Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für
Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu
weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien
- Drucksache 17/8877 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ralph
Lenkert, Jan Korte, Dorothée Menzner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Mut zum Aufbruch ins solare Zeitalter
- Drucksache 17/8892 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Katherina Reiche für die Bundesregierung das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bemerkenswerte
Wochen hinter uns. Was gab es nicht alles für Vorwürfe?
Kahlschlag! Ausstieg! Deindustrialisierung!
({0})
Die Empörungskurve der Opposition kennt keine Grenzen.
({1})
Leider ist die Lernkurve der Opposition, bei SPD und
Grünen, bei weitem schwächer als die Lernkurve der
Photovoltaik.
({2})
Bundesumweltminister Röttgen hat in der Aktuellen
Stunde in der letzten Woche darauf hingewiesen, dass
die Vorwürfe falsch sind. Sie waren schon damals falsch,
sie sind jetzt falsch, und sie werden auch durch permanente Wiederholung nicht richtiger.
({3})
Was sind die Fakten? Die Photovoltaik ist in Deutschland in einem Ausmaß gewachsen, wie es in dieser Geschwindigkeit niemand für möglich gehalten hätte. Seit
Ende 2009 hat sich die installierte Leistung verdreifacht.
25 Gigawatt haben wir mittlerweile in Deutschland, und
allein 2011 sind 7 500 Megawatt installiert worden.
2010 und 2011 konnten wir erneut die Einspeisevergütung absenken - und das zu Recht.
Ein Wort zur SPD. Umweltminister Gabriel hat in der
Großen Koalition verpasst, eine schon damals überfällige Schlankheitskur durchzusetzen. Stattdessen gab es
noch einmal einen großen Schluck aus der Förderpulle.
Diese Überförderung mussten wir abbauen - zum Wohle
der Stromkunden und zum Wohle der Verbraucherinnen
und Verbraucher;
({4})
denn ein Massenmarkt kann nicht dauerhaft durch Subventionen gespeist werden.
({5})
Man kann auch sagen, dass die Photovoltaik erwachsen
geworden ist. Wenn man erwachsen ist, dann muss man
Verantwortung übernehmen und auf eigenen Füßen stehen.
({6})
Heute haben wir bei der Photovoltaik Netzparität im
Haushaltsbereich. Das von der Koalition eingebrachte
Gesetz gibt jemandem, der eine Dachanlage hat, die
Möglichkeit, seinen Strom günstiger zu erzeugen als zu
beziehen. Netzparität heißt eben, dass der durchschnittliche Haushaltsstrom bereits teurer ist als die Erzeugung
von Solarstrom. Diese Netzparität erreichen wir in
Kürze auch im landwirtschaftlichen und im Gewerbebereich. Hiermit ist ein Marktanreiz gesetzt.
Das EEG muss zunehmend zu einem Marktertüchtigungsgesetz werden. Mit dem neuen Marktintegrationsmodell vergüten wir nicht mehr die Gesamtmenge des
Stroms, sondern geben einen Anreiz, diesen selbst zu
nutzen. Die Anlagenbetreiber können ihren Strom entweder selbst verbrauchen, sie können ihn vermarkten,
oder sie können ihn anbieten. Der Eigenstrombedarf
wird bei der Anlagenplanung zukünftig stärker berücksichtigt werden. Das eröffnet übrigens Möglichkeiten für
die deutsche Industrie. Das eröffnet Möglichkeiten gerade für Anlageninstallateure, mit intelligenter Steuerungs- und Messtechnik maßgeschneiderte Lösungen zu
präsentieren. Ich halte das für einen zukunftsfähigen
Markt und würde mir wünschen, dass dies auch stärker
genutzt werden würde.
({7})
Selbst wenn wir die Förderung nicht anpassen würden, selbst wenn wir höhere Vergütungen genehmigen
würden: Am Grundproblem der deutschen Hersteller ändert das doch nichts. Das EEG ist eben kein Absatzsicherungsgesetz. Auf dem Weltmarkt stehen unglaublich
viele Module zur Verfügung. Es gibt massive Überkapazitäten, und der Wettbewerb ist hammerhart. Ich sage
nicht, dass der Wettbewerb jedes Mal fair ist. Gerade aus
Fernost kommen Module auf den Markt, die preislich
weit unter dem liegen, was deutsche Hersteller anbieten
können.
({8})
Aber es ist auch wahr, dass sich die Bürgerinnen und
Bürger oftmals für das günstigere Angebot entscheiden,
und das beeinflusst das EEG nicht.
({9})
Wir können diese Wettbewerbsverhältnisse mit einem
nachfrageorientierten Instrument nicht beeinflussen.
Noch einmal, Herr Kelber: Es ist kein Absatzsicherungsgesetz.
({10})
Mit höheren Vergütungssätzen riskieren wir eine Überförderung, ohne zu steuern. Die Grünen und auch Sie,
Herr Kelber, sagen das übrigens auch hinter verschlossenen Türen. Sie sollten den Mut haben, das auch hier so
zu sagen und nicht nur im kleinen Kreis.
({11})
Gerade die Tatsache, dass die Unternehmen schon im
Jahr 2011 in einer schwierigen Situation waren, obwohl
die EEG-Vergütung auskömmlich war, zeigt, dass sich
die Industrie in einem Wettbewerb auch unabhängig
vom EEG behaupten muss. Dazu sind zwei Dinge notwendig, wie es sich für die Industrie gehört, nämlich das
Setzen auf Innovationen und auf Forschung. Deswegen
hat diese Bundesregierung zusammen mit dem Forschungsministerium ein Forschungsprogramm in Höhe
von 100 Millionen Euro aufgelegt. Auch die deutschen
Unternehmen müssen stärker in den Export, um sich zu
behaupten.
Die Bürgerinnen und Bürger stehen mit überwältigender Mehrheit hinter der Energiewende. Die Bürgerinnen
und Bürger wollen zu über 95 Prozent, nämlich zu
98 Prozent, erneuerbare Energien. Wir wollen, dass das
so bleibt. Wenn wir aber risikofreie Renditen im zweistelligen Bereich, finanziert durch alle Stromverbraucher, dulden, dann setzen wir die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger langfristig aufs Spiel, und das
wollen wir nicht.
({12})
Zu unserer Verantwortung gehört, die Interessen aller
Bürgerinnen und Bürger, der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer im PV-Bereich, der Handwerker, aber
auch aller Stromkundinnen und Stromkunden im Blick
zu haben. Das unterscheidet uns offenbar von der Opposition und auch von manchen Unternehmensverbänden,
die leider nur Partikularinteressen im Blick haben.
({13})
Noch ein Wort zur Netzstabilität. In einem Industrieland wie Deutschland ist die Netzstabilität ein ganz hohes Gut. Es gibt den sogenannten Nichtverfügbarkeitswert. Er liegt in Deutschland bei 14,63 Minuten. Das
heißt, eine Unterbrechung der Stromversorgung bei
Kunden dauert im Durchschnitt in Deutschland lediglich
14,63 Minuten. Wir wollen, dass dieser weltweite Spitzenwert gehalten wird. Wir wollen zum Beispiel keine
kalifornischen Verhältnisse, wo der Strom einmal für
volle drei Tage weg war. Wir wollen auch nicht, dass der
Strom, wie es in Brasilien einmal der Fall war, für
2 Stunden oder, wie in Italien, für 18 Stunden weg war.
Deshalb müssen wir die Photovoltaikindustrie, die Installateure von Photovoltaikanlagen ertüchtigen. Auch
diejenigen, die Photovoltaikmodule nutzen, müssen sich
ihrer Verantwortung, zur Netzstabilität beizutragen, bewusst sein. Vor diesem Hintergrund gehen wir im Gesetz
auch auf die 50,2-Hertz-Problematik ein; denn das hohe
Gut der Netzstabilität ist etwas, was wir für Deutschland
erhalten wollen.
({14})
Meine Damen und Herren, ich glaube ganz fest an die
Zukunft der Solarindustrie, auch hier in Deutschland.
({15})
Wir wollen ein Solarstandort sein. Wir wollen diese Industrie hier halten. Wir wollen bis 2020 mindestens
35 Prozent des deutschen Strombedarfs aus erneuerbaren
Quellen decken. Die Solarförderung, die Solarindustrie,
die PV wird hier einen großen Beitrag leisten und eine
tragende Rolle einnehmen. Aber überhitzte Expansion
ist nicht gut. Die Überhitzung, die wir in den vergangenen Jahren trotz Anpassungen immer wieder erlebt haben, schadet sowohl dem deutschen Markt als auch unseren Unternehmen. Deutschland ist momentan einer der
größten Solarmärkte weltweit. Aber gleichzeitig müssen
wir die Solarindustrie auf einen verträglichen Pfad führen. Auch das wollen wir mit unserem Gesetz garantieren.
({16})
Wichtig für die Unternehmen ist, dass es jetzt keine
lange Hängepartie gibt. Zur Wahrheit gehört auch: Mit
den Produzenten war schon beim letzten Mal verabredet,
dass es dann, wenn wir wieder deutlich über 7 000 Megawatt kommen, erneut eine Korrektur geben wird. Insofern kann keiner ernsthaft verunsichert oder überrascht
sein über die Korrektur, die wir jetzt vornehmen. Es gilt
also: Wenn wir jetzt schnell Klarheit schaffen, schaffen
wir Ruhe im Markt und schaffen Sicherheit für Verbraucher und Installateure.
({17})
Das Wort hat nun Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die erneuerbaren Energien in Deutschland sind eine
einzigartige Erfolgsgeschichte. Seit der Jahrtausendwende sind 380 000 neue Jobs geschaffen worden, die
Emission von Treibhausgasen ist um 150 Millionen Tonnen jährlich gesunken. Wir haben endlich wieder Wettbewerb im Energiemarkt. Wir haben an der Strombörse
übrigens niedrigere Preise, wir haben rapide sinkende
Kosten für jede Kilowattstunde Ökostrom, und jährlich
sind mehr als 30 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen ausgelöst worden. Für all das war das ErneuerbareEnergien-Gesetz, das im Jahr 2000 in Kraft getreten ist,
die Grundlage. Die SPD ist stolz auf diese Erfolgsgeschichte.
({0})
Rund 70 Staaten haben weltweit das ErneuerbareEnergien-Gesetz kopiert. Das ist nicht vielen deutschen
Gesetzen vergönnt. 2000 und 2004 ist dieses Erneuerbare-Energien-Gesetz in diesem Parlament durchgesetzt
worden - durchgesetzt gegen CDU/CSU und FDP, gegen die Stimme von Angela Merkel, gegen die Stimme
von Norbert Röttgen, gegen die Stimme von Katherina
Reiche. Heute wird ein Gesetz vorgelegt, das ein Angriff
auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist.
Es ist erstens ein Angriff auf die Verlässlichkeit, weil
in Zukunft die Rahmenbedingungen sehr schnell mit Kabinettsentscheidungen verändert werden können.
Zweitens ist es ein Angriff auf den schnellen Ausbau,
den schnellen Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare
Energien.
({1})
Ich will das nur an einem Beispiel darstellen: Die Regierung hat vor zwei Monaten bei der Netzplanung gesagt,
sie wolle 54 Gigawatt Photovoltaik in Deutschland,
54 Gigawatt Solarstrom. Jetzt sollen es mehr als 10 Gigawatt weniger sein. Zum Vergleich: Das ist die Leistung der noch am Netz verbliebenen Atomkraftwerke.
({2})
Die wollen Sie weniger an Solarstrom in Deutschland
haben.
({3})
Wir haben gestern im Bundestag über die Gefährdung
der Energiewende durch die schwarz-gelbe Bundesregierung gesprochen, weil sie die Energiewende nur aus
Wahltaktik akzeptieren musste, aber nicht wirklich überzeugt ist. Wer keine Überzeugung hat, der hat auch keinen Plan. Unsichere Investitionsbedingungen, mangelnder Netzausbau, hü und hott bei den Förderprogrammen
und die Kreuzzüge gegen Solarenergie treffen vor allem
die erneuerbaren Energien. Ich nenne ein Beispiel: Das
Förderprogramm für erneuerbare Energien im Wärmesektor wurde erst gekürzt, dann gestoppt, dann wieder
aufgelegt, dann erweitert, jetzt wieder gestoppt. In nur
zwei Jahren gab es sechsmal ein Hin und Her bei einem
der relevantesten Förderprogramme für unser Handwerk. Wer soll in diesem Chaos von Schwarz-Gelb noch
investieren?
({4})
Es geht nicht nur um die Höhe der Vergütung. Immer
häufiger können Windenergieanlagen nicht produzieren,
weil der Netzausbau nicht vorankommt, weil SchwarzGelb Pilotprojekte für Erdverkabelungen, Hochtemperaturleitungen, Stromautobahnen und andere neue Technologien verweigert.
({5})
Die Technologieförderung wird zusammengestrichen.
Wo ist die Speicherstrategie der Regierung? Wo ist die
Unterstützung für Kombinationskraftwerke aus verschiedenen erneuerbaren Energien, die punktgenau
Strom liefern sollen? Stattdessen erstickt Schwarz-Gelb
die erneuerbaren Energien auch durch Bürokratie und
Verbote. Ein Beispiel: Das neue Luftverkehrsgesetz wird
für jeden Luftlandeplatz ein 50 Quadratkilometer großes
Gebiet definieren, in dem Windenergieanlagen nicht
mehr oder nur unter erschwerten Bedingungen errichtet
werden können. Das sind 25 000 Quadratkilometer zusätzliche Erschwerungsfläche, mehr als die Fläche von
Rheinland-Pfalz.
({6})
Die SPD lehnt den Gesetzentwurf der Bundesregierung im Bundestag und im Bundesrat ab.
({7})
So wird und so darf er keine Mehrheit bekommen. Es ist
ein durchsichtiger Angriff auf die erneuerbaren Energien.
({8})
Das wird auch durch kosmetische Veränderungen gegenüber den ersten Entwürfen der Regierung nicht besser.
({9})
Die verschlechterten Bedingungen für erneuerbare Energien sollen nun in drei Wochen in Kraft treten, statt, wie
zunächst vorgesehen, heute. Das haben die schwarz-gelben Fraktionen angekündigt. Die vorgesehene Entmachtung des Parlaments durch Kabinettsbeschlüsse wird nun
minimal eingeschränkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und
FDP: Man kann sich auch selbst zum Affen machen.
({10})
Diese Korrekturen sind weniger als gar nichts! Nehmen
Sie sich doch ein Beispiel an den CDU-regierten Ländern: Die lehnen das ab und wollen gegen die Inhalte
dieses Entwurfs kämpfen. Das erwarte ich auch von den
Fraktionen von Schwarz und Gelb.
In Zukunft soll das Kabinett bei allen erneuerbaren
Energien die Vergütung und die Menge des zu vergütenden Stroms innerhalb weniger Tage kappen können.
({11})
Bei den Nichtsolarenergien soll der Bundestag dann
noch zustimmen. Bislang hat das der Deutsche Bundestag in einem transparenten Verfahren gemacht. Diese
Entmachtung des Parlaments, diese zu befürchtenden
kurzfristigen Verschlechterungen greifen die Verlässlichkeit des Erneuerbare-Energien-Gesetzes an. Aber erst
die Verlässlichkeit der Förderung erneuerbarer Energien
hat die Erfolgsgeschichte möglich gemacht. Die neue
Regelung wird für höhere Risikozinsen, weniger Investitionen und weniger Erneuerbare sorgen. Das lehnt die
SPD ab.
Schwarz-Gelb hat angekündigt, den Zubau von Solarenergie in Deutschland bis 2017 auf maximal 1,5 Gigawatt pro Jahr absenken zu wollen; das heißt 80 Prozent
weniger als 2011, die Hälfte weniger als nach den bisherigen Zielen. Pardon, aber wie dumm ist das eigentlich,
genau dann, wenn etwas billiger wird, in das man viel
investiert hat - und Deutschland hat viel in das Billigerwerden der Solarindustrie investiert -,
({12})
wenn man sozusagen die Ernte einfahren könnte, den
Ausbau zurückzufahren?
({13})
Welcher Bauer käme denn auf die Idee, in dem Augenblick, wenn das teure Saatgut Wurzeln geschlagen hat
und die Ernte der Früchte zum Greifen nahe ist, das Feld
abzubrennen? Niemand käme auf diese Idee.
({14})
Nein, die SPD will beim Ausbauziel von wenigstens
3,5 Gigawatt Solarenergie pro Jahr bleiben, damit die
Solarenergie allein alle zwei Jahre ein Atomkraftwerk
ersetzen kann. Wir wollen die Solarmodule endlich auch
auf den Dächern der Mietshäuser sehen,
({15})
damit der Eigenverbrauch zu niedrigeren Stromkosten
für die Mieterinnen und Mieter führt. Diese könnten diesen Strom heute bereits für 15 oder 16 Cent bekommen
statt zum Preis von 25 Cent, zu dem ihn die Energiekonzerne an die Mieterinnen und Mieter verkaufen. Wir
wollen, dass alle profitieren können.
({16})
Deswegen muss Solarstrom natürlich weiterhin jedes
Jahr billiger werden, und zwar mit einer festen monatlichen Rate, die einmal pro Quartal angepasst werden
muss, wenn deutlich mehr als die 3,5 Gigawatt zugebaut
wurden. An dieser Stelle unterstützen wir die bestehende
Gesetzeslage.
({17})
Wir wollen die Vergütung weiter senken; 30 Prozent
wären es 2012 ohnehin gewesen. Ein maßvoller zusätzlicher Schritt erscheint möglich.
({18})
Aber wir sollten die Vergütung nur so weit senken, dass
jemand, der ein Modul unter marktwirtschaftlichen Bedingungen produziert, dies auch zu einem angemessenen
Preis verkaufen kann. Schwarz-Gelb will die Vergütung
jedoch so weit absenken, dass nur noch hochsubventionierte Module aus China auf dem deutschen Markt eine
Chance haben.
({19})
China hat zweifelsohne technologisch aufgeholt.
Aber wir wissen doch auch, dass der Staat, die Provinzregierungen und die Volksarmee die Solarfirmen subventionieren. Schwarz-Gelb akzeptiert die unfairen
Dumpingpreise aus China. In Vieraugengesprächen wird
gesagt: Das ist halt so; da kann man nichts machen.
Nein! Staatlich ausgeglichene Verluste für chinesische
Solarfirmen, subventioniertes Siliziumdioxid, subventioniertes Glas, subventionierte Energie, großzügige Kreditlinien - das ist kein fairer Wettbewerb.
({20})
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland können erwarten, dass eine Bundesregierung einem
solchen Dumping aus dem Ausland entgegentritt und
nicht tatenlos zusieht.
({21})
Die SPD wird diese Zukunftstechnologien nicht aufgeben. Wir erwarten eine Antidumpingstrategie des
Bundeswirtschaftsministers.
({22})
Die Menschen müssen sich darauf verlassen können - in
den Hochburgen, in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg.
({23})
Das gilt aber auch für Handwerker und Zulieferer aus
der ganzen Republik.
Die schwarz-gelben Pläne bedeuten einen Zusammenbruch der deutschen Solarzellen- und Solarmodulefertigung.
({24})
Ich darf noch einmal - wenn Sie mir nicht glauben - das
Bundesumweltministerium zitieren, Frau Staatssekretärin Reiche. Damit Sie es finden: Es geht um Ihre Pressemitteilung 145/11 vom Ende letzten Jahres.
Zum 1.1.2012 wird die PV-Vergütung nochmals um
15 Prozent abgesenkt. Das EEG 2012 sieht zudem
vor, dass auch zum 1.7.2012 ein weiterer Absenkungsschritt erfolgt …
Dies stellt die deutschen Unternehmen nochmals
vor eine große Herausforderung … Viele deutsche
Unternehmen schreiben bereits derzeit Verluste.
Wir wollen die Photovoltaikindustrie aber nicht abwürgen …
Es ist … gelungen, eine Lösung zu finden, die die
Kosten deutlich reduziert, marktwirtschaftliche Anreize erhöht und gleichzeitig Planungssicherheit gewährleistet.
Jetzt muss das neue Gesetz, das am 1. Januar 2012
in Kraft tritt, erst einmal wirken.
Das war die Meinung Ihres Ministers vor dreieinhalb
Monaten, Frau Reiche. Das hat überhaupt nicht zu Ihrer
heutigen Rede gepasst.
({25})
Wir haben die große Chance, aus 380 000 Jobs in den
nächsten Jahren 750 000 Jobs zu machen. Mit SchwarzGelb drohen jetzt weitere Insolvenzen und Arbeitslosigkeit. Wir wollen die Energieversorgung zu 100 Prozent
in Richtung der Erneuerbaren transformieren. SchwarzGelb will die Erneuerbaren den Spielregeln der Energiekonzerne unterwerfen, der Versorgung mit Großkraftwerken; sie sollen nur die Lücke füllen.
({26})
Nicht wenige bei Schwarz-Gelb wollen doch in Wirklichkeit das Scheitern der Energiewende, damit die
Atomkraftwerke nach 2022 weiterlaufen können. Sie
hätten nur die Interviews der letzten Tage lesen oder gestern Herrn Paul in diesem Parlament hören müssen.
({27})
Wir, die SPD, stellen uns diesen Plänen entgegen. Wir
wissen uns in einem breiten gesellschaftlichen Bündnis.
Zu diesem Bündnis gehören auch von CDU und CSU regierte Bundesländer. Jetzt fordern wir diesen Mut, den
die Ministerpräsidenten der Bundesländer gezeigt haben,
als sie in den letzten Tagen gesagt haben: „Wir stimmen
diesem Entwurf der schwarz-gelben Bundesregierung
nicht zu“, auch von den Freunden der Erneuerbaren in
den Fraktionen von CDU/CSU und FDP ein.
Heute bringt die Bundesregierung ihr Anti-Erneuerbare-Energien-Gesetz ein. Wir werden es in den Ausschüssen und in der Anhörung zerpflücken.
({28})
Ende März wird hier die Endabstimmung stattfinden.
Die SPD wird namentliche Abstimmung beantragen, damit jeder in den Wahlkreisen weiß, wo sein Abgeordne19728
ter oder seine Abgeordnete in dieser wichtigen Frage
steht.
Vielen Dank.
({29})
Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kelber hat gerade wieder gezeigt, wer hier in diesem
Haus der größte Lobbyist für eine bestimmte Branche
ist.
({0})
Die SPD-Fraktion kann hier aus meiner Sicht nicht guten
Gewissens mit solchen Argumenten antreten.
({1})
Eine Partei, die darauf ausgerichtet war, die kleinen
Leute in diesem Land zu vertreten, ist inzwischen hier
im Deutschen Bundestag offensichtlich die Partei, die
auf Kosten der alleinerziehenden Kassiererin im Supermarkt
({2})
die Umverteilung von unten nach oben propagiert, nämlich zugunsten der Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer.
Das war der Inhalt der Rede von Herrn Kelber hier im
Deutschen Bundestag.
({3})
Ich kann nur sagen: Sie sollten sich einmal Ihre eigene nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin zum
Vorbild nehmen.
({4})
Sie sagt nämlich erstens: Wir müssen unsere industriellen Kerne erhalten, damit wir wettbewerbsfähig bleiben.
Zweitens sagt sie: Bei der Photovoltaik muss man mit
der Vergütung runter. - Das ist die Zweigesichtigkeit der
SPD: hier im Deutschen Bundestag Solarlobby, in Nordrhein-Westfalen Anwalt der kleinen Leute. Das passt
nicht zusammen, meine Damen und Herren!
({5})
Im Jahr 2011 war der Anteil erneuerbarer Energien an
der Stromproduktion so groß wie nie: Etwa 21 Prozent
unseres Stroms stammen aus Wind, Sonne, Biomasse
und Wasserkraft. Mit dieser schnellen Entwicklung werden wir es schaffen, unser Ziel, bis 2020 den Anteil des
Ökostroms auf mindestens 35 Prozent zu heben, voraussichtlich weit schneller zu erreichen, als wir noch vor
kurzem gedacht haben. Und man sieht: Es ist die Politik
von Union und FDP, die Politik dieser Koalition, die
wirkt. Das ist die Politik für eine schnellere Energiewende, die wir nicht nur beschlossen haben, sondern die
wir auch durchsetzen. Das beweisen die Zahlen ganz
eindeutig, meine Damen und Herren!
({6})
Aber man muss auch ehrlich bleiben. Nur jede sechste
Kilowattstunde Ökostrom stammt aus der Solarenergie,
und wer wie Herr Kelber hier so tut, als würde die Frage
der Solarvergütung darüber entscheiden, ob die erneuerbaren Energien in Deutschland erfolgreich sind, der verzerrt die Wirklichkeit. Wir haben es hier mit einem
Marktsegment der erneuerbaren Energien zu tun, und
das ist nicht einmal das größte. Es sind die Windkraft
und Biogas, die das Rückgrat des Ökostroms in Deutschland sind.
({7})
Allerdings - das sage ich auch sehr deutlich - ist die
Solarenergie ein Marktsegment mit weltweit großen
Marktchancen in der Zukunft, und trotz der asiatischen
Konkurrenz haben wir immer noch die Technologieführerschaft inne.
Deshalb, meine Damen und Herren, steht die FDP zur
Solarenergie. Wir wollen allerdings einen nachhaltigen
Ausbau und keine Überhitzung des Marktes, wie wir es
in der Vergangenheit erlebt haben. Das halten die Verteilnetze nicht aus, und das ist auch für die Bürgerinnen
und Bürger in dieser Form nicht bezahlbar.
({8})
Man sollte sich auch hier einmal die Ausbauzahlen
anschauen. Im Jahr 2010 und im Jahr 2011 hat die Solarindustrie die gesetzlichen Ausbauziele um mehr als das
Doppelte überschritten. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass die schwarz-gelben Ausbauziele fast doppelt so hoch sind wie die unter dem ehemaligen SPDUmweltminister Sigmar Gabriel,
({9})
könnte man davon reden, dass die Ausbaurate in den
letzten beiden Jahren viermal höher war als die Rate, die
Sigmar Gabriel wollte. Die SPD, die uns an dieser Stelle
vorwirft, wir würden die Solarindustrie nicht genug fördern, müsste sich eigentlich selber fragen, was sie in ihrer Regierungszeit getan hat. Schließlich wollte sie nur
ein Viertel dessen, was allein im letzten Jahr erreicht
wurde.
({10})
Es ist ein Erfolg dieser Bundesregierung, dass wir die
Förderung seit unserem Regierungsantritt in etwa halMichael Kauch
biert haben, ohne dass der Ausbau zusammengebrochen
wäre. Das Gegenteil ist passiert. Bei jeder Kürzungsrunde standen jedoch die Demonstranten da und haben
gesagt, die Solarindustrie bricht zusammen. Jedes Mal
haben Sie das Lied vom Tod der Solarbranche gesungen,
({11})
aber jedes Mal ist das Gegenteil eingetreten, und so wird
es auch dieses Mal sein, meine Damen und Herren.
({12})
Die Anlagenpreise sinken immer weiter, und wenn
die Anlagenpreise immer weiter sinken - und das ist ein
Erfolg des technischen Fortschritts -, dann müssen diese
sinkenden Preise auch an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden. Denn sonst machen
sich Investoren die Taschen voll.
({13})
Wir wollen nicht, dass zweistellige Renditen der Eigenheimbesitzer von normalen Stromkunden, von normalen
Familien finanziert werden.
({14})
Das ist auch eine soziale Frage, um die wir uns hier zu
kümmern haben, meine Damen und Herren!
({15})
Wenn Sie, Herr Kelber, hier die Rechnung aufmachen:
({16})
„Mehr Vergütung heißt mehr deutsche Module“, dann
zeigt das nur, dass Sie den Markt nicht verstanden haben.
({17})
Auch bei der jetzigen Vergütungshöhe guckt sich der
Hausbesitzer doch an, welches Modul gut und günstig
ist.
({18})
Leider muss man sagen, dass die Chinesen nicht mehr
schlechter als die Deutschen sind. Wenn sie dann auch
noch billig werden, dann kaufen die Leute die chinesischen Module, und zwar unabhängig von der Vergütungshöhe. Deshalb müssen sich die deutschen Hersteller die Frage stellen,
({19})
warum sie in den letzten Jahren im Verhältnis zum Umsatz weniger für die Forschung ausgegeben haben als der
Durchschnitt der deutschen Industrie.
({20})
Wer nicht forscht, kann auch nicht besser werden, meine
Damen und Herren!
({21})
Deshalb müssen wir bei der Forschung ansetzen, wenn
wir die deutschen Hersteller wieder für den Weltmarkt
fitmachen wollen.
({22})
Zu dem Gerede von Herrn Kelber, man müsse jetzt
gegen das Dumping aus China vorgehen:
({23})
Dafür ist die Europäische Kommission zuständig, und
die Europäische Kommission hat dazu ein Verfahren eingeleitet.
({24})
Aber es ist der Europäischen Kommission bisher nicht
gelungen, nachzuweisen, dass es Dumping gibt.
({25})
Wir haben einen WTO-Vertrag, und insofern muss man
Beweise bringen und darf nicht nur Behauptungen aufstellen. Sie als Opposition machen es sich hier ganz
schön leicht, Herr Kelber.
({26})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
eine Formulierungshilfe gegeben. Die Fraktionen haben
diese Formulierungshilfe abgeändert. Wir haben den Gesetzentwurf, den wir heute in den Bundestag einbringen,
nicht eins zu eins von der Bundesregierung übernommen.
({27})
Den Fraktionen war es wichtig, dass in unserem Land
Vertrauensschutz besteht. Wir sichern den Vertrauensschutz für mittelständische Unternehmen. Wir sichern
Vertrauensschutz für durchgeführte Investitionen. Deshalb haben wir die Übergangsfristen für Dachanlagen
und Freiflächenanlagen verlängert. Das ist ein Erfolg für
die Koalitionsfraktionen hier im Deutschen Bundestag.
({28})
Wir können das Spiel mit den Übergangsfristen allerdings nicht immer weitertreiben; denn wer die Fristen
immer weiter nach hinten schiebt, wird einen Schlussverkaufseffekt auslösen. Das würde dazu führen, dass
mehr Anlagen hoch gefördert würden als ohne die geplante Gesetzesänderung.
({29})
Klar muss sein: Wir haben die Regelungen mit Blick auf
den Vertrauensschutz geändert, aber wir als FDP-Fraktion werden einem weiteren Hinausschieben über den
1. April hinaus nicht zustimmen.
({30})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Wir haben auch die Verordnungsermächtigungen, die
sich die Bundesregierung zubilligen wollte, im Interesse
der Parlamentsrechte eingeschränkt.
({0})
Wir als FDP wollen im weiteren Verfahren eine automatische Anpassung, den sogenannten atmenden Deckel.
Wenn die Ausbauziele überschritten werden, soll künftig
die Anpassung automatisch erfolgen, damit wir nicht
ständig neue Verordnungen der Bundesregierung brauchen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Gregor Gysi für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeiten, in denen Investitionen in Solarstrom teuer waren,
sind vorbei. Seit 2008 sind die Mittel für die Förderung
von Solarstrom halbiert worden, und zwar auf gesetzlicher Grundlage. Aber das genügt Ihnen nicht. Selbst im
Jahre 2012 wäre die Förderung nach der derzeit bestehenden gesetzlichen Grundlage noch einmal um 30 Prozent reduziert worden. Aber das reicht Ihnen immer
noch nicht, Sie wollen noch drastischer reduzieren. Warum reicht Ihnen das eigentlich nicht? Die Solaranlagen
jetzt auszubremsen, so wie Sie das vorhaben, bedeutet
nichts anderes, als im Interesse der fossil-nuklearen
Energiewirtschaft zu handeln. Das ist gesellschaftspolitischer Irrsinn.
({0})
Für die zusätzliche Kürzung von 10 bis 18 Prozent im
Jahr 2012 können Sie keine triftigen Gründe anführen.
Das Ziel der Bundesregierung ist meines Erachtens die
Blockade der Energiewende,
({1})
wobei es nicht nur um die Kürzung der Förderhöhe, sondern auch um eine radikale Absenkung des Neubaus von
Solaranlagen geht. Es steht ausdrücklich im Gesetzentwurf: Der Zubaukorridor soll drastisch heruntergefahren
werden.
Geht es nach der Regierung, soll in fünf Jahren nur
noch ein Viertel der Solaranlagen im Vergleich zum heutigen Stand gebaut werden. Warum?
({2})
Ich werde es Ihnen erklären. Die höhere Mathematik der
Bundesregierung lautet wie folgt: Um die Energiewende
voranzuträumen - Entschuldigung: voranzutreiben -,
also auf Strom aus Atom und Kohle zu verzichten, reduzieren Sie das Wachstum der Solarenergie.
({3})
Sie müssen einmal erklären, wie das funktionieren soll.
Das verstehe, wer will. Ihr eingebrachter Gesetzentwurf
ist nichts anderes als ein Solarausstiegsgesetz, und genau
das muss verhindert werden.
({4})
Die künftigen Kürzungen des Förderumfangs wollen
Sie auf dem Verordnungswege regeln. Ich sage Ihnen:
Damit entmachtet sich der Bundestag schon wieder
selbst. Das ist doch keine Variante! Warum soll nicht der
Bundestag darüber beschließen? Aus einem ganz einfachen Grunde wollen Sie das: Sie wollen keine öffentliche Diskussion darüber führen. Sie wollen das schnell
auf dem Verordnungswege regeln, aber genau das können wir nicht zulassen. Das ist ein Abbau von Demokratie.
({5})
Sie wollen beim Abbau der Förderung eine Verkürzung erreichen. Man muss sich einmal vor Augen führen, wie Sie vorgegangen sind: Am 29. Februar tagte Ihr
Kabinett - schade, dass wir ein Schaltjahr haben, sonst
wäre das vielleicht ausgefallen -,
({6})
heute wollten Sie eigentlich abschließend darüber beraten, und am 9. März sollte es schon in Kraft treten. Nun
haben Sie sich auf eine „gewaltige“ Verzögerung eingelassen und die Kürzung auf den 1. April verlegt. Wie
schnell soll das denn noch gehen? Wollen Sie Ihre VorDr. Gregor Gysi
haben künftig innerhalb von 24 Stunden durchwinken?
Das, was Sie diesbezüglich hier anstellen, ist absolut
verantwortungslos.
({7})
Schauen wir uns doch einmal die Folgen an - Sie sagen, dass Sie das Ganze fördern, dabei vernebeln Sie
hier alles -: Die Bestellungen werden storniert; Bankkredite sind schon widerrufen worden - alles wegen Ihrer
Gesetzesinitiative. Es wird gesagt: Die Bedingungen
stimmen ja gar nicht mehr; wir haben uns auf ein anderes Gesetz verlassen. - Das kann man nicht machen. Es
muss immer eine gewisse Rechtssicherheit geben.
({8})
Man hat einer ganzen Branche ein Gesetz vorgelegt und
gesagt: Die Förderung sieht so und so aus, sie ist degressiv, sie nimmt von Jahr zu Jahr ab, aber darauf könnt ihr
euch einstellen. - Wenn Sie aber als Gesetzgeber das
Ganze innerhalb einer Woche umdrehen, dann bringen
Sie damit die ganze Branche durcheinander, und zwar
die Unternehmerin und den Unternehmer genauso wie
die abhängig Beschäftigten. Genau dagegen richtet sich
unsere Kritik.
({9})
In den letzten Monaten gab es doch schon genügend
Krisenmeldungen - ich möchte daran erinnern -: Das
Berliner Unternehmen Solon meldete genauso wie das
Erlanger Unternehmen Solar Millennium im Dezember
Insolvenz an. Im Januar stellte First Solar für seine Produktionsstätten in Frankfurt/Oder einen Antrag auf
Kurzarbeit. Schott Solar stellt die Produktion sogenannter Solar Wafer in Jena ein. Es gibt keine Planungssicherheit. Und was machen Sie jetzt? Jetzt schaffen Sie
das, worauf sich die Unternehmen noch verlassen konnten, auch noch ab. Was soll denn jetzt passieren? Wie
viele Unternehmen wollen Sie denn noch in die Insolvenz schicken? Sie müssen doch den umgekehrten Weg
gehen.
({10})
Ich nehme als Beispiel das sogenannte Solar Valley.
Das hat den Menschen in der Region Bitterfeld-Wolfen
in Sachsen-Anhalt endlich wieder eine Chance gegeben.
3 000 Arbeitsplätze sind in einer Region entstanden, die
nach 1990 deindustrialisiert worden ist. Wenn Sie das,
was Sie vorhaben, durchziehen, deindustrialisieren Sie
die Region erneut. Ich halte das für völlig verantwortungslos. Der Osten verträgt keine zweite Deindustrialisierung, wirklich nicht.
({11})
Ich hoffe auf die Bundesländer. Ich möchte sehen, wie
viel Kreuz alle neuen Bundesländer haben. Sie müssten
im Bundesrat geschlossen eine Initiative dagegen ergreifen. Da auch Herr Seehofer immer sagt, dass er dagegen
ist - ich weiß gar nicht, wie sich die CSU hier dazu verhält; das ist mir auch wurscht -, müsste er ebenfalls eine
entsprechende Initiative ergreifen. Leider ist es ja kein
zustimmungspflichtiges Gesicht - ich meine natürlich:
Gesetz -, aber der Bundesrat könnte zumindest Einspruch erheben.
({12})
- Das, was ich gerade versehentlich gesagt habe, stimmt
übrigens auch, aber ich weiß, dass es darum jetzt nicht
geht.
Noch einmal: Wenn der Bundesrat Einspruch erhebt,
dann müsste dieser mit absoluter Mehrheit hier zurückgewiesen werden; es sei denn, wir erreichen ein besseres
Ergebnis - es muss wirklich ein vernünftiges Ergebnis
sein - im Vermittlungsausschuss. Doch daran kann ich
noch nicht glauben, weil Ihre Zielstellung abenteuerlich
ist. Ich weiß nicht, wie man diesbezüglich eine Verständigung erzielen will.
Was brauchen wir also? Wir brauchen eigentlich ein
Förderprogramm für die Solarenergiebranche.
({13})
Sie müssten den Unternehmen zinsgünstige Kredite zur
Verfügung stellen und damit zwei Ziele verfolgen: ein
soziales und ein inhaltliches. Das inhaltliche Ziel müsste
so lauten: Die Kredite werden verwendet, um Forschung
und Entwicklung voranzutreiben, und zwar richtig.
({14})
Die zweite Bedingung, die ich daran knüpfen würde,
wäre: keine prekäre Beschäftigung.
({15})
Es gibt Unternehmen, die bis zu 20 Prozent Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter beschäftigen. Das wollen wir
nicht. Wenn Sie diese Ziele damit verbinden würden,
würden Sie der Industrie wirklich helfen und dabei auch
noch die soziale Komponente berücksichtigen.
Nehmen wir noch einmal das Jahr 2011: Acht Atomkraftwerke sind abgeschaltet worden. Sie haben gesagt:
Das führt zu einer Stromkatastrophe. Wir sind aber Nettostromexporteur geblieben. Das ist die Wahrheit.
({16})
Natürlich gab es gewisse Probleme mit der Stabilität von
Stromnetzen, aber das lag daran, dass Stromhändler die
Börse wieder einmal zum Kasino gemacht haben und
dort gespielt und gezockt haben. Gerade wegen der Sicherheit der Stromversorgung finde ich das alles abenteuerlich. Ich muss Ihnen das noch einmal sagen: Wir
müssen das Kasino an der Börse schließen. In einem
wirklichen Spielkasino gibt es strenge Regeln: Abhängige dürfen da gar nicht hin; am Eingang muss man seinen Pass vorlegen. Aber an der Börse kann jeder machen, was er will.
({17})
Uns wurde erzählt, dass die großen Unternehmen alle
kurz vor der Pleite stünden und, wenn man ihnen nicht
ungeheuer helfen würde, lauter Katastrophen passieren
würden. RWE hat am Dienstag, am 6. März 2012, bekannt gegeben, dass sie ein wahnsinnig schlechtes Jahr
hatten. Sie hatten nur einen Gewinn von 1,8 Milliarden Euro. Mir kommen da nicht die Tränen, muss ich
ehrlich sagen. Von solchen Gewinnen können andere
Branchen nur träumen.
Was machen Sie? Ich habe mir das einmal angeschaut; das ist sehr spannend. Sie fördern jetzt kapitalintensive Anlagetypen wie Offshorewindparks in der
Nordsee - künftig auch in der Ostsee - und Biogasanlagen. Ich habe nichts dagegen, das Problem ist nur: Warum fördern Sie dies und nicht mehr die Solarenergie?
Es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken. Kennen Sie
den Grund? Die vier Konzerne Eon, RWE, Vattenfall
und EnBW investieren in Offshorewindparks und Biogasanlagen und nicht in die Solarenergie.
({18})
Das muss man sich einmal vorstellen. Sie verschieben
die Förderung hin zu den vier großen Konzernen und sagen den kleinen und mittelständischen Unternehmen im
Bereich der Solarenergie: Für euch ist Schluss. - Das
macht die FDP mit!
({19})
Mein Gott, Sie haben sich doch einmal als Mittelstandspartei gegründet, und jetzt machen Sie den Mittelstand
tot. Nun müssen wir als Linke uns auch noch um den
Mittelstand kümmern, weil Sie es nicht tun. Das ist
wirklich abenteuerlich.
({20})
- Sie haben völlig recht. Natürlich gefalle ich Ihnen in
einem Kindergarten besser. Das liegt daran, dass ich mit
Kindern gut umgehen kann. Gestern im Kindergarten
habe ich eines festgestellt: Kinder unterscheiden sich
von vielen hier im Saal. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Kinder sind ehrlich, Kinder sind aufrichtig, Kinder
sind sehr konzentriert, und außerdem sind sie niedlich.
Das kann man von vielen hier wirklich nicht behaupten.
({21})
Wir sollten übrigens gemeinsam dafür kämpfen, dass
die Erzieherinnen endlich anständig bezahlt werden. Sie
leisten eine wichtige Arbeit.
({22})
Zurück zum Thema. Es gibt noch einen interessanten
Punkt. Sie hatten, als Sie die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert haben, hinsichtlich der erneuerbaren
Energien ein Ziel ausgegeben: Im Jahre 2020 sollen
35 Prozent der Stromversorgung durch erneuerbare Energien erfolgen. Jetzt haben Sie gesagt: Schluss mit Atomkraftwerken. Interessanterweise haben Sie aber Ihre Zielmarke hinsichtlich der erneuerbaren Energien nicht
erhöht. Sie haben nicht gesagt: Dann brauchen wir nicht
mehr 35 Prozent, sondern 45 oder vielleicht 50 Prozent. Sie sind bei 35 Prozent geblieben, schalten aber Atomkraftwerke ab. Wer soll die Lücke schließen? Das ist ganz
klar: die fossilen Kraftwerke. Sie setzen wieder auf
Kohle.
({23})
Sie haben es nicht begriffen. Wir sind nicht mehr im
20. Jahrhundert und schon gar nicht im 19. Jahrhundert,
wir sind im 21. Jahrhundert. Deshalb brauchen wir dringend die Wende hin zu erneuerbaren Energien. Dies ist
im Interesse aller.
({24})
- Ja, das mache ich; das können wir beide zusammen
machen.
({25})
Ich sage Ihnen: Mich stört, dass das Ganze wie aus einem Kinderbilderbuch von Karl Marx ist. Es gibt vier
große Konzerne und Hunderte mittelständische Unternehmen. Was machen Union und FDP? Sie unterstützen
die vier großen Konzerne immer mehr und lassen die
mittelständischen Unternehmen über die Wupper gehen.
Das ist ein Skandal. Tausende Beschäftigte sind davon
betroffen. Deshalb werden wir solidarisch mit den Kolleginnen und Kollegen der Solarbranche dafür kämpfen,
dass das, was Sie hier vorhaben, verhindert wird.
({26})
Das Wort hat nun Hans-Josef Fell für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In der Debatte zur Solarvergütung in der letzten
Sitzungswoche hat Herr Minister Röttgen aus meiner
Rede zitiert, die ich vor zwei Jahren zur EEG-Novelle
gehalten hatte. Er warf mir vor, ich hätte vor Insolvenzen
und Arbeitsplatzverlusten in der Solarindustrie gewarnt,
die dann doch nicht eingetreten seien. Auch Frau Reiche
hat heute wieder gesagt, der Solarwirtschaft gehe es
blendend. Wo leben Sie denn, meine Damen und Herren
von Schwarz-Gelb?
Fabrikschließungen und Insolvenzen haben bereits
jetzt ein schlimmes Ausmaß angenommen, lange bevor
Ihre heute vorgelegte Gesetzesnovelle in Kraft ist. Produktionsstätten wurden schon geschlossen: in Alzenau
SCHOTT Solar, Q-Cells in Thalheim und Conergy in
Frankfurt an der Oder. Insolvent gegangen sind Gecko
Group in Wetzlar, Solon in Berlin, Ralos in Michelstadt,
Scheuten in Gelsenkirchen, SunConcept in Limburg und
Systaic in Düsseldorf. Schlimmer noch: Der Ausverkauf
deutscher Unternehmen an arabische und chinesische
Firmen aus Verzweiflung vor drohenden Konkursen hat
bereits begonnen. All das ist das Ergebnis Ihrer verfehlten Solarpolitik.
({0})
Diese schwarz-gelbe Bundesregierung trägt die
Schuld am bereits erfolgten Verlust Tausender Arbeitsplätze in der deutschen Solarbranche.
({1})
- Ja, natürlich. - Das hat auch etwas mit der wachsenden
Konkurrenz aus China zu tun. Die chinesische Regierung hat im Gegensatz zur Bundesregierung klar erkannt, dass die Photovoltaik einer der wichtigsten und
größten Exportmärkte der nahen Zukunft sein wird und
stützt daher strategisch den Ausbau der erneuerbaren
Energien in China.
({2})
Doch was tut die Bundesregierung? Statt die heimische Solarindustrie im wachsenden internationalen Wettbewerb zu stützen, statt ein offensives Solarindustriekonzept vorzulegen,
({3})
legen Sie heute eine Gesetzesnovelle vor, welche die
deutsche Solarwirtschaft noch weiter massiv unter Druck
setzen wird.
({4})
Wir Grünen lehnen Ihren Gesetzentwurf ab.
({5})
Wir fordern Sie, die Abgeordneten von SchwarzGelb, auf: Korrigieren Sie diesen fatalen, verfehlten Gesetzentwurf der Bundesregierung!
({6})
Hören Sie wenigstens auf die Ministerpräsidenten der
unionsregierten Länder vor allem im Osten Deutschlands, wo auch Sie, Frau Reiche, herkommen.
({7})
Diese fürchten eine zweite Deindustrialisierung im Osten. Das kann doch nicht unser Ziel sein!
({8})
Streichen Sie die Verordnungsermächtigungen zur
Entmachtung von Bundestag und Bundesrat! Die Entscheidungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien
gehören eben nicht in die Hand eines Wirtschaftsministers Rösler, der ausschließlich die Interessen der Kohleund Atomwirtschaft vertritt.
({9})
Wir hoffen, dass der Bundesrat seine eigene Entmachtung durch eine Zweidrittelmehrheit verhindern wird.
Ja, auch wir Grünen sehen die Chancen einer gleichmäßigen Vergütungssenkung für die Photovoltaik, aktuell um noch einmal etwa 20 Prozent.
({10})
Das wäre als Reaktion auf die tollen Innovationserfolge
der Solarindustrie angemessen.
({11})
Aber: Verhindern Sie die verheerenden Vorschläge der
Bundesregierung, die in Teilsegmenten eine Senkung
der Vergütung um 37 Prozent vorsehen! Das entspräche
in nur einem Jahr einer Vergütungssenkung um über
50 Prozent. Das verträgt die Branche nicht.
({12})
- Ja. Die Insolvenzen sind ja da, wie ich Ihnen gerade
vorgelesen habe, Herr Meierhofer. - Schaffen Sie lieber
Investitionsanreize für die Netzintegration! Das wäre allemal besser, als den Zubau von Solarstromanlagen wegen fehlender Netzintegration einfach einzudämmen.
({13})
Auch sollten Sie einen Ausbaukorridor von etwa
5 Gigawatt jährlich anstreben. Ihr Ausbaupfad bis 2020
ist geringer als das, was schon heute von der Solarwirtschaft in Deutschland insgesamt installiert ist. Man muss
sich Ihre verrückten Vorstellungen einmal vor Augen
halten: Je billiger der Solarstrom wird, desto weniger
wollen Sie zubauen. Was ist das für eine Industrie- und
Energiepolitik?
({14})
Ein Jahr nach Fukushima wird uns immer klarer: Sie
wollen die Energiewende gar nicht. Wer gestern die
Rede von Herrn Paul gehört hat und wer gehört hat, was
Herr Fuchs heute im Deutschlandfunk gesagt hat,
({15})
der weiß, dass Sie zur Laufzeitverlängerung zurückwollen und dass Sie nicht die Energiewende wollen.
({16})
Stoppen Sie, meine Damen und Herren von der
Unionsfraktion und der FDP-Fraktion, den Versuch, die
Grundstruktur des Erneuerbare-Energien-Gesetzes abzuschaffen, und streichen Sie die Regelungen mit der 90und 85-prozentigen Vergütungsdeckelung!
({17})
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, hören Sie endlich auf, die erneuerbaren Energien
für die Energiepreissteigerungen verantwortlich zu machen!
({18})
Solar- und Windstrom senken die Börsenstrompreise immer stärker. Ihre Hetze gegen die erneuerbaren Energien
als Energiepreistreiber wird immer unerträglicher.
({19})
Es sind die steigenden Öl-, Gas- und Kohlepreise, die die
Verbraucherinnen und Verbraucher belasten. Wenn Sie
schon die genauen Gründe nicht wissen wollen, dann hören Sie sich wenigstens an, was Herr Großmann von
RWE sagt.
({20})
Er hat bei der Darstellung des Unternehmensergebnisses
zugegeben, dass sich aufgrund der steigenden Kohlepreise die Kosten erhöht und die Einnahmen vermindert
hätten und dass ihm - hören Sie jetzt genau zu! - der billige Solarstrom die Einnahmen vermasselt und das Ergebnis verhagelt hätte.
({21})
Mit dieser Aussage wird uns immer klarer: In Wirklichkeit wollen Sie den Solarstrom zurückdrängen, weil
Sie nur die Interessen von RWE und Co. im Blick haben.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wenn Sie es wirklich ernst meinen mit Klimaund Verbraucherschutz, dann setzen Sie endlich konsequent auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz.
Korrigieren Sie diese radikale Solargesetznovelle und
nehmen Sie doch bitte dieses Mal unsere Warnungen vor
weiteren Insolvenzen ernst!
({0})
Das Wort hat nun Georg Nüßlein für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Schon
in der ersten Runde dieser Debatte erkennt man ganz
deutlich, was man der breiten Öffentlichkeit suggerieren
möchte: Hier sind die Protagonisten der Energiewende
und dort die Gegner,
({0})
hier die Befürworter der erneuerbaren Energien und dort
die Gegner.
Die Welt ist aber nicht mehr ganz so einfach, wie Sie
sie gern hätten, meine Damen und Herren.
({1})
Sie machen es sich als Opposition zu einfach. Gregor
Gysi hat vorhin davon gesprochen, die Energiewende
voranzuträumen. Das war ein entlarvender Versprecher,
Herr Gysi. Voranträumen kann man in der Opposition.
Als Regierung muss man jedoch etwas umsetzen. Das
machen wir derzeit.
({2})
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie bei dem, was wir
hier vorhaben, an unserer Seite stehen und sagen: Jawohl, es entwickelt sich etwas positiv im Bereich der
Solarenergie. - Herr Fell, die Absenkungspotenziale, die
unbestreitbar gegeben sind, sind doch ein Beleg dafür,
dass wir in absehbarer Zeit nicht nur in der Lage sind,
genug Strom zu produzieren, sondern vor allem auch
Strom zu vernünftigen Kosten zu produzieren. Darum
muss es doch gehen.
({3})
Ich weise darauf hin, dass Sie dafür verantwortlich
sind, dass man zu früh und zu teuer mit der Solarenergie
an den Markt gegangen ist.
({4}) - Hans-Josef Fell [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn!)
Deshalb schleppen wir jetzt einen Kostenberg hinter uns
her, der riskant ist mit Blick auf die Akzeptanz der erneuerbaren Energien in der Öffentlichkeit. Das muss
man doch einmal sagen. Deshalb widmen wir uns diesem Thema.
Im Erneuerbare-Energien-Gesetz spielt die Solarenergie eine Sonderrolle. Lassen Sie mich noch etwas zum
EEG ausführen. Sie können doch nicht einfach sagen:
Da sitzen die Gegner des EEG. - Das ist falsch. Letztendlich steht doch eines klipp und klar fest: Das von Ihnen so viel gerühmte EEG fußt auf dem Stromeinspeisegesetz der Regierung Helmut Kohl. Das ist der Ursprung
des Mechanismus dieses Gesetzes.
({5})
Es muss uns gelingen, das, was Sie im EEG im Bereich der Innovation zu Recht angestoßen haben,
({6})
wieder auf ein Maß zurückzuentwickeln, sodass wir
letztendlich über das Stromeinspeisegesetz Folgendes sicherstellen können: Der Mittelständler und die Stadtwerke, die Strom produzieren, haben Zugang zu den
Netzen, können ihren Strom einspeisen und bekommen
dafür eine ordentliche Vergütung. Das muss aus unserer
Sicht das Anliegen sein.
Ich habe bereits erwähnt, dass die Solarenergie eine
Sonderrolle spielt. Sie spielt deshalb eine Sonderrolle,
weil bei ihr das Innovationspotenzial am größten ist und
die Erfahrungskurve am steilsten verläuft. Genau deshalb sind wir gezwungen, laufend nachzusteuern und
einzugreifen. Genau deshalb werden wir das in diesem
Zusammenhang wieder tun.
Das hat offenkundig aber nichts mit der Frage zu tun,
wie sich die Solarmodulproduzenten in Ostdeutschland
entwickeln. Es wurde vorhin zu Recht darauf hingewiesen, dass es in diesem Bereich ohnehin schon Schwierigkeiten gibt. Zu Recht kann man feststellen, dass beispielsweise die Halbleiterproduktion in Deutschland
schrittweise in Richtung Asien verlagert wurde. Man
kann darüber nachdenken, woran das liegt. Das mag natürlich auch damit zu tun haben, dass in Asien entsprechend subventioniert wird, was bei uns letztendlich nicht
möglich ist.
Dann muss man doch über andere Konzepte nachdenken, aber nicht über die Frage, wie man den Verbraucher
noch mehr belasten kann, nur weil man größere Spielräume für Investoren schaffen will. Aber das wird nicht
funktionieren, weil die Investoren immer ihren Gewinnanteil natürlich maximieren wollen und am Schluss dafür sorgen werden, dass die Rendite bei ihnen bleibt.
Wenn man bei einer hohen Einspeisevergütung noch
mehr Gewinn mit billigen Modulen machen kann, dann
werden die billigen Module gekauft.
({7})
Deshalb muss man einmal darüber diskutieren, ob
man mit der KfW nicht darüber reden sollte, dass das,
was sie beispielsweise im Ausland finanziert, auch bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllen muss. Diese
Qualitätsanforderungen muss der deutsche Produzent
natürlich ohnehin erfüllen. Das heißt, ihm bringt die Förderung nur etwas, wenn er qualitativ besser ist als die anderen. Alle, die in diesem Bereich schon lange tätig sind,
müssen sich an die eigene Brust fassen und fragen, warum sich im Bereich der Forschung und Entwicklung
nicht das getan hat, was wir uns alle vorgestellt haben.
Kollege Fell, vielleicht lag das auch am EEG und an der
Anfangskonstruktion, wodurch es denen anfangs zu gut
ging.
({8})
- Entschuldigung, wir machen in Bezug auf das EEG
jetzt erst einmal das, was notwendig ist: Wir führen Abschläge ein; denn die Anlagen müssen sich auch ohne
hohe Förderung rentieren. Danach reden wir mit der
KfW über die Frage, was die Finanzierungsbedingungen
sind. Das ist doch eine ganz logische Geschichte.
({9})
Dabei muss man die WTO und die Tatsache im Blick haben, dass es hier Schranken gibt und dass man in einem
Exportland wie Deutschland nicht einfach auf Local
Content setzen kann. In Bezug auf die Finanzierung
kann man aber vielleicht bestimmte Forderungen stellen.
Es muss dann auch um die Frage gehen, was wir mit
diesem Gesetzentwurf letztendlich verbessern. Ich bin
fest davon überzeugt: Nicht nur die Situation des Verbrauchers, sondern auch die Situation derjenigen, die die
Anlagen installieren, wird besser. Über eine permanente,
langsame Reduzierung der Vergütungssätze schaffen wir
es, den Schlussverkaufseffekt zu beseitigen, der ständig
zu Fehlentscheidungen führt. Denn manche achten gar
nicht mehr auf die Rendite, sondern investieren, weil sie
meinen, dass es noch Geld für sie gibt, wenn sie die Anlage beispielsweise bis zum 31. Dezember auf dem Dach
haben. Bei Schnee und Eis hetzen sie dann wie bei uns in
Bayern die Handwerker aufs Dach, damit noch schnell
eine Anlage installiert wird. Wir werden die Vergütung
entsprechend abschwächen und dafür sorgen, dass sich
Kontinuität entwickelt.
({10})
Es ist ein großer Erfolg, dass wir dafür gesorgt haben,
dass derjenige, der Solarstrom produziert, ihn auch selber nutzt. Wir sind also nicht mehr in der perversen Situation, dass jemand Solarstrom produziert, ihn teuer
einspeist und den billigen Strom vom Versorger kauft.
Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir alle sagen
können: Das ist gut. Das ist ein Etappenziel, aber natürlich noch nicht das Ende.
({11})
Deshalb werden wir weiterhin kontinuierlich absenken.
Das Problem der Übergangsfristen werden wir bald
geklärt haben. Ich bitte um ein wenig Verständnis dafür,
dass sich die Regierung hier das sehr ehrgeizige Ziel gesetzt hat, einen solchen Schlussverkauf, bei dem der eine
oder andere probiert, vor Ende des Jahres schnell noch
irgendetwas anzustoßen, zu vermeiden. Wir haben im
parlamentarischen Verfahren dafür gesorgt, dass das
schon jetzt ordentlich läuft und dass jeder, der Vorinvestitionen getätigt hat, diese auch umsetzen kann.
({12})
Das ist ein Gebot der Fairness, des Anstandes und der
Planbarkeit. Auch an dieser Stelle sieht man ganz deutlich, dass wir hier absolut verlässlich sind.
({13})
Über die Themen „Atmender Deckel“ und „Ermächtigung der Regierung“ werden wir noch einmal offen diskutieren, auch unter dem Gesichtspunkt der Planbarkeit.
Wir werden auch noch einmal darüber diskutieren, wie
man, nachdem der Eigenverbrauchsbonus letztendlich
nicht mehr trägt, mit einem Speicheranreiz dafür sorgen
kann, dass sich die Technologie und die Netzintegration
weiterentwickeln.
Machen Sie sich also keine Sorgen. Wir haben fest im
Blick, dass wir eine Energiewende voranbringen und
eben nicht nur einseitig eine Branche subventionieren
wollen.
({14})
Durch den Aufbau von Kapazitäten wollen wir die Versorgung verbessern, Herr Kelber. Das ist unser Anliegen,
und das ist unsere Aufgabe als Regierung.
Vielen herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat Dirk Becker für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Bevor ich mit der eigentlichen Rede beginne, möchte ich
ein paar Punkte klarstellen, Frau Reiche. Ich finde es
zwar schön, dass Sie sich mit dem Bauch meines Parteivorsitzenden auseinandersetzen, zumindest wenn es um
den Ausbau der PV geht. Aber genau an dieser Stelle hat
er keinen Bauch; Sie können ihm den Ausbau nicht in
die Schuhe schieben. Denn ich erinnere an die Verhandlungen über die Zubauziele beim Thema PV in der Großen Koalition: Die Vergütungssätze sind wie bei allen
anderen erneuerbaren Energien in einer Koalitionsrunde
besprochen, verhandelt und beschlossen worden.
({0})
- Moment. - Wir haben stundenlang zusammengesessen
und zum Thema PV Beschlüsse gefasst. Dann kam Herr
Pfeiffer zu der Sitzung. Er konnte leider erst später kommen, weil er einen Interviewtermin bei Phoenix hatte. Er
kam in den Saal und sagte: Ich bin mit der Einigung
nicht einverstanden und möchte, dass nachverhandelt
wird. - Dazu hat sich die CDU/CSU zu Wort gemeldet
und gesagt, das sei in der Fraktion nicht abgestimmt; die
CSU sei gegen eine Nachverhandlung. Dann hat die damalige Verhandlungsführerin der Union so abgeschlossen, und das war Katherina Reiche. Machen Sie sich hier
also keinen schlanken Fuß!
({1})
Zwei Punkte zu Herrn Kauch. Man kann wie Sie bei
der Vergütung im Rahmen des Ausbaus der erneuerbaren
Energien eine große Rede über soziale Gerechtigkeit
halten. Sozial gerecht ist, wenn die Menschen endlich
die Alternative haben, zwischen vielen Energieanbietern
auszuwählen,
({2})
und wenn wir eine dezentrale Energiestruktur bekommen und auf Windenergie und PV setzen, statt zu versuchen, diesen Weg zu bremsen, wie Sie das wollen.
({3})
Der zweite Punkt ist: Wenn jetzt der Netzbetreiber
TenneT über die Lande zieht und sagt, er könne die Anbindung der Offshorewindenergie nur dann hinbekommen, wenn ihm gestattet werde, eine zweistellige Rendite einzupreisen, die mindestens 10 Prozent betragen
müsse, sonst mache er das nicht, dann erwarte ich von
Ihnen, dass Sie genauso standhaft sind und sagen: 7 Prozent müssen reichen.
({4})
Interessant ist, dass wir das Thema, den Ausbau der
PV zu bremsen, hier immer wieder leidenschaftlich debattieren, dass dies aber in der Öffentlichkeit nicht der
Fall ist. Mit derselben Leidenschaft, mit der die Menschen den Ausstieg aus der Kernenergie wollten, wollen
sie jetzt in die PV. Nach einer aktuellen Umfrage von
Emnid halten 91 Prozent der Befragten Solarstrom für
wichtig und richtig.
({5})
69 Prozent finden nicht, dass PV zu schnell ausgebaut
wird. 60 Prozent sagen sogar, die Politik müsse mehr für
die Photovoltaik tun.
Darüber kann man sprechen. Sie werden sicherlich
sagen: Die Menschen haben gar nicht verstanden, was
das für sie bedeutet. - Nein, die Mehrheit ist sogar bereit, mehr für den Umstieg, für die Energiewende zu bezahlen. Das ist Ihr Problem. Darum versuchen Sie immer
wieder, durch neue Diskussionen und einen Zickzackkurs in der Förderpolitik Verunsicherung zu schüren.
Diese Verunsicherung ist bei den Menschen nicht vorhanden. Die Angst vor dem Umstieg gibt es nicht. Sie
versuchen aber immer wieder, auf dieses Pferd zu setzen, weil Ihnen die Energiewende zu schnell geht. Das
ist der Punkt.
({6})
Deshalb verstehen die Menschen in Ostdeutschland
auch nicht, dass Sie die industriellen Strukturen, die wir
mühevoll über zehn Jahre hinweg aufgebaut haben, jetzt
durch diese ruckartige Politik gefährden. An diesem
Punkt sagen die Menschen: Wir haben Angst vor einer
zweiten Deindustrialisierung. - Sie tragen die Verantwortung dafür.
({7})
Sie bringen nicht nur in Vieraugengesprächen, wie es
der Kollege Kelber sagte, sondern auch in Ausschusssitzungen durchaus mit Zwischenrufen zum Ausdruck,
dass Sie längst gesagt haben: Wir werden dem Wettbewerb mit den chinesischen Anbietern nicht standhalten
können. - Wenn wir das nicht können, dann deshalb,
weil Ihre Politik den Unternehmen in Deutschland die
Zukunft raubt.
({8})
- Wenn Sie das als „Käse“ bezeichnen, Herr Meierhofer,
dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie neben den Debatten
über Kürzungsschritte auch debattieren, wie wir den
Standort Deutschland anders für die PV sichern können
und wie wir über Forschung, Entwicklung und neue Anforderungen an die PV den Standort Deutschland erhalten,
({9})
die geschaffenen Arbeitsplätze sichern und Arbeitsmarktpolitik betreiben. Doch dazu sagen Sie kein Wort.
Absoluter Stillstand!
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, eines ist
aber auch deutlich: Die geplante Änderung des EEG bezieht sich entgegen der ursprünglichen Absicht nicht
mehr nur auf das Thema Photovoltaik. Vielmehr ist die
Absicht erkennbar, dass Sie das, was Sie jetzt beim
Thema PV machen, auch auf andere Erneuerbare ausdehnen wollen. Damit entfällt die Argumentation, Sie
wollten nur vor den hohen Kosten des PV-Zubaus schützen. Es geht um einen Generalangriff auch auf andere
Technologien der erneuerbaren Energien.
({11})
Ich will nur zu einigen Punkten des Gesetzentwurfs
Stellung nehmen.
Herr Fell hat eben für die Grünen gesagt: Wir sind bereit, ein Stück weit mitzugehen. - Für die Sozialdemokraten gilt das ebenfalls; Uli Kelber hat es deutlich gemacht. Wir verschließen uns einem Kürzungsschritt
nicht. Ich erwarte aber von der Koalition, dass die jetzt
anstehende Sachverständigenanhörung von Ihnen ergebnisoffen und nicht vorfestgelegt durchgeführt wird und
dass wir nach der Anhörung gucken, wie wir auch mit
Rücksicht auf die Unternehmen in Deutschland und mit
Rücksicht auf die Umlage die weitere Degression ausgestalten können. Wenn Sie das tun, dann haben Sie unser
Wort, mit Ihnen gemeinsam eine gute Lösung zu finden.
({12})
Es gibt einen weiteren wichtigen Punkt, bei dem wir
im Ziel beieinander sind. Ja, auch wir wollen den Eigenverbrauch stärken. Wenn man den Eigenverbrauch aber
stärken will - gerade im Hinblick auf das, was Uli
Kelber für Mehrfamilienhäuser, für Mietshäuser angesprochen hat -, muss man auch Anreize schaffen. Dann
darf man nicht vorhandene Anreize abschaffen und stattdessen die umlagefähigen Prozentzahlen kürzen. Dies ist
kein Anreiz, um in Speicher zu investieren. Vielmehr
nehmen Sie damit eine weitere kalte Kürzung vor.
Bei dem, was Sie künftig im Zusammenhang mit dem
Zubaukorridor vorhaben, handelt es sich um einen totalen Systemwechsel. Zum einen gehen Sie weg von einer
prozentualen Kürzung hin zu einem festen Centbetrag.
Je niedriger der Preis wird, desto stärker kürzen Sie also
prozentual. Insbesondere im Bereich der Freiflächen
kürzen Sie überproportional. Damit blockieren Sie erneut ausgerechnet den Ausbau der günstigsten Art der
Photovoltaik. In dem vorliegenden Entwurf ist an mehreren Stellen erkennbar, dass Sie insbesondere die Freiflächen-PV in Deutschland zum Erliegen bringen wollen.
An dieser Stelle nehmen Sie einen weiteren Schritt
vor. Dabei handelt es sich um die räumliche Begrenzung.
Freiflächenanlagen in einem Umkreis von 4 Kilometern
werden als eine Anlage gewertet. Was für einen Sinn soll
das machen? Wir haben reichlich Zuschriften bekommen - Sie auch -, in denen zum Ausdruck gebracht
wird: Dies hat inhaltlich keine Substanz und ist auch
nicht umsetzbar. - Das heißt, das Einzige, was Sie wollen, ist, die kostengünstigste und leistungsstärkste Form
der PV jetzt endgültig aus dem Markt zu kicken. Das ist
mit uns nicht zu machen.
({13})
Der letzte Punkt betrifft das Thema Verordnungsermächtigung. Ich sage Ihnen: Da muss man schon ganz
schön viele Glücksperlen gelutscht haben, um das, was
aus Ihrer Fraktion kommt, als Stärkung des Parlaments
zu verkaufen. Auf der einen Seite haben Sie es zwar geschafft, dass die Übertragung der Kürzungsinstrumente,
die Sie beim Thema Photovoltaik vorsehen, auf andere
Technologien einem Parlamentsvorbehalt unterliegt. Ich
habe gelesen: Das Parlament darf jetzt mitbestimmen. Nein, das ist das ureigene Recht des Parlaments. Das
muss es auch bleiben.
({14})
Auf der anderen Seite machen Sie aber beim Thema PV
genau das Gegenteil, Herr Kauch; beim Thema Photovoltaik ist es anders. Wenn vom Korridor abgewichen
wird, treffen sich Herr Rösler und Herr Röttgen und entscheiden am Parlament vorbei, welche nächsten Kürzungsschritte kommen. Dies ist eine Entmachtung des
Parlaments.
({15})
Wir werden das Thema PV nicht in die Hände dieser beiden Minister legen; denn wir wissen, wie das ausgehen
wird. Nein, auch hier muss die Entscheidung im Parlament bleiben.
({16})
Meine Damen und Herren, auch wenn ich gestern
beim Thema Kraft-Wärme-Kopplung positive Ansätze
herausgestellt und erklärt habe, dass man damit arbeiten
kann, sage ich Ihnen jetzt: Beim Thema PV ist mit Ihnen
kein Staat zu machen.
Unser Fazit dieses neuerlichen Kürzungsszenarios ist
eindeutig: Sie versuchen alles, um beim Thema Photovoltaik einen Stellvertreterkrieg auszutragen. Das ist offenkundig. Ich sage nur: Ein Schelm, wer denkt, dass
insbesondere die Atomlobbyisten in Ihren eigenen Reihen massiv Einfluss hierauf haben. Ich empfehle Ihnen
- es klang eben schon kurz an -, sich das Interview von
Herrn Fuchs von heute Morgen im Deutschlandfunk einmal anzuhören.
({17})
- Ja, es war sehr gut. Wer hat das gesagt? Dann kann ich
ihn gleich mit auf die Liste setzen.
({18})
- Herr Hintze; okay, alles klar.
Herr Fuchs hat heute Morgen im Deutschlandfunk gesagt: Der schnelle Atomausstieg in Deutschland war ein
großer Fehler.
({19})
Immerhin gibt es bei uns keine Tsunamis. - Der Mann
hat es noch immer nicht begriffen.
({20})
Sie müssen jetzt die Frage beantworten: Sind es nach
wie vor die Dinosaurier in Ihrer Fraktion, die die Energiepolitik bestimmen? Wenn ja, dann ist völlig klar: Die
Energiewende ist nicht Sache Ihrer Fraktion. Ich habe
den Eindruck, dass Herr Fuchs bei Ihnen das Sagen hat.
({21})
Dass dem so ist, merkt man auch bei anderen Gelegenheiten. Uli Kelber hat zu Recht darauf hingewiesen:
Es ist doch wirtschaftspolitischer und energiepolitischer
Wahnsinn, kurz bevor die PV an der Schwelle zur Wettbewerbsfähigkeit steht, nach einem Jahrzehnt der Investitionen in den Aufbau industrieller Kapazitäten sowie
am Beginn des weltweiten Siegeszugs der Solarenergie
diese Branche in Deutschland ans Messer zu liefern. Das
ist mit uns nicht zu machen.
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat nun Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie
machen es sich in der Opposition äußerst leicht. Sie erklären, was bei der Photovoltaik alles falsch und
schlecht läuft, machen aber keinen einzigen konkreten
Vorschlag, aus dem hervorgeht, wie man es besser machen kann.
({0})
Sie erklären uns, dass Sie jederzeit einer Kürzung in einer bestimmten Höhe zustimmen würden. Das haben sowohl die SPD als auch die Grünen gesagt. Die Linken
haben das natürlich nicht gesagt, weil sie gern eine höhere Vergütung zahlen wollen. Aber SPD und Grüne sagen, Herr Kollege Fell, man könne um bis zu 20 Prozent
zusätzlich kürzen. Gleichzeitig weisen Sie darauf hin,
dass Firmen in Mitteldeutschland selbst ohne eine 20-prozentige Kürzung zum Teil untergegangen bzw. pleitegegangen sind und dass es zu Entlassungen und Kurzarbeit
gekommen ist. Wie wollen Sie den Menschen, die ihren
Job verlieren, dann eine 20-prozentige Kürzung erklären? Wie soll das funktionieren?
({1})
Es ist doch scheinheilig, einerseits eine solche Forderung zu erheben und andererseits festzustellen, dass bereits Firmen pleitegegangen sind. Dann kann es doch
nicht an der EEG-Vergütung liegen. Dann sind wir uns
wieder einig.
({2})
Wenn man mit den ausländischen Wettbewerbern
konkurrieren will, hat man verschiedene Möglichkeiten.
Eine Möglichkeit ist, dass wir genauso wie die Chinesen
diese Branche subventionieren. Herr Krischer, das wünschen Sie sich vielleicht; denn Sie haben gefragt, wie wir
den deutschen Markt schützen können. Vermutlich können wir die Photovoltaikbranche in Deutschland genauso
wenig schützen wie die deutschen Spielzeughersteller
vor chinesischen Herstellern, die günstiger produzieren.
Das EEG wäre auf jeden Fall der vollkommen falsche
Weg.
({3})
- Herr Kollege Ott, wir schützen Eon und RWE doch
nicht dadurch, dass wir jedes Jahr so viel erneuerbare
Energie in die Netze fließen lassen wie niemals zuvor.
Was soll das denn für ein Schutz sein?
({4})
Kennen Sie jemanden, der momentan neue Gaskraftwerke - das fordern Sie - bauen möchte? Kennen Sie
jemanden, der Hunderte Millionen Euro in die Hand
nehmen will? Ich jedenfalls kenne niemanden. Es gibt
niemanden, weil keine Planungssicherheit herrscht. Für
die Erneuerbaren gilt in den nächsten 20 Jahren Planungssicherheit; das ist gut und richtig. Aber je stärker
der Anstieg bei den Erneuerbaren ist, desto unrentabler
wird es, in Kraftwerke, die auf Basis fossiler Energieträger betrieben werden, zu investieren; das ist doch logisch.
({5})
In einer solchen Phase uns zu unterstellen, dass wir Politik zugunsten der vier Großen machen, die sich deutlich
schwerer tun als die Photovoltaikbranche, ist verlogen.
({6})
Liebe Grüne, in dem letzten Jahr, in dem Sie noch
mitregiert haben, wurde die Kapazität der Photovoltaik
um 0,92 Gigawatt ausgebaut. Zuvor war es noch weniger. Wir haben die Leistung der Photovoltaik im vorletzten Jahr um 7,4 Gigawatt und im letzten Jahr um 7,5 Gigawatt ausgebaut. Wer ist denn hier der Freund der
Erneuerbaren?
({7})
Wer hat denn etwas für die Photovoltaikbranche getan,
und wer hat nur warme Worte ohne Substanz übrig und
tut nichts?
In den letzten zweieinhalb Jahren haben wir für eine
Degression von über 50 Prozent bei den Einspeisevergütungen gesorgt und gleichzeitig die höchsten Zuwachsraten erzielt. Das nutzt der Branche doch. Wir helfen ihr,
wettbewerbsfähig zu werden. Nicht derjenige, der die
höchsten Subventionen zahlt, ist der beste Freund der erneuerbaren Energien, sondern derjenige, der ihnen hilft,
am besten und schnellsten wettbewerbsfähig zu werden.
Herr Gysi, Sie haben gesagt, wir wollten in fünf Jahren
nur noch 20 Prozent des jetzigen Ausbaus erreichen. Das
stimmt nicht. Wir wollen dann nur noch 20 Prozent fördern. Die Branche selbst sagt nämlich, sie könne schon
in fünf Jahren bei den großen Anlagen wettbewerbsfähig
sein. Das ist doch das Ziel. Wir wollen unendlich viel erneuerbare Energie, idealerweise 100 Prozent, aber nicht
allein durch Förderung. Die Branche muss wettbewerbsfähig werden. Wenn es eine Branche gibt, die bewiesen
hat, dass das ohne Subventionen möglich ist, dann ist es
die Photovoltaikbranche. In dieser Branche werden die
schnellsten Degressionen erreicht. Wir folgen dem.
Deswegen werden die Subventionen weiterhin gesenkt, und zwar zu Recht; denn es wurden Renditen von
15, 16 Prozent erzielt. Dafür zahlt derjenige, der eine
Wohnung mietet, also der Mieter, an denjenigen, der ihm
eine Wohnung vermietet, also an den Vermieter. Nach
der normalen Miete und den Heizkosten sind die so entstehenden Kosten, die EEG-Umlagen-Miete, wie eine
dritte Miete. Wenn das Sozialpolitik à la Rot-Grün ist,
dann weiß ich, ehrlich gesagt, nicht mehr, was Sie wollen.
({8})
Mir geht es um das Thema Rechtssicherheit. Wir haben uns für Rechtssicherheit starkgemacht. Wir haben
die Auffassung vertreten, dass eine Entscheidung bis
heute, 9. März, zu kurzfristig ist. Den großen Herstellern
von Solarmodulen wäre eine frühere gesetzliche Neuregelung wahrscheinlich lieber gewesen, weil sie genau
wissen, was passieren wird, nämlich ein gigantischer
Run. Hingegen brauchen die kleinen Hersteller von Solarmodulen, die Unternehmer vor Ort, die die Solarzellen schon eingekauft haben, dahin gehend Planungssicherheit, dass sie ihre Produkte verkaufen können.
Genau dafür haben wir uns eingesetzt. Planungssicherheit ist für die Hersteller von Solarmodulen für Freiflächen noch wichtiger. Wir haben klargestellt: Wer bis
zum 1. März dieses Jahres einen Aufstellungsbeschluss
vorliegen hat - das ist der erste Schritt im Genehmigungsverfahren -, der soll auch die Möglichkeit haben,
Solaranlagen zu bauen. Sich darauf verlassen zu können,
das ist Rechtssicherheit.
({9})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bulling-Schröter?
Ja, sehr gerne.
Vielen Dank, Kollege Meierhofer. - Ich stelle fest:
Die FDP hat etwas gegen Gewinnspannen von 15,
16 Prozent in der Solarindustrie; das stört die Koalition
bzw. Ihre Fraktion. Wie schaut es denn mit den großen
Gewinnen von RWE und Eon aus?
({0})
Sie haben die Rede des Kollegen Gysi sehr interessiert
verfolgt, wie ich gerade bemerkt habe. Er hat die Gewinnspannen bzw. die Ausschüttungen der großen Konzerne, worüber gestern in den Medien berichtet wurde,
beschrieben. Wie stehen Sie zu diesen großen Gewinnmargen? Sind Sie bereit, auch sie zu beschränken?
Ich wünsche der Photovoltaik Renditen von 20, 30,
40 Prozent, aber bitte schön nicht dadurch, dass sie zulasten der Stromkunden erwirtschaftet werden.
({0})
Das ist der entscheidende Unterschied,
({1})
Ich stelle infrage, dass jemand, der Subventionen bekommt, eine Rendite von bis zu 16 Prozent erzielen
muss. Zum Beispiel die Stiftung Warentest sagt, dass
auch nach der Absenkung der Vergütung für einen
Kleinunternehmer, der keine großen Anlagen hat und
keine Sonderkonditionen erhält, noch eine Rendite von
3,4 Prozent - bisher waren es bis zu 6,7 Prozent - möglich ist, und zwar dann, wenn es auf dem Markt zu keinerlei Anpassungen kommen wird.
Zu solchen Anpassungen wird es aber kommen. Natürlich wird es in der nächsten Zeit so sein, dass man
günstigere Module erwerben kann; denn der Preis der
Module bestimmt sich nicht nach den Herstellungskosten, sondern leider allein danach, wie hoch die EEGVergütung ist.
({2})
Herr Kelber, es ist nun einmal so, dass zwar 70 Länder
dem EEG entsprechende gesetzliche Regelungen übernommen haben, aber nicht die hohen Fördersätze, die bei
uns gelten. Da dort also nicht so hohe Vergütungen wie
bei uns gezahlt werden, kommt die Mehrzahl der Solarmodule zu uns, und ihr Preis wird immer niedriger. Natürlich wird mehr zugebaut. Sie haben selbst gesagt:
Wenn mehr als 3,5 Gigawatt zugebaut werden sollten,
dann müssten wir für eine deutlichere Degression sorgen.
({3})
Der Kollege Fell hat gesagt: Wenn mehr als 5 Gigawatt
zugebaut werden, dann müsste man über eine Änderung
der Degression nachdenken.
({4})
Übrigens sagt selbst der Branchenverband BSW, dass
ein Zubau von 5 Gigawatt möglich ist.
Ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, Herr Fell, Herr
Kelber, dass wir im Jahr 2012 einen Zubau von deutlich
mehr als 3,5, ja sogar mehr als 5 Gigawatt haben werden. Dann werden wir einmal schauen.
({5})
- Die Module kommen von dem, der dem Kunden das
beste Angebot macht.
({6})
Wenn Sie an Ihr Unternehmen vor Ort denken, lieber
Herr Kelber, dann werden Sie dafür sorgen,
({7})
dass mehr in Forschung, in Entwicklung und in Technologie investiert wird, damit die deutschen Unternehmen
in dem Maße besser werden als die Chinesen, die billiger
sind. Wenn Sie das nicht tun, dann wird es diese Unternehmen irgendwann nicht mehr geben.
({8})
Aber das ist Marktwirtschaft, und das hat nichts mit dem
zu tun, was Sie zu interessieren scheint.
({9})
Das Wort hat nun Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren hier sehr hitzig und sehr leidenschaftlich.
Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir in dieser Diskussion über erneuerbare Energien nicht allein über
Marktanpassungen reden - das haben wir oft genug getan -; vielmehr geht es heute in der Tat darum: Wird die
Energiewende umgesetzt, ja oder nein? Heute geht es
darum: Werden die erneuerbaren Energien ausgebaut,
oder machen Sie die Photovoltaik kaputt? Dazu sage ich
Ihnen: Das darf nicht geschehen.
({0})
Sie sind aus der Atomkraft ausgestiegen, und jetzt
müssen Sie die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz stärker ausbauen. An einem einzigen Tag haben
zwei Minister dieses Kabinetts, nämlich der Minister
Rösler und der Minister Röttgen, die Energiewende in
den Senkel gestellt. Das geschah einmal dadurch, dass
sie nach einem halben Jahr der Blockade von Maßnahmen zur Energieeffizienz eine Lösung vorgeschlagen haben, die ein Witz ist. Die EU-Mitgliedstaaten mokieren
sich über Deutschland. Gleichzeitig haben sie die radikale Absenkung der Vergütung für Strom aus Photovoltaikanlagen vorgeschlagen.
Deshalb frage ich: Wo ist eigentlich Herr Rösler? Ich
kann verstehen, dass der Minister Röttgen heute nicht da
ist; er ist in Brüssel. Aber Herr Rösler ist auf der CeBIT.
Gestern hat er ein Stück Torte ins Gesicht bekommen;
ich würde es gut finden, wenn er heute hier wäre und
seine Fehlentscheidung zu den erneuerbaren Energien
verteidigen würde. Aber er drückt sich vor der Diskussion.
({1})
Worum geht es bei der Energiewende? Es geht darum,
wer die Oberhand gewinnen wird: die erneuerbaren
Energien oder die fossilen Energien. Deshalb ist es
schon spannend, was Herr Großmann von RWE auf der
Bilanzpressekonferenz vor einigen Tagen gesagt hat. Er
hat nämlich den Gewinnrückgang von 20 Prozent mit
dem Ausbau der Photovoltaik begründet. Warum? Man
denkt, dass Strom aus Photovoltaikanlagen viel teurer
ist. Wie kann das also sein? Strom aus Photovoltaikanlagen ist nicht immer verfügbar, er ist aber dann verfügbar,
wenn es spannend wird, nämlich mittags. Er ist dann
verfügbar, wenn der Stromverbrauch am größten ist.
Mittlerweile ist die Photovoltaik so weit ausgebaut, dass
der Solarstrom zu einer Senkung der Strompreise an der
Börse führt. Damit fehlen dem Unternehmen von Herrn
Großmann und den großen Kohlekraftwerken die höchsten Margen um die Mittagszeit.
({2})
Ihnen und leider auch der FDP, auch Herrn Rösler, geht
es darum, die Solarenergie klein zu machen, damit die
Gewinne von RWE und Co groß bleiben. Darum geht es
in dieser Diskussion.
({3})
In der Tat haben sich die großen Energiekonzerne
wieder neu aufgestellt. Sie sehen natürlich: Je mehr die
Erneuerbaren ausgebaut werden, desto mehr Probleme
bekommen sie. Und wegen der stark sinkenden Preise
wird die Photovoltaik immer wettbewerbsfähiger.
Aber die jetzt vorgeschlagenen Kürzungen gehen zu
weit: Ich mache Ihnen das einmal anhand einer ganz normalen Dachanlage mit einer Leistung zwischen 10 und
30 Kilowatt klar. Es gab im letzten Jahr eine Vergütung
von 28,74 Cent für jede Kilowattstunde Solarstrom aus
einer solchen Dachanlage. Wir alle gemeinsam haben
gesagt, dass die Vergütung auf 24,4 Cent gesenkt werden
kann. Sie wollen die Vergütung im April auf 16,5 Cent
senken. Wenn man dann in Rechnung stellt, dass eine
weitere Absenkung im Laufe des Jahres auf 15,3 Cent
erfolgen und für 10 Prozent der erzeugten Strommenge
überhaupt keine Vergütung mehr gezahlt werden soll,
dann kommt man bei einer solchen Photovoltaikanlage
auf eine effektive Vergütung von 14,37 Cent pro Kilowattstunde. Damit hat sich die Vergütung in einem Jahr
von 28,74 Cent auf 14,37 Cent halbiert. Ich sage Ihnen:
Eine solche Kürzung kann keine Technologie verkraften.
Sie aber setzen diese drastische Kürzung durch.
({4})
Deshalb müssen wir uns fragen, wie wir damit umgehen. Der chinesische Markt ist zu Recht angesprochen
worden. Was passiert in China? Anders als in den vergangenen Jahren werden mittlerweile viele Photovoltaikanlagen in China installiert. Jetzt sind es erst
3 000 Megawatt, aber in den nächsten Jahren wird es
viel mehr sein, mehr als in Deutschland heute. Die entscheidende Frage ist, ob dann unsere Photovoltaikindustrie noch existiert und nach China liefern kann. Dafür
haben Sie zu sorgen. Im April gibt es einen Gipfel der
EU mit China. Ich erwarte, dass Deutschland und die EU
dafür sorgen, dass China seinen Markt öffnet.
({5})
China schottet seinen Markt momentan ab und subventioniert die eigene Photovoltaikindustrie. Und China
versucht, den Markt in Deutschland kaputtzumachen.
Ihre Antwort darauf ist - das hat auch ein Wirtschaftsforscher gesagt -: Dann gibt es eben in Deutschland
keine Solarindustrie mehr. - Das ist ein Fehler, das zerstört Zehntausende von Arbeitsplätzen, und Sie tragen
dafür die Verantwortung.
({6})
Sie wollen den Ausbau der Photovoltaik sogar noch
deckeln. Der Ausbau soll zurückgeführt werden, und am
Ende sollen es am unteren Ende des Ausbaukorridors
nur noch 900 Megawatt neu installierter Leistung pro
Jahr sein. Das heißt, vor dem Hintergrund, dass die
Preise gefallen sind, wollen Sie in den nächsten zehn
Jahren weniger zubauen als in den letzten zwei Jahren.
So etwas Verrücktes! Die Photovoltaik ist immer preiswerter geworden, und jetzt würgen Sie die Photovoltaik
ab. Das ist das Gegenteil von guter Wirtschaftspolitik.
Dass ein Wirtschaftsminister der FDP sich hier hinstellt
und eine so erfolgreiche Industrie kaputtmacht und Arbeitsplätze zerstört, ist ein Skandal. Deshalb liegen Sie
in den Umfragen zu Recht bei 2 bis 3 Prozent. Eine solche Politik kann man nicht befürworten.
({7})
Ich komme zum Ende. - Es geht um die Energiewende. Ich habe am Anfang gedacht: Herr Rösler kann
sie nicht. Aber jetzt weiß ich: Er will sie nicht. Diese
Bundesregierung will die Energiewende nicht.
({8})
Sie will den Markt für fossile Energien weiter offenhalten. Dagegen werden wir stehen, und dagegen werden
wir kämpfen. Mit einer solchen Politik werden Sie nicht
durchkommen, meine Damen und Herren.
({9})
Das Wort hat nun Maria Flachsbarth für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Kollegin Höhn, ich glaube, es hilft unserer
gemeinsamen Sache nicht,
({0})
wenn wir diese Debatte jetzt zum Kampf der Systeme
gegeneinander hochstilisieren oder dramatisieren, und es
hilft vor allen Dingen nicht, wenn man die Augen vor
den Realitäten nur fest genug zumacht.
Der Zubau der letzten beiden Jahre im Solarbereich,
die PV-Installation 2010 und 2011 von jeweils 7,5 Gigawatt, ist zu groß. Das ist ein überhitztes Wachstum. Das
ist nicht nachhaltig.
({1})
Das hat mit den hohen Kosten zu tun - es sind trotz der
gesunkenen Modulpreise immer noch 3 Milliarden Euro
in den nächsten 20 Jahren -, aber vor allen Dingen mit
der Sorge um die Netze, die eine gemeinsame Sorge sein
sollte. In einem Gutachten im Auftrag des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums heißt es - Zitat -:
Da … großflächige PV-Nutzung … in schwachbesiedelten Regionen erfolgt, fehlt dort die notwendige Abnahme und die regenerativ erzeugte Energie
muss über die Mittel- und Hochspannungsnetze in
das 380/220-kV-Übertragungsnetz zurückgespeist
werden. Für diese Aufgabe wurden die Netze …
nicht gebaut …
Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass es nicht zu
einem Blackout kommt, weil das völlig unabsehbare
volkswirtschaftliche Kosten hervorrufen würde und weil
das vor allen Dingen die Akzeptanz in der Bevölkerung
für unsere Energiewende, für den weiteren Zubau an Erneuerbaren von jetzt auf gleich schwinden lassen würde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein gemeinsames Anliegen von uns allen.
({2})
Deshalb geht der Kabinettsbeschluss vom 29. Februar
in die richtige Richtung. Wir Koalitionsfraktionen haben
ihn ein wenig modifiziert
({3})
und am 6. März unseren Gesetzentwurf in das parlamentarische Verfahren eingebracht.
Um noch einmal über den Zielhorizont zu sprechen:
Da sind wir eigentlich auch gar nicht auseinander. Dieser
Zielhorizont ist im derzeit real existierenden Erneuerbare-Energien-Gesetz nachzulesen, damals mit der Branche gemeinsam vereinbart. Darin steht für den Zubau ein
Zielhorizont von 2,5 bis 3,5 Gigawatt pro Jahr.
({4})
Nur damit das klar ist: Das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das ist gemeinsam vereinbart worden.
({5})
Wir sehen jetzt, dass dieser Zielhorizont nicht erreicht
wird. Wir sehen aber zugleich - auch das müssen wir zur
Kenntnis nehmen -, dass auf dem Weltmarkt die Preise
noch einmal stark sinken werden, auch in diesem Jahr.
Das hat etwas mit dem enormen Zubau von Produktionskapazitäten zu tun. Das hat auch mit den enormen Subventionen zu tun, die es in China gibt. Das hat aber auch
etwas mit dem Nachfragerückgang auf den internationalen Märkten zu tun.
Die Preise für chinesische kristalline Module lagen
im Januar bereits um 51 Prozent unter dem Vorjahrespreis. Wir haben Produktionskapazitäten weltweit von
60 Gigawatt und einen erwarteten Zubau von 25 Gigawatt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das müssen wir
einfach zur Kenntnis nehmen.
Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen - da haben
viele meiner Vorredner recht -, dass dieser Wettbewerb
für viele Betriebe gerade in Deutschland ruinös ist. Das
ist so. Aber daran ändern wir durch unser EEG nichts.
({6})
Wir können weder Arbeitsplätze retten noch Arbeitsplätze in Gefahr bringen, weil dieser Markt längst global
aufgestellt ist. Da können wir hier noch so engagiert debattieren: Das ist nicht mehr im Rahmen unseres EEG zu
lösen.
({7})
Für uns ist es deshalb wichtig, die Preisreduktion - es
ist keine Kostenreduktion - jetzt auch beim Verbraucher
ankommen zu lassen. Deshalb haben wir jetzt den ohnehin für den 1. Juli erwarteten Abschlag von 15 Prozent
um ein Vierteljahr vorgezogen. Das ist nicht maßlos. Darauf kommt noch ein Abschlag von 5 bis 10 Prozent.
Von daher sind wir fast bei Ihren 20 Prozent, Herr Fell.
Wir liegen da also nicht Welten auseinander.
({8})
Um die Absenkung zu verstetigen und den Schlussverkaufeffekt zu vermeiden, machen wir eine monatliche
Absenkung, und zwar auch in dem Umfang, wie sie
schon bislang im EEG etabliert war. Auch dazu muss ich
sagen: Das ist einigermaßen kompatibel.
Aber was ich wirklich nicht verstehe, was mich ratlos
und auch ein bisschen ärgerlich macht, ist Ihr Schaulaufen gegen die Absenkung der einzuspeisenden Menge an
Strom bzw. die Verpflichtung, 15 Prozent bzw. 10 Prozent bei Freiflächenanlagen selbst zu verbrauchen oder
zu vermarkten.
({9})
Das ist mühelos zu schaffen, bei kleinen Dachanlagen
ohnehin, und zwar rein durch eine Verhaltensänderung.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich erwarte einfach, dass
auch jemand, der eine große Dachanlage hat und nebenbei einen Schweinestall betreibt, seine Lüftung über die
eigene PV-Anlage laufen lässt und dass ein großer Einzelhändler - verflixt noch mal - seine Kühltruhen über
die PV-Anlage laufen lässt.
({10})
Ich kann überhaupt nicht begreifen, warum man den
Strom, nur weil es ein paar Cent mehr gibt, lieber einspeist, sich das teuer erstatten lässt und sich dann selbst
über das allgemeine Netz versorgt.
({11})
Das kann nicht sein. Das entspricht auch nicht unserer
Idee von dezentraler Versorgung. Von daher möchte ich
sehr darum bitten, dass man sich mit diesem Gedanken
in Zukunft mehr und mehr anfreundet. Das ist genau der
Gedanke, den uns die Branche immer wieder nahegelegt
hat.
Wir haben im EEG die Möglichkeit der Marktprämie.
Auch da wäre es vielleicht ganz gut, wenn sich die Sonnenbranche einmal mit diesem Gedanken auseinandersetzen würde.
Wenn jetzt jemand sagt, das Ganze komme zu plötzlich,
({12})
kann ich dazu nur sagen: Ich habe schon im Sommer
2008 bei den Verhandlungen zum EEG 2009 über die
Marktintegration gesprochen. Seinerzeit hat der damalige Koalitionspartner die Branche beschützt. Wohin das
führt, sehen wir heute. Aber die Notwendigkeit, sich im
Markt zu etablieren, ist doch da. Man kann in Deutschland nicht mehr als 20 Großkraftwerke mit 25 Gigawatt
installierter Leistung betreiben und dann erklären: Wir
müssen einfach nur produzieren, aber nicht nach Kunden
suchen. - Das funktioniert nicht und wird in Zukunft immer weniger funktionieren.
({13})
Ich begrüße allerdings ausdrücklich die Übergangsregelungen, die die Berichterstatter, die Koalitionsfraktionen und insbesondere die Union selbstverständlich in
diesem Gesetzentwurf formuliert haben. Das Gesetz zur
Absenkung des Abschlags für Dachanlagen tritt zum
1. April in Kraft bei derzeit gültigen Inbetriebnahmeregelungen. Bei Freiflächenanlagen muss es bis zum
1. März 2012 einen Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan geben. Bis zum 30. Juni muss das Vorhaben realisiert werden.
Bezüglich der Verordnungsermächtigungen wird es
so sein, dass eine Entscheidung in Bezug auf die Marktintegration immer nur unter Einbeziehung des Bundestages getroffen werden kann. Das ist gut und richtig. Bezüglich der Verordnungsermächtigung im Hinblick auf
die Einspeisevergütungen müssen wir einmal gucken, ob
das wirklich ein glückliches Instrument ist oder ob wir
nicht eher, wie es der Kollege Kauch angedeutet hat,
doch wieder Instrumente wie den atmenden Deckel in
dieses Gesetz einfügen werden.
Wir handeln jetzt, um den Ausbau der PV auf einen
nachhaltigen Pfad zu führen.
({14})
Wir werden in den parlamentarischen Beratungen die
Ziele des Klimaschutzes, der Versorgungssicherheit, des
Verbraucherschutzes und der Zukunft der PV-Technologie im Blick haben.
Unser Ausbauziel, um auch das noch einmal zu sagen, bleiben 52 Gigawatt bis 2020. Aber wir gehen davon aus - das unterscheidet die beiden Seiten dieses
Hauses tatsächlich -, dass der Zubau nicht mehr ausschließlich im EEG stattfindet, sondern dass die PV
mehr und mehr erwachsen wird, sodass es sich schon allein aus Marktgründen lohnt, eine PV-Anlage zu bauen
und den Strom entsprechend zu nutzen. Deshalb können
wir den Zubaukorridor ab 2014 langsam absenken.
Wer hätte noch vor fünf Jahren gedacht, dass die PV
in diesem kurzen Zeitraum tatsächlich so erfolgreich
sein wird und auf eigenen Beinen steht.
({15})
Ich bin deshalb ganz sicher, dass die PV in diesem Land
auch künftig eine sonnige Zukunft haben wird.
Herzlichen Dank.
({16})
Als letztem Redner zu diesem Debattenpunkt erteile
ich Kollegen Thomas Bareiß für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine
Herren! Lieber Herr Kelber, Herr Becker, nach Ihren Reden
({0})
- ja - möchte ich Ihnen ein Zitat Ihres Parteivorsitzenden liefern, das mir vor wenigen Tagen auf den Tisch gelegt wurde. Es ist ein Zitat, das im April letzten Jahres in
der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu lesen
war. Dort sagte Sigmar Gabriel zur Solarenergie:
Und wir müssen über die sozialen Aspekte reden:
Ist es gerecht, dass Leute in Mietwohnungen über
einen sehr hohen Strompreis die Solardächer der
Hausbesitzer bezahlen?
({1})
Meine Damen und Herren, lieber Herr Kelber, lieber
Herr Becker, es ist nicht gerecht, dass wir eine solche
Umverteilung von unten nach oben weiterhin dulden.
Deshalb müssen wir an diesem Punkt ansetzen. Deshalb
ist der Gesetzentwurf, wie wir ihn jetzt eingebracht haben, auch der richtige Weg, der richtige Schritt in die
richtige Richtung.
({2})
Wir müssen im Blick haben, dass die Bezahlbarkeit
von Strom in den nächsten Jahren die Achillesferse der
Energiewende wird. Schon heute zahlt eine vierköpfige
Familie eine EEG-Umlage in Höhe von 180 Euro.
({3})
Eine kleine mittelständische Bäckerei zahlt eine EEGUmlage in Höhe von 6 000 Euro. Wir haben Industrien
in Deutschland, die schon jetzt ihre Produktion ins Ausland verlagern, weil sie die Strompreise nicht mehr mittragen können. Das ist doch die Realität.
({4})
Deshalb müssen wir gegensteuern und dafür sorgen,
dass die Energie zukünftig noch bezahlbar ist.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Krischer?
Ja, gerne.
Herr Kollege Bareiß, Sie entdecken die Energiekosten
immer dann, wenn es um die EEG-Umlage geht. Ist Ihnen bekannt, dass, wenn die Strompreise steigen, das nur
die Ursache hat, dass Sie Netznutzungsentgelte für
Großverbraucher senken? Sie machen mehr und mehr
Ausnahmeregelungen. Sie führen eine Marktprämie ein,
die zu reinen Mitnahmeeffekten führt und nichts mit
dem Markt zu tun hat. All diese Effekte haben dazu geführt, dass die EEG-Umlage gestiegen ist. Hätten Sie das
nicht gemacht, wäre sie gesunken. Sind Ihnen diese Tatsachen bekannt?
({0})
Herr Krischer, mir ist die Tatsache durchaus bekannt,
dass wir hoch energieintensive Industrien auch entlasten.
({0})
Im Übrigen war das in diesem Hause bisher immer Konsens von allen Parteien, dass wir das tun müssen, um die
Industrien in Deutschland zu halten, die wir insbesondere mit Blick auf die Innovationen im Bereich der erneuerbaren Energien brauchen.
({1})
Wir brauchen auch weiterhin die Kupfer- und Aluminiumhütten in Deutschland.
({2})
Wir müssen sehen, dass sie auch noch weiterhin in
Deutschland bleiben. Deshalb ist es richtig, dass wir sie
auch weiterhin entlasten.
({3})
Es ist auch wichtig, dass wir die kleinen und mittelständischen Unternehmen entlasten, damit wir weiterhin Arbeitsplätze in Deutschland erhalten können.
({4})
Herr Fell, ich komme zu Ihnen.
({5})
Sie überraschen mich immer wieder; das muss ich ganz
offen sagen. Auch mich bedrückt es,
({6})
wenn die vielen Unternehmen, die Sie vorhin genannt
haben, ihre Module nicht mehr in Deutschland produzieren. Trotzdem haben wir in der Solarindustrie in den
letzten zwei Jahren Rekordwerte erzielt. Wir haben in
den letzten zwei Jahren zweimal jeweils 7 500 Megawatt
zugebaut. Herr Gabriel hat noch vor vier Jahren in seinem Erfahrungsbericht gesagt, er erwarte für 2011 einen
Zubau von 800 Megawatt. Tatsächlich betrug der Zubau
7 500 Megawatt! Trotz dieser Überförderung haben wir
viele, viele Firmen verloren. Das zeigt doch ganz klar,
dass die Überförderung nicht dazu führt, dass wir Arbeitsplätze erhalten, sondern die Überförderung kostet
Arbeitsplätze. Deshalb müssen wir das entsprechend anpacken.
({7})
Die Zahlen sprechen für sich. Meine Vorredner haben
das schon teilweise dargelegt: Schon heute beträgt der
Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien an unserem Strommix 20 Prozent. Bis 2020 wollen wir einen
Stromanteil von 35 Prozent erreichen,
({8})
mehr als Sie es jemals vorgehabt haben. Ich habe schon
gesagt, wir sind im letzten Jahr bei 7 500 Megawatt gewesen.
({9})
- Ich habe manchmal den Eindruck, lieber Herr Kelber,
dass Sie ein bisschen neidisch sind auf das, was wir erreichen. Ihnen geht das Thema verloren. Das merkt man
auch an den Reden, die den gleichen Inhalt haben wie
vor zwei Jahren. Sie haben die Energiewende ein Stück
weit verschlafen und sind im Heute noch nicht angekommen.
({10})
Insofern rate ich Ihnen zu mehr Offenheit und Konsens.
({11})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal
deutlich machen - das hat auch meine Vorrednerin Maria
Flachsbarth gesagt -:
({12})
Auch wenn diese Zubaurate von jeweils 7 500 Megawatt in den letzten beiden Jahren beachtlich ist, müssen
wir ganz klar sagen, dass wir uns jährliche Zubauraten in
dieser Höhe in den nächsten Jahren nicht leisten können.
Wir tragen die Verantwortung nicht nur für die Verbraucherpreise, sondern auch für die Netzstabilität.
Wir müssen zu einem Zubau kommen, der nicht nur
bezahlbar, sondern auch mit dem Netz kompatibel ist
und mit dem Netzausbau einhergeht.
({13})
Deshalb müssen wir zu einem Grundkonsens kommen,
maximal 3 500 Megawatt zuzubauen;
({14})
das ist unsere Strategie für die Gesetzesnovelle.
Der Gesamtzubau im letzten Jahr kostete in der
Summe über 20 Milliarden Euro. Wenn wir in diesem
Jahr nicht aufpassen, dann werden wir bei einem Zubau
von 8 000 Megawatt landen und müssen dafür in den
nächsten 20 Jahren noch einmal 25 Milliarden Euro für
die Photovoltaik ausgeben.
({15})
Diese Zahlen zeigen, dass wir jetzt relativ schnell reagieren und das Gesetz entsprechend schnell umsetzen müssen.
Was machen wir konkret? Lassen Sie mich kurz auf
die einzelnen Punkte eingehen: Zunächst wollen wir mit
einer einmaligen Absenkung der Vergütung eine Anpassung an die gesunkenen Marktpreise bewirken und neh19746
men eine Degression von 20 bis 26 Prozent vor - nicht
die 36 Prozent, die von Ihnen vorhin beschrieben wurden.
({16})
Wenn Sie sich einmal die Vergütungssätze anschauen,
stellen Sie fest: Es sind 20 bis 26 Prozent. Das spiegelt
ganz klar die Marktpreise wider. Insofern ist diese Absenkung - das sagt sogar die Branche - durchaus vertretbar.
({17})
Ich glaube, mit den jetzt vorgelegten Übergangsregelungen werden wir problemlos den Bestandsschutz bzw.
den Vertrauensschutz vor Ort regeln können. Bei den
Dachanlagen kommt die Degression zum 1. April. Damit können wir die sonst zu erwartende Endrallye etwas
eindämmen. Die vorhandenen Projekte werden wir dennoch umsetzen können. Bei den Freiflächenanlagen gibt
es eine Übergangsregelung, die vorsieht, dass der Aufstellungsbeschluss zum 1. März vorliegen musste; die
Anlagen müssen dann bis zum 1. Juli installiert werden.
Mit diesen Vorschlägen können wir hoffentlich alle konform gehen. Ich hoffe, dass auch die Bundesländer entsprechend mitmachen werden.
Das ist jedoch nur ein kleiner Baustein in dieser Gesetzesnovelle, die im Grunde nur kurzfristig wirken
kann. Langfristig müssen mehr Markt und mehr Wettbewerb wirken.
({18})
Die christlich-liberale Koalition steht für mehr Markt
und Wettbewerb bei den erneuerbaren Energien. Wir
brauchen mehr Eigenverantwortung.
Ich glaube, dass wir mit der geplanten Regelung, nur
noch 85 bis 90 Prozent des EEG-Stroms aus Photovoltaik zu vergüten, den richtigen Weg gehen. Die restlichen 15 Prozent müssen entweder eigenvermarktet oder
selbst verbraucht werden. Das ist heute bereits möglich.
Deshalb glaube ich - das will ich in aller Deutlichkeit
sagen -, dass wir sogar noch etwas mehr machen können.
Darüber müssen wir in den nächsten Tagen sprechen.
Ich halte es durchaus für möglich, dass die Photovoltaik
20 bis 25 oder sogar 30 Prozent in den Markt hineingeben kann. In diesem Zusammenhang finde ich den Vorschlag einer Kombination mit Speichertechnologien sehr
interessant. Wenn wir es schaffen, die eine oder andere
Speichertechnik in irgendeiner Form zu fördern, dann
hätten wir eine intelligente Lösung: die Photovoltaik auf
dem Dach und einen Speicher im Keller. Eine solche Lösung
({19})
wäre auch in den nächsten drei Jahren noch tragfähig.
Wir müssen prüfen, inwieweit die Speicher schon heute
technisch sinnvoll sind. Das werden wir in den nächsten
Wochen besprechen. Herr Kelber, ich lade Sie ein, hierbei mitzumachen.
({20})
Wir müssen prüfen, wie hoch der Anreiz sein muss
und was das Ganze an Netzentlastung bringt. In den
Fraktionen werden wir hierüber diskutieren. Wir gehen
jedenfalls den richtigen Weg.
Ein weiterer Punkt, den wir anpacken werden, ist die
Verstetigung der zukünftigen Degressionsschritte. Zum
1. Mai werden wir 0,15 Cent pro Kilowattstunde Degression einführen. Ich sage in aller Deutlichkeit: Auch
wenn dieser Weg der richtige ist - immerhin wollen wir
die Endrallyes vermeiden -, reicht meiner Meinung nach
dieser Betrag monatlich noch nicht aus. Mit einem Blick
auf die Marktpreise ist die Gesamtdegression immer
noch zu niedrig. Ich halte den Vorschlag eines „atmenden Deckels“ für den richtigen. Damit können wir mehr
Automatismus und Verlässlichkeit schaffen
({21})
und damit für die Zukunft im Hinblick auf die Investoren
den richtigen Weg gehen. Dann wäre eine Verordnungsermächtigung nur noch ein Notfallinstrument. Auch das
ist der richtige Weg.
({22})
Meine Damen und Herren, ich glaube, unsere Politik
ist verantwortlich.
({23})
Das ist auch unser Anspruch. Wir wollen, dass die Energiewende gelingt und bezahlbar ist. Die Debatte hat auch
gezeigt, dass dringend Handlungsbedarf besteht, dass
wir jetzt relativ schnell in die Beratungen gehen müssen.
Ich bin hoffnungsfroh, dass wir am 28. März in die
zweite Lesung gehen und Planungssicherheit für die Investoren schaffen können. In diesem Sinne freue ich
mich auf das kommende Gesetzgebungsverfahren.
Herzlichen Dank.
({24})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/8877 und 17/8892 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Eva Högl, Christel Humme, Elke Ferner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und
Frauen in Wirtschaftsunternehmen ({0})
- Drucksache 17/8878 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Auch
dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Eva
Högl für die SPD-Fraktion das Wort.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn unserer Debatte heute Morgen zunächst ein Blick auf die
Fakten: Ein Drittel der 160 Unternehmen in den DAXIndizes der Deutschen Börse hat keine einzige Frau in
seinen Führungsgremien, weder im Vorstand noch im
Aufsichtsrat. Aktuell haben wir 3,4 Prozent Frauen in
den Vorständen und 12,7 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten. Da sage ich: Immerhin! In den Aufsichtsräten ist es so verteilt: auf der Anteilseignerseite 7,8 Prozent, auf der Arbeitnehmerbank - da können wir ganz
froh sein - immerhin 20,6 Prozent Frauen. Angesichts
dieser Situation ist Deutschland Schlusslicht im Vergleich der westlichen Industrienationen und in Europa.
Ich darf hier heute Morgen sagen: Das ist eine inakzeptable Situation. Elf Jahre nach der Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft und der Vereinbarung mit
der Bundesregierung und auch drei Jahre nach Aufnahme des Themas Gleichberechtigung in den Corporate
Governance Kodex haben wir es hier mit einer entsetzlichen Situation zu tun, die mehr als peinlich ist.
({0})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, diese Zahlen zeigen mehr als deutlich - das
wissen wir alle -: Appelle und Selbstverpflichtungen
führen zu rein gar nichts. Die Zeit ist mehr als reif für
eine gesetzliche Regelung.
({1})
Ich möchte hier heute Morgen auch sagen, dass wir
alle miteinander - ich hoffe, dass ich da für alle spreche mehr als froh wären, wenn wir auf Quoten verzichten
könnten, wenn wir sagen könnten: „Wir haben genügend
Frauen in den Vorstandsgremien, in den Aufsichtsräten“,
wenn wir sagen könnten: „Unsere Politik ist erfolgreich,
und die Unternehmen wissen selbst, was sie tun müssen.“ Aber wenn wir feststellen, dass die Situation so ist,
wie sie ist, dann sind wir hier als Gesetzgeber, als Deutscher Bundestag, gefragt, diese Situation zu beenden und
tätig zu werden.
({2})
Diese Verpflichtung resultiert nicht zuletzt aus Art. 3
Abs. 2 GG.
Die SPD hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir
heute Morgen beraten, und ist damit die erste Fraktion,
die die politische Forderung nach mehr Frauen in den
Führungsgremien der deutschen Wirtschaft ausformuliert und einen konkreten Vorschlag vorgelegt hat. Wir
wollen 40 Prozent Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten. Wir wollen das stufenweise einführen; wir wollen
niemanden überfordern. Wir fangen mit einer Quote von
20 Prozent Frauen in den Vorständen und 30 Prozent in
den Aufsichtsräten an. Aber wir sagen auch ganz deutlich: Wir müssen jetzt beginnen; wir dürfen das nicht auf
die lange Bank schieben. Wir haben jetzt den Handlungsbedarf.
({3})
Denn wir müssen im Hinblick auf die nächsten Aufsichtsratswahlen tätig werden. Das Gesetz, das wir hier
umsetzen wollen, muss schon für die nächste Wahlperiode der Aufsichtsräte gelten.
Ich betone noch einmal: Wir schmeißen niemanden
aus den Führungsgremien der deutschen Wirtschaft heraus, weder aus dem Vorstand noch aus dem Aufsichtsrat. Aber wir wollen die frei werdenden Plätze endlich
konsequent mit Frauen besetzen.
({4})
Wir wissen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass ein Gesetz, das nur ein Ziel formuliert, überhaupt
nichts bringt. Wir kennen das vom Bundesgleichstellungsgesetz. Wir kennen das auch vom Bundesgremiengesetz. Wir kennen die Berichte. Wir wissen, dass wirksame Sanktionen notwendig sind. Nur dann ist ein
Gesetz erfolgreich. Nur dann führt es dazu, dass Frauen
auch tatsächlich auf die Plätze kommen.
Wir haben uns deshalb wirksame Sanktionen überlegt
und setzen dabei nicht darauf, die sofortige Beschlussunfähigkeit von Gremien herbeizuführen. Weder der Vorstand noch der Aufsichtsrat sollen handlungsunfähig
werden. Uns ist die Handlungsfähigkeit deutscher Unternehmen sehr wichtig, und deshalb setzen wir auf Selbstregulierung. Wir setzen darauf, dass dann, wenn die Vorgaben aus welchen Gründen auch immer nicht erfüllt
werden können, die Plätze zunächst unbesetzt bleiben.
Aber wir sagen auch ganz deutlich: Die Plätze sollen
nicht lange unbesetzt bleiben. Denn wir wollen, dass
Frauen auf den Stühlen sitzen. Wir wollen keine leeren
Stühle.
({5})
Deswegen dürfen diese Stühle maximal ein Jahr leer
bleiben. Wir gehen allerdings davon aus, dass das gar
nicht der Fall sein wird. Wir setzen nämlich auf die
Selbstregulierung. Beispielsweise gilt für den Aufsichtsrat eines mitbestimmten Unternehmens die Quote für
jede Bank, und wir gehen davon aus, dass jedes Unternehmen ein Interesse daran hat, die Bänke der Anteilseigner und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
auch mit Frauen zu besetzen. Wir meinen, dass es viele
gute Frauen in unserem Land gibt, die diese Plätze auch
besetzen können.
({6})
Ich möchte noch ein Wort zu dem Thema Vorstand sagen. Dies ist ein sensibler Punkt, was wir selbstverständlich in unserem Gesetzentwurf berücksichtigt haben. Wir
haben es sorgfältig geprüft und die Verfassungsgemäßheit ausführlich diskutiert. Wir schlagen auch für den
Vorstand eine Regelung vor, die den Vorstand zwar nicht
in seiner Handlungsfähigkeit beschränkt, aber eine wirksame Sanktion beinhaltet. Demnach soll der Vorstand
seine Vertretungsmacht verlieren, wenn er nicht ordnungsgemäß besetzt ist. Dann muss der Aufsichtsrat für
das Unternehmen tätig werden. Wir gehen davon aus,
dass das dem Aufsichtsrat so lästig sein wird, dass er alles dafür tun wird, dass der Vorstand ordnungsgemäß mit
Frauen besetzt wird.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss noch
ein paar Worte zu dem, was uns entgegenschlägt, da wir
eine Quote befürworten. Es schlägt uns entgegen: Ihr
findet gar keine Frauen - und schon gar nicht für Vorstände. Es gibt gar keine qualifizierten Frauen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt ist voll von
qualifizierten Frauen.
({8})
- Das ist demonstratives Desinteresse. Ich nehme das
zur Kenntnis. - Was ist das für eine Botschaft an die
Frauen, wenn wir ihnen sagen, dass sie nicht qualifiziert
genug sind? Wir wissen, dass 97 Prozent der Vorstände
mit Männern besetzt sind. Will mir jemand erzählen,
dass diese 97 Prozent ausschließlich etwas mit Qualifikation zu tun haben?
({9})
Das kann doch wohl nicht wahr sein.
({10})
Deswegen sage ich Ihnen eines: Die Quote führt dazu,
dass die guten Frauen, die wir haben, endlich auf die
Plätze kommen, die ihnen zustehen.
({11})
Das allein ist der Sinn und Zweck einer Quotierungsregelung, und deswegen appelliere ich an Sie, die Koalitionsfraktionen: Verschließen Sie sich doch nicht länger
dieser Debatte. Geben Sie Ihr grundsätzliches Nein auf.
Steigen Sie mit uns in die Sachdebatte ein. Wir haben einen Vorschlag vorgelegt. Wir können über Details sprechen. Wir haben es in Form eines Gesetzentwurfs durchformuliert. Lassen Sie uns doch heute, einen Tag nach
dem 101. Internationalen Frauentag, etwas für die vielen
tollen Frauen in unserem Land in Sachen Gleichberechtigung tun und endlich tätig werden für mehr Frauen in
Führungspositionen in deutschen Unternehmen.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Andrea Voßhoff für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
die SPD will mit ihrem Gesetzentwurf börsennotierte
und mitbestimmte Unternehmen der Privatwirtschaft
zwingen, mit einer gestaffelten gesetzlichen Mindestquote den Anteil der Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen und damit in Führungspositionen zu erhöhen.
({0})
Ja, Frau Kollegin Högl, dem Grunde nach stimme ich
Ihnen zu, und es ist unstreitig: Frauen sind in unternehmerischen Führungspositionen im Jahr 2012 deutlich unterrepräsentiert; Sie haben die Quoten genannt.
Die Kollegin Strothmann wies mich gerade auf Folgendes hin - und ich will das auch gerne sagen -: An
dieser Stelle wird immer wieder unter den Tisch fallen
gelassen, dass dieses Thema in mittelständischen Betrieben längst kein Thema mehr ist. Dort sind sehr viele
starke und qualifizierte Frauen auch in Führungspositionen. Ich finde, es gehört der Vollständigkeit halber dazu,
das auch einmal zu erwähnen.
({1})
Ja, in den großen Unternehmen sind es viel zu wenig.
Ich will die Zahlen aus Zeitgründen nicht wiederholen,
aber wir wissen, dass Frauen in den Vorstandsetagen
deutlich unterrepräsentiert sind.
Das darf uns als Politiker und Politikerinnen nicht in
Ruhe lassen, wir dürfen diese Probleme auch nicht kleinreden. Das ist richtig, Frau Kollegin Högl.
({2})
Aber wenn wir als Politiker merken, dass Handlungsbedarf gegenüber der Wirtschaft besteht, dann sollten wir
auch darauf achten, wie wir es in Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung auf Bundes- und Länderebene halten. Sie erwähnten vorhin das Bundesgremienbesetzungsgesetz. Von den dort gesetzten Zielvorgaben sind
wir auch nach 15 Jahren seit Inkrafttreten des Gesetzes
noch weit entfernt. Einer neueren Studie zufolge sind
Frauen in Aufsichtsräten von Bundesunternehmen mit
einem Anteil von 18,2 Prozent und in Vorständen mit
6,5 Prozent vertreten.
Die genannten Zahlen zeigen, dass es in Bezug auf
das Thema Frauen in Führungspositionen noch viel zu
tun gibt - da bin ich ganz selbstkritisch -; denn in der
Politik sollten wir eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen. Liebe Kollegin Högl, meine Damen und Herren
von der SPD, ich frage Sie: Wie hoch ist eigentlich die
Quote in Einrichtungen in den Bundesländern, in denen
Sie mitregieren?
Nehmen wir als Beispiel das Land Brandenburg, in
dem ich leben darf. Dort regiert die SPD seit der Wiedervereinigung, also seit mehr als 20 Jahren. Ich darf auf
eine aktuelle Anfrage der CDU-Landtagsfraktion vom
Januar dieses Jahres verweisen. Die Antwort der Landesregierung auf die Frage, wie hoch der Anteil von
Frauen in der Geschäftsführung der Unternehmen mit
Landesbeteiligung sei, lautete: Die Landesregierung
konzentriert sich nur auf die Unternehmen, bei denen
das Land Brandenburg zu nahezu 100 Prozent Anteilseigner ist und auf die sie Einfluss ausüben kann - das
setzt sie vorweg -, um dann im gleichen Atemzug zu sagen: Der Anteil von Frauen in den Geschäftsführungsorganen der sieben landeseigenen Unternehmen liegt
lediglich - meine Damen und Herren, hören Sie es sich
an - bei 15,38 Prozent.
({3})
Meine Damen und Herren Sozialdemokraten, noch
viel interessanter war die Antwort der Brandenburgischen Landesregierung auf die zweite Frage, ob die rotrote Landesregierung eine Zielgröße festgesetzt hat, auf
die der Anteil von Frauen in Führungspositionen in Unternehmen mit Landesbeteiligung erhöht werden soll.
Nun hören Sie gut zu. Die Landesregierung antwortete:
Das Ziel einer Erhöhung des Anteils von Frauen in
Führungspositionen bei Unternehmen mit Landesbeteiligung findet seinen Ausdruck in einer Reihe
von Handlungsempfehlungen
- sehr erstaunlich in den Regeln für die Unternehmen im Abschnitt VI. des Corporate Governance Kodex für
die Beteiligungen des Landes Brandenburg an privatrechtlichen Unternehmen …. Dort ist vorgesehen, dass der Aufsichtsrat bei der Zusammensetzung der Geschäftsführung auch auf Vielfalt …
achten und dabei insbesondere eine angemessene
Beteiligung von Frauen anstreben soll …
({4})
Meine Damen und Herren Sozialdemokraten,
({5})
es ist schon wohlfeil: Hier und heute wollen Sie die Privatwirtschaft per Gesetz zu einer festgelegten gesetzlichen Mindestquote von 40 Prozent zwingen. Sie wollen
massiv in deren Eigentumsrechte eingreifen.
({6})
Aber dort, wo Sie konkret Einfluss nehmen könnten, erreichen Sie nicht einmal selbst die Quote, die Sie der Privatwirtschaft auferlegen wollen.
({7})
Sie legen sie nicht einmal fest. Statt sich zu einer Quote
zu bekennen, verweisen Sie lediglich auf den Corporate
Governance Kodex, den Sie an anderer Stelle kritisieren.
Wenn Sie es im Land Brandenburg nach 20 Jahren
nur auf 15 Prozent geschafft haben, ist es schon eine
Chuzpe, von der Privatwirtschaft bereits in neun Monaten eine Quote von 30 Prozent für Aufsichtsräte und
20 Prozent für Vorstände zu verlangen.
({8})
Ich hege den Verdacht: Wenn wir uns die Beteiligungsberichte anderer Bundesländer, in denen die SPD mitregiert, anschauen würden, dann würden wir zu dem Ergebnis kommen, dass die Bilanz nicht sehr viel anders
aussieht.
({9})
Meine Damen und Herren Sozialdemokraten, wie halten Sie es denn eigentlich in Ihrer Partei mit Frauen in
Führungspositionen?
({10})
In ihrer langen Geschichte hat es zwar viele Parteivorsitzende gegeben, aber wie viele davon waren weiblich?
Keine einzige! Wie viele Bundeskanzlerinnen hat die
SPD gestellt? Keine einzige! Wie viele weibliche Fraktionsvorsitzende hatte die SPD bisher im Bundestag?
Keine einzige!
({11})
Frau Kollegin Högl, Sie sagten vorhin: Die Welt ist
voll von qualifizierten Frauen. Ich denke, das trifft auch
auf die SPD zu.
({12})
Aber dass sich an Ihrer Bilanz etwas ändert, steht nicht
zu vermuten; denn in Bezug auf die Kanzlerkandidatur
erleben wir das Warmlaufen dreier Herren: Gabriel,
Steinmeier und Steinbrück.
({13})
Ich rege an, mit gutem Beispiel voranzugehen. Die
Union hat es Ihnen vorgemacht. Machen Sie es uns nach.
Das Problem der geringen Beteiligung von Frauen in
Führungspositionen ist komplex; das wissen wir. Ich will
den Handlungsbedarf auch gar nicht in Abrede stellen.
Ich weiß ebenso wie Sie, dass in meiner Fraktion unterschiedliche Positionen vertreten werden. Das heißt aber
nicht, dass wir uns über den Handlungsbedarf nicht einig
sind. Wir sind uns nur über die Wahl des Instrumentes
nicht einig. Ich denke, es muss erlaubt sein, zu fragen,
ob eine starre oder gesetzliche Mindestquote das Problem lösen könnte oder ob das vielleicht ein nachhaltiger
Eingriff in Eigentumsrechte ist.
Auch ich glaube, dass die Wirtschaft mehr und nachhaltiger - wenn Sie so wollen: auch von der Politik - unter Druck gesetzt werden muss. Die Vereinbarung aus
dem Jahr 2010 hat im Ergebnis mehr oder weniger nichts
gebracht. Das ist vollkommen richtig. Für die politische
Seite hat damals Bundeskanzler Schröder verhandelt.
Jetzt hat die Familienministerin, Frau Schröder, zusammen mit der Wirtschaft versucht, einen Stufenplan zu
entwickeln.
({14})
Ich muss Ihnen sagen: Dieser Vorschlag bietet eine
gute Grundlage, um, ohne zu nachhaltig in Eigentumsrechte von Unternehmen einzugreifen, dem Handlungsbedarf, den wir ja wohl alle sehen, entsprechend zielgerichtet zu handeln. Ich gestehe zu: Davon müssen wir
unseren Koalitionspartner überzeugen. Wir arbeiten daran. Vielleicht gelingt es uns.
Vielen Dank.
({15})
Die Kollegin Dr. Barbara Höll spricht jetzt für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute erneut über ein
so wichtiges gleichstellungspolitisches Thema wie die
gerechte Teilhabe von Frauen an den Entscheidungen
der Unternehmen dieses Landes sprechen.
Frau Voßhoff, ich hätte mich gefreut, wenn Sie sich
mehr zum Thema geäußert hätten.
({0})
Sie haben der SPD Nachholbedarf vorgeworfen. Ich
wäre vorsichtig, dies als Mitglied einer Fraktion mit einem Frauenanteil von 19 Prozent zu tun, da die SPD einen Frauenanteil von 40 Prozent hat. In der Fraktion der
Linken sind wir 55 Prozent Frauen.
({1})
Das ist noch einmal ein ganzes Stück mehr. Ihre Art und
Weise des Umgangs geht gar nicht. So kann man
schwerlich vom Thema ablenken.
({2})
Ich glaube, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
der SPD ein absolut richtiger Schritt vorgeschlagen
wird. Ein wenig Kritik sei mir am Anfang meiner Ausführungen aber erlaubt - das muss jetzt doch sein -: Ich
verstehe nicht, warum unser Antrag, der in eine ähnliche
Richtung zielt, hier gestern keine breite Unterstützung
der anderen Oppositionsfraktionen erhalten hat, sondern
sogar Gegenstimmen. Das ist für mich ein wahlkampftaktisches Spielchen. Das finde ich wirklich mehr als ärgerlich. Frau Ziegler und Frau Fischbach haben gestern
zu Recht betont, dass es uns weiblichen und männlichen
Abgeordneten nur dann gelingen wird, eine geschlechtergerechte Gesellschaft zu erreichen, wenn wir in diesem Haus gemeinsam und fraktionsübergreifend tätig
werden.
Quoten sind unbeliebt, aber ohne Quote bewegt sich
in unserem Land offenbar nichts.
({3})
Nicht die Frauen, sondern die Unternehmen haben über
Jahrzehnte nachgewiesen, dass es ohne Quote nicht geht.
({4})
Wir brauchen verbindliche, gesetzliche Regulierungen,
weil die Unternehmen sonst nicht bereit sind, die Forderung des Grundgesetzes zu erfüllen. Frauen und Männer
sind gleichberechtigt - diese Formulierung existiert seit
60 Jahren. Aufgrund dieses Gleichstellungsauftrages des
Grundgesetzes muss eigentlich alles Regierungshandeln
auf die Herstellung geeigneter Rahmenbedingungen für
eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen ausgerichtet
sein. Aber leider sind wir davon weit entfernt.
Die entscheidenden Positionen in Politik, Wirtschaft,
Sport, Medien und Kultur werden in der Bundesrepublik
Deutschland leider immer noch von Männern besetzt.
Mehrere Bundesregierungen haben versucht, die Unternehmen zu einer freiwilligen Erhöhung des Anteils von
Frauen in Führungspositionen zu bewegen. Sie sind damit klar gescheitert. Ich möchte insbesondere Frau
Merkel daran erinnern, dass dieses Thema bereits zu ihrer Zeit als Ministerin für Frauen und Jugend eine Rolle
spielte.
({5})
Aber während sie mit dem Gleichberechtigungsgesetz
Maßnahmen zur Frauenförderung in der Bundesverwaltung und bei der Besetzung öffentlicher Gremien durch
Frauen und Männer durchsetzen konnte, hat sich durch
die freiwillige Verpflichtung von Unternehmen auch unter ihren Nachfolgerinnen nichts, aber auch gar nichts
geändert.
Besonders peinlich ist dieses Schneckentempo bei der
Gleichstellung von Frauen und Männern in Führungspositionen, wenn wir einmal über den eigenen Tellerrand
schauen. Norwegen ist zwar mit einer Quote von 40 Prozent Frauen in Führungspositionen immer noch Spitzenreiter, aber auch in anderen Ländern hat sich sehr viel
bewegt. Schauen wir nach Spanien, Frankreich, Belgien
und Italien. Dort sind wesentlich mehr Frauen in den
Vorstandsetagen der Wirtschaft als in der Bundesrepublik. Auch im weiteren internationalen Vergleich hinken
wir massiv hinterher. Man muss sagen: Deutschland ist
und bleibt ein gleichstellungspolitisches Entwicklungsland.
({6})
Die EU-Kommissarin Reding kündigte in der letzten
Woche die Einführung einer EU-weiten verbindlichen
Frauenquote für große Unternehmen an, nachdem die
Aufforderung zur freiwilligen Selbstverpflichtung vor
einem Jahr keine ausreichende Wirkung zeigt. Der Tageszeitung Die Welt gegenüber sagte Frau Reding: „Ich
bin kein Fan von Quoten. Aber ich mag die Ergebnisse,
die Quoten bringen.“ - Recht hat sie. An der Quote kommen wir nicht vorbei.
({7})
Wir als Gesetzgeber sollten nicht warten, bis eine
Richtlinie der EU uns dazu zwingt, sondern wir sollten
selbst noch in diesem Jahr dafür sorgen, dass die fortdauernde Verletzung des Art. 3 des Grundgesetzes durch
eine klare gesetzliche Quotenregelung endlich beendet
wird. Es wäre schön, wenn die Bundesrepublik die
EU-Kommissarin Reding in ihrem Bemühen unterstützen würde.
({8})
Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion enthält eine
Reihe konkreter Schritte, durch die eine Besetzung von
Aufsichtsräten und Vorständen mit mindestens 40 Prozent Frauen in den nächsten Jahren erreicht werden
kann. Als erster Schritt wird vorgeschlagen, ab 2013
eine gesetzliche Quote von mindestens 30 Prozent in
Aufsichtsräten und 20 Prozent in Vorständen festzulegen. Das bewegt sich in etwa in dem Rahmen, den auch
wir in unserem Antrag vorgesehen haben. Diese Größenordnung ist realisierbar. Es ist unbedingt notwendig,
noch in diesem Jahr diesen Schritt zu tun,
({9})
weil in diesem Jahr eine ganze Reihe von Positionen frei
werden. Wenn wir es nicht in diesem Jahr machen, werden uns weitere fünf Jahre einfach verloren gehen.
({10})
In zahlreichen Petitionen wird gefordert, dass Frauen
Entscheidungen, auch ökonomische, endlich direkt auf
der Führungsebene treffen können. Umfangreiche Diskussionen in den Medien belegen dies. Es ist Zeit, dass
die Frauen endlich die Hälfte der Macht und des Kuchens erhalten. Wir sind nicht länger bereit, Brosamen
zu akzeptieren.
({11})
Ich unterstreiche: Nicht nur Frauen haben dies erkannt,
sondern bereits auch viele Männer. Gemeinsam müssen
wir diese Aufgabe lösen.
({12})
Im Dezember des vergangenen Jahres haben unsere
Kolleginnen Dorothee Bär, Ekin Deligöz, Sibylle
Laurischk, Cornelia Möhring, Rita Pawelski und Dagmar
Ziegler gemeinsam mit den Vertreterinnen von sechs Verbänden die Berliner Erklärung vorgestellt, in der sie eine
Mindestquote von 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten
als ersten Schritt zu einer geschlechtergerechten Besetzung von Entscheidungsgremien der Wirtschaft fordern.
Dies ist eine sehr gute Initiative.
({13})
Die Reaktionen waren und sind interessant. Es gibt
ein großes Echo in den Verbänden, den Gewerkschaften,
den Kirchen und den Frauenverbänden aller im Bundestag vertretenen Fraktionen. Ich denke, es wäre gut, wenn
wir hier gemeinsam ein Zeichen setzen und Sie vielleicht
die heutige Debatte bzw. die Woche des Frauentages nutzen, um diese Erklärung zu unterzeichnen. Ich helfe
gern: www.berlinererklaerung.de. Per iPad können Sie
das sofort erledigen.
({14})
Ich denke, der Entwurf der SPD kommt zum richtigen
Zeitpunkt. Wir werden ihn unterstützen. Sie haben sehr
detailliert gearbeitet und präzise dargelegt, wie man die
Besetzung der Aufsichtsräte und der Vorstände ohne
Ausnahmemöglichkeiten regeln kann. Das finde ich gut.
Ich glaube aber, wir sollten noch einmal gemeinsam
überlegen, ob die Frage der Sanktionen, die verhängt
werden können, wenn in einem Unternehmen nichts passiert, ausreichend geregelt ist. Aber dafür ist ja genug
Beratungszeitraum da.
({15})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, natürlich ist
für mich, für die Linke und für viele Frauen hier im
Saale die Besetzung von Aufsichtsräten und Vorständen
nur ein erster Schritt hin zu einer geschlechtergerechten
Besetzung aller Arbeitsplätze in den Unternehmen. Es
ist absurd, dass Frau Schröder gestern versucht hat, diese
Debatte als Elitediskussion abzuqualifizieren.
({16})
Dies ist vielmehr ein wichtiger erster Schritt, den viele
Wählerinnen und Wähler unterstützen. Freiwillige Verpflichtungen haben nichts verändert. Wir müssen endlich
tätig werden.
({17})
Frau Schröder redet in der heutigen Debatte ja gar
nicht; vielleicht ist es auch besser so.
({18})
Was sie gestern gesagt hat, war schon sehr abstrus. Sie
hat gesagt, wer sie nicht bei der Flexiquote unterstütze
- die nichts anderes ist als wieder einmal nur eine
Selbstverpflichtung -, der würde diesem Ziel in den Rücken fallen. Darauf muss man erst einmal kommen aber okay.
({19})
An anderer Stelle hat sie sich noch klarer geäußert.
Dem Wiesbadener Kurier gegenüber sagte sie:
Eine starre Quote halte ich grundsätzlich für problematisch.
({20})
Es ist nicht Aufgabe des Staates, den verschiedensten Unternehmen ein und dieselbe Quote zu verordnen.
({21})
Das Grundgesetz gilt doch wohl für alle, oder?
({22})
Frauen und Männer sind gleichberechtigt, und zwar in
allen Unternehmen. Das ist die Zielstellung, und dazu
bekennen wir uns.
Ich glaube, wir haben die große Chance, noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zu verabschieden und
endlich international aufzuholen. Wir können die Weichenstellung vornehmen, Frauen in der Wirtschaft in
Führungspositionen zu bringen. So könnten wir bewirken, dass die Frauen in Führungspositionen mit dazu
beitragen, dass alle Arbeitsplätze tatsächlich geschlechtergerecht besetzt werden.
Frauen haben einen anderen Blick. Genau deshalb arbeiten Unternehmen, die gemischte Führungsgremien
haben, erwiesenermaßen besser. Frauen sorgen nämlich
oftmals für ein besseres Betriebsklima. Frauen ist zum
Beispiel klar, dass man dann am besten arbeiten kann,
wenn man weiß, dass die Kinder gut versorgt sind. Dafür
stehen Frauen. Ich glaube, dieses Thema ist es wert, dass
wir uns gemeinsam dafür einsetzen. In diesem Sinne
werbe ich für den Gesetzentwurf der SPD. Unsere Unterstützung haben Sie.
({23})
Danke.
({24})
Der Kollege Marco Buschmann hat das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte mich zunächst einmal bei den Erstellern der Beratungsgrundlage bedanken.
({0})
Die Erstellung eines Gesetzentwurfes ist immer eine besondere Leistung,
({1})
die über die Erarbeitung eines bloßen Entschließungsantrags hinausgeht. Auch wenn uns das Ziel der Chancengerechtigkeit von Männern und Frauen in diesem Hause
eint,
({2})
wird Sie nicht verwundern, dass wir als FDP-Fraktion
diesen Gesetzentwurf nicht unterstützen werden.
({3})
Denn das Instrument einer allgemeinen Zwangsquote für
die Leitungsorgane der Privatwirtschaft halten wir
schlichtweg für falsch. Warum das so ist, möchte ich mit
drei grundsätzlichen Bemerkungen begründen.
({4})
Die erste Bemerkung lautet: Zwangsquoten bringen
nichts. Sie bringen keinen gesellschaftlichen Fortschritt,
({5})
und sie bringen kaum einer Frau etwas.
({6})
Von einer Zwangsquote würde allenfalls eine verschwindend geringe Anzahl von Frauen profitieren.
({7})
Nehmen wir das Beispiel der immer wieder zitierten
Gruppe der DAX-Vorstände.
({8})
Dabei geht es um 450 bis 500 Personen in Deutschland.
40 Prozent davon - abzüglich der Frauen, die bereits in
Amt und Würden sind - sind weniger als 200 Frauen.
({9})
Bezogen auf die 15 Millionen erwerbstätigen Frauen in
Deutschland ist das eine Quote von - hören Sie genau
zu! - 0,00001.
({10})
Von Ihrer Zwangsquote würde nur jede Hunderttausendste berufstätige Frau profitieren. Bezogen auf die
Gesamtbevölkerung wäre es gar nur jede Fünfhunderttausendste Frau.
({11})
Sie betreiben hier keine Gesellschaftspolitik. Was Sie
betreiben, ist ein Elitenprojekt für die Champagneretage.
({12})
Herr Kollege Buschmann, Frau Ziegler würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchte Sie sie zulassen?
Wer?
Frau Ziegler.
Ja. Sehr gern.
Bitte schön.
Ich weiß nicht, warum Sie den Begriff einer gesetzlichen Zwangsquote verwenden; denn das hat nichts mit
Zwang zu tun. Sonst wären alle Gesetze Zwangsgesetze.
Das halte ich für eine sehr verwerfliche Formulierung
von Ihnen.
Wenn Sie aber sagen, dass der Nutzen einer solchen
Quote so gering sei, warum fürchten Sie sie dann?
({0})
Sehr geehrte Frau Kollegin, Sie müssen stehen bleiben, damit ich Ihre Frage beantworten kann.
({0})
Die erste Antwort auf Ihre Frage ist: Ich nenne das
Zwangsquote, weil sich die gesetzliche Quote dadurch
von der Selbstverpflichtung unterscheidet, dass die Regelung notfalls mit gesetzlichem Zwang durchgesetzt
wird. Deshalb ist die Bezeichnung „Zwangsquote“
selbstverständlich zutreffend; denn sie unterscheidet sich
auch nicht von anderen Formen des gesetzlichen
Zwangs.
Das Zweite ist: Ich fürchte eine Quote überhaupt
nicht. Die Quote ist allerdings ein Instrument, das nichts
bringt, und was nichts bringt, gehört nicht ins Bundesgesetzblatt. Das Bundesgesetzblatt gehört nicht aufgebläht
mit überflüssigen Maßnahmen. Das ist meine Antwort
auf Ihre Frage.
({1})
Herr Kollege, es gäbe noch eine zweite Zwischenfrage zur Verlängerung Ihrer Redezeit, und zwar eine
Frage des Kollegen Oppermann.
Sehr gern.
Unter Männern. - Herr Oppermann, bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege, Sie sagen, dass freiwillige Vereinbarungen zur Besetzung von Spitzenpositionen mit Frauen ausreichen, dass diese Vereinbarungen
gut funktionieren. Daher frage ich Sie, ob Sie wissen,
wie viele Frauen in der Bundesregierung von der FDP
gestellt worden sind. Die FDP war 46 Jahre lang an der
Bundesregierung beteiligt. Wissen Sie, wie viele FDPFrauen in dieser Zeit ein Ministeramt bekleidet haben?
({0})
Das ist eine hochinteressante Frage, die aber nichts
mit dem Thema der heutigen Debatte zu tun hat und deshalb neben der Spur liegt.
({0})
Heute geht es um Leitungsorgane in der Privatwirtschaft. Insofern halte ich das für eine Nebelkerze, die Sie
hier zünden. Das ist meine Antwort auf Ihre Frage.
Herr Oppermann möchte eine zweite Fragen stellen.
Herr Buschmann entscheidet, ob er diese zulässt.
Selbstverständlich. - Herr Kollege Oppermann, auch
für die zweite Nebelkerze bin ich sehr dankbar.
Ich habe nur die Frage stellen wollen, ob Sie wissen,
wie viele Ministerinnen die FDP gestellt hat. Wenn Sie
das nicht wissen, kann ich Ihnen helfen. Es waren nämlich zwei FDP-Ministerinnen in 46 Jahren.
In dieser Zeit hätten Sie aber doch die Möglichkeit
gehabt, hochqualifizierte FDP-Frauen ins Kabinett zu
holen. Warum ist das nicht geschehen?
Sehr geehrter Herr Kollege Oppermann, die Frage,
wen wir ins Kabinett schicken und wie sich Kabinette
zusammensetzen, hat mit der Frage, wie sich Leitungsorgane der Privatwirtschaft zusammensetzen, schlichtweg nichts zu tun.
Herzlichen Dank.
({0})
Würden Sie Herrn Beck auch noch eine Frage stellen
lassen?
Mit Rücksicht auf die Redner der nachfolgenden Debatten meine ich, dass wir in der Debatte vorwärtskommen sollten. Insofern lehne ich diese Zwischenfrage jetzt
ab.
Zwangsquoten verhelfen den betroffenen Gesellschaften auch nicht zu mehr Ausgewogenheit in der Gesamtbelegschaft. Ich habe an dieser Stelle schon sehr
häufig auf die sozialwissenschaftlichen Belege dafür
hingewiesen, dass die einfache Formel „Frauen oben
fördern Frauen unten“ empirisch schlicht falsch ist. Statt
Zwangsquoten bedarf es echter Gesellschaftspolitik.
Dazu gehören intelligente Arbeitszeitmodelle auch für
Führungskräfte sowie vor allen Dingen verlässliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten, und zwar jenseits der normalen Kernarbeitszeiten; denn hier treten sehr häufig
Probleme auf. Eine Zwangsquote bietet all das aber natürlich nicht.
Meine zweite grundsätzliche Anmerkung lautet: Tun
Sie bitte nicht immer so, als ob gar nichts passieren
würde. Sie haben natürlich recht - und das ist auch mit
eine Antwort auf die Frage des Kollegen Oppermann -,
wenn Sie sagen, dass die Vereinbarungen der rot-grünen
Bundesregierung selbstverständlich nichts gebracht haben. Auch wir attestieren Ihnen gerne vollständiges Versagen. Ignorieren Sie aber doch bitte nicht, dass es 2010
eine Änderung des Corporate Governance Kodex mit
neuen Regeln für mehr Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten gab.
({0})
Wenn Sie den Anteil der Frauen in der Gruppe der
dann neu gewählten Vorstände mit ihrem Anteil in diesen Gremien insgesamt vergleichen, dann stellen Sie
fest, dass der Faktor 4 beträgt.
({1})
- Ein Faktor 4 ist nicht nichts! Natürlich ist das Niveau
noch niedrig, aber dieser Faktor 4 ist ein erster Schritt in
die richtige Richtung.
({2})
Damit komme ich zu meiner dritten Bemerkung. Hören Sie bitte auf, immer die Privatwirtschaft an den Pranger zu stellen. Sie tun immer so, als ob das eine Insel der
Fortschrittsverweigerer wäre,
({3})
die man mit Zwangsmitteln bessern müsse. Frau Kollegin Voßhoff hat bereits darauf hingewiesen, dass sich
diese Probleme auch in anderen Organisationen finden,
denen Sie seltsamerweise nicht mit Zwang zu Leibe rücken wollen.
Ich nenne zum Beispiel die Tatsache, dass die größten
Arbeitgeber in Deutschland gar keine privatwirtschaftlichen Unternehmen mehr sind. Das sind nämlich die gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände. Schauen Sie sich die
Vorstände dieser Unternehmen an, in denen überproportional viele Frauen beschäftigt sind. Ist da denn Geschlechtergerechtigkeit in Ihrem Sinne verwirklicht?
Der Paritätische Gesamtverband hat einen Vorstand
mit sieben Mitgliedern. Eines davon ist weiblich. Warum
rücken Sie denen denn nicht zu Leibe? Oder schauen Sie
sich den Bereich der politischen Bildung an. Bei der
SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gibt es elf ordentliche Vorstandsmitglieder. Zwei davon sind weiblich.
({4})
Warum rücken Sie denen denn nicht mit Zwang zu
Leibe?
({5})
Sie sind also der Meinung, dass man mit Zwang arbeiten muss. Warum aber nicht bei denen? Ist gemeinnützige Arbeit etwa weniger wert?
({6})
Ich glaube das nicht. Ich sage Ihnen, warum Sie das
nicht tun und warum Sie bei diesen Organisationen kneifen: wegen all der SPD-Funktionäre in den Gremien dieser Organisationen, die Sie dann nämlich auf die Straße
setzen müssten, um die Quoten zu erfüllen. Dass Sie dort
kneifen, ist Ausdruck reiner Lobbypolitik im Sinne der
SPD und der männlichen SPD-Funktionsträger.
({7})
Neben diesen drei grundsätzlichen Bemerkungen
könnte ich auch noch jede Menge rechtstechnischer Ungereimtheiten und großer Ungerechtigkeiten für kleine
Gesellschaften in dem Entwurf ansprechen. Zum Beispiel ist Ihre 20-Prozent-Quote für die kleinen AGs faktisch eine 50-Prozent-Quote. Auf all das werden wir im
Rahmen der zweiten Lesung aber noch zu sprechen
kommen. Die FDP bleibt bei ihrem klaren Nein zu
Zwangsquoten.
Herzlichen Dank.
({8})
Ekin Deligöz hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte, die wir hier führen, löst bei mir ambivalente Gefühle aus. Zum einen freue ich mich, dass die
Debatte fortgesetzt wird, dass nach dem Gesetzentwurf
der Grünen auch die SPD einen Gesetzentwurf vorlegt
und zeigt, wie es gehen kann, und dass wir eine breite
Zustimmung der Frauen in diesem Haus für eine gesetzliche Frauenquote haben. Zum anderen schmerzt es
mich, ehrlich gesagt, solchen Reden zuhören zu müssen.
({0})
Noch mehr schmerzt es mich, dass die zwei zuständigen
Ministerinnen es noch nicht einmal für notwendig halten, in diesem Raum zu sein.
({1})
Ich habe aus den Reihen der CDU/CSU gehört, die
zuständige Ministerin von der Leyen sei ja da. Ich
wünschte mir, Frau von der Leyen wäre die zuständige
Ministerin, weil sie die Zeichen der Zeit erkannt hat.
({2})
Die zuständige Frauenministerin hält es noch nicht
einmal mehr für nötig, sich für eine Flexiquote einzusetzen. Stattdessen glänzt sie hier durch Abwesenheit. Sie
ist in der großen weiten Welt unterwegs und nicht hier,
um Politik zu machen. Das ist das Problem, das wir hier
haben. Das sollten auch Sie erkennen. Ihre Frauen, die
sich für die Sache einsetzen, müssen sich nach hinten
setzen und dürfen hier vorne nicht das Wort ergreifen.
Das sollten Sie einmal wahrnehmen.
({3})
Wie viel Zeit wollen Sie eigentlich noch vertrödeln,
bevor Sie die Zeichen der Zeit erkennen? Was soll denn
noch alles geschehen? Viel schlimmer noch: Wie stark
will diese FDP Frauen in diesem Land noch diffamieren?
({4})
Dazu will ich Ihnen ein Beispiel nennen: In dieser Woche sagte Herr Patrick Döring
({5})
im Hamburger Abendblatt, das Thema Frauenquote sei
ein „Luxusprogramm“.
({6})
Falls Sie es nicht mitbekommen haben: Gleichberechtigung ist in diesem Land kein Luxusprogramm, meine
Herren.
({7})
Ich sage bewusst „meine Herren“; denn der Anteil der
Damen ist in Ihrer Fraktion ja verschwindend gering.
Es ist kein Luxus, sich in diesem Land für Gleichberechtigung einzusetzen; das steht vielmehr in unserer
Verfassung. Sie sind verpflichtet, sich dafür einzusetzen.
Dieser Verpflichtung müssen wir endlich nachkommen.
Die Diffamierung von Frauen in diesem Land steht
keiner Fraktion in diesem Haus zu. Sie sollten sich fragen, wie weit Sie damit kommen werden.
({8})
Warum wollen wir die Frauenquote? Warum kämpfen
wir dafür? Weil es um die Sache geht. Es geht um die Inhalte; die Quote ist kein Selbstzweck. Wir wissen: Erst
mit dem weiblichen Blick in den Führungsstrukturen
können wir auch etwas für die Arbeitnehmerinnen insge19756
samt tun. Damit können wir etwas in der Geschäftskultur
und in den Führungs- und Personalstrukturen ändern.
Auch deshalb wollen wir mehr Frauen in den Führungsetagen. Wir wollen die festgefahrenen männlichen
Strukturen aufbrechen. Es gibt auch genug Männer,
denen diese festgefahrenen Strukturen nicht gefallen.
Deshalb wollen wir Frauen in den Führungsetagen. Wir
wollen die Besten der Besten aus diesem Land in verantwortungsvollen Positionen, statt nur deshalb auf Talente
zu verzichten, weil es weibliche Talente sind.
({9})
Wir wollen Wettbewerbsfähigkeit, und wir wollen die
Wirtschaft stärken. Lesen Sie die Studien, die es dazu
gibt. Wenn Frauen an der Spitze stehen, dann sind Unternehmen viel besser dran als die mit einer reinen Männerspitze. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen, wenn Sie
tatsächlich eine gute Wirtschaftspolitik machen wollen,
meine Herren von der FDP. Auch darum geht es bei der
Frauenquote.
({10})
Die Berliner Erklärung zeigt, dass es im Bundestag
genug Frauen gibt, die verstanden haben, worum es geht.
Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die SPD hat
nun auch einen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir beweisen,
dass es möglich ist. Wir können das machen.
Die Frauen in den Unternehmen beweisen: Es gibt genug qualifizierte Frauen. Inzwischen gibt es Datenbanken, die zeigen, wie viele Frauen nicht nur dafür infrage
kommen, sondern auch bereit sind, verantwortungsvolle
Führungspositionen zu übernehmen. Es gibt diese
Frauen.
Diese Chance hat das Land. Diese Chance nicht zu ergreifen, wäre eine Schande. Absichtserklärungen reichen
uns nicht mehr; wir wollen mehr.
Frei nach dem Sozialphilosophen Charles Fourier, der
das bereits im 18. Jahrhundert sagte, gilt: Der soziale
Fortschritt erfolgt nur dann, wenn wir auch Fortschritte
in den Rechten der Frauen manifestieren. - Was damals
gesagt wurde, gilt noch heute.
({11})
Wenn Sie eine Modernisierungspartei sein wollen,
dann müssen Sie das ernst nehmen. Ohne Frauen wird
das nicht funktionieren.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Harbarth für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich glaube, bei allen
Unterschieden, die heute zutage getreten sind, sollten
wir uns zunächst einmal vor Augen führen, wo wir eigentlich beieinander sind. Ich glaube, wir sind in der Bewertung der Ausgangslage relativ eng beieinander. Wir
sind relativ eng beieinander in der Feststellung, dass der
Frauenanteil gerade in den großen Unternehmen in
Deutschland viel zu niedrig ist. Das zeigt etwa ein Blick
auf die Vorstände der DAX-Unternehmen mit einem
Frauenanteil von weniger als 5 Prozent. Das ist inakzeptabel. Darin teile ich uneingeschränkt Ihre Auffassung,
Frau Kollegin Högl.
Unterschiedlicher Auffassung sind wir in der Frage,
welche Konsequenzen wir ziehen müssen, um das Ziel
der Erhöhung des Frauenanteils besser zu erreichen. Dabei haben wir die grundsätzliche Frage zu beantworten,
ob wir auf starre Vorgaben und starre Lösungen oder auf
flexible Modelle und passgenaue Lösungen setzen.
Aus unserer Überzeugung ist Letzteres der bessere
Weg. Warum? Ein Blick auf unsere Wirtschaft zeigt: Wir
haben sehr unterschiedliche Branchen mit völlig unterschiedlichen Frauenanteilen. In der Branche der Energiewirtschaft und Wasserversorgung liegt der Frauenanteil
bei 14 Prozent. In der Baubranche beträgt der Frauenanteil 17 Prozent. Im Maschinenbau sieht es wenig besser
aus. Wenn wir in den Dienstleistungsbereich schauen,
stellen wir fest: Es gibt Branchen, in denen der Frauenanteil über 50 Prozent - mitunter weit über 50 Prozent liegt.
So klar es ist, dass es ungerecht ist, wenn Frauen und
Männer in der Arbeitswelt unterschiedlich behandelt
werden, so klar ist nach meiner Überzeugung auch: Es
ist ungerecht, eine Quote von 40 Prozent über alle Unternehmen zu legen ({0})
völlig unabhängig davon, ob das eine Branche mit einem
Frauenanteil von 17 Prozent ist oder eine Branche mit
einem Frauenanteil von 60 oder 70 Prozent. Das passt
nicht. Deshalb ziehen wir passgenaue und maßgeschneiderte Lösungen vor.
({1})
Wenn Sie erklären, wie eben wieder geschehen, das
sei alles auch im wohlverstandenen Interesse der Unternehmen - es gebe ja Studien, die belegten, dass Unternehmen dann besser geführt würden -, müssen Sie sich
schon fragen lassen, warum Sie Ihren Gesetzentwurf eigentlich so eng angelegt haben.
Diese Studien führen nämlich nicht nur zu dem Ergebnis, dass Vorstände, Aufsichtsräte und sonstige Gremien besser arbeiten, wenn in ihnen beide Geschlechter
angemessen berücksichtigt sind. Vielmehr sprechen
diese Studien für mehr Diversität in einem viel breiteren
Sinne.
({2})
Sie plädieren dafür, etwa die unterschiedlichen beruflichen Hintergründe, die Menschen haben, stärker zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass nicht nur Techniker, Kaufleute oder Juristen in den Gremien sitzen,
sondern dass es eine gesunde Mischung gibt. Diese Studien besagen: Es kommt auch auf die regionale Herkunft
an; Aufsichtsgremien, denen Europäer und vielleicht
Amerikaner oder Asiaten angehören,
({3})
sind aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit Gremien, die zu
einseitig besetzt sind, vorzuziehen.
Wenn Sie aus diesen Studien nur ein Segment herausgreifen, das Ihnen gerade opportun erscheint,
({4})
setzen Sie sich schon dem Vorwurf aus, dass Ihr Gesetzentwurf zu eng angelegt ist.
({5})
Meine Damen und Herren, Sorgen bereitet mir bei Ihrem Entwurf, dass er in seinem Anwendungsbereich
weit über die DAX-30-Unternehmen hinausgeht, an die
wir in der Diskussion häufig denken.
({6})
Sie wollen nämlich den Anwendungsbereich auf mitbestimmte Unternehmen ausdehnen.
Wir haben in Deutschland 700 paritätisch mitbestimmte Unternehmen. Wir haben 1 500 drittelparitätisch besetzte Unternehmen.
({7})
- Ich weiß, dass Sie schon immer gewisse Probleme mit
dem Mittelstand hatten. Der passt nicht so sehr in Ihr
Weltbild wie Großkonzerne.
({8})
Wir sind der festen Überzeugung, dass gerade die
mittelständischen Betriebe das Herz unserer Wirtschaft
sind. Darunter sind viele Betriebe, die nicht von morgens
bis abends von der Sorge geplagt sind, wie sie möglichst
viel Frauenfeindlichkeit und Frauenbenachteiligung umsetzen könnten. Vielmehr gehen diese Betriebe sehr
pragmatisch vor. Das sind häufig Familienunternehmen,
in denen die Frage, wie ein Geschäftsführungsorgan
oder ein Beiratsorgan in der nächsten Generation besetzt
wird, schlicht und ergreifend davon abhängt, ob die Unternehmerfamilie in der nächsten Generation vielleicht
zwei Töchter oder ob sie zwei Söhne hat.
({9})
Warum Sie in Ihrem Regelungsansatz weit über die
börsennotierten Großunternehmen hinausgehen und sagen: „Wir wollen in all diese Unternehmen hineinregieren“, ist für uns nicht nachvollziehbar. Es gibt Familienunternehmen, in denen es seit jeher Tradition war, dass
das Unternehmen von Mitgliedern der Familie geführt
wird. Wenn das Unternehmen in einer Generation eben
zwei weibliche Familienmitglieder hat, die das Unternehmen führen möchten: Warum nicht? Warum muss
dann unbedingt ein männlicher Fremdgeschäftsführer
eingestellt werden?
({10})
Ein weiterer Punkt kommt hinzu: die kurzen Übergangsfristen. Frau Kollegin Högl, Sie haben gesagt, dass
Sie niemanden rauswerfen möchten. Was die Aufsichtsratswahlen betrifft, mögen Sie mit Ihrem Regelungsansatz recht haben. Im Hinblick auf die Vorstände und die
Geschäftsführer haben Sie nicht recht. In aller Regel
werden Geschäftsführerverträge eben nicht für ein paar
Monate abgeschlossen, sondern für drei, vier oder fünf
Jahre. Wenn Sie jetzt sagen: „Wir wollen ab 2013 Neuregelungen haben“, führt das für viele Unternehmen dazu,
dass sie das Problem auf der Geschäftsführungsebene
nicht einfach bei der nächsten routinemäßigen Besetzung lösen können. Für diese Unternehmen führt es
schlicht und ergreifend dazu, dass sie neben den Geschäftsführern, die sie im Augenblick haben, weitere
Geschäftsführer einstellen müssen und sich damit die
Kosten für das Unternehmen erhöhen. Das mag bei
Großunternehmen eine vernachlässigbare Größe sein.
Für einen mittelständischen Unternehmer macht es aber
einen Unterschied, ob er zwei, drei oder vier Geschäftsführer bezahlen muss.
({11})
Nach meiner Meinung stellen Sie in Ihrem Gesetzentwurf diese Thematik in keinen ausreichend breiten Zusammenhang. Es geht auch um Fragen der Frauenförderung weit unterhalb der Vorstandsebene. Wir müssen
sicherstellen, dass der Anteil weiblicher Führungskräfte
zunimmt, damit im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung Frauen in Vorstände und Aufsichtsräte quasi hineinwachsen können. Wir sind in der Union der Auffassung,
dass der richtige Weg nicht eine starre Quote, sondern
ein Konzept ist, das sich an einen Stufenplan anlehnt. In
der Tat kann es kein Weiter-so wie in den letzten Jahren
geben. Aber wir brauchen keine einheitliche, pauschalierende Quote für alle Unternehmen, sondern eine maßgeschneiderte Lösung, die branchenspezifischen Besonderheiten und der jeweiligen Situation der Unternehmen
Rechnung trägt.
({12})
Dass ein solcher Gesetzentwurf vorgelegt wird und
dass einzelne Reden mit Heftigkeit, Vehemenz und mitunter sogar mit Schärfe vorgetragen werden, hat möglicherweise etwas damit zu tun, dass von der Frauenpolitik der rot-grünen Bundesregierung eigentlich nicht
mehr in Erinnerung geblieben ist als die dümmliche Bemerkung des damaligen Kanzlers, Frauenpolitik sei Gedöns. Herr Kollege Oppermann, falls Sie sich nicht mehr
richtig erinnern können: Es ist Gerhard Schröder, von
dem das stammt.
({13})
Aber dass dümmliche Äußerungen von Gerhard Schröder
keine Seltenheit sind, haben wir auch in dieser Woche
zur Genüge erleben dürfen.
({14})
Wir werden mit der Umsetzung unseres Konzepts,
das vorsieht, den Frauenanteil mit maßgeschneiderten
Lösungen zu erhöhen, fortfahren.
({15})
Wir werden aber jede Vorlage, die auf Quotierung, Regulierung und staatlichen Dirigismus setzt, ablehnen.
Vielen herzlichen Dank.
({16})
Caren Marks hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zeit der
Lippenbekenntnisse muss endgültig vorbei sein. Sie,
meine Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP,
erhalten von uns, der SPD-Bundestagsfraktion, die Gelegenheit, sich nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zu beteiligen.
({0})
Allen, die es mit der Forderung nach mehr Frauen in
Führungsfunktionen - mindestens 40 Prozent Frauen in
Aufsichtsräten und Vorständen - wirklich ernst meinen,
können am Ende des parlamentarischen Verfahrens unserem Gesetzentwurf zustimmen.
({1})
Wir freuen uns über alle, die diese parlamentarische Initiative konstruktiv begleiten und unterstützen. Nachdem
bei der schwarz-gelben Regierungskoalition Fraktionsdisziplin ja keine so große Rolle mehr spielt, hoffe ich
natürlich auf Unterstützung auch aus Ihren Reihen.
({2})
Denn damit erhielten auch all die gesellschaftlichen
Kräfte, die sich für eine Quotenregelung engagieren, ein
klares, ein notwendiges Signal aus der Politik.
Ich denke dabei zum Beispiel an den Deutschen Juristinnenbund und seine engagierte Aktion „Aktionärinnen
fordern Gleichberechtigung“. Erst letzte Woche haben
führende Journalistinnen einen Aufruf gestartet, um eine
30-Prozent-Quote in den Chefetagen der Redaktionen
einzufordern. Heute, ganz aktuell, ist nachzulesen, dass
selbst Olaf Henkel eine gesetzliche Quote in Aufsichtsräten fordert.
({3})
Diese Beispiele machen deutlich: Große Teile unserer
Gesellschaft fordern unüberhörbar die angemessene Beteiligung von Frauen ein. Und ich sage: Recht haben sie!
({4})
Dennoch ist diese Bundesregierung handlungsunwillig, wenn es um Frauen- und Gleichstellungspolitik geht.
Das beste Beispiel dafür ist uns zu Beginn dieser Woche
geboten worden: Da verbittet sich Ministerin Schröder,
die es heute noch nicht einmal nötig hat, anwesend zu
sein,
({5})
und die eigentlich auch Frauenministerin sein sollte,
weitere Einmischungen. Deutschland brauche keine bürokratischen Vorschriften und Belehrungen aus Brüssel.
({6})
Wir hingegen, die SPD-Bundestagsfraktion, begrüßen
ausdrücklich das Engagement der EU-Kommissarin
Viviane Reding für gesetzliche Regelungen.
({7})
Frau Reding hat uns sehr deutlich vor Augen geführt,
wie schlecht es bei uns in Deutschland um den Anteil
von Frauen in Führungspositionen im europäischen Vergleich aussieht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Besetzung
von Vorstandsposten finden wir Frauen uns in Deutschland am Schluss wieder. Bei den Aufsichtsratsmandaten
rangiert Deutschland im unteren Drittel. Selbst diese
Position ist nur der Tatsache geschuldet, dass die Rate
der entsandten Frauen auf der Arbeitnehmerseite höher
ist. Das ist beschämend. Frauen sind bei den Schlüsselpositionen der deutschen Wirtschaft weiterhin außen vor.
Überwiegend prägen reine Männerrunden die Unternehmenskultur und damit die Arbeitswelt in unserem Land.
Trotz dieser Tatsachen handelt die Bundesregierung
nicht. Frau Schröder setzt weiter unbeirrt auf die Freiwilligkeit der Wirtschaft, und diese Woche konnten wir
den Medien entnehmen, dass sie vor der FDP eingeknickt sei und selbst ihre wachsweiche Flexiquote zu
den Akten gelegt habe. Diese Regierung kommt frauenpolitisch einfach nicht voran. Sie ist zerstritten, und sie
ist somit handlungsunfähig. Wir haben eine Bundesfrauenministerin, die durch ihre „Nichthaltung“ und ihren Beitrag in der gestrigen Debatte zum Internationalen
Frauentag signalisiert, dass ihr dieses Thema eigentlich
egal ist.
({8})
Außerdem haben wir eine Bundesarbeitsministerin,
die jetzt, dank einer gereiften Erkenntnis, eine gesetzliche Quote von 30 Prozent fordert. Als sie noch Frauenministerin war, habe ich ein entsprechendes Engagement
vermisst. Aber ich sage ganz ehrlich: Ich freue mich
über Ihre Unterstützung. Ich finde es auch gut, dass Sie
heute hier sind und damit ein Zeichen setzen, Frau von
der Leyen.
({9})
Dann ist da noch eine Bundesjustizministerin, die ich
heute genauso wie die Frauenministerin vermisse. Sie ist
gleichstellungspolitisch uninteressiert und ignoriert die
Meinung ihrer Länderfachkolleginnen und -kollegen.
Diese haben nämlich auf der Justizministerkonferenz im
Mai letzten Jahres festgehalten, dass die Einführung einer bundesgesetzlich geregelten Geschlechterquote dringend geboten ist. Und was macht die Kanzlerin? Nichts!
Sie ist handlungsunwillig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz anderer Verlautbarungen von Frau Schröder ist gleichstellungspolitisch in diesem Land in den letzten Monaten nichts passiert. Der von Frau Schröder bejubelte Quotengipfel im
Oktober 2011 ist im Ergebnis mehr als peinlich. Solche
freiwilligen Unverbindlichkeiten führen nicht zum Ziel.
Ich kann allen nochmals empfehlen: Sehen Sie sich die
Entwicklung in Norwegen an: Dort ist der Frauenanteil
in den Aufsichtsräten von 7 auf 42 Prozent gestiegen.
({10})
Das belegt eindeutig: Wenn es einen Schlüssel zum
Erfolg gibt, dann ist es die gesetzliche Quote. Andere
Länder sind diesem Beispiel im Übrigen inzwischen bereits gefolgt.
({11})
Nur in Deutschland glaubt die Bundesregierung auch
nach über zehn Jahren freiwilliger Vereinbarung - ja,
woran eigentlich? An ein Wunder? Die geschehen erfahrungsgemäß selten, eigentlich nie.
Wir von der SPD-Fraktion warten nicht auf Wunder,
sondern legen heute einen Gesetzentwurf vor. Damit
wird ein entscheidender Beitrag für eine chancengerechte Teilhabe von Frauen in den Aufsichtsräten und
Vorständen ermöglicht, und dies nicht nur bei den börsennotierten, sondern auch bei den mitbestimmten Unternehmen. Eine gesetzliche Quote wird mehr Frauen in
Führungspositionen bringen. Am Ende zählt das Ergebnis. Auch wird die Quote eine Signalfunktion für die Unternehmenskultur und für die Arbeitswelt in unserem
Land haben.
Allen Kritikerinnen, die betonen, sie wollten keine
Quotenfrauen sein, kann ich nur sagen: Die Quote öffnet
lediglich die Tür. Beweisen müssen sie sich ohnehin
selbst.
({12})
Unser Gesetzentwurf bürdet den Unternehmen keine
Last auf, im Gegenteil: Mehr Frauen in Führungsfunktionen erhöhen die Chancen auf einen wirtschaftlichen
Erfolg. Dies belegen auch diverse Studien. Außerdem
kommt unser Gesetzentwurf ohne finanzielle Sanktionen
und ohne Härtefallregelungen aus. Wenn die Quote nicht
eingehalten wird, bleibt der Stuhl leer. Ich bin mir sicher:
Dieser wird nicht lange leer bleiben. Auf ihm wird
schnell eine kompetente Frau Platz nehmen. Nach kurzer
Zeit wird darüber kein Wort mehr verloren, so wie in
Norwegen.
Die Frauen in Deutschland fordern zu Recht Taten
statt Worte von Regierung und Parlament. Mit Ihrer Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf lassen wir den
Worten Taten folgen. Tatsächliche Gleichstellung muss
Realität auch bei uns in Deutschland werden. Ich bin mir
sicher: Dafür lohnt es sich, zu kämpfen, auch über die
Fraktionsgrenzen hinweg.
Herzlichen Dank.
({13})
Unser Kollege Jörg von Polheim hat jetzt das Wort für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in
dieser Debatte schon einiges gehört, einiges Richtige
und viel Falsches.
({0})
Deshalb möchte ich als Handwerker und kleiner mittelständischer Bäckermeister in dieser Debatte auf die
Auswirkungen Ihres Gesetzentwurfs auf den oder die
ganz normale Berufstätige eingehen. Während wir Liberale und Christdemokraten uns mit der Materie „Chancengleichheit von Männern und Frauen“ eingehend auseinandersetzen und eventuell auch unpopuläre
Meinungen vertreten, weil wir sie für richtig halten, fordert die SPD einen Stufenplan für eine 40-Prozent-Mindestquote für börsennotierte Gesellschaften,
({1})
womit man ganz herrlich Schlagzeilen produzieren
kann, was jedoch in der Sache nur wenigen Hundert Unternehmen und Menschen hilft.
({2})
Dass Ihre Initiative zum Thema Quote lediglich an
Symptomen herumdoktert und dabei an sämtlichen Alltagsproblemen der Bürgerinnen und Bürger vorbeigeht,
soll hier nicht unerwähnt bleiben.
Was bringt Ihre Elitenquote für die Mutter von nebenan, die hart arbeitet und trotzdem Probleme hat, ihren
Lebensunterhalt zu sichern? Nichts.
({3})
Welche spürbaren Verbesserungen ergeben sich für
junge Singlefrauen, die zukunftssicher ihr Leben planen
möchten? Keine. Oder anders gesagt: Wem nützt das,
was Sie vorschlagen? Niemandem.
({4})
Anstatt mit Quotenregelungen staatlichem Zwang das
Wort zu reden, sollte es Ihnen, wenn es Ihnen um die Sache ginge, vielmehr ein Anliegen sein, Angebote für die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterbreiten.
Damit wäre den berechtigten Anliegen der Frauen und
übrigens auch vieler Männer weitaus mehr geholfen als
mit einer Quote für einige wenige Führungsetagen.
({5})
Es geht hier um Chancengleichheit für alle Bürgerinnen und Bürger. Es geht um reale Fortschritte bei der
Koordinierung von Kind und Karriere. Es geht um Menschen in unserem Land, um bessere Aufstiegschancen
für Frauen in der Arbeitswelt, aber nicht um willkürlich
festgesetzte Vorstandsquoten fernab der Lebenswirklichkeit unserer Bürgerinnen und Bürger.
Diese Koalition hat viel für die berufliche Chancengleichheit getan, mehr als es durch jede Quote erreicht
werden könnte.
({6})
Wir haben trotz Haushaltskonsolidierung zusätzliche
4 Milliarden Euro für den Rechtsanspruch auf die U-3Betreuung aufgebracht. Das erhöht die Chancen jeder
einzelnen Frau, ihre Karriere individueller zu planen, als
es je zuvor der Fall war.
({7})
In diesem Zusammenhang sollten Sie einmal zu Ihren
Genossen nach Nordrhein-Westfalen schauen. Dort wird
der Ausbau der U-3-Betreuung von der SPD-geführten
Landesregierung massiv gekürzt, und Sie reden hier von
Chancengleichheit.
({8})
- Schauen Sie einmal in den Landeshaushalt. - Diese
Bundesregierung hat das Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“ und die Initiative „Familienbewusste Arbeitszeiten“ aufgelegt. Diese Programme sorgen dafür, dass Familienleben und Arbeitswelt besser in
Einklang gebracht werden können. In Zukunft wird
diese Koalition die Elternzeit flexibler gestalten. Durch
diese Flexibilisierung wird es jungen Familien ermöglicht, mit einem Bein im Berufsleben zu bleiben, ohne
auf eine Auszeit zum Wohle des Kindes verzichten zu
müssen. All diese Initiativen sind weiche Faktoren, die
uns langsam, aber stetig dorthin bringen sollen, wo beispielsweise Schweden schon heute ist: mehr Frauen in
Vorstandsgremien - und das ohne staatlich verordnete
Quote. Das ist ernst gemeinte nachhaltige Politik.
({9})
Jede unserer Initiativen hilft sowohl den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als auch den Arbeitgebern
weitaus mehr als die von Ihnen vorgeschlagene Frauenquote für Vorstandsetagen. Die SPD möchte Frauen mit
der Brechstange in die Vorstände bringen;
({10})
wir wollen Verbesserungen in der Sache. Sie bedienen
Klischees; wir bedienen die Realität.
Vielen Dank.
({11})
Herr von Polheim, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Dazu gratuliere ich Ihnen im Namen
des Hauses recht herzlich und wünsche Erfolg für Ihre
Arbeit hier.
({0})
- Küsse werden ins Protokoll aufgenommen; nur damit
das klar ist.
({1})
Die nächste Rednerin ist Monika Lazar für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Thema Quote wird in dieser Woche wieder sehr
breit diskutiert. Trotz des Widerstands in der Koalition
gibt es inzwischen eine breite Mehrheit, die sich für die
Quote ausspricht,
({0})
unter anderem bei der Frauen Union und bei den Frauen
in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ministerin von
der Leyen, die als einzige Ministerin hier zum Glück
dabei ist, sagte erst kürzlich im Tagesspiegel: „Im
Schneckentempo können wir nicht weitermachen“. Das
ist richtig.
({1})
Die EU-Kommissarin Reding ist mit ihrer Geduld am
Ende und wird handeln. Auch die Berliner Erklärung, für
die sich Frauen aus allen Fraktionen zusammengefunden
haben und die Tausende von Unterschriften trägt,
spricht, denke ich, eine eindeutige Sprache.
Die FDP - das hat man auch heute wieder gesehen hat anscheinend große Angst vor der Quote.
({2})
Sie sollten sie ruhig einmal ausprobieren. Ich glaube,
dann hätten Sie auch ein paar Probleme weniger.
({3})
Generalsekretär Döring beklagt, dass eine gesetzliche
Quote ein Eingriff in das Eigentum der Aktionärinnen
und Aktionäre wäre. Damit hat er recht. Aus gutem
Grund würde der Gesetzgeber eingreifen: zum Schutz
vor Diskriminierung.
Auch Herr Brüderle lehnt eine Quote ab. Zitat:
„Frauen sind zu unterstützen, weil sie gut sind - nicht
weil sie Frauen sind“. Was ist denn das für ein Argument? Das zeigt wieder einmal, dass die FDP das Prinzip
der Quote immer noch nicht verstanden hat.
({4})
Wenn Sie allen Ernstes behaupten, eine Quote habe mit
Leistung nichts zu tun, dann ignorieren Sie die wissenschaftlichen Ergebnisse zu den Leistungen von Frauen
einerseits und ihren Aufstiegsmöglichkeiten andererseits. Wir müssen uns eben die besten Frauen aus dem
Pool heraussuchen und dürfen nicht, als hätten wir
Scheuklappen auf, nur auf die Männer setzen, die den
meisten Unternehmen als Erstes einfallen.
({5})
Die Enttäuschung über die Frauen- und Geschlechterpolitik der Koalition sitzt tief. Selbst die dürftigen Ansätze der Frauenministerin werden von der FDP im
Keim erstickt. So schrieb die taz am 5. März: „FDP
muckt auf und Frau Schröder knickt ein“, und sie schrieb
ferner von der FDP in „Ignorantenhausen“.
Womit die Ministerin allerdings regelmäßig die Medien bedient, sind Ankündigungen von Gesetzentwürfen.
Wir erwarten, dass sie ihre Vorhaben zuerst mit dem
Koalitionspartner bespricht, dann uns im Plenum informiert, sodass wir es hier diskutieren können. Es kann
nicht sein, dass wir immer nur in der Zeitung etwas lesen
und dann nichts passiert.
Auch die aktualisierten Zahlen aus dem Ministeriumsetat sprechen eine eindeutige Sprache. Besonders überrascht bin ich darüber, dass beim Titel „Gleichstellungspolitik in der Lebenslaufperspektive“ deutlich weniger
ausgegeben werden soll als zunächst geplant. Sie haben
doch erst gestern den Antrag zu diesem Thema eingebracht. Anscheinend ist das nicht mit Zahlen untermauert, oder Ihnen fällt nichts dazu ein.
Auch zur Flexiquote und zum Stufenplan der Ministerin - so niedrig die Ziele darin auch sind - ist im aktuellen Haushaltsentwurf nichts Passendes mehr drin. Sie
untergraben mit den Zahlen also Ihre eigenen Vorhaben
mit den ohnehin schon niedrigen Zielen. Das ist wirklich
ein Trauerspiel.
({6})
In dem Gleichstellungsbericht, den wir gestern mit
diskutiert haben, heißt es sehr eindeutig:
Die Kosten der gegenwärtigen Nicht-Gleichstellung übersteigen die einer zukunftsweisenden
Gleichstellungspolitik bei weitem.
Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, und handeln Sie
danach! Wir wollen nicht mehr länger darauf warten,
dass es endlich einmal vorangeht.
Die Opposition handelt wieder einmal. Heute steht
der Gesetzentwurf der SPD auf der Tagesordnung. Wir
Grünen haben vor reichlich einem Jahr einen Gesetzentwurf zu den Regelungen bei Aufsichtsräten und danach
noch einen Antrag zu den Regelungen bei Vorständen
eingebracht. Auch von der Linksfraktion liegen Vorschläge vor. Ich denke, selbst wenn sich unsere einzelnen Vorschläge etwas unterscheiden, ist die Richtung
doch die gleiche.
({7})
Uns allen sollte klar sein: Freiwillige Vereinbarungen
haben nichts gebracht. Die gläserne Decke lässt sich so
einfach nicht durchbrechen. Ich rufe die Ministerin auf
- Herr Kues, richten Sie es ihr bitte aus, da sie heute
nicht da ist; vielleicht kommt ja im Laufe der nächsten
Monate doch noch etwas -: Wir müssen wirklich handeln; denn - dies wurde schon angesprochen - die meisten der Aufsichtsratsposten werden im nächsten Jahr neu
besetzt. Deshalb ist es Zeit, in diesem Jahr etwas vorzulegen. Die Vorschläge der Opposition liegen vor. Suchen
Sie sich etwas aus. Wir diskutieren gern im Detail darüber. Meine Bitte zum Schluss: Tun Sie endlich etwas!
Danke.
({8})
Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir sind uns sicherlich darin einig, dass es in
Deutschland nach wie vor erhebliche Defizite bei der
Gleichstellung von Männern und Frauen gibt und dass
das namentlich auch in der Privatwirtschaft der Fall ist.
Der Anteil von Frauen in Führungspositionen bewegt
sich weiterhin auf einem unbefriedigend niedrigen Niveau. Deswegen sollte auch Einigkeit darin bestehen,
dass das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Nur,
wenn wir dieses Thema als eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe betrachten, dann muss das auch in unseren Debatten zum Ausdruck kommen. Dann muss es auch eine
Beteiligung von Männern an dieser Debatte geben.
({0})
Ich stelle fest, dass von der CDU, der CSU und der FDP
Männer an dieser Plenardebatte teilnehmen. Ich frage
Sie von der Opposition: Wo sind Ihre Männer?
({1})
Sie lassen die Frauen reden.
({2})
Ihre Männer aber bleiben bei diesem Thema stumm
({3})
und rücken damit die Gleichstellung von Frauen in eine
Nische, in die sie gerade nicht gehört.
({4})
Herr Silberhorn, der Kollege Beck hat das jetzt persönlich genommen. Er würde gern eine Zwischenfrage
stellen.
Ich komme gleich zu den Grünen. - Ich erinnere mich
noch sehr gut an die Worte von Bundeskanzler Gerhard
Schröder über Frauen. Er sprach von „Gedöns“. Ich sage
Ihnen sehr deutlich: Sie haben noch nicht viel dazugelernt. Sie als Frauen in der SPD müssen Ihre Männer bei
dieser Diskussion in Mitverantwortung nehmen.
({0})
Wie kann es sein, dass in der Tante SPD immer nur Onkels das Sagen haben? Denn dort, wo es um Spitzenfunktionen geht - Fraktionsvorsitzende und Parteivorsitzende -, finden Frauen in der SPD nicht statt.
({1})
Frauen an der Spitze sind in der SPD Fehlanzeige.
({2})
Bei den Grünen schaut es nicht allzu viel besser aus,
wenn ich in die Zeitungen der letzten Tage schaue. Die
Financial Times Deutschland titelte am 7. März: „Bedrohte Art: Die grüne Spitzenfrau“. Es ist die Rede davon, dass die Doppelspitze für 2013 infrage gestellt wird
und dass in den Ländern die Doppelspitze vielfach nicht
mehr vorhanden ist. Die ehemalige Kollegin Antje
Hermenau wird mit dem Satz zitiert:
Die Quote ist unverzichtbar für die Erstchance, damit Frauen zeigen können, was sie drauf haben.
Aber weiter heißt es dann:
Für die ganz hohen Weihen ist sie nicht unbedingt
das beste Auswahlkriterium.
Herr Silberhorn, jetzt hat sich Herr Beck noch einmal
gemeldet.
Ich würde gerne fortfahren.
({0})
Wir haben in der CDU und in der CSU - von Angela
Merkel bis Gerda Hasselfeldt - kein Problem mit Frauen
an der Spitze.
({1})
Deswegen sage ich Ihnen sehr deutlich: Die Politik muss
in dieser Debatte schon ihre Vorbildfunktion wahrnehmen. Sie alle sollten sich an die eigene Nase fassen und
nicht mit dem Finger auf andere zeigen.
({2})
Ich möchte deutlich machen - da können Sie mir sicherlich wieder zustimmen -, dass wir einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen müssen. Gleichstellungspolitik
- das ist ein Ergebnis des Ersten Gleichstellungsberichts
der Bundesregierung, über den wir gestern im Plenum
diskutiert haben - soll sich an den grundgegebenen natürlichen Unterschieden zwischen den Geschlechtern
orientieren. Es kann nicht darum gehen, unterschiedliche
Verhaltensweisen und unterschiedliche Lebensverläufe
von Männern und Frauen zu negieren.
({3})
Im Gegenteil, Gleichstellungspolitik muss diese unterschiedlichen Lebensverläufe ermöglichen. Deshalb
brauchen wir flexible und differenzierte Konzepte für
verschiedene Lebensphasen.
Eine gleichberechtigte Teilhabe von Männern und
Frauen muss in allen Etappen des Lebensverlaufs gewährleistet sein.
({4})
Dies liegt nicht nur im Interesse der Frauen. Auch Männer stoßen oft auf Widerstand
({5})
- Sie sollten das nicht lächerlich machen; das ist ein
Faktum -,
({6})
wenn sie selber Verantwortung für ihre Familie, für ihre
Kinder übernehmen wollen und Elterngeld beantragen
oder zugunsten der Familie Teilzeit arbeiten möchten.
Deswegen liegt es auch im Interesse der Frauen, dass
Männer zunehmend ihren Teil der Verantwortung für die
Familie wahrnehmen.
({7})
Natürlich reden wir unstreitig über eine vorhandene
Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben. Das stellt
nicht nur eine Beeinträchtigung ihrer individuellen
Chancengleichheit, sondern auch eine Verschwendung
gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ressourcen dar.
Im Hinblick auf die demografische Entwicklung und den
wachsenden Bedarf an Fachkräften können wir uns das
schlicht nicht länger leisten. Deswegen sage ich sehr
deutlich: Abwarten und nichts tun ist aufgrund der festgestellten Missstände und der offenkundigen Defizite
keine Lösung. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass eine
freiwillige Selbstverpflichtung in der Wirtschaft bisher
nicht zu befriedigenden Ergebnissen geführt hat. Ich bin
allerdings der Auffassung, dass die gesetzgeberische
Verantwortung zunächst darin besteht, die Wahrung gleicher Teilhabe sicherzustellen, und nicht darin, die gleiche Teilhabe selbst zu realisieren. Der Gesetzgeber darf
an dieser Stelle nicht über das Ziel hinausschießen, sondern muss die Eigenverantwortung der Wirtschaft einfordern.
({8})
Ich darf feststellen, dass hier in den letzten Monaten und Jahren ein Umdenken eingesetzt hat. 24 der
DAX-30-Unternehmen haben sich im Frühjahr 2011
konkrete Ziele zur Erhöhung des Frauenanteils in ihren
Aufsichtsräten gesetzt.
({9})
Im Herbst vergangenen Jahres haben die DAX-30-Unternehmen außerdem verbindliche Zielvorgaben vorgestellt, um den Anteil von Frauen in Führungspositionen
zu erhöhen. Im Jahr 2011 sind 40 Prozent der frei gewordenen Aufsichtsratssitze in den DAX-30-Unternehmen
mit Frauen besetzt worden. In den Vorständen sind wir
noch nicht so weit, aber auch hier ist ein positiver Trend
zu verzeichnen.
Ein Blick auf die Selbstverpflichtungen der Wirtschaft zeigt aber auch, dass individuelle Lösungen je
nach Größe und Branche der Unternehmen erforderlich
sind. Es ist so, dass in vielen Branchen der Anteil von
Frauen an der Gesamtbelegschaft schon relativ niedrig
ist. Das schlägt natürlich auf die Führungsetagen durch.
Führungspositionen werden oft nach einer langjährigen
Bewährung im Unternehmen vergeben.
({10})
Der Personalpool ist begrenzt. In Personalabteilungen
und bei Personalagenturen haben Frauen durchaus gute
Chancen auf Führungspositionen.
Die Forderung der Opposition nach starren Quoten
geht aber an der Realität vorbei.
({11})
Sie wird den spezifischen Gegebenheiten in vielen Unternehmen nicht gerecht. Besonders praxisfern finde ich
die Vorstellung, bei einer mangelnden Berufung von
Frauen Stellen vorübergehend unbesetzt zu lassen. Das
ist ein massiver Eingriff in die Berufsfreiheit und in die
Eigentumsfreiheit der Unternehmen.
({12})
Eine Quotenregelung, die die Leistungsfähigkeit eines
Unternehmens gezielt schwächt, kann niemanden überzeugen.
Ich bin durchaus der Auffassung, dass eine gesetzliche Regulierung mithilfe von Quoten als Impuls dienen
kann, die Gleichstellung von Frauen voranzutreiben. Wir
sind uns sicherlich einig, dass eine stärkere Teilhabe von
Frauen an der Unternehmensführung wirtschaftlich sinnvoll ist, dass sie positive Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens hat. Die Bundesfamilienministerin hat ein
Stufenmodell vorgelegt, das individuelle spezifische Lösungen ermöglicht,
({13})
je nach Branche und Größe des Unternehmens. Dieses
Modell setzt auf Transparenz und auf Wettbewerb, auch
unter Beteiligung der Belegschaften und der Öffentlichkeit. Das ist meiner Meinung nach der richtige Weg.
({14})
Ich sage Ihnen aber auch: Wir müssen die Arbeitswelt
deutlich familienfreundlicher gestalten, als das heute der
Fall ist. Dass von Beginn an Frauen deutlich schlechter
bezahlt werden als Männer, nämlich im Schnitt um
22 Prozent, ist schlicht inakzeptabel.
({15})
Im öffentlichen Dienst gibt es das seit Jahrzehnten nicht
mehr. Es ist nicht hinnehmbar, dass die freie Wirtschaft
nicht das zuwege bringt, was im öffentlichen Dienst seit
Jahrzehnten der Fall ist.
Dass Teilzeit in Führungspositionen nur selten möglich ist, ist auch ein Phänomen der Privatwirtschaft, das
wir im öffentlichen Dienst so nicht kennen. Selbst die
Kinderbetreuung wird im öffentlichen Dienst vielfach
besser sichergestellt als in Unternehmen. Das ist auch
eine unternehmerische Aufgabe, weil man nur dann im
Beruf leistungsfähig ist, wenn man den Kopf frei hat,
weil die Kinderbetreuung sichergestellt ist.
Herr Kollege!
Der öffentliche Dienst hat hier eine Vorbildfunktion,
und die Wirtschaft hat erheblichen Nachholbedarf.
Ich darf mit der Bemerkung schließen: Frauenförderung ist eine Führungsaufgabe,
({0})
gerade auch für die Männer, die an der Spitze stehen - in
Unternehmen, in Verbänden, im öffentlichen Dienst,
aber auch in unserer und in Ihrer Partei.
({1})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Volker Beck.
Herr Kollege Silberhorn, Sie haben die Vorbildfunktion der Politik angesprochen. Wenn ich in die Reihen
der Koalition schaue, dann wundert es mich nicht, dass
es in der Debatte einen hohen Anteil männlicher Redner
gibt; denn auch im Hinblick auf die Präsenz ist der Frauenanteil bei Ihnen gering. Bei der FDP-Fraktion ist eine
einzige Frau vertreten, demgegenüber acht Männer. Das
kommt nicht von ungefähr. Es liegt nicht daran, dass die
Frauen in der FDP-Fraktion zu faul wären, ins Plenum
zu kommen, sondern schlicht daran, dass es so wenige
gibt.
({0})
Das wiederum liegt daran, dass die FDP bislang auf die
„Zwangsquote“, wie Sie das nennen, verzichtet. Das
führt eben zu solchen Resultaten.
({1})
Dass es eine Auslese nach Eignung und Befähigung gibt,
kann man an dem politischen Ergebnis der FDP eindeutig widerlegen. Das sehen die Wählerinnen und Wähler
übrigens auch so.
({2})
Herr Silberhorn, wenn Sie hier sagen, eine starre
Quote widerspreche der Berufsfreiheit und anderen
Grundrechtspositionen - offensichtlich der Grundrechtspositionen von Angehörigen meines Geschlechts -, dann
wundert es mich, dass Sie bei grundsätzlichen demokratischen Fragen wie der Freiheit des Mandats und der demokratischen Partizipation in Ihrer Partei mittlerweile
anderer Auffassung sind. Selbst die CSU - man mag es
kaum fassen - hat mittlerweile eine Mindestquotierung
von 40 Prozent.
({3})
Warum ist das, was in der CSU richtig ist, in der Wirtschaft falsch? Das vermag mir nicht einzuleuchten.
({4})
Wir haben doch in unseren eigenen Parteiorganisationen
gesehen: Wo es keine Quote gibt, führen die Männernetzwerke dazu, dass nach Netzwerkzugehörigkeit entschieden wird und nicht nach Eignung und Befähigung.
({5})
Das wäre in unserer Fraktion, in unserer Partei auch so.
Wenn wir die Quote nicht hätten, dann gäbe es einen
Backlash.
({6})
In unserer Fraktion werden Sie aufgrund der Mindestquotierung häufig erleben, dass in fachpolitischen Debatten nur weibliche Rednerinnen auf der Liste stehen,
und zwar nicht, weil wir das in der Fraktion nach Geschlecht entscheiden, sondern weil sich das aufgrund der
angemessenen Repräsentation beider Geschlechter fachpolitisch so ergibt.
({7})
Das fällt uns für gewöhnlich gar nicht so auf. Ich finde
gut, wenn sich das herumspricht; denn das ist für die
Politik sehr wichtig.
Herr Kollege Beck!
Wir haben hier eine Vorbildfunktion: Junge Frauen
und junge Männer sehen, dass sich im Politikbetrieb
beide Geschlechter an Führungsaufgaben beteiligen. Das
ist bei uns eine Selbstverständlichkeit.
({0})
Herr Silberhorn zur Beantwortung, bitte.
Herr Kollege Beck, ich danke Ihnen sehr für Ihre
Kurzintervention, wenngleich ich es wirklich bedaure,
dass Sie als Mann in Ihrer Fraktion zu diesem Instrument
greifen müssen, weil man Ihnen bei diesem Thema keine
Redezeit zugebilligt hat.
({0})
Herr Kollege Beck, wir können gerne zählen, wer wie
viele Frauen in Parteien und Fraktionen hat. Das war
aber gar nicht mein Anliegen. Mein Anliegen war, dass
wir Frauenförderung, die Gleichstellung von Männern
und Frauen, zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema
machen;
({1})
das muss auch in der Debatte im Deutschen Bundestag
zum Ausdruck kommen. Deswegen ist es nicht zureichend, wenn nur Frauen über Frauenförderung diskutieren. Sie müssen darüber gemeinsam mit den Männern
diskutieren, wenn sie zu Erfolgen kommen wollen. Das
hat die Koalition demonstriert. Sie sollten es nachmachen.
({2})
Was die Quoten in der CSU betrifft, leite ich Ihnen
gerne die entsprechenden Texte zu; denn das sind gerade
keine starren, sondern differenzierte Quoten. Wir haben
eine verpflichtende Quote auf Landes- und Bezirksebene,
({3})
und wir haben in den Orts- und Kreisverbänden mit
Blick auf die dortige Situation eine nicht verpflichtende
Quote, verbunden mit der Zielvorstellung, einen Frauenanteil in gleicher Größenordnung zu erreichen.
({4})
Es gibt durchaus die Möglichkeit, in zwei Jahren zu
überprüfen, ob wir mehr tun müssen als bisher. Aber wir
wollen eben nicht eine Quote, bei deren Realisierung
man vor Ort auf Schwierigkeiten stoßen würde; wir müssen schon entsprechende Ergebnisse erzielen können.
({5})
Herr Kollege Beck, bei der Besetzung von Vorständen
einer Partei geht es nicht um Eigentumspositionen, die
infrage gestellt werden. Wir sehen auch nicht vor, Vorstandspositionen nicht zu besetzen; die Vorstände werden vollständig gewählt, unter Beteiligung der Frauen.
Ich verrate Ihnen etwas: Trotz der Quote, die wir in der
CSU haben, gibt es viele Vorstände, die diese Quote weit
übererfüllen, weil wir eben nicht allein zählen, sondern
uns daran gelegen ist, dass Frauen an der politischen
Willensbildung beteiligt werden.
({6})
Die Kollegin Elke Ferner hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Silberhorn, ich möchte Ihnen gerne zweierlei mitgeben. Das Erste ist: Ihre Rede war an Peinlichkeit wirklich nicht zu überbieten.
({0})
Ich habe gedacht, die gestrigen Reden der Ministerin
und auch des Generalsekretärs der FDP - er ist schon
wieder weg - seien nicht zu toppen; aber Sie haben das
heute mühelos geschafft.
({1})
Das Zweite ist: Ihre Quote in der CSU scheint nur
mäßig zu wirken. Der hohe Frauenanteil in der CSULandesgruppe führt dazu, dass der Frauenanteil in der
Unionsfraktion nicht einmal 20 Prozent übersteigt. Insofern sollte, was die parteiinternen Geschichten anbelangt, jeder vor seiner Haustür kehren. Wir haben das in
unserer Partei teilweise mit sehr großem Erfolg gemacht:
In unserer Parteispitze sind jetzt, nach dem letzten Bundesparteitag, mehr Frauen als Männer.
({2})
Ich garantiere Ihnen: Auch Sie werden noch eine sozialdemokratische Kanzlerkandidatin und auch eine sozialdemokratische Kanzlerin erleben.
({3})
Ich möchte auf gestern zurückkommen, als der Erste
Gleichstellungsbericht diskutiert wurde. Ich muss sagen:
Es liegen ganz konkrete Handlungsoptionen vor; aber
Sie tun nichts. Auch der Antrag, der gestern von den Koalitionsfraktionen eingebracht worden ist, ist an Unsäglichkeit und Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten.
Wir brauchen in diesem Jahr eine Regelung, weil im
nächsten Jahr zahlreiche Aufsichtsratsmandate neu besetzt werden.
({4})
Ich kann zwar nachvollziehen, dass Sie hier auf Zeit
spielen, weil Sie nicht bereit sind, etwas zu tun; aber es
ist nicht angemessen und vor allen Dingen nicht das, was
die Mehrheit in der Bevölkerung will.
Jetzt sieht man, dass die sogenannte Frauenministerin
strammsteht, nur weil die Boygroup der Fast-3-ProzentPartei FDP sagt: Wir wollen überhaupt keine Quoten. Das wundert mich nicht. In der gestrigen Ausgabe der
Zeit gab es einen Artikel mit der Überschrift „Wenn
schon Frauen, dann schöne“. Daraus möchte ich gerne
zitieren:
Neben den Altherren der FDP zeigen sich auch die
jungen liberalen Männer weitgehend unempfänglich für frauenpolitische Fragen.
({5})
Spötterinnen unter den FDP-Damen führen das darauf zurück, dass die eitle Jungsriege um Rösler,
Christian Lindner und Daniel Bahr so viel von Augencremes und Maniküre verstehen, dass sie das
Weibliche in der Politik abzudecken glaubten.
({6})
So weit zur FDP.
Mein Eindruck ist: Das ist in den Führungsetagen der
deutschen Wirtschaft nicht anders. Denn dort hieven sich
die Männerseilschaften gegenseitig in die Vorstände und
in die Aufsichtsräte. Wenn es nach der Qualifikation
ginge, dann müssten schon jetzt deutlich mehr Frauen in
den Führungspositionen der deutschen Wirtschaft angekommen sein.
({7})
Aber wir wissen, dass das nicht der Fall ist. In den
DAX-30-Unternehmen gibt es einen Anteil der Frauen
von 3,7 Prozent. Das sind sieben; dieses Jahr kommen
noch zwei hinzu. In 24 von 30 Vorständen ist keine einzige Frau zu finden. In den Vorständen der Top-100-Unternehmen - ohne die Finanzdienstleister - gab es 2011
sage und schreibe elf Frauen; in den nächsten 100 Unternehmen waren es ein paar mehr. Insgesamt sind
28 Frauen in den Top-200-Unternehmen. Von 942 Vorstandsposten sind es sagenhafte 3 Prozent. Man kann es
auch andersherum sagen: 97 Prozent der Vorstandsposten sind mit Männern besetzt. Wenn das keine Quote ist,
liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist es dann?
({8})
Es gibt unter den Top-100-Unternehmen keine einzige
Vorstandsvorsitzende, und unter den nächsten 100 ist es
gerade einmal eine einzige.
In den Aufsichtsräten sieht es nicht besser aus. Auch
da gibt es frauenfreie Zonen. Schließlich findet man in
mehr als einem Viertel der Top-200-Unternehmen keine
einzige Frau im Aufsichtsrat. Insofern kann man nur
noch sagen: Hier liefert sich der Fortschritt mit einer
Schnecke ein Wettrennen. Wenn man dann sieht, dass
der Löwenanteil der Aufsichtsrätinnen über die Mitbestimmung und nicht über die Hauptversammlung in die
Aufsichtsräte kommt - es sind über 70 Prozent -, dann
liegt der Handlungsbedarf doch auf der Hand. Wer das
negiert, ist noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen.
({9})
Was die FDP angeht - Sie wollen ja keine Quotenregelung, weil es Ihnen auf die Qualität ankommt -, so tun
mir die Frauen in der FDP echt leid.
({10})
Denn von hoher Qualität kann man beispielsweise bei
den Verursachern der Finanzkrise nun wirklich nicht reden; das waren ja ausschließlich Männer. Ich finde, es
wird auch den Frauen in der FDP nicht gerecht, dass die
Männer jetzt so tun - das gilt auch für einige Frauen -,
als ob bei der FDP nicht mehr als 25,8 Prozent der
Frauen - 24 Frauen sind in der FDP-Fraktion; das entspricht 25,8 Prozent - für ein Bundestagsmandat infrage
kämen. Wenn ich mir die 74,2 Prozent Männer in Ihrer
Fraktion anschaue, kann ich nur festhalten, dass das Kriterium Qualifizierung nicht unbedingt ausschlaggebend
gewesen sein kann.
({11})
Und was macht die Union? Sie stellt zwar die erste
Kanzlerin - das ist wohl wahr -, aber sie tut nichts für
Frauen. Auch die sogenannte Frauenministerin tut nichts
für Frauen. Man hat ja gestern gesehen, wie sie sich gequält hat, etwas Positives zum Thema Frauen zu sagen.
Ich meine, sie sollte das Wort „Frauen“ aus ihrem Ministeriumsnamen streichen. Das würde der Sache gerechter
als das, was sich im Moment abspielt.
({12})
Zu unserem Gesetzentwurf. Wenn ich mir anschaue,
welche Instrumente wir jetzt anbieten, dann kann ich Ihnen sagen, dass das überhaupt nichts mit Zwang zu tun
hat. Wenn die beiden Bänke, sowohl Anteilseignerseite
als auch Arbeitnehmerseite, die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben erfüllen, dann sind alle Stühle besetzt
und es tritt nicht mehr ein, als dass mehr Frauen in die
Gremien kommen. Was wäre daran so schlimm? Sie vermitteln den Eindruck, als breche eine Katastrophe aus,
nur weil plötzlich mehr weiblicher Sachverstand in die
Führungsetagen der deutschen Wirtschaft einzieht.
Wenn man sich Norwegen und andere Länder anschaut,
dann stellt man fest, dass die Unternehmen, in denen die
Vielfalt in den Führungspositionen angekommen ist,
auch wirtschaftlich erfolgreicher sind.
({13})
Ich räume ein: Das ist zwar ein Eingriff in Eigentumsrechte; das ist richtig. Aber es ist keine Enteignung. Vor
allen Dingen dient dieser Eingriff der Durchsetzung des
Gleichheitsgebotes in Art. 3 Grundgesetz, und dieses
Gebot steht nicht umsonst so weit vorne im Grundgesetz. Insofern kann ich nur sagen: Die Zeit ist reif für
eine gesetzliche Regelung. Wer etwas verändern will,
der muss sich jetzt für eine gesetzliche Vorschrift mit
klaren Zielvorgaben und wirksamen Regelungen entscheiden, und wer den Stillstand konservieren will, der
muss alles daransetzen, dass eine solche gesetzliche Regelung verhindert wird.
Ich hoffe sehr auf die Frauen, aber auch auf die wenigen Männer in den Koalitionsfraktionen, die im 21. Jahrhundert angekommen sind. Wir als Abgeordnete des
Bundestages haben es in der Hand, ob die vielen qualifizierten Frauen im nächsten Jahr in die Aufsichtsräte
kommen oder nicht.
({14})
Lassen Sie uns dieses Thema in den Ausschüssen vernünftig diskutieren. Ich hoffe, dass wir in zweiter und
dritter Lesung mit Mehrheit für dieses Gesetz stimmen
werden, damit der Fortschritt endlich auch in Deutschland einziehen kann.
Vielen Dank.
({15})
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Nicole Bracht-Bendt.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorweg
möchte ich feststellen: Ich bin gerne als Frau in der FDP,
({0})
und ich bin im 21. Jahrhundert angekommen. Ich danke
meinen männlichen Kollegen, dass sie hier sind. Ich
fühle mich wirklich wohl, und das ohne Quote.
Der Anteil von Frauen in Führungspositionen, insbesondere in Vorständen und Aufsichtsräten der großen
deutschen Unternehmen, ist immer noch deutlich zu
niedrig; da sind wir einer Meinung. Auch ich bin der
Meinung, dass sich das ändern muss, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD-Fraktion.
({1})
Tun Sie aber bitte nicht so, als wäre in den letzten Monaten nichts passiert.
({2})
Seit der Aufnahme der Empfehlungen zur Erhöhung
des Frauenanteils im Deutschen Corporate Governance
Kodex im Jahr 2010 - ich sage 2010, weil Sie immer sagen: vor zehn Jahren - zeigen sich erste deutliche Erfolge.
({3})
Die DAX-30-Unternehmen haben sich außerdem konkrete Ziele auch unterhalb der Ebene des Vorstands und
des Aufsichtsrats gesetzt. Das ist positiv; denn eine höhere Anzahl von Frauen in den mittleren und oberen
Führungsetagen ist eine entscheidende Voraussetzung
dafür, mehr Frauen in der höchsten Ebene zu etablieren.
Vor diesem Hintergrund lehnt die FDP-Fraktion gesetzliche Quoten derzeit ab.
({4})
Eine gesetzliche Frauenquote für den Aufsichtsrat und
erst recht für den Vorstand wäre ein massiver Eingriff in
die unternehmerische Freiheit; darauf wurde heute schon
mehrfach hingewiesen. Eine Quote würde nur an den
Symptomen und nicht an den Ursachen ansetzen. Wir
können auch nicht alle Unternehmen über einen Kamm
scheren.
Unsere Aufgabe wird es sein, aufmerksam zu beobachten, ob die freiwilligen Lösungen weiterhin Erfolg
haben.
({5})
Die FDP-Fraktion setzt auf Transparenz und auf Offenlegung aller Angaben zum Anteil von Frauen in den Gesellschaftsorganen
({6})
- hören Sie zu! - und in den ersten zwei Führungsebenen unter der Geschäftsführung in allen börsennotierten
Unternehmen. Eine solche neue Berichtspflicht würde
sich gut in den Stufenplan einfügen, den wir im Koalitionsvertrag beschlossen haben.
({7})
Bereits jetzt gibt es mit dem Women-on-Board-Index
von FidAR, Frauen in die Aufsichtsräte e. V., einen gut
funktionierenden Monitoringansatz. Der könnte damit
auf eine noch größere Basis gestellt werden. Interessant
an dem FidAR-Bericht, der im letzten Monat veröffentlicht wurde, ist übrigens, dass von den Aufsichtsratsposten, die im vergangenen Jahr neu besetzt wurden,
40 Prozent auf Frauen entfielen; auch das wurde schon
erwähnt. Aber auch ein von der Wirtschaft oder ihren
Verbänden selbst durchgeführtes Monitoring auf der
Grundlage der neuen Berichtspflicht würde deutlich machen, dass ein höherer Frauenanteil im oberen Management ein eigenes, unmittelbares Anliegen der Wirtschaft
ist.
Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, fragen
Sie doch einmal Personalberater.
({8})
Von wegen, die Unternehmen seien nur sensibilisiert
- hören Sie bitte zu -; Personalberater werden heute regelrecht angefleht, Kandidatinnen zu nennen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie gab schon letztes
Jahr unumwunden zu, dass eine stärkere Beteiligung von
Frauen in der Unternehmensführung aus demografischen
und wirtschaftlichen Gründen im ureigenen Interesse der
Unternehmen liege.
({9})
Die FDP-Fraktion bleibt dabei: Eine starre Quote für
Wirtschaftsunternehmen in Verbindung mit einer Änderung im Aktiengesetz wird es mit uns nicht geben.
({10})
- Ja gut, eine. - Ohnehin wird eine starre Quote unternehmerischen Realitäten nicht gerecht. Neben transparenten Selbstverpflichtungen sind die gesellschaftli19768
chen, politischen und betrieblichen Rahmenbedingungen
so zu ändern, dass Führungsaufgaben auch tatsächlich
von Frauen und Männern in gleicher Weise wahrgenommen werden können. Wir brauchen also größere Anstrengungen für einen stärkeren Wandel der Unternehmenskulturen. Flexiblere Arbeitszeiten, der Kontakt
zwischen Unternehmen und Mitarbeiterinnen auch während der Elternzeit, lockere Präsenzpflichten sind das
eine, die Vereinbarkeit von Familie und Karriere ist das
andere.
Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion - ich
muss Sie leider immer wieder ansprechen -, Sie kommen in Ihrem Gesetzentwurf zu dem Schluss, dass Freiwilligkeit nicht zu gerechter Teilhabe in Aufsichtsräten
und Vorständen führt.
({11})
Das sehen wir anders. Ich bin sicher, dass die Wirtschaft
auf das wertvolle Potenzial hervorragend ausgebildeter
Frauen in Zukunft nicht verzichten kann und auch gar
nicht will.
Ganz herzlichen Dank.
({12})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr. Matthias Heider.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Schluss dieser Debatte ist es an der Zeit, ein Resümee zu ziehen:
Nicht jeder wünschenswerte Zustand erstarkt in einer gesetzlichen Pflicht, und nicht jede Quote garantiert ein
gutes Ergebnis.
Das Feuerwerk, das Sie hier heute abbrennen, sehr
geehrte Kolleginnen von der SPD, leuchtet weit. Sie
weisen auf einen Zustand hin, der in der Tat verbesserungsfähig ist.
({0})
Einmal abgebrannt, zeigen sich nach dem schönen
Schein aber auch Effekte, die gesellschaftspolitisch und
wirtschaftspolitisch unbefriedigend wären. Ob auf dem
von Ihnen eingeschlagenen Weg wirklich Chancengleichheit für Männer und Frauen hergestellt werden
kann, ist zweifelhaft. Allein dass Ihnen eine Mindestquote von 40 Prozent reicht,
({1})
zeigt, dass es eigentlich gar nicht um Gleichberechtigung geht. Warum fordern Sie nicht 50 Prozent? Warum
schreiben Sie das nicht in Ihren Gesetzentwurf hinein?
({2})
Abgesehen davon zielt die Regelung, die Sie für börsennotierte und mitbestimmte Unternehmen fordern, an den
realen Anforderungen der Wirtschaftsunternehmen vorbei. Es geht um eine erfolgreiche und verantwortliche
Besetzung der Leitungs- und Aufsichtsgremien dieser
Unternehmen.
({3})
Sie wollen eine politische Frauenquote in den Führungsgremien. Das schmälert in jedem Fall den notwendigen unternehmerischen Spielraum. Es geht darum, aufgabenbezogen den personellen Anforderungen in den
Leitungsgremien gerecht zu werden.
({4})
Das stellt - das muss ich Ihnen leider sagen - einen weitreichenden Eingriff in die Eigentumsrechte der Anteilseigner dar.
({5})
Das ist ordnungspolitisch falsch, das ist verfassungsrechtlich bedenklich,
({6})
und das ist in jedem Fall nicht im Sinne der Unternehmen.
({7})
Grund dafür, dass es in Deutschland noch zu wenig
Frauen in Führungspositionen gibt - das möchte ich
ganz deutlich machen -, ist nicht die Tatsache einer fehlenden gesetzlichen Regelung. Gründe für die Probleme
sind eine fehlende Sensitivität der Anteilseigner und Aktionäre, eine nicht ausreichend vorausschauende Personalpolitik in den Unternehmen, fehlende flexible
Arbeitszeitmodelle und zu wenig Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Ich will nicht sagen, dass Letzteres bei den
Führungskräften das Hauptproblem ist. Ganz entscheidend für die Debatte ist aber, dass wir dort ansetzen, wo
die eigentlichen Probleme liegen, nämlich bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Diese Herausforderung betrifft alle Frauen
({8})
in deutschen Unternehmen und nicht nur die Kandidatinnen, die für Aufsichtsräte oder Vorstände in Betracht
kommen. Die Bundesregierung hat gehandelt. Ich nenne
die Einführung des Elterngeldes. Ich nenne die Initiative
„Familienbewusste Arbeitszeiten“.
({9})
Ich nenne die Förderung des Ausbaus der Betreuung von
Kindern unter drei Jahren.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es geschäftspolitisch sinnvoll ist, die Besetzung einer Position in Vorstand oder Aufsichtsrat nur aufgrund einer gesetzlichen
Zwangsquote vorzunehmen.
({10})
Das Selbstverständnis der Managerinnen in den Führungsgremien der deutschen Wirtschaft, die ich kenne,
ist ein anderes. Hier zählen
({11})
Kompetenz, Qualifikation und Leistung. Das sind im
Übrigen exakt die gleichen Prinzipien, die für Führungsaufgaben in Unternehmen grundsätzlich gelten.
({12})
Ich glaube, an dieser Stelle ist es angebracht, die vielen
selbstständigen und erfolgreichen Apothekerinnen,
({13})
Wirtschaftsprüferinnen, Architektinnen, Rechtsanwältinnen, Steuerberaterinnen, Ingenieurinnen und Frauen in
anderen freien Berufen zu nennen, die als eingetragene
Kaufleute, als Partnerinnen in Sozietäten oder Teilhaberinnen von Gesellschaften in hohem Maße zum Erfolg
ihres Unternehmens beitragen.
({14})
Das Gleiche gilt übrigens für den industriellen deutschen
Mittelstand. Die Lage dort - das wissen Sie - ist eine andere.
({15})
Aber um diese Dimension geht es Ihnen gar nicht in Ihrem Entwurf. Dieser zielt auf alle börsennotierten und
mitbestimmten Unternehmen,
({16})
bei denen die DAX-30-Werte sozusagen die Leuchttürme bilden. Wahr ist aber, meine Damen und Herren
von der SPD, dass Sie mit Ihrem Vorschlag auch über
700 paritätisch mitbestimmte Gesellschaften und über
1 000 drittelparitätisch mitbestimmte Gesellschaften
treffen. Damit zwingen Sie sie in ein gesellschaftspolitisches Konzept, das nicht den wirtschaftlichen Erfolg
dieser Unternehmen und ihrer Belegschaft zum Ziel hat,
({17})
sondern Ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen.
({18})
Die Zeit, auf technische Einzelheiten Ihres Entwurfs
einzugehen, bleibt hier leider nicht. Nur so viel: Was
passiert eigentlich mit Einzelvorständen und Einzelgeschäftsführern? Wenn Sie konsequent wären, dürften Sie
diese nicht allein handeln lassen. Wollen Sie wirklich einem Aufsichtsrat die Beschlussfähigkeit aberkennen,
wenn er infolge von Änderungen seiner Zusammensetzung nach zwölf Monaten die 40-Prozent-Quote verfehlt? Schon diese Beispiele zeigen, dass der Gesetzentwurf mit dem Anspruch an eine auf Kontinuität
({19})
und Risikovermeidung orientierte Unternehmensführung
in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten nicht viel zu tun
hat.
({20})
Wenn alles so einfach wäre, dann müssten wir zusammen den politischen Willen aufbringen, in den Unternehmen des Bundes, der Länder und der Kommunen eine
andere Besetzung der Aufsichtsräte und Vorstände hinzubekommen. Bei den öffentlichen Unternehmen des
Bundes liegt der Anteil von Frauen in Vorständen mit
5,5 Prozent im Jahr 2011 sogar noch unter dem Anteil,
den es 2010 gab.
({21})
In den Aufsichts- und Verwaltungsräten lag die Quote
bei 15,1 Prozent. Wenn Sie alle überlegen, wie die Geschäftsführungen und Aufsichtsräte bei kommunalen
Gesellschaften in Ihren Wahlkreisen besetzt sind,
({22})
dann wird Ihnen ohne Weiteres klar, wie sehr Personalentscheidungen vom Gestaltungswillen im Einzelfall abhängen. Wenn wir nicht einmal bei öffentlichen Unternehmen - nehmen wir ruhig den Bund als Beispiel ({23})
in der Lage sind, Frauen in der Unternehmensleitung angemessen zu beteiligen,
({24})
dann wird man von der Wirtschaft wohl nicht die Erfüllung einer gesetzlichen Zwangsquote verlangen können.
({25})
Ich sage noch einmal ausdrücklich: Es ist völlig unbestritten, dass Unternehmen ein großes Interesse daran
haben müssen, den Frauenanteil in ihren Topgremien zu
steigern; ich stimme Ihnen da völlig zu. Eine Analyse
des Mixed Leadership von Ernst & Young zeigt, dass ge19770
mischte Führungsteams durchaus einen guten Einfluss
auf die Unternehmensperformance haben.
({26})
Ich bin als letzter Redner in dieser Debatte zuversichtlich, dass wir bei den kommenden Aufsichtsratswahlen im Frühjahr 2013 positive Entwicklungen hin zu
einer höheren Frauenrepräsentanz in Führungspositionen
sehen werden. Bei all der Diskussion über die Einführung einer Frauenquote dürfen wir nicht außer Acht
lassen: Es geht weniger um Quotenfrauen, es geht bei
Männern und Frauen immer um Kompetenz, um Qualifikation und um Leistung. Deshalb sollten wir der freiwilligen Selbstverpflichtung zunächst weiter Gelegenheit
geben, sich in der Praxis zu bewähren.
({27})
Nicht die Brechstange ist gefragt, sondern kluge Unternehmensführung.
({28})
Sie dürfen sicher sein, dass wir von der CDU die Wirtschaft dabei unterstützen werden.
Herzlichen Dank.
({29})
Ich schließe damit die Aussprache.
Der Gesetzentwurf auf Drucksache 17/8878 soll an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 28 auf:
Vereinbarte Debatte
Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für das Jahr 2012
Eine Dreiviertelstunde soll debattiert werden. - Dazu
sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so
beschlossen.
Das Wort für die Bundesregierung erhält der Staatsminister Michael Link.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es hat
gute Tradition, dass Bundestag und Bundesregierung gemeinsam über das Arbeitsprogramm der Kommission
diskutieren. Aber lassen Sie mich aus aktuellem Anlass
eines vorab sagen: Ich glaube, die Tatsache, dass die
griechische Umschuldung in den letzten Tagen zu einem
sehr befriedigenden Anteil gelungen ist, ist etwas, was
uns alle mit großer Erleichterung erfüllen sollte. Es
zeigt, dass sich die Europäische Union, insbesondere die
Euro-Zone, auch und gerade gemeinsam mit dem Mitglied Griechenland als handlungsfähig erwiesen hat. Das
ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Bundesregierung ist
damit außerordentlich zufrieden.
({0})
Europa muss gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.
Deshalb müssen wir an ihren Ursachen ansetzen. Ansetzen müssen wir insbesondere an der exzessiven und undisziplinierten Staatsverschuldung, der mangelnden
Wettbewerbsfähigkeit einiger Euro-Staaten und der Bereinigung der grundlegenden Konstruktionsfehler der
Wirtschafts- und Währungsunion.
Die Lösung dieser Grundprobleme kann nur im Aufbau einer nachhaltigen Stabilitätsunion bestehen, die von
den Grundsätzen einer soliden Haushaltsführung, der europäischen Solidarität und eines engagierten Wachstumskurses getragen wird. Deshalb stellt der Fiskalpakt,
den wir in den vergangenen Wochen verhandelt und
beim Europäischen Rat unterzeichnet haben, einen ganz
wichtigen Meilenstein dar.
Über Jahre hinweg hat Deutschland, haben deutsche
Vertreter im Europäischen Rat immer wieder dafür geworben, dass wir eine europäische Schuldenbremse bekommen. Dass wir es mithilfe des Fiskalpakts jetzt
geschafft haben, sie entweder in Verfassungen zu verankern oder sie in nationale Gesetzgebungen zu tragen, ist
ein großer Erfolg, den wir bei allen parteipolitischen Unterschieden, die es in diesem Hause gibt und die in einer
Demokratie natürlich immer zum Tragen kommen werden, nicht kleinreden sollten. Die Schuldenbremse ist ein
großer Erfolg.
({1})
Der Fiskalpakt, den wir vereinbart und den die Kanzlerin, der Außenminister und der Bundesfinanzminister
gemeinsam verhandelt haben, steht für einen fundamentalen Paradigmenwechsel in Europa. Er steht für die
Kultur der Stabilität. Der Leitsatz lautet: Keine immer
neuen Schulden, um der alten Schulden Herr zu werden.
Dass es uns noch dazu gelungen ist, den Pakt in Rekordzeit zu verhandeln, obwohl wir lieber Vertragsänderungen gehabt hätten - das füge ich deutlich hinzu -, ist ein
weiterer Beweis für die europäische Entschlossenheit in
diesem zentralen Punkt.
Wir müssen die Probleme der Staatsverschuldung immer zusammen mit dem Wachstumskurs denken und angehen. Deshalb stellen wir auch in diesem Zusammenhang die Verbindung mit dem Arbeitsprogramm der
Kommission her. Denn das Arbeitsprogramm der Kommission muss an genau dieser zentralen Frage ansetzen:
Wie kann die Wachstumsfähigkeit gesteigert werden?
Was diesen Aspekt betrifft, hat die Bundesregierung
Ihnen immer wieder klar gesagt - ich möchte das heute
noch einmal ganz deutlich festhalten -: Wir sehen die
Rolle der Kommission als Hüterin der Verträge und als
Initiativgeberin. Wir stehen insbesondere zur Stärkung
der Gemeinschaftsmethode, überall dort, wo die VerStaatsminister Michael Link
träge sie vorsehen, und überall dort, wo in Zukunft Vertragsänderungen vorgenommen werden. Die Stärkung
der Gemeinschaftsmethode ist eine Stärkung der Europäischen Union und damit auch eine Stärkung ihrer Mitglieder.
({2})
Das Arbeitsprogramm der Kommission ist aus der
Sicht der Bundesregierung ein wichtiges Dokument. Wir
haben Ihnen unsere Kommentare dazu vorgelegt. Die
Stellungnahme der Bundesregierung ist Ihnen im Januar
und Februar dieses Jahres in zwei Teilen zugegangen.
Wir haben in dieser schriftlichen Stellungnahme auch
eine Reihe von Kritikpunkten und begrüßenswerten
Punkten genannt, die ich hier nicht weiter ausführen
will. Ich möchte mich jetzt auf einige Kernpunkte beschränken.
Unter dem Leitmotiv Wachstum soll die Vertiefung
des europäischen Binnenmarktes - das ist für uns ein
Kernpunkt - zu einer tatsächlichen europäischen wirtschaftlichen Schlüsselaufgabe werden. Dieses Projekt
der Kommission begrüßen wir ausdrücklich. Der Binnenmarkt bietet nämlich das größte Potenzial zur Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in allen 27 Mitgliedstaaten.
Wenn ich von Beschäftigung spreche, dann gilt das
vor allem mit Blick auf die jungen Bürgerinnen und Bürger. Denn in zahlreichen Mitgliedstaaten der Union,
nicht in Deutschland, gibt es Jugendarbeitslosigkeitsraten von über 25 Prozent. Diese jungen Leute fragen
sich mit Recht: Was ist denn eigentlich der Mehrwert
dieser Europäischen Union? Deshalb muss es im Kern
immer wieder um die Frage gehen: Wie können wir die
Beschäftigung steigern? Insofern begrüßen wir den Ansatz der Kommission, die jetzt vorgeschlagen hat, insbesondere die steuerliche Belastung von Arbeit zu reduzieren. Das ist ein Punkt, über den wir, glaube ich, auch
über die Parteigrenzen hinweg gemeinsam nachdenken
sollten.
({3})
Wir müssen stärker in den Bereichen investieren, in
denen am besten nachhaltiges Wachstum gefördert werden kann.
({4})
Deshalb muss die Strukturpolitik der EU - ich sage
das bewusst mit Blick auf Debatten hier bei uns im
Lande, wissend, dass es oft unterschiedliche Interessen
gibt, auch mit Blick auf die föderale Konstruktion
Deutschlands - kritisch überprüft werden. Entscheidend
ist eine gezielte Ausrichtung der Struktur- und Kohäsionspolitik auf die Bereiche Bildung, Forschung, Wettbewerb, Innovation sowie auf die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Auch das Bestreben der Kommission, die Neuordnung der Finanzmärkte weiter voranzutreiben, verdient
unsere volle Unterstützung. Die bereits angestoßenen Finanzmarktreformen sowie die für 2012 geplanten Maßnahmen stellen die Antworten der EU auf die Finanzkrise dar und werden auch im globalen Kontext in
Umsetzung der bestehenden G-20-Verpflichtungen dazu
beitragen, die Akteure und Produkte auf den Finanzmärkten angemessen zu regulieren und streng zu beaufsichtigen, um so ein stabiles und widerstandsfähiges Finanzsystem zu schaffen.
Die Bundesregierung wird weiterhin alle Maßnahmen
der Kommission zur Finanzmarktreform unterstützen,
sei es bei der stärkeren Regulierung von Ratingagenturen oder des außerbörslichen Derivatemarktes.
Wir unterstützen grundsätzlich auch die Einführung
einer EU-weiten Finanztransaktionsteuer. Die Vorschläge der Kommission ebenso wie das derzeit in der
Diskussion stehende französische Modell werden wir innerhalb der Bundesregierung prüfen. Klar ist aber auch,
dass wir eine Finanztransaktionsteuer als eine mögliche
Eigenmittelquelle für den EU-Haushalt ablehnen.
({5})
Der mittelfristige Finanzrahmen wird uns noch intensiv beschäftigen, aber nicht in der heutigen Debatte zum
Arbeitsprogramm. Die Bundesregierung hat die Stellungnahme des Bundestags zum mehrjährigen Finanzrahmen zur Grundlage für die Erarbeitung ihrer eigenen
Position genommen. Zum Ende der dänischen Präsidentschaft werden wir die Verhandlungsbox formulieren
müssen, die dann im zweiten Halbjahr konkret wird und
möglichst bereits im zweiten Halbjahr beim mehrjährigen Finanzrahmen zum Ende kommen soll.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir
einige Punkte des Arbeitsprogramms der Kommission
kritisch sehen. Wenn wir die Verhältnismäßigkeit eines
angekündigten Vorhabens der Kommission infrage stellen oder Bedenken bei Zuständigkeitsfragen haben, benennen wir das ausdrücklich in unserer Stellungnahme.
Es gehört dazu, dass wir auch das deutlich machen. Als
Beispiel möchte ich die angekündigte Reform des Mehrwertsteuersystems oder auch die im Bereich der Altersvorsorge vorgelegten Vorschläge der Kommission zu
den ergänzenden Rentenansprüchen von Arbeitsplatzwechslern innerhalb der Europäischen Union nennen.
Lassen Sie mich deshalb ganz grundsätzlich sagen:
Die Kommission ist vor allem dann stark, wenn sie sich
auf die Themen und Kernaufgaben konzentriert, bei denen tatsächlich ein Mehrwert für die Bürgerinnen und
Bürger Europas entstehen kann. Nicht mehr Regulierung, sondern effiziente Regulierung ist wichtig. Das Initiativrecht der Kommission ist ein hohes Gut. Es sollte
nicht für möglichst viele Initiativen genutzt werden, sondern für möglichst substantielle Initiativen. Diese Verantwortung muss die Kommission aus unserer Sicht
ernst nehmen; denn sie hat als Inhaberin des Initiativrechts die große Verantwortung, dieses Instrument nicht
inflationär, sondern sehr zielgerichtet zu nutzen.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen, Frau Präsidentin. Wir möchten insbesondere, dass neben dem erwähnten Thema der Solidität in der Haushaltsführung
auch im Außenhandel der EU dieses Instrument ernst genommen wird. Mit Blick auf die europäische Nachbarschaftspolitik erwarten wir von der Kommission deutlichere und klarere Initiativen im Rahmen des vorgelegten
Plans „More for more“, „Mehr für mehr“, wie ihn die
Kommission nennt. Wir warten dringend auf eine Konkretisierung dieses Bereichs mit mehr Konditionalität;
denn auch im Außenhandel der Europäischen Union
müssen wir effizienter und stärker auftreten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Der Kollege Axel Schäfer hat das Wort für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich nehme das auf, was der Kollege Staatsminister gesagt hat zum Thema „Mehr Gemeinschaft in Europa“.
Die Bundesregierung kann das direkt beweisen, indem
sie bei der Beratung des ESM sagt: Jawohl, das ist eine
europäische Gemeinschaftsaufgabe. Das ist eine europäische Angelegenheit nach Art. 23 Grundgesetz und
nicht nach Art. 59 Grundgesetz.
Deshalb korrigieren Sie Ihre Position, lieber Kollege
Link. Sie haben mit der Übernahme Ihrer neuen Aufgabe, zu der ich Ihnen alles Gute wünsche, direkt den
Auftrag, der wahrscheinlich von der großen Mehrheit im
Parlament mitgetragen wird, dieses durchzusetzen.
Glück auf dafür! Sie haben uns an Ihrer Seite.
({0})
Bei den Vorschlägen der Kommission in ihrem Arbeitsprogramm ist eines, glaube ich, ganz wichtig: Die
Kommission, die um ihre Rolle als zentraler Akteur innerhalb der Europäischen Union kämpfen muss, lässt
sich nicht zu einem Sekretariat des Rates herabstufen,
sozusagen downgraden.
Die Kommission hat sehr viele Vorschläge zu Finanzmarktregelungen, zur Finanzmarkttransaktionsteuer und
zur Bankenaufsicht gemacht. Das ist eine sehr lange
Liste. Allen gemein ist - es geht nicht um Details, über
die wir sicherlich streiten können -, dass es sich hierbei
um europäische Regeln handelt, die per Gesetz verabschiedet werden müssen. Das heißt, dies muss auf gleicher Augenhöhe zwischen dem Europäischen Rat und
dem Europäischen Parlament geschehen. Für diese Verabschiedung ist eine intensive, frühe Beteiligung der nationalen Parlamente notwendig, also gerade das, was wir
im Deutschen Bundestag gemeinsam tun wollen.
Bei jedem Arbeitsprogramm der Kommission haben
wir in Europa diesen Kampf auszufechten: Wird sich auf
Dauer die sogenannte Unionsmethode von Frau Merkel
durchsetzen, die, neben den schönen Worten von Gemeinschaft, in der Praxis immer mehr intergouvernemental sein wird, oder werden wir dieses gemeinsame
Europa tatsächlich auch parlamentarisch, das heißt richtig demokratisch, stärken oder nicht? Das wird die entscheidende Frage sein.
({1})
Deshalb war es ganz wichtig, dass das Europäische
Parlament bei der kritischen Bewertung des Fiskalpaktes
das geschafft hat, was wir im Bundestag bisher nur erreicht haben, als es um die Beteiligungsrechte ging. Es
hat nämlich einen europäischen Konsens erreicht. Ich
habe die Bitte und die Erwartung an die Regierungskoalition, dass sie bei allen anstehenden Gesetzen auf einen
Konsens in Bezug auf die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages im ganzen Hause setzt, wie wir das,
Michael Stübgen, mit allen fünf Fraktionen in der letzten
Legislaturperiode geschafft haben. Das ist Ihre Bringschuld. Wir warten darauf.
Ich glaube, wir alle sind hier offen. Die Grünen sehen
das ebenfalls so, und ich glaube, das gilt auch für die
Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion. An diese
Bringschuld werden wir Sie in den nächsten Tagen und
Wochen erinnern; denn es kommt hier wirklich darauf
an, ob der Bundestag gemeinschaftlich in der Lage ist,
seine Rechte durchzusetzen, oder ob Parteitaktik und anderes die entscheidende Rolle spielen.
In Bezug auf die Arbeit der Kommission kann ich als
Sozialdemokrat feststellen: Vieles von dem, was jetzt
vorgeschlagen wird, teilen wir ausdrücklich. Das ist deshalb überraschend, weil die meisten Kommissarinnen
und Kommissare in Europa eher der Parteifamilie der
Christdemokraten oder der Liberalen angehören. Wir als
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten - auch die
Grünen - sind hier leider noch in der Minderheitenposition.
Eine Reihe von Dingen, die von der Europäischen
Kommission vorgeschlagen werden, werden im Deutschen Bundestag und auch von der Regierungskoalition
aber nicht so gesehen. Kollege Link, in den Bereichen,
in denen es die Möglichkeit gibt, etwas europäisch zu regeln - das gilt gerade für den Bereich der Steuern, zum
Beispiel bei der Mehrwertsteuer -, würde ich mir im Gegensatz zu Ihnen mehr Mut von der Kommission wünschen. Wenn wir die Chance haben, das, was bereits
heute in den Verträgen steht, in Europa gemeinschaftlich
zu regeln, dann müssen wir das auch anpacken. Das ist
der entscheidende Punkt. Dafür braucht man als Kommission Mut,
({2})
und man muss schauen, wie die Mehrheitsverhältnisse
sind, aber der erste Schritt ist der wichtigste. Man muss
damit anfangen.
Daneben wird von uns sicherlich zu Recht kritisch gesehen: Es gibt kein Stabilitätseuropa in finanzieller Hinsicht auf der einen Seite, wenn es auf der anderen Seite
kein Stabilitätseuropa in sozialer Hinsicht gibt. Es gibt
keine erfolgreiche einseitige Fixierung auf die Schuldenreduzierung, wenn es auf der anderen Seite nicht eine
genauso starke Verpflichtung in Richtung Impulse für
Wachstum, Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und soAxel Schäfer ({3})
ziale Nachhaltigkeit gibt. Beides gehört zusammen. Nur
auf diesem Wege werden wir gemeinsam erfolgreich
sein.
({4})
Deshalb werden wir sehr genau darauf achten - Sie
haben ja auch von der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gesprochen -, wie das entsprechende Programm
aussieht und was das in der Praxis bedeutet. Sie wissen:
Das ist vor allen Dingen für Länder in Süd- und Südosteuropa entscheidend, deren Situation aufgrund einer Jugendarbeitslosigkeit von 30 bis 50 Prozent dramatisch
ist. Es wird darauf ankommen, dass die Bundesregierung
nicht nur am Sonntag erklärt, dass sie die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft, sondern dass sie auch von Montag
bis Freitag in den konkreten Beratungen sagt: Jawohl,
wir werden auch in Europa den notwendigen Weg gehen
und Mittel dafür einsetzen, damit schnell etwas passiert.
Wir dürfen, wollen und können uns in Europa keine verlorene Generation von Jugendlichen leisten.
({5})
Es geht auch ein bisschen um die Selbstverpflichtung
in diesem Hause. Ich glaube, es ist wichtig, dass es bei
allen Delegationsreisen nach Brüssel und unseren Gesprächen dort immer eine Selbstverpflichtung sein muss,
dass wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen im
Europäischen Parlament gut und eng zusammenarbeiten.
Ich glaube, das hat sich in den letzten Jahren in allen
Fraktionen verbessert.
Es wird aber auch darauf ankommen, dass wir auch
als Parlamentarier hier sagen: Für die Handlungsfähigkeit in Europa brauchen wir eine handlungsfähige Kommission. Das hat simple und praktische Konsequenzen.
Ich finde, wir sollten im Zusammenhang mit dem nächsten Arbeitsprogramm der Kommission auch darüber
diskutieren, wie wir die Kommissare im Deutschen Bundestag etwas besser einbeziehen, etwa durch eine Einladung zum Meinungsaustausch und all das, was dazugehört.
Ich möchte aber noch einen Schritt weitergehen. Ich
möchte anregen - der Vorsitzende des Europaausschusses, Gunther Krichbaum, ist auch anwesend -, das Experiment, das wir im Jahr 2009 auf Initiative von SPD und
FDP gemacht haben, nämlich den designierten Kommissar in den Deutschen Bundestag einzuladen, zur Selbstverpflichtung der nationalen Parlamente zu machen.
Günther Oettinger ist Christdemokrat - man muss auch
die Kolleginnen und Kollegen der anderen Couleur loben können, wo dies richtig ist - und hat das damals gemacht. Er war übrigens der Einzige in Europa.
({6})
- Ich bekomme einmal Beifall von der Union. Vielen
Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir müssen das in Europa auch im Rahmen unserer
Möglichkeiten - Stichwort COSAC - mit voranbringen;
neueuropäisch heißt das Good Practice. Wir müssen es
schaffen, dass es selbstverständlich wird, dass die Kommissarinnen und Kommissare, die demnächst wieder zur
Wahl anstehen, sich vorher auch in den nationalen Parlamenten vorstellen.
({7})
Es geht nicht darum, dass wir sie auswählen, sondern um
eine andere Form von Rückbindung.
Wir bekommen nur dann eine starke Kommission,
wenn sie auch stark in den Nationalstaaten verwurzelt
ist, und zwar im politischen Sinne für die europäische
Gemeinschaft statt als spezielle Interessenvertretung des
Landes. Dafür ist bekanntlich die Mannschaft und Frauschaft im Ministerrat zuständig.
Wir müssen beim nächsten Mal die Selbstverpflichtung schaffen, dass wir eine große Zahl von Frauen in
die Kommission bekommen wollen. Das wird die
schwierigste Selbstverpflichtung. Ich weiß, wie es in
meiner eigenen Parteifamilie ist. Ich weiß aber auch, wie
weit wir schon positiv vorangekommen sind.
Es reicht nicht aus, dass wir 1982 unter Odile Quintin
mit dem Gleichstellungsprogramm die Frauenbüros in
der EU-Kommission erfunden haben, sondern wir müssen das auch für die künftigen Kommissionen auf allen
Ebenen durchsetzen. Und wir müssen die Europäische
Kommission tatsächlich aufgrund des Ergebnisses der
nächsten Europawahl im EP wählen. Wir werden von
der Kommission nicht verlangen können, dass sie parlamentarisch agiert, wenn wir nicht die volle Parlamentarisierung in Europa durchsetzen.
Das heißt - das ist als Selbstverpflichtung an alle in
diesem Hause gerichtet -, wir Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten leisten unseren Beitrag dazu, dass die
Europawahl tatsächlich eine europäische Wahl wird. Ich
hoffe sehr - die Grünen haben 2004 mit Daniel CohnBendit begonnen; wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden mit einem Mann oder einer Frau folgen -,
({8})
dass wir einen Spitzenmann oder eine Spitzenfrau aufstellen
({9})
- okay, damit bin ich einverstanden, aber bitte eine Sozialdemokratin -, damit wir es schaffen, dass derjenige
oder diejenige als Spitzenkandidat hinterher im Europäischen Parlament als Kommissionspräsident oder Kommissionspräsidentin zur Wahl steht.
Wir sollten als Parlamentarier Interesse daran haben.
Wir sollten, egal ob wir Regierung oder Opposition sind,
kein Interesse daran haben, dass bei der nächsten Europawahl die Kommission schon vorher dadurch geschwächt wird, dass Staats- und Regierungschefs im Mai
sagen, wer Kommissionspräsident wird, egal wie die
Europawahl ausgeht. Nein, die Europawahl muss die Voraussetzung für die Zusammensetzung der Kommission
schaffen, zumindest was den Kommissionspräsidenten
oder die -präsidentin anbelangt. Nur so werden wir uns
Axel Schäfer ({10})
parlamentarisch behaupten können. Nur so wird sich die
Europäische Kommission auch gegenüber dem Rat
durchsetzen können.
({11})
Dabei bitte ich ganz herzlich auch im Namen meiner
Fraktion und, wie ich sehe, auch mit Unterstützung der
Kolleginnen und Kollegen der Grünen um Umsetzung.
Das wird die Aufgabe sein.
Ein Letztes: Wir brauchen auch noch eine Selbstverpflichtung. Jedes Jahr diskutieren wir das Arbeitsprogramm der Kommission. Wir sollten uns gemeinsam in
den Fraktionen bemühen, dass wir das an noch etwas
prominenterer Stelle und dann auch mit mehr Beteiligung in diesem Hause hinbekommen. Das gilt für alle.
({12})
In diesem Sinne: Lassen Sie uns weiterhin an diesem
gemeinsamen Europa arbeiten. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben eine Reihe von guten
Vorschlägen gemacht. Es kommt jetzt darauf an, sie umzusetzen.
Vielen Dank.
({13})
Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Detlef Seif
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für uns
ist nicht überraschend, dass das Arbeitsprogramm 2012
der EU-Kommission dieses Jahr unter dem Vorzeichen
der Finanzmarktkrise und der europäischen Staatsschuldenkrise steht. Die EU-Kommission widmet sich deshalb folgerichtig in ihrem ersten Teil des Programms einem Europa der Stabilität und Verantwortung.
Letztes Jahr wurde viel auf den Weg gebracht
- Staatsminister Link hat das im Einzelnen ausgeführt -:
sei es das Europäische Semester, sei es der Sixpack, sei
es der in diesem Jahr noch zu ratifizierende Fiskalpakt,
der insbesondere die Schuldenbremse enthält. Das wird
eine gute Ausgangslage sein, um zukünftig die Staatsfinanzen in Europa auf eine solide Basis zu stellen.
({0})
Ich halte es auch für richtig, dass die Kommission einen Schwerpunkt auf eine weitere Regulierung des
Finanzmarkts legt. Persönlich sehe ich die Einführung
einer Finanztransaktionsteuer aber eher kritisch.
({1})
Die Finanztransaktionsteuer hätte weder die Immobilienblase in den USA noch die dadurch verursachte
Finanzmarktkrise verhindert.
({2})
Sie ist sicherlich ein wichtiges Instrument zur Verhinderung des Turbohandels, des Hochfrequenzhandels.
Aber wir müssen hier mit äußerstem Fingerspitzengefühl
vorgehen.
({3})
Die kritischsten Ausführungen, die davon ausgehen,
dass dem Finanzplatz Europa sogar bis zu 200 Milliarden Euro Wirtschaftskraft entgehen könnten, teile ich
nicht. Dennoch kann sie zur Wettbewerbsverzerrung
führen und auch den Finanzplatz Europa gefährden. Wir
müssen ein besonderes Augenmerk darauf legen, dass
gerade auch die Interessen des Finanzplatzes Deutschland gewahrt bleiben.
Im zweiten Teil des Programms geht es folgerichtig
um eine Union des Wachstums und der Solidarität. Die
vernünftige Regulierung des Finanzmarkts sowie die
Vorschriften, die die Begrenzung der Staatsverschuldung
vorsehen, sind wichtig und unumgänglich. Damit lässt
sich aber noch kein Wachstum generieren. Deshalb widmet sich das Arbeitsprogramm der EU-Kommission folgerichtig auch vielen Einzelmaßnahmen zur Belebung
des Binnenmarktes.
Eine besondere Herausforderung ist auch für die EUKommission, die da im Wesentlichen mitgewirkt hat, bei
den Ländern, die in Schieflage geraten sind, Wachstumsimpulse zu setzen.
Die vielfach vertretene These „Wir brauchen einen
Marshallplan; dann wird sich alles lösen“ kann ich aber
nicht teilen. Die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg
war eine völlig andere. Europa lag brach. Die Produktionsstätten waren zerstört. Vor der Haustüre gab es keinen oder kaum Wettbewerb. Der Marshallplan war ein
Selbstläufer. Wir können mit dem Pumpen von viel Geld
in Krisenregionen die Probleme hingegen nicht lösen.
Gerade den südeuropäischen Ländern hat nach der Aufnahme in die Euro-Zone billiges Geld in großem Maße
zur Verfügung gestanden. Heute wissen wir: Man hat
dieses Geld nicht für Produktion genutzt, sondern überwiegend in Konsum gesteckt. Auch das war eine Mitursache für unsere Staatsschuldenkrise. Das müssen wir
zur Kenntnis nehmen. Deshalb werden uns große Worte
von einem Marshallplan nicht weiterhelfen.
Die Griechen haben in den letzten Monaten viel erreicht und große Opfer gebracht. Das wissen wir alle. Ich
wünsche mir, dass es den vernünftigen Kräften in Griechenland gelingt, sich durchzusetzen, und zwar dauerhaft. Vor allen Dingen wünsche ich mir, dass man die
Hilfe, die wir Europäer den Griechen anbieten, tatsächlich annimmt.
Die Europäische Union kann Griechenland beim
Wirtschaftsaufbau vielfach unterstützen, so zum Beispiel
durch die im vergangenen Jahr eingerichtete Taskforce,
die meines Erachtens aber personell aufgestockt werden
muss, um den zügigen Einsatz der bislang noch nicht abgerufenen Kohäsionsmittel von rund 15 Milliarden Euro
zu ermöglichen.
In ihrem Arbeitsprogramm betont die EU-Kommission, dass sie die Rolle Europas auf der Weltbühne stärken will. Das ist richtig. Aber hier wird verschwiegen,
dass das Kompetenzgerangel innerhalb der EU-Kommission und die Missachtung der Kompetenzen der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik hausgemachte Probleme sind. Hier erwarte ich eine deutliche
Nachjustierung durch die Kommission. Auch die Kompetenzen der Hohen Vertreterin müssen zur Geltung
kommen.
({4})
Die jüngsten Krisen haben zweifelsohne die Länder
der Europäischen Union enger zusammengeschweißt.
Die Europäische Union entwickelt sich zunehmend zu
einer Schicksalsgemeinschaft. Gerade auch deshalb bin
ich der Meinung, dass die Erweiterungspolitik der Europäischen Union zu überdenken ist. Wohin soll Europa
steuern? Verstehen wir uns in erster Linie als eine große
Wirtschaftsmacht oder als eine Wertegemeinschaft? Ist
die EU auf dem richtigen Weg, wenn sie bei der Aufnahme neuer Mitglieder bei einzelnen Kapiteln nicht nur
ein Auge, sondern sogar beide Augen zudrückt?
({5})
- Ich vermeide es bewusst, in meiner Rede konkrete
Länder zu nennen. Sie als erfahrener Europapolitiker der
Grünen wissen sicherlich, warum ich das an dieser Stelle
mache.
Meine Damen und Herren, ich erwarte hier Anregungen der Kommission. Ich sehe unser gemeinsames Projekt Europa in Gefahr, wenn die zukünftige Erweiterungspolitik nicht mit Vernunft und Augenmaß betrieben
wird. Lassen Sie uns gemeinsam mit der Bundesregierung und der EU-Kommission daran arbeiten.
Vielen Dank.
({6})
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Andrej
Hunko das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute über das Arbeitsprogramm der EU-Kommission. Es ist symptomatisch, dass wir die Diskussion
über dieses Arbeitsprogramm mehrfach verschoben
haben, obwohl in der Zwischenzeit weitreichende Entscheidungen auf europäischer Ebene und hier im Bundestag gefällt wurden, die - wie der Kollege Link richtigerweise gesagt hat - einen Paradigmenwechsel in der
Europäischen Union bedeuten.
Ich meine unter anderem das Griechenland-Paket, das
wir am vorletzten Montag in einer Sondersitzung des
Bundestages verabschiedet haben. Es ist nichts anderes
als ein Programm des Sozialabbaus und führt zu sozialer
Verelendung in Griechenland. So wird der Mindestlohn
um 22 Prozent - bei jungen Menschen sind es sogar
32 Prozent - gesenkt. Ich weiß nicht, wer die 750 Seiten,
auf denen dieses Paket dargelegt wird, tatsächlich gelesen hat. Wer es aber getan hat, weiß, dass unter anderem
die Gesundheitsausgaben in Griechenland auf 6 Prozent
des ohnehin schrumpfenden Bruttoinlandsproduktes
- bei uns dagegen sind es 11 Prozent - gedeckelt werden.
Die EU-Kommission ist in Form der Troika - zusammen mit IWF und EZB - an dem Paket für Griechenland
genauso beteiligt wie an den Paketen für Portugal und Irland. Aber dazu finden wir nichts im Arbeitsprogramm
der EU-Kommission, ebenso wenig wie zum sogenannten Fiskalpakt, der am vergangenen Donnerstag bzw.
Freitag in Brüssel beschlossen wurde. Auch daran ist die
EU-Kommission beteiligt. Es handelt sich zwar um einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen 25 Ländern, der
aber die EU-Kommission einbindet. Aber auch dazu finden wir nichts im Arbeitsprogramm der EU-Kommission, genauso wenig wie zur Einrichtung des ESM, der
die andere Seite der gleichen Medaille ist. Man kann sagen: Der Fiskalpakt ist die Peitsche, während der ESM
das vermeintliche Zuckerbrot ist. Fiskalpakt und ESM
gehören zusammen. An beidem ist die EU-Kommission
beteiligt. Auch dazu finden wir nichts.
Ich will trotzdem ein paar Worte zu diesem Arbeitsprogramm selbst sagen. Insgesamt ist es von der EU2020-Strategie geprägt, einer Fortsetzung der gescheiterten neoliberalen Lissabon-Strategie aus dem Jahre 2000.
Entsprechend kritisch sehen wir dieses Arbeitsprogramm.
({0})
Es gibt ein paar wenige positive Elemente, zum Beispiel
den Vorschlag zur Ausgestaltung der Finanztransaktionsteuer.
Es gibt darin aber auch Sätze wie den folgenden - ich
zitiere -:
Eine umfassende Reform der Regulierung und Beaufsichtigung der Finanzmärkte hat das Finanzsystem der EU auf eine solide Grundlage gestellt.
Man fragt sich: Wo leben die Autoren denn?
({1})
Haben sie etwa nicht den letzten Halbjahresbericht der
EZB gelesen, in dem es beispielsweise heißt, dass das
Finanzsystem der Euro-Zone so stark gefährdet ist wie
seit 2008 nicht mehr?
Ist denn in Europa die Finanztransaktionsteuer eingeführt? Sind Hedgefonds verboten worden? Sind die Giftpapiere verboten worden? Ist das Kasino geschlossen
worden? All das hat nicht stattgefunden.
({2})
- Die Europäische Kommission spricht hier von der Regulierung der Finanzmärkte, und die hat eben nicht stattgefunden.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir stehen europapolitisch vor sehr weitreichenden Entscheidungen. Der Fiskalpakt ist zwar unterzeichnet worden,
aber noch nicht ratifiziert. Der ESM steht vor der Verabschiedung. Meine Erfahrung mit dieser Bundesregierung
ist, dass sie Argumenten sehr wenig zugänglich ist. Deswegen wende ich mich hier auch an die irische und die
französische Bevölkerung:
I want to address the Irish people: You have the
chance to vote on the fiscal treaty, a possibility that is denied to us here in Germany and is denied to hundreds of
millions of Europeans. I appeal to you to use this opportunity wisely. Please study the fiscal treaty carefully and
reject it.
({3})
Ich wende mich auch an die französische Bevölkerung. Sie hat nämlich in der Präsidentschaftswahl die
Möglichkeit - ({4})
- Jetzt werden einige hier ganz aufgeregt.
({5})
- Ja, jetzt werden einige hier ganz aufgeregt. - Die französische Bevölkerung hat bei der Präsidentschaftswahl
die Möglichkeit, zumindest Sand in das Getriebe dieses
Fiskalpaktes zu streuen. Ich appelliere auch an die französische Bevölkerung, sehr genau hinzuschauen, welcher Präsidentschaftskandidat welche Position dazu
vertritt, und sich dagegen zu wenden, dass wir ein
austeritäres und autoritäres - in Frankreich sagt man
„une Europe autoritaire et austéritaire“ - Europa bekommen.
Eines ist klar - das sage ich immer am Ende -:
Europa wird sozial sein, oder es wird nicht sein.
Vielen Dank.
({6})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Lisa Paus das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Europäische Erneuerung“ - so lautet die Überschrift dieses
Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission.
Wenn man die letzten beiden Jahre heute einmal nüchtern Revue passieren lässt, dann kommt man zu dem
Schluss: Europa hat sich in den letzten beiden Jahren
ganz massiv verändert; aber von einer Erneuerung war
leider nichts zu spüren. Stattdessen mussten wir erleben,
wie nationalstaatliche Restauration quasi aus allen Löchern dieser Europäischen Union herausgekrochen ist.
({0})
In Bismarck’scher Manier mussten wir erleben, wie Regierungschefs Spaziergänge absolviert haben,
({1})
Verträge verhandelt haben, unterzeichnet haben.
Damit bin ich schon direkt beim Thema Fiskalpakt,
meine Damen und Herren von der Koalition. Das Demokratiedefizit dieses Fiskalpakts ist eben keine Petitesse.
Die intergouvernementale Strategie der letzten beiden
Jahre ist eben nicht nur ein Schönheitsfehler; damit einher geht vielmehr das Problem der Renationalisierung
und der Entsolidarisierung. So droht der Grundstein, auf
dem die Europäische Union gebaut ist, eingerissen zu
werden. Das ist ein Problem.
({2})
Ich möchte es ganz konkret machen. Griechenland
war heute schon Thema; auch Herr Seif hat sich dazu
ausgelassen. Herr Seif, die Sendung Monitor hat letzte
Woche, sichtbar für alle Bürgerinnen und Bürger im öffentlich-rechten Fernsehen, zum Glück deutlich gemacht, dass wir eine völlig schräge Debatte führen. Der
Bürger ist der Auffassung, wir hätten bereits Kosten in
Milliardenhöhe gehabt und der deutsche Steuerzahler
hätte in den letzten zwei Jahren für die Europäische
Union geblutet. Richtig ist: Wir haben über Garantien
abgestimmt, und wir sind Risiken eingegangen, aber gekostet hat uns das bisher noch nicht einen einzigen Euro.
Im Gegenteil besteht die absurde Situation, dass
Deutschland Krisengewinnler ist und von der aktuellen
Krise profitiert. Der deutsche Bundeshaushalt ist durch
diese Krise um 50 Milliarden Euro entlastet worden,
weil im Gegensatz zu früher momentan lieber Bundesanleihen als die Anleihen anderer Staaten gekauft werden.
({3})
Dieses Land hat die Exportüberschüsse um über
50 Milliarden Euro erhöhen können,
({4})
weil sich die Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der Krise
verbessert hat und weil der Euro leicht abgewertet
wurde. Deshalb sind 100 Milliarden Euro mehr in der
deutschen Kasse und nicht weniger. Die schräge Debatte, die wir hier in Deutschland führen, ist das Produkt
Ihrer Renationalisierungsstrategie. Deswegen müssen
wir damit aufhören.
({5})
Kollegin Paus, gestatten Sie eine Frage oder eine Bemerkung?
Bitte, Herr Seif.
Zunächst einmal haben Sie eine Meinung geäußert,
die sich nicht mit der Meinung der Koalition deckt und
sich nicht in Übereinstimmung mit der praktischen Politik der Koalition befindet.
({0})
Meine Frage an Sie lautet: Meinen Sie nicht, dass
Europa darauf angewiesen ist, dass wir ein wirtschaftlich
starkes und finanziell gut aufgestelltes Deutschland haben? Denken Sie an die EFSF. Wir müssen aufgrund unserer Stellung als Staat mit einer Triple-A-Bewertung
viel mehr aufbringen als andere Staaten. Ist es also nicht
gut für Europa, dass es ein starkes Deutschland gibt und
Deutschland ein Schlüsselland in Europa ist?
({1})
Herr Seif, das habe ich überhaupt nicht in Abrede gestellt. Aber in der Tat ist die spannende Frage, ob es für
Europa gut ist, wenn Deutschland die Ungleichgewichte
innerhalb der Europäischen Union weiterhin verschärft,
indem sich diese Bundesregierung und die Koalition
nach wie vor weigern, das Thema der Leistungsbilanzungleichgewichte in der Europäischen Union
adäquat zu thematisieren und einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Länder der Europäischen Union noch stärker zusammenwachsen, anstatt dass sie weiter auseinanderdriften.
({0})
Ich habe auf das Demokratiedefizit des Fiskalpakts
hingewiesen. Auch das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission unterstreicht, dass dieser Fiskalpakt
nicht nur was die Demokratiefrage angeht, zu kurz
greift, sondern dass er auch inhaltlich zu kurz greift. Es
werden zwei Punkte angeführt, die auch wir Ihnen vorgetragen haben. Ich möchte somit die Kommission als
Anwalt zitieren und Ihnen die Lektüre des Arbeitsprogramms ans Herz legen.
Zum Ersten finden Sie die Binsenweisheit - das führt
bei Ihnen aber leider nicht zu Taten -, dass wir aus der
Krise nur herauskommen, wenn wir sparen und investieren.
Zum Zweiten steht in diesem Programm, dass die
Konsolidierungsanstrengungen nicht allein über Ausgabenkürzungen geleistet werden können, sondern dass
auch Einnahmeerhöhungen erfolgen müssen. Deswegen
müssen wir in der Europäischen Union gemeinsam
Steuerflucht bekämpfen; denn das ist wegen der Liberalisierung und der Binnenmarktfreiheit national nicht
mehr möglich. Wir brauchen gemeinsame Anstrengungen zur Reduzierung der Steuerflucht. Wir brauchen eine
gemeinsame konsolidierte Bemessungsgrundlage für
Unternehmen, damit es keinen schädlichen Steuerwettbewerb innerhalb der Europäischen Union gibt. Wir
brauchen auch Mindeststandards bei der Energiebesteuerung, und wir müssen erreichen, dass die Einführung der
Finanztransaktionsteuer nicht nur in jeder Rede vorkommt, sondern dass diese Steuer endlich Realität in der
Europäischen Union wird.
({1})
Die Haltung der FDP in der Debatte um die Finanztransaktionsteuer ist besonders unerträglich. Ich will den
disparaten Chor der Einzelstimmen nicht wiederholen.
({2})
Auch Herr Seif hat sich ja diesbezüglich heute noch einmal geäußert. Ich möchte an dieser Stelle nur eines sagen: In diesem Hause gibt es zumindest für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer, werte CDU/CSU,
eine Zweidrittelmehrheit; das wissen Sie. Für den Fiskalpakt gibt es die Zweidrittelmehrheit in diesem Hause
bisher noch nicht.
({3})
Herr Krichbaum, Sie sagten, die Grünen hätten vielleicht ein Problem, weil alle anderen Grünen in der
Europäischen Union zustimmen würden; deshalb könnten wir nicht anders. Diesbezüglich kann ich Sie informieren, dass das nicht der Fall ist.
({4})
Es wäre eher umgekehrt. Wenn wir Grüne zustimmen
würden, dann wären wir mit den finnischen Grünen die
Einzigen und somit in der Minderheit. Es geht also um
Anstrengungen Ihrerseits. Draußen versteht kein Bürger
und keine Bürgerin, warum die Finanztransaktionsteuer
in der Europäischen Union nicht endlich kommt. Deswegen wollen wir mit Ihnen darüber reden, ganz konkret,
dass die Devisen mit einbezogen werden und dass die
Derivate mit einbezogen werden. Wir brauchen konkrete
Verabredungen zur Finanztransaktionsteuer im Rahmen
der Fiskalpaktdebatten hier im Deutschen Bundestag.
({5})
- Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
„Nicht nur sparen, auch investieren“, das kommt in
den Sonntagsreden der Bundeskanzlerin inzwischen vor;
konkret gibt es dazu gar nichts, Geld sowieso nicht. Ich
würde trotzdem Ihren Blick noch einmal auf das Arbeitsprogramm richten wollen. Das Arbeitsprogramm gibt
zumindest Hinweise auf die zentralen Wachstumsfelder,
die erst einmal noch keinen zusätzlichen Euro kosten.
In der Energiewende und der Energieeffizienzrichtlinie - das sind zwei Beispiele, die ich nennen will steckt richtig Wachstumspotenzial. Was machen Sie? Sie
blockieren! Zur Energieeffizienzrichtlinie gibt es keine
Meinung dieser Koalition. Die Umsetzung würde jeden
Privathaushalt in der Europäischen Union um 1 000 Euro
entlasten und 2 Millionen Arbeitsplätze schaffen. Das
nur als ein Beispiel. Deswegen: Geben Sie sich zumindest an dieser Stelle einen Ruck für mehr Zukunft in Europa!
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Karl Holmeier für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
({0})
„Europäische Erneuerung“ - so lautet der Titel des diesjährigen Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission. Ein solcher Titel klingt überaus vielversprechend,
und er weckt auch große Erwartungen.
Für uns als Parlamentarier ist dieser Titel daher zugleich aber auch eine große Verpflichtung. Denn seit wir
uns als nationales Parlament mit dem Vertrag von Lissabon neue Rechte im europäischen Gesetzgebungsprozess
erkämpft haben, sind wir natürlich auch in der Pflicht,
uns frühzeitig aktiv mit den anstehenden europäischen
Themen auseinanderzusetzen. Das Arbeitsprogramm der
Europäischen Kommission stellt hierfür den Auftakt dar.
Es kann daher in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug
eingeschätzt werden. Ich möchte an dieser Stelle gern
auf einige mir besonders wichtig erscheinende Punkte
dieses Programms eingehen.
Wie wir schon öfter gehört haben, liegt der Schwerpunkt des Programms auf der Schaffung von Stabilität
und Wachstum.
Meine Damen und Herren, wir brauchen ein Europa,
das wirtschaftlich und finanzpolitisch auf festen Füßen
steht, ein Europa der Verantwortung, das sich gerade wegen seiner Stabilität auch Solidarität leisten kann. Dabei
müssen wir Schuldenabbau auf der einen Seite und
Wachstum auf der anderen Seite miteinander in Einklang
bringen. Hier sind mir die geplanten Maßnahmen des
Arbeitsprogramms der Kommission zum Schuldenabbau
ein wenig zu einseitig. Die Europäische Kommission
will hauptsächlich die Einnahmeseite erhöhen und vernachlässigt zu stark die Ausgabenseite. Daran muss sich
etwas ändern; denn die Wachstumsagenda muss mit einer echten Konsolidierung einhergehen.
Dass dies kein Widerspruch ist, zeigt das Beispiel
Deutschland. Wir sind trotz massiver Sparanstrengungen
die Wachstumslokomotive in Europa. Gott sei Dank haben wir ein starkes Deutschland, und dies, meine Damen
und Herren, liegt sicherlich an der guten und erfolgreichen Politik der christlich-liberalen Regierung.
({1})
Kritisch anmerken muss ich auch, dass es die Europäische Kommission offenbar nicht lassen kann, in immer wiederkehrenden Abständen nach einer eigenen
Steuer als EU-Eigenmittel zu streben; nun über die Finanztransaktionsteuer, die wir und auch ich im Grundsatz sehr begrüßen. Die Forderung nach einer eigenen
europäischen Steuer weisen wir aber ebenso hartnäckig
zurück, wie sie von der Kommission erhoben wird.
Sehr zu begrüßen ist die Absicht, die Mindestdauer
öffentlicher Konsultationen im Anschluss an einen
Kommissionsvorschlag um vier Wochen zu verlängern.
Kollege Holmeier, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Sarrazin?
Gern.
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Kollege Holmeier,
Sie wissen, dass ich ein großer Freund vieler europäischer konservativer Parteien bin, in vielen Bereichen
insbesondere ein großer Anhänger der Politik der polnischen Konservativen von Ministerpräsident Tusk. Jetzt
haben die polnischen Konservativen eine ganz andere
Position als Sie. Sie sind nämlich für die Finanztransaktionsteuer, und zwar ausdrücklich als europäisches
Eigenmittel, weil sie finden, dass es den polnischen Interessen widerspricht, wenn nachher polnische Unternehmen über den Finanzplatz Frankfurt sozusagen zum
deutschen Steueraufkommen beitragen.
({0})
Deswegen frage ich Sie hier, ob die Linie der Bundesregierung, die Finanztransaktionsteuer als europäisches
Eigenmittel zu verhindern, nicht letztlich erstens dem
gemeinsamen Interesse, dass sich möglichst viele Staaten daran beteiligen, schadet und zweitens auch den Interessen der polnischen Konservativen diametral entgegensteht.
Das ist die Meinung der polnischen Partei. Wir haben
natürlich eine andere Meinung. Wir sind dafür, dass
Europa keine eigene Steuer bekommt.
({0})
- Ja, aber als deutsche Steuer. Wir wollen nicht, dass das
eine europäische Steuer wird.
({1})
Dass die Mindestdauer öffentlicher Konsultationen
um vier Wochen verlängert wird, habe ich schon angesprochen. Dies ist angesichts der Fülle und Komplexität
vieler Vorschläge positiv zu bewerten und fördert unser
aller Ziel, Europa bürgernäher zu machen.
Als Kommunalpolitiker, der ich noch immer bin, freut
es mich natürlich besonders, dass unsere Forderungen
nach Bürokratieabbau auf europäischer Ebene nun wenigstens im Ansatz Gehör gefunden haben. Ich sage aber
ganz klar: Hier geht noch mehr. Unser ehemaliger bayerischer Ministerpräsident Edmund Stoiber hat zwar
schon einiges erreicht, aber es muss noch mehr möglich
sein.
Erfreut habe ich auch das Ziel zur Kenntnis genommen, einen integrierten, wettbewerbsfähigen und benutzerfreundlichen europäischen Zahlungsverkehr zu schaffen. Hier hat der Deutsche Bundestag mit seinem
Entschließungsantrag aus dem letzten Jahr zur SEPAVerordnung einen überaus wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass nun die vom Rat verabschiedete Verordnung
tatsächlich nutzerfreundlich geworden ist. Danach sah es
am Anfang gar nicht aus. Das ist ein hervorragendes
Beispiel dafür, wie wichtig es ist, sich frühzeitig mit den
europäischen Themen zu befassen und insofern auch das
Arbeitsprogramm der Kommission sehr ernst zu nehmen.
Abschließend möchte ich als Berichterstatter für den
Güterkraftverkehr im Verkehrsausschuss gern noch etwas zu diesem Thema sagen. Es freut mich, dass die
Kommission einen Bericht vorlegen möchte, der die
Lage auf dem Güterkraftverkehrsmarkt analysiert. Das
erscheint mir sehr wichtig und auch dringend notwendig.
Wenn ich jedoch im Programm lese, dass gleichzeitig
ein neues Legislativpaket für den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt und zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers vorgelegt werden soll, dann erscheint mir
das positiv zu sehende Bestreben einer vorgeschalteten
Analyse etwas unglaubwürdig. Vielleicht sollte man hier
strategisch etwas klüger vorgehen, den Bericht zunächst
abwarten und ihn sich dann in Ruhe anschauen.
Wenn ich dann noch lese, dass Spediteure in die Vorschriften über den Zugang zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers einbezogen werden sollen, bestätigt das
meinen Eindruck, dass hier häufig Vorschriften von Leuten gemacht werden, die von der Praxis wenig Kenntnis
haben.
({2})
Sehr positiv hingegen sehe ich die Pläne zur Schaffung eines einheitlichen Rahmens für die Erhebung von
Straßenbenutzungsgebühren. Auch die Überlegungen
zur Einbeziehung leichter Nutzfahrzeuge und gegebenenfalls auch einer Pkw-Vignette finden meine vollste
Unterstützung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man sieht,
welche Tragweite dieses Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission hat. Ich denke, das Beispiel SEPA
zeigt, wie wichtig es ist, sich frühzeitig einzubringen.
Wenn wir alle das gemeinsam ernst nehmen, dann haben
wir gute Chancen, die von der Europäischen Kommission in Angriff genommene „Europäische Erneuerung“
zu schaffen.
Vielen Dank.
({3})
Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Stefanie Vogelsang für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin, herzlichen Dank. - Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Debatte
bleibt nicht mehr auf viele Punkte aufmerksam zu machen. Ich denke, die wesentlichen Dinge sind schon angesprochen worden.
Ich möchte noch einmal das Arbeitsprogramm der
Kommission mit den vier Bestandteilen, in denen es aufgelegt ist, würdigen. Ich möchte meinen Schwerpunkt
auf den zweiten Bestandteil legen, und zwar auf die Freisetzung von Wachstumskräften und Solidarität. Ich
möchte ganz konkret zwei Punkte aus dem Bereich der
Gesundheitsforschung, nämlich insbesondere die Stärkung des Wettbewerbs - nicht aus Selbstzweck, sondern
im Hinblick auf die Qualität der Versorgung der Menschen in der Europäischen Union -, ansprechen.
Mir ist wichtig, am Anfang eines deutlich zu machen:
Wir sind in unserer Strategie zum Aufbau der Europäischen Union nicht davon ausgegangen, dass wir uns als
Völker einfach zusammentun, sondern unsere Botschaft
war von Anfang an auf eine Friedens- und eine Wertegemeinschaft gerichtet. Ich glaube, dass es auch Aufgabe der Europäischen Kommission in diesem und im
nächsten Jahr sein muss, Werbung bei den Menschen in
den europäischen Ländern dafür zu machen, dass wir
solidarisch miteinander für diese europäische Wertegemeinschaft einstehen und dass wir als europäische
Völker auch den jeweiligen anderen Völkern Vertrauen
entgegenbringen.
Ich glaube, die Diskussion um die Staatsschuldenkrise in den unterschiedlichen Ländern innerhalb Europas zeigt, dass jedes Land einen anderen Schwerpunkt
setzt. In Deutschland reden wir über die Belastung des
deutschen Steuerzahlers. In Griechenland wird über die
Art und Weise geredet, wie die Menschen dort eingeschränkt werden. In Frankreich wird der Schwerpunkt
auf den einen Bereich und in anderen Ländern auf andere Bereiche gelegt.
Im Mittelpunkt unserer Philosophie und unseres Gedankenganges steht, dass die Europäische Union der Garant für einen Wertekanon Europa ist. Die Europäische
Union ist nur möglich, wenn alle zusammenhalten und
sie innerhalb der Bevölkerung akzeptiert wird, das heißt
von den Eliten, aber natürlich auch von den einfachen
Menschen in den Ländern. Dies kommt mir etwas zu
kurz. Ich bitte herzlich darum, dass wir in Deutschland
oder in den unterschiedlichsten Ländern, die wir auf Delegationsreisen besuchen, unser Augenmerk auf diesen
Aspekt legen.
({0})
Vertrauen der Völker untereinander liegt also im Interesse des gemeinsamen Wertekanons und auch im Interesse des gemeinsamen Wohlstandes.
Block zwei des Arbeitsprogramms der Europäischen
Kommission ist ausgerichtet auf die Unterstützung der
Kräfte des Binnenmarktes, auf das Freilegen von Wachstumskräften. Das wird nicht aus Selbstzweck gemacht.
Es geht in der Europäischen Union oder in unseren Debatten nicht darum, aus Selbstzweck diesen Wachstumskurs zu formulieren und aus Selbstzweck die einzelnen
Meilensteine zu setzen. Es geht ausschließlich darum,
den Wohlstand und die Lebensqualität aller Menschen,
die in Europa zusammenleben, zu stabilisieren, zu mehren und auf einem hohen Stand zu halten. Deswegen
sind alle Maßnahmen, die im Binnenmarkt Wachstumskräfte freisetzen, von allerhöchstem Interesse für jedes
einzelne Mitglied der Europäischen Union.
Wir haben vor zwei Jahren im deutschen Parlament,
als die Debatten über Griechenland begannen, aus der
CDU/CSU-Fraktion heraus unsere Regierung aufgefordert, eine Diskussion über die Gläubigerbeteiligung
beim Schuldenschnitt und über die Staatshaushaltskrise
in Griechenland zu führen. Wir haben unsere Regierung
beauftragt, über eine Gläubigerbeteiligung in den europäischen Gremien zu sprechen. Heute, wenn ich es richtig gesehen habe, hat die griechische Regierung mitgeteilt, dass sich nahezu 90 Prozent der privaten Gläubiger
am Schuldenschnitt beteiligen. Ich finde, das ist ein eindrucksvolles Zeichen erfolgreicher deutscher Europapolitik.
({1})
Deswegen sehe ich das sehr, sehr positiv.
Ich würde gerne einen Übergang formulieren, aber
weil mir das nicht gelingt, mache ich lieber einen
Schnitt: In dem Arbeitsprogramm der Europäischen
Union stehen 127 einzelne Maßnahmen. Mir kommt es
dabei auf einen einzelnen Punkt an, nämlich auf die
Schaffung eines einheitlichen Zugangsmarktes für innovative Medizinprodukte und innovative Produkte aus
dem Bereich der Gesundheitsforschung. Ich glaube, es
ist nicht positiv, weder für die Kraft des Wachstums noch
für die Versorgung der Menschen mit diesen wichtigen
gesundheitsfördernden Gütern, dass wir 20 verschiedene
Zulassungsverfahren mit ganz unterschiedlichen Kriterien für den Zugang zu unseren Gesundheitsmärkten haben. Ich denke, eine Vereinheitlichung muss das Ziel
sein. Mit diesem Anliegen, dass alle Menschen in Europa medizinisch gleich gut versorgt werden, möchte ich
schließen.
Herzlichen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Leiharbeit verbieten und in reguläre Beschäftigung umwandeln
- Drucksache 17/8794 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen auf der rechten Seite des Hauses, die an der Debatte nicht mehr teilnehmen können, uns möglichst schnell die entsprechenden Bedingungen zu gewährleisten, dass ich die
Aussprache eröffnen kann.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit nahezu
zehn Jahren entwickelt sich die Leiharbeit in Deutschland negativ. Dank der Aufweichung von Rot-Grün
wurde das Prinzip „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“
gesetzlich unterlaufen. Leiharbeit wurde zu einem Massenphänomen.
({0})
Seitdem versuchen wir, die Leiharbeit wieder in den
Griff zu bekommen.
Wenn ich mir anschaue, welche Konsequenzen Leiharbeit für die Menschen hat, werde ich regelrecht wütend.
({1})
Mittlerweile kratzt die Zahl der Leiharbeitnehmerinnen
und Leiharbeitnehmer an der Millionenmarke. 120 000
von ihnen müssen ihr Gehalt mit staatlicher Unterstützung aufstocken. Kaum Geld zum Leben und die Angst,
wieder keinen dauerhaften Job zu finden - das ist Alltag
für diese Menschen.
Die Zahlen sind deutlich: Der angebliche wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands - in einer Zeit, in der europaweit die Arbeitslosenzahlen steigen - ist vor allem
ein Aufschwung in der Leiharbeit. Noch im letzten Monat verzeichnete die BA die meisten offenen Stellen im
Bereich der Leiharbeit - mehr als im Handel, im Gesundheits- und Sozialwesen und im verarbeitenden Gewerbe zusammen.
Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken; ich jedenfalls
möchte nicht an der Ausbeutung meiner Mitmenschen
beteiligt sein.
({2})
Wir müssen das alte Gerede von einem Job um jeden
Preis endlich durch eine strukturelle Diskussion über
gute Arbeit ersetzen. Die Linke will sich mit der Leiharbeit nicht abfinden und fordert deshalb ein Ende dieser
menschenverachtenden Form der Erwerbsarbeit.
({3})
Mit dieser Forderung stellen wir uns an die Seite von
über 90 Prozent der Bevölkerung, die die unterschiedliche Bezahlung von Beschäftigten mit gleicher Tätigkeit
innerhalb eines Betriebes für falsch halten.
Wir müssen aufhören, uns von den Wirtschaftsverbänden vor den Karren spannen zu lassen; denn diese
haben Leiharbeit als strategisches Instrument zum
Lohndumping und zur Spaltung von Belegschaften genutzt. Nach den völlig unzureichenden gesetzlichen Änderungen im vergangenen Jahr entdeckt die Wirtschaft
jetzt Werkverträge als einen neuen Weg zum Billiglohn.
Das ist eine richtige Sauerei!
({4})
Leiharbeit, Werkverträge und Befristungen haben
eine doppelte Disziplinierungsfunktion gegenüber Beschäftigten, Gewerkschaften und Erwerbslosen. Selbst
wenn wir Equal Pay zurückerobert hätten: Leiharbeitnehmer hätten immer noch einen anderen Status als Festangestellte und müssten wie befristet Beschäftigte Sorge
haben, dass sie nicht weiterbeschäftigt oder übernommen werden, insbesondere dann, wenn sie den Mund
aufmachen und sich für ihre Rechte einsetzen.
Leiharbeit besser zu regeln und Equal Pay einzuführen, wäre ein wichtiger erster Schritt. Wenn man aber zu
einer guten, angstfreien Arbeit kommen will, dann muss
man Leiharbeit abschaffen.
({5})
Denn nur auf diesem Wege untersagt man es den Arbeitgebern, Leiharbeit als Instrument zur Disziplinierung
von Beschäftigten und zur Spaltung von Belegschaften
zu nutzen.
({6})
Wer einen Leiharbeitsjob nicht annehmen will, dem
droht Hartz IV als weiteres Disziplinierungsinstrument.
({7})
Daher werden wir auch in Zukunft alles daransetzen,
dass Leiharbeit bald nur noch an einem Ort zu finden ist in den Geschichtsbüchern. Ich sage Ihnen: Sie werden
uns unsere Hoffnung, dass sich hier etwas ändert, nicht
nehmen.
({8})
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Krellmann hat wieder versucht, in der Öffentlichkeit ein Zerrbild der Arbeitswelt entstehen zu
lassen. Die Fraktion der Linken glaubt, dass Leiharbeit
der Ursprung allen Übels in der Arbeitswelt sei. Verehrte
Kolleginnen und Kollegen, das ist beileibe nicht so.
({0})
Gerade einmal 3 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland sind in Zeitarbeitsfirmen beschäftigt.
({1})
Das zeigt sehr deutlich, dass nur ein ganz kleiner Bruchteil der Bürgerinnen und Bürger, die einer Arbeit nachgehen, in Zeitarbeitsfirmen beschäftigt sind.
({2})
Zusätzlich, Frau Kollegin Krellmann, ist zu verzeichnen, dass es sich auch bei der Zeitarbeit um reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
handelt
({3})
und die Zeitarbeit dazu angetan ist, Arbeitsspitzen in den
Betrieben abzufedern.
({4})
In dem wirtschaftlichen Aufschwung, den wir derzeit
dank der guten Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung erleben, sind natürlich mehr Arbeitsspitzen abzuarbeiten, als wenn wir eine Rezession zu verzeichnen hät19782
ten. Deshalb gibt es auch bei der Zeitarbeit einen
Aufschwung.
({5})
Verehrte Kollegin Krellmann, dass dies zutreffend ist,
zeigt sich auch darin, dass nur 50 Prozent der Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer länger als drei Monate im selben Betrieb beschäftigt sind. Das ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass die Zeitarbeit zur Abarbeitung
von Arbeitsspitzen eingesetzt wird.
({6})
Ein Weiteres ist, dass Zeitarbeit eine Brücke in den
ersten Arbeitsmarkt ist, weil sie die Chance bietet, in die
Stammbelegschaft übernommen zu werden. Gerade in
wirtschaftlich guten Zeiten, wie wir sie derzeit hier erleben können, in denen eine große Nachfrage nach Arbeitskräften besteht, zeigt sich sehr deutlich, dass sehr
viele Zeitarbeitnehmer in die Stammbelegschaft aufgenommen werden.
Laut Zahlen des iGZ sind im vierten Quartal des
Jahres 2011 34,7 Prozent der Zeitarbeitnehmer in die
Stammbelegschaften der Betriebe aufgenommen worden. Das zeigt sehr deutlich, dass die Zeitarbeit Chancen
eröffnet. Dies gilt auch für gering qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. Langzeitarbeitslose.
({7})
Laut iGZ-Umfrage sind sogar 70 Prozent der Zeitarbeitnehmer, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung
oder eine höhere Qualifizierung verfügen, in die Stammbelegschaft aufgenommen worden. Das zeigt sehr deutlich, welche Chancen in der Zeitarbeit liegen. Sie wollen
die Zeitarbeit verbieten und damit den Menschen diese
Chancen nehmen, verehrte Damen und Herren.
({8})
Ich möchte aber nicht verhehlen, dass es in der Vergangenheit auch Probleme gab und dass es Situationen
gibt, über die man diskutieren muss. Die Zeitarbeit hat
sicherlich durch zu geringe Lohnabschlüsse, die zu verzeichnen waren, einen schlechten Ruf bekommen. Ich
möchte aber herausstellen, dass diese Bundesregierung
dafür gesorgt hat, dass seit 1. Januar dieses Jahres ein
Mindestlohn in der Zeitarbeit Gültigkeit hat, also eine
Lohnuntergrenze eingezogen worden ist.
({9})
Dann gibt es Klagen darüber, dass es einen sogenannten Drehtüreffekt gegeben hat, dass nämlich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Unternehmen ausgestellt
worden sind,
({10})
sie aber gleichzeitig das Angebot erhalten haben, für
eine betriebseigene Zeitarbeitsfirma wieder am selben
Arbeitsplatz tätig zu werden. Das ist dank dieser Bundesregierung seit Juli vergangenen Jahres verboten.
({11})
Sie hat also auch hier für Ordnung im Bereich der Zeitarbeit gesorgt.
Letztendlich gilt es, verehrte Kolleginnen und Kollegen, daran zu arbeiten, bessere Bedingungen im Zeitarbeitnehmerbereich zu schaffen. Diese Bundesregierung
hat sich das auf die Fahnen geschrieben. Aber zuerst
sind die Tarifparteien gefordert. Sie stehen jetzt in Verhandlungen - besonders die IG Metall, aber auch die anderen Gewerkschaften -, um hier gute Verträge auszuhandeln und unter Umständen auch noch gleichen Lohn
für gleiche Arbeit nach drei Monaten am selben Arbeitsplatz durchzusetzen. Wir sind sehr optimistisch, dass
dies erreicht werden kann.
Wir geben der Tarifautonomie den Vorrang. Sie aber
sind nur eine Verbotspartei, die den Arbeitsmarkt letztendlich stranguliert. Diesen Weg werden wir nicht mitgehen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
({12})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Klaus
Barthel das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
schon richtig, dass wir das Thema Leiharbeit auf der Tagesordnung halten; das gilt auch für das Thema Werkverträge. Denn leider steigen die entsprechenden Zahlen
weiterhin an, und die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
ist besorgniserregend.
Zunächst einmal müssen wir uns die Grundsatzfrage
stellen, was für eine Arbeitswelt wir in Zukunft eigentlich wollen. Wollen wir die, die neulich im Spiegel - es
war in der Ausgabe 6/2012 - beschrieben worden ist?
Der Artikel „Frei schwebend in der Wolke“ stellt ein
Belegschaftsmodell vor, das bei IBM diskutiert wird.
Demnach sollen kleine Kernmannschaften ein Heer von
Auftragnehmern dirigieren, die unter den miesesten Bedingungen arbeiten. Das ist das Konzept „Prekarität für
möglichst viele und Sicherheit für möglichst niemanden“. Die Entwicklung auf unserem Arbeitsmarkt geht
in der Tendenz in diese Richtung; das muss man ganz
klar sehen.
Die Alternative ist das Modell, das uns erfolgreich
durch die Krise gebracht hat: Kurzarbeiterregelung,
Konjunkturprogramme, Arbeitszeitkonten, Flexibilität
auf der Grundlage von betrieblicher Mitbestimmung und
von gewerkschaftlichen Tarifvereinbarungen auf AugenKlaus Barthel
höhe. Das ist sozusagen das Gegenmodell. Welches Modell wir wollen, ist die erste Frage, die wir klären müssen.
Die zweite Frage ist eine Grundsatzfrage, die gerade
im Zusammenhang mit Europa diskutiert worden ist.
Wollen wir tatsächlich die anderen Länder in Europa mit
unseren Exportüberschüssen plattmachen und jetzt die
Griechen, Spanier und andere zwingen, ihren Kündigungsschutz abzubauen, Tarifverträge nur noch auf betrieblicher Ebene abzuschließen, in Tarifverträge einzugreifen und Löhne zu senken? Oder sagen wir, dass
unsere Vorstellung von Europa einem sozialen Europa
mit gesicherten und geregelten Arbeitsmärkten, in denen
Leiharbeit begrenzt werden muss - ich komme darauf
noch zu sprechen -, entspricht?
({0})
Herr Straubinger, ich bin an einem Freitagnachmittag
jedes Mal gespannt, was die Koalition zu einer solchen
Debatte beiträgt. Wir erleben schließlich am Beispiel des
Mindestlohns, welch eine Inszenierung die CDU/CSU
seit Monaten hier vorführt: Sind Sie jetzt für oder gegen
den Mindestlohn? Dann verhandeln Sie vor und nach
Parteitagen untereinander.
({1})
Dann sagen Sie: Schauen wir einmal, ob wir im März
vielleicht zu irgendeiner Einigung kommen. Aber danach müssen wir erst noch mit der FDP reden.
({2})
Diese Diskussion kann man doch aktuell in den Medien nachverfolgen. Eine solche Inszenierung muss Ihnen doch langsam peinlich sein, Herr Straubinger.
({3})
Bezüglich der Leiharbeit haben Sie es gerade noch
einmal dokumentiert. Sie haben hier die Leiharbeit verteidigt und das Hohelied auf die tollen Erfolge aufgrund
dieser Leiharbeit gesungen. Dann liest man aber in Ihrer
Vorschau auf die heutige Debatte - das ist das, was Sie
von der CSU in den Sozialausschüssen herumreichen -:
Die CSU fordert jedenfalls, dass Zeitarbeitnehmer nach
drei Monaten den gleichen Lohn erhalten müssen wie
Stammbeschäftigte. - Bravo! Dann machen Sie es doch
endlich.
({4})
Sie erzählen, was die Stammtische hören wollen. Aber
Sie machen hier etwas ganz anderes. Das haben wir jetzt
langsam satt.
({5})
Ich könnte noch viel zitieren. Das, was Sie machen,
erinnert mich immer ein bisschen an den Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars.
Zum Antrag der Linken. Ich glaube, auch Sie müssen
sich langsam festlegen, was Sie eigentlich wollen. Wollen Sie Equal Pay? Oder wollen Sie die Leiharbeit abschaffen? Ich glaube, das Abschaffen der Leiharbeit
würde den Betroffenen wenig helfen. Denn wenn Sie die
Unternehmen zwingen würden, die Mitarbeiter zu übernehmen, dann wären sie in dem Moment draußen, in
dem hier das Gesetz verabschiedet wird. Darüber hinaus
denke ich, dass so etwas in einer modernen Wirtschaft
nicht funktioniert.
Ich würde uns allen empfehlen: Nehmen wir doch
einfach die Befürworter der Leiharbeit und der Zeitarbeit
ernst, die da sagen: Wir brauchen das eben für Produktionsspitzen; in einer modernen Wirtschaft muss so etwas möglich sein. - Wir können ihnen dann entgegnen:
Produktionsspitzen sind Zeiten, in denen die Arbeit besonders produktiv ist und in denen mehr Wert durch die
Nutzung des schon vorhandenen Maschinenparks entsteht, wodurch höhere Gewinne erzielt werden. Es ist
doch das Mindeste, dass die Leiharbeiter vom ersten Tag
an das gleiche Gehalt wie die festen Mitarbeiter bekommen.
({6})
Die Leiharbeit darf nicht billiger sein, so wie das jetzt
der Fall ist.
Klar ist: Leiharbeit wird missbraucht. Wir wissen,
dass Leiharbeiter im Durchschnitt ein Drittel bis die
Hälfte weniger an Lohn bekommen. Wir beobachten,
dass die Leiharbeit in Bereichen eingeführt wird, in denen sie nichts zu suchen hat. In der Pflege, in den Krankenhäusern, in der Gebäudereinigung und im Verkehrsbereich gibt es keine Produktionsspitzen, sondern es
handelt sich dort um Arbeit, die immer geleistet werden
muss. Hier findet eindeutig Missbrauch statt, den wir
durch gesetzliche Maßnahmen unterbinden müssen.
({7})
Was Herr Straubinger eben erzählt hat, ist eindeutig
widerlegt. Die Lobbyistenpropaganda, dass es zu einem
Klebeeffekt kommen würde, hat das IAB schon hundertfach widerlegt. Es gibt so gut wie keinen Klebeeffekt,
und es gibt so gut wie keine Qualifizierungserfolge.
({8})
Es gibt so gut wie keine Maßnahmen, die dazu führen,
dass die Langzeitarbeitslosigkeit abgebaut wird; denn
klar ist: Betriebe, die Mitarbeiter brauchen, würden auch
Langzeitarbeitslose einstellen. Falls die Betriebe aber
keine Mitarbeiter brauchen, stellen sie auch keine Leiharbeiter ein.
Unsere Forderungen bleiben bestehen: Begrenzung
der Leiharbeit auf ein Jahr - das haben wir in verschiedenen Anträgen deutlich gemacht -, Equal Pay zu einem
möglichst frühen Zeitpunkt, Mindestlohn für die entleihfreie Zeit - der muss natürlich dynamisch gestaltet werden - und Synchronisierungsverbot.
Wir fordern vor allen Dingen die Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung - das haben Sie gar nicht
erwähnt -; denn auch die Betriebsräte müssen kontrollieren, was in dem Betrieb, für den sie verantwortlich sind,
hinsichtlich der Leiharbeit passiert. Anders geht es nicht.
Aus dem Verleihbetrieb heraus ist so etwas nicht möglich. Außerdem müssen Leiharbeitnehmerinnen und
Leiharbeitnehmer bei der Zahl der Beschäftigten berücksichtigt werden; denn sie ist relevant für die Größe der
Gremien.
Spannend finde ich auch das Thüringer Modell. Es
sieht vor, dass öffentliche Mittel nur dorthin vergeben
werden dürfen, wo Leiharbeit nicht missbraucht wird.
Dafür muss es klare Kriterien geben, auch bei der Gewährung von Zuschüssen durch öffentliche Stellen. Ich
nenne beispielsweise die Strukturmittel der EU.
({9})
Zum Thema Werkverträge. Auch hier finden Sie nicht
den richtigen Ansatz. Sie fordern: Scheinwerkverträge
muss man verbieten. - Das Problem ist aber die Definition. Was ist denn ein Scheinwerkvertrag?
({10})
Klar ist, dass die jetzige Rechtslage völlig unbefriedigend ist, weil die Abgrenzung zwischen Scheinselbstständigkeit, Dienstvertrag und Werkvertrag sehr kompliziert ist.
({11})
- Herr Kolb, ich weiß, dass Sie nachher wieder mit der
Story kommen, dass das Rot-Grün zu verantworten hat.
({12})
Das hören wir von Ihnen jedes Mal. Wir haben Ihnen
schon hundertmal gesagt: Wir haben die Entwicklung
zehn Jahre lang beobachtet und daraus gelernt, dass wir
die Regelungen korrigieren müssen. - Sie aber wollen
nichts daraus lernen. Ganz im Gegenteil: Sie wollen es
noch viel schlimmer machen.
({13})
Das sind die unterschiedlichen Lernprozesse, die hier zu
beobachten sind.
Beim Vorgehen gegen Scheinwerkverträge kommt es
darauf an, dass wir praktikable und kontrollierbare Kriterien für die Werkverträge festlegen.
({14})
Solchen komplizierten Fragen stellen sich die Linken
leider nicht.
Eine letzte Bemerkung zur Tarifrunde. Herr Straubinger,
ich bin immer wieder erstaunt, dass Sie plötzlich die
Gewerkschaften loben. Wir müssen bei den jetzt anstehenden Tarifverhandlungen doch sehen, dass eine Leiharbeitsregelung einen Preis hat, der bei den Lohnerhöhungen etwas kostet.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ja. - Im Übrigen stellt sich auch die Frage: Was machen wir in den Bereichen, in denen es keine starken Gewerkschaften und keine entsprechenden Regelungen
gibt? Denn dort wird die Leiharbeit am meisten missbraucht. Sie kommen nicht drum herum, diese Frage zu
beantworten.
Kollege Barthel, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich verrate Ihnen aber ein Geheimnis: Es folgt noch eine Kurzintervention der Kollegin Krellmann. Das heißt, Sie haben gleich noch einmal das Wort.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Barthel, vieles von
dem, was Sie gesagt haben, fand ich sehr richtig. Zu ein
paar Punkten muss ich aber etwas sagen. Wissen Sie,
dass wir auch zu Werkverträgen einen Antrag eingebracht haben? Kennen Sie unseren Antrag zur Leiharbeit? Sie wissen, dass mir, seit ich im Bundestag bin,
die Themen Werkverträge und Leiharbeit am Herzen liegen, weil ich als Gewerkschafterin weiß, was in Betrieben los ist.
Sie haben nichts zu dem Kernpunkt dieses Antrags
gesagt. Er verurteilt die Disziplinierung, die in diesem
Bereich stattfindet. Es geht darum, zuerst den ersten
Schritt zu machen. Daher möchte ich Sie bitten, sich unseren Antrag zu den Werkverträgen anzuschauen. Als
Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales lade
ich Sie herzlich zur Anhörung zum Thema Werkverträge
ein. Sie findet am 23. April statt.
Kollege Barthel, möchten Sie antworten? - Bitte.
Zu diesem Punkt muss man in der Tat etwas sagen.
Das konnte ich im Rahmen meiner Rede aufgrund der
knappen Redezeit nicht mehr tun.
Sie haben in der Tat viele Anfragen dazu eingereicht,
die uns viele Erkenntnisse gebracht haben.
({0})
- Anfragen, aber auch Anträge. - Mich hat es überrascht, dass Sie nun einen solchen Antrag vorlegen. Die
Anträge werden doch nicht dadurch besser, dass man immer mehr hineinschreibt und immer noch radikalere Forderungen stellt, wie jetzt das Verbot von Leiharbeit und
Scheinwerkverträgen. Es macht mehr Sinn, sich an den
Anträgen abzuarbeiten, die Sie vorher gestellt haben;
denn diese Anträge haben mehr inhaltliche Substanz und
einen stärkeren Realitätsbezug. Es hätte sich schon gelohnt, weiter daran zu arbeiten.
Die Anträge werden, wie gesagt, nicht dadurch besser, dass man immer noch etwas draufsetzt. Dadurch
kommt man doch nur von den eigentlichen Punkten weg.
Außerdem machen Sie es dadurch der Koalition leicht
- das werden Sie gleich erleben -, den Antrag abzubürsten, weil Sie nicht auf dem Boden der Tatsachen und auf
der Grundlage bleiben, die Sie mit uns gemeinsam erarbeitet haben.
({1})
Nun hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte sehr zeiteffizient sein. Herr Kollege Barthel,
Sie müssen es ertragen, dass Sie immer wieder auf Ihre
Fehler hingewiesen werden. Sie können sich allerdings
nicht hier hinstellen und sagen: Wir haben es zehn Jahre
lang beobachtet und wollen es jetzt ändern. - Denn von
den zehn Jahren haben Sie acht Jahre regiert. In dieser
Zeit hätten Sie etwas tun können.
({0})
Erst in den letzten zwei Jahren, in denen Sie in der Opposition sind, ist Ihnen eingefallen, dass Sie gerne alles
anders machen würden.
Frau Kollegin Krellmann und liebe Kollegen von den
Linken, Sie sollten öfter positiv denken.
({1})
Negatives Denken ist gefährlich. Das hat Nebenwirkungen: Es schlägt aufs Gemüt.
({2})
Ihre Anträge triefen nur so von negativem Denken. Das
gilt auch für den Antrag, der heute vorgelegt wurde. Man
merkt schon an der Sprache, dass Sie davon nicht wegkommen. Sie sprechen von „Leiharbeit“. Nein, das ist
Zeitarbeit. Es ist eine mögliche Beschäftigungsform in
einem ganzen Mix an Beschäftigungsformen, den wir in
unserem Land haben.
Gänzlich verbieten wollen wir die Zeitarbeit auf gar
keinen Fall. Wir wären ja auch blöd, wenn wir das täten.
1 Million Menschen haben dadurch in einer eigenen
Branche eine in der Regel unbefristete Beschäftigung
gefunden. Man muss zwischen dem befristeten Ausleihverhältnis und dem unbefristeten Grundbeschäftigungsverhältnis im Zeitarbeitsunternehmen unterscheiden. So
weit gehen Sie aber gar nicht. Ich glaube, dass Zeitarbeit
auf ein erträgliches Maß beschränkt ist: Der Anteil beträgt weniger als 3 Prozent der gesamten Beschäftigungsverhältnisse. Aber 1 Million Menschen hat die
Zeitarbeit als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt genutzt.
({3})
Frau Kollegin Krellmann, Sie sagen, dass die Beschäftigten in der Zeitarbeit zu gleichen Bedingungen
übernommen werden müssen. Das ist etwas anderes als
Equal Pay. Equal Pay hat die FDP als eine der ersten
Fraktionen im Deutschen Bundestag thematisiert, wenn
sie nicht sogar die erste Fraktion war.
({4})
Darüber kann man reden. Diese Umwandlung finde ich
aber gefährlich.
Man muss nicht viel Fantasie haben, um zu ahnen,
wie Ihr nächster Antrag aussehen wird. Sie haben ja für
alles einen Antrag. Manchmal vertreten Sie sogar die
Pro- und die Kontraposition. Ich formuliere Ihren nächsten Antrag einmal ins Unreine: Die Arbeitslosigkeit wird
abgeschafft; jedes Unternehmen in Deutschland muss einen Arbeitslosen einstellen.
({5})
Ihrer Logik folgend muss Ihr nächster Antrag so aussehen. Er wird genauso kurz und genauso einfältig sein.
Auf diese Art und Weise kann man aber keine Politik
machen. Ich glaube, die Probleme gebieten es, dass man
sich ihnen ein bisschen intensiver zuwendet.
Dass Sie noch weiter gehen und auch Werkverträge
verbieten wollen, ist aus Ihrer Sicht nur logisch. Das
wäre ein wirklich gefährlicher Eingriff in die arbeitsteilige Wirtschaft. Die SPD hat sich damals bei dem Versuch der Regelung der Scheinselbstständigkeit die Finger verbrannt. Ich sage Ihnen voraus: Wenn Sie das
versuchen, werden Sie aufgrund der Komplexität der
Wirtschaft und der arbeitsteiligen Lieferbeziehungen
scheitern. Sie würden sich die Finger verbrennen.
Zum Abschluss meiner drei Minuten Redezeit, in denen niemand eine Zwischenfrage gestellt hat,
Das klappt nicht immer am Freitagnachmittag.
- rate ich uns, über die Probleme auf dem Arbeitsmarkt in unserem Lande, die es gibt und geben kann,
ernsthaft zu diskutieren. Aber auf der Basis des Antrags,
den Sie heute vorgelegt haben, sollten wir das, glaube
ich, besser nicht tun.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen
ein schönes Wochenende.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen: Der Antrag der
Linken irritiert auch mich.
({0})
Sie, die Linken, wollten die Leiharbeit bisher regulieren,
jetzt wollen Sie die Leiharbeit ganz verbieten. Außerdem geht es um Scheinwerkverträge. Ein anderer Antrag
- Sie haben es gerade angesprochen - liegt bereits vor;
aber wir haben noch nicht einmal die Anhörung dazu
durchgeführt.
Um was geht es heute eigentlich? Wir Grüne stehen
zu unseren Positionen. Wir wollen die Leiharbeit nicht
abschaffen, aber regulieren. Sie soll weiterhin zur flexiblen Abfederung von Auftragsspitzen und zur Überbrückung personeller Engpässe genutzt werden können,
aber nicht zum Nachteil der Beschäftigten.
({1})
Leiharbeitskräfte müssen fair entlohnt werden und
mehr Sicherheit erhalten. Deswegen fordern wir konsequent Equal Pay, und zwar, Herr Kolb, nicht erst nach
neun Monaten,
({2})
sondern ab dem ersten Tag. Wir fordern einen Flexibilitätsbonus von 10 Prozent und die Wiedereinführung des
Synchronisationsverbots.
({3})
Wir kritisieren auch, dass die Leiharbeit vermehrt
durch Scheinwerkverträge umgangen wird. Deshalb haben auch wir vor einiger Zeit einen entsprechenden Antrag eingebracht. Wir fordern klare Kriterien und eine
eindeutige Abgrenzung zwischen Leiharbeit und Werkverträgen. Diese Positionen sind bekannt. Bei uns Grünen gibt es also nichts Neues. Ich kann Ihnen versichern,
dass wir heftig darum streiten werden.
Ich möchte die heutige Diskussion nutzen, um einen
anderen Aspekt zu erwähnen - dieser ist schon angesprochen worden -: Nach der Reform der Leiharbeit im
letzten Jahr haben Sie, die Regierungsfraktionen, und die
Bundesarbeitsministerin von der Leyen die Verantwortung für die Schaffung einer Equal-Pay-Regelung auf die
Tarifpartner übertragen. Sie haben den Tarifpartnern dafür ein Jahr Zeit gegeben. Für den Fall, dass in dieser
Zeit keine tragfähige tarifliche Regelung gefunden wird,
hatte die Ministerin die Einführung einer gesetzlichen
Equal-Pay-Regelung in Aussicht gestellt. Dieses eine
Jahr ist bald vorbei. Ich frage die Regierungsfraktionen:
Wie sieht es aus? Wird es eine tarifliche Regelung geben?
({4})
- Die Frist von einem Jahr ist bald vorbei. - Wird wirklich jede Branche, also auch kleine Branchen, selber
verhandeln müssen? Sind Sie, falls es keine tarifliche
Regelung geben sollte, endlich bereit, den Grundsatz
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gesetzlich durchzusetzen, oder waren Ihre Ankündigungen wieder einmal
nur schöne Sonntagsreden?
Kollegin Müller-Gemmeke, gestatten Sie eine Frage
oder Bemerkung des Kollegen Weiß?
Ja.
Frau Kollegin Müller-Gemmeke, nachdem Sie die
Regierungskoalition und die Regierung gefragt haben,
antworte ich nun mit einer Rückfrage an Sie: Haben Sie
zur Kenntnis genommen - es wurde auch öffentlich bekannt gegeben -, dass die Gewerkschaften und die Zeitarbeitgeberverbände, vorneweg IG Metall und Gesamtmetall, das Thema Equal Pay auf der Tagesordnung der
zurzeit laufenden Tarifverhandlungen haben und über
Regelungen in Form von branchenbezogenen Zuschlägen und über den Zeitpunkt, ab dem 100 Prozent gezahlt
werden sollen, diskutieren? Die Tarifverhandlungen
werden in diesen Tagen geführt, und man sagte uns auf
Nachfrage: Jawohl, wir sind optimistisch, eine Regelung
zu finden. Also wird das, was die Koalition angekündigt
hat, aller Voraussicht nach in diesem Frühjahr umgesetzt
werden.
Herr Kollege Weiß, natürlich habe ich das mitbekommen.
({0})
Ich weiß auch, dass es in der Metallbranche bereits eine
tarifliche Regelung gibt. Aber - Kollege Barthel hat das
gerade schon angeführt -: Es kann doch nicht sein, dass
jede Gewerkschaft für ihren Bereich eine Regelung aushandeln muss.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt nicht
im Dialog, sondern es heißt in unserer Geschäftsordnung: Fragen und Bemerkungen.
({0})
Es ist mir nicht bekannt, dass die im Bereich Metall
gefundene Regelung auf alle Branchen übertragen werden kann; das kann ich mir auch nicht vorstellen. Ich
weiß nicht, wie das gehen soll.
({0})
Was wird mit den Branchen sein, in denen es keine Tarifverträge gibt? Was ist zum Beispiel mit den Kirchen?
Auch dort gibt es Leiharbeit und, und, und. Von daher:
Ich bin natürlich der Meinung, dass wir eine einheitliche
Regelung brauchen. Wir brauchen aber keine IG-MetallRegelung.
({1})
- Es ist ja schön, dass Sie miteinander diskutieren; aber
ich glaube, jetzt bin ich an der Reihe.
({2})
Ich möchte nicht, dass das von meiner Zeit abgeht.
Aus meiner Sicht ist eine tarifliche Equal-Pay-Regelung ohnehin der falsche Weg. Die Gewerkschaften müssen mittlerweile über sehr viele unterschiedliche Themen verhandeln:
({3})
über die Übernahme von Azubis, Regelungen für Ältere,
die Übernahme von Leiharbeitskräften, die Arbeitsplatzsicherung und vieles andere mehr.
({4})
Je mehr Themen dazukommen - Herr Kolb stellen Sie
doch eine Frage -, umso weniger können die Gewerkschaften faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen
durchsetzen. Meiner Meinung nach schwächt das die
Gewerkschaften. Eine gesetzliche Equal-Pay-Regelung
hingegen würde die Gewerkschaften stärken.
({5})
Zudem war Ihre Reform der Leiharbeit letztes Jahr
für die Beschäftigten nahezu bedeutungslos. Die Interessen der Leiharbeitsbranche und der Wirtschaft aber sind
bedient worden. In der Folge ist der Trend zu immer
mehr Leiharbeit ungebrochen. Die Unternehmen profitieren weiterhin doppelt: Sie erhalten Flexibilität und billige Arbeitskräfte. Die Leiharbeitskräfte hingegen leiden
unter einer doppelten Belastung: Sie verdienen weniger
und haben keinen sicheren Job. Ich bleibe dabei: Das ist
ungerecht und auch nicht fair. Leiharbeitskräfte haben
einen berechtigten Anspruch auf die gleichen Arbeitnehmerrechte, auf faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen
wie alle anderen Beschäftigten auch.
Ich kann Ihnen versichern, dass wir nicht lockerlassen. Wir werden Sie immer wieder an Ihr Versprechen
erinnern und konkretes Handeln einfordern. Sie sind
jetzt am Zug. Machen Sie Ernst mit Equal Pay, und zwar
mit einer gesetzlichen Regelung! Liefern Sie das, was
Sie versprochen haben!
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Gitta Connemann für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt ist
die Katze endlich aus dem Sack. In den letzten Jahren
haben Sie, meine Damen und Herren von den Linken,
uns fast monatlich mit Anträgen zur Zeitarbeit überzogen.
({0})
Jetzt sagen Sie endlich, was Sie wirklich wollen,
({1})
nämlich die Abschaffung der Zeitarbeit.
({2})
Ich sage: Das ist ein starkes Stück.
Das gilt übrigens auch für das, was uns die Redner der
Oppositionsfraktionen hier bieten. Ich hatte bei dem einen oder anderen Hinweis, lieber Herr Barthel und liebe
Frau Müller-Gemmeke, schon den Eindruck, Sie seien
vom Virus der Vergesslichkeit befallen.
({3})
Ich erinnere daran, dass die Deregulierung der Zeitarbeit, die Sie immer wieder aufs Neue beklagen, 2003
eingeführt worden ist.
({4})
Ich erinnere daran: Seinerzeit, 2003, hatten wir eine rotgrün geführte Bundesregierung. Ich empfehle jedem
- auch den Gästen, die uns heute zuhören -: Messen Sie
Politiker an ihren Taten!
({5})
An Ihren Taten messe ich auch Sie, lieber Herr
Barthel. Sie haben den Missbrauch bei der Zeitarbeit beklagt. Ja, es gibt einen Missbrauch bei der Zeitarbeit
- ich nenne das immer „Scheinzeitarbeit“ -, nämlich
dann, wenn Tochterunternehmen gegründet werden, um
Mitarbeiter zu niedrigeren Tariflöhnen im eigenen Unternehmen zu beschäftigen. Wissen Sie, wer so etwas
macht? Zum Beispiel Mediengesellschaften der SPD wie
die Madsack-Gruppe
({6})
und große Unternehmen wie VW, aber auch viele andere. Ich würde mir wünschen, dass Sie sich dort empören, wo im Hinblick auf die Scheinzeitarbeit tatsächlich
Handlungsbedarf besteht.
({7})
Aber dazu habe ich von Ihnen noch nie ein Wort gehört.
({8})
Tatsächlich verzerren Sie einmal mehr die Fakten.
Wir haben den Tarifvertragsparteien ins Stammbuch geschrieben, dass sie eine Regelung zum Equal Pay vereinbaren sollen. Die Tarifvertragsparteien stehen in
Verhandlungen. Wir tun das, weil das Wort „Tarifautonomie“ für uns mehr ist als eine bestimmte Anzahl
schwarzer Buchstaben. Vielmehr geht es dabei um ein
Grundrecht, und dieses Recht ist im Grundgesetz verankert.
({9})
Die richtige Zeitarbeit hat ungeheuer viel für unseren
Arbeitsmarkt getan. Hinter der richtigen Zeitarbeit stehen bestimmte Wahrheiten, und ich bitte Sie, diese endlich zur Kenntnis zu nehmen:
Erstens. Zeitarbeitnehmer sind vollwertige Beschäftigte mit einem ganz normalen Arbeitsvertrag - in der
Regel unbefristet.
({10})
Zweitens. Es gilt das allgemeine deutsche Arbeitsrecht. Zeitarbeitnehmer haben dieselben Schutzrechte
wie alle anderen Beschäftigten. Sie haben übrigens kein
spezielles Kündigungsrecht.
Drittens. Fast 100 Prozent der Zeitarbeitnehmer werden nach Tariflöhnen bezahlt, davon übrigens drei Viertel nach DGB-Tarifverträgen.
({11})
Viertens. Es gibt in der Zeitarbeitsbranche eine Lohnuntergrenze, die von der christlich-liberalen Koalition
eingeführt wurde. Das niedrigste Einstiegsgehalt für Ungelernte liegt bei 7,89 Euro pro Stunde. Begehrte Spezialisten können mehr als 80 000 Euro im Jahr verdienen. Es gibt viele Branchen, in denen das Lohnniveau
unterhalb des Lohnniveaus der Zeitarbeitsbranche liegt.
Ich nenne beispielhaft das Fleischerhandwerk in Nordrhein-Westfalen oder den Einzelhandel in Bremen.
Fünftens. In Deutschland gilt anders als im Rest Europas das Arbeitgebermodell. Zeitarbeitnehmer erhalten
ein festes Einkommen, übrigens auch in Zeiten des
Nichteinsatzes.
Sechstens. Die Zeitarbeit steht für die gesamte Fülle
des Arbeitsmarktes, vom Hilfsarbeiter bis zum IT-Experten.
Siebtens. Die Zeitarbeit holt Menschen aus der Arbeitslosigkeit. 65 Prozent der neu eingestellten Zeitarbeitnehmer waren vorher ohne Beschäftigung.
({12})
Achtens. Fast ein Drittel der Zeitarbeitnehmer hat
keine abgeschlossene Berufsausbildung und erhält über
die Zeitarbeit die Möglichkeit der Qualifizierung im Job.
({13})
Neuntens. Stammbelegschaften werden nicht verdrängt. In Deutschland gibt es gut 29 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, davon 800 000 Zeitarbeitnehmer. Damit ist eine Verdrängung allein schon
rechnerisch nicht möglich.
({14})
- Hören Sie einfach zu, und schreien Sie nicht.
Zehntens. Jedes Zeitarbeitsunternehmen benötigt eine
Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit. Bei Verstößen
kann diese jederzeit entzogen werden.
({15})
Das sind zehn Wahrheiten über die Zeitarbeit. Alle
Zahlen belegen das, aber das ficht Sie ja nicht an.
Meine Damen und Herren von der Linken, liebe Frau
Krellmann, wenn Sie Ihre juristischen Hausaufgaben gemacht hätten, dann müssten Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1967 kennen.
({16})
Seinerzeit galt ein Verbot der Zeitarbeit, wie Sie es heute
fordern. Das Bundesverfassungsgericht erklärte dieses
Verbot für verfassungswidrig. Es sei nicht mit dem
Grundrecht der freien Berufswahl vereinbar. Dieses Urteil wurde von Ihnen geflissentlich ignoriert. Ich habe
gerade Ihre Zwischenbemerkung gehört, Sie seien keine
Juristin.
({17})
Das ist aber eine vollständige Bankrotterklärung. Denn
Tatsache ist, dass sich der Gesetzgeber an Recht und Gesetz halten sollte, insbesondere an das Grundgesetz selbst Sie, Frau Kollegin Krellmann.
({18})
Auch das Europarecht spielt für Sie keine Rolle. Ein
Verbot der Zeitarbeit auf nationaler Ebene würde auch
gegen dieses verstoßen, nämlich gegen die EU-Leiharbeitsrichtlinie. Dort heißt es übrigens in der Präambel
- ich zitiere -:
Die Leiharbeit entspricht nicht nur dem Flexibilitätsbedarf der Unternehmen, sondern auch dem Bedürfnis der Arbeitnehmer, Beruf und Privatleben zu
vereinbaren. Sie trägt somit zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Teilnahme am und zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt bei.
So die Leiharbeitsrichtlinie.
Das interessiert Sie aber nicht. Ihnen geht es vielmehr
um Ideologie.
Das zeigt übrigens auch Ihre zweite Forderung. Sie
wollen die Kundenunternehmen gesetzlich zwingen,
Zeitarbeitnehmer zu übernehmen. Das ist selbst für Ihre
Verhältnisse wirklich grotesk. Dabei will ich Sie gar
nicht mit rechtlichen Hinweisen langweilen. Ich könnte
wieder unsere Verfassung anführen: Art. 2 - die Privatautonomie - und Art. 12 des Grundgesetzes usw. Mit
dieser Forderung missachten Sie die Grundrechte eklatant; das interessiert Sie aber nicht.
Für mich bleibt damit nur folgendes Fazit: Nach Ihrem Willen, nach Ihrem Antrag, soll der Gesetzgeber zukünftig bestimmen, welche Mitarbeiter ein Unternehmen
einstellen soll. Das hat mit sozialer Marktwirtschaft
überhaupt nichts mehr zu tun. Das wäre ein weiterer
Schritt in Richtung sozialistische Planwirtschaft.
({19})
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Linken:
Wollen Sie wirklich zurück zum System der DDR? Wollen Sie, dass der Ein-Parteien-Staat die Wirtschaft plant,
übrigens mit bekanntem Ausgang und Erfolg? Das kann
tatsächlich nicht Ihr Ernst sein.
Das ist es auch nicht; denn Sie vertrauen darauf, dass
wir Ihren Antrag ablehnen, und das werden wir auch tun.
({20})
Das Wort hat der Kollege Johannes Vogel für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Gute, das man über Ihren Antrag sagen kann, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ist
({0})
- in der Tat, lieber Kollege Kolb, er ist kurz -, dass er
ehrlich ist: Sie wollen die Zeitarbeit verbieten. Das
Schlechte, das man über Ihren Antrag sagen kann, ist:
Das ist nicht nur in der Sache falsch, sondern das ist
auch handwerklich unbefriedigend umgesetzt.
({1})
Das fängt damit an, dass Sie die Fakten in Ihrer
Begründung falsch darstellen. Sie sagen, jeder zwölfte
Zeitarbeiter müsse wegen der Lohnhöhe aufstocken,
deswegen, weil sein Lohn nicht zum Leben reicht. Dabei
ignorieren Sie ein weiteres Mal - wir haben das schon
sehr häufig diskutiert; das wissen Sie so gut wie wir -,
dass die meisten Menschen, die trotz Vollzeit in
Deutschland ergänzendes Hartz IV bekommen, dies deshalb bekommen, weil sie eine große Familie haben.
({2})
Wir können stolz darauf sein, dass wir als Gesellschaft
das solidarisch gewährleisten. Es liegt also nicht an der
Lohnhöhe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, an
einigen Stellen verstehe ich zudem nicht ganz, wie Sie
sich das vorstellen. Sie sagen, Sie wollen die Zeitarbeit
verbieten und alle Zeitarbeitnehmer, die gerade in einem
Entleihbetrieb im Einsatz sind, müssen von diesem fest
angestellt und übernommen werden. Selbst wenn man
die Zeitarbeit verbieten wollte: Was ist denn mit denjenigen, die gerade in einer Verleihpause sind? Die sind
Johannes Vogel ({3})
dann arbeitslos. Insofern könnte man sagen: Ihr Antrag
würde zu Arbeitslosigkeit per Gesetz führen. Ich glaube
nicht, dass Sie das wollen. Ich habe den Eindruck: Richtig durchdacht ist Ihr Antrag nicht.
Unabhängig von den Inkonsistenzen stört mich der
Antrag natürlich vor allem in der Sache. Ich verstehe
wirklich nicht - ich meine das ganz ernst -, wie Sie nicht
sehen können, dass die Zeitarbeit eine Branche ist, die
- das wurde von meinem Kollegen Kolb eben schon gesagt - Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht.
({4})
Man muss es noch einmal betonen - denn ich verstehe
nicht, wie Sie an diesem Fakt vorbeigehen können -:
Zwei Drittel der Zeitarbeiter kommen aus der Beschäftigungslosigkeit, und 40 Prozent derjenigen, die in der
Zeitarbeitsbranche arbeiten, haben keine berufliche Qualifikation. Sie hätten es am Arbeitsmarkt ansonsten
enorm schwer. Für sie ist die Zeitarbeit eine enorme Einstiegschance. Das sollten wir in Deutschland nicht zerstören.
({5})
Man muss auch sagen: Das deutsche Arbeitgebermodell, das wir erhalten wollen und das Sie von der versammelten Opposition nicht mehr wollen - auch diejenigen nicht, die die Zeitarbeit erhalten wollen -, sorgt eben
dafür, dass Zeitarbeit eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist. Frau Kollegin MüllerGemmeke, Sie wollen das immer abschaffen. Ich frage
mich: Warum sehen Sie nicht, dass der Unterschied zum
Beispiel zwischen dem Modell in Frankreich und unserem Modell ist: Wenn in Frankreich ein Zeitarbeiter
krank wird, dann verliert er seine Stelle. In Deutschland
erhält er Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
({6})
Das ist doch etwas Gutes, und das sollten wir erhalten.
Deshalb verstehe ich nicht, wie Sie gegen das deutsche
Arbeitgebermodell der Zeitarbeit so zu Felde ziehen
können.
Es ist richtig: Wir müssen Missbrauch verhindern.
Deshalb ist es gut, dass diese Koalition den Weg zu einer
Lohnuntergrenze, die von den betroffenen Tarifpartnern
in der Zeitarbeit ausgehandelt wurde, freigemacht hat,
und es ist auch gut, dass wir den Weg hin zu Equal Pay
nach klug bemessener, ausreichend langer Frist gehen
wollen. Die Tarifpartner sind gerade dabei.
Liebe Frau Kollegin Müller-Gemmeke, ich habe nicht
verstanden, wie Sie danach rufen können, dass die Politik das übernehmen soll. Das ist ein weiteres Beispiel,
bei dem ich mich frage, ob es nicht eine etwas seltsame
Situation ist - darüber sollten Sie nachdenken -, wenn
wir von der Regierungskoalition die Gewerkschaften
und die Tarifpartner vor Ihnen und Ihrem politischen
Handeln beschützen müssen. Ich glaube, das ist eigentlich nicht in Ihrem Sinne, aber in der Diskussion über die
Zeitarbeit vertreten Sie diese Position immer wieder. Ich
habe dafür kein Verständnis.
Die Tarifpartner sollen den Bereich Equal Pay regeln.
Sie können besser entscheiden, was die beste Lösung für
die Menschen ist. Deshalb muss das von ihnen vereinbart werden. Es ist gut, dass sie sich auf diesen Weg gemacht haben und dass wir das politisch angeschoben haben.
Man kann also zusammenfassend sagen -
Kollege Vogel, das mit der Zusammenfassung klappt
jetzt nicht mehr.
Gut. Man kann in einem Satz, Frau Präsidentin,
Der auch einen Punkt hat.
- zusammenfassend und etwas zugespitzt sagen:
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Leiharbeit ist Zeitarbeit, und Zeitarbeit ist gut. - Das sollten
Sie sich einmal ins Stammbuch schreiben lassen.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8794 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Volker Beck ({0}), Tom Koenigs, Manuel
Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zur Situation von Roma in der Europäischen
Union und in den ({1}) EU-Beitrittskandidatenstaaten
- Drucksachen 17/5536, 17/7131 Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Dritten Reich wurden von Deutschland im Rahmen des HoVolker Beck ({0})
locaust in einem Völkermord an den Sinti und Roma in
Europa 500 000 Menschen ermordet. Wer „Nie wieder
Auschwitz“ sagt, der muss auch sagen: Nie wieder Diskriminierung von Sinti und Roma, und zwar in Deutschland und in Europa.
({1})
Die gesellschaftliche Situation von Sinti und Roma in
unserem Land und von Roma in den Mitgliedstaaten und
Beitrittsstaaten der Europäischen Union zeigt: In vielen
Staaten ist die Lage katastrophal. In Deutschland ist sie
dramatisch schlecht.
Was sagt die Bundesregierung in ihren Antworten auf
die Große Anfrage und eine Kleine Anfrage zur RomaStrategie der Bundesregierung? - Ich weiß nichts. Ich
will nichts wissen. Ich tue auch nichts.
Die von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und
Zukunft“ mitfinanzierte Bildungsstudie sagt über die Situation deutscher Sinti und Roma: Nicht einmal 20 Prozent haben eine berufliche Ausbildung. Fast die Hälfte
hat keinerlei Schulabschluss, und 13 Prozent der Kinder
besuchen nicht einmal eine Schule. 45 Prozent bekommen keine Unterstützung zum Beispiel bei Hausaufgaben. Dabei ist doch die Bildung der zentrale Schlüssel
für die Integration wenigstens der nachfolgenden Generationen der Sinti und Roma in Deutschland.
Was gibt die Bundesregierung zum Besten, nachdem
sie ursprünglich in ihrer Antwort auf die Anfrage völlige
Unwissenheit vorgeschützt hat? Ich zitiere:
Die Bundesregierung vermutet, dass die Einschätzungen der beiden
- von uns zitierten Studien, dass die Bildungsbeteiligung und Bildungserfolge von Sinti und Roma in Deutschland
unterdurchschnittlich sind, nicht ganz unbegründet
sind. Die Verbesserung der Bildungssituation von
Sinti und Roma in den genannten Bereichen fällt
- sofern überhaupt staatliche Aufgabe - überwiegend in die Zuständigkeit der Länder.
Dabei belässt sie es dann. Das „sofern überhaupt staatliche Aufgabe“ muss man sich auf der Zunge zergehen
lassen.
Wir werden unserer historischen Verantwortung und
der dramatischen Benachteiligung von Sinti und Roma
in unserem Land nicht gerecht. Wir haben dabei eine
große Verantwortung, zunächst einmal für die Menschen, die hier bei uns leben, aber auch dann, wenn wir
die massiven Menschenrechtsverletzungen, die die Bundesregierung in ihrer Antwort - zu Recht - konzediert,
in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union kritisieren. Wie können wir diese Kritik glaubwürdig vortragen und von diesen Ländern verlangen, die Entmietung von Roma-Familien in den Städten Osteuropas und
den Ausschluss von der Gesundheitsversorgung zu beenden und Maßnahmen zu ergreifen, damit Kinder von
Roma-Familien nicht per se in Sonderschulen landen, indem man durch frühkindliche Erziehung dafür sorgt,
dass sie die Sprache des Umgebungsvolkes erlernen, damit sie eine Chance haben, in den Schulen Erfolge zu erzielen, wenn wir selber die Hände in den Schoß legen?
Bei allen Maßnahmen, zu denen wir uns in der Europäischen Union verpflichtet haben, haben wir Argumente:
Für die Gesundheitsversorgung gibt es bei uns die Krankenkassen. Für die Bildung sind die Länder und die
Schulen zuständig. Was Integration angeht, kümmern
wir uns nicht um spezifische Gruppen.
({2})
- Wie können Sie sagen: „Das ist so“? Wir verlangen
von anderen Ländern, dass sie sich der spezifischen Problematik dieser Minderheiten annehmen, und prangern
das Problem des Antiziganismus an, das keine osteuropäische Besonderheit ist, sondern, genauso wie der Antisemitismus, auch in unserem Land vorhanden ist. Wir
fordern, dass sie etwas tun. Dabei sind wir selber keinen
Deut besser.
({3})
Meine Damen und Herren, unsere historische Verantwortung gebietet, dass wir hier etwas tun.
Wir müssen auch bei den ausländerrechtlichen und
aufenthaltsrechtlichen Fragen etwas tun. Wenn man
sieht, dass die Kinder von Roma-Familien im Kosovo
nicht eingeschult werden, dass die Wohnungssituation in
vielen Regionen des Kosovo für Roma-Familien nicht
geregelt ist, dass es dort eine dramatische Benachteiligung vonseiten des Staates und der Gesellschaft gibt und
dass viele dieser Roma-Familien seit Jahren hier leben
und viele Kinder hier geboren sind, finde ich: Wir müssen mit der Abschiebung Schluss machen. Wir müssen
uns um die Integration kümmern und diesen Menschen
eine Chance geben.
({4})
Ganz zum Schluss: Es gibt in meinem Wahlkreis unweit meiner Wohnung ein wunderbares Projekt.
Kollege Beck, versuchen Sie, es ganz kurz zu machen. Ich weiß, die Redezeit ist ungerecht.
Dieses Projekt nennt sich Amaro Kher, Unser Haus.
Dort werden Kinder aus Roma-Familien, die keinen
Aufenthaltsstatus haben, beschult. Der Erfolg ist sagenhaft. Diese Kinder merken erstmals, dass sich Bildung
lohnt, dass es Spaß macht, etwas zu lernen, und dass sie
eine Chance bekommen.
Viele erfolgversprechende Bildungskarrieren werden
aber wieder abgebrochen, weil die Familie von Abschiebung bedroht ist. Die Kinder sind durch die Situation in
der Familie traumatisiert und kommen dann nicht zur
Schule, oder sie werden durch das Umziehen von einem
Volker Beck ({0})
Asylbewerberheim zum nächsten herumgeschubst und
am Schulbesuch behindert.
Kollege Beck.
Damit müssen wir Schluss machen.
({0})
- Herr Kollege, wir haben in Nordrhein-Westfalen dafür
gesorgt, dass durch ein sehr differenziertes Verfahren die
Abschiebung der Roma dort faktisch beendet wird.
({1})
- Sagen Sie einmal, wie viele wo abgeschoben werden.
Kollege Beck, diese Debatte müssen Sie jetzt bitte auf
die Ausschussberatungen verschieben.
Ich fordere uns alle auf, in diesem Zusammenhang
keine Parteipolitik zu machen,
({0})
sondern sich unserer historischen Verantwortung bewusst zu werden. Wir machen hier keine Parteipolitik.
({1})
Mir geht es um die Situation der Menschen. Sie sollten
sich dieses Problems annehmen. Die Antwort der Bundesregierung zeigt,
Kollege Beck.
- dass Sie da noch viel zu tun haben.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, es steht
außer Zweifel, dass wir uns hier mit einem sehr wichtigen Thema beschäftigen und dass wir dieses Thema
auch differenziert betrachten müssen. Ich bitte Sie trotzdem, mich nicht dazu zu zwingen, diesem Thema und
der entsprechenden Behandlung durch Intervention bei
erheblichem Überschreiten der Redezeit zu schaden.
Lassen Sie uns das jetzt also bitte miteinander so debattieren, dass wir dann auch in die Ausschussberatungen
gehen können, ohne dort Verletzungen aufarbeiten zu
müssen.
({0})
Nun hat der Kollege Peter Beyer aus der Unionsfraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab: Ich
glaube, ich unterschreite meine hier angezeigte Redezeit
von zwölf Minuten bei weitem.
Auch heute ist die Diskriminierung von Minderheiten
in Europa immer noch anzutreffen. Dies ist ein zutiefst
beklagenswerter Zustand, an dessen Überwindung wir
alle - die Regierungen, die Nichtregierungsorganisationen und auch alle Teile der Zivilgesellschaft - arbeiten
müssen.
Besonders auffällig ist die Diskriminierung der Roma.
So sind Roma oftmals überproportional von Armut und
sozialer Ausgrenzung betroffen. Die Gründe dafür liegen
meistens in tief verwurzelten Vorurteilen, welchen sich
die Roma schon seit sehr, sehr langer Zeit leider immer
noch ausgesetzt sehen. Insbesondere in einigen osteuropäischen Staaten geht die soziale Ausgrenzung oftmals
mit einer räumlichen Ausgrenzung einher. In isolierten
Siedlungen leben die Menschen meistens unter unwürdigen Bedingungen mit einer unzureichenden medizinischen Versorgung.
Leider ist es daher wenig überraschend, dass viele
Roma nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten besitzen,
sich weiterzubilden bzw. ihren Kindern den so wichtigen
Zugang zur Schulbildung zu ermöglichen. Daraus ergibt
sich wiederum die schlechte Ausgangslage für die spätere berufliche Entwicklung. Somit setzt sich die Armut
vieler Roma über Generationen fort. Prekäre Lebensverhältnisse bleiben bestehen. Ein Ausstieg aus diesem Armutskreis durch berufliche Weiterentwicklung ist nur
sehr schwer erreichbar.
Ebenfalls versuchen rechtsextreme Parteien - das ist
besonders beklagenswert -, die Roma zu stigmatisieren
und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Selbst vor gewaltsamen Aktionen gegen Angehörige der Roma wird dabei
nicht zurückgeschreckt.
Dies ist ein untragbarer Zustand, der entschiedene
Gegenmaßnahmen erfordert. Schließlich ist es eine besondere europäische Verantwortung, jedem Menschen,
unabhängig von Ethnie, Religionszugehörigkeit oder
auch Herkunft, Sicherheit und Entwicklungschancen zu
gewähren.
Ich hatte erst kürzlich Gelegenheit, mich mit Vertretern der Roma aus Ungarn hier im Deutschen Bundestag
persönlich auszutauschen. Meine Gesprächspartner lobten die Anstrengungen, welche durch den EU-Rahmen
für nationale Strategien zur Integration der Roma bis
2020 unternommen werden. Dieser wurde 2011 von der
damaligen ungarischen Ratspräsidentschaft initiiert und
wird weiterhin mit Nachdruck vorangetrieben. Wichtig
war es den Roma-Vertretern, darauf hinzuweisen, dass
diese Anstrengungen nicht nachlassen, um mittelfristig
die soziale Integration ihrer Volksgruppe in die jeweiligen Mehrheitsgesellschaften zu erreichen.
Die Bundesregierung hat die Wichtigkeit der Integration von Roma seit langem erkannt. Daher engagiert sie
sich für die Verbesserung der Situation dieser Menschen
im Rahmen der europäischen Institutionen sowie bilatePeter Beyer
ral in Zusammenarbeit mit Partnerregierungen, Nichtregierungsorganisation und Menschenrechtsgruppierungen. Im Rahmen der Europäischen Union haben sich seit
dem Jahre 2007 der Europäische Rat, der Rat der Europäischen Union, das Europäische Parlament sowie die
Europäische Kommission bereits verstärkt mit der Integration der Roma befasst. Besonders die Leitinitiative
Europäische Plattform gegen Armut, die Bestandteil der
2010 verabschiedeten Strategie Europa 2020 ist, setzt
dabei richtige Signale.
Der bereits erwähnte EU-Rahmen bietet den Mitgliedstaaten wertvolle Hilfestellung auf einer breiten europäischen Basis. Dabei ist äußerst begrüßenswert, dass
diese Entscheidungen auf eine Berücksichtigung der Belange der Roma in allen relevanten Politikbereichen setzen. Beispielsweise wird dem Zugang zu Bildung - das
hatte der Kollege Beck schon erwähnt - besondere Bedeutung beigemessen. So ist es das erklärte Ziel, dass
Kinder aus Roma-Familien zumindest die Grundschule
erfolgreich abschließen.
Letztendlich kann nur ein umfassender und integrativer Ansatz in den zentralen wirtschaftlichen und sozialen Fragen eine fortlaufende Verbesserung der Situation
der Roma im Hinblick auf Chancengleichheit ermöglichen. In seiner Straßburger Erklärung vom 20. Oktober
2010 hat der Europarat ebenfalls grundlegende Weichen
für eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen der Roma gestellt. Der in diesem Rahmen verabschiedete Prioritätenkatalog bietet einen übergreifenden
Ansatz insbesondere in den Bereichen Nichtdiskriminierung und Staatsbürgerschaft, soziale Einbeziehung sowie
internationale Zusammenarbeit. Klar ist bei all dem, dass
sich die dauerhafte Verbesserung der Lebensbedingungen der Roma nur gesamteuropäisch erreichen lassen
kann.
Die Bundesregierung setzt daher den Schwerpunkt ihres Engagements bewusst und richtigerweise auf einen
multilateralen Ansatz. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass nur mittels gemeinsamer Anstrengung der
europäischen Länder, welche über die grundsätzlich nationale Verantwortlichkeit der Staaten für Minderheitenschutz hinausgeht, eine effektive Integrationsförderung
zugunsten der Roma gelingen kann. Ergänzend thematisiert die Bundesregierung im bilateralen Dialog mit den
europäischen Partnerländern die Situation der Roma und
anderer ethnischer Minderheiten. Ziel muss es sein, den
Roma bei der eigenständigen Verbesserung ihrer jeweiligen Lebensumstände zu helfen und sie vor jeglicher Diskriminierung zu schützen. Um dieses Ziel zu erreichen,
gilt es letztendlich, gegen Stereotype und Ressentiments
vorzugehen. Diese sind eine der Hauptursachen für die
schwierige Lage der Roma, wie sie heute leider noch besteht.
Wer einem Menschen mit Vorurteilen begegnet und
ihn deshalb kategorisch ablehnt oder ihm aufgrund seiner Herkunft negative Wesensmerkmale zuordnet, wird
diesem Menschen auch keine fairen Chancen einräumen.
Die Auseinandersetzung mit Vorurteilen erfordert kontinuierliche Anstrengungen und setzt Durchhaltevermögen voraus. Tiefverwurzelte Vorurteile lassen sich leider
- das wissen wir alle - nur sehr langsam beseitigen.
Wir müssen auch strukturelle Hindernisse überwinden, wenn wir den Roma Perspektiven für das berufliche
Weiterkommen aufzeigen möchten. Damit meine ich
insbesondere die Verbesserung der Bildungssituation,
die den Schlüssel für einen eigenständigen Aufstieg in
der Gesellschaft darstellt. Dass ein solcher eigenständiger Aufstieg gelingen kann, habe ich in meinem Wahlkreis erfahren. Ich habe dort Kontakt zu einer Roma-Familie, welche aus dem ehemaligen Jugoslawien zu uns
nach Deutschland gekommen ist. Diese Familie lebt bereits seit einigen Jahren hier bei uns in Deutschland und
hat alle Hürden, mit denen Einwanderer oftmals zu tun
haben, erfolgreich gemeistert. Mittlerweile hat es diese
Familie geschafft, sich erfolgreich mit einem kleinen Familienunternehmen in die Selbstständigkeit zu begeben.
Bei allen kritikwürdigen Umständen und noch zu
lösenden Problemen müssen wir auch die positiven Beispiele benennen, welche zeigen, dass es für jede Minderheit, auch für die Roma, möglich ist, ihre Lebenssituation in Europa und auch hier bei uns in Deutschland
eigenständig zu verbessern. Abschließend möchte ich
sagen, dass es unsere vorrangige Aufgabe dabei ist, für
einen entsprechenden Rahmen zu sorgen, in dem diese
Entwicklung möglich ist.
Ich danke Ihnen.
({0})
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika Graf
für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
20 Jahren hat man beschlossen, für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma ein Mahnmal im Berliner
Tiergarten zu errichten. Damit wurde erst vor drei Jahren
wirklich begonnen. Derzeit ist das Ganze noch eine Baugrube. Man streitet wieder einmal ums Geld. Entsprechende Meldungen standen vor einigen Tagen in den
Zeitungen.
Lassen Sie mich sagen, dass ich hoffe, dass wir es,
wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann angekündigt
hat, im nächsten Winter einweihen können. Ich denke, es
wäre ein wichtiges Zeichen dafür, dass wir die vielen ermordeten Sinti und Roma eben nicht vergessen wollen,
und es wäre auch ein Zeichen gegen Rassismus in unserer Gesellschaft.
({0})
Ich sage aber auch: Vonseiten der Bundesregierung muss
es dazu mehr geben als ein Faltblatt und eine Broschüre.
Die Errichtung dieses Mahnmals muss intensiv begleitet
werden.
Angelika Graf ({1})
Zur heutigen Debatte. Heute diskutieren wir eine
Große Anfrage der Grünen zur Situation der Roma in der
Europäischen Union und in den Staaten potenzieller EUBeitrittskandidaten. Ich erinnere mich sehr gut an die beeindruckende Rede von Zoni Weisz zum Gedenktag für
die Opfer des Nationalsozialismus im Jahr 2011.
({2})
Er hat eben nicht nur über die Vergangenheit gesprochen, sondern auch die heutige Lebenssituation von Sinti
und Roma in der EU und insbesondere in osteuropäischen Ländern als menschenunwürdig bezeichnet. Wir,
die SPD-Bundestagsfraktion, haben damals diese Rede
von Zoni Weisz aufgenommen und einen daran anknüpfenden Antrag verfasst. Leider wurde er von der Mehrheit dieses Hauses abgelehnt. Ich freue mich deshalb
sehr, dass die Grünen die Mahnung aus dieser Rede in
ihrer Großen Anfrage mit aktuellen Zahlen zu Vorgängen in ganz Europa unterfüttert haben. Freude empfinde
ich auch deshalb, weil sich auch die Bundesregierung
und die sie tragenden Parteien nochmals mit diesem
schwierigen Thema beschäftigen mussten.
Beim Lesen der Antworten der Bundesregierung wird
einem sehr klar: Der Umgang vieler EU-Staaten mit der
größten europäischen Minderheit ist sehr kritisch zu sehen. Ich nenne nur einige Beispiele:
Frankreich ist ganz offensichtlich nur knapp einem
Vertragsverletzungsverfahren wegen Verletzung der
Freizügigkeitsrichtlinie entgangen.
In Italien besuchen 75 Prozent der Roma-Kinder
keine Schule. Die Roma sind in Camps offensichtlich
sehr schlecht untergebracht. Dadurch verfestigt sich
- ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage - „die irrige Vorstellung von einer
nomadischen Lebensweise“ und der schlechten Integrierbarkeit der Roma. Hier versagt aus meiner Sicht,
wie auch in anderen Zusammenhängen, der italienische
Staat. Die Bemerkung sei erlaubt: Ein bisschen weniger
„Bunga, bunga!“ und ein bisschen mehr Anstrengungen
für die Integration von Menschen wären hier vielleicht
eine gute Sache gewesen.
({3})
In Tschechien stellte im Jahre 2009 eine neonazistische Partei ihre als wissenschaftlich deklarierte Schrift
„Die Endlösung der Zigeunerfrage in den böhmischen
Ländern“ ausgerechnet auf dem Gelände des ehemaligen
Roma-Lagers in Lety bei Pisek vor. Ich finde es sehr erfreulich, dass derzeit gegen diese Neonazis ermittelt
wird.
({4})
Tatsache ist aber auch, dass es solche Tendenzen überall
gibt.
Relativ finster wird es, wenn es um die Situation in
Ungarn, in Bulgarien und in Rumänien geht. Der Antiziganismus wird in beunruhigender Weise immer salonfähiger, und das trotz zahlreicher guter Initiativen, Interventionen und Programme der Europäischen Union. Was
den restlichen Balkan betrifft, weiß ich auch aus eigener
Anschauung, wie schwierig die Situation der Roma zum
Beispiel in Mazedonien ist. Wer einmal in einem solchen
Dorf war, in dem Roma leben, der weiß, wovon ich spreche. Ich habe dies schon in meiner letzten Rede zu diesem Thema sehr deutlich gemacht.
Es muss uns klar sein - da hoffe ich auf die Zustimmung des ganzen Hauses -: Die humanitären Mittel im
Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa dürfen im
kommenden Jahr nicht gekürzt werden. Ich möchte mich
ausdrücklich bei unserem ehemaligen Kollegen
Christian Schwarz-Schilling für seinen Einsatz für serbische Roma bedanken
({5})
und bin als Vorstandsmitglied der Organisation Help
stolz, dass auch wir über gute Projekte in Serbien den
Menschen helfen konnten. Dies ist umso wichtiger, als
das Einkommen von Roma in Serbien laut Antwort der
Bundesregierung um 48 Prozent niedriger liegt als das
der „normalen“ Serben. Wie soll ein Mensch vernünftig
und gesellschaftlich integriert leben können, wenn ihm
zusätzlich noch das Recht auf Bildung oder das Recht
auf Wasser verweigert wird?
Im Kosovo ist die Situation nach vielen Berichten,
unter anderem auch von der UNICEF, noch schlimmer
als in anderen Ländern des Balkans. Ich denke deshalb,
dass es richtig ist, Abschiebungen in dieses Gebiet auszusetzen und dabei insbesondere das Wohl der Kinder,
die oft bei uns in Deutschland geboren und sozialisiert
sind, im Auge zu haben.
({6})
Wie sieht es generell mit der Roma-Politik in
Deutschland aus? Ist es wirklich so, wie die Kolleginnen
und Kollegen aus den Regierungsfraktionen schon bei
der letzten Debatte behauptet haben, dass die Roma in
Deutschland sozusagen auf einer Insel der Glückseligen
leben und nichts verändert werden muss, dass wir also
keinen nationalen Aktionsplan brauchen? In Deutschland sind Sinti und Roma seit 600 Jahren beheimatet. In
den letzten Jahrzehnten sind allerdings viele Roma aus
den Staaten Südosteuropas zugewandert. Sie erleben
auch bei uns vielfältige Diskriminierung. Wird irgendwo
ein Fahrrad geklaut, dann war es im Zweifelsfall die
Roma-Familie aus der Parterrewohnung.
Diskriminierung lässt sich auch im Bildungsbereich
feststellen. Die Antwort der Bundesregierung zur Bildungsbeteiligung und zum Bildungserfolg von RomaKindern hat Volker Beck schon angesprochen. Die Einschätzung, dass die Erfolge unterdurchschnittlich seien,
sei, so steht es in der Antwort der Bundesregierung,
nicht unbegründet. Allerdings falle das in die Zuständigkeit der Länder.
Angelika Graf ({7})
Erkenntnisse zum Antiziganismus hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nicht. Es gibt auch keine
Lehrstühle, die sich schwerpunktmäßig mit Antiziganismus auseinandersetzen, wobei es im NGO- und halbstaatlichen Bereich eine Reihe von guten Berichten und
Ausarbeitungen dazu gibt. Ich frage mich, warum die
Bundesregierung diese Unterlagen nicht zum Anlass
nimmt, einen nationalen Aktionsplan für die in Deutschland lebenden Roma aufzulegen.
({8})
Der ständige Verweis der Bundesregierung auf die
Verantwortung der Länder, der sich durch die ganze Antwort zieht, macht es übrigens nicht wirklich besser. In
nahezu jeder Antwort, die zu den Lebensumständen der
Roma in Deutschland gegeben wurde, berichtet die Bundesregierung zudem, es bestünden wegen des zu Recht
fehlenden statistischen Kriteriums der ethnischen Zugehörigkeit keine aussagekräftigen „Erkenntnisse über
Wohnraumprobleme sowie die soziale und medizinische
Versorgung.“ Wäre es denn nicht klüger, auf offenkundige Tatsachen zu reagieren, als den Eindruck zu erwecken, man benutze das Fehlen statistischer Erkenntnisse
als Ausrede?
Ich nehme daher die Anfrage der Grünen zum Anlass,
nochmals an die Bundesregierung zu appellieren: Entwickeln Sie gemeinsam mit den Roma-Verbänden und
dem Zentralrat Lösungen. Legen Sie einen Aktionsplan
auf. Holen Sie die Bundesländer und die Gemeinden ins
Boot. Stoppen Sie die Abschiebungspläne, und setzen
Sie sich für eine humanere Lösung ein.
({9})
Nehmen Sie Ihre Verantwortung innerhalb Europas
wahr. Das würde insbesondere vor dem Hintergrund unserer Geschichte sicher gut sein.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Pascal Kober
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
10 bis 12 Millionen Roma leben derzeit in den Staaten
Europas als deren Staatsbürger. In Deutschland gibt es
etwa 70 000 Roma mit deutschem Pass; hinzu kommt
noch eine unbekannte Zahl von Roma, die unter uns leben. Um diese Menschen zu fördern, setzt diese Koalition auf politische Maßnahmen im Rahmen ihrer breiter
angelegten Integrationspolitik. Dabei liegt der Fokus auf
dem Zugang zu Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsversorgung und Wohnraum. Das stellt eine auf die konkreten Probleme dieser Menschen ausgerichtete Politik
dar.
({0})
Festhalten möchte ich jedoch, dass die allermeisten
Roma, die in Deutschland leben, sehr gut integriert sind
und auch keine nationale Roma-Strategie benötigen oder
fordern. Wir befürchten vielmehr, dass eine solche Strategie, die ausschließlich auf die Roma ausgerichtet wäre,
unter Umständen sogar zu deren Diskriminierung beitragen und damit das Gegenteil von dem bewirken könnte,
was wir uns erhoffen.
({1})
Jedoch sind sich alle Organisationen von der EU über
die OSZE bis zum Europarat darin einig, dass Roma in
vielen Ländern Europas mit erheblichen Problemen zu
kämpfen haben. Vor allem ihre wirtschaftlichen, sozialen
und kulturellen Menschenrechte werden häufig nicht
hinreichend gewährleistet; häufig sind sie von Armut betroffen, und ihre Lebenserwartung liegt deutlich unter
dem Durchschnitt.
Ich möchte außerdem auf die besondere Problematik
hinweisen, dass Roma aus dieser Armut und Perspektivlosigkeit heraus überdurchschnittlich häufig Opfer von
Menschenhandel werden. Dieses Problem anzugehen, ist
uns als FDP-Fraktion, uns als Regierungskoalition besonders wichtig.
Die Diskriminierungen, denen Roma ausgesetzt werden, nehmen ein sehr unterschiedliches Maß an. Hier
muss man eine regionale Differenzierung vornehmen.
Vor allem in südosteuropäischen Ländern sind seit dem
Fall des Eisernen Vorhangs neue und sehr komplexe
Problemlagen entstanden. Während der vergangenen
20 Jahre hat dort der Zusammenhang von Armut und
ethnischer Zugehörigkeit stark zugenommen. Hiervon
sind die Roma in besonderem Maße betroffen.
Die bisher aufgelegten Regierungsprogramme, so sie
denn existieren, bringen häufig nicht den erhofften Erfolg; Diskriminierung und Segregation nehmen zu.
Diese schleichende gesellschaftliche Desintegration beginnt häufig schon in der Schule, wo immer mehr RomaKinder getrennt unterrichtet werden. In Tschechien beispielsweise werden besonders viele Roma-Kinder in
Schulen für Kinder mit Lernbehinderungen oder in reinen Roma-Klassen unterrichtet. Dort ist nicht nur der
Bildungsstandard geringer als an den regulären Schulen,
womit den Kindern der spätere Einstieg in den Arbeitsmarkt erschwert wird; die Folge davon ist auch, dass
diesen Kindern zwischenmenschliche Bindungen und
Freundschaften mit Kindern der Mehrheitsgesellschaft
fehlen. Diese Segregation fördert solches Schubladendenken und lässt überhaupt erst die Idee des Anderen
manifest werden.
Eine traurige Konsequenz aus den so entstandenen
Grenzen in den Köpfen der Menschen verdeutlicht die
Entwicklung in einer ostslowakischen Stadt. Dort hat die
Stadtverwaltung im September 2010 eine hohe Mauer in
der Nähe einer Roma-Siedlung errichten lassen. Sie
sperrt eine Straße ab und verhindert, dass die Roma auf
ihrem Weg in das Stadtzentrum ein anliegendes Wohnviertel durchqueren, welches hauptsächlich von NichtRoma bewohnt wird.
({2})
Diese Absperrung verlängert den Weg ins Stadtzentrum
für die Roma um rund eine halbe Stunde und ist ein Zeichen von Segregation, wie es ausgrenzender und diskriminierender kaum sein könnte. Ähnliche Mauern und
Zäune sollen auch in weiteren Gemeinden errichtet worden sein.
Solchen Betonmauern gehen meist mentale Mauern
voraus, deren Fundamente tiefverwurzelt sind und die es
abzubauen gilt.
Nicht zu vergessen ist die menschenverachtende
Hetze rechtsextremer Gruppen, deren Gedankengut in
die Gesellschaft eindringt. Ihre Ausläufer zeigen sich in
der täglichen Diskriminierung, denen Roma ausgesetzt
sind, sei es in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt oder bei
den Behörden.
Darum begrüße ich es, dass die Bundesregierung auf
diesem Feld besonders aktiv ist und sich europaweit für
die Rechte der Roma einsetzt.
({3})
Dass sie dabei in erster Linie einen multilateralen Ansatz
verfolgt, leuchtet angesichts des umrissenen Problems
ein. Denn die Integration der Roma in einem Europa
ohne Binnengrenzen kann nur gemeinsam gelingen, indem jeder Staat seinen Verpflichtungen nachkommt.
Neben den multilateralen Maßnahmen steht diese
Bundesregierung natürlich auch im bilateralen Dialog
mit unseren europäischen Nachbarn und bringt dabei die
Roma durchaus zur Sprache. Sie hat beispielsweise die
bulgarische und rumänische Regierung in ihrer Politik
für die Roma unterstützt, indem sie den Kontakt zu
Hilfsorganisationen, einzelnen Vereinen und Verbänden
sowie zuständigen Regierungsstellen gefördert hat. Als
im April 2011 mehrere rechtsextremistische Gruppierungen in einem ungarischen Dorf die Roma-Bevölkerung
über mehrere Wochen terrorisierten, hat die Bundesregierung nicht geschwiegen und die ungarische Regierung eindringlich ermahnt, dagegen vorzugehen. Darüber hinaus steht die deutsche Botschaft in Budapest in
regelmäßigem Kontakt mit Vertretern der ungarischen
Zivilgesellschaft, organisiert Veranstaltungen und unterstützt den Austausch mit deutschen Roma.
Außerdem fördert die Bundesregierung in mehreren
Staaten des westlichen Balkans zahlreiche Projekte, die
der Verbesserung der Situation der Roma dienen. Dazu
gehören beispielsweise Hilfsmaßnahmen bei Existenzgründungen, Unterstützung bei der Schaffung von
Wohnraum und Mediationsmaßnahmen bei Konflikten
zwischen ethnischen Gruppen. Das Bundesministerium
des Innern und das Auswärtige Amt haben dafür in den
Jahren 2008 bis 2011 ungefähr 3,66 Millionen Euro ausgegeben. Auch zukünftig soll der bisherige Mittelumfang aufrechterhalten werden.
Schließlich setzt sich die Bundesregierung dafür ein,
dass bei der Bewertung der EU-Beitrittskandidaten der
vollständigen rechtlichen Gleichstellung und der gleichberechtigten Teilhabe von Minderheiten wie den Roma
gebührende Aufmerksamkeit gewidmet wird. Ich begrüße ausdrücklich, dass dabei nicht nur die formale Gesetzgebung bewertet, sondern auch auf Indikatoren wert
gelegt wird, die über die Entwicklung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Teilhabe der Roma Auskunft geben.
Ich denke, ich habe klargemacht, dass diese Bundesregierung, lieber Herr Kollege Beck, ihrer Verantwortung für die Roma in Gesamteuropa auf vielfältige Weise
nachkommt.
({4})
In diesem Sinne werden wir uns weiter für eine Gesellschaft einsetzen, in der niemandem sein Platz verwehrt
wird.
Vielen Dank.
({5})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Andrej Hunko das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
sehr begrüßenswert, dass wir diese wichtige Debatte
führen. Ich möchte ausdrücklich den Grünen für ihre
Große Anfrage und die Entschließungsanträge danken,
die wir heute behandeln. Auch wenn ich es bedauere,
dass wir hier am Freitagnachmittag nur mit geringer
Aufmerksamkeit diskutieren,
({0})
ist es wichtig, dass wir das diskutieren; denn die Lage
der Roma in der Europäischen Union ist in der Tat dramatisch.
Es sind bereits viele Beispiele genannt worden. Ich
möchte noch an das Lager in Turin in Italien erinnern,
das vor einigen Wochen von einem Mob in Brand gesteckt wurde. Ich möchte - das ist noch nicht angesprochen worden - auch an die unerträgliche Kampagne von
Sarkozy vor anderthalb Jahren gegen die Roma in Frankreich erinnern. Das sind Sachen, die nicht passieren dürfen. Das wollen wir in Europa nicht.
({1})
Aber auch die Situation der Roma in Deutschland ist
bedrohlich. Allein durch das sogenannte Rückführungsabkommen mit dem Kosovo sind an die Zehntausend
Roma in Deutschland von der Abschiebung bedroht. Die
Abschiebungen finden auch statt. Auch wenn die Bundesregierung argumentiert: „Wir schieben gar keine
Roma ab; wir schieben kosovarische Staatsbürger ab“,
so sind es doch mit überwältigender Mehrheit Roma, die
von diesem Abschiebeabkommen betroffen sind. Wir
lehnen diese Abschiebeabkommen ganz klar ab.
({2})
Ich möchte ein Beispiel aus meiner Heimatstadt
Aachen bringen. Dort wurde am Nikolaustag 2011 die
19-jährige Roma-Schülerin Sadbera R. frühmorgens
nicht vom Nikolaus, sondern von der Polizei aus dem
Schlaf gerissen. Sie wurde am gleichen Tag nach Sarajevo abgeschoben. Sie war gut integriert. Sie war Schülerin. Ihre Familie ist auseinandergerissen worden. Diese
Abschiebung, Herr Beck, hat in Nordrhein-Westfalen
unter einer SPD-Grünen-Regierung stattgefunden.
({3})
Auch das darf nicht sein. Deswegen fordern wir einen
Abschiebestopp auch in Nordrhein-Westfalen.
({4})
Ich will auch an den Fall Borka T. erinnern, der 49-jährigen Roma-Frau aus Mayen bei Koblenz. Sie wurde am
7. Dezember 2010 - ähnlich wie bei dem Fall in Aachen morgens zusammen mit ihrer Familie aus dem Bett gerissen und wurde noch am gleichen Tag abgeschoben.
Wenige Wochen später ist diese Roma-Frau im Kosovo
an einer Gehirnblutung verstorben. Viele Sachverständige, die sich im Nachhinein damit befasst haben, haben
gesagt: Das ist durch die Abschiebung passiert. Mit einer
fachärztlichen Betreuung, wie sie in Deutschland gegeben war, wäre das nicht passiert. - Wir halten das für unerträglich. So etwas darf in einem zivilisierten Land wie
Deutschland nicht passieren.
({5})
Zu den Anträgen der Grünen. Es ist begrüßenswert,
dass ein Abschiebestopp gefordert wird. Setzen Sie das
aber bitte schön auch in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen um. Kürzlich war eine Delegation der
Landesregierung Baden-Württemberg im Kosovo. Im
Nachhinein haben Sie die Situation dort schöngeredet
und haben gesagt: „Es ist alles okay, wir können weiter
abschieben.“ - Bitte nutzen Sie Ihren Einfluss auf die Landesregierungen in Baden-Württemberg und NordrheinWestfalen, um einen völligen Abschiebestopp durchzusetzen.
({6})
Die Linke fordert - ich komme zum Schluss, Frau
Präsidentin - ein vollständiges Bleiberecht und Aufenthaltsrecht aller Roma in Deutschland.
({7})
Wir fordern das nicht nur aufgrund der humanitären Verantwortung, sondern auch aufgrund der historischen Verantwortung. 500 000 Sinti und Roma sind unter dem Naziregime ermordet worden.
({8})
Wir fordern vor allen Dingen auch eine Aussetzung dieses unerträglichen Rückführungsabkommens mit der Republik Kosovo. Bitte stoppen Sie dieses Abkommen.
Vielen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entschließungsantrag auf Drucksache 17/8868 zur federführenden
Beratung an den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe und zur Mitberatung an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für
Gesundheit und an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu überweisen.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Der Entschließungsantrag auf Drucksache 17/8869
soll überwiesen werden zur federführenden Beratung an
den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe und an den Ausschuss für
die Angelegenheiten der Europäischen Union. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 21. März 2012, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute, nicht nur für das Wochenende.