Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Nationales Reformprogramm 2012.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Herr Dr. Philipp Rösler. Bitte, Herr Minister.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Vielen Dank für
Ihre Präsenz.
({0})
Das Bundeskabinett hat heute das Nationale Reformprogramm 2012 beschlossen. Es reiht sich in die Aufgaben im Rahmen des Europäischen Semesters ein.
Es ist eine Erfolgsbilanz der Menschen in Deutschland und eine Erfolgsbilanz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes. Damit ist es ein Stück
weit das Ergebnis einer erfolgreichen Regierungsarbeit
im Jahre 2011; denn nicht nur die Prognose für 2012
fließt dort ein, sondern auch die Umsetzung der Vorgaben aus dem Jahr 2011.
Das Programm ruht auf breiten Schultern. Verbände,
Sozialpartner und auch die Länder waren beteiligt. Nach
dem heutigen Beschluss wurde es umgehend dem Parlament, dem Bundestag und auch dem Bundesrat zugeleitet. Es ist geplant, das Nationale Reformprogramm dann
am 13. April der Europäischen Kommission vorzulegen.
Bei diesem Programm muss man feststellen, dass
Deutschland nach wie vor der Stabilitätsanker in der Europäischen Union ist. Wir leisten einen guten Beitrag zur
Stabilität der wirtschaftlichen Verhältnisse im gemeinsamen Europa. Die Wachstumsprojektion für das Jahr
2012 liegt bei 0,7 Prozent. Diese Wachstumszahl ist
deutlich größer als die Wachstumszahlen der meisten anderen Länder in Europa, und sie liegt damit auch weit
über dem Schnitt. Wir leisten somit nicht nur einen Beitrag für den Wohlstand in unserem Land, sondern auch
für den der europäischen Partner; denn sie profitieren
von dem Wachstum in unserem Lande.
Bei der Strategie „Europa 2020“ sind wir - auch das
zeigt das Nationale Reformprogramm - sehr erfolgreich.
Beispielsweise wurde die Beschäftigungsquote von
75 Prozent, die eigentlich erst für das Jahr 2020 geplant
war, fast schon im Jahr 2010 erreicht.
Wir investieren weiter in Bildung, Forschung und
Technologie. Hier beträgt die Investitionsquote 2,82 Prozent. Vorgesehen ist im Rahmen der Strategie „Europa 2020“ ein Anteil von 3 Prozent im Jahr 2020.
Trotz der Investitionen in Bildung und Forschung gelingt es auf der anderen Seite, die Haushalte weiter zu
konsolidieren. Wir liegen weit unterhalb der Vorgaben
der Schuldenbremse. Aufgrund des guten Wachstums
wird es auch in den nächsten Jahren gelingen, die Nettokreditaufnahme mehr zu reduzieren als nach der mittelfristigen Finanzplanung der Vorjahre vorgesehen. Wir
wollen auf diesem Weg weitergehen. Diese Erfolge zeigen, dass wir Vorbild für ganz Europa sein können. Wir
haben beispielsweise die Defizitvorgabe in Höhe von
1 Prozent schon im letzten Jahr erreicht. Diese Vorgabe
müssen alle europäischen Partner in den nächsten zwei
Jahren erfüllen.
Wir wollen aber nicht stehen bleiben; daher haben wir
ein ehrgeiziges Aktionsprogramm für das Jahr 2012 aufgelegt. Wir wollen bei der Erleichterung der qualifizierten Zuwanderung voranschreiten. Wir wollen Reformen
bei der Technologieförderung, beispielsweise durch
mehr Wagniskapital. Wir wollen die Vorbildfunktion, die
wir mit dem Nationalen Reformprogramm 2012 dokumentieren, in diesem Jahr und in den nächsten Jahren auf
europäischer Ebene fortsetzen, um unseren Beitrag für
ein stabiles, gemeinsames, starkes, auch wirtschaftlich
starkes Europa zu leisten.
Vielen Dank.
Danke, Herr Bundesminister. - Ich bitte, zunächst
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde.
Das Wort hat der Kollege Cajus Julius Caesar. Bitte.
Frau Präsidentin! Herr Minister! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, Reformen bedeuten zum
einen, die Vergangenheit zur Kenntnis zu nehmen und zu
analysieren, und zum anderen, auf die Zukunft ausgerichtet zu fragen: Wie können wir erfolgreich sein? Herr
Minister, teilen Sie meine Auffassung, dass es der Bundesregierung ein wichtiges Anliegen ist, bei den Reformen den Bürokratieabbau an vorderster Stelle zu sehen
und beispielsweise mithilfe von Normenkontrollrat und
Experten den eingeschlagenen Weg weiterzugehen? Wir
haben uns vorgenommen, 25 Prozent der Meldeformularien ad acta zu legen, wenn ich das so formulieren darf.
Wir sind uns, glaube ich, darüber einig, dass die Bundesregierung hier auf dem richtigen Weg ist.
Könnten Sie mir außerdem erläutern, wie dieser Weg
beschritten werden soll?
Bitte, Herr Minister.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
vielen Dank für den Hinweis. In der Tat: Wachstumskräfte werden wir nur dann freisetzen können, wenn wir
gerade diejenigen, die Wachstum möglich machen und
die Leistung zeigen - die Unternehmerinnen und Unternehmer in unserem Lande -, von unnötiger Bürokratie
befreien.
Es ist das Ziel, auch mit Unterstützung des Normenkontrollrates, Bürokratielasten zu reduzieren. Das ist gelungen, unter anderem durch die Nichteinführung des
großen Programmes ELENA im letzten Jahr. Dies wurde
vor allem vom Mittelstand immer wieder gefordert, weil
man Sorge hatte, durch dieses neue Verfahren in hohem
Maße mit neuen bürokratischen Aufgaben belastet zu
werden.
Wir wollen auf diesem Weg voranschreiten, weil die
Unternehmerinnen und Unternehmer durch weniger Bürokratie wieder mehr Zeit für die Ziele haben, deretwegen sie sich ursprünglich einmal selbstständig gemacht
haben, nämlich um zu arbeiten, Geld zu verdienen sowie
neue Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen.
Es stehen konkrete Diskussionen an, zum Beispiel
zum Thema E-Bilanz. Dabei geht es darum, ein Verfahren der elektronischen Datenübertragung von den Unternehmen zu den Finanzämtern zu etablieren, und zwar
mit dem Ziel, Bürokratie abzubauen. Wir müssen das
Augenmerk darauf legen, dieses Ziel so konsequent anzustreben, wie wir uns das als Regierungskoalition vorgenommen haben.
Die nächste Frage stellt der Kollege Manfred Nink.
Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister,
stimmen Sie mir zu, dass im grenzüberschreitenden
Handel die Außenbilanzdefizite der einen Staaten zugleich den Außenbilanzüberschuss anderer Staaten, beispielsweise Deutschlands, darstellen? Wenn ja: Warum
ist vor dem Hintergrund der Forderung der Bundesregierung an die Bilanzdefizitländer, zu sparen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und die Außenhandelsbilanz
ins Reine zu bringen, der Saldo der Leistungsbilanz, so
wörtlich im Entwurf, keine politische Zielgröße der
Bundesregierung, mit der angestrebt wird, die von der
EU geforderten makroökonomischen Ungleichgewichte
einzugrenzen bzw. zu beseitigen?
Bitte, Herr Minister.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Abgeordneter, ich will für die Bundesregierung ausdrücklich festhalten: Wir halten unsere Leistungsbilanzüberschüsse für sehr positiv. Diese helfen auch unseren
europäischen Partnern; denn in unseren Exporten steckt
ein großer Importanteil, um die 42 Prozent. Das heißt,
unsere Exporte stärken unsere europäischen Partner insgesamt.
Im Übrigen ist die Sache mit den Leistungsbilanzen
innerhalb der Euro-Gruppe mit Sicherheit kein Nullsummenspiel. Ich glaube, es ist gut, wenn jedes Land daran
arbeitet, möglichst stark zu sein und seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Dessen Ausdruck sind für uns
die guten Leistungsbilanzüberschüsse.
Wenn wir unsere Forderungen an unsere europäischen
Partner, gerade an die Programmländer, darauf reduzieren würden, die Haushalte zu konsolidieren und nicht
langfristig daran zu arbeiten, zu Überschüssen zu kommen, wie wir sie erzielen, dann wäre das falsch. Wir fordern, zunächst einmal die Hauptursache der Krise, die
Verschuldung, in den Griff zu bekommen. Deshalb gibt
es die harten Sparvorgaben, die Sparmaßnahmen und die
Forderung, die Schuldenbremse in die jeweiligen nationalstaatlichen Verfassungen aufzunehmen.
Auf der anderen Seite wollen wir aber auch die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Wenn das am Ende gelingt,
wird man das, wie in Deutschland, anhand der Leistungsbilanzen feststellen können. Genau wie bei uns
wird dann der Leistungsbilanzüberschuss ein Zeichen
der guten Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in dem
jeweiligen Mitgliedsland sein. Wir konzentrieren uns
also auf beides: auf harte Sparvorgaben, aber auch auf
Impulse für Wachstum in sämtlichen europäischen Programmländern.
Danke, Herr Minister. - Die nächste Frage stellt die
Kollegin Kerstin Griese.
Lieber Herr Minister, bevor ich gleich eine Frage zu
den Inhalten des Nationalen Reformprogramms stelle,
will ich Ihnen eine Frage zur Erstellung des Nationalen
Reformprogramms stellen. Die Idee der Strategie „Europa 2020“ ist, dass die Regierung nicht alles allein
macht, sondern auf die Kooperation mit Sozialverbänden, kommunalen Spitzenverbänden usw. angewiesen
ist. Deshalb sind Sie mit ihnen regelmäßig im Gespräch.
Es gab auch Vereinbarungen, dass diese Spitzenverbände an der Erstellung des Nationalen Reformprogramms beteiligt werden. Warum haben Sie ihnen dann
bloß zwei Tage Zeit gegeben, um Stellung zu nehmen?
Ich darf mit Erlaubnis der Präsidentin einmal aus dem
Schreiben der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zitieren: Sie schreiben wörtlich, die sehr
kurze Frist sei „äußerst ärgerlich“. Dem Deutschen Verein haben Sie zwei Tage Zeit gegeben, den kommunalen
Spitzenverbänden einen Tag. So stelle ich mir die Zusammenarbeit mit den Spitzenverbänden nicht vor. Das
ist auch nicht im Sinne der Strategie „Europa 2020“. Mit
meiner Frage ist natürlich der Appell verbunden, das in
Zukunft anders zu machen.
Sehr verehrte Frau Abgeordnete, ich habe eingangs
erläutert, dass gerade dieses Nationale Reformprogramm
auf breiter Basis beruht, dass wir dieses Programm mit
allen betroffenen Verbänden und Organisationen, insbesondere mit den Sozialpartnern, besprochen und diskutiert haben. Offenbar war die Frist für die schriftliche
Stellungnahme vergleichsweise kurz; das gibt jedenfalls
der Brief wieder, den Sie zitiert haben.
Die umfangreichen Gespräche, die wir selber mit den
jeweils betroffenen Verbänden und Partnern, insbesondere den Sozialpartnern, geführt haben, waren sehr
fruchtbar und erfolgreich. Sie haben gezeigt, dass wir
das Nationale Reformprogramm in dieser Form gemeinsam erstellt haben und auch nach Europa tragen wollen;
wir sehen es als gemeinsamen Beitrag zur Stärkung Europas insgesamt. Wie gesagt: Das waren sehr fruchtbare
Gespräche mit allen betroffenen und beteiligten Verbänden.
Die nächste Frage stellt der Kollege Klaus Breil.
Herr Minister Dr. Rösler, ich habe eine Frage zur
Energiewende; entsprechende Maßnahmen sind Teil des
Nationalen Reformprogramms. Wenn ich richtig gezählt
habe, sind allein in diesem Programm 27 Maßnahmen
aus den Bereichen Energie und Umwelt enthalten. Vielleicht können Sie dazu Näheres sagen. - Danke schön.
Bitte, Herr Minister.
Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Abgeordneter, in der Tat: Wenn man Wachstum als Grundpfeiler, als Ziel dieses Reformprogramms ansieht, dann
muss die Energiepolitik darin einen wesentlichen Teil
einnehmen. Die mittelständischen Unternehmen in
Deutschland machen sich viele Gedanken über die künftige Energieversorgung, gerade aufgrund der Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahre
2022. Hier spielt die Frage der Energiepreise eine große
Rolle, insbesondere für die Unternehmen, die aufgrund
ihrer Größe keine Strompreiskompensation, keine
Netzentgeltbefreiung bekommen.
Neben dem Ziel, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, die die Strompreise stabil halten, geht es um die
Wachstumschancen, die die Energiewende zum Glück
mit sich bringt, wiederum gerade auch für die mittelständischen Unternehmen. Ich möchte hier nur den Bereich
der Energieeffizienz nennen. Besonders in der mittelständischen Wirtschaft gibt es Hoffnungen auf neue
Märkte und neue Chancen im Bereich der energetischen
Gebäudesanierung, sei es durch neue energetisch effiziente Produkte oder aber durch neue Dienstleistungen,
angefangen bei der Beratung bis hin zum Bau.
Dieser Teil nimmt im Nationalen Reformprogramm
großen Raum ein, einmal weil dieser Bereich eine
Grundlage für alle Unternehmen, für das Wachstum insgesamt schafft, aber eben auch, weil er einzelnen Branchen durchaus große Chancen eröffnet, einen wesentlich
größeren Beitrag zum Wachstum zu leisten, als es bisher
der Fall ist. Ich denke, das wird auch in Zukunft so sein.
Es zeigt klar, dass wir die Energiewende als wirtschaftspolitische Chance betrachten, im Sinne von mehr
Wachstum und Wohlstand in unserem Lande.
({0})
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Rossmann.
Herr Minister, inwiefern trägt die Strategie „Europa
2020“ zum Wirtschaftswachstum bei, und zwar auch dadurch, dass mehr Menschen in Beschäftigung kommen,
weniger in Armut sind und das Niveau der Bildung, der
Qualifikation deutlich angehoben wird? Anders gefragt:
Was sind die Maßnahmen dieser Bundesregierung, um
zur Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen und zur
Qualifizierung von mit nicht so guter Grundbildung ausgestatteten Menschen, von Menschen ohne elementare
Bildung beizutragen? Wie fügen sich diese Maßnahmen
der Bundesregierung in die europäische Gesamtstrategie
ein?
In der Tat ist es auch im Rahmen der EU-2020-Strategie unser Ziel, für Beschäftigungsaufbau zu sorgen. Wir
kamen im letzten Sommer in Meseberg mit den Sozialpartnern zu einem Gipfel zusammen, bei dem es um die
Frage ging: Wie können wir die Sicherung von Fachkräften gewährleisten? Es wurde auch darüber diskutiert,
wie wir ausbildungsschwache Jugendliche weiterqualifizieren können, damit sie eine Chance auf einen Ausbildungsplatz und in der Folge auch auf einen Arbeitsplatz
erhalten. Wir haben uns auch über das Thema Langzeitarbeitslosigkeit Gedanken gemacht. Ich will darauf hinweisen - das bringt dieses Programm zum Ausdruck -,
dass wir beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit in den
letzten Jahren sehr erfolgreich waren.
Neben dem Thema „ausbildungsschwache Jugendliche“ wollen wir das Thema „Vereinbarkeit von Familie
und Beruf“ in den Vordergrund stellen. Hierzu gab es
mehrere Initiativen; auch das Engagement der Kollegin
aus dem Arbeitsministerium sei erwähnt. Hinzu kam die
Frage: Wie kann man als ältere Arbeitnehmerin bzw. älterer Arbeitnehmer möglichst lange am Arbeitsleben
teilnehmen. Ebenso wurde über das Ziel diskutiert - das
will ich ausdrücklich erwähnen -, den Bereich qualifizierte Zuwanderung stärker zu fördern. Das war bei den
Gesprächen im letzten Sommer Gegenstand der Forderungen zahlreicher Verbände. Im Aktionsprogramm, das
Teil des Reformprogramms ist, haben wir einen Schwerpunkt auf die Verbesserung im Bereich der qualifizierten
Zuwanderung gelegt. Zuwanderung soll verstärkt unter
Berücksichtigung von Qualifikation und Berufsgruppe
erfolgen. Zudem sollen deutlich abgesenkte Gehaltsschwellen gelten.
Ich fasse zusammen: Wir fangen bei den ausbildungsschwachen Jugendlichen an. Wir machen weiter mit dem
Bereich Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der
Förderung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
und Langzeitarbeitsloser. Gleichzeitig fördern wir den
Zuzug von qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland.
Das positive Wachstum, das wir in den letzten Jahren erlebt haben, hatte positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt.
Das führt dazu, dass wir momentan über den Fachkräftemangel als Wachstumsbremse diskutieren. Sie gilt es zu
lösen, um dem Ziel des Nationalen Reformprogramms
gerecht werden zu können.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Andrea Wicklein.
Sehr geehrter Herr Minister, wir sind uns einig, dass
dem Mittelstand in Deutschland eine herausgehobene
Bedeutung zukommt. Da ich diesen Aspekt in dem Nationalen Reformprogramm der Bundesregierung vermisse, geht meine Frage in folgende Richtung: Welche
Maßnahmen planen Sie, um den Mittelstand weiterhin
zu stärken? Ich habe zur Kenntnis genommen, dass das
ZIM Erwähnung findet. Ich denke, dass es darüber hinaus andere Fragestellungen gibt, zum Beispiel die Bereitstellung von Wagniskapital oder die Unterstützung
von Existenzgründungen in diesem Bereich. Könnten
Sie dazu noch einige Ausführungen machen? - Danke
schön.
Herr Minister, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, vielen Dank. - Frau Abgeordnete, in
der Tat wird das Wachstum getragen von den vielen mittelständischen Unternehmen, die wir in Deutschland haben. 99 Prozent aller unserer Unternehmen sind mittelständische Unternehmen. Das heißt, all die Beiträge, die
wir zur Stärkung des Wachstums leisten, sind in allererster Linie Beiträge für den Mittelstand in Deutschland.
Zu all dem zählen wir das eben angesprochene Thema
Fachkräfte sowie das Thema Rohstoffversorgung, das
das Thema Energieversorgung beinhaltet. Dabei müssen
die materiellen Rohstoffe berücksichtigt werden.
Sie haben das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, kurz: ZIM, angesprochen. Es wird von den Unternehmerinnen und Unternehmern hervorragend angenommen. Es wird europaweit als Goldstandard der
Innovationsförderung für den Mittelstand gelobt. Auf
diesem Weg wollen wir weitergehen.
Sie haben das Thema Wagniskapital angesprochen.
Teil des Aktionsprogrammes für 2012 ist es, die Rahmenbedingungen für das Wagniskapital im Jahre 2012
zu verbessern. Wir müssen noch mehr tun. Es gilt, noch
einige Hürden zu beseitigen, beispielsweise die Umsatzsteuerpflicht für das Management von Wagniskapitalfonds. Man muss darüber diskutieren, wie man es
schafft, zu einer europäischen Gleichbehandlung zu
kommen, um noch mehr Wagniskapital hierher, nach
Deutschland, zu holen. Das ist für junge Unternehmen in
der Gründungsphase, gerade für solche im innovationsstarken IT-Bereich, von grundlegender Bedeutung. Deswegen ist es neben der Neuregelung des Vorsteuerabzugs und anderen Fragen, die noch geklärt werden
müssen, ausdrücklich unser Ziel, die Bedingung für
Wagniskapital im Jahr 2012 zu verbessern, um so die
Gründung von kleinen und mittleren Unternehmen in
Deutschland zu fördern.
Bevor ich jetzt dem Kollegen Manfred Nink das Wort
zur nächsten Frage gebe, mache ich sowohl die Kollegen
Abgeordneten als auch die Mitglieder der Bundesregierung und auch Sie, Herr Bundesminister, auf unsere Regelung aufmerksam. Das rote Signal - wenn es denn aufleuchtet - besagt, dass die vorgesehene Frage- bzw.
Antwortzeit überschritten ist.
Nun hat der Kollege Nink das Wort.
Herr Minister, die Langzeitarbeitslosigkeit wird seitens der Bundesregierung als Indikator für Armut und
Ausgrenzungen angesehen. Die Bundesregierung hat
sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 640 000 MenManfred Nink
schen aus diesem Dilemma herauszuführen; sie hat allerdings nicht eine einzige konkrete Maßnahme genannt,
wie das geschehen soll. Können Sie uns heute Maßnahmen benennen, wie die Bundesregierung Kinder- und
Altersarmut bekämpfen will?
Bitte, Herr Minister.
Herr Abgeordneter, das ist eine kombinierte Frage
nach Langzeitarbeitslosigkeit, Kinderarmut und Armut
von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Vielleicht zunächst einmal zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit. Ich habe eben schon von den positiven
Zahlen gesprochen. Einhergehend mit dem zunehmenden Wachstum, das wir in Deutschland haben, ist Beschäftigung aufgebaut worden. Insbesondere wurde
Langzeitarbeitslosigkeit abgebaut. Der Weg für den ersten Arbeitsmarkt muss weiterhin sein, durch Wachstum
weitere Chancen zu schaffen und damit auch Langzeitarbeitslosen die Chance zu geben, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukommen.
Zur Frage nach den schwächeren Jugendlichen: Ich
habe vorhin angedeutet, dass wir auf dem Gipfel, den
wir gemeinsam mit den Sozialpartnern durchgeführt haben, das Ziel formuliert haben, nach wie vor diejenigen
weiterzubilden, die bisher keine Chance auf einen Ausbildungsplatz hatten, entweder weil sie keinen Abschluss haben oder aber weil sie einen so schwachen Abschluss haben, dass sie trotz der guten Lage auf dem
Arbeitsmarkt keine Chance auf einen Ausbildungsplatz
haben. Wir haben gerade mit dem Handwerk über
gemeinsame Projekte gesprochen. Dabei ging es um
überbetriebliche Lehrlingsunterweisungen und andere
Fragen. Wir wollen uns weiterhin an schwächere Jugendliche wenden und ihnen durch eine verbesserte Ausbildungsfähigkeit eine Chance geben.
Was ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angeht, haben wir zum Ausdruck gebracht, dass es keinen
Sinn macht, diese vorzeitig aus dem Arbeitsleben zu entlassen. Im Gegenteil, es macht für Unternehmen eher
Sinn, sie im Arbeitsleben zu halten; dies hat etwas mit
Fortbildung und auch mit Gesundheitsmanagement zu
tun. Das muss die Zielsetzung sein, um auch hier die
Wertschöpfungskraft aller Generationen - angefangen
von den ganz Jungen bis zu den Älteren - in unserem
Lande nutzen zu können. Wir versuchen, bei der Langzeitarbeitslosigkeit eine Verbesserung zu erreichen, indem wir für Wachstum sorgen. Wie die Zahlen zeigen,
wirkt sich das für die Chancen der Langzeitarbeitslosen
auf dem Arbeitsmarkt sehr positiv aus.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Claudia Bögel.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Minister, mit dem diesjährigen Nationalen Reformprogramm
kann sich die Bundesregierung in Brüssel wirklich sehen
lassen. Ich habe dazu eine Frage: Wie ist jetzt sichergestellt, dass auch die anderen europäischen Staaten ihre
Verpflichtungen einhalten?
Vielen Dank, Frau Abgeordnete. - Das Nationale Reformprogramm reiht sich in die Vorgaben des Europäischen Semesters ein. Es ist das erklärte Ziel der europäischen Staats- und Regierungschefs, noch viel stärker als
bisher auf die Einhaltung der Vorgaben in nationalen
Reformprogrammen achtzugeben. Das gilt auch für die
Vorgaben, die die Kommission den Mitgliedstaaten
überträgt. Es ist das Ziel der Staats- und Regierungschefs - das ist ihre Aussage -, das Ganze im wahrsten
Sinne des Wortes zur Chefsache zu machen und dafür zu
sorgen, dass die Aufgaben nicht nur aufgelistet werden,
sondern dass eben auch nachgefragt wird, wie erfolgreich man gewesen ist. Das geschieht, um den jeweiligen
Mitgliedstaaten bei der Weiterbetrachtung im nächsten
Jahr für den Fall wieder neue Aufgaben aufzuerlegen,
dass sie die Ziele, die sie sich in ihren nationalen Reformprogrammen selber gesetzt hatten, nicht erreicht haben.
Im Übrigen ist es, glaube ich, wichtig, dass wir mit
gutem Beispiel vorangehen und die Aufgaben erfüllen,
die uns gestellt werden. Gleichzeitig sollten wir zeigen,
dass wir durch solide Haushalte und Wachstumseffekte
unseren Beitrag für ein stabiles Europa leisten. Damit
können wir, Deutschland, innerhalb ganz Europas eine
Vorbildfunktion wahrnehmen.
Eine weitere Nachfrage stellt die Kollegin Kerstin
Griese.
Herr Minister, ich frage zu den Themen „Bekämpfung von Armut“ und „Bekämpfung von Arbeitslosigkeit“ nach. In der Tat ist es das Ziel der Strategie „Europa 2020“, dass 75 Prozent der Bevölkerung im Alter
von 20 bis 64 Jahren in Arbeit sind und dass die Zahl der
von Armut betroffenen Personen europaweit um 20 Millionen sinkt. Mir stellt sich die Frage, warum sich die
Bundesregierung allein auf das Thema Langzeitarbeitslosigkeit konzentriert und nicht einen umfassenden Begriff von Armutsbekämpfung wählt.
Ich frage Sie auch, ob Sie mit Ihrer Einschätzung
nicht falsch liegen. Die Arbeitslosigkeit ist insgesamt
gesunken. Das freut uns alle. Auch wir sind der Ansicht,
dass das viel mit dem zu tun hat, was sozialdemokratische Minister in den letzten Jahren gemacht haben. Die
Langzeitarbeitslosigkeit sinkt aber nicht. Da haben wir
immer noch ein erhebliches Problem. Daher ist es eher
schwierig, Instrumente der Arbeitsmarktförderung zu
streichen, die gerade Langzeitarbeitslosen eine Integration ermöglichen.
In diesem Zusammenhang frage ich Sie auch, ob Sie
meinen, dass die Einführung des Betreuungsgeldes dem
Ziel der Strategie „Europa 2020“, nämlich Beschäftigung zu fördern und damit auch Frauen zu motivieren,
möglichst zügig in den Beruf zurückzukehren, dienlich
ist und ob sie diesem Ziel nicht eher zuwiderläuft. Sie
wissen, dass die EU-Kommission das Betreuungsgeld
als nicht förderlich kritisiert hat.
Sie haben das Wort, Herr Minister.
Unbestritten ist, dass nicht nur diese Bundesregierung, sondern auch die vorherige Bundesregierung Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ergriffen
hat. Ich kann mich klar dazu bekennen, dass die
Agenda 2010, die unter sozialdemokratischer Kanzlerschaft beschlossen wurde, jetzt Wirkung auf dem Arbeitsmarkt zeigt. Ich würde mir wünschen, dass die Sozialdemokraten genauso vehement für die mit der
Agenda 2010 verbundenen Ziele und Maßnahmen eintreten. Ihrer Frage entnehme ich - so will ich das einmal
wahrnehmen -, dass Sie dahinterstehen.
Zu Ihrer Frage zum Betreuungsgeld. Ich habe eingangs erwähnt, dass wir ein klares Ziel verfolgen: Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ich hoffe sehr, dass
dieses Ziel bei der konkreten Ausgestaltung eines Gesetzentwurfs zum Betreuungsgeld zumindest nicht geschwächt wird - so will ich das einmal sagen -; denn es
handelt sich an dieser Stelle ja um eine andere Zielsetzung: Es geht darum, Wahlfreiheit für die Eltern zu
schaffen. Ich sage noch einmal: Das Ziel der besseren
Vereinbarkeit von Familie und Beruf darf dadurch nicht
negativ beeinflusst werden.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege
Dr. Rossmann.
Herr Minister, eine Erkenntnis aus den vorliegenden
Berichten und Strategien ist, dass die Binnennachfrage,
die durch ausreichende Löhne und Einkommen abgesichert wird, sehr wichtig ist. Deshalb an dieser Stelle die
Frage an Sie: Wann wird diese Bundesregierung einen
abgestimmten Gesetzentwurf zu Mindestlöhnen vorlegen, damit wir diesbezüglich nachholen können, was in
anderen europäischen Ländern als Teil dieser Strategie
schon lange selbstverständlich ist und womit in anderen
europäischen Ländern eine gute Wirkung erzielt wurde?
Bitte, Herr Minister.
Herr Abgeordneter, in anderen Ländern gibt es in der
Tat Mindestlöhne. Ich möchte aber darauf hinweisen,
dass diese Länder bezogen auf Wachstum und Wachstumserfolge nicht so erfolgreich sind wie Deutschland.
Trotzdem haben Sie recht: Die Wachstumsprognose von
0,7 Prozent wird rein rechnerisch zu 100 Prozent auf die
Binnennachfrage zurückgeführt. Die stärkere Binnennachfrage geht mit einem hohen Beschäftigungsaufbau
Hand in Hand. Mit dem Beschäftigungsaufbau ist eine
größere Lohnsumme verbunden, und damit wiederum
sind weitere konjunkturelle Effekte im Bereich der Binnennachfrage verbunden. Insofern sehe ich dies vollkommen unabhängig von der Frage des Mindestlohns,
die Sie angesprochen haben. Es ist vonseiten der Bundesregierung nicht geplant, einen gesetzlichen flächendeckenden, einheitlichen Mindestlohn auf den Weg zu
bringen.
Die nächste Frage zu diesem Themenbereich stellt der
Kollege Dr. Martin Neumann.
Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte eine Frage
zur aktuellen Situation stellen. Das Kabinett hat heute
die Eckwerte des Bundeshaushalts 2013 und des Finanzplans für die Jahre 2012 bis 2016 beschlossen. Müssen
angesichts der ambitionierten Vorhaben im Rahmen des
Aktionsprogramms 2012 für den Euro-Plus-Pakt nicht
auch die Eckwerte in gewisser Art und Weise angepasst
werden?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, in der Tat gehört die
haushalterische Stabilität mit zu unserem Programm, zu
dem Programm des Euro-Plus-Paktes, aber auch zu unserem eigenen Aktionsprogramm. Die Eckwerte unterstreichen die solide Haushaltsführung dieser Bundesregierung, dieser Regierungskoalition. Wir liegen
deutlich unter den Vorgaben der Schuldenbremse im
Grundgesetz. Wir halten aber nicht nur die Vorgaben der
Schuldenbremse ein, sondern unterschreiten auch unsere
eigenen Vorgaben in der mittelfristigen Finanzplanung;
wir unterschreiten die Vorgaben jeweils um 4 bis 5 Milliarden Euro. Das ist zum einen der soliden Haushaltsführung zu verdanken, zum anderen aber auch dem enormen Wachstum in den letzten beiden Jahren und dem
starken, guten Wachstum in diesem Jahr; dieses darf
gerne noch besser werden. Die Eckwerte müssen also
nicht angepasst werden. Im Gegenteil: Sie sind Ausdruck der Gesamtstrategie, die sich im Nationalen Reformprogramm 2012 widerspiegelt.
Danke, Herr Minister. - Eine weitere Nachfrage zu
diesem Themenbereich stellt der Kollege Duin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich
glaube, wir sind uns darüber einig, dass zu einer erfolgreichen Politik für den Wirtschaftsstandort Deutschland
gehört, dass wir unser Augenmerk auf die Kreditversorgung richten, dass wir mit unseren politischen MaßnahGarrelt Duin
men dafür Sorge tragen, dass die Kreditversorgung sichergestellt ist.
Ein kleines, aber doch wichtiges Instrument dabei
sind die Bürgschaftsbanken. Die Bürgschaftsbanken hatten in der Krise die Möglichkeit, im Rahmen von Eigenvergabe etwas zu tun. Sie hatten einen größeren Spielraum und konnten Kredite in einer Höhe von bis zu
2 Millionen Euro absichern. Dies ist dann auf Kredite
von bis zu 1 Million Euro zurückgefahren worden. Das
Thema Eigenvergabe wurde ganz abgehakt.
Ihr Haus ist gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium zurzeit in Verhandlungen darüber, dies möglicherweise wieder zu verändern. Wie ist Ihre Position
dazu? Sehen Sie es nicht auch so, dass es leicht wäre,
diesen Handlungsspielraum wieder zu erweitern? Dies
wäre vor allem im Sinne kleiner und mittelständischer
Unternehmen.
Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
Sie haben gesagt, dass wir uns in Verhandlungen befinden. Grundsätzlich ist, glaube ich, unbestritten, dass wir
es gerade kleinen und mittelständischen Unternehmen
leicht machen müssen, an Kredite zu kommen, damit sie
sich unternehmerisch vergrößern können. Wir müssen
auch den unternehmerischen Einstieg erleichtern. Es
geht also um unternehmerisches Wachstum.
Wir sind nicht nur bezüglich der Frage der Bürgschaftsbanken in Gesprächen. Wir sind auch mit der
Europäischen Kommission in Gesprächen; denn wir verfolgen immer das Ziel, dass es möglichst einfach sein
soll, Kredite an den Mittelstand auszugeben. Wir diskutieren zum Beispiel über Basel III; da muss es aus unserer Sicht gerade für kleinere Banken andere Vorgaben
geben als für große Geschäftsbanken. Das ist die Lesart
auch meines Hauses. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist, dass wir versuchen, hier noch
einmal zu verhandeln. Der Parlamentarische Staatssekretär Burgbacher versucht, im Namen der Bundesregierung auf europäischer Ebene in den Gremien zu Basel III
zu erreichen, dass die Risikogewichtung für den Mittelstand verbessert wird. Wie gesagt: Die Kreditvergabe ist
wesentlich, wenn es um Wachstumschancen unserer Unternehmen geht.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Rossmann.
Herr Minister, weil Sie ja für die ganze Bundesregierung sprechen, wollte ich bezüglich der Haltung der
Bundesregierung zur Mindestlohndebatte nachfragen.
Habe ich richtig verstanden, dass Sie eben gesagt haben,
dass von dieser Bundesregierung kein Vorschlag ins Parlament eingebracht werden wird, durch den wir in
Deutschland den Anschluss an Mindestlohnregelungen
anderer europäischer Länder finden können, sei es über
einen Gesetzentwurf zur Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns, sei es über einen Kommissionsvorschlag
oder anderes? Präzise nachgefragt: Sagen Sie für die
Bundesregierung, dass es in dieser Legislaturperiode
keine Gesetzesinitiative zum Thema Mindestlohn geben
wird?
Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
ich möchte darauf hinweisen, dass es in der Regierungsbefragung um die heutige Kabinettssitzung geht. Dort
war dies überraschenderweise kein Thema. Ich möchte
festhalten: Mir sind keine gemeinsamen Planungen hinsichtlich eines Gesetzentwurfs zur Einführung eines flächendeckenden, einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns
bekannt.
Das Wort zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege
Garrelt Duin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, heute
Morgen im Wirtschaftsausschuss hatten wir Vertreter der
BDA zu Gast. Es ist noch einmal sehr deutlich geworden, dass die BDA gemeinsam mit dem DGB an der
Forderung nach einer gesetzlichen Regelung für die
Tarifeinheit festhält. Hat die Bundesregierung die Absicht, eine entsprechende Vorlage zu machen? Die Äußerungen der Bundeskanzlerin am vergangenen Wochenende, als sie mit Vertretern aller Spitzenverbände
zusammen war, lassen das möglicherweise erkennen.
Wie ist der Stand der Dinge?
Sie haben das Wort zur Beantwortung.
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, es gab vor
genau einem Jahr nach den entsprechenden Gerichtsurteilen eine Diskussion über das Thema Tarifeinheit.
Mehrere Modelle wurden diskutiert. Die Gespräche wurden dann aber eingestellt, nachdem Verdi zumindest eine
Zeit lang aus der gemeinsamen DGB-Initiative ausgestiegen war. Aufgrund der Ereignisse im letzten Monat
sind die Gespräche zwischen den betroffenen Ressorts
Justiz, Arbeit und Wirtschaft wieder aufgenommen worden. Diese Gespräche sind bisher nicht abgeschlossen.
Danke, Herr Minister. - Weitere Fragen zu diesem
Themenbereich liegen mir nicht vor.
Vizepräsidentin Petra Pau
Der Kollege Volker Beck hat das Wort zu einer Frage
zur heutigen Kabinettssitzung oder darüber hinaus.
Ich habe eine Frage an das Bundesministerium der Finanzen. Ich hoffe, dass Herr Kampeter anwesend ist.
({0})
Ich lese dazu aus der Website liberale.de vor:
Bis das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich
2013 in dieser Frage
- also der Einkommensteuer bei der Lebenspartnerschaft endgültig entscheidet, wollen Bund und die Steuerverwaltung der Länder homosexuellen Lebenspartnerschaften bei der Inanspruchnahme des steuerlichen Ehegattensplittings vorläufigen Rechtsschutz
gewähren.
({1})
Der designierte FDP-Generalsekretär Patrick Döring
sieht darin eine „kluge und praktikable Entscheidung“ der Steuerverwaltungen, Anträgen gleichgeschlechtlicher Paare auf Ehegattensplitting vorläufig
stattzugeben.
Die Bundesregierung hat mir letzte Woche auf eine
schriftliche Frage zu diesem Thema geantwortet, das
Bundesfinanzministerium wolle gegen diese Einigung
der Länder Einspruch einlegen. Ich möchte die Bundesregierung fragen, wie der Stand der Willensbildung der
Bundesregierung in dieser Frage ist, ob die Einigung der
Länder, die Herr Döring bejubelt hat, jetzt so durchgeht
oder ob tatsächlich Einspruch eingelegt wird - wenn ja,
wann - bzw. schon eingelegt wurde.
Das ist zwar keine Frage zur Kabinettssitzung; aber es
gibt die Rubrik „Sonstige Fragen an die Bundesregierung“. - Wie ich sehe, kann und möchte die Bundesregierung darauf antworten. Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich freue mich über die weite Auslegung der Geschäftsordnung, Frau Präsidentin.
({0})
Ich möchte die Frage dahin gehend beantworten, Herr
Kollege, dass Ihnen gegenüber der eben erfolgten
schriftlichen Beantwortung der Frage noch kein neues
Meinungsbild der Bundesregierung mitgeteilt werden
kann. Sollte sich das ändern, werde ich unaufgefordert
auf Sie zukommen.
({1})
Wir sind hier nicht im Dialog, Kollege Beck.
({0})
- Sie wissen: Das können Sie an gegebener Stelle monieren und sich beschweren, wenn Sie durch die Art der
Beantwortung durch die Bundesregierung beschwert
sind.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/9001 Ich rufe die mündlichen Fragen in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Kerstin Tack auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um dafür
zu sorgen, dass die Bestimmungen zu den obligatorischen Beratungsprotokollen bei Finanzprodukten künftig eingehalten
werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Danke, Frau Präsidentin. - Verehrte Frau Tack, im
Wertpapierhandelsgesetz ist bereits vorgesehen, dass im
Rahmen der jährlichen Prüfung der Verhaltensregeln,
§ 36 Wertpapierhandelsgesetz, vom Prüfer auf die Einhaltung der Vorgaben für Beratungsprotokolle zu achten
ist. Über festgestellte Mängel hat der Prüfer die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, zu informieren. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht geht möglichen Verstößen gegen die Vorgaben
für Beratungsprotokolle kontinuierlich nach. Derzeit
gibt es zehn Bußgeldverfahren wegen möglicher Verstöße gegen die Vorgaben für Beratungsprotokolle. In
zwei Fällen wurden Bußgeldbescheide erlassen, die
allerdings noch nicht rechtskräftig sind. Mit Einführung
des Beraterregisters ab dem 1. November dieses Jahres
wird die BaFin zusätzliche Hinweise auf Mängel bei der
Anlageberatung erhalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär, herzlichen
Dank. - Meine erste Nachfrage bezieht sich auf die
diversen Untersuchungen, die ergeben haben, dass sowohl die Produktinformationsblätter wie auch die Beratungsprotokolle nicht den Standards entsprechen und
dringend einer Vereinheitlichung bedürfen. Die BaFin
fordert die Bundesregierung geradezu auf, zu handeln.
Ich möchte wissen: Plant die Bundesregierung, hier etwas zu regeln?
Ja, Bundesministerin Aigner hat die Verbände der
Kreditwirtschaft, Verbraucher- und Anlegerschutzorganisationen sowie die BaFin zu einem Runden Tisch am
22. März dieses Jahres zum Thema Produktinformationsblatt für Wertpapiere und Beratungsdokumentation
eingeladen; dort werden auch diese Mängel besprochen.
Außerdem hat die Bundesregierung auf Initiative der
Frau Bundesministerin beschlossen, die Stiftung Warentest ab 2013 mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von
1,5 Millionen Euro auszustatten, damit Finanzprodukte
und ihr Vertrieb überprüft und die Verbraucher informiert werden können.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich entnehme Ihrer Antwort, dass Sie wohl reden
wollen, aber nicht handeln wollen. Das ist interessant zu
hören.
Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf die Aussagen von Frau Aigner zu den verdeckten Testkäufen, die
die BaFin im Rahmen der Kontrollen durchführen soll.
Ich möchte gerne wissen, wann dies geschieht.
Frau Kollegin Tack, Ihren Vorwurf muss ich zurückweisen. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, mit welchen sehr wirksamen Mitteln die BaFin in der Lage ist,
für die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen zu sorgen. Aus eigener früherer Erfahrung weiß ich, dass auch
Vorstände auf entsprechende Hinweise sehr sensibel reagieren.
Zu der zweiten Nachfrage möchte ich Ihnen hier zur
Kenntnis geben, dass wir den Einsatz verdeckter Testkäufer für verfassungsrechtlich bedenklich halten. Die
Bundesregierung prüft die rechtliche Zulässigkeit.
Ich weise noch einmal auf das hin, was ich vorhin
gesagt habe: Die vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten
sind sehr effizient. Ich bitte einmal, die Geduld zu
haben, die Wirkung dessen abzuwarten.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Tack auf:
Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die teilweise deutlich überhöhten Dispositions- und
Überziehungszinsen einheitlich zu senken?
Sie haben das Wort, Herr Staatssekretär.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrte Frau
Tack, es bestehen bereits rechtliche Anforderungen an
die Bemessung des Zinssatzes. Die Banken können die
Zinsen nicht nach Belieben verändern. Verwenden sie
vertragliche Zinsanpassungsklauseln, dann müssen sie
bei einer erheblichen Veränderung der Refinanzierungsbedingungen, zum Beispiel einer Änderung der Leitzinssätze, den Zinssatz neu festsetzen, also auch Zinsermäßigungen vornehmen. Hierbei ist der Grundsatz der
Anpassungssymmetrie zu beachten. Bei Erhöhungen und
Senkungen müssen die gleichen Bedingungen gelten.
Ergänzend wurden die Banken durch das Gesetz zur
Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie im Jahre
2009 dazu verpflichtet, die Art und Weise der Anpassung des Sollzinssatzes in der vorvertraglichen Information und im Kreditvertrag anzugeben.
Darüber hinaus hat das Bundesverbraucherministerium das Institut für Finanzdienstleistungen mit einer
wissenschaftlichen Studie zu Dispozinsen und Ratenkrediten beauftragt. Die Ergebnisse werden noch vor der
Sommerpause erwartet. In der Studie werden sowohl die
Faktenlage hinsichtlich der Dispozinsen und rechtliche
Fragen wie die Modalitäten der Zinsanpassung als auch
verbraucherpolitische Aspekte untersucht. Die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen der Stiftung Warentest
zeugen von großen Unterschieden beim Zinsniveau, aber
auch von einem vielfältigen Angebot, das den Verbrauchern zur Verfügung steht, sodass sie auch die Möglichkeit haben, auszuwählen.
Ihre erste Nachfrage.
Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär, das ist insbesondere deshalb interessant, weil die Verbraucherministerin am 8. Februar 2012 in der Bild-Zeitung die Banken
sehr ausdrücklich aufgefordert hat, die Zinssenkungen
weiterzugeben, von denen sie selbst profitieren. Sie hat
angemahnt, dass es hier einen dringenden Handlungsbedarf gibt, und gesagt, dass sie sich dieser Sache annehmen will. Wie erklären Sie sich bei dem, was Sie der geneigten Öffentlichkeit eben kundgetan haben, diese Aussagen der Ministerin?
Die Ministerin hat es sich zum Ziel gesetzt, den Verbrauchern unterstützend zur Seite zu stehen, wenn sich
ein Fehlverhalten einiger zeigt. In diesem Sinne ist zu
verstehen, dass sie die entsprechenden Institute mit öf19812
fentlichem Druck anmahnt, verbraucherfreundlich zu
handeln. Mehr als ein Appell ist das nicht; aber auch ein
solcher hat, wie wir wissen, nicht selten Wirkung.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Wir gehen bei Frau Aigner in der Regel auch nicht
von mehr als einem Appell aus. Wir wissen ja, dass in
der Regel nicht wesentlich mehr folgt.
Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf die Stiftung
Warentest. In den vergangenen Jahren haben Sie ja die
Mittel für die Stiftung um 3 Millionen Euro gekürzt. Sie
geben ihr jetzt 1,5 Millionen Euro wieder und verkaufen
das als großen Wurf. Ich möchte gerne wissen, was die
Stiftung Warentest mit den von Ihnen zur Verfügung gestellten 1,5 Millionen Euro jetzt zusätzlich machen soll.
Wird neben der Prüfung der Finanzprodukte, die Sie ja
als Finanz-TÜV verkaufen, auch die Ausgestaltung der
Bankverträge Teil dieses neuen Auftrags der Stiftung
Warentest sein?
Die Mittel, die die Bundesregierung der Stiftung Warentest erfreulicherweise und auf unsere Anregung hin
zusätzlich zur Verfügung gestellt hat, sollen dazu verwendet werden, insbesondere den Verbraucher in Kenntnis zu setzen, welche Dienstleistungsangebote welche
Konditionen und welche Folgen haben. Mit dieser Beratung wird sicher auch erreicht, dass sich die Marktbeteiligten um ein hohes Qualitätsniveau bemühen und dass
diejenigen Produkte, die vielleicht nicht von vornherein
das nötige Maß an Transparenz aufweisen, entsprechend
bewertet und damit gekennzeichnet werden können.
Wir kommen damit zur Frage 3 der Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß:
Wie groß war beim Empfang der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Rahmen
der Grünen Woche am 26. Januar 2012 die Menge der vom
Buffet übrig gebliebenen Lebensmittel, und welcher weiteren
Verwendung wurden diese Lebensmittel zugeführt, bei unterschiedlicher Verwendung bitte Auflistung?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Liebe Frau Elvira
Drobinski-Weiß, es freut mich, dass Sie sich für dieses
Thema so interessieren.
({0})
Es ist grundsätzlich anzumerken, dass für das
BMELV bei seinen Veranstaltungen zum einen der
Grundsatz der sparsamen Verwendung der bereitgestellten Haushaltsmittel und zum anderen die Verpflichtung
der Wertschätzung von Lebensmitteln gelten. Beides findet Anwendung bei der Mengenkalkulation des Speiseangebotes bei Empfängen und bei der Weiterverwendung der Speisen.
Der zuständige Caterer kalkulierte die Mengen des
Speiseangebotes bei dem Empfang vom 26. Januar dieses Jahres auf der Basis seines langjährigen gastronomischen Erfahrungsschatzes. Besonders zu berücksichtigen
ist, dass sein Unternehmen Mitglied der Jeunes Restaurateurs Deutschland ist und er sich damit der Wertschätzung von Lebensmitteln besonders verpflichtet fühlt.
Bei der weiteren Verwendung von Lebensmitteln, die
bei Empfängen, Buffets etc. nicht verzehrt wurden, ist
grundsätzlich zu beachten, dass präventiver Gesundheitsschutz von Menschen Vorrang vor einer weiteren
Verwertung übrig gebliebener Lebensmittel hat. Deshalb
kommt eine weitere Verwendung übrig gebliebener Lebensmittel für den menschlichen Konsum nur dann infrage, wenn sie hygienisch und sensorisch einwandfrei
sind. Bereits in Verkehr gebrachte Ware, das heißt solche, die schon auf Buffets eingesetzt war, darf aufgrund
der oben genannten Bestimmungen keiner weiteren Verwendung zugeführt werden.
Nicht verwendete gekühlte Ware, die sowohl hygienisch als auch sensorisch einwandfrei und im Verlaufe
des Empfangs noch nicht auf den Buffets eingesetzt war,
war an den Folgetagen des Empfangs Bestandteil des
Hallencaterings des BMELV-Standes. Im Übrigen,
glaube ich, sind Ihnen die Verfahrensweisen bekannt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke, Herr Staatssekretär Bleser. - Wenn ich mich
recht entsinne, ist von dem, was vor allen Dingen an
Speisen angeboten war, sehr viel übrig geblieben; das
sage ich, auch wenn ich nicht bis zum Ende des Abends
auf dem Empfang dabei war. Sie haben jetzt nicht explizit dargelegt, was dann mit dem Rest gemacht worden
ist. Ich bitte dazu noch einmal um eine ganz direkte und
konkrete Aussage.
Kann es sein, dass auch dann, wenn es sich um einen
angeblich erfahrenen Restaurateur handelt, möglicherweise von vornherein mit einer zu großen Menge pro angemeldeter Person gerechnet wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, ich
habe schon berichtet, dass es in der Einschätzung des
Caterers liegt, welche Mengen bei der genannten vermuteten Besucherzahl angeboten werden sollen. Das ist im
Vorhinein nicht immer kalkulierbar. Ich kann Ihnen aber
versichern, dass die auf dem Buffet verbliebenen Speisen im Anschluss den Ausstellern zur Verfügung gestellt
wurden und dass diese davon Gebrauch gemacht haben.
Ihre zweite Nachfrage.
Es ist weniger eine Nachfrage: Wenn das dann tatsächlich so ist, dann wäre der Lebensmittelrest einer vernünftigen Verwendung zugeführt worden.
({0})
Aber, wie gesagt, daran zweifle ich.
Gut, das war eine Feststellung.
Dann kommen wir zur Frage 4 der Kollegin
Drobinski-Weiß:
Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um bei
Empfängen und Veranstaltungen mit Verpflegung die Verschwendung von Lebensmitteln möglichst gering zu halten
und die dennoch übrig gebliebenen Lebensmittel einer sinnvollen und der Wertschätzung der „Mittel zum Leben“ entsprechenden Verwendung zuzuführen?
Sie haben das Wort, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin, die Bundesregierung ist bei einer Vielzahl von Anlässen in sehr kleinem bis hin zu sehr großem Rahmen Gastgeberin. Aus
dem Zuständigkeitsbereich des BMELV seien beispielhaft Messen und Ausstellungen, der Außenwirtschaftstag oder der Agrarministergipfel am Rande der Internationalen Grünen Woche genannt. Das Catering für solche
Veranstaltungen orientiert sich - natürlich unter Beachtung der jeweils verfügbaren Haushaltsmittel - in jedem
Fall an der Anzahl der zu erwartenden Gäste.
Bei Ausschreibungen und Vertragsabschlüssen werden die Vertragspartner zur Einhaltung der gesetzlichen
Bestimmungen zum gesundheitlichen Verbraucherschutz
verpflichtet, die aus hygienischen Gründen einer weiteren Verwendung von Buffetresten zur menschlichen Ernährung sehr enge Grenzen setzen; das habe ich vorhin
schon ausgeführt.
Die Bundesregierung wird an weiteren Verbesserungen in diesem Bereich arbeiten. Dazu gehört es, Veranstalter für angemessene Portionsgrößen zu sensibilisieren. Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass
auch die Verbraucher - die Gäste sind schließlich auch
Verbraucher - ihre Erwartungen, nämlich stets übervolle
Buffets vorzufinden, kritisch überprüfen müssen.
Zu den Maßnahmen, die im Rahmen des Tagungsmanagements des BMELV ergriffen werden, gehören neben
einer teilnehmergerechten Menüauswahl und möglichst
großer Flexibilität hinsichtlich der Menge auch eine
klare Ausschilderung der Speisen, die Vermeidung großer Portionen sowie in Einzelfällen gegebenenfalls auch
das Angebot der Mitnahme einzelner Speisen für die
Rückreise.
({0})
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Das sind ganz neue Aussichten. Dass die Verpackung
für das, was dann übrig bleibt, gleich mitgeliefert wird,
wäre eine tolle Sache, Herr Bleser.
Ich wollte jetzt noch fragen, welche Maßnahmen die
zuständige Ministerin tatsächlich ergreifen wird. Wenn
Sie aber zukünftig mit den verantwortlichen Caterern
vereinbaren, dass die angebotene Menge reduziert wird
- so habe ich Ihre Ausführungen verstanden -, dann bin
ich mit dieser Antwort zufrieden. Ich denke, wir werden
das Thema weiterverfolgen.
Vielen Dank.
Darin sind wir einig.
Gut. Der Herr Staatssekretär stellt fest, dass Sie an
dieser Stelle einig sind.
Die Frage 5 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian
Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Inge Höger auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den
genauen Inhalt der vom Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Thomas de Maizière, bei seiner Reise nach Pakistan abgeschlossenen Vereinbarung zur Rüstungskooperation mit der
pakistanischen Regierung und deren Streitkräfte, und wird angesichts der inneren und regionalen politischen Situation nach
Ansicht der Bundesregierung durch die vereinbarte Kooperation gegen das Verbot der Waffenlieferungen in Spannungsgebiete verstoßen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt:
Bei der kürzlich durch Minister de Maizière im Rahmen seines Besuchs in Pakistan unterzeichneten Verein19814
barung zur bilateralen Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich handelt es sich um eine Absprache
unterhalb der völkerrechtlichen Schwelle. Es ist ein sogenanntes Memorandum of Understanding, also eine
Absprache ohne völkerrechtlich verbindlichen Charakter. Inhaltlich umfasst sie alle Themenfelder der in den
vergangenen Jahren intensivierten bilateralen militärpolitischen und militärischen Kooperation, wobei Dialogforen auf Ebene der Inspekteure sowie die Teilnahme an
Lehrgängen und Ausbildungsprogrammen den Schwerpunkt bilden.
Der rüstungspolitische Anteil dieser Absprache beschränkt sich auf die im Antiterrorkampf notwendigen
Bereiche, wie es darin heißt. Alle Maßnahmen wirken
im Bereich Good Governance und zielen verstärkt auf
die Rolle der pakistanischen Streitkräfte in der Demokratie. Die Absprache - das möchte ich sehr unterstreichen - bezieht sich ausdrücklich nicht auf die jeweiligen
nationalen Regelungen für Rüstungsexporte - ich darf in
diesem Zusammenhang ergänzen: neben den nationalen
sind natürlich auch die europäischen Regelungen für
Rüstungsexporte zu beachten - und lässt insbesondere
die Notwendigkeit von gegebenenfalls zu treffenden
Einzelfallentscheidungen über konkrete Vorhaben unberührt.
Insofern sieht das Memorandum of Understanding ein
Angebot zum Austausch vor; es stellt aber keine Veränderung der rechtlichen Lage im Hinblick auf Rüstungszusammenarbeit fest.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollegin
Höger.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Laut Agenturmeldungen sind eine vertiefte Kooperation der Streitkräfte
beider Länder etwa bei der Terrorismusbekämpfung, regelmäßige Stabstreffen, die Teilnahme pakistanischer
Offiziere an Lehrgängen und gegenseitige Manöverbeobachtung geplant. Ich habe folgende Nachfrage: Gab es
schon bisher derartige Kooperationen und, wenn ja, in
welchem Umfang, oder sind neue Kooperationen geplant? Wie ist es um die gegenseitige Teilnahme an Manövern bestellt?
Es handelt sich um einen Gesprächsaustausch - darüber spreche ich hier - und nicht um die Teilnahme an
Manövern. Es hat bereits Kontakte gegeben, die mit dem
besagten Memorandum of Understanding zusammengeführt werden sollen. Wir haben schon bisher die pakistanischen Streitkräfte unterstützt. Wir haben Ende 2010/
Anfang 2011 Ausstattungshilfe geleistet. Wir haben 24
geländegängige Ambulanzfahrzeuge sowie eine HNOAusstattung geliefert.
Zukünftig sind - Sie haben die Agenturmeldungen zitiert - Ausbildungsmaßnahmen vorgesehen. Ich bin im
Augenblick nicht in der Lage, Ihnen zu benennen, wie
viele Angehörige der pakistanischen Streitkräfte beispielsweise an einem ausländischen Generalstabslehrgang bereits teilgenommen haben. Ich möchte Ihnen das
gerne schriftlich nachreichen. Ich gehe eigentlich davon
aus, dass eine solche Zusammenarbeit bereits erfolgt ist.
Gedacht ist darüber hinaus - konkret zur Anfrage - an
eine Überlassung von aus der Bundeswehr auszusondernden Hubschraubern vom Typ Bo 105 zum Zweck
des Verwundetentransports. Dabei ist angeregt worden,
dass wir den pakistanischen Bedarf feststellen und die
Rahmenbedingungen definieren - das alles befindet sich
noch in einem sehr frühen Stadium -, und das alles natürlich - darauf lege ich Wert - unter Beachtung der Regularien, die auf solche Maßnahmen angewendet werden
müssen.
Bevor Sie das Wort zur zweiten Nachfrage bekommen, Kollegin Höger, mache ich noch einmal alle Beteiligten darauf aufmerksam, dass wir uns darauf verständigt haben - darin haben wir in den letzten Wochen auch
eine gewisse Praxis erworben -, dass die Antwort auf die
erste Frage zwei Minuten dauern darf und dass die folgenden Fragen wie auch die folgenden Antworten jeweils eine Minute in Anspruch nehmen sollen. Zur Unterstützung gibt es ein Lichtsignal, an dem ablesbar ist,
wie weit man sein Zeitkontingent schon aufgebraucht
hat. Spätestens wenn es rot aufleuchtet, sind wir im Minusbereich.
Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär Schmidt, die USA und die NATO
sprechen im Zusammenhang mit dem Krieg in Afghanistan häufig von AfPak, also der Region Afghanistan und
Pakistan. Jetzt gibt es konkrete Überlegungen über einen
Abzug aus Afghanistan. Inwieweit hängen die nun getroffenen Vereinbarungen mit Afghanistan damit zusammen, dass man die Grenzregion für den Abzug nutzen
kann? Inwieweit kommt man der pakistanischen Regierung entgegen, obwohl es sich eigentlich um Lieferungen in ein Spannungsgebiet handelt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, ich nehme Ihren Hinweis nicht nur
zur Kenntnis, sondern werde ihn zukünftig auch berücksichtigen. Ich werde mir Zurückhaltung auferlegen,
wenn es rot aufleuchtet.
Verehrte Kollegin, bei der Thematik, die Sie angesprochen haben, geht es darum, dass wir den Abzug, also
die Rückführung, im Wesentlichen über den Norden
- genauso wie bisher die Zuführung von Material - organisieren. Wie Sie wissen, haben wir mit den benachbarten Ländern und der Russischen Föderation ein
Abkommen über schienengebundenen Transport abgeschlossen. Wir haben in Masar-i-Scharif einen leistungsParl. Staatssekretär Christian Schmidt
fähigen NATO-Flughafen, der auch Lufttransporte
zulässt. Eine Kooperation im Hinblick auf die Rückführung von Gütern, Material und Personal bei Beendigung
oder Reduzierung des ISAF-Einsatzes stand daher nicht
im Mittelpunkt der erwähnten Gespräche und ist auch
nicht Gegenstand des Memorandum of Understanding.
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Dr. Rolf
Mützenich.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie haben mich zu der Frage, die ich Ihnen stellen
möchte, veranlasst. Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder gehört, dass der Verteidigungsminister im Zusammenhang mit der Bundeswehrreform angeblich der deutschen Rüstungsindustrie
zugesagt hat, im Ausland stärker für deutsche Rüstungsgüter zu werben. Kann ich davon ausgehen, dass der
Verteidigungsminister in Zukunft bei derartigen Gesprächen mit ausländischen Besuchern und insbesondere
dann, wenn er Auslandsreisen unternimmt, diese Zusage
einhalten wird, oder würden Sie sagen, dass diese Meldungen nicht stimmen?
Sie haben das Wort, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, das, worauf Sie Bezug genommen haben, bewegt sich im Rahmen dessen, was rechtlich erlaubt ist. Der Bundesminister der Verteidigung ist ein
zufriedener Kunde der deutschen wehrtechnischen Industrie, jedenfalls in den allermeisten Fällen; er ist kein
Handlungsreisender in Sachen Wehrtechnik.
Eine weitere Nachfrage stellt die Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann.
Zurück zu Pakistan. Sie haben über ausgesonderte
Hubschrauber der Bundeswehr gesprochen. Welche weiteren Rüstungsgüter sind zur Lieferung nach Pakistan
vorgesehen?
Frau Kollegin, dieses Thema war in der Tat Gesprächsgegenstand. Es geht um auszusondernde, gegenwärtig noch im Gebrauch der Bundeswehr befindliche
Hubschrauber. Das zeigt, dass perspektivisch darüber
nachgedacht wird. Weitere Themen zur Ausgestaltung
des MoU wurden nicht angesprochen.
Der Kollege Grund hat eine weitere Nachfrage und
bekommt dazu das Wort.
Vielen Dank. - Ich würde gerne auf die Thematik des
Abzugs der internationalen Streitkräfte aus Afghanistan
- möglicher Termin 2014 - zurückkommen und auf die
Verantwortung, die die Bundesrepublik für den Norden
Afghanistans hat, und zwar nicht nur für die Kräfte der
Bundeswehr, sondern als Führungsnation auch für andere Staaten, die dort mit ihren Soldaten und ihrer Ausrüstung vertreten sind. Nach dem, was ich gehört habe,
beläuft sich allein die Zahl der Container, die dort aufgebaut worden sind, auf ungefähr 120 000. Hinzu kommen
mehrere Tausend, vielleicht 20 000 Fahrzeuge, die im
Falle des Abzugs zurückgeführt werden müssten.
Wenn diese Zahlen stimmen, würde das bedeuten,
dass ab jetzt pro Stunde drei bis vier Container zurückgeholt werden müssten, um 2014 mit dem Abzug fertig
zu sein. Gibt es dafür eine konzeptionelle Planung?
Stimmt die Information, dass die Länder, durch die gegebenenfalls Eisenbahntransporte geführt werden müssten,
also die angrenzenden zentralasiatischen Staaten, die
Entgelte zur Nutzung dieser Strecken erhöht haben, sodass zusätzliche Belastungen auf uns zukommen?
Herr Staatssekretär.
Sehr geehrter Herr Kollege Grund, es werden gegenwärtig Konzeptionen erarbeitet, um den zeitlichen und
personellen Umfang, der für die Rückabwicklung und
den Transport nötig ist, zu bewerten. Das gilt nicht nur
für die Bundeswehr, sondern für alle ISAF-Kräfte auf
jeweils nationaler Ebene. Es werden sich sicher da oder
dort Kooperationen ergeben.
Die Frage, wer wohin in welchem Rahmen transportiert, ist noch nicht abschließend geklärt. Ich bedanke
mich für den mit Ihrer Frage verbundenen Hinweis, dass
man diese Aufgabe nicht leichtnehmen darf. Die Vorstellung, das sei in ein paar Wochen zu erledigen, ist völlig
daneben. Das ist eine monumentale Aufgabe. Wer die
Zeltstadt bzw. das Feldlager Masar-i-Scharif einmal besichtigt hat, kann sich einen Eindruck davon machen.
Wir arbeiten an einer abgestimmten Konzeption.
Die Frage 7 des Kollegen Nouripour und die Frage 8
der Kollegin Keul werden schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums der Verteidigung. - Herzlichen
Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 der Kollegin Petra Crone auf:
Aus welchem Grund lädt die Bundesregierung keine Bundestagsabgeordneten zum Meinungsaustausch zwischen dem
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Vizepräsidentin Petra Pau
und den Verbänden über das Eckpunktepapier zur Vorbereitung des Entwurfs eines neuen Pflegeberufsgesetzes?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, ich will darauf gerne
antworten. Im März 2010 ist eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit dem Ziel eingesetzt worden, Eckpunkte für
ein neues Pflegeberufsgesetz zu erarbeiten. Die AG hat
aus zwölf Personen bestanden, und zwar aus je zwei Vertretern des Bundesfamilienministeriums und des BMG
und aus je vier Vertretern, die von der Arbeits- und Sozialministerkonferenz und der Gesundheitsministerkonferenz benannt wurden.
Die Aufgabe dieser Bund-Länder-Kommission war
es, Eckpunkte vorzubereiten, Erfahrungen aus Modellvorhaben auszuwerten und mit Experten einen Meinungsaustausch zu pflegen, um zu Ergebnissen zu kommen, wie ein solches Gesetz aussehen könnte. Deswegen
sind zu der Veranstaltung am 19. März 2012 zunächst
einmal Fachleute aus dem Vorfeld der Politik eingeladen
worden.
Wenn dieser Diskussionsprozess abgeschlossen ist,
wird der politische Entscheidungsprozess eingeleitet und
ein Referentenentwurf für ein neues Pflegeberufsgesetz
erarbeitet. Es ist völlig selbstverständlich, dass dabei die
Abgeordneten intensiv eingebunden werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Kues, wann ist vorgesehen, die Parlamentarier mit einzubeziehen?
Ich habe ja gesagt, dass die Eckpunkte jetzt feststehen
und wir zuletzt eine Veranstaltung am 19. März 2012,
also in dieser Woche, hatten, die noch auszuwerten sein
wird. Dann werden wir auch parlamentarisch darüber zu
reden haben.
Ihre zweite Nachfrage.
Inwieweit wurden Verbände, Gewerkschaften, Träger
usw. mit einbezogen?
Sie sind mit einbezogen worden. Zunächst einmal
sind je vier Vertreter der Arbeits- und Sozialministerkonferenz und der Gesundheitsministerkonferenz mit einbezogen worden. Außerdem sind die für die Ausbildung in
der Pflege zuständigen Experten, die verschiedene Modellvorhaben aus mehreren Ländern ausgewertet haben,
mit einbezogen worden, um einen fachlichen Hintergrund zu bekommen.
Eine weitere Nachfrage hat der Kollege Grübel.
Herr Staatssekretär, wird die Berufsanerkennungsrichtlinie der Europäischen Union noch abgewartet, und
wer ist federführend?
Die Berufsanerkennungsrichtlinie der Europäischen
Union muss natürlich abgewartet werden, was die Konsequenzen angeht. Sie wird in die Überlegungen mit einbezogen. In dem Eckpunktepapier ist das, was in der
Berufsanerkennungsrichtlinie gefordert wird, bereits
thematisiert worden.
Federführend werden beide Ressorts sein. Wir hatten
bislang die Regelung, dass BMFSFJ und BMG gemeinsam die Federführung übernehmen.
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Petra Crone auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass in
den Beratungen zu den Eckpunkten die europäische Berufsanerkennungsrichtlinie ignoriert und keine Finanzierungslösung zwischen Bund und Ländern abgestimmt wurde?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Es gilt auch hier das, was ich zu Ihrer ersten Frage gesagt habe. Wir hatten eine Bund-Länder-Kommission,
die auf Fachebene gearbeitet hat. Das, was in der Frage
formuliert wird, nämlich dass die Berufsanerkennungsrichtlinie ignoriert worden sei, stimmt nicht. Die Berufsanerkennungsrichtlinie ist in den Eckpunkten berücksichtigt worden; dazu ist etwas gesagt worden.
Es ist auch etwas zu den möglichen Finanzierungsvarianten der neuen Pflegeausbildung, zur Aufteilung der
Finanzierung zwischen Bund und Ländern, gesagt worden. Ich glaube, es ist nachvollziehbar, dass die Arbeitsgruppe dazu keine Festlegungen getroffen hat. Das muss
politisch entschieden werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Gab es denn Differenzen zwischen Bund und Ländern
zum Thema Finanzierung, und, wenn ja, wie weit lag
man auseinander?
Sie können selbst erahnen, dass diese groß sind. Die
Länder hätten es natürlich am liebsten, wenn der Bund
alles bezahlt. Das kann aber nicht angehen, weil es hier
eine Zuständigkeit der Länder gibt. Man wird sich im
weiteren Verfahren über eine entsprechende Lösung verständigen müssen.
Ihre zweite Nachfrage.
Sie sprachen von einem Gesetzentwurf, Herr Staatssekretär. Wann ist mit der Vorlage zu rechnen?
Ich gehe davon aus, dass wir im Laufe des Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen werden.
({0})
- Im Laufe dieses Jahres.
Die Fragen 11 und 12 der Kollegin Christel Humme
werden schriftlich beantwortet wie auch die Frage 13 des
Abgeordneten Heinz Paula. Auch die Fragen 14 und 15
des Kollegen Sönke Rix sollen schriftlich beantwortet
werden, ebenfalls die Fragen 16 und 17 der Kollegin
Özoğuz.
Wir kommen damit zur Frage 18 des Kollegen Volker
Beck:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, wonach die Nichtduldung
schwuler Schützenpaare durch den Bund der Historischen
Deutschen Schützenbruderschaften e. V. ein Signal der Intoleranz ist, und teilt die Bundesregierung die Bedenken der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, ob die Satzungsänderung
des Vereins mit dem Diskriminierungsverbot wegen sexueller
Identität ({0}) im Einklang steht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Beck, dazu gibt es
eine öffentliche Stellungnahme seitens der Leiterin der
Antidiskriminierungsstelle, die auch wir den Medien
entnommen haben. Die Bundesregierung gibt zu dieser
ersten Einschätzung der Antidiskriminierungsstelle
keine Stellungnahme ab. Die Antidiskriminierungsstelle
wird sich damit auseinandersetzen. Sie ist unabhängig.
Es ist ihre Aufgabe, sich dazu zu positionieren und zu
sagen, wie sie das Ganze rechtlich einschätzt, ob dieses
Vorgehen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstößt. Dann werden auch wir uns dazu eine
Meinung bilden.
Ihre erste Nachfrage.
Dass die Bundesregierung keine Auffassung hat,
finde ich etwas ungewöhnlich. § 18 des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes regelt ja, dass die Mitgliedschaft oder Mitwirkung in Vereinigungen, „deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören oder
die eine überragende Machtstellung im wirtschaftlichen
oder sozialen Bereich“ - das wäre ja hier einschlägig innehaben, diskriminierungsfrei zu erfolgen hat.
Würden Sie mit mir übereinstimmen, dass das Verbot
schwuler Schützenkönigspaare - das klingt vielleicht lächerlich, aber diese Verbände haben 400 000 Mitglieder;
das ist also keine Marginalie - eine mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität nach dem AGG darstellt?
Herr Beck, ich bitte um Verständnis, dass wir erst abwarten, bis die Antidiskriminierungsstelle überprüft hat,
ob die Satzungsänderung gegen das Gesetz verstößt, und
sich dazu öffentlich positioniert hat. Dazu kann ich persönlich eine Meinung haben. Es ist aber, wie ich finde,
richtig, dass sich die Antidiskriminierungsstelle - wir
hatten ja eine unabhängige Stelle gewollt - eine Meinung bildet und auch entsprechend aktiv wird.
Ihre zweite Nachfrage.
Also ist sozusagen Auffassung der Bundesregierung,
dass sie keine eigenen Kompetenzen mehr im Bereich
der Antidiskriminierungspolitik hat, weil diese auf die
Antidiskriminierungsstelle übergegangen sind? So verhält es sich, glaube ich, rechtlich nicht. Sie müssten eigentlich eine Rechtsauffassung haben und diese auch
dem Parlament gegenüber darlegen.
Herr Beck, Sie haben gerade das Gesetz sehr präzise
zitiert. Ich kann das nur bestätigen.
({0})
Ich denke aber, Sie wissen auch, dass wir gemeinsam
aus guten Gründen die Regelung getroffen haben, dass
die Antidiskriminierungsstelle unabhängig arbeiten soll.
Ich fände es etwas unangemessen, wenn die Bundesregierung, bevor hierzu eine Stellungnahme im Einzelnen abgegeben wird, auch im Hinblick auf die Satzung
des Schützenwesens, eine Position beziehen würde. Sie
wird jedoch eine Position beziehen, und Sie haben viel19818
leicht meinen Bemerkungen entnommen, dass ich persönlich dazu auch eine Position habe.
Die Fragen 19 und 20 des Kollegen Siegmund
Ehrmann werden schriftlich beantwortet wie auch die
Frage 21 der Kollegin Tabea Rößner. Die Fragen 22 und
23 der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer werden
ebenfalls schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Frage 24 des Kollegen
Harald Weinberg wird schriftlich beantwortet.
Damit sind wir im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Jan Mücke zur Verfügung.
Die Fragen 25 und 26 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter
werden schriftlich beantwortet wie auch die Frage 27 der
Kollegin Dorothea Steiner sowie die Fragen 28 und 29
des Kollegen Gustav Herzog.
Ich rufe die Frage 30 der Kollegin Karin Roth auf:
Ist es richtig, dass der Ausbau der Neckarschleusen für
135 Meter lange Schiffe bis Plochingen von der Zusage der
Landesregierung Baden-Württemberg, weiterhin zu dem Projekt zu stehen, abhängig ist, so wie es der Abgeordnete
Markus Grübel erklärt hat, indem er behauptet ({0}): „Ramsauer habe erklärt, die Voraussetzung dafür sei ein klares Bekenntnis der Landesregierung zum Ausbau bis Plochingen“, und, wenn ja, ist damit die
Ankündigung von Bundesminister Dr. Peter Ramsauer hinfällig, den Neckarschleusenausbau nur bis Heilbronn zu finanzieren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Kollegin Roth,
die Antwort lautet: Es ist richtig, dass ein klares Bekenntnis der Landesregierung zum Ausbau des Neckars
bis Plochingen eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung für ein solches Projekt ist, auch
weil weitere Rahmenbedingungen, wie beispielsweise
die Finanzierbarkeit, erfüllt sein müssen. Die Spielräume
für Investitionen in Bundeswasserstraßen sind begrenzt.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Das ist ja schon
lange bekannt. Mein Kollege Grübel, der heute auch hier
ist, hat aber in einer Pressemitteilung behauptet, dass der
Ausbau nur davon abhängt, dass die Landesregierung
sich zu diesem Projekt bekennt. Er hat gesagt, dass er
dem Herrn Minister Ramsauer das Projekt ans Herz gelegt hat. Das ist fein. Dann hat er allerdings hinzugefügt
- ich zitiere -: Voraussetzung dafür ist ein klares Bekenntnis der Landesregierung zum Ausbau bis Plochingen.
Das ist von der Landesregierung mehrmals erfolgt,
sowohl vom Minister als auch von den Koalitionsfraktionen. Jetzt frage ich mich: Drückt sich Herr Ramsauer
so schlecht aus, dass mein Kollege Grübel ihn missverstehen muss, oder ist es vielleicht so, dass die Antwort
des Ministers davon abhängt, wer fragt? Ich frage Sie
jetzt noch einmal: Beabsichtigt die Bundesregierung, so
wie es in dem Vertrag des Bundes mit dem Land BadenWürttemberg vorgesehen ist, die Neckarschleusen bis
2025 bis Plochingen auszubauen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Diese Frage möchte ich sehr gerne beantworten.
Selbstverständlich hat sich Herr Bundesminister
Dr. Ramsauer sehr klar ausgedrückt,
({0})
so wie er das immer tut. Daran habe ich gar keinen
Zweifel.
Die Antwort wurde schon mehrfach gegeben. Sie fragen ja relativ häufig in der Fragestunde nach diesem Projekt; auch ich selber hatte schon häufiger die Ehre, Ihnen
Ihre Fragen dazu zu beantworten.
Der Bund steht zu der Zusage, dass wir auch den
Neckarabschnitt zwischen Stuttgart und Plochingen ertüchtigen. Wir wissen, dass das mit Blick auf die Bundeswasserstraßen in Baden-Württemberg ein wichtiges
Projekt ist. Aber klar ist auch: Es werden Prioritäten gesetzt. Deshalb habe ich vorhin gesagt, dass beispielsweise die Finanzierbarkeit eine notwendige Voraussetzung für einen solchen Ausbau ist. Nach den gesetzten
Prioritäten müssen zunächst andere Strecken, auch entlang des Neckars, ausgebaut werden. Dazu gehört, wie
Sie wissen, die Strecke zwischen Mannheim und Heilbronn. Diese ist für uns von größter Wichtigkeit. Ich
gehe davon aus, dass wir zu gegebener Zeit, auch was
den Ausbau der Schleusen bis Plochingen angeht, zu einem Ergebnis kommen werden.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, es ist kein Wunder, dass ich nachfrage; denn ich habe damals gemeinsam mit dem Staatssekretär Köberle als Staatssekretärin im zuständigen
Bundesverkehrsministerium diese Vereinbarung geschlossen. Deshalb weiß ich auch, wie die Planungen
aussehen und was vonseiten des Bundes zugesichert
worden ist. Mich ärgert nur, dass im Land immer der
Eindruck erweckt wird, es liege an der Landesregierung,
dass diese Investitionen nicht geplant werden - übrigens
natürlich in den Ausbau von Heilbronn bis Plochingen,
Karin Roth ({0})
nicht nur von Stuttgart bis Plochingen. In Bezug auf die
Planungen - und wir reden nicht über Planungen bis
2013/14, sondern bis 2025 - kann der Herr Ramsauer
dem Herrn Grübel nicht sagen, die grün-rote Landesregierung müsse sich dazu bekennen, wenn nicht einmal
Sie hier heute bekennen, dass die Planungen weiterhin so
bestehen, wie sie im Vertrag vorgesehen sind. Ich frage
Sie jetzt noch einmal - deshalb bin ich heute hier -: Ist
das, was Herr Ramsauer gegenüber Herrn Grübel gesagt
hat, richtig oder nicht?
Wie ich schon sagte: Alles, was Herr Minister
Ramsauer zu diesem Thema geäußert hat, ist selbstverständlich richtig.
({0})
Sie wissen, dass wir gemeinsam vereinbart haben, dass
die Landesregierung von Baden-Württemberg auch die
Planungen mit unterstützen soll. Diese Unterstützung
muss natürlich gegeben werden, ansonsten werden wir
nicht zu einer Investitionsentscheidung kommen.
Wenn klar ist, dass die Landesregierung von BadenWürttemberg dieses Projekt unterstützt und gemeinsam
mit der Wasserstraßenverwaltung auch die Planungen
mit vorantreibt, dann wird es möglich sein, diese Strecke
auszubauen. Aber ich verweise noch einmal darauf, dass
einige andere Bedingungen ebenfalls erfüllt sein müssen. Ich nenne unter anderem die Möglichkeit der Finanzierung im Rahmen der uns vom Haushaltsgesetzgeber
zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel.
Ihre Nachfragemöglichkeiten sind erschöpft.
Die Frage 31 der Kollegin Cornelia Behm wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Bartol auf. - Der
Kollege Bartol ist offensichtlich nicht anwesend. Dann
verfahren wir bei den Fragen 32 und 33 so, wie in unserer Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Frage 34 des Kollegen Stephan Kühn wird
schriftlich beantwortet wie auch die Frage 35 des Kollegen Dr. Ilja Seifert.
Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Manfred Nink
auf. - Auch dieser ist nicht mehr anwesend. Wir verfahren also bei den Fragen 36 und 37 so, wie in unserer Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Fragen 38 und 39 der Kollegin Sylvia KottingUhl werden schriftlich beantwortet wie auch die Fragen 40 und 41 des Kollegen Hans-Josef Fell und die Fragen 42 und 43 des Kollegen Oliver Krischer.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung.
Die Fragen 44 und 45 der Kollegin Marianne Schieder
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 46 des Kollegen Brase auf:
Versendet das Bundesministerium für Bildung und Forschung Informationskurzbriefe zu Projektförderungen bzw.
Projektsteckbriefe, und, falls ja, werden diese Briefe erst nach
dem Beschluss über eine Förderung oder bereits im Vorfeld
einer Förderzusage an Wahlkreisabgeordnete verschickt?
Herr Staatssekretär Rachel, Sie haben das Wort zur
Beantwortung.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Brase,
ich kann Ihnen auf Ihre Frage antworten, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Abgeordneten des Bundestages grundsätzlich nicht vorab, sondern nach einer Bewilligung informiert.
({0})
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage. - Sie
verzichten?
({0})
Dann kommen wir zur Frage 47 des Kollegen Brase:
Wie viele dieser Projektsteckbriefe an Mitglieder des
Deutschen Bundestages werden durchschnittlich pro Woche
versandt, und wie viele Vollzeitstellenäquivalente entsprechen
dem Arbeitsaufwand für das Verfassen und Versenden dieser
Briefe?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrter Herr Kollege Brase, mit Maßnahmen
der Projektförderung setzt das BMBF den Regierungsauftrag der Koalitionsfraktionen um. Seit Frühjahr 2009
informiert das BMBF über besondere Vorhaben in Wahlkreisen, nachdem sie - das ist ein Bezug auf die vorherige Frage - bewilligt worden sind. Diese Information
über besondere Vorhaben im Bereich der Projektförderung ist ein letztlich kleiner Teil der umfassenden
Kommunikation, die wir als Ministerium im parlamentarischen Raum anbieten und für die insgesamt eine angemessene Stellenausstattung zur Verfügung steht.
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage. - Sie verzichten. Aber der Kollege Beck hat eine Nachfrage dazu.
Ich möchte nur wissen, welche Abgeordnete Sie bei
einem bewilligten Projekt informieren. Sind das alle Abgeordnete, die in dem jeweiligen Wahlkreis kandidiert
haben? Oder informieren Sie grundsätzlich alle Abgeordnete aller Fraktionen, die in der Nähe des Wahlkrei19820
Volker Beck ({0})
ses wohnen? Oder informieren Sie nur Abgeordnete der
Koalition in dem jeweiligen Wahlkreis?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Beck,
das Verfahren ist wie folgt: Nach der Bewilligung von
Projektförderungen haben grundsätzlich alle Abgeordneten aller Fraktionen die Möglichkeit, sich über die Projektbewilligungen zu informieren. Dafür steht im Internet eine umfangreiche Datenbank zur Verfügung. Man
findet sie unter der Adresse www.foerderkatalog.de. Sie
ermöglicht allen Abgeordneten, egal welcher Fraktion
oder welcher regionalen Herkunft, sich über sämtliche
Projekte einzelner Bundesministerien, auch des BMBF,
zu informieren. Auf dieser Seite erhält man Informationen über die Förderung in den Städten und Gemeinden
und über die Empfänger. Darüber hinaus ist im April
2009 vereinbart worden, über Projektsteckbriefe genauere Informationen zu geben, weil es diesen Wunsch aus
der damaligen Regierungskoalition gab. Diesem Anliegen wurde Rechnung getragen. Diejenigen, die danach
gefragt haben, haben stets entsprechende Informationen
erhalten.
Zudem informieren wir auch die Landesregierungen
über große Projekte, soweit sie regional betroffen sind.
Dies geschieht natürlich unabhängig von der Zusammensetzung der jeweiligen Landesregierung. Das Kriterium hierfür ist, ob ein großes Projekt in ihrem Umfeld,
zum Beispiel ein Spitzencluster, erfolgreich war.
Der Kollege Albert Rupprecht hat ebenfalls eine
Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, dass das
Ministerium Fragen vonseiten der Parlamentarier beantwortet. Wir, die Unionsfraktion, haben zu Beginn der
Legislaturperiode formuliert, dass wir es, neben der
Möglichkeit, die Informationen im Internet einsehen zu
können, für angemessen halten würden, eine schriftliche
Information zu bekommen, wenn in unseren Wahlkreisen Fördermaßnahmen bewilligt wurden. Meine Frage
an Sie ist: Haben Herr Brase und auch der Haushaltsberichterstatter der SPD, der Kollege Hagemann, die dieses
Prozedere zum Thema machen, den Wunsch an das
Ministerium geäußert, über Projektfördermaßnahmen in
ihren Wahlkreisen schriftlich informiert zu werden?
Herr Kollege Rupprecht, es ist tatsächlich so: Wir erhalten eine Vielzahl von Fragen von Abgeordneten aus
den verschiedenen Fraktionen. Wir bemühen uns, sie
umgehend zu beantworten. Bei Herrn Brase - das wird
er mir nachsehen - habe ich das nicht im Kopf. Bei
Herrn Hagemann kann ich mich noch erinnern. Herr
Hagemann hat zu den in seinem Wahlkreis geförderten
Projekten eine Anfrage gestellt. Sie bezog sich auf die
Förderungen in seinem Wahlkreis und in einem Nachbarwahlkreis, die im Jahre 2010 erfolgt sind. Er hat
24 Stunden später eine ausführliche Zusammenstellung
der gesamten Projekte erhalten. Auch sonst ist er jemand, der intensiv nachfragt. Allein im Jahr 2011 haben
wir 57 Anfragen vom Abgeordneten Hagemann bekommen, die sich in 150 Einzelfragen aufgeteilt haben, die
die Beamtinnen und Beamten des Ministeriums selbstverständlich gerne und ausführlich beantwortet haben.
Danke, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 48 und 49 des Kollegen Michael Gerdes
werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 50 und 51
des Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann werden ebenfalls schriftlich beantwortet wie auch die Frage 52 des
Kollegen Klaus Hagemann.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches
und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Burgbacher zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 53 der Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann auf:
Welche konkreten preissenkenden Wirkungen bei Benzin
und Diesel erwartet die Bundesregierung durch die Umsetzung der am 4. März 2012 im Koalitionsausschuss beschlossenen, auf mehr Wettbewerb orientierten Änderung des
Kartellrechts, und erwägt die Bundesregierung weitere Maßnahmen wie zum Beispiel Veränderungen bei der Pendlerpauschale, um eine transparente und sozial gerechte Preisgestaltung von Benzin und Diesel zu erreichen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrte Kollegin
Enkelmann, mit der 8. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist geplant, das Verbot der sogenannten Preis-Kosten-Schere dauerhaft gesetzlich zu
verankern. Danach dürfen zum Beispiel marktmächtige
Mineralölunternehmen ihren mittelständischen Konkurrenten nicht länger Kraftstoffe zu einem höheren Preis
liefern als zu dem, den sie selbst an ihren eigenen Tankstellen von den Endverbrauchern verlangen. Das Verbot
erfüllt im Mineralölsektor eine ganz wichtige Funktion:
Es verhindert unbillige Behinderungen kleiner und mittelständischer Unternehmen und stärkt damit den Wettbewerb.
Sie haben auch nach der Entfernungspauschale gefragt. Die Entfernungspauschale ist eine verkehrsmittelunabhängige Pauschale, die der Gesetzgeber losgelöst
von den tatsächlichen Kosten in haushaltspolitisch vertretbarem Umfang festgelegt hat. Das heißt: Unabhängig
davon, wie der Arbeitnehmer den Weg zu seiner regelmäßigen Arbeitsstätte zurücklegt - zu Fuß, mit dem
Fahrrad, den öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem
Pkw -, kann er 30 Cent je Entfernungskilometer als
Werbungskosten ansetzen. Zwischen der Höhe der Benzinpreise und der Höhe der Entfernungspauschale besteht somit keine unmittelbare Verknüpfung.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Kollege Burgbacher, ich hoffe, Sie können die
Leute verstehen, die jetzt an die Tankstellen fahren und
aufgrund der Preise mit Tränen in den Augen tanken.
Die Preise, die sie dort zu zahlen haben, sind bald nicht
mehr vermittelbar.
Das Verbot, von dem Sie gesprochen haben, hilft offenkundig nicht. Mir liegt eine ganz aktuelle Meldung
vor, die heute um 13.59 Uhr eingegangen ist: Eine Studie aus Hamburg belegt, dass in den letzten Jahren nicht
die Bindung an die Rohölpreise zu den hohen Benzinpreisen geführt hat, sondern das Streben der Ölkonzerne
nach Gewinnmaximierung. Insofern gibt es sehr wohl
gesetzlichen Handlungsbedarf. Sehen Sie diesen gesetzlichen Handlungsbedarf, und wenn ja, wie will die Regierung diesen Bedarf ausfüllen?
Frau Kollegin Enkelmann, Sie wissen, dass sich das
Bundeskartellamt sehr intensiv mit diesem Problem beschäftigt hat. Darüber wurde im Wirtschaftsausschuss
ausführlich diskutiert. Die Gründe sind vielfältiger Natur. Hierzu gehören politische Unsicherheiten ebenso
wie der Euro-Dollar-Wechselkurs. Ich habe Ihnen gesagt: Wir werden mit der 8. GWB-Novelle Änderungen
vornehmen. Auch mir tränen die Augen, wenn ich an der
Tankstelle bin.
({0})
Ich sehe das Problem; es macht aber überhaupt keinen
Sinn, jetzt irgendwelche Schnellschüsse abzufeuern. Das
Bundeskartellamt beschäftigt sich mit der Angelegenheit, ebenso das Ministerium. Wir wissen selbstverständlich, dass die Energiekosten insgesamt für unsere Wirtschaft ein ganz wesentlicher Faktor sind.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Lieber Kollege Burgbacher, wir beobachten diese
Preisentwicklung seit Monaten. Hier geht es nicht um
Schnellschüsse. In den letzten drei Monaten ist der Preis
für Superbenzin im Schnitt um 11,3 Cent pro Liter gestiegen, aber nur 6,6 Cent davon beruhen tatsächlich auf
gesteigerten Rohölpreisen. Ist das für die Regierung kein
Grund zum Handeln?
Frau Kollegin Enkelmann, wir haben ja gehandelt,
und zwar mit der 8. GWB-Novelle. Damit schaffen wir
mehr Wettbewerb; denn das Problem ist, dass die mittelständischen Tankstellen, die Freien Tankstellen, benachteiligt sind.
({0})
Frau Kollegin Enkelmann!
Die Verhältnisse werden sich erst dann ändern, wenn
wir Wettbewerb in den Markt bekommen. Mit diesem
Problem beschäftigt sich das Kartellamt; auch wir beschäftigen uns damit. In diesem Zusammenhang gibt es
viele andere Vorschläge, beispielsweise das westaustralische oder das österreichische Modell. Wir haben aber inzwischen festgestellt, dass auch mit diesen Modellen
große Risiken verbunden sind. Wir handeln, aber wir
handeln verantwortlich.
({0})
Ich rufe die Frage 54 der Kollegin Karin Roth ({0}) auf. Da diese nicht anwesend ist, verfahren wir, wie
in unserer Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Fragen 55 und 56 des Kollegen Dr. h. c. Jürgen
Koppelin werden schriftlich beantwortet wie auch die
Fragen 57 und 58 des Kollegen Lars Klingbeil. - Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht die Staatsministerin im
Auswärtigen Amt Cornelia Pieper zur Verfügung. Die
Fragen 59 und 60 des Kollegen Dr. Rolf Mützenich sollen schriftlich beantwortet werden. Die Frage 61 des
Kollegen Hans-Christian Ströbele soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden wie auch die Frage 62 der Kollegin Heike Hänsel. Das gilt genauso für die Frage 63
des Kollegen Nouripour und die Fragen 64 und 65 des
Kollegen Koenigs. Die Fragen 66 und 67 der Kollegin
Dağdelen sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden
wie auch die Frage 68 der Kollegin Keul.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herzlichen Dank, Frau Staatsministerin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole
Schröder zur Verfügung.
Die Fragen 69 und 70 des Kollegen Hunko sollen
schriftlich beantwortet werden.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe die Frage 71 des Kollegen Volker Beck auf:
Wie - Zeitpunkt, Zahl, Parteiebene, welche der 19 Geheimdienste - wird die Abschaltung der V-Leute in der NPD
im Einzelnen vor sich gehen, und wie schätzt die Bundesregierung die Beweislage für einen NPD-Verbotsantrag bezüglich der Hürden in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte, tatsächliche Gefahr, ein?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Nach den Vorgaben des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 18. März 2003
… müssen die staatlichen Stellen rechtzeitig vor
dem Eingang des Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht - spätestens mit der öffentlichen
Bekanntmachung der Absicht, einen Antrag zu stellen - ihre Quellen in den Vorständen einer politischen Partei
- in Bund und Ländern „abgeschaltet“ haben …
Hierüber wird am 22. März 2012 auf einer Sondersitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und
-senatoren der Länder mit dem Bundesminister des Innern beraten.
Unabhängig davon sind die verfassungsrechtlichen
Anforderungen an ein erfolgreiches Parteiverbotsverfahren weiterhin hoch. Dies gilt insbesondere in Ansehung
der Nachweisführung betreffend die frühere Quellenlage
auf Vorstandsebene sowie hinsichtlich des Umgangs mit
Material, das möglicherweise quellenbelastet ist. Darüber hinaus sind die sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergebenden Anforderungen zu
beachten. Ein mögliches Verfahren muss daher mit großer Sorgfalt vorbereitet werden. Die Beweislage im Hinblick auf einen NPD-Verbotsantrag lässt sich erst nach
Durchführung und Bewertung einer Materialsammlung
konkret beurteilen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Meine erste Frage wäre zur Abschaltung von V-Leuten, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz oder von
einem der anderen beiden bundesdeutschen Dienste geführt werden. Mit welcher Position wird denn der Bundesinnenminister in die Innenministerkonferenz gehen?
Die Abschaltung von wie vielen V-Leuten, die der Bund
in den drei Geheimdiensten führt, wird er in diesen Gesprächen anbieten? In welcher Weise soll das im Einzelnen geschehen?
Sie haben das Wort.
Der Bundesinnenminister geht mit der Position in
diese Verhandlungen, dass auch die Dienste des Bundes
ihre Quellen auf Führungsebene der NPD abschalten.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich hatte etwas präziser gefragt, aber sei es drum.
Vielleicht haben deshalb heute so viele Leute keine Lust
auf eine mündliche Beantwortung. - Die zweite Frage ist
zu den hohen Hürden. Ich meine, das muss einem ernsthaft Sorge machen. Wenn man sich die Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu
Parteienverboten anschaut, dann sieht man, dass er verlangt, darzulegen, dass die zu verbietende Organisation
eine tatsächliche, aktuelle Gefährdung der demokratischen, rechtsstaatlichen Verhältnisse eines Landes darstellt. Sieht denn die Bundesregierung aufgrund des gegenwärtigen Erkenntnisstandes bei den eigenen Diensten
und aufgrund dessen, was sie im Bereich der Innenministerkonferenz diskutiert hat, gegenwärtig Anlass zu
der Annahme, man könne diese Hürde mit dieser Beweislage nehmen, oder würde die Bundesregierung sagen, man müsse hier weiter abwarten, bevor man sich zu
einem Verbotsantrag entschließt?
Sie haben das Wort zur Beantwortung.
Wir befinden uns im Hinblick auf die Erfolgsaussichten eines möglichen Verbotsverfahrens in der Prüfungsphase. Da muss genau das berücksichtigt werden, was
Sie eben gesagt haben: Es muss nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte plausible Beweise geben, dass die Partei ein hinreichendes, unmittelbar drohendes Risiko für die
Demokratie darstellt. Das ist eine noch höhere Hürde als
die, die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgibt. Das Bundesverfassungsgericht wird
selbstverständlich die Rechtsprechung des EGMR mitberücksichtigen müssen, weil wir Vertragsstaat sind.
Die Frage 72 des Kollegen Hans-Christian Ströbele
soll schriftlich beantwortet werden wie auch die
Frage 73 des Kollegen Klaus Ernst. - Herzlichen Dank,
Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 74 des Kollegen
Dr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet.
Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Frage 75 des Kollegen
Klaus Ernst soll schriftlich beantwortet werden.
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung
der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Hans-Joachim Fuchtel zur Verfügung. Die Fragen 76
und 77 des Kollegen Anton Schaaf werden schriftlich
beantwortet wie auch die Frage 78 der Kollegin Jutta
Krellmann.
Ich rufe die Frage 79 des Kollegen Markus Kurth auf:
Mit welcher Begründung hält die Bundesregierung die
Einlegung des Vorbehalts gegen das Europäische Fürsorgeabkommen im Dezember 2011 mit Art. 19 der Wiener Vertragsrechtskonvention vereinbar, wonach ein Vorbehalt dann
nicht angebracht werden kann, wenn dieser „mit Ziel und
Zweck des Vertrags unvereinbar ist“?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kurth, die Begründung ergibt sich
schlichtweg bereits aus dem Vertragstext, hier aus
Art. 16 Buchstabe b des Europäischen Fürsorgeabkommens. Die Möglichkeit nachträglicher Vorbehalte wegen
nationaler Rechtsänderung ist dort eindeutig beschrieben. Wenn Sie möchten, lese ich Ihnen das noch vor.
Wenn Sie das selber lesen möchten, dürfen Sie es selber
gerne einmal nachschlagen.
Möchten Sie eine Nachfrage stellen, oder soll ich den
Staatssekretär zum Verlesen auffordern?
Nein, ich kann das selber nachlesen. - Ich halte die
Antwort aber für nicht zufriedenstellend und möchte daher die Möglichkeit einer Nachfrage in Anspruch nehmen.
Herr Staatssekretär, natürlich ist es möglich, einen
Vorbehalt gegen bestimmte Regelungsbereiche einzulegen. Das ist in allen völkerrechtlichen Verträgen so geregelt. Aber wenn sich der Vorbehalt sozusagen gegen das
Kernanliegen des Vertrages richtet - in dem Fall geht es
um die Gewährung gegenseitigen Sozialschutzes -, dann
wird im Grunde genommen der gesamte Vertrag ausgehöhlt und somit in gewisser Weise sinnentleert. Genau
die Art von Vorbehalten, die sich gegen den Wesenskern
eines Abkommens richten, sind nicht möglich - zumindest nach der Wiener Vertragsrechtskonvention, die so
etwas wie die Geschäftsordnung der internationalen Verträge darstellt. Wie ist das also mit der Vereinbarkeit?
Wir stellen mit der von uns eingeleiteten Maßnahme
den Zustand wieder her, der zuvor in § 7 SGB II bereits
bestanden hatte. Hierzu gab es mehrere Entscheidungen
von Gerichten. In der Folge stellte man sich die Frage,
wie weiterzuverfahren ist. Man hat sich dann dafür entschieden, den Zustand, der zunächst von Gesetzes wegen
gewollt war, wiederherzustellen. Deshalb hat man die
entsprechende Maßnahme ergriffen. Wir können Ihrem
Vorhalt daher nicht folgen. Wir machen nichts anderes
als das, was vorher bereits geregelt war. Wir mussten nur
eine Runde durch den Gesetzesdschungel gehen, um
wieder das gleiche Ergebnis zu erreichen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Sie sprechen das an, was im Gesetz ursprünglich geregelt war und was Sie durch das Einlegen des Vorbehalts wiederherstellen. Aber es ist doch so: Das, was
durch das Gesetz ursprünglich geregelt worden war, ist
gemäß Bundessozialgericht mit dem Europäischen Fürsorgeabkommen nicht vereinbar. Das muss man einmal
festhalten. Ihre Antwort darauf ist nun, dass Sie das Abkommen faktisch außer Kraft setzen. Wäre es in diesem
Fall nicht ehrlicher oder direkter gewesen, das Europäische Fürsorgeabkommen aufzukündigen?
Ich kann Ihren Ausführungen nicht folgen. - Es gab
einen Rechtszustand, der durch die Gesetzgebung dieses
Parlaments herbeigeführt wurde. Durch Gerichtsentscheidungen hat er eine andere Wendung genommen.
Das ist aber reparabel. Jetzt wird wieder der Zustand
herbeigeführt, der zunächst bestanden hat. Dieses Fürsorgeabkommen enthält noch eine ganze Reihe von
sonstigen Vorschriften. Wir wollten wirklich nur die herausgreifen, die exakt diesen Punkt betreffen.
Ich rufe die Frage 80 des Kollegen Markus Kurth auf:
Auf welcher Rechtsgrundlage basiert die Annahme der
Bundesregierung, für Staatsangehörige der Vertragsstaaten
des Europäischen Fürsorgeabkommens kommen Leistungen
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Betracht, wenn sie
von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und
Sozialhilfe ausgeschlossen sind ({0})?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Soweit Staatsangehörige aus Vertragsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens aufgrund des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II
keine Leistungen nach dem SGB II erhalten, sind jedenfalls Leistungen im Rahmen der unabweisbaren Hilfe
analog § 1 a des Asylbewerberleistungsgesetzes denkbar. Die Begründung liegt darin, dass andernfalls die Betroffenen schlechter gestellt wären als Ausländer, die
nicht Staatsangehörige von Vertragsstaaten des EFA sind
und deren Einreise nur erfolgt ist, um Leistungen nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz zu beziehen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Das Asylbewerberleistungsgesetz nennt selber die
Leistungsvoraussetzungen, die gegeben sein müssen, um
das in Anspruch nehmen zu können. Arbeitsuchende aus
den europäischen Nachbarstaaten - oder in dem Fall aus
den Vertragsstaaten - finde ich jedenfalls nicht im Text
des Asylbewerberleistungsgesetzes. Können Sie noch
einmal genauer ausführen, worauf sich denn die Anspruchsgrundlage in dem Gesetz selbst bezieht?
Sie haben hier vielleicht das kleine Wort „analog“
überhört. Deswegen möchte ich es noch einmal hervorheben. Es gibt, wie Sie wissen, immer wieder Gesetzesauslegungen im Hinblick auf deren Anwendung auf vergleichbare Fälle. Deswegen wird hier die Analogie
benutzt.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Wie bewerten Sie denn vor diesem Hintergrund den
Vermerk des Berliner Sozialsenators - ich glaube, es ist
sogar eine Weisung -, der besagt, dass Leistungen nach
dem Sozialhilfegesetz bzw. nach dem SGB XII infrage
kämen?
Das können wir nicht ausschließen.
Die Fragen 81 und 82 der Kollegin Sabine
Zimmermann werden schriftlich beantwortet. - Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung des Bundestages bis
15.30 Uhr. Wir fahren um 15.30 Uhr mit der Aktuellen
Stunde zum Thema „Haltung der Bundesregierung zur
Verwendung der Überschüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung“ fort.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zur Verwendung der Überschüsse in der gesetzlichen
Krankenversicherung
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kollegen Karl Lauterbach für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Lage kurz zusammengefasst: Wir haben derzeit Überschüsse bei den Krankenkassen und im
Gesundheitsfonds nicht dank der so guten Arbeit der
Bundesregierung,
({0})
sondern dank der günstigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Diese günstige Entwicklung haben wir, um
das in Erinnerung zu rufen, den Arbeitsmarktreformen
von Gerhard Schröder, die in diesem Hause beschlossen
wurden,
({1})
und unserer gemeinsamen Arbeit in der Großen Koalition zu verdanken. Diese Entwicklung hat aber wenig
mit der derzeitigen Regierungsarbeit zu tun. Aufgrund
dieser günstigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die
zu deutlich mehr Vollzeitbeschäftigung geführt hat,
stehen die Krankenkassen dauerhaft wirtschaftlich besser da.
Die Krankenkassen erwirtschafteten Überschüsse in
Höhe von circa 10 Milliarden Euro. Im Gesundheitsfonds haben wir einen Überschuss von etwa 9 Milliarden Euro. Davon sind 3 Milliarden Euro Liquiditätsreserve, und 2 Milliarden Euro entfallen auf den
Bundeszuschuss für die Kopfprämien, die derzeit nicht
erhoben werden.
({2})
Das eigentliche Problem ist, dass die Regierung zum
jetzigen Zeitpunkt nicht weiß, was sie mit diesen Überschüssen machen soll.
({3})
Die Partei, die hier angekündigt hat, für mehr netto vom
Brutto zu sorgen,
({4})
tut nichts, Herr Brüderle, um diese Mittel den Bürgern
zukommen zu lassen.
({5})
Wir bringen in Erinnerung, dass Sie der Ärzteschaft und
der pharmazeutischen Industrie entgegengekommen
sind. Aber der Bürger bekommt einfach nichts. Man
muss sich das einmal vorstellen: Der Bürger bezahlt
einen Einheitsbeitragssatz, der auch noch zu hoch beDr. Karl Lauterbach
messen ist. Herr Brüderle, so etwas sollte man eigentlich
eher von den Kollegen von der Linkspartei erwarten.
Wozu brauchen wir 140 Krankenkassen, wenn ein Einheitsbeitragssatz genommen wird? Dieser Beitragssatz
ist wettbewerbsfrei und zu hoch. Diese Vorschläge passen zur äußersten linken Hälfte dieses Hauses.
({6})
Mit Wettbewerb hat das nichts zu tun.
Ich darf darauf hinweisen, dass der Ehrenvorsitzende
der FDP in Schleswig-Holstein, Jürgen Koppelin, derzeit
eine Unterschriftenaktion startet. Es wird gefordert, dass
wenigstens die Praxisgebühr abgeschafft wird.
({7})
Stellen Sie sich das einmal vor: Der Ehrenvorsitzende
der FDP in Schleswig-Holstein startet eine Unterschriftenaktion gegen den FDP-Minister Bahr und akklamiert
damit, wenn Sie so wollen, der Linkspartei.
({8})
Darf ich hier frei sprechen? - Das ist ein Armutszeugnis.
Weshalb machen Sie schlicht und ergreifend nicht, was
richtig ist? Sie wissen selbst, dass die Praxisgebühr
keine Steuerungswirkung hat. Sie ist fiskalisch nicht
wirksam, und sie ist bei Patienten und Ärzten unbeliebt.
({9})
- Sie ist von Horst Seehofer im Vermittlungsausschuss
im Rahmen der Reform von 2003/2004 eingebracht worden. Ich selbst war damals in der Landesvertretung
Baden-Württemberg zugegen, als er diese Vorschläge
eingebracht hat. Nicht jeder Vorschlag, der von Horst
Seehofer eingebracht wird, ist automatisch falsch, aber
das war ein Fehler.
({10})
Dieser Seehofer-Vorschlag wurde durchgesetzt. Diese
Maßnahme hat sich jetzt als falsch erwiesen, weil es
keine Steuerungswirkung gibt. Das haben wir damals
alle nicht gewusst.
({11})
Jetzt müssten Sie die Ehrlichkeit besitzen und dem
Ehrenvorsitzenden Jürgen Koppelin folgen, Herr Bahr,
und sagen: Das Ding muss weg!
({12})
Die Praxisgebühr hat sich nicht bewährt; niemand will
sie.
Wir brauchen eine echte Reform, die dazu führt, dass
die 140 Krankenkassen in einem Wettbewerb stehen.
Wir müssen den Einheitsbeitragssatz abschaffen. Die
Krankenkassen müssen hinsichtlich des Beitragssatzes
miteinander im Wettbewerb stehen. Wir müssen auch die
Zusatzbeiträge abschaffen. Wenn die Zusatzbeiträge
wegfallen würden, könnten Sie, Herr Bahr, die Versicherten sofort um 2 Milliarden Euro entlasten. Ein Sozialausgleich wäre dann auch nicht mehr notwendig.
Herr Brüderle, dies wären 2 Milliarden Euro Liquidität,
die Sie an den Bürger weitergeben könnten.
({13})
Ich wiederhole es, damit Sie es richtig verstehen: Weg
mit dem Zusatzbeitrag, den derzeit niemand will! Dann
könnten Sie auch sofort auf den Sozialausgleich für den
Zusatzbeitrag verzichten. Die Bürger hätten dann netto
2 Milliarden Euro mehr.
Dann sollten Sie auch noch die Praxisgebühr abschaffen. Dies würde zu einer Entlastung um 1,8 Milliarden
Euro führen. Das heißt, Sie könnten ohne Verlust an Versorgungsqualität und ohne Gefährdung der langfristigen
Liquidität der Kassen die Bürger sofort um fast 4 Milliarden Euro entlasten; dies hätte auch noch eine Entbürokratisierung zur Folge. Als ehemaligen Wirtschaftsminister müsste Sie das doch interessieren. Jetzt als
Fraktionsvorsitzender haben Sie die Kraft, auf Herrn
Bahr einzuwirken. Sie sind aber offensichtlich hoffnungslos zerstritten.
({14})
Ich höre, dass Sie als Fraktion uns im Prinzip gewogen
sind. Die Fraktion scheint für die Abschaffung der Praxisgebühr zu sein. Herr Bahr ist unentschieden, und die
CDU/CSU blockiert. Herr Koppelin führt eine Unterschriftenaktion durch.
({15})
Das ist ein Chaos ohne Ende. Das ist kein gutes Vorzeichen für die Endwahl, die Ihnen in NRW bevorsteht. Für
diese kann ich Ihnen nur viel Glück und gute Reise wünschen.
({16})
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({17})
Das Wort hat nun Johannes Singhammer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lauterbach, den meisten Menschen in
Deutschland sind christlich-liberale Überschüsse in der
gesetzlichen Krankenversicherung lieber als rot-grüne
Schulden.
({0})
Nichts könnte besser die erfolgreiche Arbeit dieser
Koalition dokumentieren als eine intensive Diskussion
darüber, was mit den Rücklagen geschehen soll. Dies ist
eine komfortable Debatte, geradezu eine Luxusdiskussion, die sich fundamental von dem Streit der letzten
Jahrzehnte unterscheidet, in dem es meistens darum
ging, wie Defizite, schwarze Löcher und hohe Risiken in
der gesetzlichen Krankenversicherung in den Griff bekommen werden können.
Es ist ein hart erarbeiteter Erfolg dieser Bundesregierung, der bei 70 Millionen Versicherten Vertrauen
schafft. Noch vor zwei Jahren drohte ein Defizit von
11 Milliarden Euro. Wir haben beispielsweise im
Pharmabereich konsequente Sparmaßnahmen ergriffen,
die nicht einfach waren. Alle unsere Sparpläne sind aufgegangen. Unsere geschickte Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik hat dazu geführt, dass die Einnahmen bei
den Sozialversicherungen sprudeln. Deshalb hat sich das
Blatt gewendet.
Wir diskutieren nicht mehr, wie vor zwei Jahren, über
11 Milliarden Euro Miese. Vielmehr diskutieren wir
heute darüber, wie wir mit mehr als 10 Milliarden Euro
Rücklagen bei den gesetzlichen Krankenversicherungen
und über 9,5 Milliarden Euro im Gesundheitsfonds umgehen. Das alles haben wir ohne Leistungskürzungen,
ohne höhere Eigenleistungen der Versicherten, ohne
Abstriche beim Leistungskatalog und ohne Rationierung
der medizinischen Leistungen - dies ist in anderen Ländern immer wieder zu beobachten - erreicht.
Jetzt sage ich: Lasst uns mit diesen Rücklagen sorgfältig umgehen, sie hegen und pflegen. Es wäre falsch,
jetzt folgende zwei Maßnahmen - über diese wird aktuell diskutiert - einzuleiten: zum einen den Ausgabenhahn aufzudrehen und zum anderen die Einnahmen zu
verringern. Ich warne - das betone ich - vor einer
Abschaffung der Praxisgebühr. Die Praxisgebühr entlastet die gesetzliche Krankenversicherung um 2 Milliarden
Euro im Jahr.
({1})
Auch eine Absenkung der Beiträge wäre sofort spürbar.
Allenfalls Rücklagen in Höhe von 2 Milliarden Euro für
den vorgesehenen Sozialausgleich sind verkraftbar.
Denn aller Voraussicht nach wird es in diesem Jahr mangels Zusatzbeiträgen keinen derartigen Sozialausgleich
geben.
Ich werbe dafür, dass wir die Kraft aufbringen, die
Rücklage, die wir jetzt haben - das ist eine einmalige
Chance -, als Reserve zu erhalten.
({2})
Bei der Pflege ist das gemeinsame Ziel aller Fraktionen
in diesem Hause, eine Rücklage anzulegen, da wir diese
aus demografischen Gründen brauchen, und zwar wegen
der Verschlechterung des Verhältnisses zwischen denjenigen, die arbeiten und Geld verdienen, und denjenigen,
die in Rente gehen. Deshalb, so meine ich, sollten wir
auch mit Blick auf die Krankenversicherung symmetrisch handeln. Der Überschuss beläuft sich auf insgesamt 9,5 Milliarden Euro. Da die gesetzliche Reserve
3 Milliarden Euro beträgt, und der Sozialausgleich, den
wir nicht brauchen, ein Volumen von circa 2 Milliarden
Euro hat, geht es im Kern um einen Betrag von etwa
4,5 Milliarden Euro. Wir sollten die einmalige Chance,
als Nukleus einer Vorsorgemaßnahme eine Rücklage zu
bilden, nutzen.
({3})
Was wir nicht brauchen, ist ein Zickzackkurs. Wir
dürfen nicht zunächst den Geldhahn aufdrehen und
dadurch die Finanzen wieder in eine schwierige Situation bringen, um dann erneut harte Sparmaßnahmen zu
ergreifen. Nein, wir wollen, dass die 70 Millionen
gesetzlich Versicherten in Zukunft keine Albträume haben müssen, sondern ruhig schlafen können, weil sie
wissen: Die Finanzierung dieses wichtigen Bereichs der
Sozialversicherung ist sicher, dauerhaft, nachhaltig und
zukunftsfest.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat nun Harald Weinberg für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Lauterbach,
der Einheitsbeitragssatz, von dem Sie gerade sprachen,
würde bei der von uns vorgeschlagenen solidarischen
Bürgerinnen- und Bürgerversicherung 10,5 Prozent betragen. Er wäre also rund 5 Prozentpunkte niedriger als
der jetzige Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung.
({0})
Das wäre in der Tat eine echte Reform und ein echter
Fortschritt.
({1})
70 Millionen Versicherte in diesem Land fragen sich:
Was wird mit den Überschüssen gemacht? Das Geld
- das ist schon gesagt worden - ist da. Man muss allerdings wissen, dass von den Rücklagen in Höhe von
20 Milliarden Euro 9 Milliarden Euro gesetzlich gebunden sind. Dieses Geld steht also nicht zur Verfügung.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, zu verfahren.
Warum nicht den Steuerzuschuss kürzen? Erst einmal
sollte man sich fragen: Wem gehört dieses Geld eigentlich? Nach unserer Auffassung gehört es ganz klar den
Versicherten, den Patientinnen und Patienten. Es gehört
nicht dem Finanzminister.
({2})
Das will ich begründen. Eigentlich besteht zwischen
uns allen Konsens, dass die Krankenkassen Leistungen
erbringen, die nicht zu den ursprünglichen Aufgaben der
gesetzlichen Krankenversicherung gehören, die also
nicht der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten
dienen. Diese Leistungen, zum Beispiel die kostenlose
Mitversicherung der Kinder, sind zweifellos sinnvoll.
Sie müssten aus Steuermitteln bezahlt werden.
Die Bundesregierung ist schon vor Jahren zu der Erkenntnis gelangt, dass dafür jährlich etwa 14 Milliarden
Euro aus der Staatskasse in den Gesundheitsfonds fließen müssen. Wenn ich mir nun anschaue, wie viel
Schäuble und seine Vorgänger tatsächlich gezahlt haben,
dann komme ich zu der mathematisch unstreitigen Erkenntnis, dass der Finanzminister zwar 2010 und 2011 in
Summe 3 Milliarden Euro zu viel gezahlt hat - die er
jetzt zurückhaben will -, dass er aber 2007, 2008 und
2009 insgesamt 29,8 Milliarden Euro zu wenig gezahlt
hat. Das macht im Saldo 26,8 Milliarden Euro, die Herr
Schäuble eigentlich im Soll ist - von den Vorjahren ganz
zu schweigen.
Wir brauchen einen verlässlichen Finanzminister, der
seine Verpflichtungen erfüllt, auch im Hinblick auf den
Gesundheitsfonds und die versicherungsfremden Leistungen. Wir brauchen aber keinen Finanzminister, der
sich an Versichertengeldern vergreift, weil er die Reichen bei der Besteuerung schonen will;
({3})
das ist das genaue Gegenteil einer soliden Finanzpolitik.
Wir brauchen auch keinen Gesundheitsminister, der das
mit sich machen lässt; das ist das Gegenteil einer soliden
Gesundheitspolitik.
Warum das Geld nicht als Reserve bei den Kassen
lassen? Diesen Vorschlag hat Herr Singhammer gerade
gemacht. Auf diese Frage kann man die einfache Antwort geben: Ein Teil des Geldes muss auf jeden Fall im
Fonds bzw. bei den Kassen bleiben, weil es als Rücklage
gesetzlich gebunden ist. Wie wir aktuell beobachten
können, unterliegt dieses Geld dann aber schnell dem
Zugriff des Finanzministers. Ich denke, man muss schon
naiv sein, zu glauben, dass er nicht spätestens im nächsten Jahr neue Ansprüche stellen wird. Insofern ist dies
mit Sicherheit nicht der richtige Weg.
Warum nicht den Beitragssatz senken? Es gibt andere,
vor allen Dingen bei der Union, aber auch bei den Grünen, die die Senkung des Beitragssatzes fordern. Das
klingt gut und danach, als würde man den Versicherten
das Geld zurückgeben. Aber das ist ja nicht so; denn erstens käme auf diesem Weg nur die Hälfte bei den Versicherten an. Die andere Hälfte käme bei den Arbeitgebern
an, obwohl sie jedes Jahr 9,5 Milliarden Euro weniger
einzahlen als die Beschäftigten, weil wir ja keine paritätische Finanzierung mehr haben. Zweitens hat SchwarzGelb 2010 die solidarische Finanzierung der Krankenversicherung auf den Kopf gestellt. Seitdem gilt: Je niedriger der allgemeine Beitragssatz ist, desto höher werden
künftig die Zusatzbeiträge, die Kopfprämien, ausfallen,
und die zahlen die Versicherten alleine.
Eine Beitragssenkung käme letztlich also in erster
Linie den Arbeitgebern zugute. Wenn man wirklich die
Beitragszahler entlasten will, dann muss man das Prinzip, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils die
Hälfte der Beiträge zahlen, wieder einführen. Es führt
kein Weg daran vorbei.
({4})
Was also tun? Unserer Meinung nach sollte man diejenigen, die in den letzten Jahren immer wieder mehr belastet wurden und ständig die Hauptlast von sogenannten
Gesundheitsreformen getragen haben, nämlich die Patientinnen und Patienten, jetzt entlasten. Nicht nur, dass
Leistungen gekürzt worden sind: Allein in den Jahren
seit 2004 haben die Patientinnen und Patienten zu den
bestehenden Leistungen zudem x Milliarden Euro an
Zuzahlungen und Praxisgebühr geleistet. Die Linke will,
dass dieses Abkassieren der Kranken ein Ende hat.
({5})
Deshalb fordern wir in einem Antrag, über den wir morgen debattieren, die Abschaffung der Praxisgebühr, und
wir werden sehen, wie sich die Einzelnen dazu verhalten.
Es freut mich sehr, dass SPD und Grüne nun auch
selbst Initiativen dafür ergriffen haben, die einst von ihnen eingeführte Praxisgebühr abzuschaffen. Ich gratuliere zu der späten Erkenntnis, dass diese Eintrittsgebühr
beim Arzt einer der vielen Fehler der Agenda 2010 war.
({6})
Es freut mich fast noch mehr, dass die FDP, aus welchem Grund auch immer, nun zum gleichen Ergebnis
kommt; denn zusammen mit der Linken, die die Praxisgebühr schon immer abgelehnt hat, hätten wir damit eine
Mehrheit im Bundestag.
({7})
Ich höre aber, dass Sie nicht zustimmen wollen.
({8})
Dazu möchte ich eines sagen - weil meine Redezeit
gerade abläuft, ist das auch fast mein letzter Satz -:
({9})
Es handelt sich bei dem Antrag auf Abschaffung der Praxisgebühr - das will ich Herrn Lotter noch einmal deutlich sagen - nicht um Klamauk. Ich finde vielmehr, Klamauk ist es, wenn man beim Landtagswahlkampf in
Schleswig-Holstein Unterschriften gegen die Praxisgebühr sammelt, hier in diesem Hause dann aber einem
Antrag, mit dem diese Abschaffung möglich werden
könnte, nicht zustimmt. Das ist Klamauk!
({10})
Noch besser wäre es, wenn alle Fraktionen unserem
weiteren Antrag, nämlich dem, die Zuzahlungen zurückzunehmen, ebenfalls zustimmen würden. Ich befürchte:
Leider wird das nicht der Fall werden.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun Christine Aschenberg-Dugnus für
die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich erinnere mich noch ganz genau an meine
erste Rede in diesem Hohen Hause. Das war im Dezember 2009; es ist ja noch nicht so lange her. Wir haben damals über eine Neuausrichtung des Gesundheitssystems
debattiert. Anlass dafür war unter anderem die Hinterlassenschaft jahrelanger sozialdemokratischer Gesundheitspolitik. Wir haben über ein drohendes Defizit in der
GKV von rund 10 Milliarden Euro debattiert, das uns
Ulla Schmidt hinterlassen hatte.
({0})
Liebe Freunde, heute sprechen wir über ein Milliardenplus im Gesundheitssystem. Also, ich freue mich über
die heutige Luxusdebatte.
({1})
Herzlichen Dank auch dafür, dass ausgerechnet Sie
von der SPD den Nachweis führen, dass schwarz-gelbe
Gesundheitspolitik genau das ist, was unserem Land so
lange gefehlt hat. Vielen Dank dafür!
({2})
Meine Damen und Herren, wir befinden uns in der
wirklich schönen Lage, den Versicherten endlich etwas
zurückgeben zu können, statt sie stärker an den Kosten
zu beteiligen.
({3})
All das Geld, das bei den Kassen liegt, gehört nicht irgendwelchen Ministerien oder Politikern,
({4})
nein, verantwortlich dafür, dass die Kassen gut gefüllt
sind, sind die Beitragszahler. Ihnen gehört dieses Geld.
Deshalb sind sie es auch, die jetzt profitieren müssen.
Genau darum wollen wir die Beitragszahler entlasten.
({5})
Es gibt unterschiedliche Ideen dafür, wie wir das machen können. Ich sage Ihnen hier auch ganz klar: Die
FDP will die Abschaffung der Praxisgebühr.
({6})
Die Praxisgebühr wurde seinerzeit von Rot-Grün eingeführt, um die Zahl der Praxisbesuche zu senken. Diese
Steuerungsfunktion hat die Praxisgebühr ganz offensichtlich nicht erfüllt.
Sicher, die Praxisgebühr entspricht rund 2 Milliarden
Euro zusätzlich. Aber das ist nur die halbe Wahrheit;
denn die Praxisgebühr verursacht allein in den Arztpraxen rund 360 Millionen Euro Kosten pro Jahr. Auch das
muss einmal gesagt werden.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, wissen Sie eigentlich, was Sie damals eingeführt haben?
({8})
Mancherorts hört man, einige Patienten würden die
10 Euro als Flatrate begreifen. Steuerungsfunktion
gleich null! Für die meisten Patienten in den Praxen vor
Ort ist die 10-Euro-Abgabe pro Quartal aber einfach nur
ein wiederkehrendes Ärgernis.
Schlimm kommt es auch für diejenigen, die sich von
der Praxisgebühr befreien lassen wollen. Sie müssen Belege sammeln, ihre Berechtigung zur Befreiung nachweisen und dann auf einen Bescheid warten. Wer die
Praxisgebühr zahlt, will sie natürlich auch als besondere
Belastung von der Steuer absetzen. Also noch mehr Bürokratie - dieses Mal beim Finanzamt!
({9})
Die Ärzte selbst müssen die Gebühr eintreiben. Übrigens habe ich nie begriffen, warum die Ärzte und nicht
die Kassen, denen die Gelder hinterher zufließen, die
Gebühr eintreiben müssen, Listen führen, wer bezahlt
hat und wer nicht, hinterhertelefonieren, Mahnverfahren
einleiten. Im Jahre 2010 waren es knapp 1,4 Millionen
Mahnverfahren, die durch die Ärzte eingeleitet wurden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, das ist
die Realität. Das ist das Ergebnis Ihrer Gesetzgebung.
({10})
So viel Bürokratie, ohne dass auch nur ansatzweise
der gewünschte Steuerungseffekt erzielt wurde! Diesem
Bürokratieaufwand wollen wir einen Riegel vorschieben. Bereits im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart,
„die Zahlung der Praxisgebühr in ein unbürokratisches
Erhebungsverfahren“ zu überführen.
({11})
Meine Damen und Herren, gibt es eine schönere Entbü-
rokratisierungsmaßnahme als die Abschaffung eines In-
strumentes, das sich a) in seiner Funktion nicht bewährt
hat und b) für alle Beteiligten einen erheblichen Bürokratieaufwand bedeutet?
({12})
Nein.
({13})
Deswegen plädiere ich ganz pragmatisch für die Abschaffung der Praxisgebühr.
({14})
Denn - schön, dass ich das einmal sagen kann - wir
können uns das leisten. Wir haben über die gesetzlich
vorgeschriebenen Rücklagen hinaus immer noch einen
ausreichenden Puffer. Das Gute an der Abschaffung der
Praxisgebühr ist nämlich: Diese Summe ist absolut kalkulierbar, und zwar ganz im Gegensatz zu einer auch
diskutierten Senkung der einkommensabhängigen Beiträge. Diese können wir weniger kalkulieren.
Die Abschaffung oder zumindest die Aussetzung der
Praxisgebühr ist die einzig logische Konsequenz aus der
derzeitigen Situation der Krankenkassen. So können wir
die Versicherten spürbar entlasten und allen Beteiligten
sehr viel Bürokratie ersparen.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat nun Birgitt Bender für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden
über Überschüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung. Woher kommen sie? Zum einen sind sie Folge der
guten Konjunktur, zum anderen Folge falscher Anreize,
die diese schwarz-gelbe Koalition gesetzt hat.
({0})
Es ist doch so: In diesem System und auch bei Ihnen
geht die Angst um, die Angst vor den Zusatzbeiträgen.
Zunächst einmal haben die Krankenkassen Angst. Diese
haben eine Art Schutzwall errichtet, weil sie gesehen haben, was mit den Kassen passiert, die solche Zusatzbeiträge erhoben haben: Ihnen rennen die Versicherten in
Scharen davon. Also bemühen sich alle, ja nicht zu viel
Geld auszugeben, um die Erhebung eines Zusatzbeitrages zu vermeiden. Das heißt, sie sparen bei der Prävention, bei der Reha und bei Mutter-Kind-Kuren. Sie investieren auch nicht in neue Versorgungsmodelle. Das
heißt, sie horten Geld wie das Eichhörnchen Nüsse für
den kalten Winter, um bloß keinen Zusatzbeitrag erheben zu müssen.
({1})
Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist: Sie haben
den Gesundheitsfonds über Beiträge üppig ausgestattet,
bevor der Arbeitgeberbeitrag über den Mechanismus der
Zusatzbeiträge eingefroren wurde, damit Zusatzbeiträge
nicht so schnell nötig werden. Jetzt sehen Sie, dass es
noch vor der Bundestagswahl zu Zusatzbeiträgen auf
breiter Front kommen könnte: Huch, was wäre das ungünstig! Deswegen horten Sie das Geld im Gesundheitsfonds und verzichten zum Beispiel auf eine Beitragssatzsenkung; denn das würde dann zwingend zu den
Zusatzbeiträgen führen. Das heißt, Sie haben Angst vor
der eigenen Courage. Man könnte auch sagen: Sie sind
politische Hosenscheißer!
({2})
Wir begrüßen, dass es keine Zusatzbeiträge gibt. Aber
Sie sollten sich zu den Konsequenzen Ihrer eigenen Politik bekennen.
({3})
Denn jetzt muss man doch annehmen, dass Sie noch
Geld horten wollen, damit Sie eine Kriegskasse für den
Wahlkampf haben. Das kann es wohl nicht sein.
Jetzt komme ich zu der FDP. Sie hat in ihrem Überlebenskampf ausgeheckt, man könne jetzt die Abschaffung
der Praxisgebühr verlangen.
({4})
- Sie selbst haben gesagt, Frau Kollegin, dass Sie im
Koalitionsvertrag noch etwas ganz anderes unterschrieben haben. Damals ging es um eine unbürokratische Praxisgebühr. Jetzt heißt es: keine Praxisgebühr mehr. Willkommen im Klub.
({5})
Aber wir Grünen wissen es schon lange: Die Praxisgebühr - das haben wir uns jüngst per Kleiner Anfrage
von der Bundesregierung bestätigen lassen - nützt
nichts. Sie ärgert alle, und man muss noch fürchten, dass
sie sozial Benachteiligte vom Arzt fernhält. Deswegen
wollen wir sie abschaffen.
({6})
Der Unterschied zur FDP ist aber: Sie schreien jetzt,
und wenn Sie das erreichen könnten, dann wären Sie
froh. Aber Sie würden das Geld später über Zusatzbeiträge wieder bei den Versicherten abholen.
({7})
Genau das wollen wir nicht.
({8})
Wir wollen die Zusatzbeiträge abschaffen.
({9})
Wir wollen, dass die Kassen wieder entscheiden, welchen wohlgemerkt paritätischen Beitrag sie erheben.
Dann werden einige die Beiträge auch senken und in der
Tat Geld an die Versicherten zurückgeben, weil sie dann
eine planbare Finanzierungslage haben.
Wir wollen auch, dass die Praxisgebühr abgeschafft
wird. Das lässt die jetzige Finanzlage aufgrund der
Überschüsse zu. Mittelfristig wollen wir das aus den Zusatzeinnahmen finanzieren, die die Bürgerversicherung
bringt.
({10})
Kurz gesagt: Bei der FDP reimt sich Abschaffung der
Praxisgebühr auf Populismus. Bei uns steckt die Idee
von Solidarität und nachhaltiger Finanzierung dahinter.
({11})
Das ist grüne Politik. Sie setzt die richtigen Anreize.
({12})
Das Wort hat nun Jens Spahn für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Liebe Frau Kollegin Bender, mit vollen Hosen lässt es
sich gut stinken. Dieses Sprichwort fällt mir dazu ein.
Dass es eine gute Art von Praxisgebühr und eine
schlechte Art von Praxisgebühr gibt, wie Sie es dialektisch herleiten, ist eine besondere Erkenntnis.
Eigentlich bin ich der SPD für diese Aktuelle Stunde
dankbar. Allein das Thema ist bemerkenswert: Überschüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich
verstehe die ganze Aufregung und Ihr Geschrei eben
nicht. Eigentlich sind Überschüsse in der gesetzlichen
Krankenversicherung ein Anlass zur Freude, zeigen sie
doch, dass das Ergebnis der Gesundheitsreform, die wir
mit soliden Ansätzen, Berechnungen und Vorgaben endlich durchgeführt haben, richtig ist.
({0})
Die finanzielle Lage in der gesetzlichen Krankenversicherung ist nämlich so gut wie nie zuvor in den letzten
zehn Jahren, in denen ich Gesundheitspolitik mache.
Das hat zwei Gründe:
Erstens ist die wirtschaftliche Entwicklung in
Deutschland sehr positiv. Wir nehmen sie manchmal fast
als selbstverständlich hin, obwohl sie so positiv ist, wie
wir sie in den letzten 20 bis 30 Jahren nicht erlebt haben.
Wir haben die höchste Zahl von Erwerbstätigen im Land
und die niedrigste Arbeitslosenquote. Das führt dazu,
dass auch die sozialen Sicherungssysteme in einer sehr
guten finanziellen Lage sind. Das ist zwar nicht allein
der Politik zu verdanken; es hat aber auch mit der Politik
und den politischen Rahmenbedingungen zu tun. Insofern ist die gute Situation auch Ausfluss dessen, was wir
in den letzten zwei Jahren gemacht haben.
Zweiter Grund ist das sogenannte GKV-Finanzierungsgesetz, sind die Spargesetze, die wir gemacht haben. Sie erinnern sich: Wir haben für 2011 das größte
jemals zu erwartende Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung von bis zu 10 Milliarden Euro vor uns
gehabt. Wir haben uns entschieden, ein Sparpaket bzw.
ein Maßnahmenpaket zu machen, bei dem wir alle mit
ins Boot holen, indem wir die Pharmaindustrie massiv
mitbeteiligen und Apotheker, Großhändler, die Ärzteschaft und Krankenhäuser wie auch die Arbeitnehmer
und Arbeitgeber miteinbeziehen. Wir wollten also ein
Sparpaket schnüren, bei dem sich alle am Sparen beteiligen müssen und sollen. Sie haben übrigens damals geschrien: zu wenig, zu langsam; es hätte viel früher kommen und viel mehr sein müssen.
Jetzt sehen wir: Es hat gewirkt. Wir sind erfolgreich.
Das straft alle Ihre Bemerkungen von damals Lüge.
Christlich-liberale Gesundheitspolitik ist solide, verlässlich und planbar, und sie hat gute Ergebnisse, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Wir müssen aber ein bisschen aufpassen - insofern
führen wir eine Art Luxusdebatte; der Begriff ist gar
nicht so schlecht -, dass wir nicht übermütig werden.
Das gilt auch für die Forderungen, die mittlerweile an
vielen Stellen im Raum stehen.
Da ist die Pharmaindustrie. Als ich vor kurzem an einer Podiumsdiskussion teilgenommen habe, hat Malu
Dreyer, die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin,
gesagt, wir sollten die Belastungen der Pharmaindustrie
zurückfahren. Das war für mich eine interessante Erkenntnis. Herr Lauterbach fordert an verschiedenen Stellen, den Krankenhäusern wieder mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Von verschiedenen Leistungserbringern
wird immer wieder die Forderung erhoben, wieder mehr
Geld zu bekommen. Sie von der Linkspartei fordern sowieso in Ihren Anträgen ständig höhere Ausgaben. Andere fordern die ersatzlose Abschaffung der Praxisgebühr. Es ist übrigens ganz spannend, festzustellen, dass
einige derjenigen, die die Abschaffung der Praxisgebühr
fordern, bei anderen Gelegenheiten nach mehr Eigenbeteiligung und mehr Zuzahlung schreien. Wie das alles
zusammenpassen soll, weiß ich nicht.
({2})
Wir jedenfalls stehen für eine solide Finanzlage. Wir
wollen die gute Finanzlage nicht gefährden.
Die Rücklagen des Gesundheitsfonds sind im Übrigen nicht so groß, dass man sie als übermäßig bezeichnen könnte. Sie reichen insgesamt nur, um die Ausgaben
in der gesetzlichen Krankenversicherung für wenige
Tage zu decken. Jede gute Hausfrau und jeder gute
Hausmann weiß, dass eine Rücklage für wenige Tage
nicht besonders viel ist. Wir stehen für Solidität und wollen diese Rücklage für schlechte Zeiten erhalten. Wir
sollten nicht annehmen, dass die Zeiten in Deutschland
nicht schlechter werden könnten, wenn sich die Weltwirtschaft nicht mehr so gut entwickelt. Wir sollten diese
Rücklage aufheben und so für solide Finanzen sorgen.
Das ist unser Markenkern als Union.
({3})
Noch kurz eine Bemerkung zum Wettbewerb, den der
Kollege Lauterbach angesprochen hat. Anders verhält es
sich mit den Rücklagen der gesetzlichen Krankenkassen.
Der Gesundheitsfonds verfügt über eine Rücklage in
Höhe von etwa 9 Milliarden Euro. Diese sind für
schlechte Zeiten; dafür sind sie da. Auch einzelne Krankenkassen verfügen über sehr hohe Rücklagen. Aber
Krankenkassen sind keine Sparkassen. Diese Rücklagen
sind - da haben Sie recht - das Geld der Versicherten.
Der Wettbewerb, den wir bei Preis und Qualität wollen,
findet über die Zusatzbeiträge, aber auch über die Ausschüttung von Prämien statt. Deswegen ist und bleibt unsere Erwartungshaltung, dass die Krankenkassen, die in
der Lage sind, Prämien auszuschütten, dies im Interesse
ihrer Versicherten tun, gerade damit Wettbewerb durch
den Preis ermöglicht wird.
({4})
Wir stehen als christlich-liberale Koalition für solide
Finanzen. Wir stehen für Verlässlichkeit und Planbarkeit
gerade bei den finanziellen Rahmenbedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist auch für die Patienten wichtig; denn nur bei soliden Finanzen stehen ihnen in Zukunft vergleichbare Leistungen zur Verfügung.
Wir stehen für einen Wettbewerb im Interesse der Versicherten. Darunter können wir einen Strich ziehen und sagen: Alles ist erreicht. Das ist Ausdruck erfolgreicher
christlich-liberaler Gesundheitspolitik.
({5})
Das Wort hat nun Bärbel Bas für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Spahn, ich habe Ihrer Rede sehr wohl gut zugehört. Solidität ist sicherlich wichtig; das halte ich für einen richtigen Standpunkt. Aber ich frage mich dann, was Ihr Gesundheitsminister macht. Er hat doch letztendlich die
Debatte losgetreten, was mit den Überschüssen geschehen soll.
({0})
Er hat doch die Krankenkassen angeblich aufgefordert,
Prämien zu zahlen. Dabei könnte er selber als Gesundheitsminister - das wollen wir einmal festhalten - den
Beitragssatz per Verordnung senken, wenn er meint, dass
er zu viel in der Kasse hat.
({1})
- Ja, aber das hätte er machen können, wenn er zu viel
Geld hat und nicht weiß, was er damit machen soll, und
vorschlägt, die Krankenkassen könnten Prämien zahlen.
Sie wissen aber ganz genau, dass das Geld - das haben Herr Spahn und Herr Singhammer bestätigt - unter
den Krankenkassen nicht gleichmäßig verteilt ist. Sie haben keine Beitragssenkung gefordert, weil Sie genau
wissen, dass dann die Gefahr einer Erhebung bzw. Erhöhung von Zusatzbeiträgen besteht. Alle, die sich mit der
Finanzpolitik im Gesundheitsbereich auskennen, wissen,
dass es in einem Jahr ein Defizit geben, dass es aber ein
Jahr später aufgrund der Entwicklung der Gesetze ganz
anders aussehen kann. Auch hier hat Herr Singhammer
vollkommen recht. Ich frage mich, warum der Gesundheitsminister das nicht erkennt und sich nicht freut, dass
die Finanzlage ganz stabil ist.
({2})
- Eben nicht. - Sie rennen durch das Land und fordern
den Finanzminister sogar auf, das Geld einzusammeln.
Soll ich Ihnen sagen, welche Strategie dahintersteckt?
Ich persönlich glaube, dass das mit Absicht geschieht,
damit 2 Milliarden Euro für die Realisierung Ihrer wahlkampftaktischen Steuersenkungsfantasien freigesetzt
werden. Um diese gegenzufinanzieren, holen Sie sich
das Geld aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Das
nenne ich eine ganz perfide Wahlkampfstrategie.
({3})
Ich sage Ihnen auch: Die Wählerinnen und Wähler
werden das bei den nächsten drei Wahlen honorieren;
denn sie erkennen, dass das, was Sie hier betreiben, eine
Spielerei auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Wir werden das Geld nämlich spätestens im
nächsten Jahr und in den Folgejahren dringend brauchen
können. Wenn die Rücklagen jetzt zu hoch sind, dann
kann man die Gelder durchaus an andere Stellen im System lenken. Schauen wir uns die standardisierten Leistungsausgaben an. Wenn wir wirklich wollen, dass das
Geld bei den Menschen ankommt, die schwer krank
sind, und wenn wir wollen, dass die Kassen ihre Ausgaben an dieser Stelle bestreiten können, dann sollten wir
an den Richtlinien zum Morbi-RSA arbeiten. Der Beirat
hat Ihnen Vorschläge gemacht, wie das Geld dorthin gesteuert werden kann, wo es hingehört. Die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zahlen nämlich ihre Beiträge
dafür, dass die Kassen die Leistungen bezahlen können.
Aber da wollen Sie nicht heran.
({4})
Sie haben den Finanzminister aufgefordert, die 2 Milliarden Euro zu entnehmen. Ich sage ganz deutlich: Es
ist eine unverantwortliche Politik, die Sie betreiben und
die Sie im ganzen Land propagieren.
({5})
Diese 2 Milliarden Euro waren für die Kopfpauschale
gedacht, die Sie jetzt aber scheuen wie der Teufel das
Weihwasser; sonst würden Sie den Beitrag senken. Sie
haben Angst, dass die Kassen Zusatzbeiträge erheben
müssen, was sich im Wahljahr negativ für Sie auswirken
würde. Der Finanzminister hat sowieso schon seinen
Kuckuck auf die 2 Milliarden Euro geklebt, Stichwort
„Versorgungsstrukturgesetz“. Was durch das sogenannte
Landärztegesetz an Belastungen auf uns zukommt, wissen wir heute noch gar nicht.
({6})
- Ich bin nicht dagegen, aber Ihr Minister hat gefordert,
Prämien auszuzahlen. Dafür aber haben wir kein Geld.
Wir brauchen das Geld für andere Dinge.
({7})
Sie sollten Ihre Spielchen und Ihre Schein- und Schattendebatten, die Sie in Ihrer Koalition führen, sein lassen. Ich wäre dafür, dass die heutige Debatte der
Schlusspunkt ist; denn wir werden das Geld noch dringend brauchen.
({8})
Ich halte es für eine vernünftige und solide Politik, auf
ein Beitrags-Jo-Jo zu verzichten. Man sollte vorausschauend agieren, das Geld im System, etwa zum MorbiRSA, umlenken und etwas für die Patienten tun.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun Bundesminister Daniel Bahr.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir erleben eine Debatte, um die mich viele
meiner Vorgängerinnen und Vorgänger sehr beneidet
hätten.
({0})
Dass ein Gesundheitsminister Überschüsse verteidigt
und eine Diskussion erleben muss, was man mit den
Überschüssen in der gesetzlichen Krankenkasse macht,
haben meine Vorgängerinnen und Vorgänger nicht erlebt.
Insbesondere die Vorgängerin von der SPD war in einer
ganz anderen Situation. 2003, als Rot-Grün regiert hat,
hatten wir einen Rekordschuldenstand in der gesetzlichen Krankenversicherung von über 8 Milliarden Euro.
({1})
2009, als die christlich-liberale Koalition die Verantwortung auch für die Gesundheitspolitik übernommen hat,
drohte uns ein Defizit für das Jahr 2009 von 9 Milliarden
Euro, für das Jahr 2011 sogar von 11 Milliarden Euro. Es
ist Ihnen von SPD und Grünen gar nicht bekannt, dass
man solide wirtschaften kann. Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen ist heute solide, die Menschen
erleben Verlässlichkeit.
({2})
Deswegen ist es in der Tat eine Luxusdebatte, die wir
hier führen.
Ich muss über die eine oder andere Prognose, die hier
geäußert wurde, schmunzeln. Ich kann mich noch gut
daran erinnern, dass Herr Lauterbach mit seinem Institut
vor einem Jahr, im März 2011, prognostiziert hat, dass
die durchschnittlichen Zusatzbeiträge im Jahr 2012 bei
21 Euro und im Jahr 2013 bei 33 Euro liegen würden.
({3})
Ich will daran erinnern, in welcher Situation wir sind.
Die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung
sind so solide, dass wir voraussichtlich keinen durchschnittlichen Zusatzbeitrag in diesem und auch nicht im
nächsten Jahr erleben werden. Das spricht für diese
Koalition und die Verlässlichkeit von Schwarz-Gelb.
({4})
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, merken selbst, dass Ihre Debatte gar nicht richtig
zündet. Sie wissen selbst nicht einmal, was Sie von uns
fordern sollen. Frau Bas empfehle ich, ihr eigenes Interview im Deutschlandradio von vor einem Monat nachzulesen. Sie selbst haben gesagt, dass auf die Rücklagen
der Krankenkassen überhaupt nicht zugegriffen und die
gute Wirtschaftslage nicht genutzt werden darf, um irgendwelche anderen Dinge zu finanzieren. Herr Kollege
Lauterbach hat gerade die Abschaffung der Praxisgebühr
gefordert.
({5})
Die Kollegen von den Grünen sprechen in einem vielstimmigen Chor. Frau Bender fordert die Abschaffung
der Praxisgebühr, Herr Trittin fordert eine Senkung der
Beitragssätze,
({6})
und Frau Künast fordert, dass das Geld in das Finanzministerium transferiert werden soll. Sie wissen als Opposition selbst nicht, was aus Ihrer Sicht das Richtige ist.
({7})
Deswegen sagen wir als Koalition: Die Menschen
können sich darauf verlassen, dass wir für solide Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung sorgen, mit
Augenmaß Entscheidungen treffen und dort, wo Spielraum ist, diesen Spielraum für die Entlastung der VersiBundesminister Daniel Bahr
cherten und Patienten nutzen. Dazu tragen wir mit unseren Entscheidungen auch bei.
Herr Lauterbach, Sie haben von Nordrhein-Westfalen
gesprochen. Ich will hier keinen Wahlkampf machen.
({8})
Aber dass wir von SPD und Grünen keine Vorschläge
dazu brauchen, wie man mit Finanzen umgeht, zeigt ein
Blick nach Nordrhein-Westfalen, wo wir Schuldenkönige erleben.
({9})
Das wurde vom dortigen Verfassungsgericht attestiert.
Der Überschussminister in der Gesundheitspolitik scheut
den Vergleich mit den Schuldenkönigen in NordrheinWestfalen nicht.
Ich verweise auch auf Ihre Haltung zu dem Versorgungsstrukturgesetz, mit dem wir richtige Entscheidungen zur Abwendung eines drohenden Ärztemangels treffen, weil wir gezielt Investitionen nutzen wollen, um die
Versorgung der Menschen gerade in der Fläche zu verbessern.
({10})
- Ihre Reaktion zeigt mir, dass diese Kritik in Bezug auf
Nordrhein-Westfalen Sie sehr zu treffen scheint. Das
scheint ja ein wunder Punkt zu sein.
Das Versorgungsstrukturgesetz zeigt, dass wir Entscheidungen treffen, um die medizinische Versorgung
der Menschen in Deutschland deutlich zu verbessern,
({11})
ohne dabei den Blick dafür zu verlieren, dass dies auch
alles finanzierbar und vor allem durch eine solide wirtschaftliche Lage der gesetzlichen Krankenversicherung
gewährleistet sein muss.
({12})
Deswegen sagen wir auch, dass im Gesundheitsfonds
in der Tat mehr Gelder liegen, als gesetzlich vorgeschrieben sind.
({13})
Wir haben eine Liquiditätsreserve, die weit oberhalb der
gesetzlichen Vorgaben ist. In der Vergangenheit wurden
die gesetzlichen Vorgaben von Rot-Grün immer wieder
aufgeweicht, wenn die wirtschaftliche Lage schwierig
oder es politisch opportun war. Wir sorgen dafür, dass
ein Puffer über die gesetzlich vorgegebene Reserve hinaus erhalten bleibt,
({14})
weil wir wollen, dass die gesetzliche Krankenversicherung bei der nächsten Konjunkturdelle nicht gleich wieder in Probleme gerät, sondern solide finanziert ist,
damit die Menschen Planbarkeit im Bereich des Gesundheitswesens erfahren können.
({15})
Zudem ist die Lage der Krankenkassen unterschiedlich. Wir haben Krankenkassen, die viel Geld auf dem
Konto haben.
({16})
Über 30 Krankenkassen könnten ihren Versicherten
wahrscheinlich Prämien auszahlen, ohne dass es ihre
finanzielle Stabilität infrage stellt.
({17})
Neun Krankenkassen machen das derzeit, zahlen Prämien von bis zu 100 Euro pro Jahr an ihre Versicherten
aus. Viel mehr Krankenkassen könnten das tun. Ich fordere deshalb diejenigen gesetzlichen Krankenkassen, die
mehr Geld auf ihrem Konto haben als gesetzlich vorgeschrieben, auf, diesen Spielraum auch zu nutzen, damit
wir Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, der ja nötig ist, erleben
({18})
und damit die Versicherten sehen, ob eine Krankenkasse
mit den Pflichtbeiträgen solide gewirtschaftet und geringe Verwaltungskosten hat oder eben nicht solide gewirtschaftet hat.
({19})
Diesen Wettbewerb zwischen gesetzlichen Krankenversicherungen können wir im Interesse der Versicherten
gut gebrauchen.
({20})
Deswegen fordern wir die gesetzlichen Krankenkassen
auf, diesen Spielraum auch zu nutzen.
({21})
Darüber hinaus gibt es auch Spielraum für Leistungsverbesserungen.
Und es gibt keine Begründung, warum gesetzliche
Krankenkassen über die vorgegebenen Reserven von
0,25 Monatsausgaben hinaus häufig bis zu zwei und
mehr Monatsausgaben auf ihrem Konto haben. Krankenkassen sind keine Sparkassen.
({22})
Krankenkassen sollen das Geld der Versicherten für
Leistungsverbesserungen einsetzen oder für eine Entlastung der Patientinnen und Patienten und der Versicherten. Das ist solide Politik, wie wir sie von den Krankenkassen explizit einfordern.
Wenn es darüber hinaus Spielraum gibt, dann ist es
doch berechtigt, im politischen Raum, im Bundestag, darüber zu diskutieren, ob eine Praxisgebühr, die ihren
Sinn und Zweck, nämlich die Zahl der Arztbesuche zu
reduzieren, nicht mehr erfüllt, noch gerechtfertigt ist
oder ob man nicht zu besseren Lösungen, auch zu Entlastungen von Patientinnen und Patienten, kommen
kann.
({23})
Deswegen ist es berechtigt, dass diese Diskussion geführt wird. Ich sage auch klipp und klar: Der Auftrag
laut Koalitionsvertrag ist es, die Praxisgebühr zu überprüfen. Die Koalition fühlt sich diesem Auftrag verpflichtet. Wir werden in diesem Jahr in Ruhe darüber debattieren, wie wir es besser machen können, was die
Bürokratie angeht. Die unbürokratischste Regelung wäre
sicherlich der Verzicht auf die Praxisgebühr. Aber alles
hängt mit allem zusammen.
Wir werden die Debatte zunächst in der Koalition
führen und uns auf den Klamauk nicht einlassen, den die
Linken oder die SPD hier mit Schauanträgen machen.
({24})
Sie lenken mit Klamauk und Aktionismus davon ab,
({25})
dass Sie selbst nicht in der Lage sind, für solide Finanzen in der gesetzlichen Krankenversicherung, für ein
planbares und verlässliches Gesundheitswesen zu sorgen.
({26})
Darauf fallen wir nicht herein, sondern wir treffen die
Entscheidung nach kluger und ruhiger Beratung. Das
werden wir innerhalb der Koalition machen.
({27})
Die Entscheidungen stehen an. Wir werden dieses
Jahr nutzen und in erster Linie dafür sorgen, dass die
Menschen sich darauf verlassen können, dass die Gesundheitsversorgung auch in den kommenden Jahren gewährleistet ist und dann nicht schon wieder eine Einsparung vollzogen werden muss. Wenn es jedoch Spielraum
gibt, werden wir ihn nutzen und damit eine Entlastung
von Versicherten und Patienten gewährleisten; denn in
erster Linie ist das Geld, das in der Krankenversicherung
ist, das Geld der Beitragszahler, der Versicherten und Patienten. Für diese muss es verwandt werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({28})
Das Wort hat nun Steffen-Claudio Lemme für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister
Bahr, Frau Staatssekretärin Mauz, ich muss zunächst
einmal mit dem hier immer wieder aufgebauten Lügengebäude aufräumen und mit der immer wieder vorgebrachten Legende brechen, wir hätten 2009 ein Defizit in
Höhe von 10 Milliarden Euro hinterlassen. Mir liegen
aus dem Hause Bahr offizielle Statistiken vor - ich gebe
sie Ihnen nachher auch gerne -: Danach endete das Jahr
2009 mit einem Einnahmeüberschuss in Höhe von
1,42 Milliarden Euro.
({0})
Sie bekommen das gleich direkt, um das entsprechend
nachlesen zu können.
Nun zur Debatte. Seit gut vier Wochen liegen die Prognosen auf dem Tisch: rund 20 Milliarden Euro Rücklagen bei den Kassen und beim Gesundheitsfonds bis einschließlich 2013. Das ist durchaus beachtlich.
({1})
Kaum gibt es etwas zu verteilen, ziehen sich diejenigen
die Spendierhosen an, die mit dem Rücken zur Wand
stehen. Ja, ich meine Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP.
({2})
Ich sage Ihnen: Ihre Strategie wird von den Versicherten
durchschaut. Jetzt, wo Sie sich in politischer Bedrängnis
befinden, versuchen Sie, die gesetzliche Krankenversicherung zur Melkkuh Ihres Wahlkampfes zu machen.
Sie wollen das Solidarsystem damit weiter untergraben,
aber das wird Ihnen nicht gelingen.
Wir alle haben in den letzten zweieinhalb Jahren doch
gesehen, wie Gesundheitspolitik mit schwarz-gelber
Handschrift aussieht.
({3})
Ich nenne das Wichtigste hier noch einmal in Kürze:
Erstens: Beitragserhöhung ohne den Versuch der Hebung von Effizienzreserven im System.
Zweitens: Ausweitung der Regelung zu den Zusatzbeiträgen.
Drittens: Entsolidarisierung der Finanzierung durch
das Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge und durch VerabSteffen-Claudio Lemme
schiedung von der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung.
Viertens: ein Versorgungsstrukturgesetz, das sich wesentlich nur an den Einkommen der Ärztinnen und Ärzte
orientiert.
Das ist die Bilanz Ihrer Politik, die vor allem die
Schwächsten in unserer Gesellschaft am härtesten getroffen hat.
({4})
Nun, wo sich die Debakel in Kiel, Saarbrücken und
Düsseldorf bereits am Horizont abzeichnen, soll es mal
eben ans Verteilen gehen. Sie sind doch diejenigen, die
immer mit dem Damoklesschwert sinkender Einnahmen
durch konjunkturelle Abkühlung drohen. Nun deutet
sich am Horizont eine solche Situation an, und trotzdem
wollen Sie am liebsten unsolide Politik machen.
Ich gebe Ihnen völlig recht, wenn Sie sagen: Die
Rücklagen gehören den Versicherten. - Ja, sie haben sie
mit ihren Beiträgen aufgebracht. Da heißt es, mit Augenmaß an die Sache heranzugehen, die kommenden Jahre
in den Blick zu nehmen und nicht nur auf die nächsten
Wahltermine zu schauen. Denn was passiert, wenn sich
die Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversicherung konjunkturbedingt verschlechtert?
({5})
Wir alle wissen doch, dass Rücklagen in dieser Größenordnung bei jährlichen Gesamtausgaben von rund
186 Milliarden Euro schmelzen werden wie Butter in der
Sonne.
({6})
Und was droht den Versicherten im Falle von Defiziten?
Richtig: Ihre unsolidarischen Zusatzbeiträge - mehr
nicht.
({7})
Meine Fraktion blickt mit Geschlossenheit in die Zukunft.
({8})
Statt an dem Hin und Her bei der Finanzierung festzuhalten, müssen wir zu echten Strukturreformen kommen.
Unser Weg heißt: mehr Solidarität - und nicht weniger,
wie es Ihr Weg ist.
Unsere Bürgerversicherung wird ab 2013 echte Spielräume, aber vor allem mehr Gerechtigkeit schaffen.
({9})
Das schließt so unbeliebte Regelungen wie die Praxisgebühr mit ein. Ich betone, dass wir als SPD auch in Zukunft an einer hausarztzentrierten Versorgung und der
Lotsenfunktion der Allgemeinmediziner festhalten werden. Die bestehende Regelung zur Praxisgebühr, die wir
im Übrigen der Haltung der Union im Vermittlungsausschuss zu verdanken haben,
({10})
hat ihr ursprüngliches Ziel der Reduzierung der Zahl von
Arztbesuchen und daraus folgender Einsparungen im
System leider nicht erreicht und ist daher überholt.
Für mich zählt in diesem Zusammenhang, dass diejenigen, die beispielsweise durch prekäre Beschäftigung
nur über ein geringes Einkommen verfügen oder von Altersarmut bedroht sind, nicht davon abgehalten werden
dürfen, zum Arzt zu gehen. Denn eines wissen alle genau: Werden Krankheiten verschleppt, schadet das nicht
nur dem Patienten; vielmehr muss die Gemeinschaft der
Versicherten die Kosten von möglichen Folgeerkrankungen tragen. Das können wir alle gemeinsam nicht wollen.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun Willi Zylajew für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte zunächst einmal festhalten, dass aus meiner
Sicht kein vernünftiger Mensch die Aufgeregtheit der
SPD bei diesem Thema verstehen kann.
({0})
Noch weniger ist zu verstehen, dass eine Fraktion, die
jahrelang Verantwortung im Gesundheitswesen hatte,
eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema anmeldet.
({1})
Halten wir nüchtern fest: Die Lohnnebenkosten liegen derzeit unter 40 Prozent, bei 39 Prozent.
({2})
- Das sehen manche in Ihrer Fraktion anders, Herr
Lauterbach. Werden Sie sich da einig, und dann sagen
Sie uns Bescheid. - 39 Prozent ist die Zahl, die den Arbeitnehmer in erster Linie interessiert. Wir hatten schon
Zeiten, in denen die Sozialversicherungsbeiträge bei
41 Prozent, also extrem hoch, lagen.
({3})
- Ich glaube, das ist eher die Zeit Ihres Kollegen Schröder
und anderer gewesen, als Sie noch Berater in der Politik
waren. Da hatten sie das erreicht, Herr Professor
Lauterbach.
({4})
Die Kassen der Sozialversicherung waren trotz extrem
hoher Beiträge leer, und sie waren nicht nur leer, sondern
wir hatten Milliarden Schulden. Dafür gab es auch
Gründe. Falsche politische Beratung war sicherlich eine
Ursache. Außerdem wurde Systemausbeutung nicht verhindert. Es gab Fehlentwicklungen und Fehlanreize in
Teilen dieser Branche. Darüber hinaus war auch die Arbeitslosenzahl eine andere; das gestehe ich Ihnen gerne
zu.
Werter Professor Lauterbach, Sie haben doch eben
schon gehört, wie falsch Ihre Prognosen von vor einem
Jahr waren. Ich vermute, Ihre heutigen sind auch nicht
besser. Ich weiß nicht, auf welchen Apparat Sie da zurückgreifen können und zurückgreifen.
({5})
Aber hilfreich sind die Dinge aus meiner Sicht nicht.
({6})
- Mit spärlichem Beifall komme ich auch zurecht.
({7})
Wir haben die meisten Dinge gegen Sie durchsetzen
müssen.
({8})
Wir haben letztendlich - Kollegin Bender, auch dies
sollte man sagen, um deutlich zu machen, dass wir nicht
horten - Überschüsse erwirtschaftet und brauchen keinen Sozialausgleich. Die Beiträge sind verkraftbar. Sie
liegen bei 39 Prozent.
({9})
Damit können wir die Leistungen, die wir verbessert haben, verlässlich finanzieren. Wir können darüber hinaus
auch noch überlegen, wie man in anderen Bereichen, wie
zum Beispiel bei der Haushaltsversorgung, zu Verbesserungen kommen kann.
({10})
Wir brauchen dazu eine verlässliche Finanzierung. Diese
ist gegeben, aber Sie wird von Ihnen attackiert.
Kollege Lauterbach, wenn man Ihren Vorschlägen
- also denen des Beraters Lauterbach, des Wissenschaftlers Lauterbach oder des Abgeordneten Lauterbach; die
sind ja manchmal unterschiedlich - folgen würde, dann
müssten wir uns den Kopf darüber zerbrechen, was wir
im Falle von leeren Kassen tun. Da ist aber nicht nötig.
Wie mir vorhin auffiel, sitzen heute Nachmittag auf der
Zuschauertribüne besonders viele junge Leute. Diese erwarten von uns, dass wir Rücklagen bilden und Reserven ansparen. Sie erwarten, dass wir die Sozialversicherung
({11})
- richtig! - gescheit organisieren. Dazu gehört, dass die
in diesem Bereich Tätigen vernünftig bezahlt werden
und dass die Menschen die notwendigen Hilfen bekommen.
All dies können wir schaffen, aber nur deshalb, weil
wir eine richtige und vernünftige Politik machen und
weil wir die Sozialversicherungssysteme so fahren, dass
sie leistungsstark, wirtschaftlich stabil und auch effizient
sind.
({12})
In diesem Sinne wollen wir weiter arbeiten. Und da
zerbrechen wir uns auch gern den Kopf darüber, was wir
mit Überschüssen machen. Im Zweifelsfall lassen wir sie
eine Zeitlang unangetastet.
({13})
Kollege Singhammer hat dazu sehr klar Position bezogen. Damit sind wir der Garant für eine vernünftige Sozialpolitik.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat nun Edgar Franke für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben schon gehört, wie hoch die Überschüsse sind. Aber wir haben auch - das fand ich interessant, Herr Singhammer und Frau Aschenberg-Dugnus unterschiedliche Zahlen dazu gehört, wie die Situation
vor zwei, drei Jahren aussah. Was Sie behaupten, ist
wirklich eine Mär. Herr Minister, ich kann dem Kollege
Lemme nur zustimmen - er hat auch mir das Papier, aus
dem er zitiert hat, gegeben -: Vor zwei Jahren hatten wir
in der GKV 2 Milliarden Euro Rücklagen und keine
10 Milliarden Euro Miese. Andere Zahlen sind einfach
nicht wahr.
({0})
Herr Singhammer, wem sind diese Rücklagen gerade
in der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldet?
Wer hat dafür gesorgt? Diese Rücklagen sind durch die
Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Regierung ermöglicht worden;
({1})
denn diese haben dafür gesorgt, dass wir so viel Beschäftigung haben.
({2})
Wir sind vielfach für diese Arbeitsmarktreformen kritisiert worden.
({3})
Aber sie sind die Ursache dafür, dass wir heute eine
solch gute wirtschaftliche und Arbeitsmarktlage in
Deutschland haben.
({4})
- Herr Fraktionsvorsitzender Brüderle, man darf Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Sie haben den
Sachverhalt im Grunde genommen nicht richtig dargestellt.
Was machen wir jetzt mit den Überschüssen? Ich
habe einige Äußerungen mitgeschrieben. In der Debatte
wurden vier Vorschläge gemacht: Der erste Vorschlag
war, den Versicherten das Geld zurückzugeben. Der
zweite Vorschlag war, den Beitrag zu senken. Der dritte
Vorschlag war, die Praxisgebühr abzuschaffen, und der
vierte Vorschlag war, alles so zu belassen, wie es ist.
Der vierte Vorschlag wird von Teilen der Koalition favorisiert, vom Minister anscheinend auch. Aber das
würde bewirken, dass Sie weiterhin nur Klientelpolitik
für Ihre Leute machen.
({5})
Das heißt, bestimmte Facharztgruppen würden Sie weiter beglücken. Das wäre die Konsequenz, wenn man das
Geld im System belassen würde.
Das Geld in Form von Prämien, die die Kassen zahlen
müssten, den Versicherten zurückzugeben - das hat der
Minister vorgeschlagen -, ist nicht realistisch. Denn die
Kassen werden nichts auszahlen, weil sie Angst davor
haben, Zusatzbeiträge zu erheben.
({6})
Was passiert denn, wenn eine Kasse Zusatzbeiträge verlangt? Diese Beiträge müssen von den Arbeitnehmern
allein gezahlt werden; sie erscheinen nicht auf dem
Lohnzettel. Das würde sofort zu Konsequenzen für die
Kasse führen. Herr Minister, wenn man Wettbewerb
will, dann müsste man politisch in eine ganz andere
Richtung gehen: Man müsste die Beitragsautonomie der
Kassen wiederherstellen, um wirklichen Wettbewerb zu
erreichen.
({7})
Das wäre vielleicht auch etwas für die FDP, meine sehr
verehrten Damen und Herren.
({8})
Eine Beitragssenkung von 0,1 Prozentpunkten entspricht 1 Milliarde Euro. Ich glaube, es ist nicht realistisch, hier zielgenau vorgehen zu können.
Ich glaube, realistisch ist der Vorschlag, die Praxisgebühr wieder abzuschaffen. Das wäre ein Akt der Wiederherstellung der vollen Parität zwischen Arbeitnehmern
und Arbeitgebern in der Krankenversicherung. Vielfach
ist bereits gesagt worden, dass die Praxisgebühr nicht die
Steuerungsfunktion hat, die sie haben sollte. Sie ist allein
ein Finanzierungsinstrument; sie bringt knapp 2 Milliarden Euro. Es gibt aber auch andere Gründe für deren Abschaffung. Es sollen nicht nur Kranke und Einkommensschwache entlastet werden. Vor allen Dingen müssen wir
- das hat Frau Aschenberg-Dugnus gesagt - die Bürokratie- und Verwaltungskosten bei den Ärzten abbauen.
({9})
Insofern ist die Abschaffung der Praxisgebühr eine realistische Alternative.
Sie ist allerdings nur dann eine Alternative - das sage
ich an die Linken gerichtet -, wenn man das ordentlich
und seriös gegenfinanziert. Wir brauchen eine Finanzierung, mit der die wegfallenden 2 Milliarden Euro kompensiert werden. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sagen: Wir müssen das gegenfinanzieren
mit Beitragsautonomie, mit einer nominellen Parität,
letztlich mit einer Bürgerversicherung, die bewirkt, dass
wir mehr Einnahmen erzielen. Das ist der Weg.
({10})
Beitragsautonomie heißt, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer denselben Beitrag zahlen. Bürgerversicherung
heißt, dass alle grundsätzlich nach denselben Kriterien in
ein System einzahlen, egal in welcher Versicherung sie
sind. Das ist eine Form, mit der wir nachhaltig und zukunftsfähig eine Krankenversicherung finanzieren, die
eine bessere Qualität hat und wirtschaftlicher ist. Selbst
Herr Spahn, der gerade nicht anwesend ist, hat mehrfach
in Interviews gesagt, dass er für die private Krankenversicherung in diesem Sinne keine Zukunft sehe. Die Bürgerversicherung ist eine Versicherung, die den Interessen
der Patientinnen und Patienten am ehesten entspricht.
Danke schön.
({11})
Das Wort hat nun Erwin Lotter für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst
bei den Kolleginnen und Kollegen der SPD ganz herzlich für die Gelegenheit bedanken, hier über die Erfolge
der christlich-liberalen Gesundheitspolitik sprechen zu
können.
({0})
Aus einem drohenden Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung von 11 Milliarden Euro bei der Regierungsübernahme vor zweieinhalb Jahren haben wir mit
guter Gesundheits-, aber auch mit hervorragender Wirtschaftspolitik einen Überschuss von knapp 20 Milliarden Euro erzielt. Nur deshalb können wir diese Diskussion hier und heute überhaupt führen.
({1})
Wie wollen wir nun mit den Überschüssen umgehen?
Für uns ist eindeutig, dass wir die gute Lage der Kassen
nicht dazu nutzen wollen, die Ausgaben zu erhöhen. Die
Lage ist ja auch deshalb so gut, weil wir gespart haben.
Also schauen wir uns lieber die Einnahmeseite an.
Selbstverständlich - da sind wir uns alle einig - müssen wir Rücklagen bilden, im Gesundheitsfonds und bei
den einzelnen Kassen. Die christlich-liberale Koalition
steht auch im Gesundheitssystem für eine solide Haushaltspolitik. Deshalb müssen wir natürlich sinnvoll wirtschaften und langfristig planen.
Dennoch gilt für uns der Grundsatz: Krankenkassen
sind keine Sparkassen.
({2})
Die erwirtschafteten Überschüsse der Krankenkassen
stammen aus Beitragszahlungen und gehören den Versicherten. Es gibt viele Möglichkeiten; wir werden sie
jetzt in aller Ruhe diskutieren. Wir freuen uns auch auf
Ihre Vorschläge.
Eine Möglichkeit, die der Minister angeregt hat, ist
die Prämienausschüttung von Kassen mit großen Reserven. Die Kassen sollen ihre Chance auf Teilnahme am
Wettbewerb annehmen, um attraktiver zu werden und
weitere Kunden anzuwerben.
Über 9 Milliarden Euro haben sich als Überschuss im
Gesundheitsfonds angesammelt. Davon ist ein Teil gesetzlich, auch als Mindestreserve, gebunden. Die gute
Konjunktur und aktuelle Lohnsteigerungen werden mittelfristig für ein weiteres Ansteigen der Überschüsse sorgen. Damit haben wir genügend politischen Spielraum,
um die von Rot-Grün im Jahr 2004 eingeführte Praxisgebühr abzuschaffen.
({3})
Herr Kollege Weinberg, jetzt aber mit einem Schaufensterantrag einen Keil in die Koalition treiben zu wollen,
das bezeichne ich als Klamauk.
({4})
Wir können gerne auf sachlicher Ebene weiterdiskutieren.
({5})
Es gibt gute Gründe für eine Abschaffung der umstrittenen Gebühr. Die Praxisgebühr ist eine unsoziale Vorkasse, von SPD und Grünen eingeführt.
({6})
Das mit der Einführung dieser zusätzlichen Krankenkassengebühr verbundene Ziel einer Steuerungswirkung
wurde schlicht verfehlt.
({7})
Geblieben ist der bürokratische Mehraufwand. Die komfortable finanzielle Ausstattung der Kassen belegt, dass
etwaige Mehreinnahmen aus der Praxisgebühr nicht generiert werden müssen. Die kosten- und zeitintensive
Verwaltungsarbeit ist nicht zu rechtfertigen. Gute medizinische Leistung verlangt Zeit für den Patienten, nicht
für seine „administrative Verarztung“.
({8})
Die Praxisgebühr ist den Menschen in Deutschland
bei den momentanen Überschüssen in Milliardenhöhe
nicht mehr vermittelbar.
({9})
Der bürokratische Aufwand ist gewaltig. Allein die
Verwaltung und das Mahnwesen für die Praxisgebühr
belaufen sich Schätzungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zufolge auf knapp 360 Millionen Euro,
und das jährlich.
Auch besteht bei sozial schwächer gestellten Bürgern
die Gefahr der Krankheitsverschleppung mit hohen Folgen für die Solidargemeinschaft.
Mit einer Abschaffung der Praxisgebühr entfielen
umfangreiche bürokratische Regelungen zur Verwaltung
von Ausnahmetatbeständen und Gebührenbefreiungen.
({10})
Dies wäre eine wirklich sinnvolle Maßnahme.
({11})
Sie entlastete nicht nur Ärzte und Kassen, sondern träte
auch weitverbreitetem Unmut bei Patientinnen und Patienten entgegen.
({12})
Ein Wort noch zur Bürgerversicherung, meine Damen
und Herren von der linken Seite. Sie würden mit der
Bürgerversicherung natürlich zunächst mehr Einnahmen generieren;
({13})
aber die anstehenden Herausforderungen aufgrund der
Demografie und des medizinischen Fortschritts werden
Sie damit letztlich nicht finanzieren können.
({14})
Was wird passieren, wenn die Mittel nicht mehr zur Verfügung stehen? Es wird Wartelisten geben. Und was bedeutet eine Warteliste? Rationierung. Das steht am Ende
Ihrer Bürgerversicherung: eine Rationierung im Gesundheitswesen, die kein vernünftig denkender Mensch wirklich will.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Als letztem Redner erteile ich Kollegen Rudolf
Henke für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich nenne die Gebühr,
um die es hier geht, nicht Praxisgebühr, weil das die
Suggestion verbreitet, dass es sich um Geld handelt, das
primär den Praxen zugutekommt; es handelt sich aber
vielmehr um eine Kassengebühr.
({0})
Das Ganze ist ein zweiter Inkassoweg. Ich habe in der
Tat mein Problem mit der Sinnhaftigkeit eines zweiten
Inkassoweges, weil ein solcher immer das Problem in
sich birgt, dass die typische Einfachheit, die einen einzelnen Inkassoweg auszeichnet, entfallen könnte.
({1})
- Sie wollen das ja abschaffen. - Nur, liebe Kolleginnen
und Kollegen, was ist mit der Zuzahlung bei den Arzneimitteln? Das ist ja auch ein eigener Inkassoweg. Was ist
mit den Zuzahlungen im Krankenhaus? Das ist ebenfalls
ein eigener Inkassoweg.
Was ist mit den Zuzahlungen bei Kuren oder, wie es
richtigerweise heißen muss, Rehabilitationsleistungen?
Auch das ist ein eigener Inkassoweg. Müsste man, wenn
man denn sagt „Wir wollen das alles weghaben“, nicht
sogar den gesamten Zusatzbeitrag infrage stellen?
({2})
Müsste man aus diesem Blickwinkel nicht sagen: „Die
Opposition hat recht“?
({3})
Ich finde das, wenn ich es von Freund zu Freund so
sagen darf, ein bisschen inkonsequent.
({4})
Sie haben recht, wenn es um die Bürokratiekosten und
die Frage geht, welche Steuerungswirkung die Gebühr
hat. Der entscheidende Punkt ist aber doch - Herr
Dr. Franke hat das ausgeführt -: Sie müssen eine Antwort darauf geben, was denn mit den 2,1 Milliarden
Euro ist, die die Gebühr in die Kasse bringt.
({5})
Frau Bas hat gesagt: Das sind zu viel Mittel; wir brauchen dieses Geld. - Andere haben gesagt: Wir können es
uns leisten. - Ich bin da nicht ganz so optimistisch.
Machen wir uns doch einmal klar: Wenn man die
2 Milliarden Euro für den Sozialausgleich bei den Zusatzbeiträgen abzieht - man muss sie ja wohl herausrechnen, da die Mittel für einen anderen Zweck als für
die reine Leistungsfinanzierung gedacht sind -, dann
kommen wir auf einen Überschuss von 18 Milliarden
Euro. Welche Ausgaben haben wir? Wir haben in der gesetzlichen Krankenversicherung Ausgaben im Umfang
von über 180 Milliarden Euro. Das heißt: Wenn man addiert, was im Gesundheitsfonds und bei den Kassen auf
den Konten ist, erkennt man, dass sich die Rücklagen in
einer Größenordnung von gerade einmal 10 Prozent bewegen.
Ja, wir haben eine gute ökonomische Situation in
Deutschland, weil wir im Moment finanziell erfolgreicher und wirtschaftskräftiger sind als die Staaten um uns
herum. Das ist ein Erfolg der christlich-liberalen Koalition, ein Erfolg des Kabinetts Merkel.
({6})
Wir haben ein Konjunkturhoch, keine Frage. Das haben
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland erarbeitet, die mit ihrem Fleiß und ihrer Leistung
für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes sorgen. Im
Übrigen sind sie es, die das Geld in die Kassen der Sozialversicherung einzahlen, und zwar sowohl den Arbeitnehmerbeitrag als auch den Arbeitgeberbeitrag; denn
auch der Arbeitgeberbeitrag wird durch die Leistung der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwirtschaftet.
({7})
Aber was ist denn, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn die Konjunktur wieder abkühlt? Schwächelt dann
nicht auch die Einnahmebasis? Ich halte deswegen
nichts von einem Forderungswettbewerb, auf welche
Weise wir dafür sorgen können, dass sich die Finanzreserven, die sich zuletzt gebildet haben, schnellstens
wieder verflüchtigen.
({8})
Es gibt noch andere Forderungen als nur die Forderung nach der Abschaffung der Kassengebühr. Da gibt es
auch die Forderung, die etwa von der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg formuliert wird. Die Vertreterversammlung fordert eine Auszahlung des in den vergangenen Jahren erbrachten
Sparbeitrages der Vertragsärzte zur Sanierung der Finanzen der Krankenkassen. Da gibt es die Forderung des
Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands, der
vorträgt:
Für 2012 zeichnet sich eine Unterfinanzierung im
Personalbereich der Krankenhäuser ab, die wir konservativ mit 1 Milliarde Euro veranschlagen.
({9})
Da gibt es etwa die Forderung der Psychotherapeuten,
die uns schreiben:
Psychotherapeuten mahnen: Chance auf Sicherung
und Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker nicht vertun! Kassenreserven für die Versorgung!
Da gibt es die Forderung der Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände, die da schreibt:
Die GFB fordert, die GKV-Überschüsse zumindest
in Teilen zur Förderung des fachärztlichen Nachwuchses in Praxen analog zur Förderung der hausärztlichen Weiterbildung … zu nutzen.
Ich will Ihnen damit nur sagen: Die Debatte, die sich
auf die Forderung bezieht, mit diesem Geld irgendetwas
fiskal Aktives zu machen, ist nicht die einzige, die wir
dann führen müssen. Wenn man meint, das Geld sei dafür da, um es in homöopathischen Dosen zurückzuzahlen, dann wird die Frage sein: Was ist denn mit der Leistungsqualität? Was diskutieren wir dann im Bereich der
Leistungsfinanzierung? Deswegen sage ich: Täuschen
Sie die Bürger nicht im Hinblick auf das Gewicht einer
Rücklage, die bei gerade einmal 19,5 Milliarden Euro
liegt; es ist weniger, als wir denken.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. März 2012,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.