Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/23/2012

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wer Schulden bremsen will, muss Millionäre besteuern - Drucksache 17/8792 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Fraktion Die Linke der Kollege Dr. Gregor Gysi. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP ist beim Thema Vermögensteuer wirklich reichlich vertreten. Das liegt an der inneren Ablehnung, die da herrscht. ({0}) Vor 15 Jahren wurde die Vermögensteuer ausgesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden, dass die unterschiedliche Bewertung von Geldvermögen und Grundvermögen nicht zulässig sei. Dieser Fehler sollte korrigiert werden. Er ist nicht korrigiert worden. So lief dann die Erhebung der Vermögensteuer aus. Wir treten ganz energisch für eine Wiedererhebung ein. ({1}) Die Ungleichheit der Vermögensverteilung ist durch massive Umverteilung von unten nach oben immer größer geworden, nicht nur in Deutschland, aber auch in Deutschland. Ich nenne einmal ein Beispiel: Der VWChef Martin Winterkorn bezieht ein Jahreseinkommen von 17,5 Millionen Euro. ({2}) Das ist etwa das Doppelte von dem, was Herr Ackermann verdient. Da darf man sich als Erstes die Frage erlauben, ob er wirklich doppelt so viel arbeitet wie Herr Ackermann. Aber jetzt kommt das Entscheidende: Er verdient das Tausendfache eines Leiharbeiters bei VW. Ich frage Sie: Glauben Sie im Ernst, dass er das Tausendfache leistet? Auch sein Tag hat nur 24 Stunden. ({3}) Das heißt, das Ganze wird unvermittelbar. Das Nettovermögen hier in Deutschland - Geld und Immobilien - belief sich 2011 auf 8,2 Billionen Euro. Das reichste Zehntel unserer Bevölkerung besitzt davon 61 Prozent; das sind 5 Billionen Euro. Die untersten 70 Prozent - was heißt hier eigentlich „untersten“? - besitzen unter 9 Prozent des Nettovermögens. Bei uns leben jetzt 830 000 Euro-Vermögensmillionäre; vor drei Jahren waren es 720 000. Das heißt, während der Krise ist die Zahl der Vermögensmillionäre um 110 000 gestiegen. Sie müssen der Bevölkerung einmal erklären, weshalb die Bevölkerung arm wird, aber die Vermögensmillionäre immer mehr und auch noch reicher werden. ({4}) Diese 830 000 Vermögensmillionäre in Deutschland haben ein Gesamtvermögen von 2,2 Billionen Euro. Das ist mehr als die Gesamtverschuldung des Bundes, der Länder und der Kommunen, die bei nur 2 Billionen Euro liegt. ({5}) Theoretisch könnte man das ausgleichen - das fordern wir gar nicht -, aber eine angemessene Vermögensteuer ist doch wohl das Mindeste, was man in diesem Zusammenhang leisten muss. ({6}) Unsere Milliardäre - es sind übrigens knapp über 100 haben ein Vermögen von 300 Milliarden Euro; das deckt unseren gesamten Bundeshaushalt ab. ({7}) Ihr Vermögen steigt seit 2003 jährlich um 10 Prozent. Für den öffentlichen Dienst verlangt Verdi nun eine Lohnsteigerung von 6,5 Prozent. Und Sie sagen, das sei unbezahlbar? Ich halte das in Anbetracht dieser Tatsachen für eine Unverschämtheit. ({8}) Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen stiegen seit 2000 um knapp 31 Prozent. Die Reallöhne fielen in den letzten Jahren, bis 2010, um 4,5 Prozent, im Niedriglohnbereich sogar um bis zu 19 Prozent. Diese Umverteilung - das muss man klipp und klar sagen - haben SPD und Grüne, dann Union und SPD und jetzt Union und FDP organisiert, indem die Reichen steuerlich privilegiert wurden. Ich nenne Ihnen einige Beispiele: Aussetzung der Vermögensteuer 1997, Senkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer von 53 Prozent auf 42 Prozent. Früher musste man für Zins- und Kapitaleinkünfte Einkommensteuer bezahlen, das heißt, bei hohen Einkünften 53 Prozent und dann abgesenkt wenigstens 42 Prozent. Auch das wurde nicht gehalten. Man hat für solche Einkünfte die Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozent eingeführt. Es gibt einen Verein, in Hamburg gegründet, mit über 40 Mitgliedern - alles Vermögensmillionäre. Dieser Verein blamiert die Bundesregierung, indem er regelmäßig fordert, endlich wieder Vermögensteuer bezahlen zu dürfen. Das müssen Sie sich einmal überlegen: Da setzen sich über 40 Vermögensmillionäre zusammen und fordern das, und die Regierung sagt: Um Gottes willen! ({9}) - Ich will Ihnen ein Mitglied nennen: Peter Vollmer. Er hat gesagt, dass er für seine verzinslichen Papiere und Sparguthaben unter Kohl 53 Prozent bezahlen musste, jetzt nur noch 25 Prozent. Er - nicht ich! - bezeichnete Deutschland als ein Niedrigsteuerland für Reiche. Das ist die Tatsache, mit der wir es zu tun haben! ({10}) Würden noch die Steuergesetze gelten, die unter Kohl galten, hätten wir jährlich Mehreinnahmen von 51 Milliarden Euro. Es gibt noch einen zweiten Grund. Die Konzentration auf immer größere Vermögen hat die maßlose Spekulation und die Jagd nach immer höheren Renditen beflügelt. Vermögende konsumieren nicht mehr, sie investieren auch nicht mehr, wenn sie glauben, einfach durch Spekulation aus Geld mehr Geld machen zu können. Nur: Jemand muss das bezahlen. Diese Illusion ist zerplatzt und hat zur bisher schwersten Finanzkrise geführt. Um die maroden Banken und Hedgefonds zu retten, mussten sich die Staaten immer höher verschulden. Wer kommt für die Verluste auf? Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler! Wir haben einen Rettungsschirm für die Banken in Höhe von 480 Milliarden Euro. Sie kennen die europäischen Rettungsschirme. Hier haftet Deutschland mit Bürgschaften und für Risiken in einer Gesamthöhe von 280 Milliarden Euro. Wer haftet letztlich dafür? Wer bezahlt das Ganze? Die Lohnabhängigen, die Rentnerinnen, die Arbeitslosen, die Handwerker und die kleinen und mittelständischen Unternehmer! Die Vermögenden bleiben ungeschoren. Die Banken kennen überhaupt kein Risiko mehr; Profite verteilen sie, und Verluste werden den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern auferlegt. Das verletzt sogar das Eigentumsrecht; denn man haftet auch für die Verluste seines Eigentums. Nicht einmal das kriegen Sie gebacken! ({11}) Deswegen sage ich Ihnen immer wieder: Die großen Banken müssen verkleinert und öffentlich-rechtlich gestaltet werden. Frau Merkel kennt beim Schuldenabbau immer nur eine Medizin, nämlich Ausgabenkürzungen und Schuldenbremse. Warum kommen Sie eigentlich nie auf die Idee, die Einnahmen zu erhöhen? Das wäre doch eine selbstverständliche, zumindest zweite Methode. ({12}) Aber das tun Sie nicht; denn dann müssten Sie sich einmal mit der Privilegierung und der Verhätschelung der Vermögensbesitzer auseinandersetzen ({13}) und sagen: Wir treiben das nicht weiter. - Es wäre vielleicht höchste Zeit. ({14}) Ich erinnere noch einmal daran: Nachdem Sie all das gemacht haben, sagen Sie den Beschäftigten im öffentlichen Dienst: 6,5 Prozent Lohnerhöhung ist zu viel. Dieser Grad der Ungerechtigkeit ist nicht vermittelbar. ({15}) - Der Bundesinnenminister. Wir brauchen eine Vermögensteuer von 5 Prozent - da sehen Sie mal, wie radikal unsere Forderung ist auf Privatvermögen, das über 1 Million Euro liegt. ({16}) Mein Gott, davon ginge doch die Welt nicht unter! Aber es brächte uns steuerliche Mehreinnahmen von jährlich 80 Milliarden Euro, die wir sehr sinnvoll für Bildung, Kultur und soziale Gerechtigkeit ausgeben könnten. ({17}) Ich sage Ihnen zum Schluss: Wer hier kein Stück Gerechtigkeit einführt - wer unseren Antrag also ablehnt -, macht sich mit sozialen Forderungen, mit Forderungen nach mehr Bildung und nach mehr Kultur restlos unglaubwürdig. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Olav Gutting für die Unionsfraktion. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke fordert zum wiederholten Mal, ({0}) zuletzt war es, glaube ich, 2010, die Wiedereinführung der Vermögensteuer, und wir werden den Antrag auch dieses Mal wieder aus guten Gründen zurückweisen. ({1}) Eine Steuererhöhungsmaßnahme mit Einnahmen - Sie haben es vorhin gesagt - von jährlich 80 Milliarden Euro zerschlägt Leistungsanreize und ist schädlich für unsere Volkswirtschaft. ({2}) Mit der von Ihnen geforderten massiven Substanzbesteuerung - und das ist es - werden die Investitionen zurückgehen, eine Kapitalflucht wird einsetzen, Wachstum wird zerstört, und Arbeitsplätze werden verschwinden. Das ist für uns kein gangbarer Weg. Es geht Ihnen in Wirklichkeit auch nicht um die Rückführung der Staatsverschuldung. ({3}) Sie wollen die Schulden nicht bremsen; denn Sie planen an anderer Stelle in Ihren Programmen Ausgaben, die diese Einnahmen aus der Vermögensteuer um ein Vielfaches übertreffen. ({4}) Linke Politik, meine Damen und Herren, bedeutet immer mehr Schulden. Das sehen wir gerade auch in Nordrhein-Westfalen. ({5}) Worum es Ihnen hier geht, ist: Sie wollen enteignen, ({6}) Sie wollen umverteilen, und Sie bedienen hier Neidkomplexe. Staatsfinanzen nachhaltig konsolidieren und Schulden bremsen, das funktioniert anders. Hierzu braucht man eine gesunde und starke Wirtschaft sowie eine hohe Beschäftigungsquote. ({7}) Dazu, meine Damen und Herren, muss man dem Steuerzahler so viel belassen, dass es auch noch einen Leistungsanreiz gibt. Man muss ihm so viel belassen, ({8}) dass sich Leistung auch lohnt. Deshalb haben wir hier auch unseren Vorschlag zum Abbau der kalten Progression eingebracht. ({9}) Allein im letzten Jahr sind die Steuereinnahmen um 40 Milliarden Euro gestiegen. 2013 werden wir in Deutschland aller Voraussicht nach die Schallmauer von über 600 Milliarden Euro Steuereinnahmen durchbrechen. 2013 über 600 Milliarden Euro Steuereinnahmen! ({10}) Wenn die Konjunktur weiter so gut läuft - dafür arbeiten wir hier -, dann ist es machbar, dass wir schon 2014 überhaupt keine Neuverschuldung mehr haben werden. ({11}) Es ist einfach ein steuerliches Naturgesetz, dass eine zu hohe Steuerlast letztendlich dazu führt, dass insgesamt weniger Steuern eingenommen werden. ({12}) Großbritannien hat das gerade erkannt und senkt den vor kurzem angehobenen Spitzensteuersatz jetzt wieder ab. Man hat gemerkt, dass ein hoher Spitzensteuersatz so gut wie gar nichts für die Haushaltskonsolidierung bringt und stattdessen Investoren abschreckt. Nur für Sie von den Linken ist diese Regel anscheinend immer noch uninteressant. Für Sie ist diesbezüglich die Erde immer noch eine Scheibe. Ihr Vorhaben einer Vermögensteuer mit 5 Prozent pro Jahr zehrt die betroffenen Steuerzahler aus. ({13}) Sie wollen - das sagen Sie ganz ehrlich - mit dieser Steuer enteignen. Da sagen Sie ganz lapidar: Ja, was wollen Sie denn eigentlich? Denen bleibt doch noch 1 Million. ({14}) Und 1 Million Euro ist für die meisten Menschen in Deutschland - und auch für mich - richtig viel Geld. Wenn man den Millionären - die im Übrigen, Herr Gysi, auch zu unserer Bevölkerung gehören; das ist keine andere Volksgruppe ({15}) 1 Million Euro belässt, werden die in der Tat dadurch nicht arm. Diese Menschen werden dann aber nicht mehr lange in diesem Lande sein. Sie werden dieses Land ziemlich schnell verlassen, und dieses Land wird dann ziemlich schnell auch ziemlich arm werden. ({16}) Schauen wir uns Ihren Vorschlag einmal ganz genau an.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Gutting, gestatten Sie eine Frage oder eine Bemerkung des Kollegen Gysi?

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme gleich dazu, glaube ich. Lassen Sie uns erst einmal den Vorschlag ganz genau anschauen. Sie fordern eine jährliche Besteuerung in Höhe von 5 Prozent des gesamten Geld-, Immobilien- und Sachvermögens von über 1 Million Euro. Diese Steuer soll völlig unabhängig davon erhoben werden, ob aus diesem Kapital ein Ertrag erwächst oder ob der Steuerzahler damit vielleicht auch Verluste macht. Die durchschnittliche Rendite bei Immobilienvermögen liegt derzeit deutlich unter 5 Prozent. Die Rendite bei Bundesschatzbriefen liegt bei ungefähr 1 Prozent, bei Festgeld, bei Tagesgeld weit unter 3 Prozent. Nach Zahlung sämtlicher Ertragsteuern, die wir zusätzlich haben - die Wirkung der Geldentwertung, der Inflation muss auch noch berücksichtigt werden -, soll dann das gesamte den Freibetrag übersteigende Vermögen noch einmal mit 5 Prozent zusätzlich besteuert werden, ({0}) völlig unabhängig davon, ob daraus Gewinn entsteht oder nicht. Wer, bitte, soll dann - das ist die Frage - in Deutschland noch investieren? ({1}) Wer soll in Immobilien investieren? Wer soll in bezahlbaren Wohnraum investieren, wenn aufgrund dieser Vermögensteuer ein jährlicher Verlust vorprogrammiert ist? Gerade die Mietimmobilien für sozial Schwache werden mit dieser Vermögensteuer verkommen, weil keiner mehr investiert. Noch gravierender ist: Es wird, es muss sogar zu gravierenden Mieterhöhungen kommen, damit diese Vermögensteuer bedient werden kann. ({2}) Gerade Sie von der ehemaligen PDS müssten es doch besser wissen. Sie haben in der DDR das Prinzip des real existierenden Sozialismus gehabt. ({3}) Was ist passiert? Es wurde nicht mehr in den Wohnraum investiert. Wohnraum verknappt, Wohnraum verkommt. Sie haben das doch 40 Jahre lang in der DDR erlebt. Lassen Sie also die Finger von der Wiedereinführung der Vermögensteuer! Nicht ohne Grund wird ab 2013 von den EU-15-Staaten nur noch Frankreich die Vermögensteuer erheben. Auch dort wird sie - das wird man bald sehen - keine Zukunft haben. Es gibt noch andere wichtige Argumente. Die Verwaltungskosten für diese Steuer beliefen sich bei ihrer Erhebung in der Vergangenheit auf ungefähr ein Drittel der Einnahmen. ({4}) Sie betrugen damals das Fünffache der Erhebungskosten für die Lohnsteuer, und sie betrugen das Sechsfache der Erhebungskosten für die Körperschaftsteuer. Wenn Sie eine verfassungsgemäße Vermögensteuer haben wollen, dann brauchen Sie eine kontinuierliche und gegenwartsnahe Bewertung der Vermögen. ({5}) Diese gegenwartsnahe und kontinuierliche Bewertung bedeutet einen enormen Bürokratieaufwand. Das wird zu enormen Kosten führen. ({6}) Das ist eine Mammutaufgabe für die öffentliche Verwaltung, für die Finanzverwaltung und für die Gerichte. Wie wollen Sie verfassungssicher zwischen Privatvermögen und Betriebsvermögen trennen? Diese Frage können Sie nicht beantworten. Es ist völlig klar, dass dann Steuergestaltung und Steuerflucht ins Ausland vorprogrammiert sind. ({7}) Die Vermögensteuer, wie Sie sie einführen wollen, schädigt die Volkswirtschaft. Sie ist investitionsfeindlich. Sie ist bürokratisch und teuer. Sie ist unsozial gegenüber Mietern. Sie führt zu Steuerflucht und zu Arbeitslosigkeit. Sie wird mittel- und langfristig beim Staatshaushalt zu wegbrechenden Steuereinnahmen führen. ({8}) Genau deswegen können wir diesem Antrag nicht zustimmen. Genau deswegen werden wir ihn wieder und wieder ablehnen. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Joachim Poß das Wort. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich muss jetzt erst einmal drei Minuten warten, bis das Rednerpult heruntergefahren ist. - Man kann auch an einem niedrigen Pult auf einer gewissen geistigen Höhe argumentieren. ({0}) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Gutting, ich glaube, mit sozialer Ignoranz kann man die Spaltung in unserer Gesellschaft, die man leider konstatieren muss, nicht überwinden. ({1}) Sie haben einen Beleg dafür geliefert, wohin diese Ignoranz führt. Dass Sie das, was Ihnen nicht passt, einfach zur Seite schieben, das verstehen, glaube ich, selbst die CDU-Wähler nicht mehr. Auch die verstehen die Welt nicht mehr. Das merke ich, wenn ich mit Leuten diskutiere, von denen ich weiß, dass sie nicht unbedingt meine Partei wählen. Warum der VW-Chef - das ist überhaupt keine Diffamierung der betreffenden Person - ein Gehalt von mehr als 17 Millionen Euro erhält, das verstehen die Menschen einfach nicht, wie auch immer das begründet wird. ({2}) Ich sage Ihnen: Die Menschen haben recht. Das ist nicht mehr zu verstehen! ({3}) Ein so hohes Gehalt muss nicht sein. Das ist gestaltbar. Auch viele Unternehmer, zum Beispiel der Chef von Continental, fragen sich inzwischen öffentlich, ob so hohe Manager- und Vorstandsgehälter überhaupt zu rechtfertigen sind. ({4}) - Es gibt Zusammenhänge mit dem Thema, über das wir hier diskutieren. - Dabei geht es - das ist interessant nicht nur um die Relation zu den Gehältern der „einfachen“ Arbeitnehmer. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Poß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Wissing?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gerne. ({0}) - Herr Wissing sitzt daneben. Er spricht ja gleich. Er kann seine Rede aber auch in eine Zwischenfrage packen. Das reicht dann auch.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Entschuldigung. Ich habe das vorweggenommen. Die Arbeitsteilung bei der FDP wollen wir natürlich respektieren. - Bitte.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Arbeitsteilung funktioniert. - Herr Kollege Poß, weil Sie uns eine Frage bezüglich der Höhe der Vergütungen, die bei VW gezahlt werden, gestellt haben, frage ich: Stimmen Sie mir zu, dass das ein mitbestimmtes Unternehmen ist? ({0}) Stimmen Sie mir zu, dass solche Fragen natürlich auch im Aufsichtsrat dieses mitbestimmten Unternehmens behandelt werden? Wie können Sie sich erklären, dass die Vertreter der Gewerkschaften solchen aus Ihrer Sicht überzogenen Gehältern zustimmen? Das würde mich interessieren.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege, auf diese Frage wollte ich gleich zu sprechen kommen. ({0}) Diese Frage ist Gegenstand meiner weiteren Ausführungen. Ich will Ihnen jetzt gern den Kern erläutern: Allein über Änderungen der Besteuerung schaffen wir nicht die soziale Akzeptanz, die wir für unsere soziale Marktwirtschaft benötigen. ({1}) Dazu bedarf es weiterer Maßnahmen. Als ein Beispiel wollte ich die Begrenzung von Vorstands- und Managergehältern - dies war in den letzten Jahren schon des Öfteren Gegenstand der Debatten hier im Hause - nennen. ({2}) Ich werde Ihnen erläutern, wie man das machen kann. Dazu bedarf es, ob bei Volkswagen oder woanders, nicht nur der Mitwirkung der Aktionäre, der Eigentümer, sondern - da haben Sie vollkommen recht - auch der Mitwirkung der Gewerkschaften, der Betriebsräte, aller Akteure, im Übrigen auch der Politik. Wir haben in der Großen Koalition - Herr Michelbach, ich glaube, damals haben Sie zugestimmt eine ganze Reihe von Änderungen des Aktiengesetzes vorgenommen. Es war sehr mühsam, in den anderthalbjährigen Verhandlungen, die unter anderem ich mit der CDU/CSU geführt habe, zu Ergebnissen zu kommen. Eine andere Richtung für Vergütungen in Unternehmen sollte vorgegeben werden: Nicht mehr Kurzfristdenken, sondern langjährige Performance, wie man es neudeutsch nennt, soll das entscheidende Kriterium sein. Das heißt - da haben Sie vollkommen recht -, es geht nicht nur um Besteuerungsfragen, sondern auch um das sogenannte Primäreinkommen. Da bedarf es einer Doppelstrategie. Aber auch die Politik ist in der Verantwortung, diese Fragen zu regeln. Das wollte ich zum Ausdruck bringen. ({3}) Nicht nur die Unternehmen tragen diese Verantwortung. Sie haben auf die Verantwortung der Unternehmen hingewiesen. ({4}) - Das wäre eine Verengung. Natürlich sind die Betriebsräte und die Gewerkschaften in einem Mitbestimmungsmodell Mitwirkende. Oft genug haben sie es nicht ganz einfach. Insofern sind sie in der Verantwortung. Der Kern unserer damaligen gesetzlichen Neuregelung in der Großen Koalition war, dass die Aufsichtsräte eine stärkere Verantwortung und auch stärkere Aufsichtsmöglichkeiten bekommen. Wir haben gesetzliche Veränderungen durchgesetzt, aber leider nicht in dem Umfang, in dem wir Sozialdemokraten es vorgeschlagen hatten. Wir erleben - auch die FDP ist nicht frei von diesen Erlebnissen -, dass Gerechtigkeitsfragen und die Wahrnehmung der zunehmenden sozialen Spaltung in allen Bevölkerungsteilen, auch im sogenannten wirtschaftlichen Mittelstand, an Bedeutung gewinnen. Wenn die Menschen von Gehältern wie dem von Herrn Winterkorn und von anderen Managergehältern lesen und hören, sagen sie zu Recht: Das kann ja wohl nicht wahr sein. Die sozialen und materiellen Verhältnisse sind aus dem Gleichgewicht geraten. Hier besteht Korrekturbedarf. Die Korrekturen müssen wir auf verschiedenen Wegen erreichen. Ein Weg führt über die Besteuerung. Die Besteuerung hoher Vermögen gehört auf jeden Fall dazu. Das ist unbestritten. Wir haben die Wiedereinführung der Vermögensteuer nicht erst auf unserem letzten Parteitag beschlossen, sondern schon viel früher. Wir sind fest entschlossen, im Fall der Übernahme der Regierungsverantwortung die Vermögensteuer wieder zu erheben. Wir brauchen auch einen höheren Spitzensteuersatz, ({5}) um die soziale und steuerliche Balance wiederherzustellen; das ist aus dem Gleichgewicht geraten. Es wird argumentiert: Wir haben eine gerechte Gesellschaft; 10 Prozent der Steuerzahler erbringen über 50 Prozent des Einkommensteueraufkommens. - Das ist richtig, aber zu kurz gesprungen. Das ist kein Beleg für Gerechtigkeit, sondern zeigt nur, wie die Einkommensverhältnisse bei uns auseinandergedriftet sind. ({6}) Auf der einen Seite stagnieren die Realeinkommen. Ich gehe gar nicht auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse usw. ein; das würde meine Redezeit sprengen. Auf der anderen Seite explodieren zur gleichen Zeit, auch in schwierigsten wirtschaftlichen Situationen, die Managergehälter. Das durchschnittliche Einkommen eines Beschäftigten im Vergleich zum Einkommen eines Managers steht zwar nicht im Verhältnis von 1 : 1 000, aber im Vergleich zu Vorständen im Verhältnis von 1 : 50. In Einzelfällen beträgt dieses Verhältnis 1 : 100 und im Fall von VW 1 : 350. Sicherlich gibt es aber auch Fälle, etwa bei Leiharbeitern, in denen das Verhältnis 1 : 1000 beträgt. Eine Gesellschaft, die ein solches Gehalts- und Bonisystem nicht für veränderungswürdig hält, wird krank, meine Damen und Herren. Das ist so. ({7}) Es besteht dringender Änderungsbedarf. Wir müssen in Umsetzung dessen, was wir im Rahmen der Änderung des Aktiengesetzes schon beschlossen haben, von den Unternehmen erwarten, dass sie durch Zusammenwirken aller Akteure - durch Zusammenwirken aller Akteure! etwas einführen, was wir damals übrigens schon in einer Anhörung erörtert haben: ({8}) Kein Aktiengesetz und kein Code of Governance - das sind die Regeln, die sich Unternehmer freiwillig geben hält Unternehmen davon ab, ein sogenanntes Cap einzuführen, das heißt eine Begrenzung der Gehälter vorzusehen. Man muss die vorgesehene Umstellung der Kriterien vornehmen, und dann hat man eine Grenze. Jetzt ist gesellschaftspolitisch der richtige Zeitpunkt dafür, dass sich die Unternehmen dieses Mittels - in der Wissenschaft wird darüber schon lange diskutiert - endlich bedienen, um den sozialen Sprengstoff, der sich hieraus ergibt, aus der Welt zu schaffen. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb? ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

An die Zwischenfragen habe ich mich schon gewöhnt. Ich danke Ihnen schon im Voraus herzlich für Ihre Frage. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Und, wie ich denke, für die Verlängerung der Redezeit.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja; das gehört ja dazu. Das ist eine einmalige Chance.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nach allem, was Sie gesagt haben, bin ich schon gespannt, wie Sie gleich abstimmen werden. ({0}) Mich interessiert allerdings erst einmal ein ganz konkreter Punkt. Sie haben jetzt viel über die Erhöhung des Spitzensteuersatzes gesprochen, der ja auch für Personengesellschaften der maßgebende Ertragsteuersatz ist. Eigentlich wäre es dann nur logisch, wenn die SPD auch beabsichtigt, den Ertragsteuersatz für Kapitalgesellschaften zu erhöhen. Strebt die SPD das an - ja oder nein? - und, wenn ja, auf welche Höhe?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es muss eine weitgehende Belastungsgleichheit hergestellt werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass Personengesellschaften, was ihre Belastung betrifft, in etwa wie Kapitalgesellschaften behandelt werden. Das ist die Antwort auf diese Frage. ({0}) Sie werden verstehen, dass ich jetzt nicht in die Einzelheiten gehe. Aber: Dazu gibt es verschiedene steuerrechtliche Möglichkeiten. ({1}) Das ist auch nicht neu. ({2}) Wenn ich polemisch wäre - wozu ich überhaupt nicht neige, vor allen Dingen heute Morgen nicht -, ({3}) dann müsste ich Sie daran erinnern - ich weiß nicht, ob Sie damals schon im Parlament waren; aber das kann gut sein -, ({4}) wie hoch während Ihrer Regierungszeit in den 90er-Jahren die steuerliche Belastung für Personengesellschaften war. Unter Helmut Kohl lag der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent. Geben Sie doch nicht den Schlaumeier und ergehen Sie sich hier nicht in falscher Sorge um die Unternehmen! ({5}) Natürlich würden wir in Regierungsverantwortung unter Berücksichtigung aller Notwendigkeiten, gerade was die Behandlung des Mittelstandes betrifft - wir wissen, dass 85 Prozent der Unternehmen in Deutschland Personengesellschaften sind -, entsprechende Vorschläge entwickeln. Ich denke, dass ein möglicher grüner Koalitionspartner in eine ähnliche Richtung denkt. ({6}) Um auch das noch einmal klarzustellen: Wir haben diese Fragen der Vergütung - Herr Gysi ist ja im Gegensatz zu mir Jurist ({7}) im Rahmen der parlamentarischen Beratung, die zur Zeit der Großen Koalition stattgefunden hat, erörtert. Jedenfalls gibt es erhebliche Zweifel, ob es überhaupt verfassungsrechtlich zulässig wäre, gesetzliche Obergrenzen - und dann noch in einer bestimmten Relation - einzuziehen. ({8}) Bevor dieser Streit ausgetragen wird - das wird geschehen -, muss der zweite Bestandteil unserer Doppelstrategie umgesetzt werden: Man muss den gesellschaftlichen Druck erhöhen - auch über die Gewerkschaften und andere Verbände - und dafür sorgen, dass ein Cap eingeführt wird; denn wir brauchen eine gewisse Grenze. Gleichzeitig muss man durch die Besteuerung, sowohl von Einkommen wie auch von Vermögen, einen sozialen Ausgleich herzustellen versuchen. Auch dies wird nicht von heute auf morgen zu erreichen sein; das ist klar. Die von Ihnen im vorliegenden und heute diskutierten Antrag, meine Damen und Herren von der Linkspartei, vorgeschlagene isolierte Maßnahme, nur eine Vermögensteuer einzuführen, und die Vorstellung, die Sie, meine Damen und Herren von der Linkspartei, in Ihrem Antrag und in Ihren Ausführungen damit verbinden, dass man durch eine möglichst hohe Besteuerung alle gesellschaftlichen Probleme in den Griff bekommen würde, ist nun wirklich populistisch. ({9}) Diese populistische Vorstellung teilen wir ebenso wenig wie den Populismus von rechts, der sich hier heute Morgen teilweise leider schon wieder gezeigt hat. Also, überdenken Sie Ihre Ignoranz, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nun hat der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDPFraktion das Wort. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Joachim Poß, wenn man anderen Vorwürfe macht und von Populismus spricht, dann sollte man nicht selber so populistisch reden wie Sie eben hier vor dem Deutschen Bundestag. ({0}) Ich fand es sehr entlarvend: Als Herr Kollege Kolb Sie gefragt hat, ob Sie beabsichtigen, auch für die großen Kapitalgesellschaften in Deutschland die Steuern zu erhöhen, haben Sie sich nicht getraut, zu sagen: Nein, die SPD möchte nicht, dass die großen Kapitalgesellschaften in Deutschland höher besteuert werden. - Sie zahlen knapp unter 30 Prozent an Steuern, und Sie wollen das nicht erhöhen. ({1}) Sie haben dann gesagt: Wir wollen die Besteuerung von Personengesellschaften der Besteuerung von Kapitalgesellschaften anpassen. Damit haben Sie verdeckt eine Steuersenkung gefordert. Gleichzeitig erklären Sie den Leuten aber scheinheilig, Sie seien für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Sie müssen sich schon einmal entscheiden. ({2}) Entweder wollen Sie sachliche Steuerpolitik machen, oder Sie wollen Populismus betreiben. Das müssen Sie den Leuten dann klar sagen. ({3}) Sie haben für die großen Unternehmen die Steuern gesenkt und reden ständig von Steuererhöhungen für Personengesellschaften, für die kleinen und mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmer. ({4}) Lieber Kollege Poß, das ist scheinheilige, populistische Politik. Die SPD muss sich einmal entscheiden, für wen sie in Deutschland Politik machen will. ({5}) Wenn Sie diese Entscheidung getroffen haben, dann kann man mit Ihnen auch wieder sachlich über Steuerpolitik reden. Jetzt komme ich zur Linken. Herr Gysi, Sie machen das ja sehr trickreich. Sie erwecken den Eindruck, man müsste in Deutschland endlich auch einmal Millionäre besteuern. Dabei werden sie besteuert. ({6}) Daneben erwecken Sie den Eindruck, die Linke wollte die Schuldenbremse in Deutschland einhalten. Dabei waren Sie gegen die Einführung der Schuldenbremse. Diese trickreichen Dinge, die in Ihren Anträgen stehen, tragen in Wahrheit nicht zur Verbesserung der Lage bei, und sie tragen auch nicht dazu bei, das politische Klima in Deutschland zu verbessern. ({7}) Ich sage Ihnen Folgendes: Wenn Sie sich hier hinstellen und Sätze sagen wie: „Die Milliardäre haben zusammen ein Vermögen in Höhe von 300 Milliarden Euro, was dem Bundeshaushalt entspricht“, dann erwecken Sie damit den Eindruck, als könnte man damit irgendein haushaltspolitisches Problem lösen. In Wahrheit wissen Sie doch genauso gut wie ich: Wenn man diese 300 Milliarden Euro wegbesteuert, dann kann man sie einmal im Bundeshaushalt einsetzen. ({8}) Wenn Sie das nicht dazu sagen, dann arbeiten Sie trickreich an der Verwirrrung der Öffentlichkeit. Das ist kein sachlicher Beitrag - schon gar nicht zur Lösung der Probleme dieses Landes. ({9}) Herr Kollege Gutting hat Ihnen sehr sachlich dargelegt, warum Ihr Antrag schlicht und einfach blanker Populismus ist. Wenn Menschen beispielsweise in Immobilien investieren und eine Rendite von unter 5 Prozent erzielen, dann können Sie doch nicht ernsthaft eine Steuer von 5 Prozent verlangen. Frau Enkelmann stellt sich dann auch noch hier hin und sagt: Ich weiß gar nicht, was Herr Gutting meint, wenn er von Mieterhöhungen spricht. - Tun Sie doch nicht so scheinheilig. Sie wissen doch ganz genau: Wenn Ihr Antrag eine Mehrheit fände, dann müssten die kleinen Leute, die Mieterinnen und Mieter, die Zeche bezahlen. ({10}) Man kann Ihrem Antrag schon deswegen nicht zustimmen, ({11}) weil man die Menschen, die niedrige Einkommen haben, vor einer solchen Steuerpolitik schützen muss. ({12}) Seien Sie doch für all die Menschen, die an Sie glauben, froh darüber, dass wir Ihre Anträge ablehnen, weil sie die Situation der Menschen mit geringen Einkommen in Wahrheit nicht verbessern, sondern verschlechtern würden. Das tun Sie ja auch mit der Politik, die Sie an anderer Stelle vertreten. Wir legen Ihnen einen Entwurf zum Abbau der kalten Progression in den unteren Einkommensgruppen vor, ({13}) weil es hier eine Gerechtigkeitslücke gibt. Die Linke sagt: „Das lehnen wir ab“, ({14}) ohne ein sachliches Argument dafür zu haben, weshalb Sie das tun. Auch an dieser Stelle sieht man, dass Sie nur nach außen hin den Eindruck erwecken, als würden Sie eine Steuerpolitik für die Bezieher unterer Einkommen machen. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Ihnen geht es darum, an Vermögen heranzukommen, eine andere Gesellschaft aufzubauen und umzuverteilen, ({15}) weil Sie die Unterschiede in unserer Gesellschaft nicht ertragen können. Der richtige Weg ist aber, dass man für die Bezieher unterer Einkommen eine Verbesserung schafft. ({16}) Sie aber sagen: Wir lassen die Bezieher unterer Einkommen im Stich und kümmern uns darum, dass es anderen schlechter geht. ({17}) Wir wollen keine Gesellschaft, in der es allen gleich schlecht geht. ({18}) Deswegen laden wir Sie ein: Helfen Sie mit, durch den Abbau der kalten Progression für die Bezieher unterer Einkommen jetzt etwas zu verbessern. Dann wird es in Deutschland ein Stück gerechter. ({19}) Sehen Sie, Sie winken schon wieder ab und sagen: Wir machen doch nichts für die unteren Einkommen, ({20}) wir werden doch nicht die kalte Progression bei den Beziehern kleiner Einkommen in Deutschland beseitigen. ({21})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Wissing, wollen Sie die Chance wahrnehmen, eine Frage oder eine Bemerkung des Kollegen Ernst zu hören?

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte einmal klarstellen, dass wir uns schon in der letzten Legislaturperiode zur kalten Progression positioniert haben und selbstverständlich dafür waren, sie auszugleichen. Aber wir wollen dies gegenfinanzieren. Gegenfinanzieren bedeutet für uns, dass wir den Spitzensteuersatz erhöhen, um den Staatshaushalt entsprechend zu sanieren. Auch das ist ein Punkt, um zu einem vernünftigen Staatshaushalt zu kommen. Eine Frage muss ich Ihnen aber doch stellen. Sie haben gerade gesagt, die Besteuerung von Vermögen - ich stelle noch einmal klar, es geht um Vermögen oberhalb von 1 Million Euro; unterhalb von 1 Million Euro passiert überhaupt nichts - würde nicht dazu führen, dass die Vermögenden tatsächlich höher besteuert würden. Vielmehr wäre das eine Vorgehensweise, die letztendlich wiederum die kleinen Leute finanzieren müssten. Jetzt müssen Sie mir „den kleinen Mann“ oder „die kleine Frau“ zeigen, die ein Vermögen von über 1 Million Euro hat. Dann ist sie keine „kleine Frau“ mehr. Wenn man genau diese Gruppe besonders besteuert, dann wird diese Gruppe zur Finanzierung des Staatshaushalts herangezogen und auch die Neuverschuldung geringer. ({0}) Mehr Einnahmen bedeuten nämlich weniger Verschuldung, und dann brauchen wir auch die unsinnige Schuldenbremse in der jetzigen Form nicht. Ist das richtig, oder ist das falsch? ({1}) - Bei der nächsten Wahl lachen Sie nicht mehr so. ({2})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Ernst, es gibt exakt zwei Möglichkeiten: Entweder verstehen Sie nichts, aber auch gar nichts vom Steuerrecht. Dann frage ich mich aber, warum Sie bei dieser Debatte in der ersten Reihe sitzen. ({0}) Oder Sie betreiben genau das gleiche Geschäft wie Herr Gysi: Sie täuschen die Öffentlichkeit mit bewussten Verwirrungen und Verdrehungen der Realität. ({1}) Der Kollege Gutting hat es Ihnen doch klar erläutert: Wenn Sie auf Vermögen eine Steuer von 5 Prozent erheben und die Rendite bei Immobilieninvestitionen bei unter 5 Prozent liegt - können Sie mir so weit folgen? -, dann müssen Sie doch die Frage beantworten, was mit der Differenz ist. Diese führt dann zu Mieterhöhungen. Diese Mieterhöhungen würden Sie, würde Ihr Antrag umgesetzt, den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland zumuten. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Haben Sie das verstanden? ({2}) Im Übrigen haben auch Sie bestätigt: Die Linke ist dagegen, dass es Beziehern unterer Einkommen besser geht. ({3}) Stattdessen konzentriert sich die Linke darauf, dafür zu sorgen, dass es anderen Einkommensbeziehern schlechter geht. Das kann Ihre Politik sein; das mag Ihr Weg sein. Aber wir arbeiten auf einer anderen Baustelle. ({4}) Wir sorgen mit dem Abbau der kalten Progression dafür, dass es den Beziehern unterer Einkommen besser geht und dass sie gerechter besteuert werden, und das machen wir auch nicht auf Pump. ({5}) - Nein, das geschieht nicht auf Pump, Herr Kollege Zöllmer. ({6}) Sie betreiben den gleichen Populismus. Also, wir machen es nicht auf Pump, sondern es ist der Verzicht auf ungewollte Steuermehreinnahmen. ({7}) Im Übrigen betreiben Sie ganz bewusst ein Verwirrspiel in der Öffentlichkeit; das muss man den Menschen auch einmal sagen. Sie differenzieren nämlich nicht ({8}) zwischen höheren Steuersätzen und höherem Steueraufkommen. Tatsächlich ist es so, dass die Steuereinnahmen des Staates in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen sind. Sie erwecken allerdings den Eindruck, man müsse die Steuersätze endlich erhöhen, damit die Steuern fließen. Fakt ist: Wenn man die Unternehmensbesteuerung in Deutschland auf über 30 Prozent anhebt, dann werden die Kassen leerer. Das wissen Sie, aber Sie sagen es der Öffentlichkeit nicht. Der Kollege Poß ist ja der klaren Frage von Herrn Kolb scheinheilig ausgewichen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Wissing, Sie können gerne weiterreden, allerdings geschieht dies dann auf Kosten Ihrer Fraktionskollegen.

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben zu dieser Debatte nichts Sachliches beizutragen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Lisa Paus das Wort.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Wissing, auch wenn Sie es immer noch nicht verstehen wollen: Das Thema Verteilungsgerechtigkeit gehört in Deutschland tatsächlich ganz oben auf die Agenda. ({0}) Genau eine Person dieser Koalition hat das verstanden. Es ist keine vier Wochen her, als Bundestagspräsident Lammert sagte: Es muss Sie mindestens so sehr besorgen wie mich, dass drei Viertel der in Deutschland lebenden Bevölkerung die bestehende Einkommens- und Vermögensverteilung für ungerecht empfinden. Und er hat, an Ihre Adresse gerichtet, extra ergänzt, dass selbst bei den Wählern der liberalen FDP diese Zahl bei 65 Prozent liege. ({1}) Er steht damit zwar allein in der Koalition; das wollen Sie offenbar nicht begreifen. Aber er steht damit nicht allein in der Gesellschaft und auch nicht allein - das ist neu - in der Wirtschaft. ({2}) Es gibt inzwischen schon seit über einem Jahr die Initiative „Appell Vermögender für eine Vermögensabgabe“. Diese hat inzwischen entsprechende Anzeigen gedruckt. ({3}) Es gibt in dieser Woche nach Bekanntgabe der Rekordgehälter deutscher Spitzenmanager eine Meldung des Verbandes der Familienunternehmer - wirklich nicht verdächtig, linke Positionen zu vertreten; ({4}) wir alle kennen ihn. Er formuliert so klar und einfach wie wahr: Kein Top-Manager ist das … 400-Fache eines einfachen Angestellten wert. ({5}) Der Verband legt nach und fordert eine Obergrenze für Managervergütungen. Das Gleiche tut auch die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, auch kein Hort der Linken. Dies geht weiter. Einer der Spitzenmanager, Postchef Frank Appel - er hat im letzten Jahr 5,2 Millionen Euro verdient -, formuliert: Viele Spitzenmanager wie ich haben nichts dagegen, … mehr Steuern oder eine Vermögensabgabe zu zahlen … Die Schulden müssen auf ein Maß gesenkt werden, das unsere Kinder in 30 Jahren tragen können. ({6}) Er ergänzt: Ich denke, ein nicht unwesentlicher Teil der Wirtschaftselite teilt meine Ansicht. … Ja, wir Besserverdiener wollen höhere Steuern zahlen. So haben mir einige nach meinem Vorschlag geschrieben. Damit endet das aber nicht. Es gibt dazu Debattenbeiträge in allen bürgerlichen Zeitungen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in der Zeit, in der Wirtschaftswoche, in der Capital: Überall ist das Thema virulent. All das macht deutlich: Erstens. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich inzwischen in einem Maß geöffnet, das längst nicht mehr nur ungerecht ist, sondern das den Zusammenhalt unserer Gesellschaft akut gefährdet. ({7}) Oder wie es Professor Corneo von der Freien Universität Berlin am Montag bei der Anhörung zur kalten Progression ganz sachlich formuliert hat: Sie müssen sich entscheiden, ob Sie weiter in einer Demokratie leben wollen oder ob Sie eine verstärkte Ungleichverteilung zwischen Arm und Reich zulassen wollen. ({8}) All das macht zweitens deutlich: Die Verschuldung ist inzwischen so hoch, dass sie allein durch Sparpolitik schlichtweg nicht mehr auszugleichen ist. Die Besteuerung von Vermögen ist eben nicht mehr nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern sie ist heute eine Frage der ökonomischen Vernunft. So forderte bereits im September letzten Jahres die ebenfalls im Hinblick auf linke Ideen völlig unverdächtige Unternehmensberatung Boston Consulting eine europaweite Vermögensabgabe. Ihre Begründung hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun, sondern lautet schlichtweg: Das ist die ökonomisch sinnvollste Lösung. ({9}) Wir können unsere Probleme eben nicht über Wachstum lösen. Die einzigen Alternativen, die ansonsten zur Wahl stehen, sind entweder eine Rezession durch reine Sparpolitik oder eine Inflation. Eine Vermögensabgabe ist die ökonomisch sinnvollste Lösung. Nehmen Sie sich die Worte von Boston Consulting einmal zu Herzen. ({10}) Wir Grünen waren mit die Ersten und sind bis heute die einzige Partei, die seit Beginn der Finanz- und Schuldenkrise für die Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe zur Tilgung der krisenbedingten Schulden geworben hat. Unser Vorschlag für Deutschland, den wir vor einem Jahr gutachterlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung haben unterfüttern lassen, lautet: Wir wollen, dass die reichsten 330 000 Deutschen - das ist weniger als 1 Prozent der Bevölkerung - eine einmalige Vermögensabgabe auf ihr gesamtes Nettovermögen zahlen, zahlbar über zehn Jahre mit jährlich 1,5 Prozent. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung könnten so 100 Milliarden Euro eingenommen werden. Das entspricht den geschätzten bisherigen Kosten der Krise für den Bundeshaushalt. ({11}) Es geht eben nicht - das funktioniert auch schlichtweg nicht -, aus privaten Schulden öffentliche Schulden zu machen, um sie dann über noch mehr Staatsverschuldung zu finanzieren. Das hat uns die europäische Schuldenkrise schneller als erwartet vor Augen geführt. Es funktioniert genauso wenig, wenn die Schulden der Banken von den Hartz-IV-Empfängern abgetragen werden sollen. Was allerdings auch nicht funktioniert, ist der Vorschlag der Linken; ich muss leider wiederholen, was ich schon vor zwei Jahren gesagt habe, weil Sie Ihren Antrag nicht geändert haben. Es ist verständlich, dass Sie vor der Saarland-Wahl eine wahlkampftaugliche Botschaft aussenden wollen. Aber dann muss auch endlich wieder Substanz in Ihre Partei kommen und nicht nur heiße Luft. ({12}) Ich kann der rechten Seite dieses Hauses Entwarnung geben: Das vollmundig daherkommende Versprechen von Mehreinnahmen in Höhe von 80 Milliarden Euro taugt nicht einmal für 10 Pfennig. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Paus, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Wissing?

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. Ich bin am Schluss meiner Redezeit; ich habe leider nur noch 30 Sekunden. Nur ein Beispiel, warum Ihr Vorschlag schwächelt: Da Sie Betriebsvermögen von der geplanten Besteuerung ausschließen, öffnen Sie ein riesengroßes Scheunentor für Steuerumgehung. Dafür ist keine Flucht ins Ausland oder ein teurer Steuerberater nötig. Das geht ganz einfach: Man muss nur eine Verwaltungsgesellschaft gründen, in der das Privatvermögen gebündelt wird, und schon greift Ihre Steuer komplett ins Leere. ({0}) Wegen dieser Substanzlosigkeit wird es leider so kommen: Sie werden, jenseits von Lafontaine-Land, gemeinsam mit der FDP zu Recht abgewählt werden, meine lieben Damen und Herren von der Linken. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. h. c. Hans Michelbach für die Unionsfraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bei all den populistischen Täuschungsmanövern und Neiddebatten der Opposition ({0}) darf heute eines nicht in Vergessenheit geraten: Bei der Krisenbewältigung und der Einführung einer Schuldenbremse war Deutschland europaweit am erfolgreichsten. Diese Vorbildfunktion hat zum europäischen Fiskalpakt geführt. Die Sicherung von Wachstum und Beschäftigung wurde durch Steuergesetze und Konjunkturprogramme erfolgreich gestaltet. ({1}) Mittlere und kleine Einkommen wurden durch diese Bundesregierung und diese Koalition wesentlich entlastet. ({2}) Das ist die Wahrheit. Dadurch hat es den Konjunkturaufschwung in Deutschland gegeben. Diesen Weg wollen wir jetzt mit dem Gesetzentwurf zum Abbau der kalten Progression fortsetzen. Das ist eine erfolgreiche Politik für unsere Steuerzahler. Wir wollen 6 Milliarden Euro zurückgeben, und Sie wollen das blockieren. Das ist die Wahrheit. ({3}) Unsere Steuerpolitik wird grundsätzlich am Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ausgerichtet. Wir lehnen leistungsfeindliche Substanzbesteuerungen ab, weil sie volkswirtschaftliche Schäden hervorrufen. Die 100 Milliarden Euro, die Frau Paus gerne einnehmen würde, könnten Sie nur einmal einnehmen. Sie entziehen diese Gelder letzten Endes der Volkswirtschaft. Davon hat der normale Bürger leider nichts. ({4}) Sie betreiben so eine gemeinwohlwidrige Politik. ({5}) Unsere Politik wird strikt am Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ausgerichtet. ({6}) Wir lehnen leistungsfeindliche Substanzbesteuerungen ab. Wir wollen eine lückenlose Besteuerung des Ertrags. Das ist eine gerechte, wachstumsfördernde und ökonomisch sinnvolle Steuerpolitik. Steuergerechtigkeit können Sie auch nicht an den 30 DAX-Vorständen festmachen, wie es von Herrn Gysi versucht wurde. Man kann zwar immer wieder die Angemessenheit der Managergehälter infrage stellen, aber in einer freiheitlichen Marktwirtschaft sollten wir Freiheit und Verantwortung im Blick haben und diese Menschen nicht wegen der Besteuerung ins Ausland treiben. ({7}) Mir ist jeder Höchststeuerzahler, der in Deutschland Steuern zahlt, lieber als der, der ins Ausland abwandert. Sie wollen anscheinend, dass diese Menschen gemeinwohlwidrig ins Ausland abwandern. Das war ja leider in der Vergangenheit aufgrund Ihrer Steuerpolitik schon häufig genug der Fall. Wir müssen eine lückenlose Besteuerung des Ertrags und des Einkommens sicherstellen. Wir dürfen aber keine Substanzbesteuerung vornehmen. Substanzbesteuerungen sind nicht im Interesse der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der volkswirtschaftlichen Entwicklung. ({8}) - Herr Ernst, ich weiß, dass Sie Voodoo-Ökonomie studiert haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit wird durch eine zunehmende Substanzbesteuerung zerstört; das ist die Wahrheit. Das sollten Sie endlich einmal lernen. ({9}) Was wir machen, ist keine Ignoranz, sondern ökonomische Vernunft. Die Opposition hat nach meiner Ansicht ein gestörtes Verhältnis zur Leistung; das wird hier immer wieder deutlich. ({10}) Deswegen können wir Ihren Vorstellungen nicht zustimmen. Wenn man sich die Steueraufkommensstatistik anschaut, dann stellt man fest, dass 79 500 Steuerpflichtige nach der Splittingtabelle über ein gemeinsames Einkommen in Höhe von 500 000 Euro verfügen. ({11}) Sie sagen, dass 500 000 Euro 1 Million DM sind und dass es sich somit um Einkommensmillionäre handelt. Dementsprechend stellen Sie Ihre Anfragen. ({12}) Ich möchte Ihnen Folgendes in Erinnerung rufen: Im Jahr 2011 haben diese 79 500 Steuerpflichtigen Einkommensteuer in Höhe von 28,43 Milliarden Euro gezahlt. Der Anteil dieser Reichensteuerzahler an der Zahl aller Steuerpflichtigen liegt bei 0,2 Prozent. Man muss sich das einmal vorstellen: 0,2 Prozent der Steuerpflichtigen leisten über 12 Prozent des Steueraufkommens. Diese wollen Sie vertreiben? Ich bin froh, dass diese Steuerpflichtigen 12 Prozent des gesamten Steueraufkommens leisten. Das sollten Sie sich vor Augen halten. Die Erhöhung des Reichensteuersatzes um 1 Prozentpunkt würde die individuelle Steuerlast um durchschnittlich 6 300 Euro pro Jahr erhöhen und zu einem Steuermehraufkommen in Höhe von lediglich 0,5 Milliarden Euro, also von 500 Millionen Euro, pro Jahr führen. Das heißt, das, was Sie vorschlagen, ist nicht zielführend. Angesichts der geringen Zahl der betreffenden Steuerpflichtigen ist die steuerliche Leistungsfähigkeit minimal. Ich muss daher ganz deutlich sagen: Ihre Rechnung kann auf keinen Fall aufgehen. Es ist nicht gut, dass vor Wahlen, wie sie jetzt bevorstehen, die Menschen, die Leistung erbringen, immer wieder geradezu vorgeführt werden. Herr Lafontaine fordert eine Steuer in Höhe von 75 Prozent. Sie verlangen 5 Prozent zusätzlich. Das ist im Vergleich zu der Forderung von Herrn Lafontaine geradezu ein Schnäppchen. ({13}) Ich bin gespannt, wie SPD und Grüne abstimmen werden, ob sie einem solchen willkürlichen Steueraufwuchs zustimmen werden. Ich frage mich, was die SPD insbesondere im Hinblick auf die Großkonzerne eigentlich will. Will sie die Steuerlast der mittelständischen Betriebe eher senken oder im Rahmen einer Steuerorgie weiter erhöhen? Das alles passt doch nicht zusammen. Angesichts ihrer großen Zahl sind die mittelständischen Unternehmen für das Gemeinwohl in Deutschland wichtig. Sie dürfen daher die Personengesellschaften nicht weiter mit Einkommensteuererhöhungen traktieren. Das geht doch nicht auf. Das können Sie nicht machen. Das ist gemeinwohlwidrig. Die Menschen werden erkennen, dass unsere Steuerpolitik, die auf dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit basiert, die einzig richtige ist. Daran werden wir uns messen lassen. Wir werden die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger dafür erhalten. Vielen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier. Alle kennen sicherlich diesen Film. Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf die Rede von Herrn Michelbach - das alles haben wir so oder so ähnlich schon einmal gehört -, sondern in diesem Fall auch auf den Antrag der Fraktion Die Linke. Wenn einem nichts mehr einfällt, dann bringt man einfach einen alten Antrag, den man schon eingebracht hatte, wortgleich wieder ein, ändert aber die Überschrift. So viel Kreativität gibt es immerhin. Bei den Inhalten gibt es allerdings keine Kreativität. Über all das, was Sie vortragen, haben wir bereits diskutiert. Es wäre schön, wenn Sie das eine oder andere aus den Diskussionen in Ihre Anträge aufgenommen und Recycling anders definiert hätten, als Sie es hier gemacht haben. ({0}) Wir Sozialdemokraten wollen die Vermögensteuer wieder einführen. Wir brauchen eine Vermögensteuer in Deutschland, weil viele Menschen - wir haben hierzu schon Zahlen gehört - ihre Einkommen nicht nur aus Arbeit erzielen, sondern auch aus Vermögen; die Schere geht immer weiter auseinander. Dies ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit. Unser Steueraufkommen muss gerechter verteilt werden. Dazu ist eine Vermögensteuer notwendig; denn die Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland ist zutiefst ungerecht. Das obere Zehntel in Deutschland besitzt über 60 Prozent des gesamten Vermögens. Im internationalen Vergleich - schauen Sie sich einmal die Statistiken der OECD an, Herr Wissing - steht Deutschland bei vermögensbezogenen Steuern ganz unten. Die Struktur des Steueraufkommens in Deutschland ist zu stark am Lohneinkommen orientiert. Wir müssen diese Orientierung verändern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Zöllmer, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Ernst?

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gerne.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte schön. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich nehme ja mit Freude zur Kenntnis, dass Sie für eine gerechte Vermögensverteilung sind. Aber ich kann das nicht unwidersprochen stehen lassen. Könnte es sein, dass die jetzige ungerechte Vermögensverteilung, die Sie konstatieren, damit zusammenhängt, dass Sie in Ihrer Regierungszeit den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt haben? ({0}) - Ihr braucht euch gar nicht so aufzuregen; das ist eure Angelegenheit. - Könnte es damit zusammenhängen, dass zum Beispiel im Jahr 2000 das Aufkommen aus der Körperschaftsteuer geringer war als das Aufkommen aus der Hundesteuer in diesem Land? Könnte es sein, dass Sie in Ihrer Regierungszeit auf die Wiedereinführung einer Vermögensteuer verzichtet haben? ({1}) - Aber ihr habt regiert. - Könnte die ungerechte Vermögensverteilung in diesem Lande, die Sie so wie wir konstatieren, durch eine vollkommen falsche Besteuerungspolitik vonseiten der sozialdemokratischen Partei verursacht worden sein? ({2}) - Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie so brüllen. Das ist doch eure Politik. Steht doch dazu oder sagt: Das war falsch.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege, für diese Frage. Zum Stichwort Vermögensteuer fällt mir ein, dass es einen Finanzminister namens Lafontaine gab, der die Chance gehabt hätte, die Vermögensteuer wieder einzuführen. Es gab da ein kurzes Zeitfenster, auch im Hinblick auf die Mehrheit im Bundesrat, in dem das möglich gewesen wäre. ({0}) Er hat es nicht getan. ({1}) Sprechen Sie doch einfach mit ihm, und fragen Sie ihn einmal, warum er das damals nicht gemacht hat. ({2}) Darüber hinaus argumentieren Sie immer: Wenn wir noch die Steuersätze von Helmut Kohl hätten, dann ginge es uns fantastisch. ({3}) Dazu fällt mir nur ein: Wenn wir das Wetter vom 15. Juli hätten, wäre es wärmer draußen. ({4}) Das Problem ist doch, dass sich die Welt verändert hat - diese Veränderung der Welt müssen doch auch Sie zur Kenntnis nehmen -, und darauf muss man steuerpolitisch reagieren. ({5}) Die OECD hat das Problem analysiert und gesagt, in Deutschland gebe es ein Ungleichgewicht zwischen der Besteuerung von Einkommen und Ertrag und der Besteuerung von Vermögen. Das ist aus meiner Sicht eine richtige Analyse. Dieses Ungleichgewicht müssen wir beseitigen. Denken Sie einfach einmal darüber nach. Vielleicht bekommen wir dann ja demnächst einen Antrag von Ihnen, den wir hier diskutieren können. Ich betone noch einmal: Eine Vermögensteuer ist wirtschaftspolitisch richtig, und sie auch ein Gebot sozialer Gerechtigkeit. ({6}) Wie sieht eigentlich die Steuerpolitik der Koalition aus? ({7}) Die erste Frage, die sich stellt, ist: Gibt es überhaupt eine Steuerpolitik dieser Koalition? Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, noch einmal in den Koalitionsvertrag zu schauen. Ich habe gelacht, als ich gelesen habe, was Sie damals alles aufgeschrieben haben. Wenn Ihre Steuerpolitik eine Person wäre und zwei Beine hätte, dann könnte sie Stargast in der Sendung Pleiten, Pech und Pannen sein. ({8}) Schauen wir uns einmal die FDP an. Sie sind als Mehr-netto-vom-Brutto-Partei gestartet. Dann haben Sie irgendwann gemerkt, dass Sie ein totes Pferd reiten, und sind abgestiegen. Nach den jetzigen Umfragen liegen Sie bei 2 Prozent. Sie suchen nach einem neuen Pferd, haben es aber nicht gefunden. Geblieben ist eine unsägliche Klientelpolitik, die ihren Ausdruck zum Beispiel in der Steuererleichterung für Mövenpick fand. ({9}) Herr Michelbach, schauen wir uns doch einmal die Union an. Sie als Union haben doch die Klientelpolitik ebenfalls vorangetrieben. Ich darf nur an die CSU erinnern, die bei der Hoteliersteuer an führender Stelle beteiligt war. ({10}) Sie machen Steuerpolitik nach dem Motto: Wer sich bewegt, hat schon verloren. Vermögensteuer, Gemeindefinanzreform, Vereinfachung des Steuerrechts, Mehrwertsteuerreform, Finanztransaktionsteuer - alles Fehlanzeige bei Ihnen. Das ist Ihre Bilanz. Diese Koalition ist doch steuerpolitisch am Ende. Sie leben alleine von den Erfolgen einer Reformpolitik, zu der Sie nichts beigetragen haben. ({11}) Wohlstand, Sicherheit und soziale Gerechtigkeit erfordern einen handlungsfähigen Staat. Dazu sind ausreichende und verlässliche Staatseinnahmen nötig. Wenn wir uns den Schuldenstand von Bund, Ländern und Kommunen anschauen, dann stellen wir fest: Wir sind in vielen Bereichen von einem handlungsfähigen Staat weit entfernt. ({12}) Das gilt für die Bundesländer und Kommunen, die zukünftig auch die Schuldenbremse einhalten müssen. Nun glaubt die Linke, mit der Vermögensteuer - diese steht ja den Bundesländern zu - den steuerpolitischen Stein der Weisen gefunden zu haben, ({13}) damit sie nicht mehr Haushalte konsolidieren muss. Das ist doch Ihr Problem. Haushaltskonsolidierung und die Einhaltung der Schuldenbremse sind eine große Herausforderung. Das ist völlig unbestritten. ({14}) - Was war Ihre Frage? ({15}) - Das habe ich viermal gesagt. Sie müssen einfach nur zuhören, dann erledigt sich schon einiges. ({16}) Die Vermögensteuer ist ein wichtiges Element zur Landesfinanzierung. Das ist unbestritten. Deshalb wundere ich mich, dass CDU und FDP diese ablehnen und die FDP auch noch Steuersenkungen auf Pump fordert ({17}) und in Nordrhein-Westfalen den Wahlkampf damit bestreitet, sich als oberster Haushaltskonsolidierer zu pro20102 filieren. Das passt überhaupt nicht zusammen. Schauen Sie sich doch Nordrhein-Westfalen an. ({18}) Die rot-grüne Landesregierung hat den notleidenden Kommunen mit dem Stärkungspakt Kommunalfinanzen unter die Arme gegriffen. ({19}) Was hat der Bund gemacht? Sie greifen den Ländern und den Kommunen in die Tasche und nehmen ihnen das Geld wieder weg. ({20}) Diese Art der finanzpolitischen Arbeitsteilung verurteilen wir. Dies ist doch unsinnig. Die Vermögensteuer ist kein Deus ex Machina, kein Geist aus der Flasche, kein Wundermittel zur Lösung aller Probleme, wie die Fraktion Die Linke glaubt. ({21})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Zöllmer, es tut mir leid, Sie müssen zum Schluss kommen. ({0}) - Die Zwischenfrage von der FDP kommt ein bisschen zu spät zur Verlängerung der Redezeit.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das finde auch ich. - Die Vermögensteuer ist verfassungsrechtlich möglich, die Bewertungsprobleme sind lösbar, sie schafft mehr Gerechtigkeit. Deshalb ist sie dringend notwendig. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Daniel Volk das Wort. ({0})

Dr. Daniel Volk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Zöllmer, Sie haben schon eine sehr selektive Sichtweise der letzten Jahre hier dargelegt. Die Sichtweise ist abhängig davon, wer in welchem Bundesland regiert. Ich darf Ihnen zunächst einmal darlegen, dass wir in der Steuerpolitik zu Beginn dieser Legislaturperiode mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz Familien in Deutschland entlastet haben. Wir haben bei der Gewerbesteuer die substanzbesteuernden Elemente zurückgefahren. ({0}) Uns wurde schon damals von Ihnen gesagt, das sei sozusagen das Ende einer soliden Staatsfinanzierung. ({1}) Das Gegenteil ist eingetreten. Wir haben sprudelnde Steuereinnahmen. Die Steuereinnahmen sind jetzt so hoch wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. ({2}) Wir haben den Haushalt so geführt, dass wir in den nächsten Jahren, 2013/2014, in den Bereich eines ausgeglichenen Haushaltes kommen werden. Das ist das Ergebnis der soliden Steuer- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung. Wenn ich auch noch darauf hinweisen darf: ({3}) Ein weiteres Ergebnis dieser Bundesregierung ist, dass wir historisch niedrige Arbeitslosenzahlen haben. ({4}) Wissen Sie, das unterscheidet eben uns von Ihnen. ({5}) Als Rot-Grün 2005 abgewählt wurde, haben Sie als Ergebnis Ihrer Regierungspolitik mehr als 5 Millionen Arbeitslose hinterlassen. Wir haben die Arbeitslosenzahlen auf ein historisches Niveau gesenkt. Wir sorgen für mehr Wohlstand für alle in diesem Land. ({6}) Wenn Sie sich hier hinstellen und feststellen, dass Wohlstand und Vermögen ungerecht verteilt sind, ({7}) dann kommt einem doch gleich die Frage in den Sinn, wie das wieder zusammengeführt werden kann. ({8}) Ihr Weg ist: Dann nehmen wir es halt den Reichen ({9}) und geben es den Armen - eine Art Robin-Hood-Politik. Nur leider Gottes wird diese Politik nicht aufgehen. Der richtige Ansatz - das macht diese Regierung Dr. Daniel Volk ({10}) ist, denjenigen mit unteren oder mittleren Einkommen die Möglichkeit zu geben, am Wohlstand zu partizipieren, ({11}) Vermögen aufzubauen, die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen von einer überzogenen Besteuerung zu entlasten. ({12}) Die kalte Progression abzubauen, heißt, den Beziehern unterer und mittlerer Einkommen die Möglichkeit zu geben, am Wohlstand teilzuhaben. ({13}) Ich fordere Sie auf: Gehen Sie diesen Schritt mit! Machen Sie wirklich eine Politik für die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen! Damit wird es in Deutschland Wohlstand für alle geben. Das ist ein vernünftiger Ansatz in der Steuer- und Finanzpolitik, ({14}) im Gegensatz zu einer Haushaltspolitik, die wie in Nordrhein-Westfalen in immer mehr Verschuldung geht. ({15}) Es muss vielmehr eine Politik des gerechten Ausgleichs und einer soliden Staatsfinanzierung sowie eine gute Steuerpolitik geben, wovon jede Person hier partizipieren kann. Vielen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege von Stetten für die Unionsfraktion. ({0})

Christian Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003639, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die lebhafte Debatte zeigt, dass am kommenden Wochenende, wenn auch nur in einem kleinen Bundesland, Landtagswahlen stattfinden. ({0}) Sollte der heute öffentlich beratene Antrag der Linksfraktion Rückenwind für den Spitzengenossen Oskar Lafontaine erzeugen, so ist dieser Schuss, wie die heutige Debatte gezeigt hat, nach hinten losgegangen. ({1}) Denn eine 5-prozentige Vermögensabgabe ist volkswirtschaftlicher Wahnsinn und ein Schritt in die falsche Richtung. ({2}) Die Linken träumen von einer jährlichen Einnahme in Höhe von 80 Milliarden Euro, die sie bei den Bürgern abkassieren wollen. ({3}) Dabei wissen sie ganz genau, dass das nicht umgesetzt werden wird. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat es sehr klar herausgearbeitet: Sie haben noch nicht einmal festgelegt, was mit Sachvermögen gemeint ist bzw. wie Sie verhindern wollen, dass Umgehungstatbestände, die Sie ja sonst immer anprangern, geschaffen werden. ({4}) Das wird in Ihrem Antrag nicht deutlich; er ist völlig diffus, auch wenn er zum wiederholten Male in dieser Legislaturperiode eingebracht worden ist. ({5}) - Herr Poß, es kommt mir sowieso so vor, als ob die linke Seite des Hauses, wenn es um steuerpolitische Fragen geht, nur drei Antworten kennt: Einmal fordern Sie die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, dann die Erhöhung der Erbschaftsteuer und, wie jetzt auch wieder, die Einführung der Vermögensteuer. ({6}) All das bringen Sie immer wieder ein. In schöner Regelmäßigkeit gibt es auch einen Antrag der Linksfraktion, der im letzten Jahr schon zweimal abgelehnt worden ist. ({7}) - Das befürchten wir. - Ich sehe übrigens auch keinen großen qualitativen Unterschied zu dem Antrag, der im letzten Jahr vom Haus abgelehnt worden ist. Nur ein kleiner Unterschied ist mir aufgefallen, der qualitativ vielleicht bedeutend ist: Im letzten Jahr sollte das Parlament noch beschließen, dass jährlich ein Steuersatz von 5 Prozent für Vermögen, das über dem Freibetrag liegt, erhoben wird. In Ihrem jetzigen Antrag haben Sie als Stichtag nicht den 31. Dezember des jeweiligen Jahres, sondern den 31. Dezember 2012 festgelegt. So stellt sich die Frage: Soll das eine einmalige Abgabe sein, die zum Ende des Jahres 2012 erhoben wird? ({8}) Ich habe gehofft, dass Sie klüger geworden sind. Sie bleiben also bei der Forderung von jährlich 5 Prozent und sorgen dadurch dafür, dass die Substanz entzogen wird. Ich glaube, dass wir das beim letzten Mal auch schon diskutiert haben. Bei einem Steuersatz von 5 Prozent auf den Verkehrswert für das Vermögen, das über dem Freibetrag liegt, enteignen Sie die Bürger nach 20 Jahren. ({9}) Nehmen wir den Besitzer eines großen Hauses: Im ersten Jahr haben Sie die Hofeinfahrt wegbesteuert, im zweiten Jahr die Garage, im dritten Jahr das Bad und im vierten Jahr die Küche. Nach 20 Jahren haben Sie aus dem stolzen Hausbesitzer wieder einen Mieter gemacht. Anträge auf Einführung dieses Sozialismus können Sie ruhig noch öfter im Parlament einbringen. Wir werden Ihre Anträge immer wieder ablehnen. ({10}) Herr Ernst, ich komme zu den Mietern. Der Kollege Gutting hat die Auswirkungen auf den Mieter am Anfang sehr gut dargestellt. Sie haben dennoch an den Kollegen Wissing eine Zwischenfrage gestellt, warum die normalen Mieter von dieser Vermögensteuerabgabe betroffen sind. Nach den Ausführungen des Kollegen Wissing haben Sie gesagt, Sie hätten es immer noch nicht verstanden. ({11}) Deswegen möchte ich es Ihnen noch einmal erklären: Nehmen wir einen privaten Besitzer großer Immobilien, für Sie im Prinzip also eines der Feindbilder, die jeden Tag durch das Dorf getrieben werden. Dieser Immobilienbesitzer hat verschiedene Wohnungen und durch die Mieteinnahmen eine Verzinsung von - ich sage mal 4 Prozent. Von diesen 4 Prozent muss er seine Steuern zahlen. Dann kommen Sie mit einer jährlichen Substanzsteuer in Höhe von 5 Prozent. Er wäre ein schlechter Unternehmer, wenn er das mitmachen würde. Er würde also versuchen, diese Wohnungen am Markt zu verkaufen. Wer aber kauft ein Objekt mit einer Rendite von 4 Prozent, wenn er darauf 5 Prozent Steuern zahlen muss? ({12}) Er wird diese Wohnungen nicht loswerden. Was wird er also tun? Er wird die Abgabe von 5 Prozent über die Mietnebenkosten auf die Mieter abwälzen. Ein Abwälzen der 5-prozentigen Vermögensteuer auf die Mietnebenkosten bedeutet für den normalen Mieter eine Verdoppelung der jährlichen Mietnebenkosten. Das werden CDU/CSU und FDP in diesem Hause nicht zulassen. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. ({13}) Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir sind uns in der Koalition einig, dass starke Schultern selbstverständlich mehr tragen müssen als schwache Schultern. So ist unser Steuersystem aufgebaut. ({14}) Dass Sie eine Substanzsteuer einführen wollen, die auch fällig wird, wenn der Betroffene zum Beispiel die Hälfte seines Vermögens verloren hat oder wenn das Vermögen beispielsweise keine Rendite abwirft, ist Gift für unser Land und für die Betroffenen. ({15}) Betroffen sein werden natürlich auch Familienunternehmer. Sie wollen auch die Handwerksmeister dadurch schröpfen. Es kann doch keiner sagen, dass dieser Personenkreis für die jetzige Finanzkrise verantwortlich ist. ({16}) Diesem Personenkreis wollen Sie einen höheren Einkommensteuersatz aufoktroyieren. Sie wollen denen einen höheren Erbschaftsteuersatz aufoktroyieren. Auch die Vermögensteuer trifft selbstverständlich die Familienunternehmer, die ihr Vermögen, das sie in den letzten Jahrzehnten erarbeitet haben, im Umkreis des Familienunternehmens angehäuft haben, die hier Immobilien gekauft haben, die nicht ins Ausland gegangen sind, sondern treu hier in Deutschland geblieben sind. Sie können auch mit den Gewerkschaften sprechen. Fragen Sie die Mitarbeiter, ob sie lieber in einem familiengeführten Unternehmen arbeiten, bei dem sie noch wissen, wo der Chef sein Büro hat, wo sich der Chef noch persönlich um deren Anliegen kümmert, oder ob sie im Falle einer Veräußerung des Unternehmens, weil die Steuer nicht mehr bezahlt werden konnte, lieber bei einem anonymen Unternehmen arbeiten wollen. Ich glaube, hier sind die Antworten relativ deutlich. Sie schreiben - ich komme zum Schluss - im Schlusssatz Ihres Antrages, die von Ihnen geplante Millionärsteuer wäre die einzig logische Möglichkeit, die Staatsschulden abzubauen. Ich glaube, in der heutigen Debatte ist deutlich geworden, dass es kein logischer Antrag, sondern ein ideologischer Antrag ohne Substanz und Sinnhaftigkeit ist. Deswegen werden wir nach intensiven Beratungen, so wie in den vergangenen Jahren, diesen Antrag ablehnen. Herzlichen Dank. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/8792 an den Finanzausschuss vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 a und b sowie die Zusatzpunkte 9 und 10 auf: 27 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarpolitischer Bericht 2011 der Bundesregierung - Drucksache 17/5810 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Klimabilanz im Ackerbau verbessern - Drucksachen 17/2487, 17/4888 Buchstabe b Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Röring Waltraud Wolff ({2}) Dr. Kirsten Tackmann ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Kleingruppenhaltung für Legehennen endgültig beenden - Drucksache 17/9028 ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Undine Kurth ({3}), Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verordnung zur Kleingruppenhaltung unverzüglich in Kraft setzen - Drucksache 17/9035 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich nehme an, dass das kein Widerspruch ist, was an mein Ohr dringt, sondern unbedingt notwendige Gespräche. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland ist ein schönes Land ({0}) so hat es auch unser Bundespräsident heute formuliert -: herrliche Landschaften, Seen, Gewässer, Meer, Berge. Wenn Sie am Wochenende in die herrliche Natur hinausgehen, werden Sie das alles sehen können. Für den Erhalt dieser Landschaften sorgen die Bäuerinnen und Bauern, die Fischer, die Forstwirte und all diejenigen, die in den grünen Berufen tätig sind. Wir sagen Ihnen heute ein herzliches Dankeschön für Ihre großartige Arbeit. ({1}) Harte Arbeit, Fleiß, Familiensinn und Bodenständigkeit zeichnen diese Familien aus. Sie sind das Rückgrat unserer ländlichen Räume. ({2}) Wir diskutieren heute den Agrarpolitischen Bericht 2011 der Bundesregierung. Über 300 000 landwirtschaftliche Betriebe, 650 000 Beschäftigte in der Landwirtschaft, 780 000 Betriebe, 5 Millionen Arbeitsplätze - Sie hören richtig -: Das ist das Agrobusiness, von der Urproduktion auf dem Feld bis hin zum Verbraucher. Jeder achte Arbeitsplatz ist in diesem Sektor zu Hause. Landwirtschaft hat eine ethische, eine ökonomische, eine ökologische und eine soziale Dimension. Landwirtschaft sichert und bewahrt die Schöpfung, unsere natürlichen Lebensgrundlagen von Mensch, Tier und Natur. ({3}) Das ist die ethische Dimension. Landwirtschaft ernährt uns. Ernährung ist die Überlebensfrage der Menschheit. Zu Zeiten Goethes lebten 1 Milliarde Menschen auf dem Planeten, heute sind es 7 Milliarden, im Jahr 2050 werden es 10 Milliarden sein. Diese Menschen wollen jeden Tag etwas essen. Die FAO prognostiziert uns, dass wir die Nahrungsmittelproduktion bis 2050 um 70 Prozent steigern müssen, und das bei weniger Fläche und geringer werdenden Ressourcen, Stichwort Wasser. Das ist die große Herausforderung im Hinblick auf die Überlebensfrage der Menschheit. ({4}) Die Pflanzen, der Wald und das Land geben uns nicht nur Nahrung und Energie, sondern sie schützen auch unser Klima, Stichwort CO2-Speicher/Sauerstoffproduzent. Das ist die ökologische Dimension der Landwirtschaft. Deshalb sage ich: Bei der Landwirtschaft handelt es sich nicht - wie es häufig dargestellt wird - um eine Branche von gestern, mit dem Klischee etwa von Gummistiefeln. Nein, die Landwirtschaft ist die Schlüsselwirtschaft von morgen schlechthin. Diese vielfältige Funktion der Landwirtschaft muss sich in einer Form von Wertschätzung abbilden. Leider verzeichnen wir jedoch die Entwicklung, dass der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel an den Konsumausgaben insgesamt aus der Sicht des Verbrauchers heute nur noch 11 Prozent ausmacht, während dieser Anteil 1970 noch bei 20 Prozent lag. Nirgendwo sonst auf der Welt ist das Angebot an Lebensmitteln so vielfältig und sind diese so günstig und zugleich qualitativ hochwertig wie in Deutschland. ({5}) Der Preis für Brot ist seit 1950 um das Zehnfache gestiegen. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, der Preis für Brotgetreide, das der Bauer liefert, ist jedoch auf dem Niveau von 1950 stehen geblieben. So stellt sich die Situation dar. ({6}) Deshalb sage ich an dieser Stelle in Richtung Verbraucherinnen und Verbraucher: Die Wertschätzung für unsere Bäuerinnen und Bauern und ihre Leistung ist das eine. Wir brauchen aber auch eine neue Verbraucherethik. Das bedeutet: Handeln nach dem Motto „Geiz ist geil“ ist im Hinblick auf die Entlohnung unserer Landwirte nicht zeitgemäß. ({7}) Wir brauchen einen fairen Preis und ein faires Einkommen für harte Arbeit. Der Agrarbericht, den wir diskutieren, zeigt auf - es ist immer schwierig, mit Statistiken zu arbeiten -: Das Bruttoeinkommen pro Familienarbeitskraft lag 2010 bei 30 200 Euro; das ist ein Durchschnittswert, meine Damen und Herren. 2009 hatten wir beispielsweise bei der Milch die Sonderentwicklung, dass es innerhalb eines Jahres einen Einbruch der Preise von 30 Prozent gab. Wir haben heute die Situation, dass es im Bereich der Milchwirtschaft eine Steigerung der Preise um nahezu 30 Prozent gibt. Die Frage ist immer: Welche Vergleichsbasis nehmen wir? Der Milchpreis von seinerzeit 25 Cent pro Liter war natürlich entschieden zu gering; heute sind es 35 Cent. Die Statistik ist an dieser Stelle also nicht aussagekräftig. Der Agrarbericht zeigt aber, dass der Preistrend insgesamt nach oben geht und die Stimmung in der Landwirtschaft deshalb gut ist. Meine Damen und Herren, der Agrarbericht offenbart aber auch etwas anderes: die Bedeutung der Direktzahlungen. 2010 und 2011 machten Direktzahlungen 52 Prozent des Einkommens der Landwirte aus; das ist ganz erheblich. Der Anteil der Direktzahlungen und Zuschüsse am Einkommen, der im Agrarbericht ausgewiesen ist, betrug im Durchschnitt 69 Prozent. Das zeigt, welch hohen Stellenwert die Zahlungen auch in Zukunft haben. Sie sind unverzichtbar. Wir müssen deshalb die Betriebe weiter stärken. Die Koalition aus CDU, CSU und FDP ist sich hier einig. Wir haben im Sinne der deutschen Landwirtschaft und der deutschen Verbraucher gehandelt. ({8}) Angesichts der Zeit kann ich nur kurz folgende Punkte nennen: Erstens. Es geht um den Erhalt der Förderung im Rahmen der GAP, um nominale Konstanz, um eine starke erste und zweite Säule der GAP. Zweitens. Wir werden im Unterschied zu früheren Regierungen das hohe Niveau der Mittel im Rahmen der GAK halten. Drittens. Wir stehen zum ökologischen Landbau. Wir erhalten die Förderung. Wir fordern aber auch die Länder auf, sich verstärkt in der Frage der Förderung des ökologischen Landbaus zu engagieren. ({9}) Wir brauchen 10 000 zusätzliche Betriebe, die in diesen Sektor wechseln; das hat die BioFach eindeutig gezeigt. Viertens. Wir brauchen Verlässlichkeit in der Agrarsozialpolitik. Diese Koalition, FDP und Union, hat die Reform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung umgesetzt. Fünftens. Die Reform der Erbschaftsteuer hatte und hat eine große Bedeutung. Das Eigentum, meine Damen und Herren, die Höfe müssen auch in Zukunft in der Generationenfolge vererbbar bleiben. ({10}) Sechstens. Ohne Landwirte wird auch die Energiewende nicht gelingen. Ich nenne die Themen Biomasse und Photovoltaik. Wir haben hier Themen, die wir gemeinsam anzugehen haben: Durchleitungsrechte, Netzbau. Siebtens: das Problem der Ausgleichsflächenregelung. Wir verlieren täglich circa 100 Hektar Nutzfläche. Es kann nicht sein - hier müssen wir zu Änderungen kommen -, dass wir für jedes Windrad zusätzlich 5 Hektar Ausgleichsfläche ausweisen müssen. Wir werden dies ändern. ({11}) Der Flächenfraß muss gestoppt werden. Deshalb lehnen wir auch die vorliegenden Vorschläge der EU-Kommission zum Greening ab. ({12}) Meine Damen und Herren, unser Leitbild ist die nachhaltige, ressourcenschonende, produktive Landwirtschaft mit höchsten Umwelt-, Tierschutz- und Produktionsstandards. Bundesministerin Aigner hat in Deutschland und in der EU großartige Erfolge erzielt. Wir werden weitere Vorschläge zur Reform der GAP machen, insbesondere in Richtung Entbürokratisierung. Der Bauer gehört aufs Feld und nicht vornehmlich ins Büro. ({13}) Die Bundesministerin setzt auf Dialog und Transparenz. Im Charta-Prozess wurde ein Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen geführt. Die Stalltüren sind offen, die Betriebe haben nichts zu verbergen. Frau Aigner hat wichtige weitere Schritte angekündigt, die ich zum Schluss nur kurz aufführen möchte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Staatssekretär, das können Sie gern tun. Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass das dann aber Auswirkungen für die Redner der Unionsfraktion hat.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Pau, wenn Sie mich so behandeln würden wie üblicherweise auch die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen? Ich bin in einer Minute fertig. Frau Aigner hat weitere für die Zukunft wichtige Schritte angekündigt, über die wir diskutieren werden. Wir werden Vorschläge zur Weiterentwicklung des Tierschutzes und zur Verbesserung des Tierwohls vorlegen. Wir werden neben den bereits vorhandenen weitere Vorschläge zur Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika in der Mast vorlegen. Wir werden weitere Vorschläge zur Stärkung der Lebensmittelsicherheit vorlegen und umsetzen. Frau Aigner hat das Thema Lebensmittelverschwendung aufgegriffen. Wir treten gegen die Welle von Spekulationen im Bereich der Agrarrohstoffe an. Wir verstärken die Agrarforschung. Außerdem stellen wir uns dem Thema Welternährung. ({0}) Die deutsche Landwirtschaft ist gut aufgestellt. Die Politik steht zu unseren Bauern. Die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung ist eine nationale strategische Aufgabe, international gesehen geht es schlechthin um das Überleben der Menschheit. Deshalb sind wir stolz auf unser Land und unsere Bauern. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier. ({0})

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eben den Eindruck gewonnen, die Rede kann eigentlich nur der Deutsche Bauernverband geschrieben haben. ({0}) Sie beschwören eine Agrarromantik ({1}) und verkünden mit großen Pathos, dass die Regierung zur Landwirtschaft steht. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit, das muss man nicht betonen. Wir debattieren über den Agrarbericht 2011. Das ist immer eine Gelegenheit, auch zu der grundsätzlichen Ausrichtung der Agrarpolitik Stellung zu nehmen. Dazu habe ich heute allerdings nichts gehört. Von zukunftsfähiger Agrarpolitik war überhaupt nicht die Rede. Wenn man die Bilanz der deutschen Land- und Agrarwirtschaft betrachtet, dann stellt man fest: Das kann sich sehen lassen. Seit 2000 gab es bei der Schweinefleischproduktion eine Steigerung um 45 Prozent, die Geflügelfleischproduktion hat sich fast verdoppelt, und der Exportwert liegt bei über 60 Milliarden Euro. Uns Sozialdemokraten interessieren besonders auch die Arbeitsplätze. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass wir die gesellschaftliche Diskussion über die Land- und Agrarwirtschaft nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Diese haben Sie jedoch vollständig aus dem Blick verloren, wie wir heute sehen konnten. Nach der Abwesenheit bei der gestrigen Debatte hatte ich gehofft, dass die Ministerin zumindest bei der heutigen Debatte anwesend wäre. ({2}) Aber die Ministerin zieht es offensichtlich vor, die deutsche Agrarpolitik auf Pressekonferenzen oder Empfängen zu kommentieren und nicht dort, wo das eigentlich hingehört, nämlich hier im deutschen Parlament. ({3}) Es würde sich anbieten, den Antrag zu stellen, die Ministerin herbeizuzitieren. Ich finde, das ist eine Missachtung der Agrardebatte. Das kann es eigentlich gar nicht geben. Die Ministerin gehört hierher und nicht der Staatssekretär. ({4}) Die deutsche Agrarpolitik steckt trotz all der Erfolge in einem großen Dilemma. Das werden Sie aber nicht auflösen, zumindest nicht mit der rückwärts gewandten Politik, die Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Brüssel betreiben. ({5}) Lassen Sie mich als Beispiel die Veredelungswirtschaft nennen. In der gesellschaftlichen Debatte wird deutlich, was sich dort abspielt. Das ist für jeden wahrnehmbar. Man muss sich nur die Stellungnahmen der großen Organisationen wie NABU und der kirchlichen Organisationen durchlesen. Die muss man doch ernst nehmen. Bei aller Lobhudelei und aller Freude über die wirtschaftliche Stärke und unsere Wettbewerbsfähigkeit: Das kann man doch nicht verdrängen. ({6}) Wir brauchen vernünftige Rahmenbedingungen, die in der Gesellschaft Akzeptanz finden; denn sonst gerät dieser wichtige volkswirtschaftliche Sektor der Agrarwirtschaft zunehmend in Schwierigkeiten. Es wird in Zukunft erhebliche Diskussionen über die Weiterentwicklung dieses Sektors geben, vor allem was die Standards betrifft. Mit der Charta für Landwirtschaft und Verbraucher haben Sie einen richtigen Weg eingeschlagen. Er muss aber fortgeführt und verstetigt werden. Wir dürfen das nicht auf eine einmalige Aktion und einen einmaligen Ansatz beschränken, sondern wir müssen mit all den Beteiligten dauerhaft im Gespräch bleiben und die Agrarpolitik stetig weiterentwickeln. ({7}) Schauen Sie sich die DAFA-Strategie zur Nutztierhaltung an, die letzte Woche beschlossen wurde. Sie ist ein Ansatz, dessen Umsetzung uns alle vor Herausforderungen stellt. Insofern glaube ich, dass man darauf in der Zukunft auch die deutsche Agrarpolitik mit ausrichten sollte. Wir brauchen mehr Akzeptanz für Investitionen zum Beispiel in Stallbauten in ländlichen Räumen. Wir brauchen Bewegung im Baugesetz, um hier flexibel ansetzen zu können. Man darf sich da nicht - wie letztens geschehen - verweigern. Ein Problem ist die Belastung der Böden mit Nitraten. Dieses Problem ist die Regierung hier bislang noch nicht angegangen. Das Erlassen einer Verbringungsverordnung allein löst das Problem nicht. Wir verlieren in der Landschaft zunehmend an Artenvielfalt. In den letzten 40 Jahren sind mindestens 40 Arten verlorengegangen. Die Flächenkonkurrenz steigt auch aufgrund der Biomasseproduktion. Wir müssen uns klar positionieren, wir müssen deutlich machen, wohin wir in Zukunft wollen. Auch die Regierung muss das tun. Die Diskussion über den Antibiotikaverbrauch in den letzten Monaten hat gezeigt, wie schwierig die Situation wird, wenn es um das Verbrauchervertrauen geht. Da brauchen wir klare und eindeutige Minderungsziele und nicht einfach nur einen hohlen Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes bzw. eine Novelle, die außer Verordnungsermächtigungen an Klarheit nichts enthält und mit der wir die weitere Ausgestaltung eventuell den Bürokraten auf der Länder- und der Bundesebene überlassen. So geht das nicht. ({8}) In der Weise - das ist schon gewiss - wird der Gesetzentwurf auch nicht hier durch das Parlament gehen. Da wollen wir Hand anlegen; wir wollen da ordentlich etwas tun. Sie führen Scheindebatten über das Dispensierrecht, treffen aber den eigentlichen Kern des Problems nicht. Wir brauchen ein besseres und tiergerechtes Haltungssystem für die Tiere, mehr Hygiene im Stall und ein besseres Management in der Produktion. Vor allen Dingen müssen wir die Systeme an die Tiere anpassen und nicht umgekehrt. ({9}) Man braucht Geld, um diese Entwicklung zu befördern. Das Geld brauchen wir in der zweiten Säule und nicht mehr in der ersten, wie Sie es hier mit Ihrer Agrarsteinzeitpolitik vertreten. Wenn wir zukünftig einen richtungsweisenden Ansatz für die Agrarpolitik haben wollen, kann das an sich nur heißen: langsamer, aber stetiger Ausstieg aus dem System der an sich überholten Direktzahlungen und weg mit dem Gießkannenprinzip. Die Direktzahlungsverordnung, die wir nach 2014 bekommen werden, bietet einen Ansatz dafür. Schichten wir zunächst einmal 510 Millionen Euro von der ersten in die zweite Säule um. Dann haben wir den finanziellen Spielraum, um das mitzugestalten. Beschränken wir die Ausgleichszulage auf Regionen, die sie brauchen, und verteilen wir sie nicht an alle Regionen. 30 Prozent können bei uns nicht so benachteiligt sein. Das ergibt sich aus den Zahlen, die Sie heute Morgen vorgetragen haben. Insofern schaffen wir - auch durch Verlagerung der Ausgleichszahlungen von der ersten in die zweite Säule - für die Kofinanzierung Raum. Dann sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg. Wir brauchen für die Zukunft mehr Investitionen, klare Rahmenbedingungen und vor allen Dingen mehr Investitionen in Beschäftigung, Wertschöpfung und Innovation. Davon ist heute hier gar nichts deutlich geworden. ({10}) Wir brauchen in der zweiten Säule langfristig angelegte Förderprogramme und keine kurzfristigen Programme, die man nur als Sonderprogramme für bestimmte Bereiche vorantreibt. Wir brauchen öffentliches Geld nur noch für öffentliche Güter. Wir müssen die Artenvielfalt sichern. Wir müssen uns dem Klimaschutz aktiv zuwenden und das Tierwohl verbessern. Das alles sind Maßnahmen, zu denen Sie hier heute vom Grundsatz her keine Stellung bezogen haben. Entwickeln Sie doch endlich eine Konzeption, die von allen Fraktionen hier im Parlament getragen wird und mit der wir gemeinsam aus der jetzigen antiquierten Agrarpolitik aussteigen. ({11}) Ich setze fest darauf, dass wir Sozialdemokraten spätestens ab 2013 diese Fehler korrigieren können. Die Zeit ist reif für den Wandel. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan das Wort. ({0})

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Allensbacher Jahrbuch beschreibt seit Beginn der Bundesrepublik Deutschland die Bewusstseinslage in Deutschland. Im zwölften Jahrbuch aus dem Jahre 2010 heißt es: 96 Prozent der Menschen in Deutschland stimmen der Aussage zu, dass wir eine schöne Landschaft und eine herrliche Natur haben. 87 Prozent stimmen dieser Aussage zu: Bei uns gibt es gutes Essen und Trinken. Im Fazit: Landwirtschaft tut gut. Das ist ein hervorragendes Ergebnis, das unsere Landwirte erzielen. ({0}) Dass das nicht nur graue Zahlen sind, zeigt sich auch daran, dass regionale Produkte an Beliebtheit gewinnen, und zwar nicht nur regionale Produkte, die bei uns hergestellt werden, sondern auch Produkte, für die die Idee aus Deutschland stammt, beispielsweise Lübecker Marzipan. Die Idee stammt aus Lübeck. Das ist ein hervorragendes Produkt, das sich großer Beliebtheit erfreut. ({1}) Die drei Länder, in denen die meisten Menschen aus Deutschland Ferien machen, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, sind landwirtschaftlich strukturiert. Auch das zeigt, dass Landwirtschaft unserem Land guttut. Ich weiß, dass es Demonstrationen gegen die Ansiedlung landwirtschaftlicher Betriebe gibt. Ich weiß aber auch, dass dies Einzelereignisse sind; das macht das Allensbacher Jahrbuch deutlich. Die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 hat uns gezeigt, dass die lauten Rufer nicht automatisch die Mehrheit haben. ({2}) Das wurde auch im Januar dieses Jahres in Berlin deutlich: Von 90 Verbänden eingeladen, haben 5 300 Menschen gegen unsere heimische Landwirtschaft demonstriert, aber 400 000 Menschen haben die Grüne Woche besucht und dafür sogar Eintritt gezahlt. ({3}) Die Anerkennung für unsere Landwirtschaft ist also enorm groß. 5 Millionen Menschen sind in der Landwirtschaft und in den vor- und nachgelagerten Bereichen beschäftigt. Die Bruttowertschöpfung beträgt 140 Milliarden Euro. Das Exportvolumen beträgt 50 Milliarden Euro. Damit werden Arbeitsplätze in Land- und Ernährungswirtschaft in Deutschland gesichert. Die Regierungskoalition hat eine sehr gute Bilanz vorzuweisen: Waldgesetz und Waldstrategie sind auf den Weg gebracht, die Agrardieselbesteuerung konnte zurückgeführt werden, der Bereich der Pflanzenschutzmittelzulassungen wurde geordnet, über die Charta wird - das erkennt sogar die SPD an - eine gute Diskussion mit der Bevölkerung geführt, die Neuorganisation der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung wurde auf den Weg gebracht - schade, dass die SPD, obwohl sie im Plenum zustimmt, im Hintergrund dagegen arbeitet -, und auch das Problem mit der Fehlsteuerung des EEG im Bereich der Biomasse, das gerade vonseiten der SPD kritisiert wurde, haben wir behoben. ({4}) - Du hast vollkommen recht, Wilhelm. ({5}) Was ist weiterhin zu tun? Darauf wollen wir gerne zu sprechen kommen. Wenn wir uns den Agrarbericht anschauen, dann müssen wir feststellen, dass die Einkommen im Bereich der Landwirtschaft in den letzten fünf Jahren geringer waren als in den fünf Jahren davor, dass die Einkommen im Bereich der Landwirtschaft nach wie vor niedriger sind als die gewerblichen Vergleichseinkommen. ({6}) Das bedeutet, dass man mit der Beendigung der Direktzahlungen die landwirtschaftlichen Betriebe letztlich in die Armut treiben würde. Das muss jeder wissen, der sagt: Wir wollen die Direktzahlungen beenden. - Das wollen wir nicht. Deswegen stehen wir zu den zwei Säulen der Landwirtschaft. ({7}) Der Strukturwandel wird sich natürlich weiter vollziehen; das ist der entscheidende Impuls. Wir wollen diesen Strukturwandel begleiten, damit er sich nach ethischen Maßstäben und sozialverträglich vollzieht. ({8}) Wir wollen den Strukturwandel nicht aufhalten; denn das würde Gelder kosten, die wir alle nicht haben - Sie übrigens auch nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Happach-Kasan, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Priesmeier?

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine Frage, ja. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Tja, unsere Geschäftsordnung gibt beide Möglichkeiten her. - Bitte.

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ehrt Sie, Frau Kollegin, dass Sie Fragen gestatten. Lassen Sie mich aber auch eine Bemerkung machen. Kennen Sie das Gutachten des Sachverständigenrates zur Agrarpolitik, insbesondere die Perspektiven, Aussagen und Forderungen, die darin bezogen auf die Fortführung des Direktzahlungssystems enthalten sind? Kennen Sie zum Beispiel die Stellungnahme des an sich doch sehr renommierten Agrarökonomen Professor Isermeyer? Wissen Sie, was er dazu sagt? Können Sie mir vielleicht deutlich machen, worin der Unterschied zwischen seiner Position und Ihrer Position liegt? Warum möchten Sie das so weiterführen?

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe nicht gesagt, dass ich irgendetwas weiterführen möchte. Ich habe gesagt, dass wir diese Direktzahlungen im Bereich der Landwirtschaft in der heutigen Situation, die im Agrarbericht der Bundesregierung aufgezeigt wird, brauchen, dass wir für die Zukunft aber einen Ausstieg haben wollen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat mit dem Modell der Kulturlandschaftsprämie, mit der Forderung nach einer Entkoppelung einen Weg beschrieben, wie man Direktzahlungen sukzessive ablösen kann. Das beinhaltet, dass wir den Landwirten die Möglichkeit geben müssen, ihr Einkommen vollständig am Markt zu erwirtschaften. Das bedeutet, dass wir in Forschung investieren müssen, um eine nachhaltige Produktivitätssteigerung zu erreichen; dies wird so vorgeschlagen. Ich stimme sowohl Professor Isermeyer als auch Professor Schmitz, der dies auf dem Agrarkongress der FDP-Bundestagsfraktion in Kiel noch einmal deutlich gemacht hat, zu, dass wir natürlich im Blick haben müssen, dass wir das Ziel, mehr am Markt zu erwirtschaften, nur über eine nachhaltige Produktivitätssteigerung erreichen können. Diese müssen wir langfristig anlegen, um sicherzugehen, dass genau die Betriebe, die Zukunftspotenzial haben, erhalten bleiben und nicht die Betriebe gestärkt werden, die dieses Zukunftspotenzial nicht haben. Wir wollen nicht, dass jemand seinen landwirtschaftlichen Betrieb aufgeben muss und in Armut fällt. Wir wollen den geordneten Ausstieg mancher Betriebe aus der Landwirtschaft. Wir wollen selbstverständlich sicherstellen, dass die Landwirtschaft Strukturen bekommt, die dazu beitragen, dass die in der Landwirtschaft Tätigen ihr Einkommen selbstständig erwirtschaften können. Da sind wir mit den Wissenschaftlern in keiner Weise auseinander. Aber wir sagen auch: Dies muss sukzessive erfolgen. Es kann nicht von heute auf morgen geschehen. ({0}) Wir brauchen eine Verbraucherethik; diese hat Staatssekretär Müller zutreffend beschrieben. Wir sehen: Aus der Bevölkerung werden Ansprüche an die Landwirtschaft gestellt, aber die Bereitschaft, für entsprechende Produkte mehr zu zahlen, ist vergleichsweise gering. Deswegen müssen wir dafür werben, dass die Menschen die Leistungen, die sie einfordern, auch bezahlen. Ich habe gesagt: Wir brauchen eine nachhaltige Produktivitätssteigerung. Das bedeutet auch, dass wir mehr Forschung brauchen. Zwei unserer Ressortforschungseinrichtungen sind Teile von Exzellenzclustern; Sie wissen das sicherlich. Es handelt sich um das Institut in Mariensee und das Institut in Kiel. Ich finde, beide müssten dafür belohnt werden, dass sie - anders als andere Institute - mit ihrer Forschung international Anschluss gefunden haben. Wir müssen natürlich auch darauf einwirken, dass die Forschungsergebnisse umgesetzt werden. Da gibt es nach wie vor Defizite, zum Beispiel im Bereich der Biomasseproduktion. Kurzumtriebsplantagen haben noch nicht den Stellenwert, den sie laut Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats haben sollten. Die gentechnische Züchtung hat in Deutschland nicht den Rückhalt, den sie braucht. Durch sie werden den Landwirten neue Sorten an die Hand gegeben, die ertragreicher sind und bei denen weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden müssen. Ehec hat uns vor Augen geführt, dass für die Lebensmittelsicherheit nicht die Belastungen mit chemischen Produkten, beispielsweise mit Dioxin - darüber wurde Anfang letzten Jahres gesprochen -, das Problem sind, sondern die Keimbelastungen. Deswegen müssen wir dem Bereich Hygiene sehr viel mehr Stellenwert einräumen als bisher. Wir müssen auch deutlich machen, dass die Vermeidung von Antibiotikaresistenzen wichtig ist. Wir brauchen nach meiner Auffassung auf europäischer Ebene ein Tierwohl-Label auf freiwilliger Basis, wie es von vielen gefordert wird. Dieses zeichnet Tierhaltung mit einem höheren Tierschutzstandard aus. Die Menschen, die diesen fordern, haben dann die Wahl und werden dann aber auch entsprechend mehr für diese Produkte zahlen. Bei der Legehennenverordnung ist nicht Tierschutz das Thema.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Happach-Kasan, ich glaube, Sie können jetzt kein neues Thema mehr ansprechen. Das Minus vor der Zeitangabe zeigt Ihnen, wie weit Sie Ihre Redezeit bereits überschritten haben.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dann werde ich meine Rede abschließen. - Der Bundesratsbeschluss zielt nicht auf Tierschutz, sondern darauf, dass wir uns grundgesetzwidrig verhalten. Dies kann die Bundesregierung natürlich nicht tun. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Alexander Süßmair für die Fraktion Die Linke. ({0})

Alexander Süßmair (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004172, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute vor allem den Agrarpolitischen Bericht 2011 der Bundesregierung. Darin geht es um die Situation der Landwirtschaft von 2007 bis 2010 und um die Ziele der Agrarpolitik. In dem Bericht heißt es so schön - ich zitiere -: Zur Ernährungssicherung einer wachsenden Weltbevölkerung und zur Produktion nachwachsender Rohstoffe ist eine leistungsfähige und sozialverträgliche, Ressourcen schonende, die Biodiversität erhaltende Wirtschaftsweise erforderlich. Alle diese Ziele sind richtig. Man könnte glauben, dass Sie durchaus verstanden haben, worum es geht. Aber stimmt das mit der Agrarpolitik, die Sie betreiben, überein? Ich sage nein. Das beweise ich Ihnen anhand zweier Punkte. Punkt eins. Ihre Politik ist nicht sozialverträglich; denn die Einkommen im ländlichen Raum sind immer noch geringer als die in den industriellen Ballungsgebieten. Das steht auch im Bericht. Dort kann man nachlesen, dass im Wirtschaftsjahr 2009/2010 das durchschnittliche jährliche Bruttoeinkommen eines Landwirts bzw. einer Landwirtin 23 211 Euro betrug. Das sind im Monat etwa 1 934 Euro. Damit lag das Einkommen der Landwirte um 34 Prozent unter dem durchschnittlichen Bruttoeinkommen. Viele Menschen wandern deshalb aus den ländlichen Räumen ab, und viele Betriebe finden keinen Nachfolger. Heute ist Equal Pay Day. Das heißt: gleicher Lohn für die gleiche Arbeit für Männer und Frauen. ({0}) Leider ist es auch im ländlichen Raum so, dass Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn bekommen als Männer. Damit sind Frauen, was ihre Einkommen betrifft, im ländlichen Raum am schlechtesten gestellt. Nur 8 Prozent der Betriebe in der Landwirtschaft werden von Frauen geleitet. Da wundert es nicht, dass vor allem junge, qualifizierte Frauen den ländlichen Raum verlassen. Was steht dazu im Agrarbericht der Bundesregierung? Auf Seite 76 befindet sich eine Tabelle zu Auszubildenden in Agrarberufen. Dort steht das Wort „Molkereifachmann/-frau“. Das ist das einzige Mal, dass in diesem Agrarbericht das Wort „Frau“ überhaupt vorkommt. ({1}) Auf 108 Seiten kein Wort zur Situation von Frauen in der Landwirtschaft, geschweige denn zu gleichem Lohn und Chancengleichheit von Männern und Frauen! ({2}) Das ist ein Armutszeugnis für Ministerin Aigner und ein Tiefschlag für die schwarz-gelbe Bundesregierung. ({3}) Der Trend zur Industriealisierung der Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahren drastisch verstärkt. Durch die Öffnung der Märkte und die Orientierung auf den Weltmarkt sind die landwirtschaftlichen Betriebe einem immer stärkeren Kostendruck ausgesetzt. Dafür müssen dann Hunderttausende von Saisonarbeitskräften aus Osteuropa teils zu Hungerlöhnen schuften, und die Beschäftigten in den Betrieben werden mit niedrigen Löhnen ausgebeutet. Bäuerinnen und Bauern sind immer stärker - das ist schon erwähnt worden - auf die Fördergelder der EU angewiesen, weil sie für ihre Produkte keine fairen Preise bekommen. Immer mehr kleine und mittlere Höfe müssen aufgeben, weil sie diesem Kostendruck nicht mehr standhalten und das Geld für notwendige Investitionen nicht mehr erwirtschaften können. Das ist der völlig falsche Weg. ({4}) In Ihrem Agrarpolitischen Bericht heißt es dazu, das Ziel der Bundesregierung sei, die Exportpotenziale der deutschen Landwirtschaft weiter auszuschöpfen. Das bedeutet nichts anderes, als dass diese Entwicklung weiter vorangetrieben werden soll, auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt. Eine solche sozial und ökologisch unverantwortliche Politik lehnen wir ab. ({5}) Punkt zwei. Ihre Politik ist nicht ressourcenschonend oder nachhaltig. Die Bundesregierung fördert mit der Intensivierung der Landwirtschaft die damit verbundenen Strukturen, hin zu Monokulturen, zu höherem Verbrauch von Energie, zum Einsatz von mehr Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln. Gleichzeitig erleben wir, dass die zunehmende Verknappung von fossilen Energieträgern und Mineraldünger wie Phosphor voranschreitet. Alle Experten sind sich einig, dass die Preise für diese Rohstoffe in den nächsten Jahren stetig steigen werden. Hinzu kommt, dass die Artenvielfalt durch die Intensivierung deutlich abgenommen hat. Etwa 50 Prozent unserer Exporte sind Fleischexporte. Um die dafür notwendige Menge Fleisch zu erzeugen, müssen billige Futtermittel importiert werden. Sie sorgen dafür, dass woanders in der Welt Regenwälder abgeholzt werden. Sie sorgen dafür, dass Menschen von ihrem Land vertrieben werden und unter sozial unzumutbaren Bedingungen auf pestizidverseuchten Feldern arbeiten müssen, und das nur, weil Ihnen kurzfristige wirtschaftliche Erfolge und Profite wichtiger sind als ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Das machen wir nicht mit. ({6}) Eine andere Agrarpolitik ist möglich, und es gibt Alternativen. Die Linke will einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn, ({7}) der auch in der Landwirtschaft gilt. ({8}) Wir brauchen faire Erzeugerpreise in der Landwirtschaft; wir müssen die Marktmacht der Bäuerinnen und Bauern stärken und Erzeugergemeinschaften fördern. Wir wollen die Abkehr vom Dogma des Exports und hin zu regionalen Wirtschaftskreisläufen, damit die Wertschöpfung im ländlichen Raum bleibt, die Umwelt geschont wird und die Menschen wieder eine lebenswerte Perspektive haben. Wir wollen eine gezielte und stärkere Förderung von Betrieben, die gute Arbeitsplätze erhalten, höhere Anforderungen an den Umweltschutz erfüllen, den Tierschutz verbessern und tiergerechte Haltungssysteme betreiben. Wir wollen den Ausbau des Ökolandbaus und auch die Forschung dafür stärken. Wir brauchen endlich eine geschlechterspezifische Förderung im ländlichen Raum. ({9}) Wir brauchen auch eine Handelspolitik, die die Märkte der Entwicklungsländer schützt und den Erzeugerinnen und Erzeugern dort den Verkauf ihrer Produkte zu fairen Preisen ermöglicht, statt ihre Ressourcen auszubeuten. Das verstehen wir unter guten Perspektiven für die Landwirtschaft. Lassen Sie mich noch kurz etwas zu den beiden vorliegenden Anträgen von SPD und Grünen zum Verbot der Kleingruppenhaltung sagen. Das Verbot ist richtig. Wir sind der Meinung, dass Eier aus Legebatterien und aus Käfighaltung so schnell wie möglich verboten werden müssen; auch die Verbraucherinnen und Verbraucher haben im Supermarkt schon längst entschieden. ({10}) Sie kaufen nur noch Eier aus Bodenhaltung, Freilandhaltung oder aus Bio- und Ökolandbau. Nur die Industrie hat ein Interesse an möglichst billigen Eiern aus Legebatterien. Das lehnen wir ab, und deshalb unterstützen wir Ihre Anträge. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Süßmair, es tut mir leid, dass ich auch Sie an die Redezeit erinnern muss.

Alexander Süßmair (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004172, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Nur wenn wir Menschen sorgsam mit Natur und Tier umgehen, haben wir eine Zukunft. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Cornelia Behm das Wort.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Klimaschutz in der Landwirtschaft kommt im Agrarbericht so gut wie gar nicht vor. Dort stehen ein paar Zeilen mit Allgemeinplätzen, aber Handlungsvorschläge für die Land- und Forstwirtschaft sucht man darin vergebens. Dabei kommen wir überhaupt nicht umhin, Klimaschutz und Landwirtschaft zusammenzudenken. ({0}) Inwieweit die Landwirtschaft aber Betroffene des Klimawandels ist oder ob sie ihn bremst oder anheizt, hängt in starkem Maße von der Bewirtschaftungsform ab. In der ersten Lesung zu unserem Klimaschutzantrag hat der Kollege Röring den Vorwurf erhoben, wir würden die Augen vor der Realität verschließen und in ideologische Wunschvorstellungen flüchten, anstatt effektive Lösungswege zu erschließen. ({1}) Herr Röring, diesen Vorwurf müssten Sie ebenso an den Weltagrarrat, an den Sachverständigenrat für Umweltfragen und darüber hinaus an breite Teile der Gesellschaft richten; denn sie erheben die gleichen Forderungen wie die, die in unserem Antrag formuliert sind. Es sind eher die Kollegen aus dem schwarz-gelben Lager, die die Augen vor der Realität verschließen. ({2}) Es ist eine Binsenweisheit, dass energieintensive Bewirtschaftungsformen die Landwirtschaft zum Verursacher von Treibhausgasemissionen machen. Deshalb ist es angesichts der mehrfachen Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft steht - Welternährung, Erhalt der Biodiversität und Klimawandel -, besonders wichtig, die Klimabilanz durch Maßnahmen der Energieeinsparung und -effizienz zu verbessern. ({3}) Die stereotype Antwort von Union und FDP auf diese Herausforderungen ist aber, dass die Landwirtschaft effizient und intensiv betrieben werden muss. In den Augen der Regierungskoalition heißt effizient: industrialisierte Landwirtschaft mit viel und teurer Technik, ({4}) Abbau von Arbeitsplätzen, Massenproduktion und Segregation der Landnutzung zulasten der Biodiversität. ({5}) Für die Agrarpolitiker auf der rechten Seite des Hauses bedeutet intensiv, einige wenige Hochleistungssorten weltweit anzubauen, gentechnisch veränderte Pflanzen zur Absatzförderung für Herbizide, ({6}) chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Stickstoffdünger satt. ({7}) Darin steckt viel Energie. Das hat mit Klimaschutz nichts zu tun. ({8}) Aus grüner Sicht bekommen diese beiden Begriffe, angewandt auf die Landwirtschaft, eine völlig andere Bedeutung. Uns Grünen geht es um ökologische Intensivierung, das heißt die Ressourcen vor Ort effizient nutzen, Innovationen, gut ausgebildete Arbeitskräfte, in regionalen Kreisläufen wirtschaften, Bewahrung der Agrobiodiversität und vielgliedrige Fruchtfolgen mit Stickstoffzehrern, aber auch mit Stickstoffmehrern. Nur so kann man die Landwirtschaft klimatauglich machen. ({9}) Der dauerhafte Erhalt von Grünland und Mooren ist im Hinblick auf die Klimawirkung der Landwirtschaft effizient. Denn hier wird CO2 lang anhaltend gebunden. Die ackerbauliche Nutzung dieser Standorte macht die Landwirtschaft hingegen zum Klimakiller. Übrigens hat die EU gerade erst in der vergangenen Woche Klimabilanzen von Land- und Forstwirtschaften gefordert. Jetzt können Sie sich nicht mehr wegducken. In unserem Antrag haben wir Vorschläge für einen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft gemacht. Sie soll intensiv und effizient für das Klima, für die Welternährung und für die biologische Vielfalt sein - nicht aber für Agrarkonzerne und die Chemieindustrie. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Franz-Josef Holzenkamp für die Unionsfraktion. ({0})

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn einleitend nur noch einmal kurz darauf hinweisen, dass es der erste Agrarbericht ist, der einen Zeitraum von vier Jahren beschreibt. Das zeigt, dass wir damals alles richtig gemacht haben. Wir wollten nämlich erstens weniger Bürokratie, und zweitens haben wir die Aussagekraft erhöht, weil wir sehr volatile Marktpreise in unserer Branche berücksichtigt haben. Es ist also ein guter Einstieg. ({0}) Da uns immer andere Dinge unterstellt werden, möchte ich einen Satz zu unserem Leitbild voranstellen, Frau Behm. Unser Leitbild ist und bleibt eine leistungsund wettbewerbsorientierte, aber familiengeführte bäuerliche Landwirtschaft. ({1}) Das war schon immer so, und das wird auch immer so bleiben. Alle Betriebe sind uns gleich lieb - ob konventionell oder öko, ob groß oder klein. ({2}) Das ist der Unterschied: Wir differenzieren nicht in „gut“ oder „schlecht“, wie Sie dies ideologisch und pauschalisiert tun. ({3}) Meine Damen und Herren, gerade die Vielfalt ist das Besondere an der deutschen Landwirtschaft und am ländlichen Raum. Es geht darum, nachhaltig zu wirtschaften, die Ressourcen effizient zu nutzen und hoch innovativ zu sein. Das gilt für alle Produktionsformen, ob mit Laptop oder mit Gummistiefeln. Wünschen würde ich mir natürlich auch eine höhere Wertschätzung von Lebensmitteln, damit wir in unserer Gesellschaft schneller vorankommen, die Lebensmittelverschwendung weiter abzubauen. Wo stehen wir in der Landwirtschaft aktuell? Wir hatten in diesem Berichtszeitraum einige Krisen zu überwinden. Es gab die Finanzkrise, der die Milchkrise folgte. Wir haben stürmische Zeiten durchleben müssen. Aktuell möchte ich an das Kämpfen mit dem Schmallenberg-Virus erinnern. Außerdem müssen zurzeit viele Bauern aufgrund der Frostsituation ihre Getreideflächen umbrechen. Insgesamt sind wir allerdings relativ stabil, weil - das ist ganz einfach, meine Damen und Herren unsere landwirtschaftlichen Betriebe ihre Hausaufgaben gemacht und den Markt angenommen haben. Sie wollen ihr Geld, ihr Familieneinkommen mit ihren Produkten auf dem Markt, aber nicht mit Subventionen verdienen. Das werden wir politisch begleiten und stärken. Auf uns können sich die Landwirte letztendlich verlassen. Meine Damen und Herren, wir erleben natürlich einen permanenten Strukturwandel, und diesen wird auch niemand von uns aufhalten. Gerd Müller, der Staatssekretär, hat auf die Gesamtbeschäftigung in der Branche hingewiesen, ({4}) und ich will Folgendes noch einmal deutlich sagen: Das Gegenteil von dem, was Sie behauptet haben, Frau Behm, ist tatsächlich Realität. Die Beschäftigtenzahl in der gesamten Kette steigt. ({5}) Sie ist 2011 von etwa 4,6 oder 4,7 auf etwa 5 Millionen Beschäftigte gestiegen. Das heißt, trotz einer Abnahme der Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe um 2 bis 2,5 Prozent hat die Gesamtbeschäftigung zugenommen, und das zeigt, wie innovativ und wirtschaftlich leistungsfähig diese Branche letztendlich ist. ({6}) Ich will auch noch einen Satz zum Export sagen, weil der Export immer pauschal kritisiert wird. Meine Damen und Herren, wenn man importiert, dann muss man auch exportieren. So einfach ist das. Wenn wir wollen, dass die Bevölkerung auf der Welt satt wird, dann gehört Welthandel dazu. Alle Produkte wachsen schließlich nicht überall auf der Welt. Das sollten wir wirklich einmal zur Kenntnis nehmen. ({7}) Wenn Produkte made in Germany weltweit gewünscht werden, wie Autos von BMW, Audi oder Mercedes, freuen wir uns darüber. Darauf können wir uns wirklich etwas einbilden. Aber weil immer behauptet wird, wir seien ausschließlich exportausgerichtet: Schauen wir uns den Saldo bei Import und Export an. Unser Land hat einen Importüberschuss von etwa 16 Prozent. Das ist die Wahrheit, nicht das, was Sie immer behaupten. Noch ein Satz zu der Mär von den Exporterstattungen. Die Exporterstattungen spielen in Europa zurzeit fast keine Rolle mehr. Wir sind für eine europaweite Abschaffung der Exporterstattung, um das deutlich zu sagen. ({8}) Zu den Herausforderungen. Auch wir in Deutschland müssen unseren Beitrag zur Hungerbekämpfung leisten. Wir müssen die Emissionen zur Bekämpfung des Klimawandels reduzieren. Da sind wir uns in der Zielsetzung vollkommen einig. Wir sollen und wollen auch schonend Energie erzeugen. Ich persönlich - Herr Kollege Priesmeier, das haben Sie angesprochen - sage deutlich: Wir haben in meinen Augen die Grenze beim Biomasseanbau erreicht. Diese 2,15 Millionen Hektar in Deutschland sind definitiv genug. Wenn wir mehr machen wollen, müssen wir verstärkt zur Kaskadennutzung übergehen. Das ist vernünftig. Dabei spielt natürlich die Forschung eine zentrale Rolle.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Holzenkamp, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Süßmair von der Fraktion Die Linke?

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sehr gerne. Herr Süßmair, bitte schön.

Alexander Süßmair (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004172, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Holzenkamp, vielen Dank für die Zwischenfrage. - Ich möchte noch einmal auf den Export zu sprechen kommen. Es geht nicht darum - das sagt weder die Linke noch jemand von denen, die den Export kritisieren -, dass wir mit anderen Ländern - ich meine bestimmte Produkte, zum Beispiel Kaffee, Bananen und Ananas, die wir hier nicht anbauen können - Handel treiben. Es geht um Folgendes: Wir konzentrieren uns - das ist ja leider in einigen Branchen, etwa bei der Autoindustrie oder dem Maschinenbau, der Fall - darauf, möglichst immer mehr zu exportieren. ({0}) Sehr viele Ökonomen bescheinigen uns, dass Deutschland durch seine hohen Exportüberschüsse mitverantwortlich für die Euro-Krise ist, ({1}) dafür dass andere Länder ihre Produkte nicht mehr absetzen können, dass dort Arbeitsplätze in Bezug auf den Binnenmarkt verlorengegangen sind. Auch wir haben mit Blick auf den Binnenmarkt viele Arbeitsplätze verloren. Wir haben einen sehr großen Niedriglohnsektor und eine geringe Kaufkraft. Nehmen Sie das Beispiel Griechenland. Griechenland war früher ein Agrarexportland und ist in den letzten Jahren zu einem Agrarimportland geworden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich bitte darum, eine Frage zu stellen.

Alexander Süßmair (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004172, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Daran ist auch Deutschland mit schuld. ({0}) Stimmen Sie mir nicht zu, ({1}) dass es um das richtige Augenmaß geht und nicht darum, mit unseren Produkten - möglichst billig und in Masse hergestellt - andere Volkswirtschaften zu zerstören? Das ist eben nicht nachhaltig. Wir haben das selbst während einer Ausschussreise in Afrika gesehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, Sie haben Ihre Frage gestellt. Sie müssen sie nicht noch zusätzlich kommentieren.

Alexander Süßmair (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004172, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Darf ich aber. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Holzenkamp, würden Sie bitte antworten?

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Süßmair, erstens: Gesamtwirtschaftlich haben wir im Saldo einen Exportüberschuss, aber in der Agrarwirtschaft gerade nicht. Dort haben wir einen Importüberschuss. Wenn Sie Export und Import im Saldo gegenüberstellen, dann sehen Sie: Wir haben einen Importüberschuss von etwa 16 Prozent. Zweitens. Damit schaffen wir Arbeitsplätze. Ich habe vorhin ausdrücklich darauf hingewiesen: Obwohl sich in der Landwirtschaft ein Strukturwandel vollzieht, erleben wir in der gesamten Wertschöpfungskette eine Zunahme von Arbeitsplätzen, gerade in 2011. Das belegt, dass es andersherum ist. Drittens: Bringen wir Arbeitsplätze in anderen Ländern in Gefahr? Die Fokussierung des Exports zielt ausschließlich auf kaufkräftige Länder, gerade auch auf Nichtentwicklungsländer - auf keine anderen. ({0}) Ich habe nicht umsonst betont, dass wir für eine europaweite Abschaffung der Exporterstattung sind, die übrigens heute - vielleicht haben Sie eben nicht genau zugehört - in Europa fast keine Rolle mehr spielt. Also: Wir belasten keine Märkte, besonders nicht in sensiblen Ländern. Die Fokussierung unseres Exports zielt auf kaufkräftige Länder, weil uns diese Länder auch beliefern. Wenn wir einen Importanteil von 40 Prozent bei Milchprodukten haben, dann müssen wir einen Teil unserer Milchprodukte auch wieder exportieren. ({1}) Das lernt man in der Grundschule. ({2}) Meine Damen und Herren, wir verbessern die Wettbewerbsfähigkeit in der Landwirtschaft. Die Stichworte Agrardiesel und Erbschaftsteuer sind schon gefallen. Wir schützen Eigentum und bauen Wettbewerbsverzerrungen ab. Wir sorgen für soziale Absicherung in den landwirtschaftlichen Familien. Wir haben gerade den Bundesträger in unserer Landwirtschaftlichen Sozialversicherung geschaffen. Wir sorgen für die Verbesserung von Futtermittel- und Lebensmittelsicherheit - stellvertretend nenne ich nur den „Dioxin-Aktionsplan“ -, wobei wir permanent nachjustieren, und wir sorgen für einen umfangreichen Natur- und Umweltschutz. Beispielhaft sei das Pflanzenschutzgesetz erwähnt, das einen zusätzlichen EU-weiten Schutz der Natur und der Produkte in diesem Bereich gewährleistet. ({3}) Was bleibt zu tun? Tierschutz ist schon angesprochen worden. Hier haben wir einiges vor. Die Novelle ist in der Bearbeitung. Damit werden wir uns in Kürze beschäftigen. Ich möchte in Richtung Opposition auf Folgendes hinweisen: Egal ob man für oder gegen Käfighaltung ist: Es hat sich bei den Hühnern gezeigt, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, wenn die einen etwas machen und die anderen nicht. Wir alle wissen, dass ab 1. Januar 2013 in der Sauenhaltung die Gruppenhaltung Pflicht wird. Wir müssen dafür sorgen - ich fordere die Bundesregierung auf, alles zu tun, was in ihrer Kraft steht, und entsprechenden Druck auszuüben -, dass die Umsetzung einheitlich erfolgt. Es kann nicht sein, dass die Sauenhalter in Deutschland darunter leiden, dass andere Länder die Vorgabe nicht umsetzen, wie dies bei den Hühnern der Fall ist. ({4}) Das kann nicht sein. ({5}) Noch kurz zur GAP: Die GAP soll fairer, grüner und einfacher sein. Staatssekretär Müller hat schon im Kern dazu Stellung genommen. Wenn wir mehr leisten und effizienter produzieren sollen, dann kann es nicht sein, dass jeder Betrieb, unabhängig davon, wie er gelagert ist, 7 Prozent seiner Fläche stilllegen muss. Es ist politischer Unsinn, so etwas zu beschließen. ({6}) Das muss man über Freiwilligenprojekte der zweiten Säule machen. Hierbei waren wir bisher sehr erfolgreich. 40 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland führen auf 25 Prozent der Gesamtfläche Agrarumweltmaßnahmen durch. Das kann sich sehen lassen. Das wollen wir gerne weiter ausbauen. Deshalb ist es auch wichtig, den Flächenverbrauch zu reduzieren. ({7}) Wir verbrauchen immer noch 90 bis 100 Hektar am Tag. Ich lade die Opposition herzlich ein, mitzumachen, etwas für den qualitativen Naturschutz zu tun, damit wir nicht weiter jeden Tag so viel Fläche verbrauchen. Abschließend ein Hinweis: Wir haben uns viel vorgenommen, um den Dialog mit unserer Gesellschaft zu verbessern. ({8}) Immer mehr Menschen wissen nicht mehr, was Landwirtschaft ist, insbesondere eine moderne, arbeitsteilige Landwirtschaft, die beispielsweise Sie überhaupt nicht wollen. Wo es Nichtwissen gibt, entstehen Freiräume für Ideologien, und von manchen wird ein Spiel mit den Ängsten betrieben. Daraus resultiert letztendlich Technologiefeindlichkeit. Wir, die Bundesregierung und insbesondere unsere Ministerin, Frau Aigner, haben den Charta-Prozess initiiert, um zu einem stärkeren Dialog zu kommen. Das unterstützen wir mit aller Kraft. Das sollten wir auch gemeinsam tun, damit wir den Menschen in unserer Gesellschaft, die zunehmend urban leben, wieder zu einem Wissen darüber verhelfen können, wie Landwirtschaft funktioniert. Herzlichen Dank und später ein schönes Wochenende. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege Heinz Paula. ({0})

Heinz Paula (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003606, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Ich möchte Frau Ministerin Aigner eines zugutehalten: Sie hat sowohl im Agrarbericht als auch in ihrem Tierschutzbericht 2011 ein Problem erfasst, nämlich die Kleingruppenkäfighaltung bei Legehennen. Ich darf aus dem Agrarbericht zitieren: … sind die Anforderungen an die Legehennenhaltung aufgrund eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur Kleingruppenhaltung bis April - also in kurzer Zeit neu zu regeln. Weiter heißt es: Die Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung wird keine Regelungen für Kleingruppenhaltung mehr vorsehen, aber einen angemessenen Bestandsschutz beinhalten. Was versteht nun unsere Tierschutzministerin Aigner unter „angemessen“? Bestandsschutz bis 2035! 23 Jahre! ({0}) Wieder einmal verschleppt die Ministerin ein Problem, weil sie nicht klar entscheidet, ({1}) und das, obwohl sich hinter den lapidaren Sätzen des Agrarberichts das Elend von über 4,5 Millionen Legehennen in Deutschland verbirgt, obwohl hinter diesen Sätzen der Kampf Abertausender Bürgerinnen und Bürger für mehr Tierschutz steckt, wie er in unserem Grundgesetz verbürgt ist, und obwohl von allen Seiten gefordert wird, dass Frau Aigner endlich handelt: das Bundesverfassungsgericht, einstimmig der Bundesrat mit allen Ministerpräsidenten, darunter auch Herr Seehofer aus Bayern, Frau Kollegin Mortler. Allerorts und parteiübergreifend kämpft man gegen den Unwillen der Bundesregierung, eine Verordnung vorzulegen, die die Kleingruppenhaltung von Legehennen zumindest in absehbarer Zeit beendet. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, ich weise auf Art. 20 a unseres Grundgesetzes hin - ich zitiere -: Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere … Sie wissen, dass Legehennen auch nach dem Verbot der konventionellen Käfighaltung weiterhin in Käfigen, mehrere Etagen übereinander, gehalten werden. Wissen Sie eigentlich auch, was das für ein Huhn bedeutet? Das bedeutet, dass ein Huhn sein Leben auf sage und schreibe eineinhalb DIN-A-4-Blättern fristen muss. In dieser drangvollen Enge der Käfige herrscht absoluter Bewegungsmangel, was bei den Hennen zu erheblichen gesundheitlichen Schäden führt. Sie können ihr arttypisches Verhalten nicht ausleben. Die Folgen sind klar: Kannibalismus und Federpicken. Diese Haltung ist nicht tierartgerecht. Sie ist schlicht und ergreifend Tierquälerei. ({2}) Herr Kollege Holzenkamp, ich muss immer wieder feststellen: Hier werden mehr die Lobbyisten als die Tiere geschützt. Dabei war bereits 1999 allen klar, dass die Käfighaltung keine Zukunft haben wird. Die EU hat eine entsprechende Richtlinie erlassen. Das Bundesverfassungsgericht hat die konventionelle Käfighaltung verboten. Rheinland-Pfalz hat 2006 eine Normenkontrollklage gegen die Regelung zur Kleingruppenhaltung eingereicht. Dieser wurde 2010 stattgegeben. Die Folge war eine bemerkenswerte Vorgehensweise: Über alle Parteigrenzen hinweg hat sich der Bundesrat auf einen Kompromissvorschlag der Länder Niedersachsen und Rheinland-Pfalz geeinigt. Grundlage war übrigens ein Gutachten von KTL, einer hochanerkannten Einrichtung. Die Kleingruppenhaltung muss also spätestens 2023 - spät genug, wie ich finde - endlich beendet werden. Jetzt müsste Frau Ministerin endlich eine Entscheidung treffen. Aber was tut sie? Sie verweigert sich und blockiert. Ich kann nur feststellen: Diese Regierung verweigert die Arbeit. ({3}) Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, dass die Kompetenz Ihrer Justizminister - von Frau Merk aus Bayern, Herrn Hahn aus Hessen und Herrn Busemann aus Niedersachsen - nicht ausreicht, die von Ihnen angeführten verfassungsrechtlichen Bedenken zu klären. Sie erreichen mit Ihrer Vorgehensweise des Nichtentscheidens nur eines: Es wird ein totales Chaos ab April in unserem Land geben, einen Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, hier ein zusätzliches Bürokratiemonster zu schaffen. Das steht im Gegensatz zu Ihrem angekündigten Bürokratieabbau, Herr Kollege Holzenkamp. ({4}) Sie sollten endlich aufhören, zu lamentieren, dass es sich hier um einen ungerechtfertigten Eingriff ins Eigentum handele. Wir wissen seit 1999, wohin die Entwicklung geht. Wir wissen auch, dass Planungssicherheit für die Produzenten ein ganz entscheidendes Moment darstellt. Handeln Sie also endlich, machen Sie Nägel mit Köpfen, damit Klarheit herrscht! Denn die Verbraucher und die Produzenten, die Industrie insgesamt, sind schon um ein Vielfaches weiter als Sie. Nehmen Sie zum Beispiel Aldi, Edeka, Dr. Oetker, Birkel usw.: Sie verwenden keine derartigen Käfigeier mehr. Auch die Verbraucher sagen zu über 90 Prozent, dass sie auf durch Käfighaltung gewonnene Eier verzichten. Handeln Sie endlich so, wie die Kunden und die Produzenten es wollen! ({5}) Frau Ministerin bzw. Herr Staatssekretär, Sie wissen doch ganz genau, was auf dem Spiel steht, dass dringender Entscheidungsbedarf besteht, dass Sie endlich auch beim Tierschutz zumindest eine Maßnahme ergreifen müssen. Bislang sind Sie, was den Tierschutz anbelangt - in aller Deutlichkeit gesagt -, ein Totalausfall. ({6}) Nutzen Sie die Steilvorlage des Bundesrates und sorgen Sie dafür, dass Sie nicht nur in Ihrem Parteinamen das Wort „christlich“ führen. Ich darf Sie daran erinnern: Christliche Werte bedeuten den Schutz aller Geschöpfe. An der Stelle darf ich Ihnen einfach einmal ein kurzes Zitat aus der Bibel vorlesen - 1. Buch Mose -: ({7}) Hiermit schließe ich meinen Bund mit euch und mit euren Nachkommen und mit allen Lebewesen bei euch, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Tieren des Feldes, mit allen Tieren der Erde … Handeln Sie entsprechend! ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Edmund Peter Geisen. ({0})

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat es geschafft, Herr Paula, ihr eigenes Land zu missionieren. Aber Sie sind nicht in die Welt hinausgezogen, um die Käfighaltung oder die Kleingruppenhaltung zu beschränken oder zu verhindern. Deswegen werden wir zu dieser Osterzeit keine deutschen Eier auf dem Tisch haben. ({0}) Vielmehr werden 50 Prozent der verarbeiteten Eier aus dem Ausland aus Käfighaltung kommen. Das haben die Bürger Ihnen zu verdanken. ({1}) Diese Probleme kann man nur auf europäischer oder internationaler Ebene lösen, aber nicht so, wie Sie es getan haben und wie Sie es weiterhin tun wollen. Im Gegensatz zur Opposition sind wir in der christlich-liberalen Koalition uns einig, wenn wir feststellen: Ganz Deutschland profitiert von einer prosperierenden Landwirtschaft und von den dadurch blühenden und lebendigen ländlichen Räumen. Keine Landwirtschaft ohne ländliche Räume und keine ländlichen Räume ohne Landwirtschaft. ({2}) Dies bestimmt auch die Zielsetzungen und die Ausrichtung der christlich-liberalen Politik. Nicht ideologische Gefechtsdebatten führen zum Erfolg, sondern die kontinuierliche erfolgreiche Agrarpolitik der Regierungskoalition. ({3}) Im Agrarbereich ist Praktikabilität gefragt, die sich an den Naturgegebenheiten ausrichtet. Nur eine effiziente Landwirtschaft, die nachhaltig, standortbezogen und umweltgerecht ist und die den bäuerlichen Unternehmen ökonomische Erfolgschancen belässt, hat eine gute Zukunft in Deutschland. ({4}) Genau das wollen wir von der christlich-liberalen Koalition. Deshalb haben wir in den vergangenen zwei Jahren auf Rückendeckung für die und Stabilisierung der Landwirtschaft gesetzt. Dies haben wir weitgehend erreicht, zum Beispiel mit dem Sofortprogramm, mit der Abschaffung von Marktordnungen, durch die Stabilisierung der Sozialversicherungssysteme - gestern hat die SPD sich erneut geweigert, die Übergangsfinanzierung mitzugestalten ({5}) oder mit dem Abbau wettbewerbsverzerrender Unterschiede wie beim Agrardiesel; auch dagegen haben Sie sich immer wieder ausgesprochen. ({6}) Wir meinen, dass ein verstärkter Flächenschutz - also weniger Flächenverbrauch außerhalb der Landwirtschaft - unser Ziel sein muss. Wir haben uns vorgenommen, den Flächenverbrauch ganz gravierend zu reduzieren. ({7}) Das gilt auch für die Dinge, die mit dem EEG und der Energieversorgung zusammenhängen. Wir müssen neue Wege gehen, was den Flächenverbrauch angeht. Der deutschen Landwirtschaft geht es heute viel besser als in den Jahren vor der christlich-liberalen Koalition. ({8}) Diese Entwicklung wollen wir von der FDP-Fraktion auf jeden Fall mit Ministerin Aigner fortsetzen. Die Bäuerinnen und Bauern müssen auch künftig Freude und Erfüllung in ihrem Beruf finden. Das nützt unserer gesamten Gesellschaft. Leider wird immer wieder versucht, den ganzen Berufsstand aufgrund von einzelbetrieblichen Missständen zu verunglimpfen, und es werden immer wieder viel strengere Anforderungen an unsere heimische Landwirtschaft gestellt als an den Rest der Welt. Hiergegen wenden wir uns als FDP-Politiker mit aller Macht; denn das ist Wettbewerbsverzerrung. ({9}) Wir sind selbstverständlich für Tierschutz, für Umweltschutz, für Klimaschutz, und wir sind auch für höchste Produktqualität. Das kann gar nicht anders sein. Alles macht aber nur Sinn, wenn wir die Anforderungen, die wir an unsere Landwirtschaft stellen, auch an alle in der EU in gleicher Weise stellen. ({10}) Wir können uns nicht mehr leisten, unserer Land- und Ernährungswirtschaft ständig neue Wettbewerbsnachteile aufzubürden. Damit erweisen wir uns allen einen Bärendienst. Wir erreichen lediglich, dass wir auf Produkte anderer angewiesen sind. Damit helfen wir weder unserer Landwirtschaft noch dem Umwelt- und Tierschutz - und dem Verbraucher schon gar nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Geisen, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir sollten auch vor Ostern mit gutem Appetit Ostereier essen, auch wenn sie nicht aus Deutschland kommen. Auch die Ostereier aus anderen Ländern sollen schön aussehen, schön gefärbt sein und sollten uns allen sehr gut schmecken. ({0}) Ich wünsche Ihnen allen eine frohe Osterzeit. Schönen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat das Wort der Kollege Friedrich Ostendorff von Bündnis 90/Die Grünen.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen mitten in der gesellschaftlichen Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft, über gesunde Lebensmittel, über den verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und den Ressourcen, über den Erhalt von Landschaften und Arten, über Gentechnikfreiheit und über hohe Tierschutzstandards. ({0}) All das erwarten die Menschen von einer Zukunftslandwirtschaft. Das hat uns auch der Charta-Prozess im letzten Jahr gezeigt. Leider prallt diese Debatte immer wieder an den Mauern des Ministeriums ab. Im Agrarbericht 2011 handelt die Ministerin auf einem Drittel einer Seite der insgesamt 108 Seiten das große Zukunftsthema ab, das die Menschen bewegt: die Beendigung des hundertmillionenfachen Leides der Nutztiere in den Agrarfabriken. ({1}) Die Menschen haben die vielen Lippenbekenntnisse und Ankündigungen zum Tierschutz restlos satt, sie wollen endlich Taten sehen, sie wollen Bauernhöfe statt Agrarfabriken, aber Sie von der Regierungskoalition werden diese Menschen wieder enttäuschen. ({2}) Herr Müller, was bieten Sie denn an? Zum x-ten Mal kündigen Sie an, die Haltung von Kaninchen zu regeln. Erst heute haben Sie das wieder getan. ({3}) Auch in diesem Herbst soll einmal wieder das umgesetzt werden, was Sie im Frühjahr angekündigt haben. Aber die Blätter werden wohl wieder eher von den Bäumen fallen, als dass sich für die Kaninchen etwas verbessert. ({4}) Weiterhin völlig ungeregelt bleibt die Großbaustelle der widerwärtigen Haltung von Puten - Klammer auf: drei Putenhähne mit 20 Kilogramm Gewicht pro Quadratmeter Stallfläche, Klammer zu. Hier brauchen wir dringend scharfe gesetzliche Regelungen. Doch Sie, Herr Müller, tun nichts. ({5}) Völlig absurd und ein Skandal ist das Nichthandeln von Frau Aigner bei den Legehennen. Noch im Juli 2011 wollte sie der Käfighaltung per Verordnung einen Bestandsschutz bis 2035 geben, für ein weiteres Vierteljahrhundert. Diese Regelung wurde zum Glück im Bundesrat zu Fall gebracht. ({6}) Daraufhin verkündete die Ministerin beleidigt, nun gar nichts mehr zu tun. Der vom Bundesrat beschlossene Lindemann-Höfken-Kompromiss des Übergangs bis 2023 löste auch bei uns Grünen keine Freudenschreie aus, aber gegenüber dem Ursprungsentwurf war er ein klarer Fortschritt für den Tierschutz. ({7}) Herr Staatssekretär, Sie machen verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Ich denke, wir dürfen Ihrem Kollegen Lindemann schon zutrauen, dass er das geprüft hat. Wir kennen ihn hier in Berlin und wissen das einzuschätzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Wahrheit ist es doch so: Frau Aigner ist wieder einmal vor den Drohgebärden der Agrarlobby eingeknickt. Herr Staatssekretär, wenn es hart auf hart geht, haben Sie den Tierschutz immer noch hinten herunterfallen lassen. Mit uns Grünen ist das nicht zu machen. ({8}) Wir fordern Sie auf: Setzen Sie die Verordnung des Bundesrates zur Legehennenhaltung unverzüglich um! Beenden Sie hier die Anarchie, die droht! Geben Sie den Betrieben Klarheit für ihre weitere Planung, und beenden Sie endlich die tierschutzwidrige Käfighaltung! ({9}) Weiteres Nichthandeln ist unverantwortlich. Sie haben die Ethik bemüht. Ich glaube, es wäre auch aus ethischen Gründen unverantwortlich. Sprechen Sie nicht nur von Ethik! Handeln Sie danach! ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Johannes Röring von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Behm, Herr Paula, dass Sie sich in den letzten Jahren ein gefährliches Halbwissen über Landwirtschaft angeeignet haben, war mir bekannt. Aber dass Sie, Herr Ostendorff, das mit Ihrer Ausbildung als Landwirt auch noch wiederholen, finde ich nicht okay. ({0}) Ich hoffe, es haben viele Landwirte zugehört. ({1}) Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Debatte über einen Antrag der Grünen zum Klimaschutz zu sprechen. Ich glaube, an diesem Antrag können wir erkennen, dass Künstler am Werk waren: Künstler der grünen Schwarz-Weiß-Malerei. Sie haben im Antrag versucht, die konventionelle Landwirtschaft für die Probleme im Klimaschutz und für die Hungerproblematik verantwortlich zu machen, und bevorzugen darin einseitig den Ökolandbau - grüne Schwarz-Weiß-Malerei eben. Auch Ihr Versuch, Keile zwischen die verschiedenen Produktionsrichtungen zu treiben, wird keinen Erfolg haben. Unserer Ministerin Frau Aigner ist es ja im Charta-Prozess gelungen - Herr Müller wird es ihr ausrichten -, ({2}) die Gräben zwischen diesen Produktionsrichtungen zuzuschütten. Wir finden das sehr gut. Liebe Kollegen der Grünen, Sie schlagen die Schlachten der Vergangenheit. ({3}) Es gibt viele Themen, bei denen konventionell wirtschaftende Bauern von den ökologisch wirtschaftenden viel lernen können; genauso gilt das umgekehrt. ({4}) Eines ist aber Fakt - das sollten wir nicht unterschätzen -: Es wird in den nächsten Jahren mehr pflanzliche Biomasse benötigt. Wenn der Ökolandbau dies nicht mit nachhaltiger Ertragssteigerung schafft, hat er eben eine schwierige Zukunft. ({5}) Ihr Antrag lässt völlig außer Acht, dass Effizienzsteigerung und Intensivierung in der Landwirtschaft kein Selbstzweck sind, sondern der Sicherung der Lebensmittelversorgung dienen. Das blenden Sie in Ihrem Antrag schlichtweg aus. ({6}) Dabei wissen Sie doch - der Kollege Holzenkamp hat es gesagt -: ({7}) Deutschland ernährt sich nicht selber. Wir würden unsere Export-Import-Bilanz noch verschlechtern, wenn wir Ihrem Antrag folgen würden. Ökolandbau bedeutet nun einmal: auf viel Fläche wenig erzeugen. Das Gegenteil ist aber, wie ich glaube, in Zukunft notwendig. ({8}) Sie werfen in Ihrem Antrag zur Klimabilanz im Ackerbau der Landwirtschaft vor, durch den Ausstoß von Treibhausgasen Mitverursacher des Klimawandels zu sein. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass der Ausstoß von Wasserdampf, Kohlendioxid, Methan und Lachgas aus der Natur und eben auch aus der Landwirtschaft dazu beiträgt, ({9}) dass die Erde nicht vereist, dass es einen Mantel aus Spurengasen gibt, dass die Wärme nicht entweicht, dass wir plus 15 und nicht minus 18 Grad auf der Erde haben. Zusätzliche Emissionen fossiler Art, die klimarelevant sind, wie die Nutzung fossiler Energie zum Beispiel für schöne Flugreisen, sind eine Hauptursache. ({10}) Nur, wenn man Ihren Antrag liest, könnte man glauben, die moderne Landwirtschaft sei der Übeltäter. ({11}) Landwirtschaft - und das sollten alle wissen - ist der einzige Wirtschaftszweig, der in der Lage ist, durch Pflanzenwachstum und Humusbildung CO2 zu binden. ({12}) Die bedarfsgerechte Intensivierung ist also nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Wir werden gerade wegen der vor uns liegenden Herausforderung nicht umhinkommen, die Leistungsfähigkeit unserer Kulturpflanzen zu steigern. Sonst können wir weder Teller noch Tank bedienen. Wir wollen beides. ({13}) Anstelle von ganzheitlichen Lösungen haben Sie uns wieder ein Instrumentarium aus der grünen Tonne geliefert. Sanktionen und Abgaben sind Ihre Lösung. Damit wollen Sie die konventionelle Landwirtschaft einseitig belasten. Sie fordern die Abschaffung der Steuerbegünstigung für Agrardiesel, der Befreiung von der Kfz-Steuer sowie die schrittweise Aufhebung der Energiesteuerermäßigung. Mit diesem steuerpolitischen Rundumschlag treffen Sie aber die konventionelle und die ökologische Landwirtschaft gleichermaßen; denn sie ackert auch nicht mehr mit Ochs und Esel. Beim Agrardiesel geht es nur um Wettbewerbsfähigkeit. ({14}) Sie fordern weiter eine Stickstoffüberschussabgabe, um die Optimierung des Stickstoffeinsatzes zu erreichen. Optimierungen werden aber nur selten durch Sanktionen erreicht. Ohne Stickstoffdüngung - das sollten wir wissen - kann keine Landwirtschaft betrieben werden, die den Hunger der Menschen nur annähernd stillen kann. Wir sollten uns darüber Gedanken machen, wie wir neue Techniken zur Optimierung der Stickstoffdüngung - Sensoren, Dosierung - fördern können. Ihr Antrag ist der klägliche Versuch, den Ökolandbau und die konventionelle Landwirtschaft über die Klimaschiene gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen Lösungsansätze, die auf Sachkunde und nicht auf Ideologie beruhen. KlimaJohannes Röring freundliche Agrarpolitik und agrarfreundliche Klimapolitik sind keine Gegensätze. Sie sollten vernünftig miteinander verbunden werden. Ich komme zum Schluss. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich vermisse in Ihrem Antrag einen ganz wichtigen Punkt. Das ist die Tatsache, dass wir jeden Tag über 100 Hektar Produktionsfläche für Lebensmittel unwiederbringlich verlieren. ({15}) Das ist für mich nicht hinnehmbar. ({16}) Dazu sagen Sie in Ihrem Antrag überhaupt nichts. Wir sollten gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, die landwirtschaftliche Nutzfläche, Acker und Grünland, ebenso unter Schutz zu stellen wie unseren Wald und unsere Feuchtgebiete. Ihr Antrag ist nicht zielführend. Deswegen lehnen wir ihn ab. Vielen Dank. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/5810 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/4888. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2487 mit dem Titel „Klimabilanz im Ackerbau verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der SPD und der Linken angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9028 mit dem Titel „Kleingruppenhaltung für Legehennen endgültig beenden“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD, Linken und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9035 mit dem Titel „Verordnung zur Kleingruppenhaltung unverzüglich in Kraft setzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Kühn, Sven-Christian Kindler, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verlässliche Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs - Fortführung der Kompensationsmittel nach dem Entflechtungsgesetz - Drucksache 17/8918 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Stephan Kühn von Bündnis 90/Die Grünen.

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein leistungsfähiger und hochwertiger öffentlicher Personennahverkehr war noch nie so wichtig wie heute. Der ÖPNV leistet einen unverzichtbaren Beitrag dazu, dass Mobilität umwelt- und klimagerecht ermöglicht wird. Der ÖPNV ist mehr als doppelt so energieeffizient wie der Pkw-Verkehr. Der Ausbau des ÖPNV ist ein wichtiger Beitrag zur Verkehrssicherheit. Bus- und Bahnfahrten sind 50-mal sicherer als die Fahrt im eigenen Fahrzeug. Die Kosten pro Personenkilometer sind im Auto viermal höher als die im ÖPNV. Eine aktuelle Studie, die gestern von der Allianz pro Schiene und dem Verbraucherzentrale Bundesverband veröffentlicht wurde, hat ergeben, dass 24 Prozent der Deutschen ihre Mobilität aus Kostengründen eingeschränkt haben. Mobilitätsarmut ist ein Problem. Ich sage ganz deutlich: Soziale Teilhabe kann nur mit öffentlichem Verkehr gewährleistet werden. ({0}) 2011 nutzten in Deutschland fast 10 Milliarden Fahrgäste Busse und Bahnen. Die Zahl der Fahrgäste wächst beständig. So sichert der ÖPNV in diesem Land die Arbeitsplätze von 240 000 Menschen. Als Ergebnis der Föderalismusreform I fällt die Gemeindeverkehrsfinanzierung nach Ablauf des Jahres 2019 vollständig den Ländern zu. Die derzeitigen Finanzhilfen des Bundes in Höhe von 1,335 Milliarden Euro für ÖPNV-Infrastrukturinvestitionen - einschließ20122 lich Fahrzeuge, Infrastruktur und Erhalt des Straßennetzes - sind nur noch bis Ende 2013 gesichert, ebenso die Zweckbindung dafür. Im Entflechtungsgesetz wurde verankert, dass für den Zeitraum 2014 bis 2019 zwischen Bund und Ländern Einvernehmen darüber erzielt werden soll, in welcher Höhe die Finanzmittel für den Umweltverbund weiter erforderlich sind. Der Bedarf ist für jeden ersichtlich; der Erhaltungsrückstand in der Infrastruktur wächst an. Allein für den Substanzerhalt wären 550 Millionen Euro pro Jahr notwendig; den Verkehrsunternehmen fehlen aber 300 Millionen Euro. ({1}) Der Investitionsrückstand wird mittlerweile auf 2,5 Milliarden Euro beziffert. Jetzt, wo die Spritpreise wieder auf Rekordniveau klettern, will die Bundesregierung die Mittel für die ÖPNV-Finanzierung zusammenstreichen und versucht, in den Verhandlungen mit den Ländern ein lineares Abschmelzen der Kompensationszahlungen nach dem Entflechtungsgesetz bis 2019 auf null durchzusetzen. Man hört auch einen anderen Vorschlag, nach dem 50 Prozent der Mittel durchgehend bis 2019 gekürzt werden sollen. Anstatt den positiven Trend der steigenden ÖPNV-Nutzung zu stützen, will sich die schwarz-gelbe Regierung bereits vor 2019 aus der Nahverkehrsfinanzierung zurückziehen. ({2}) Die Aussage der Bundesregierung, die Sicherung der Finanzierung des ÖPNV und des kommunalen Straßenbaus sei eine wichtige Zukunftsaufgabe, bleibt so ein Lippenbekenntnis. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verunsicherung bei den Verkehrsunternehmen und den ÖPNV-Aufgabenträgern kann sich jeder von uns in seinem Wahlkreis anschauen. Viele notwendige und sinnvolle Ausbauvorhaben von Stadt- und Straßenbahnen zwischen Aachen und Görlitz, Flensburg und Freiburg liegen auf Eis, weil den Unternehmen schlichtweg die Planungssicherheit genommen wurde. Dabei dürfte doch weitgehende Einigkeit darin bestehen, dass der ÖPNV weiter ausgebaut werden muss; auf seine Vorzüge habe ich eingangs hingewiesen. Nur mit einem starken ÖPNV werden wir die Klimaschutzziele im Verkehrssektor erreichen und die Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden erhalten können. ({3}) Dafür brauchen wir aber eine solide und verlässliche Finanzierungsgrundlage. Die ist zurzeit nicht gegeben. Daher fordern wir in unserem Antrag die Bundesregierung auf, mit den Ländern mindestens eine Verstetigung der Finanzhilfen bis 2019 zu vereinbaren. Im Gegenzug - das sage ich auch - müssen sich die Länder verpflichten, diese Mittel tatsächlich für Investitionen in die Verkehrsmittel des Umweltverbundes zu verwenden. ({4}) Meine Damen und Herren, es geht jetzt darum, Brüche bei der Finanzierung von ÖPNV-Projekten zu verhindern, bis 2019 die bestehenden Instrumente zu erhalten, eine verlässliche Grundlage für die Finanzierung des ÖPNV zu sichern und, wenn das gelungen ist, sich Gedanken darüber zu machen, wie es nach 2019 weitergeht. ({5}) Für diese Zukunftsaufgabe schlagen wir die Einrichtung einer Kommission vor, in der gemeinsam nach neuen Finanzierungsinstrumenten gesucht wird. Jetzt geht es darum, die Brücke nicht abzureißen, sondern zu erhalten, im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsinfrastrukturfinanzierung. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Tillmann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Lieber Herr Kühn, wir hatten eine Kommission, die sich genau mit diesem Thema befasst hat, nämlich die Föderalismuskommission I. Das, was im Entflechtungsgesetz festgelegt worden ist, entspricht genau dem über Parteigrenzen hinaus erzielten Ergebnis der Föderalismuskommission I. Wir wollten eine Entflechtung der Gemeinschaftsaufgaben. Wir wollten eine klare Zuteilung der Zuständigkeiten an die verschiedenen staatlichen Ebenen. Wir wollten - insbesondere im Hinblick auf die Schuldenbremse -, dass die einzelnen staatlichen Ebenen unverflochten für ihre eigenen Haushalte zuständig sind. ({0}) Auch Ihre Kolleginnen und Kollegen haben damals mitgemacht. Vielleicht lag es daran, dass Ihre Finanzpolitiker beraten haben. Es ist ein deutliches Zeichen, dass heute zwar Herr Fricke spricht, aber kein Finanzpolitiker der Opposition. Ich glaube, das zeigt sehr deutlich, worum es in Ihrem Antrag geht: Es geht nicht um den ÖPNV, auch nicht um den kommunalen Straßenbau, sondern ausschließlich um mehr Geld. ({1}) Ich glaube, da sind die Haushaltsberatungen der bessere Weg. Herr Fricke wird mit Sicherheit gleich darauf zu sprechen kommen. Um Ihnen zu beweisen, dass wir den Inhalt des Entflechtungsgesetzes völlig einvernehmlich in der Föderalismuskommission I beschlossen haben, zitiere ich zwei Kollegen. So hat der Kollege Rainder Steenblock von Bündnis 90/Die Grünen zum Bereich der Verkehrsfinanzierung ausgeführt - ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten -, dass dies „regionale Themen“ seien, „die die Länder bzw. die Kommunen von der Planung und Verwaltung her wahrscheinlich sehr viel besser realisieren können“. ({2}) Ich zitiere weiter: Deshalb wäre es schon vernünftig, in den folgenden Gesprächen noch einmal zu überlegen, ob diese Aufgabe und damit natürlich auch die Mittel, die der Bund den Ländern dafür zur Verfügung stellt …, den Ländern übertragen werden könnte. Diese Kompetenzen können die Länder originär wahrnehmen, und dadurch würden auch ihre Planungskapazitäten nicht überfordert, weil sie auf diesem Gebiet häufig schon im Wege der Auftragsverwaltung tätig sind. Mit einer solchen Lösung könnten die Länder ihre ureigenen Aufgaben in diesem Bereich wahrnehmen. Der Kollege Kröning von der SPD ist noch deutlicher geworden. ({3}) In der Arbeitsunterlage 0009 der Kommission fasst er korrekt zusammen: Die dauerhaften Finanzhilfen zur sozialen Wohnraumförderung und zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden sind Beispiele für Fehlentwicklungen im Bereich der Finanzhilfekompetenz des Art. 104 a Abs. 4 GG. Diese Finanzhilfen, die letztlich auf entsprechende Bundesfördermaßnahmen aus der Zeit vor der Finanzreform 1969/70 zurückgehen, haben sich zu einem stetigen Finanztransfer entwickelt, der auf konkrete Bedarfssituationen keine Rücksicht nimmt. Im Bereich des GVFG wird ein festgeschriebener Teil des Mineralölsteueraufkommens dauerhaft nach einem abstrakten Bedarfsschlüssel ({4}) auf die Länder verteilt … Schematisch verfestigte und keiner echten Kontrolle unterliegende Finanztransfers wie in den Bereichen „Soziale Wohnraumförderung“ und „Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz“ sind zukünftig zu vermeiden… Dazu bedarf es einer grundsätzlichen Befristung von Finanzhilfen - ich bin gespannt, was der SPD-Kollege gleich fordert und einer Verstärkung der Wirksamkeitskontrolle bezüglich der Zielerreichung, abgesichert auf Verfassungsebene. Das ist ein Originalzitat aus der Arbeitsunterlage 0009 des SPD-Kollegen Kröning. Er hatte recht, als er das geschrieben hat. Diese Zitate zeigen, dass wir uns in der Föderalismuskommission I einig waren, einen Ausstieg aus der Mischfinanzierung vorzunehmen. Lieber Kollege Kühn, das ist nichts, was FDP und CDU/CSU zusammen beschlossen hätten; das ist etwas, was die Große Koalition zusammen beschlossen hat. Ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen den Ergebnissen der FöKo I ebenfalls zugestimmt hätten, wenn der Bildungsbereich nicht gewesen wäre. Sie waren in diesem Bereich, gerade auch was das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz anbelangt, mit uns einer Meinung. ({5}) Nun ist festgelegt worden, dass die Länder bis Ende 2013 Kompensationszahlungen in Höhe des Durchschnitts der Finanzierungsanteile des Bundes im Referenzzeitraum 2000 bis 2008 erhalten. Dieser Zeitraum ist deswegen gewählt worden, weil in dieser Zeit besonders hohe Bundesfördermittel gewährt worden sind; es sind im Durchschnitt 1,335 Milliarden Euro. Es ist aber gleichzeitig festgelegt worden, dass ab 2014 die bisherige bereichsspezifische Zweckbindung wegfällt. Das ist also genau das Gegenteil von dem, was Sie heute fordern. Es ist einvernehmlich festgelegt worden, weil wir der Meinung waren, dass die Länder vor Ort sehr viel besser entscheiden können, für welchen Bereich sie diese Mittel brauchen. In die Aufhebung der Zweckbindung sind auch andere Mischfinanzierungen aufgenommen worden, nämlich in den Bereichen Ausbau und Neubau von Hochschulen, Bildungsplanung, Finanzhilfe für Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse sowie Wohnraumförderung; hier geht es insgesamt um eine Summe von 2,6 Milliarden Euro. Genau deswegen haben sich die Länder bereit erklärt, der Finanzierungszusage zuzustimmen. Sie erreichen dadurch nämlich mehr Flexibilität. Hierzu hat der Bund rechtzeitig vor Ende des 31. Dezember 2013 die Verhandlungen mit den Ländern aufgenommen, und zwar unter Federführung des BMF - weshalb wir das in der Arbeitsgruppe Finanzen beraten -, unter Hinzunahme des BMVBS, des Beauftragten der Bundesregierung für die Neuen Länder und des Bildungsministeriums. Die Gespräche dauern an; sie sind auf Wunsch der Länder noch einmal verschoben worden. ({6}) Aber ich kann im Moment nicht erkennen, dass Zeitdruck bestünde; denn die Haushaltsberatungen 2013 fangen gerade erst an. Wir sollten diese Gespräche abwarten. ({7}) Ich habe im Vermittlungsausschuss noch nie den Eindruck gehabt, dass die Länder nicht Manns bzw. Frau genug gewesen wären, ihre Interessen zu vertreten. ({8}) Ich habe eher die Sorge, dass das Ergebnis zu unseren Lasten ausgeht, als dass die Länder ihre Interessen nicht durchsetzen. ({9}) Sie haben gesagt, der öffentliche Personennahverkehr könne aus finanzieller Not einige Projekte nicht umsetzen. Das ist nicht der Fall. Die Bundesregierung gibt an, dass die Länder die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel bei weitem nicht vollständig abgerufen haben. Mehr als ein Viertel an Ausgabenresten hat sich in der Zeit von 2007 bis 2010 angesammelt. Als Haushälter sehe ich ehrlich gesagt nicht ein, warum ich diese 25 Prozent den Ländern weiterhin zur Verfügung stellen soll, wenn sie sowieso nicht abgerufen werden. Über diese Zahl wird man in den Beratungen nachdenken müssen. Ich bin mir sicher, dass wir eine Lösung finden werden; aber es wird keine Lösung sein, mit der wir die Ergebnisse der Föderalismuskommission I rückabwickeln. ({10}) - Doch, das verlangen Sie. Sie verlangen, dass wir eine Zweckbindung festlegen. Sie verlangen vom Bund eine dauerhafte Finanzierung von Aufgaben, die eindeutig Länderaufgaben sind. Wir haben gemeinsam mit den Ländern Schuldenbremsen ausgehandelt. Wir sind zuständig für die Verschuldung des Bundes, und dafür übernehmen wir auch die Verantwortung. Die Länder sind für ihre Verschuldung zuständig. Der Bürger hat ein Recht darauf, erkennen zu können, wer seine Aufgaben erfüllt oder auch nicht erfüllt. Deshalb ist im Entflechtungsgesetz klar geregelt, dass wir Transparenz in den Haushalten wollen. Mischfinanzierungen bringen immer zusätzliche Kosten mit sich und haben noch nie dazu geführt, dass Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit eingehalten wurden. ({11}) Die Verhandlungen sind auf einem guten Weg. Ich bin sicher, dass das BMF mit den Ländern sehr kollegial umgehen wird. Es kann auch gar nicht gegen die Länder entscheiden. Herr Kampeter lächelt freundlich; ich sehe, dass seine Liebe auch den Haushalten der Länder gilt. ({12}) Gegenüber der Europäischen Union müssen wir die Schuldenbremse natürlich gemeinsam einhalten. Ich weiß, dass er alleine in die Verhandlungen mit den Ländern geht. ({13}) Es besteht zum jetzigen Zeitpunkt auch keine Notwendigkeit, einzusteigen. Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen. Sollten Sie den Eindruck haben, dass Gefahr im Verzug ist: Die Haushaltsberatungen stehen Ihnen offen, um die von Ihnen beantragten 1,335 Milliarden Euro in den Haushalt einzustellen. Wir werden die Beratungen abwarten und insbesondere die Schuldenbremse des Bundes im Blick behalten. Das fällt nämlich in unsere Zuständigkeit; das ist unsere Verpflichtung, unsere Verantwortung. Als Berichterstatter meiner Fraktion zum Thema Schuldenbremse stelle ich fest: Das ist unser Anliegen für die nächsten Jahre. Wir sind es kommenden Generationen schuldig, dass mit Geld vernünftig umgegangen wird, und zwar unabhängig davon, wo es eingesetzt wird. Wenn Geld nicht gebraucht wird, sollte man es auch nicht ausgeben. Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Sören Bartol. ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, bei den Verhandlungen um die sogenannten Entflechtungsmittel sollte es um mehr gehen als darum, wer finanzpolitisch am längeren Hebel sitzt. ({0}) Leider ist mein Eindruck bisher ein anderer. Wenn das Bundesfinanzministerium die Mittel tatsächlich auf null abschmelzen will, ({1}) dann ist das ein Pokerspiel, aber kein Beitrag zu einer ernsthaften Verhandlung im Sinne der Sache, und weit von dem entfernt, was für eine funktionsfähige kommunale Verkehrsinfrastruktur notwendig ist. ({2}) Der Bedarf für die kommunale Verkehrsinfrastruktur übersteigt die Mittel schon heute. 1,9 Milliarden Euro wären für Kommunalstraßen und ÖPNV-Infrastruktur jährlich erforderlich. ({3}) Das ist deutlich mehr als die 1,3 Milliarden Euro, die der Bund den Ländern bis 2013 zahlt. Damit wächst der Investitionsstau schon jetzt Jahr für Jahr. Das Gutachten der Länder für die Verkehrsministerkonferenz zeigt das seriös, und ich glaube, dass das bisher niemand bezweifelt hat. Auch wenn mit der Föderalismusreform der Rückzug des Bundes aus der Finanzierung der kommunalen VerSören Bartol kehrsinfrastruktur beschlossen wurde - ob das sinnvoll ist oder nicht, sei jetzt dahingestellt -, ist der Bund nach dem Entflechtungsgesetz bis Ende 2019 zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Für die Zeit von 2014 bis 2019 ist lediglich zu überprüfen, ob die Zahlungen noch angemessen und erforderlich sind. Ich nehme an, dass sich unter uns kaum eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter finden wird, die bzw. der, wenn sie den Zustand der Straßen oder Busbahnhöfe zu Hause in den Wahlkreisen vor Augen haben, diese Erforderlichkeit nicht seht. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und von der Union, Sie hatten im Koalitionsvertrag die Neufestsetzung der Mittel zur Mitte der Legislaturperiode angekündigt. Auch wenn wir optimistisch davon ausgehen, dass die Legislaturperiode vier Jahre hat: Sie sind im Verzug. ({5}) Umso unverständlicher ist es, dass die Bundesregierung mit einer Position in die Verhandlungen gestartet ist, die den Ländern keine andere Wahl ließ, als den für Dezember 2011 angesetzten Verhandlungstermin platzen zu lassen. Hoffen wir, dass das nächste Verhandlungsangebot näher an der Realität ist. ({6}) Ich frage mich die ganze Zeit: Wo ist eigentlich bei all dem der zuständige Bundesverkehrsminister? Wo ist Peter Ramsauers Gestaltungswille, wenn es um die Zukunft kommunaler Verkehrsinfrastruktur geht? ({7}) Wo sind seine Vorschläge für die Finanzierung dieser zentralen Aufgabe der Daseinsvorsorge ab 2019, wenn nicht nur die Kompensationsmittel auslaufen, sondern auch das Bundesprogramm für ÖPNV-Großvorhaben? ({8}) Der Bundesverkehrsminister konstatiert zwar, dass die GVFG-Bundesprogrammmittel schon jetzt überbucht sind. Konsequenzen daraus zieht er aber in keiner Weise. Die jährlich 330 Millionen Euro reichen doch hinten und vorne nicht, wenn 1,7 Milliarden Euro allein durch laufende Vorhaben gebunden sind. Zu den knappen Mitteln kommt noch die Unsicherheit, was ab 2019 sein wird. Die Folge: Die finanziell ohnehin klammen Kommunen lassen lieber die Finger davon, dringend notwendige Infrastrukturprojekte in Angriff zu nehmen. Nicht ohne Grund schlagen die Bürgermeister aus dem Ruhrgebiet Alarm. Ihnen steht doch das Wasser bis zum Halse. ({9}) In dieser Situation benötigten wir einen Bundesverkehrsminister, der sich für einen leistungsfähigen öffentlichen Personenverkehr in Ballungsräumen wie im ländlichen Raum sowie für ein funktionsfähiges kommunales und regionales Straßennetz starkmacht. Wir benötigten einen Bundesverkehrsminister, der die Sicherung nachhaltiger Daseinsvorsorge als vorrangiges Ziel einer integrierten Verkehrs-, Stadt- und Raumentwicklungspolitik begreift. Das ist ein Ziel, für das auch der Bund weiterhin Mitverantwortung übernehmen muss, gerade angesichts der wachsenden Herausforderung des demografischen, wirtschaftsstrukturellen und des Klimawandels sowie natürlich der knappen Ressourcen. Wir benötigten auch Verkehrspolitiker der Koalitionsfraktionen, die das Thema im Deutschen Bundestag nicht einfach in den Finanzausschuss abschieben, weil sie ihre eigene Machtlosigkeit verschleiern wollen. Ich stelle fest: Kraftloser Bundesverkehrsminister Ramsauer im Kabinett, der sich für nicht zuständig hält, trifft auf kraftlose Verkehrspolitiker der Koalition im Bundestag, die sich ebenso für nicht zuständig halten. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, trotzdem setze ich auf Ihre kurzfristige Einsicht. Stimmen Sie doch einer Überweisung des vorliegenden Antrags in Federführung des Verkehrsausschusses zu. Stellen Sie sich doch den Problemen bei der Finanzierung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur. Dort, wo Städte boomen, stellen sich die Aufgaben anders als dort, wo periphere ländliche Regionen, zunehmend aber auch Städte von Bevölkerungsrückgang, Arbeitsplatzabbau und sinkender Wirtschaftskraft betroffen sind. Klar ist, dass die Kommunen in ihrer gegenwärtigen finanziellen Lage nicht in der Lage sind, diese Herausforderung zu bewältigen. Statt finanzpolitischem Hickhack fordern wir deshalb ein klares Bekenntnis zur Mitverantwortung des Bundes für die kommunale Verkehrsinfrastruktur. ({11}) Es ist höchste Zeit für einen Investitionspakt von Bund und Ländern für den ÖPNV und die Kommunalstraßen. ({12}) Für den Bund heißt das: Er muss den Ländern bis 2019 weiter angemessene Mittel gewähren und ihnen bis dahin Planungssicherheit geben. Im Gegenzug müssen sich die Länder nachprüfbar zu einer zweckgebundenen Verwendung verpflichten. Konstruktionsfehler der ehemaligen Gemeindeverkehrsfinanzierung müssen endlich korrigiert werden. Neben Neuinvestitionen müssen auch Erhaltungsinvestitionen förderfähig werden. Bei Neuinvestitionen müssen ausreichend Rücklagen für den Erhalt gebildet werden. Zudem brauchen wir zügig klare Perspektiven für die Zeit nach 2019. Die Föderalismusreform bedeutet nicht nur, dass die Verantwortung an die Länder übergeht, sondern dass die Länder bei der anstehenden Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs auch ausrei20126 chend Mittel für diese Aufgaben erhalten und sie den Kommunen zur Verfügung stellen. ({13}) Der Komplettrückzug des Bundes aus der Verantwortung für die ÖPNV-Infrastruktur gehört noch einmal gründlich auf den Prüfstand. Das ist eine Aufgabe, der sich der Bundesverkehrsminister endlich einmal stellen sollte. Vielen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Otto Fricke. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist wieder ein Antrag der Grünen - so einen hatten wir schon gestern; dazu hat der Kollege Kampeter eine feurige Rede gehalten -, der auf nichts anderes als auf eine Forderung hinausläuft: Mehr Geld! Mehr Geld! Mehr Geld! ({0}) Zu der Frage, wer das bezahlen soll, sagt dieser Antrag nichts. ({1}) Für die Zuschauer und Zuhörer sage ich: Sie sollen es bezahlen. Es geht um den öffentlichen Personennahverkehr und seine Finanzierung. Wir alle wissen und wir alle wollen, dass es an dieser Stelle einen Zuschuss gibt. Es ist klar, dass wir den öffentlichen Personennahverkehr nicht zu 100 Prozent durch diejenigen, die ihn nutzen, finanzieren können. Wir wissen, dass das nicht geht. ({2}) Jetzt kommt die Frage: Wie bekommen wir das hin, und wessen Aufgabe ist das? Spontan sagt jeder - das sagen die Grünen und auch die SPD; der Kollege Bartol hat das gerade deutlich gesagt; ich habe jetzt auch verstanden, warum der Kollege Bartol den Haushaltsausschuss verlassen hat -, das solle der Bund bezahlen, der Bund mache nichts mehr, er kürze die Ausgaben. Was ist Fakt? Ist das wirklich so? Das Regionalisierungsgesetz sieht Leistungen des Bundes für den öffentlichen Personennahverkehr in Höhe von 7 Milliarden Euro vor, die aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren sind. Ändert sich daran etwas? Fahren wir die Zahlen herunter? Nein, im Gegenteil: Wir erhöhen die Ausgaben sogar um 1,5 Prozent pro Jahr. Das ist, wenn ich das richtig sehe, ein ganz schöner Batzen Geld. Das entspricht übrigens einem Mehrwertsteuerpunkt; das sage ich nur, damit die Bürger wissen, was das heißt. Für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, das bis 2019 bestehen bleibt, sind ebenfalls entsprechende Mittel vorgesehen: jährlich 335 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundes. Jetzt könnte man als Nächstes sagen: Wir müssen das Entflechtungsgesetz ändern. Wir haben im Rahmen der Föderalismuskommission gesagt - die Kollegin Tillmann hat das deutlich gemacht -: Das ist des Bundes Aufgabe - das muss der Bund finanzieren. Das ist der Länder Aufgabe - das müssen die Länder mit ihren Kommunen finanzieren. Jetzt kommen Sie daher und sagen: Nein, das machen wir anders. Den öffentlichen Personennahverkehr soll der Bund finanzieren, aber die Länder sollen entscheiden. ({3}) Dazu sage ich ganz klar: Das machen wir nicht. Wir halten uns an das, was im Rahmen der Föderalismuskommission beschlossen wurde. Wir halten uns an das, was kluge Sozialdemokraten, kluge Freidemokraten, kluge Christdemokraten und eigentlich auch die Grünen gemeinsam beschlossen haben. Das aufzukündigen, wäre eine Veräppelung der Bürger. ({4}) Es kommt noch etwas anderes hinzu - das möchte ich erklären, weil das nicht das tägliche Geschäft aller ist -: Die meisten Bürger meinen - das bekomme ich in Gesprächen mit -, dass der Bund die meisten Steuereinnahmen, das meiste Geld bekommt. Sie glauben, dass der Bund 80 bis 90 Prozent der Steuereinnahmen erhält. Die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer und der Einkommensteuer, alles fließt an den Bund. Jetzt fragen Sie sich selber einmal, ob das, was ich sage, stimmt. Ich richte diese Frage auch an die Opposition. Sie gerieren sich hier als Freunde der Kommunen, indem Sie sagen: Wir tun etwas für den ÖPNV. - Wer hat denn mehr Steuereinnahmen, Herr Kollege Bartol, Herr Kollege Kühn? Hat der Bund mehr Steuereinnahmen, oder haben Länder und Kommunen mehr Steuereinnahmen? Fakt ist: Länder und Kommunen haben mehr Steuereinnahmen. Das ist die Überraschung. Länder und Kommunen erhalten 52,5 Prozent aller Steuereinnahmen. Das heißt, jedes Mal, wenn Sie als Bürger 1 Euro Steuern bezahlen, gehen 52 Cent davon an die Länder und Kommunen. An den Bund fließen 43 Cent, der Rest geht nach Europa. Jetzt sagen Sie: Der Bund soll noch mehr tun. Wir gehen noch einen Schritt weiter, weil es so beliebt ist, zu Hause, im Wahlkreis zu sagen: Ich tue etwas für die Gemeinde, ich tue etwas fürs Land, im Gegensatz zu denen in Berlin, im Gegensatz zum Bund. - Wir haben auch hier eine Verantwortung. ({5}) - Ja, jetzt kommen Sie wieder mit der kommunalen Verankerung. Glauben Sie, ich bin nicht kommunal verankert? Glauben Sie, irgendjemand hier hat seinen Wahlkreis nicht im Auge? ({6}) Trotzdem haben wir als Bundestagsabgeordnete die Aufgabe, den Bürgern klar zu sagen: Ihr müsst für die schönen Dinge, die gefordert werden, bezahlen. Nach den aktuellen Zahlen der Monate Januar und Februar ({7}) haben die Länder in diesem Zeitraum mehr Steuern eingenommen als der Bund, und Sie sagen, der Bund solle noch mehr bezahlen, ohne etwas zur Finanzierung zu sagen. Jetzt komme ich zu der für mich größten Schweinerei dieser Woche: Anfang dieser Woche haben Grüne und Sozialdemokraten gesagt, dass der Finanzminister bzw. die Koalition in diesem Land nicht genug spart. Heute hingegen fordern Sie Mehrausgaben in Milliardenhöhe. Das ist scheinheilig. Das hilft den Kommunen und dem öffentlichen Personennahverkehr in keiner Weise. ({8}) - Ja, anscheinend habe ich Sie doch getroffen. ({9}) - Es ist schade, dass man draußen nicht mitbekommt, wie sehr Sie sich gerade darüber aufregen. - Es bleibt dabei: Sie als Opposition können nicht auf der einen Seite sagen, dass Sie für die schönen Dinge der Welt zuständig sind, aber auf der anderen Seite den Bürgern nicht sagen, woher das Geld kommen soll. ({10}) Jetzt zum Abschluss zu der Frage, warum der Bund zu seinen Finanzierungsfähigkeiten beim öffentlichen Personennahverkehr steht. Wir werden den öffentlichen Personennahverkehr in Zukunft noch mehr benötigen als bisher. Das ist gar keine Frage. Wir werden aber darüber sprechen müssen, welchen öffentlichen Personennahverkehr wir brauchen, wo wir ihn brauchen und welche Linien effizient sind. Es geht auch um den Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Bereichen. Ich habe während meines Studiums in Freiburg einen guten öffentlichen Personennahverkehr erlebt. Ich sehe aber auch, wie sinnlos es teilweise auf dem Land ist, wenn man dort Buslinien nur aus traditionellen Gründen erhält, ({11}) ohne sich zu überlegen, ob es nicht moderne Möglichkeiten des öffentlichen Personennahverkehrs gibt, statt mit großen leeren Bussen durch die Gegend zu fahren, wofür andere zahlen müssen. Ich weiß nicht, wo Sie leben, aber ich sehe das täglich. ({12}) Eines wird diese Koalition nicht machen: Sie wird Vereinbarungen der Föderalismusreform nicht brechen. Sie wird vor allen Dingen Ihrem Antrag nicht zustimmen. Sie legen gern einen Antrag vor und fordern mehr Geld für alle, wissen aber nicht, woher es kommen soll. Sie stehen nicht auf der Schuldenbremse, sondern Sie stehen, so wie in Nordrhein-Westfalen, auf dem Gaspedal und fahren damit vor die Wand. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt das Wort der Kollege Thomas Lutze von der Fraktion Die Linke. ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Fricke, ich lade Sie gerne ein und übernehme auch die Fahrtkosten. Zeigen Sie mir den Überlandbus, der sinnlos durch die Welt fährt. Ich nehme das dann gerne zur Kenntnis. Ich kenne kaum noch eine Verkehrsverbindung auf dem Land, die funktioniert. Sie haben einen zweiten sachlichen Fehler gemacht. Die Regionalisierungsmittel, die ohne Zweifel steigen, werden hauptsächlich dem Regionalverkehr bei der Deutschen Bahn und den Privatbahnen zuteil. ({0}) In der heutigen Debatte und in dem Antrag der Grünen geht es hauptsächlich um den Stadtverkehr. Für diesen sollen die Regionalisierungsmittel eigentlich nicht verwendet werden. ({1}) Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen bestätigt: Immer mehr Menschen nutzen regelmäßig den öffentlichen Personennahverkehr. Ich glaube, da sind wir uns alle einig. Genau gesagt: Im Jahr 2011 fuhren 9,7 Milliarden Menschen mit Bussen und Bahnen. Dies ist eine Steigerung von 0,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Fortschrittsbericht zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie steht ganz deutlich, dass der ÖPNV unerlässlich für den nachhaltigen Verkehr in Deutschland ist. ({2}) Über die Frage der zukünftigen Finanzierung der öffentlichen Verkehrsmittel wird jedoch wieder nur in kleinen Verhandlungsrunden im stillen Kämmerlein gesprochen. Die vom Bund gewährten Finanzmittel verlieren ab 2014 ihre Zweckbindung, werden dann kontinuierlich heruntergefahren, und ab 2020 gibt es überhaupt kein Geld mehr für den Nahverkehr. Das ist kontraproduktiv und steht im völligen Widerspruch zur Studie des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen, die dem öffentlichen Nahverkehr eine dramatische Unterfinanzierung attestiert. Von den benötigten 550 Millionen Euro für Erhaltungsinvestitionen können derzeit lediglich 220 Millionen Euro von den kommunalen Verkehrsunternehmen aufgebracht werden. Hinzu kommt ein Investitionsstau - auch das ist hier schon gesagt worden - in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Dieses Geld wird für notwendige Sanierungsarbeiten dringend benötigt. Schon jetzt spricht man vielerorts von einem Erhaltungsrückstand. Die Folgen sind oder werden sein: Betriebseinschränkungen oder im schlimmsten Fall sogar Betriebseinstellungen. Erklären Sie bitte dem Stadtrat in Bochum, wie er die anstehende Renovierung seiner drei U-Bahn-Linien finanzieren soll. ({3}) - Jetzt vergleichen Sie bitte nicht wieder Äpfel mit Birnen. - Erklären Sie, wie die Renovierung der U-Bahn finanziert werden soll. Erklären Sie dem Stadtrat meiner Heimatstadt Saarbrücken, wie der geplante Ausbau der Saarbahn - ursprünglich sollte ein Netz von Linien entstehen - zukünftig finanziert werden soll. Das hat in der Vergangenheit dankenswerterweise der Bund mit übernommen. Wenn sich der Bund dort komplett zurückzieht, wird es keine weiteren Investitionen in diesem Bereich geben. Sowohl mittel- als auch langfristig gibt es einen weiterhin steigenden Finanzbedarf für den Aus- und Neubau des ÖPNV-Netzes. In vielen Städten wird die Verkehrsleistung weiter zunehmen. Das Leistungs- und Nachfragewachstum macht eine Weiterentwicklung des bestehenden Angebots auch in Anbetracht des Klimawandels und der Ressourcenknappheit dringend nötig. ({4}) Was passiert, wenn die Kraftstoffpreise weiter so steigen, ist, glaube ich, auch allen klar: Die Busse und Bahnen werden sich füllen. Wir, die Linken, können nicht nachvollziehen, warum die Finanzhilfen stetig gekürzt werden, obwohl der ÖPNV weiter ausgebaut wird und der Finanzierungsrückstand bis Ende 2019 noch lange nicht abgebaut sein wird. Deshalb fordern wir, die Finanzierung für Investitionen und den Betrieb des öffentlichen Verkehrs als wichtigen Bestandteil der Daseinsvorsorge auszuweiten. ({5}) Dazu müssen die ÖPNV-Investitionsmittel auch nach 2013 nicht nur verstetigt werden, wie es die Grünen fordern, sondern entsprechend dem Bedarf auf 1,9 Milliarden Euro erhöht werden. Diese Forderung bestätigt im Übrigen auch der Deutsche Städtetag, bekanntlich keine linke Vorfeldorganisation. Fazit: Egal wie Sie die Förderung in Zukunft nennen, egal ob es mehrere Fördertöpfe oder nur einen Fördertopf gibt, Deutschland braucht dringend einen neuen Konsens zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs in den Städten, Kommunen und Regionen. Herzlichen Dank und Glück auf! ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/8918 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Christel Humme, Caren Marks, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen gesetzlich durchsetzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Kerstin Andreae, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Frauen verdienen mehr - Gleichstellung ist Innovationspolitik - Drucksachen 17/5038, 17/4852, 17/5821 Berichterstattung: Abgeordnete Nadine Schön ({1}) Nicole Bracht-Bendt Monika Lazar Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Nadine Schön von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({2})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wieso nimmt die ihr rotes Handtäschchen mit ans Rednerpult?“, werden sich viele fragen. Diese rote Handtasche ist ein Symbol. Sie ist das allgemeine Symbol des Equal Pay Day. Sie ist das Symbol des heutigen Tages. Was soll uns diese Tasche sagen? Sie soll uns erstens sagen: Auch heute, 2012, gibt es einen Entgeltunterschied zwischen Frauen und Männern von 23 Prozent; im ländlichen Raum, aus dem ich selbst komme, ist die Lohnlücke noch 10 Prozent größer. Sie soll uns zum Zweiten sagen: Dieser Entgeltunterschied, der Gender Pay Gap, entwickelt sich später, im Alter, zu einem Gender Pension Gap, zu einem Unterschied in der Rente von sage und schreibe 59 Prozent. ({0}) Sie soll uns drittens sagen: Europaweit ist Deutschland mit dieser Lohnlücke führend, und zwar führend im negativen Sinn. Nur in Österreich und Tschechien gibt es eine noch größere Entgeltungleichheit als bei uns. Schließlich soll sie uns sagen: Tut etwas dagegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, über 770 Gruppen in ganz Deutschland führen heute, am Equal Pay Day, unter Federführung von „Business and Professional Women Germany“ und mit finanzieller Förderung des Bundesgleichstellungsministeriums Aktionen zum Thema Entgeltgleichheit durch. Das ist eine großartige Leistung. ({1}) Deshalb will ich mich ganz am Anfang bei allen herzlich bedanken, die heute diese Aktionen durchführen und für dieses wichtige Thema werben. ({2}) Die Aktionen informieren heute über die Gründe und Ursachen der Lohnlücke. Auch für uns zur Erinnerung: Der größte Teil der Lohnlücke von 23 Prozent hat objektive Gründe. Frauen fehlen in bestimmten Berufen, in bestimmten Branchen und auf den höheren Stufen der Karriereleiter, Frauen sind im Schnitt schlechter qualifiziert als Männer - noch! -, und Frauen haben außerdem mehr und längere Erwerbsunterbrechungen. Rechnet man diese objektiven Gründen aus den 23 Prozent heraus, dann müssen wir immer noch die sogenannte bereinigte Entgeltlücke von 8 Prozent feststellen. Diese ist mit objektiven Gründen eben nicht zu rechtfertigen. Hier müssen wir subjektive Gründe annehmen und auch davon ausgehen, dass es sich um Diskriminierung handelt. ({3}) Problematisch sind aber eben nicht nur diese 8 Prozent, sondern auch die 23 Prozent, und zwar nicht zuletzt deshalb - ich habe es erwähnt -, weil sich das im Alter zu einer Rentenlücke von mehr als 54 Prozent auswächst. Dann fehlt das Geld wirklich. Deshalb begnügen sich die Aktivistinnen und Aktivisten heute eben nicht damit, zu erklären und zu informieren, sondern sie sagen auch: Tut etwas dagegen! - Tun wir also etwas dagegen. ({4}) Dieser Appell der Aktionen - Tut etwas dagegen! hat viele Adressaten. In diesem Jahr geht er vor allem an die Tarifparteien und an diejenigen, die in die Lohnfindung involviert sind. Es geht hier um die Frage: Wie können Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der individuellen Lohnfindung und Gewerkschaften und Unternehmen, wenn sie Tarifverträge verhandeln, ({5}) darauf achten, dass hier keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gemacht werden? Hier muss man sich als Tarifpartei ganz bewusst die Fragen stellen: Was ist eigentlich eine angemessene Bezahlung? Wie werden wir eigentlich frauenspezifischen Tätigkeiten gerecht? Legen wir faire und vergleichbare Kriterien an? Die Tarifparteien haben hier eine ganz besondere Verantwortung. Nadine Schön ({6}) Liebe Frau Kollegin, Sie haben gerade „Politik“ dazwischengerufen. Dazu komme ich ganz sicher noch. Mich hat es aber schon gewundert, dass Sie die Tarifparteien in Ihrem Antrag so kleinreden. Ich bin der Meinung, wir können den Tarifparteien schon zutrauen, dass sie hier ganz aktiv etwas zur Beseitigung der Entgeltungleichheit beitragen. Dass Sie den Glauben schon aufgegeben haben, finde ich wirklich schade. ({7}) Der zweite Adressat des Appells ist die Gesellschaft; das sind wir alle. Wenn es nämlich so ist, dass der größte Teil der Lohnlücke - man spricht von etwa 18 Prozent deshalb entsteht, weil Frauen häufiger und auch länger ihre Arbeitszeit unterbrechen, ({8}) dann sind wir alle gefragt. Obwohl die Unterbrechung an sich ja nicht negativ ist und obwohl die Entscheidungen sehr oft einvernehmlich zwischen den beiden Partnern gefällt werden, bringen sie meist negative Konsequenzen mit sich, nämlich einen schlechteren Lohn beim Wiedereinstieg. Diese negativen Konsequenzen trägt allein die Frau. Das heißt für uns und unsere Gesellschaft, dass wir diese Erwerbsunterbrechungen möglichst auf beide Partner aufteilen müssen, damit beide die Konsequenzen tragen. Mit dem Ausbau der Kitabetreuung, mit den Partnermonaten und mit dem Elterngeld unterstützen wir von politischer Seite die Familien, die genau das wollen. Ich kenne das aus meinem Freundeskreis und aus meiner Umgebung: Gerade für junge Paare ist es heute selbstverständlich, dass man die sehr wichtige, aber eben unbezahlte Familienarbeit und die bezahlte Erwerbsarbeit untereinander aufteilt. Das ist eine Form der Partnerschaft, die in Zukunft dazu beitragen wird, dass es weniger Erwerbsunterbrechungen geben wird. Das bringt auch etwas für die Schließung der Lohnlücke. Gefragt sind auch die Unternehmen. Der Appell an die Unternehmen lautet: Seid sensibel für Entgeltungleichheit in eurem Betrieb. Das Bundesfamilienministerium bietet ja das Logib-D-Verfahren an. Das ist ein wirklich gutes Tool, mit dem man herausfinden kann, ob Entgeltunterschiede im Betrieb bestehen und wo die Ursachen liegen. Das kann ich wirklich nur jedem Unternehmen empfehlen. Sie von der Opposition wollen hier ja ein gutes Stück weiter gehen und diese Überprüfung zur Pflicht machen. Anschließend sollen die Daten - anonymisiert -, einer staatlichen Stelle vorgelegt und von NGOs und Interessengruppen geprüft werden. Dann soll bei jedem einzelnen Unternehmen geprüft werden, ob es irgendwo in seiner Mitarbeiterschaft eine ungerechtfertigte Entgeltungleichheit gibt. ({9}) - Ganz ehrlich, liebe Frau Humme: Ich weiß, Sie haben ein gutes Ziel vor Augen, das ich auch unterstütze. Aber das, was Sie vorschlagen, ist wirklich ein Bürokratiemonster. ({10}) Sie glauben doch wirklich nicht, dass die Sensibilität für dieses Thema in den Unternehmen wächst, wenn der staatliche „Big Brother“ in einem riesenbürokratischen Verfahren kommt und alle Lohnabschlüsse überprüft. Das muss man sich einmal genau anschauen. ({11}) Ich bin der Meinung, damit kommen Sie keinen Schritt weiter. Sie schaffen Bürokratie. Sie schaffen auch Abwehrhaltungen in den Unternehmen, und das ist genau das, was wir nicht brauchen. Vielmehr brauchen wir auch in den Unternehmen Sensibilität für dieses komplexe Thema, und deshalb müssen wir diesen Vorschlag leider ablehnen. ({12}) Der Staat und die Politik können aber einiges machen. Sie können Rahmenbedingungen ändern ({13}) und viele Dinge anstoßen, die dazu beitragen, dass die Entgeltlücke geschlossen wird. Ich habe das Stichwort Erwerbsunterbrechungen erwähnt. Hierzu gibt es gute Programme des Ministeriums, etwa „Perspektive Wiedereinstieg“, „Familienbewusste Arbeitszeiten“ oder generell das Elterngeld, und auch bei den steuerlichen Rahmenbedingungen kann man etwas tun. Die Politik kann nachhelfen - Sie kennen meine Position an dieser Stelle -, dass zumindest in den Führungsetagen deutscher börsennotierter Konzerne mehr Frauen vertreten sind, und ich glaube schon, dass wir eine gesetzliche Regelung brauchen, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Ich bin der Meinung, dass diese Regelung bei Vorständen flexibel, aber bei Aufsichtsräten fest gelten sollte und dass mehr Frauen in Führungspositionen zu mehr Entgeltgleichheit führen werden. ({14}) Auch der Staat kann mit gutem Beispiel vorangehen. Er kann beispielsweise in seinen eigenen Behörden dafür sorgen, dass die Entgeltlücke nicht so groß ist. Darüber hinaus kann der Staat auf allen Ebenen mit den gesellschaftlichen Gruppen dafür sorgen, dass das Thema eine Relevanz erhält. Bewusstseinsbildung bringt hier sehr viel, und deshalb begrüße ich das Projekt mit den Landfrauen sehr; denn es greift das wichtige Thema der Entgeltungleichheit im ländlichen Raum auf. Als Vertreterin des ländlichen Raums weiß ich schließlich, wie wichtig das ist. Nadine Schön ({15}) All diese Initiativen seitens Staat, Gesellschaft, Unternehmen und Tarifparteien werden gemeinsam dazu beitragen, dass der Entgeltunterschied schrumpfen wird, und das muss unser aller erklärtes Ziel sein. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, Gleichstellungspolitik ist nichts, was wir nur für uns Frauen machen. Gleichstellungspolitik hat auch, aber nicht nur etwas mit gerechten Chancen zu tun. Nein, Gleichstellungspolitik hat auch etwas mit der Innovationsfähigkeit, mit dem Wachstum und mit der Lebensqualität einer Gesellschaft zu tun ({16}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, tun wir nicht nur etwas für die Frauen, wenn wir uns für die Beseitigung der Lohnlücke einsetzen. Wir tun etwas für ganz Deutschland. ({17}) Denken Sie heute daran, und denken Sie auch immer daran, wenn Sie eine rote Handtasche sehen. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Caren Marks das Wort. ({0})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die meisten von uns kommen gerade von der Kundgebung am Brandenburger Tor. Bei gutem Wetter war sie gut besucht, und das war gut. ({0}) Obwohl der Anlass kein erfreulicher ist, ist es richtig und notwendig, Flagge zu zeigen. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Ich möchte da nicht noch in 20 Jahren stehen und dafür streiten, was uns zusteht. ({1}) Sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund als auch der Deutsche Frauenrat hatten zu dieser Kundgebung unter dem Motto „Recht auf Mehr“ aufgerufen. Recht haben Sie mit „Recht auf Mehr“, nämlich dem Recht auf gleiche Bezahlung für Frauen und Männer in unserem Land. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen überhaupt nicht darüber streiten, ob eine Lohnlücke von 21,6 oder 22 oder 23 Prozent besteht. Fest steht: In keinem anderen OECD-Land klafft diese Lücke so weit auseinander wie in unserem Land. ({3}) In Vollzeit arbeitende Frauen verdienen laut OECDStudie - Herr Staatssekretär, auch Sie könnten etwas lernen ({4}) bis zu 21,6 Prozent weniger als Männer. Der Durchschnitt liegt in der OECD bei 16 Prozent. Dies wurde uns erst letzte Woche wieder bescheinigt. Auch im europäischen Vergleich liegt Deutschland am unteren Ende der Skala. Damit gehören wir leider zu den Spitzenreitern bei der Diskriminierung von Frauen. Dieses Ergebnis ist nicht nur bitter. Es ist schlicht beschämend! ({5}) Es ist vor allem nicht hinnehmbar. Wir haben es hier mit einem „Prinzip ohne Praxis“ zu tun. Obwohl nämlich nach geltender Rechtslage die unterschiedliche Entlohnung von Arbeit aufgrund des Geschlechts sowohl nach nationalen als auch nach europarechtlichen Regelungen definitiv verboten ist, werden Frauen weiter diskriminiert. Der jährlich stattfindende Equal Pay Day macht dies öffentlichkeitswirksam zum Thema. Meine Geduld, die Geduld der Frauen in diesem Land und die Geduld der gesamten SPD-Bundestagsfraktion sind zu Recht am Ende. ({6}) - Und die der übrigen Engagierten natürlich auch. ({7}) Es ist höchste Zeit, zu handeln. Handeln müsste dringend diese Bundesregierung. Handeln muss dieses Parlament. Aber wie bei der Quote und wie bei vielen anderen Themen: Bundesministerin Schröder verschließt die Augen vor der Realität. ({8}) Aber die Augen zu schließen, verändert nicht die Realität. Das ist ein Spiel, von dem kleine Kinder überzeugt sind, dass es funktioniert: Ich schließe die Augen, und keiner sieht mich. Auch die vorhandenen Probleme sieht man dann nicht mehr. ({9}) Es soll sich alles schön von alleine regeln. Frauen brauchen keine Quoten. Wer gut ist, kommt alleine in die Führungsetagen. Frau Schröder sieht die Quote gar als eine Diskriminierung; so in der letzten Woche zu lesen. Heutige Männer - so die Ministerin - sollen nicht ausbaden müssen, was Generationen von Männern falsch gemacht haben. Man reiche mir ein Taschentuch. ({10}) Sie spricht gar von einer „Kollektivhaftung“. - All dies ist eine mehr als absurde Argumentation von einer Ministerin, die bis heute nicht verstanden hat, für wen sie eigentlich in diesem Land Politik machen muss. ({11}) Ich denke, ich kann im Namen aller Frauen sagen: ({12}) Besten Dank, Frau Schröder! Sie können gehen! ({13}) Nach einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung fordern 87 Prozent der Befragten gleichen Lohn für gleiche Arbeit. So sieht die Realität aus, eine Realität, die Frau Schröder, aber auch die gesamte Bundesregierung endlich zur Kenntnis nehmen sollten. Fordert eine Frau heute gleiches Entgelt für gleiche Arbeit ein, so muss sie das alleine durchsetzen, individuell gegenüber ihrem Arbeitgeber. Hier hat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz keine wirkliche Verbesserung gebracht. Es fehlt in unserem Land ein Instrument, das die Durchsetzung des Prinzips der gleichen Bezahlung ermöglicht. Und deswegen arbeiten wir, die SPD-Bundestagsfraktion, an einem entsprechenden Gesetz, einem Equal-Pay-Gesetz. ({14}) Damit wollen wir die Unternehmen in diesem Land verpflichten, endlich für diskriminierungsfreie Entgeltsysteme zu sorgen. Dabei gilt für uns natürlich, Frau Schön: so wenig Staat und Bürokratie wie möglich, so viel wie notwendig, um diesem Gesetz zur Wirksamkeit zu verhelfen. ({15}) Mit diesem Gesetz wollen wir notwendige Transparenz bei Entlohnungsstrukturen herstellen; denn nirgendwo wird aus der Bezahlung so ein Geheimnis gemacht wie in Deutschland. Mehr Transparenz - davon bin ich fest überzeugt - wird die versteckten Möglichkeiten der Diskriminierung abbauen. Das ist dringend notwendig. ({16}) Natürlich muss das Gesetz einen Weg zur Kontrolle und Durchsetzbarkeit vorgeben. Aber all dies ist machbar, wenn gewollt. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, wollen dies gesetzlich ermöglichen. Im Mai wird unser Gesetzentwurf eingebracht. Seitens der Bundesregierung hingegen ist für die Frauen in unserem Land nichts gewollt. Ein deutlicheres Zeichen als die Debatte am Internationalen Frauentag in der letzten Sitzungswoche konnte es kaum geben. Natürlich wird ein Gesetz zur Herstellung von Entgeltgleichheit nicht all die Probleme lösen, die strukturell bedingt sind. Ehegattensplitting und Minijobs, all das muss dringend reformiert werden. Aber auch der Ausbau der Betreuungsangebote muss schneller vorangehen. Ein gutes und wirksames Instrument zur Eindämmung der Entgeltunterschiede ist auch der gesetzliche Mindestlohn, den diese Bundesregierung, auch die Arbeitsministerin Frau von der Leyen, nach wie vor nicht einführen will. Erst letzte Woche konnten wir in dem neuesten Report des Instituts Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen nachlesen, dass bei der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro jede vierte Frau Anspruch auf eine Lohnerhöhung hätte. Damit wäre schon ein guter Anfang gemacht, Frau Schröder und Frau von der Leyen. Es wäre schön, wenn beide heute anwesend wären, aber die Staatssekretäre können es ihnen ausrichten. ({17}) Diese Ergebnisse haben deutlich gemacht, dass Frauen sehr viel häufiger von besonders niedrigen Stundenlöhnen betroffen sind. Knapp 5 Prozent der weiblichen Beschäftigten arbeiteten 2010 für Stundenlöhne unter 5 Euro und 15 Prozent für unter 7 Euro. Ich frage die schwarz-gelbe Bundesregierung: Wie lange will ein wirtschaftlich gut aufgestelltes Land wie Deutschland dies seinen Arbeitnehmerinnen noch zumuten? Hier sind wir, hier ist die Bundesregierung, hier ist der Gesetzgeber gefordert. Wenn diese Bundesregierung für Frauen nicht tätig werden will, dann wird es die SPD-Bundestagsfraktion, und ich weiß, dass die anderen Oppositionsfraktionen dies auch wollen. Wir werden Ihnen gesetzliche Lösungen vorlegen, eine nach der anderen. Denn ich will wie die anderen Frauen und viele Männer an unserer Seite nicht noch in 20 Jahren am Brandenburger Tor für Lohngleichheit streiten müssen. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin Nicole Bracht-Bendt das Wort. ({0})

Nicole Bracht-Bendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004016, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich komme gerade vom Infostand der FDP-Fraktion zum Equal Pay Day zurück. ({0}) Eine Frau fragte mich, warum es trotz eines Verbots im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz von 2006 in Deutschland immer noch so eine große Lohnlücke gibt und warum die Bundesregierung hier nicht mit einem Gesetz zu einem flächendeckenden Mindestlohn einen Riegel vorschiebt. Genau das ist der Vorschlag von SPDFraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Die FDP-Fraktion lehnt das aus mehreren Gründen ab. ({1}) - Hören Sie zu! - Die Lohnfindung ist Sache der Tarifpartner; einen solch massiven Eingriff in die Tarifautonomie, wie Sie es mit einer gesetzlichen Regelung vorschlagen, lehnen wir ab. ({2}) Außerdem wollen wir kein neues bürokratisches Regelwerk, mit dem Sie nahezu allen Betrieben neue Regeln und Berichtspflichten aufbürden wollen. Wir als FDP-Fraktion wollen mehr Transparenz bei den Gehaltsstrukturen. ({3}) Wir setzen auf die anonyme Offenlegung von Gehältern, um die Ursachen ungerechter Bezahlung auszumachen und abzubauen. Es gibt also dasselbe Ziel; nur die Wege sind unterschiedlich. Wir alle kennen die Fakten: Bei gleicher Qualifikation und vergleichbarer Tätigkeit liegt der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen bei 8 Prozent. Dennoch sind auch die durchschnittlich 23 Prozent, von denen so oft die Rede ist, Realität. Das hat vor allem strukturelle Gründe. Wir müssen sehen, dass sich junge Frauen in Deutschland deutlich häufiger als in anderen Ländern nach der Geburt eines Kindes aus dem Beruf zurückziehen und ausschließlich der Familie widmen. ({4}) Das passiert freiwillig, und ich bin froh, dass der Gesetzgeber keine Lufthoheit über unseren Kinderbetten hat. ({5}) - Sie können ruhig lachen. - Den Frauen muss klar sein, dass jedes Jahr, das sie aus dem Beruf aussteigen, Einschnitte in ihrem Portemonnaie bedeutet. Das gilt nicht nur für die Zeit, bis sie wieder in den Beruf einsteigen, sondern auch für die Rentenzeit. Hier müssen wir ansetzen, Ursachen ausloten und Lösungen entwickeln. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin.

Nicole Bracht-Bendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004016, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Keine Zwischenfrage, gut.

Nicole Bracht-Bendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004016, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Daher müssen wir in Deutschland noch mehr für die bessere Vereinbarung von Familie und Beruf tun. Die Koalition hat hierzu schon einiges auf den Weg gebracht, zum Beispiel Initiativen für familienbewusste Arbeitszeiten für Männer und Frauen, den Ausbau der Kinderbetreuung und Programme zur Erleichterung des Wiedereinstiegs. (Karin Roth ({0}) ({1}): Ach was! Ich dachte, das wäre nicht notwendig? Nach einer Studie der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, vbw, ist die Entgeltlücke bei jungen Frauen ohne Kinder oder mit einer nur kurzen Babypause statistisch kaum mehr nachweisbar. Das ist erfreulich, aber noch kein Grund zur Entwarnung. Die Einkommensschere öffnet sich also vor allem bei älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Ursache hierfür ist in erster Linie die Berufswahl von Mädchen und Frauen. Noch heute wählt ein Drittel aller weiblichen Auszubildenden aus fünf verschiedenen Ausbildungsberufen, die ihnen wenige Aufstiegschancen bieten. Insgesamt gibt es aber rund 350 Ausbildungsberufe. Deshalb müssen wir Jungen und Mädchen animieren, aus der vollen Bandbreite zu schöpfen und auch für ihr Geschlecht untypische Berufe zu wählen. ({2}) - Es wäre schön, wenn Sie einmal zuhören würden. Manchmal lernen auch Sie noch etwas. - Viele Mädchen haben Interesse am technischen und naturwissenschaftlichen Bereich. Das wollen und müssen wir fördern. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für Schule, Elternhaus und Politik. Für mich liegt der Schlüssel für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Transparenz der Gehaltsstrukturen, der Berufswahl sowie der optimalen Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer. Dann werden solche Aktionen wie die der FDP-Fraktion heute bald nicht mehr nötig sein. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Deligöz von Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Kollegin Bracht-Bendt, ich wollte Ihnen eigentlich eine Frage stellen. Da Sie sie aber nicht zugelassen haben, habe ich mich für eine Kurzintervention entschieden. Im Moment geht über Timeline von Twitter die Meldung, dass innerhalb Ihrer Fraktion die Meinung vertreten wird, der heutige Tag sei ein sinnloser Aktionstag für Frauen. Angesichts dessen, dass heute Tausende Frauen und Männer auf die Straße gehen, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen, weil Frauen, statistisch gesehen, bis zum heutigen Tag arbeiten müssen, um bei gleicher Arbeit genauso viel zu verdienen wie die Männer allein im letzten Jahr, und weil unsere Verfassung uns den Auftrag gibt, etwas gegen diese Ungerechtigkeit zu tun, möchte ich von Ihnen wissen, wie Ihre Position zu dem ist, was im Moment aus Ihrer Fraktion verlautet. ({0}) Wie können Sie als Fraktion, die die Regierung trägt, vertreten, dass die Ministerin lieber draußen die Medienvertreter anlächelt, anstatt die halbe Stunde hier im Plenum zu sitzen, mit uns zu debattieren und ein klares Wort zu äußern? Ich nenne das Wegducken vor der Verantwortung. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung, Frau Bracht-Bendt.

Nicole Bracht-Bendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004016, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich weiß nicht, auf wen Sie anspielen und wer sich so geäußert haben soll. Wir waren heute mit einem Stand an der Friedrichstraße vertreten und haben uns mit dem Tagesthema befasst. Wir haben uns als Fraktion für diesen Standort entschieden. Ich denke, das ist unsere Entscheidung für die Frauen und Männer in unserem Land. Danke. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Yvonne Ploetz. ({0})

Yvonne Ploetz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004197, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute ist der 23. März. Von Anfang letzten Jahres bis heute müssen Frauen arbeiten, um den gleichen Lohn zu bekommen, den die Männer allein im letzten Jahr verdient haben. Das ist ein sagenhafter Lohnunterschied von 23 Prozent, wie wir heute bereits gehört haben. Dabei sollte es doch heute hier und jetzt eine Selbstverständlichkeit sein, dass Frauen den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit bekommen. Ihnen stehen die ganzen 100 Prozent zu. ({0}) In Deutschland haben wir seit Jahren dieses enorme Lohngefälle. Nirgendwo in Europa geht die Lohnschere derart weit auseinander wie bei uns in Deutschland, nicht in Griechenland, nicht in Frankreich, nicht in Bulgarien und auch nicht in der Slowakei. Da muss man sich wirklich die Frage stellen, wie ernst Sie es als Regierung mit der Gleichstellung von Mann und Frau meinen. In diesem Zusammenhang stellte die taz Jana Weber vor. Jana und ihr Partner sind als freiberufliche Schauspielerin und Schauspieler unterwegs, an Theatern in der ganzen Republik, von Düsseldorf bis Leipzig, von Hamburg bis Passau, oft zur selben Zeit im selben Stück. Immer ärgert sich Jana über ihre Verträge. Während ihr Partner 250 Euro für eine Vorstellung bekommt, erhält sie nur 200 Euro, und das nur, weil sie eine Frau ist. Damit muss jetzt endlich Schluss sein. ({1}) Leider ist das deutscher Alltag, egal ob eine Frau Schauspielerin, Schreinerin oder Managerin ist. Das ist wirklich eine ganz bittere Bilanz. Das ist die bittere Bilanz einer Regierung, die die Mehrheit der Gesellschaft noch immer wie eine Minderheit behandelt. Dabei haben Sie sich als Regierung vorgenommen, den Lohnunterschied bis 2020 auf 10 Prozent zu reduzieren. Ich kann Ihnen schon heute sagen: Sie werden das nicht erreichen, wenn Sie weiterhin an Ihrem Freiwilligkeits- und Selbstverpflichtungskurs festhalten. ({2}) Sie werden nicht darum herumkommen, ein echtes Gleichstellungsgesetz zu initiieren, mit dem Sie die Betriebe dazu verpflichten, gleiche Löhne für gleiche Arbeit auszuzahlen. ({3}) Wenn man sich das Ganze genau anschaut, sieht man, dass die Probleme tatsächlich noch tiefer liegen. Lohndiskriminierungen häufen sich im Laufe eines Frauenlebens an. Nimmt man das gesamte Erwerbsleben vom Schulabschluss bis zur Rente in den Blick, dann erkennt man, dass der Lohnunterschied nicht 23 Prozent, sondern annähernd 50 Prozent beträgt. Schuld daran sind Niedriglöhne, unfreiwillige Teilzeitarbeit, Minijobs, Pausen, um die Kinder zu erziehen oder um Angehörige zu pflegen, fehlende Aufstiegschancen und das geringere Gehalt. All das kommt in vielen Frauenleben zusammen und endet in einer Rentenlücke von knapp 59 Prozent. ({4}) Auch das gehört zur Wahrheit und somit zu dieser Debatte. ({5}) An dieser Situation ändert sich schon seit Jahren überhaupt nichts. Stattdessen finde ich, wenn ich mir die Homepage equalpayday.de anschaue, ein Zitat unserer Frauenministerin - ich zitiere -: Verdienen Sie mehr? Diese Frage kann frau sich ruhig öfter stellen! Ich persönlich finde, dass dieses Zitat gerade aus dem Munde der Ministerin, die daran schuld ist, dass wir heute schon wieder den Equal Pay Day feiern müssen, wirklich eine Unverschämtheit ist. ({6}) Dabei gibt es doch zahlreiche Lösungsvorschläge, wie man den Equal Pay Day viel früher im Jahr oder bestenfalls gar nicht haben könnte: Erstens. Streiten Sie mit uns doch endlich gegen Hungerlöhne, gegen die Armutsfalle Minijobs und gegen Armut trotz Arbeit. Jede Frau und jeder Mann muss für eine Stunde Erwerbsarbeit mindestens 10 Euro bekommen. ({7}) Zweitens. Stellen Sie sich doch endlich an die Seite der Alleinerziehenden und ihrer Kinder im Land. Wir haben in Deutschland eine ganz enorm hohe Kinder- und Jugendarmutsquote. Das liegt oftmals daran, dass die Mütter in einer sehr prekären Situation leben. Nur einige Vorschläge: Sie könnten ein Programm für gute Arbeit für Alleinerziehende auflegen. Sie müssen die Kinderbetreuung modernisieren und ausbauen. Nur so geht die Gleichung „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ auf. Nur so hat jeder Wahlfreiheit. ({8}) Drittens. Es fehlt Transparenz. In Norwegen und Schweden gibt es sogenannte öffentliche Verdienstlisten. Dort kann jeder nachlesen, was der Kollege verdient, was der Chef verdient und was der Nachbar verdient. Genau so etwas würde den Frauen in Deutschland wirklich helfen, Gehaltsforderungen zu stellen und Gehaltsverhandlungen zu führen. Das würde uns allen in Deutschland gut zu Gesicht stehen. ({9}) - Genau. Wie vor allem, was gesetzlich geregelt wird. Von alledem geschieht nichts. Stattdessen glänzen Sie mit Initiativen, die für die Frauenbewegung ein richtiger Ausfall sind. Das Stichwort Logib-D ist schon gefallen. Viele kennen es sicherlich nicht. Das ist ein Sammelsurium von Excel-Tabellen, PDFs und Downloadmöglichkeiten im Internet. Damit soll Unternehmen geholfen werden, sich mit der Entgeltungleichheit im eigenen Betrieb auseinanderzusetzen - natürlich, wie immer, freiwillig und natürlich, wie immer, völlig erfolgsfrei. Mit solchen freiwilligen Instrumenten beweist die Frauenministerin, die nicht hier ist, eigentlich nur eines: Ihr fehlt nicht nur der politische Biss. Sie ist frauenpolitisch ganz und gar zahnlos. Um auf Frau Schröders Frage, ob Frauen mehr verdienen, zu antworten: Natürlich verdienen Frauen mehr - mehr Geld, mehr Anerkennung und mehr Aufstiegschancen. Eine Frauenministerin fehlt uns ganz. Wir haben ein Recht auf mehr. Danke schön. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar von Bündnis 90/Die Grünen.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Frauen verdienen mehr“ - so heißt der grüne Antrag, den wir heute unter anderem beraten. Es wurde von den Vorrednerinnen schon gesagt: Das Thema begleitet uns schon seit Jahren, und seit Jahren ändert sich nichts. In der taz von gestern war zu lesen - ich zitiere -: Lang und ruhig verläuft die Linie, die den Verdienstunterschied von Frauen und Männern im Verlauf der Jahre anzeigt. 1995 lag sie bei 21 Prozent, 1999 taucht sie mal kurz unter 20 Prozent, dann erhöht sie sich auf 23 Prozent - und da bleibt sie bis heute. Nach Angaben der OECD gibt es kein anderes europäisches Land, wo das Lohngefälle so groß ist wie in Deutschland. Vollzeitbeschäftigte Frauen verdienen hierzulande im Schnitt immer noch 21,6 Prozent weniger als Männer. Die Gehaltsunterschiede nehmen mit dem Alter zu und schwanken in den einzelnen Berufsfeldern sehr. Manche Gründe für dieses Lohngefälle liegen in der Berufs- und Branchenwahl - das wurde vorhin schon angesprochen -, aber auch in den ungleich verteilten Arbeitsplatzanforderungen hinsichtlich Führung und Qualifikation. Junge Frauen wählen ihre Ausbildung immer noch aus einem sehr schmalen Spektrum von sogenannten Frauenberufen. Es wäre besser, wenn sie ihre Berufsmöglichkeiten breiter ausschöpften. Wir werden in einem Monat den Girls’ Day haben, an dem unsere Bundestagsfraktion junge Frauen empfängt und mit ihnen diskutiert. Aber es gibt Unterschiede, die nicht erklärbar sind. Laut WSI beträgt der Gehaltsunterschied zum Beispiel bei Informatikerinnen und Informatikern 4 Prozent, aber bei Physikerinnen und Physikern 24 Prozent; das ist einfach nicht zu verstehen. Über die geschlechtergerechten Besetzungen von Aufsichtsräten und Vorständen haben wir hier schon häufig gesprochen. Es gibt auch gute Vorschläge der Opposition hierzu. Auch wir Grüne haben Anträge und Gesetzentwürfe eingebracht. Der Aufstieg in Führungspositionen ist für Frauen immer noch viel zu schwierig. Es macht mich wütend, dass Frauen in Führungsetagen - das hat das DIW kürzlich veröffentlicht - durchschnittlich 1 000 Euro brutto weniger als Männer verdienen. Ich finde, das ist ein furchtbarer Skandal. ({0}) Komplizierter wird es, wenn wir uns die unmittelbare Diskriminierung anschauen. Da besteht ein Unterschied von immer noch 8 Prozent. Das darf es in einem modernen Land wirklich nicht geben. Wir Grüne haben vor zwei Wochen hier unseren Antrag zum Thema Entgeltgleichheit eingebracht. Wir fordern ein Entgeltgleichheitsgesetz. Die Tarifverträge müssen dahin gehend überprüft werden, ob sie diskriminierende Passagen enthalten. Wir wollen, dass mit einem analytischen Bewertungssystem geprüft wird, weil das summarische Verfahren, das das Ministerium vorschlägt, nicht ausreicht. Wir wollen, dass die entsprechenden Kompetenzen bei der Antidiskriminierungsstelle angesiedelt sind. Frau Lüders hat soeben auf der Veranstaltung am Brandenburger Tor gesagt, dass sie diese Aufgaben gern übernehmen will. Das ist wichtig. Diese Stelle muss natürlich auch personell und finanziell besser ausgestattet werden. Die Koalition hingegen nimmt der Antidiskriminierungsstelle Geld weg. ({1}) Wir brauchen endlich ein Verbandsklagerecht für Antidiskriminierungsverbände, Gewerkschaften, Betriebsund Personalräte und Mitarbeitervertretungen. Weiterhin müssen ein gesetzlicher Mindestlohn und mehr branchen- und regionalspezifische Mindestlöhne eingeführt werden. Ich verstehe die Gleichstellung von Frauen und Männern als eine zentrale Gerechtigkeitsfrage. Gleiche Chancen und Rechte auf dem Arbeitsmarkt gehören dazu. Wir haben in den letzten Wochen sehr viel zum Thema Gleichstellung diskutiert. Wir kommen gerade von der Kundgebung des DGB und des Deutschen Frauenrats am Brandenburger Tor. Es waren fast alle Fraktionen vertreten. Die FDP hat gefehlt. Ich frage mich, warum Sie zwei Straßenecken weiter stehen, allein im Schatten, ({2}) und warum Sie sich nicht unserer Kundgebung angeschlossen haben. Selbst die Frauenunion war da und hat eine Rednerin gestellt. ({3}) Wir haben dort mitbekommen, dass die Einschätzungen im Grunde genommen gleich sind. Ich frage mich allerdings, warum die Konsequenzen immer noch nicht gezogen werden. Wir von der Opposition machen Vorschläge. Wir vermissen aber immer noch die Vorschläge der Koalition und der Bundesregierung. Sie können sich gerne an unseren Vorschlägen bedienen, aber - darin sind wir uns alle einig - wir wollen nicht noch Jahre oder Jahrzehnte diskutieren. Deshalb meine Aufforderung: Tun Sie endlich etwas, damit Entgeltgleichheit in diesem Land endlich umgesetzt wird! ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat die Kollegin Katharina Landgraf von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Katharina Landgraf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001278, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am heutigen Tag der gleichen Entlohnung, Equal Pay Day, wird viel über die Ursachen des Lohnabstandes zwischen Männern und Frauen gesprochen; das haben bereits meine Vorredner ausführlich dargelegt. ({0}) - Vorrednerinnen, Sie haben recht. Die Anträge, über die wir heute debattieren, sind aber bereits über ein Jahr alt: Der von der SPD stammt von März 2011 und der von den Grünen von Februar 2011. Dabei ist doch inzwischen, wie ich bei meiner Vorbereitung festgestellt habe, einiges passiert. ({1}) Wir versuchen nämlich zusammen mit den Akteuren aus der Wirtschaft, die Ursachen der Entgeltungleichheit mit konkreten Maßnahmen zu bekämpfen. ({2}) - Es ist ein Anfang. - Durch Verbesserung der Rahmenbedingungen wollen wir die Karrierechancen von Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern. Ich möchte hier nur kurz die Initiative für familienbeKatharina Landgraf wusste Arbeitszeiten, das Programm „Perspektive Wiedereinstieg“, den Girls’ Day, die MINT-Initiativen, den stetigen Ausbau der Kinderbetreuung und die Partnermonate beim Elterngeld erwähnen. ({3}) Das alles wird dazu beitragen, das Berufswahlverfahren zu beeinflussen und Erwerbsunterbrechungen zu vermindern. ({4}) Das sind nämlich zwei Hauptursachen - das haben Sie selbst angeführt, Frau Marks - für den Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen. Gerade bei der Berufswahl stehen den Frauen doch jetzt alle Wege offen. Die typischen Frauenberufe wie Krankenschwester und Altenpflegerin möchte ich einmal bewusst ausklammern. Wir dürfen nämlich nicht dulden, dass der Dienst am Menschen schlechter bezahlt wird als der Dienst an Maschinen. ({5}) Ich meine vielmehr andere Berufsfelder wie das Finanzwesen. Dort wählen Frauen zum Beispiel noch immer überwiegend den Beruf der Buchhalterin, der nur halb so gut bezahlt wird wie der des kaufmännischen Leiters. Hier ist offensichtlich noch Aufklärungsarbeit zu leisten. ({6}) Ein weiterer Teil der Gesamtstrategie ist die schon erwähnte Einführung von Logib-D, „Lohngleichheit im Betrieb - Deutschland“. Die Teilnahme ist freiwillig und kostenlos. Daher würde es mich freuen, wenn noch mehr Unternehmen als bisher ihre Lohnstruktur überprüfen würden. ({7}) In diesem Zusammenhang müssen wir uns überlegen, ob sich vielleicht nicht auch der öffentliche Dienst einer solchen Überprüfung stellen sollte. ({8}) Denn auch dort kann von einer gleichen Bezahlung von Männern und Frauen nicht die Rede sein. Beamtinnen und Richterinnen verdienen rund 20 Prozent weniger als ihre Kollegen. Besonders krass sind die Unterschiede im mittleren und im höheren Dienst. Häufig dient der Hinweis auf die hohe Teilzeitquote der Frauen zur Erklärung. Das Argument zieht aber nicht; denn auch vollzeitbeschäftigte Frauen erhalten im Schnitt erheblich weniger Besoldung als Männer. ({9}) Das liegt daran, dass Frauen in Leitungspositionen niedriger eingruppiert werden als ihre Kollegen. Auch das ist ein unhaltbarer Zustand. ({10}) - Da sind wir uns einig. Anstoß zum Wandel könnte ein Gleichstellungsindex geben. Das ist ein Ranking, durch das ermittelt wird, welche Behörde die geringste Lohnlücke zwischen Männern und Frauen aufweist. Für die Behörden, die die oberen Plätze einnehmen, ist es eine vortreffliche Werbung, und für die Behörden, die die unteren Plätze einnehmen, wäre es sicherlich ein großer Anreiz, sich an die Spitze zu arbeiten. Gewinner sind, auf längere Sicht gesehen, auf jeden Fall die Frauen. So groß die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen auch ist: Es gibt Licht am Ende des Tunnels. Seit 2008 ist die Lohnkluft von 28 Prozent auf 23 Prozent gefallen. Das ist nicht viel, aber wenigstens etwas. Gleichzeitig ist der Verdienst der Frauen in dieser Zeit um rund 400 Euro gestiegen, während die Männer durchschnittlich nur rund 60 Euro mehr verdienen. Die Lücke schließt sich also langsam, aber stetig. ({11}) Dennoch bleibt ein erhebliches Verdienstgefälle zwischen Frauen und Männern bestehen. Allerdings muss man auch sagen, dass sich Frauen eher mit ihrer Lage abfinden ({12}) und offensichtlich mehr Angst vor Veränderungen haben. So wechseln zum Beispiel Männer erheblich öfter den Arbeitsplatz, um durch eine berufliche Veränderung Aussicht auf ein besseres Gehalt zu bekommen. Ein Lösungsansatz wäre, am Selbstvertrauen und Verhandlungsgeschick der Frauen zu arbeiten. Daran mangelt es den meisten Frauen gewaltig. Das ist auch ein Problem der jüngeren. ({13}) - Das ist nicht blöd. Ich möchte ein Zitat von Frau Marie von EbnerEschenbach anführen: Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft. Das sollten sich die Frauen wirklich hinter den Spiegel klemmen. ({14}) - Das heißt nicht, sie sind selbst daran schuld, sondern: Wir alle sollten ihnen helfen, Selbstvertrauen zu finden. Eine aktuelle Umfrage unter Studenten hat ergeben, dass die besten Studentinnen im Vergleich zu den nur durchschnittlichen männlichen Studenten quer durch alle Studienfächer geringere Gehaltserwartungen zum Berufseinstieg haben. ({15}) Das ist eine verzerrte Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten. Man kann es als „typisch weiblich“ bezeichnen. So sind Frauen, im Gegensatz zu Männern, dafür bekannt, das eigene Licht eher unter den Scheffel zu stellen, als mit ihren guten Leistungen hausieren zu gehen. Wer beim Gehaltspoker allerdings zu wenig fordert, verkauft sich unter Wert, und das hinterlässt beim zukünftigen Arbeitgeber keinen guten Eindruck. ({16}) Machen wir also die Frauen stark und selbstbewusst, und jammern wir nicht herum. Das sollte auch im Interesse der Arbeitgeber liegen; denn die Wirtschaft benötigt, wie wir alle wissen, dringend gut ausgebildete Frauen. Demzufolge suchen künftige Arbeitgeber bereits an den Unis nach den besten Nachwuchskräften. ({17}) Auf Bewerbungsmessen sollten verstärkt Coachings für Frauen angeboten werden, in denen die eigene Position für künftige Gehaltsverhandlungen gestärkt werden kann. Eine Unterstützung von Frauen bei individuellen Lohnverhandlungen über Mentoring-Programme, Frauenlohnspiegel und anderes wird vom Familienministerium bereits koordiniert. Aber auch bei Tarifverhandlungen der Gewerkschaften müssen Frauen intensiver mitwirken. Ich erinnere daran, dass unser neuer Bundespräsident Gauck heute auch auf die Gewerkschaften hingewiesen hat. Frauen sollten sich hier aktiver als bisher einbringen. ({18}) Ich bin überzeugt: Das ist der richtige Weg. Selbstbewusste und geschickt verhandelnde Frauen lassen sich nicht mit einem Gehalt abspeisen, das geringer ist als das, das ihre männlichen Konkurrenten schon lange bekommen - und genau das ist es, was ihnen zusteht. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Leider ist es noch nicht so weit. Arbeiten wir daran, dass es in unserem Land selbstverständlich wird! Vielen Dank. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christel Humme von der SPD-Fraktion. ({0})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Frau Schön, Ihrem roten Täschchen möchte ich gerne etwas entgegenhalten: Ich zeige Ihnen hier eine Lohntüte, in der mehr drin ist. Die Frauen fordern 23 Prozent mehr Lohn. Das bringen wir nur - davon sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten überzeugt - mit einer gesetzlichen Regelung zustande. Darum haben wir diesen Antrag gestellt. ({0}) Liebe Kollegen, 101 - 23 - 59,6: Wenn das die Maße eines Topmodels wären, würden Sie sicher etwas genauer hinsehen. Aber leider sind das die nüchternen Zahlen zur Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Seit 101 Jahren, Frau Bracht-Bendt ({1}) - Sie erinnern sich, wunderbar -, seit dem ersten Internationalen Frauentag, gibt es die Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. So viel zu Ihrer Überzeugung, das alles gehe freiwillig. Wir haben heute gehört, dass die Lohnlücke 23 Prozent beträgt. Sie stagniert seit 15 Jahren auf dieser Ebene. Was viel schlimmer ist: Seit fünf Jahren gibt es in Westdeutschland eine Lohnlücke in Höhe von 25 Prozent. Das zeigt ganz deutlich, dass die Freiwilligkeit überhaupt nicht greift. Frau Schön, wenn Sie sagen, die Diskriminierung bestehe in einer Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern von 8 Prozent, so stimme ich Ihnen zu. Aber auch in den übrigen Bereichen, in den Strukturen, findet Diskriminierung statt. ({2}) Darum darf man an dieser Stelle nichts, aber auch gar nichts beschönigen, Frau Schön. ({3}) Die Rentenlücke beträgt - das haben einige schon gesagt - 59,6 Prozent. Das heißt, Frauen erhalten schon heute etwa 60 Prozent, also fast zwei Drittel, weniger Rente als die Männer. Lohndiskriminierung ist für viele Frauen ein direkter Weg in die Altersarmut. Wollen Sie das noch länger hinnehmen? Ich sage Ihnen: Wir wollen es nicht! Wir wollen eine gesetzliche Regelung. Diese Regelung ist uns in diesem Moment viel zu wichtig. ({4}) Wir haben dazu beim letzten Equal Pay Day vor einem Jahr einen Antrag vorgelegt. Dieser Antrag ist mittlerweile im Ausschuss diskutiert worden. Die Regierungsfraktionen haben ihn dort abgelehnt. Gleichzeitig haben Sie ein Geheimnis daraus gemacht, wie Sie die Lohnungerechtigkeit konkret beseitigen wollen; das haben Sie auch im Ausschuss in keiner Weise offengelegt. Frau Landgraf, glauben Sie denn wirklich, dass es reicht - genau so äußern sich immer Frau Schröder und die Kanzlerin Merkel -, den Frauen zu sagen: „Seid mutiger, geht zum Chef und fordert mehr Lohn!“? ({5}) Was ist denn das für eine Forderung? Das reicht meiner Ansicht nach überhaupt nicht. ({6}) Frau Schön, glauben Sie denn wirklich, dass es ausreicht, darauf zu hoffen, dass die Unternehmen das Lohnanalyseverfahren Logib-D, das das Ministerium über das Internet zur Verfügung stellt, herunterladen und anwenden? Frau Landgraf, Sie haben gesagt, auch der öffentliche Dienst sei wichtig. Fangen wir doch einmal an, Herr Kues. Schöne Grüße an die Frau Ministerin, die heute nicht da ist! ({7}) Fangen wir endlich an. Wenden Sie das Lohnanalyseverfahren selber einmal in Ihrem Ministerium an und prüfen Sie, ob Sie diskriminierend oder nicht diskriminierend entlohnen. Das wäre doch ein gutes Vorbild, oder etwa nicht? ({8}) Nur auf Freiwilligkeit zu setzen, nützt nichts. Glauben Sie wirklich, dass es reicht, zu fordern: „Mehr Männer in die Kitas“? Glauben Sie wirklich, dann ändere sich plötzlich das Berufswahlverhalten von Männern und Frauen? Sie vernachlässigen dabei völlig die Lohnstruktur. Ich glaube, das Prinzip Hoffnung wird überhaupt nicht funktionieren. Weil wir eben nicht auf das Prinzip Hoffnung setzen, sondern auf Tatsachen und auf Veränderungen, sind wir der festen Überzeugung: Es geht nicht anders. Wir brauchen gesetzliche Regelungen. ({9}) Darum haben wir diesen Antrag gestellt. Ich sage Ihnen: Wir werden Ihnen auch ein Gesetz vorlegen. ({10}) Bei der Veranstaltung zum Equal Pay Day am Brandenburger Tor, wo viele von uns waren - Sie von der FDP waren leider überhaupt nicht anwesend, ({11}) die CDU/CSU war nur mit wenigen Personen vertreten -, haben wir viel Rückenwind für unsere Forderung bekommen. Alle Redner - bis auf eine Rednerin von der CDU - haben genau das gefordert: eine gesetzliche Regelung. Wir haben mittlerweile auch Rückenwind aus den Ländern. Baden-Württemberg wird in der nächsten Woche im Bundesrat eine Initiative zu einem Entgeltgleichheitsgesetz einbringen. Wir haben sogar Rückenwind aus Hessen - man glaubt es nicht -, und zwar von der CDU. Dort hat sich das Sozialministerium auf den Weg gemacht und bringt in die nächste Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz den Antrag ein, den Entwurf eines Gesetzes zur Schaffung von Entgeltgleichheit zu beraten. Last, but not least möchte ich sagen: Ich habe mich über einen ganz bestimmten Rückenwind besonders gefreut, nämlich über den aus Europa vom letzten Dienstag. ({12}) - Wahrscheinlich unterhalten sich die Männer da hinten gerade über Topmodelmaße; ({13}) sie hören zumindest nicht zu. - 72 Prozent der Abgeordneten im Europäischen Parlament haben gesetzliche Regelungen gefordert, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Quote, sondern auch auf die Beseitigung der Lohnungleichheit. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Ich sage zur FDP: Von den deutschen FDP-Abgeordneten im Europäischen Parlament, zwölf an der Zahl, ({0}) haben acht zugestimmt, zwei haben sich enthalten, und nur zwei waren dagegen. Ich rate Ihnen von der FDP: Tauschen Sie sich doch einmal mit Ihren europäischen Kollegen ein bisschen aus. Dann kommen Sie auch hier in unserem Parlament zu den richtigen Schlüssen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, bitte. Sie haben Ihre Zeit weit überzogen.

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Sie, die Regierung, haben sich heute mit Ihrer Nichtpolitik zur Schaffung von Gleichstellung völlig isoliert. ({0}) Ich sage Ihnen: Wir werden Ihnen ein Gesetz präsentieren. Danke schön. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der Kollege Jörg von Polheim für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Jörg Polheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004220, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Stunden hat an selber Stelle der neue Bundespräsident Dr. Gauck darauf hingewiesen, dass Freiheit immer wieder neu erkämpft und entdeckt werden muss. Heute möchte ich mich hier als typischer Mittelständler für die Freiheit von staatlicher Gängelung und die Förderung der unternehmerischen Handlungsfreiheit einsetzen. ({0}) - Sie haben eine sehr einseitige Sichtweise. ({1}) - Doch! ({2}) Als Rückgrat unserer Gesellschaft muss der Mittelstand in seiner Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und darf er nicht durch komplizierte und überflüssige Regeln belastet werden. ({3}) Der Antrag der SPD zur Durchsetzung eines Entgeltgleichheitsgesetzes widerspricht dem Gedanken der Freiheit grundlegend. ({4}) - Ich möchte Ihnen einmal sagen: Nicht wer am lautesten brüllt, hat am meisten recht. ({5}) Die Forderung der SPD nach Erstellung von betrieblichen Entgeltberichten und der Einrichtung einer zentralen behördlichen Prüfungsstelle löst das Problem der faktischen Diskriminierung von Frauen nicht. Im Gegenteil: Es wird nur verlagert, nämlich weg von einer konstruktiven gesellschaftspolitischen Debatte über die Aufsprengung traditioneller Rollenbilder hin zur staatlichen Reglementierung und zu gesetzlichen Zwangsmaßnahmen. ({6}) Man erhöht mit dieser Regelung nur das Frustpotenzial im Zusammenhang mit staatlich verordneter Bürokratie. Wir Liberalen lehnen diese staatliche Bevormundung ab. Wir treten für Chancengleichheit und für transparente Gehaltsstrukturen bei Männern und Frauen ein, für welche die Qualifikation entscheidend ist. Es mangelt auch nicht an einer Rechtsgrundlage zur Entgeltgleichheit. Denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz legt bereits eindeutig und umfassend fest, dass für gleiche Arbeit gleicher Lohn zu zahlen ist. Woran es mangelt, ist die Umsetzung dieser gesetzlichen Regelung. ({7}) - Das Ausredenlassen fällt aber schwer. - Hierzu haben wir Liberale schon verschiedene Vorschläge gemacht. So fordern wir unter anderem flexible Teilzeitmodelle, die für Frauen und Männer gleichermaßen attraktiv sind. Damit könnte die Entgeltungleichheit zwischen den Geschlechtern endlich beseitigt werden. Gerade auch in Führungs- und Leitungspositionen sind diese Arbeitszeitmodelle wichtig, um mehr Wahlfreiheit im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Pflege und Beruf zu ermöglichen. Der aktuelle Familienbericht des Bundesfamilienministeriums greift diese Problematik auf und verweist auf ein neues Politikfeld, nämlich die Zeitpolitik. Deren Ziel ist es, eine stärkere Angleichung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit und der Lebensarbeitszeit von Frauen und Männern zu erreichen. Dies kann zum Beispiel durch stärkere Inanspruchnahme der Elternzeit durch Väter geschehen. Die Partnermonate des Elterngeldes sind ein besonders wichtiger Baustein der Politik der christlich-liberalen Koalition zur Überwindung der Entgeltungleichheit. ({8}) Zudem haben wir mit dem Aktionsprogramm „Perspektive Wiedereinstieg“ die Ein- und Aufstiegschancen von Frauen nach einer familienbedingten Erwerbsunterbrechung deutlich verbessert. ({9}) Die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt voranzutreiben, ist ein wichtiges Ziel. Wir haben sehr wohl erkannt, dass die Erwerbstätigkeit der Frauen seit Jahren kontinuierlich zunimmt. Doch eine tatsächliche Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt ist noch nicht erreicht; das wissen wir. Dabei wird deutlich, dass die faktische Gleichstellung und die Schaffung von Chancengleichheit für Frauen und Männer Aufgabe aller verantwortlichen gesellschaftlichen Akteure ist, nicht allein die der Politik. Ich begrüße daher den Vorschlag, lokale Kooperationen von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu fördern, um gemeinsame überbetriebliche Betreuungsmöglichkeiten für Kinder einzurichten. ({10}) Damit können wir unbürokratisch und ohne staatlichen Zwang eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen und vermeiden so die von Ihnen, von der SPD, geforderten staatlichen Zwangsmaßnahmen. ({11}) Entgeltgleichheit ist kein rechtliches Problem, sondern eines der Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche allen ein schönes Wochenende. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen gesetzlich durchsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5821, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5038 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4852 mit dem Titel „Frauen verdienen mehr - Gleichstellung ist Innovationspolitik“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung von SPD und Linken angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. März 2012, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.