Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zur heutigen Sitzung, die hiermit
eröffnet ist.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt 2 - fort:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2010
({0})
- Drucksache 17/200 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache
eine Redezeit von insgesamt dreieinhalb Stunden beschlossen.
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister Peter
Ramsauer.
({1})
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Mit der Einbringung des Bundeshaushalts 2010
gibt die Bundesregierung ein ganz klares Bekenntnis ab
für mehr Freiheit, für mehr Gerechtigkeit, für Wohlstand, Wachstum, Eigentum und Sicherheit bei den Arbeitsplätzen.
({0})
Das heißt für den Einzelplan 12, für den Etat meines
Hauses, über den wir heute Vormittag diskutieren: Wir
wollen Mobilität als unverzichtbaren Teil unserer Freiheit und unseres Wohlstandes sichern, ausbauen und
bestmöglich organisieren. Unter anderem dank der beiden Konjunkturpakete investieren wir auf Rekordniveau
in unsere Infrastruktur, und zwar auch, damit wir schnell
aus der Krise herauskommen. Wir tun dies ferner, damit
unser Land nach dieser Wirtschaftskrise noch besser für
die Zukunft gerüstet ist und sich solche Krisen nicht wiederholen.
Um es auch hier klar zu sagen: Infrastruktur ist eine
öffentliche Aufgabe. Ich habe mich in meiner ersten
Rede als Bundesminister bereits deutlich dazu geäußert,
wo für den Infrastrukturbereich, für quasi öffentliche Betriebe, die Grenzen der Privatisierungsmöglichkeiten liegen.
({1})
Das heißt: Wir werden in den kommenden Jahren mit
massiven öffentlichen Investitionen dafür sorgen, dass
diese Infrastruktur so leistungsfähig ist, wie es für eine
gute Zukunft unseres Landes erforderlich ist.
({2})
Wo liegen nun die Schwerpunkte unserer Arbeit? Der
Entwurf dieses Etats umfasst Ausgaben von insgesamt
26,4 Milliarden Euro. Das ist der viertgrößte Einzeletat.
Aber es ist der größte Investivetat. Allein für Investitionen stehen 14,8 Milliarden Euro bereit, nämlich
12,6 Milliarden Euro für den gesamten Verkehrsbereich
und 2,2 Milliarden Euro für den Bereich Bau und Stadtentwicklung. Allein für die Verkehrswege - ich betone:
für die Verkehrswege - sieht der Entwurf Ausgaben in
Höhe von annähernd 10,8 Milliarden Euro vor. Ich
möchte an dieser Stelle noch kurz differenzieren, damit
Klarheit herrscht, wohin es im Einzelnen geht, nämlich
4,3 Milliarden Euro in die Bundesschienenwege,
5,3 Milliarden Euro in die Bundesfernstraßen, rund
1 Milliarde Euro in die Bundeswasserstraßen und - das
kommt, obwohl es eminent wichtig ist, leider immer zu
kurz - 150 Millionen Euro in den Kombinierten Verkehr.
Hinzu kommt noch 1 Milliarde Euro aus dem zweiten
Konjunkturpaket, sodass insgesamt fast 12 Milliarden
Redetext
Euro für Investitionen in die Infrastruktur zur Verfügung
stehen.
Ich habe gerade kurz über die Schiene gesprochen.
Das müsste eigentlich viel ausführlicher geschehen, als
es im Rahmen einer Einbringungsrede möglich ist. Aber
ich möchte noch einmal betonen, dass wir, wenn wir nur
einen einigermaßen verantwortbaren Teil des zu erwartenden Frachtzuwachses nicht auf die Straße, sondern
auf die Schiene bekommen wollen, alle erdenklichen
Anstrengungen im Bereich der Schiene unternehmen
müssen. Deswegen verstehe ich nicht, was mir die Kollegin Künast von den Grünen vorgestern vorgeworfen
hat. Sie hat gesagt:
… dieser Verkehrsminister redet sich über Schienenverkehr besoffen …
Ich verstehe nicht, was die Kollegin Künast
({3})
- jetzt ist sie da; willkommen! ({4})
unter dem Wort „besoffen“ versteht. Es zeigt aber offensichtlich, dass Sie sich nicht über etwas freuen können;
dafür sind Sie ja bekannt.
({5})
Aber ich freue mich darüber, ich kann mich regelrecht
darüber begeistern, dass wir mit Bahn und Schiene eine
Möglichkeit in Deutschland haben, verantwortbare Verkehrsinfrastrukturpolitik für die Zukunft zu betreiben.
({6})
Deswegen bleibt es selbstverständlich dringend notwendig, hier im deutschen Parlament in vielfältiger Hinsicht über Schiene und Bahn zu sprechen. Davon wird
mich auch niemand abbringen. Spricht man nicht über
die Schiene, passt es Ihnen nicht, Frau Künast. Spricht
man aber über die Schiene, dann bezeichnen Sie das als
„besoffen“, und es passt Ihnen auch wieder nicht. Was
wollen Sie eigentlich?
Weil wir gerade bei der Schiene und der Bahn sind:
Es hat dieser Tage Meldungen gegeben - man muss sich
manchmal wundern -, es habe ein Geheimtreffen zwischen mir, dem Bahnchef und dem zuständigen Staatssekretär über eine angeblich geheime Streichliste gegeben. Ich kann dazu in aller Öffentlichkeit nur sagen: So
ein Quatsch und so ein Unfug!
({7})
Mancher Unfug verbreitet sich schneller als kluge politische Botschaften. Aber wir dürfen nicht müde werden,
letztere zu verbreiten. Jetzt ist dazu die Gelegenheit.
Wir sprechen über viel Geld, und deshalb müssen wir
ganz gezielt Prioritäten setzen. Wir unterstützen moderne Verkehrstechnologien auf der Straße und auf der
Schiene. Dazu gehört all das, was sich hinter dem Wort
Elektromobilität verbirgt. Ich lege großes Gewicht auf
die Elektromobilität, weil ich sie für einen der wesentlichen Zukunftsmärkte und für eine der wesentlichen Zukunftstechnologien im Verkehrsbereich halte.
({8})
Ich habe es oft gesagt und kann es nicht häufig genug
wiederholen: So wie wir in Deutschland heute die besten
Autos der Welt bauen, so müssen wir in Zukunft die besten Elektroautos bauen. Das wollen wir, und das ist unsere Vision.
({9})
Kollege Brüderle und ich werden am 1. Februar die
Gemeinsame Geschäftsstelle Elektromobilität in Gang
setzen. Ich freue mich, dass mein Haus die Leitung dieser Geschäftsstelle stellt.
Eng mit diesem Zukunftsmarkt verbunden sind unsere Bemühungen in der Außenwirtschaftspolitik. Ebenfalls eng damit verbunden sind unsere Bemühungen im
Klima- und Umweltschutz. Der Vorsitzende des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Kollege Hermann von den Grünen, hat kürzlich darauf hingewiesen, dass mein Ressort das zentrale Klima- und
Umweltschutzressort ist. Richtig, kann ich da nur sagen.
({10})
- Es stimmt schlicht und einfach.
Deshalb habe ich eine neue Unterabteilung mit dem
Titel „Klima- und Umweltschutzpolitik“ geschaffen;
denn 70 Prozent des gesamten Primärenergiebedarfs und
40 Prozent der gesamten CO2-Emissionen sind mit Themen meines Hauses verbunden, nämlich Heizen im Baubereich, Wasser, Luft und Energieverbrauch im Verkehrsbereich.
({11})
Ich bleibe dabei, dass wir unsere Bemühungen in diesem Bereich verstärken müssen. Das passt Ihnen vielleicht nicht, Frau Künast, aber immerhin hat mir das vor
drei Tagen einen großen Artikel in der taz mit der Überschrift „Der Überraschungsminister“ eingebracht. Sie
werden sich auf diesem Gebiet noch über einiges wundern müssen.
({12})
Infrastrukturpolitik hat einen großen Europabezug.
Deshalb wird in meinem Hause die Europapolitik organisatorisch und personell gestärkt.
Neben der Stadtentwicklung werde ich mir auch die
gesamte Thematik der ländlichen Räume stärker zu eigen machen. Es ist meine große Sorge, dass wir immer
mehr Regionen haben, die sich regelrecht entvölkern.
Ich sage das vor allem im Hinblick auf manche Gebiete
in den neuen Bundesländern. Wenn sich solche Gebiete
entvölkern, dann sterben ländliche Räume, dann sterben
gesellschaftliche Strukturen, und dann stirbt überkommenes, wertvolles Kulturgut aus.
Ich weiß, dass das Thema „ländliche Räume“ bisher
nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit steht wie das
Thema „Metropolregionen“. Mein Haus ist aber berufen,
sich auch um die ländlichen Räume zu kümmern. Deswegen werden wir ihnen durch eine neue Initiative die
Möglichkeit geben, sich strukturell zu reorganisieren,
sodass auch alte Menschen in diesen Räumen eine gute
Daseinsvorsorge haben und junge Menschen nicht mehr
abwandern müssen.
({13})
Auch für den Bereich der KfW-Förderprogramme
ist eine Klarstellung geboten. Der Renner im Bereich der
KfW-Programme zur energetischen Gebäudesanierung
ist das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Ich nenne es
ein gigantisches Erfolgsprogramm. Wir werden dieses
zentrale Programm unserer Klimaschutzpolitik im Gebäudebereich selbstverständlich fortsetzen. Es ist wegen
der vorläufigen Haushaltsführung, die wir momentan betreiben, zu Irritationen gekommen. Ich möchte aber in
aller Deutlichkeit Entwarnung geben.
Ich bedanke mich bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses dafür, dass dieses Thema für die kommende
Woche auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Ich bitte darum, dass die Sorgen der Betroffenen ernst genommen
werden und dass der Haushaltsausschuss eine entsprechende Entsperrung der Mittel bewilligt. Bis dahin können die Anträge weiterhin gestellt werden. Bis dahin
behelfen wir uns damit, dass wir gegenseitig deckungsfähig Gelder fließen lassen.
Mit diesem Haushalt setze ich neue Akzente in der
Verkehrspolitik, der Baupolitik und der Stadtentwicklungspolitik. Ich tue dies, damit alle Menschen in
Deutschland gut fahren, gut reisen, gut unterwegs sein
und gut bauen können. Ich tue es, damit für sie gut gebaut wird, damit sie gut wohnen können. Kurzum: Ich
werde mit diesem Haushalt alles dafür tun, dass die
Menschen in Sicherheit und Wohlstand mobil sein können.
Vielen herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat nun Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, Sie hatten zwölf Minuten Zeit, uns zu
erklären, was Sie tun wollen. Wir haben aber nur wenig
davon gehört.
({0})
Die interessierte Öffentlichkeit und die Fachwelt haben mit Spannung auf Ihre Rede gewartet, weil nach den
diversen Ankündigungen der letzten Monate, wie ich
meine, mit Recht einige Erwartungen im öffentlichen
Raum bestanden. Im Koalitionsvertrag wurden Initiativen zum Lärmschutz vereinbart. Da wurde die Abschaffung des Schienenbonusses und eine Intensivierung
von Lärmschutzmaßnahmen angekündigt. Im Wahlkampf wurde die Absenkung der Lkw-Maut versprochen. Sie haben ein Sonderaufbauprogramm West angekündigt.
({1})
Sie haben im November 400 Millionen Euro zusätzliche
Finanzmittel gefordert. Vor Weihnachten ist Ihnen eingefallen, dass man auch ein Sonderausbauprogramm Bahn
braucht, weil - ich zitiere Sie - das gesamte künftige
Wachstum des Güterverkehrs auf die Schiene geholt
werden solle und dafür das Netz ausgebaut werden
müsse. - Wie das gehen soll, bleibt wahrscheinlich für
immer Ihr Geheimnis.
Herr Minister, meine Frage lautet: Was ist daraus geworden? Wir haben hier eben von Ihnen nichts dazu gehört. Ich stelle fest: nichts, absolute Fehlanzeige. Hat
Herr Schäuble aus Peter Ramsauer, diesem vermeintlichen bayerischen Löwen, ein schnurrendes bayerisches
Kätzchen gemacht?
({2})
Der ländliche Raum ist angesprochen worden. Ich
vermisse auch bei diesem Thema, dass Sie sich klar einbringen. Herr Ramsauer, Sie müssen aufpassen, dass Sie
nicht zum Ankündigungsminister werden.
({3})
Ich glaube, das haben die deutsche Verkehrswirtschaft
und die deutsche Bauwirtschaft nicht verdient. Wir alle
wollen Taten von Ihnen sehen.
Wenn man sich dem Haushaltsentwurf, den Sie hier
vorgelegt haben, zuwendet, muss man feststellen: Im
Großen und Ganzen ist das der Haushalt von Tiefensee,
der mit einigen Umschichtungen, verschiedenen Änderungen bei Verpflichtungsermächtigungen und einer großen globalen Minderausgabe, auf die ich noch eingehen
werde, versehen wurde. Insofern ist die Ausstattung - da
stimme ich Ihnen zu - noch recht ordentlich. Zusammen
mit den Investitionsmitteln aus den Konjunkturprogrammen - Sie haben die Zahlen genannt - liegt einiges auf
dem Tisch. Nur, das ist nicht Ihr Verdienst. Das sind die
Ergebnisse der Gespräche zwischen Tiefensee und
Steinbrück.
Wenig akzeptabel ist die von Ihnen vorgesehene Deckung der wachsenden Ausgaben für Wohngeld. Statt
eine Gegenfinanzierung aus dem Gesamthaushalt durchzusetzen, haben Sie sich von Herrn Schäuble eine globale Minderausgabe von 100 Millionen Euro in den Einzelplan 12 drücken lassen. Das ist ein ungedeckter
Scheck, Herr Minister, der gegen andere Maßnahmen
ausgespielt wird. Fangen Sie bitte nicht so an; denn
Wahrheit und Klarheit des Haushaltes entsprechend der
Bundeshaushaltsordnung sieht anders aus.
Sie haben nichts zu der 2-Milliarden-Euro-Sperre des
Bundesfinanzministers bei den Mautmitteln gesagt.
Auch da: Fehlanzeige. Kurz gesagt: Das Neue an Ihrem
Haushalt ist nicht wirklich gut, und das Gute daran ist
nicht neu.
Doch was kommt dann? Die deutsche Verkehrswirtschaft befürchtet, dass, nachdem die neue Bundesregierung die Spendierhosen für völlig überflüssige sogenannte Wachstumsimpulse angezogen hat, für wirklich
sinnvolle, die Wirtschaft stimulierende und unterstützende Maßnahmen kein zusätzliches Geld da ist.
Sie selbst waren im November bei der sogenannten
DEHOGA-Sause in der Deutschen Parlamentarischen
Gesellschaft zugegen und hatten, wie man dem Tagesspiegel vom Mittwoch entnehmen konnte, ein Geschenk
dabei. Sie sagten, das Steuergeschenk für die Hoteliers
sei die „erste Milliarde“, und Sie versprachen der 50-jährigen DEHOGA-Hauptgeschäftsführerin:
Die nächste Milliarde kommt dann nicht erst
zum 60.
Das brutale Kontrastprogramm zu Ihrer Spendiermentalität findet sich in Ihrem eigenen Haushalt. Man
fragt sich, ob Sie es wirklich nicht wissen oder schlicht
verdrängen, weil Ihnen die CSU-Spendenkasse wichtiger ist.
Mit dem Haushalt des Jahres 2011 werden die Konjunkturprogramme auslaufen, ist eine Absenkung der
Investitionslinie abzusehen, wird es zu steigenden Einnahmeausfällen bei der Lkw-Maut kommen, wird es einen wachsenden Druck zur Ausgabenreduzierung durch
Schuldenbremse und Haushaltskonsolidierung geben,
müssen Ihre Spendiermilliarden bezahlt werden, wird es
einen weiteren Investitionsbedarf bei Infrastrukturprojekten im Bereich des Neu- und Ausbaus geben und wird
es einen steigenden Investitionsbedarf beim Erhalt von
Verkehrsinfrastruktur geben. Außerdem müssen Sie
- das haben auch Sie gesagt - mehr Haushaltsmittel zur
Verfügung stellen, um der immer noch wachsenden
Nachfrage beim CO2-Gebäudesanierungsprogramm nachzukommen.
Als wäre die Situation nicht schon anstrengend und
angespannt genug, treiben Sie von der Koalition mit Ihrer Steuersenkungsorgie die Schulden weiter in die Höhe
und machen die Lage damit noch komplizierter. Vor diesem Hintergrund, Herr Minister, sind Ihre Zahlen der
mittelfristigen Finanzplanung reinste Makulatur. Darum fordere ich Sie im Namen meiner Fraktion heute
klipp und klar auf, bereits während der Haushaltsverhandlungen zum laufenden Haushaltsjahr 2010 eine
aktualisierte mittelfristige Finanzplanung vorzulegen,
damit wir in Deutschland wissen, wohin die Reise geht.
({4})
Ich bin im Übrigen gespannt auf die Anträge aus den
Regierungsfraktionen, insbesondere auf die zahlreichen
Kürzungsanträge aus den Reihen der FDP à la 2009, in
denen zum Beispiel die Streichung der Mittel für die
Stelle eines Parlamentarischen Staatssekretärs
({5})
oder die Absenkung der Mittel für Dienstreisen, für den
Geschäftsbedarf und für die Öffentlichkeitsarbeit beantragt wird.
Herr Minister, noch ein Wort zu Ihnen: Tun Sie was!
Fangen Sie mit Ihrem Job wirklich an! Beginnen Sie das
Regieren! Wir brauchen eine planvolle, konzeptionell
wirkungsvolle Verkehrs- und Baupolitik. Kümmern Sie
sich um die Stabilität und die Verstetigung der Infrastrukturfinanzierung! Welches Verkehrssystem ist mit
welchem Finanzmittelrahmen leistbar? Welche kostenneutralen Effizienzsteigerungen sind möglich? Welche
Vernetzung der Verkehrsträger schwebt Ihnen vor? Wie
steht es um die Verstetigung der ÖPP-Projekte? Wie ist
der Stand beim Schienenbedarfsplan? Wie sieht die Priorisierung der Verkehrsinvestitionen aus? Was macht der
neue Bundesverkehrswegeplan? Wie geht es mit der
Harmonierung bei der Bahn und beim Transportgewerbe
weiter? Wie steht es um die Mautklage der Bundesrepublik Deutschland?
({6})
Auch dazu haben wir am heutigen Morgen nichts gehört.
Stattdessen machen Sie neue Ankündigungen zum ländlichen Raum. Was macht die Umsetzung der Maßnahmen aus dem Masterplan Güterverkehr und Logistik?
Was macht die Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie?
Ein Wort zum Schluss.
({7})
Ich lese in der Süddeutschen vom 19. Januar dieses Jahres, es gebe Lohndumping bei der Bahn. Mein ganz
persönlicher Wunsch lautet: Kümmern Sie sich als Verkehrsminister darum, dass es kein Lohndumping bei der
Deutschen Bahn gibt!
({8})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Merken
Sie, ich mache mir Sorgen um die Verkehrspolitik in
Deutschland.
Zum Schluss frei nach Erich Kästner ein Wort zum
neuen Jahr: „Wird es besser, wird es schlimmer?“, fragt
man alljährlich. Seien wir ehrlich: Unser Leben wird bei
dieser Bundesregierung lebensgefährlich.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDPFraktion.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr verehrter Herr Beckmeyer, ich finde Ihre
Aufzählung der Projekte, die noch bearbeitet werden
müssten, schon bemerkenswert und frage mich: Was haben Sie eigentlich in den letzten zehn Jahren getan?
({0})
Ich glaube nicht, dass das alles Themen sind, die plötzlich neu zu behandeln sind.
({1})
Sie haben recht, dass dieser Haushalt in manchen Teilen bedauerlicherweise noch die Handschrift von Herrn
Tiefensee trägt.
({2})
Sie können sicher sein, dass der Haushalt 2011 in dieser
Hinsicht ganz anders aussehen wird.
({3})
Da werden wir entsprechende Schritte einleiten. Als
Haushälterin muss ich auch sagen: Wir können nicht alles im Jahre 2010 machen.
({4})
Wir werden länger dafür brauchen, diese Projekte auf
den Weg zu bringen.
({5})
Einzelplan 12 ist einer der wichtigsten Zukunftshaushalte; das hat der Herr Minister schon gesagt. Von den
insgesamt 26,4 Milliarden Euro sind fast 15 Milliarden
Euro Investitionen, so viel wie in keinem anderen Etat.
Der Verkehrshaushalt ist damit von zentraler Bedeutung,
auch für die wirtschaftliche Entwicklung. Leistungsfähige und intelligent vernetzte Verkehrswege bilden die
Grundlage für ein dauerhaftes und stabiles Wirtschaftswachstum in diesem Land.
Entsprechend groß sind natürlich auch die Herausforderungen, vor denen die Verkehrspolitik jetzt steht. Die
Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind in den
letzten Jahren - da waren auch Sie mit dabei - leider
hinter dem Bedarf zurückgeblieben. Jeder Autofahrer,
der auf der Autobahn im Stau steht, weiß, welchen Modernisierungs- und Ausbaubedarf wir hier haben. Selbstverständlich leidet auch jeder Bahnfahrer unter Verspätungen oder Zugausfällen.
Herr Beckmeyer, fünf SPD-Minister haben sich in
den letzten elf Jahren im Verkehrsministerium versucht.
Keinem ist es gelungen, einen ausreichenden, stabilen
Haushaltsansatz für die Verkehrsinvestitionen zu schaffen; vielleicht bedenken Sie auch das einmal.
({6})
Die Bilanz nach elf Jahren sozialdemokratischer Verkehrspolitik lautet nämlich: viel Lärm um nichts.
({7})
Meine Damen und Herren, hier steht die neue Koalition
vor einer wichtigen Aufgabe: vor der Aufgabe, eine Infrastruktur zu schaffen, die den Anforderungen eines
modernen Industriestaates im Herzen Europas auch gerecht wird.
Als wichtigsten Bereich möchte ich die Straße hervorheben; denn die Straße ist und bleibt der Verkehrsträge Nummer eins. Aktuell nimmt die Straße 88 Prozent
des Personenverkehrs und 82 Prozent des Güterverkehrs
auf. Unsere Autobahnen sind vielfach überlastet, weil
der Ausbau nicht mit dem wachsenden Verkehr Schritt
halten kann.
Und der Verkehr wächst weiter. Bis zum Jahre 2025
wird der Pkw-Verkehr um 16 Prozent zunehmen, der
Lkw-Verkehr sogar um 80 Prozent. Wir müssen also unser Fernstraßensystem ausbauen, und dafür brauchen wir
höhere Investitionen. Daher müssen wir zunächst die
Zahlen in der Finanzplanung genau prüfen.
Der Haushalt 2010 - das haben Sie schon gesagt - ist
aufgrund der zusätzlichen Mittel aus den Konjunkturpaketen ein Sonderfall. Wir werden in diesem Jahr 5,3 Milliarden Euro in die Straße investieren können. Allerdings
soll dieser Betrag in den nächsten Jahren bis auf 4,8 Milliarden Euro sinken. Unser Ziel muss es sein, die Straßeninvestitionen auch mittelfristig bei deutlich über
5 Milliarden Euro zu verstetigen.
({8})
Angesichts der schwierigen Situation des Bundeshaushaltes ist das eine große Herausforderung. Deswegen
müssen wir verstärkt auch über alternative Finanzierungswege nachdenken.
Stichwort Lkw-Maut: Wir wollen endlich Transparenz schaffen und Schluss machen mit dem jahrelangen
Mautbetrug, dass Teile der Einnahmen aus der LkwMaut nicht in Investitionen in die Straße geflossen,
({9})
sondern stattdessen im allgemeinen Haushalt versickert
sind.
({10})
Für 2010 erwarten wir Einnahmen aus der Maut in Höhe
von 4,9 Milliarden Euro; das ist eine große Summe.
Nach dem Motto „Straße finanziert Straße“
({11})
wollen wir die Einnahmen aus der Lkw-Maut vollständig in den Straßenbau zurückfließen lassen.
({12})
Wenn die Einnahmen dort investiert werden, wo sie
erzielt wurden, steigert das auch die Akzeptanz der LkwMaut. Wichtig ist, dass wir für die nächsten Jahre klar
festlegen, welche Summe wir letztendlich in die Straße
investieren wollen.
({13})
Wir wollen mit Haushaltsmitteln in Kombination mit
den Mauteinnahmen eine langfristige Planungs- und
Finanzierungssicherheit und damit auch die Voraussetzungen für mehr Wirtschaftswachstum schaffen.
({14})
Denn mehr Wachstum und mehr Einnahmen aus der
Lkw-Maut bedeuten auch mehr Geld für die Straße.
({15})
Als weiteren Schritt wollen wir mehr privates Kapital für den Straßenbau mobilisieren. In der Vergangenheit hat es bereits gute Beispiele für öffentlich-private
Partnerschaften beim Autobahnbau gegeben. Diesen Bereich wollen wir weiter ausbauen. Durch die Kombination dieser Maßnahmen können wir letztendlich höhere
Investitionen in die Straße realisieren.
({16})
Wir schaffen so die Voraussetzungen für eine solide
Straßenfinanzierung, die den Anforderungen, die die zukünftige Verkehrsentwicklung stellen wird, gerecht wird.
({17})
Wir wollen mittelfristig nicht nur erreichen, dass in
der Gesamtsumme mehr Geld in die Verkehrsinfrastruktur fließt, wir wollen die Verteilung der vorhandenen
Gelder auch effektiver gestalten. Dazu gehört die Konzentration auf Infrastrukturschwerpunkte. Bei allen
drei Verkehrsträgern - Straße, Schiene und Wasserstraße müssen wir Prioritäten setzen. Ich nenne die wichtigsten
Punkte: Erhalt muss vor Neubau gehen, damit wir den
schleichenden Verlust an Substanz beenden. Wir müssen
dringend die Engpässe an wichtigen Verkehrsknoten und
Hauptverbindungen beseitigen. Häfen und Flugdrehkreuze brauchen eine gut ausgebaute Hinterlandanbindung.
({18})
Durch Verkehrslenksysteme erreichen wir eine intelligente Vernetzung der Verkehrswege, die dazu beiträgt,
dass der Verkehr auf besonders beanspruchten Straßen
besser fließt.
({19})
Auch bei den rechtlichen Rahmenbedingungen gibt es
Handlungsbedarf, insbesondere im Planungsrecht. Die
Phase der Planung von Verkehrsprojekten nimmt oft viel
zu viel Zeit in Anspruch und kostet zu viel; dieses Geld
fehlt dann an anderer Stelle.
Meine Damen und Herren, wir stehen vor einer
schwierigen Phase der Haushaltskonsolidierung. In den
nächsten Jahren muss massiv gespart werden. Dieses
Sparen darf aber nicht auf Kosten der Infrastruktur gehen. Unsere Infrastruktur ist eine Voraussetzung für
Wirtschaftswachstum und damit für Steuereinnahmen.
({20})
Der Spagat zwischen der Haushaltskonsolidierung auf
der einen Seite und der Finanzierung notwendiger Investitionen auf der anderen Seite ist eine große Herausforderung. Das ist keine leichte Aufgabe; aber ich freue
mich darauf, diese Herausforderung gemeinsam mit der
Koalition anzupacken.
Danke.
({21})
Das Wort hat Roland Claus für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Linke steht für eine Verkehrs-, Bau- und
Stadtentwicklungspolitik, die Mobilität und urbanes Leben stets aus der Perspektive sozialer Verantwortung und
demokratischer Teilhabe aller an den Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge betrachtet.
({0})
Das ist der Maßstab, den wir an den - das ist schon
erwähnt worden - größten Investitionsetat des Bundes
anlegen. Ich kann und will nur einige wenige Schwerpunkte näher beleuchten. Zunächst, meine Damen und
Herren, möchte ich Sie daran erinnern, dass wir bei diesem Etat über viele Jahre hinweg immer auch über
Ostdeutschland gesprochen haben, weil der Bundesverkehrsminister früher auch der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer war. Diese Zuständigkeit - das ist uns nicht verborgen geblieben - hat
jetzt zum Bundesinnenministerium gewechselt. Ich will
aber eines für die Fraktion Die Linke klarstellen: Wir
werden das Thema der neuen Bundesländer, das Thema
Ostdeutschland, auch bei diesem Etat zur Sprache bringen.
({1})
Es handelt sich bei diesem Etat um einen Infrastrukturetat. Unser Verständnis von moderner Verwaltung beinhaltet die Überlegung, dass es Sinn machen würde, das
Bundeswirtschaftsministerium und das Ministerium für
Landwirtschaft in diesen Etat zu integrieren und in der
Tat eine vernünftige Bundesverwaltung aus einer Hand
zu schaffen. Dann, Herr Minister Ramsauer, würde Ihr
plausibles Engagement für die ländlichen Räume - das
wir durchaus unterstützen - wesentlich mehr Sinn machen. Ich will daran erinnern, dass die Bundeskanzlerin
am Mittwoch in ihrer Erklärung einen bedeutungsschweren Satz zu Ostdeutschland gesagt hat. Sie sagte - ich
darf das wiederholen -, dass
… die strukturellen Probleme der neuen Bundesländer … andere sind als in den alten Bundesländern.
Daran ist natürlich nichts falsch; aber wenn statt einer
klaren Analyse so ein Satz kommt, ist das nichts anderes
als dünne Suppe.
({2})
Wir haben darauf aufmerksam zu machen, dass die
Situation in den neuen Bundesländern tatsächlich gravierende Unterschiede zu der in den alten Bundesländern
aufweist: doppelt so hohe Arbeitslosigkeit, eine Niedriglohnquote, die doppelt so hoch wie die in den westlichen
Bundesländern ist, und die Tatsache, dass zusammengenommen die 100 größten ostdeutschen Unternehmen
nicht die Hälfte der Leistungskraft von Daimler erreichen und es im Osten nicht eine einzige große Konzernzentrale gibt. Dies alles sind unhaltbare Zustände, die bei
einer vernünftigen und zukunftsfähigen Infrastrukturpolitik verändert würden.
({3})
Ich erläutere das an einem Beispiel: Im Einzelplan 12
ist der Stadtumbau Ost als eine fortzusetzende Aufgabe
enthalten, was wir begrüßen. Wir begrüßen auch, dass
nunmehr ein Stadtumbauprogramm West aufgelegt
wurde. Aber wir vermissen schmerzlich, dass jahrelang
gewonnene Erfahrungen beim Stadtumbau Ost irgendeine Anwendung beim Stadtumbau West finden.
Verdammt noch mal, wozu sind denn diese Erfahrungen
gemacht worden? Wenn man im Westen wenigstens die
Courage hätte, zu sagen, wir wollen einmal gucken, was
die Ossis mit unserem teuren Geld alles falsch gemacht
haben, damit wir die Fehler nicht wiederholen, dann
wäre dies schon ein Schritt. Aber nicht einmal das findet
statt.
({4})
Deshalb hat unsere Fraktion gemeinsam mit den Fraktionen in den Landtagen ein Leitbild „Ostdeutschland
2020“ erarbeitet, in dem wir, nachdem wir festgestellt
haben, dass der Aufbau Ost als Nachbau West gescheitert ist, die künftigen Entwicklungspfade, eine neue Entwicklungslogik im Sinne eines sozialökologischen Umbaus beschrieben haben.
({5})
Wir haben stets das Gebäudesanierungsprogramm
unterstützt. Es ist gut für das Klima und für das Bauhandwerk. Unverständlich ist nur, Herr Minister, warum
Sie im Etat eine Kürzung vorgenommen haben. Ich erinnere nur daran, dass die Linke stets Mittelerhöhungen
für dieses Programm gefordert hat. Die unterschiedlichen Koalitionen haben diese Erhöhungen zwar jeweils
abgelehnt, im Faktischen jedoch vollzogen. Ich erzähle
Ihnen das nicht aus Besserwisserei, sondern um kenntlich zu machen, dass man aus der Opposition heraus
durchaus Veränderungen erzielen kann und dass, liebe
Genossinnen und Genossen in der SPD, Opposition
nicht Mist ist. Ich hoffe, dass der Satz von Müntefering
auch nicht mehr gilt.
({6})
Erstaunt hat mich, dass die Bundesregierung jetzt ein
Programm in Auftrag gegeben hat, sogenannte Gigaliner zu testen. Das sind Lkw mit Überlänge und Übergewicht. Die Bundesregierung hat hier nichts begriffen.
Die Zukunft des internationalen Handels liegt doch nicht
darin, den Warenhandel immer mehr explodieren zu lassen. Die Zukunft des internationalen Handels liegt in einem Handel mit Technologie und Know-how. Gerade
die für Verkehr zuständigen Berichterstatterinnen und
Berichterstatter des Haushaltsausschusses haben sich
weltweit die Dimension von explodierenden Häfen angeschaut. Dies ist keine vernünftige und zukunftsfähige
Verkehrspolitik, Herr Bundesverkehrsminister.
({7})
Auch ich mahne an, dass noch immer die Mittel aus
dem Schiedsverfahren um die Maut ausstehen. Da geht
es nicht um Pillepalle, sondern um mehrere Milliarden.
Wir sehen nicht ein, dass die Unternehmen, die dem
Bund diese Milliarden schulden, an anderen Stellen im
Etat 2010 wiederum Subventionsempfänger sind.
({8})
Herr Bundesminister, wegen der vielen Investitionsmittel würden wir Ihrem Etat herzlich gerne zustimmen.
Aber wir müssen an ihm noch viel verändern, und wir
müssen auch den Investitionsbegriff neu denken. Bislang beweist Ihr Etat nur eines: Die Bundesregierung
kann nicht mit Geld umgehen, schon gar nicht mit viel
Geld.
({9})
Das Wort hat nun Anton Hofreiter für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! In den beiden Reden der Vertreter der Koalition wurde wunderschön dargelegt, wo eigentlich die
Probleme in diesem Bereich liegen. Der Herr Minister
hat sich darüber aufgeregt, dass man davon spreche, dass
er nur über die Schiene redet. Ja, er redet über die
Schiene. Es ist ja schön, dass er über die Schiene redet.
Aber davon wird in diesem Bereich nichts besser. Man
muss seine Eigentümerfunktion wahrnehmen, die Probleme in dem Unternehmen in den Griff bekommen, das
entsprechende Geld bereitstellen und die entsprechenden
Prioritäten setzen.
({0})
Dann kam die Vertreterin der FDP - das ist eigentlich
der Koalitionspartner - zu Wort. Sie hat festgestellt, dass
dem Schienenbereich, zu dem sich der Minister gerade
selbst dafür gelobt hat, dass er so viel dafür machen will,
massiv die Mittel gekürzt werden sollen.
({1})
Sie hat sogar eine spannende Formulierung dafür gebraucht. Sie hat davon gesprochen, dass die Mautmittel
bisher versickert seien. Ich kann Ihnen erläutern, wohin
diese Mittel versickert sind.
({2})
- Sie sind nicht im allgemeinen Haushalt versickert. Als
Haushälterin sollten Sie eigentlich den Haushalt besser
kennen. Sie sind vielmehr zu einem bestimmten Teil von
etwa 38 Prozent in den Schienenbereich geflossen.
({3})
Der Rest ist den Bundeswasserstraßen zugeschlagen
worden.
({4})
Sie können Investitionen in die Schiene als Versickern bezeichnen.
({5})
Das passt zur Ideologie der FDP.
({6})
Noch besser passt das Wort Versickern im Zusammenhang mit den Bundeswasserstraßen. Da kann man wirklich sagen: Das Geld versickert.
Wie gesagt, es passt zur Ideologie der FDP, die nie
verstanden hat, welche Bedeutung die Schiene für den
Klimaschutz, die Mobilität und viele andere Bereiche
hat.
({7})
Ich kann das auch verstehen. Wenn man die Perspektive
von Hoteliers, Wohlhabenden oder Besserverdienenden
einnimmt und aus einem Porsche Cayenne nach außen
blickt, dann braucht man wahrscheinlich die Schiene
nicht.
({8})
- Regen Sie sich nur auf! Dann weiß man, dass man ins
Schwarze getroffen hat.
({9})
In diesem Land haben nur 50 Prozent aller Menschen
täglich Zugang zum Auto. Man könnte jetzt einwenden,
dass auch kleine Kinder dazuzählen.
({10})
Aber auch wenn man sich auf diejenigen beschränkt, die
bewusst mobil sein wollen, dann ist ihr Anteil immer
noch erheblich. Nur 50 Prozent aller Menschen haben
täglich Zugang zum Auto. Alle anderen sind auf andere
Verkehrsmittel angewiesen.
({11})
Das heißt, Sie erreichen Mobilität für alle nur dann,
wenn Sie alle Verkehrsmittel vernünftig ausbauen.
({12})
Damit kommen wir zum Kernproblem dieses Ministers und seines Ministeriums. Das Wort Ankündigungsminister ist schon gefallen. Es wird amüsant, zu beobachten, was in den nächsten Wochen kommen wird.
Zuerst wurde die Pkw-Maut durch ein Interview hochgepoppt, das der Minister angeblich aus Versehen gegeben
hat. Als nächstes wurde plötzlich ein riesiges Wachstumsprogramm für die Schiene hochgepoppt. Dazu sagen der
eigene Koalitionspartner und der Finanzminister, dass
gar kein Geld dafür vorhanden ist. Dann wird bekannt,
dass die DB AG schon weiß, dass wichtige Projekte
nicht vor 2025 zu Ende gebracht werden, weil kein Geld
dafür da ist.
Dann kam - das ist schon wieder lustig und terminlich pikant - am Tag der Deutschen Einheit ein Aufbauprogramm West ins Gespräch, von dem kein Mensch
weiß, wie es konkret aussehen soll. Man hat das Gefühl,
diese Ministeriumsleitung agiert völlig losgelöst von ihDr. Anton Hofreiter
ren eigenen Fachleuten. Entsprechend konzeptlos handelt sie.
({13})
Diese Konzeptlosigkeit ist für einen Oppositionsabgeordneten amüsant. Dieses Ministerium ist aber - das
war einer der wenigen Punkte, in denen der Minister
recht hat - von zentraler Bedeutung sowohl für die Wirtschaft unseres Landes als auch für den Klimaschutz. Es
ist auch zentral wichtig für die Teilhabe der Menschen.
Um an der modernen Gesellschaft teilhaben zu können,
muss man mobil sein. Nicht jeder hat aber ein Auto.
Wenn man das berücksichtigt, dann ist die Konzeptlosigkeit bitter. Sorgen Sie für eine vernünftige Prioritätensetzung im Straßenbereich, damit nicht irgendwelche unsinnigen Umgehungsstraßen finanziert werden!
({14})
Hören Sie auf, Milliarden in Schienenprojekte zu stecken, zu denen Ihnen die Bahn, zumindest unter vier Augen, sagt, dass sie Unsinn sind, Stichwort Stuttgart 21!
({15})
Setzen Sie auf vernünftige Mobilitätskonzepte, die
Mobilität für alle garantieren! Das wäre ökologisch und
sozial gerecht. Dann würden wir Sie unterstützen.
Danke.
({16})
Das Wort hat nun Arnold Vaatz für die Fraktion der
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Verkehrsetat ist in diesem Jahr relativ komfortabel ausgestattet. Mit 11,8 Milliarden Euro - das gilt
teilweise auch noch für 2011 - sind beachtliche Investitionen möglich. Aber in den folgenden Jahren wird es
eine echte Herausforderung geben. Diese müssen wir
meistern.
({0})
Wir wollen und werden die Vorgaben der Schuldenbremse des Grundgesetzes und des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts einhalten, und zwar aus tiefer
Überzeugung. Wir erwarten dabei aber auch die Unterstützung derjenigen, die in den letzten Jahren mit uns gemeinsam diese Politik eingeleitet haben.
({1})
Dazu zählt auch die mittelfristige Finanzplanung. Sie
ist ursprünglich ein Werk der Großen Koalition und wird
im Wesentlichen fortgeschrieben. Ich erwarte, dass Sie
zu Ihren Worten, die Sie Anfang bzw. Mitte letzten Jahres gesagt haben, heute noch stehen und sich daran erinnern, was Sie gemeinsam mit uns in der Großen Koalition vertreten haben. Nur auf dieser Ebene kann man
eine seriöse und glaubwürdige Politik machen!
Die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur ist zwar
nicht die einzige, aber eine der Kernvoraussetzungen für
die Fortschreibung unseres Status als Gesellschaft. An
dieser Tatsache wird sich auch in den kommenden Jahren nichts ändern. Deshalb müssen wir in finanziell
schwierigen Zeiten die notwendige Planungs- und
Finanzierungssicherheit für eine leistungsfähige Infrastruktur schaffen. Nun glaube ich allerdings nicht, dass
ein Sparzwang in jedem Fall etwas Schlechtes ist. Er
bietet auch Chancen, weil er uns von eingefahrenen
Gleisen herunterstößt und zwingt, neue Wege zu finden.
Dazu haben Verkehrspolitiker schon lange bestimmte
Vorstellungen. Es ist jetzt notwendig, die sinnvollen Vorstellungen zu erkennen und tatsächlich umzusetzen.
Ein Beispiel sind vom Staatshaushalt unabhängigere
Finanzierungskreisläufe. Frau Winterstein, Sie haben
beispielsweise gesagt: Straße finanziert Straße. - Wir haben dazu Instrumentarien, die eigentlich nur weiterentwickelt werden müssen. So können Verkehrsprojekte
durch die Weiterentwicklung der VIFG
({2})
- die kennen Sie doch - und die Nutzung ihrer Kreditfähigkeit reibungsloser durchfinanziert werden. Dann
können zum Beispiel die Schwankungen bei den Mauteinnahmen besser ausgeglichen werden und müssen Verkehrsprojekte nicht mehr gestoppt werden, wenn es
haushaltsvollzugsbedingte Engpässe gibt.
Auch klare Kriterien für die Priorisierung von
Investitionsprojekten sind notwendig, weil uns das zu
einer verkehrsträgerübergreifenden Betrachtungsweise
führt. Herr Hofreiter, ich verstehe Ihre Kritik in diesem
Zusammenhang überhaupt nicht. Es ist gerade ein Kennzeichen unserer Politik, dass wir die Verkehrsträger nicht
gegeneinander ausspielen wollen.
({3})
Wir wollen vielmehr zu einer integrierten Betrachtungsweise kommen, die es uns ermöglicht, eine ganzheitliche
Durchdringung unserer Verkehrsinvestitionen vorzunehmen und auf diese Weise eine klare Bedarfsorientierung,
die alle Verkehrsträger einbezieht, zustande zu bringen.
Zum Bedarf gehören neben dem Neubau die Investitionen in den Infrastrukturbestand. Notwendige Erhaltungsinvestitionen, die aus Geldmangel unterbleiben, erzeugen natürlich Substanzverlust. Der Verzicht auf eine
Erhaltungsinvestition kann daher wesentlich teurer kommen als die Investition selber.
Obwohl Sparzwänge nicht immer schlecht sind, muss
man in den Haushaltsdebatten der nächsten Jahre auch
danach fragen, ob es wirklich immer richtig ist, dass
Haushaltskonsolidierung mehr oder weniger regelmäßig
bedeutet, dass das Verhältnis konsumtiver Ausgabetitel
zu investiven Ausgabetiteln zulasten der investiven verschoben wird. Auch bei konsumtiven Titeln muss in Zukunft die Bedarfsfrage erlaubt sein.
({4})
Die Orientierung am Bedarf ist es schließlich auch,
die diese Debatte - Herr Claus hat es erwähnt - zum
Thema Aufbau Ost versus Nachholbedarf West versachlicht und schließlich erübrigt. Herr Claus, Sie haben beklagt, dass wir dieses Mal über das Thema Aufbau Ost
nicht schwerpunktmäßig im Zusammenhang mit dem
Haushalt des Verkehrsministeriums reden. Dieses
Thema ist jetzt beim Innenministerium angesiedelt. Das
hängt damit zusammen, dass die strukturellen Unterschiede in West und Ost von Jahr zu Jahr immer weniger
ausschließlich infrastrukturbedingt sind,
({5})
sondern mittlerweile ist dieses Thema weitaus komplexer geworden.
Wir müssen nicht nur über die strukturellen Differenzen im Verkehrsbereich reden. Aber gerade im Verkehrsbereich ist es so: Wenn beispielsweise das Kriterium der
Raumwirksamkeit und damit die Erschließungswirkung
für ländliche Räume mit einem hohen Stellenwert in die
Bedarfsklärung eingeht, dann ist das in Ost und West bedeutsam. Ländliche Räume zu entwickeln - das wissen
wir alle -, ist sehr schwierig. Beispielsweise bei der
Standortwahl für ein eigenes Haus spielt die schnelle Erreichbarkeit des nächsten urbanen Zentrums mit Arbeits-,
Freizeit- und Funktionsangeboten oft eine zentrale
Rolle. Gebiete, die schlecht an diese Zentren angebunden sind, werden ausgedünnt. Das führt anderswo zu den
sogenannten Speckgürteln um die urbanen Zentren. Wer
dem entgegenwirken will, muss schnell handeln und zur
praktischen Umsetzung beitragen. Deshalb ist es so
wichtig, dass Peter Ramsauer seine Initiative für den
ländlichen Raum so schnell angekündigt hat.
({6})
Von dieser Ankündigung geht das Signal aus, dass wir
etwas tun werden.
Die größte Erfolgsgeschichte der jüngeren deutschen
Verkehrsinfrastrukturpolitik schrieben die Anfang der
90er-Jahre unter der Federführung von Günther Krause
konzipierten Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“.
Aber eine Verkehrspolitik, die lebt und auf die Zeichen
der Zeit reagiert, muss auch heute zu Entwürfen dieser
Dimension in der Lage sein, wenn sie nötig sind. Sie
sind nötig, denn die europäische Einigung ermöglicht
uns eine alpenquerungsfreie Meer-zu-Meer-Verbindung von Nord- und Ostsee zur Adria. Diese wird es sicherlich auch ohne Zutun Deutschlands bzw. des Deutschen Bundestages geben. Die Frage ist aber, ob sie dann
durch unser Land führt.
Ich halte es daher für unabdingbar, genau dafür zu
streiten. Unsere Seehäfen müssen mit den Seehäfen Südosteuropas durch eine hochleistungsfähige Schienenstrecke verbunden werden. Das verändert nicht nur die
europäischen Handelsströme grundlegend. Auch die
Bundeshauptstadt und Ostdeutschland werden durch
eine solche neue Lebensader strukturell so ertüchtigt,
wie es mit staatlichen Förderinstrumenten nie erreicht
werden kann.
({7})
Der bisherige Verkehrsminister hat die Dimension dieser
Frage erst erkannt, als es zu spät war. Damit wird es jetzt
für die Einbeziehung dieses Projektes in die TEN-Revision eng.
Auch an anderer Stelle muss Peter Ramsauer eine
ziemlich ärgerliche Hinterlassenschaft schultern. Der
Chef der Deutschen Bahn - ich komme gleich zum
Schluss - hat vor kurzem im Verkehrsforum auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den Wettbewerbsbedingungen von auswärtigen Anbietern im deutschen Schienennetz und denen der einheimischen Deutschen Bahn
beispielsweise im französischen Schienennetz hingewiesen. Da muss Wettbewerbsgleichheit hergestellt werden.
({8})
Das haben Sie nicht nur in der letzten Legislaturperiode versäumt, sondern das haben Generationen von
sozialdemokratischen Verkehrsministern versäumt. Ich
habe großes Vertrauen in Peter Ramsauer, dass er das
Format hat, unseren französischen Freunden zu zeigen,
dass hier Gleichberechtigung zu herrschen hat und dass
man mit uns so nicht umgehen kann. Im Übrigen bin ich
der festen Überzeugung: Es wird uns gelingen, an den
großen Entbürokratisierungsansatz, den Günther Krause
Anfang der 90er-Jahre verfolgt hat, wieder anzuknüpfen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ein Satz noch. - Uns wird es gelingen, Verfahrensbeschleunigungen festzulegen, mit denen unsere geplanten
Verkehrsprojekte schneller realisiert werden können.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Johannes Kahrs für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Ramsauer, ich
habe Ihre Rede mit großer Freude gehört. Sie haben dargestellt, dass Sie einen Etat übernommen haben, der gut
aufgestellt ist. Sie haben hier mit Zahlen erläutert, wie
viel Geld für Investitionen zur Verfügung steht. Sie hätten sich an dieser Stelle fairerweise bei Wolfgang
Tiefensee und Peer Steinbrück bedanken können.
({0})
Ihr Etat ist im Rahmen der Großen Koalition aufgestellt
worden. Kollege Fischer, ich gebe zu: Ihr Beitrag in der
ganzen Geschichte war nicht unwesentlich. Aber so ist
das bei Hamburgern: Sie werden immer gebraucht.
Im Ergebnis ist es so - wir alle wissen es -: Dieser
Etat ist hervorragend aufgestellt; in den nächsten Jahren
wird es allerdings schlechter. Wir wissen auch, warum es
schlechter wird: Diese Koalition und die drei Parteien,
die sie tragen, verfolgen unterschiedliche Ziele. Wer die
Kollegin Winterstein gehört hat, der weiß, dass sie
möchte, dass möglichst viel auf der Straße transportiert
wird. Minister Raumsauer hat gesagt, für ihn sei die
Schiene der Schwerpunkt. Wie das bei weniger Geld zusammengehen soll, werden wir alle erleben. Die Kollegin Winterstein hat gefordert, sämtliche Mauteinnahmen
in den Bereich Straße zu investieren. All das kann man
diskutieren. Die Frage ist nur, Frau Kollegin
Winterstein: Was passiert, wenn Ihr Minister an seinem
Schwerpunkt festhält? Wenn er das tut, wird für den Bereich Straße deutlich weniger Geld da sein. Sie sollten
sich in der Koalition einmal darüber unterhalten, was Sie
eigentlich wollen. Ich glaube, das wäre zielführend.
Kurz gesagt: Tiefensee gut, Steinbrück gut, und ob
Ramsauer gut, werden wir sehen.
({1})
Wie geht es mit dem Haushalt weiter? Die Konjunkturpakete, die wir in der Großen Koalition geschnürt
haben, fallen weg. Das von Ihnen verabschiedete Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat überhaupt keine positiven Auswirkungen, schon gar nicht auf den Verkehrshaushalt, eher im Gegenteil. Herr Schäuble hat
angekündigt, überall zu sparen. Herr Vaatz hat eben erklärt, dass beim Verkehrsetat Bahn nicht gespart werden
dürfe; das einzusparende Geld müsse woandersher kommen. Wir alle sind auf das Ergebnis gespannt.
Was die Mauteinnahmen angeht, wissen wir schon
jetzt: Sie sinken. Dazu kommt eine Haushaltssperre in
diesem Bereich. Das heißt, wir haben weniger Geld. Der
Minister will nicht nur brav das abarbeiten, was die
Große Koalition, was Peer Steinbrück und Wolfgang
Tiefensee ihm hinterlassen haben, sondern er will auch
viele neue Versprechungen erfüllen. Die Frage ist nur,
Herr Minister: Woher wollen Sie das Geld nehmen?
Heute sind hier schon einige Vorschläge gemacht worden. Es ist angeregt worden, ÖPP, also Public-Private
Partnership, zu fördern. Man schaut also, wie man eine
Fremdfinanzierung zustande bringt.
Ich kann Ihnen sagen: Das sind nichts anderes als
Schattenhaushalte. Ich glaube, das ist genau das, was wir
heute überhaupt nicht mehr sehen können und wollen:
Gewinne werden privatisiert, die Verluste werden sozialisiert. Davon haben die Menschen die Schnauze gründlich voll. Das ist kein Ausweg, um Ihre Versprechungen
wahrzumachen. Dadurch würden zukünftige Generationen belastet. Das wird nicht funktionieren. Das machen
wir nicht mit.
({2})
Herr Minister, Sie haben am Anfang dieser Legislatur
davon gesprochen, dass Sie neben der LKW-Maut die
Einführung einer PKW-Maut erwägen. Ich möchte anmerken: CDU, CSU und FDP waren immer gegen die
Lkw-Maut. Sie haben stets gesagt: Wenn wir könnten,
würden wir diese Maut abschaffen. Sie haben uns durch
Wahlkämpfe gejagt; Sie haben uns rechts und links geschlagen. Ich habe mit großem Vergnügen diesen Koalitionsvertrag gelesen: Von Abschaffung der Lkw-Maut
steht darin nichts. Die FDP hält also nichts von dem, was
sie ihrer Klientel immer versprochen hat. Ausnahmsweise hat die FDP etwas versprochen und nicht gehalten.
Das heißt: Die Lkw-Maut bleibt.
({3})
Jetzt kann man sich einmal darüber unterhalten, wo; aber
so ist das im wahren Leben.
Der Minister hat am Anfang dieser Legislaturperiode
die Pkw-Maut angesprochen. Es gab dann viel Hin und
Her. Herr Minister Ramsauer, ich würde von Ihnen gern
einmal die klare Ansage hören, dass die Pkw-Maut in
dieser Legislaturperiode nicht kommt.
({4})
Sie reden über den ländlichen Raum, Sie reden davon,
dass man die Bürger nicht mehr belasten darf. Machen
Sie doch einmal eine klare Ansage zur Pkw-Maut! Wir
wollen nicht immer dieses Geschwurbel und dieses
große Gerede, bei dem nachher nichts herumkommt,
sondern eine klare Ansage, etwas Verbindliches, am besten in einem Interview, das nicht widerrufen wird. Vielleicht machen Sie sogar, wenn Sie tapfer sind, vor dem
deutschen Volk in diesem Hohen Hause eine klare Ansage, die man dann auch im Protokoll nachlesen kann.
Dann haben wir alle viel Spaß - vorausgesetzt es bleibt
dabei - und glauben Ihnen auch.
({5})
Der eine oder andere Kollege hat die - ich muss es
ablesen; ich habe das wirklich noch nicht gelernt Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, die
VIFG, erwähnt.
({6})
Als Haushälter wird mir bei dieser Geschichte einfach
schlecht.
({7})
Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir hier einen
weiteren Schattenhaushalt aufmachen wollen, mit dem
irgendwelche Träume befriedigt, irgendwelche Pläne
umgesetzt werden sollen, für die aber die zukünftigen
Generationen zahlen müssen. Das ist doch absurd!
({8})
Diese Geschichte kann nicht kommen, wird mit uns
nicht kommen und ist in der Sache falsch.
Ich bin ein Anhänger der Kameralistik. Ich habe das
am Anfang für eine ganz langweilige, schnarchnasige
Veranstaltung gehalten, bei der am Ende alles behindert
wird. Viele Banker, Finanzberater und andere haben uns
gesagt, dass es doch kreative Möglichkeiten gibt, Geld
herbeizuzaubern, um so Dinge zu finanzieren, die wir
alle wollen. Solche kreativen Möglichkeiten wünscht
man sich auch im privaten Haushalt. Da geht man zu einem großen Konzern, kauft und zahlt erst 48 Monate
später, das Ganze am besten zinsfrei. Das ist aber nur ein
Verschieben des Elends. Das kann es nicht geben, das
soll es nicht geben, und das wird es mit uns nicht geben.
Deswegen gilt: Kameralistik ist vielleicht langweilig,
aber ehrlich und transparent, und das schätzen wir Haushälter.
({9})
Frau Winterstein, überlegen Sie sich einmal, in welchem
Ausschuss Sie sind!
({10})
Daran sollten wir uns immer halten. Schöne Geschichte!
Lassen Sie mich am Ende noch Folgendes sagen: Sie
haben ein paar Schwerpunkte aufgeführt. Das alles
finde ich richtig und wichtig. Ich hielte es für gut, wenn
ein Schwerpunkt auf der Sanierung der Straßen läge.
Von mir aus können Sie auch nachts und feiertags bauen,
Hauptsache, Sie bekommen es irgendwann einmal geregelt. Gigaliner und 60-Tonner braucht kein Mensch;
sonst wird es auch mit der Sanierung nichts.
Als Hamburger darf ich einmal sagen, was für die maritime Wirtschaft wichtig ist - der Kollege Beckmeyer
aus Bremen hat das freundlicherweise nicht ganz so
deutlich gesagt -: Der Ausbau der Hinterlandanbindung
ist unverzichtbar und wird von uns weiterverfolgt. Ich
nenne die Y-Trasse, den Elbausbau Richtung Magdeburg
und die Elbvertiefung. Otterndorf darf man nicht ganz
vergessen - das gestehe ich den Niedersachsen zu -; da
muss die Deichsicherheit gewährleistet sein. Das alles ist
richtig, das ist wichtig, das ist gut. Dafür werden wir
kämpfen.
Glück auf!
({11})
Das Wort hat nun Sebastian Körber für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viele Aspekte
wurden in der heutigen Debatte schon angesprochen.
Meine Kollegin Frau Dr. Winterstein hatte für meine
Fraktion bereits Ausführungen zum Verkehrsbereich gemacht und das auch erklärt. Herr Kollege Hofreiter, Herr
Kollege Kahrs, ich bin davon überzeugt: Sie verstehen
eigentlich, um was es hier geht. Sie kennen die Hintergründe. Sie haben das alles verstanden. Wer zuhört, ist
hier klar im Vorteil.
Ich werde mich auf den Bereich „Bau und Stadtentwicklung“ konzentrieren
({0})
- durch die Zwischenrufe wird es leider auch nicht besser -, dem die FDP und diese Koalition eine große Bedeutung beimessen. Herr Minister Ramsauer, Sie haben
bei Ihrer Vorstellung im Ausschuss als neuer Ressortchef
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie sich nicht nur
als Verkehrs-, sondern explizit auch als Bauminister verstehen, und damit bereits zu Beginn einen, wie ich finde,
wichtigen Akzent gesetzt. Vielen Dank dafür.
({1})
Zentrales Ziel der Politik der Koalition im Bereich
von Wohnungswesen und Städtebau ist neben einer
geordneten städtebaulichen Entwicklung - rund 2 Milliarden Euro werden wir in diesem Jahr dafür ausgeben die Versorgung der Bevölkerung mit bedarfsgerechtem
und vor allem bezahlbarem Wohnraum. Die Kopplung
der Stadtentwicklung mit wohnungspolitischen Fragen
ist dabei unabdingbar. Der Stadtumbau, die Infrastrukturentwicklung, die regionale Wirtschaftsförderung und
soziale sowie ökologische Programme müssen stärker
miteinander verzahnt werden.
({2})
Man muss an dieser Stelle einräumen: In Deutschland
werden derzeit im Blick auf die Zahl eindeutig zu wenig
Wohnungen neu gebaut, ganz zu schweigen von der Eigenheimquote. Hier sind wir Schlusslicht in Europa.
Hier besteht akuter Handlungsbedarf.
Zu den großen Herausforderungen im Wohnungsbestand zählt, wie ich als Architekt aus der Praxis weiß, die
altersgerechte Anpassung im Zuge des demografischen
Wandels. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, gerade im Neubaubereich weitestgehend barrierefrei zu
bauen. Für den Wohnungsbestand benötigen wir allerdings differenzierte Herangehensweisen, da dort unterschiedliche bauliche Voraussetzungen vorliegen. Trotzdem: Der Abbau von Barrieren ist ein wichtiger Aspekt
der Wohnungsbaupolitik, ist aber auch in öffentlichen
Gebäuden wie etwa in Bahnhöfen wichtig. Dieses
Thema wird uns noch länger beschäftigen.
Meine Damen und Herren, dass Wirtschaft und Umwelt keine Gegensätze sind, wird bei unserem Etat ganz
konkret sichtbar. Wir wollen Mobilität und Wohnen energieeffizienter machen, um den CO2-Ausstoß wirksam
und dauerhaft zu senken. Nachhaltiges und energieeffizientes Bauen ist damit praktizierter Klimaschutz. Im
Koalitionsvertrag wurde zu Recht festgeschrieben, dass
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm wirkungsvoll
ausgestaltet werden soll, um die derzeitige Sanierungsquote zu steigern.
Es gibt in Deutschland bereits zahlreiche Unternehmen der Wohnungswirtschaft, die hocheffiziente Gebäude bis hin zu sogenannten Passivhäusern bauen. Ich
kenne aus meiner Heimat Forchheim und meinem Wahlkreis Bamberg einige ermutigende Beispiele im privaten
und öffentlichen Bereich: Das erste Passivhaus-Hallenbad Europas entsteht zum Beispiel gerade in Bamberg
und ist zu Recht 2009 vom Bundeswirtschaftsminister
für sein ökologisches Konzept ausgezeichnet worden.
Allein im letzten Jahr wurden die Verbraucher bundesweit durch die Maßnahmen des CO2-Gebäudesanierungsprogramms in Form von Heizkosteneinsparungen
um über 600 Millionen Euro entlastet. Mit den Fördermitteln wurden rund 550 000 Wohnungen saniert oder
energieeffizient neu errichtet und Investitionen von rund
20 Milliarden Euro angestoßen - eine beeindruckende
Bilanz, wie ich finde.
({3})
Der harte Winter hat den Blick für energieeinsparende Investitionen weiter geschärft. Der überraschende
Stopp des entsprechenden KfW-Programms Anfang des
Jahres ist umso bedauerlicher. Als FDP unterstützen wir
daher die geplante Mittelfreigabe in der nächsten Sitzung
des Haushaltsausschusses. Ich gehe aber noch ein Stück
weiter und setze mich zudem für eine Fortführung und
auch finanzielle Verstetigung dieses erfolgreichen Programms auf hohem Niveau in den kommenden Jahren
ein.
Ich freue mich über die zustimmenden Signale, die
wir gestern schon im Rahmen der umweltpolitischen Debatte auch aus den Reihen der Unionsfraktion gehört haben, und bin guter Dinge, dass dies in einer gemeinsamen Initiative der Koalition mündet.
({4})
Ich sehe das Programm als langfristige Klimarendite,
was ich gerade als junger Abgeordneter, auch unter dem
Aspekt der Generationengerechtigkeit, sehr begrüße.
Es ist gut und richtig, dass die Bundeskanzlerin vor
wenigen Wochen in einem Interview mit der Mieter-Zeitung das große Potenzial des Programms lobte; denn dies
kommt insbesondere den Mietern durch geringere Energie- und Heizkosten und einen verbesserten Gebäudezustand zugute.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider kann ich aus
Zeitgründen nicht auf alles eingehen. Im Ausschuss wird
ja noch Zeit für weitere Beratungen sein. Ich lade die
Opposition ein, hier konstruktive Vorschläge einzubringen.
Die Bürgerinnen und Bürger sollen wissen: Auf
Schwarz-Gelb kann man bauen! Dazu möchte auch ich
weiterhin meinen Beitrag leisten.
Vielen Dank.
({5})
Herr Kollege Körber, dies war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag. Herzliche Gratulation und alle
guten Wünsche für Ihre weitere Arbeit!
({0})
Nächste Rednerin ist Kollegin Sabine Leidig für die
Fraktion Die Linke.
({1})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Roland Claus hat es schon deutlich gemacht: Die Linke
kann diesem Bundeshaushalt nicht zustimmen, weil er
unverantwortlich ist. Im Bereich Verkehr lässt sich das
sehr deutlich erkennen: Wir werden wie bisher mehr
Milliarden in die Straße investieren als in die Schiene.
Dabei wissen wir, dass es der Auto- und Lkw-Verkehr
ist, der Klima und Umwelt immer weiter belastet. Wir
brauchen kein fantasieloses und betonköpfiges Weiterso, sondern echte Weichenstellungen für Klimaschutz
und eine bessere Bahn für alle.
({0})
Herr Minister Ramsauer, ich bin noch neu im Bundestag und könnte es deshalb gut verstehen, wenn Sie es in
der Kürze der Zeit nicht geschafft hätten, in alle Themen
einzusteigen; denn auch Sie sind ja als Verkehrsminister
neu im Amt. Aber zum Glück gibt es Bürgerinitiativen
und Verbände, die sich mit Verkehrsfragen beschäftigen
und eine Menge Ideen und konkrete Vorschläge vortragen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz gehört dazu,
Gewerkschaften, der Verkehrsclub Deutschland und die
Expertengruppe „Bürgerbahn statt Börsenwahn“.
({1})
Von denen habe ich eine ganze Menge gelernt. Natürlich
vertreten diese Gruppen bestimmte Ziele und Interessen
wie auch die Autolobby, die Logistikunternehmen oder
Fluggesellschaften. Da muss man sich entscheiden.
({2})
Aber auf jeden Fall könnten Sie ohne Probleme auf
das Werk der Bundesarbeitsgemeinschaft Schienenpersonennahverkehr zurückgreifen, die nicht für Parteipolitik oder Klientelpolitik steht; vielmehr handelt es
sich um einen Zusammenschluss der Verkehrsgesellschaften von Städten, Regionen und Bundesländern. Sie
beschreibt sehr konkret, wie man viel mehr Verkehr von
der Straße auf die Schiene bringen kann:
Sie empfiehlt einen deutschlandweiten Taktfahrplan
nach Schweizer Vorbild, mit dem das gesamte Zugangebot so verknüpft wird, dass häufigere und schnellere Verbindungen mit optimalen Umsteigemöglichkeiten entstehen. Damit sparen die Fahrgäste mehr Zeit und die
Steuerzahler mehr Geld als durch den Bau von idiotischen Hochgeschwindigkeitstrassen.
({3})
Die Arbeitsgemeinschaft hat auch konkrete Vorschläge
für mehr Nutzerfreundlichkeit, Qualität und Barrierefreiheit vorgelegt, auf die ich wegen Zeitmangels jetzt nicht
eingehen kann.
Sie fordert klare Entwicklungsziele und politische
Vorgaben für die Schieneninfrastruktur, eine langfristige
Strategie zum Ausbau des Netzes und ausreichende
Finanzierung. Diese ist bislang nicht gegeben. Für Instandhaltung, Erneuerung und Ausbau müssen die Mittel
um 2 Milliarden Euro auf 7 Milliarden Euro jährlich aufgestockt werden. Ich erlaube mir hier die Bemerkung,
dass das locker bezahlt werden könnte, wenn der Bund
keine neuen oder breiteren Autobahnen und Bundesstraßen mehr bauen würde.
({4})
Zur Finanzierung der neuen Bahn müssen die Regionalisierungsmittel schrittweise erhöht werden. Bei
5 Prozent mehr Fahrgästen jährlich werden im Jahr 2020
rund 3 Milliarden Euro mehr benötigt, was nun wirklich
keine gigantische Summe ist. Wenn diese Mittel allerdings so unverändert bleiben, wie es im Haushaltsplan
vorgesehen ist, dann kann nicht einmal die Preissteigerung ausgeglichen werden, und wahrscheinlich wird der
ÖPNV schrumpfen.
Ziemlich deutlich fordern die öffentlichen Verkehrsgesellschaften, dass der DB-Konzern entmachtet wird.
Ich meine, dass der Bundestag sich diesen Schuh schleunigst anziehen sollte. Es ist doch nicht akzeptabel, dass
Herr Grube und der Aufsichtsrat in einer Hauruckentscheidung vor Weihnachten die hochumstrittene Bahnhofsversenkung Stuttgart 21 beschließen, damit per Umbuchung für das Jahr 2009 noch ein ansehnlicher
Gewinn des Konzerns ausgewiesen werden kann. Jetzt
werden Projekte auf eine imaginäre Streichliste gesetzt,
die unverzichtbar sind, unter anderem der Ausbau der
Rheintalstrecke.
({5})
Da kann ich nur sagen: Super, dass die Stuttgarterinnen
und Stuttgarter jeden Montag zu Tausenden protestieren,
demonstrieren, blockieren und so hoffentlich dieses Milliardengrab zuschütten!
({6})
Schließlich wird von den regionalen Verkehrsgesellschaften kaum verhohlen die Abkehr vom Börsenkurs
der Bahn gefordert - ich zitiere -:
Bei der Infrastruktur beschränkt sich die Rolle des
Bundes derzeit auf die des Zahlmeisters. Der Fernverkehr ist vollständig der unternehmerischen
Steuerung überlassen. Die Orientierung an betriebswirtschaftlichen Kriterien hat dazu geführt, dass
zwischen 1995 und 2007 die Fahrgastzahlen im
Fernverkehr um 20 Prozent gesunken sind.
Ja, trotz S-Bahn-Chaos, trotz ICE-Flottenpanne, trotz
brüchiger Radachsen und alledem ist der Kurs der Deutschen Bahn unverändert. Das Schlimme ist, dass daran
anscheinend auch nichts geändert werden soll. Nach wie
vor ist im Haushalt unter den Einnahmeposten „Privatisierungserlöse“ bzw. „Verkauf von Bundesbeteiligungen“ neben der Telekom unter anderem auch die Bahn
aufgelistet. Vielleicht ist das ein Versehen oder ein Überbleibsel aus der letzten Legislaturperiode. Wenn nicht,
dann ist es höchste Eisenbahn, dass sich Bürgerinnen
und Bürger und das Parlament die demokratische Kontrolle und Gestaltungsmacht über unsere Bahn endlich
wieder zurückerobern und dieser Privatisierungsquatsch
aufgegeben wird.
({7})
Ein letzter Satz: Lucas Zeise beschreibt in der Financial Times Deutschland, wie die Wirtschaftskrise in eine
Depression mündet. Auch deshalb sollten wir auf ein
langfristiges Schienenausbauprogramm setzen, am besten europaweit und nicht im Wettbewerb, sondern in
Kooperation. Dann hätten die Beschäftigten in der Automobilindustrie eine sinnvolle Perspektive, und wir könnten optimistisch umbauen statt abzuwracken.
Danke.
({8})
Das Wort hat nun Bettina Herlitzius für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Am Mittwoch, in der
Generaldebatte, hat es Frau Bundeskanzlerin Merkel auf
den Punkt gebracht, Sie hat das Dilemma ihrer Regierung genau beschrieben: Sie wollen einerseits, dass das
Auto der Zukunft in Deutschland gebaut wird, andererseits soll Deutschland nicht Vorreiter in Sachen Klimaschutz sein. Das passt nicht zusammen. Sie wollen das
Neue, können aber das Alte nicht lassen.
({0})
Herr Minister Ramsauer, Sie sagten gerade, Sie
möchten eine Geschäftsstelle für E-Mobilität einrichten.
Ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Fahren Sie einmal nach NRW. Schauen Sie sich dort das Brennstoffzellenmuseum der RWE an. Es reicht nicht aus, nur eine
Geschäftsstelle einzurichten. Man kann mit Häppchen
und Sekt selbst die besten Technologien versenken.
Um neue Technologien einzuführen, braucht man
gesetzliche Rahmenbedingungen und vor allen Dingen
langfristige, verlässliche Förderprogramme. Ansonsten wird das nichts.
({1})
Wie und warum sollen denn neue Mobilitätsformen,
energieeffiziente Gebäude und nachhaltige Infrastrukturen für unsere Städte entwickelt und gebaut werden,
wenn Sie keine Vorgaben machen und keine nachhaltiBettina Herlitzius
gen technischen Standards fordern? Genau hier kneift
Ihre Regierung. Sie wollen die Belastungen des Stadtverkehrs senken. Aber wo sind Ihre Aussagen zum Tempolimit und zu Verbesserungen in den Umweltzonen?
Sie wollen unsere Gebäude energetisch sanieren. Aber
wo sind Ihre Vorgaben zur Verschärfung der Energieeinsparverordnung oder des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes? Nichts. Wenn es um anspruchsvolle Inhalte
geht, sehen wir nur gähnende Leere. Auf die wirklich
großen Herausforderungen des Klimawandels, der unsere Städte und Regionen, der unser Zusammenleben
massiv verändern wird, haben Sie keine Antworten.
Schlimmer noch, Sie stecken den Kopf in den Sand.
Ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern: Im Wahlkampf gab es eine Partei, die die Losung „Leistung muss
sich wieder lohnen“ hatte.
({2})
Meine Damen und Herren von der Regierungsbank, jetzt
mal ehrlich: Welche Leistungsanreize bieten Sie Ingenieurinnen und Ingenieuren, neue Technologien zu entwickeln? Welche Leistungsanreize bieten Sie unserer
Wirtschaft, neue, klimaschonende Investitionen zu tätigen? Mit einem Wort: Offensichtlich verbinden Sie
„Leistung“ nur mit den PS-Leistungen Ihrer Autos.
Bisher haben wir nur über das Fordern gesprochen.
Schauen wir einmal auf die Förderseite Ihrer Regierungsidee. Kommen wir zum Thema Städtebau,
Wohnungs- und Bauwesen. Das sind nach wie vor Ihre
Stiefkinder im Haushalt, Herr Minister Ramsauer.
Nur ein Sechstel des ganzen Haushaltes geht in diesen
Bereich. Aufgrund unseres Drängens und der Interventionen der Fachverbände haben Sie es gerade noch rechtzeitig geschafft, die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen zu treffen, damit die KfW-Förderung weiterläuft.
Aber Sie haben sich zu früh gefreut. Obwohl diese Förderung ein wichtiges Instrument aus rot-grüner Zeit zur
energetischen Sanierung unseres Gebäudebestandes ist,
senken Sie die Mittel drastisch.
({3})
Herr Kollege Körber, das reicht nicht aus.
Meine Damen und Herren, jeder Euro, der in eine
energetische Sanierung gesteckt wird, ist ein Gewinn für
unser Klima und eine Investition in unsere regionalen
Arbeitsplätze.
({4})
Wie passt Ihr Haushaltsentwurf zu Frau Merkels Aussage von einer nachhaltigen Wirtschaft? Da schlagen Sie
einen völlig falschen Weg ein. 80 Prozent unserer Gebäude sind energetisch nicht zukunftsfähig. Hier müssen
Sie investieren. Das bringt Klimaschutz und Arbeitsplätze.
({5})
Aber auch in der Städtebauförderung gibt es enormen
Investitionsbedarf im Osten und Westen sowie im Norden und im Süden. Hier liegen die großen Herausforderungen; hier müssen wir auf den demografischen Wandel
reagieren. Ich habe noch eine Bemerkung an den Herrn
Minister: Es gibt Gewinner und Verlierer; und es sind
gerade die Mittelstädte, die im Moment profitieren und
bei denen es einen Zuwachs gibt. Aber gerade die Mittelstädte fallen aus vielen Förderprogrammen heraus.
Hier müssen Sie nachhaken. Das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung kommt nach einer Studie auf einen
Investitionsbedarf für städtebauliche Maßnahmen in
Höhe von 64 Milliarden Euro bis 2013. Davon sind Ihre
Ansätze im Haushalt meilenweit entfernt.
Unsere Siedlungsstrukturen sind in weiten Teilen unseres Landes sehr ressourcenverbrauchend. Das hat Auswirkungen auf den Klimaschutz, aber auch soziale Folgen für unsere Gesellschaft. Für einen wachsenden Teil
der Bevölkerung wird soziale Teilhabe deutlich erschwert. Auch hier müssen wir der räumlichen Spaltung,
die in vielen Städten schon erkennbar ist, entgegentreten.
Dieser Trend darf sich nicht fortsetzen.
({6})
Wir Grüne - ich komme jetzt zum Schluss - werden
uns dafür einsetzen, dass sich in diesem Haushalt die
Forderungen nach energieeffizienten und flächensparenden Städten, einer nachhaltigen Stadtentwicklung und einer umwelt- und sozialverträglichen städtischen Mobilität wiederfinden.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat nun Kollege Dirk Fischer für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Es ist doch ganz unbestritten, dass wir für eine erfolgreiche Volkswirtschaft eine leistungsfähige und optimal
vernetzte Verkehrsinfrastruktur brauchen, die in der
Lage ist, heute und morgen Mobilität zu gewährleisten.
Herr Kollege Hofreiter, selbstverständlich brauchen wir
alle Verkehrsträger. Es gibt also keinen Grund zur Aufregung; denn es besteht kein Gegensatz in dieser Einschätzung. Die Koalition aus Union und FDP bekennt sich daher zur Notwendigkeit, die Verkehrsinfrastruktur in
unserem Lande im besten Zustand zu erhalten und weiter
auszubauen.
({0})
Investitionen in Straßen, Schienenwege und Wasserstraßen des Bundes auf hohem Niveau werden mit dem
vorliegenden Haushaltsentwurf 2010 voll erfüllt. Rund
11,8 Milliarden Euro stehen für den Erhalt, den Neuund den Ausbau der Verkehrswege zur Verfügung. Zusammen mit den GVFG-Mitteln und weiteren Förder1476
Dirk Fischer ({1})
programmen belaufen sich die Investitionen im Verkehrsbereich 2010 auf 12,6 Milliarden Euro. Der
Einzelplan 12 ist mit 51,6 Prozent aller Investitionen des
Bundes erneut der größte Investitionshaushalt des Bundes. Die Gesamtausgaben des Haushalts belaufen sich
auf rund 26,4 Milliarden Euro. Davon entfallen
14,8 Milliarden Euro auf Investitionen.
Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass diese Investitionen gerade in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise von enormer Bedeutung sind; denn jeder investierte Euro im Bereich Verkehr und Bau ist ein
Impuls für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt. Diese
Impulse brauchen wir dringend; denn wir wollen Investitionen der Wirtschaft fördern.
({2})
Für die Eisenbahnen des Bundes haben wir Ausgaben
von insgesamt 10,1 Milliarden Euro vorgesehen, davon
4,3 Milliarden Euro für Investitionen. Es muss auch noch
ein Betrag von 900 Millionen Euro, der aus Eigenmitteln
dieses Bundesunternehmens in die Investitionen fließt, sozusagen hinzugerechnet werden. Hinzukommen noch einmal 700 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket, die für
2009 und 2010 für Schienenwege zur Verfügung stehen.
Damit können die laufenden Bedarfsplanvorhaben verstärkt, das Schienennetz, die Bahnstromversorgung und
die Qualität unserer Regionalnetze verbessert sowie die
Lärmsanierung entscheidend vorangetrieben werden.
Außerdem können wir den Zustand unserer Bahnhöfe
mit einem umfangreichen Programm zur Bahnhofssanierung verbessern. Ich sage ganz deutlich: Das ist auch bitter nötig.
({3})
Mit 5,3 Milliarden Euro Investitionsmitteln für die
Bundesfernstraßen können hoch belastete Engpässe im
Autobahnnetz sechsstreifig ausgebaut und vorhandene
Lücken im Zuge der Bundesfernstraßen beseitigt werden. Außerdem gibt es Mittel aus dem Konjunkturpaket.
Damit können baureife Bedarfsplanmaßnahmen früher
und zusätzlich in Angriff genommen und die Mittel für
laufende Maßnahmen erhöht werden, sodass der Bauablauf beschleunigt wird und ein Anschluss an das Netz
früher möglich ist.
Mit einem Programm wird das bestehende Lkw-Stellplatzdefizit an deutschen Autobahnen vermindert. Ich
sage ganz deutlich: Wenn wir nicht auf so viel kommunalen Widerstand stoßen würden, könnten wir eine Lösung dieses Problems noch viel schneller vorantreiben.
({4})
Da gibt es aber Umsetzungsprobleme. Wir brauchen sehr
dringend mehr Stellplätze; denn nur so können die gesetzlich festgelegten Lenk- und Ruhezeiten abgeleistet
werden. Da Lkws auf Sicherheitsstreifen an Autobahnen
einfach abgestellt und Zufahrten versperrt werden, obwohl die Lkw-Fahrer nicht gegen das Gesetz verstoßen
dürfen, muss dringend gehandelt werden. Man kann daher alle Gebietskörperschaften nur auffordern, uns dabei
zu unterstützen.
({5})
Lärmschutz ist - das wissen wir aus vielen Umfragen, aber auch aus Gesprächen mit unseren Bürgern eine eminent wichtige Aufgabe. Die Akzeptanz für den
Ausbau unserer Verkehrsinfrastruktur hängt davon ab,
dass wir alles tun, was möglich ist, um die Lärmbelastung der Bevölkerung zu reduzieren. Im Einzelplan 12
haben wir 50 Millionen Euro vorgesehen, um die Lärmsanierung an bestehenden Bundesfernstraßen voranzubringen. Für neue Projekte ist der Lärmschutz schon in
den Hauptbautiteln enthalten und oftmals bereits verabredet, um überhaupt zu einem rechtskräftigen Planfeststellungsbeschluss zu gelangen.
Die Anstrengungen für die Verkehrssicherheit werden 2010 mit rund 11 Millionen Euro intensiv fortgeführt. Ich glaube, dass wir in Europa dasjenige Land
sind, dass, was die Verkehrssicherheit angeht, mit am erfolgreichsten ist. Das ist hocherfreulich.
({6})
Auch die Förderung intelligenter Verkehrsleitsysteme
auf der Basis des Satellitennavigationssystems Galileo
wird in der Zukunft zu erhöhter Verkehrssicherheit beitragen; denn damit kann die Kapazitätsoptimierung hochbelasteter Verkehrsstrecken ermöglicht werden.
Besonders wichtige Vorhaben dieser Koalition - das
ist in anderen Redebeiträgen bereits ausgeführt worden sind die Förderung von Elektromobilität und innovativen Batterietechnologien. Auf der Internationalen Automobilausstellung im vergangenen Jahr drehte sich fast
alles um Elektroautos, Hybridfahrzeuge und Wasserstofftechnologien. Ein Jahrzehnt lang hatte die Automobilindustrie entgegen allen Selbstverpflichtungen zu
wenig getan. Es ist erfreulich, dass inzwischen hier eine
deutliche Wende zur grünen Mobilität vollzogen wurde.
Auch deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung ein
mehrjähriges Innovationsprogramm zur Wasserstoffund Brennstoffzelltechnologie im mobilen, stationären
und portablen Bereich aufgelegt hat und bis 2011 aus
dem Konjunkturpaket eine halbe Milliarde Euro für anwendungsorientierte Mobilitätsforschung bereitgestellt
wird.
Bei einer Preisverleihung des ADAC hat der Bundespräsident vor Kurzem gesagt:
Die Zukunft gehört dem, der als erster die Kraft der
Sonne in den Tank packt, der als erster mit Wasserstoff überholt, der als erster CO2-frei vorankommt.
Das sollte für uns alle eine Verpflichtung und Aufforderung darstellen.
Letzteres lässt sich in ähnlicher Weise auf das Wohnungswesen übertragen. Denn die Sanierung des
Gebäudebestandes birgt ein hohes Potenzial zur Erreichung unserer Klimaschutzziele und berücksichtigt außerdem die geänderten Ansprüche an den Wohnungsstandard - auch infolge der Alterung der Gesellschaft.
Die Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms aus dem Konjunkturpaket ist daher sehr begrüßenswert. Ich hoffe und wünsche mir, dass wir bei diesem Programm zu einer Verstetigung in den Folgejahren
Dirk Fischer ({7})
kommen. Daran müssen wir gemeinsam engagiert arbeiten.
({8})
Im Ergebnis stelle ich fest, dass dieser Haushalt entgegen der Verelendungstheorie des Kollegen Uwe
Beckmeyer ein großer Beitrag zur Wirtschaftsbelebung
und zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes ist. Er führt
zur Verbesserung der Infrastruktur, trägt zum Klimaschutz bei und ist ein Beitrag zur Optimierung und weiteren Profilierung unseres Logistikstandortes Deutschland. Damit kann ich nur feststellen: Die im
Koalitionsvertrag von Union und FDP vereinbarten
Ziele werden mit dem Haushalt voll angepackt.
({9})
Das Wort hat nun Florian Pronold für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Minister hat davon gesprochen, dass er
mit diesem Haushalt neue Akzente setzt. Tatsächlich
aber - darauf haben einige Vorredner hingewiesen weist dieser Haushalt wenig Unterschiede zu dem auf,
was wir in der Großen Koalition schon auf den Weg gebracht haben. In vielen Reden hat man sich mit Projekten geschmückt, die noch von Wolfgang Tiefensee und
in der Zeit der Großen Koalition auf den Weg gebracht
wurden.
Insofern gibt es in diesem Haushalt tatsächlich einen
großen Spielraum, um vernünftige Investitionen in die
Zukunft zu tätigen. Die spannendste Frage wird in diesem Haushaltsplan aber nicht beantwortet, und zwar die,
wie es mit der mittelfristigen Finanzplanung eigentlich
weitergeht. Der Kollege Vaatz hat gefordert, wir sollten
uns zu dem bekennen, was wir Anfang des Jahres in die
mittelfristige Finanzplanung geschrieben haben. Ein
Haushalt lebt aber von Wahrheit und Klarheit.
({0})
Das bedeutet, dass man neue Entwicklungen selbstverständlich in die mittelfristige Finanzplanung aufnimmt.
({1})
Selbst die Koalition sagt, man wolle dies nach der Steuerschätzung nachholen und die neuen Entwicklungen in
die mittelfristige Finanzplanung aufnehmen.
({2})
Der Kollege Hermann Otto Solms von der FDP sagt, das
brauche es nicht, denn er wisse schon heute, wie sich die
mittelfristige Finanzplanung - 1 Milliarde Euro hin oder
her - entwickeln werde, denn es gebe bestimmte Dinge,
die schon jetzt feststünden. Und was steht fest? - Erstens
wird ab dem Jahr 2011 die Schuldenbremse greifen.
({3})
Zweitens wissen wir, dass die Mauteinnahmen, auch
wegen der Wirtschaftskrise, zurückgehen werden. Drittens wissen wir, dass es Maßnahmen der schwarz-gelben
Regierung gibt - nämlich Steuergeschenke an ihre
Klientel -, die die Staatseinnahmen nachhaltig vermindern werden.
({4})
Das bedeutet, dass unter dem Strich weniger Geld zur
Verfügung steht.
Herr Ramsauer hat angekündigt, ein Wunderminister
zu werden. Es braucht auch ein Wunder, damit man mit
weniger Geld mehr für Schiene, Straße und Wasserstraße
ausgeben kann. Das wird nicht funktionieren. In all Ihren
Redebeiträgen heute sind Sie es uns schuldig geblieben,
die Prioritäten zu benennen. Wo wollen Sie tatsächlich
Schwerpunkte setzen und vor allem wo nicht mehr?
Herr Vaatz hat gesagt, die Bahn sei benachteiligt, sie
müsse wettbewerbsfähiger gemacht werden und dafür
bedürfe es entsprechender Maßnahmen. Die Bahn hat
zum Beispiel einen verminderten Mehrwertsteuersatz für
ihre Fahrkarten gefordert.
({5})
Wenn Sie den Hoteliers den verminderten Mehrwertsteuersatz zugestehen, dann wäre es konsequent, wenn
das auch für die Schlafwagenkarten der Bahn gilt.
({6})
Die Mittel, die Sie als Steuergeschenke ausgegeben haben, fehlen letzten Endes in den nächsten Jahren für den
Lärmschutz, für Umgehungsstraßen, für den Ausbau von
Autobahnen und des Schienennetzes.
Sie haben groß angekündigt, dass Sie aus den bestehenden Verkehrsträgern heraus die Finanzierung gewährleisten wollen. Das heißt doch übersetzt, dass für
die Schiene weniger Geld zur Verfügung steht. Da beißt
die Maus keinen Faden ab. Sie müssen eine Antwort auf
die Frage geben, wie Sie den Schwerpunkt des Ministers
mit Geld ausstatten wollen, wo doch insgesamt weniger
zur Verfügung steht.
Wie geht das? Es wurde eine spannende, aber nur
kurze Debatte begonnen. Ich komme aus Niederbayern,
wie der Herr Kollege Scheuer auch.
({7})
Dort gibt es die Passauer Neue Presse. Im letzten Jahr
im Sommerloch war eine große Schlagzeile des Kollegen Scheuer, und übrigens auch der CSU, zu lesen, in
der die Einführung einer Pkw-Maut gefordert wird.
Kaum ist er in Amt und Würden - der Minister musste
sein erstes Interview zu diesem Thema zurückziehen;
frei nach Erich Kästner heißt es „Wem Gott ein Amt
gibt, dem gibt er auch Verstand“ -, geht er zu den Plänen
einer Pkw-Maut auf Abstand.
({8})
Nun wird es spannend. Woher soll denn das Geld
kommen? Ich frage Sie: Wie sieht die mittelfristige Finanzplanung aus? Wie wollen Sie all die Ankündigungen, die Sie gemacht haben, finanzieren? Wer soll das
bezahlen, vor allem angesichts dessen, dass Sie die
Finanzierung unseres Staatshaushaltes mit all den Maßnahmen, die Sie politisch getroffen haben, nachhaltig
aushöhlen und damit Zukunftsinvestitionen beschneiden?
({9})
Der neue Kollege von der FDP hat uns dankenswerterweise aufgefordert, Vorschläge einzubringen. Sie haben schon bei der Rede des Kollegen Uwe Beckmeyer
feststellen können, dass wir eine ganze Menge Vorschläge und vor allen Dingen Fragen haben. Es stellt
sich vor allem die Frage, was von den gemachten Ankündigungen konkret umgesetzt wird. Was kommt denn
bei all der Nebelkerzenwerferei, die stattfindet, an konkreten Maßnahmen heraus? Was bedeutet das für das
Thema Schiene?
Es geht um die Geheimliste, deren Existenz der
Minister heute bestritten hat. Wird das Chemiedreieck
angebunden? Kommt das? Bis wann, Herr Minister? Sie
wissen, wie wichtig es ist, dass wir das hinbekommen,
damit wir den Verkehr auf den Straßen und die Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger reduzieren, Stichwort Mautausweichverkehr usw. Sie müssen konkrete
Antworten geben. Heute wurde dazu nichts gesagt. Ich
bin auf die Debatten der Zukunft gespannt, in denen geklärt wird, wie das Wunder geschehen soll, dass man,
politisch bedingt, mit weniger Geld mehr in Verkehr und
Infrastruktur investiert. Das kann nicht gelingen. Das
wird spätestens in der nächsten Haushaltsdebatte Ihr Offenbarungseid.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat nun die Kollegin Daniela Raab für die
Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Herr Pronold, Sie haben so schön gesagt:
„Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand.“
Bei Ihnen bin ich beruhigt: Sie haben zumindest schon
mal ein Amt.
({0})
Wir warten immer noch - wir werden das im Protokoll
nachlesen - auf die konstruktiven Vorschläge der SPD
zum Verkehrshaushalt. Mehr möchte ich an dieser Stelle
nicht sagen.
({1})
Der Haushalt für das Jahr 2010 ist gewiss - wir haben
es heute schon öfter gehört - einer der schwierigsten,
den wir in den letzten Jahren zu beschließen hatten, und
er stellt uns vor sehr große Herausforderungen. Nichtsdestotrotz gibt es sicherlich einige Punkte - viele sind
heute schon angesprochen worden -, die uns gerade in
diesem Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung ausgesprochen wichtig sein
müssen. Ich möchte heute weder Zahlen noch allzu viel
von dem wiederholen, was schon gesagt wurde. Ich
möchte trotzdem einige wenige Punkte herausgreifen,
die mir persönlich und auch - da bin ich mir sicher meiner Arbeitsgruppe Verkehr sehr wichtig sind.
Wir haben vom Herrn Minister, aber auch von Kollegen gehört: Die ländliche Infrastruktur wird in den
nächsten vier Jahren eines der ganz großen Themen sein
und sein müssen. Ich bin dem Minister ausgesprochen
dankbar, dass er dafür gesorgt hat, dass sich dieser Themenschwerpunkt in der Umorganisation seines Ministeriums niedergeschlagen hat. Da finden wir zum allerersten Mal den Begriff der ländlichen Infrastruktur als eines
der wichtigen Themen der kommenden Jahre.
Warum ist das so wichtig? Natürlich brauchen wir
Metropolregionen. Aber wir müssen uns auch immer
wieder bewusst machen, wie stark funktionierende Metropolregionen von einem funktionierenden ländlichen
Umfeld abhängig sind. Wir müssen uns von dem Gedanken befreien, dass „ländlicher Raum“ nur Agrar- und
Landwirtschaft bedeutet. Das ist viel, viel mehr.
Herr Minister, ich glaube, wir sollten uns vornehmen,
diesen Begriff auszufüllen. Dazu gehören Mobilität und
eine funktionierende Infrastruktur im ländlichen Raum.
Was passiert denn, wenn die Menschen im ländlichen
Raum keine Arbeitsplätze vor Ort mehr finden, zum
Beispiel, weil wir zwar Gewerbegebiete ansiedeln, diesen Gewerbegebieten aber keinen Anschluss an die
Fernstraßen der Zukunft geben, nämlich an die Datenautobahnen? Dann werden wir im ländlichen Raum
keine Arbeitsplätze mehr haben. Die Firmen ziehen in
die Stadt, die Menschen ziehen hinterher, und letztlich
habe ich genau das, was ich verhindern wollte, nämlich
den Verkehrsinfarkt in den Metropolregionen.
Deswegen wird es wichtig sein, die Infrastruktur im
ländlichen Raum auszubauen. Dazu gehört auch, auch
wenn das bedauerlicherweise nicht unser alleiniger Zuständigkeitsbereich ist, Herr Minister, der Ausbau der
Breitbandversorgung, und zwar bitte nicht immer nur
in Sonntagsreden, sondern auch ganz konkret.
({2})
- Lieber Kollege Beckmeyer, ich bin mir ziemlich sicher, dass wir gerade beim Thema DSL alle an einem
Strang ziehen, völlig ideologiefrei und ganz entspannt.
({3})
Ein zweites Thema, das mir sehr wichtig ist, für das
wir Mittel ausgeben, das wir aber noch stärker herausstellen müssen: Wir fordern gerade von den Anwohnern
von Straßen und Schienen immer eine hohe Akzeptanz
derselben. Wir sagen immer: Das ist wichtig; wir brauchen Verkehrswege; wir müssen mobil sein; wir müssen
flexibel sein. Diesen Anwohnern sind wir aber auch verdammt viel schuldig. Wir müssen ihnen endlich einen
sehr, sehr vernünftigen und nachhaltigen Lärmschutz
und nicht nur den Standardlärmschutz anbieten. Jeder
kennt den Spruch: Wer schlechte Qualität kauft, kauft
doppelt. Da müssen wir uns endlich einmal heranwagen
und etwas mehr Geld für den Lärmschutz in die Hand
nehmen.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass das für diesen
Haushalt eine Herausforderung bedeutet. Aber wir können nicht nur von Mobilität und Infrastruktur im Zusammenhang mit Straße und Schiene reden, sondern wir
müssen den geplagten Anwohnern - oftmals sind sie zutiefst geplagt - auch einen vernünftigen Lärmschutz anbieten, der oftmals über die gerade noch ausreichende
Lärmschutzwand hinausgehen muss.
({4})
Das muss vielleicht auch ein Tunnel, eine Einhausung
oder ein vernünftiger Verlustausfall sein. Ich würde mir
das sehr wünschen, meine liebe Frau Herlitzius. Ich
hoffe, wir sind uns an dieser Stelle einig. Nur wenn wir
das machen, dürfen wir fordern, dass der Lärm, der von
Straßen und insbesondere Schienen naturgemäß ausgeht,
akzeptiert wird.
Das ist eine große Herausforderung für uns, der wir
uns stellen müssen. Herr Minister, wir sind bereit dazu.
So bekommen wir den Ausbau von Straßen, Schienen,
Luftverkehr und Wasserstraßen hin. Wir haben uns an
dieser Stelle viel vorgenommen. Ich sage es noch einmal: Gerade beim ländlichen Raum, bei der ländlichen
Infrastruktur haben wir eine ausgesprochen hohe Verantwortung für die Menschen, die dort wohnen. Es liegt viel
vor uns. Es ist Zeit, dass wir endlich eine ideologiefreie
Verkehrspolitik machen. Das haben wir in den letzten
Jahren leider nicht erlebt. Da sind viele tragende Branchen schlicht und ergreifend aus dem Verkehrsministerium ausgesperrt worden, weil man sich mit ihnen nicht
unterhalten wollte. Es ist Zeit, dass sich dies ändert. Ich
bin mir sicher, wir haben einen guten Anfang gemacht.
Wir haben einen sehr guten Minister dafür und eine hervorragende Koalition. Packen wir es an!
({5})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen zur Schlussrunde. Als erstem Redner
erteile ich dem Kollegen Norbert Barthle für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir treten nun ein in die Schlussrunde dieser
außergewöhnlichen Woche, in der der Haushalt in dieses
Parlament eingebracht wird. Wir haben eine Woche lang
Gelegenheit gehabt, den Regierungsentwurf über alle
Einzelpläne hinweg intensiv zu beraten. Ich will zuerst
sagen, dass ich es für eine gute Übung halte und es würdigen möchte, dass diese Übung stattfindet. Denn wir
dürfen nie vergessen: Das Budgetrecht ist das Königsrecht des Parlaments. Das ist Ausweis einer guten demokratischen Kultur. Allen Kolleginnen und Kollegen empfehle ich, sich anzuschauen, wie in anderen Ländern das
Budgetrecht ausgestaltet ist. Dann werden Sie sehen,
dass wir hier eine hohe demokratische Kultur haben, die
es zu pflegen gilt.
({0})
Wenn ich mir den Verlauf der Woche ansehe, dann
kann ich die Bilanz ziehen, dass sich die Koalitionsredner in großer Einigkeit darüber im Klaren waren, dass
dieser Haushalt, den wir für das Jahr 2010 vorlegen, ein
Haushalt des Übergangs und der Krisenbewältigung ist,
aber eben auch ein Haushalt, der sich intensiv darum bemüht, Impulse für Wachstum und für Beschäftigung zu
setzen, und damit zur Bewältigung dieser Krise beiträgt.
({1})
Gleichzeitig haben wir erfahren, sowohl in der hervorragenden Grundsatzrede unserer Bundeskanzlerin als auch
in der perspektivischen Rede unseres Fraktionsvorsitzenden als auch in der sehr substanziellen Rede des Bundesfinanzministers, dass wir in diesem Haushalt neue
Zeichen setzen,
({2})
weg von ideologischen Schwerpunkten der Vergangenheit, weg von ideologischen Orientierungen, hinein in
ein Jahrzehnt der Chancen, die wir ergreifen wollen. Als
einen Ausblick in ein neues Jahrzehnt nenne ich: Wir
Deutschen waren schon immer dann stark, wenn wir
schwierige Situationen zu bewältigen hatten, zum Beispiel nach der deutschen Wiedervereinigung. Auch
jetzt, beim Eintritt in dieses neue Jahrzehnt, werden wir
beweisen, dass wir die vor uns liegenden Herausforderungen meistern können.
({3})
In den vergangenen Tagen und Wochen haben wir in
den Medien immer wieder das Beispiel von der schwäbischen Hausfrau gelesen, das die Bundeskanzlerin herangezogen hatte. Es wurde gefragt, ob es richtig ist, so
viele Schulden zu machen. Ein ganz einfaches Wort
dazu: Wenn der schwäbischen Hausfrau durch ein Unwetter das Dach verhagelt wird, dann wird sie Schulden
aufnehmen, um das Dach reparieren zu können. Wenn
das Dach repariert ist, überlegt sie sich, wie es weitergeht. Diese Diskussion müssen wir noch führen. Wir
müssen noch eine ernsthafte Debatte darüber führen, wie
es nach der Bewältigung dieser Krise weitergeht, ob man
sozusagen auf die eine oder andere Urlaubsreise verzichten muss, ob man quasi auf das eine oder andere Essen
beim Italiener verzichten muss.
Diese Debatte müssen wir ernsthaft führen. Deshalb
komme ich an dieser Stelle zu den Diskussionsbeiträgen
der Opposition; denn da habe ich - ohne das pauschal
verunglimpfen zu wollen - an vielen Stellen Ernsthaftigkeit vermisst. Es wurde manches Neue und manches
Richtige gesagt. Das Problem war nur, dass das Neue,
das Sie gesagt haben, nicht richtig war und dass das
Richtige, das Sie gesagt haben, nicht neu war.
({4})
Wir haben mit einer Ausnahme relativ wenige konstruktive Beiträge aus der Opposition gehört. Es wurde gefordert, die Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für
Beherbergungsbetriebe rückgängig zu machen.
({5})
Da fielen auch böse Worte; das muss man an dieser
Stelle sagen. Von Bimbesrepublik, Klientelpolitik usw.
war da die Rede. Liebe Kollegin Lötzsch, Sie haben gesagt, das sei ein Haushalt von Lobbyisten für Lobbyisten.
({6})
Ich freue mich darauf, mit Ihnen zu diskutieren, wenn
wir den größten Einzeletat, den für Arbeit und Soziales,
durchgehen. Dann werde ich Sie fragen, wo da die
Lobbyisten sitzen, für wen der Haushalt gemacht ist. Da
bin ich gespannt.
({7})
Ich will ein Fazit ziehen. Die gesamte linke Seite dieses Hauses hat sich während dieser Woche darin ergangen, Klamauk und Radau zu machen,
({8})
anstatt sich der Verantwortung, die man in dieser
schwierigen Situation zu tragen hat, bewusst zu sein und
dieser gerecht zu werden. Das habe ich in dieser Woche
vermisst. Deshalb kann ich nur sagen: Das war ein
schwacher Start der Opposition.
({9})
Wir werden jetzt in die parlamentarischen Beratungen
dieses Haushalts eintreten. Das ist ein aufwendiges Verfahren. Denn wir Haushälter werden jeden Einzelplan
und jeden Titel durchwühlen, sozusagen jeden einzelnen
Euro in diesem Haushalt umdrehen, und das sind immerhin 325 Milliarden Euro. Wir werden bei dieser Arbeit
natürlich im Hinterkopf haben, was im Sommer mit der
Aufstellung des Haushaltes für das Jahr 2011 auf uns zukommt. Denn wir sind bestrebt, aus dem guten Haushaltsentwurf, den der Finanzminister vorgelegt hat, einen noch besseren Haushalt zu machen.
({10})
Das werden wir tun, indem wir - auch wenn wir uns
bewusst sind, dass dieser Haushalt kein Sparhaushalt ist jeden einzelnen Posten daraufhin überprüfen, ob wir dort
nicht doch noch etwas einsparen,
({11})
etwas noch effektiver gestalten oder das zur Verfügung
stehende Geld noch verantwortungsbewusster einsetzen
können, natürlich auch mit Blick darauf, dass sich die
Zeiten inzwischen geändert haben.
Das betrifft die Nettokreditaufnahme; wir werden
uns bemühen, sie etwas zu senken. Das betrifft natürlich
auch die Verpflichtungsermächtigungen; hier wollen
wir uns für die kommenden Jahre nicht zu sehr binden,
sondern uns sehr restriktiv verhalten. Und das betrifft die
Frage - sie ist mir besonders wichtig -, ob wir nicht
doch noch neue Schwerpunkte hin zu Investitionen setzen können. Wir müssen raus aus den konsumtiven Ausgaben, rein in die Investitionen. Das wird ein Schwerpunkt unserer Beratungen sein.
({12})
Ein kleiner Randaspekt: Auch wir wollen die parlamentarische Kontrolle der Bundesbeteiligungen effektiver als bisher gestalten. Hier haben wir Parlamentarier
nur relativ geringe Einflussmöglichkeiten. Diese möchten wir gerne etwas ausbauen. Auch das wird ein
Schwerpunkt unserer Beratungen sein.
({13})
Ich freue mich auf eine intensive Zusammenarbeit mit
den Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Ich kann
nur sagen: Diese Woche hat gezeigt, dass wir in der
christlich-soz - -, in der christlich-liberalen Koalition
ein neues Klima haben.
({14})
- Das war schon richtig. - Das bemerken sogar die Zuschauer an den Fernsehschirmen. In der Großen Koalition - bei allem Respekt für die Kollegen von der SPD war es manchmal so, dass wir nicht herzerfreut und herzerfüllt, sondern eher pflichtbewusst geklatscht haben,
({15})
und bei den Rednern der FDP haben wir unsere Hände
mühsam unter dem Tisch gehalten, damit sie nicht doch
hochzucken und klatschen.
({16})
Jetzt ist es so, dass wir, wenn die Kollegen von der FDP
reden, herzerfüllt und herzerfreut mitklatschen können.
({17})
Das ist ein neues Klima.
({18})
Deshalb freue ich mich auf die kommenden Haushaltsberatungen mit Ihnen. Wir werden einen Haushalt vorlegen, der noch besser ist als der Entwurf, den wir gerade
beraten. In diesem Sinne: Bis Ende März!
Herzlichen Dank.
({19})
Das Wort hat nun Kollege Carsten Schneider für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Barthle, auch ich war diese Woche hier. Ich habe allerdings einen anderen Eindruck, sowohl was die Debatte und den Zusammenhalt innerhalb der Koalition als
auch insbesondere was die Linie der Regierung betrifft;
denn die war eigentlich gar nicht erkennbar.
({0})
Wer den markanten grundsätzlichen Redebeitrag der
FDP-Fraktionsvorsitzenden am Mittwoch gehört hat, der
hat gesehen, dass sich hier keine Hand gerührt hat.
({1})
Ich kann das auch gut verstehen; denn das, was sie gesagt hat, war gänzlich fernab der Realität.
({2})
Wir sind kurz vor dem Einstieg in die parlamentarischen Beratungen des Haushaltsentwurfs; Sie haben darauf hingewiesen. Sie haben allerdings wenig dazu gesagt, vor welchen Herausforderungen dieses Land steht,
Herr Barthle; davor haben Sie sich gedrückt. Ich habe
die ganze Woche Minister reden hören, die wohltönend
dargelegt haben, was sie alles machen werden: Die Mittel für das Elterngeld und die Zahl der Vätermonate sollen erhöht werden, die Mittel für den Arbeitsmarkt
sollen nicht gekürzt, sondern erhöht werden etc. Kein
einziger Minister hat gesagt, wo er sparen will, und das,
obwohl Sie von der FDP-Fraktion uns in der Vergangenheit immer mit Ihren Sparbüchern, in denen steht, wo
Sie überall sparen wollen, traktiert haben. Sie haben
nicht einen einzigen der Vorschläge, die Sie jahrelang
gemacht haben, eingebracht.
({3})
Ich bin gespannt, ob dazu noch etwas kommen wird.
Die Lage ist aber viel zu ernst für Scharmützel. Der
Herr Bundesfinanzminister hat am Dienstag eine sehr
bedeutungsschwere Rede gehalten, allerdings mit relativ
wenig konkretem Inhalt. Deshalb muss man Ihnen,
denke ich, heute noch einmal die Gelegenheit geben, zu
antworten.
Ich will Ihnen klar sagen, wie die Lage ist, Herr Bundesfinanzminister: Ausweislich Ihrer eigenen Berichte
- ich nehme an, Sie kennen sie; vielleicht muss man sie
aber dem Bundestag noch einmal vorstellen - sind wir in
einer Situation - Bundesbankpräsident Weber hat sich
gestern dazu geäußert -, die sehr kritisch ist. Die ökonomische Situation ist kritisch, insbesondere aber die öffentlichen Finanzen. Er sagt: Tiefe Einschnitte bei den
Staatsausgaben sind unausweichlich. Er fügt hinzu, dass
im Falle von Steuersenkungen - das ist ja Ihr Hauptpunkt, das ist der Grund, warum Sie sich alle paar Wochen wieder zum Essen treffen und groß Verbrüderung
feiern - die Einsparungen, weil Steuersenkungen gegenfinanziert werden müssten, sogar noch härter ausfallen müssten.
({4})
- Ja, rechnen wir das einmal zusammen: Im nächsten
Jahr müssen Sie wegen der Schuldenbremse 10 Milliarden Euro einsparen. Hinzu kommen 3 Milliarden Euro
wegen höherer Zinsausgaben. Das macht 13 Milliarden
Euro. Wenn Sie dann dazurechnen, dass wegen der
Steuerentlastung von 20 Milliarden Euro, die Sie beschließen wollen, der Bund 10 Milliarden Euro weniger
einnimmt, sind wir bei 23 Milliarden Euro. Wie wollen
Sie das finanzieren? Einen Sparvorschlag habe ich nicht
gehört; die Steuern erhöhen wollen Sie aber auch nicht.
Wie wollen Sie das also finanzieren? Ich höre immer:
durch Wachstum. Bei einer Steuerquote von 25 Prozent
brauchten Sie zusätzlich zu dem Wachstum, das im Moment unterstellt wird - 2 Prozent -, ein Wachstum von
8 Prozent. Das heißt, um das, was Sie sich vorgenommen haben, zu finanzieren, brauchten Sie 2011 ein
Wachstum von 10 Prozent. Da frage ich mich: Ist das
hier Alice im Wunderland?
({5})
Natürlich sind auch wir Sozialdemokraten daran interessiert, dass wir ein hohes Wachstum haben. Deswegen
Carsten Schneider ({6})
haben wir ja die Konjunkturprogramme unterstützt
und sie mit durchgesetzt. Ich bin einigermaßen entsetzt,
dass der Kernpunkt des öffentlichen Investitionsprogramms nach Aussage Ihres Ministeriums, Herr Staatssekretär Koschyk, nun zur Diskussion steht, nämlich die
Bedingung, dass, wenn der Bund für Vorhaben Mittel
bereitstellt, Länder und Kommunen diese Vorhaben mitfinanzieren; so soll ein höherer Wachstumseffekt erreicht werden. Diese Bedingung hat der Deutsche Bundestag beschlossen. Wir haben im Haushaltsausschuss
mit Zustimmung der Kollegen der CDU/CSU - bei den
Kollegen der FDP bin ich nicht ganz sicher - nachdrücklich dafür gesorgt, dass diese Bedingung gestellt wird.
Wir haben sogar aufgenommen, dass der Bundesrechnungshof das Recht, zu prüfen, erhält. Was machen Sie
nun? Sie wollen diese Bedingung der Zusätzlichkeit
streichen, Sie wollen diesen zusätzlichen Impuls für die
wirtschaftliche Entwicklung streichen.
({7})
Das ist eine Konterkarierung des Konjunkturprogramms.
({8})
Man muss sich um die wirtschaftliche Situation in
Deutschland Sorgen machen.
({9})
Man kann Vermutungen anstellen, warum das so
kommt. In den Verhandlungen über Ihr sogenanntes
Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das viel Wirkung in
den Parteikassen hinterließ, für den Staat aber Mindereinnahmen zur Folge hatte, kam vom sächsischen Ministerpräsidenten, Herrn Tillich, der Wunsch, die Bedingung der Zusätzlichkeit zu streichen. Auf meine
Nachfrage im Haushaltsausschuss hat das Bundesfinanzministerium die Auffassung geäußert, dass man das auf
keinen Fall wolle. Ich kann Ihnen die Begründung dazu
im Einzelnen vorlegen; ich will Sie aber nicht traktieren.
Wenn Sie die Bedingung der Zusätzlichkeit streichen
wollen, müssen Sie zustimmen; denn es ist ein Gesetz zu
ändern, das Sie vor einem halben Jahr voller Verve und
mit guter Begründung anders beschlossen haben.
({10})
Wenn Sie dem zustimmen, Herr Bundesfinanzminister,
dann ist das die erste schwere Niederlage in Ihrer Amtszeit.
({11})
- Auch ich habe große Sorgen, dass das nicht die letzte
sein wird. Man muss nach dieser Debatte wirklich den
Eindruck haben - das ist realistisch -, dass Sie sich sowohl von den Vorgaben des europäischen Stabilitätsund Wachstumspaktes als auch von der Schuldenbremse verabschieden, dass Sie die Vorgaben nicht einhalten werden und die Schuldenbremse nicht umsetzen
werden. Und das in einer Phase, in der wir diese massive
Staatsverschuldung haben: 2013, am Ende dieser Legislatur, wird sie bei über 1 Billion Euro liegen, und für
Zinsen müssen wir 53 Milliarden Euro aufwenden.
Hinzu kommt das Zinsänderungsrisiko aufgrund höherer Inflationsgefahr, wenn die Konsolidierung nicht erfolgt; auch auf dieses Risiko weist der Bundesbankpräsident hin. Das wird dem Staat die Luft abschnüren. Die
FDP hat hier eine klare Grundsatzposition: am besten
gar keinen Staat mehr. Freiheit für alle, vor allen Dingen
Freiheit von jedweder Verantwortung.
({12})
Sie sind gewählt worden von 15 Prozent der Bevölkerung - herzlichen Glückwunsch! Mittlerweile sind Sie
aber zuständig für das ganze Land, für 100 Prozent der
Bevölkerung. Alles, was hier in den letzten Tagen besprochen wurde und an Vorschlägen kam, geht in die
Richtung einer reinen Klientelpolitik.
({13})
Ich will Ihnen das an einem Punkt deutlich machen, der
für den Bundeshaushalt mittlerweile große Bedeutung
hat: Das ist der Gesundheitsbereich. Sie senken die
Steuern für wenige. Die oberen 50 Prozent zahlen fast
das gesamte Steueraufkommen, weil die anderen 50 Prozent fast nichts haben. Wer die Einkommensteuer, wer
die Lohnsteuer senkt, begünstigt also wenige. Sie erhöhen hingegen die Sozialabgaben, die alle zahlen müssen. Dies gilt auch für den Arbeitslosenversicherungsbeitrag; das sagen Sie nur heute noch nicht. Aber ich
gebe dem Bundesfinanzminister gern Gelegenheit, vor
der Wahl in Nordrhein-Westfalen hier zu sagen, dass er
in diesem Jahr und in dieser Legislaturperiode nicht am
Arbeitslosenversicherungsbeitrag rütteln wird und dass
dieser Beitrag nicht über das verabredete Maß hinaus erhöht wird.
({14})
Dies hat ja der Kollege Friedrich hier für die CSU-Landesgruppe bestätigt.
Herr Bundesfinanzminister, ich frage Sie: Können Sie
dies ausschließen, oder sehen Sie in der Erhöhung des
Arbeitslosenversicherungsbeitrags die Sparbüchse, mit
der Sie im Kern die Konsolidierung erbringen wollen?
Dies bedeutete aber, dass Sie Binnennachfrage schwächen, weil der Arbeitslosenversicherungsbeitrag natürlich von jedem Arbeitnehmer gezahlt wird, und zwar vor
allem von denjenigen, die am wenigsten verdienen, da es
hier keine Progression gibt. Geringverdiener werden belastet, Spitzenverdiener werden entlastet. Das ist Ihre
Politik.
({15})
Sie ist nicht nur unter Verteilungsgesichtspunkten äußerst kritisch. Sie ist auch ökonomisch unsinnig, weil Sie
bei einer schwächelnden Binnennachfrage gerade im unteren Einkommensbereich eine Entlastung, ein höheres
verfügbares Einkommen stimulieren müssen, anstatt den
Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen.
({16})
Was wir im Gesundheitsbereich lesen müssen, geht
ebenfalls in diese Richtung. Herr Minister Rösler, dass
jemand, wenn er neu ins Amt kommt, zu Beginn nicht
gleich sagen kann und will, was er wirklich machen
Carsten Schneider ({17})
wird, sei Ihnen unbenommen. Aber die ersten Entscheidungen, die hier getroffen werden, sind nicht im Sinne
der 90 Prozent gesetzlich Versicherten. Sie sind klipp
und klar ausschließlich im Interesse der 10 Prozent Privatversicherten und vor allen Dingen der Versicherungen.
({18})
Wenn jetzt der Zusatzbeitrag kommen wird - die Krankenkassen haben dies angekündigt -, dann denkt man
doch: Zwar haben wir diese Möglichkeit geschaffen - das
stimmt -, aber wäre Ulla Schmidt noch Gesundheitsministerin,
({19})
hätte sie als Erstes ein Sparprogramm auf der Ausgabenseite aufgelegt. Aber das betrifft ja Ihre Klientel. Die
einzigen Maßnahmen, die Sie verabredet haben, sind
vollkommen gegen den Wettbewerb: Sie wollen die
Apotheker schützen, Sie wollen nicht mehr, dass die
Menschen billiger zu ihren Arzneimitteln kommen, und
Sie haben den Mann, der für die Qualität und die Kontrolle im Pharmabereich - ein größerer Bereich als der
Rüstungsbereich im Übrigen und viel lobbyanfälliger zuständig und in der Fachwelt anerkannt ist, angeschossen
({20})
und wollen seinen Vertrag nicht mehr verlängern. Weil
Sie die Interessen der Pharmaindustrie durchsetzen
wollen, können Sie dort niemanden gebrauchen, der kritisch reinguckt. Dies ist nicht hinnehmbar.
({21})
Meine Damen und Herren, man kann nur verunsichert
aus dieser Debatte gehen: verunsichert darüber, wie es in
diesem Land weitergehen soll, verunsichert darüber, ob
finanzielle Stabilität noch ein Wert ist, und verunsichert
darüber, ob die Mehrbelastungen in der Bevölkerung
nicht zu einem noch stärkeren Attentismus im Wirtschaftsbereich führen, was noch höhere Arbeitslosigkeit
zur Folge hätte, wodurch letztendlich diese schwierige Situation noch mehr verschlimmert würde. Herr Schäuble,
Sie haben die Gelegenheit, dies auszuräumen, insbesondere was den Arbeitslosenversicherungsbeitrag betrifft.
Ein paar konkrete Zahlen wären heute sicherlich angebracht.
Vielen Dank.
({22})
Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Koppelin für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Redebeiträge in dieser Haushaltswoche hier im Deutschen Bundestag haben deutlich gemacht, dass wir in der
Haushaltspolitik des Bundes umsteuern müssen. Ich bin
dem Kollegen Barthle für seinen Beitrag ausgesprochen
dankbar, und ich gebe das, was er zum Beifall in den Koalitionsfraktionen gesagt hat, ausdrücklich an die Union
weiter.
In dieser Woche haben die Diskussionsbeiträge - natürlich nicht von Ihnen, sondern von den Koalitionsfraktionen und von der Regierung - auch gezeigt, dass die
Zeit der Selbsttäuschung vorbei ist.
({0})
Diese Selbsttäuschung, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Sozialdemokraten,
({1})
haben wir in elf Jahren sozialdemokratischer Bundesfinanzminister erlebt. Eine Schuldenaufnahme von 270 Milliarden Euro haben sozialdemokratische Finanzminister
in elf Jahren zu verantworten - das ist die Wahrheit:
270 Milliarden -,
({2})
obwohl es unter der Verantwortung eines sozialdemokratischen Finanzministers die größte Steuererhöhung in der
Republik und allein in der Zeit von 2006 bis 2009 Steuermehreinnahmen in Höhe von 100 Milliarden Euro gab.
Trotzdem betrug in jener Zeit die Nettokreditaufnahme
88 Milliarden Euro. Hinzu kamen Mehrausgaben aufgrund politischer Entscheidungen in Höhe von 31 Milliarden Euro. Dann erzählen Sie von den Sozialdemokraten mir bitte nichts von Klientelpolitik.
({3})
Zusätzlich haben Sie - das wollten wir nie - noch Schattenhaushalte geschaffen.
Lieber Carsten Schneider, wenn man das erste Mal
aus der Opposition als Haushaltspolitiker redet, dann
sollte man auch etwas zu der eigenen Verantwortung für
die hohen Schulden sagen, die ihr mitzuverantworten
habt.
({4})
Im Übrigen halte ich nichts davon, einen Popanz aufzubauen, wie es offenbar euer Tenor ist. Obwohl ihr wisst,
dass es nicht stimmt, baut ihr erst einen Popanz auf und
macht uns dann Vorwürfe. An deiner Aufzählung,
Carsten Schneider, was wir angeblich alles vorhaben, ist
rein gar nichts dran.
({5})
Wir steuern allerdings um - das ist korrekt -, damit
die Menschen in unserem Lande deutlich erkennen, dass
wir den Hausforderungen unserer Zeit aktiv begegnen.
Deshalb ist diese Koalition auch eine Koalition des haushaltspolitischen Aufbruchs in unserem Land.
({6})
Wir werden das, was wir in der Haushaltspolitik erreichen wollen, nicht nur auf eine Legislaturperiode beziehen. Wir werden uns vielmehr längerfristige Ziele und
Projekte über eine Legislaturperiode hinaus vornehmen.
Das ist für mich entscheidend.
({7})
Wir haben uns wichtige Ziele gesetzt. Ohne Wachstum gibt es keine Investitionen, keine neuen Arbeitsplätze und vor allem keinen Abbau der Arbeitslosigkeit.
Ohne Wachstum gibt es - das sage ich auch in Richtung
der linken Seite - keine stärkeren Hilfen für die Schwachen in unserem Lande.
({8})
Ohne Wachstum ist auch die Einnahmeseite des Bundes
nicht zu verbessern.
Deshalb müssen wir diejenigen stärken, die Wachstum schaffen, die Arbeits- und Ausbildungsplätze sichern, die Steuern zahlen und den Karren in unserem
Lande ziehen.
({9})
Deshalb halten wir Freien Demokraten es nach wie vor
für ein Gebot der Stunde, dass die Steuersenkungen
kommen müssen.
({10})
- Das Konzept ist richtig, Herr Trittin. Wir können
nichts dafür, dass sozialdemokratische Finanzminister
die Kasse des Bundes geplündert haben.
({11})
Trotzdem ist und bleibt unser Konzept der Steuersenkungen richtig. Davon bin ich fest überzeugt, weil es unter
anderem die Binnennachfrage fördert.
({12})
Wir Freien Demokraten sind davon überzeugt, dass
wir die Signale stärker auf freie Fahrt für Investitionen
stellen müssen. Das ist entscheidend. Dann kriegen wir
unsere Finanzen in den Griff.
Wir brauchen aber auch einen Staat der Bescheidenheit. Das sollten wir alle bedenken. Dazu müssen wir zurückkehren.
({13})
Nicht alles, was wünschenswert ist, ist machbar.
({14})
Daran sollten wir auch bei unseren Haushaltsberatungen
denken. Statt neue Ausgaben zu beschließen, bin ich dafür, mehr für die Konsolidierung zu tun. Ich kann die
Aufregung der Sozialdemokraten verstehen. Sparen ist
nicht ihre Sache. Steuererhöhungen und Schuldenmachen sind ihre Sache. Sparen kennen sie nicht.
Das ist unsere Verantwortung gegenüber künftigen
Generationen: Wir müssen trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise endlich den Haushalt in den Griff kriegen.
Sonst übergeben wir den künftigen Generationen mit
dem Haushalt eine Erbschaft, die sie mit Steuern und
Abgaben bezahlen müssen. Das wäre unverantwortlich.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung, die mir
wichtig ist. Die Sozialdemokraten vor allem haben in
dieser Woche in fast jedem Beitrag die Gelegenheit genutzt - das ist völlig legitim -, auf eine Spende aufmerksam zu machen, die meine Partei erhalten hat. Ich will
nicht an dieser Stelle die Beteiligung der Sozialdemokraten an Zeitungen und Verlagen aufzählen, die sich über
vier Seiten erstrecken. Ich habe die Liste zwar mitgebracht, aber dafür bräuchten wir extra Zeit. Ich will auch
nicht über die Spende reden, die die Sozialdemokraten
von der Commerzbank oder anderen bekommen haben.
Warum erwähne ich das?
({15})
Ich habe Ihnen die Bundestagsdrucksache 16/13151 ({16})
vom 26. Mai 2009 mit dem Titel „Unterrichtung durch
den Präsidenten des Deutschen Bundestages“ mitgebracht, in der es um die Veröffentlichung von Spenden
geht. Die Drucksache enthält wenig Text. Wenn Sie Einwände gegen die Spende haben, hätten Sie sich also
schon im Mai letzten Jahres erregen können. Einen so
kurzen Text wird ja auch ein sozialdemokratischer Abgeordneter lesen können.
({17})
Ich erwähne das deshalb, weil ich die Sorge habe,
dass Sie, wenn Sie schon diesen kurzen Text nicht gelesen haben, den wesentlich umfangreicheren Bundeshaushalt erst recht nicht lesen können, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten.
({18})
Ich komme zum Schluss. Wir sind bereit, in den Haushaltsberatungen nicht nur innerhalb der Koalition, sondern auch mit den Oppositionsparteien konstruktiv zusammenzuarbeiten. Allerdings, lieber Carsten Schneider,
haben Sie darauf hingewiesen, dass keine Anträge eingebracht worden sind. Dabei weiß doch jeder Haushälter,
dass man Anträge nicht in der ersten Lesung einbringt,
sondern erst im Laufe der weiteren Beratungen.
Für uns Freie Demokraten wird unser Sparbuch
Richtlinie sein. Wir werden versuchen, einiges einzusparen.
({19})
Dabei haben wir allerdings auch den Haushalt 2011 im
Blick, der uns genauso wichtig ist.
Ich lade die Opposition ein, sich an der konstruktiven
Diskussion im Haushaltsausschuss zu beteiligen.
Herzlichen Dank.
({20})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Dr. Dietmar Bartsch das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Barthle hat von einer außergewöhnlichen Woche gesprochen, Jürgen Koppelin eben von einem haushaltspolitischen Aufbruch; das ist sehr interessant. Sie sprachen
außerdem vom Ende der Selbsttäuschung. Ich kann nur
sagen: Bitte sorgen Sie für ein Ende der Selbstüberschätzung!
({0})
Das, was Sie real vorlegen, sagt zwar mehr aus als das,
was im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. Nun ist das
eine oder andere ablesbar. Aber die Linke stellt fest: Die
Grundrichtung Ihrer Politik, die Sie mit diesem Haushalt
betreiben, ist falsch.
({1})
Man hört sehr viele schöne Worte; das ist auch in Ordnung. Herr Barthle hat die Bundeskanzlerin gelobt.
({2})
Aber der Aufruf der Bundeskanzlerin in der jetzigen Situation zu mehr Eigenverantwortung ist nicht akzeptabel. Das ist eine Verhöhnung von Millionen Arbeitsuchenden in diesem Land. Ein solcher Satz ist des Amtes
der Bundeskanzlerin nicht würdig.
({3})
Lassen Sie mich ein paar Haushaltszahlen nennen, da
mir scheint, dass wir uns an bestimmte Dinge gewöhnen
sollen. Das Haushaltsvolumen liegt bei rund 325 Milliarden Euro. Die Neuverschuldung beträgt fast 86 Milliarden Euro plus Schattenhaushalte, und das bei Schulden
von über 1 Billion Euro. Wir dürfen uns an solche Zahlen nicht gewöhnen. Das alles hat überhaupt nichts mit
der Wirtschaftsweise eines ordentlichen Kaufmanns
oder einer ordentlichen schwäbischen Hausfrau zu tun.
Das ist eine inakzeptable Situation, jedenfalls aus der
Sicht der Linken.
({4})
Herr Koppelin, Sie haben über das gelb-blaue alternative Haushaltsbüchlein gesprochen. Solange die FDP auf
der Oppositionsbank saß, hat sie dieses ziemlich dicke
Buch jedes Jahr vorgelegt. Es enthält sogar Sinnvolles.
({5})
Mir scheint aber, dass Sie dieses Büchlein verlegt haben.
Vielleicht haben Sie es auf den Oppositionsbänken liegen gelassen. Es ist jedenfalls irgendwie weggekommen.
({6})
Kramen Sie es wieder heraus, und machen Sie die darin
enthaltenen Vorschläge zu Haushaltskürzungen in den
nächsten Wochen, damit wir wirklich den Haushalt reduzieren können! Denn dieses Büchlein enthält durchaus
das eine oder andere Sinnvolle.
({7})
Wie sieht denn die reale Situation aus? In diesem Jahr
werden rund 85 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. In den nächsten Jahren werden es jeweils
10 Milliarden Euro weniger sein. Das heißt, die Koalition sagt dem deutschen Volk: Wir wollen in dieser Legislaturperiode 280 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. - Das ist die Ansage, die Sie in diesen
Haushaltsberatungen gemacht haben. Damit verfrühstücken Sie schon jetzt die Einnahmen des Jahres 2050. Mit
dieser Neuverschuldung verspielt die Bundesregierung
die Gegenwart und die Zukunft vieler Menschen in diesem Land. Das ist wirklich unverantwortlich und inakzeptabel.
({8})
Nun wird gesagt - das ist partiell auch wahr -, dass es
sich um krisenbedingte Ausgaben handelt. Die Menschen sind es leid, immer wieder vertröstet und belogen
zu werden und sich von der Regierung erklären zu lassen, an ihrer ungerechten sozialen Lage seien bestenfalls
andere Länder oder sogar außerirdische Kräfte schuld.
Das ist nicht der Fall. Die Krise ist nicht vom Himmel
gefallen. Die Krise ist Ergebnis von Politik. Es reicht
nicht, nur zu erklären, dass es sich um die schwerste
wirtschaftliche Krise handelt. Für das Zustandekommen
der Finanzkrise und all dessen, was damit zusammenhängt, ist die Politik verantwortlich. Wer hat denn in diesem Land privatisiert ohne Ende? Wer hat denn in diesem Land dereguliert ohne Ende? Wer hat Hedgefonds
zugelassen? Sie müssen den Menschen sagen, dass die
Krise nicht vom Himmel gefallen ist, sondern Ergebnis
von Politik ist.
({9})
- Jetzt auf einmal! Selbstverständlich hat auch die SPD
mitgemacht, genauso wie alle anderen, mit einer Ausnahme.
Nun sagen auf einmal viele: Es muss reguliert werden. Das ist völlig richtig. Aber wo gibt es denn real eine Maßnahme der Bundesregierung, die Vorsorge trifft, dass sich
eine solche Finanzmarktkrise nicht wiederholen kann?
Ich kann keine feststellen. Es gibt lediglich - das ist eine
der größten Maßnahmen - einen Kreditmediator. Herr
Metternich soll die Vermittlung zwischen den Banken,
die zuvor Geld aus dem Haushalt bekommen haben, und
den Unternehmen, die Geld brauchen, wahrnehmen. Das
Spannende bei ihm ist - Sie haben gerade über die Spende
gesprochen, Herr Koppelin -, dass er ein langjähriger
Weggefährte des Wirtschaftsministers, Herrn Brüderle,
ist. Auch Herr Metternich kommt aus Rheinland-Pfalz.
({10})
- Ein Brüderle von Brüderle, da hat Herr Trittin recht.
({11})
Gesine Lötzsch hat recht gehabt: Angesichts der Spenden und solcher Maßnahmen wird sichtbar, dass dieser
Haushalt von Lobbyisten für Lobbyisten ist. Das ist die
Realität!
({12})
Die Linke - das kann ich Ihnen und den Wählerinnen
und Wählern versichern - fordert weiterhin: Der Finanzsektor muss unter öffentliche Kontrolle gestellt werden.
Er muss strikt reguliert und entsprechend den Sparkassen dem Gemeinwohl verpflichtet werden.
({13})
Leerverkäufe, außerbilanzielle Zweckgesellschaften,
Derivate, Hedgefonds müssen verboten werden. Steueroasen müssen - das ist richtig - ausgetrocknet werden.
Auch da muss etwas geschehen. Das internationale
Finanzsystem muss reformiert werden. Spekulationen
mit Währungen durch feste, aber auch veränderbare
Wechselkurse müssen eingedämmt werden. Bringen Sie
endlich Gesetze auf den Weg, damit real etwas passiert,
anstatt immer nur leere Ankündigungen zu machen.
({14})
In dieser Woche spielte das Thema Arbeitslosigkeit
eine große Rolle. Es ist vernünftig, dass dies ein zentraler Debattenpunkt ist. Ich gehe davon aus, dass alle hier
im Hause die Senkung der Arbeitslosigkeit auf ihrem
Zettel haben. Aber dass man wie Frau von der Leyen
und auch ihr Vorgänger feiert, dass es offiziell 3,3 Millionen Arbeitslose gibt und dass diese Zahl vielleicht nur
auf 4 Millionen steigen wird, ist nicht akzeptabel. Wir
dürfen uns auch an diese Zahl nicht einmal annähernd
gewöhnen.
({15})
Hinter dieser Zahl von Millionen Arbeitslosen stehen
Menschen mit ihren Familien. Diese Zahl ist viel zu
hoch. Das ist und bleibt ein gesellschaftlicher Skandal.
Die reale Arbeitslosigkeit ist viel höher. Wir als Linke
weisen sie jeden Monat aus. Sie betrug im Dezember
über 4,5 Millionen. Die Koalition kommt auf 3,3 Millionen Arbeitslose, weil sie zum Beispiel die 1-Euro-Jobber
und die über 58-jährigen ALG-I- und ALG-II-Empfänger nicht einrechnet. Wir dürfen hier im Plenum nicht
etwa feiern, dass die Arbeitslosigkeit nicht noch höher
ist.
Was Sie machen, ist nichts anderes, als die heute in
Armut aufwachsenden Kinder, die Menschen ohne Arbeit und diejenigen, die Arbeit haben und ergänzende
Leistungen benötigen, die Aufstocker, zu vertrösten. Ich
sage Ihnen: Auch diese Menschen haben nur ein Leben.
Die Politik verbaut ihnen die Gegenwart und die Zukunft. Eine Soforthilfe gibt es immer nur für Banken und
Konzerne. Wenn irgendeine Bank ins Schlingern gerät
und wenn man nur ahnt, dass auch andere Banken Probleme bekommen könnten, dann sind Sie sofort dabei.
Da werden Mittel in Größenordnungen, ob nun direkt
oder als Kredite, zur Verfügung gestellt.
In Wahrheit, um wieder auf die Arbeitslosen zu sprechen zu kommen, ist es doch so, dass viele hier im
Hause die Äußerungen von Herrn Koch zwar offiziell
zurückweisen, aber im tiefsten Inneren zustimmen. Hören Sie auf, die Lüge zu verbreiten, die soziale Grundsicherung in Deutschland sei eine eigenverantwortliche
Entscheidung der darauf Angewiesenen und sie würde
ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Beteiligen
Sie sich nicht länger an Debatten, in denen Sozialleistungsempfänger gegen Beschäftigte im Niedriglohnsektor ausgespielt werden. Führen Sie in Deutschland
endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ein!
({16})
Wir brauchen Arbeitszeitverkürzungen. Wir brauchen
eine neue Definition von Arbeit. Wir brauchen eine neue
Verteilung von Arbeit. Diesen Diskussionen muss man
sich stellen.
Nun wird hier - auch darauf will ich eingehen - über
das Thema Wachstum gesprochen. Es gibt hier sicherlich
keinen, der gegen Wachstum ist. Aber es kommt auf die
Art und Weise an. Gerade Sie von der FDP machen jedoch etwas ganz anderes. Sie erklären: Wir senken die
Steuern, und dann gibt es Arbeitsplätze.
({17})
Wie kommen Sie eigentlich auf dieses schmale Brett? Es
ist doch in der Geschichte inzwischen hundertfach bewiesen, dass diese Rechnung so nicht aufgeht.
({18})
Mit Wachstum allein werden wir die Probleme des
Haushalts in keiner Weise lösen. Wir brauchen in
Deutschland etwas ganz anderes.
Schauen Sie sich einmal die Verteilung von Reichtum in Deutschland an. In den letzten Jahren ist die
Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergegangen. Auch diese Entwicklung ist nicht vom
Himmel gefallen, sondern ist das Ergebnis von Politik.
Wenn man die erwachsene Bevölkerung nach ihrem individuellen Vermögen einteilt, so stellt man Folgendes
fest: Das reichste Zehntel verfügt über mehr als 60 Prozent des gesamten individuellen Vermögens in Deutschland. Die obersten 5 Prozent verfügen über fast 50 Prozent des Gesamtvermögens. Auf der anderen Seite haben
mehr als zwei Drittel der Bevölkerung kein oder fast
kein Vermögen. Damit kann man sich nicht abfinden, besonders auch dann nicht, wenn man sich christlich nennt.
({19})
Es wird im Übrigen niemand Millionär oder Milliardär von eigener Hände Arbeit. Die Zahl der Vermögensmillionäre ist in Deutschland auf mehr als 700 000 gestiegen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Kinder in Armut.
Das ist so nicht zu akzeptieren. Da kann man nur hoffen,
dass Herr Schäuble weiterhin als Schutzwall gegen das
Steuermodell der FDP wirkt. Wenn es wirklich zu diesem Stufenmodell käme, dann wäre das ein gewaltiger
Einschnitt für Deutschland, und zwar hin zum Negativen. Das wäre die gigantischste Umverteilung von unten
nach oben, die es jemals gegeben hat, und es wäre die
Abkehr von einer halbwegs solidarischen Besteuerung.
({20})
Sie sagen immer: Die Linke kritisiert nur. Ich will auf
einige Punkte zu sprechen kommen, die aus unserer
Sicht enorm wichtig sind. In einer solchen Situation
muss man selbstverständlich auch über die Erhöhung
der Einnahmen nachdenken. Wenn Sie das überhaupt
nicht in Erwägung ziehen, ist Ihre Politik, jedenfalls aus
unserer Sicht, völlig falsch.
Sie haben eine Erbschaftsteuerreform durchgeführt;
es hat eine Begradigung stattgefunden. Das ist der falsche Weg. Die Linke sagt: Wir müssen über die Erbschaftsteuer mehr Einnahmen generieren. Nach unseren
Vorschlägen könnten die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer von 4 Milliarden Euro verdoppelt, also zumindest
auf 8 Milliarden Euro erhöht werden.
({21})
Ich will nur daran erinnern: Wäre die Erbschaftsteuer bei
uns so wie in den Vereinigten Staaten geregelt, nähmen
die öffentlichen Haushalte zweistellige Milliardenbeträge ein. Warum gehen Sie nicht einmal ernsthaft daran, eine Erhöhung dieser Steuer vorzunehmen?
Warum gibt es in dieser Situation nicht eine Millionärssteuer? Sie schadet doch niemandem. Sie könnte,
beginnend bei 5 Prozent, auf Vermögen über 1 Million
Euro erhoben werden. Angesichts dieser Krise müssen
die dafür Verantwortlichen auch einmal zur Kasse gebeten werden.
({22})
Warum gibt es keine Millionärssteuer in dieser Situation?
Ich kann nur hoffen, dass die Bundeskanzlerin das
Thema Finanztransaktionsteuer wirklich in Ernsthaftigkeit auf die Agenda nimmt. Sie hat das in der Regierungserklärung angedeutet; in der Praxis kann ich, zumindest bisher, noch nichts erkennen. Auch das ist
sicherlich eine Erkenntnis, die Ihnen auch durch die Intervention der Linken gekommen ist. Es ist notwendig,
hier wirklich etwas zu tun.
Warum wird in dieser Situation nicht über die Erhöhung des Spitzensteuersatzes nachgedacht? Sie wissen:
Zu Zeiten Helmut Kohls lag der Spitzensteuersatz bei
53 Prozent, und die Republik war wirklich nicht gefährdet. Helmut Kohl war in keiner Beziehung linksradikal.
Sie bleiben beim aktuellen Spitzensteuersatz. Erhöhen
Sie den Spitzensteuersatz! Sie hätten damit auch dann
die Gelegenheit, endlich den Steuerbauch mit zu beseitigen. Sie wissen: Jeder Prozentpunkt, um den der Spitzensteuersatz erhöht wird, bringt 1,5 bis 2 Milliarden
Euro in die öffentlichen Haushalte. Warum wird an keiner Stelle darüber nachgedacht, diejenigen in dieser Gesellschaft, die viel haben, die über ein großes Vermögen
verfügen und riesige Einnahmen erzielen, endlich einmal zur Kasse zu bitten?
({23})
Das wäre in dieser Situation wirklich einmal notwendig.
Natürlich muss es auch darum gehen, die sozialen
Sicherungssysteme zu stabilisieren. Wir müssen die Bemessungsgrundlagen erweitern, damit alle in die Rentenund die Arbeitslosenversicherung einbezahlen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Beitragsbemessungsgrenze angehoben und letztlich abgeschafft wird.
({24})
Auch hier werden doch de facto die Reichen und die Superreichen in der Gesellschaft von Ihnen geschont.
Ich will ganz klar und eindeutig sagen: Mit diesem
Haushalt geht Ihre Politik in eine falsche Richtung. Sie
setzen die Umverteilung von unten nach oben fort. Sie
setzen auf Dinge, die vielleicht kommen oder vielleicht
auch nicht. Die Bundeskanzlerin hat erklärt: Wenn wir
gut arbeiten, dann haben wir über die Wachstumsschritte
der nächsten Jahre wieder das Niveau von 2008. Das ist
das Ziel der Bundesregierung. Ich sage noch einmal: Sie
sind dabei, 280 Milliarden Euro neue Schulden - dies ist
ausgewiesen - zu machen, und zwar ohne all die Schattenhaushalte, die hinzuzurechnen sind. Das ist eine Politik, die so nicht zu akzeptieren ist. Beenden Sie den
haushaltspolitischen Blindflug Ihrer Koalition!
({25})
Denken Sie an die nächsten Generationen! Es kann so
nicht weitergehen.
Nutzen Sie die Haushaltsberatungen der nächsten
Wochen dazu, dass da, wo wirklich gespart werden kann,
auch gespart wird. Es wird immer über den größten Einzeletat geredet. Der zweitgrößte ist der Verteidigungshaushalt; er umfasst über 30 Milliarden Euro. Darin ist
eine ganze Menge Luft: Prestigeobjekte und vieles andere mehr. Warum gehen Sie in einer solchen Situation
da nicht einmal ran? Auch da ist die Richtung Ihrer Politik nicht zu akzeptieren.
({26})
Der Punkt ist doch: Wenn Sie so weitermachen, gefährden Sie den sozialen Zusammenhalt in Deutschland. Das ist das, was Sie mit Ihrer Politik letztlich tun.
Darüber sollte gerade eine christlich-demokratische
Union nachdenken. Schauen Sie wenigstens mit Ernsthaftigkeit auf die Vorschläge der Opposition. Ich kann
auch da die FDP nur auffordern - sie hat in ihrer Oppositionszeit immer beklagt, dass all ihre Vorschläge weggebügelt werden; vielleicht können Sie sich daran erin1488
nern -, bei den Haushaltsberatungen daran zu denken,
dass bei dem, was die Opposition vorschlägt, vielleicht
Sinnvolles dabei ist. Also: Einnahmeerhöhungen wären
wichtig; Reduzierungen da, wo Sparmaßnahmen möglich sind. Das wäre die richtige Richtung.
Herzlichen Dank.
({27})
Möchte sich dort jemand zu einer Kurzintervention
melden, oder wie soll ich das verstehen?
({0})
- Gut.
Nun hat der Kollege Fritz Kuhn für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
nach den Koalitionsverhandlungen die Ministerliste bekannt wurde und ich gesehen habe, dass der Herr
Schäuble Minister, Haushalts- und Finanzminister wird,
habe ich mir gedacht: Na ja, immerhin kein FDPler; und
wenn schon kein Schwabe, dann wenigstens ein Badenser.
({0})
- Ein Badener. - Da gab es einen gewissen Vertrauensvorschuss und auch die Hoffnung, dass Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit sowie das Beherrschen der
Grundrechenarten in dieser Regierung durch den Finanzminister einigermaßen sichergestellt sind.
Nachdem ich mir den Haushalt angeschaut habe - die
mittelfristige Finanzplanung kann ich mir nicht anschauen, weil sie fehlt - und Ihre Rede gehört habe, Herr
Schäuble, muss ich sagen: Der Vertrauensvorschuss ist
weitgehend dahin.
({1})
Jetzt wollen wir mal genau werden: Sie haben am Anfang Ihrer Rede immer wieder das Wort „Vertrauen“ bemüht und Folgendes abgeleitet: Wenn man auf die
Finanz- und Haushaltspolitik vertrauen kann, dann sind
die Bürger sicherer, dann können die Bürger die richtigen ökonomischen Entscheidungen fällen, und dann
kann die Wirtschaft richtig investieren. Ich will nun einmal nachhaken und genau schauen, was es bei diesem
Haushaltsentwurf 2010 mit dem Vertrauen auf sich hat.
Sie machen 86 Milliarden Euro Nettoneuverschuldung. Wenn man die drei Schattenhaushalte dazurechnet, kommt man auf ehrliche 130 Milliarden Euro. Wenn
Sie glauben, dass Sie auf der Basis dieser Summe einen
Vertrauenswerbefeldzug durchführen können, dann haben Sie sich gründlich getäuscht.
({2})
Durch veränderte Wachstumsannahmen - statt
0,5 Prozent sind es jetzt 1,2 Prozent - können Sie zusätzliche Steuereinnahmen erwarten und bei den Zuschüssen zur Sozialversicherung kürzen. Dadurch haben
Sie immerhin 10 Milliarden Euro mehr zur Verfügung
als der Steinbrück-Entwurf. Diesen Spielraum nutzen
Sie aber nicht, um die Neuverschuldung zu senken, sondern finanzieren damit Steuergeschenke und anderes.
Glauben Sie, dass man bei der Bevölkerung Vertrauen
gewinnt, wenn man zusätzliche Spielräume, die man
plötzlich hat, nicht wirklich nutzt? Ich glaube es nicht.
Sie haben bis 2013 globale Minderausgaben von
35 Milliarden Euro vorgesehen. Dazu haben Sie nichts
gesagt. Alle, die Haushaltspolitik kennen, wissen, dass
dies durch heute noch nicht kalkulierbare Kürzungen
umgesetzt werden muss. Glauben Sie, Herr Schäuble,
dass dies Vertrauen bei der Bevölkerung oder bei irgendjemandem im politischen Bereich auslösen kann?
Sie haben keine mittelfristige Finanzplanung vorgelegt, obwohl es richtige Einschnitte gibt und obwohl alle,
die auf Vertrauen setzen, wissen müssten, wie es in den
nächsten Jahren weitergeht. Sie haben dies damit erklärt,
dass Sie dann noch ein halbes Jahr gebraucht hätten.
Dazu kann ich nur sagen: Dann hätten Sie früher beginnen müssen. Dass man bei einem neuen Haushalt, zumal
bei einer neuen Regierung, eine mittelfristige Finanzplanung braucht, wissen nämlich auch Sie, Herr Schäuble,
und alle anderen; das weiß auch die Bundeskanzlerin.
Das wissen Sie spätestens seit dem Zeitpunkt, zu dem
Sie die Wahl gewonnen haben, also seit September.
Nein, Sie wollten nicht, dass in der mittelfristigen
Finanzplanung klar wird, wohin die Reise geht, weil Sie
einen Haushalt aufstellen wollten nach dem Motto: vernebeln, zudecken und jetzt noch nichts sagen. Sie wollen
jetzt noch die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen abwarten und erst danach die Wahrheit sagen. Ich erkläre
Ihnen für meine Fraktion: Wer die Wahrheit auf Juni dieses Jahres verschiebt, der kann nicht heute auf Vertrauen
setzen. Deswegen ist die Vertrauensrhetorik, die Sie an
den Tag gelegt haben, Herr Schäuble, leere Rhetorik. Sie
erzeugen Misstrauen, weil Sie den Grundsatz der Haushaltsklarheit in diesem Haushaltsplanentwurf nicht wirklich umsetzen, und zur Haushaltsklarheit gehört die mittelfristige Finanzplanung.
({3})
Sie sagen der staunenden Öffentlichkeit überhaupt
nicht, wie Sie mit der Entwicklung der Finanzen der
Bundesagentur für Arbeit umgehen wollen. Für 2011
wird immerhin ein Fehlbetrag in Höhe von über 11 Milliarden Euro bei der Bundesagentur prognostiziert. Sie
sagen nicht, was Sie dagegen machen wollen, also entweder die Lohnnebenkosten oder den Zuschuss weiter
erhöhen. Das alles sind zusätzliche Belastungen, die in
Zukunft auf uns zukommen, die Sie aber durch Ihr
Schweigen heute vergessen machen wollen.
Sie wollen auch nicht sagen, wie es mit der Gesundheitsprämie weitergeht. Jetzt haben wir einen Zuschuss
in Höhe von fast 4 Milliarden Euro an die gesetzlichen
Krankenversicherungen. Sie glauben doch nicht im
Ernst, dass 2011 deren Finanzlage angesichts steigender
Arbeitslosigkeit und damit geringerer Beitragseinnahmen besser aussehen wird.
({4})
Das heißt, Sie müssten heute eigentlich schon sagen, wie
es da weitergehen soll. Eines ist ja gestern in der Debatte
über den Gesundheitshaushalt deutlich geworden: Sie erzählen den Leuten zwar, dass es gerechter sei, eine Gesundheitsprämie, egal nach welchem Modell, einzuführen, weil bei dieser der Staatszuschuss, den diejenigen
bekommen, die sich den Prämienbetrag nicht leisten
können, aus Steuergeldern, die der Progression unterliegen, finanziert wird. Wenn Sie aber gleichzeitig ein Stufenmodell einführen, das einen Spitzensteuersatz von
35 Prozent statt von derzeit 42 Prozent vorsieht, dann
heißt das nichts anderes, als dass die Besserverdienenden weniger Steuern zahlen und alle anderen die zusätzlich nötigen Mittel aufbringen müssen.
({5})
Das, was Sie da vorhaben, ist doch de facto eine Steuersenkung für Besserverdienende. Wir sind jedenfalls gespannt, wie Sie das umsetzen wollen.
({6})
Zu Vertrauen in der Bevölkerung trägt diese Unklarheit und die Einsetzung der vielen Kommissionen, die
im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, nicht bei. Vertrauen
schafft man nämlich nur, wenn man den Leuten sagt,
was man vorhat. Ingeborg Bachmann hat einmal gesagt:
„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Sie muten
den Bürgerinnen und Bürgern keine Wahrheiten zu, weil
Sie Angst haben, weil Sie unentschlossen Politik machen und nicht wissen, wohin die Reise gehen soll.
({7})
Dann hört man von der FDP und der Kanzlerin mal
dieses und mal jenes zu den geplanten Steuersenkungen,
für die ja Mittel in Höhe von 19 Milliarden Euro nötig
wären. Haben Sie denn Ihre Lektion aus dem Unsinn,
den Sie mit der Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers begangen haben, nicht gelernt?
Letztlich geht es um die haushaltspolitische Strategie, Herr Schäuble, und nicht um Vertrauen und Haushaltsklarheit. Ihre haushaltspolitische Strategie in Verbindung mit der Schuldenbremse sieht so aus: Im Jahr
2010 noch mehr Schulden machen, damit Sie wegen der
inneren Logik der Schuldenbremse, die einen linearen
Schuldenabbau vorsieht, bis 2016 insgesamt ein größeres Schuldenvolumen für diese Koalition haben. Erst in
der nächsten Legislaturperiode würden die Spielräume
dann enger. Sie handeln wie jemand, der beschließt, bis
2016 mit dem Trinken aufzuhören, aber zugleich, damit
es nicht zu schlimm wird, sich in diesem Jahr noch mehr
aus der Pulle gönnt, um dann von einem höheren Niveau
aus schrittweise mit dem Trinken aufzuhören. Das ist
auch die Logik Ihrer Haushaltspolitik. Von Seriosität,
von Haushaltswahrheit kann meines Erachtens da nicht
die Rede sein.
({8})
Grundsätzlich stören wir uns daran, dass Sie mit diesem Haushalt jeden Versuch, Politik zu gestalten, eigentlich aufgeben. Joseph Schumpeter hat einmal gesagt
- ich zitiere -:
Welch Geistes Kind ein Volk ist, auf welcher Kulturstufe es steht, wie seine soziale Struktur aussieht,
was seine Politik für Unternehmungen vorbereiten
mag … steht phrasenbefreit …
in seiner Finanzgeschichte, phrasenbefreit im Zahlenwerk. Schauen wir uns einmal an, was Sie machen: Sie
sagen uns nicht und auch aus dem Haushalt geht nicht
hervor, wo Sie Schwerpunkte setzen wollen und wo Sie
einsparen wollen. Frau Merkel und Herr Schäuble gehen
her und sagen, wegen der Krise könne man jetzt nicht alles kaputtsparen. Auch wir sagen, es wäre ein schwerer
ökonomischer Fehler, wenn wir jetzt das in dieser Krise
wieder zart wachsende Pflänzchen der Konjunktur durch
Sparen abwürgten.
({9})
Aber eine solche Auffassung ersetzt doch nicht die Verpflichtung, zu sagen, wo nun Schwerpunkte für zusätzliche Investitionen gesetzt werden sollen und wo nun eingespart werden soll. Aus dem Diktum, dass man jetzt die
Konjunktur nicht kaputtsparen darf, folgt doch nicht,
dass man nicht jetzt schon mit dem Einsparen beginnen
sollte. Wo sind wir denn eigentlich? Zeigen Sie mir einmal eine schwäbische Hausfrau, die sich in dieser Situation so verhalten würde, dass sie dieses Jahr noch mit
vollen Händen ausgibt und erst im nächsten Jahr mit
dem Sparen beginnt.
({10})
Das ist doch idiotisch! Sparen Sie jetzt vernünftig da, wo
es geht, und sagen Sie, welche Bereiche expansiv sein
sollen, damit die Konjunktur anziehen kann!
({11})
Ich nennen Ihnen einige Beispiele dafür, damit einmal
klar wird, dass Politik auch eine Richtung haben kann.
Wir sagen, die Investitionen in Klimaschutz und Bildung sind zu niedrig.
({12})
Zu niedrige Investitionen im Klimaschutz bedeutet,
durch die Folgekosten, die in späteren Jahren auf unser
Land zukommen werden, zusätzliche Schulden aufzuhäufen. Ökologische Verschuldung nenne ich das, was
Sie durch dieses Nichtinvestieren verursachen.
({13})
Auch die Erhöhung der Mittel für Bildung um
12 Milliarden Euro innerhalb von vier Jahren sind zu
wenig. Wenn unsere jungen Leute neue Chancen erhalten sollen, müssen wir jetzt auf dem Bildungsgipfel sagen, wie wir das finanzieren wollen.
({14})
Wenn wir nicht genügend in Bildung investieren, bedeutet das eine soziale Verschuldung; denn dadurch werden
die Lebenschancen künftiger Generationen reduziert.
({15})
Herr Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Fricke?
Ja, gern.
Herr Kollege Kuhn, Sie haben eben gesagt, man solle
Zahlen phrasenbefreit nennen. Dann haben Sie hier sehr
schön vorgetragen, dass es kritikwürdig sei, dass diese
Koalition - diese Kritik würde ich sogar annehmen noch keine Einzelsparvorschläge vorlege. Schließlich
haben Sie gesagt, Sie wollten jetzt einige Beispiele dafür
geben, was man machen könne. Allerdings haben Sie
dann zur Überraschung aller aufseiten der Koalition
keine Beispiele für Einsparungen gegeben, sondern im
Gegenteil nur angesprochen, wo man mehr tun muss.
Deswegen würde ich mich, sicherlich gemeinsam mit
den Kollegen von der Koalition, freuen, wenn Sie uns,
wenn Ihre Kritik berechtigt sein sollte, freundlichst ein
paar Beispiele geben, wo Sie sparen würden, statt das
nur in Form von Phrasen zu tun.
({0})
Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Frage. Ich habe
übrigens folgende Reihenfolge gewählt: erst investieren,
dann sparen.
({0})
Aber es ist eine gute Frage, und ich will Ihnen Beispiele
nennen: In unserem Haushalt sind Subventionen, die
nicht ökologisch, sondern ökologieschädlich sind, in
Höhe von 42 Milliarden Euro enthalten.
({1})
- Das gilt zum Beispiel für den Flugverkehr und die
Ausnahmen bei der Ökosteuer.
({2})
Das sind Subventionen, die wir auf Dauer geben.
({3})
- Natürlich sind das Subventionen, was denn sonst? Das
gilt auch für die Dienstwagenbesteuerung. Warum sollen
eigentlich alle Steuerzahler die Steuerbefreiung derjenigen, die die großen Dienstwagen nutzen, finanzieren?
Das alles sind Punkte, an denen man reduzieren und einsparen kann.
({4})
Ich finde, dass wir an den Stellen mehr machen könnten. Die Einsparung in Höhe von 42 Milliarden Euro
können Sie natürlich nicht innerhalb eines Haushaltsjahres umsetzen; das ist logisch.
({5})
Aber wir sind der Überzeugung - ich habe das einmal
ausgerechnet, und wir könnten Ihnen das in den Haushaltsgesprächen zeigen -, dass wir eine Einsparung von
immerhin 12 Milliarden Euro kurzfristig realisieren können. Die Logik ist doch bestechend: Sie subventionieren
in diesem Haushalt mit 42 Milliarden Euro unökologisches Verhalten. Im Umwelthaushalt stellen Sie dann
Mittel zur Verfügung, um das einzudämmen. Das können wir besser: Wir verzichten auf die nichtökologischen
Subventionen und leisten so einen realen Beitrag
({6})
- Sie können ruhig stehen bleiben; ich bin mit der Antwort zu den Einsparungen noch nicht fertig ({7})
zu einer ökologischen Umgestaltung und Neugestaltung.
Herr Kollege Kuhn, auch die Beantwortung von Zwischenfragen muss sich im Rahmen der Gesamtredezeit
der Debatte abspielen.
Das verstehe ich.
Deshalb bitte ich um Nachsicht dafür, dass sich natürliche Limits ergeben.
({0})
Ich wage Ihrer Weisheit als Diskussionsleiter nicht zu
widersprechen, Herr Präsident.
Zwei weitere Punkte. Sie diskutieren über eine
Besteuerung von Boni, und zwar wieder nach der Methode: Wir diskutieren ein bisschen mit, machen es aber
nicht. Das erleben wir übrigens auch bei der Finanztransfersteuer. Wir sind skeptisch, was die Bonisteuer
angeht, weil wir uns die Frage stellen: Könnte man im
deutschen Unternehmensteuerrecht nicht einfach einführen, dass Gehälter über 500 000 Euro nicht mehr als Betriebsausgabe steuerlich abzugsfähig sind?
({0})
Schon wäre ein Haufen Geld in der Staatskasse, und wir
müssten uns nicht politisch damit auseinandersetzen,
dass zusätzliche, oft unverdiente Zahlungen an die Spitzenverdiener für die Betriebe auch noch steuerlich absetzbar sind. Was meinen Sie, wie anders es zuginge,
wenn man den Betrieben dieses Steuergeschenk nicht
machen würde! Übrigens würde der Mittelstand überhaupt nicht darunter leiden. Wir würden mit dieser Maßnahme schon die Richtigen treffen.
Ein Wort zum Einsparen, Herr Kollege: Was mich am
meisten bei der Diskussion in der Koalition erstaunt, ist,
dass Sie einen Weg nicht gehen. Sie verstehen unter Einsparen immer nur Wegstreichen. Viele von Ihnen hängen
der Rasenmähertheorie an, auch manche Wirtschaftsinstitute. Ich stelle die Frage: Warum kann man nicht
durch kluge Reformpolitik in einzelnen Bereichen,
durch Effizienzsteigerung, durch Verbesserungen nach
einer vernünftigen Aufgabenkritik zusätzliche Mittel
einsparen? Ich will Ihnen als Beispiel die Bundeswehr
nennen. Wir brauchen die Kommissionen nicht nur, um
eine bessere und einsatzfähigere Bundeswehr zu bekommen, sondern wir brauchen sie auch, weil wir die Frage
stellen müssen, ob wir im Haushalt für das, was die Bundeswehr heute leisten muss, so viele Mittel bereitstellen
müssen.
({1})
Brauchen wir eine Armee mit insgesamt 350 000 Leuten, darunter 250 000 Soldaten und 100 000 Zivilangestellte, obwohl heute nur 8 000 Bundeswehrangehörige
im Auslandseinsatz sind? Können wir nicht mehr Aufgaben im Rahmen der europäischen Wehr- und Sicherheitspolitik zwischen den Europäern aufteilen, sodass
jedes Land Mittel einsparen kann? Wo ist die Strukturreform? Vielleicht reichen 150 000 Soldaten; dann könnten wir Mittel einsparen. Vielleicht können wir die Mittel nicht in einem Haushaltsjahr einsparen, aber wir
können heute damit beginnen, mittelfristig Jahr für Jahr
Geld einzusparen und dennoch die Aufgaben der Bundeswehr effektiver zu erfüllen. Das sind Einsparungen,
die wir vorschlagen, Projekte, die man in Angriff nehmen muss. Das ist etwas anderes als die liberale Sparbuchmethode, mit der Sie von der FDP etwas Wind
gemacht haben, wobei Sie aber in diesen Haushaltsberatungen keine wirklichen Sparmaßnahmen vorgeschlagen
haben.
({2})
Ich will einen letzten Punkt ansprechen. Eines werden
wir Ihnen, Herr Schäuble, nicht durchgehen lassen: Sie
sprechen in vielen Reden die Subsidiarität an. Subsidiarität bedeutet in den Worten von Thomas Jefferson, dass
man nur die Aufgaben auf die höhere Ebene verlagern
sollte, die man auf der unteren Ebene nicht besser erledigen kann. Aber wenn Sie Subsidiarität als Wert hochhalten, dann müssen Sie die unteren Ebenen - das sind die
Gemeinden und die Kreise - mit den notwendigen Finanzmitteln ausstatten.
({3})
Die Steuersenkungspolitik, die diese Koalition schon gemacht hat und die sie fortführen will, nimmt den Gemeinden die Investitionsspielräume, und sie schadet dem
Bürgersinn, weil die Leute nicht mehr sehen können,
dass mit ihren Mitteln vor Ort etwas Vernünftiges gemacht wird. Das ist wirtschaftspolitisch schädlich. Deswegen sage ich zum Abschluss: Zur Haushaltswahrheit,
zu Vertrauen gehört auch, dass Sie endlich aufhören, die
Gemeinden auszuplündern. Wir werden in den Haushaltsberatungen darauf achten, dass das endlich aufhört.
Ich danke Ihnen.
({4})
Der Kollege Dr. Hans Michelbach ist der nächste
Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik ist zweifellos das zentrale Themenfeld dieser Legislaturperiode.
Es geht um Krisenbewältigung und Konsolidierung,
um eine Wiederholung der Krise zu verhindern. Dabei
ist dieser Haushalt 2010 wahrlich eine Mammutaufgabe.
Naturgemäß gibt es in diesem Hohen Haus hierzu unterschiedliche Diskussionen und Wahrnehmungen.
Für mich haben die Haushaltsdebatten in dieser Woche klar gezeigt: Die Koalition hält Kurs zur Bekämpfung der Krise, die Koalition hat eine klare Wachstumsstrategie,
({0})
neue Ideen und Werte und setzt nicht auf Mangelverwaltung. Die Koalition will, dass unser Land nicht auf dem
Niveau der Krise verharrt, sondern möglichst schnell
wieder vorankommt.
({1})
Ich bin deshalb dankbar, dass wir mit der Verabschiedung des Bundeshaushalts neue Sicherheiten und Perspektiven für die Menschen in unserem Land schaffen.
Der Haushalt 2010 ist mutig, krisenentschärfend und
verantwortungsbewusst. Die Schutzschirme für Arbeitnehmer und Betriebe, gerade auch für den Mittelstand,
sind ohne Alternative, sie sind notwendig, und sie sind
das einzige Mittel, um möglichst schnell wieder das Vertrauen der Menschen in unserem Land zu gewinnen.
Das ist die richtige Marschrichtung.
({2})
Es gilt, diese neue Vertrauensbasis zu erreichen. Dazu ist
bei allen Kräften die Bereitschaft zur Zusammenarbeit
und zur Mitwirkung einzufordern.
Unser Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble
hat die Nettokreditaufnahme gegenüber dem Entwurf
seines SPD-Vorgängers nicht erhöht, sondern gesenkt.
Auch wenn unser Bundesfinanzminister kein Badenser,
sondern ein Badener ist - das ist ja schon fast Ketzerei
mit Blick auf den Finanzminister -, darf ich feststellen,
dass er keine Erhöhung vorgenommen hat. Ich kann
mich nur wundern: Die Messlatte der SPD wurde nicht
gerissen. Der Vorgänger der SPD, Herr Steinbrück, hat
sich in die letzte Reihe gesetzt und bei den SPD-Wortbeiträgen sauertöpfisch geschaut. Inzwischen hat er dieses Hohe Haus verlassen, weil er sich das nicht mehr hat
anhören können.
({3})
Sie sprechen von Einsparungen und meinen Steuererhöhungen und mehr Ausgaben. Sie sind völlig von der
Rolle.
({4})
Sie können doch nicht von Einsparungen sprechen, aber
mehr Ausgaben und mehr Steuereinnahmen meinen. Das
kann nicht aufgehen. Das ist widersprüchlich und wird
Ihnen nicht abgenommen.
({5})
Wer ständig Kassandrarufe in die Welt setzt, den Wirtschaftsstandort schlechtmacht und die Menschen dadurch verunsichert, wird keine Früchte ernten.
({6})
Die Menschen vertrauen darauf, dass eine erfahrene
und durchsetzungsfähige politische Persönlichkeit wie
unser Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble
diese Mammutaufgabe in Zusammenarbeit mit dieser
christlich-liberalen Koalition meistern wird.
({7})
Diese neue Vertrauensbasis ist das höchste Kapital in
dieser Krise.
({8})
Er hat verdeutlicht, dass die Nettokreditaufnahme im
Jahre 2010 bitter ist, weil die Schulden von heute die Belastungen von morgen sind.
({9})
Er hat auch deutlich gesagt, dass die Konsolidierung
angegangen wird,
({10})
dass das strukturelle Defizit bis 2013 abgebaut wird und
nach dem hohen Anstieg der Neuverschuldung
({11})
schrittweise in den Folgehaushalten die richtige Richtung, die Konsolidierung, eingeschlagen wird.
Zu Ihrer Erinnerung: Zur Wahrheit gehört auch:
({12})
Ursprünglich sah der Finanzplan des Bundes für die
Jahre 2008 bis 2012 für das Jahr 2010 eine Nettoneuverschuldung von nur 6 Milliarden Euro vor.
({13})
Ohne Krise wären wir in die richtige Richtung marschiert.
({14})
Es ist doch klar, dass die Höhe der jetzigen Neuverschuldung aufgrund von Steuermindereinnahmen
({15})
und aufgrund von zusätzlichen Finanzierungen im Rahmen der Krise entstanden ist.
Wir müssen auf Stabilität setzen und Stabilität im
Euroraum sichern. Das ist ein wichtiger Punkt. Hier gilt
es natürlich, nicht nur national die Schuldenbremse im
Grundgesetz einzuhalten, sondern auch innerhalb des
europäischen Raums im Verbund Stabilität zu sichern.
Wir stehen zum Stabilitäts- und Wachstumspakt, den wir
gegen Ihre Interessen und Meinungen unter Bundesfinanzminister Theo Waigel durchgesetzt haben.
({16})
Es schafft Vertrauen und Zukunftsfähigkeit, wenn wir in
Zukunft die europäische Stabilität sichern.
Meine Damen und Herren, um die Wachstumsstrategie voranzubringen, gilt es natürlich auch, die Höhe der
Investitionen stabil zu halten und die Investitionskraft zu
fördern. Dazu gehört für mich, dass wir die Investitionen
wieder in ein angemessenes Verhältnis zur Nettokreditaufnahme bringen. Dazu ist eine zweiläufige Finanzpolitik, auf die dieser Haushalt und die mittelfristige
Finanzplanung angelegt sind, notwendig, und zwar
Zweiläufigkeit insofern, als wir sowohl investieren als
auch konsolidieren. Dies geht nur, indem wir die Realwirtschaft fördern. Die Entscheidung darüber, ob wir unseren Wohlstand erhalten und neue Perspektiven für Bildung und Forschung schaffen, fällt in der Realwirtschaft.
Unsere Realwirtschaft benötigt dazu Förderung und
Leistungsanreize. Das bringt uns letzten Endes auf den
Konsolidierungspfad.
Die Leistungsbereitschaft kann nur im Rahmen einer
Steuerstrukturreform mit Vereinfachung und mehr Gerechtigkeit gefördert werden. Mit den Korrekturen bei
der Unternehmen- und Erbschaftsteuer sowie bei der Familienförderung haben wir schon jetzt einen wesentlichen ersten Schritt in die Zukunft gemacht. Dieser Weg
muss weitergegangen werden; denn nur allein über Leistungsanreize ist eine Konsolidierung der öffentlichen
Finanzen möglich.
({17})
Wir liegen jetzt bei einer Steuerquote von über
24 Prozent - der Kollege Schneider hat von 25 Prozent
gesprochen - gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Das
ist ein Höchststand; so hoch war diese Quote noch nie.
Wir müssen schrittweise auf eine Steuerquote von
22 Prozent zurückkommen. Damit würden wir international in der Mitte liegen. Das würde uns als großer Industrienation gut anstehen. Die Denkart, dass das Geld
der Bürger automatisch dem Staat zusteht, ist doch nicht
richtig. Zunächst gehört dieses Geld den Bürgern und
nicht dem Staat. Das kennzeichnet das grundsätzliche
Verhältnis der Bürger zum Staat.
({18})
Wenn Sie sagen, die Reichen müssten immer mehr
Leistungen für diesen Staat erbringen, dann muss ich Ihnen deutlich sagen: Sie können diese Schraube auch
überdrehen. 50 Prozent der oberen Hälfte der Steuerzahler zahlen über 90 Prozent des gesamten Steueraufkommens in Deutschland. Das sind die Leistungsträger und
die Leistungswilligen. Diese können Sie nicht laufend
bestrafen. Das ist eine falsche Politik, die ins Abseits
führt.
({19})
Natürlich ist das Verhältnis der Bürger zum Staat auch
unter der Maßgabe „Arbeit muss sich lohnen“ zu sehen.
Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. 100 000 weniger
Arbeitslose erbringen eine Finanzverbesserung im Bereich der öffentlichen Kassen von 2 Milliarden Euro.
Daran sieht man, dass die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit sich für die öffentliche Hand sehr positiv
auswirkt. An dieser Stelle muss man ansetzen. Man darf
aber nicht - andersherum - die Schraube immer fester
drehen und letzten Endes überdrehen. Ich halte es daher
für richtig, dass wir unter Beachtung ökonomisch wichtiger Grundsätze die Realwirtschaft weiterhin fördern.
Es gibt natürlich Probleme am Finanzmarkt. Unsere Unternehmen klagen über Finanzierungsprobleme.
Das Leistungsvermögen unserer Betriebe kann aber nur
mit einer Sicherung der Finanzierung gefördert werden.
Die Zeche im Hinblick auf die Bankenkrise darf natürlich nicht die Realwirtschaft zahlen,
({20})
und vor allen Dingen darf es nie wieder zu einer Wiederholung einer solchen Krise kommen.
({21})
Es ergeht der Aufruf an die verantwortlichen Marktteilnehmer, dass sie Risiko und Haftung übernehmen
müssen. Es ist wichtig, dass wir eine neue Wirtschaftsethik voranbringen, die beinhaltet, dass Risiko und Haftung zusammengehören. Es darf nicht sein, dass an den
Finanzmärkten Anreize geschaffen werden, Geschäfte
mit hohen Risiken und mit entsprechenden Ertragschancen zu tätigen, bei denen die Gewinne privatisiert, aber
etwaige Verluste sozialisiert werden.
Herr Kollege Michelbach.
Herr Präsident, ich habe verstanden.
Die Koalition ist auf einem guten Weg, zum Wohle
der Menschen unseres Landes voranzukommen. Diese
Koalition hat ein besseres Konzept für die Zukunft mit
den Schwerpunkten Wachstum, Beschäftigung, Wohlstand, Konsolidierung und Krisenbekämpfung. In diesem Sinne ist dieser Haushalt ein neuer und guter Weg.
Vielen Dank.
({0})
Nun hat die Kollegin Petra Merkel das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich will drei Gedanken aufgreifen, die in dieser Woche bei der Diskussion um den
Haushalt 2010 eine Rolle gespielt haben. Richtig, es ist
der erste Haushalt, den die neue schwarz-gelbe Regierung vorgelegt hat, und er lässt durchaus ihre Handschrift erkennen, zum Beispiel bei diesem sogenannten
Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Diese 10 Milliarden
Euro hätten Sie sich sparen können, und sie schaffen
auch kein Vertrauen. Ich bin sicher, dass viele Kolleginnen und Kollegen, aber auch viele Bürgerinnen und Bürger wissen, dass das dicke Ende noch kommt,
({0})
und zwar spätestens dann, wenn Sie, Herr Finanzminister Schäuble, am 30. Juni dieses Jahres den Haushalt für
das Jahr 2011 mit der mittelfristigen Finanzplanung im
Kabinett beschließen werden. Herr Finanzminister
Schäuble, bis zum Sommer sind es gerade einmal noch
fünf Monate. Dass Sie aber die Karten noch nicht auf
den Tisch legen und nicht sagen, wo Sie Kürzungen vornehmen wollen, hängt ganz offensichtlich mit dem
Wahltermin in NRW zusammen. Das wissen ja alle.
Sie können sich auch nicht mit der Behauptung retten,
die Steuerschätzung im Mai abwarten zu müssen. Sie
wissen als alter Fuchs genau, wie es um die Finanzen
Petra Merkel ({1})
steht. Sie als Finanzminister kennen die Zahlen und wissen, dass das dicke Ende noch kommt und die
Deckungslücke mindesten 85 Milliarden Euro ausmacht.
({2})
Sie wissen genau, dass Sie im Haushalt 2011 mindestens
10 Milliarden Euro bis 15 Milliarden Euro einsparen,
das heißt kürzen, müssen, um die Schuldenregel einzuhalten. Sie wissen, dass aufgrund der Schuldenregel bis
2016 jährlich strukturell mindestens 10 Milliarden Euro
gekürzt werden müssen. Das bedeutet, dass Sie innerhalb der nächsten sechs Jahre strukturelle Kürzungen
von weit über 60 Milliarden Euro im Haushalt vornehmen müssen.
Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, vor allem
nicht wegen Ihres Koalitionspartners, der außerdem
noch Steuersenkungen in Höhe von 24 Milliarden Euro
fordert. Die entsprechenden Mittel werden jedes Jahr
fehlen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie schlaflose
Nächte haben.
Eigentlich, Herr Finanzminister, genießen Sie eine
große Unabhängigkeit. Sie könnten durchaus sagen, was
Sache ist, und den Ministerien bei der Aufstellung des
Haushalts 2011 entsprechend Ihrer goldenen Regel Kürzungsvorgaben machen. Sie könnten einen klaren, im
Kabinett abgestimmten Weg weisen - wenn nicht dieser
Wahltermin in NRW wäre. Außerdem könnten Sie als
Finanzminister verhindern, dass der von der FDP vorgeschlagene Unsinn von Steuersenkungen in Höhe von
24 Milliarden Euro umgesetzt wird.
({3})
Ich drücke Ihnen die Daumen und sage: Bleiben Sie
standhaft! In dem Punkt haben Sie uns an Ihrer Seite.
Wir sind einigermaßen gut durch die Krise gekommen, weil der Staat handlungsfähig gewesen ist. In der
Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Große Koalition
sich in weiten Teilen richtig verhalten.
({4})
Die Konjunktur wurde nicht kaputtgespart, es wurden
Schutzschirme gespannt - und zwar nicht nur für die
Banken, sondern auch für Arbeitsplätze -, es gab Bürgschaftsprogramme - und zwar nicht nur für große, sondern auch für kleine Unternehmen -,
({5})
und es wurden Investitionsprogramme für die Bildung
aufgelegt, die auch in Ländern und Kommunen unterstützt worden sind. Diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass Deutschland bis jetzt einigermaßen gut durch
die Krise gekommen ist. Die Kurzarbeit hat die Betriebe
stabilisiert und vielen Menschen bis jetzt ihren Arbeitsplatz erhalten. Jeder hofft, dass es keine Entlassungswelle geben wird - auch nicht nach den Wahlen in NRW.
Wir sind einigermaßen gut durch die Krise gekommen, weil der Staat handlungsfähig war und der Staat
eingesprungen ist, als die Bankenkarre im Dreck steckte,
und dafür Schulden in nie gekannter Höhe aufgenommen hat, und zwar unter Beteiligung der FDP. Auf einmal war der Staat gefragt, ja sogar gefordert. Auf einmal
konnte keine Summe für die Konjunkturpakete zu groß
sein. Sie können sich sicher daran erinnern, dass wir mit
England und Amerika verglichen wurden. Nicht Kleckern, Klotzen war damals angesagt. So lauteten auch
die Forderungen in den Medien.
Gerade deshalb bin ich über das Staatsverständnis
der FDP entsetzt. „Liberal“ war einst ein stolzes Wort.
Die FDP stand in früheren Jahrzehnten für einen Liberalismus im guten Sinne.
({6})
Ich erinnere nur an Namen aus der Anfangszeit der Bundesrepublik wie Theodor Heuss und Thomas Dehler, an
Namen aus den 70er- und 80er-Jahren - an diese Zeit
kann ich mich gut erinnern - wie Walter Scheel,
Hildegard Hamm-Brücher und Karl-Hermann Flach
({7})
sowie an die Namen zweier weiterer Personen, die uns
als liberale Rechtspolitiker im Gedächtnis bleiben werden - auch wenn die FDP das vielleicht gar nicht mehr
will -, nämlich Gerhart Baum und Burkhard Hirsch.
Doch mit diesen großen Namen ist es längst vorbei.
„Liberal“ war früher ein stolzes Wort. Was ist daraus geworden?
({8})
Ich bin nicht die Erste, die sich in dieser Woche mit
Herrn Lindner, dem Generalsekretär der FDP, beschäftigt, weil sein Staatsverständnis den Wandel des Begriffs
„liberal“ in erschreckender Weise deutlich macht.
({9})
Ich habe auch keine Intervention von der FDP gehört.
({10})
Am 2. Januar 2010 druckte der Tagesspiegel folgende
Aussage von Herrn Lindner:
Gegenwärtig ist der Staat ein teurer Schwächling,
der sich immer mehr Einfluss anmaßt.
„Der Staat ein teurer Schwächling“ - das macht unseren
Staat lächerlich.
({11})
Das zeugt von einer verächtlichen Haltung und verhöhnt
die Demokratie. Herr Lindner spielt denen die Argumente zu, die sich aus Politikverdrossenheit von den
Parteien abwenden und die die parlamentarische Demokratie bekämpfen.
Petra Merkel ({12})
({13})
Noch einmal: Es war und ist doch der Staat, der mit
seinem raschen und gezielten Eingreifen bisher die
schlimmsten Auswirkungen der Banken- und Finanzkrise in Deutschland verhütet hat. Unser Staat, der seine
Kernaufgaben wahrnimmt und dabei in aller Öffentlichkeit von den Parlamenten in den Gemeinden, den Bundesländern und bei uns im Bundestag auch in Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern kontrolliert
wird, gefährdet nicht die Freiheit, wie Herr Lindner
schwarzmalt, sondern er sichert die Freiheit.
Herr Lindner, unser Staat ist zum Glück kein teurer
Schwächling. Unser Staat ist stark, und er braucht geregelte Einnahmen, um seine Aufgaben zu erfüllen. Deshalb heißt Steuersenkung nicht - wie die FDP verkündet Freiheit. Steuersenkung bedeutet: mit Volldampf in die
Umverteilung, mit Volldampf in die Handlungsunfähigkeit, mit Volldampf in eine dramatische Lage der Kommunen und Länder, mit Volldampf in einen Staat ohne
solidarische Sozialsysteme. Sie müssen es sich immer
wieder anhören: Einen schwachen Staat können sich nur
Reiche leisten.
Viele Menschen in diesem Land allerdings wollen
und brauchen einen starken, handlungsfähigen Staat mit
einem solidarischen Rentensystem, mit einem solidarischen Gesundheitssystem und mit niedrigen Abgaben
bei der Arbeitslosenversicherung - das ist mein dringlichstes Anliegen; denn ich denke, dass Sie da in jedem
Fall rangehen. Viele Menschen in diesem Land brauchen
einen Staat, der sie bei Arbeitslosigkeit und Krankheit
stützt. Viele Menschen wollen eine starke Gemeinde,
eine starke Stadt und ein starkes Bundesland mit einer
guten Verwaltung. Viele Menschen erwarten zu Recht,
dass der Staat die Priorität in Bildung, in Krippen, Kindertagesstätten, Schulen, Berufsausbildung und Universitäten setzt. Und diese Staatsausgaben sind ihr Geld
wert.
All das wird durch eine FDP gefährdet, die nichts anderes als Steuern-Senken im Kopf hat. Steuersenkungen heißt für die Kommunen und für die Länder: Sie
müssen ausbaden, was von Ihnen durch 24 Milliarden
Euro Steuersenkungen angerichtet wird. Statt mehr netto
vom Brutto für einen kleinen Teil der Bevölkerung heißt
es dann für viele: höhere Abgaben und Gebühren, bei
den Kindertagesstätten, beim Abwasser oder bei der
Müllabfuhr. Das dicke Ende kommt noch.
Mich hat ein Beitrag von Gert G. Wagner an Weihnachten im Tagesspiegel aufmerksam gemacht, in dem
er sich mit der kürzlich veröffentlichten Studie der Sozialkammer der Evangelischen Kirche in Deutschland
beschäftigt:
Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass in
Deutschland in den nächsten Jahren die Steuern
steigen. Nur so lässt sich die Krisenbewältigung finanzieren. Die Regierung wird sich damit aber sehr
schwer tun, da große Teile der Koalition seit Jahren
ganz auf Steuersenkungen gesetzt haben. Die Politik hat damit ein Weltbild geschaffen, in dem Besteuerung als etwas Unanständiges gesehen wird,
als eine Art Raub durch den Staat.
({14})
Und weiter:
Dass Steuern zu einem menschenwürdigen Staatswesen gehören, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber sie wurde in den letzten Jahren immer wieder stark angezweifelt. Der Boulevard feiert
Steuerhinterzieher regelrecht. … Doch es kann
nicht die Lösung sein, die Finanzierung des Staates
dem Gusto der Wohlhabenden zu überlassen.
({15})
Ich bin mit meiner SPD-Fraktion der Überzeugung:
Diejenigen, die vom schnellen Eingreifen des Staates
profitiert haben, müssen stärker beteiligt werden. Ein
Beitrag wären die Börsenumsatzsteuer und die Transaktionsteuer. Wir streiten für einen Bildungssoli zur Finanzierung des Bildungssystems. Wenn 2012 der Bankenrettungsschirm zugeklappt wird, muss den Banken die
Rechnung präsentiert werden. Dann würde das Ende
nicht mehr ganz so dick kommen.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Das Wort hat nun der Kollege Volker Wissing für die
FDP-Fraktion.
({0})
Besten Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst ein Satz zu Herrn Bartsch. Es ist
immer ärgerlich, wenn Sie von der Linken hier über
Finanzkrise und Banken sprechen und kein Wort zu den
öffentlichen, staatlichen Banken verlieren; denn dort
wurde mit der größte Unfug angerichtet, den wir als
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auszubaden haben.
Auch das gehört zur Wahrheit, Herr Bartsch.
({0})
Zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD: Sie regen sich seit Wochen fürchterlich über das
Thema „steuerliche Entlastung“ auf.
({1})
Die Kollegin Merkel sagte eben, das sei Unsinn und alles ganz schlimm. Sie erfinden tolle Begriffe wie „Steuergeschenke“.
({2})
Sie haben nichts ausgelassen. Ich will Sie einladen, mit
uns sachlich über Steuerpolitik zu sprechen und zunächst
einmal Ihre eigenen Parteibeschlüsse als Grundlage heranziehen.
Frank-Walter Steinmeier hat uns einen DeutschlandPlan vorgelegt, in dem es heißt - ich zitiere -:
Wir setzen uns dafür ein, dass insbesondere Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen weniger Steuern … zahlen.
({3})
So haben Sie das damals formuliert. Heute würden die
gleichen Leute sagen: Wir fordern Steuergeschenke für
untere und mittlere Einkommen.
({4})
- Moment. Es geht noch weiter.
In Ihrem Regierungsprogramm 2009 haben Sie den
Menschen für den Fall Ihrer Wahl versprochen - ich
zitiere -: die Absenkung des Eingangssteuersatzes von
14 auf 10 Prozent
({5})
und die Abmilderung der kalten Progression für Einkommen bis 105 764 Euro bei Verheirateten. Das sind
Ihre Forderungen.
Jetzt schauen wir einmal in den christlich-liberalen
Koalitionsvertrag. Dort steht ausformuliert, was wir wollen. Darüber können wir uns gerne auseinandersetzen.
Dort heißt es:
Wir wollen … eine steuerliche Entlastung insbesondere für die unteren und mittleren Einkommensbereiche
({6})
sowie für die Familien mit Kindern in einem Gesamtvolumen von 24 Mrd. Euro
- bei voller Jahreswirkung im Laufe der Legislaturperiode.
({7})
Nun kann man gewisse Parallelen erkennen. Der Unterschied ist nur:
({8})
Dadurch, dass Sie das jetzt lautstark kritisieren, sagen
Sie den Menschen, dass Sie niemals bereit gewesen wären, das umzusetzen, was in Ihrem Parteiprogramm
stand. Wir tun das. Wir bringen genau die steuerliche
Entlastung für untere und mittlere Einkommen, die
auch Sie gefordert haben.
({9})
Wir werden die kalte Progression abmildern. Wir werden
Wort halten.
({10})
Sie wären nicht bereit gewesen, Wort zu halten. Deswegen sitzen Sie jetzt auf den Oppositionsbänken. Ihnen
haben die Menschen nicht geglaubt, und uns haben die
Menschen vertraut. Das muss für Sie schmerzlich sein.
({11})
- Herr Poß, wer ist denn 2005 auf wen reingefallen?
„Merkel-Steuer, das wird teuer!“ haben Sie erst gesagt,
dann haben Sie gleich noch 1 Prozentpunkt draufgelegt,
({12})
haben die Leute hinter die Fichte geführt.
({13})
Dann haben Sie ins Parteiprogramm wieder steuerliche
Entlastungen hineingeschrieben. Jetzt kommen die steuerlichen Entlastungen durch einen Regierungswechsel,
und Sie bekämpfen sie. Das ist alles andere als glaubwürdig, lieber Herr Kollege Poß.
({14})
Sie müssen es ertragen, dass Deutschland wieder eine
Bundesregierung hat, die Wort hält, die zu ihren Wahlverbrechen,
({15})
-versprechen steht und eins zu eins umsetzt, was sie vor
der Wahl versprochen hat.
Sie haben in den letzten elf Jahren Ihre sozialdemokratischen Finanzminister unterstützt. Sie haben elf
Jahre lang den Finanzminister gestellt. Ich konnte nicht
feststellen, dass Sie das umgesetzt haben, was in Ihren
Parteiprogrammen stand. Schauen Sie sich die Bilanz an.
Schauen Sie sich die Forderungen an. Schauen Sie sich
an, was Sie auf Ihren Parteitagen gepredigt haben. Kein
sozialdemokratischer Finanzminister hat eine Vermögensteuer eingeführt. Kein sozialdemokratischer Finanzminister hat eine Börsenumsatzsteuer eingeführt.
({16})
Kaum sitzen Sie in der Opposition, fordern Sie den ganzen Blödsinn wieder aufs Neue.
({17})
Ihre Wahlprogramme sollten mit dem Satz: „Es war
einmal …“ beginnen. Dann wären sie das, was sie wirklich sind: Märchen wie Hans im Glück oder Peer Gynt.
Diese Woche war viel von „Klientelpolitik“ die Rede.
({18})
Ich muss sagen: Dass die SPD sich das so stark zu eigen
gemacht hat, ist schon erstaunlich. Ich kann mich daran
erinnern: Als wir im letzten Jahr Hunderte Milliarden für
Banken bereitgestellt haben, waren Sie ganz vorne dabei, federführend. Das war alles notwendig, hieß es. Vieles war richtig. Manches hätte man besser machen können.
({19})
Aber jetzt, wo die Bürgerinnen und Bürger sagen: „Wir
wollen auch etwas haben, wir wollen auch eine Entlastung haben, wir wollen auch neue Leistungsanreize haben“,
({20})
da sagt bei unteren und mittleren Einkommen ausgerechnet die SPD: Nein, nicht mit uns.
({21})
Herr Kuhn, Sie sagen genauso wie Ihre Kollegen in
der Opposition, diese Koalition würde Schlechtes tun für
die Kommunen. Was für ein Unsinn.
Wir haben mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz die Insolvenzbeschleunigung aus der Unternehmensbesteuerung herausgenommen. Wir sichern damit
den Bestand von Unternehmen vor Ort. Damit sichern
wir auch die Existenz von Steuerzahlern vor Ort. Was
daran Unsinn sein soll, müssen Sie mir erst einmal erklären. Es hat doch keinen Sinn, dass man die Substanzbesteuerung, so wie Sie sie eingeführt haben, in der Krise
fortsetzt, um am Ende nur noch den Aufschwung bei den
Insolvenzverwaltern ankommen zu lassen. Das ist das
Gegenteil von einer Stärkung der Kommunen.
({22})
Deswegen haben wir diese Politik beendet, und deswegen haben wir so schnell mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz handeln müssen. Das ist eine gute Botschaft. Denn es bestand Handlungsbedarf. Sie waren in
der Regierung nicht mehr in der Lage, das Richtige für
die Unternehmen in Deutschland zu tun.
Das wird auch die kommunalen Finanzen stabilisieren.
({23})
Wenn Sie Ihren Widerstand gegen eine Reform der kommunalen Finanzen aufgeben, dann werden wir auch an
dieser Stelle weiterkommen. Wir jedenfalls haben die Interessen der Kommunen fest im Blick. Das haben wir
mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz gezeigt.
({24})
Die gute Botschaft lautet: Dieses Land hat wieder eine
Regierung, die Wort hält, die verlässlich ist. Weil Sie immer so tun, als wüssten Sie nicht, was diese Regierung
will, empfehle ich Ihnen: Schauen Sie in den Koalitionsvertrag! Dort steht es. Das, was dort steht, wird von uns
gemeinschaftlich in aller Ruhe und aller Sachlichkeit
eins zu eins umgesetzt.
Herzlichen Dank.
({25})
Das Wort hat nun der Bundesminister der Finanzen,
Dr. Wolfgang Schäuble.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Ich würde gerne noch einmal mit dem ersten
Satz, den ich in dieser Haushaltsdebatte gesagt habe, beginnen:
({0})
Der Haushalt 2010 ist durch die tiefgreifende Bankenkrise und durch den schwersten Wirtschaftseinbruch der
Nachkriegszeit geprägt. - Das betrifft übrigens auch die
Haushalte der kommenden Jahre, 2011, 2012, 2013,
2014 und folgende. Auch sie werden davon geprägt und
getragen sein; das ist überhaupt keine Frage. In der Debatte wurde gelegentlich versucht, das hin- und herzuschieben. Das nützt doch gar nichts. Ich glaube, es war
notwendig und richtig - es ist eigentlich unstreitig -,
dass wir, Deutschland, unsere damalige Regierung und
Teile der damaligen Opposition, in Europa und weltweit
so reagiert haben, wie wir reagiert haben. Wir haben verhindert, dass es noch schlimmer gekommen ist - bis auf
den heutigen Tag. Deswegen sollte man, Herr Kuhn
- wir brauchen unsere baden-württembergischen Späße
nicht zu sehr miteinander betreiben; das ist in Ordnung -,
das, was notwendig und richtig war, nicht plötzlich als
Horrorzahlen interpretieren.
Man muss sich überlegen, ob man seriös sein will
oder nicht. Ich rate dazu, in ernsten Zeiten seriös zu sein.
Nun ist, wenn ich das richtig verstanden habe, der Kern
der Kritik an diesem Haushaltsentwurf gewesen, wir hätten angesichts einer besseren Entwicklung, angesichts
besserer Zahlen seit der Aufstellung des ersten Regierungsentwurfs Anfang Juli vergangenen Jahres einen
Spielraum von etwa 10 Milliarden Euro gehabt.
({1})
- Ja, ich möchte zunächst einmal herausarbeiten, was Ihr
Vorwurf ist. Dann möchte ich meine Antwort darauf geben.
({2})
Erstens einmal glaube ich, dass es in dieser ungewissen Zeit, im zweiten Halbjahr 2009, ökonomisch richtig
war - es ist übrigens international völlig unstreitig, europäisch wie weltweit -, die automatischen Stabilisatoren
noch wirken zu lassen.
({3})
Das haben wir getan. Wir haben gesagt: Okay, wir erhöhen die Neuverschuldung nicht, aber wir nutzen den
Spielraum. - Wir haben ihn übrigens zu einem erheblichen Teil dazu genutzt - das werden Sie nicht kritisieren -, einen einmaligen Zuschuss zur gesetzlichen
Krankenversicherung zu geben, damit die gesetzliche
Krankenversicherung nicht die krisenbedingten Mindereinnahmen tragen muss. Ich glaube, das war richtig. Damit sind 3,9 von den 10 Milliarden Euro weg. Das sage
ich nur, damit wir wissen, worüber wir reden.
Ich glaube, dass auch das Sofortprogramm für die
Landwirtschaft notwendig und richtig war.
({4})
Es ist uns viel vorgehalten worden, und wer hat alles was
zur Lage der Milchbauern gesagt. Wir sollten das nicht
ganz vergessen.
({5})
Nächster Punkt. Wenn wir neue Prioritäten setzen,
dann ist es richtig, in einer ersten Tranche unter Nutzung
dieses Spielraums das 12-Milliarden-Euro-Programm
zur Förderung von Bildung und Forschung in unserem
Lande, dessen Realisierung wir für diese Legislaturperiode verabredet haben, umzusetzen; auch dies ist darin enthalten.
Dann bleibt noch ein wesentlicher Teil, der für die
Entlastung von Familien mit Kindern verwendet wurde;
darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Ich
halte es für richtig und notwendig, dass wir diesen
Schritt getan haben. Ökonomisch war er wohl auch richtig.
({6})
Am Ende bleibt die Debatte über den ermäßigten
Mehrwertsteuersatz für Beherbergungsleistungen; wir
haben schon Strichlisten geführt, wie viele Redner darauf nicht zu sprechen gekommen sind.
({7})
- Ja, gut. - Dabei geht es um einen Betrag in der Größenordnung von 1 Milliarde Euro, und auch dafür gibt es
gute Argumente, insbesondere in Europa.
({8})
- Frau Kollegin, Sie können doch in aller Ruhe einräumen, dass Sie den Vorwurf, wir hätten die 10 Milliarden
Euro nicht für tatsächliche Einsparungen genutzt, nicht
ernsthaft aufrechterhalten können.
Jetzt stellt sich die Frage: Wie gehen wir in diesem
Jahr vor? Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen kann,
am Ende mit einer geringeren Neuverschuldung auszukommen, als in dem am 16. Dezember letzten Jahres im
Kabinett verabschiedeten Haushaltsentwurf vorgesehen
war.
({9})
Ich bin für die Ankündigung aller Redner - sowohl der
Koalitionsfraktionen als auch der anderen Fraktionen dankbar, sich in den Beratungen im Haushaltsausschuss
zu bemühen, die Neuverschuldung weiter zu senken. Ich
glaube, im Jahre 2010 brauchen wir nicht mehr mit automatischen Stabilisatoren zu arbeiten, sondern jetzt können wir mögliche Spielräume für Einsparungen nutzen.
Ich will noch eine Bemerkung machen - ich weiß,
dass Sie gerne über all die Themen diskutieren würden,
die Mitte dieses Jahres und in den Haushaltsberatungen
des Jahres 2011 folgende anstehen -: Herr Kuhn, die
mittelfristige Finanzplanung können Sie mir nicht ernsthaft vorwerfen; denn ich habe sie, wie gesagt, nicht gemacht. Die Gründe, aus denen wir sie nicht fortgeschrieben haben, habe ich dargelegt. Im Herbst können wir
gerne darüber diskutieren. Das wird nicht einfach. Das
ist bitterernst. Aber es ist zu leisten, es ist zu schaffen.
Jetzt will ich etwas zur Bundesagentur für Arbeit und
zum Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung sagen. Wir alle wissen - trotzdem muss ich es immer wieder betonen -: Die Gesetzeslage sieht so aus, dass der
Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung ab dem 1. Januar 2011 von 2,8 auf 3,0 Prozent steigt; denn er wurde
nur vorübergehend durch Rechtsverordnung gesenkt.
Dabei soll es auch bleiben.
({10})
- Bitte?
({11})
- Die Gesetzeslage
({12})
sieht für den 1. Januar 2011 einen Anstieg des Arbeitslosenversicherungsbeitrags vor.
({13})
- Das sage ich Ihnen ganz genau. Wir haben uns nämlich
in diesem Jahr entschieden. Sie haben mir ja alles Mögliche unterstellt - manchmal habe ich gedacht, das seien
Karikaturen -, zum Beispiel, wir hätten die Rampe angehoben. Ich zeige Ihnen einmal die Pressemitteilungen, in
denen steht, was Sie uns während der Koalitionsverhandlungen alles unterstellt haben, unter anderem wie
hoch die Neuverschuldung sein würde. Sie waren doch
baff und erstaunt, dass der Bundesfinanzminister, der
auch baff und erstaunt war, dass er Bundesfinanzminister wurde,
({14})
gesagt hat: Die Regierung legt noch vor Weihnachten einen Haushaltsentwurf vor, und wir werden die Höhe der
Neuverschuldung, die im Haushaltsentwurf vom Juli
letzten Jahres vorgesehen war, auf keinen Fall überschreiten. Fast alle haben doch gesagt: Die gehen auf
100 Milliarden, um es sich leicht zu machen. Ich habe
allerdings gesagt: Wir machen keine Tricks. - Und wir
haben auch keine gemacht.
({15})
Wir haben das Darlehen für die Bundesagentur für
Arbeit, dem einmaligen Zuschuss für die gesetzliche
Krankenversicherung entsprechend, in einen Zuschuss
umgewandelt, weil es richtig ist, dafür zu sorgen, dass
die Arbeitnehmer, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen, die krisenbedingten Mehrbelastungen
nicht allein tragen müssen. Diese Maßnahme haben auch
Sie nicht ernsthaft infrage gestellt.
Jedermann, der ein bisschen ökonomische Ahnung
hat - als Bundesfinanzminister werde ich jetzt ja immer
belehrt; ich lerne gerade -,
({16})
weiß, dass Entwicklungen am Arbeitsmarkt in der Konjunkturabfolge fast als letzte zu beobachten sind.
({17})
Deswegen müssen wir ganz genau im Blick haben, ob
das, was ich gesagt habe, zutrifft: dass die Arbeitslosenquote in diesem Jahr, im Jahr 2010, steigen wird. Für
diesen Fall haben wir Vorsorge getroffen. Ich hoffe allerdings, dass die Arbeitslosenquote im Jahre 2011 sinkt.
Sollte sie trotz eines Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung von 3,0 Prozent krisenbedingt noch zu einem Defizit führen, werden wir zu entscheiden haben,
ob wir im Jahre 2011 noch einen Zuschuss gewähren.
Diese Entscheidung werden wir auf Basis derselben Argumente wie in diesem Jahr treffen; so weit zu Ihrer
Frage. Über alles Weitere diskutieren wir im Juni dieses
Jahres.
Was werden wir jetzt tun? Die Bundeskanzlerin hat
am Mittwoch gesagt - angesichts Ihrer Kritik ist es
wichtig, das gelegentlich zu wiederholen -: Es gilt das
Grundgesetz. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes
ist die Leitplanke. - Das ist innerhalb der Koalition völlig selbstverständlich. Das muss eigentlich auch nicht
extra betont werden. Wir alle halten uns schließlich an
das Grundgesetz. In diesem Rahmen werden wir für die
notwendigen strukturellen Verbesserungen, Vereinfachungen und Entlastungen im Steuerrecht sorgen, und
zwar Schritt für Schritt, so wie es möglich ist.
Wissen Sie, wo wir anfangen werden? Ich habe die
Absicht, noch im Februar dieses Jahres die kommunalen
Spitzenverbände und die Länder einzuladen - das haben
wir im Koalitionsvertrag verabredet -, damit wir uns gemeinsam mit der Problematik der Gemeindefinanzen befassen. Im Sinne der Subsidiarität, vor allen Dingen aber
im Sinne der Stabilität unserer politischen Ordnung ist es
notwendig, dass wir die kommunale Selbstverwaltung
stärken. Deswegen stehen im Koalitionsvertrag die Formulierungen, die die Arbeitsgruppe, in der Frau
Leutheusser-Schnarrenberger und ich so erfolgreich zusammengearbeitet haben, entwickelt hat. Ich bin davon
überzeugt, dass die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung eine Voraussetzung dafür ist, dass uns in wirtschaftlich labileren Zeiten, als wir sie in den 60 Jahren
Nachkriegsgeschichte gewohnt waren, in sozial gefährdeteren Zeiten, in schwierigeren Zeiten die Stabilität
unserer demokratischen verfassungsmäßigen Ordnung
nicht verloren geht. Deswegen werden wir genau an diesem Punkt ansetzen.
({18})
Wir werden das Schritt für Schritt machen. Sie werden uns dabei - darum bitte ich - im politischen Wettbewerb begleiten, kritisieren, überwachen.
({19})
Ich bleibe dabei, Herr Kollege Kuhn, dafür zu werben,
dass wir unserer Bevölkerung, denjenigen, die wir vertreten, die Chance lassen, nachzuvollziehen, was wir eigentlich tun, und deswegen Schritt für Schritt vorgehen.
({20})
- Das ist keine Vernebelungstaktik. Durch Ihre Zwischenrufe wird nur deutlich, wie armselig Ihre Argumentation ist.
({21})
Es tut mir furchtbar leid: Wenn Sie das, was ich hier
sage, mit dem Wort „Vernebelungstaktik“ bezeichnen
wollen, dann haben Sie den Ernst der Zeit nicht verstanden.
({22})
- Die ist nicht armselig. Ich wehre mich einfach dagegen, Frau Kollegin Künast, weil ich finde, dass es auch
in schwierigen Zeiten möglich sein muss - bei allem
politischen Streit, der ja die Grundlage unserer freiheitli1500
chen Ordnung, unserer Demokratie ist -, ernsthaft miteinander zu reden.
({23})
- Nein, Herr Kollege Poß, habe ich nicht.
({24})
- Frau Kollegin Künast, ich habe mich jetzt nur mit denen auseinandergesetzt, die Zwischenrufe gemacht haben. Sie sagen selber: Ich soll darauf nicht reagieren. Da
haben Sie auch wieder recht. Am besten sind Sie still;
dann muss ich nicht reagieren.
({25})
Ganz im Ernst - ich will das in aller Eindringlichkeit
sagen -: Wir werden alle diese Aufgaben im föderalen
Verbund, Bund, Länder, Kommunen, bewältigen müssen. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass manche Dinge, die selbstverständlich geworden sind in Jahrzehnten wachsenden Wohlstands und sozialer Sicherheit
- und in wachsender gesetzgeberischer und administrativer Perfektion; das nennt man normalerweise, ein bisschen vereinfacht, Bürokratisierung -, auf den Prüfstand
gestellt werden müssen. Aber das muss man Schritt für
Schritt machen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie
wissen selber - Sie versuchen auf diesem Klavier ja auch
ein bisschen zu spielen -: Jede Veränderung an einem
liebgewonnenen Besitzstand muss sorgfältig begründet
und erläutert sein, wenn sie die Chance haben soll, zustande zu kommen.
Man wird diese Regierung am Ende nicht daran messen, was für Vorschläge sie gemacht hat, sondern daran,
was sie zustande gebracht hat. Dieser Aufgabe stellen
wir uns gemeinsam. Die Leitplanken, die wir uns gegeben haben, sind das, was im Koalitionsvertrag steht, das,
was in der Regierungserklärung gesagt worden ist, aber
auch das, was in dieser Debatte gesagt worden ist. Dafür
bitte ich Sie alle um Ihre Unterstützung.
({26})
Das Wort erhält nun die Kollegin Arndt-Brauer für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser
Schlussrunde zum Haushalt halte ich heute meine erste
Rede in der Opposition, aber ich will nicht so tun, als sei
ich hier neu.
({0})
Ich habe den letzten Haushalt mitbeschlossen, ich habe
das Finanzmarktstabilisierungsgesetz mitbeschlossen,
und ich habe sogar Gesetze mitbeschlossen, die die
Finanzkrise - das gebe ich offen zu - mit ermöglicht haben. Dabei sind wir von der ganz rechten Seite getrieben
worden: Wir sollten den Finanzmarkt entfesseln, endlich
Freiheit zulassen und neue Produkte auf den Markt bringen.
({1})
Bei vielen Dingen ist man im Nachhinein schlauer;
ich bin heute bei diesen Dingen schlauer. Andere Dinge
kann man aber voraussehen. Sie hätten gut voraussehen
können, dass bei Ihren Subventionen für Hotelbesitzer
diejenigen jubeln, die begünstigt sind, und die anderen
sich überlegen, dass sie diese 1 Milliarde Euro auch hätten gut gebrauchen können. Das hätte man voraussehen
können, und damit hätten Sie sich viel Ärger ersparen
können.
({2})
Inzwischen gibt es schon Verbände, die fordern, dies zurückzunehmen.
Man könnte das Gefühl bekommen, dass es bei der
FDP möglich ist, eine Zustimmung zu bekommen, wenn
man nicht wie wir für Mindestlöhne auf die Straße geht
und Unterschriften sammelt, sondern wenn man einfach
Geld sammelt und sich dann die Zustimmung einkauft.
Auf diese Idee könnte man bei Ihnen kommen.
({3})
Die Spendenkrise der FDP ist allerdings gegenüber
der Krise, die wir in unserem Land haben, zu vernachlässigen. Da gebe ich Ihnen, Dr. Schäuble, ausdrücklich
recht. Wir haben schwierige Zeiten. Einen Versuch der
Beschreibung dieser Zeiten hat die Kanzlerin am
10. November - leider ist sie jetzt nicht mehr hier - in
ihrer Regierungserklärung vorgenommen. Der Weg aus
der Krise führt in ihrer Rede viermal über Nachhaltigkeit
und 17-mal über Wachstum.
({4})
Der Sprachschatz von Minister Brüderle beschränkt sich
eigentlich ausschließlich auf Wachstum; deswegen
braucht man bei ihm auch nicht so viel zu zitieren.
Vielleicht haben einige der älteren Anwesenden noch
im Kopf: Es gab einen Club of Rome, der 1972 eine Studie in Auftrag gegeben hat. Deren Ergebnis war das
Buch Grenzen des Wachstums. Im Jahre 2004 gab es ein
30-Jahre-Update dieser Studie. Immer noch - man
glaubt es kaum - gibt es Grenzen des Wachstums:
({5})
Grenzen im Flächenverbrauch, Grenzen im Umweltverbrauch, Grenzen vielfältiger Art und Weise. Würden all
diese Grenzen über Bord geworfen und forderten wir
überall 10 Prozent Wachstum ein, dann wäre diese Republik, glaube ich, nicht mehr lebenswert.
Ebenfalls gerne in den Mund genommen werden die
Worte „Generationengerechtigkeit“ und „Verantwortung für nachfolgende Generationen“. Ich bin SPD-Sprecherin im Beirat für nachhaltige Entwicklung. Dort
haben wir eine Überprüfung der Gesetzgebung der Bundesregierung im Hinblick auf die Folgen für nachfolgende Generationen beschlossen. Das heißt, wir werden
prüfen, welche Auswirkungen Gesetze für Generationen
haben, die nach uns kommen. Beim Wachstumsbeschleunigungsgesetz war dies leider noch nicht möglich;
das wäre auch durchgefallen, ganz klar.
Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass
auch so etwas wie ein Ausstieg aus dem Atomausstieg
nicht zu verantworten ist.
({6})
Wer dies nicht glaubt, kann gern in meinen Wahlkreis
kommen, wo es gestern in einer Urananreicherungsanlage einen Unfall mit schlimmen Folgen für einen Mitarbeiter gab. Diese Industrie ist nicht so sicher, wie Sie
es sich wünschen. Vor allen Dingen ist sie unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit nicht verantwortbar.
Wir können uns jetzt darüber streiten, Herr
Dr. Schäuble, ob die 10 Milliarden Euro verschleudert
wurden oder nicht. Wir denken eher, man hätte sie anders ausgeben können oder gar nicht ausgeben sollen.
Große Erbschaften zu entlasten war ein Fehler.
({7})
Auch war die Erhöhung der Freibeträge für Kinder ein
Fehler.
({8})
Die Kindergelderhöhung haben wir im Finanzausschuss abgekoppelt, sodass wir ihr zustimmen konnten,
weil wir wollten, dass die Schere zwischen armen und
reichen Kindern zusammen- und nicht auseinandergeht.
Wir sind ausdrücklich dafür gewesen, weil der SPD jedes Kind gleich viel wert ist.
({9})
Diese Kinder wie auch nachfolgende Kinder wohnen
hauptsächlich in Kommunen. Diese Kommunen haben
Steuermindereinnahmen von 2,1 Milliarden Euro. Das
ist sehr bedauerlich und wird die Lebensqualität dieser
Kinder ziemlich einschränken. Die Lebensqualität der
Eltern wird durch die zu erwartende Gebührenerhöhung
und durch Privatisierungen eingeschränkt, die notwendig sein werden, um vermeintlich Gehälter oder andere
Gelder einzusparen. Dadurch werden sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gefährdet und vielleicht
sogar vernichtet. Da hilft es nicht viel, mehr netto vom
Brutto zu fordern. Es wird auch die FDP-Mitglieder
nicht trösten, dass sie aufgrund ihrer Mitgliedschaft einen leichteren Zugang zur PKV haben. Auch dort werden höhere Beiträge gezahlt werden müssen.
Anzumerken ist, dass es in letzter Zeit durchaus sinnvolle und gute Investitionen gab, die vom Bund initiiert
wurden. Das Konjunkturpaket II zum Beispiel ist in den
Kommunen sehr gut angekommen. Dafür werden wir
gelobt. Das waren Investitionen in die Zukunft, beispielsweise in Schulen und energetische Erneuerung.
Das war eine gute Sache. Nicht alles, was aus Berlin
kommt, schadet den Kommunen; es kann für die Kommunen auch segensreich sein. Was aber schadet, ist,
Wachstum um jeden Preis.
Ich möchte auf den vorliegenden Haushalt zurückkommen. Als Finanzpolitikerin liegt mir weniger an der
Ausgabenseite als an der Einnahmeseite. Diese ist meiner Meinung nach unbedingt zu stärken. Bei einer Neuverschuldung von knapp 86 Milliarden Euro frage ich
mich, ob wir auf Dauer mit Ausgabenkürzungen auskommen. Ich finde diesen Ansatz geradezu lustig. Er erinnert mich an eine Diät, bei der man sich vornimmt: Ab
nächsten Montag esse ich weniger, aber dieses Wochenende haue ich noch einmal richtig rein.
({10})
So kommt mir das, was Sie vorhaben, vor: Erst kommt
die Neuverschuldung, und dann will man sie langsam
abbauen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass solche Diäten meistens wirkungslos sind. Es hilft nur, wenn man
sich vornimmt, sofort abzunehmen.
({11})
Viele verweisen darauf, dass wir ohne die Finanz- und
Wirtschaftskrise ein Haushaltsvolumen von 300 Milliarden Einnahmen ohne Neuverschuldung hätten. Das nützt
uns aber nichts. Es gibt diese Krise; und ich bin sehr froh
darüber, dass wir ab 2011 eine Schuldenbremse haben.
Sonst würde das Ganze nämlich noch schlimmer werden.
Wie gesagt, in jeder guten Familie würde man versuchen, die Einnahmeseite zu stärken.
({12})
Dazu gibt es viele Vorschläge; meine Kollegin Petra
Merkel hat schon darauf hingewiesen. Es gibt Steuern,
die noch gar nicht ausgeschöpft wurden. Eine andere
Möglichkeit haben viele schon wieder vergessen. Wir
hatten ein Steuervergünstigungsentlastungsgesetz vor.
Wir wollten Steuervergünstigungen abbauen. Unser
Koalitionspartner hat aber leider nicht mitgemacht. Deswegen mussten wir die Mehrwertsteuer erhöhen. Dem
Staat fehlte Geld, und unser damaliger sehr verantwortungsvoller Finanzminister war der Meinung, dass eine
Mehrwertsteuererhöhung notwendig war, um die Einnahmen zu steigern.
Ich befürchte übrigens, dass Sie die Abschaffung der
Umlagefinanzierung im Rahmen der Gesundheitsreform nicht nach dem Grundsatz „Die Starken tragen
mehr“ durch eine Einkommensteuererhöhung, sondern
über eine Mehrwertsteuererhöhung finanzieren werden.
({13})
Damit würden die Schwachen über den Konsum den
größten Teil Ihrer Einnahmen in den Umverteilungstopf
zahlen. Das wäre furchtbar.
Ich bin gespannt, was noch auf uns zukommt. Als ich
in den 80er-Jahren studiert habe, gab es schon Wissenschaftler, die die Meinung vertreten haben, dass durch
Steuersenkungen Mehreinnahmen erzielt würden, weil
die Menschen eine größere Motivation zum Arbeiten
hätten. Das hat ein amerikanischer Präsident, der in erster Linie künstlerisch ausgebildet war, geglaubt und sein
Land fast in den Ruin getrieben. Diesen Weg 30 Jahre
später selber einzuschlagen, ist ein Feldversuch, den wir
uns nicht leisten sollten.
({14})
Die Wähler in NRW haben es begriffen. Ihre Wähler
bei der letzten Wahl können ihre Entscheidung zurzeit
nicht revidieren. Ich kann nur raten, als Lobbyist tätig zu
werden. Dann kann man vielleicht etwas ausrichten. Ansonsten muss man das Ganze im Blick behalten.
Ich hoffe, NRW wirkt nach der Wahl neutralisierend,
was die Gesetzgebung in Bundesrat und Bundestag betrifft. Dann hätten wir nicht den ganzen Blödsinn vor
uns, der Ihnen im Kopf herumschwirrt.
Manche Redner kommen mit einem Motto oder einem Zitat zum Schluss. Hier ist häufig vom nachhaltigen
Wachstum die Rede. Wachstum ist, wie ich schon ausgeführt habe, nicht immer nachhaltig. Wir sollten verantwortungsvolle Politik machen und eine wachsende
Nachhaltigkeit an den Tag legen. Das wäre, glaube ich,
besser. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gute Beratungen und in einigen Wochen ein besseres Ergebnis als
das, was bisher vorliegt.
Danke schön.
({15})
Florian Toncar hat nun das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Haushaltswoche neigt sich dem Ende zu. Es ist gut, dass
es so etwas gibt.
({0})
Ich glaube, diese Haushaltswoche hat deutlich gemacht,
welche Alternativen hier im Haus zur Wahl stehen und
aufeinanderstoßen. Ich möchte die letzten vier Tage wie
folgt zusammenfassen. Sie fragen: Was braucht der
Staat, um diese Krise zu bewältigen? Wir fragen aber
auch: Was brauchen die Bürger, um diese Krise zu bewältigen? - Das ist der Unterschied, der in dieser Woche
deutlich geworden ist.
({1})
Wir haben mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz begonnen, dessen Elemente Punkt für Punkt in
unserem Wahlprogramm enthalten sind. Es ist hochinteressant und sagt viel über Sie selber aus, dass Sie uns
ausgerechnet das vorwerfen. Wir haben jedenfalls das,
was in unserem Programm steht, umgesetzt. Kollege
Schneider, Sie haben heute gesagt, es handele sich um
Steuersenkungen für wenige Reiche. Sie wissen genauso
gut wie ich, dass der wesentliche Teil, über die Hälfte,
der Entlastungen durch dieses Gesetz auf die Erhöhung
des Kindergeldes, und zwar zu über 90 Prozent, und des
Kinderfreibetrags entfällt.
({2})
Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag: Wir beide nehmen uns nächste Woche einen Tag, um gemeinsam in
unsere Wahlkreise zu fahren. Ich suche eine Familie aus
meinem Wahlkreis, und Sie eine aus Ihrem. Dann klären
wir, ob es sich bei diesen Familien um die wenigen Reichen handelt, von denen Sie gesprochen haben. Was
hierzu von Ihnen kommt, halte ich für eine völlige Verzerrung dessen, was wir machen.
({3})
Nun zur Sache mit den Hotels, die in keiner Rede gefehlt hat. Sie sind schon am Dienstag vorgeführt worden,
als deutlich wurde, dass Sie alle mit der Forderung nach
Senkung des Mehrwertsteuersatzes zugunsten der Hoteliers an unterschiedlichster Stelle durch die Republik getourt sind; das wurde am Dienstag sehr klar.
({4})
Aber auffällig und interessant ist das, was in den letzten
vier Tagen bei der SPD passiert ist. Der Kollege
Schneider sagt noch am Dienstag: Wir hätten anstelle
der Verabschiedung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes die Schulden reduziert. Am Abend des gleichen
Tages sagt Herr Scholz: Für das Geld, das durch diese
Mehrwertsteuersenkung verloren geht, hätten wir mehr
Polizisten eingestellt. Am nächsten Tag sagt Herr
Steinmeier: Ich hätte das Geld für Bildung verwendet.
Am Mittwochnachmittag sagen Ihre Verbraucherschützer: Wir hätten das Geld in den Verbraucherschutz gesteckt. Am Donnerstag haben Ihre Familienpolitiker gesagt: Dieses Geld wäre bei den Familien besser
aufgehoben gewesen.
({5})
Heute Morgen hat Kollege Pronold in der Debatte über
den Verkehrshaushalt gesagt: Das Geld fehlt zukünftig
für Verkehrsinvestitionen. - Das ist bemerkenswert: In
vier Tagen - ich habe übrigens nicht alle Debatten verfolgt - haben Sie das Geld sechsmal ausgegeben. Nichtsdestotrotz erzählt uns Ihr Fraktionsvorsitzender etwas
von den Grundrechenarten. Ich glaube, mehr muss man
dazu nicht bemerken.
({6})
Dieser Haushalt zeichnet sich nicht dadurch aus, dass
wir beste Voraussetzungen mitbekommen haben. Sie
werfen uns beispielsweise vor, dass wir zusätzlich 4 Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds pumpen müssen.
Dabei handelt es sich bei diesem Fonds um eine der historischen Fehllenkungen, die die schwarz-rote Koalition
in der letzten Legislaturperiode beschlossen hat. Falscher kann man es nicht machen. Aber dass Sie uns nun
vorwerfen, dass wir die Löcher stopfen, die Sie uns im
Oktober übergeben haben, schlägt dem Fass wirklich
den Boden aus.
({7})
Die Bürgerinnen und Bürger wissen, wofür dieses Geld
eingesetzt wird, nämlich um Schäden zu beheben, die
uns übergeben worden sind. Übrigens sind die Beitragszahler gerade im Gesundheitswesen höher belastet denn
je. Beim Thema Lohnzusatzkosten brauchen wir also
auch nicht unbedingt Ratschläge von Ihrer Seite.
Wir werden unseren Weg weitergehen. Wir haben
dazu klare Vereinbarungen im Koalitionsvertrag. Natürlich werden auch die Bestimmungen der Schuldenbremse eingehalten. Ich will auf einen Umstand hinweisen, der in den Diskussionen immer zu kurz kommt.
Natürlich können Steuersenkungen kurzfristig zu Steuereinnahmeausfällen führen, obwohl sie die wirtschaftliche Tätigkeit anregen, Leistungsanreize fördern und
dazu führen, dass Schwarzarbeit sich weniger rentiert
und dadurch abnimmt. Aber das Wachstum, das durch
Steuersenkungen erzeugt wird, hat nicht nur einen Effekt
auf die Einnahmen, sondern auch auf die Staatsausgaben. Dieser Punkt wird immer wieder vergessen.
({8})
In diesem Haushalt werden überwiegend Löcher, hervorgerufen durch Beitragsausfälle in den Sozialsystemen,
mit Steuermitteln gestopft. Wenn wir mehr Beitragszahler und damit auch mehr Steuerzahler haben, dann bedeutet das, dass die Sozialversicherungen höhere Beitragseinnahmen und weniger Löcher haben und dass die
Steuerzuschüsse nicht mehr benötigt werden, ohne dass
das Auswirkungen auf die Leistungen der Sozialversicherungen hat. Diesen Zusammenhang lassen Sie immer weg. Ich weise auf diesen ausdrücklich hin.
({9})
Ganz besonders interessant - das will ich zum Abschluss noch sagen - ist Ihre Argumentation zur Finanzlage der Kommunen. Wir nehmen die Sorgen der Kommunen sehr ernst. Der Minister hat angekündigt, dass
mit den Kommunen sehr bald Gespräche geführt und
dass wir gemeinsam einen Konsens suchen werden.
({10})
- Die Kommunen haben durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz Ausfälle von rund 870 Millionen Euro,
Kollege Kuhn.
({11})
Das ist der richtige Betrag. - Man muss eines sehr deutlich sagen: Die Ausfälle bei den Kommunen - sie sind
nicht zu leugnen - resultieren zurzeit vor allem daraus,
dass viele Gewerbesteuerzahler keinen Gewinn machen
und daher keine Gewerbesteuer zahlen. Das ist die Ursache dafür, dass es einigen Städten und Gemeinden im
Land hundsmiserabel geht. Das hat aber mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz nun wirklich nichts zu tun.
({12})
Ich denke, wir sollten dieses Gesetz nicht für alles verantwortlich machen, was es an Problemen gibt, nur um
es politisch zu zerreden. Wir werden die Situation der
Kommunen mit den Betroffenen angehen. Aber das politisch auszuschlachten, weil einem der 27. September
2009 noch in den Knochen steckt, kann nicht der richtige
Weg sein.
Herr Kollege!
Wir werden nach dieser Haushaltswoche erfolgreich
weiterregieren.
({0})
Wir werden den Haushalt gut beraten und dann beschließen.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Der Kollege Norbert Brackmann hat nun das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mitten in der schwersten Finanzkrise der Nachkriegsgeschichte haben sich die Menschen in Deutschland
ganz bewusst für eine christlich-liberale Mehrheit entschieden. Die Menschen wollen nämlich eine verantwortungsvolle Regierung. Sie wollen klare Perspektiven für
den Weg aus der Krise, und sie haben soziale Sicherheit
gewählt.
Die Menschen spüren, was das Abhandenkommen
von Wertvorstellungen bedeutet. Die Gier bei etlichen
Marktteilnehmern hat uns nämlich in die Krise geführt.
Trotz mancher populistischer Forderung aus den Reihen
der heutigen Opposition nach mehr Staat ist dem eine
klare Absage erteilt worden. Die Bürger haben bürgerliche Werte gewählt, weil sie glauben, dass wir damit aus
dieser Situation besser herauskommen.
({0})
Diese Werte stehen nicht für soziale Kälte und mangelndes Miteinander, sondern für gegenseitige Verantwortung.
Dem ist auch so. Das erste Haushaltsgesetz, das Ihnen
diese Koalition heute als Entwurf vorlegt, ist davon geprägt, dass über 50 Cent jedes einzelnen Euro, den der
Bund ausgeben wird, Sozialausgaben sind. Ich wiederhole es: Über 50 Cent von jedem Euro gehen in Sozialausgaben. Das sind, um Ihnen die gewaltige Dimension
vor Augen zu führen, knapp 177 Milliarden Euro für soziale Zwecke, für Leistungen der Rentenversicherung,
des Arbeitsmarkts und der Krankenkassen. Das sind, um
es als Zeitreihe darzustellen, 36 Milliarden Euro mehr
als im Haushalt 2008 und 24 Milliarden Euro mehr, als
im Haushalt 2009 vorgesehen waren. Der Bundeshaushalt 2010 ist wie kein anderer vor ihm von sozialen Leistungen für unsere Bürgerinnen und Bürger geprägt.
54 Prozent des Gesamthaushaltes werden für soziale
Leistungen aufgewendet. Soziale Wärme, nicht soziale
Kälte ist daher die Wahrheit dieses Bundeshaushaltes.
({1})
Lieber Herr Kollege Schneider, bemerkenswert an Ihrer Rede war, dass Sie gar nicht von Minderaufwendungen im sozialen Bereich oder von sozialer Kälte sprechen. Vielmehr monieren Sie, dass dieser Haushalt nicht
genügend Perspektiven und Initiativen für mehr Wachstum enthält. Das war Ihre Kritik. Aber die Bürger haben
sich in Sachen Wirtschaft für diese Koalition und damit
für das Original statt für die Kopie entschieden. Die
Menschen wissen, dass für die christlich-liberale Koalition Verantwortung und Wirtschaft zusammengehören.
Sie wissen auch, dass wir nur ausgeben können, was wir
vorher eingenommen haben. Zu dieser Erkenntnis sind
wir sogar gekommen, ohne die schwäbische Hausfrau zu
befragen.
({2})
Voraussetzung für die Rettung der sozialen Errungenschaften in Deutschland ist es, die wirtschaftlichen Perspektiven für die Menschen zu verbessern. Dazu gehören untrennbar mehr Wachstum und Beschäftigung
sowie die Konsolidierung des Haushaltes. Beide Wege
müssen wir gehen. Deutschland muss sich jetzt aus dem
Abwärtssog der Krise freischwimmen. Dafür müssen
wir unter anderem die Arbeitnehmer und die mittelständischen Betriebe, diejenigen, die Kinder großziehen,
diejenigen, die sich um die Kranken kümmern, und diejenigen, die ehrenamtlich arbeiten, entlasten. Dies haben
wir in den vergangenen Monaten unter anderem mit dem
Bürgerentlastungsgesetz und mit den Konjunkturpaketen
getan, und das werden wir auch mit dem Bundeshaushalt 2010 tun.
Bildung und Forschung, einer der Schwerpunkte,
haben in diesem Bundeshaushalt hohe Priorität. Wir steigern die Ausgaben um 1,2 Milliarden Euro im Vergleich
zu 2008 und um 700 Millionen Euro im Vergleich zu
2009. Im letzten Haushalt vor Einsetzen der Schuldenbremse zeigen wir damit auf, wo wir in Deutschland
neue Perspektiven für die Menschen sehen und realisieren wollen. Wir, die christlich-liberale Koalition, blicken
nicht nur in die Zukunft des Landes, sondern wir werden
sie auch gestalten. Das Beste, was wir für die Zukunft
unseres Landes tun können, ist, heute die richtigen Entscheidungen zu treffen.
In die Zukunft unseres Landes zu investieren und
nicht die Zukunft unseres Landes zu verkonsumieren,
bedeutet aber auch, den Blick auf die Gegenwart zu richten. Wir befinden uns im Jahre 2010 immer noch in der
schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Deshalb
war es richtig, nicht in die Krise hineinzusparen, sondern
zu investieren, steuerliche Belastungen zu senken und
Wachstumsimpulse zu setzen.
Wenn wir aus der Krise herauskommen wollen, dann
müssen wir in diesem Jahr ein besonders schmerzhaft
hohes Defizit von rund 86 Milliarden Euro hinnehmen.
({3})
Dieses Defizit ist über die vergangenen vier Tage von
vielen in diesem Hause kritisch angesprochen worden.
Auf der anderen Seite aber wurden immer wieder Mehrausgaben gefordert. Frau Merkel, Sie waren vorhin die
Erste, die hier deutlich gesagt hat: Von den Steuermindereinnahmen, von den Steuerausfällen von 43 Milliarden Euro, hätten wir uns 10 Milliarden Euro sparen können, darunter 5 Milliarden Euro für die Familien. Das ist
das erste Mal, dass hier in dieser Deutlichkeit gesagt
wird, dass Sie auch dort Abstriche machen. Dass Sie das
sagen, hat etwas mit Doppelzüngigkeit zu tun.
({4})
Es ist schwierig, Prognosen zu erstellen, besonders
wenn sie auf die Zukunft gerichtet sind. Dieser Haushalt
aber ist ein Haushalt mit Augenmaß, geprägt von Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit, und er schafft die
Grundlagen für Wachstum und Beschäftigung.
Vielen Dank.
({5})
Letzter Redner in dieser Haushaltsdebatte ist der Kollege Leo Dautzenberg für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wie schon angekündigt, bin
ich der letzte Redner in der Schlussdebatte zur Einbringung des Haushaltes. Es ist schon mehrmals betont worden, dass dieser Haushalt im Grunde ein Spiegelbild der
Krise ist. Wir setzen damit Akzente, schnellstmöglich
aus der Krise zu kommen. Entlastungen durch Steuersenkungen und Haushaltskonsolidierung sind kein Gegensatz, sondern bedingen im Grunde einander, weil
über beides Wachstum generiert werden kann, und
Wachstum ist das Wichtigste, was wir für die nächste
Zeit brauchen.
({0})
Wie von Herrn Minister mehrmals betont, ist es ein
anspruchsvolles Ziel, bis 2013 wieder das Wachstumsniveau von 2008 zu erreichen; schließlich haben wir einen Rückgang unserer Wirtschaftskraft um über 5 Prozent zu verzeichnen. Darauf müssen wir die richtigen
Antworten geben.
Es ist schon verwunderlich, verehrte Kolleginnen und
Kollegen der SPD, wie Sie die Maßnahmen, die wir gemeinsam bis September sinnvollerweise auf den Weg
gebracht haben, jetzt bewerten.
({1})
Über 90 Prozent dieses Haushalts haben Sie Mitte letzten Jahres im Grunde mit erarbeitet. Soll das alles jetzt
falsch sein?
({2})
Wir haben in der neuen Koalition, der christlich-liberalen Koalition, das hinzugefügt, was wir mit Ihnen im
Unternehmensteuerbereich und bei der Entlastung von
Familien nicht haben erreichen können. Es war auch
konsequent, dies mit Wirkung zum 1. Januar 2010 auf
den Weg zu bringen. Das ist das Gesamtkonzept.
Hier wurde gesagt: Die Änderungen bei der Gewerbesteuer belasten die Kommunen.
({3})
Herr Kuhn, Sie haben ausgeführt, wir würden die Kommunen plündern.
({4})
Schauen wir uns einmal die Vergangenheit an! In der rotgrünen Koalition von 2002 bis 2005
({5})
waren alle Kommunen im Defizit.
({6})
Mit Beginn der Großen Koalition 2005 haben die Kommunen im Grunde Finanzierungsüberschüsse gehabt.
({7})
Sie hätten weiterhin Finanzierungsüberschüsse, wenn
nicht die Krise gekommen wäre.
Um ein Beispiel zu geben: Bei der Gewerbesteuer
({8})
war es doch konsequent, dass die christlich-liberale Koalition die krisenverschärfenden Regeln im Interesse der
Arbeitsplatzsicherung und Arbeitsplatzschaffung beseitigt oder gemildert hat.
({9})
Einem Kämmerer einer Gemeinde muss es doch lieber
sein, noch Gewerbesteuereinnahmen zu haben, wenn
auch bei etwas geringerer Bemessungsgrundlage - die
Hinzurechnung ist ja abgeschmolzen worden -, als überhaupt keine solchen Einnahmen mehr zu haben.
({10})
Ihnen dürfte auch nicht entgangen sein, dass Einzelhandelslagen in den Großstädten durch die Hinzurechnungsregeln in die klassische Substanzbesteuerung geraten
sind. Wo unternehmensmäßig eine Null war, ist im
Grunde die Substanz besteuert worden. Wenn dauerhaft
die Substanz besteuert wird, gefährdet das das Unternehmen und damit Arbeitsplätze. Deshalb ist der Weg, den
wir gegangen sind, richtig.
({11})
Frau Kollegin Arndt-Brauer, hier wurde gesagt, wegen der Änderungen bei der Erbschaftsteuer würde uns
im Haushalt etwas fehlen. Da ist schon der Ansatz
falsch. Das Aufkommen steht den Ländern zu, betrifft
also nicht den Bundeshaushalt. Wir begünstigen mit den
Änderungen auch nicht die Reichen, sondern wir tragen
dafür Sorge, dass die krisenverschärfenden Regelungen
bei der Erbschaftsteuer, was die Unternehmensnachfolge
anbelangt, also den Übergang von Unternehmen auf die
nächste Generation, abgemildert werden, damit auch
beim Unternehmensübergang im Schenkungs- oder Erbwege Arbeitsplätze gesichert sind.
({12})
Wir haben eine weitere Ungerechtigkeit beseitigt, indem
wir Geschwister jetzt wieder wie nahe Verwandte behandeln und nicht mehr, was im Grunde unmöglich war, wie
Fremde; das war mit Ihnen nicht durchsetzbar.
({13})
Das alles sind Maßnahmen, die wir zusätzlich getroffen haben, verankert im Bürgerentlastungsgesetz - noch
gemeinsam mit Ihnen beschlossen - und im Wachstumsbeschleunigungsgesetz der christlich-liberalen Koalition.
Wir haben weitere Regelungen zur Entschärfung der
Zinsschranke vorgesehen.
Die entlastenden Maßnahmen - darauf ist schon hingewiesen worden - werden auch dazu führen, dass die
Ausgaben des Staates im Sozialbereich sinken. Hier ist
eine Gesamtbetrachtung erforderlich. Man darf nicht nur
sehen, wie man Einnahmen erzielt, sondern man muss
auch sehen, wie mit staatlichen Maßnahmen Entlastungswirkungen für die Sozialhaushalte - das betrifft
auch die Kommunen - erreicht werden können. Wenn
dort weniger Ausgaben erforderlich sind, ist das wiederum ein Beitrag zur Konsolidierung. Diesen Weg werden wir mit dem, was angekündigt ist, fortsetzen.
Dass wir nach der Steuerschätzung im Mai - ({14})
Das hat nichts mit der Wahl in Nordrhein-Westfalen zu
tun. Sie wissen ganz genau, dass wir zweimal im Jahr
eine Steuerschätzung haben, und zwar schon seit Jahrzehnten, einmal im Mai und einmal im November.
({15})
- Herr Kuhn, das hat mit anderen Dingen gar nichts zu
tun. - Wenn Sie sorgfältig Politik betreiben wollen, dann
müssen Sie bis zu diesem Zeitpunkt von dem ausgehen,
was ökonomisch vertretbar ist.
({16})
Eine weitere Entlastung erfolgt nachher, und zwar in der
Reihenfolge, wie es hier von meinen Kollegen schon
dargestellt worden ist. Als erste weitere Maßnahme werden wir für eine Abflachung der kalten Progression sorgen. Das stellt keine Begünstigung der Spitzenverdiener
dar; vielmehr werden unsere Leistungsträger im unteren
und mittleren Bereich entlastet.
({17})
Wenn wir zugunsten dieser im nächsten Schritt keine
Maßnahmen treffen, dann werden wir dem Abstandsgebot nicht gerecht. Der Abstand zu den Hartz-IV-Empfängern würde wieder kleiner, und viele Menschen würden
sich fragen: Lohnt es sich noch, in dieser Gesellschaft
Leistung zu zeigen? Einer solchen Haltung müssen wir
entgegenwirken, indem wir die Leute aus den sozialen
Sicherungssystemen herausführen und wieder in Beschäftigung bringen.
({18})
Das ist der richtige Weg, statt darüber nachzudenken,
wie wir die Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme noch weiter steigern. Wir müssen den Leuten eine
Perspektive bieten, um ihren Lebensunterhalt selber zu
verdienen, damit sie aus den sozialen Sicherungssystemen herauskommen und eigenverantwortlich ihr Leben
führen können.
({19})
Ich unterstütze den Finanzminister, unsere Kanzlerin
und die gesamte Bundesregierung in ihrem Bemühen um
Regulierung von Finanzmärkten und -produkten. Wir
brauchen in diesem und im nächsten Jahr außer Absichtserklärungen klare Verabredungen zur Regulierung
der internationalen Finanzmärkte. Die Vorstellungen,
die hierfür entwickelt worden sind, müssen tatsächlich
international umgesetzt werden.
({20})
Das ist auch die Zielsetzung der Kanzlerin. Es darf - das
steht auch im Koalitionsvertrag - weltweit keine weißen
Flecken geben, also Regionen, in denen es keine Regulierung der Finanzmärkte und ihrer Produkte gibt. Da
sind diese Regierung und auch der Finanzminister auf
dem richtigen Weg.
Wir müssen zusehen, wie wir die Finanzaufsicht
weiter stärken. Sie haben in Ihrer Einbringungsrede gesagt, Herr Finanzminister, dass Sie bereit sind, noch über
das hinauszugehen, was im Koalitionsvertrag zur Bankenaufsicht verabredet ist. Es wäre wirklich gut, die
Finanzaufsicht insgesamt unter dem Dach der Bundesbank zu bündeln. Das muss in einer zur Finanzaufsicht
auf europäischer Ebene kompatiblen Form geschehen.
Wir müssen ganz deutlich machen, dass wir wollen, dass
die Finanzmärkte, sowohl national wie international,
wieder ihre dienende Funktion zurückbekommen. Das
ist kein Selbstzweck. Aus einigen Stellungnahmen aus
dem Bankenbereich in den letzten Tagen wurde deutlich,
dass manche nichts dazugelernt haben. Diese Regierung
sieht es aber als ihre politische Verantwortung an, dem
etwas entgegenzusetzen. Damit sind wir auf dem richtigen Weg.
Der Haushalt, den wir in dieser Woche eingebracht
haben und nun weiter beraten werden, stellt eine sehr
gute Grundlage dar.
Vielen Dank.
({21})
Ich schließe die Aussprache.
Wir haben jetzt noch eine wichtige Entscheidung zu
treffen, nämlich ob der Deutsche Bundestag dem interPräsident Dr. Norbert Lammert
fraktionellen Vorschlag folgt, den Entwurf eines Haushaltsgesetzes für das Jahr 2010 dem Haushaltsausschuss
zur weiteren Beratung zu überweisen. Wer möchte diesem Vorschlag zustimmen? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist zumindest dieser Teil der
Operation einstimmig beschlossen, was für den Rest
vielleicht nicht in gleicher Weise zu erwarten ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass am Mittwoch nächster
Woche vor der Plenarsitzung, in der es eine Regierungserklärung zum Thema Afghanistan geben wird, die jährliche Gedenkfeier zur Erinnerung an die Opfer des
Nationalsozialismus stattfindet. Deswegen hat der Ältestenrat einvernehmlich beschlossen, in der nächsten Woche in der verbleibenden knappen Zeit keine Regierungsbefragung durchzuführen. Die Fragestunde findet
gleichwohl statt. Darf ich Sie fragen, ob Sie damit einverstanden sind? - Das ist offenkundig der Fall. Ich bedanke mich.
Dann berufe ich hiermit die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Januar 2010,
14 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen allen ein schönes, ruhiges und interessantes Wochenende, vielleicht noch eine Spur gemütlicher, als das bei Haushaltsberatungen vernünftigerweise zu erwarten ist.
Die Sitzung ist geschlossen.