Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Wer Schulden bremsen will, muss Millionäre
besteuern
- Drucksache 17/8792 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Fraktion Die Linke der Kollege Dr. Gregor Gysi.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
FDP ist beim Thema Vermögensteuer wirklich reichlich
vertreten. Das liegt an der inneren Ablehnung, die da
herrscht.
({0})
Vor 15 Jahren wurde die Vermögensteuer ausgesetzt.
Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden, dass
die unterschiedliche Bewertung von Geldvermögen und
Grundvermögen nicht zulässig sei. Dieser Fehler sollte
korrigiert werden. Er ist nicht korrigiert worden. So lief
dann die Erhebung der Vermögensteuer aus. Wir treten
ganz energisch für eine Wiedererhebung ein.
({1})
Die Ungleichheit der Vermögensverteilung ist durch
massive Umverteilung von unten nach oben immer größer geworden, nicht nur in Deutschland, aber auch in
Deutschland. Ich nenne einmal ein Beispiel: Der VWChef Martin Winterkorn bezieht ein Jahreseinkommen
von 17,5 Millionen Euro.
({2})
Das ist etwa das Doppelte von dem, was Herr
Ackermann verdient. Da darf man sich als Erstes die
Frage erlauben, ob er wirklich doppelt so viel arbeitet
wie Herr Ackermann. Aber jetzt kommt das Entscheidende: Er verdient das Tausendfache eines Leiharbeiters
bei VW. Ich frage Sie: Glauben Sie im Ernst, dass er das
Tausendfache leistet? Auch sein Tag hat nur 24 Stunden.
({3})
Das heißt, das Ganze wird unvermittelbar.
Das Nettovermögen hier in Deutschland - Geld und
Immobilien - belief sich 2011 auf 8,2 Billionen Euro.
Das reichste Zehntel unserer Bevölkerung besitzt davon
61 Prozent; das sind 5 Billionen Euro. Die untersten
70 Prozent - was heißt hier eigentlich „untersten“? - besitzen unter 9 Prozent des Nettovermögens. Bei uns leben jetzt 830 000 Euro-Vermögensmillionäre; vor drei
Jahren waren es 720 000. Das heißt, während der Krise
ist die Zahl der Vermögensmillionäre um 110 000 gestiegen. Sie müssen der Bevölkerung einmal erklären, weshalb die Bevölkerung arm wird, aber die Vermögensmillionäre immer mehr und auch noch reicher werden.
({4})
Diese 830 000 Vermögensmillionäre in Deutschland
haben ein Gesamtvermögen von 2,2 Billionen Euro. Das
ist mehr als die Gesamtverschuldung des Bundes, der
Länder und der Kommunen, die bei nur 2 Billionen Euro
liegt.
({5})
Theoretisch könnte man das ausgleichen - das fordern
wir gar nicht -, aber eine angemessene Vermögensteuer
ist doch wohl das Mindeste, was man in diesem Zusammenhang leisten muss.
({6})
Unsere Milliardäre - es sind übrigens knapp über 100 haben ein Vermögen von 300 Milliarden Euro; das deckt
unseren gesamten Bundeshaushalt ab.
({7})
Ihr Vermögen steigt seit 2003 jährlich um 10 Prozent.
Für den öffentlichen Dienst verlangt Verdi nun eine
Lohnsteigerung von 6,5 Prozent. Und Sie sagen, das sei
unbezahlbar? Ich halte das in Anbetracht dieser Tatsachen für eine Unverschämtheit.
({8})
Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen stiegen seit 2000 um knapp 31 Prozent. Die Reallöhne fielen
in den letzten Jahren, bis 2010, um 4,5 Prozent, im Niedriglohnbereich sogar um bis zu 19 Prozent. Diese Umverteilung - das muss man klipp und klar sagen - haben
SPD und Grüne, dann Union und SPD und jetzt Union
und FDP organisiert, indem die Reichen steuerlich privilegiert wurden. Ich nenne Ihnen einige Beispiele: Aussetzung der Vermögensteuer 1997, Senkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer von 53 Prozent auf
42 Prozent. Früher musste man für Zins- und Kapitaleinkünfte Einkommensteuer bezahlen, das heißt, bei hohen
Einkünften 53 Prozent und dann abgesenkt wenigstens
42 Prozent. Auch das wurde nicht gehalten. Man hat für
solche Einkünfte die Abgeltungsteuer in Höhe von
25 Prozent eingeführt.
Es gibt einen Verein, in Hamburg gegründet, mit über
40 Mitgliedern - alles Vermögensmillionäre. Dieser Verein blamiert die Bundesregierung, indem er regelmäßig
fordert, endlich wieder Vermögensteuer bezahlen zu dürfen. Das müssen Sie sich einmal überlegen: Da setzen
sich über 40 Vermögensmillionäre zusammen und fordern das, und die Regierung sagt: Um Gottes willen!
({9})
- Ich will Ihnen ein Mitglied nennen: Peter Vollmer. Er
hat gesagt, dass er für seine verzinslichen Papiere und
Sparguthaben unter Kohl 53 Prozent bezahlen musste,
jetzt nur noch 25 Prozent. Er - nicht ich! - bezeichnete
Deutschland als ein Niedrigsteuerland für Reiche. Das
ist die Tatsache, mit der wir es zu tun haben!
({10})
Würden noch die Steuergesetze gelten, die unter Kohl
galten, hätten wir jährlich Mehreinnahmen von 51 Milliarden Euro.
Es gibt noch einen zweiten Grund. Die Konzentration
auf immer größere Vermögen hat die maßlose Spekulation und die Jagd nach immer höheren Renditen beflügelt. Vermögende konsumieren nicht mehr, sie investieren auch nicht mehr, wenn sie glauben, einfach durch
Spekulation aus Geld mehr Geld machen zu können.
Nur: Jemand muss das bezahlen. Diese Illusion ist zerplatzt und hat zur bisher schwersten Finanzkrise geführt.
Um die maroden Banken und Hedgefonds zu retten,
mussten sich die Staaten immer höher verschulden. Wer
kommt für die Verluste auf? Die Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler! Wir haben einen Rettungsschirm für die
Banken in Höhe von 480 Milliarden Euro. Sie kennen
die europäischen Rettungsschirme. Hier haftet Deutschland mit Bürgschaften und für Risiken in einer Gesamthöhe von 280 Milliarden Euro. Wer haftet letztlich dafür? Wer bezahlt das Ganze? Die Lohnabhängigen, die
Rentnerinnen, die Arbeitslosen, die Handwerker und die
kleinen und mittelständischen Unternehmer! Die Vermögenden bleiben ungeschoren.
Die Banken kennen überhaupt kein Risiko mehr; Profite verteilen sie, und Verluste werden den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern auferlegt. Das verletzt sogar
das Eigentumsrecht; denn man haftet auch für die Verluste seines Eigentums. Nicht einmal das kriegen Sie gebacken!
({11})
Deswegen sage ich Ihnen immer wieder: Die großen
Banken müssen verkleinert und öffentlich-rechtlich gestaltet werden.
Frau Merkel kennt beim Schuldenabbau immer nur
eine Medizin, nämlich Ausgabenkürzungen und Schuldenbremse. Warum kommen Sie eigentlich nie auf die
Idee, die Einnahmen zu erhöhen? Das wäre doch eine
selbstverständliche, zumindest zweite Methode.
({12})
Aber das tun Sie nicht; denn dann müssten Sie sich einmal mit der Privilegierung und der Verhätschelung der
Vermögensbesitzer auseinandersetzen
({13})
und sagen: Wir treiben das nicht weiter. - Es wäre vielleicht höchste Zeit.
({14})
Ich erinnere noch einmal daran: Nachdem Sie all das
gemacht haben, sagen Sie den Beschäftigten im öffentlichen Dienst: 6,5 Prozent Lohnerhöhung ist zu viel. Dieser Grad der Ungerechtigkeit ist nicht vermittelbar.
({15})
- Der Bundesinnenminister.
Wir brauchen eine Vermögensteuer von 5 Prozent
- da sehen Sie mal, wie radikal unsere Forderung ist auf Privatvermögen, das über 1 Million Euro liegt.
({16})
Mein Gott, davon ginge doch die Welt nicht unter! Aber
es brächte uns steuerliche Mehreinnahmen von jährlich
80 Milliarden Euro, die wir sehr sinnvoll für Bildung,
Kultur und soziale Gerechtigkeit ausgeben könnten.
({17})
Ich sage Ihnen zum Schluss: Wer hier kein Stück Gerechtigkeit einführt - wer unseren Antrag also ablehnt -,
macht sich mit sozialen Forderungen, mit Forderungen
nach mehr Bildung und nach mehr Kultur restlos unglaubwürdig.
({18})
Das Wort hat der Kollege Olav Gutting für die
Unionsfraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke fordert zum
wiederholten Mal,
({0})
zuletzt war es, glaube ich, 2010, die Wiedereinführung
der Vermögensteuer, und wir werden den Antrag auch
dieses Mal wieder aus guten Gründen zurückweisen.
({1})
Eine Steuererhöhungsmaßnahme mit Einnahmen - Sie
haben es vorhin gesagt - von jährlich 80 Milliarden Euro
zerschlägt Leistungsanreize und ist schädlich für unsere
Volkswirtschaft.
({2})
Mit der von Ihnen geforderten massiven Substanzbesteuerung - und das ist es - werden die Investitionen zurückgehen, eine Kapitalflucht wird einsetzen, Wachstum
wird zerstört, und Arbeitsplätze werden verschwinden.
Das ist für uns kein gangbarer Weg.
Es geht Ihnen in Wirklichkeit auch nicht um die
Rückführung der Staatsverschuldung.
({3})
Sie wollen die Schulden nicht bremsen; denn Sie planen
an anderer Stelle in Ihren Programmen Ausgaben, die
diese Einnahmen aus der Vermögensteuer um ein Vielfaches übertreffen.
({4})
Linke Politik, meine Damen und Herren, bedeutet immer
mehr Schulden. Das sehen wir gerade auch in Nordrhein-Westfalen.
({5})
Worum es Ihnen hier geht, ist: Sie wollen enteignen,
({6})
Sie wollen umverteilen, und Sie bedienen hier Neidkomplexe. Staatsfinanzen nachhaltig konsolidieren und
Schulden bremsen, das funktioniert anders. Hierzu
braucht man eine gesunde und starke Wirtschaft sowie
eine hohe Beschäftigungsquote.
({7})
Dazu, meine Damen und Herren, muss man dem Steuerzahler so viel belassen, dass es auch noch einen Leistungsanreiz gibt. Man muss ihm so viel belassen,
({8})
dass sich Leistung auch lohnt. Deshalb haben wir hier
auch unseren Vorschlag zum Abbau der kalten Progression eingebracht.
({9})
Allein im letzten Jahr sind die Steuereinnahmen um
40 Milliarden Euro gestiegen. 2013 werden wir in
Deutschland aller Voraussicht nach die Schallmauer von
über 600 Milliarden Euro Steuereinnahmen durchbrechen. 2013 über 600 Milliarden Euro Steuereinnahmen!
({10})
Wenn die Konjunktur weiter so gut läuft - dafür arbeiten
wir hier -, dann ist es machbar, dass wir schon 2014
überhaupt keine Neuverschuldung mehr haben werden.
({11})
Es ist einfach ein steuerliches Naturgesetz, dass eine
zu hohe Steuerlast letztendlich dazu führt, dass insgesamt weniger Steuern eingenommen werden.
({12})
Großbritannien hat das gerade erkannt und senkt den vor
kurzem angehobenen Spitzensteuersatz jetzt wieder ab.
Man hat gemerkt, dass ein hoher Spitzensteuersatz so
gut wie gar nichts für die Haushaltskonsolidierung bringt
und stattdessen Investoren abschreckt. Nur für Sie von
den Linken ist diese Regel anscheinend immer noch uninteressant. Für Sie ist diesbezüglich die Erde immer
noch eine Scheibe.
Ihr Vorhaben einer Vermögensteuer mit 5 Prozent pro
Jahr zehrt die betroffenen Steuerzahler aus.
({13})
Sie wollen - das sagen Sie ganz ehrlich - mit dieser
Steuer enteignen. Da sagen Sie ganz lapidar: Ja, was
wollen Sie denn eigentlich? Denen bleibt doch noch
1 Million.
({14})
Und 1 Million Euro ist für die meisten Menschen in
Deutschland - und auch für mich - richtig viel Geld.
Wenn man den Millionären - die im Übrigen, Herr
Gysi, auch zu unserer Bevölkerung gehören; das ist
keine andere Volksgruppe ({15})
1 Million Euro belässt, werden die in der Tat dadurch
nicht arm. Diese Menschen werden dann aber nicht mehr
lange in diesem Lande sein. Sie werden dieses Land
ziemlich schnell verlassen, und dieses Land wird dann
ziemlich schnell auch ziemlich arm werden.
({16})
Schauen wir uns Ihren Vorschlag einmal ganz genau
an.
Kollege Gutting, gestatten Sie eine Frage oder eine
Bemerkung des Kollegen Gysi?
Ich komme gleich dazu, glaube ich. Lassen Sie uns
erst einmal den Vorschlag ganz genau anschauen.
Sie fordern eine jährliche Besteuerung in Höhe von
5 Prozent des gesamten Geld-, Immobilien- und Sachvermögens von über 1 Million Euro. Diese Steuer soll
völlig unabhängig davon erhoben werden, ob aus diesem
Kapital ein Ertrag erwächst oder ob der Steuerzahler damit vielleicht auch Verluste macht.
Die durchschnittliche Rendite bei Immobilienvermögen liegt derzeit deutlich unter 5 Prozent. Die Rendite
bei Bundesschatzbriefen liegt bei ungefähr 1 Prozent,
bei Festgeld, bei Tagesgeld weit unter 3 Prozent. Nach
Zahlung sämtlicher Ertragsteuern, die wir zusätzlich haben - die Wirkung der Geldentwertung, der Inflation
muss auch noch berücksichtigt werden -, soll dann das
gesamte den Freibetrag übersteigende Vermögen noch
einmal mit 5 Prozent zusätzlich besteuert werden,
({0})
völlig unabhängig davon, ob daraus Gewinn entsteht
oder nicht. Wer, bitte, soll dann - das ist die Frage - in
Deutschland noch investieren?
({1})
Wer soll in Immobilien investieren? Wer soll in bezahlbaren Wohnraum investieren, wenn aufgrund dieser Vermögensteuer ein jährlicher Verlust vorprogrammiert ist?
Gerade die Mietimmobilien für sozial Schwache werden mit dieser Vermögensteuer verkommen, weil keiner
mehr investiert. Noch gravierender ist: Es wird, es muss
sogar zu gravierenden Mieterhöhungen kommen, damit
diese Vermögensteuer bedient werden kann.
({2})
Gerade Sie von der ehemaligen PDS müssten es doch
besser wissen. Sie haben in der DDR das Prinzip des real
existierenden Sozialismus gehabt.
({3})
Was ist passiert? Es wurde nicht mehr in den Wohnraum
investiert. Wohnraum verknappt, Wohnraum verkommt.
Sie haben das doch 40 Jahre lang in der DDR erlebt.
Lassen Sie also die Finger von der Wiedereinführung der
Vermögensteuer! Nicht ohne Grund wird ab 2013 von
den EU-15-Staaten nur noch Frankreich die Vermögensteuer erheben. Auch dort wird sie - das wird man bald
sehen - keine Zukunft haben.
Es gibt noch andere wichtige Argumente. Die Verwaltungskosten für diese Steuer beliefen sich bei ihrer Erhebung in der Vergangenheit auf ungefähr ein Drittel der
Einnahmen.
({4})
Sie betrugen damals das Fünffache der Erhebungskosten
für die Lohnsteuer, und sie betrugen das Sechsfache der
Erhebungskosten für die Körperschaftsteuer.
Wenn Sie eine verfassungsgemäße Vermögensteuer
haben wollen, dann brauchen Sie eine kontinuierliche
und gegenwartsnahe Bewertung der Vermögen.
({5})
Diese gegenwartsnahe und kontinuierliche Bewertung
bedeutet einen enormen Bürokratieaufwand. Das wird
zu enormen Kosten führen.
({6})
Das ist eine Mammutaufgabe für die öffentliche Verwaltung, für die Finanzverwaltung und für die Gerichte. Wie
wollen Sie verfassungssicher zwischen Privatvermögen
und Betriebsvermögen trennen? Diese Frage können Sie
nicht beantworten. Es ist völlig klar, dass dann Steuergestaltung und Steuerflucht ins Ausland vorprogrammiert
sind.
({7})
Die Vermögensteuer, wie Sie sie einführen wollen,
schädigt die Volkswirtschaft. Sie ist investitionsfeindlich. Sie ist bürokratisch und teuer. Sie ist unsozial gegenüber Mietern. Sie führt zu Steuerflucht und zu
Arbeitslosigkeit. Sie wird mittel- und langfristig beim
Staatshaushalt zu wegbrechenden Steuereinnahmen führen.
({8})
Genau deswegen können wir diesem Antrag nicht zustimmen. Genau deswegen werden wir ihn wieder und
wieder ablehnen.
Vielen Dank.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Joachim
Poß das Wort.
({0})
Ich muss jetzt erst einmal drei Minuten warten, bis
das Rednerpult heruntergefahren ist. - Man kann auch
an einem niedrigen Pult auf einer gewissen geistigen
Höhe argumentieren.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Gutting, ich glaube, mit sozialer Ignoranz kann
man die Spaltung in unserer Gesellschaft, die man leider
konstatieren muss, nicht überwinden.
({1})
Sie haben einen Beleg dafür geliefert, wohin diese Ignoranz führt. Dass Sie das, was Ihnen nicht passt, einfach
zur Seite schieben, das verstehen, glaube ich, selbst die
CDU-Wähler nicht mehr. Auch die verstehen die Welt
nicht mehr. Das merke ich, wenn ich mit Leuten diskutiere, von denen ich weiß, dass sie nicht unbedingt meine
Partei wählen.
Warum der VW-Chef - das ist überhaupt keine Diffamierung der betreffenden Person - ein Gehalt von mehr
als 17 Millionen Euro erhält, das verstehen die Menschen einfach nicht, wie auch immer das begründet wird.
({2})
Ich sage Ihnen: Die Menschen haben recht. Das ist nicht
mehr zu verstehen!
({3})
Ein so hohes Gehalt muss nicht sein. Das ist gestaltbar.
Auch viele Unternehmer, zum Beispiel der Chef von
Continental, fragen sich inzwischen öffentlich, ob so
hohe Manager- und Vorstandsgehälter überhaupt zu
rechtfertigen sind.
({4})
- Es gibt Zusammenhänge mit dem Thema, über das wir
hier diskutieren. - Dabei geht es - das ist interessant nicht nur um die Relation zu den Gehältern der „einfachen“ Arbeitnehmer.
({5})
Kollege Poß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Wissing?
Aber gerne.
({0})
- Herr Wissing sitzt daneben. Er spricht ja gleich. Er
kann seine Rede aber auch in eine Zwischenfrage packen. Das reicht dann auch.
Entschuldigung. Ich habe das vorweggenommen. Die
Arbeitsteilung bei der FDP wollen wir natürlich respektieren. - Bitte.
Die Arbeitsteilung funktioniert. - Herr Kollege Poß,
weil Sie uns eine Frage bezüglich der Höhe der Vergütungen, die bei VW gezahlt werden, gestellt haben, frage
ich: Stimmen Sie mir zu, dass das ein mitbestimmtes
Unternehmen ist?
({0})
Stimmen Sie mir zu, dass solche Fragen natürlich auch
im Aufsichtsrat dieses mitbestimmten Unternehmens behandelt werden? Wie können Sie sich erklären, dass die
Vertreter der Gewerkschaften solchen aus Ihrer Sicht
überzogenen Gehältern zustimmen? Das würde mich interessieren.
Lieber Kollege, auf diese Frage wollte ich gleich zu
sprechen kommen.
({0})
Diese Frage ist Gegenstand meiner weiteren Ausführungen. Ich will Ihnen jetzt gern den Kern erläutern: Allein
über Änderungen der Besteuerung schaffen wir nicht die
soziale Akzeptanz, die wir für unsere soziale Marktwirtschaft benötigen.
({1})
Dazu bedarf es weiterer Maßnahmen. Als ein Beispiel
wollte ich die Begrenzung von Vorstands- und Managergehältern - dies war in den letzten Jahren schon des Öfteren Gegenstand der Debatten hier im Hause - nennen.
({2})
Ich werde Ihnen erläutern, wie man das machen kann.
Dazu bedarf es, ob bei Volkswagen oder woanders, nicht
nur der Mitwirkung der Aktionäre, der Eigentümer, sondern - da haben Sie vollkommen recht - auch der Mitwirkung der Gewerkschaften, der Betriebsräte, aller Akteure, im Übrigen auch der Politik.
Wir haben in der Großen Koalition - Herr
Michelbach, ich glaube, damals haben Sie zugestimmt eine ganze Reihe von Änderungen des Aktiengesetzes
vorgenommen. Es war sehr mühsam, in den anderthalbjährigen Verhandlungen, die unter anderem ich mit der
CDU/CSU geführt habe, zu Ergebnissen zu kommen.
Eine andere Richtung für Vergütungen in Unternehmen sollte vorgegeben werden: Nicht mehr Kurzfristdenken, sondern langjährige Performance, wie man es
neudeutsch nennt, soll das entscheidende Kriterium sein.
Das heißt - da haben Sie vollkommen recht -, es geht
nicht nur um Besteuerungsfragen, sondern auch um das
sogenannte Primäreinkommen. Da bedarf es einer Doppelstrategie.
Aber auch die Politik ist in der Verantwortung, diese
Fragen zu regeln. Das wollte ich zum Ausdruck bringen.
({3})
Nicht nur die Unternehmen tragen diese Verantwortung.
Sie haben auf die Verantwortung der Unternehmen hingewiesen.
({4})
- Das wäre eine Verengung. Natürlich sind die Betriebsräte und die Gewerkschaften in einem Mitbestimmungsmodell Mitwirkende. Oft genug haben sie es nicht ganz
einfach. Insofern sind sie in der Verantwortung.
Der Kern unserer damaligen gesetzlichen Neuregelung in der Großen Koalition war, dass die Aufsichtsräte
eine stärkere Verantwortung und auch stärkere Aufsichtsmöglichkeiten bekommen. Wir haben gesetzliche
Veränderungen durchgesetzt, aber leider nicht in dem
Umfang, in dem wir Sozialdemokraten es vorgeschlagen
hatten.
Wir erleben - auch die FDP ist nicht frei von diesen
Erlebnissen -, dass Gerechtigkeitsfragen und die Wahrnehmung der zunehmenden sozialen Spaltung in allen
Bevölkerungsteilen, auch im sogenannten wirtschaftlichen Mittelstand, an Bedeutung gewinnen. Wenn die
Menschen von Gehältern wie dem von Herrn Winterkorn
und von anderen Managergehältern lesen und hören, sagen sie zu Recht: Das kann ja wohl nicht wahr sein.
Die sozialen und materiellen Verhältnisse sind aus
dem Gleichgewicht geraten. Hier besteht Korrekturbedarf. Die Korrekturen müssen wir auf verschiedenen
Wegen erreichen. Ein Weg führt über die Besteuerung.
Die Besteuerung hoher Vermögen gehört auf jeden Fall
dazu. Das ist unbestritten. Wir haben die Wiedereinführung der Vermögensteuer nicht erst auf unserem letzten
Parteitag beschlossen, sondern schon viel früher. Wir
sind fest entschlossen, im Fall der Übernahme der Regierungsverantwortung die Vermögensteuer wieder zu
erheben. Wir brauchen auch einen höheren Spitzensteuersatz,
({5})
um die soziale und steuerliche Balance wiederherzustellen; das ist aus dem Gleichgewicht geraten.
Es wird argumentiert: Wir haben eine gerechte Gesellschaft; 10 Prozent der Steuerzahler erbringen über
50 Prozent des Einkommensteueraufkommens. - Das ist
richtig, aber zu kurz gesprungen. Das ist kein Beleg für
Gerechtigkeit, sondern zeigt nur, wie die Einkommensverhältnisse bei uns auseinandergedriftet sind.
({6})
Auf der einen Seite stagnieren die Realeinkommen.
Ich gehe gar nicht auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse usw. ein; das würde meine Redezeit sprengen. Auf
der anderen Seite explodieren zur gleichen Zeit, auch in
schwierigsten wirtschaftlichen Situationen, die Managergehälter. Das durchschnittliche Einkommen eines Beschäftigten im Vergleich zum Einkommen eines Managers steht zwar nicht im Verhältnis von 1 : 1 000, aber im
Vergleich zu Vorständen im Verhältnis von 1 : 50. In
Einzelfällen beträgt dieses Verhältnis 1 : 100 und im Fall
von VW 1 : 350. Sicherlich gibt es aber auch Fälle, etwa
bei Leiharbeitern, in denen das Verhältnis 1 : 1000 beträgt. Eine Gesellschaft, die ein solches Gehalts- und Bonisystem nicht für veränderungswürdig hält, wird krank,
meine Damen und Herren. Das ist so.
({7})
Es besteht dringender Änderungsbedarf. Wir müssen
in Umsetzung dessen, was wir im Rahmen der Änderung
des Aktiengesetzes schon beschlossen haben, von den
Unternehmen erwarten, dass sie durch Zusammenwirken
aller Akteure - durch Zusammenwirken aller Akteure! etwas einführen, was wir damals übrigens schon in einer
Anhörung erörtert haben:
({8})
Kein Aktiengesetz und kein Code of Governance - das
sind die Regeln, die sich Unternehmer freiwillig geben hält Unternehmen davon ab, ein sogenanntes Cap einzuführen, das heißt eine Begrenzung der Gehälter vorzusehen. Man muss die vorgesehene Umstellung der Kriterien vornehmen, und dann hat man eine Grenze. Jetzt ist
gesellschaftspolitisch der richtige Zeitpunkt dafür, dass
sich die Unternehmen dieses Mittels - in der Wissenschaft wird darüber schon lange diskutiert - endlich bedienen, um den sozialen Sprengstoff, der sich hieraus ergibt, aus der Welt zu schaffen.
({9})
Kollege Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kolb?
({0})
An die Zwischenfragen habe ich mich schon gewöhnt. Ich danke Ihnen schon im Voraus herzlich für
Ihre Frage.
({0})
Und, wie ich denke, für die Verlängerung der Redezeit.
Ja; das gehört ja dazu. Das ist eine einmalige Chance.
Nach allem, was Sie gesagt haben, bin ich schon gespannt, wie Sie gleich abstimmen werden.
({0})
Mich interessiert allerdings erst einmal ein ganz konkreter Punkt. Sie haben jetzt viel über die Erhöhung des
Spitzensteuersatzes gesprochen, der ja auch für Personengesellschaften der maßgebende Ertragsteuersatz ist.
Eigentlich wäre es dann nur logisch, wenn die SPD auch
beabsichtigt, den Ertragsteuersatz für Kapitalgesellschaften zu erhöhen. Strebt die SPD das an - ja oder
nein? - und, wenn ja, auf welche Höhe?
Es muss eine weitgehende Belastungsgleichheit hergestellt werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass Personengesellschaften, was ihre Belastung betrifft, in etwa
wie Kapitalgesellschaften behandelt werden. Das ist die
Antwort auf diese Frage.
({0})
Sie werden verstehen, dass ich jetzt nicht in die Einzelheiten gehe. Aber: Dazu gibt es verschiedene steuerrechtliche Möglichkeiten.
({1})
Das ist auch nicht neu.
({2})
Wenn ich polemisch wäre - wozu ich überhaupt nicht
neige, vor allen Dingen heute Morgen nicht -,
({3})
dann müsste ich Sie daran erinnern - ich weiß nicht, ob
Sie damals schon im Parlament waren; aber das kann gut
sein -,
({4})
wie hoch während Ihrer Regierungszeit in den 90er-Jahren die steuerliche Belastung für Personengesellschaften
war. Unter Helmut Kohl lag der Spitzensteuersatz bei
53 Prozent. Geben Sie doch nicht den Schlaumeier und
ergehen Sie sich hier nicht in falscher Sorge um die Unternehmen!
({5})
Natürlich würden wir in Regierungsverantwortung
unter Berücksichtigung aller Notwendigkeiten, gerade
was die Behandlung des Mittelstandes betrifft - wir wissen, dass 85 Prozent der Unternehmen in Deutschland
Personengesellschaften sind -, entsprechende Vorschläge entwickeln. Ich denke, dass ein möglicher grüner Koalitionspartner in eine ähnliche Richtung denkt.
({6})
Um auch das noch einmal klarzustellen: Wir haben
diese Fragen der Vergütung - Herr Gysi ist ja im Gegensatz zu mir Jurist ({7})
im Rahmen der parlamentarischen Beratung, die zur Zeit
der Großen Koalition stattgefunden hat, erörtert. Jedenfalls gibt es erhebliche Zweifel, ob es überhaupt verfassungsrechtlich zulässig wäre, gesetzliche Obergrenzen
- und dann noch in einer bestimmten Relation - einzuziehen.
({8})
Bevor dieser Streit ausgetragen wird - das wird geschehen -, muss der zweite Bestandteil unserer Doppelstrategie umgesetzt werden: Man muss den gesellschaftlichen Druck erhöhen - auch über die Gewerkschaften
und andere Verbände - und dafür sorgen, dass ein Cap
eingeführt wird; denn wir brauchen eine gewisse
Grenze. Gleichzeitig muss man durch die Besteuerung,
sowohl von Einkommen wie auch von Vermögen, einen
sozialen Ausgleich herzustellen versuchen. Auch dies
wird nicht von heute auf morgen zu erreichen sein; das
ist klar.
Die von Ihnen im vorliegenden und heute diskutierten
Antrag, meine Damen und Herren von der Linkspartei,
vorgeschlagene isolierte Maßnahme, nur eine Vermögensteuer einzuführen, und die Vorstellung, die Sie,
meine Damen und Herren von der Linkspartei, in Ihrem
Antrag und in Ihren Ausführungen damit verbinden,
dass man durch eine möglichst hohe Besteuerung alle
gesellschaftlichen Probleme in den Griff bekommen
würde, ist nun wirklich populistisch.
({9})
Diese populistische Vorstellung teilen wir ebenso wenig
wie den Populismus von rechts, der sich hier heute Morgen teilweise leider schon wieder gezeigt hat. Also,
überdenken Sie Ihre Ignoranz, meine Damen und Herren
von CDU/CSU und FDP.
({10})
Nun hat der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Lieber Joachim Poß, wenn man anderen Vorwürfe
macht und von Populismus spricht, dann sollte man
nicht selber so populistisch reden wie Sie eben hier vor
dem Deutschen Bundestag.
({0})
Ich fand es sehr entlarvend: Als Herr Kollege Kolb
Sie gefragt hat, ob Sie beabsichtigen, auch für die großen
Kapitalgesellschaften in Deutschland die Steuern zu erhöhen, haben Sie sich nicht getraut, zu sagen: Nein, die
SPD möchte nicht, dass die großen Kapitalgesellschaften in Deutschland höher besteuert werden. - Sie zahlen
knapp unter 30 Prozent an Steuern, und Sie wollen das
nicht erhöhen.
({1})
Sie haben dann gesagt: Wir wollen die Besteuerung
von Personengesellschaften der Besteuerung von Kapitalgesellschaften anpassen. Damit haben Sie verdeckt
eine Steuersenkung gefordert. Gleichzeitig erklären Sie
den Leuten aber scheinheilig, Sie seien für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Sie müssen sich schon
einmal entscheiden.
({2})
Entweder wollen Sie sachliche Steuerpolitik machen,
oder Sie wollen Populismus betreiben. Das müssen Sie
den Leuten dann klar sagen.
({3})
Sie haben für die großen Unternehmen die Steuern
gesenkt und reden ständig von Steuererhöhungen für
Personengesellschaften, für die kleinen und mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmer.
({4})
Lieber Kollege Poß, das ist scheinheilige, populistische
Politik. Die SPD muss sich einmal entscheiden, für wen
sie in Deutschland Politik machen will.
({5})
Wenn Sie diese Entscheidung getroffen haben, dann
kann man mit Ihnen auch wieder sachlich über Steuerpolitik reden.
Jetzt komme ich zur Linken. Herr Gysi, Sie machen
das ja sehr trickreich. Sie erwecken den Eindruck, man
müsste in Deutschland endlich auch einmal Millionäre
besteuern. Dabei werden sie besteuert.
({6})
Daneben erwecken Sie den Eindruck, die Linke
wollte die Schuldenbremse in Deutschland einhalten.
Dabei waren Sie gegen die Einführung der Schuldenbremse. Diese trickreichen Dinge, die in Ihren Anträgen
stehen, tragen in Wahrheit nicht zur Verbesserung der
Lage bei, und sie tragen auch nicht dazu bei, das politische Klima in Deutschland zu verbessern.
({7})
Ich sage Ihnen Folgendes: Wenn Sie sich hier hinstellen und Sätze sagen wie: „Die Milliardäre haben zusammen ein Vermögen in Höhe von 300 Milliarden Euro,
was dem Bundeshaushalt entspricht“, dann erwecken Sie
damit den Eindruck, als könnte man damit irgendein
haushaltspolitisches Problem lösen. In Wahrheit wissen
Sie doch genauso gut wie ich: Wenn man diese 300 Milliarden Euro wegbesteuert, dann kann man sie einmal im
Bundeshaushalt einsetzen.
({8})
Wenn Sie das nicht dazu sagen, dann arbeiten Sie trickreich an der Verwirrrung der Öffentlichkeit. Das ist kein
sachlicher Beitrag - schon gar nicht zur Lösung der Probleme dieses Landes.
({9})
Herr Kollege Gutting hat Ihnen sehr sachlich dargelegt, warum Ihr Antrag schlicht und einfach blanker
Populismus ist. Wenn Menschen beispielsweise in Immobilien investieren und eine Rendite von unter 5 Prozent erzielen, dann können Sie doch nicht ernsthaft eine
Steuer von 5 Prozent verlangen. Frau Enkelmann stellt
sich dann auch noch hier hin und sagt: Ich weiß gar
nicht, was Herr Gutting meint, wenn er von Mieterhöhungen spricht. - Tun Sie doch nicht so scheinheilig. Sie
wissen doch ganz genau: Wenn Ihr Antrag eine Mehrheit
fände, dann müssten die kleinen Leute, die Mieterinnen
und Mieter, die Zeche bezahlen.
({10})
Man kann Ihrem Antrag schon deswegen nicht zustimmen,
({11})
weil man die Menschen, die niedrige Einkommen haben,
vor einer solchen Steuerpolitik schützen muss.
({12})
Seien Sie doch für all die Menschen, die an Sie glauben, froh darüber, dass wir Ihre Anträge ablehnen, weil
sie die Situation der Menschen mit geringen Einkommen
in Wahrheit nicht verbessern, sondern verschlechtern
würden. Das tun Sie ja auch mit der Politik, die Sie an
anderer Stelle vertreten.
Wir legen Ihnen einen Entwurf zum Abbau der kalten
Progression in den unteren Einkommensgruppen vor,
({13})
weil es hier eine Gerechtigkeitslücke gibt. Die Linke
sagt: „Das lehnen wir ab“,
({14})
ohne ein sachliches Argument dafür zu haben, weshalb
Sie das tun.
Auch an dieser Stelle sieht man, dass Sie nur nach außen hin den Eindruck erwecken, als würden Sie eine
Steuerpolitik für die Bezieher unterer Einkommen machen. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Ihnen geht
es darum, an Vermögen heranzukommen, eine andere
Gesellschaft aufzubauen und umzuverteilen,
({15})
weil Sie die Unterschiede in unserer Gesellschaft nicht
ertragen können. Der richtige Weg ist aber, dass man für
die Bezieher unterer Einkommen eine Verbesserung
schafft.
({16})
Sie aber sagen: Wir lassen die Bezieher unterer Einkommen im Stich und kümmern uns darum, dass es anderen
schlechter geht.
({17})
Wir wollen keine Gesellschaft, in der es allen gleich
schlecht geht.
({18})
Deswegen laden wir Sie ein: Helfen Sie mit, durch den
Abbau der kalten Progression für die Bezieher unterer
Einkommen jetzt etwas zu verbessern. Dann wird es in
Deutschland ein Stück gerechter.
({19})
Sehen Sie, Sie winken schon wieder ab und sagen: Wir
machen doch nichts für die unteren Einkommen,
({20})
wir werden doch nicht die kalte Progression bei den Beziehern kleiner Einkommen in Deutschland beseitigen.
({21})
Kollege Wissing, wollen Sie die Chance wahrnehmen, eine Frage oder eine Bemerkung des Kollegen
Ernst zu hören?
Ja, bitte.
Ich möchte einmal klarstellen, dass wir uns schon in
der letzten Legislaturperiode zur kalten Progression
positioniert haben und selbstverständlich dafür waren,
sie auszugleichen. Aber wir wollen dies gegenfinanzieren. Gegenfinanzieren bedeutet für uns, dass wir den
Spitzensteuersatz erhöhen, um den Staatshaushalt entsprechend zu sanieren. Auch das ist ein Punkt, um zu einem vernünftigen Staatshaushalt zu kommen.
Eine Frage muss ich Ihnen aber doch stellen. Sie haben gerade gesagt, die Besteuerung von Vermögen - ich
stelle noch einmal klar, es geht um Vermögen oberhalb
von 1 Million Euro; unterhalb von 1 Million Euro passiert überhaupt nichts - würde nicht dazu führen, dass
die Vermögenden tatsächlich höher besteuert würden.
Vielmehr wäre das eine Vorgehensweise, die letztendlich
wiederum die kleinen Leute finanzieren müssten. Jetzt
müssen Sie mir „den kleinen Mann“ oder „die kleine
Frau“ zeigen, die ein Vermögen von über 1 Million Euro
hat. Dann ist sie keine „kleine Frau“ mehr. Wenn man
genau diese Gruppe besonders besteuert, dann wird
diese Gruppe zur Finanzierung des Staatshaushalts herangezogen und auch die Neuverschuldung geringer.
({0})
Mehr Einnahmen bedeuten nämlich weniger Verschuldung, und dann brauchen wir auch die unsinnige Schuldenbremse in der jetzigen Form nicht. Ist das richtig,
oder ist das falsch?
({1})
- Bei der nächsten Wahl lachen Sie nicht mehr so.
({2})
Herr Kollege Ernst, es gibt exakt zwei Möglichkeiten:
Entweder verstehen Sie nichts, aber auch gar nichts vom
Steuerrecht. Dann frage ich mich aber, warum Sie bei
dieser Debatte in der ersten Reihe sitzen.
({0})
Oder Sie betreiben genau das gleiche Geschäft wie Herr
Gysi: Sie täuschen die Öffentlichkeit mit bewussten Verwirrungen und Verdrehungen der Realität.
({1})
Der Kollege Gutting hat es Ihnen doch klar erläutert:
Wenn Sie auf Vermögen eine Steuer von 5 Prozent erheben und die Rendite bei Immobilieninvestitionen bei
unter 5 Prozent liegt - können Sie mir so weit folgen? -,
dann müssen Sie doch die Frage beantworten, was mit
der Differenz ist. Diese führt dann zu Mieterhöhungen.
Diese Mieterhöhungen würden Sie, würde Ihr Antrag
umgesetzt, den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland
zumuten. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Haben
Sie das verstanden?
({2})
Im Übrigen haben auch Sie bestätigt: Die Linke ist
dagegen, dass es Beziehern unterer Einkommen besser
geht.
({3})
Stattdessen konzentriert sich die Linke darauf, dafür zu
sorgen, dass es anderen Einkommensbeziehern schlechter geht.
Das kann Ihre Politik sein; das mag Ihr Weg sein.
Aber wir arbeiten auf einer anderen Baustelle.
({4})
Wir sorgen mit dem Abbau der kalten Progression dafür,
dass es den Beziehern unterer Einkommen besser geht
und dass sie gerechter besteuert werden, und das machen
wir auch nicht auf Pump.
({5})
- Nein, das geschieht nicht auf Pump, Herr Kollege
Zöllmer.
({6})
Sie betreiben den gleichen Populismus. Also, wir machen es nicht auf Pump, sondern es ist der Verzicht auf
ungewollte Steuermehreinnahmen.
({7})
Im Übrigen betreiben Sie ganz bewusst ein Verwirrspiel in der Öffentlichkeit; das muss man den Menschen
auch einmal sagen. Sie differenzieren nämlich nicht
({8})
zwischen höheren Steuersätzen und höherem Steueraufkommen. Tatsächlich ist es so, dass die Steuereinnahmen
des Staates in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen
sind. Sie erwecken allerdings den Eindruck, man müsse
die Steuersätze endlich erhöhen, damit die Steuern fließen. Fakt ist: Wenn man die Unternehmensbesteuerung
in Deutschland auf über 30 Prozent anhebt, dann werden
die Kassen leerer. Das wissen Sie, aber Sie sagen es der
Öffentlichkeit nicht. Der Kollege Poß ist ja der klaren
Frage von Herrn Kolb scheinheilig ausgewichen.
Herr Kollege Wissing, Sie können gerne weiterreden,
allerdings geschieht dies dann auf Kosten Ihrer Fraktionskollegen.
Sie haben zu dieser Debatte nichts Sachliches beizutragen.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Lisa Paus das Wort.
Herr Wissing, auch wenn Sie es immer noch nicht
verstehen wollen: Das Thema Verteilungsgerechtigkeit
gehört in Deutschland tatsächlich ganz oben auf die
Agenda.
({0})
Genau eine Person dieser Koalition hat das verstanden. Es ist keine vier Wochen her, als Bundestagspräsident Lammert sagte:
Es muss Sie mindestens so sehr besorgen wie mich,
dass drei Viertel der in Deutschland lebenden Bevölkerung die bestehende Einkommens- und Vermögensverteilung für ungerecht empfinden.
Und er hat, an Ihre Adresse gerichtet, extra ergänzt, dass
selbst bei den Wählern der liberalen FDP diese Zahl bei
65 Prozent liege.
({1})
Er steht damit zwar allein in der Koalition; das wollen
Sie offenbar nicht begreifen. Aber er steht damit nicht
allein in der Gesellschaft und auch nicht allein - das ist
neu - in der Wirtschaft.
({2})
Es gibt inzwischen schon seit über einem Jahr die Initiative „Appell Vermögender für eine Vermögensabgabe“. Diese hat inzwischen entsprechende Anzeigen
gedruckt.
({3})
Es gibt in dieser Woche nach Bekanntgabe der Rekordgehälter deutscher Spitzenmanager eine Meldung
des Verbandes der Familienunternehmer - wirklich nicht
verdächtig, linke Positionen zu vertreten;
({4})
wir alle kennen ihn. Er formuliert so klar und einfach
wie wahr:
Kein Top-Manager ist das … 400-Fache eines einfachen Angestellten wert.
({5})
Der Verband legt nach und fordert eine Obergrenze für
Managervergütungen. Das Gleiche tut auch die Deutsche
Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, auch kein Hort
der Linken.
Dies geht weiter. Einer der Spitzenmanager, Postchef
Frank Appel - er hat im letzten Jahr 5,2 Millionen Euro
verdient -, formuliert:
Viele Spitzenmanager wie ich haben nichts dagegen, … mehr Steuern oder eine Vermögensabgabe
zu zahlen …
Die Schulden müssen
auf ein Maß gesenkt werden, das unsere Kinder in
30 Jahren tragen können.
({6})
Er ergänzt:
Ich denke, ein nicht unwesentlicher Teil der Wirtschaftselite teilt meine Ansicht. … Ja, wir Besserverdiener wollen höhere Steuern zahlen. So haben
mir einige nach meinem Vorschlag geschrieben.
Damit endet das aber nicht. Es gibt dazu Debattenbeiträge in allen bürgerlichen Zeitungen. In der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung, in der Zeit, in der Wirtschaftswoche, in der Capital: Überall ist das Thema virulent.
All das macht deutlich: Erstens. Die Schere zwischen
Arm und Reich hat sich inzwischen in einem Maß geöffnet, das längst nicht mehr nur ungerecht ist, sondern das
den Zusammenhalt unserer Gesellschaft akut gefährdet.
({7})
Oder wie es Professor Corneo von der Freien Universität
Berlin am Montag bei der Anhörung zur kalten Progression ganz sachlich formuliert hat: Sie müssen sich entscheiden, ob Sie weiter in einer Demokratie leben wollen oder ob Sie eine verstärkte Ungleichverteilung
zwischen Arm und Reich zulassen wollen.
({8})
All das macht zweitens deutlich: Die Verschuldung ist
inzwischen so hoch, dass sie allein durch Sparpolitik
schlichtweg nicht mehr auszugleichen ist. Die Besteuerung von Vermögen ist eben nicht mehr nur eine Frage
der Gerechtigkeit, sondern sie ist heute eine Frage der
ökonomischen Vernunft. So forderte bereits im September letzten Jahres die ebenfalls im Hinblick auf linke
Ideen völlig unverdächtige Unternehmensberatung Boston Consulting eine europaweite Vermögensabgabe. Ihre
Begründung hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun, sondern
lautet schlichtweg: Das ist die ökonomisch sinnvollste
Lösung.
({9})
Wir können unsere Probleme eben nicht über Wachstum
lösen. Die einzigen Alternativen, die ansonsten zur Wahl
stehen, sind entweder eine Rezession durch reine Sparpolitik oder eine Inflation. Eine Vermögensabgabe ist die
ökonomisch sinnvollste Lösung. Nehmen Sie sich die
Worte von Boston Consulting einmal zu Herzen.
({10})
Wir Grünen waren mit die Ersten und sind bis heute
die einzige Partei, die seit Beginn der Finanz- und Schuldenkrise für die Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe zur Tilgung der krisenbedingten Schulden geworben hat. Unser Vorschlag für Deutschland, den wir
vor einem Jahr gutachterlich vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung haben unterfüttern lassen, lautet:
Wir wollen, dass die reichsten 330 000 Deutschen - das
ist weniger als 1 Prozent der Bevölkerung - eine einmalige Vermögensabgabe auf ihr gesamtes Nettovermögen
zahlen, zahlbar über zehn Jahre mit jährlich 1,5 Prozent.
Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung könnten so 100 Milliarden Euro eingenommen werden. Das entspricht den geschätzten bisherigen Kosten der Krise für den Bundeshaushalt.
({11})
Es geht eben nicht - das funktioniert auch schlichtweg nicht -, aus privaten Schulden öffentliche Schulden
zu machen, um sie dann über noch mehr Staatsverschuldung zu finanzieren. Das hat uns die europäische Schuldenkrise schneller als erwartet vor Augen geführt. Es
funktioniert genauso wenig, wenn die Schulden der Banken von den Hartz-IV-Empfängern abgetragen werden
sollen.
Was allerdings auch nicht funktioniert, ist der Vorschlag der Linken; ich muss leider wiederholen, was ich
schon vor zwei Jahren gesagt habe, weil Sie Ihren Antrag nicht geändert haben. Es ist verständlich, dass Sie
vor der Saarland-Wahl eine wahlkampftaugliche Botschaft aussenden wollen. Aber dann muss auch endlich
wieder Substanz in Ihre Partei kommen und nicht nur
heiße Luft.
({12})
Ich kann der rechten Seite dieses Hauses Entwarnung
geben: Das vollmundig daherkommende Versprechen
von Mehreinnahmen in Höhe von 80 Milliarden Euro
taugt nicht einmal für 10 Pfennig.
({13})
Frau Kollegin Paus, gestatten Sie eine Zwischenfrage
von Herrn Wissing?
Nein. Ich bin am Schluss meiner Redezeit; ich habe
leider nur noch 30 Sekunden.
Nur ein Beispiel, warum Ihr Vorschlag schwächelt:
Da Sie Betriebsvermögen von der geplanten Besteuerung ausschließen, öffnen Sie ein riesengroßes Scheunentor für Steuerumgehung. Dafür ist keine Flucht ins
Ausland oder ein teurer Steuerberater nötig. Das geht
ganz einfach: Man muss nur eine Verwaltungsgesellschaft gründen, in der das Privatvermögen gebündelt
wird, und schon greift Ihre Steuer komplett ins Leere.
({0})
Wegen dieser Substanzlosigkeit wird es leider so
kommen: Sie werden, jenseits von Lafontaine-Land, gemeinsam mit der FDP zu Recht abgewählt werden,
meine lieben Damen und Herren von der Linken.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. h. c. Hans Michelbach
für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bei all
den populistischen Täuschungsmanövern und Neiddebatten der Opposition
({0})
darf heute eines nicht in Vergessenheit geraten: Bei der
Krisenbewältigung und der Einführung einer Schuldenbremse war Deutschland europaweit am erfolgreichsten.
Diese Vorbildfunktion hat zum europäischen Fiskalpakt
geführt. Die Sicherung von Wachstum und Beschäftigung wurde durch Steuergesetze und Konjunkturprogramme erfolgreich gestaltet.
({1})
Mittlere und kleine Einkommen wurden durch diese
Bundesregierung und diese Koalition wesentlich entlastet.
({2})
Das ist die Wahrheit. Dadurch hat es den Konjunkturaufschwung in Deutschland gegeben.
Diesen Weg wollen wir jetzt mit dem Gesetzentwurf
zum Abbau der kalten Progression fortsetzen. Das ist
eine erfolgreiche Politik für unsere Steuerzahler. Wir
wollen 6 Milliarden Euro zurückgeben, und Sie wollen
das blockieren. Das ist die Wahrheit.
({3})
Unsere Steuerpolitik wird grundsätzlich am Prinzip
der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ausgerichtet. Wir lehnen leistungsfeindliche Substanzbesteuerungen ab, weil sie volkswirtschaftliche Schäden hervorrufen.
Die 100 Milliarden Euro, die Frau Paus gerne einnehmen würde, könnten Sie nur einmal einnehmen. Sie entziehen diese Gelder letzten Endes der Volkswirtschaft.
Davon hat der normale Bürger leider nichts.
({4})
Sie betreiben so eine gemeinwohlwidrige Politik.
({5})
Unsere Politik wird strikt am Prinzip der Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit ausgerichtet.
({6})
Wir lehnen leistungsfeindliche Substanzbesteuerungen
ab. Wir wollen eine lückenlose Besteuerung des Ertrags.
Das ist eine gerechte, wachstumsfördernde und ökonomisch sinnvolle Steuerpolitik.
Steuergerechtigkeit können Sie auch nicht an den
30 DAX-Vorständen festmachen, wie es von Herrn Gysi
versucht wurde. Man kann zwar immer wieder die Angemessenheit der Managergehälter infrage stellen, aber
in einer freiheitlichen Marktwirtschaft sollten wir Freiheit und Verantwortung im Blick haben und diese Menschen nicht wegen der Besteuerung ins Ausland treiben.
({7})
Mir ist jeder Höchststeuerzahler, der in Deutschland
Steuern zahlt, lieber als der, der ins Ausland abwandert.
Sie wollen anscheinend, dass diese Menschen gemeinwohlwidrig ins Ausland abwandern. Das war ja leider in
der Vergangenheit aufgrund Ihrer Steuerpolitik schon
häufig genug der Fall.
Wir müssen eine lückenlose Besteuerung des Ertrags
und des Einkommens sicherstellen. Wir dürfen aber keine
Substanzbesteuerung vornehmen. Substanzbesteuerungen sind nicht im Interesse der volkswirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit und der volkswirtschaftlichen Entwicklung.
({8})
- Herr Ernst, ich weiß, dass Sie Voodoo-Ökonomie studiert
haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Die volkswirtschaftliche
Leistungsfähigkeit wird durch eine zunehmende Substanzbesteuerung zerstört; das ist die Wahrheit. Das sollten
Sie endlich einmal lernen.
({9})
Was wir machen, ist keine Ignoranz, sondern ökonomische Vernunft. Die Opposition hat nach meiner Ansicht
ein gestörtes Verhältnis zur Leistung; das wird hier immer wieder deutlich.
({10})
Deswegen können wir Ihren Vorstellungen nicht zustimmen.
Wenn man sich die Steueraufkommensstatistik anschaut, dann stellt man fest, dass 79 500 Steuerpflichtige
nach der Splittingtabelle über ein gemeinsames Einkommen in Höhe von 500 000 Euro verfügen.
({11})
Sie sagen, dass 500 000 Euro 1 Million DM sind und
dass es sich somit um Einkommensmillionäre handelt.
Dementsprechend stellen Sie Ihre Anfragen.
({12})
Ich möchte Ihnen Folgendes in Erinnerung rufen: Im
Jahr 2011 haben diese 79 500 Steuerpflichtigen Einkommensteuer in Höhe von 28,43 Milliarden Euro gezahlt.
Der Anteil dieser Reichensteuerzahler an der Zahl aller
Steuerpflichtigen liegt bei 0,2 Prozent. Man muss sich
das einmal vorstellen: 0,2 Prozent der Steuerpflichtigen
leisten über 12 Prozent des Steueraufkommens. Diese
wollen Sie vertreiben? Ich bin froh, dass diese Steuerpflichtigen 12 Prozent des gesamten Steueraufkommens
leisten. Das sollten Sie sich vor Augen halten.
Die Erhöhung des Reichensteuersatzes um 1 Prozentpunkt würde die individuelle Steuerlast um durchschnittlich 6 300 Euro pro Jahr erhöhen und zu einem Steuermehraufkommen in Höhe von lediglich 0,5 Milliarden
Euro, also von 500 Millionen Euro, pro Jahr führen. Das
heißt, das, was Sie vorschlagen, ist nicht zielführend.
Angesichts der geringen Zahl der betreffenden Steuerpflichtigen ist die steuerliche Leistungsfähigkeit minimal. Ich muss daher ganz deutlich sagen: Ihre Rechnung
kann auf keinen Fall aufgehen.
Es ist nicht gut, dass vor Wahlen, wie sie jetzt bevorstehen, die Menschen, die Leistung erbringen, immer
wieder geradezu vorgeführt werden. Herr Lafontaine
fordert eine Steuer in Höhe von 75 Prozent. Sie verlangen 5 Prozent zusätzlich. Das ist im Vergleich zu der
Forderung von Herrn Lafontaine geradezu ein Schnäppchen.
({13})
Ich bin gespannt, wie SPD und Grüne abstimmen
werden, ob sie einem solchen willkürlichen Steueraufwuchs zustimmen werden. Ich frage mich, was die SPD
insbesondere im Hinblick auf die Großkonzerne eigentlich will. Will sie die Steuerlast der mittelständischen
Betriebe eher senken oder im Rahmen einer Steuerorgie
weiter erhöhen? Das alles passt doch nicht zusammen.
Angesichts ihrer großen Zahl sind die mittelständischen
Unternehmen für das Gemeinwohl in Deutschland wichtig. Sie dürfen daher die Personengesellschaften nicht
weiter mit Einkommensteuererhöhungen traktieren. Das
geht doch nicht auf. Das können Sie nicht machen. Das
ist gemeinwohlwidrig.
Die Menschen werden erkennen, dass unsere Steuerpolitik, die auf dem Prinzip der Besteuerung nach der
Leistungsfähigkeit basiert, die einzig richtige ist. Daran
werden wir uns messen lassen. Wir werden die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger dafür erhalten.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier. Alle kennen sicherlich diesen Film. Diese Aussage bezieht sich
nicht nur auf die Rede von Herrn Michelbach - das alles
haben wir so oder so ähnlich schon einmal gehört -, sondern in diesem Fall auch auf den Antrag der Fraktion
Die Linke. Wenn einem nichts mehr einfällt, dann bringt
man einfach einen alten Antrag, den man schon eingebracht hatte, wortgleich wieder ein, ändert aber die
Überschrift. So viel Kreativität gibt es immerhin.
Bei den Inhalten gibt es allerdings keine Kreativität.
Über all das, was Sie vortragen, haben wir bereits diskutiert. Es wäre schön, wenn Sie das eine oder andere aus
den Diskussionen in Ihre Anträge aufgenommen und Recycling anders definiert hätten, als Sie es hier gemacht
haben.
({0})
Wir Sozialdemokraten wollen die Vermögensteuer
wieder einführen. Wir brauchen eine Vermögensteuer in
Deutschland, weil viele Menschen - wir haben hierzu
schon Zahlen gehört - ihre Einkommen nicht nur aus Arbeit erzielen, sondern auch aus Vermögen; die Schere
geht immer weiter auseinander. Dies ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit. Unser Steueraufkommen muss gerechter verteilt werden. Dazu ist eine Vermögensteuer
notwendig; denn die Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland ist zutiefst ungerecht. Das obere
Zehntel in Deutschland besitzt über 60 Prozent des gesamten Vermögens.
Im internationalen Vergleich - schauen Sie sich einmal die Statistiken der OECD an, Herr Wissing - steht
Deutschland bei vermögensbezogenen Steuern ganz unten. Die Struktur des Steueraufkommens in Deutschland
ist zu stark am Lohneinkommen orientiert. Wir müssen
diese Orientierung verändern.
Kollege Zöllmer, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Ernst?
Aber gerne.
Bitte schön.
({0})
Ich nehme ja mit Freude zur Kenntnis, dass Sie für
eine gerechte Vermögensverteilung sind. Aber ich kann
das nicht unwidersprochen stehen lassen.
Könnte es sein, dass die jetzige ungerechte Vermögensverteilung, die Sie konstatieren, damit zusammenhängt, dass Sie in Ihrer Regierungszeit den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt haben?
({0})
- Ihr braucht euch gar nicht so aufzuregen; das ist eure
Angelegenheit. - Könnte es damit zusammenhängen,
dass zum Beispiel im Jahr 2000 das Aufkommen aus der
Körperschaftsteuer geringer war als das Aufkommen aus
der Hundesteuer in diesem Land? Könnte es sein, dass
Sie in Ihrer Regierungszeit auf die Wiedereinführung einer Vermögensteuer verzichtet haben?
({1})
- Aber ihr habt regiert. - Könnte die ungerechte Vermögensverteilung in diesem Lande, die Sie so wie wir
konstatieren, durch eine vollkommen falsche Besteuerungspolitik vonseiten der sozialdemokratischen Partei
verursacht worden sein?
({2})
- Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie so brüllen.
Das ist doch eure Politik. Steht doch dazu oder sagt: Das
war falsch.
Vielen Dank, Herr Kollege, für diese Frage. Zum
Stichwort Vermögensteuer fällt mir ein, dass es einen
Finanzminister namens Lafontaine gab, der die Chance
gehabt hätte, die Vermögensteuer wieder einzuführen. Es
gab da ein kurzes Zeitfenster, auch im Hinblick auf die
Mehrheit im Bundesrat, in dem das möglich gewesen
wäre.
({0})
Er hat es nicht getan.
({1})
Sprechen Sie doch einfach mit ihm, und fragen Sie ihn
einmal, warum er das damals nicht gemacht hat.
({2})
Darüber hinaus argumentieren Sie immer: Wenn wir
noch die Steuersätze von Helmut Kohl hätten, dann
ginge es uns fantastisch.
({3})
Dazu fällt mir nur ein: Wenn wir das Wetter vom 15. Juli
hätten, wäre es wärmer draußen.
({4})
Das Problem ist doch, dass sich die Welt verändert hat
- diese Veränderung der Welt müssen doch auch Sie zur
Kenntnis nehmen -, und darauf muss man steuerpolitisch reagieren.
({5})
Die OECD hat das Problem analysiert und gesagt, in
Deutschland gebe es ein Ungleichgewicht zwischen der
Besteuerung von Einkommen und Ertrag und der Besteuerung von Vermögen. Das ist aus meiner Sicht eine
richtige Analyse. Dieses Ungleichgewicht müssen wir
beseitigen. Denken Sie einfach einmal darüber nach.
Vielleicht bekommen wir dann ja demnächst einen Antrag von Ihnen, den wir hier diskutieren können.
Ich betone noch einmal: Eine Vermögensteuer ist
wirtschaftspolitisch richtig, und sie auch ein Gebot sozialer Gerechtigkeit.
({6})
Wie sieht eigentlich die Steuerpolitik der Koalition
aus?
({7})
Die erste Frage, die sich stellt, ist: Gibt es überhaupt eine
Steuerpolitik dieser Koalition? Ich habe mir einmal die
Mühe gemacht, noch einmal in den Koalitionsvertrag zu
schauen. Ich habe gelacht, als ich gelesen habe, was Sie
damals alles aufgeschrieben haben. Wenn Ihre Steuerpolitik eine Person wäre und zwei Beine hätte, dann
könnte sie Stargast in der Sendung Pleiten, Pech und
Pannen sein.
({8})
Schauen wir uns einmal die FDP an. Sie sind als
Mehr-netto-vom-Brutto-Partei gestartet. Dann haben Sie
irgendwann gemerkt, dass Sie ein totes Pferd reiten, und
sind abgestiegen. Nach den jetzigen Umfragen liegen
Sie bei 2 Prozent. Sie suchen nach einem neuen Pferd,
haben es aber nicht gefunden. Geblieben ist eine unsägliche Klientelpolitik, die ihren Ausdruck zum Beispiel in
der Steuererleichterung für Mövenpick fand.
({9})
Herr Michelbach, schauen wir uns doch einmal die
Union an. Sie als Union haben doch die Klientelpolitik
ebenfalls vorangetrieben. Ich darf nur an die CSU erinnern, die bei der Hoteliersteuer an führender Stelle beteiligt war.
({10})
Sie machen Steuerpolitik nach dem Motto: Wer sich
bewegt, hat schon verloren. Vermögensteuer, Gemeindefinanzreform, Vereinfachung des Steuerrechts, Mehrwertsteuerreform, Finanztransaktionsteuer - alles Fehlanzeige bei Ihnen. Das ist Ihre Bilanz. Diese Koalition
ist doch steuerpolitisch am Ende. Sie leben alleine von
den Erfolgen einer Reformpolitik, zu der Sie nichts beigetragen haben.
({11})
Wohlstand, Sicherheit und soziale Gerechtigkeit erfordern einen handlungsfähigen Staat. Dazu sind ausreichende und verlässliche Staatseinnahmen nötig. Wenn
wir uns den Schuldenstand von Bund, Ländern und
Kommunen anschauen, dann stellen wir fest: Wir sind in
vielen Bereichen von einem handlungsfähigen Staat weit
entfernt.
({12})
Das gilt für die Bundesländer und Kommunen, die zukünftig auch die Schuldenbremse einhalten müssen. Nun
glaubt die Linke, mit der Vermögensteuer - diese steht ja
den Bundesländern zu - den steuerpolitischen Stein der
Weisen gefunden zu haben,
({13})
damit sie nicht mehr Haushalte konsolidieren muss. Das
ist doch Ihr Problem. Haushaltskonsolidierung und die
Einhaltung der Schuldenbremse sind eine große Herausforderung. Das ist völlig unbestritten.
({14})
- Was war Ihre Frage?
({15})
- Das habe ich viermal gesagt. Sie müssen einfach nur
zuhören, dann erledigt sich schon einiges.
({16})
Die Vermögensteuer ist ein wichtiges Element zur
Landesfinanzierung. Das ist unbestritten. Deshalb wundere ich mich, dass CDU und FDP diese ablehnen und
die FDP auch noch Steuersenkungen auf Pump fordert
({17})
und in Nordrhein-Westfalen den Wahlkampf damit bestreitet, sich als oberster Haushaltskonsolidierer zu pro20102
filieren. Das passt überhaupt nicht zusammen. Schauen
Sie sich doch Nordrhein-Westfalen an.
({18})
Die rot-grüne Landesregierung hat den notleidenden
Kommunen mit dem Stärkungspakt Kommunalfinanzen
unter die Arme gegriffen.
({19})
Was hat der Bund gemacht? Sie greifen den Ländern und
den Kommunen in die Tasche und nehmen ihnen das
Geld wieder weg.
({20})
Diese Art der finanzpolitischen Arbeitsteilung verurteilen wir. Dies ist doch unsinnig.
Die Vermögensteuer ist kein Deus ex Machina, kein
Geist aus der Flasche, kein Wundermittel zur Lösung aller Probleme, wie die Fraktion Die Linke glaubt.
({21})
Kollege Zöllmer, es tut mir leid, Sie müssen zum
Schluss kommen.
({0})
- Die Zwischenfrage von der FDP kommt ein bisschen
zu spät zur Verlängerung der Redezeit.
Das finde auch ich. - Die Vermögensteuer ist verfassungsrechtlich möglich, die Bewertungsprobleme sind
lösbar, sie schafft mehr Gerechtigkeit. Deshalb ist sie
dringend notwendig.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Daniel Volk
das Wort.
({0})
Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Zöllmer, Sie
haben schon eine sehr selektive Sichtweise der letzten
Jahre hier dargelegt. Die Sichtweise ist abhängig davon,
wer in welchem Bundesland regiert. Ich darf Ihnen zunächst einmal darlegen, dass wir in der Steuerpolitik zu
Beginn dieser Legislaturperiode mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz Familien in Deutschland entlastet
haben. Wir haben bei der Gewerbesteuer die substanzbesteuernden Elemente zurückgefahren.
({0})
Uns wurde schon damals von Ihnen gesagt, das sei sozusagen das Ende einer soliden Staatsfinanzierung.
({1})
Das Gegenteil ist eingetreten. Wir haben sprudelnde
Steuereinnahmen. Die Steuereinnahmen sind jetzt so
hoch wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland.
({2})
Wir haben den Haushalt so geführt, dass wir in den
nächsten Jahren, 2013/2014, in den Bereich eines ausgeglichenen Haushaltes kommen werden. Das ist das Ergebnis der soliden Steuer- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung.
Wenn ich auch noch darauf hinweisen darf:
({3})
Ein weiteres Ergebnis dieser Bundesregierung ist, dass
wir historisch niedrige Arbeitslosenzahlen haben.
({4})
Wissen Sie, das unterscheidet eben uns von Ihnen.
({5})
Als Rot-Grün 2005 abgewählt wurde, haben Sie als Ergebnis Ihrer Regierungspolitik mehr als 5 Millionen Arbeitslose hinterlassen. Wir haben die Arbeitslosenzahlen
auf ein historisches Niveau gesenkt. Wir sorgen für mehr
Wohlstand für alle in diesem Land.
({6})
Wenn Sie sich hier hinstellen und feststellen, dass
Wohlstand und Vermögen ungerecht verteilt sind,
({7})
dann kommt einem doch gleich die Frage in den Sinn,
wie das wieder zusammengeführt werden kann.
({8})
Ihr Weg ist: Dann nehmen wir es halt den Reichen
({9})
und geben es den Armen - eine Art Robin-Hood-Politik.
Nur leider Gottes wird diese Politik nicht aufgehen. Der
richtige Ansatz - das macht diese Regierung Dr. Daniel Volk
({10})
ist, denjenigen mit unteren oder mittleren Einkommen
die Möglichkeit zu geben, am Wohlstand zu partizipieren,
({11})
Vermögen aufzubauen, die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen von einer überzogenen Besteuerung zu
entlasten.
({12})
Die kalte Progression abzubauen, heißt, den Beziehern
unterer und mittlerer Einkommen die Möglichkeit zu geben, am Wohlstand teilzuhaben.
({13})
Ich fordere Sie auf: Gehen Sie diesen Schritt mit! Machen Sie wirklich eine Politik für die Bezieher unterer
und mittlerer Einkommen! Damit wird es in Deutschland
Wohlstand für alle geben. Das ist ein vernünftiger Ansatz in der Steuer- und Finanzpolitik,
({14})
im Gegensatz zu einer Haushaltspolitik, die wie in Nordrhein-Westfalen in immer mehr Verschuldung geht.
({15})
Es muss vielmehr eine Politik des gerechten Ausgleichs
und einer soliden Staatsfinanzierung sowie eine gute
Steuerpolitik geben, wovon jede Person hier partizipieren kann.
Vielen Dank.
({16})
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege
von Stetten für die Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die lebhafte Debatte zeigt, dass am kommenden Wochenende, wenn auch nur in einem kleinen Bundesland, Landtagswahlen stattfinden.
({0})
Sollte der heute öffentlich beratene Antrag der Linksfraktion Rückenwind für den Spitzengenossen Oskar
Lafontaine erzeugen, so ist dieser Schuss, wie die heutige Debatte gezeigt hat, nach hinten losgegangen.
({1})
Denn eine 5-prozentige Vermögensabgabe ist volkswirtschaftlicher Wahnsinn und ein Schritt in die falsche
Richtung.
({2})
Die Linken träumen von einer jährlichen Einnahme in
Höhe von 80 Milliarden Euro, die sie bei den Bürgern
abkassieren wollen.
({3})
Dabei wissen sie ganz genau, dass das nicht umgesetzt
werden wird. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen
hat es sehr klar herausgearbeitet: Sie haben noch nicht
einmal festgelegt, was mit Sachvermögen gemeint ist
bzw. wie Sie verhindern wollen, dass Umgehungstatbestände, die Sie ja sonst immer anprangern, geschaffen
werden.
({4})
Das wird in Ihrem Antrag nicht deutlich; er ist völlig diffus, auch wenn er zum wiederholten Male in dieser Legislaturperiode eingebracht worden ist.
({5})
- Herr Poß, es kommt mir sowieso so vor, als ob die
linke Seite des Hauses, wenn es um steuerpolitische Fragen geht, nur drei Antworten kennt: Einmal fordern Sie
die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, dann die Erhöhung der Erbschaftsteuer und, wie jetzt auch wieder, die
Einführung der Vermögensteuer.
({6})
All das bringen Sie immer wieder ein.
In schöner Regelmäßigkeit gibt es auch einen Antrag
der Linksfraktion, der im letzten Jahr schon zweimal abgelehnt worden ist.
({7})
- Das befürchten wir. - Ich sehe übrigens auch keinen
großen qualitativen Unterschied zu dem Antrag, der im
letzten Jahr vom Haus abgelehnt worden ist. Nur ein
kleiner Unterschied ist mir aufgefallen, der qualitativ
vielleicht bedeutend ist: Im letzten Jahr sollte das Parlament noch beschließen, dass jährlich ein Steuersatz von
5 Prozent für Vermögen, das über dem Freibetrag liegt,
erhoben wird. In Ihrem jetzigen Antrag haben Sie als
Stichtag nicht den 31. Dezember des jeweiligen Jahres,
sondern den 31. Dezember 2012 festgelegt. So stellt sich
die Frage: Soll das eine einmalige Abgabe sein, die zum
Ende des Jahres 2012 erhoben wird?
({8})
Ich habe gehofft, dass Sie klüger geworden sind. Sie
bleiben also bei der Forderung von jährlich 5 Prozent
und sorgen dadurch dafür, dass die Substanz entzogen
wird. Ich glaube, dass wir das beim letzten Mal auch
schon diskutiert haben. Bei einem Steuersatz von 5 Prozent auf den Verkehrswert für das Vermögen, das über
dem Freibetrag liegt, enteignen Sie die Bürger nach
20 Jahren.
({9})
Nehmen wir den Besitzer eines großen Hauses: Im
ersten Jahr haben Sie die Hofeinfahrt wegbesteuert, im
zweiten Jahr die Garage, im dritten Jahr das Bad und im
vierten Jahr die Küche. Nach 20 Jahren haben Sie aus
dem stolzen Hausbesitzer wieder einen Mieter gemacht.
Anträge auf Einführung dieses Sozialismus können Sie
ruhig noch öfter im Parlament einbringen. Wir werden
Ihre Anträge immer wieder ablehnen.
({10})
Herr Ernst, ich komme zu den Mietern. Der Kollege
Gutting hat die Auswirkungen auf den Mieter am Anfang sehr gut dargestellt. Sie haben dennoch an den Kollegen Wissing eine Zwischenfrage gestellt, warum die
normalen Mieter von dieser Vermögensteuerabgabe betroffen sind. Nach den Ausführungen des Kollegen
Wissing haben Sie gesagt, Sie hätten es immer noch
nicht verstanden.
({11})
Deswegen möchte ich es Ihnen noch einmal erklären:
Nehmen wir einen privaten Besitzer großer Immobilien,
für Sie im Prinzip also eines der Feindbilder, die jeden
Tag durch das Dorf getrieben werden. Dieser Immobilienbesitzer hat verschiedene Wohnungen und durch die
Mieteinnahmen eine Verzinsung von - ich sage mal 4 Prozent. Von diesen 4 Prozent muss er seine Steuern
zahlen. Dann kommen Sie mit einer jährlichen Substanzsteuer in Höhe von 5 Prozent. Er wäre ein schlechter Unternehmer, wenn er das mitmachen würde. Er würde also
versuchen, diese Wohnungen am Markt zu verkaufen.
Wer aber kauft ein Objekt mit einer Rendite von 4 Prozent, wenn er darauf 5 Prozent Steuern zahlen muss?
({12})
Er wird diese Wohnungen nicht loswerden. Was wird er
also tun? Er wird die Abgabe von 5 Prozent über die
Mietnebenkosten auf die Mieter abwälzen. Ein Abwälzen der 5-prozentigen Vermögensteuer auf die Mietnebenkosten bedeutet für den normalen Mieter eine Verdoppelung der jährlichen Mietnebenkosten. Das werden
CDU/CSU und FDP in diesem Hause nicht zulassen.
Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen.
({13})
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir sind uns in
der Koalition einig, dass starke Schultern selbstverständlich mehr tragen müssen als schwache Schultern. So ist
unser Steuersystem aufgebaut.
({14})
Dass Sie eine Substanzsteuer einführen wollen, die auch
fällig wird, wenn der Betroffene zum Beispiel die Hälfte
seines Vermögens verloren hat oder wenn das Vermögen
beispielsweise keine Rendite abwirft, ist Gift für unser
Land und für die Betroffenen.
({15})
Betroffen sein werden natürlich auch Familienunternehmer. Sie wollen auch die Handwerksmeister dadurch
schröpfen. Es kann doch keiner sagen, dass dieser Personenkreis für die jetzige Finanzkrise verantwortlich ist.
({16})
Diesem Personenkreis wollen Sie einen höheren Einkommensteuersatz aufoktroyieren. Sie wollen denen einen höheren Erbschaftsteuersatz aufoktroyieren. Auch
die Vermögensteuer trifft selbstverständlich die Familienunternehmer, die ihr Vermögen, das sie in den letzten
Jahrzehnten erarbeitet haben, im Umkreis des Familienunternehmens angehäuft haben, die hier Immobilien gekauft haben, die nicht ins Ausland gegangen sind, sondern treu hier in Deutschland geblieben sind.
Sie können auch mit den Gewerkschaften sprechen.
Fragen Sie die Mitarbeiter, ob sie lieber in einem familiengeführten Unternehmen arbeiten, bei dem sie noch
wissen, wo der Chef sein Büro hat, wo sich der Chef
noch persönlich um deren Anliegen kümmert, oder ob
sie im Falle einer Veräußerung des Unternehmens, weil
die Steuer nicht mehr bezahlt werden konnte, lieber bei
einem anonymen Unternehmen arbeiten wollen. Ich
glaube, hier sind die Antworten relativ deutlich.
Sie schreiben - ich komme zum Schluss - im
Schlusssatz Ihres Antrages, die von Ihnen geplante Millionärsteuer wäre die einzig logische Möglichkeit, die
Staatsschulden abzubauen. Ich glaube, in der heutigen
Debatte ist deutlich geworden, dass es kein logischer
Antrag, sondern ein ideologischer Antrag ohne Substanz
und Sinnhaftigkeit ist. Deswegen werden wir nach intensiven Beratungen, so wie in den vergangenen Jahren,
diesen Antrag ablehnen.
Herzlichen Dank.
({17})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8792 an den Finanzausschuss vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 a und b sowie
die Zusatzpunkte 9 und 10 auf:
27 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Agrarpolitischer Bericht 2011 der Bundesregierung
- Drucksache 17/5810 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({0})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm,
Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Klimabilanz im Ackerbau verbessern
- Drucksachen 17/2487, 17/4888 Buchstabe b Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Röring
Waltraud Wolff ({2})
Dr. Kirsten Tackmann
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Kleingruppenhaltung für Legehennen endgültig beenden
- Drucksache 17/9028 ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, Undine Kurth ({3}), Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verordnung zur Kleingruppenhaltung unverzüglich in Kraft setzen
- Drucksache 17/9035 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich nehme an,
dass das kein Widerspruch ist, was an mein Ohr dringt,
sondern unbedingt notwendige Gespräche. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Deutschland ist ein schönes Land ({0})
so hat es auch unser Bundespräsident heute formuliert -:
herrliche Landschaften, Seen, Gewässer, Meer, Berge.
Wenn Sie am Wochenende in die herrliche Natur hinausgehen, werden Sie das alles sehen können.
Für den Erhalt dieser Landschaften sorgen die Bäuerinnen und Bauern, die Fischer, die Forstwirte und all
diejenigen, die in den grünen Berufen tätig sind. Wir sagen Ihnen heute ein herzliches Dankeschön für Ihre
großartige Arbeit.
({1})
Harte Arbeit, Fleiß, Familiensinn und Bodenständigkeit
zeichnen diese Familien aus. Sie sind das Rückgrat unserer ländlichen Räume.
({2})
Wir diskutieren heute den Agrarpolitischen Bericht
2011 der Bundesregierung. Über 300 000 landwirtschaftliche Betriebe, 650 000 Beschäftigte in der Landwirtschaft, 780 000 Betriebe, 5 Millionen Arbeitsplätze
- Sie hören richtig -: Das ist das Agrobusiness, von der
Urproduktion auf dem Feld bis hin zum Verbraucher. Jeder achte Arbeitsplatz ist in diesem Sektor zu Hause.
Landwirtschaft hat eine ethische, eine ökonomische,
eine ökologische und eine soziale Dimension. Landwirtschaft sichert und bewahrt die Schöpfung, unsere natürlichen Lebensgrundlagen von Mensch, Tier und Natur.
({3})
Das ist die ethische Dimension.
Landwirtschaft ernährt uns. Ernährung ist die Überlebensfrage der Menschheit. Zu Zeiten Goethes lebten
1 Milliarde Menschen auf dem Planeten, heute sind es
7 Milliarden, im Jahr 2050 werden es 10 Milliarden sein.
Diese Menschen wollen jeden Tag etwas essen. Die FAO
prognostiziert uns, dass wir die Nahrungsmittelproduktion bis 2050 um 70 Prozent steigern müssen, und das
bei weniger Fläche und geringer werdenden Ressourcen,
Stichwort Wasser. Das ist die große Herausforderung im
Hinblick auf die Überlebensfrage der Menschheit.
({4})
Die Pflanzen, der Wald und das Land geben uns nicht
nur Nahrung und Energie, sondern sie schützen auch unser Klima, Stichwort CO2-Speicher/Sauerstoffproduzent.
Das ist die ökologische Dimension der Landwirtschaft.
Deshalb sage ich: Bei der Landwirtschaft handelt es sich
nicht - wie es häufig dargestellt wird - um eine Branche
von gestern, mit dem Klischee etwa von Gummistiefeln.
Nein, die Landwirtschaft ist die Schlüsselwirtschaft von
morgen schlechthin.
Diese vielfältige Funktion der Landwirtschaft muss
sich in einer Form von Wertschätzung abbilden. Leider
verzeichnen wir jedoch die Entwicklung, dass der Anteil
der Ausgaben für Nahrungsmittel an den Konsumausgaben insgesamt aus der Sicht des Verbrauchers heute nur
noch 11 Prozent ausmacht, während dieser Anteil 1970
noch bei 20 Prozent lag. Nirgendwo sonst auf der Welt
ist das Angebot an Lebensmitteln so vielfältig und sind
diese so günstig und zugleich qualitativ hochwertig wie
in Deutschland.
({5})
Der Preis für Brot ist seit 1950 um das Zehnfache gestiegen. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, der Preis für
Brotgetreide, das der Bauer liefert, ist jedoch auf dem
Niveau von 1950 stehen geblieben. So stellt sich die Situation dar.
({6})
Deshalb sage ich an dieser Stelle in Richtung Verbraucherinnen und Verbraucher: Die Wertschätzung für unsere Bäuerinnen und Bauern und ihre Leistung ist das
eine. Wir brauchen aber auch eine neue Verbraucherethik. Das bedeutet: Handeln nach dem Motto „Geiz ist
geil“ ist im Hinblick auf die Entlohnung unserer Landwirte nicht zeitgemäß.
({7})
Wir brauchen einen fairen Preis und ein faires Einkommen für harte Arbeit.
Der Agrarbericht, den wir diskutieren, zeigt auf - es
ist immer schwierig, mit Statistiken zu arbeiten -: Das
Bruttoeinkommen pro Familienarbeitskraft lag 2010 bei
30 200 Euro; das ist ein Durchschnittswert, meine Damen und Herren. 2009 hatten wir beispielsweise bei der
Milch die Sonderentwicklung, dass es innerhalb eines
Jahres einen Einbruch der Preise von 30 Prozent gab.
Wir haben heute die Situation, dass es im Bereich der
Milchwirtschaft eine Steigerung der Preise um nahezu
30 Prozent gibt. Die Frage ist immer: Welche Vergleichsbasis nehmen wir? Der Milchpreis von seinerzeit
25 Cent pro Liter war natürlich entschieden zu gering;
heute sind es 35 Cent. Die Statistik ist an dieser Stelle
also nicht aussagekräftig. Der Agrarbericht zeigt aber,
dass der Preistrend insgesamt nach oben geht und die
Stimmung in der Landwirtschaft deshalb gut ist.
Meine Damen und Herren, der Agrarbericht offenbart
aber auch etwas anderes: die Bedeutung der Direktzahlungen. 2010 und 2011 machten Direktzahlungen
52 Prozent des Einkommens der Landwirte aus; das ist
ganz erheblich. Der Anteil der Direktzahlungen und Zuschüsse am Einkommen, der im Agrarbericht ausgewiesen ist, betrug im Durchschnitt 69 Prozent. Das zeigt,
welch hohen Stellenwert die Zahlungen auch in Zukunft
haben. Sie sind unverzichtbar.
Wir müssen deshalb die Betriebe weiter stärken. Die
Koalition aus CDU, CSU und FDP ist sich hier einig.
Wir haben im Sinne der deutschen Landwirtschaft und
der deutschen Verbraucher gehandelt.
({8})
Angesichts der Zeit kann ich nur kurz folgende Punkte
nennen:
Erstens. Es geht um den Erhalt der Förderung im Rahmen der GAP, um nominale Konstanz, um eine starke
erste und zweite Säule der GAP.
Zweitens. Wir werden im Unterschied zu früheren
Regierungen das hohe Niveau der Mittel im Rahmen der
GAK halten.
Drittens. Wir stehen zum ökologischen Landbau. Wir
erhalten die Förderung. Wir fordern aber auch die Länder auf, sich verstärkt in der Frage der Förderung des
ökologischen Landbaus zu engagieren.
({9})
Wir brauchen 10 000 zusätzliche Betriebe, die in diesen
Sektor wechseln; das hat die BioFach eindeutig gezeigt.
Viertens. Wir brauchen Verlässlichkeit in der Agrarsozialpolitik. Diese Koalition, FDP und Union, hat die
Reform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung umgesetzt.
Fünftens. Die Reform der Erbschaftsteuer hatte und
hat eine große Bedeutung. Das Eigentum, meine Damen
und Herren, die Höfe müssen auch in Zukunft in der Generationenfolge vererbbar bleiben.
({10})
Sechstens. Ohne Landwirte wird auch die Energiewende nicht gelingen. Ich nenne die Themen Biomasse
und Photovoltaik. Wir haben hier Themen, die wir gemeinsam anzugehen haben: Durchleitungsrechte, Netzbau.
Siebtens: das Problem der Ausgleichsflächenregelung. Wir verlieren täglich circa 100 Hektar Nutzfläche.
Es kann nicht sein - hier müssen wir zu Änderungen
kommen -, dass wir für jedes Windrad zusätzlich 5 Hektar Ausgleichsfläche ausweisen müssen. Wir werden
dies ändern.
({11})
Der Flächenfraß muss gestoppt werden. Deshalb lehnen
wir auch die vorliegenden Vorschläge der EU-Kommission zum Greening ab.
({12})
Meine Damen und Herren, unser Leitbild ist die nachhaltige, ressourcenschonende, produktive Landwirtschaft
mit höchsten Umwelt-, Tierschutz- und Produktionsstandards. Bundesministerin Aigner hat in Deutschland und
in der EU großartige Erfolge erzielt. Wir werden weitere
Vorschläge zur Reform der GAP machen, insbesondere
in Richtung Entbürokratisierung. Der Bauer gehört aufs
Feld und nicht vornehmlich ins Büro.
({13})
Die Bundesministerin setzt auf Dialog und Transparenz. Im Charta-Prozess wurde ein Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen geführt. Die Stalltüren sind offen, die Betriebe haben nichts zu verbergen. Frau Aigner
hat wichtige weitere Schritte angekündigt, die ich zum
Schluss nur kurz aufführen möchte.
Herr Staatssekretär, das können Sie gern tun. Ich
muss Sie darauf aufmerksam machen, dass das dann
aber Auswirkungen für die Redner der Unionsfraktion
hat.
Frau Pau, wenn Sie mich so behandeln würden wie
üblicherweise auch die Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen? Ich bin in einer Minute fertig.
Frau Aigner hat weitere für die Zukunft wichtige
Schritte angekündigt, über die wir diskutieren werden.
Wir werden Vorschläge zur Weiterentwicklung des Tierschutzes und zur Verbesserung des Tierwohls vorlegen.
Wir werden neben den bereits vorhandenen weitere Vorschläge zur Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika
in der Mast vorlegen. Wir werden weitere Vorschläge
zur Stärkung der Lebensmittelsicherheit vorlegen und
umsetzen. Frau Aigner hat das Thema Lebensmittelverschwendung aufgegriffen. Wir treten gegen die Welle
von Spekulationen im Bereich der Agrarrohstoffe an.
Wir verstärken die Agrarforschung. Außerdem stellen
wir uns dem Thema Welternährung.
({0})
Die deutsche Landwirtschaft ist gut aufgestellt. Die
Politik steht zu unseren Bauern. Die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung ist eine nationale strategische
Aufgabe, international gesehen geht es schlechthin um
das Überleben der Menschheit. Deshalb sind wir stolz
auf unser Land und unsere Bauern.
Herzlichen Dank.
({1})
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Wilhelm Priesmeier.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eben
den Eindruck gewonnen, die Rede kann eigentlich nur
der Deutsche Bauernverband geschrieben haben.
({0})
Sie beschwören eine Agrarromantik
({1})
und verkünden mit großen Pathos, dass die Regierung
zur Landwirtschaft steht. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit, das muss man nicht betonen.
Wir debattieren über den Agrarbericht 2011. Das ist
immer eine Gelegenheit, auch zu der grundsätzlichen
Ausrichtung der Agrarpolitik Stellung zu nehmen. Dazu
habe ich heute allerdings nichts gehört. Von zukunftsfähiger Agrarpolitik war überhaupt nicht die Rede.
Wenn man die Bilanz der deutschen Land- und Agrarwirtschaft betrachtet, dann stellt man fest: Das kann sich
sehen lassen. Seit 2000 gab es bei der Schweinefleischproduktion eine Steigerung um 45 Prozent, die Geflügelfleischproduktion hat sich fast verdoppelt, und der
Exportwert liegt bei über 60 Milliarden Euro. Uns Sozialdemokraten interessieren besonders auch die Arbeitsplätze. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille.
Die andere Seite der Medaille ist, dass wir die gesellschaftliche Diskussion über die Land- und Agrarwirtschaft nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Diese haben
Sie jedoch vollständig aus dem Blick verloren, wie wir
heute sehen konnten.
Nach der Abwesenheit bei der gestrigen Debatte hatte
ich gehofft, dass die Ministerin zumindest bei der heutigen Debatte anwesend wäre.
({2})
Aber die Ministerin zieht es offensichtlich vor, die deutsche Agrarpolitik auf Pressekonferenzen oder Empfängen zu kommentieren und nicht dort, wo das eigentlich
hingehört, nämlich hier im deutschen Parlament.
({3})
Es würde sich anbieten, den Antrag zu stellen, die Ministerin herbeizuzitieren. Ich finde, das ist eine Missachtung der Agrardebatte. Das kann es eigentlich gar nicht
geben. Die Ministerin gehört hierher und nicht der
Staatssekretär.
({4})
Die deutsche Agrarpolitik steckt trotz all der Erfolge
in einem großen Dilemma. Das werden Sie aber nicht
auflösen, zumindest nicht mit der rückwärts gewandten
Politik, die Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Brüssel
betreiben.
({5})
Lassen Sie mich als Beispiel die Veredelungswirtschaft
nennen. In der gesellschaftlichen Debatte wird deutlich,
was sich dort abspielt. Das ist für jeden wahrnehmbar.
Man muss sich nur die Stellungnahmen der großen Organisationen wie NABU und der kirchlichen Organisationen durchlesen. Die muss man doch ernst nehmen.
Bei aller Lobhudelei und aller Freude über die wirtschaftliche Stärke und unsere Wettbewerbsfähigkeit: Das
kann man doch nicht verdrängen.
({6})
Wir brauchen vernünftige Rahmenbedingungen, die in
der Gesellschaft Akzeptanz finden; denn sonst gerät dieser wichtige volkswirtschaftliche Sektor der Agrarwirtschaft zunehmend in Schwierigkeiten. Es wird in
Zukunft erhebliche Diskussionen über die Weiterentwicklung dieses Sektors geben, vor allem was die Standards betrifft.
Mit der Charta für Landwirtschaft und Verbraucher
haben Sie einen richtigen Weg eingeschlagen. Er muss
aber fortgeführt und verstetigt werden. Wir dürfen das
nicht auf eine einmalige Aktion und einen einmaligen
Ansatz beschränken, sondern wir müssen mit all den Beteiligten dauerhaft im Gespräch bleiben und die Agrarpolitik stetig weiterentwickeln.
({7})
Schauen Sie sich die DAFA-Strategie zur Nutztierhaltung an, die letzte Woche beschlossen wurde. Sie ist ein
Ansatz, dessen Umsetzung uns alle vor Herausforderungen stellt. Insofern glaube ich, dass man darauf in der
Zukunft auch die deutsche Agrarpolitik mit ausrichten
sollte.
Wir brauchen mehr Akzeptanz für Investitionen zum
Beispiel in Stallbauten in ländlichen Räumen. Wir brauchen Bewegung im Baugesetz, um hier flexibel ansetzen
zu können. Man darf sich da nicht - wie letztens geschehen - verweigern.
Ein Problem ist die Belastung der Böden mit Nitraten.
Dieses Problem ist die Regierung hier bislang noch nicht
angegangen. Das Erlassen einer Verbringungsverordnung allein löst das Problem nicht. Wir verlieren in der
Landschaft zunehmend an Artenvielfalt. In den letzten
40 Jahren sind mindestens 40 Arten verlorengegangen.
Die Flächenkonkurrenz steigt auch aufgrund der Biomasseproduktion. Wir müssen uns klar positionieren,
wir müssen deutlich machen, wohin wir in Zukunft wollen. Auch die Regierung muss das tun. Die Diskussion
über den Antibiotikaverbrauch in den letzten Monaten
hat gezeigt, wie schwierig die Situation wird, wenn es
um das Verbrauchervertrauen geht. Da brauchen wir
klare und eindeutige Minderungsziele und nicht einfach
nur einen hohlen Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes bzw. eine Novelle, die außer Verordnungsermächtigungen an Klarheit nichts enthält und mit der wir
die weitere Ausgestaltung eventuell den Bürokraten auf
der Länder- und der Bundesebene überlassen. So geht
das nicht.
({8})
In der Weise - das ist schon gewiss - wird der Gesetzentwurf auch nicht hier durch das Parlament gehen. Da
wollen wir Hand anlegen; wir wollen da ordentlich etwas tun. Sie führen Scheindebatten über das Dispensierrecht, treffen aber den eigentlichen Kern des Problems
nicht.
Wir brauchen ein besseres und tiergerechtes Haltungssystem für die Tiere, mehr Hygiene im Stall und
ein besseres Management in der Produktion. Vor allen
Dingen müssen wir die Systeme an die Tiere anpassen und nicht umgekehrt.
({9})
Man braucht Geld, um diese Entwicklung zu befördern.
Das Geld brauchen wir in der zweiten Säule und nicht
mehr in der ersten, wie Sie es hier mit Ihrer Agrarsteinzeitpolitik vertreten.
Wenn wir zukünftig einen richtungsweisenden Ansatz
für die Agrarpolitik haben wollen, kann das an sich nur
heißen: langsamer, aber stetiger Ausstieg aus dem System der an sich überholten Direktzahlungen und weg mit
dem Gießkannenprinzip. Die Direktzahlungsverordnung, die wir nach 2014 bekommen werden, bietet einen
Ansatz dafür. Schichten wir zunächst einmal 510 Millionen Euro von der ersten in die zweite Säule um. Dann
haben wir den finanziellen Spielraum, um das mitzugestalten. Beschränken wir die Ausgleichszulage auf Regionen, die sie brauchen, und verteilen wir sie nicht an
alle Regionen. 30 Prozent können bei uns nicht so benachteiligt sein. Das ergibt sich aus den Zahlen, die Sie
heute Morgen vorgetragen haben. Insofern schaffen wir
- auch durch Verlagerung der Ausgleichszahlungen von
der ersten in die zweite Säule - für die Kofinanzierung
Raum. Dann sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg.
Wir brauchen für die Zukunft mehr Investitionen,
klare Rahmenbedingungen und vor allen Dingen mehr
Investitionen in Beschäftigung, Wertschöpfung und
Innovation. Davon ist heute hier gar nichts deutlich geworden.
({10})
Wir brauchen in der zweiten Säule langfristig angelegte
Förderprogramme und keine kurzfristigen Programme,
die man nur als Sonderprogramme für bestimmte Bereiche vorantreibt. Wir brauchen öffentliches Geld nur
noch für öffentliche Güter. Wir müssen die Artenvielfalt
sichern. Wir müssen uns dem Klimaschutz aktiv zuwenden und das Tierwohl verbessern. Das alles sind Maßnahmen, zu denen Sie hier heute vom Grundsatz her
keine Stellung bezogen haben.
Entwickeln Sie doch endlich eine Konzeption, die
von allen Fraktionen hier im Parlament getragen wird
und mit der wir gemeinsam aus der jetzigen antiquierten
Agrarpolitik aussteigen.
({11})
Ich setze fest darauf, dass wir Sozialdemokraten spätestens ab 2013 diese Fehler korrigieren können. Die Zeit
ist reif für den Wandel.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen
Dank.
({12})
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Christel
Happach-Kasan das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Allensbacher Jahrbuch beschreibt seit
Beginn der Bundesrepublik Deutschland die Bewusstseinslage in Deutschland. Im zwölften Jahrbuch aus dem
Jahre 2010 heißt es: 96 Prozent der Menschen in
Deutschland stimmen der Aussage zu, dass wir eine
schöne Landschaft und eine herrliche Natur haben.
87 Prozent stimmen dieser Aussage zu: Bei uns gibt es
gutes Essen und Trinken. Im Fazit: Landwirtschaft tut
gut. Das ist ein hervorragendes Ergebnis, das unsere
Landwirte erzielen.
({0})
Dass das nicht nur graue Zahlen sind, zeigt sich auch
daran, dass regionale Produkte an Beliebtheit gewinnen,
und zwar nicht nur regionale Produkte, die bei uns hergestellt werden, sondern auch Produkte, für die die Idee
aus Deutschland stammt, beispielsweise Lübecker Marzipan. Die Idee stammt aus Lübeck. Das ist ein hervorragendes Produkt, das sich großer Beliebtheit erfreut.
({1})
Die drei Länder, in denen die meisten Menschen aus
Deutschland Ferien machen, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, sind landwirtschaftlich strukturiert. Auch das zeigt, dass Landwirtschaft unserem Land guttut.
Ich weiß, dass es Demonstrationen gegen die Ansiedlung landwirtschaftlicher Betriebe gibt. Ich weiß aber
auch, dass dies Einzelereignisse sind; das macht das
Allensbacher Jahrbuch deutlich. Die Volksabstimmung
zu Stuttgart 21 hat uns gezeigt, dass die lauten Rufer
nicht automatisch die Mehrheit haben.
({2})
Das wurde auch im Januar dieses Jahres in Berlin deutlich: Von 90 Verbänden eingeladen, haben 5 300 Menschen gegen unsere heimische Landwirtschaft demonstriert, aber 400 000 Menschen haben die Grüne Woche
besucht und dafür sogar Eintritt gezahlt.
({3})
Die Anerkennung für unsere Landwirtschaft ist also
enorm groß.
5 Millionen Menschen sind in der Landwirtschaft und
in den vor- und nachgelagerten Bereichen beschäftigt.
Die Bruttowertschöpfung beträgt 140 Milliarden Euro.
Das Exportvolumen beträgt 50 Milliarden Euro. Damit
werden Arbeitsplätze in Land- und Ernährungswirtschaft
in Deutschland gesichert.
Die Regierungskoalition hat eine sehr gute Bilanz
vorzuweisen: Waldgesetz und Waldstrategie sind auf den
Weg gebracht, die Agrardieselbesteuerung konnte zurückgeführt werden, der Bereich der Pflanzenschutzmittelzulassungen wurde geordnet, über die Charta wird
- das erkennt sogar die SPD an - eine gute Diskussion
mit der Bevölkerung geführt, die Neuorganisation der
Landwirtschaftlichen Sozialversicherung wurde auf den
Weg gebracht - schade, dass die SPD, obwohl sie im
Plenum zustimmt, im Hintergrund dagegen arbeitet -,
und auch das Problem mit der Fehlsteuerung des EEG
im Bereich der Biomasse, das gerade vonseiten der SPD
kritisiert wurde, haben wir behoben.
({4})
- Du hast vollkommen recht, Wilhelm.
({5})
Was ist weiterhin zu tun? Darauf wollen wir gerne zu
sprechen kommen. Wenn wir uns den Agrarbericht anschauen, dann müssen wir feststellen, dass die Einkommen im Bereich der Landwirtschaft in den letzten fünf
Jahren geringer waren als in den fünf Jahren davor, dass
die Einkommen im Bereich der Landwirtschaft nach wie
vor niedriger sind als die gewerblichen Vergleichseinkommen.
({6})
Das bedeutet, dass man mit der Beendigung der Direktzahlungen die landwirtschaftlichen Betriebe letztlich in
die Armut treiben würde. Das muss jeder wissen, der
sagt: Wir wollen die Direktzahlungen beenden. - Das
wollen wir nicht. Deswegen stehen wir zu den zwei Säulen der Landwirtschaft.
({7})
Der Strukturwandel wird sich natürlich weiter vollziehen; das ist der entscheidende Impuls. Wir wollen diesen
Strukturwandel begleiten, damit er sich nach ethischen
Maßstäben und sozialverträglich vollzieht.
({8})
Wir wollen den Strukturwandel nicht aufhalten; denn das
würde Gelder kosten, die wir alle nicht haben - Sie übrigens auch nicht.
Kollegin Happach-Kasan, gestatten Sie eine Frage
oder Bemerkung des Kollegen Priesmeier?
Eine Frage, ja.
({0})
Tja, unsere Geschäftsordnung gibt beide Möglichkeiten her. - Bitte.
Es ehrt Sie, Frau Kollegin, dass Sie Fragen gestatten.
Lassen Sie mich aber auch eine Bemerkung machen.
Kennen Sie das Gutachten des Sachverständigenrates
zur Agrarpolitik, insbesondere die Perspektiven, Aussagen und Forderungen, die darin bezogen auf die Fortführung des Direktzahlungssystems enthalten sind? Kennen
Sie zum Beispiel die Stellungnahme des an sich doch
sehr renommierten Agrarökonomen Professor Isermeyer?
Wissen Sie, was er dazu sagt? Können Sie mir vielleicht
deutlich machen, worin der Unterschied zwischen seiner
Position und Ihrer Position liegt? Warum möchten Sie
das so weiterführen?
Ich habe nicht gesagt, dass ich irgendetwas weiterführen möchte. Ich habe gesagt, dass wir diese Direktzahlungen im Bereich der Landwirtschaft in der heutigen
Situation, die im Agrarbericht der Bundesregierung aufgezeigt wird, brauchen, dass wir für die Zukunft aber einen Ausstieg haben wollen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat mit dem Modell der Kulturlandschaftsprämie,
mit der Forderung nach einer Entkoppelung einen Weg
beschrieben, wie man Direktzahlungen sukzessive ablösen kann. Das beinhaltet, dass wir den Landwirten die
Möglichkeit geben müssen, ihr Einkommen vollständig
am Markt zu erwirtschaften. Das bedeutet, dass wir in
Forschung investieren müssen, um eine nachhaltige Produktivitätssteigerung zu erreichen; dies wird so vorgeschlagen.
Ich stimme sowohl Professor Isermeyer als auch Professor Schmitz, der dies auf dem Agrarkongress der
FDP-Bundestagsfraktion in Kiel noch einmal deutlich
gemacht hat, zu, dass wir natürlich im Blick haben müssen, dass wir das Ziel, mehr am Markt zu erwirtschaften,
nur über eine nachhaltige Produktivitätssteigerung erreichen können. Diese müssen wir langfristig anlegen, um
sicherzugehen, dass genau die Betriebe, die Zukunftspotenzial haben, erhalten bleiben und nicht die Betriebe
gestärkt werden, die dieses Zukunftspotenzial nicht haben. Wir wollen nicht, dass jemand seinen landwirtschaftlichen Betrieb aufgeben muss und in Armut fällt.
Wir wollen den geordneten Ausstieg mancher Betriebe aus der Landwirtschaft. Wir wollen selbstverständlich sicherstellen, dass die Landwirtschaft Strukturen bekommt, die dazu beitragen, dass die in der
Landwirtschaft Tätigen ihr Einkommen selbstständig erwirtschaften können. Da sind wir mit den Wissenschaftlern in keiner Weise auseinander. Aber wir sagen auch:
Dies muss sukzessive erfolgen. Es kann nicht von heute
auf morgen geschehen.
({0})
Wir brauchen eine Verbraucherethik; diese hat Staatssekretär Müller zutreffend beschrieben. Wir sehen: Aus
der Bevölkerung werden Ansprüche an die Landwirtschaft gestellt, aber die Bereitschaft, für entsprechende
Produkte mehr zu zahlen, ist vergleichsweise gering.
Deswegen müssen wir dafür werben, dass die Menschen
die Leistungen, die sie einfordern, auch bezahlen.
Ich habe gesagt: Wir brauchen eine nachhaltige Produktivitätssteigerung. Das bedeutet auch, dass wir mehr
Forschung brauchen. Zwei unserer Ressortforschungseinrichtungen sind Teile von Exzellenzclustern; Sie wissen das sicherlich. Es handelt sich um das Institut in Mariensee und das Institut in Kiel. Ich finde, beide müssten
dafür belohnt werden, dass sie - anders als andere Institute - mit ihrer Forschung international Anschluss gefunden haben.
Wir müssen natürlich auch darauf einwirken, dass die
Forschungsergebnisse umgesetzt werden. Da gibt es
nach wie vor Defizite, zum Beispiel im Bereich der Biomasseproduktion. Kurzumtriebsplantagen haben noch
nicht den Stellenwert, den sie laut Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats haben sollten. Die gentechnische
Züchtung hat in Deutschland nicht den Rückhalt, den sie
braucht. Durch sie werden den Landwirten neue Sorten
an die Hand gegeben, die ertragreicher sind und bei denen weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden
müssen.
Ehec hat uns vor Augen geführt, dass für die Lebensmittelsicherheit nicht die Belastungen mit chemischen
Produkten, beispielsweise mit Dioxin - darüber wurde
Anfang letzten Jahres gesprochen -, das Problem sind,
sondern die Keimbelastungen. Deswegen müssen wir
dem Bereich Hygiene sehr viel mehr Stellenwert einräumen als bisher. Wir müssen auch deutlich machen, dass
die Vermeidung von Antibiotikaresistenzen wichtig ist.
Wir brauchen nach meiner Auffassung auf europäischer Ebene ein Tierwohl-Label auf freiwilliger Basis,
wie es von vielen gefordert wird. Dieses zeichnet Tierhaltung mit einem höheren Tierschutzstandard aus. Die
Menschen, die diesen fordern, haben dann die Wahl und
werden dann aber auch entsprechend mehr für diese Produkte zahlen.
Bei der Legehennenverordnung ist nicht Tierschutz
das Thema.
Kollegin Happach-Kasan, ich glaube, Sie können
jetzt kein neues Thema mehr ansprechen. Das Minus vor
der Zeitangabe zeigt Ihnen, wie weit Sie Ihre Redezeit
bereits überschritten haben.
Dann werde ich meine Rede abschließen. - Der Bundesratsbeschluss zielt nicht auf Tierschutz, sondern darauf, dass wir uns grundgesetzwidrig verhalten. Dies
kann die Bundesregierung natürlich nicht tun.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Alexander Süßmair für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute vor allem den Agrarpolitischen Bericht 2011 der Bundesregierung. Darin geht es
um die Situation der Landwirtschaft von 2007 bis 2010
und um die Ziele der Agrarpolitik. In dem Bericht heißt
es so schön - ich zitiere -:
Zur Ernährungssicherung einer wachsenden Weltbevölkerung und zur Produktion nachwachsender
Rohstoffe ist eine leistungsfähige und sozialverträgliche, Ressourcen schonende, die Biodiversität
erhaltende Wirtschaftsweise erforderlich.
Alle diese Ziele sind richtig. Man könnte glauben, dass
Sie durchaus verstanden haben, worum es geht. Aber
stimmt das mit der Agrarpolitik, die Sie betreiben, überein? Ich sage nein. Das beweise ich Ihnen anhand zweier
Punkte.
Punkt eins. Ihre Politik ist nicht sozialverträglich;
denn die Einkommen im ländlichen Raum sind immer
noch geringer als die in den industriellen Ballungsgebieten. Das steht auch im Bericht. Dort kann man nachlesen, dass im Wirtschaftsjahr 2009/2010 das durchschnittliche jährliche Bruttoeinkommen eines Landwirts
bzw. einer Landwirtin 23 211 Euro betrug.
Das sind im Monat etwa 1 934 Euro. Damit lag das
Einkommen der Landwirte um 34 Prozent unter dem
durchschnittlichen Bruttoeinkommen. Viele Menschen
wandern deshalb aus den ländlichen Räumen ab, und
viele Betriebe finden keinen Nachfolger.
Heute ist Equal Pay Day. Das heißt: gleicher Lohn für
die gleiche Arbeit für Männer und Frauen.
({0})
Leider ist es auch im ländlichen Raum so, dass Frauen
für die gleiche Arbeit weniger Lohn bekommen als Männer. Damit sind Frauen, was ihre Einkommen betrifft, im
ländlichen Raum am schlechtesten gestellt. Nur 8 Prozent der Betriebe in der Landwirtschaft werden von
Frauen geleitet. Da wundert es nicht, dass vor allem
junge, qualifizierte Frauen den ländlichen Raum verlassen.
Was steht dazu im Agrarbericht der Bundesregierung?
Auf Seite 76 befindet sich eine Tabelle zu Auszubildenden in Agrarberufen. Dort steht das Wort „Molkereifachmann/-frau“. Das ist das einzige Mal, dass in diesem
Agrarbericht das Wort „Frau“ überhaupt vorkommt.
({1})
Auf 108 Seiten kein Wort zur Situation von Frauen in
der Landwirtschaft, geschweige denn zu gleichem Lohn
und Chancengleichheit von Männern und Frauen!
({2})
Das ist ein Armutszeugnis für Ministerin Aigner und ein
Tiefschlag für die schwarz-gelbe Bundesregierung.
({3})
Der Trend zur Industriealisierung der Landwirtschaft
hat sich in den letzten Jahren drastisch verstärkt. Durch
die Öffnung der Märkte und die Orientierung auf den
Weltmarkt sind die landwirtschaftlichen Betriebe einem
immer stärkeren Kostendruck ausgesetzt. Dafür müssen
dann Hunderttausende von Saisonarbeitskräften aus Osteuropa teils zu Hungerlöhnen schuften, und die Beschäftigten in den Betrieben werden mit niedrigen Löhnen
ausgebeutet. Bäuerinnen und Bauern sind immer stärker
- das ist schon erwähnt worden - auf die Fördergelder
der EU angewiesen, weil sie für ihre Produkte keine fairen Preise bekommen. Immer mehr kleine und mittlere
Höfe müssen aufgeben, weil sie diesem Kostendruck
nicht mehr standhalten und das Geld für notwendige Investitionen nicht mehr erwirtschaften können. Das ist
der völlig falsche Weg.
({4})
In Ihrem Agrarpolitischen Bericht heißt es dazu, das
Ziel der Bundesregierung sei, die Exportpotenziale der
deutschen Landwirtschaft weiter auszuschöpfen. Das bedeutet nichts anderes, als dass diese Entwicklung weiter
vorangetrieben werden soll, auf Kosten von Mensch,
Tier und Umwelt. Eine solche sozial und ökologisch unverantwortliche Politik lehnen wir ab.
({5})
Punkt zwei. Ihre Politik ist nicht ressourcenschonend
oder nachhaltig. Die Bundesregierung fördert mit der Intensivierung der Landwirtschaft die damit verbundenen
Strukturen, hin zu Monokulturen, zu höherem Verbrauch
von Energie, zum Einsatz von mehr Düngemitteln und
Pflanzenschutzmitteln. Gleichzeitig erleben wir, dass die
zunehmende Verknappung von fossilen Energieträgern
und Mineraldünger wie Phosphor voranschreitet. Alle
Experten sind sich einig, dass die Preise für diese Rohstoffe in den nächsten Jahren stetig steigen werden.
Hinzu kommt, dass die Artenvielfalt durch die Intensivierung deutlich abgenommen hat.
Etwa 50 Prozent unserer Exporte sind Fleischexporte.
Um die dafür notwendige Menge Fleisch zu erzeugen,
müssen billige Futtermittel importiert werden. Sie sorgen dafür, dass woanders in der Welt Regenwälder abgeholzt werden. Sie sorgen dafür, dass Menschen von
ihrem Land vertrieben werden und unter sozial unzumutbaren Bedingungen auf pestizidverseuchten Feldern
arbeiten müssen, und das nur, weil Ihnen kurzfristige
wirtschaftliche Erfolge und Profite wichtiger sind als
ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Das machen wir
nicht mit.
({6})
Eine andere Agrarpolitik ist möglich, und es gibt Alternativen. Die Linke will einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn,
({7})
der auch in der Landwirtschaft gilt.
({8})
Wir brauchen faire Erzeugerpreise in der Landwirtschaft; wir müssen die Marktmacht der Bäuerinnen und
Bauern stärken und Erzeugergemeinschaften fördern.
Wir wollen die Abkehr vom Dogma des Exports und hin
zu regionalen Wirtschaftskreisläufen, damit die Wertschöpfung im ländlichen Raum bleibt, die Umwelt geschont wird und die Menschen wieder eine lebenswerte
Perspektive haben. Wir wollen eine gezielte und stärkere
Förderung von Betrieben, die gute Arbeitsplätze erhalten, höhere Anforderungen an den Umweltschutz erfüllen, den Tierschutz verbessern und tiergerechte Haltungssysteme betreiben. Wir wollen den Ausbau des
Ökolandbaus und auch die Forschung dafür stärken. Wir
brauchen endlich eine geschlechterspezifische Förderung im ländlichen Raum.
({9})
Wir brauchen auch eine Handelspolitik, die die Märkte
der Entwicklungsländer schützt und den Erzeugerinnen
und Erzeugern dort den Verkauf ihrer Produkte zu fairen
Preisen ermöglicht, statt ihre Ressourcen auszubeuten.
Das verstehen wir unter guten Perspektiven für die
Landwirtschaft.
Lassen Sie mich noch kurz etwas zu den beiden vorliegenden Anträgen von SPD und Grünen zum Verbot
der Kleingruppenhaltung sagen. Das Verbot ist richtig.
Wir sind der Meinung, dass Eier aus Legebatterien und
aus Käfighaltung so schnell wie möglich verboten werden müssen; auch die Verbraucherinnen und Verbraucher
haben im Supermarkt schon längst entschieden.
({10})
Sie kaufen nur noch Eier aus Bodenhaltung, Freilandhaltung oder aus Bio- und Ökolandbau. Nur die Industrie
hat ein Interesse an möglichst billigen Eiern aus Legebatterien. Das lehnen wir ab, und deshalb unterstützen
wir Ihre Anträge.
({11})
Kollege Süßmair, es tut mir leid, dass ich auch Sie an
die Redezeit erinnern muss.
Ja. - Nur wenn wir Menschen sorgsam mit Natur und
Tier umgehen, haben wir eine Zukunft.
Vielen Dank.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Cornelia Behm das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Thema Klimaschutz in der Landwirtschaft kommt im Agrarbericht so gut wie gar nicht vor.
Dort stehen ein paar Zeilen mit Allgemeinplätzen, aber
Handlungsvorschläge für die Land- und Forstwirtschaft
sucht man darin vergebens. Dabei kommen wir überhaupt nicht umhin, Klimaschutz und Landwirtschaft zusammenzudenken.
({0})
Inwieweit die Landwirtschaft aber Betroffene des Klimawandels ist oder ob sie ihn bremst oder anheizt, hängt
in starkem Maße von der Bewirtschaftungsform ab.
In der ersten Lesung zu unserem Klimaschutzantrag
hat der Kollege Röring den Vorwurf erhoben, wir würden die Augen vor der Realität verschließen und in ideologische Wunschvorstellungen flüchten, anstatt effektive
Lösungswege zu erschließen.
({1})
Herr Röring, diesen Vorwurf müssten Sie ebenso an den
Weltagrarrat, an den Sachverständigenrat für Umweltfragen und darüber hinaus an breite Teile der Gesellschaft
richten; denn sie erheben die gleichen Forderungen wie
die, die in unserem Antrag formuliert sind. Es sind eher
die Kollegen aus dem schwarz-gelben Lager, die die Augen vor der Realität verschließen.
({2})
Es ist eine Binsenweisheit, dass energieintensive Bewirtschaftungsformen die Landwirtschaft zum Verursacher von Treibhausgasemissionen machen. Deshalb ist
es angesichts der mehrfachen Herausforderungen, vor
denen die Landwirtschaft steht - Welternährung, Erhalt
der Biodiversität und Klimawandel -, besonders wichtig,
die Klimabilanz durch Maßnahmen der Energieeinsparung und -effizienz zu verbessern.
({3})
Die stereotype Antwort von Union und FDP auf diese
Herausforderungen ist aber, dass die Landwirtschaft effizient und intensiv betrieben werden muss.
In den Augen der Regierungskoalition heißt effizient:
industrialisierte Landwirtschaft mit viel und teurer Technik,
({4})
Abbau von Arbeitsplätzen, Massenproduktion und Segregation der Landnutzung zulasten der Biodiversität.
({5})
Für die Agrarpolitiker auf der rechten Seite des Hauses
bedeutet intensiv, einige wenige Hochleistungssorten
weltweit anzubauen, gentechnisch veränderte Pflanzen
zur Absatzförderung für Herbizide,
({6})
chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Stickstoffdünger satt.
({7})
Darin steckt viel Energie. Das hat mit Klimaschutz
nichts zu tun.
({8})
Aus grüner Sicht bekommen diese beiden Begriffe,
angewandt auf die Landwirtschaft, eine völlig andere
Bedeutung. Uns Grünen geht es um ökologische Intensivierung, das heißt die Ressourcen vor Ort effizient nutzen, Innovationen, gut ausgebildete Arbeitskräfte, in
regionalen Kreisläufen wirtschaften, Bewahrung der
Agrobiodiversität und vielgliedrige Fruchtfolgen mit
Stickstoffzehrern, aber auch mit Stickstoffmehrern. Nur
so kann man die Landwirtschaft klimatauglich machen.
({9})
Der dauerhafte Erhalt von Grünland und Mooren ist
im Hinblick auf die Klimawirkung der Landwirtschaft
effizient. Denn hier wird CO2 lang anhaltend gebunden.
Die ackerbauliche Nutzung dieser Standorte macht die
Landwirtschaft hingegen zum Klimakiller. Übrigens hat
die EU gerade erst in der vergangenen Woche Klimabilanzen von Land- und Forstwirtschaften gefordert.
Jetzt können Sie sich nicht mehr wegducken.
In unserem Antrag haben wir Vorschläge für einen
Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft gemacht. Sie
soll intensiv und effizient für das Klima, für die Welternährung und für die biologische Vielfalt sein - nicht
aber für Agrarkonzerne und die Chemieindustrie.
({10})
Das Wort hat der Kollege Franz-Josef Holzenkamp
für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zu Beginn einleitend nur noch einmal kurz
darauf hinweisen, dass es der erste Agrarbericht ist, der
einen Zeitraum von vier Jahren beschreibt. Das zeigt,
dass wir damals alles richtig gemacht haben. Wir wollten
nämlich erstens weniger Bürokratie, und zweitens haben
wir die Aussagekraft erhöht, weil wir sehr volatile
Marktpreise in unserer Branche berücksichtigt haben. Es
ist also ein guter Einstieg.
({0})
Da uns immer andere Dinge unterstellt werden,
möchte ich einen Satz zu unserem Leitbild voranstellen,
Frau Behm. Unser Leitbild ist und bleibt eine leistungsund wettbewerbsorientierte, aber familiengeführte bäuerliche Landwirtschaft.
({1})
Das war schon immer so, und das wird auch immer so
bleiben. Alle Betriebe sind uns gleich lieb - ob konventionell oder öko, ob groß oder klein.
({2})
Das ist der Unterschied: Wir differenzieren nicht in
„gut“ oder „schlecht“, wie Sie dies ideologisch und pauschalisiert tun.
({3})
Meine Damen und Herren, gerade die Vielfalt ist das
Besondere an der deutschen Landwirtschaft und am
ländlichen Raum. Es geht darum, nachhaltig zu wirtschaften, die Ressourcen effizient zu nutzen und hoch
innovativ zu sein. Das gilt für alle Produktionsformen,
ob mit Laptop oder mit Gummistiefeln. Wünschen
würde ich mir natürlich auch eine höhere Wertschätzung
von Lebensmitteln, damit wir in unserer Gesellschaft
schneller vorankommen, die Lebensmittelverschwendung weiter abzubauen.
Wo stehen wir in der Landwirtschaft aktuell? Wir hatten in diesem Berichtszeitraum einige Krisen zu überwinden. Es gab die Finanzkrise, der die Milchkrise
folgte. Wir haben stürmische Zeiten durchleben müssen.
Aktuell möchte ich an das Kämpfen mit dem Schmallenberg-Virus erinnern. Außerdem müssen zurzeit viele
Bauern aufgrund der Frostsituation ihre Getreideflächen
umbrechen. Insgesamt sind wir allerdings relativ stabil,
weil - das ist ganz einfach, meine Damen und Herren unsere landwirtschaftlichen Betriebe ihre Hausaufgaben
gemacht und den Markt angenommen haben. Sie wollen
ihr Geld, ihr Familieneinkommen mit ihren Produkten
auf dem Markt, aber nicht mit Subventionen verdienen.
Das werden wir politisch begleiten und stärken. Auf uns
können sich die Landwirte letztendlich verlassen.
Meine Damen und Herren, wir erleben natürlich einen
permanenten Strukturwandel, und diesen wird auch niemand von uns aufhalten. Gerd Müller, der Staatssekretär,
hat auf die Gesamtbeschäftigung in der Branche hingewiesen,
({4})
und ich will Folgendes noch einmal deutlich sagen: Das
Gegenteil von dem, was Sie behauptet haben, Frau
Behm, ist tatsächlich Realität. Die Beschäftigtenzahl in
der gesamten Kette steigt.
({5})
Sie ist 2011 von etwa 4,6 oder 4,7 auf etwa 5 Millionen
Beschäftigte gestiegen. Das heißt, trotz einer Abnahme
der Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe um 2 bis
2,5 Prozent hat die Gesamtbeschäftigung zugenommen,
und das zeigt, wie innovativ und wirtschaftlich leistungsfähig diese Branche letztendlich ist.
({6})
Ich will auch noch einen Satz zum Export sagen, weil
der Export immer pauschal kritisiert wird. Meine Damen
und Herren, wenn man importiert, dann muss man auch
exportieren. So einfach ist das. Wenn wir wollen, dass
die Bevölkerung auf der Welt satt wird, dann gehört
Welthandel dazu. Alle Produkte wachsen schließlich
nicht überall auf der Welt. Das sollten wir wirklich einmal zur Kenntnis nehmen.
({7})
Wenn Produkte made in Germany weltweit gewünscht
werden, wie Autos von BMW, Audi oder Mercedes,
freuen wir uns darüber. Darauf können wir uns wirklich
etwas einbilden.
Aber weil immer behauptet wird, wir seien ausschließlich exportausgerichtet: Schauen wir uns den
Saldo bei Import und Export an. Unser Land hat einen
Importüberschuss von etwa 16 Prozent. Das ist die
Wahrheit, nicht das, was Sie immer behaupten.
Noch ein Satz zu der Mär von den Exporterstattungen. Die Exporterstattungen spielen in Europa zurzeit
fast keine Rolle mehr. Wir sind für eine europaweite Abschaffung der Exporterstattung, um das deutlich zu sagen.
({8})
Zu den Herausforderungen. Auch wir in Deutschland
müssen unseren Beitrag zur Hungerbekämpfung leisten.
Wir müssen die Emissionen zur Bekämpfung des Klimawandels reduzieren. Da sind wir uns in der Zielsetzung
vollkommen einig.
Wir sollen und wollen auch schonend Energie erzeugen. Ich persönlich - Herr Kollege Priesmeier, das haben
Sie angesprochen - sage deutlich: Wir haben in meinen
Augen die Grenze beim Biomasseanbau erreicht. Diese
2,15 Millionen Hektar in Deutschland sind definitiv genug. Wenn wir mehr machen wollen, müssen wir verstärkt zur Kaskadennutzung übergehen. Das ist vernünftig. Dabei spielt natürlich die Forschung eine zentrale
Rolle.
Herr Holzenkamp, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Süßmair von der Fraktion Die Linke?
Ja, sehr gerne. Herr Süßmair, bitte schön.
Herr Kollege Holzenkamp, vielen Dank für die Zwischenfrage. - Ich möchte noch einmal auf den Export zu
sprechen kommen. Es geht nicht darum - das sagt weder
die Linke noch jemand von denen, die den Export kritisieren -, dass wir mit anderen Ländern - ich meine bestimmte Produkte, zum Beispiel Kaffee, Bananen und
Ananas, die wir hier nicht anbauen können - Handel
treiben.
Es geht um Folgendes: Wir konzentrieren uns - das
ist ja leider in einigen Branchen, etwa bei der Autoindustrie oder dem Maschinenbau, der Fall - darauf, möglichst immer mehr zu exportieren.
({0})
Sehr viele Ökonomen bescheinigen uns, dass Deutschland durch seine hohen Exportüberschüsse mitverantwortlich für die Euro-Krise ist,
({1})
dafür dass andere Länder ihre Produkte nicht mehr absetzen können, dass dort Arbeitsplätze in Bezug auf den
Binnenmarkt verlorengegangen sind. Auch wir haben
mit Blick auf den Binnenmarkt viele Arbeitsplätze verloren. Wir haben einen sehr großen Niedriglohnsektor und
eine geringe Kaufkraft.
Nehmen Sie das Beispiel Griechenland. Griechenland
war früher ein Agrarexportland und ist in den letzten
Jahren zu einem Agrarimportland geworden.
Ich bitte darum, eine Frage zu stellen.
Daran ist auch Deutschland mit schuld.
({0})
Stimmen Sie mir nicht zu,
({1})
dass es um das richtige Augenmaß geht und nicht darum,
mit unseren Produkten - möglichst billig und in Masse
hergestellt - andere Volkswirtschaften zu zerstören? Das
ist eben nicht nachhaltig. Wir haben das selbst während
einer Ausschussreise in Afrika gesehen.
Herr Kollege, Sie haben Ihre Frage gestellt. Sie müssen sie nicht noch zusätzlich kommentieren.
Darf ich aber.
({0})
Herr Holzenkamp, würden Sie bitte antworten?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Süßmair,
erstens: Gesamtwirtschaftlich haben wir im Saldo einen
Exportüberschuss, aber in der Agrarwirtschaft gerade
nicht. Dort haben wir einen Importüberschuss. Wenn Sie
Export und Import im Saldo gegenüberstellen, dann sehen Sie: Wir haben einen Importüberschuss von etwa
16 Prozent.
Zweitens. Damit schaffen wir Arbeitsplätze. Ich habe
vorhin ausdrücklich darauf hingewiesen: Obwohl sich in
der Landwirtschaft ein Strukturwandel vollzieht, erleben
wir in der gesamten Wertschöpfungskette eine Zunahme
von Arbeitsplätzen, gerade in 2011. Das belegt, dass es
andersherum ist.
Drittens: Bringen wir Arbeitsplätze in anderen Ländern in Gefahr? Die Fokussierung des Exports zielt ausschließlich auf kaufkräftige Länder, gerade auch auf
Nichtentwicklungsländer - auf keine anderen.
({0})
Ich habe nicht umsonst betont, dass wir für eine europaweite Abschaffung der Exporterstattung sind, die übrigens heute - vielleicht haben Sie eben nicht genau zugehört - in Europa fast keine Rolle mehr spielt. Also: Wir
belasten keine Märkte, besonders nicht in sensiblen Ländern.
Die Fokussierung unseres Exports zielt auf kaufkräftige Länder, weil uns diese Länder auch beliefern. Wenn
wir einen Importanteil von 40 Prozent bei Milchprodukten haben, dann müssen wir einen Teil unserer Milchprodukte auch wieder exportieren.
({1})
Das lernt man in der Grundschule.
({2})
Meine Damen und Herren, wir verbessern die Wettbewerbsfähigkeit in der Landwirtschaft. Die Stichworte
Agrardiesel und Erbschaftsteuer sind schon gefallen.
Wir schützen Eigentum und bauen Wettbewerbsverzerrungen ab. Wir sorgen für soziale Absicherung in den
landwirtschaftlichen Familien. Wir haben gerade den
Bundesträger in unserer Landwirtschaftlichen Sozialversicherung geschaffen. Wir sorgen für die Verbesserung
von Futtermittel- und Lebensmittelsicherheit - stellvertretend nenne ich nur den „Dioxin-Aktionsplan“ -,
wobei wir permanent nachjustieren, und wir sorgen für
einen umfangreichen Natur- und Umweltschutz. Beispielhaft sei das Pflanzenschutzgesetz erwähnt, das einen zusätzlichen EU-weiten Schutz der Natur und der
Produkte in diesem Bereich gewährleistet.
({3})
Was bleibt zu tun? Tierschutz ist schon angesprochen
worden. Hier haben wir einiges vor. Die Novelle ist in
der Bearbeitung. Damit werden wir uns in Kürze beschäftigen. Ich möchte in Richtung Opposition auf Folgendes hinweisen: Egal ob man für oder gegen Käfighaltung ist: Es hat sich bei den Hühnern gezeigt, dass es zu
Wettbewerbsverzerrungen kommt, wenn die einen etwas
machen und die anderen nicht.
Wir alle wissen, dass ab 1. Januar 2013 in der Sauenhaltung die Gruppenhaltung Pflicht wird. Wir müssen
dafür sorgen - ich fordere die Bundesregierung auf, alles
zu tun, was in ihrer Kraft steht, und entsprechenden
Druck auszuüben -, dass die Umsetzung einheitlich erfolgt. Es kann nicht sein, dass die Sauenhalter in
Deutschland darunter leiden, dass andere Länder die
Vorgabe nicht umsetzen, wie dies bei den Hühnern der
Fall ist.
({4})
Das kann nicht sein.
({5})
Noch kurz zur GAP: Die GAP soll fairer, grüner und
einfacher sein. Staatssekretär Müller hat schon im Kern
dazu Stellung genommen. Wenn wir mehr leisten und effizienter produzieren sollen, dann kann es nicht sein,
dass jeder Betrieb, unabhängig davon, wie er gelagert
ist, 7 Prozent seiner Fläche stilllegen muss. Es ist politischer Unsinn, so etwas zu beschließen.
({6})
Das muss man über Freiwilligenprojekte der zweiten
Säule machen. Hierbei waren wir bisher sehr erfolgreich.
40 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in
Deutschland führen auf 25 Prozent der Gesamtfläche
Agrarumweltmaßnahmen durch. Das kann sich sehen
lassen. Das wollen wir gerne weiter ausbauen.
Deshalb ist es auch wichtig, den Flächenverbrauch zu
reduzieren.
({7})
Wir verbrauchen immer noch 90 bis 100 Hektar am Tag.
Ich lade die Opposition herzlich ein, mitzumachen, etwas für den qualitativen Naturschutz zu tun, damit wir
nicht weiter jeden Tag so viel Fläche verbrauchen.
Abschließend ein Hinweis: Wir haben uns viel vorgenommen, um den Dialog mit unserer Gesellschaft zu
verbessern.
({8})
Immer mehr Menschen wissen nicht mehr, was Landwirtschaft ist, insbesondere eine moderne, arbeitsteilige
Landwirtschaft, die beispielsweise Sie überhaupt nicht
wollen. Wo es Nichtwissen gibt, entstehen Freiräume für
Ideologien, und von manchen wird ein Spiel mit den
Ängsten betrieben. Daraus resultiert letztendlich Technologiefeindlichkeit.
Wir, die Bundesregierung und insbesondere unsere
Ministerin, Frau Aigner, haben den Charta-Prozess initiiert, um zu einem stärkeren Dialog zu kommen. Das
unterstützen wir mit aller Kraft. Das sollten wir auch gemeinsam tun, damit wir den Menschen in unserer Gesellschaft, die zunehmend urban leben, wieder zu einem
Wissen darüber verhelfen können, wie Landwirtschaft
funktioniert.
Herzlichen Dank und später ein schönes Wochenende.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege
Heinz Paula.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Werte
Gäste! Ich möchte Frau Ministerin Aigner eines zugutehalten: Sie hat sowohl im Agrarbericht als auch in ihrem
Tierschutzbericht 2011 ein Problem erfasst, nämlich die
Kleingruppenkäfighaltung bei Legehennen. Ich darf aus
dem Agrarbericht zitieren:
… sind die Anforderungen an die Legehennenhaltung aufgrund eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur Kleingruppenhaltung bis April
- also in kurzer Zeit neu zu regeln.
Weiter heißt es:
Die Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung wird keine Regelungen für Kleingruppenhaltung mehr vorsehen, aber einen angemessenen
Bestandsschutz beinhalten.
Was versteht nun unsere Tierschutzministerin Aigner unter „angemessen“? Bestandsschutz bis 2035! 23 Jahre!
({0})
Wieder einmal verschleppt die Ministerin ein Problem,
weil sie nicht klar entscheidet,
({1})
und das, obwohl sich hinter den lapidaren Sätzen des
Agrarberichts das Elend von über 4,5 Millionen Legehennen in Deutschland verbirgt, obwohl hinter diesen
Sätzen der Kampf Abertausender Bürgerinnen und
Bürger für mehr Tierschutz steckt, wie er in unserem
Grundgesetz verbürgt ist, und obwohl von allen Seiten
gefordert wird, dass Frau Aigner endlich handelt: das
Bundesverfassungsgericht, einstimmig der Bundesrat
mit allen Ministerpräsidenten, darunter auch Herr
Seehofer aus Bayern, Frau Kollegin Mortler. Allerorts
und parteiübergreifend kämpft man gegen den Unwillen
der Bundesregierung, eine Verordnung vorzulegen, die
die Kleingruppenhaltung von Legehennen zumindest in
absehbarer Zeit beendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, ich weise auf Art. 20 a unseres Grundgesetzes
hin - ich zitiere -:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die
künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere …
Sie wissen, dass Legehennen auch nach dem Verbot der
konventionellen Käfighaltung weiterhin in Käfigen,
mehrere Etagen übereinander, gehalten werden. Wissen
Sie eigentlich auch, was das für ein Huhn bedeutet? Das
bedeutet, dass ein Huhn sein Leben auf sage und
schreibe eineinhalb DIN-A-4-Blättern fristen muss. In
dieser drangvollen Enge der Käfige herrscht absoluter
Bewegungsmangel, was bei den Hennen zu erheblichen
gesundheitlichen Schäden führt. Sie können ihr arttypisches Verhalten nicht ausleben. Die Folgen sind klar:
Kannibalismus und Federpicken. Diese Haltung ist nicht
tierartgerecht. Sie ist schlicht und ergreifend Tierquälerei.
({2})
Herr Kollege Holzenkamp, ich muss immer wieder
feststellen: Hier werden mehr die Lobbyisten als die
Tiere geschützt. Dabei war bereits 1999 allen klar, dass
die Käfighaltung keine Zukunft haben wird. Die EU hat
eine entsprechende Richtlinie erlassen. Das Bundesverfassungsgericht hat die konventionelle Käfighaltung verboten. Rheinland-Pfalz hat 2006 eine Normenkontrollklage gegen die Regelung zur Kleingruppenhaltung
eingereicht. Dieser wurde 2010 stattgegeben. Die Folge
war eine bemerkenswerte Vorgehensweise: Über alle
Parteigrenzen hinweg hat sich der Bundesrat auf einen
Kompromissvorschlag der Länder Niedersachsen und
Rheinland-Pfalz geeinigt. Grundlage war übrigens ein
Gutachten von KTL, einer hochanerkannten Einrichtung. Die Kleingruppenhaltung muss also spätestens
2023 - spät genug, wie ich finde - endlich beendet werden. Jetzt müsste Frau Ministerin endlich eine Entscheidung treffen. Aber was tut sie? Sie verweigert sich und
blockiert. Ich kann nur feststellen: Diese Regierung verweigert die Arbeit.
({3})
Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, dass
die Kompetenz Ihrer Justizminister - von Frau Merk aus
Bayern, Herrn Hahn aus Hessen und Herrn Busemann
aus Niedersachsen - nicht ausreicht, die von Ihnen angeführten verfassungsrechtlichen Bedenken zu klären. Sie
erreichen mit Ihrer Vorgehensweise des Nichtentscheidens nur eines: Es wird ein totales Chaos ab April in unserem Land geben, einen Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein,
hier ein zusätzliches Bürokratiemonster zu schaffen. Das
steht im Gegensatz zu Ihrem angekündigten Bürokratieabbau, Herr Kollege Holzenkamp.
({4})
Sie sollten endlich aufhören, zu lamentieren, dass es
sich hier um einen ungerechtfertigten Eingriff ins Eigentum handele. Wir wissen seit 1999, wohin die Entwicklung geht. Wir wissen auch, dass Planungssicherheit für
die Produzenten ein ganz entscheidendes Moment darstellt.
Handeln Sie also endlich, machen Sie Nägel mit Köpfen, damit Klarheit herrscht! Denn die Verbraucher und
die Produzenten, die Industrie insgesamt, sind schon um
ein Vielfaches weiter als Sie. Nehmen Sie zum Beispiel
Aldi, Edeka, Dr. Oetker, Birkel usw.: Sie verwenden
keine derartigen Käfigeier mehr. Auch die Verbraucher
sagen zu über 90 Prozent, dass sie auf durch Käfighaltung gewonnene Eier verzichten. Handeln Sie endlich
so, wie die Kunden und die Produzenten es wollen!
({5})
Frau Ministerin bzw. Herr Staatssekretär, Sie wissen
doch ganz genau, was auf dem Spiel steht, dass dringender Entscheidungsbedarf besteht, dass Sie endlich auch
beim Tierschutz zumindest eine Maßnahme ergreifen
müssen. Bislang sind Sie, was den Tierschutz anbelangt
- in aller Deutlichkeit gesagt -, ein Totalausfall.
({6})
Nutzen Sie die Steilvorlage des Bundesrates und sorgen Sie dafür, dass Sie nicht nur in Ihrem Parteinamen
das Wort „christlich“ führen. Ich darf Sie daran erinnern:
Christliche Werte bedeuten den Schutz aller Geschöpfe.
An der Stelle darf ich Ihnen einfach einmal ein kurzes
Zitat aus der Bibel vorlesen - 1. Buch Mose -:
({7})
Hiermit schließe ich meinen Bund mit euch und mit
euren Nachkommen und mit allen Lebewesen bei
euch, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Tieren
des Feldes, mit allen Tieren der Erde …
Handeln Sie entsprechend!
({8})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Dr. Edmund Peter Geisen.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat es geschafft, Herr Paula, ihr
eigenes Land zu missionieren. Aber Sie sind nicht in die
Welt hinausgezogen, um die Käfighaltung oder die
Kleingruppenhaltung zu beschränken oder zu verhindern. Deswegen werden wir zu dieser Osterzeit keine
deutschen Eier auf dem Tisch haben.
({0})
Vielmehr werden 50 Prozent der verarbeiteten Eier aus
dem Ausland aus Käfighaltung kommen. Das haben die
Bürger Ihnen zu verdanken.
({1})
Diese Probleme kann man nur auf europäischer oder
internationaler Ebene lösen, aber nicht so, wie Sie es getan haben und wie Sie es weiterhin tun wollen. Im Gegensatz zur Opposition sind wir in der christlich-liberalen Koalition uns einig, wenn wir feststellen: Ganz
Deutschland profitiert von einer prosperierenden Landwirtschaft und von den dadurch blühenden und lebendigen ländlichen Räumen. Keine Landwirtschaft ohne
ländliche Räume und keine ländlichen Räume ohne
Landwirtschaft.
({2})
Dies bestimmt auch die Zielsetzungen und die Ausrichtung der christlich-liberalen Politik. Nicht ideologische Gefechtsdebatten führen zum Erfolg, sondern die
kontinuierliche erfolgreiche Agrarpolitik der Regierungskoalition.
({3})
Im Agrarbereich ist Praktikabilität gefragt, die sich an
den Naturgegebenheiten ausrichtet. Nur eine effiziente
Landwirtschaft, die nachhaltig, standortbezogen und
umweltgerecht ist und die den bäuerlichen Unternehmen
ökonomische Erfolgschancen belässt, hat eine gute Zukunft in Deutschland.
({4})
Genau das wollen wir von der christlich-liberalen
Koalition. Deshalb haben wir in den vergangenen zwei
Jahren auf Rückendeckung für die und Stabilisierung der
Landwirtschaft gesetzt. Dies haben wir weitgehend erreicht, zum Beispiel mit dem Sofortprogramm, mit der
Abschaffung von Marktordnungen, durch die Stabilisierung der Sozialversicherungssysteme - gestern hat die
SPD sich erneut geweigert, die Übergangsfinanzierung
mitzugestalten ({5})
oder mit dem Abbau wettbewerbsverzerrender Unterschiede wie beim Agrardiesel; auch dagegen haben Sie
sich immer wieder ausgesprochen.
({6})
Wir meinen, dass ein verstärkter Flächenschutz - also
weniger Flächenverbrauch außerhalb der Landwirtschaft
- unser Ziel sein muss. Wir haben uns vorgenommen,
den Flächenverbrauch ganz gravierend zu reduzieren.
({7})
Das gilt auch für die Dinge, die mit dem EEG und der
Energieversorgung zusammenhängen. Wir müssen neue
Wege gehen, was den Flächenverbrauch angeht.
Der deutschen Landwirtschaft geht es heute viel besser als in den Jahren vor der christlich-liberalen Koalition.
({8})
Diese Entwicklung wollen wir von der FDP-Fraktion auf
jeden Fall mit Ministerin Aigner fortsetzen. Die Bäuerinnen und Bauern müssen auch künftig Freude und Erfüllung in ihrem Beruf finden. Das nützt unserer gesamten Gesellschaft. Leider wird immer wieder versucht,
den ganzen Berufsstand aufgrund von einzelbetrieblichen Missständen zu verunglimpfen, und es werden immer wieder viel strengere Anforderungen an unsere heimische Landwirtschaft gestellt als an den Rest der Welt.
Hiergegen wenden wir uns als FDP-Politiker mit aller
Macht; denn das ist Wettbewerbsverzerrung.
({9})
Wir sind selbstverständlich für Tierschutz, für Umweltschutz, für Klimaschutz, und wir sind auch für
höchste Produktqualität. Das kann gar nicht anders sein.
Alles macht aber nur Sinn, wenn wir die Anforderungen,
die wir an unsere Landwirtschaft stellen, auch an alle in
der EU in gleicher Weise stellen.
({10})
Wir können uns nicht mehr leisten, unserer Land- und
Ernährungswirtschaft ständig neue Wettbewerbsnachteile aufzubürden. Damit erweisen wir uns allen einen
Bärendienst. Wir erreichen lediglich, dass wir auf Produkte anderer angewiesen sind. Damit helfen wir weder
unserer Landwirtschaft noch dem Umwelt- und Tierschutz - und dem Verbraucher schon gar nicht.
Herr Kollege Geisen, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir sollten auch vor Ostern mit gutem Appetit Ostereier essen, auch wenn sie nicht aus Deutschland kommen. Auch die Ostereier aus anderen Ländern sollen
schön aussehen, schön gefärbt sein und sollten uns allen
sehr gut schmecken.
({0})
Ich wünsche Ihnen allen eine frohe Osterzeit.
Schönen Dank.
({1})
Jetzt hat das Wort der Kollege Friedrich Ostendorff
von Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen mitten in der gesellschaftlichen Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft,
über gesunde Lebensmittel, über den verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und den Ressourcen, über
den Erhalt von Landschaften und Arten, über Gentechnikfreiheit und über hohe Tierschutzstandards.
({0})
All das erwarten die Menschen von einer Zukunftslandwirtschaft. Das hat uns auch der Charta-Prozess im letzten Jahr gezeigt.
Leider prallt diese Debatte immer wieder an den
Mauern des Ministeriums ab. Im Agrarbericht 2011 handelt die Ministerin auf einem Drittel einer Seite der insgesamt 108 Seiten das große Zukunftsthema ab, das die
Menschen bewegt: die Beendigung des hundertmillionenfachen Leides der Nutztiere in den Agrarfabriken.
({1})
Die Menschen haben die vielen Lippenbekenntnisse und
Ankündigungen zum Tierschutz restlos satt, sie wollen
endlich Taten sehen, sie wollen Bauernhöfe statt Agrarfabriken, aber Sie von der Regierungskoalition werden
diese Menschen wieder enttäuschen.
({2})
Herr Müller, was bieten Sie denn an? Zum x-ten Mal
kündigen Sie an, die Haltung von Kaninchen zu regeln.
Erst heute haben Sie das wieder getan.
({3})
Auch in diesem Herbst soll einmal wieder das umgesetzt
werden, was Sie im Frühjahr angekündigt haben. Aber
die Blätter werden wohl wieder eher von den Bäumen
fallen, als dass sich für die Kaninchen etwas verbessert.
({4})
Weiterhin völlig ungeregelt bleibt die Großbaustelle der
widerwärtigen Haltung von Puten - Klammer auf: drei
Putenhähne mit 20 Kilogramm Gewicht pro Quadratmeter Stallfläche, Klammer zu. Hier brauchen wir dringend
scharfe gesetzliche Regelungen. Doch Sie, Herr Müller,
tun nichts.
({5})
Völlig absurd und ein Skandal ist das Nichthandeln
von Frau Aigner bei den Legehennen. Noch im Juli 2011
wollte sie der Käfighaltung per Verordnung einen Bestandsschutz bis 2035 geben, für ein weiteres Vierteljahrhundert. Diese Regelung wurde zum Glück im Bundesrat zu Fall gebracht.
({6})
Daraufhin verkündete die Ministerin beleidigt, nun gar
nichts mehr zu tun. Der vom Bundesrat beschlossene
Lindemann-Höfken-Kompromiss des Übergangs bis
2023 löste auch bei uns Grünen keine Freudenschreie
aus, aber gegenüber dem Ursprungsentwurf war er ein
klarer Fortschritt für den Tierschutz.
({7})
Herr Staatssekretär, Sie machen verfassungsrechtliche
Bedenken geltend. Ich denke, wir dürfen Ihrem Kollegen
Lindemann schon zutrauen, dass er das geprüft hat. Wir
kennen ihn hier in Berlin und wissen das einzuschätzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Wahrheit ist es
doch so: Frau Aigner ist wieder einmal vor den Drohgebärden der Agrarlobby eingeknickt. Herr Staatssekretär,
wenn es hart auf hart geht, haben Sie den Tierschutz immer noch hinten herunterfallen lassen. Mit uns Grünen
ist das nicht zu machen.
({8})
Wir fordern Sie auf: Setzen Sie die Verordnung des
Bundesrates zur Legehennenhaltung unverzüglich um!
Beenden Sie hier die Anarchie, die droht! Geben Sie den
Betrieben Klarheit für ihre weitere Planung, und beenden Sie endlich die tierschutzwidrige Käfighaltung!
({9})
Weiteres Nichthandeln ist unverantwortlich. Sie haben
die Ethik bemüht. Ich glaube, es wäre auch aus ethischen
Gründen unverantwortlich. Sprechen Sie nicht nur von
Ethik! Handeln Sie danach!
({10})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Johannes Röring
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Behm, Herr Paula, dass Sie sich in den letzten Jahren ein
gefährliches Halbwissen über Landwirtschaft angeeignet
haben, war mir bekannt. Aber dass Sie, Herr Ostendorff,
das mit Ihrer Ausbildung als Landwirt auch noch wiederholen, finde ich nicht okay.
({0})
Ich hoffe, es haben viele Landwirte zugehört.
({1})
Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Debatte über einen Antrag der Grünen zum Klimaschutz zu
sprechen. Ich glaube, an diesem Antrag können wir erkennen, dass Künstler am Werk waren: Künstler der
grünen Schwarz-Weiß-Malerei. Sie haben im Antrag
versucht, die konventionelle Landwirtschaft für die Probleme im Klimaschutz und für die Hungerproblematik
verantwortlich zu machen, und bevorzugen darin einseitig den Ökolandbau - grüne Schwarz-Weiß-Malerei
eben.
Auch Ihr Versuch, Keile zwischen die verschiedenen
Produktionsrichtungen zu treiben, wird keinen Erfolg
haben. Unserer Ministerin Frau Aigner ist es ja im
Charta-Prozess gelungen - Herr Müller wird es ihr ausrichten -,
({2})
die Gräben zwischen diesen Produktionsrichtungen zuzuschütten. Wir finden das sehr gut.
Liebe Kollegen der Grünen, Sie schlagen die Schlachten der Vergangenheit.
({3})
Es gibt viele Themen, bei denen konventionell wirtschaftende Bauern von den ökologisch wirtschaftenden
viel lernen können; genauso gilt das umgekehrt.
({4})
Eines ist aber Fakt - das sollten wir nicht unterschätzen -: Es wird in den nächsten Jahren mehr pflanzliche
Biomasse benötigt. Wenn der Ökolandbau dies nicht mit
nachhaltiger Ertragssteigerung schafft, hat er eben eine
schwierige Zukunft.
({5})
Ihr Antrag lässt völlig außer Acht, dass Effizienzsteigerung und Intensivierung in der Landwirtschaft kein
Selbstzweck sind, sondern der Sicherung der Lebensmittelversorgung dienen. Das blenden Sie in Ihrem Antrag
schlichtweg aus.
({6})
Dabei wissen Sie doch - der Kollege Holzenkamp hat es
gesagt -:
({7})
Deutschland ernährt sich nicht selber. Wir würden unsere Export-Import-Bilanz noch verschlechtern, wenn
wir Ihrem Antrag folgen würden. Ökolandbau bedeutet
nun einmal: auf viel Fläche wenig erzeugen. Das Gegenteil ist aber, wie ich glaube, in Zukunft notwendig.
({8})
Sie werfen in Ihrem Antrag zur Klimabilanz im
Ackerbau der Landwirtschaft vor, durch den Ausstoß
von Treibhausgasen Mitverursacher des Klimawandels
zu sein. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass der Ausstoß
von Wasserdampf, Kohlendioxid, Methan und Lachgas
aus der Natur und eben auch aus der Landwirtschaft
dazu beiträgt,
({9})
dass die Erde nicht vereist, dass es einen Mantel aus
Spurengasen gibt, dass die Wärme nicht entweicht, dass
wir plus 15 und nicht minus 18 Grad auf der Erde haben.
Zusätzliche Emissionen fossiler Art, die klimarelevant sind, wie die Nutzung fossiler Energie zum Beispiel
für schöne Flugreisen, sind eine Hauptursache.
({10})
Nur, wenn man Ihren Antrag liest, könnte man glauben,
die moderne Landwirtschaft sei der Übeltäter.
({11})
Landwirtschaft - und das sollten alle wissen - ist der
einzige Wirtschaftszweig, der in der Lage ist, durch
Pflanzenwachstum und Humusbildung CO2 zu binden.
({12})
Die bedarfsgerechte Intensivierung ist also nicht das
Problem, sondern Teil der Lösung. Wir werden gerade
wegen der vor uns liegenden Herausforderung nicht umhinkommen, die Leistungsfähigkeit unserer Kulturpflanzen zu steigern. Sonst können wir weder Teller noch
Tank bedienen. Wir wollen beides.
({13})
Anstelle von ganzheitlichen Lösungen haben Sie uns
wieder ein Instrumentarium aus der grünen Tonne geliefert. Sanktionen und Abgaben sind Ihre Lösung. Damit
wollen Sie die konventionelle Landwirtschaft einseitig
belasten. Sie fordern die Abschaffung der Steuerbegünstigung für Agrardiesel, der Befreiung von der Kfz-Steuer
sowie die schrittweise Aufhebung der Energiesteuerermäßigung. Mit diesem steuerpolitischen Rundumschlag treffen Sie aber die konventionelle und die ökologische Landwirtschaft gleichermaßen; denn sie ackert
auch nicht mehr mit Ochs und Esel. Beim Agrardiesel
geht es nur um Wettbewerbsfähigkeit.
({14})
Sie fordern weiter eine Stickstoffüberschussabgabe,
um die Optimierung des Stickstoffeinsatzes zu erreichen.
Optimierungen werden aber nur selten durch Sanktionen
erreicht. Ohne Stickstoffdüngung - das sollten wir wissen - kann keine Landwirtschaft betrieben werden, die
den Hunger der Menschen nur annähernd stillen kann.
Wir sollten uns darüber Gedanken machen, wie wir neue
Techniken zur Optimierung der Stickstoffdüngung
- Sensoren, Dosierung - fördern können. Ihr Antrag ist
der klägliche Versuch, den Ökolandbau und die konventionelle Landwirtschaft über die Klimaschiene gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen Lösungsansätze, die
auf Sachkunde und nicht auf Ideologie beruhen. KlimaJohannes Röring
freundliche Agrarpolitik und agrarfreundliche Klimapolitik sind keine Gegensätze. Sie sollten vernünftig miteinander verbunden werden.
Ich komme zum Schluss. Verehrte Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen, ich vermisse in Ihrem Antrag
einen ganz wichtigen Punkt. Das ist die Tatsache, dass
wir jeden Tag über 100 Hektar Produktionsfläche für Lebensmittel unwiederbringlich verlieren.
({15})
Das ist für mich nicht hinnehmbar.
({16})
Dazu sagen Sie in Ihrem Antrag überhaupt nichts. Wir
sollten gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, die
landwirtschaftliche Nutzfläche, Acker und Grünland,
ebenso unter Schutz zu stellen wie unseren Wald und unsere Feuchtgebiete. Ihr Antrag ist nicht zielführend. Deswegen lehnen wir ihn ab.
Vielen Dank.
({17})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/5810 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/4888.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2487
mit dem Titel „Klimabilanz im Ackerbau verbessern“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und bei Enthaltung der SPD und der Linken angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9028 mit dem Titel
„Kleingruppenhaltung für Legehennen endgültig beenden“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
SPD, Linken und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9035
mit dem Titel „Verordnung zur Kleingruppenhaltung unverzüglich in Kraft setzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Kühn, Sven-Christian Kindler, Dr. Anton
Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verlässliche Finanzierung des öffentlichen
Personennahverkehrs - Fortführung der
Kompensationsmittel nach dem Entflechtungsgesetz
- Drucksache 17/8918 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Stephan Kühn von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein leistungsfähiger und hochwertiger öffentlicher Personennahverkehr war noch nie so wichtig wie heute. Der
ÖPNV leistet einen unverzichtbaren Beitrag dazu, dass
Mobilität umwelt- und klimagerecht ermöglicht wird.
Der ÖPNV ist mehr als doppelt so energieeffizient wie
der Pkw-Verkehr. Der Ausbau des ÖPNV ist ein wichtiger Beitrag zur Verkehrssicherheit. Bus- und Bahnfahrten sind 50-mal sicherer als die Fahrt im eigenen Fahrzeug. Die Kosten pro Personenkilometer sind im Auto
viermal höher als die im ÖPNV.
Eine aktuelle Studie, die gestern von der Allianz pro
Schiene und dem Verbraucherzentrale Bundesverband
veröffentlicht wurde, hat ergeben, dass 24 Prozent der
Deutschen ihre Mobilität aus Kostengründen eingeschränkt haben. Mobilitätsarmut ist ein Problem. Ich
sage ganz deutlich: Soziale Teilhabe kann nur mit öffentlichem Verkehr gewährleistet werden.
({0})
2011 nutzten in Deutschland fast 10 Milliarden Fahrgäste Busse und Bahnen. Die Zahl der Fahrgäste wächst
beständig. So sichert der ÖPNV in diesem Land die Arbeitsplätze von 240 000 Menschen.
Als Ergebnis der Föderalismusreform I fällt die Gemeindeverkehrsfinanzierung nach Ablauf des Jahres
2019 vollständig den Ländern zu. Die derzeitigen Finanzhilfen des Bundes in Höhe von 1,335 Milliarden
Euro für ÖPNV-Infrastrukturinvestitionen - einschließ20122
lich Fahrzeuge, Infrastruktur und Erhalt des Straßennetzes - sind nur noch bis Ende 2013 gesichert, ebenso die
Zweckbindung dafür. Im Entflechtungsgesetz wurde
verankert, dass für den Zeitraum 2014 bis 2019 zwischen Bund und Ländern Einvernehmen darüber erzielt
werden soll, in welcher Höhe die Finanzmittel für den
Umweltverbund weiter erforderlich sind.
Der Bedarf ist für jeden ersichtlich; der Erhaltungsrückstand in der Infrastruktur wächst an. Allein für den
Substanzerhalt wären 550 Millionen Euro pro Jahr notwendig; den Verkehrsunternehmen fehlen aber 300 Millionen Euro.
({1})
Der Investitionsrückstand wird mittlerweile auf 2,5 Milliarden Euro beziffert.
Jetzt, wo die Spritpreise wieder auf Rekordniveau
klettern, will die Bundesregierung die Mittel für die
ÖPNV-Finanzierung zusammenstreichen und versucht,
in den Verhandlungen mit den Ländern ein lineares Abschmelzen der Kompensationszahlungen nach dem Entflechtungsgesetz bis 2019 auf null durchzusetzen. Man
hört auch einen anderen Vorschlag, nach dem 50 Prozent
der Mittel durchgehend bis 2019 gekürzt werden sollen.
Anstatt den positiven Trend der steigenden ÖPNV-Nutzung zu stützen, will sich die schwarz-gelbe Regierung
bereits vor 2019 aus der Nahverkehrsfinanzierung zurückziehen.
({2})
Die Aussage der Bundesregierung, die Sicherung der
Finanzierung des ÖPNV und des kommunalen Straßenbaus sei eine wichtige Zukunftsaufgabe, bleibt so ein
Lippenbekenntnis.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verunsicherung
bei den Verkehrsunternehmen und den ÖPNV-Aufgabenträgern kann sich jeder von uns in seinem Wahlkreis
anschauen. Viele notwendige und sinnvolle Ausbauvorhaben von Stadt- und Straßenbahnen zwischen Aachen
und Görlitz, Flensburg und Freiburg liegen auf Eis, weil
den Unternehmen schlichtweg die Planungssicherheit
genommen wurde. Dabei dürfte doch weitgehende Einigkeit darin bestehen, dass der ÖPNV weiter ausgebaut
werden muss; auf seine Vorzüge habe ich eingangs hingewiesen. Nur mit einem starken ÖPNV werden wir die
Klimaschutzziele im Verkehrssektor erreichen und die
Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden erhalten können.
({3})
Dafür brauchen wir aber eine solide und verlässliche
Finanzierungsgrundlage. Die ist zurzeit nicht gegeben.
Daher fordern wir in unserem Antrag die Bundesregierung auf, mit den Ländern mindestens eine Verstetigung
der Finanzhilfen bis 2019 zu vereinbaren. Im Gegenzug
- das sage ich auch - müssen sich die Länder verpflichten, diese Mittel tatsächlich für Investitionen in die Verkehrsmittel des Umweltverbundes zu verwenden.
({4})
Meine Damen und Herren, es geht jetzt darum, Brüche bei der Finanzierung von ÖPNV-Projekten zu verhindern, bis 2019 die bestehenden Instrumente zu erhalten, eine verlässliche Grundlage für die Finanzierung des
ÖPNV zu sichern und, wenn das gelungen ist, sich Gedanken darüber zu machen, wie es nach 2019 weitergeht.
({5})
Für diese Zukunftsaufgabe schlagen wir die Einrichtung
einer Kommission vor, in der gemeinsam nach neuen
Finanzierungsinstrumenten gesucht wird. Jetzt geht es
darum, die Brücke nicht abzureißen, sondern zu erhalten, im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsinfrastrukturfinanzierung.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Tillmann von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Lieber Herr Kühn,
wir hatten eine Kommission, die sich genau mit diesem
Thema befasst hat, nämlich die Föderalismuskommission I. Das, was im Entflechtungsgesetz festgelegt worden ist, entspricht genau dem über Parteigrenzen hinaus
erzielten Ergebnis der Föderalismuskommission I. Wir
wollten eine Entflechtung der Gemeinschaftsaufgaben.
Wir wollten eine klare Zuteilung der Zuständigkeiten an
die verschiedenen staatlichen Ebenen. Wir wollten - insbesondere im Hinblick auf die Schuldenbremse -, dass
die einzelnen staatlichen Ebenen unverflochten für ihre
eigenen Haushalte zuständig sind.
({0})
Auch Ihre Kolleginnen und Kollegen haben damals
mitgemacht. Vielleicht lag es daran, dass Ihre Finanzpolitiker beraten haben. Es ist ein deutliches Zeichen,
dass heute zwar Herr Fricke spricht, aber kein Finanzpolitiker der Opposition. Ich glaube, das zeigt sehr deutlich, worum es in Ihrem Antrag geht: Es geht nicht um
den ÖPNV, auch nicht um den kommunalen Straßenbau,
sondern ausschließlich um mehr Geld.
({1})
Ich glaube, da sind die Haushaltsberatungen der bessere
Weg. Herr Fricke wird mit Sicherheit gleich darauf zu
sprechen kommen.
Um Ihnen zu beweisen, dass wir den Inhalt des Entflechtungsgesetzes völlig einvernehmlich in der Föderalismuskommission I beschlossen haben, zitiere ich zwei
Kollegen. So hat der Kollege Rainder Steenblock von
Bündnis 90/Die Grünen zum Bereich der Verkehrsfinanzierung ausgeführt - ich zitiere mit Genehmigung des
Präsidenten -, dass dies „regionale Themen“ seien, „die
die Länder bzw. die Kommunen von der Planung und
Verwaltung her wahrscheinlich sehr viel besser realisieren können“.
({2})
Ich zitiere weiter:
Deshalb wäre es schon vernünftig, in den folgenden
Gesprächen noch einmal zu überlegen, ob diese Aufgabe und damit natürlich auch die Mittel, die der
Bund den Ländern dafür zur Verfügung stellt …, den
Ländern übertragen werden könnte. Diese Kompetenzen können die Länder originär wahrnehmen,
und dadurch würden auch ihre Planungskapazitäten
nicht überfordert, weil sie auf diesem Gebiet häufig
schon im Wege der Auftragsverwaltung tätig sind.
Mit einer solchen Lösung könnten die Länder ihre
ureigenen Aufgaben in diesem Bereich wahrnehmen.
Der Kollege Kröning von der SPD ist noch deutlicher
geworden.
({3})
In der Arbeitsunterlage 0009 der Kommission fasst er
korrekt zusammen:
Die dauerhaften Finanzhilfen zur sozialen Wohnraumförderung und zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden sind Beispiele für
Fehlentwicklungen im Bereich der Finanzhilfekompetenz des Art. 104 a Abs. 4 GG. Diese Finanzhilfen, die letztlich auf entsprechende Bundesfördermaßnahmen aus der Zeit vor der Finanzreform
1969/70 zurückgehen, haben sich zu einem stetigen
Finanztransfer entwickelt, der auf konkrete Bedarfssituationen keine Rücksicht nimmt. Im Bereich des GVFG wird ein festgeschriebener Teil des
Mineralölsteueraufkommens dauerhaft nach einem
abstrakten Bedarfsschlüssel ({4}) auf die Länder verteilt …
Schematisch verfestigte und keiner echten Kontrolle unterliegende Finanztransfers wie in den
Bereichen „Soziale Wohnraumförderung“ und „Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz“ sind zukünftig zu vermeiden… Dazu bedarf es einer grundsätzlichen Befristung von Finanzhilfen
- ich bin gespannt, was der SPD-Kollege gleich fordert und einer Verstärkung der Wirksamkeitskontrolle
bezüglich der Zielerreichung, abgesichert auf Verfassungsebene.
Das ist ein Originalzitat aus der Arbeitsunterlage 0009
des SPD-Kollegen Kröning. Er hatte recht, als er das geschrieben hat.
Diese Zitate zeigen, dass wir uns in der Föderalismuskommission I einig waren, einen Ausstieg aus der
Mischfinanzierung vorzunehmen. Lieber Kollege Kühn,
das ist nichts, was FDP und CDU/CSU zusammen beschlossen hätten; das ist etwas, was die Große Koalition
zusammen beschlossen hat. Ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen den Ergebnissen der FöKo I ebenfalls zugestimmt hätten, wenn
der Bildungsbereich nicht gewesen wäre. Sie waren in
diesem Bereich, gerade auch was das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz anbelangt, mit uns einer Meinung.
({5})
Nun ist festgelegt worden, dass die Länder bis Ende
2013 Kompensationszahlungen in Höhe des Durchschnitts der Finanzierungsanteile des Bundes im Referenzzeitraum 2000 bis 2008 erhalten. Dieser Zeitraum ist
deswegen gewählt worden, weil in dieser Zeit besonders
hohe Bundesfördermittel gewährt worden sind; es sind
im Durchschnitt 1,335 Milliarden Euro. Es ist aber
gleichzeitig festgelegt worden, dass ab 2014 die bisherige bereichsspezifische Zweckbindung wegfällt. Das ist
also genau das Gegenteil von dem, was Sie heute fordern. Es ist einvernehmlich festgelegt worden, weil wir
der Meinung waren, dass die Länder vor Ort sehr viel
besser entscheiden können, für welchen Bereich sie
diese Mittel brauchen. In die Aufhebung der Zweckbindung sind auch andere Mischfinanzierungen aufgenommen worden, nämlich in den Bereichen Ausbau und
Neubau von Hochschulen, Bildungsplanung, Finanzhilfe
für Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse sowie Wohnraumförderung; hier geht es insgesamt
um eine Summe von 2,6 Milliarden Euro. Genau deswegen haben sich die Länder bereit erklärt, der Finanzierungszusage zuzustimmen. Sie erreichen dadurch nämlich mehr Flexibilität.
Hierzu hat der Bund rechtzeitig vor Ende des 31. Dezember 2013 die Verhandlungen mit den Ländern aufgenommen, und zwar unter Federführung des BMF - weshalb wir das in der Arbeitsgruppe Finanzen beraten -,
unter Hinzunahme des BMVBS, des Beauftragten der
Bundesregierung für die Neuen Länder und des Bildungsministeriums. Die Gespräche dauern an; sie sind
auf Wunsch der Länder noch einmal verschoben worden.
({6})
Aber ich kann im Moment nicht erkennen, dass Zeitdruck bestünde; denn die Haushaltsberatungen 2013 fangen gerade erst an. Wir sollten diese Gespräche abwarten.
({7})
Ich habe im Vermittlungsausschuss noch nie den Eindruck gehabt, dass die Länder nicht Manns bzw. Frau genug gewesen wären, ihre Interessen zu vertreten.
({8})
Ich habe eher die Sorge, dass das Ergebnis zu unseren
Lasten ausgeht, als dass die Länder ihre Interessen nicht
durchsetzen.
({9})
Sie haben gesagt, der öffentliche Personennahverkehr
könne aus finanzieller Not einige Projekte nicht umsetzen. Das ist nicht der Fall. Die Bundesregierung gibt an,
dass die Länder die vom Bund zur Verfügung gestellten
Mittel bei weitem nicht vollständig abgerufen haben.
Mehr als ein Viertel an Ausgabenresten hat sich in der
Zeit von 2007 bis 2010 angesammelt. Als Haushälter
sehe ich ehrlich gesagt nicht ein, warum ich diese
25 Prozent den Ländern weiterhin zur Verfügung stellen
soll, wenn sie sowieso nicht abgerufen werden. Über
diese Zahl wird man in den Beratungen nachdenken
müssen. Ich bin mir sicher, dass wir eine Lösung finden
werden; aber es wird keine Lösung sein, mit der wir die
Ergebnisse der Föderalismuskommission I rückabwickeln.
({10})
- Doch, das verlangen Sie. Sie verlangen, dass wir eine
Zweckbindung festlegen. Sie verlangen vom Bund eine
dauerhafte Finanzierung von Aufgaben, die eindeutig
Länderaufgaben sind.
Wir haben gemeinsam mit den Ländern Schuldenbremsen ausgehandelt. Wir sind zuständig für die Verschuldung des Bundes, und dafür übernehmen wir auch
die Verantwortung. Die Länder sind für ihre Verschuldung zuständig. Der Bürger hat ein Recht darauf, erkennen zu können, wer seine Aufgaben erfüllt oder auch
nicht erfüllt. Deshalb ist im Entflechtungsgesetz klar geregelt, dass wir Transparenz in den Haushalten wollen.
Mischfinanzierungen bringen immer zusätzliche Kosten
mit sich und haben noch nie dazu geführt, dass Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit eingehalten wurden.
({11})
Die Verhandlungen sind auf einem guten Weg. Ich bin
sicher, dass das BMF mit den Ländern sehr kollegial umgehen wird. Es kann auch gar nicht gegen die Länder
entscheiden. Herr Kampeter lächelt freundlich; ich sehe,
dass seine Liebe auch den Haushalten der Länder gilt.
({12})
Gegenüber der Europäischen Union müssen wir die
Schuldenbremse natürlich gemeinsam einhalten. Ich
weiß, dass er alleine in die Verhandlungen mit den Ländern geht.
({13})
Es besteht zum jetzigen Zeitpunkt auch keine Notwendigkeit, einzusteigen.
Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen. Sollten
Sie den Eindruck haben, dass Gefahr im Verzug ist: Die
Haushaltsberatungen stehen Ihnen offen, um die von Ihnen beantragten 1,335 Milliarden Euro in den Haushalt
einzustellen. Wir werden die Beratungen abwarten und
insbesondere die Schuldenbremse des Bundes im Blick
behalten. Das fällt nämlich in unsere Zuständigkeit; das
ist unsere Verpflichtung, unsere Verantwortung. Als Berichterstatter meiner Fraktion zum Thema Schuldenbremse stelle ich fest: Das ist unser Anliegen für die
nächsten Jahre. Wir sind es kommenden Generationen
schuldig, dass mit Geld vernünftig umgegangen wird,
und zwar unabhängig davon, wo es eingesetzt wird.
Wenn Geld nicht gebraucht wird, sollte man es auch
nicht ausgeben.
Ich danke Ihnen.
({14})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Sören Bartol.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, bei den Verhandlungen um die sogenannten Entflechtungsmittel sollte es um mehr gehen als
darum, wer finanzpolitisch am längeren Hebel sitzt.
({0})
Leider ist mein Eindruck bisher ein anderer. Wenn das
Bundesfinanzministerium die Mittel tatsächlich auf null
abschmelzen will,
({1})
dann ist das ein Pokerspiel, aber kein Beitrag zu einer
ernsthaften Verhandlung im Sinne der Sache, und weit
von dem entfernt, was für eine funktionsfähige kommunale Verkehrsinfrastruktur notwendig ist.
({2})
Der Bedarf für die kommunale Verkehrsinfrastruktur
übersteigt die Mittel schon heute. 1,9 Milliarden Euro
wären für Kommunalstraßen und ÖPNV-Infrastruktur
jährlich erforderlich.
({3})
Das ist deutlich mehr als die 1,3 Milliarden Euro, die der
Bund den Ländern bis 2013 zahlt. Damit wächst der Investitionsstau schon jetzt Jahr für Jahr. Das Gutachten
der Länder für die Verkehrsministerkonferenz zeigt das
seriös, und ich glaube, dass das bisher niemand bezweifelt hat.
Auch wenn mit der Föderalismusreform der Rückzug
des Bundes aus der Finanzierung der kommunalen VerSören Bartol
kehrsinfrastruktur beschlossen wurde - ob das sinnvoll
ist oder nicht, sei jetzt dahingestellt -, ist der Bund nach
dem Entflechtungsgesetz bis Ende 2019 zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Für die Zeit von 2014 bis
2019 ist lediglich zu überprüfen, ob die Zahlungen noch
angemessen und erforderlich sind. Ich nehme an, dass
sich unter uns kaum eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter finden wird, die bzw. der, wenn sie den Zustand
der Straßen oder Busbahnhöfe zu Hause in den Wahlkreisen vor Augen haben, diese Erforderlichkeit nicht
seht.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und
von der Union, Sie hatten im Koalitionsvertrag die Neufestsetzung der Mittel zur Mitte der Legislaturperiode
angekündigt. Auch wenn wir optimistisch davon ausgehen, dass die Legislaturperiode vier Jahre hat: Sie sind
im Verzug.
({5})
Umso unverständlicher ist es, dass die Bundesregierung
mit einer Position in die Verhandlungen gestartet ist, die
den Ländern keine andere Wahl ließ, als den für Dezember 2011 angesetzten Verhandlungstermin platzen zu lassen. Hoffen wir, dass das nächste Verhandlungsangebot
näher an der Realität ist.
({6})
Ich frage mich die ganze Zeit: Wo ist eigentlich bei all
dem der zuständige Bundesverkehrsminister? Wo ist
Peter Ramsauers Gestaltungswille, wenn es um die Zukunft kommunaler Verkehrsinfrastruktur geht?
({7})
Wo sind seine Vorschläge für die Finanzierung dieser
zentralen Aufgabe der Daseinsvorsorge ab 2019, wenn
nicht nur die Kompensationsmittel auslaufen, sondern
auch das Bundesprogramm für ÖPNV-Großvorhaben?
({8})
Der Bundesverkehrsminister konstatiert zwar, dass
die GVFG-Bundesprogrammmittel schon jetzt überbucht sind. Konsequenzen daraus zieht er aber in keiner
Weise. Die jährlich 330 Millionen Euro reichen doch
hinten und vorne nicht, wenn 1,7 Milliarden Euro allein
durch laufende Vorhaben gebunden sind. Zu den knappen Mitteln kommt noch die Unsicherheit, was ab 2019
sein wird. Die Folge: Die finanziell ohnehin klammen
Kommunen lassen lieber die Finger davon, dringend
notwendige Infrastrukturprojekte in Angriff zu nehmen.
Nicht ohne Grund schlagen die Bürgermeister aus dem
Ruhrgebiet Alarm. Ihnen steht doch das Wasser bis zum
Halse.
({9})
In dieser Situation benötigten wir einen Bundesverkehrsminister, der sich für einen leistungsfähigen öffentlichen Personenverkehr in Ballungsräumen wie im ländlichen Raum sowie für ein funktionsfähiges kommunales
und regionales Straßennetz starkmacht. Wir benötigten
einen Bundesverkehrsminister, der die Sicherung nachhaltiger Daseinsvorsorge als vorrangiges Ziel einer integrierten Verkehrs-, Stadt- und Raumentwicklungspolitik
begreift. Das ist ein Ziel, für das auch der Bund weiterhin Mitverantwortung übernehmen muss, gerade angesichts der wachsenden Herausforderung des demografischen, wirtschaftsstrukturellen und des Klimawandels
sowie natürlich der knappen Ressourcen. Wir benötigten
auch Verkehrspolitiker der Koalitionsfraktionen, die das
Thema im Deutschen Bundestag nicht einfach in den Finanzausschuss abschieben, weil sie ihre eigene Machtlosigkeit verschleiern wollen. Ich stelle fest: Kraftloser
Bundesverkehrsminister Ramsauer im Kabinett, der sich
für nicht zuständig hält, trifft auf kraftlose Verkehrspolitiker der Koalition im Bundestag, die sich ebenso für
nicht zuständig halten.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
trotzdem setze ich auf Ihre kurzfristige Einsicht. Stimmen Sie doch einer Überweisung des vorliegenden Antrags in Federführung des Verkehrsausschusses zu. Stellen Sie sich doch den Problemen bei der Finanzierung
der kommunalen Verkehrsinfrastruktur. Dort, wo Städte
boomen, stellen sich die Aufgaben anders als dort, wo
periphere ländliche Regionen, zunehmend aber auch
Städte von Bevölkerungsrückgang, Arbeitsplatzabbau
und sinkender Wirtschaftskraft betroffen sind. Klar ist,
dass die Kommunen in ihrer gegenwärtigen finanziellen
Lage nicht in der Lage sind, diese Herausforderung zu
bewältigen.
Statt finanzpolitischem Hickhack fordern wir deshalb
ein klares Bekenntnis zur Mitverantwortung des Bundes
für die kommunale Verkehrsinfrastruktur.
({11})
Es ist höchste Zeit für einen Investitionspakt von Bund
und Ländern für den ÖPNV und die Kommunalstraßen.
({12})
Für den Bund heißt das: Er muss den Ländern bis 2019
weiter angemessene Mittel gewähren und ihnen bis dahin Planungssicherheit geben. Im Gegenzug müssen sich
die Länder nachprüfbar zu einer zweckgebundenen Verwendung verpflichten. Konstruktionsfehler der ehemaligen Gemeindeverkehrsfinanzierung müssen endlich korrigiert werden. Neben Neuinvestitionen müssen auch
Erhaltungsinvestitionen förderfähig werden. Bei Neuinvestitionen müssen ausreichend Rücklagen für den Erhalt gebildet werden.
Zudem brauchen wir zügig klare Perspektiven für die
Zeit nach 2019. Die Föderalismusreform bedeutet nicht
nur, dass die Verantwortung an die Länder übergeht, sondern dass die Länder bei der anstehenden Neuordnung
des bundesstaatlichen Finanzausgleichs auch ausrei20126
chend Mittel für diese Aufgaben erhalten und sie den
Kommunen zur Verfügung stellen.
({13})
Der Komplettrückzug des Bundes aus der Verantwortung für die ÖPNV-Infrastruktur gehört noch einmal
gründlich auf den Prüfstand. Das ist eine Aufgabe, der
sich der Bundesverkehrsminister endlich einmal stellen
sollte.
Vielen Dank.
({14})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Otto Fricke.
({0})
Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Das ist wieder ein Antrag der Grünen - so einen hatten wir schon gestern; dazu hat der
Kollege Kampeter eine feurige Rede gehalten -, der auf
nichts anderes als auf eine Forderung hinausläuft: Mehr
Geld! Mehr Geld! Mehr Geld!
({0})
Zu der Frage, wer das bezahlen soll, sagt dieser Antrag
nichts.
({1})
Für die Zuschauer und Zuhörer sage ich: Sie sollen es
bezahlen.
Es geht um den öffentlichen Personennahverkehr und
seine Finanzierung. Wir alle wissen und wir alle wollen,
dass es an dieser Stelle einen Zuschuss gibt. Es ist klar,
dass wir den öffentlichen Personennahverkehr nicht zu
100 Prozent durch diejenigen, die ihn nutzen, finanzieren können. Wir wissen, dass das nicht geht.
({2})
Jetzt kommt die Frage: Wie bekommen wir das hin, und
wessen Aufgabe ist das? Spontan sagt jeder - das sagen
die Grünen und auch die SPD; der Kollege Bartol hat
das gerade deutlich gesagt; ich habe jetzt auch verstanden, warum der Kollege Bartol den Haushaltsausschuss
verlassen hat -, das solle der Bund bezahlen, der Bund
mache nichts mehr, er kürze die Ausgaben.
Was ist Fakt? Ist das wirklich so? Das Regionalisierungsgesetz sieht Leistungen des Bundes für den öffentlichen Personennahverkehr in Höhe von 7 Milliarden Euro vor, die aus dem Bundeshaushalt zu
finanzieren sind. Ändert sich daran etwas? Fahren wir
die Zahlen herunter? Nein, im Gegenteil: Wir erhöhen
die Ausgaben sogar um 1,5 Prozent pro Jahr. Das ist,
wenn ich das richtig sehe, ein ganz schöner Batzen Geld.
Das entspricht übrigens einem Mehrwertsteuerpunkt;
das sage ich nur, damit die Bürger wissen, was das heißt.
Für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, das bis
2019 bestehen bleibt, sind ebenfalls entsprechende Mittel vorgesehen: jährlich 335 Millionen Euro aus dem
Haushalt des Bundes.
Jetzt könnte man als Nächstes sagen: Wir müssen das
Entflechtungsgesetz ändern. Wir haben im Rahmen der
Föderalismuskommission gesagt - die Kollegin
Tillmann hat das deutlich gemacht -: Das ist des Bundes
Aufgabe - das muss der Bund finanzieren. Das ist der
Länder Aufgabe - das müssen die Länder mit ihren
Kommunen finanzieren. Jetzt kommen Sie daher und sagen: Nein, das machen wir anders. Den öffentlichen Personennahverkehr soll der Bund finanzieren, aber die
Länder sollen entscheiden.
({3})
Dazu sage ich ganz klar: Das machen wir nicht. Wir halten uns an das, was im Rahmen der Föderalismuskommission beschlossen wurde. Wir halten uns an das, was
kluge Sozialdemokraten, kluge Freidemokraten, kluge
Christdemokraten und eigentlich auch die Grünen gemeinsam beschlossen haben. Das aufzukündigen, wäre
eine Veräppelung der Bürger.
({4})
Es kommt noch etwas anderes hinzu - das möchte ich
erklären, weil das nicht das tägliche Geschäft aller ist -:
Die meisten Bürger meinen - das bekomme ich in Gesprächen mit -, dass der Bund die meisten Steuereinnahmen, das meiste Geld bekommt. Sie glauben, dass der
Bund 80 bis 90 Prozent der Steuereinnahmen erhält. Die
Einnahmen aus der Mehrwertsteuer und der Einkommensteuer, alles fließt an den Bund. Jetzt fragen Sie sich
selber einmal, ob das, was ich sage, stimmt. Ich richte
diese Frage auch an die Opposition. Sie gerieren sich
hier als Freunde der Kommunen, indem Sie sagen: Wir
tun etwas für den ÖPNV. - Wer hat denn mehr Steuereinnahmen, Herr Kollege Bartol, Herr Kollege Kühn?
Hat der Bund mehr Steuereinnahmen, oder haben Länder und Kommunen mehr Steuereinnahmen? Fakt ist:
Länder und Kommunen haben mehr Steuereinnahmen.
Das ist die Überraschung. Länder und Kommunen erhalten 52,5 Prozent aller Steuereinnahmen. Das heißt, jedes
Mal, wenn Sie als Bürger 1 Euro Steuern bezahlen, gehen 52 Cent davon an die Länder und Kommunen. An
den Bund fließen 43 Cent, der Rest geht nach Europa.
Jetzt sagen Sie: Der Bund soll noch mehr tun.
Wir gehen noch einen Schritt weiter, weil es so beliebt ist, zu Hause, im Wahlkreis zu sagen: Ich tue etwas
für die Gemeinde, ich tue etwas fürs Land, im Gegensatz
zu denen in Berlin, im Gegensatz zum Bund. - Wir haben auch hier eine Verantwortung.
({5})
- Ja, jetzt kommen Sie wieder mit der kommunalen Verankerung. Glauben Sie, ich bin nicht kommunal verankert? Glauben Sie, irgendjemand hier hat seinen Wahlkreis nicht im Auge?
({6})
Trotzdem haben wir als Bundestagsabgeordnete die Aufgabe, den Bürgern klar zu sagen: Ihr müsst für die schönen Dinge, die gefordert werden, bezahlen.
Nach den aktuellen Zahlen der Monate Januar und
Februar
({7})
haben die Länder in diesem Zeitraum mehr Steuern eingenommen als der Bund, und Sie sagen, der Bund solle
noch mehr bezahlen, ohne etwas zur Finanzierung zu sagen. Jetzt komme ich zu der für mich größten Schweinerei dieser Woche: Anfang dieser Woche haben Grüne
und Sozialdemokraten gesagt, dass der Finanzminister
bzw. die Koalition in diesem Land nicht genug spart.
Heute hingegen fordern Sie Mehrausgaben in Milliardenhöhe. Das ist scheinheilig. Das hilft den Kommunen
und dem öffentlichen Personennahverkehr in keiner
Weise.
({8})
- Ja, anscheinend habe ich Sie doch getroffen.
({9})
- Es ist schade, dass man draußen nicht mitbekommt,
wie sehr Sie sich gerade darüber aufregen. - Es bleibt
dabei: Sie als Opposition können nicht auf der einen
Seite sagen, dass Sie für die schönen Dinge der Welt zuständig sind, aber auf der anderen Seite den Bürgern
nicht sagen, woher das Geld kommen soll.
({10})
Jetzt zum Abschluss zu der Frage, warum der Bund
zu seinen Finanzierungsfähigkeiten beim öffentlichen
Personennahverkehr steht. Wir werden den öffentlichen
Personennahverkehr in Zukunft noch mehr benötigen als
bisher. Das ist gar keine Frage. Wir werden aber darüber
sprechen müssen, welchen öffentlichen Personennahverkehr wir brauchen, wo wir ihn brauchen und welche Linien effizient sind. Es geht auch um den Unterschied
zwischen städtischen und ländlichen Bereichen. Ich habe
während meines Studiums in Freiburg einen guten öffentlichen Personennahverkehr erlebt. Ich sehe aber
auch, wie sinnlos es teilweise auf dem Land ist, wenn
man dort Buslinien nur aus traditionellen Gründen erhält,
({11})
ohne sich zu überlegen, ob es nicht moderne Möglichkeiten des öffentlichen Personennahverkehrs gibt, statt
mit großen leeren Bussen durch die Gegend zu fahren,
wofür andere zahlen müssen. Ich weiß nicht, wo Sie leben, aber ich sehe das täglich.
({12})
Eines wird diese Koalition nicht machen: Sie wird
Vereinbarungen der Föderalismusreform nicht brechen.
Sie wird vor allen Dingen Ihrem Antrag nicht zustimmen. Sie legen gern einen Antrag vor und fordern mehr
Geld für alle, wissen aber nicht, woher es kommen soll.
Sie stehen nicht auf der Schuldenbremse, sondern Sie
stehen, so wie in Nordrhein-Westfalen, auf dem Gaspedal und fahren damit vor die Wand.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt das Wort der Kollege Thomas Lutze von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Herr Fricke, ich lade Sie gerne ein und übernehme auch
die Fahrtkosten. Zeigen Sie mir den Überlandbus, der
sinnlos durch die Welt fährt. Ich nehme das dann gerne
zur Kenntnis. Ich kenne kaum noch eine Verkehrsverbindung auf dem Land, die funktioniert.
Sie haben einen zweiten sachlichen Fehler gemacht.
Die Regionalisierungsmittel, die ohne Zweifel steigen,
werden hauptsächlich dem Regionalverkehr bei der
Deutschen Bahn und den Privatbahnen zuteil.
({0})
In der heutigen Debatte und in dem Antrag der Grünen
geht es hauptsächlich um den Stadtverkehr. Für diesen
sollen die Regionalisierungsmittel eigentlich nicht verwendet werden.
({1})
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen bestätigt: Immer mehr Menschen nutzen regelmäßig den öffentlichen Personennahverkehr. Ich glaube, da sind wir
uns alle einig. Genau gesagt: Im Jahr 2011 fuhren
9,7 Milliarden Menschen mit Bussen und Bahnen. Dies
ist eine Steigerung von 0,7 Prozent im Vergleich zum
Vorjahr. Im Fortschrittsbericht zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie steht ganz deutlich, dass der ÖPNV unerlässlich für den nachhaltigen Verkehr in Deutschland
ist.
({2})
Über die Frage der zukünftigen Finanzierung der öffentlichen Verkehrsmittel wird jedoch wieder nur in kleinen Verhandlungsrunden im stillen Kämmerlein gesprochen. Die vom Bund gewährten Finanzmittel verlieren
ab 2014 ihre Zweckbindung, werden dann kontinuierlich
heruntergefahren, und ab 2020 gibt es überhaupt kein
Geld mehr für den Nahverkehr. Das ist kontraproduktiv
und steht im völligen Widerspruch zur Studie des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen, die dem öffentlichen Nahverkehr eine dramatische Unterfinanzierung
attestiert.
Von den benötigten 550 Millionen Euro für Erhaltungsinvestitionen können derzeit lediglich 220 Millionen Euro von den kommunalen Verkehrsunternehmen
aufgebracht werden. Hinzu kommt ein Investitionsstau
- auch das ist hier schon gesagt worden - in Höhe von
2,5 Milliarden Euro. Dieses Geld wird für notwendige
Sanierungsarbeiten dringend benötigt. Schon jetzt spricht
man vielerorts von einem Erhaltungsrückstand. Die Folgen sind oder werden sein: Betriebseinschränkungen oder
im schlimmsten Fall sogar Betriebseinstellungen.
Erklären Sie bitte dem Stadtrat in Bochum, wie er die
anstehende Renovierung seiner drei U-Bahn-Linien
finanzieren soll.
({3})
- Jetzt vergleichen Sie bitte nicht wieder Äpfel mit Birnen. - Erklären Sie, wie die Renovierung der U-Bahn
finanziert werden soll. Erklären Sie dem Stadtrat meiner
Heimatstadt Saarbrücken, wie der geplante Ausbau der
Saarbahn - ursprünglich sollte ein Netz von Linien entstehen - zukünftig finanziert werden soll. Das hat in der
Vergangenheit dankenswerterweise der Bund mit übernommen. Wenn sich der Bund dort komplett zurückzieht, wird es keine weiteren Investitionen in diesem Bereich geben.
Sowohl mittel- als auch langfristig gibt es einen weiterhin steigenden Finanzbedarf für den Aus- und Neubau
des ÖPNV-Netzes. In vielen Städten wird die Verkehrsleistung weiter zunehmen. Das Leistungs- und Nachfragewachstum macht eine Weiterentwicklung des bestehenden Angebots auch in Anbetracht des Klimawandels
und der Ressourcenknappheit dringend nötig.
({4})
Was passiert, wenn die Kraftstoffpreise weiter so steigen, ist, glaube ich, auch allen klar: Die Busse und Bahnen werden sich füllen.
Wir, die Linken, können nicht nachvollziehen, warum
die Finanzhilfen stetig gekürzt werden, obwohl der
ÖPNV weiter ausgebaut wird und der Finanzierungsrückstand bis Ende 2019 noch lange nicht abgebaut sein
wird. Deshalb fordern wir, die Finanzierung für Investitionen und den Betrieb des öffentlichen Verkehrs als
wichtigen Bestandteil der Daseinsvorsorge auszuweiten.
({5})
Dazu müssen die ÖPNV-Investitionsmittel auch nach
2013 nicht nur verstetigt werden, wie es die Grünen fordern, sondern entsprechend dem Bedarf auf 1,9 Milliarden Euro erhöht werden. Diese Forderung bestätigt im
Übrigen auch der Deutsche Städtetag, bekanntlich keine
linke Vorfeldorganisation.
Fazit: Egal wie Sie die Förderung in Zukunft nennen,
egal ob es mehrere Fördertöpfe oder nur einen Fördertopf gibt, Deutschland braucht dringend einen neuen
Konsens zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs
in den Städten, Kommunen und Regionen.
Herzlichen Dank und Glück auf!
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8918 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung
beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer stimmt
für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christel
Humme, Caren Marks, Petra Crone, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Entgeltgleichheit zwischen Männern und
Frauen gesetzlich durchsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Monika
Lazar, Kerstin Andreae, Ekin Deligöz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Frauen verdienen mehr - Gleichstellung ist
Innovationspolitik
- Drucksachen 17/5038, 17/4852, 17/5821 Berichterstattung:
Abgeordnete Nadine Schön ({1})
Nicole Bracht-Bendt
Monika Lazar
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erster
Rednerin der Kollegin Nadine Schön von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Wieso nimmt die ihr rotes Handtäschchen
mit ans Rednerpult?“, werden sich viele fragen. Diese
rote Handtasche ist ein Symbol. Sie ist das allgemeine
Symbol des Equal Pay Day. Sie ist das Symbol des heutigen Tages.
Was soll uns diese Tasche sagen? Sie soll uns erstens
sagen: Auch heute, 2012, gibt es einen Entgeltunterschied zwischen Frauen und Männern von 23 Prozent;
im ländlichen Raum, aus dem ich selbst komme, ist die
Lohnlücke noch 10 Prozent größer. Sie soll uns zum
Zweiten sagen: Dieser Entgeltunterschied, der Gender
Pay Gap, entwickelt sich später, im Alter, zu einem Gender Pension Gap, zu einem Unterschied in der Rente von
sage und schreibe 59 Prozent.
({0})
Sie soll uns drittens sagen: Europaweit ist Deutschland
mit dieser Lohnlücke führend, und zwar führend im negativen Sinn. Nur in Österreich und Tschechien gibt es
eine noch größere Entgeltungleichheit als bei uns.
Schließlich soll sie uns sagen: Tut etwas dagegen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, über 770 Gruppen in
ganz Deutschland führen heute, am Equal Pay Day, unter
Federführung von „Business and Professional Women Germany“ und mit finanzieller Förderung des Bundesgleichstellungsministeriums Aktionen zum Thema Entgeltgleichheit durch. Das ist eine großartige Leistung.
({1})
Deshalb will ich mich ganz am Anfang bei allen herzlich
bedanken, die heute diese Aktionen durchführen und für
dieses wichtige Thema werben.
({2})
Die Aktionen informieren heute über die Gründe und
Ursachen der Lohnlücke. Auch für uns zur Erinnerung:
Der größte Teil der Lohnlücke von 23 Prozent hat objektive Gründe. Frauen fehlen in bestimmten Berufen, in
bestimmten Branchen und auf den höheren Stufen der
Karriereleiter, Frauen sind im Schnitt schlechter qualifiziert als Männer - noch! -, und Frauen haben außerdem
mehr und längere Erwerbsunterbrechungen.
Rechnet man diese objektiven Gründen aus den
23 Prozent heraus, dann müssen wir immer noch die sogenannte bereinigte Entgeltlücke von 8 Prozent feststellen. Diese ist mit objektiven Gründen eben nicht zu
rechtfertigen. Hier müssen wir subjektive Gründe annehmen und auch davon ausgehen, dass es sich um Diskriminierung handelt.
({3})
Problematisch sind aber eben nicht nur diese 8 Prozent, sondern auch die 23 Prozent, und zwar nicht zuletzt
deshalb - ich habe es erwähnt -, weil sich das im Alter
zu einer Rentenlücke von mehr als 54 Prozent auswächst. Dann fehlt das Geld wirklich. Deshalb begnügen
sich die Aktivistinnen und Aktivisten heute eben nicht
damit, zu erklären und zu informieren, sondern sie sagen
auch: Tut etwas dagegen! - Tun wir also etwas dagegen.
({4})
Dieser Appell der Aktionen - Tut etwas dagegen! hat viele Adressaten. In diesem Jahr geht er vor allem an
die Tarifparteien und an diejenigen, die in die Lohnfindung involviert sind. Es geht hier um die Frage: Wie
können Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der individuellen Lohnfindung und Gewerkschaften und Unternehmen, wenn sie Tarifverträge verhandeln,
({5})
darauf achten, dass hier keine geschlechtsspezifischen
Unterschiede gemacht werden? Hier muss man sich als
Tarifpartei ganz bewusst die Fragen stellen: Was ist eigentlich eine angemessene Bezahlung? Wie werden wir
eigentlich frauenspezifischen Tätigkeiten gerecht? Legen wir faire und vergleichbare Kriterien an? Die Tarifparteien haben hier eine ganz besondere Verantwortung.
Nadine Schön ({6})
Liebe Frau Kollegin, Sie haben gerade „Politik“ dazwischengerufen. Dazu komme ich ganz sicher noch.
Mich hat es aber schon gewundert, dass Sie die Tarifparteien in Ihrem Antrag so kleinreden. Ich bin der Meinung, wir können den Tarifparteien schon zutrauen, dass
sie hier ganz aktiv etwas zur Beseitigung der Entgeltungleichheit beitragen. Dass Sie den Glauben schon aufgegeben haben, finde ich wirklich schade.
({7})
Der zweite Adressat des Appells ist die Gesellschaft;
das sind wir alle. Wenn es nämlich so ist, dass der größte
Teil der Lohnlücke - man spricht von etwa 18 Prozent deshalb entsteht, weil Frauen häufiger und auch länger
ihre Arbeitszeit unterbrechen,
({8})
dann sind wir alle gefragt. Obwohl die Unterbrechung an
sich ja nicht negativ ist und obwohl die Entscheidungen
sehr oft einvernehmlich zwischen den beiden Partnern
gefällt werden, bringen sie meist negative Konsequenzen mit sich, nämlich einen schlechteren Lohn beim
Wiedereinstieg. Diese negativen Konsequenzen trägt allein die Frau.
Das heißt für uns und unsere Gesellschaft, dass wir
diese Erwerbsunterbrechungen möglichst auf beide Partner aufteilen müssen, damit beide die Konsequenzen tragen. Mit dem Ausbau der Kitabetreuung, mit den Partnermonaten und mit dem Elterngeld unterstützen wir
von politischer Seite die Familien, die genau das wollen.
Ich kenne das aus meinem Freundeskreis und aus meiner
Umgebung: Gerade für junge Paare ist es heute selbstverständlich, dass man die sehr wichtige, aber eben unbezahlte Familienarbeit und die bezahlte Erwerbsarbeit
untereinander aufteilt. Das ist eine Form der Partnerschaft, die in Zukunft dazu beitragen wird, dass es weniger Erwerbsunterbrechungen geben wird. Das bringt
auch etwas für die Schließung der Lohnlücke.
Gefragt sind auch die Unternehmen. Der Appell an
die Unternehmen lautet: Seid sensibel für Entgeltungleichheit in eurem Betrieb. Das Bundesfamilienministerium bietet ja das Logib-D-Verfahren an. Das ist ein
wirklich gutes Tool, mit dem man herausfinden kann, ob
Entgeltunterschiede im Betrieb bestehen und wo die Ursachen liegen. Das kann ich wirklich nur jedem Unternehmen empfehlen.
Sie von der Opposition wollen hier ja ein gutes Stück
weiter gehen und diese Überprüfung zur Pflicht machen.
Anschließend sollen die Daten - anonymisiert -, einer
staatlichen Stelle vorgelegt und von NGOs und Interessengruppen geprüft werden. Dann soll bei jedem einzelnen Unternehmen geprüft werden, ob es irgendwo in
seiner Mitarbeiterschaft eine ungerechtfertigte Entgeltungleichheit gibt.
({9})
- Ganz ehrlich, liebe Frau Humme: Ich weiß, Sie haben
ein gutes Ziel vor Augen, das ich auch unterstütze. Aber
das, was Sie vorschlagen, ist wirklich ein Bürokratiemonster.
({10})
Sie glauben doch wirklich nicht, dass die Sensibilität
für dieses Thema in den Unternehmen wächst, wenn der
staatliche „Big Brother“ in einem riesenbürokratischen
Verfahren kommt und alle Lohnabschlüsse überprüft.
Das muss man sich einmal genau anschauen.
({11})
Ich bin der Meinung, damit kommen Sie keinen
Schritt weiter. Sie schaffen Bürokratie. Sie schaffen auch
Abwehrhaltungen in den Unternehmen, und das ist genau das, was wir nicht brauchen. Vielmehr brauchen wir
auch in den Unternehmen Sensibilität für dieses komplexe Thema, und deshalb müssen wir diesen Vorschlag
leider ablehnen.
({12})
Der Staat und die Politik können aber einiges machen.
Sie können Rahmenbedingungen ändern
({13})
und viele Dinge anstoßen, die dazu beitragen, dass die
Entgeltlücke geschlossen wird. Ich habe das Stichwort
Erwerbsunterbrechungen erwähnt. Hierzu gibt es gute
Programme des Ministeriums, etwa „Perspektive Wiedereinstieg“, „Familienbewusste Arbeitszeiten“ oder generell das Elterngeld, und auch bei den steuerlichen Rahmenbedingungen kann man etwas tun.
Die Politik kann nachhelfen - Sie kennen meine Position an dieser Stelle -, dass zumindest in den Führungsetagen deutscher börsennotierter Konzerne mehr
Frauen vertreten sind, und ich glaube schon, dass wir
eine gesetzliche Regelung brauchen, um mehr Frauen in
Führungspositionen zu bringen. Ich bin der Meinung,
dass diese Regelung bei Vorständen flexibel, aber bei
Aufsichtsräten fest gelten sollte und dass mehr Frauen in
Führungspositionen zu mehr Entgeltgleichheit führen
werden.
({14})
Auch der Staat kann mit gutem Beispiel vorangehen.
Er kann beispielsweise in seinen eigenen Behörden dafür
sorgen, dass die Entgeltlücke nicht so groß ist. Darüber
hinaus kann der Staat auf allen Ebenen mit den gesellschaftlichen Gruppen dafür sorgen, dass das Thema eine
Relevanz erhält. Bewusstseinsbildung bringt hier sehr
viel, und deshalb begrüße ich das Projekt mit den Landfrauen sehr; denn es greift das wichtige Thema der Entgeltungleichheit im ländlichen Raum auf. Als Vertreterin
des ländlichen Raums weiß ich schließlich, wie wichtig
das ist.
Nadine Schön ({15})
All diese Initiativen seitens Staat, Gesellschaft, Unternehmen und Tarifparteien werden gemeinsam dazu beitragen, dass der Entgeltunterschied schrumpfen wird,
und das muss unser aller erklärtes Ziel sein. Denn, liebe
Kolleginnen und Kollegen, Gleichstellungspolitik ist
nichts, was wir nur für uns Frauen machen. Gleichstellungspolitik hat auch, aber nicht nur etwas mit gerechten
Chancen zu tun. Nein, Gleichstellungspolitik hat auch
etwas mit der Innovationsfähigkeit, mit dem Wachstum
und mit der Lebensqualität einer Gesellschaft zu tun
({16})
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, tun wir
nicht nur etwas für die Frauen, wenn wir uns für die Beseitigung der Lohnlücke einsetzen. Wir tun etwas für
ganz Deutschland.
({17})
Denken Sie heute daran, und denken Sie auch immer daran, wenn Sie eine rote Handtasche sehen.
({18})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Caren
Marks das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die meisten von uns kommen gerade von der Kundgebung am
Brandenburger Tor. Bei gutem Wetter war sie gut besucht, und das war gut.
({0})
Obwohl der Anlass kein erfreulicher ist, ist es richtig
und notwendig, Flagge zu zeigen. Aber ich muss ganz
ehrlich sagen: Ich möchte da nicht noch in 20 Jahren stehen und dafür streiten, was uns zusteht.
({1})
Sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund als auch
der Deutsche Frauenrat hatten zu dieser Kundgebung unter dem Motto „Recht auf Mehr“ aufgerufen. Recht haben Sie mit „Recht auf Mehr“, nämlich dem Recht auf
gleiche Bezahlung für Frauen und Männer in unserem
Land.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen überhaupt nicht darüber streiten, ob eine Lohnlücke von
21,6 oder 22 oder 23 Prozent besteht. Fest steht: In keinem anderen OECD-Land klafft diese Lücke so weit
auseinander wie in unserem Land.
({3})
In Vollzeit arbeitende Frauen verdienen laut OECDStudie - Herr Staatssekretär, auch Sie könnten etwas lernen ({4})
bis zu 21,6 Prozent weniger als Männer. Der Durchschnitt liegt in der OECD bei 16 Prozent. Dies wurde
uns erst letzte Woche wieder bescheinigt. Auch im europäischen Vergleich liegt Deutschland am unteren Ende
der Skala. Damit gehören wir leider zu den Spitzenreitern bei der Diskriminierung von Frauen. Dieses Ergebnis ist nicht nur bitter. Es ist schlicht beschämend!
({5})
Es ist vor allem nicht hinnehmbar. Wir haben es hier
mit einem „Prinzip ohne Praxis“ zu tun. Obwohl nämlich nach geltender Rechtslage die unterschiedliche Entlohnung von Arbeit aufgrund des Geschlechts sowohl
nach nationalen als auch nach europarechtlichen Regelungen definitiv verboten ist, werden Frauen weiter
diskriminiert. Der jährlich stattfindende Equal Pay Day
macht dies öffentlichkeitswirksam zum Thema. Meine
Geduld, die Geduld der Frauen in diesem Land und die
Geduld der gesamten SPD-Bundestagsfraktion sind zu
Recht am Ende.
({6})
- Und die der übrigen Engagierten natürlich auch.
({7})
Es ist höchste Zeit, zu handeln. Handeln müsste dringend diese Bundesregierung. Handeln muss dieses Parlament.
Aber wie bei der Quote und wie bei vielen anderen
Themen: Bundesministerin Schröder verschließt die Augen vor der Realität.
({8})
Aber die Augen zu schließen, verändert nicht die Realität. Das ist ein Spiel, von dem kleine Kinder überzeugt
sind, dass es funktioniert: Ich schließe die Augen, und
keiner sieht mich. Auch die vorhandenen Probleme sieht
man dann nicht mehr.
({9})
Es soll sich alles schön von alleine regeln. Frauen brauchen keine Quoten. Wer gut ist, kommt alleine in die
Führungsetagen.
Frau Schröder sieht die Quote gar als eine Diskriminierung; so in der letzten Woche zu lesen. Heutige Männer - so die Ministerin - sollen nicht ausbaden müssen,
was Generationen von Männern falsch gemacht haben. Man reiche mir ein Taschentuch.
({10})
Sie spricht gar von einer „Kollektivhaftung“. - All dies
ist eine mehr als absurde Argumentation von einer
Ministerin, die bis heute nicht verstanden hat, für wen
sie eigentlich in diesem Land Politik machen muss.
({11})
Ich denke, ich kann im Namen aller Frauen sagen:
({12})
Besten Dank, Frau Schröder! Sie können gehen!
({13})
Nach einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung fordern 87 Prozent der Befragten gleichen Lohn für gleiche
Arbeit. So sieht die Realität aus, eine Realität, die Frau
Schröder, aber auch die gesamte Bundesregierung endlich zur Kenntnis nehmen sollten.
Fordert eine Frau heute gleiches Entgelt für gleiche
Arbeit ein, so muss sie das alleine durchsetzen, individuell gegenüber ihrem Arbeitgeber. Hier hat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz keine wirkliche Verbesserung gebracht. Es fehlt in unserem Land ein
Instrument, das die Durchsetzung des Prinzips der gleichen Bezahlung ermöglicht. Und deswegen arbeiten wir,
die SPD-Bundestagsfraktion, an einem entsprechenden
Gesetz, einem Equal-Pay-Gesetz.
({14})
Damit wollen wir die Unternehmen in diesem Land
verpflichten, endlich für diskriminierungsfreie Entgeltsysteme zu sorgen. Dabei gilt für uns natürlich, Frau
Schön: so wenig Staat und Bürokratie wie möglich, so
viel wie notwendig, um diesem Gesetz zur Wirksamkeit
zu verhelfen.
({15})
Mit diesem Gesetz wollen wir notwendige Transparenz bei Entlohnungsstrukturen herstellen; denn nirgendwo wird aus der Bezahlung so ein Geheimnis gemacht wie in Deutschland. Mehr Transparenz - davon
bin ich fest überzeugt - wird die versteckten Möglichkeiten der Diskriminierung abbauen. Das ist dringend
notwendig.
({16})
Natürlich muss das Gesetz einen Weg zur Kontrolle
und Durchsetzbarkeit vorgeben. Aber all dies ist machbar, wenn gewollt. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion,
wollen dies gesetzlich ermöglichen. Im Mai wird unser
Gesetzentwurf eingebracht. Seitens der Bundesregierung
hingegen ist für die Frauen in unserem Land nichts gewollt. Ein deutlicheres Zeichen als die Debatte am Internationalen Frauentag in der letzten Sitzungswoche
konnte es kaum geben.
Natürlich wird ein Gesetz zur Herstellung von Entgeltgleichheit nicht all die Probleme lösen, die strukturell bedingt sind. Ehegattensplitting und Minijobs, all
das muss dringend reformiert werden. Aber auch der
Ausbau der Betreuungsangebote muss schneller vorangehen.
Ein gutes und wirksames Instrument zur Eindämmung der Entgeltunterschiede ist auch der gesetzliche
Mindestlohn, den diese Bundesregierung, auch die Arbeitsministerin Frau von der Leyen, nach wie vor nicht
einführen will. Erst letzte Woche konnten wir in dem
neuesten Report des Instituts Arbeit und Qualifikation
der Uni Duisburg-Essen nachlesen, dass bei der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro
jede vierte Frau Anspruch auf eine Lohnerhöhung hätte.
Damit wäre schon ein guter Anfang gemacht, Frau
Schröder und Frau von der Leyen. Es wäre schön, wenn
beide heute anwesend wären, aber die Staatssekretäre
können es ihnen ausrichten.
({17})
Diese Ergebnisse haben deutlich gemacht, dass
Frauen sehr viel häufiger von besonders niedrigen Stundenlöhnen betroffen sind. Knapp 5 Prozent der weiblichen Beschäftigten arbeiteten 2010 für Stundenlöhne unter 5 Euro und 15 Prozent für unter 7 Euro. Ich frage die
schwarz-gelbe Bundesregierung: Wie lange will ein
wirtschaftlich gut aufgestelltes Land wie Deutschland
dies seinen Arbeitnehmerinnen noch zumuten? Hier sind
wir, hier ist die Bundesregierung, hier ist der Gesetzgeber gefordert.
Wenn diese Bundesregierung für Frauen nicht tätig
werden will, dann wird es die SPD-Bundestagsfraktion,
und ich weiß, dass die anderen Oppositionsfraktionen
dies auch wollen. Wir werden Ihnen gesetzliche Lösungen vorlegen, eine nach der anderen. Denn ich will wie
die anderen Frauen und viele Männer an unserer Seite
nicht noch in 20 Jahren am Brandenburger Tor für Lohngleichheit streiten müssen.
Herzlichen Dank.
({18})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin Nicole
Bracht-Bendt das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
komme gerade vom Infostand der FDP-Fraktion zum
Equal Pay Day zurück.
({0})
Eine Frau fragte mich, warum es trotz eines Verbots
im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz von 2006 in
Deutschland immer noch so eine große Lohnlücke gibt
und warum die Bundesregierung hier nicht mit einem
Gesetz zu einem flächendeckenden Mindestlohn einen
Riegel vorschiebt. Genau das ist der Vorschlag von SPDFraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Die FDP-Fraktion
lehnt das aus mehreren Gründen ab.
({1})
- Hören Sie zu! - Die Lohnfindung ist Sache der Tarifpartner; einen solch massiven Eingriff in die Tarifautonomie, wie Sie es mit einer gesetzlichen Regelung
vorschlagen, lehnen wir ab.
({2})
Außerdem wollen wir kein neues bürokratisches Regelwerk, mit dem Sie nahezu allen Betrieben neue
Regeln und Berichtspflichten aufbürden wollen. Wir als
FDP-Fraktion wollen mehr Transparenz bei den Gehaltsstrukturen.
({3})
Wir setzen auf die anonyme Offenlegung von Gehältern,
um die Ursachen ungerechter Bezahlung auszumachen
und abzubauen. Es gibt also dasselbe Ziel; nur die Wege
sind unterschiedlich.
Wir alle kennen die Fakten: Bei gleicher Qualifikation und vergleichbarer Tätigkeit liegt der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen bei 8 Prozent.
Dennoch sind auch die durchschnittlich 23 Prozent, von
denen so oft die Rede ist, Realität.
Das hat vor allem strukturelle Gründe. Wir müssen
sehen, dass sich junge Frauen in Deutschland deutlich
häufiger als in anderen Ländern nach der Geburt eines
Kindes aus dem Beruf zurückziehen und ausschließlich
der Familie widmen.
({4})
Das passiert freiwillig, und ich bin froh, dass der Gesetzgeber keine Lufthoheit über unseren Kinderbetten hat.
({5})
- Sie können ruhig lachen. - Den Frauen muss klar sein,
dass jedes Jahr, das sie aus dem Beruf aussteigen, Einschnitte in ihrem Portemonnaie bedeutet. Das gilt nicht
nur für die Zeit, bis sie wieder in den Beruf einsteigen,
sondern auch für die Rentenzeit. Hier müssen wir ansetzen, Ursachen ausloten und Lösungen entwickeln.
({6})
Frau Kollegin.
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu.
({0})
Keine Zwischenfrage, gut.
Daher müssen wir in Deutschland noch mehr für die
bessere Vereinbarung von Familie und Beruf tun. Die
Koalition hat hierzu schon einiges auf den Weg gebracht,
zum Beispiel Initiativen für familienbewusste Arbeitszeiten für Männer und Frauen, den Ausbau der Kinderbetreuung und Programme zur Erleichterung des Wiedereinstiegs.
(Karin Roth ({0}) ({1}): Ach was! Ich
dachte, das wäre nicht notwendig?
Nach einer Studie der Vereinigung der bayerischen
Wirtschaft, vbw, ist die Entgeltlücke bei jungen Frauen
ohne Kinder oder mit einer nur kurzen Babypause statistisch kaum mehr nachweisbar. Das ist erfreulich, aber
noch kein Grund zur Entwarnung. Die Einkommensschere öffnet sich also vor allem bei älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Ursache hierfür ist in erster Linie die Berufswahl von
Mädchen und Frauen. Noch heute wählt ein Drittel aller
weiblichen Auszubildenden aus fünf verschiedenen Ausbildungsberufen, die ihnen wenige Aufstiegschancen
bieten. Insgesamt gibt es aber rund 350 Ausbildungsberufe. Deshalb müssen wir Jungen und Mädchen animieren, aus der vollen Bandbreite zu schöpfen und auch für
ihr Geschlecht untypische Berufe zu wählen.
({2})
- Es wäre schön, wenn Sie einmal zuhören würden.
Manchmal lernen auch Sie noch etwas. - Viele Mädchen
haben Interesse am technischen und naturwissenschaftlichen Bereich. Das wollen und müssen wir fördern. Das
ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für Schule, Elternhaus und Politik.
Für mich liegt der Schlüssel für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Transparenz der Gehaltsstrukturen, der
Berufswahl sowie der optimalen Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer. Dann werden
solche Aktionen wie die der FDP-Fraktion heute bald
nicht mehr nötig sein.
Herzlichen Dank.
({3})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Deligöz von Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Frau Kollegin Bracht-Bendt, ich wollte Ihnen
eigentlich eine Frage stellen. Da Sie sie aber nicht zugelassen haben, habe ich mich für eine Kurzintervention
entschieden.
Im Moment geht über Timeline von Twitter die Meldung, dass innerhalb Ihrer Fraktion die Meinung vertreten wird, der heutige Tag sei ein sinnloser Aktionstag für
Frauen. Angesichts dessen, dass heute Tausende Frauen
und Männer auf die Straße gehen, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen, weil Frauen, statistisch gesehen,
bis zum heutigen Tag arbeiten müssen, um bei gleicher
Arbeit genauso viel zu verdienen wie die Männer allein
im letzten Jahr, und weil unsere Verfassung uns den Auftrag gibt, etwas gegen diese Ungerechtigkeit zu tun,
möchte ich von Ihnen wissen, wie Ihre Position zu dem
ist, was im Moment aus Ihrer Fraktion verlautet.
({0})
Wie können Sie als Fraktion, die die Regierung trägt,
vertreten, dass die Ministerin lieber draußen die Medienvertreter anlächelt, anstatt die halbe Stunde hier im Plenum zu sitzen, mit uns zu debattieren und ein klares
Wort zu äußern? Ich nenne das Wegducken vor der Verantwortung.
({1})
Zur Erwiderung, Frau Bracht-Bendt.
Ich weiß nicht, auf wen Sie anspielen und wer sich so
geäußert haben soll. Wir waren heute mit einem Stand an
der Friedrichstraße vertreten und haben uns mit dem Tagesthema befasst. Wir haben uns als Fraktion für diesen
Standort entschieden. Ich denke, das ist unsere Entscheidung für die Frauen und Männer in unserem Land.
Danke.
({0})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Yvonne Ploetz.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Heute ist der 23. März. Von
Anfang letzten Jahres bis heute müssen Frauen arbeiten,
um den gleichen Lohn zu bekommen, den die Männer
allein im letzten Jahr verdient haben. Das ist ein sagenhafter Lohnunterschied von 23 Prozent, wie wir heute
bereits gehört haben. Dabei sollte es doch heute hier und
jetzt eine Selbstverständlichkeit sein, dass Frauen den
gleichen Lohn für die gleiche Arbeit bekommen. Ihnen
stehen die ganzen 100 Prozent zu.
({0})
In Deutschland haben wir seit Jahren dieses enorme
Lohngefälle. Nirgendwo in Europa geht die Lohnschere
derart weit auseinander wie bei uns in Deutschland,
nicht in Griechenland, nicht in Frankreich, nicht in Bulgarien und auch nicht in der Slowakei. Da muss man
sich wirklich die Frage stellen, wie ernst Sie es als Regierung mit der Gleichstellung von Mann und Frau meinen.
In diesem Zusammenhang stellte die taz Jana Weber
vor. Jana und ihr Partner sind als freiberufliche Schauspielerin und Schauspieler unterwegs, an Theatern in der
ganzen Republik, von Düsseldorf bis Leipzig, von Hamburg bis Passau, oft zur selben Zeit im selben Stück. Immer ärgert sich Jana über ihre Verträge. Während ihr
Partner 250 Euro für eine Vorstellung bekommt, erhält
sie nur 200 Euro, und das nur, weil sie eine Frau ist. Damit muss jetzt endlich Schluss sein.
({1})
Leider ist das deutscher Alltag, egal ob eine Frau
Schauspielerin, Schreinerin oder Managerin ist. Das ist
wirklich eine ganz bittere Bilanz. Das ist die bittere Bilanz einer Regierung, die die Mehrheit der Gesellschaft
noch immer wie eine Minderheit behandelt.
Dabei haben Sie sich als Regierung vorgenommen,
den Lohnunterschied bis 2020 auf 10 Prozent zu reduzieren. Ich kann Ihnen schon heute sagen: Sie werden
das nicht erreichen, wenn Sie weiterhin an Ihrem Freiwilligkeits- und Selbstverpflichtungskurs festhalten.
({2})
Sie werden nicht darum herumkommen, ein echtes
Gleichstellungsgesetz zu initiieren, mit dem Sie die Betriebe dazu verpflichten, gleiche Löhne für gleiche Arbeit auszuzahlen.
({3})
Wenn man sich das Ganze genau anschaut, sieht man,
dass die Probleme tatsächlich noch tiefer liegen. Lohndiskriminierungen häufen sich im Laufe eines Frauenlebens an. Nimmt man das gesamte Erwerbsleben vom
Schulabschluss bis zur Rente in den Blick, dann erkennt
man, dass der Lohnunterschied nicht 23 Prozent, sondern annähernd 50 Prozent beträgt. Schuld daran sind
Niedriglöhne, unfreiwillige Teilzeitarbeit, Minijobs,
Pausen, um die Kinder zu erziehen oder um Angehörige
zu pflegen, fehlende Aufstiegschancen und das geringere Gehalt. All das kommt in vielen Frauenleben zusammen und endet in einer Rentenlücke von knapp
59 Prozent.
({4})
Auch das gehört zur Wahrheit und somit zu dieser Debatte.
({5})
An dieser Situation ändert sich schon seit Jahren
überhaupt nichts. Stattdessen finde ich, wenn ich mir die
Homepage equalpayday.de anschaue, ein Zitat unserer
Frauenministerin - ich zitiere -:
Verdienen Sie mehr? Diese Frage kann frau sich ruhig öfter stellen!
Ich persönlich finde, dass dieses Zitat gerade aus dem
Munde der Ministerin, die daran schuld ist, dass wir
heute schon wieder den Equal Pay Day feiern müssen,
wirklich eine Unverschämtheit ist.
({6})
Dabei gibt es doch zahlreiche Lösungsvorschläge, wie
man den Equal Pay Day viel früher im Jahr oder bestenfalls gar nicht haben könnte:
Erstens. Streiten Sie mit uns doch endlich gegen Hungerlöhne, gegen die Armutsfalle Minijobs und gegen Armut trotz Arbeit. Jede Frau und jeder Mann muss für
eine Stunde Erwerbsarbeit mindestens 10 Euro bekommen.
({7})
Zweitens. Stellen Sie sich doch endlich an die Seite
der Alleinerziehenden und ihrer Kinder im Land. Wir
haben in Deutschland eine ganz enorm hohe Kinder- und
Jugendarmutsquote. Das liegt oftmals daran, dass die
Mütter in einer sehr prekären Situation leben. Nur einige
Vorschläge: Sie könnten ein Programm für gute Arbeit
für Alleinerziehende auflegen. Sie müssen die Kinderbetreuung modernisieren und ausbauen. Nur so geht die
Gleichung „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ auf.
Nur so hat jeder Wahlfreiheit.
({8})
Drittens. Es fehlt Transparenz. In Norwegen und
Schweden gibt es sogenannte öffentliche Verdienstlisten.
Dort kann jeder nachlesen, was der Kollege verdient,
was der Chef verdient und was der Nachbar verdient.
Genau so etwas würde den Frauen in Deutschland wirklich helfen, Gehaltsforderungen zu stellen und Gehaltsverhandlungen zu führen. Das würde uns allen in
Deutschland gut zu Gesicht stehen.
({9})
- Genau. Wie vor allem, was gesetzlich geregelt wird.
Von alledem geschieht nichts. Stattdessen glänzen Sie
mit Initiativen, die für die Frauenbewegung ein richtiger
Ausfall sind. Das Stichwort Logib-D ist schon gefallen. Viele kennen es sicherlich nicht. Das ist ein Sammelsurium von Excel-Tabellen, PDFs und Downloadmöglichkeiten im Internet. Damit soll Unternehmen
geholfen werden, sich mit der Entgeltungleichheit im eigenen Betrieb auseinanderzusetzen - natürlich, wie immer, freiwillig und natürlich, wie immer, völlig erfolgsfrei.
Mit solchen freiwilligen Instrumenten beweist die
Frauenministerin, die nicht hier ist, eigentlich nur eines:
Ihr fehlt nicht nur der politische Biss. Sie ist frauenpolitisch ganz und gar zahnlos.
Um auf Frau Schröders Frage, ob Frauen mehr verdienen, zu antworten: Natürlich verdienen Frauen mehr
- mehr Geld, mehr Anerkennung und mehr Aufstiegschancen. Eine Frauenministerin fehlt uns ganz. Wir haben ein Recht auf mehr.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Frauen verdienen mehr“ - so heißt der grüne Antrag,
den wir heute unter anderem beraten. Es wurde von den
Vorrednerinnen schon gesagt: Das Thema begleitet uns
schon seit Jahren, und seit Jahren ändert sich nichts.
In der taz von gestern war zu lesen - ich zitiere -:
Lang und ruhig verläuft die Linie, die den Verdienstunterschied von Frauen und Männern im Verlauf der Jahre anzeigt. 1995 lag sie bei 21 Prozent,
1999 taucht sie mal kurz unter 20 Prozent, dann erhöht sie sich auf 23 Prozent - und da bleibt sie bis
heute.
Nach Angaben der OECD gibt es kein anderes europäisches Land, wo das Lohngefälle so groß ist wie in
Deutschland. Vollzeitbeschäftigte Frauen verdienen hierzulande im Schnitt immer noch 21,6 Prozent weniger als
Männer. Die Gehaltsunterschiede nehmen mit dem Alter
zu und schwanken in den einzelnen Berufsfeldern sehr.
Manche Gründe für dieses Lohngefälle liegen in der
Berufs- und Branchenwahl - das wurde vorhin schon angesprochen -, aber auch in den ungleich verteilten Arbeitsplatzanforderungen hinsichtlich Führung und Qualifikation. Junge Frauen wählen ihre Ausbildung immer
noch aus einem sehr schmalen Spektrum von sogenannten Frauenberufen. Es wäre besser, wenn sie ihre Berufsmöglichkeiten breiter ausschöpften. Wir werden in einem Monat den Girls’ Day haben, an dem unsere
Bundestagsfraktion junge Frauen empfängt und mit ihnen diskutiert.
Aber es gibt Unterschiede, die nicht erklärbar sind.
Laut WSI beträgt der Gehaltsunterschied zum Beispiel
bei Informatikerinnen und Informatikern 4 Prozent, aber
bei Physikerinnen und Physikern 24 Prozent; das ist einfach nicht zu verstehen.
Über die geschlechtergerechten Besetzungen von
Aufsichtsräten und Vorständen haben wir hier schon
häufig gesprochen. Es gibt auch gute Vorschläge der Opposition hierzu. Auch wir Grüne haben Anträge und Gesetzentwürfe eingebracht. Der Aufstieg in Führungspositionen ist für Frauen immer noch viel zu schwierig. Es
macht mich wütend, dass Frauen in Führungsetagen
- das hat das DIW kürzlich veröffentlicht - durchschnittlich 1 000 Euro brutto weniger als Männer verdienen. Ich finde, das ist ein furchtbarer Skandal.
({0})
Komplizierter wird es, wenn wir uns die unmittelbare
Diskriminierung anschauen. Da besteht ein Unterschied
von immer noch 8 Prozent. Das darf es in einem modernen Land wirklich nicht geben.
Wir Grüne haben vor zwei Wochen hier unseren Antrag zum Thema Entgeltgleichheit eingebracht. Wir fordern ein Entgeltgleichheitsgesetz. Die Tarifverträge
müssen dahin gehend überprüft werden, ob sie diskriminierende Passagen enthalten. Wir wollen, dass mit einem
analytischen Bewertungssystem geprüft wird, weil das
summarische Verfahren, das das Ministerium vorschlägt,
nicht ausreicht.
Wir wollen, dass die entsprechenden Kompetenzen
bei der Antidiskriminierungsstelle angesiedelt sind. Frau
Lüders hat soeben auf der Veranstaltung am Brandenburger Tor gesagt, dass sie diese Aufgaben gern übernehmen will. Das ist wichtig. Diese Stelle muss natürlich
auch personell und finanziell besser ausgestattet werden.
Die Koalition hingegen nimmt der Antidiskriminierungsstelle Geld weg.
({1})
Wir brauchen endlich ein Verbandsklagerecht für Antidiskriminierungsverbände, Gewerkschaften, Betriebsund Personalräte und Mitarbeitervertretungen. Weiterhin
müssen ein gesetzlicher Mindestlohn und mehr branchen- und regionalspezifische Mindestlöhne eingeführt
werden.
Ich verstehe die Gleichstellung von Frauen und Männern als eine zentrale Gerechtigkeitsfrage. Gleiche
Chancen und Rechte auf dem Arbeitsmarkt gehören
dazu. Wir haben in den letzten Wochen sehr viel zum
Thema Gleichstellung diskutiert. Wir kommen gerade
von der Kundgebung des DGB und des Deutschen Frauenrats am Brandenburger Tor. Es waren fast alle Fraktionen vertreten. Die FDP hat gefehlt. Ich frage mich, warum Sie zwei Straßenecken weiter stehen, allein im
Schatten,
({2})
und warum Sie sich nicht unserer Kundgebung angeschlossen haben. Selbst die Frauenunion war da und hat
eine Rednerin gestellt.
({3})
Wir haben dort mitbekommen, dass die Einschätzungen im Grunde genommen gleich sind. Ich frage mich
allerdings, warum die Konsequenzen immer noch nicht
gezogen werden. Wir von der Opposition machen Vorschläge. Wir vermissen aber immer noch die Vorschläge
der Koalition und der Bundesregierung. Sie können sich
gerne an unseren Vorschlägen bedienen, aber - darin
sind wir uns alle einig - wir wollen nicht noch Jahre
oder Jahrzehnte diskutieren. Deshalb meine Aufforderung: Tun Sie endlich etwas, damit Entgeltgleichheit in
diesem Land endlich umgesetzt wird!
({4})
Jetzt hat die Kollegin Katharina Landgraf von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am heutigen Tag der gleichen Entlohnung, Equal Pay Day, wird
viel über die Ursachen des Lohnabstandes zwischen
Männern und Frauen gesprochen; das haben bereits
meine Vorredner ausführlich dargelegt.
({0})
- Vorrednerinnen, Sie haben recht. Die Anträge, über die wir heute debattieren, sind aber
bereits über ein Jahr alt: Der von der SPD stammt von
März 2011 und der von den Grünen von Februar 2011.
Dabei ist doch inzwischen, wie ich bei meiner Vorbereitung festgestellt habe, einiges passiert.
({1})
Wir versuchen nämlich zusammen mit den Akteuren aus
der Wirtschaft, die Ursachen der Entgeltungleichheit mit
konkreten Maßnahmen zu bekämpfen.
({2})
- Es ist ein Anfang. - Durch Verbesserung der Rahmenbedingungen wollen wir die Karrierechancen von Frauen
und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern.
Ich möchte hier nur kurz die Initiative für familienbeKatharina Landgraf
wusste Arbeitszeiten, das Programm „Perspektive Wiedereinstieg“, den Girls’ Day, die MINT-Initiativen, den
stetigen Ausbau der Kinderbetreuung und die Partnermonate beim Elterngeld erwähnen.
({3})
Das alles wird dazu beitragen, das Berufswahlverfahren
zu beeinflussen und Erwerbsunterbrechungen zu vermindern.
({4})
Das sind nämlich zwei Hauptursachen - das haben Sie
selbst angeführt, Frau Marks - für den Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen.
Gerade bei der Berufswahl stehen den Frauen doch
jetzt alle Wege offen. Die typischen Frauenberufe wie
Krankenschwester und Altenpflegerin möchte ich einmal bewusst ausklammern. Wir dürfen nämlich nicht
dulden, dass der Dienst am Menschen schlechter bezahlt
wird als der Dienst an Maschinen.
({5})
Ich meine vielmehr andere Berufsfelder wie das Finanzwesen. Dort wählen Frauen zum Beispiel noch immer
überwiegend den Beruf der Buchhalterin, der nur halb so
gut bezahlt wird wie der des kaufmännischen Leiters.
Hier ist offensichtlich noch Aufklärungsarbeit zu leisten.
({6})
Ein weiterer Teil der Gesamtstrategie ist die schon erwähnte Einführung von Logib-D, „Lohngleichheit im
Betrieb - Deutschland“. Die Teilnahme ist freiwillig und
kostenlos. Daher würde es mich freuen, wenn noch mehr
Unternehmen als bisher ihre Lohnstruktur überprüfen
würden.
({7})
In diesem Zusammenhang müssen wir uns überlegen, ob
sich vielleicht nicht auch der öffentliche Dienst einer
solchen Überprüfung stellen sollte.
({8})
Denn auch dort kann von einer gleichen Bezahlung von
Männern und Frauen nicht die Rede sein. Beamtinnen
und Richterinnen verdienen rund 20 Prozent weniger als
ihre Kollegen. Besonders krass sind die Unterschiede im
mittleren und im höheren Dienst. Häufig dient der Hinweis auf die hohe Teilzeitquote der Frauen zur Erklärung. Das Argument zieht aber nicht; denn auch vollzeitbeschäftigte Frauen erhalten im Schnitt erheblich
weniger Besoldung als Männer.
({9})
Das liegt daran, dass Frauen in Leitungspositionen niedriger eingruppiert werden als ihre Kollegen. Auch das ist
ein unhaltbarer Zustand.
({10})
- Da sind wir uns einig.
Anstoß zum Wandel könnte ein Gleichstellungsindex
geben. Das ist ein Ranking, durch das ermittelt wird,
welche Behörde die geringste Lohnlücke zwischen Männern und Frauen aufweist. Für die Behörden, die die oberen Plätze einnehmen, ist es eine vortreffliche Werbung,
und für die Behörden, die die unteren Plätze einnehmen,
wäre es sicherlich ein großer Anreiz, sich an die Spitze
zu arbeiten. Gewinner sind, auf längere Sicht gesehen,
auf jeden Fall die Frauen.
So groß die Gehaltslücke zwischen Männern und
Frauen auch ist: Es gibt Licht am Ende des Tunnels. Seit
2008 ist die Lohnkluft von 28 Prozent auf 23 Prozent gefallen. Das ist nicht viel, aber wenigstens etwas. Gleichzeitig ist der Verdienst der Frauen in dieser Zeit um rund
400 Euro gestiegen, während die Männer durchschnittlich nur rund 60 Euro mehr verdienen. Die Lücke
schließt sich also langsam, aber stetig.
({11})
Dennoch bleibt ein erhebliches Verdienstgefälle zwischen Frauen und Männern bestehen.
Allerdings muss man auch sagen, dass sich Frauen
eher mit ihrer Lage abfinden
({12})
und offensichtlich mehr Angst vor Veränderungen haben. So wechseln zum Beispiel Männer erheblich öfter
den Arbeitsplatz, um durch eine berufliche Veränderung
Aussicht auf ein besseres Gehalt zu bekommen. Ein Lösungsansatz wäre, am Selbstvertrauen und Verhandlungsgeschick der Frauen zu arbeiten. Daran mangelt es
den meisten Frauen gewaltig. Das ist auch ein Problem
der jüngeren.
({13})
- Das ist nicht blöd.
Ich möchte ein Zitat von Frau Marie von EbnerEschenbach anführen:
Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen
kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft.
Das sollten sich die Frauen wirklich hinter den Spiegel
klemmen.
({14})
- Das heißt nicht, sie sind selbst daran schuld, sondern:
Wir alle sollten ihnen helfen, Selbstvertrauen zu finden.
Eine aktuelle Umfrage unter Studenten hat ergeben,
dass die besten Studentinnen im Vergleich zu den nur
durchschnittlichen männlichen Studenten quer durch alle
Studienfächer geringere Gehaltserwartungen zum Berufseinstieg haben.
({15})
Das ist eine verzerrte Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten. Man kann es als „typisch weiblich“ bezeichnen.
So sind Frauen, im Gegensatz zu Männern, dafür bekannt, das eigene Licht eher unter den Scheffel zu stellen, als mit ihren guten Leistungen hausieren zu gehen.
Wer beim Gehaltspoker allerdings zu wenig fordert, verkauft sich unter Wert, und das hinterlässt beim zukünftigen Arbeitgeber keinen guten Eindruck.
({16})
Machen wir also die Frauen stark und selbstbewusst,
und jammern wir nicht herum. Das sollte auch im Interesse der Arbeitgeber liegen; denn die Wirtschaft benötigt, wie wir alle wissen, dringend gut ausgebildete
Frauen. Demzufolge suchen künftige Arbeitgeber bereits
an den Unis nach den besten Nachwuchskräften.
({17})
Auf Bewerbungsmessen sollten verstärkt Coachings
für Frauen angeboten werden, in denen die eigene Position für künftige Gehaltsverhandlungen gestärkt werden
kann. Eine Unterstützung von Frauen bei individuellen
Lohnverhandlungen über Mentoring-Programme, Frauenlohnspiegel und anderes wird vom Familienministerium
bereits koordiniert.
Aber auch bei Tarifverhandlungen der Gewerkschaften müssen Frauen intensiver mitwirken. Ich erinnere
daran, dass unser neuer Bundespräsident Gauck heute
auch auf die Gewerkschaften hingewiesen hat. Frauen
sollten sich hier aktiver als bisher einbringen.
({18})
Ich bin überzeugt: Das ist der richtige Weg. Selbstbewusste und geschickt verhandelnde Frauen lassen sich
nicht mit einem Gehalt abspeisen, das geringer ist als
das, das ihre männlichen Konkurrenten schon lange bekommen - und genau das ist es, was ihnen zusteht. Das
sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Leider ist es noch
nicht so weit. Arbeiten wir daran, dass es in unserem
Land selbstverständlich wird!
Vielen Dank.
({19})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christel Humme von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Frau Schön, Ihrem roten Täschchen möchte ich gerne etwas entgegenhalten: Ich zeige Ihnen hier eine Lohntüte,
in der mehr drin ist. Die Frauen fordern 23 Prozent mehr
Lohn. Das bringen wir nur - davon sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten überzeugt - mit einer
gesetzlichen Regelung zustande. Darum haben wir diesen Antrag gestellt.
({0})
Liebe Kollegen, 101 - 23 - 59,6: Wenn das die Maße
eines Topmodels wären, würden Sie sicher etwas genauer hinsehen. Aber leider sind das die nüchternen Zahlen zur Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Seit
101 Jahren, Frau Bracht-Bendt ({1})
- Sie erinnern sich, wunderbar -, seit dem ersten Internationalen Frauentag, gibt es die Forderung „Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit“. So viel zu Ihrer Überzeugung,
das alles gehe freiwillig.
Wir haben heute gehört, dass die Lohnlücke 23 Prozent beträgt. Sie stagniert seit 15 Jahren auf dieser
Ebene. Was viel schlimmer ist: Seit fünf Jahren gibt es in
Westdeutschland eine Lohnlücke in Höhe von 25 Prozent. Das zeigt ganz deutlich, dass die Freiwilligkeit
überhaupt nicht greift.
Frau Schön, wenn Sie sagen, die Diskriminierung bestehe in einer Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern von 8 Prozent, so stimme ich Ihnen zu. Aber auch
in den übrigen Bereichen, in den Strukturen, findet Diskriminierung statt.
({2})
Darum darf man an dieser Stelle nichts, aber auch gar
nichts beschönigen, Frau Schön.
({3})
Die Rentenlücke beträgt - das haben einige schon gesagt - 59,6 Prozent. Das heißt, Frauen erhalten schon
heute etwa 60 Prozent, also fast zwei Drittel, weniger
Rente als die Männer. Lohndiskriminierung ist für viele
Frauen ein direkter Weg in die Altersarmut. Wollen Sie
das noch länger hinnehmen? Ich sage Ihnen: Wir wollen
es nicht! Wir wollen eine gesetzliche Regelung. Diese
Regelung ist uns in diesem Moment viel zu wichtig.
({4})
Wir haben dazu beim letzten Equal Pay Day vor einem Jahr einen Antrag vorgelegt. Dieser Antrag ist mittlerweile im Ausschuss diskutiert worden. Die Regierungsfraktionen haben ihn dort abgelehnt. Gleichzeitig
haben Sie ein Geheimnis daraus gemacht, wie Sie die
Lohnungerechtigkeit konkret beseitigen wollen; das haben Sie auch im Ausschuss in keiner Weise offengelegt.
Frau Landgraf, glauben Sie denn wirklich, dass es
reicht - genau so äußern sich immer Frau Schröder und
die Kanzlerin Merkel -, den Frauen zu sagen: „Seid mutiger, geht zum Chef und fordert mehr Lohn!“?
({5})
Was ist denn das für eine Forderung? Das reicht meiner
Ansicht nach überhaupt nicht.
({6})
Frau Schön, glauben Sie denn wirklich, dass es ausreicht, darauf zu hoffen, dass die Unternehmen das
Lohnanalyseverfahren Logib-D, das das Ministerium
über das Internet zur Verfügung stellt, herunterladen und
anwenden? Frau Landgraf, Sie haben gesagt, auch der
öffentliche Dienst sei wichtig. Fangen wir doch einmal
an, Herr Kues. Schöne Grüße an die Frau Ministerin, die
heute nicht da ist!
({7})
Fangen wir endlich an. Wenden Sie das Lohnanalyseverfahren selber einmal in Ihrem Ministerium an und prüfen
Sie, ob Sie diskriminierend oder nicht diskriminierend
entlohnen. Das wäre doch ein gutes Vorbild, oder etwa
nicht?
({8})
Nur auf Freiwilligkeit zu setzen, nützt nichts.
Glauben Sie wirklich, dass es reicht, zu fordern:
„Mehr Männer in die Kitas“? Glauben Sie wirklich,
dann ändere sich plötzlich das Berufswahlverhalten von
Männern und Frauen? Sie vernachlässigen dabei völlig
die Lohnstruktur. Ich glaube, das Prinzip Hoffnung wird
überhaupt nicht funktionieren.
Weil wir eben nicht auf das Prinzip Hoffnung setzen,
sondern auf Tatsachen und auf Veränderungen, sind wir
der festen Überzeugung: Es geht nicht anders. Wir brauchen gesetzliche Regelungen.
({9})
Darum haben wir diesen Antrag gestellt. Ich sage Ihnen:
Wir werden Ihnen auch ein Gesetz vorlegen.
({10})
Bei der Veranstaltung zum Equal Pay Day am Brandenburger Tor, wo viele von uns waren - Sie von der
FDP waren leider überhaupt nicht anwesend,
({11})
die CDU/CSU war nur mit wenigen Personen vertreten -, haben wir viel Rückenwind für unsere Forderung
bekommen. Alle Redner - bis auf eine Rednerin von der
CDU - haben genau das gefordert: eine gesetzliche Regelung.
Wir haben mittlerweile auch Rückenwind aus den
Ländern. Baden-Württemberg wird in der nächsten Woche im Bundesrat eine Initiative zu einem Entgeltgleichheitsgesetz einbringen. Wir haben sogar Rückenwind
aus Hessen - man glaubt es nicht -, und zwar von der
CDU. Dort hat sich das Sozialministerium auf den Weg
gemacht und bringt in die nächste Gleichstellungs- und
Frauenministerkonferenz den Antrag ein, den Entwurf
eines Gesetzes zur Schaffung von Entgeltgleichheit zu
beraten.
Last, but not least möchte ich sagen: Ich habe mich
über einen ganz bestimmten Rückenwind besonders gefreut, nämlich über den aus Europa vom letzten Dienstag.
({12})
- Wahrscheinlich unterhalten sich die Männer da hinten
gerade über Topmodelmaße;
({13})
sie hören zumindest nicht zu. - 72 Prozent der Abgeordneten im Europäischen Parlament haben gesetzliche Regelungen gefordert, und zwar nicht nur im Hinblick auf
die Quote, sondern auch auf die Beseitigung der Lohnungleichheit.
({14})
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. - Ich sage zur FDP: Von den deutschen FDP-Abgeordneten im Europäischen Parlament, zwölf an der
Zahl,
({0})
haben acht zugestimmt, zwei haben sich enthalten, und
nur zwei waren dagegen. Ich rate Ihnen von der FDP:
Tauschen Sie sich doch einmal mit Ihren europäischen
Kollegen ein bisschen aus. Dann kommen Sie auch hier
in unserem Parlament zu den richtigen Schlüssen.
Frau Kollegin, bitte. Sie haben Ihre Zeit weit überzogen.
Ich komme zum Schluss. - Sie, die Regierung, haben
sich heute mit Ihrer Nichtpolitik zur Schaffung von
Gleichstellung völlig isoliert.
({0})
Ich sage Ihnen: Wir werden Ihnen ein Gesetz präsentieren.
Danke schön.
({1})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
nun der Kollege Jörg von Polheim für die FDP-Fraktion
das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor wenigen Stunden hat an selber Stelle der neue Bundespräsident Dr. Gauck darauf hingewiesen, dass Freiheit immer wieder neu erkämpft und entdeckt werden
muss. Heute möchte ich mich hier als typischer Mittelständler für die Freiheit von staatlicher Gängelung und
die Förderung der unternehmerischen Handlungsfreiheit
einsetzen.
({0})
- Sie haben eine sehr einseitige Sichtweise.
({1})
- Doch!
({2})
Als Rückgrat unserer Gesellschaft muss der Mittelstand in seiner Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und darf er
nicht durch komplizierte und überflüssige Regeln belastet werden.
({3})
Der Antrag der SPD zur Durchsetzung eines Entgeltgleichheitsgesetzes widerspricht dem Gedanken der
Freiheit grundlegend.
({4})
- Ich möchte Ihnen einmal sagen: Nicht wer am lautesten brüllt, hat am meisten recht.
({5})
Die Forderung der SPD nach Erstellung von betrieblichen Entgeltberichten und der Einrichtung einer zentralen behördlichen Prüfungsstelle löst das Problem der
faktischen Diskriminierung von Frauen nicht. Im Gegenteil: Es wird nur verlagert, nämlich weg von einer konstruktiven gesellschaftspolitischen Debatte über die Aufsprengung traditioneller Rollenbilder hin zur staatlichen
Reglementierung und zu gesetzlichen Zwangsmaßnahmen.
({6})
Man erhöht mit dieser Regelung nur das Frustpotenzial
im Zusammenhang mit staatlich verordneter Bürokratie.
Wir Liberalen lehnen diese staatliche Bevormundung ab.
Wir treten für Chancengleichheit und für transparente
Gehaltsstrukturen bei Männern und Frauen ein, für welche die Qualifikation entscheidend ist. Es mangelt auch
nicht an einer Rechtsgrundlage zur Entgeltgleichheit.
Denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz legt bereits eindeutig und umfassend fest, dass für gleiche Arbeit gleicher Lohn zu zahlen ist. Woran es mangelt, ist
die Umsetzung dieser gesetzlichen Regelung.
({7})
- Das Ausredenlassen fällt aber schwer. - Hierzu haben
wir Liberale schon verschiedene Vorschläge gemacht. So
fordern wir unter anderem flexible Teilzeitmodelle, die
für Frauen und Männer gleichermaßen attraktiv sind.
Damit könnte die Entgeltungleichheit zwischen den Geschlechtern endlich beseitigt werden. Gerade auch in
Führungs- und Leitungspositionen sind diese Arbeitszeitmodelle wichtig, um mehr Wahlfreiheit im Hinblick
auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Pflege
und Beruf zu ermöglichen.
Der aktuelle Familienbericht des Bundesfamilienministeriums greift diese Problematik auf und verweist auf
ein neues Politikfeld, nämlich die Zeitpolitik. Deren Ziel
ist es, eine stärkere Angleichung der durchschnittlichen
wöchentlichen Arbeitszeit und der Lebensarbeitszeit von
Frauen und Männern zu erreichen. Dies kann zum Beispiel durch stärkere Inanspruchnahme der Elternzeit
durch Väter geschehen. Die Partnermonate des Elterngeldes sind ein besonders wichtiger Baustein der Politik
der christlich-liberalen Koalition zur Überwindung der
Entgeltungleichheit.
({8})
Zudem haben wir mit dem Aktionsprogramm „Perspektive Wiedereinstieg“ die Ein- und Aufstiegschancen
von Frauen nach einer familienbedingten Erwerbsunterbrechung deutlich verbessert.
({9})
Die Gleichstellung von Frauen und Männern in der
Arbeitswelt voranzutreiben, ist ein wichtiges Ziel. Wir
haben sehr wohl erkannt, dass die Erwerbstätigkeit der
Frauen seit Jahren kontinuierlich zunimmt. Doch eine
tatsächliche Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt ist noch nicht erreicht; das wissen wir. Dabei wird
deutlich, dass die faktische Gleichstellung und die
Schaffung von Chancengleichheit für Frauen und Männer Aufgabe aller verantwortlichen gesellschaftlichen
Akteure ist, nicht allein die der Politik.
Ich begrüße daher den Vorschlag, lokale Kooperationen von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu
fördern, um gemeinsame überbetriebliche Betreuungsmöglichkeiten für Kinder einzurichten.
({10})
Damit können wir unbürokratisch und ohne staatlichen
Zwang eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen und vermeiden so die von Ihnen, von
der SPD, geforderten staatlichen Zwangsmaßnahmen.
({11})
Entgeltgleichheit ist kein rechtliches Problem, sondern
eines der Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche allen ein schönes Wochenende.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion der SPD
mit dem Titel „Entgeltgleichheit zwischen Männern und
Frauen gesetzlich durchsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/5821, den Antrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/5038 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4852 mit dem Titel „Frauen verdienen mehr - Gleichstellung ist Innovationspolitik“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Grünen bei Enthaltung von SPD und Linken angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. März 2012, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.