkeit hervorrufen kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ich habe verschiedene Wissenschaftler darauf angesprochen. Es gibt ja erfolgreiche Projekte, zum Beispiel
das Violence Prevention Network, bei dem mit rechtsextrem eingestellten Personen, die in Gefängnissen sind,
gearbeitet wird. Wenn man die Mitarbeiter solcher Projekte fragt, was sie von diesem Projekt halten, bei dem
es um eine ganze Gruppe von rechtsextremen Jugendlichen geht, dann antworten sie: Die Wahrscheinlichkeit
des Scheiterns ist extrem hoch; es ist sogar möglich, dass
man damit in die falsche Richtung wirkt, dass Rechtsextreme noch stärker in die Szene hineinrutschen und
dass man ihnen Räume öffnet. Was entgegnen Sie denen,
die das behaupten?
Wir müssen die Methoden derjenigen, die solche Projekte durchführen, immer wieder überprüfen und dahin
gehend auswerten, ob sie geeignet sind oder nicht. Wir
lassen uns bei solchen Projekten auch von Fachleuten
beraten; das wissen Sie. Das ist für uns letztlich die
Grundlage für die Entscheidung, ob wir solche Projekte
weiter durchführen.
Ich gebe gerne zu, dass sich ein solches Projekt und
auch die Bedingungen, unter denen es abläuft, weiterentwickeln; schließlich sammeln wir Erfahrungen in diesem
Bereich. Wir haben mittlerweile einen Schwerpunkt entwickelt, der über das hinausgeht, was in den vergangenen Jahren passiert ist. Wir werden immer wieder zu
hinterfragen haben, ob unser Vorgehen hinreichend ist.
Dafür muss man über die einzelnen Projekte reden. Darüber tauschen wir uns auch mit Fachleuten aus, und aus
diesem Austausch ziehen wir Konsequenzen.
Im Übrigen handelt es sich nicht um alleinige Entscheidungen der Bundesregierung; vielmehr erfolgt unser Handeln in der Regel in enger Abstimmung mit den
Landesjugendämtern und den Jugendbehörden.
Kollege Beck.
Noch einmal zur Klarstellung: Die Amadeu-AntonioStiftung kritisiert diese Extremismusklausel ebenfalls,
obgleich sie sie unterzeichnet hat.
Sie hat sie aber unterschrieben.
Ja. Trotzdem wollen wir hier nicht so tun, als ob eine
Unterschrift eine Zustimmung zur Methode wäre.
Da ich ein schlichtes Gemüt habe, wollte ich Sie einfach fragen, wie sich der Wortlaut der von Ihnen geforderten Erklärung mit dieser Art von Projekten verträgt.
Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass ein solches Vorgehen sinnvoll sein kann. In dem zu unterschreibenden
Text heißt es:
Als Träger der geförderten Maßnahme haben wir
zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten … und
auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen,
dass die als Partner ausgewählten Organisationen,
Referenten etc. sich ebenfalls zu den Zielen des
Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass
keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass
einer Unterstützung extremistischer Strukturen
durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.
Das ist selbst bei einem erfolgreichen Projekt in der Anfangsphase schlechterdings nicht zu machen.
Herr Beck, ich möchte Ihnen zunächst nicht bestätigen, dass Sie ein schlichtes Gemüt sind, sondern ausdrücklich das Gegenteil betonen.
({0})
Sie haben allerdings selbst vorgelesen, dass es um die
Organisation geht.
({1})
- Da ist von Organisationen und Referenten die Rede.
({2})
Es sagt nichts darüber aus, ob man mit extremistisch
ausgerichteten Jugendlichen zusammenarbeitet bzw. ob
man sie mit einbezieht oder nicht. Wenn Sie es also genau lesen - Sie haben es ja richtig zitiert - und richtig
deuten, dann wissen Sie, dass es kein Problem ist.
({3})
Frau Kollegin Pau, die sicherlich auch kein schlichtes
Gemüt ist, hat nun das Wort. Bitte schön.
Davon gehe ich aus.
({0})
Ich möchte auf die zweite Nachfrage der Kollegin
Kolbe eingehen. Sie hat den Titel des Dortmunder Projektes hier genannt; ich möchte es nicht wiederholen. Da
bei der Beantragung des Projekts nicht aufgefallen ist,
dass in dem Titel eine Problematik steckt, möchte ich
wissen, wie die Bundesregierung aus heutiger Sicht die
Tatsache beurteilt, dass sich nach Veröffentlichung dieses Projekts mehrere Nationalisten auf einschlägigen Internetseiten bereit erklärten, sich der Diskussion zu stellen, um dem breiten politisch interessierten Publikum
vor Augen zu führen, warum ein radikaler Politikwechsel in unserem Land unumgänglich ist. Das heißt, hier
bieten sich Referenten und Diskutanten aus der bekanntermaßen gewaltbereiten rechtsextremen Szene an, die
Plattform, die ihnen hier geboten wird, zu nutzen, um
ihre menschenverachtenden Positionen nun im Rahmen
dieses Programmes zu propagieren. Ich wüsste gerne,
wie die Bundesregierung das bewertet und welche Konsequenzen gezogen werden.
Ich will mich gerne noch einmal genauer informieren.
Mein Kenntnisstand ist, dass die Grundlage für diese
Entscheidung der aus der Problemlage resultierende
Handlungsbedarf, die Erfahrungen des Trägers in diesem
Tätigkeitsbereich und ein fachliches Votum gewesen
sind. Das heißt, Fachleute sind gebeten worden, das
Ganze zu beurteilen. Beispielsweise ist das Jugendamt
Dortmund um eine Einschätzung gebeten worden, ob
das Programm vom fachlichen und auch methodischen
Vorgehen her geeignet sei. Darüber hinaus ging es um
die Modellhaftigkeit und den Innovationsgehalt. All das
wurde mit berücksichtigt.
Sie sagen jetzt, eine rechts bzw. nationalistisch ausgerichtete Gruppe habe das als Aufhänger genommen,
um ihre Dienste anzubieten. Ich muss das erst einmal so
zur Kenntnis nehmen; gelesen habe ich das auch. Bis
jetzt hatte ich keinen Anlass, anzunehmen, dass es falsch
sei. Um dieses Projekt, das so bewertet worden ist, jetzt
schon abzubrechen, müsste man zu Erkenntnissen kommen, die in die Richtung gehen, die Sie gerade angedeutet haben. Aber ich will das gerne noch einmal überprüfen.
Weitere Wortmeldungen sehe ich hierzu nicht. Damit
sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Fragen 8 und 9 der
Kollegin Kathrin Vogler werden schriftlich beantwortet.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Die Frage 10 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter, die Fragen 11 und 12 des Kollegen Stephan Kühn, die Fragen 13 und 14 des Kollegen Gustav Herzog sowie die
Fragen 15 und 16 des Kollegen Sören Bartol werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Seifert auf:
Inwieweit hält die Bundesregierung angesichts des Anteils
von nur 1,6 Prozent barrierefreien bzw. barrierearmen Wohnungen am Gesamtbestand von 40,5 Millionen Wohnungen
({0}) ihre eigenen Aktivitäten zur Schaffung von barrierefreien Wohnungen
im Neubau und zum Abbau von Barrieren im Wohnungsbestand für ausreichend, und was wird sie tun, um sich - auch
mit Blick auf Art. 31, Statistik und Datensammlung, der UNBehindertenrechtskonvention - einen besseren Überblick über
Fragen der Barrierefreiheit bei Wohnungen in Deutschland zu
verschaffen?
Ich bitte den Kollegen Ferlemann um Beantwortung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Ich gebe folgende Antwort:
Die Ausweitung des Angebots an barrierefreien bzw.
barrierereduzierten Wohnungen ist ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung. Sie ist daher bemüht, die Eigentümer und Investoren sowie die bauplanenden und
bauausführenden Berufe für den Abbau von Barrieren
im Bestand sowie für die Vermeidung von Barrieren
beim Neubau zu sensibilisieren. Dazu dienen unter anderem das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“ sowie die hierzu geförderten Modellprojekte. Die Bundesregierung geht davon aus, dass auch die Länder, auf die
im Rahmen der Föderalismusreform I die Zuständigkeit
für die Wohnungsbauförderung ab 2007 vollständig
übergegangen ist, das gleiche Anliegen verfolgen.
Um Fortschritte bei der Anpassung des Wohnungsbestandes festzustellen, stehen der Bundesregierung verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. So gaben 2007
in einer repräsentativen BBR-Bevölkerungsumfrage
30 Prozent der befragten Haushalte an, in einer barrierefrei erreichbaren Wohnung zu leben.
Ferner hat die Bundesregierung zum Beispiel beim
DIW dafür geworben, das Thema Barrierefreiheit in das
Erhebungsprogramm des Soziooekonomischen Panels
aufzunehmen. Seit dem Jahr 2009 werden dort Anpassungsmaßnahmen für barrierefreies, altengerechtes
Wohnen sowie das Vorhandensein eines Aufzugs erfasst.
Ergebnis: 8 Prozent der Haushalte hatten im Jahr 2010
einen Aufzug/Fahrstuhl im Haus zur Verfügung. Bei
0,4 Prozent der Eigentümer- und Mieterhaushalte sind
seit Anfang 2009 in den Wohnungen Anpassungsmaßnahmen für barrierefreies, altengerechtes Wohnen vorgenommen worden.
Art. 31 der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Vertragsstaaten zur Sammlung geeigneter
Informationen zur Situation von Menschen mit Behinderungen. Im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung dieser Konvention hat die Bundesregierung beschlossen, einen neuen Bericht über die Lebenslagen von Menschen
mit Behinderungen zu konzipieren. Der Bericht soll ein
solides Datenfundament bereitstellen, das die tatsächliche Situation von Menschen mit Behinderungen anhand
von ausgewählten Lebenslagen darstellt. Der indikatorengestützte Bericht wird zukünftig die Grundlage für
zielgerichtetes politisches Handeln im Bericht zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sein. In diesem
Zusammenhang wird auch das Thema Wohnen für Menschen mit Behinderungen eine Rolle spielen.
Kollege Seifert.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Zahlen. Einige muss ich mir im Protokoll noch einmal in Ruhe ansehen.
Ich darf darauf hinweisen, dass es beim Thema Barrierefreie Bauten nicht nur darum geht, wo Menschen
mit Behinderungen jetzt wohnen, sondern unter anderem
auch darum, wohin sie in Zukunft ziehen können, sowie
darum, wie erreicht werden kann, dass Menschen, die
jetzt noch gar nicht in der Situation sind, mit irgendwelchen Mobilitätseinschränkungen zu tun zu haben, wohnen bleiben können, wenn sie einmal in diese Situation
kommen. Insofern verstehe ich nicht, wieso Sie nur anregen und darauf hinwirken wollen, das zu berücksichtigen. Es geht doch darum, gesetzlich festzulegen, dass
zukünftig keine neuen Barrieren mehr errichtet werden
dürfen.
Wir bräuchten auch ein Programm, um bestehende
Barrieren zu beseitigen. Sie haben auf das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“ hingewiesen. Aber die
Mittel werden immer weiter heruntergefahren. Da ist
nicht gerade ein Fortschritt, sondern eher ein Rückschritt
zu erkennen. Was wollen Sie konkret gesetzlich tun, dass
zukünftig keine neuen Barrieren mehr errichtet werden,
und welche Programme haben Sie, bestehende Barrieren
zu beseitigen?
Sehr geehrter Kollege, ich habe schon darauf hingewiesen: Die Zuständigkeit für die Wohnungsbauförderung ist komplett auf die Bundesländer übergegangen.
Das ist ein Ergebnis der Föderalismusreform I. Nun
kann man darüber diskutieren, ob das sinnhaft war oder
nicht; aber die Entscheidungen sind so gefallen. Mithin
sind die Bundesländer für die Umsetzung der Programme verantwortlich. Wir geben Geld aus dem Haushalt des BMVBS, und die Länder entscheiden in eigener
Zuständigkeit darüber, wie sie dies in der Wohnungsbauförderung einsetzen.
Gleichwohl ist es natürlich so, dass wir versuchen, an
vielen Punkten Auflagen durchzubringen. Denken Sie an
all die Programme im Bereich der Mobilität, die wir unterstützen und fördern; das ist Ihnen ja bekannt. Natürlich weisen wir die Bundesländer in den gemeinsamen
Bauministerbesprechungen darauf hin, dass wir auf dieses Thema großen Wert legen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass wir im Zuge der demografischen
Entwicklung - da haben Sie vollkommen recht - in Zukunft deutlich mehr Wohnungen brauchen, die barrierefrei gebaut sind. Deswegen fordern wir die Länder immer wieder auf, einen besonderen Schwerpunkt darauf
zu setzen.
Weitere Zusatzfrage?
Ja, gern, Herr Präsident. - Gegen die Einführung der
Kleinstaaterei kann ich momentan nichts tun. Das ist Geschichte; da haben Sie recht. Das ändert aber nichts an
der Tatsache, dass es ein Baugesetzbuch gibt. Niemand
in diesem Lande käme auf den Gedanken, ein Haus ohne
Blitzableiter oder ohne Brandschutzmaßnahmen zu
bauen; denn das ist im Baugesetzbuch festgelegt. Warum
schreiben Sie nicht ins Baugesetzbuch, dass es verboten
ist, so zu bauen, dass damit Barrieren verbunden sind?
Es ist ja nicht so, dass der Bund überhaupt keine Möglichkeiten hätte, lenkend einzugreifen und etwas verbindlich zu machen.
Im Übrigen fehlt mir immer noch die Aussage zu
Maßnahmen, Programmen oder wie auch immer, die Sie
über die Länder abwickeln und die das Ziel haben, bestehende Barrieren abzubauen. Das sind ja zwei verschiedene Bereiche. Das eine ist, zu verhindern, dass neue
Barrieren entstehen - das müsste ab sofort zu 100 Prozent machbar sein -, und das andere ist, bestehende Barrieren zu beseitigen. Es geht momentan um den Wohnungsbestand. Ich rede nicht vom Verkehrswesen. Das
ist ein anderes Thema; dort gibt es aber ähnliche Probleme.
Ich muss Sie leider enttäuschen und wieder darauf
hinweisen: Für die Wohnraumförderung sind wir nicht
zuständig.
({0})
Wir können den Ländern in dem Sinne keine Vorgaben
machen. Das ist Ausfluss der Föderalismusreform.
Zu Ihrer Frage, ob wir im Baugesetzbuch solche Regelungen aufnehmen: Nein, das machen wir grundsätzlich nicht. Das wird untergesetzlich geregelt, auch in
einzelnen Baunutzungsverordnungen, die die Länder erlassen, im Zuge von Baugenehmigungen sogar auch von
den kommunalen Behörden. Wie ich aus eigener Anschauung weiß, wird zumindest bei öffentlichen Gebäuden sehr stark darauf geachtet, dass die Auflagen eingehalten werden. Es wird aber auch bei vielen Neubauten
darauf geachtet und hingewirkt, diese Auflagen einzuhalten.
Frau Enkelmann.
In vielen Kommunen gibt es einen Beschluss zum
barrierefreien Bauen. So gibt es in meiner Heimatstadt
Bernau das Projekt „Bernau Barrierefrei“; Ähnliches
gibt es auch in vielen anderen Städten. Das schließt den
Wohnungsbau und die Infrastruktur ein. Wäre es nicht
denkbar, zur Unterstützung solcher Initiativen ein Bundesförderprogramm aufzulegen, um Kommunen zu helfen, denen es schwer fällt - so etwas kostet natürlich
mehr, als wenn man einfach nur drauflosbaut -, entsprechende Beschlüsse zu fassen?
Sehr geehrte Frau Kollegin, denkbar wäre ein solches
Programm.
({0})
Dafür braucht man nur erhebliche zusätzliche Bundesmittel.
({1})
Weitere Wortmeldungen außer lautstarken Appellen
kann ich im Augenblick nicht registrieren.
Herr Präsident, wenn ich auf die Zwischenrufe eingehen darf: Es steht nicht der Bundesregierung zu, dieses
Geld bereitzustellen. Das ist Sache des Bundestages. Da
können Sie, Frau Kollegin, gerne einen entsprechenden
Antrag stellen.
({0})
Hier werden qua Zuruf wechselseitig interessante Anregungen ausgetauscht. Diese gehen alle zu Protokoll,
und wir warten einmal ab, wer sie wann in welcher
Weise aufgreift.
Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär Ferlemann.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Ministeriums
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Wenn ich es richtig sehe, ist der Kollege Nink nicht
da. Seine beiden Fragen 18 und 19 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Welche aktuellen bzw. aus den letzten Jahren stammenden
gemessenen Strahlenhöchstwerte/Ortsdosisleistungen bei Kavernenlagern/Lagern für mittelradioaktive Abfälle von AKWStandorten ({0}) sind dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
BMU, durch schriftliche oder mündliche Auskünfte seitens
Länder und/oder Betreiber bekannt ({1})?
Ich bitte die Kollegin, Frau Staatssekretärin Reiche,
um Beantwortung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Kollegin KottingUhl, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Dem Bundesumweltministerium ist durch die Veröffentlichung auf
der Internetseite des Ministeriums für Justiz, Gleichstellung und Integration des Landes Schleswig-Holstein ein
Messwert von 500 Millisievert pro Stunde in einer Kaverne des Kernkraftwerks Brunsbüttel zwischen den dort
lagernden Fässern bekannt. Sperrbereiche wie die
Kavernen und Lagerstätten sind gemäß Strahlenschutzverordnung grundsätzlich nicht zugänglich. Durch Abschirmungen wird sichergestellt, dass außerhalb der
Sperrbereiche gefahrlos gearbeitet werden kann. Zur
Vermeidung von Gesundheitsgefährdungen werden in
Kontrollbereichen Ortsdosisleistungen von fest installierten Messeinrichtungen permanent überwacht. Diese
Daten liegen den Aufsichtsbehörden der Länder vor.
Bitte sehr, Zusatzfrage.
Meine erste Frage wäre eine Frage zum Verständnis:
Wenn da mehrere Fässer korrodiert sind und es eine
Ortsdosisleistung von 500 Millisievert gibt - das ist ja
nun brandgefährlich; da sind wir uns sicher alle einig -,
wie muss ich mir dort das Arbeiten konkret vorstellen?
Das ist ein Sperrbereich. Da kommen Mitarbeiter
nicht hinein. Das Bewegen der Fässer wird mit Greifarmen absolviert. Deswegen bezieht sich auch die gemessene Dosisleistung zwischen den Fässern nicht auf
eine Strahlung, die auf Menschen treffen könnte. Der
Bereich ist abgesperrt; Menschen haben keinen Zugang.
Die Absperrungen erfolgen so, dass die gemessenen Dosisleistungen nicht in die Umwelt gelangen.
Vielleicht ein Vergleich, der das plastisch macht: Sie
messen auch nicht in Castorbehältern die Ortsdosisleistung, sondern außerhalb. Unter Ortsdosisleistung versteht man die Leistung einer Strahlung, die tatsächlich
auf eine Person treffen würde. Das ist hier nicht der Fall.
Gut, ich nehme das einmal so hin. - Noch eine andere
Frage im Anschluss daran: Ich habe auf eine Frage an
das Bundesumweltministerium, welchen Überblick man
über Kavernen in anderen Kernkraftwerken hat, die Antwort bekommen:
Der Bundesregierung liegt keine Übersicht über
Kavernen in den Kernkraftwerken und deren Nutzung vor … Auch die Zahl der möglicherweise
noch dort gelagerten Abfallgebinde ist nicht bekannt.
Ich habe des Weiteren inzwischen die Antwort bekommen, dass die Länder Ende April vor dem BundLänder-Ausschuss Berichte abgeben sollen, in denen es
genau um diese Frage geht. Es geht um ein einigermaßen
brisantes Szenario. Deshalb habe ich die Frage - Sie haben das erste Schreiben vom MJGI aus Schleswig-Holstein am 2. März erhalten -, warum diese Berichte erst
Ende April abgegeben werden sollen und nicht schon
vorher schriftliche Berichte eingefordert werden. Die
Länder müssen ja über die Lage informiert sein. Warum
fordert das BMU nicht innerhalb dieser zwei Monate bis
Ende April schriftliche Informationen über die Sachlage
ein?
Das Bundesumweltministerium hat versucht, sich
einen Überblick zu verschaffen. Die Kontakte zu den
Ländern sind da; in diesem Zusammenhang wurde der
Termin im April vereinbart. Wir können Ihnen zum heutigen Zeitpunkt keinen kompletten Überblick geben.
Aber die Informationen, die wir haben, haben wir Ihnen
zur Verfügung gestellt.
Sie haben gesagt, es gebe viele korrodierte Fässer. Es
sind aber zum Beispiel fast 650 Fässer umkonditioniert
worden, davon 211 aus der Kaverne, von der wir sprechen. Die Fässer müssen ja für Schacht Konrad konditioniert werden. Dort wurde keine Auffälligkeit festgestellt.
Wir tragen jetzt die Daten zusammen und wollen sie
dann gemeinsam auswerten.
Dann rufe ich jetzt die Frage 21 der Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl auf:
Seit wann genau ({0}) im Herbst 2011 liegen dem
BMU die in den Berichterstattungen der tageszeitung und des
Spiegel vom 19. März 2012 genannten Szenarienberechnungen zu Radioaktivitätsfreisetzungen bei lange andauernden
Atomunfällen in den AKW Unterweser und Philippsburg vor,
und welche Stellungnahmen/Vermerke zu diesen Szenarienberechnungen gibt es im BMU ({1})?
Herr Präsident! Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich beantworte die Frage wie folgt: Die Studie wurde dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit Schreiben vom 13. September 2011 vom
Bundesamt für Strahlenschutz zugeleitet. Die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit wurde daraufhin vom BMU mit einer Prüfung der vom Bundesamt für
Strahlenschutz verwendeten Annahmen zur Freisetzung
beauftragt. In ihrer Stellungnahme vom 15. November
2011 bestätigt die GRS, dass die gewählten Annahmen
über freigesetzte Radioaktivität - die sogenannten Quellterme - für den Untersuchungszweck zwar geeignet
sind, es jedoch keinen direkten anlagentechnischen Hintergrund für diese Quellterme in einem deutschen Kraftwerk gibt.
In einem Ergebnisprotokoll zu einer Besprechung
zwischen BMU, BfS und GRS am 12. März 2012 sind
die Besprechungsergebnisse zum weiteren Vorgehen
festgehalten. Danach sind die nächsten Schritte die Vorstellung der Studie in der Strahlenschutzkommission, sodann die Veröffentlichung der Studie sowie parallel dazu
die Erarbeitung repräsentativer Freisetzungsszenarien.
Bitte sehr, Zusatzfragen.
Meine erste Frage betrifft den Zeitpunkt. Wie ich jetzt
gehört habe, haben Sie am 15. November die Stellungnahme der GRS bekommen; die Studie haben Sie schon
vorher erhalten. Die SSK soll Ende April darüber befinden. Danach geht das Ganze sozusagen seinen normalen
parlamentarischen Gang. Gab es denn keine reguläre Sitzung der SSK seit dem 15. November, bzw. gibt es keine
bis Ende April, und, wenn nein, warum hat man nicht
darauf gedrängt, dass die SSK schneller damit befasst
wird, sodass auch das Parlament etwas schneller auf offiziellem Weg - nicht über die Presse - informiert werden könnte?
Zum einen sind wir davon überzeugt, dass wir sehr
schnell handeln und die Dinge in Bewegung setzen. Die
Konsequenzen aus der Reaktorkatastrophe für den Notfallschutz müssen mit großer Sorgfalt gezogen werden.
Das tun wir auch. Bund, BfS, Strahlenschutzkommission
und die Länder sind in ständigem Gespräch.
Zum anderen weise ich noch einmal darauf hin, dass
es hier um eine hypothetische Übertragung von Freisetzungsszenarien von Fukushima auf die deutschen Kernkraftwerke Unterweser und Philippsburg geht. Das BfS
selbst meint, dass sich die Studie nicht eigne, um daraus
Schlüsse über die Wahrscheinlichkeit schwerer Unfallabläufe in Deutschland und über andere Fragestellungen abzuleiten. Gleichwohl betrachten wir auch solche
Szenarien, um Vorkehrungen zu treffen. Aber ich glaube,
der Vorwurf der Langsamkeit kann in diesem Zusammenhang nicht gemacht werden.
Gut. Ich teile diese Einschätzung nicht ganz. - Ich
verstehe Sie so, dass die Bewertung der GRS, die, wenn
ich es richtig verstanden habe, in einem Vorwort zur Studie des BfS veröffentlicht werden soll, von einer geringen Wahrscheinlichkeit ausgeht. Stimmen Sie mir zu,
dass das der Schlussfolgerung, die die Kanzlerin und
anschließend das ganze Parlament aus dem GAU von
Fukushima gezogen haben, dass man nämlich auch mit
dem Eintreten des Unwahrscheinlichen rechnen muss,
widerspricht?
Es widerspricht ihr deshalb nicht, weil wir längst dabei sind, alle bisherigen Annahmen und Szenarien zu
überarbeiten und daraus neue Schlüsse zu ziehen. Mit
der Überprüfung des Regelwerkes haben wir längst begonnen. Die SSK hat eine Arbeitsgruppe zum Erfahrungsrückfluss Fukushima eingerichtet; sie arbeitet seit
September 2011 eng mit dem BMU zusammen. Die Arbeiten sind aber komplex und müssen sorgfältig durchgeführt werden. Manche wird man schneller abschließen
können. Bei manchen Arbeiten gehen wir aber davon
aus, dass sie ob ihrer Komplexität erst in zwei bis drei
Jahren abgeschlossen sein werden.
({0})
Weitere Nachfragen zu diesem Punkt gibt es nicht.
Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Steiner auf:
Wann ist mit der Vorlage des Gesetzentwurfs zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zu rechnen, mit dem
die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs in seinem Urteil
Präsident Dr. Norbert Lammert
vom 12. Mai 2011 in deutsches Recht umgesetzt werden, an
dem die Bundesregierung laut eigener Aussage schon seit
Sommer 2011 ({0}) arbeitet und der laut Aussagen der Abgeordneten Dr. Thomas Gebhart, CDU/CSU, und
Judith Skudelny, FDP, schon im Dezember 2011 in der Ressortabstimmung war ({1}), und
was sind die Gründe für die lange Dauer der Ressortabstimmung?
Herr Präsident! Frau Kollegin Steiner, mit Schreiben
vom 21. Dezember 2011 hat das Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Ressortabstimmung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften eingeleitet. Nach dem derzeitigen Stand der Ressortabstimmung wird die Anhörung
von Ländern und Verbänden zu dem Gesetzentwurf voraussichtlich im April 2012 beginnen. Die bisherige
Dauer der Ressortabstimmungen entspricht dem üblichen Zeitrahmen bei politisch wichtigen Rechtssetzungsvorhaben der Bundesregierung.
Bitte schön, Ihre Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben sich elegant um die
Beantwortung der eigentlichen Frage gedrückt. Bereits
im Mai 2011 gab es das Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Das ganze Jahr ist nichts passiert, obwohl es
eine entsprechende Auflage gab. Wir möchten wissen
- deswegen frage ich nach -, warum das so lange gedauert hat. Ich vermute, dass man sich jetzt damit beschäftigt, liegt daran, dass wir Grüne einen Gesetzentwurf
eingebracht haben.
Wir schätzen jede Aktivität der Grünen, entfalten
gleichwohl selber Aktivitäten. Deswegen sind wir in der
Ressortabstimmung zu einem komplexen Sachverhalt.
Wir werden - das habe ich eben ausgeführt - mit der
Ressortabstimmung im April 2012 so weit sein, dass wir
mit den Anhörungen der Länder und Verbände beginnen
können, um möglicherweise im Mai 2012 einen Regierungsentwurf zu beschließen. Die Vorarbeiten und Abstimmungen sind zeitaufwendig. Ich weise noch einmal
darauf hin, dass dies in einem durchaus üblichen Rahmen geschieht.
Zweite Nachfrage?
Ja. - Wir teilen nicht die Auffassung, dass das in einem üblichen Rahmen geschieht, vor allem was den Beginn Ihrer Aktivität angeht. Man muss schon feststellen,
dass Sie es versäumt haben, die Auflagen der EU rechtzeitig umzusetzen. Vor dem Hintergrund, dass wir Sacharbeit geleistet haben, die juristisch bewertet worden ist
und die von der Fachöffentlichkeit, wie man an den Reaktionen sieht, anerkannt worden ist, fragen wir Sie: Inwieweit beziehen Sie unsere Vorschläge in Ihren Entwurf ein, oder haben Sie diese gleich in die runde
Ablage getan?
Frau Kollegin Steiner, Hinweise aus dem Parlament
und Initiativen sind immer willkommen. Wir sehen es
gleichwohl als unsere Aufgabe an, einen Regierungsentwurf vorzulegen, der alle notwendigen Belange und Erfordernisse mit einbezieht. Insofern werden wir unseren
Entwurf einbringen, den Sie dann konstruktiv begleiten
können.
({0})
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Krischer auf:
Welche Termine wird der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, bis zum
13. Mai 2012 in seiner Funktion als Bundesumweltminister
nach heutigem Kenntnisstand wahrnehmen ({0})?
Herr Präsident! Herr Kollege Krischer, Sie machen
sich Sorgen um den Herrn Bundesminister. Herr
Dr. Röttgen wird als Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bis zum 13. Mai wie bisher
alle internen und externen Termine zu umweltpolitischen
Vorhaben und Themen umfassend wahrnehmen. Termine lassen sich aber nur in wenigen Fällen, wie etwa
die Teilnahme an Sitzungen des Bundeskabinetts, eindeutig nach der Funktion als Bundesminister abgrenzen.
So nimmt Herr Dr. Röttgen zahlreiche Termine, wie zum
Beispiel Parlamentsberatungen, Firmenbesuche und öffentliche Diskussionsveranstaltungen, immer auch als
Bundesminister wahr.
Bitte schön.
Herzlichen Dank. - Ich bedauere, dass Sie nicht näher
spezifizieren können, welche Termine er wahrnehmen
wird, weil es gerade mit Blick auf die Aufgaben hinsichtlich der Energiewende und andere wichtige Aufgaben, die der Bundesumweltminister gerade jetzt zu bearbeiten hat, interessant wäre, zu erfahren, welche Termine
das sein werden.
Daran schließe ich folgende Frage an: Seine Parlamentarische Staatssekretärin, Ihre Kollegin Frau HeinenEsser, ist - wenn ich das der Presse richtig entnommen
habe - als Schattenministerin für Bundesangelegenheiten und Europa in Nordrhein-Westfalen im Gespräch.
Deshalb möchte ich wissen, inwieweit die Vertretung
von Herrn Minister Röttgen durch die Parlamentarischen
Staatssekretäre gewährleistet ist, wenn Ihre Kollegin
auch noch ausfällt?
Erstens. Es fällt keiner aus. Zweitens. Wahlkampf ist
Teil der parlamentarischen Demokratie. Der Bundesminister und auch die Parlamentarische Staatssekretärin
Heinen-Esser nehmen ihre Aufgaben wahr. Zum Glück
haben wir ja noch eine weitere Staatssekretärin, die jetzt
vor Ihnen steht, und noch einen beamteten Staatssekretär. Sie müssen also keine Sorge haben, dass wir in personelle Nöte geraten.
Zurück zum Ernst der Frage. Noch einmal möchte ich
betonen: Wahlkampf ist Teil unserer parlamentarischen
Demokratie. Der Minister wird weiterhin in seinem Amt
die Energiewende vorantreiben. Das scheint Ihre größte
Sorge zu sein, und die möchte ich Ihnen ganz gerne nehmen.
Ihre weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Krischer.
Ich muss feststellen: Für das Bundesumweltministerium scheint es kein Problem zu sein, wenn der Herr
Minister wichtige Aufgaben in einem besonderen Bundesland annimmt und seine Parlamentarische Staatssekretärin dasselbe tut. Der Betrieb kann offensichtlich
ganz normal weiterlaufen. Daher meine Frage: Haben
Sie dann nicht im Normalbetrieb, wenn eine solche Kandidatur nicht ansteht und diese beiden Führungspersonen
zur Verfügung stehen, eigentlich zu viele Führungspersonen?
Herr Kollege Krischer, die Energiewende ist eine
große Aufgabe, der sich das gesamte Haus - die Spitze
wie die Arbeitsebene - tagtäglich stellt. Das tun wir jetzt
und auch in Zukunft, unabhängig von Wahlkämpfen.
Diese Aufgabe beschäftigt permanent das ganze Haus
und insbesondere den Minister.
({0})
Jetzt ist zunächst der Kollege Schwabe dran, dem
folgt dann der Kollege Beck, der sicher auch die Praxis
früherer Regierungen erläutern will.
Frau Staatssekretärin, wir machen uns weniger Sorgen um den Umweltminister, dafür umso mehr um die
sehr ambitionierte Energiewende. Ich spare mir jetzt die
Frage, was denn passieren würde, wenn noch eine weitere Staatssekretärin ins Schattenkabinett eintreten
würde; scheinbar ist es nicht so leicht, entsprechende
Mitglieder zu finden.
Meine Frage: Mitte April findet auf europäischer
Ebene ein wichtiges Treffen des Umwelt- und Energieministerrats statt. Dabei geht es um Fragen rund um den
Emissionshandel: zur Preisstabilisierung und ganz konkret um das „Set-aside“, also Emissionshandelszertifikate, die man sozusagen aus dem Markt nimmt. Das ist
eine entscheidende Sitzung. Daher würde es mich sehr
interessieren, ob der Umweltminister persönlich daran
teilnehmen wird.
Bislang sieht die Planung vor, dass er teilnehmen
wird. Ich weise darauf hin, dass der Minister am letzten,
ebenso wichtigen Treffen des Umweltministerrats - dabei ging es um ein ambitioniertes internes EU-Reduktionsziel - persönlich teilgenommen und sich sehr ambitioniert in die Debatte geworfen hat. Sie sehen also, dass
beides sehr gut miteinander vereinbar ist: ein Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen sowie vor allem das ambitionierte Kämpfen für Klimaschutz in Europa.
Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Volker
Beck.
Wahlkämpfe gehören eher zur Parteiarbeit als zur parlamentarischen Arbeit.
({0})
Deshalb möchte ich wissen - wir befragen Sie ja als Regierung zu Ihrer exekutiven Arbeit -, wie viele Termine
der Bundesminister und die Staatssekretärin HeinenEsser bis zum 13. Mai außerhalb von Nordrhein-Westfalen und wie viele sie in Nordrhein-Westfalen zu absolvieren haben. Falls Sie das jetzt nicht beantworten können, weil Sie den Terminkalender nicht dabei haben,
wäre ich auch mit einer schriftlichen Nachunterrichtung
einverstanden.
Ich hielte es für ungewöhnlich, wenn komplette Kalender veröffentlicht würden.
({0})
Aber beruhigenderweise befinden sich noch zwei Drittel
des Ministeriums in Bonn. Somit ist die Präsenz im
Ministerium in Bonn, auch bei internen Gesprächen, jederzeit bei kurzen Wegen zu gewährleisten.
({1})
Wir kommen zur Frage 24 des Kollegen Oliver
Krischer:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung sicherzustellen,
dass die Fracking-Technologie in Regionen, in denen Trinkwasser aus Grundwasser gewonnen wird, nicht zum Einsatz
kommt, wie von Bundesumweltminister Dr. Norbert Röttgen
bereits vor fast acht Monaten angekündigt ({0}), gerade auch angesichts der Tatsache, dass das
Umweltbundesamt in seiner Stellungnahme zur FrackingTechnologie vom Dezember 2011 dringend empfohlen hat,
die konkreten Maßstäbe des § 48 des Wasserhaushaltsgesetzes
({1}) in dieser Hinsicht zu konkretisieren,
und wie beabsichtigt die Bundesregierung, die Unteren Wasserbehörden in die Lage zu versetzen, eine Risikoabwägung
gemäß § 48 des Wasserhaushaltsgesetzes im Hinblick auf die
Risiken der Fracking-Technologie vorzunehmen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Gerne, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Krischer, die
Bundesregierung prüft derzeit den Bedarf zur Änderung
bundesrechtlicher Vorschriften. Die Bundesanstalt für
Geowissenschaften und Rohstoffe wird dem federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in Kürze erste Ergebnisse ihres Forschungsprojekts
zur Abschätzung des Schiefergaspotenzials vorlegen.
Darin werden auch die Umweltaspekte der FrackingTechnologie betrachtet werden. Die Ergebnisse dieser
Studie werden in die Prüfungen des Bedarfs zur Änderung der bergrechtlichen Regelungen eingehen.
Hinweise dazu werden auch von der im Auftrag des
Bundesumweltministeriums vergebenen Studie mit dem
Titel „Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten - Risikobewertung, Handlungsempfehlungen und Evaluierung bestehender rechtlicher
Regelungen und Verwaltungsstrukturen“ erwartet.
Bereits jetzt muss der wasserrechtliche Besorgnisgrundsatz nach § 48 Wasserhaushaltsgesetz von den zuständigen Behörden bei der Erteilung einer Erlaubnis für
Benutzungen des Grundwassers berücksichtigt werden.
Zudem können die Länder nach § 52 Wasserhaushaltsgesetz durch Verordnung oder behördliche Entscheidung
zum Schutz von Wasserschutzgebieten bestimmte Handlungen verbieten oder nur eingeschränkt zulassen.
Ihre erste Zusatzfrage.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich freue
mich über diese Antwort, weil sie doch deutlich macht,
dass Sie nun schon seit vielen, vielen Monaten prüfen.
Denn Herr Röttgen hat am 30. Juli 2011 angekündigt,
dass etwas passieren wird. Der CDU-Landesvorsitzende
Norbert Röttgen hat einen Beschluss gefasst, mit dem er
die Bundesregierung auffordert, unverzüglich zu handeln. Der Bundesumweltminister Norbert Röttgen - das
ist auch heute im Umweltausschuss durch Äußerungen
aus Reihen der Koalition deutlich geworden - liefert an
der Stelle nicht. Meine Frage wäre: Wann werden Sie
konkret mit Gesetzentwürfen, Initiativen etc. kommen,
die Regelungen zur Steuerung und Reglementierung der
Fracking-Technologie vorsehen?
Ich erinnere Sie daran, dass ich selbst im Ausschuss
auf ähnliche Fragen hin auch Ihnen vorgetragen habe,
dass die eben von mir zitierte Studie eine Laufzeit von
sechs Monaten hat und die Ergebnisse im Juli dieses Jahres vorliegen werden. Wir wollen diese Studie nutzen,
um Rückschlüsse zu ziehen. Keine andere Antwort habe
ich Ihnen im Ausschuss gegeben. Insofern verstehe ich
Ihre Nachfrage nicht. Der betreffende Zeitpunkt ist der
Juli dieses Jahres.
Ihre zweite Nachfrage.
Der Grund für die Nachfrage ist ganz einfach die heutige Umweltausschusssitzung; da waren Sie leider nicht.
Ein Kollege der Koalition hat dort gesagt, der Umweltminister liefere an der Stelle nicht; deshalb könne man
bei dem Thema jetzt nichts machen; die Anträge der Opposition würden abgelehnt.
Zu meiner Nachfrage. Die Landesregierung von
Nordrhein-Westfalen hat gehandelt: Sie hat die Fracking-Technologie vorläufig untersagt; Probebohrungen
können nicht stattfinden. Es ist aber klar, dass das nur für
einen relativ kurzen Zeitraum gelten kann, weil Unternehmen aufgrund der geltenden Rechtslage - Bergrecht
etc. - irgendwann Anspruch auf Genehmigung haben.
Sind Sie bereit, sich je nachdem, wie die Gutachten ausfallen werden, darauf einzulassen, dass man sagt: „Wir
machen für einen gewissen Zeitraum, etwa zwei Jahre,
ein Moratorium, damit wir genau überprüfen können,
unter welchen Bedingungen und Risiken diese Technologie anzuwenden ist, um dann eine politische Entscheidung darüber zu treffen“?
Studien sind dazu da, genutzt und angewendet zu
werden. Da uns die entsprechende Studie noch nicht vorliegt, werde ich jetzt keine hypothetischen Antworten
darauf geben, was gegebenenfalls sein könnte. Wir lassen diese Studie durchführen, weil wir die Besorgnisse
sehen, weil wir es mit dem Trinkwasserschutz ernst meinen und sehen, dass unter anderem Stoffe verwendet
werden, die besorgniserregend sind, die möglicherweise
toxisch sind. Wir sind uns der damit verbundenen Aufgabe bewusst. Aber ich stelle jetzt nicht Initiativen in
den Raum, ohne die Ergebnisse der umfassenden Analysen zu haben, von denen wir erwarten, dass sie uns Hinweise und Aufschluss geben. Ich bitte Sie, sich bis Juli
dieses Jahres zu gedulden. Dann werden wir mit dem
Parlament über die Vorgaben sprechen.
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Schwabe.
Frau Staatssekretärin, bei Ihnen hört sich das ein bisschen so an, als ob wir uns im luftleeren, theoretischen
Raum bewegen würden. Das ist nicht so. Es gibt eine
ganze Reihe von konkreten Projekten und konkreten Besorgnissen der Bürgerinnen und Bürger. Deswegen ist es
mitnichten so, dass wir unendlich Zeit haben, miteinander zu diskutieren.
Wir haben heute im Umweltausschuss in der Tat über
diese Fragen diskutiert. Wir sind auf die Äußerung von
Herrn Kalkoffen, das ist der Chef von Exxon Mobile
Central Europe, eingegangen, der sich in einem Interview dahin gehend geäußert hat, dass man keine Fracking-Maßnahmen mit wassergefährdenden Chemikalien vornehmen müsse, dass man in zwei Jahren so weit
sei, darauf verzichten zu können. Kollege Meierhofer
aus der FDP-Fraktion hat deutlich gemacht, dass das
eine Position ist, die er nachvollziehbar findet. Vor dem
Hintergrund ganz konkreter Projekte überall in der Republik, frage ich Sie konkret - vielleicht gibt es dazu
eine Positionierung -: Finden Sie, dass man ein Moratorium bräuchte, bis man so weit ist, eine Methode ohne
wassergefährdende Chemikalien anwenden zu können?
Ja oder Nein?
Wir haben im Ausschuss darüber gesprochen, nicht
nur heute, sondern auch in meiner Anwesenheit. Ich
habe Ihnen unter anderem die Stellungnahme des Umweltbundesamtes vorgestellt. Wir haben nicht nur darüber gesprochen, welche Besorgnisse, sondern auch
welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt. Aber an diesem Punkt sind wir noch nicht. Insofern wird es von mir
keine Aussagen zu theoretischen Einflussmöglichkeiten
geben. Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben, die
noch läuft. Wir warten die Ergebnisse ab, dann werden
wir handeln.
Eine weitere Nachfrage stellt nun die Kollegin
Dorothea Steiner.
Frau Staatssekretärin, wir haben eben noch einmal gehört, dass es in Nordrhein-Westfalen erst einmal ein Moratorium gegeben hat. Ich komme aus Niedersachsen.
Ich glaube, ich sage nichts Neues, wenn ich darauf hinweise, dass es in Niedersachsen mit allen möglichen Anfragen wegen Genehmigung von Bohrungen und auch
tatsächlichen Bohrungen munter weitergeht. Vor dem
Hintergrund, dass die Anfragen wegen Genehmigung
von Bohrungen an die Kommunen gerichtet werden, und
da es sehr schwierig ist, die Genehmigung abzulehnen,
frage ich Sie: Warum wollen Sie uns vertrösten mit dem
Hinweis auf eine Studie, die im Juli veröffentlicht wird
und deren Ergebnisse dann erst noch mühsam ausgewertet werden müssen? Wie können Sie es verantworten,
kein Moratorium durchzuführen, solange die offenen
Fragen nicht geklärt sind?
Ich weise noch einmal darauf hin, dass die nach § 48
Wasserhaushaltsgesetz zuständigen Behörden auf Ebene
der Länder zu finden sind, die dies zu regeln haben. Bei
diesen zuständigen Behörden müssen die Anträge eingereicht werden. Die Länder haben gemäß § 52 WHG bereits die Möglichkeiten, durch Verordnungen und behördliche Entscheidungen einschränkend zu wirken oder
eine Maßnahme zu untersagen; das ist möglich. Gleichwohl: Wenn es um eine bundesgesetzliche Regelung
geht, die angestrebt werden soll, bedarf es einer vertieften Prüfung.
Der Kollege Dirk Becker hat eine weitere Nachfrage.
Bitte.
Frau Staatssekretärin, ich muss noch einmal auf den
Umweltausschuss heute Morgen Bezug nehmen. Der
Obmann der FDP-Fraktion, Herr Meierhofer, hat erklärt,
der Bundesumweltminister verzögere an der Stelle. Es
war nicht von einem gemeinsamen Fahrplan die Rede
oder davon, dass erst im Juli Näheres vorliegen soll. Parallel dazu geht die NRW-CDU durch die Lande und verspricht eine schnelle Regelung. Ist davon auszugehen,
dass es die Bundesregierung schafft, bis zur nächsten
Sitzungswoche einen abgestimmten Fahrplan im Umweltausschuss vorzulegen, damit für alle nachvollziehbar ist, bis wann das Bundesumweltministerium getragen von der Bundesregierung und den Fraktionen
Konkretes vorlegen will?
Herr Kollege Becker, ich habe Ihnen zum Zeitplan alles Notwendige gesagt. Ich weise noch einmal den Vorwurf der Verzögerung zurück.
({0})
Wir arbeiten daran. Auch andere Behörden wie das Umweltbundesamt haben sich mit Studien zu Wort gemeldet. All das wird zusammengenommen, um zügig voranParl. Staatssekretärin Katherina Reiche
zukommen, um einen größtmöglichen Schutz des
Grundwassers dauerhaft sicherstellen zu können. Das
werden wir tun. Bis zur nächsten Sitzungswoche wird
Ihnen das nicht vorliegen können.
Die Frage 25 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 26 des Kollegen Hans-Josef
Fell:
Wie viele Bundesmittel sind von 2009 bis 2012 ({0}) jährlich für das Marktanreizprogramm
für erneuerbare Energien vorgesehen ({1}), und beabsichtigt die Bundesregierung, zeitnah
ein Förderprogramm für kleine Stromspeicher in Kombination mit Photovoltaikanlagen aufzulegen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Gerne, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Fell, im Bundeshaushalt 2009 wurden bei Kap. 1602 Tit. 686 24
- Förderung von Einzelmaßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien - Ausgaben in Höhe von 465,533 Millionen Euro veranschlagt. Davon standen für das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien - kurz: MAP rund 400 Millionen Euro zur Verfügung. Im Jahr 2010
betrug der Ansatz für das MAP circa 380,5 Millionen
Euro. In 2011 waren im Bundeshaushalt Ausgaben in
Höhe von 312 Millionen Euro für das MAP vorgesehen.
Zudem standen im Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ Mittel von 40 Millionen Euro zur Verfügung.
Für das MAP stehen in diesem Jahr circa 250 Millionen
Euro aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung. Dazu
kommen 116 Millionen Euro Restmittel aus dem eben
genannten Titel, welche dem MAP zusätzlich aus dem
Bundeshalt zur Verfügung gestellt werden können. Somit ergibt sich für dieses Jahr eine gesamtverfügbare
Summe von 366 Millionen Euro.
Ob ein Förderprogramm für Stromspeicher aufgelegt
wird und wie dieses gegebenenfalls ausgestaltet werden
könnte, wird derzeit geprüft.
Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Damit haben
Sie die deutliche Kürzung der Mittel für das Marktanreizprogramm bestätigt, die eigentlich diametral zu den
Vorstellungen der Bundesregierung steht, im Rahmen
der Energiewende auch die erneuerbare Wärme entsprechend zu unterstützen. Hier wird jetzt gekürzt. Von daher
kann von einer zusätzlichen und deutlichen Unterstützung keine Rede sein.
Für eine Unterstützung kleiner Speicher von Strom
aus Solarstromanlagen sollen - so entnehme ich es zumindest dem Entschließungsantrag, der heute im Umweltausschuss von den Koalitionsfraktionen vorgelegt
wurde - nun zusätzliche Mittel der KfW bereitgestellt
werden. Es soll aber keine Mittelerhöhungen geben.
Deswegen meine Frage: Aus welchen Töpfen soll denn
dieses KfW-Sonderprogramm finanziert werden?
Das waren zwei Fragen. Zunächst zu Ihrer Behauptung, wir würden Einschnitte vornehmen. Ich möchte Ihnen die Zahlen noch einmal referieren: 366 Millionen
Euro stehen in diesem Jahr zur Verfügung. Im letzten
Jahr wurden 229,4 Millionen Euro verausgabt, also deutlich weniger als in diesem Jahr zur Verfügung steht. Wir
müssen weder im BAFA-Teil noch im KfW-Teil kürzen.
Die Mittel stehen zur Verfügung.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, ob es ein Speicherprogramm geben wird, welchen Umfang es gegebenenfalls
haben wird und wie es aussehen kann: Das wird gerade
erarbeitet. Die Koalitionsfraktionen haben heute im Ausschuss mit ihrem Antrag den Auftrag an die Bundesregierung erteilt, Vorschläge für ein solches Programm
vorzulegen. Das werden wir tun. Ich kann Ihnen diese
Frage zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht beantworten, weil der Auftrag gerade erst an uns gegangen
ist.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Die Feststellung hinsichtlich der Kürzung der Mittel
bezog sich auf den gesamten Regierungszeitraum, und
da ist es eine deutliche Kürzung. Sie selbst sprachen ja
von einem Rückgang von 412 Millionen Euro auf
366 Millionen Euro. Das ist eine Kürzung. Anders kann
ich es nicht sagen.
Insofern noch einmal meine Nachfrage, weil es wirklich bedeutsam ist. Wenn die Mittel gekürzt worden sind,
also der Kuchen kleiner geworden ist, und aus diesem
Kuchen zusätzlich Mittel für einen neuen Fördertatbestand bereitgestellt werden: Ist es wirklich so, dass aus
diesem kleiner gewordenen Kuchen über die Wahlperiode hinweg zusätzliche Fördertatbestände finanziert
werden sollen und dass dies zulasten der bestehenden
und schon gekürzten Fördertatbestände geht?
Von einer Kürzung würde ich dann sprechen, wenn in
einem laufenden Jahr mehr Anträge da sind, als Geld zur
Verfügung steht, oder wenn man in einem laufenden
Haushaltsjahr zu Kürzungen kommt, sodass ein Antragsteller nicht mehr zum Zuge kommt. Noch einmal: Weder die Zahlen noch die abgearbeiteten Anträge unterstützen das, was Sie sagen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Wir wissen, dass die
Energiewende nur dann gelingen kann, wenn wir Speicherkapazitäten ausbauen. Wir brauchen auf diesem Ge20170
biet tatsächlich eine Vielzahl von Forschungsaktivitäten,
um Möglichkeiten zu finden, im Kleinen wie im Großen,
fluktuierende Energien besser durch Speicher auszugleichen. Wie und in welchem Umfang durch welches Programm konkret gefördert werden soll, kann ich Ihnen
zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Wir haben den Auftrag, dies zu prüfen; ich glaube, bis zur Sommerpause.
Dann werden wir dem Parlament mitteilen, wie das aussehen kann.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Becker
das Wort.
Frau Staatssekretärin, meine Frage zielt in dieselbe
Richtung wie die Frage des Kollegen Fell. Wir haben
heute im Umweltausschuss einen Antrag beschlossen, in
dem die Koalitionsfraktionen schreiben, dass sie mehr
für Speichertechnologie tun möchten, was zunächst einmal zu begrüßen ist. Sie haben das als Voraussetzung für
das sogenannte Marktintegrationsmodell angeführt. Ihrer Antwort entnehme ich aber, dass Sie bis heute nicht
einmal wissen, woher das Geld kommen soll. Es gibt
eine Kürzungsansage. Andere Programme müssen gestrichen werden, um Geld für das Thema Speicher loszueisen. Sie können dem Bundestag, der morgen entscheiden soll, noch nicht einmal sagen, woher das Geld
kommen soll. Ist das richtig? Gilt das auch für das
Marktanreizprogramm - Thema: Speicher -, das Sie für
Herbst ankündigen?
Herr Kollege Becker, noch einmal: Das Marktanreizprogramm steht gar nicht zur Disposition. Es ist mit so
viel Geld ausgestattet, dass alle laufenden Anträge im
privaten wie im KfW-Teil abgebildet werden können.
Punkt eins.
Punkt zwei: Die mittelfristige Finanzplanung sieht sogar eine Sicherung des Marktanreizprogramms bis 2015
vor. Ich bitte Sie wirklich, keine Ängste zu schüren, die
nicht gerechtfertigt sind.
({0})
Zur Frage nach den Speichern: Wir haben uns bewusst entschieden, keine Speicherkomponente zusätzlich im EEG abzubilden. Wir glauben, dass es schon
jetzt durchaus Anreize gibt. Wir sehen den zusätzlichen
Bedarf, in größere Speicher zu investieren. Wir fanden
aber, dass wir das EEG mit diesem Punkt nicht überlasten können.
Wir werden jetzt zusammentragen, welches Volumen
nötig ist, was an Geld zur Verfügung stehen muss und
wie dies in einem Haushalt abgebildet werden kann. Das
werden wir vorlegen. Wir wissen, dass wir im Bereich
Speicher fördern müssen. Übrigens fördern wir bereits in
diesem Bereich massiv. Umwelt-, Wirtschafts- und Forschungsministerium stellen in einer ressortübergreifenden Initiative 200 Millionen Euro für Forschungs-,
Entwicklungs- und Demonstrationsprojekte zu Speichertechnologien bereit. Wir versuchen jetzt, mittels der
KfW einen Weg zu finden, um zusätzliche Anreize zu
setzen.
Noch einmal: Wie das genau aussehen soll, wird noch
entschieden. Wir werden die Programmstruktur vorlegen. Dazu brauchen wir aber tatsächlich noch ein paar
Tage Zeit.
({1})
Wir kommen nun zur Frage 27 des Kollegen HansJosef Fell:
Kann die Bundesregierung angesichts der Entwicklung
der Mittel des Energie- und Klimafonds verbindlich zusagen,
dass die zugesagten Mittel der Innovationsallianz Photovoltaik weiterhin vollumfänglich zur Verfügung stehen, ohne
dass an anderen Stellen bei der Photovoltaikforschung gekürzt
wird, und beabsichtigt die Bundesregierung, die Innovationsallianz Photovoltaik angesichts der neuen Herausforderungen
zeitlich zu verlängern, was auch die Bereitstellung zusätzlicher Mittel in der Zeitskala bedeuten würde?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Gerne, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Fell, die
Bundesregierung hat im Juli 2010 die Innovationsallianz
Photovoltaik ins Leben gerufen. Anträge konnten bis
zum 30. September 2010 eingereicht werden. Förmlich
bewilligt wurden bereits Fördermittel in Höhe von über
88 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung und vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Bewilligungen
für weitere 23 Millionen Euro werden gegenwärtig vom
BMBF und vom BMU bearbeitet. Es kann davon ausgegangen werden, dass bis 2014 durch das BMU und das
BMBF für die Innovationsallianz Photovoltaik über
110 Millionen Euro bereitgestellt werden.
Für den Erfolg dieser Innovationsallianz ist allerdings
die Bereitschaft der Industrie entscheidend. Sie muss
sich mit maßgeblichen Eigenbeiträgen beteiligen. Die
PV-Industrie hat zugesagt, im Ergebnis der Forschungsmaßnahmen 500 Millionen Euro für Investitionsmaßnahmen und weitere Forschungsleistungen einzusetzen.
Es ist vorgesehen, die Forschungsförderung in den Folgejahren, abhängig von den zur Verfügung stehenden
Mitteln, der Entwicklung des Forschungsbedarfs in dem
Bereich der erneuerbaren Energien und auf der Grundlage der beantragten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben fortzuschreiben.
Ihre erste Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank. - Die Mittelausstattung des Energie- und Klimafonds ist aufgrund
des Wegbrechens der Einnahmen aus der Versteigerung
von Emissionszertifikaten besorgniserregend. Es ist zu
fragen, ob das auch Auswirkungen auf die Höhe der Forschungsmittel haben wird. Können Sie klar ausschließen, dass diese Entwicklung, dass der Rückgang der Einnahmen im Energie- und Klimafonds keine negativen
Auswirkungen auf die Forschungsförderung, auch die
im Bereich der Photovoltaik, haben wird?
Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass das Umweltministerium - wir sind eigentlich kein klassisches
Förderministerium - immer rund 30 Prozent der Mittel
für Forschungsförderung im Bereich erneuerbare Energien für die Photovoltaik zur Verfügung gestellt hat; wir
werden auch weiterhin im großen Umfang fördern. Ich
kann sagen, dass aufgrund der jetzigen Ausstattung des
EKF aus dem hieraus finanzierten Forschungstitel für erneuerbare Energien keine weiteren Projekte bewilligt
werden können, die einen Mittelbedarf in diesem Jahr
haben, die Förderung bestehender Forschungsvorhaben
aber in jedem Fall fortgesetzt wird.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Dies ist ein Hinweis auf eine Sorge, die mich umtreibt. Wir sehen gerade in diesem Jahr die Entwicklung,
dass die Wettbewerber im internationalen Markt, vor
allem die aus Asien, einen hohen Druck auf die in der
Photovoltaikbranche führenden deutschen Technologieunternehmen ausüben. Wir haben im Ausschuss sehr viel
darüber diskutiert. Die Koalitionsfraktionen haben uns
klargemacht, dass sie keine Unterstützung der Industrie
über Regelungen des EEG schaffen wollen. Sie haben
gesagt, dass man die Unternehmen über andere Wege
unterstützen müsse, zum Beispiel durch zusätzliche Forschungsmittel für die Photovoltaik.
Jetzt sagen Sie, dass es gar keine zusätzlichen Mittel
gibt und dass keine weiteren Anträge auf Förderung genehmigt werden können. Meine Nachfrage jetzt möchte
ich mit Ihrer Antwort auf meine erste Frage verbinden,
in der Sie sagten, die Industrie solle Kofinanzierung leisten. Dies ist richtig, aber die Industrie wird durch die
starke Vergütungskürzung enorm unter Druck gesetzt,
schreibt schon jetzt rote Zahlen und wird dadurch noch
rotere Zahlen schreiben, sodass es weitere Konkurse
- einige gab es bereits - geben wird. Wie soll in dieser
Situation die Gegenfinanzierung der Forschungsmittel,
die von der Industrie zur Verfügung gestellt werden, gelingen?
Zunächst einmal: Ursprünglich waren 100 Millionen
Euro für die Innovationsallianz Photovoltaik angekündigt. Diese Summe wird voraussichtlich sogar übertroffen. Insofern kann man sehen, dass wir, wenn wir uns etwas vornehmen, es richtig und gründlich tun.
Zum Zweiten. Die Unternehmen, die jetzt in Schwierigkeiten sind, haben möglicherweise mit Fehlern aus
der Vergangenheit zu kämpfen. Forschung und Innovation müssen sich permanent im Budget eines Unternehmens abbilden. Rückfragen haben ergeben, dass in den
einzelnen Unternehmen oftmals gar nicht bekannt war,
wie hoch der Forschungsetat ist; auf jeden Fall betrug er
nicht die 7 bis 10 Prozent, die mindestens notwendig
sind, um bei der Produktentwicklung weiterhin vorne zu
sein.
Seitens der Regierung fangen wir nun mit zusätzlichen Forschungsmitteln zumindest einen Teil von dem
auf, was auf der Seite der Unternehmen im Bereich Forschung versäumt wurde. Wir alle sind uns einig: Wir
wollen die Photovoltaikindustrie in Deutschland halten.
Der Markt muss sich weltweit entwickeln. Es ist nun
einmal so, dass die Unternehmen in Fernost nicht geschlafen haben. Das müssen wir jetzt ausgleichen, und
zwar nicht nur über Regelungen des EEG, sondern auch
über die laufenden Forschungsvorhaben. Aber kein
Forschungsvorhaben kann so umfangreich sein, dass es
eigene Forschungsleistung im Unternehmen ersetzen
kann.
Danke, Frau Staatssekretärin.
({0})
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Helge
Braun zur Verfügung. Die Fragen 28 und 29 der Kollegin Marianne Schieder werden schriftlich beantwortet,
ebenso die Fragen 30 und 31 des Kollege Michael
Gerdes.
Wir kommen zur Frage 32 des Kollegen Willi Brase,
welcher allerdings nicht im Raum ist. Dann verfahren
wir nach unserer Geschäftsordnung.
Die Frage 33 des Kollegen Klaus Hagemann wird
schriftlich beantwortet.
Damit bedanke ich mich schon beim Herrn Staatssekretär für seine Bereitschaft, hier Rede und Antwort zu
stehen.
({1})
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Die Frage 34 der Kollegin Heike Hänsel
wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Frage 35 des
Kollegen Thomas Jarzombek wird ebenfalls schriftlich
beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Vizepräsidentin Petra Pau
Hans-Joachim Otto zur Verfügung. Die Frage 36 des
Kollegen Frank Schwabe und die Frage 37 des Kollegen
Dr. Konstantin von Notz sollen schriftlich beantwortet
werden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Michael Link zur Verfügung. Die Frage 38 des
Kollegen Hans-Joachim Hacker soll schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Wolfgang Gehrcke
auf:
Ist die Bundesregierung bereit, mit den Teilnehmerinnen
und Teilnehmern der diesjährigen Ostermärsche der Kriegsgegner in einen Dialog über die deutschen Positionen beim
kommenden NATO-Gipfel in Chicago einzutreten?
Bitte, Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Frage des Kollegen Gehrcke beantworte ich wie
folgt: Die Bundesregierung steht zu einer Vielzahl von
Themenbereichen in einem regelmäßigen und engen
Dialog mit der Zivilgesellschaft. Wie allen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern stehen auch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Ostermärsche mehrere
Wege zum Dialog mit der Bundesregierung offen. Dazu
gehört unter anderem die Möglichkeit, Anfragen an die
Bundesministerien zu richten. Die demokratische Mehrheitsfindung findet, wie wir alle wissen, im Deutschen
Bundestag statt. Auch hier haben zivilgesellschaftliche
Vertreter jederzeit die Möglichkeit, durch den Dialog mit
Abgeordneten auf die Willensbildung einzuwirken. Das
gilt für die Abgeordneten genauso wie für die Bundesregierung.
Der Kollege Gehrcke hat das Wort zur ersten Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ich freue mich über Ihre Antwort.
Ich habe natürlich nicht erwartet, dass die Bundesregierung die Bevölkerung dazu aufruft, am Ostermarsch teilzunehmen; das mache ich schon selber. Ich habe aber
zum ersten Mal erlebt, dass ein Vertreter der Bundesregierung erklärt, dass die Bundesregierung Wert auf einen Dialog mit denjenigen legt, die seit Jahren auf die
Straße gehen und zu diesen Themen demonstrieren. Ich
finde, das ist ein Fortschritt.
Wenn es so ist, wie Sie sagen: Sieht sich die Bundesregierung nicht in der Pflicht - ich frage Sie das, weil Sie
gerade selbst auf die Gewaltenteilung aufmerksam gemacht haben -, den Bundestag besser darüber zu informieren, mit welchem Konzept die Bundesregierung zum
NATO-Gipfel in Chicago fährt und um welchen Inhalt es
dort gehen wird, um auch hier im Parlament für Transparenz zu sorgen?
Herr Kollege Gehrcke, natürlich: Was den NATOGipfel, der Ende Mai dieses Jahres in Chicago stattfinden wird, betrifft, ist die Bundesregierung selbstverständlich bereit, den Bundestag ausführlichst zu informieren. Nur: Man kann nicht jedes Ergebnis
vorwegnehmen. Die Bundesregierung ist zu Gesprächen
bereit, sowohl in den zuständigen Ausschüssen - dort
verfügen wir auch über die notwendigen Rahmenbedingungen, um tiefer in die Debatte einzusteigen, länger zu
diskutieren und auf Nachfragen zu antworten - als auch
hier im Plenum. Selbstverständlich stehen wir - das
möchte ich ganz ausdrücklich sagen - auch außerhalb
des Bundestages für Gespräche zur Verfügung. Bisher
gibt es aber, wie schon gesagt, noch keine konkreten Anfragen.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Wir nähern uns allmählich dem Kern der Probleme. Sie sagten, dass die Bundesregierung bereit ist, im Bundestag umfänglich Auskunft zu geben. Wenn das so ist,
halte ich eine Regierungserklärung zum NATO-Gipfel
für notwendig. Ich möchte Sie fragen, ob die Bundesregierung das erwogen hat und möglicherweise dazu
bereit ist, und zwar nicht erst nach dem Gipfel. Mich interessiert nämlich, mit welcher Konzeption die Bundesregierung zu diesem NATO-Gipfel, in dessen Zentrum
die Situation in Afghanistan und die Frage des Rückzugs
aus Afghanistan stehen werden, fahren wird. Diese Information muss vorher erfolgen, damit man auf den Inhalt Einfluss nehmen kann.
Zur Frage einer möglichen Regierungserklärung gibt
es bisher keinerlei Überlegungen. Auf Ihre Frage zu
Afghanistan - ich vermute, das ist auch Gegenstand Ihrer nächsten Frage - würde ich gerne bei der Beantwortung der nächsten Frage eingehen, da ich mich nicht wiederholen will.
Okay; schlau ausgedacht.
Dann kommen wir schon zur nächsten Frage. Ich rufe
die Frage 40 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
der Erklärung des Leiters des Zentrums für Strategische Studien in Den Haag, Rob de Wijk: „Der Krieg ist für das westliche Bündnis verloren. Jetzt geht es nur noch darum, einen
Grund dafür zu finden, um sich selbst zum Sieger erklären zu
können“ ({0})?
Bitte, Herr Staatsminister.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Gehrcke,
Ihre Frage beantwortet die Bundesregierung wie folgt:
Die Bundesregierung teilt die von Herrn de Wijk zum
Ausdruck gebrachte Meinung, der Krieg sei für das
westliche Bündnis verloren etc. - aus Zeitgründen erStaatsminister Michael Link
spare ich mir, das gesamte Zitat vorzutragen -, ausdrücklich nicht. Klar ist aber, dass die Aufgabe der von
den Vereinten Nationen mandatierten ISAF-Truppe noch
nicht vollständig erfüllt ist und dass Afghanistan auch
nach dem Ende des Einsatzes internationaler Kampftruppen, also auch nach 2014, noch lange internationale Unterstützung benötigen wird. Dies wurde auf der Bonner
Afghanistan-Konferenz von allen teilnehmenden Nationen anerkannt, und entsprechend wurde diese Unterstützung für die Transformationsdekade 2015 bis 2024 auch
zugesichert.
Die erste Nachfrage, bitte.
Wenn es so ist: Müsste die Bundesregierung dann
nicht in ganz anderer Art und Weise zum Beispiel auf die
Vorstellung des afghanischen Präsidenten Karzai eingehen, der ja gebeten hat, alle Truppen - ohne Unterscheidung zwischen Kampftruppen und Nichtkampftruppen bereits 2013 abzuziehen? Wenn man ernsthaft von einer
Übergabe in Verantwortung spricht, dann muss doch der
Wunsch des afghanischen Präsidenten zu einer öffentlichen Erörterung führen und Grundlage der Entscheidung
auch für die Bundesregierung sein.
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Gehrcke, Präsident Karzai hat lediglich
das gefordert, was bereits beschlossen ist. Die Transition
ist bereits jetzt in der Hälfte des afghanischen Territoriums in vollem Gange. Mitte 2013 soll der Transformationsprozess in allen Gebieten Afghanistans begonnen
haben.
Die Rolle von ISAF wird sich dann vom derzeitigen
Partnering hin zur unterstützenden und befähigenden
Rolle verändern. Das wissen wir; wir haben darüber im
Ausschuss geredet und können das gerne auch vor dem
Gipfel noch einmal vertiefen. ISAF zieht sich dann in
die zweite Reihe zurück. Die afghanischen Sicherheitskräfte sollen dann die operative Führung übernehmen.
Dieser Transitionsprozess soll bis Ende 2014 abgeschlossen sein.
Das ist der Inhalt der in Lissabon zwischen ISAF und
Afghanistan - das hat Karzai nur wiederholt und bekräftigt - vereinbarten Transitionsstrategie, die auf der Internationalen Afghanistan-Konferenz in Bonn ebenfalls
noch einmal bestätigt wurde. Deshalb kann ich hier keinen Strategiewechsel erkennen.
Ihre nächste Nachfrage.
Ich finde, es gibt schon einen Unterschied zwischen
der Aussage des afghanischen Präsidenten Karzai, der
von 2013 und allen Truppen gesprochen hat, und dem,
was die NATO und auch die Bundesregierung angeboten
haben.
Unabhängig davon: In Chicago soll ein neues strategisches Konzept der NATO vereinbart werden. Das ist ja
die Auskunft. Wenn es zu einem neuen strategischen
Konzept der NATO kommt: Muss dieser Deutsche Bundestag, der jetzt elf Jahre lang Truppen für Afghanistan
gestellt hat, nicht darauf bestehen, dass dieses Konzept
vorher hier im Deutschen Bundestag erörtert wird, sodass man pro und kontra Stellung nehmen kann?
Die Bundesregierung wird selbstverständlich gerne
alle Fragen eines strategischen Konzeptes mit dem Bundestag erörtern, aber nicht in der Form, wie zum Beispiel
bei der Euro-Stabilisierung, wo es in Teilbereichen gesetzliche Vorschriften über vorherige Zustimmungserfordernisse gibt, sondern im Wege der Debatte und der
Befassung im Ausschuss und dann natürlich auch im
Lichte der Ereignisse. Kollege Gehrcke, wir wissen
beide: Bei dem Gipfel werden selbstverständlich auch
vor Ort noch Dinge auf den Tisch kommen, die vorher
im Einzelfall gar nicht klar zu sehen sind.
Die Debatte in den Ausschüssen und auch vertiefte
Gespräche vorher in den geeigneten Formaten bieten wir
also gerne an. Ich bin mir sicher, dass der Bundestag - er
ist Herr seiner eigenen Tagesordnung - auch im Plenum
über die NATO-Strategie debattieren wird.
({0})
Die Frage 41 der Kollegin Inge Höger, die Fragen 42
und 43 des Kollegen Tom Koenigs, die Frage 44 der
Kollegin Katja Keul, die Frage 45 des Kollegen Andrej
Hunko und die Frage 46 des Kollegen Dr. Ilja Seifert
sollen schriftlich beantwortet werden. Auch die Frage 47
der Kollegin Viola von Cramon-Taubadel, die Frage 48
der Kollegin Heike Hänsel und die Frage 49 des Kollegen Oliver Kaczmarek werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Auswärtigen Amtes. Herzlichen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Frage 50 des Kollegen
Oliver Kaczmarek, die Frage 51 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter und die Frage 52 des Kollegen Dr. Konstantin
von Notz sollen schriftlich beantwortet werden. Das
Gleiche gilt für die Frage 53 des Kollegen Andrej
Hunko, auch sie wird schriftlich beantwortet.
Damit sind wir im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen 54 und 55 des
Kollegen Dr. Gerhard Schick sollen schriftlich beantwortet werden wie auch die Frage 56 des Kollegen
Hans-Joachim Hacker. Die Frage 57 des Kollegen Frank
Schwabe wird schriftlich beantwortet wie auch die
Frage 58 des Kollegen Klaus Hagemann.
Vizepräsidentin Petra Pau
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales. Die Fragen 59 und 60 der Kollegin Sabine
Zimmermann werden schriftlich beantwortet wie auch
die Fragen 61 und 62 des Kollegen Markus Kurth.
Mir liegen keine weiteren Fragen vor. Wir sind damit
am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestags bis 15.30 Uhr. Ich bitte, die abweichende Sitzungszeit zu beachten. Wir setzen die Sitzung um 15.30 Uhr
fort mit der Aktuellen Stunde zum Thema „Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen wegen Nichterfüllung der Frauenquote bei den Führungskräften“.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe auf den Zusatzpunkt 1:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen wegen Nichterfüllung der Frauenquote
bei den Führungskräften
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. - Ich sehe die Wortmeldung zur Geschäftsordnung
der Kollegin Haßelmann. Ich hatte allerdings vor, den
Kollegen Lindner zu fragen,
({0})
ob wir jetzt mit der Debatte beginnen können.
({1})
- Das freut mich.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich sehe, dass das
Haus der Frauenministerin nicht vertreten ist. Wir sind
natürlich konsterniert darüber, dass es die Ministerin
nicht für nötig hält, an einer Debatte zum Thema Frauenquote teilzunehmen.
({0})
Aber dass sie wirklich die Chuzpe besitzt, noch nicht
einmal einen Staatssekretär zu schicken, halten wir für
unerträglich. Deshalb bitte ich, jetzt sofort dafür Sorge
zu tragen, dass dieses Haus erscheint.
({1})
Ich gehe davon aus, dass wir nicht das Haus, sondern
eine Vertreterin oder einen Vertreter des Hauses um das
Erscheinen bitten.
({0})
Deshalb frage ich erst einmal die Bundesregierung. Der Herr Staatssekretär ist erschienen. Ist damit diesem
Wunsch Rechnung getragen?
({1})
Das Ministerium ist jetzt vertreten.
Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute
findet diese Aktuelle Stunde aufgrund eines peinlichen
Anlasses statt, und der heißt: Blockadehaltung der Bundesregierung, speziell der Bundesministerin für Frauen,
bei der Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit für
Deutschland.
({0})
- Bitte.
({1})
Wir stellen eines fest: Im Auswärtigen Amt analysiert
ein Schreiben bestehende und drohende Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen. Warum? Weil deutsche Unternehmen im Führungsbereich durchgehend
männlich sind - teilweise bis zu 100 Prozent -, können
sie sich in Ländern, die Ausschreibungen an einen Frauenanteil in den Vorständen und Aufsichtsräten knüpfen,
nicht bewerben. Die Feststellung lautet an dieser Stelle,
dass viele Länder - zum Beispiel Frankreich, zum Beispiel Spanien und einige andere - längst vorgeschrieben
haben, dass bei der Besetzung von Vorständen und Aufsichtsräten bis 2015 eine Frauenquote zu erreichen ist.
({2})
Es gibt vier oder fünf Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die das zumindest für die öffentlichen Unternehmen festgelegt haben. Deshalb muss ich eines
festhalten: Schwarz-Gelb hat immer behauptet, die Koalition zu sein, die Regierung zu bilden, die die meiste
Wirtschaftskompetenz hat. Ich sage Ihnen: Diese Behauptung ist nicht wahr.
({3})
Wahr ist: Sie sorgen für wirtschaftliche Nachteile für
Deutschland, und das ist schlecht für unser Land.
Aber es geht nicht nur um diese Ausschreibungen, an
denen deutsche Unternehmen nicht teilnehmen können
und für die sie nicht den Zuschlag bekommen. Vielmehr
stelle ich fest: Sie machen das in allen Bereichen.
({4})
Was die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft,
das Leben in einer Wissensgesellschaft angeht, wenn es
darum geht, die Kreativszene zu unterstützen und neue
Kommunikationstechnologien reinzuholen, tun Sie faktisch nichts. Bei der Frage der ökologischen Ausrichtung
der Wirtschaft, dem sparsamen Umgang mit Rohstoffen
und Energie, um wettbewerbsfähig zu sein, tun Sie faktisch nichts.
Bei der Frage, Fachkräfte nach Deutschland reinzuholen, geben Sie heute mit einer Regelung an, die besagt:
Der Zuzug von Fachkräften ist ab einem Gehalt von
44 000 Euro möglich; in einigen Berufen ab einem Gehalt von 33 000 Euro. Meine Damen und Herren, das ist
auch nicht viel mehr als nichts. Welcher Ingenieur, welche Ingenieurin bekommt denn diese 44 000 Euro oder
jedenfalls mehr als 33 000 Euro?
({5})
Zudem gibt es nur ein Aufenthaltsrecht für zwei
Jahre.
({6})
Welchen Mann oder, besser noch, welche Frau wollen
Sie damit in dieses Land locken, Herr Lindner, dass man
für zwei Jahre ein Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommt?
({7})
Wenn ich Frau im Ausland wäre, würde ich sagen: Angesichts dieser Regelung und wegen fehlender Frauenförderung bewerbe ich mich gleich woanders.
({8})
So viel zu Ihrer Fachkompetenz an dieser Stelle!
Beim Thema Bindung von Fachkräften - solchen, die
kommen sollen, oder solchen, die schon in Deutschland
sind - nehmen Sie die Frauen auf dem Arbeitsmarkt
überhaupt nicht wahr. Wie wollen Sie denn Frauen in
Unternehmen in Deutschland kriegen, wenn Sie weder
außerhalb der Unternehmen die notwendige Infrastruktur schaffen, zum Beispiel für Familienarbeit, Pflege und
Kinderbetreuung, noch innerhalb der Unternehmen dafür sorgen, dass der Weg nach oben für Frauen wirklich
möglich ist, dass Karriereschritte für Frauen möglich
sind? Ich sage Ihnen: In Schweden, Norwegen, Frankreich, in den USA
({9})
kommen Frauen schneller nach oben. Und: In China,
Brasilien und Russland
({10})
gibt es mehr Frauen in Vorstandsfunktionen als in
Deutschland.
({11})
So viel zu Ihrer Kompetenz!
({12})
Wenn die Frauen dann aufgestiegen sind, verdienen
sie selbst in mittleren Managementfunktionen immer
mindestens 1 000 Euro weniger im Monat als die Männer. Ich sage Ihnen ganz klar: Wenn Sie weiter so agieren, wenn Sie sich nicht trauen, endlich zu Frauenförderungsregelungen zu kommen, wenn Sie sich nicht
trauen, endlich eine Quote für Aufsichtsräte und Vorstände der DAX-Unternehmen einzuführen, wird Ihnen
eines nicht gelingen: Sie werden weder die Vielfalt in
den Führungsetagen bekommen, die Sie gerade für den
Wettbewerb mit dem Ausland brauchen, noch werden
Sie Frauen hier binden können, noch bekommen Sie
Fachkräfte aus dem Ausland. Das ist die ganze Wahrheit!
({13})
Ich frage mich an dieser Stelle nicht nur, wo Kristina
Schröder als Frauenministerin Deutschlands ist, sondern
auch, was sie in dieser Funktion, in diesem Amt eigentlich will.
({14})
Heute Morgen wachte ich auf und hatte beim Aufstehen
in der Dämmerung so einen komischen Gedanken.
({15})
Da dachte ich: Herr Lammert, unser Parlamentspräsident, wird ja für manches gehandelt. Vielleicht sollten
wir ihn auch einmal als Frauenminister Deutschlands
handeln.
({16})
Der Mann weiß, dass wir eine Quote brauchen. Das ist
doch was, oder?
Nichthandeln, meine Damen und Herren, geht nicht.
Nichthandeln ist ungerecht gegenüber den Frauen. Das
Grundgesetz sagt uns: Frauen sind gleichzubehandeln.
Wir haben einen aktiven Gleichstellungsauftrag.
Nichthandeln heißt auch, die wirtschaftlichen Chancen Deutschlands, gerade die der großen Unternehmen,
aber auch die der mittelständischen Unternehmen, an
dieser Stelle zu versemmeln.
Nichthandeln geht auch nicht, weil die EU-Kommissarin Reding in diesem Sommer sowieso einen Vorschlag macht.
Nichthandeln geht ebenfalls nicht, weil 75 Prozent
der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger sowieso schon sagen: Ja, wir brauchen eine Quote.
Daraus schließe ich: Wer die Frauen als Fachkräfte
hier haben will, wer auch aus den anderen EU-Staaten
Frauen hierherholen will, muss an dieser Stelle zwingend zu einer Quote kommen.
Deshalb - so höre ich bei jedem Redebeitrag auf wende ich mich als Allererstes an die Frauen: Wir
Frauen brauchen noch in diesem Jahr einen Gruppenantrag für - als Minimum - die Quote in Aufsichtsräten.
({17})
Mit Blick auf Herrn Lammert und viele andere Männer
hier: Vielleicht wäre es gut, einen von Frauen initiierten
Gruppenantrag zu machen, und vielleicht wäre es gut,
wenn dem viele Männer beitreten würden, weil ihnen an
den Frauen liegt, aber auch an der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands.
({18})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Matthias
Heider das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Künast, ich hatte eigentlich erwartet, dass
Sie über den Zusammenhang von Wettbewerbsfähigkeit
und Frauenquote sprechen würden. Sie haben jedoch all
die Argumente wiederholt, die wir hier vorletzte Woche
schon einmal gehört haben.
({0})
Ich glaube, wir müssen sie dazu einfach noch einmal in
die richtige Reihenfolge bringen. Und auch das müssen
wir an dieser Stelle für Sie tun.
Wir sprechen hier auf Antrag der Grünen über mögliche negative Auswirkungen auf die Wettbewerbssituation deutscher Unternehmen im Ausland. Das ist ein
wichtiges Thema; hiervon hängen viele Arbeitsplätze in
unserem Land sowohl im produzierenden Gewerbe als
auch im Dienstleistungsbereich ab, und - das betone ich es geht um Arbeitsplätze von Frauen und Männern.
Weil in den Debatten zum Thema Frauenquote
schnell der Eindruck entsteht, über eine Quote für Vorstände oder Aufsichtsräte würde sich wie von selbst die
Beschäftigungssituation von Frauen in Wirtschaftsunternehmen zum Guten wenden, freue ich mich, dass Sie
ausgerechnet das öffentliche Vergabewesen als Aufhänger gewählt haben.
Ich möchte von hier aus zunächst einmal klarstellen:
Alle Parteien haben das Anliegen der Förderung von
Frauen.
({1})
Welcher Weg der richtige ist, darüber diskutiert auch die
Union. Ob und in welcher Höhe eine Frauenquote, flexibel oder nicht, zielführend ist und wie sie überhaupt erfüllt werden kann, das ist nicht nur in der Politik umstritten. Es darf auch nicht um die Privilegierung einiger
weniger gehen, sondern es muss um die Erhöhung von
Chancen für alle Arbeitnehmerinnen, seien sie nun Managerinnen oder Angestellte, gehen.
({2})
Es kommt mit Blick auf die Frauen auf die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf an.
({3})
Deshalb muss es uns um alle Arbeitsplätze gehen, nicht
nur um diejenigen in Vorstand oder Aufsichtsrat.
Ein falscher Ansatz wird auch nicht richtiger, wenn
die Hemmnisse erhöht werden. Sie beziehen sich mit Ihrer Aktuellen Stunde ja offenbar auf einen Artikel in der
Rheinischen Post, in dem geschrieben steht, dass es
deutsche Unternehmen in Frankreich oder Spanien
schwerer haben könnten. Meine Damen und Herren, eines muss klar sein: Eine politische Instrumentalisierung
des Auftragsrechts und der Auftragsvergabe darf es nicht
geben.
({4})
- Bevor Sie weiter zwischenrufen, sollten Sie zuhören.
({5})
Die EU-Vergabevorschriften verpflichten öffentliche
Auftraggeber ab einem bestimmten Volumen zu europaweiten Vergabeverfahren. Transparente, diskriminierungsfreie und auf Wettbewerb ausgerichtete Abläufe
sollen gewährleistet sein.
({6})
Sachfremde Kriterien dürfen nach dem Willen der EUGesetzgebung explizit keine Rolle spielen. Das macht
auch der europäische Gesetzgeber in einer Richtlinie aus
dem Jahr 2004 deutlich - ich zitiere -:
Die vorliegende Richtlinie gründet sich auf die
Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere auf
die Urteile zu den Zuschlagskriterien, wodurch
klargestellt wird, welche Möglichkeiten öffentliche
Auftraggeber haben, auf Belange im sozialen Bereich einzugehen, sofern derartige Kriterien im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen.
Meine Damen und Herren, auch die Generalanwältin
beim Europäischen Gerichtshof Juliane Kokott hat in einem laufenden Verfahren im Dezember letzten Jahres in
ihrem Schlussantrag klargestellt, dass es in einem solchen Fall um Qualitätsanforderungen an Bieter geht, denen im rechtlichen Zusammenhang Rechnung getragen
werden muss. Hier ging es um etwas, was Sie alle mögen, nämlich um den Einkauf von nachhaltig angebautem Kaffee, insbesondere für Kaffeeautomaten, und Tee.
Da kommt die Generalanwältin zu dem Schluss:
Außerdem darf der öffentliche Auftraggeber bei der
Vergabe seines Auftrags nicht die allgemeine Einkaufspolitik der Bieter berücksichtigen, sondern
nur ihr Einkaufsverhalten in Bezug auf die konkret
zu liefernden Produkte. Verlangt der öffentliche
Auftraggeber von den Bietern Informationen und
Nachweise zur Nachhaltigkeit ihrer Produkte und
ihrer Geschäftspolitik, so muss diese Anforderung
einen hinreichenden Bezug zum Auftragsgegenstand haben und konkret abgefasst sein.
Ich kann durchaus nicht einsehen, in welchem Bezug
denn zum Beispiel eine in Spanien zu bauende Autobahn
- das haben Sie ja heute vorgebracht - mit einer Frauenquote stehen sollte.
({7})
Da müssen Sie sich schon fragen lassen, welche Bezüge
Sie hier ins Feld führen wollen.
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal auf
Nordrhein-Westfalen zu sprechen kommen. Auch dort
gibt es das Tariftreue- und Vergabegesetz, wodurch Unternehmen gezwungen werden, wenn sie für das Land
Nordrhein-Westfalen arbeiten wollen, für bestimmte
Fördermaßnahmen für Frauen und die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf zu sorgen. Auch hier stelle ich die
Frage: Welchen Bezug hat das eigentlich zum Auftragsgegenstand? Diese Frage stelle ich schon deshalb, weil
die Gesetzgebungskompetenz dafür in diesem Haus,
beim Bund, liegt und nicht etwa beim Land NordrheinWestfalen. Wenn Sie versuchen, auf solchen Ebenen
Politik zu machen, müssen Sie sich fragen lassen: Was
wollen Sie eigentlich für die Frauen, was wollen Sie eigentlich für die Wirtschaft tun? Ein Zusammenhang ist
da nicht erkennbar.
Ich bin dafür, über die vorgeschlagenen Quoten zu
diskutieren, aber vor allen Dingen sollten wir versuchen,
für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu
sorgen. Das ist die gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und
nicht das Filetieren von Wirtschaftsaufträgen aus anderen europäischen Ländern.
Vielen Dank.
({8})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Doris
Barnett das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Heider, Familie fängt wie Frau mit F an. Aber deswegen gehört die Familie nicht allein den Frauen.
({0})
Wir Frauen haben ja lange genug auf ein faires Vorankommen in unserer Karriere gehofft - ohne Quote. Denn
eigentlich haben wir das Grundgesetz auf unserer Seite.
Deswegen haben wir, Rot-Grün, vor über zehn Jahren
mit der Wirtschaft eine entsprechende Frauenförderung
auf freiwilliger Basis vereinbart - also ganz ohne
Zwang. Das Ergebnis kennen wir: 85 Prozent der Aufsichtsratsposten und 97 Prozent der Vorstandsposten
sind auch im elften Jahr der Vereinbarung nur mit Männern besetzt. Jetzt komme mir bloß keiner - oder sollte
ich besser sagen: „Bloß keine Ministerin“? - und sage,
das läge an den überragenden Qualitäten der Männer
oder daran, dass die Frauen nicht wollten.
({1})
Fest steht: Mit guten Worten alleine richten wir in
unserer Gesellschaft nichts aus. Die Quote wird uns
helfen, das Gesellschafts- und Rollenbild der Frauen zu
verändern.
Wir Sozialdemokratinnen wissen das aus eigener Erfahrung. Als wir die Quote 1988 in unser Grundsatzprogramm aufgenommen haben, war das Gezeter groß.
Mittlerweile ist es ganz normal, dass Frauen nicht nur
für den Posten des Revisors oder Beisitzers kandidieren,
sondern Oberbürgermeisterin, Abgeordnete, Ministerpräsidentin werden und alle das für ganz normal halten.
Dass Frauen gute Zugpferde bei Wahlen sind, ist ja bekannt.
Was wir in der Politik schon längst begriffen haben,
sollten eigentlich auch die Wirtschaftsführer begreifen:
Frauen sind gut fürs Geschäft! Frauen sind gut ausgebildet, sie arbeiten hart und klug, auch wenn sie sich nicht
unbedingt an dem Wettbewerb „Wer kann am längsten
im Büro bleiben?“ beteiligen. Wer so etwas liebt, dem
empfehle ich die TV-Serie Mad Men. Da werden Sie in
die 50er- oder 60er-Jahre in eine Werbeagentur in der
Madison Avenue zurückversetzt. Hier lernt man nämlich, wie männliche Netzwerke funktionieren, wie man
- Mann - es schafft, dazuzugehören oder auch aus dem
Club rauszufallen.
Aber ehrlich gesagt: So ticken Frauen nicht! Und außerdem: Wir sind in der Zwischenzeit auch 60 Jahre weiter. Obwohl: Nicht wenige dieser Rituale haben die Zeit
überlebt und blockieren auch heute noch in vielen Unternehmen ein neues Denken. Die Vision des Ernährers, der
die Familie versorgt, und der Frau, die etwas für die
Familie dazuverdient - Herr Heider, das ist Ihr Bild -,
({2})
ist so stark verwurzelt, ja fast eingebrannt in manche
Unternehmenskultur, dass Veränderungen selbst mit
Engelsgeduld nicht durchgesetzt werden können.
Aber es gibt auch Hoffnung! Als erster DAX-Konzern hat sich die Telekom vor zwei Jahren ihre eigene
Quote verpasst: Bis 2015 will sie 30 Prozent aller Positionen vom mittleren bis zum oberen Management mit
Frauen besetzen. Also wird sich die Telekom für diese
Personalentwicklung fünf Jahre Zeit lassen. Hätte sie
zum Zeitpunkt unserer freiwilligen Vereinbarung damit
begonnen, wäre sie heute ein Leuchttrum. Aber immerhin: Die Telekom zeigt, dass es geht.
Es ist schon traurig, dass sich deutsche Unternehmen
gerne in der Wirtschaftswelt umschauen, wenn es um
Effizienz, Rationalisierung, Kostenreduzierung usw.
geht, aber beim Personaleinsatz, insbesondere bei der
Frauenförderung, das Interesse aufhört. International renommierte Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die
Wettbewerbsfähigkeit eines Landes gerade auch mit der
Frauenförderung zu tun hat. Wer heutzutage die gut ausgebildeten, talentierten Frauen auf das Abstellgleis Mittelmanagement schiebt, der verbaut sich seine eigenen
Chancen im globalen Wettbewerb.
({3})
Leider passiert genau das in unserem Land.
Wenn ein Vorstand mir versichert, man fördere gerne
Frauen, aber es brauche halt 15 Jahre - genauso lange,
wie bei der Förderung von Männern -, dann kann ich nur
sagen: Hätte man zu Beginn der freiwilligen Vereinbarung mit der Förderung angefangen, hätten wir heute
schon viele Frauen in den Führungsetagen; vielleicht
bräuchten wir dann auch die Quote nicht mehr.
({4})
Denn vor elf Jahren gab es sicherlich nicht nur Berufsanfängerinnen in den Betrieben.
Andere Länder, gerade auch in der EU, sind schon
viel weiter als Deutschland. Es wurde schon gesagt: Dort
schätzt man Frauen nicht fürs Kaffeekochen, sondern
wegen ihres scharfen Verstandes, ihrer umsichtigen, sozialen Abwägungsfähigkeit - Eigenschaften, die wir
hierzulande in den sich ausweitenden Ehrenamtsbahnen
benötigen, weil sie dem Zusammenhalt dienen und viel
Geld sparen. In der Tat, Frauen können gut ehrenamtliche Strukturen aufbauen, leiten oft große Vereine und
sind zunehmend hervorragende Unternehmerinnen,
wenn sie sich selbstständig machen. Aber das kann doch
in Deutschland nicht die Antwort auf die berechtigte
Forderung der Frauen sein, auch in Führungspositionen,
also im oberen Management, im Vorstand und im Aufsichtsrat von großen Unternehmen, angemessen vertreten zu sein.
Liebe Kollegen - ich richte mich jetzt an die Männer -,
verstehen Sie bitte das Wort „angemessen“ richtig!
Wenn wir die 40 Prozent fordern, sind wir noch harmlos;
denn gemessen an unserem Bevölkerungsanteil würden
uns Frauen 52 Prozent zustehen.
({5})
Zurück zur EU. Hier plant nicht nur die Justizkommissarin Viviane Reding eine Frauenquote in Höhe von
40 Prozent für Aufsichtsräte in börsennotierten Unternehmen bis zum Jahr 2020. Es wurde schon gesagt:
Spanien und Frankreich haben schon eine feste Frauenquote. Dazu gehören auch Belgien, Italien, Norwegen,
die Niederlande und Österreich. Wenn sich Deutschland
hier nicht bald einreiht, dann schadet es mutwillig der
Zukunftsfähigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit seiner
Unternehmen - und das bei oder trotz einer jungen Frauenministerin,
({6})
die sich damit begnügt, es ja für sich geschafft zu haben.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Jörg von Polheim für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Obwohl ich erst seit rund drei Monaten Bundestagsabgeordneter bin, habe ich bereits eine Sache gelernt: Die
Grünen holen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit die Frauenquote hervor.
({0})
Mag der Aufhänger auch noch so nichtig sein, eines ist
gewiss: Die Grünen schwingen ihre Moralkeule und empören sich über die Maßen. Dabei muss ich Ihnen diesmal zugutehalten, dass Sie sich einmal mit Wirtschaftsthemen auseinandersetzen. Plötzlich liegt Ihnen die
Wirtschaft am Herzen, die Sie sonst geißeln und gängeln, wo es nur geht.
({1})
Herzlichen Glückwunsch zu der Einsicht, dass die Politik der Wirtschaft sogar helfen kann, auch wenn dies im
aktuellen Fall gar nicht nötig ist.
Mit dieser Aktuellen Stunde möchten Sie skandalisieren, dass sich deutsche Unternehmen, wollen sie an Ausschreibungen im Ausland teilnehmen, an die Gesetze des
jeweiligen Landes halten müssen.
({2})
- Hören Sie doch einfach mal zu, dann wird es einfacher. Daraus einen Vorwurf an die Bundesregierung zu konstruieren, zeugt von einer Chuzpe, die wiederum zu Ihrer
sonstigen Wirtschaftspolitik passt. Die FDP-Fraktion
weist die immer bizarrer werdenden Belehrungen von
EU-Kommissarin Viviane Reding wegen einer angeblich
fehlenden Frauenquote in Deutschland zurück. Die Unterstellung, dass deutsche Unternehmen wegen einer
fehlenden Quote keine Aufträge mehr erhalten, ist unnötige Panikmache. Das sollte Frau Reding wissen, und
Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, auch.
Dieser Anwurf dient nur dazu, die Bundesfrauenministerin Kristina Schröder plump unter Druck zu setzen.
({3})
Wir Liberalen im Bundestag unterstützen die Ministerin
in ihrer Auffassung
({4})
- einfach einmal ausreden lassen; dann wird es einfacher -,
dass die Europäische Kommission der Bundesrepublik
keine Quote vorschreiben kann.
({5})
Im Übrigen ist es längst nicht sicher, ob derart marktabschottende Ausschreibungsbedingungen mit EU-Recht
vereinbar sind. Die Bundesregierung prüft das und wird
gegebenenfalls Schritte einleiten, sollte sich herausstellen, dass diese Rahmenbedingungen gegen EU-Recht
verstoßen. Denn dann gilt es, sich wirklich für die deutsche Wirtschaft einzusetzen, und zwar nicht nur polemisch, wie Sie, meine Damen und Herren der Grünen, es
tun.
Zur Klarstellung. Derzeit dürfen EU-Partnerländer, in
denen eine nationalgesetzliche Frauenquote existiert,
deutsche Firmen bei öffentlichen Ausschreibungen wegen der Nichteinhaltung dieser Frauenquote nicht benachteiligen. Derartige Fälle sind auch nicht bekannt Quelle: DIHK.
({6})
Durch das EU-Vergaberecht erübrigt sich eine gesetzlich vorgeschriebene deutsche Frauenquote ohnehin. Es
liegt im Verantwortungsbereich der einzelnen Unternehmen, sich so aufzustellen, dass sie die Vorgaben erfüllen,
um nicht von Ausschreibungen in Spanien oder Frankreich ausgeschlossen zu werden. Die FDP-Fraktion lehnt
weiterhin eine Quote ab, weil wir damit nur an Symptomen herumdoktern.
({7})
Wir wollen keine Fehlentwicklungen wie in Norwegen,
wo die Quote lediglich dafür gesorgt hat, dass die
gleichen Frauen in mehr Aufsichtsräten sitzen. Goldene
Röcke helfen niemandem.
({8})
- Goldene Röcke, ja. Erkundigen Sie sich einmal!
({9})
- Ich nicht.
({10})
Ich möchte an dieser Stelle nicht wieder alle sozialpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung zur Verbesserung der Situation der Frauen im Berufsleben aufzählen. Nur wer für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf
und Familie sowie Beruf und Pflege sorgt, kämpft erfolgreich für die gerechte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft. Das liegt
im Übrigen auch im Interesse der deutschen Wirtschaft.
Die Selbstverpflichtung der Wirtschaft ist zwar der
schwierigere, dafür aber der nachhaltigere Weg. Die
deutsche Wirtschaft ist auf dem richtigen Weg, auch
wenn dieser Weg noch lange nicht am Ende ist.
Vielen Dank.
({11})
Bevor wir fortfahren, nur eine kurze Information an
diejenigen, die uns zuhören oder zuschauen: Wir sind in
einer Aktuellen Stunde, deshalb äußern Kolleginnen und
Kollegen ihre Zustimmung oder Nichtzustimmung
sowie ihre Meinung zu den Redebeiträgen durch Zwischenrufe, haben aber nicht die Chance, Fragen zu stellen oder zu intervenieren.
({0})
Das war eine Erklärung an die Zuhörenden zu dem Vorgang gerade.
Nun hat die Kollegin Yvonne Ploetz für die Fraktion
Die Linke das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In China erobern Frauen das Weltall, in Deutschland
noch nicht einmal den Chefsessel. Ich finde echt abenteuerlich, was hier gerade passiert.
({0})
In China erklärt man einfach, dass künftig eines von drei
Besatzungsmitgliedern eines Raumschiffs eine Frau sein
soll - und in Deutschland streitet die Frauenministerin gegen so etwas Läppisches wie eine Frauenquote. Ganz ehrlich: Ich muss mich hier wirklich manchmal schämen.
({1})
Anscheinend kommen auf Frau Schröder gerade ganz
einsame Zeiten zu. Selbst in ihrer eigenen Partei ist die
Flexiquote mehr und mehr umstritten. Annegret KrampKarrenbauer zum Beispiel, die gerade wiedergewählte
CDU-Ministerpräsidentin im Saarland, hat schon vor
Monaten gefordert, bei der gesetzlichen Frauenquote
endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Selbst bei ihren
männlichen Kollegen scheint der Widerstand gegen die
Quote zu schwinden. Das sicherlich prominenteste Beispiel ist unser Bundestagspräsident Norbert Lammert.
({2})
- Das hat auch Applaus verdient.
Frau Schröder hat im Spiegel gesagt, dass ihr - ich
zitiere - „das Denken in Geschlechterkollektiven fremd“
sei. Für eine amtierende Frauenministerin ist das ein
wirklich sehr, sehr bedenkliches Zitat, wie ich finde. Es
zeigt nämlich eindeutig, dass ihr jede Sensibilität im
Hinblick auf die Benachteiligung von Frauen fehlt.
({3})
Gerade erst hat EU-Kommissarin Viviane Reding die
seltsame Gleichstellungspolitik dieser Bundesregierung
kritisiert: Mit dem Betreuungsgeld setze sie völlig falsche Anreize, die Kinderbetreuung in Deutschland sei
mangelhaft und die freiwillige Quote gescheitert. Deshalb fordert Brüssel nun die deutsche Quote, gesetzlich,
verbindlich, für Aufsichtsräte und Vorstände. Das ist der
richtige Weg. Dass die Bundesregierung jedoch eine solche Belehrung braucht, ist wirklich peinlich.
({4})
Dabei gibt es doch richtig gute Beispiele für den Erfolg einer Quote. Norwegen hat als erstes europäisches
Land eine 40-Prozent-Quote eingeführt. Den Erfolg
machten - neben sehr empfindlichen Sanktionen - zum
Beispiel Projekte wie ein Mentoringprogramm aus. Im
Rahmen dieses Programms wurden weibliche Nachwuchskräfte gemeinsam mit ihren zukünftigen Kollegen
und mit ihren Chefs über Monate hinweg geschult, und
zwar in Sachen Führungsstärke, Unternehmenskultur
und Genderkompetenz.
Das sorgte für ein echtes Umdenken, nicht nur in den
Unternehmen, sondern auch in der gesamten Gesellschaft. Plötzlich ist so etwas wie eine Kinderbetreuungszeit oder eine Familienzeit ganz selbstverständlicher Arbeitsalltag. Das sind doch wunderbare Akzente, von
denen wir wirklich viel lernen können und sollten.
({5})
Aber Quoten alleine reichen nicht aus, und schon gar
nicht uns Linken. Uns geht es um die ganze Frauenfrage.
Frauenquoten sagen nämlich noch gar nichts darüber
aus, wie es Frauen in Unternehmen wirklich geht; da
spielen noch ganz andere Faktoren eine Rolle. Uns geht
es unter anderem auch darum, dass Armutsfallen wie
Minijobs, Niedriglöhne und Lohnunterschiede zwischen
Mann und Frau endlich bekämpft werden.
({6})
Altbackene Unternehmenskulturen müssen verändert
werden. Wir brauchen Individualbesteuerungen statt eines Ehegattensplittings. Die Frauen müssen bei ihrer sogenannten ehrenamtlichen Gratisarbeit in den Bereichen
Pflege und Erziehung endlich vom Staat und von den
Männern entlastet werden. Darüber hinaus muss die Arbeitszeit verkürzt werden. Außerdem brauchen wir einen
gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es schon
ziemlich merkwürdig, dass immer dann, wenn es um die
Gleichstellung von Mann und Frau geht, wenn es um
Gehalt, Macht und Einkommen geht, auf Freiwilligkeit
gesetzt wird. Ich sage Ihnen eines: Das liegt daran, dass
hinter jeder erfolgreichen Frau mindestens ein Mann
steht, der die Frauenquote zum Teufel jagen möchte.
({8})
Ich glaube, genau diese Männer brauchen die Frauenquote dringender als jede Frau, und zwar auf Augenhöhe; sie beträgt 50 Prozent.
({9})
Eines möchte ich auch noch anmerken: Es darf bei
der Quotendebatte doch nicht darum gehen, die Profite
von Unternehmen zu vermehren. Es geht bei der Frauenquote darum, Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, soziale Gerechtigkeit herzustellen und Verfassungsaufgaben zu erfüllen. Sie ist von Grund auf ein ganz
demokratisches Projekt, das Frauen und eben nicht dem
Kapital Vorteile bringen soll.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm sagte bereits 1910:
Glaube nicht, es muß so sein, weil es so ist und immer so war. Unmöglichkeiten sind Ausflüchte steriler Gehirne. Schaffe Möglichkeiten.
Ich glaube, genau das sollte endlich zum Leitsatz dieser
Regierung werden.
Danke schön.
({11})
Die Kollegin Rita Pawelski hat nun für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, es bewegt sich etwas. Die deutschen Unternehmen
beginnen, zu begreifen. Seit etwa zwei Jahren brechen
die männlichen Monokulturen in den Chefetagen auf. Im
vergangenen Jahr wurden 16 Prozent der neu zu besetzenden DAX-Vorstände von Frauen besetzt.
({0})
Aber was sich so gigantisch anhört, ist bei genauem Hinsehen ziemlich bescheiden:
({1})
Die Zahl stieg real von drei auf acht Frauen, acht Frauen
von insgesamt 187 DAX-Vorständen. Na ja.
({2})
In den Aufsichtsräten wuchs der Anteil der Frauen um
sagenhafte 2,8 Prozentpunkte, von 10 auf 12,8 Prozent.
Sie sehen, es bewegt sich etwas, allerdings im Tempo einer Schnecke. Unsere Wirtschaft leistet sich ein Schneckentempo ausgerechnet bei der wichtigen Frage: Wie
mache ich in Zeiten des demografischen Wandels mein
Unternehmen fit für die Zukunft? Meine Damen und
Herren, die CDU hat einen sehr guten Slogan: „Ohne
Frauen ist kein Staat zu machen“.
({3})
Ich formuliere diesen Satz einmal um: Ohne Frauen ist
kein Unternehmen wettbewerbsfähig.
({4})
Jetzt heißt es, dass deutsche Unternehmen bei Ausschreibungen in der EU womöglich mit Nachteilen zu
rechnen hätten. Es steht in allen Zeitungen; ich habe hier
die FAZ. Wenn es wirklich solch ein Papier gibt, dann
müssen wir darüber diskutieren. Ich wüsste übrigens
gerne, ob es so ist.
({5})
Es kann nicht sein, dass es Pamphlete oder anonyme Unterlagen aus einer Behörde gibt, in denen - wenn es denn
stimmt - jetzt schon klar gesagt wird, dass Unternehmen
Nachteile haben werden, wenn sie nicht über genug
Frauen verfügen. Ich sage Ihnen: Frankreich oder Spanien, die hier zitiert werden, werden sich nicht darum
kümmern, ob es uns recht ist oder nicht; sie werden ihre
Gesetze voranstellen, nicht unser Denken und Wünschen.
({6})
Ich bitte das Auswärtige Amt, hier wirklich für Klarheit
zu sorgen. Ich möchte wissen, ob es das Papier gibt.
({7})
Meine Damen und Herren, es darf nicht sein, dass unsere Wirtschaft mit Nachteilen zu rechnen hat, wenn sie
die Quote nicht erfüllt. Darum ist für mich ganz klar:
Wir brauchen mehr Tempo in der Frauenfrage. Dazu
müssen wir aus dem langsamen Oldtimer aus- und in den
schnellen Formel-1-Boliden einsteigen.
({8})
Wir müssen auch den Treibstoff wechseln, weg von der
wirkungslosen freiwilligen Verpflichtung, die seit 2001
nur ein Stück Papier ist.
({9})
Ich sage ganz deutlich: Wenn die Unternehmen das, was
sie damals unter Kanzler Schröder unterzeichnet haben,
auch nur ansatzweise erfüllt hätten, würden wir heute
nicht über dieses Thema sprechen.
({10})
Aber die Unternehmen haben bis 2010 nichts getan. Es
gibt da ein Sprichwort:
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn
er dann die Wahrheit spricht.
({11})
Diese Diskussion haben nicht wir zu verantworten, sondern die Unternehmen, die sich nicht an ihre eigenen
Zusagen, an die schriftlich gegebenen Versprechen, gehalten haben; sie haben sich diese Diskussion selber zuzuschreiben.
({12})
Am Ziel sollen mindestens 30 Prozent Frauen in den
Spitzengremien der börsennotierten Unternehmen vertreten sein. Frauen in den Chefetagen bringen den Unternehmen Erfolg. Sie sind ein Wettbewerbsvorteil. Das beweisen zahlreiche Studien. Ich weiß, dass jetzt jeder die
Studie herausholt, die ihm gerade passt. So werden Experten zu Kronzeugen. Ich habe auch einen Kronzeugen,
nämlich das renommierte Beratungsunternehmen Ernst &
Young. Dessen Analyse ergab, dass Unternehmen mit
Vorständen, in denen Frauen vertreten sind, beim Umsatz um 20 Prozent, beim Gewinn um 22 Prozent und
beim Börsenwert um 7 Prozent besser sind als Unternehmen ohne Frauen im Vorstand. Das sind doch Signale,
die verstanden werden müssen.
({13})
Das macht deutlich: Es geht hier ganz konkret darum,
wirtschaftliche Potenziale zu nutzen und Wettbewerbsnachteile für unsere Unternehmen in Deutschland, aber
möglicherweise auch in der Europäischen Union zu verhindern.
Wer jetzt sagt, wir hätten nicht genügend erfahrene
weibliche Kandidaten, der verschließt die Augen vor der
Wirklichkeit. Kienbaum oder Headhunter wie Heiner
Thorborg haben festgestellt: Wenn die Unternehmen
wirklich Frauen finden wollen, dann finden sie diese
Frauen auch in Deutschland. - Es gibt also genügend
Frauen, die können und wollen. Dass die Chefetagen
dennoch unter einem Frauenmangel leiden, zeigt doch,
dass Leistung, Kompetenz und Einsatz nicht immer ausreichen, um die Tür zu Führungspositionen aufzustoßen.
Was anscheinend reicht, sind - außer Kompetenz und
Leistung - Netzwerke und Seilschaften. Da sind die Old
Boys halt routinierter und erfahrener. Aber ich verspreche Ihnen: Wir lernen.
({14})
Lassen Sie mich zum Schluss eines sagen: Es macht
keinen Sinn, dass wir uns gegenseitig Fehler vorhalten.
Hier sitzen einige, die 2001 aus Angst oder aus Disziplin
- wie auch immer - verhindert haben, dass es ein entsprechendes Gesetz gibt, und hier sitzen welche, die
möchten kein Gesetz. Sich gegenseitig Naivität und Passivität vorzuwerfen, bringt gar nichts.
({15})
Wir sollten nach vorne sehen und dafür sorgen, dass die
Frauen in unserem Land, egal in welchem Bereich,
Chancen haben.
Vielen Dank.
({16})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Eva
Högl das Wort.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin
Pawelski, das war eine mutige Rede.
({0})
Ich hoffe, dass viele aus den Koalitionsfraktionen Ihre
Rede gehört haben und sich daran bei der weiteren Beratung über das Thema Frauenquote orientieren. Dafür
wünsche ich Ihnen persönlich, aber auch im Namen meiner Fraktion viel Erfolg.
Wir wollen etwas erreichen für die Frauen in unserem
Land. Deshalb eignet sich dieses Thema überhaupt nicht
- Frau Pawelski hat es angesprochen -, um in einem permanenten Parteien-Hickhack zerrieben zu werden. Wir
wollen, dass Frauen in Führungspositionen kommen,
und suchen gemeinsam nach dem richtigen Weg. Wenn
wir feststellen, dass Selbstverpflichtungen nichts bringen, dann müssen wir zu einer gesetzlichen Regelung
kommen.
({1})
Herr Staatsminister Link, da Sie heute hier anwesend
sind: Seien Sie bitte so freundlich und übermitteln Sie
uns das Papier, über das wir heute reden.
({2})
Wir können sonst nur auf der Basis von Spekulationen
diskutieren. Ich habe heute schon bei Ihnen angerufen,
das Papier aber leider nicht bekommen, obwohl wir
sonst einen guten Austausch haben. Übermitteln Sie es
uns bitte, dann wissen wir, auf welcher Grundlage wir
hier diskutieren.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle haben ein
Interesse daran, dass deutsche Unternehmen im Wettbewerb gut aufgestellt sind, und zwar nicht nur im europäischen Binnenmarkt, sondern weltweit. Es ist sonnenklar
- das möchte ich noch einmal bekräftigen -: Es gibt keinen Widerspruch, keine Differenz zwischen wirtschaftlichem Erfolg im Wettbewerb und der Gleichberechtigung
von Frauen und Männern. Im Gegenteil: Je mehr Gleichstellung, je mehr Gleichberechtigung, umso erfolgreicher sind die Unternehmen.
({4})
Das belegen nicht nur Studien. Wir führen auch zunehmend eine Debatte über Standortentscheidungen. Wir
alle wissen: Gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mehr
Frauen in Führungspositionen - das zeigt die aktuelle
Debatte über die Regelung in Spanien - werden zunehmend zum Kriterium für wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen und damit für die Standortentscheidung, und
das ist gut so.
Es handelt sich um ein europäisches Thema; denn wir
hatten diese Debatte schon bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, nämlich als der
Art. 119 formuliert wurde, der gleiches Entgelt für gleiche Arbeit vorsieht. Dieser Artikel wurde in den europäischen Vertrag aufgenommen, weil Frankreich der
Auffassung war, dass es im Zusammenhang mit der geringeren Bezahlung von Frauen keinen unzulässigen
Wettbewerb geben darf, und dies als Problem der gleichen Wettbewerbsbedingungen angesehen hat. Wir wollen keinen Wettbewerb auf der Basis von Niedriglöhnen
und der Diskriminierung von Frauen. Das sind unsere
Prinzipien in Europa. Deswegen bewundere ich es sehr,
wenn einzelne Länder voranschreiten und das zum Kriterium in Europa machen. Es ist peinlich und ein Skandal, dass die deutschen Unternehmen hier nicht viel fortschrittlicher und an der Spitze der Bewegung sind.
({5})
Herr Heider, Sie haben das Vergaberecht falsch verstanden, wenn ich das so offen sagen darf. Wir haben im
europäischen Vergaberecht ganz klare Regeln. Soziale
Kriterien können zum Ausgangspunkt für Vergabeentscheidungen genommen werden; das hat der EuGH
bestätigt. Daran orientieren sich die anderen Mitgliedstaaten. Es ist ein Trauerspiel, dass die deutsche Bundesregierung diese europäischen Vorgaben bisher noch
nicht umgesetzt hat.
({6})
Ich darf Sie - wir regieren ja gemeinsam in Berlin - an
ein gutes Beispiel aus Berlin erinnern. Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben - das haben wir gemeinsam getan; vielleicht schauen Sie sich das einmal an -:
Die Darlegung von Frauenfördermaßnahmen bleibt
ein wichtiges Kriterium bei der öffentlichen Auftragsvergabe.
({7})
Wir haben eine entsprechende Regelung im Landesgleichstellungsgesetz. Vielleicht schauen Sie sich das
einmal an. Ich glaube, man kann nicht sagen, dass die
Berliner Unternehmen nicht wettbewerbsfähig sind. Wir
haben das gemeinsam vereinbart. Vielleicht ist das ein
gutes Beispiel für eine bundesweite Regelung im Vergaberecht.
({8})
Die deutschen Unternehmen hätten längst etwas tun
können. Wenn sie jetzt Wettbewerbsnachteile haben,
dann bedauere ich das ganz ausdrücklich. Aber die freiwillige Vereinbarung ist bereits elf Jahre alt. Sie hätte
längst erfüllt werden können; es hätte längst etwas getan
werden können. Ich fordere Sie von den Koalitionsfraktionen auf: Helfen Sie den deutschen Unternehmen auf
die Sprünge! Sorgen Sie dafür, dass sich die Unternehmen, wenn sie es nicht selbst tun, an die Spitze der Bewegung stellen, in Europa eine fortschrittliche Politik
machen, Frauen in Führungspositionen befördern und so
wettbewerbsfähig sind!
Die SPD-Fraktion hat einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Ich denke, das ist eine gute Basis für Gespräche über die
Fraktions- und Parteigrenzen hinweg, wie Sie dies angesprochen haben, Frau Pawelski. Ich würde mich sehr
freuen, wenn wir auf dieser Basis zu einer Einigung kämen. Ich fordere alle auf, die jetzt noch dagegen sind:
Kommen Sie aus Ihrem Bremserhäuschen heraus! Gehen Sie nach vorne! Frauenpolitik ist etwas, womit man
moderne Politik machen kann. Ich glaube, wir würden
da ein ganzes Stück für die Frauen in unserem Land nach
vorne kommen.
Herzlichen Dank.
({9})
Die Kollegin Miriam Gruß hat nun für die FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir sind die Letzten, die Wettbewerbsnachteile
nicht abbauen wollten.
({0})
Aber sich aus einer Nichterfüllung der Frauenquote ergebende Wettbewerbsnachteile sehen wir weiß Gott
nicht.
Ich darf vielleicht aufklären, worüber wir in dieser
Aktuellen Stunde reden. Wir reden de facto über einen
Vermerk, den zwei Rechtsreferendare auf eigene Initiative verfasst haben,
({1})
ohne dass er genehmigt oder offiziell nach draußen gegeben worden ist.
({2})
Ich darf Ihnen die Informationen aus dem Auswärtigen
Amt kundtun, weil der Herr Staatsminister keine Möglichkeit hat, hier zu sprechen.
({3})
- Nehmen Sie das einfach an. - Jeder, der dieses Papier
haben möchte, kann es gerne haben und darf sich Zugang zu diesem Papier verschaffen.
({4})
Darüber reden wir heute. Deswegen haben wir jetzt hier
einen Riesenaufschrei. Ich sehe allerdings nicht solche
Wettbewerbsnachteile in Deutschland.
Schauen wir uns einmal die Fakten an
({5})
- hören Sie mir doch endlich einmal zu, welche Fakten
ich hier vortrage! -:
({6})
Wir haben die höchsten Beschäftigungszahlen, nämlich
2,25 Millionen mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als unter Rot-Grün. Wir haben 1,8 Millionen weniger Arbeitslose als zur Zeit von Rot-Grün.
({7})
Wir haben die Zahl der Kinder, die in Armut leben, um
ein Fünftel verringert. Das sind die Fakten! Das ist der
Unterschied zu Rot-Grün!
({8})
Und der Export boomt.
({9})
2011 haben wir Waren im Wert von 1 Billion Euro exportiert. Ich sehe keine Nachteile für die Wirtschaft in
Deutschland. Der deutschen Wirtschaft geht es gut, weil
wir einen guten ordnungspolitischen Kompass haben.
({10})
Wir halten die Freiheit nach wie vor hoch, die Freiheit
für die Unternehmen in Deutschland. Wir glauben nicht,
dass starre Personalquoten den Unternehmen irgendeinen Vorteil verschaffen würden. Wenn die Unternehmen eigene Quoten einführen wollen, dann können sie
das ja gerne machen. Daraus können sie auch gerne Vorteile ziehen. Wir glauben aber nicht, dass eine flächendeckende Personalquote für deutsche Unternehmen zu
deren Wohl wäre. Wir glauben, das würde ihnen die Luft
zum Atmen nehmen.
({11})
Das wäre zu ihrem Nachteil.
({12})
Ja, auch wir sind für mehr Frauen in Führungspositionen. Es bringt aber nichts, hier ständig diese Debatten zu
führen. Es muss sich etwas in den Köpfen ändern.
Weil Frau Ploetz gesagt hat, hinter jeder erfolgreichen
Frau stehe ein Mann, der die Quote einführen wolle,
({13})
sage ich: Hinter mir steht ein Mann, mein Mann, der zu
Hause bleibt.
({14})
Wir müssen die Stereotypen aufbrechen. Die Stereotypen in den Köpfen müssen sich wandeln. Die Männer
müssen genauso selbstverständlich Familienzeiten nehmen können, ohne stigmatisiert zu werden,
({15})
wie Frauen arbeiten können müssen - dafür kämpfen wir
hier -,
({16})
ohne stigmatisiert zu werden und ohne den Stempel
„Rabenmutter“ aufgedrückt zu bekommen.
({17})
Das entscheidet über das Wohl und Wehe der Personalpolitik in den nächsten Jahren. Diese Stereotypen müssen sich auflösen.
Wir müssen weiter daran arbeiten, die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie zu verbessern. Diesbezüglich hat
sich Nordrhein-Westfalen in den letzten zwei Jahren, in
denen es von Rot-Grün regiert wurde, nicht gerade mit
Ruhm bekleckert.
({18})
Ganz nebenbei: Laut BDA-Zahlen hat sich etwas gewandelt. Auch Frau Pawelski hat es gesagt: Es ist etwas
im Wandel. Die Zahl der Frauen in Führungspositionen
hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Ja, wir
sind dafür, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Wir
sind aber auch dafür, die unternehmerische Freiheit zu
wahren. So haben wir jede Krise in Deutschland gemeistert. Das werden wir auch in Zukunft tun.
({19})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Dr. Tobias Lindner das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich bin mit einer Frau verheiratet - ({0})
- Sie wird sich freuen, dass Sie klatschen. Das ist aber
nicht das Argument. - Ich bin mit einer Frau verheiratet,
die Karriere machen möchte.
({1})
Ich bin mit einer Frau verheiratet, die mich als Mitglied
im Haushaltsausschuss nach der Bereinigungssitzung zu
Hause mit einem Wischmopp begrüßt hat. Sie hat gesagt: Schatz, du hast eine sitzungsfreie Woche - Bereinigungssitzung in dieser Wohnung ist auch mal wieder
notwendig.
({2})
Wenn Kollegen wie Herr von Polheim Begriffe wie
„goldene Röcke“ verwenden, dann ist das eine bodenlose Unverschämtheit gegenüber Frauen wie meiner
Gattin. Das wird nur noch dadurch getoppt, dass der
Kollege, nachdem er eine solche Rede hier im Bundestag gehalten hat, aus dem Plenarsaal geflüchtet ist.
({3})
Die Bundesfrauenministerin sagt, eine Selbstverpflichtung reiche aus. Frauen wollten kein Mitleid, sondern eine faire Chance. Das ist die Welt, die Kristina
Schröder oder Herr von Polheim gerne hätten. Aber sind
wir doch einmal ehrlich; schauen wir uns an, was in den
letzten zehn Jahren beim Thema Frauen in Führungspositionen geschehen ist. Ihre Vorstellungen grenzen
schon fast an Wunderheilung und Wunschdenken. Wenn
man berücksichtigt, dass mehr Frauen als Männer an
Universitäten erfolgreich ein Studium beenden und dabei meist schneller und erfolgreicher sind als Männer,
muss man sich umschauen und fragen: Was ist mit einer
Promotion? Was ist mit einer Habilitation? Was ist mit
Frauen in Führungspositionen? Eigentlich gibt es nur
zwei Thesen: Entweder werden Frauen nach dem Abschluss ihres Studiums dümmer und unfähiger, und es
gibt irgendeinen Bruch, oder es gibt andere Gründe.
Die Welt, die Sie gerne hätten, ist die Welt der Selbstverpflichtung. Schauen wir uns das einmal an: In den
letzten zehn Jahren ist die Frauenquote in DAX-Vorständen von 2,5 auf 3,7 Prozent gestiegen. Dies ist - ähnlich
verhält es sich mit der FDP - statistisch kaum messbar.
({4})
Die Welt ist leider nicht so, wie Sie sie gerne hätten.
Wenn Sie nichts tun, dann wird der Riss zwischen der
Welt, die Sie gerne hätten, und der Realität nur noch größer. Das wird dann massive Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland und auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft haben.
Es gibt im Wesentlichen zwei Argumente, die man
- unabhängig davon, ob man diesen Vermerk kennt oder
nicht - sehr leicht nachvollziehen kann. Ich habe vor
fünf Jahren mein Studium beendet. Wenn ich mit Kommilitoninnen von damals rede und sie frage, was sie jetzt
beruflich machen, dann höre ich oft: Ich bin zu einem
ausländischen Unternehmen gegangen. Wenn ich nach
den Gründen dafür frage, bekomme ich unter anderem
als Antwort: In deutschen Unternehmen ist es für mich
als Frau schwer, in eine Führungsposition zu kommen.
Ausländische Unternehmen sind hinsichtlich der Kinderbetreuung und verpflichtender Quoten weiter. Ich habe
Angst, dass ich in Deutschland keine Karriere machen
kann. - Das ist ein Teil der Realität.
({5})
Ein anderes Argument ist: Wenn wir uns in Europa
umschauen, sehen wir, dass fünf Länder bereits eine
Frauenquote eingeführt haben. In vielen Ländern ist die
Diskussion viel weiter als in Deutschland, nicht nur in
der Politik und der Rechtslage, sondern auch in der Gesellschaft. Wenn in solchen Ländern Aufträge vergeben
werden, sei es durch die öffentliche Hand oder durch private Unternehmen, besteht die Gefahr, dass es für deutsche Unternehmen immer mehr zum Wettbewerbsnachteil wird, dass zu wenige Frauen in Führungspositionen
sind. Beispielsweise hat die Deutsche Telekom ihren
Frauenanteil im Vorstand erhöht; denn sie steht in Konkurrenz zur spanischen Telefónica, die in dieser Hinsicht
schon viel weiter ist. Diesen Zustand müssen wir beenden, und zwar durch eine gesetzliche Frauenquote.
({6})
Europa ist viel weiter; das habe ich schon gesagt. Wir
erleben in dieser Debatte Stereotypen, wie wir sie bei anderen Themen in der Europapolitik gewohnt sind. Zuerst
dementiert die Bundesregierung, dass sie etwas will.
Dann dementiert sie es entschieden und härter, und dann
- schauen Sie sich nur die Euro-Debatte an - knickt die
Bundesregierung ein. Meine Damen und Herren von der
Koalition, für die Frauen und für die Unternehmen in
Deutschland müssen Sie sich nicht einmal einen Ruck
geben. Uns würde genügen, wenn Sie bei diesem Thema
einknicken.
Vielen Dank.
({7})
Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Peter Tauber
für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht würden wir im Laufe der Woche gar nicht über die
Maßnahmen zum ESM diskutieren, vielleicht hätten wir
die Finanz- und Wirtschaftskrise so gar nicht erlebt,
wenn in der Politik und in der Finanzwirtschaft in
Europa in der Vergangenheit mehr Frauen Führungsverantwortung getragen hätten.
({0})
Dieses Argument hört man immer wieder. Wenn man
weiß, wie unterschiedlich Männer und Frauen, die in
Unternehmen und in der Politik Verantwortung tragen,
teilweise agieren und reagieren, dann, glaube ich, kann
man dieses Beispiel nicht ohne Weiteres vom Tisch wischen.
Ich habe deshalb großes Verständnis für diejenigen,
die enttäuscht sind, dass die Wirtschaft die freiwillige
Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den
Spitzenverbänden der Wirtschaft nicht eingehalten hat.
Die Frage, ob die Tatsache, dass der damals amtierende
Bundeskanzler das Thema als „Gedöns“ abgetan hat, geholfen hat oder nicht,
({1})
soll nicht Gegenstand der Debatte sein.
({2})
- Man darf es durchaus sagen, weil es eines dokumentiert.
({3})
Es dokumentiert, dass sich die Wahrnehmung dieser Debatte verändert.
({4})
Eines kann man, glaube ich, sagen: Diejenigen, die damals engagiert für dieses Thema gekämpft haben, haben
nicht die Aufmerksamkeit in unserem Land bekommen,
die es heute für dieses Thema gibt. Das hat damit zu tun,
dass sich gesellschaftliche Veränderungsprozesse - zu
unserem Bedauern; aber wir müssen die Wirklichkeit
nun einmal so betrachten, wie sie ist - zum Teil sehr
langsam einstellen.
Das beste Beispiel ist das Elterngeld. Vor wenigen
Jahren hieß es noch: Das macht doch keiner. Man wird
schief angesehen, wenn man als junger Vater zum Chef
geht und sagt: Hör mal zu, ich will ein paar Vätermonate
nehmen. - Diese Debatte gibt es nicht mehr. Ich kann
bestätigen - ich weiß das aus meinem eigenen Freundeskreis -: Es gibt große Akzeptanz, wenn junge Väter auf
diese Art und Weise Verantwortung für ihre Familie
übernehmen wollen.
({5})
Das ist ein Beispiel dafür, wie langsam - viel zu langsam diese Veränderungsprozesse manchmal verlaufen.
({6})
Wenn Sie sich die Zahlen von Women on Boards anschauen, stellen Sie fest: Innerhalb eines Jahres kam es,
was den Anteil von Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen von MDAX-, SDAX-, TecDAX- und DAX-Unternehmen angeht, zu einer Steigerung von 6 Prozent auf
knapp über 8 Prozent. Das ist eine Zahl, die uns nicht zufriedenstellen kann. Wenn Sie sich die Zahlen genauer
anschauen, stellen Sie aber fest, dass sich etwas verändert hat. In 6 der über 100 Unternehmen, die dort gelistet
sind, ist der Anteil der Frauen leider sogar gesunken.
({7})
Aber in 55 Unternehmen - das ist mehr als die Hälfte ist der Anteil der Frauen gestiegen, zum Teil sogar deutlich.
Ich bin ein Anhänger des Prinzips, diejenigen, die etwas gut machen, zu loben, und diejenigen, die etwas
nicht gut machen, beim Namen zu nennen.
({8})
Das will ich gerne anhand von zwei Beispielen tun.
Wenn die Douglas Holding AG einen Anteil von Frauen
in Führungsgremien von über 33 Prozent hat, dann ist
das gut;
({9})
ihr Anteil kann vielleicht sogar noch ein bisschen höher
sein, aber das ist schon einmal gut. Wenn Kabel
Deutschland den Anteil von Frauen in Führungsgremien
innerhalb eines Jahres von 12 auf über 20 Prozent gesteigert hat, dann ist auch das gut. Wenn aber Unternehmen
wie Tom Tailor oder SMA Solar Technology einen Anteil von Frauen in Führungsgremien von sage und
schreibe null Prozent haben, dann ist „nicht gut“ wahrscheinlich nicht die treffende Umschreibung für diesen
Zustand, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Ich finde, Schuldzuweisungen helfen uns am Ende
des Tages nicht weiter. Es wurden in Treu und Glauben
Vereinbarungen mit der Wirtschaft unterzeichnet, und
man hat darauf gehofft, dass sich die Wirtschaft daran
hält. Das kann ich niemandem vorwerfen. Zur Wahrheit
gehört aber auch, dass wir in der gesellschaftlichen Debatte, auch was die Einsicht in die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen betrifft - das Beispiel Telekom
ist mehrfach genannt worden -, mittlerweile viel weiter
sind. Die Unternehmen haben mittlerweile erkannt, dass
sie nicht etwas tun, was die Politik ihnen diktiert, sondern dass sie sich selber einen großen Gefallen tun,
wenn sie Frauen Führungsaufgaben übertragen. Diesen
Wandel in den Köpfen müssen wir hinbekommen, damit
es nicht heißt: „Jetzt trifft die Politik eine Entscheidung,
und wir setzen sie um“, sondern alle sagen: „Das ist genau der richtige Weg. Das funktioniert.“
({11})
Ich erlebe das am eigenen Leib. Ich habe um mich herum nur Frauen in Führungspositionen. Meine Arbeitsgruppe wird von einer Frau geleitet, von Dorothee Bär,
und ich kann damit sehr gut leben. Ich bin sehr froh, dass
ich mit ihr jemanden habe, der mich leitet und an die
Hand nimmt.
({12})
Das Ministerium wird von einer Frau geleitet, von
Kristina Schröder, und ich glaube, dass sie das gut
macht.
({13})
Auch die Bundesregierung wird von einer Frau geleitet,
({14})
und ich glaube, Angela Merkel ist die richtige Bundeskanzlerin. Das alles funktioniert ohne Quote.
({15})
Das zeigt, dass dies auch eine Frage der inneren Einstellung ist. Wir haben die richtige Einstellung. Wenn die
Wirtschaft sie nicht hat und die notwendigen Maßnahmen nicht rechtzeitig ergreift, dann muss das Damoklesschwert, das über den Unternehmen schwebt, am Ende
des Tages dazu führen, dass wir eine gesetzliche Regelung in Form eine Quote haben. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Trotzdem glaube ich: Besser funktioniert
eine Gesellschaft über Einsicht und innere Überzeugung.
Diesen Weg müssen wir weitergehen.
Herzlichen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Ingo Egloff für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben in dieser Debatte Argumente gehört,
die wir schon aus den letzten Debatten kennen. Herr
Heider, wir können uns natürlich über das Thema Vergaberecht streiten. Wir können auch überlegen, ob das,
was Sie gesagt haben, geht oder nicht. Aber Fakt ist,
dass das Auswärtige Amt die genannte Befürchtung in
einem Vermerk geäußert hat. Hier heißt es zwar, er sei
lediglich von zwei Referendaren verfasst worden. Wenn
die Rheinische Post diese Aussage am 24. März dieses
Jahres veröffentlicht hat und das Auswärtige Amt eine
andere Rechtseinschätzung hat, dann verstehe ich nicht,
warum nicht längt öffentlich gemacht worden ist, dass
die Rechtseinschätzung, die anscheinend im Namen des
Auswärtigen Amts verteilt worden ist, nicht zutreffend
ist. Das hätte doch schon lange passieren können.
({0})
Im Übrigen - darauf ist schon hingewiesen worden haben zehn EU-Länder Frauenquoten für Unternehmen
beschlossen. Es nützt überhaupt nichts, dass Frau Ministerin Schröder sich hinstellt und sagt: Die EU darf das
gar nicht regeln. - Hier ist schon auf die Römischen Verträge von 1957 hingewiesen worden. Natürlich kann die
EU das regeln. Wenn diese zehn EU-Länder dies in ihren
Vergabegesetzen, wenn sie denn welche haben, zu einem
Kriterium der Auftragsvergabe für öffentliche Aufträge
machen, dann werden wir das erst einmal hinzunehmen
haben. Wenn deutsche Unternehmen dieses Kriterium
nicht erfüllen, dann haben sie ein Problem.
({1})
Wir sind die Exportnation Nummer eins im Bereich Maschinenbau und in anderen Bereichen. Auf solche
Märkte müssen wir uns eben einstellen.
({2})
Ich bin ein großer Freund von freiwilligen Selbstverpflichtungen, wenn sie denn funktionieren. Die, die hier
vereinbart und beschlossen worden ist, funktioniert aber
seit zehn Jahren nicht, sonst hätten wir doch schon ganz
andere Verhältnisse haben müssen. Deshalb bin ich der
Auffassung, dass der Staat an dieser Stelle handeln muss.
Er muss hier durchsetzen, was das Grundgesetz verlangt:
die Benachteiligung im Verhältnis der Geschlechter abzubauen und Ungleichbehandlungen in der Gesellschaft
zu verhindern. Das ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber.
({3})
Die EU-Kommissarin Viviane Reding, beileibe keine
Sozialdemokratin oder Grüne, sondern Mitglied der konservativen Christlich-Sozialen Volkspartei, hat drei Argumente dafür genannt, warum es für die Wirtschaft klug
ist, Frauen in Führungsfunktionen zu bringen: Das Erste
hat auch Frau Pawelski schon benannt: Eine Reihe internationaler Studien von renommierten Instituten und Wirtschaftsberatungsunternehmen - das waren Ernst & Young,
McKinsey und andere - hat gezeigt, dass Unternehmen,
die auch von Frauen geführt werden, erfolgreicher sind.
Sie haben auf die Zahlen hingewiesen. Das belegen
diese Studien. Das zweite Argument, das sie benennt, ist:
60 Prozent der Hochschulabsolventen sind weiblich. Das
dritte Argument, das in dieser Debatte überhaupt noch
keine Rolle gespielt hat, ist: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen zu Ende.
Wenn man das letzte Argument betrachtet: Die Unternehmen sind schlecht beraten, auf den Teil der Bevölkerung zu verzichten, der in der Regel die besseren Examina macht.
({4})
Die Konkurrenz um gute Köpfe wird entscheidend dazu
beitragen, ob deutsche Unternehmen in Zukunft noch
konkurrenzfähig sind. Wer das nicht verstanden hat und
nicht dafür sorgt, der hat seinen Job nicht richtig verstanden und wird am Ende zum Schaden der deutschen Wirtschaft handeln.
({5})
Deshalb ist es wichtig, die Strukturen jetzt aufzubrechen, wenn man in Zukunft erfolgreich sein will. Da die
jetzt in den Unternehmen regierenden 55- bis 65-jährigen Männer anscheinend nicht in der Lage dazu sind,
selbst das Steuer herumzuwerfen, weil sie in anderen
Strukturen groß geworden sind, müssen wir als Gesetzgeber sie schon im Interesse der Zukunftsfähigkeit der
deutschen Wirtschaft dazu zwingen.
({6})
Das ist also nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit und
der Umsetzung von Art. 3 des Grundgesetzes, sondern
das ist auch ein Gebot ökonomischer Klugheit, ein Gebot der Wahrung der Zukunftschancen der deutschen
Wirtschaft.
Herr Dr. Lindner, deshalb verstehe ich überhaupt
nicht, dass die FDP, die sich ja immer als Wirtschaftspartei geriert, hier die Augen vor der Zukunft verschließt.
({7})
Dass Frau Ministerin Schröder keine Ahnung davon hat,
mag an ihrer politischen oder beruflichen Biografie liegen, weil sie nie irgendetwas mit Wirtschaft zu tun hatte;
aber da Sie sagen, Sie seien die Partei der Wirtschaft,
müssten Sie sich dieser Problematik anders stellen, als
Sie das hier im Moment tun.
Wenn Sie uns als Sozialdemokraten oder den Grünen
oder den Linken in diesem Punkt nicht glauben, dann
glauben Sie wenigstens einer Konservativen wie Viviane
Reding. Sie hat das Nötige dazu gesagt. Lesen Sie das
noch einmal nach! Dann sind wir auf dem richtigen
Weg.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Elisabeth WinkelmeierBecker für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Anlass der heutigen Aktuellen Stunde ist die Studie des
Auswärtigen Amtes. Ich habe sie auch nicht bekommen.
Die Zeitungen haben sie anscheinend.
({0})
Ich hätte sie auch gerne und würde mir wünschen, dass
Sie uns sie zuleiten, damit man sie sich einmal anschauen kann.
Ich muss sagen: Ich nehme es der Fraktion der Grünen nicht richtig ab, dass es die Wettbewerbsfähigkeit
der Unternehmen ist, die sie hier so umtreibt.
Wo ist denn das Problem? Die Chancen der Unternehmen steigen nicht deshalb, weil wir hier eine gesetzliche
Quote hätten, sondern sie steigen, wenn die Unternehmen mehr Frauen in ihre Führungspositionen bringen.
Das liegt aber an dem jeweiligen Unternehmen. An dieser Stelle muss ich der Logik der FDP in der Tat recht
geben.
({1})
Ich nehme es Ihnen auch deshalb nicht ab, weil Sie
dann konsequenterweise den Wirtschaftsminister hätten
zitieren müssen, aber nicht die Frauenministerin.
({2})
Wenn es Ihnen in diesem Zusammenhang primär um die
Wirtschaft ginge,
({3})
dann hätten Sie das an dieser Stelle konsequent durchziehen müssen.
Zwischenergebnis: Es geht Ihnen darum, dies zum
Aufhänger zu nehmen, um über die Frauenquote zu sprechen. Das nehme ich Ihnen aber nicht übel. Also nehme
ich diese Chance gerne wahr.
Wenn man die öffentliche Diskussion der vergangenen Wochen und Monate in den Medien verfolgt, dann
fällt auf, dass gerade Entwicklungen in der Union - im
wahrsten Sinne des Wortes - im Fokus stehen, und das
auch zu Recht. Denn das, was real erreichbar ist, was
sich an diesem Punkt wirklich ändern kann, wird maßgeblich von meiner Fraktion mitbestimmt. Vielleicht ergeben sich hier Entwicklungen, die auch zu realen Mehrheiten führen können.
Meinen Standpunkt habe ich hier schon des Öfteren
dargelegt, er ist auch unverändert so. Mein Standpunkt
entspricht im Wesentlichen dem, was wir in der Berliner
Erklärung formuliert haben, für die ich bei dieser Gelegenheit weiter werben möchte. Ich halte es nach wie vor
für richtig, einen verbindlichen Frauenanteil von mindestens 30 Prozent in Aufsichtsräten mit einer angemessenen Übergangsfrist bis 2018 zu fordern.
Etliche Kolleginnen und auch einige Kollegen haben
mittlerweile diese Erklärung unterschrieben. In den vergangenen Wochen und Monaten gab es immer mehr Äußerungen, die ein Umdenken zeigten. Ich denke, das ist
nicht das erste Thema, bei dem es zu einem Umdenken
in meiner Fraktion kommt.
({4})
Als Volkspartei, die zu sein wir für uns in Anspruch
nehmen, steht uns das auch sehr gut an. Genau solche
Prozesse brauchen wir manchmal. Da bin ich sehr stolz
auf meine Partei.
({5})
Ich möchte die Zeit nutzen, um für diesen Prozess zu
werben. Neben der wirtschaftlichen Bedeutung, die dieses Thema durchaus hat, wie viele Frauen in Führungspositionen sind, möchte ich ein paar Punkte ansprechen,
die vielleicht auch meine Kollegen noch überzeugen.
Der erste Aspekt betrifft die Wahlfreiheit, die uns sehr
am Herzen liegt. Für mich ist in diesem Zusammenhang
die Bedeutung der Quote ganz wichtig. Denn für die
Frage, ob sich jemand bereit erklärt, auf Zeit Sorgearbeit
wahrzunehmen, ein oder zwei Jahre aus dem Beruf auszuscheiden, ist ganz entscheidend, ob er oder sie glaubt,
dass man hinterher wieder an dieser Stelle weitermachen
kann, ohne berufliche Chancen verloren zu haben.
({6})
Gerade in diesem Zusammenhang ist es ganz wichtig,
dass wir Strukturen haben, die das unterstützen und die
auch zu garantierten Ergebnissen führen. Genau das
würde eine gesetzliche Mindestanteilsquote mit unterstützen und fördern.
({7})
Dies entspricht insbesondere dem Sinne der Wahlfreiheit, dass jemand den Mut hat, zu Hause zu bleiben,
ohne hinterher auf Dauer dafür bestraft zu werden, dass
man Sorgearbeit übernommen hat.
({8})
Zum zweiten Aspekt. Wir brauchen in der Tat eine
verbindliche Regelung. Bleiben wir bei der Freiwilligkeit, dann bleiben die Verantwortlichen freiwillig beim
Status quo. Das ist ganz klar.
({9})
Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, die durchgängig verbindlich ist. Verbindlichkeit ist nur so stark, wie
jedes Glied in der Kette verbindlich ist. Es reicht nicht,
verbindliche Sanktionen an eine freiwillige Selbsteinschätzung anzuknüpfen.
({10})
Das macht so viel Sinn, als wenn man eine Steuerpflicht an eine Selbsteinschätzung knüpft und Sanktionen vorsieht, wenn man diese selbstgesetzte Verpflichtung nicht einhält. Dabei geht das eine Unternehmen
mutig voran und schätzt sich hoch ein, verfehlt dieses
Ziel dann und muss deshalb mit Sanktionen rechnen. Ein
anderes Unternehmen springt nur so hoch, wie es muss,
schafft das auch und wird gelobt, und das hat keine Konsequenzen. Das führt zu ungerechten Ergebnissen. Deshalb müssen alle Stufen der Regelung verbindlich sein.
({11})
Dritter Aspekt. Die Frauenquote ist kein Thema nur
für Eliten. Es geht nicht darum, dass hier einige hochqualifizierte Frauen gegen Ende ihres beruflichen Lebens noch einmal die Chance auf eine bessere, bisher
verpasste Position bekommen, sondern es geht darum,
insgesamt ein Umdenken zu fördern, die Einstellung gegenüber Frauen in verantwortlichen Positionen zu verändern. Das ist ein viel umfassenderes Thema.
Wir haben insgesamt den Befund, dass Frauen vor allem dafür, dass sie Sorgearbeit übernehmen, berufliche
Nachteile hinnehmen müssen. Für die einen spielt sich
das beim Thema Minijob ab. Bei den anderen ist es die
Schwierigkeit, wieder in den Beruf einzusteigen. Insgesamt zeigen sich diese Nachteile in geringerer Entloh20190
nung für Frauen. Das Gender Pay Gap liegt nach wie vor
bei 23 Prozent.
All das sind Facetten ein und desselben Problems, das
wir umfassend auf allen Stufen angehen müssen, auch
beim Thema Frauen in Führungspositionen. Lassen Sie
uns darüber alle zusammen konstruktive Gespräche führen; da schließe ich mich meiner Kollegin Rita Pawelski
an.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 29. März 2012,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen Abend.