Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 164. Sitzung und
rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Mit Blick auf das angekündigte Thema gibt es eine
Vereinbarung, dass die Regierungsbefragung insgesamt
45 Minuten dauern soll. Das machen wir nach vorne wie
nach hinten ein bisschen davon abhängig, wie groß der
Nachfragebedarf tatsächlich ist.
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Reform der Wirtschafts- und
Währungsunion.
Zu einleitenden je fünfminütigen Berichten erhalten
zunächst der Bundesminister des Auswärtigen, der Kollege Guido Westerwelle, und anschließend der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Steffen Kampeter, das Wort.
Bitte schön, Herr Minister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben heute im Kabinett die Vorbereitungen dafür getroffen, dass der Deutsche Bundestag den Fiskalvertrag
beraten und ratifizieren kann. Das Vertragswerk, das da
unterzeichnet worden ist, ist sehr bedeutend. Mit diesem
Vertrag wird ein neues Kapitel, auch in der europäischen
Integrationsgeschichte, aufgeschlagen. Die deutsche
Politik, die vom Bundestag mit großer Mehrheit getragen wird, hat zwei Säulen: erstens die Säule der Solidarität - wir haben hier oft über die Pakete der Solidarität
beraten -, zweitens die Säule der Solidität. Das heißt, es
geht darum, dass wir nicht wieder in eine solche Krise
kommen, und auch darum, dass wir strukturell aus der
Krise herauskommen.
Es gibt das berühmte Wort von den Chancen der
Krise. Diese Chance der Krise wird heute genutzt, indem
wir unsere Währung schützen und den Ländern, die in
Schwierigkeiten geraten sind, Solidarität gewähren, und
indem wir gleichzeitig auch die Grundlage dafür legen,
dass Haushaltsdisziplin nicht nur eingehalten wird, sondern Verstöße gegen diese auch sanktioniert werden. Das
heißt, dass wir zu einer Stabilitätskultur zurückkehren,
wie sie ursprünglich im Vertrag von Maastricht angelegt
gewesen ist, die aber, wie wir wissen, in der Praxis, übrigens auch durch deutsches Zutun in den Jahren 2004 und
2005, aufgeweicht wurde.
Wir halten es für erforderlich, dass die Schuldenbremse, die wir in Deutschland haben, auch in den anderen europäischen Verfassungen verankert wird. Als man
vor wenigen Monaten hier diskutiert hat, ob es uns in so
kurzer Zeit gelingen könnte, einen völkerrechtlichen
Vertrag zustande zu bringen, hat man es kaum für möglich gehalten. Heute sehen wir, dass es geht. Wir haben
es geschafft, dass in Europa, bis auf zwei Ausnahmen,
alle dieses Vertragswerk unterzeichnet haben. Wir nehmen also unsere Verantwortung für Europa und für unsere gemeinsame Währung auch wahr.
Es geht im Fiskalvertrag darum, dass die Schuldenbremse verankert wird und dass Sanktionen verankert
werden. Dies bedeutet, dass künftig bei Verstößen Sanktionen quasi automatisch greifen. Das ist auch ein wichtiges Anliegen des Deutschen Bundestages gewesen, das
in mehreren Entschließungsanträgen zum Ausdruck gebracht worden ist. Das heißt: Künftig wird der Verstoß
gegen die gemeinsam verabredete Stabilitätspolitik automatisch sanktioniert. Der Spielraum für politische Opportunitäten wird erheblich zurückgeschraubt. Wer künftig die Sanktionen in einem konkreten Fall vermeiden
möchte, muss dafür eine qualifizierte Mehrheit organisieren. Es muss eben nicht, wie bisher, eine qualifizierte
Mehrheit für das Beschließen von Sanktionen organisiert
werden. Diese umgekehrte qualifizierte Mehrheit stärkt
die Stabilitätspolitik erheblich. Wir gehen damit den
Weg in Richtung Stabilitätsunion; damit bringen wir
auch eine Fortentwicklung der politischen Union auf den
Weg.
Wir bitten den Deutschen Bundestag, das mit Zweidrittelmehrheit - denn das ist die notwendige Mehrheit zu beschließen. Nach den Reden, die hier im Deutschen
Bundestag von allen Seiten des Hauses gehalten worden
sind, und nach dem, was unterschiedliche Fraktionen in
Entschließungsanträgen eingebracht haben und was zum
Teil auch beschlossen worden ist, ist die Bundesregierung optimistisch und zuversichtlich, dass im Deutschen
Bundestag und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit
auch für diesen wichtigen Fiskalvertrag zustande
kommt.
Es geht darum, dass wir die Verantwortung für Europa und für unsere Währung wahrnehmen. Deswegen
bitten wir um Verständnis dafür, dass die Bundesregierung keinen parteipolitischen Kuhhandel betreiben wird.
Wir sind vielmehr der Überzeugung, dass jetzt die
Stunde der Entscheidung im Hohen Hause gekommen
ist. Ich gehe davon aus, dass der Deutsche Bundestag in
bewährter europapolitischer Ausrichtung seine Verantwortung wahrnimmt. Wir bitten also alle Fraktionen des
Deutschen Bundestages, sich diesem historischen Vertragswerk anzuschließen.
Es ist ein großer Erfolg deutscher Politik, der in Europa durchgesetzt werden konnte. Vor wenigen Monaten
ist das, auch hier im Deutschen Bundestag, von einigen
Kräften noch für unerreichbar gehalten worden. Wir haben es geschafft; es ist möglich geworden. Europa geht
den Weg in Richtung Stabilitätsunion. Dafür ist der Fiskalvertrag eine entscheidende Säule, ein entscheidender
Abschnitt. Ein neues Integrationskapitel in der europäischen Geschichte wird aufgeschlagen. Wir bitten deshalb den Deutschen Bundestag im Rahmen der ordentlichen parlamentarischen Beratungen um Zustimmung.
Des Weiteren geht es noch um die Fragen im Zusammenhang mit dem ESM. All das wird dem Deutschen
Bundestag auch noch ordnungsgemäß zugeleitet. Heute
aber geht es um den Fiskalvertrag sowie um die Frage
nach der Änderung des Art. 136 AEUV, die ich nur am
Rande erwähnen möchte; das ist den Anwesenden aber
ohnehin bekannt.
Wir bitten um Zustimmung zu diesem wichtigen Vertragswerk, das wir jetzt national ratifizieren sollten.
Vielen Dank.
Dann darf ich den Parlamentarischen Staatssekretär
Steffen Kampeter um den ergänzenden Bericht bitten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit der Ratifikation des Fiskalpakts bitten wir
den Deutschen Bundestag und den Bundesrat um die
Rückkehr zu einer regelgebundenen Finanzpolitik. Die
regelgebundene Finanzpolitik war eines der Gründungsgeschenke, die die Bundesrepublik Deutschland bei dem
Vertrag über die Einführung einer gemeinsamen Währung mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt gemacht
hat.
Leider hat uns dieses Thema in den vergangenen Jahren nicht so sehr umgetrieben. Deswegen ist es uns ein
Anliegen, die Finanzpolitik mit dem Fiskalpakt wieder
in ein Regelsystem zu packen, das vertrauensbildend ist
und deutlich macht, dass auch zukünftige Mehrheiten,
Parlamente und Regierungen an der Arbeit für die Stabilität dieser Währung nicht nachlassen dürfen. Deswegen
ist es finanzpolitisch wichtig, dass zwei Signale von dieser Ratifikation ausgehen:
Erstens. Konsolidierung ist einer der Markenkerne
europäischer Politik.
Zweitens. Zur Konsolidierungskomponente gehört
die Rückkehr zur Wachstumsorientierung in der europäischen Politik.
Konsolidierung und Wachstumsorientierung sind
zwei Seiten ein und derselben Medaille, nämlich für eine
nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung innerhalb Europas zu sorgen.
Die Zeichnung des Fiskalpaktes durch 25 der 27 europäischen Mitgliedsländer zeigt, dass die Abkehr von der
Fehlentwicklung eines schuldenfinanzierten Wachstums
weit über die Euro-Zone hinaus hohe Attraktivität besitzt. Die beiden Staaten, die den Pakt zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht unterstützen, sagen nicht, dass
sie nicht an die wachstumsfördernde Kraft stabiler Haushalte glauben, sondern führen andere politische Argumente an. Das heißt, in Europa hat sich die Wahrnehmung von Fiskalpolitik gewandelt.
Ich werbe dafür, dass man den Fiskalpakt im Rahmen
eines integrierten Gesamtkonzepts für mehr Vertrauen in
die europäische Wirtschafts- und Währungszukunft versteht.
Ein Moment ist die Frage der nationalen Verantwortung. Alle Staaten und alle nationalen Parlamente in Europa sind mit dem Fiskalpakt aufgefordert, ihre Haushalte durch nationale Schuldenbremsen in Ordnung zu
halten bzw. sie dort, wo sie es nicht sind, in Ordnung zu
bringen.
Das zweite Moment dieser integrierten Gesamtstrategie ist die Veränderung der europäischen Entscheidungsprozesse. Auch Europa muss sich verpflichtet fühlen,
diese Vertrauensstrategie durch die umgekehrt qualifizierte Mehrheit zu unterstützen.
Während es bei den ersten beiden Momenten um Stabilität und Vertrauen geht, ist lediglich das dritte Moment ein Solidaritätsmoment; es ergänzt die beiden anderen Momente zu einem Gesamtkonzept.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Fiskalpakt macht deutlich, dass es der Bundesregierung im
Kern darum geht, die qualitativen Komponenten von
Konsolidierungsstärkung und Wachstumsförderung in
den Vordergrund zu stellen. Es geht nicht um diese oder
jene Zahl, nicht darum, wie hoch eine angebliche
Firewall oder Mauer ist, sondern darum, dass wir strukturell kurz-, mittel- und langfristige Strategien haben,
wie die Haushalte innerhalb der Euro-Zone und im Bereich der europäischen Integration insgesamt tragfähig
sein können. Nur wenn es uns gelingt, diese Qualitätskomponente auch in den Herzen der europäischen Entscheidungsträger zu verankern, dann wird der Euro auf
Dauer die Stabilität haben und die europäische IntegraParl. Staatssekretär Steffen Kampeter
tion auch in der Finanzpolitik die Erfolgsgeschichte sein,
die wir uns wünschen.
Wir laden nicht nur die Koalitionsfraktionen ein, dazu
beizutragen, sondern wünschen uns eine breite Mehrheit
sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat. Es ist uns
in der vergangenen Legislaturperiode gelungen, mit
großer und breiter Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat die nationale Schuldenbremse als gesamtgesellschaftliche, gesamtwirtschaftliche und gesamtstaatliche
Aufgabe zu etablieren. Die Ratifizierung des Fiskalpakts
ist nun der nächste Schritt. Wir setzen im Bundestag wie
im Bundesrat auf die dafür aus unserer Sicht notwendige
Zweidrittelmehrheit. Dies ist die politische Aufgabe der
deutschen Politik. Der Bundestag und der Bundesrat
sind aufgefordert, daran mitzuwirken.
Ich bedanke mich für die Berichte. - Ich rufe nun die
bereits angemeldeten Fragesteller auf, zunächst den Kollegen Carsten Schneider.
Danke, Herr Präsident. - Erst einmal vielen Dank für
die Unterrichtung seitens der Bundesregierung. Nach
dem Kabinettsbeschluss ist es jetzt das erste Mal, dass
der Bundestag dazu gefragt wird; bisher haben Sie diesen Vertrag zwischenstaatlich verhandelt. Seit dem Wochenende ist bekannt, dass für die Ratifizierung eine
Zweidrittelmehrheit notwendig sein soll; zumindest ist
das der Kabinettsvorlage zu entnehmen. Darin steht,
dass eventuell der Inhalt des Grundgesetzes geändert
oder ergänzt werden muss. Ich würde gerne wissen, an
welcher Stelle genau das der Fall ist.
Herr Kollege, die Verfassungsrelevanz folgt aus einem einfachen juristischen Prinzip: Man braucht eine
verfassungsändernde Mehrheit, um die Verfassung zu
ändern; aber man braucht eine verfassungsändernde
Mehrheit auch, wenn man sich verpflichtet, sie an einer
Stelle nicht mehr zu ändern. Sprich: Wir gehen zwischenstaatlich völkerrechtlich verbindlich die Verpflichtung ein, dass es bei der Schuldenbremse bleibt. Wir
bringen ja andere Staaten dazu, die Schuldenbremse zu
beschließen, und verpflichten uns zwischenstaatlich
dazu, dass es bei dieser Schuldenbremse bleibt. Ich
kenne zwar bis auf eine Fraktion, glaube ich, niemanden,
der die Schuldenbremse, die wir gemeinschaftlich verabredet und beschlossen haben, wieder aufheben will. Aber
die verfassungsrechtliche Relevanz, also die Notwendigkeit der Zweidrittelmehrheit, ergibt sich aus der genannten Überlegung. Deswegen ist es aus unserer Sicht richtig bzw. von den Verfassungsressorts richtig eingeschätzt
worden, dass dafür eine Zweidrittelmehrheit erforderlich
ist.
Kollege Barthle.
Herr Präsident, vielen herzlichen Dank. - Sowohl der
Bundesaußenminister als auch der Herr Staatssekretär
haben in ihren Vorträgen deutlich darauf hingewiesen,
welche große Bedeutung dieser Fiskalvertrag für Stabilität und Wachstum in Europa hat, und angemerkt, dass
ein wesentlicher Bestandteil dieses ganzen Konzeptes
die Schuldenbremse ist. Diese Schuldenbremse sieht ja
klare Kriterien vor, die die Unterzeichnerstaaten in ihr
nationales Recht übertragen müssen.
Ich möchte gerne fragen: Was geschieht, wenn ein
Mitgliedstaat diese Regeln nicht einhält? Welches Verfahren ist vorgesehen, um diesen Regelungen zur Umsetzung zu verhelfen?
({0})
Wie stellt sich die Bundesregierung im weiteren Verlauf
mittel- und langfristig das Verfahren vor, diese Grenze
von 60 Prozent Verschuldung bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt einhalten zu können?
Zum ersten Teil der Frage: Ja, es ist richtig, Herr Abgeordneter Barthle: Die deutsche Schuldenbremse hat
mit ihrem materiellen Gehalt Pate gestanden für den Fiskalpakt. Die Unterstützung des deutschen Grundanliegens, eine Schuldenbremse einzuführen, durch die Europäische Zentralbank hat ihr Übriges getan, auch unsere
europäischen Vertragspartner von der Stringenz und Bedeutung ihrer im Deutschen Bundestag und im Bundesrat beschlossenen Bestandteile zu überzeugen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage hinsichtlich der Sanktionsmöglichkeiten: Wir haben im Fiskalpakt - dieser
tritt in Kraft, wenn ihn zwölf Euro-Mitgliedstaaten gezeichnet haben - und durch die Anpassung europäischen
Rechts erstmals geregelt, dass es möglich ist, Sanktionen
vor dem Europäischen Gerichtshof einzuklagen. Darüber hinaus setzen wir mit der Verbindung von Fiskalpakt und Europäischem Stabilitätsmechanismus einen
weiteren Anreiz, sich dem Stabilitätsregime dieses Vertrages frühzeitig und umfassend zu unterwerfen.
Zur dritten Frage, die Sie, Herr Abgeordneter Barthle,
gestellt haben: Sie wissen, dass wir uns auf dem Pfad zur
Erfüllung der Schuldenbremse des Grundgesetzes mit
dem designierten Fiskalpakt im Einklang befinden. Daher sind wir zuversichtlich, dass wir die Forderungen
nicht nur erfolgreich erfüllen, sondern dass wir das Ziel
unter der Annahme einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung vorzeitig erreichen. Wir sind allerdings auf
parlamentarische Mehrheiten im Deutschen Bundestag
angewiesen. Gegebenenfalls mag der eine oder andere
Konsolidierungsschritt hier auch streitig diskutiert werden. Die Bundesregierung hält daran klar fest, und wir
wissen uns parlamentarisch breit unterstützt.
Herr Minister, möchten Sie dazu noch ergänzen?
Wenn Sie es gestatten.
Gerne.
Danke, Herr Präsident. - Unsere Erfolgskontrolle beinhaltet zwei Punkte.
Der erste Punkt ist folgender: Die Einführung plus
Umsetzung der Schuldenbremse in den anderen europäischen Staaten kann von uns überwacht und vor dem
EuGH eingeklagt werden.
Das Zweite ist: Die praktische Umsetzung im Haushaltsvollzug - also über Jahre betrachtet - erfährt jetzt
dadurch eine Stärkung, dass wir die Stabilitätskriterien
mit Sanktionen bewehren und nicht mehr der politischen
Opportunität unterwerfen.
Es sind also zwei Mechanismen, mit denen wir unsere
deutschen Interessen vorzüglich wahrnehmen können.
Der Kollege Hunko hat das Wort.
Herr Minister Westerwelle, vielen Dank für die Unterrichtung. Vielleicht nur eine Anmerkung: Der Fiskalpakt ist zwar bereits unterzeichnet worden, aber noch
nicht ratifiziert. Warten wir einmal ab, wie das Referendum in Irland ausfallen wird. Warten wir einmal ab, wie
die Entwicklung in Frankreich und das Verhalten des zukünftigen französischen Präsidenten sein werden.
Mir geht es nun um Folgendes: Der Chef der EZB,
Mario Draghi, hat kürzlich in einem Interview im Wall
Street Journal mit Blick auf die Krise und mit Blick auf
den Fiskalvertrag gesagt, das europäische Sozialstaatsmodell habe ausgedient. Meine Frage ist: Ist das auch
die Position der Bundesregierung? Wenn nein, was hat
die Bundesregierung getan, um Herrn Draghi darüber zu
informieren, dass etwa in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes steht, dass die Bundesrepublik ein demokratischer
und sozialer Bundesstaat ist und bleiben soll?
Vielen Dank.
Herr Kollege, zunächst stelle ich fest: Ich kenne die
Äußerungen von Herrn Präsidenten Draghi nicht. Ich
werde deswegen auch nicht auf seine Äußerungen eingehen, sondern nur zu Ihrer Fragestellung etwas sagen, damit in der Berichterstattung kein falscher Eindruck erweckt wird.
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, dass sich
der Sozialstaat in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland mehr als bewährt hat. Wir sind der Überzeugung, dass ein Sozialstaat, also eine Marktwirtschaft
mit sozialer Verantwortung, ein Erfolgsmodell ist, das
sich weltweit empfiehlt. Als Außenminister sehe ich mit
großer Freude, dass zum Beispiel unter den neuen Gestaltungsmächten eine Diskussion darüber beginnt, wie
man den Gesichtspunkt „soziale Verantwortung“ in
marktwirtschaftliche Strukturen integrieren kann. Das
Sozialstaatsmodell ist außerordentlich erfolgreich. Es
mag allerdings sein, dass zwischen Ihnen und mir hinsichtlich der konkreten Ausformung und der konkreten
Umsetzung des Sozialstaates der eine oder andere Meinungsunterschied vorhanden ist und auch bleiben wird.
Wir werden beide auf diese unterschiedlichen Auffassungen stolz sein.
Sie haben außerdem die Entwicklungen in Irland und
Frankreich angesprochen. Zunächst möchte ich darauf
hinweisen: Wir werben genauso wie die irische Regierung dafür, dass das Referendum positiv ausgeht. Aber
in diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte zu berücksichtigen.
Erstens. Es müssen zwölf Staaten ratifizieren. Das
heißt, selbst wenn das Referendum in Irland anders ausginge, als wir erwarten und als es die irische Regierung
will, dann könnte das die Inkraftsetzung des Fiskalpaktes nicht verhindern.
Zweitens. Der französische Staatspräsident hat den
Vertrag unterzeichnet. Verträge binden, sie binden auch
nachfolgende Regierungen. Ich habe jüngste Äußerungen von französischer Seite so verstanden, dass sich
Frankreich an das halten wird, was gemeinsam vereinbart wurde.
Pacta sunt servanda - das sagen wir an alle, die sich
derzeit in die politischen Debatten in den verschiedenen
europäischen Ländern einbringen. Wir haben einen Vertrag geschlossen. Er ist im Interesse Europas, im Interesse der Mitgliedstaaten Europas und im Interesse der
Bürgerinnen und Bürger. Wir haben nicht die Absicht,
einen geschlossenen Vertrag von Wahlen oder Wahlausgängen abhängig zu machen. Man wäre nicht mehr regierungsfähig, wenn Regierungen nicht auch ein Land
an Verträge binden könnten. In Deutschland geschieht
das mit parlamentarischer Zustimmung, weil wir ein bestimmtes Ratifizierungsverfahren haben. In anderen
Ländern ist es anders. Für uns ist völlig klar: Es bleibt
bei dem, was beschlossen wurde.
Vielen Dank. - Bisher habe ich die Antworten mit
Blick auf die weiterlaufende Uhr sehr großzügig behandelt. Ich bitte Sie, das in Zukunft etwas zu straffen
- manches, was zweifellos richtig ist, wird jetzt mehrfach wiederholt -, sodass wir zu einer etwas dichteren
Abfolge kommen können; denn es gibt viele Wortmeldungen. - Herr Kollege Sarrazin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Herr
Staatssekretär, neben den Regelungen des Fiskalpakts
führen wir derzeit auf europäischer Ebene Debatten über
das sogenannte Two-Pack, eine Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Ich höre jetzt aus dem
Europäischen Parlament, dass viele korrespondierende
Inhalte des Fiskalpakts identisch in das Two-Pack übernommen werden sollen. Ich möchte die Bundesregierung gerne fragen, ob sie alle Bestrebungen unterstützen
wird, korrespondierende Regelungen, die im Fiskalpakt
bereits geregelt sind, auch für die 27 gültig, in das TwoPack zu übernehmen.
Ich möchte eine weitere Frage anschließen. Im ersten
Two-Pack-Entwurf der Kommission war eine Regelung
zur nationalen Schuldenbremse enthalten. Im General
Approach des Rates ist sie jetzt verschwunden. Ich
würde gerne die Bundesregierung fragen, warum die Regelung im General Approach nicht mehr enthalten ist
und welche Haltung sie dazu einnimmt.
Herr Präsident! Lieber Kollege Sarrazin, der Fiskalpakt ist ein intergouvernementaler Handlungsansatz; das
Two-Pack, das Sie ansprechen, entspringt dem Sekundärrecht. Wir haben mit dem intergouvernementalen Ansatz innerhalb weniger Wochen einen Quantensprung
gemacht, der uns nicht gelungen wäre, wenn wir uns auf
Primär- und Sekundärrechtsanpassungen konzentriert
hätten. Unser Ziel ist aber - das ist auch Bestandteil der
Fiskalpaktregelung -, diesen Fiskalpakt nach einer
Übergangsphase aus dem intergouvernementalen Regelungsbereich in europäisches Primärrecht zu überführen.
Es ist von daher unser Anliegen, die Regelungen des
intergouvernementalen Fiskalpakts und die sekundärrechtlichen Konkretionen, die wir zum gegenwärtigen
Zeitpunkt zu ähnlichen oder identischen Sachverhalten
haben, so aufeinander abzustimmen, dass einer späteren
Integration des Fiskalpakts in Primärrecht der Europäischen Union nichts entgegensteht. Insofern ist es nicht
verwunderlich, dass die Regelungen im sogenannten
Two-Pack mit Sach- und Regelungsinhalten im intergouvernementalen Fiskalpakt korrespondieren.
Ausnahmsweise gestatte ich eine sofortige Nachfrage.
Meine Frage ist, ob Sie sich in den Verhandlungen in
den kommenden Wochen mit Ihren Stimmen im Rat dafür einsetzen werden, dass Regelungen, die im Sekundärrecht bis Mai aufgenommen werden können, identisch oder korrespondierend zur Regelung im Fiskalpakt
beschlossen werden, oder ob Sie sie, beispielsweise mit
Verweis darauf, dass sie für 25 EU-Staaten schon gelten,
verhindern werden.
({0})
Wir wollen, dass Two-Pack und der Fiskalpakt harmonisiert sind, das heißt, aufeinander abgestimmt werden.
({0})
Rolf Schwanitz stellt die nächste Frage.
Herr Minister, ich möchte noch einmal nach der
neuen Qualität des Fiskalpaktes fragen, und zwar mit
Blick darauf, an welchen Stellen der Fiskalpakt wirklich
über die Regelungen des sogenannten Six-Packs, die als
Richtlinien oder Verordnungen seit Anfang November
geltendes Recht sind, hinausgeht. Ich stelle die Frage
auch vor dem Hintergrund des Gesprächs, das wir vor
zwei Tagen mit Kommissar Rehn führen konnten. In diesem Gespräch ist die Einschätzung geäußert worden
- diese Einschätzung teile ich -, dass rund 95 Prozent
der Regelungen des Fiskalpakts bereits im Six-Pack enthalten sind, also bereits geltendes Recht innerhalb der
Europäischen Union sind. An welchen Stellen ist der
Fiskalpakt qualitativ besser und weitgehender als das
Six-Pack?
So ist das bei der Prozentrechnung. Manchmal sind
5 Prozent ganz entscheidend, wie ich Ihnen aus langjähriger Erfahrung berichten kann.
({0})
Diese Bemerkung, Herr Außenminister, rechnen wir
nicht auf Ihre Redezeit an.
({0})
Es freut mich, dass die Regierung den Herrn Präsidenten erfreuen konnte.
Das Entscheidende ist in der Tat der Bereich, der bisher nicht enthalten ist. Das heißt erstens: Wir haben jetzt
eine völkerrechtliche Vereinbarung darüber, dass die
Schuldenbremse national geltendes Verfassungsrecht
wird und an den Stellen, an denen sie nicht Verfassungsrecht wird, ein Äquivalentz bekommt. Dass es unterschiedliche Rechtsordnungen und Rechtsstrukturen gibt,
muss ich, glaube ich, in diesem Kreis nicht sagen.
Zweitens. Wir haben eine Einklagbarkeit, das heißt
die Unterwerfung in einem bestimmten Bereich unter die
Rechtsprechung des EuGH, die es bisher nicht gab, die
auch nicht sekundärrechtlich vereinbart werden kann.
Das ist einer der Punkte, die uns bewusst sein müssen:
Wir geben damit etwas an Kompetenzen ab. Wir freuen
uns im Augenblick darüber - wir wollten das haben -,
aber wir müssen zur Kenntnis nehmen - wer weiß, wie
das in fünf oder zehn Jahren in Deutschland politisch gesehen wird -, dass wir etwas abgeben.
Drittens. Die automatischen Sanktionen bekommen
ebenfalls eine völkerrechtliche Qualität. Das heißt, das,
was im ersten Deauville-Abkommen noch nicht vereinbart werden konnte, nämlich die umgekehrte qualifizierte Mehrheit bei den Sanktionen, wird jetzt in eine
Rechtsqualität überführt, die uns allen Rechtssicherheit
gibt.
Ich fasse es wie folgt zusammen: Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung aufgefordert und gesagt:
Setzt als Bundesregierung nicht nur Solidarität durch.
Wenn wir schon geradestehen, bürgen, Solidarität gewähren, dann sorgt auch dafür, dass Haushaltsdisziplin
in Europa die Regel wird. Genau das haben wir jetzt völkerrechtlich vereinbart.
Die anderen beiden Staaten, die bislang nicht mitmachen, bleiben eingeladen, mitzuwirken. Ich habe in London gesagt, dass die britische Regierung eingeladen ist,
mitzuwirken und dem Pakt beizutreten. Ich habe auch
gestern in Prag noch einmal öffentlich gesagt - dadurch
konnte eine gewisse Diskussion ausgelöst werden; einige Kollegen waren dabei -, dass die Tür für Tschechien für den Fall, dass sich dort eine andere Meinung
bildet, weit geöffnet bleibt.
Michael Schlecht.
Meine erste Frage. Diese Schuldenbremse soll quasi
- so verstehe ich es - mit einer Ewigkeitsgarantie ausgestattet werden. Haben Sie geprüft, ob das verfassungskonform ist? Sie binden ja damit zukünftige Regierungen und Parlamente, obwohl Sie - das haben Sie selbst
gesagt - nicht wissen, wie die Situation in Deutschland
in fünf oder zehn Jahren sein wird.
Meine zweite Frage. Wenn Sie schon eine solch massive Bekräftigung der Schuldenbremse verfassungsrechtlich verankern wollen und Sie sich hier gleichzeitig
- zumindest verbal - zum Sozialstaatsprinzip bekennen,
müsste man dann, Ihrer Logik folgend, nicht auch darüber nachdenken, Regelungen, durch die die Ausstattung des Sozialstaates mit finanziellen Mitteln sichergestellt wird, in die Verfassung aufzunehmen? Zum
Beispiel könnte man eine massive Besteuerung von Reichen und Vermögenden in Gestalt der von uns vorgeschlagenen Millionärsteuer in der Verfassung verankern.
Herr Kollege, ich möchte Ihnen zunächst einmal amtlich versichern, dass die Bundesregierung nicht plant,
eine von Ihnen konzipierte Steuer in unserer Verfassung
aufzunehmen. Das ist zwar ein netter Versuch, aber Sie
erwarten doch wohl nicht wirklich, dass wir dem folgen.
Im Übrigen verstehe ich Ihre Überraschung nicht. Sie
wissen doch, dass sich jeder, der auf der Regierungsbank
sitzt, in vollem Umfang zur Verfassung bekennt und auf
die Verfassung geschworen hat. Insoweit sind etwaige
Ermahnungen im Hinblick auf Art. 20 des Grundgesetzes gänzlich überflüssig.
({0})
Wir vertreten vielleicht in der Tagespolitik unterschiedliche Auffassungen. Aber diese Regierung verhält sich absolut verfassungskonform; daran gibt es keinen Zweifel.
Zur Ewigkeitsgarantie. Wenn man völkerrechtliche
Verträge schließt, bindet man immer nicht nur den jetzigen Deutschen Bundestag und die heutige Regierung,
sondern man bindet damit auch künftige Regierungen
und Parlamente. Selbstverständlich bindet unsere Politik
auch künftige Generationen. Die Verankerung der Schuldenbremse ist, so glauben wir, richtig; denn die Schuldenpolitik ist erkennbar an eine Grenze geraten.
Der Kollege Kampeter wollte noch eine Ergänzung
vortragen.
Kollege Schlecht, Ihr Verständnis der Schuldenbremse deckt sich nicht mit dem Verständnis der Schuldenbremse, das eine breite Mehrheit des Parlamentes
hat. Sie stellen die Schuldenbremse als Beschränkung
von zukünftigen Handlungsmöglichkeiten dar. Das Gegenteil ist richtig. Die Staaten, die eine zu hohe Verschuldung haben, werden aufgrund ihrer Verschuldung
zukünftig keine Handlungsmöglichkeiten mehr haben.
Die Handlungsfähigkeit wird durch ein Übermaß an Verschuldung beschränkt. Die Zinszahlungen sind ein Angriff auf die politische Handlungsfähigkeit zukünftiger
Generationen.
Die Schuldenbremse ist daher so konzipiert, dass zukünftigen Parlamenten Freiheiten eingeräumt werden,
um in den Bereichen, die politisch wichtig sind, handeln
zu können. Sie stellt sozusagen eine Aufforderung nicht
nur an diesen, sondern auch an alle folgenden Bundestage dar, die Prioritäten so zu setzen, dass politische
Handlungsspielräume zukünftig erweitert werden. Das
ist eine riesengroße Chance. Hemmungsloses Schuldenmachen schränkt die Handlungsfreiheit in der Zukunft
ein. Die Schuldenbremse sichert die Handlungsfreiheit
zukünftiger Parlamente.
Eine kurze Zusatzfrage.
Sie haben dargestellt, dass dies eine weitreichende
Änderung ist. Wäre es daher nicht angemessen, über die
Zweidrittelmehrheit im Parlament hinauszugehen und
darüber im Rahmen einer Volksbefragung abstimmen zu
lassen?
({0})
Ich denke, Sie meinen diese Frage nicht ernst,
({0})
weil natürlich auch Sie die Rechtslage und die Verfassungslage kennen.
({1})
Ich will dazu eine persönliche Bemerkung machen, die
darüber hinausgeht.
Ich hoffe, dass wir eine Debatte über die Europapolitik insgesamt führen werden, und könnte mir sehr gut
vorstellen, dass wir eines Tages, wenn wir eine gemeinsame europäische Verfassung haben, in der Tat in ganz
Europa ein Referendum über diese europäische Verfassung durchführen.
({2})
Das ist aber eine völlig andere Frage als die, die von Ihnen aufgeworfen worden ist.
({3})
Kollegin Hinz.
Herr Minister! Herr Staatssekretär! Im Fiskalpakt
steht, dass die EU-Kommission Vorschläge im Hinblick
auf einen automatischen Korrekturmechanismus zur
Einhaltung der Schuldenregel machen soll. Da ich davon
ausgehe, dass Sie mit Vertretern der EU-Kommission
schon darüber gesprochen haben, dass sie entsprechende
Vorschläge machen soll, würde ich gerne wissen, was
ich mir unter Vorschlägen im Hinblick auf einen automatischen Korrekturmechanismus vorstellen soll, bis wann
die EU-Kommission diese Vorschläge machen soll - wir
sollen ja im Mai dieses Jahres über den Fiskalpakt abstimmen - und ob Sie ausschließen können, dass die
Existenz eines automatischen Korrekturmechanismus
eine qualitative Änderung des Grundgesetzes zur Folge
hat.
Frau Kollegin Hinz, ja, es ist richtig: Wir warten noch
auf zwei Vorschläge der EU-Kommission zur Konkretisierung des Fiskalpaktes, nämlich auf den Vorschlag zur
Erreichung des Anpassungspfades und den Vorschlag
zur Ausgestaltung des Korrekturmechanismus. Wir werden im Rahmen der Beratungen des Deutschen Bundestages am 7. Mai dieses Jahres eine große Anhörung zu
diesem Thema durchführen. Ich gehe davon aus, dass
uns bis dahin alle erforderlichen Konkretisierungen vonseiten der EU-Kommission vorliegen. Dann gilt es, diese
im Rahmen der Anhörung zu bewerten und möglicherweise Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.
Da Sie mich als Vertreter der Bundesregierung gerade
gefragt haben, ob ich aus einem mir noch nicht vorliegenden Vorschlag schon jetzt eine bestimmte Konsequenz ziehe, muss ich Ihnen sagen: Die Bundesregierung vermeidet Spekulationen und beteiligt sich nicht an
diesen. Insofern kann ich diese hochspekulative Frage
nicht beantworten.
({0})
Aber vielleicht die nächste Frage des Kollegen Carsten
Schneider.
Herr Minister, Sie haben vorhin auf die Schuldenbremse in unserem nationalen Recht, der wir zugestimmt
haben, hingewiesen. Ich stelle fest: Als Vorsitzender der
FDP-Bundestagsfraktion haben Sie sich, als es im
Jahre 2009 um die Einführung der Schuldenbremse in
Deutschland ging, bei der entsprechenden Abstimmung
mitsamt Ihrer Fraktion enthalten.
({0})
Ich bin aber froh, dass Sie sie sich jetzt zu eigen machen.
Ich habe eine konkrete Frage. Es kommt ja nicht nur
auf den Text, sondern vor allen Dingen auch darauf an,
wie das Ganze gelebt wird. Wir haben in Deutschland
die Situation, dass die Koalition bzw. die Bundesregierung die Schuldenbremse entgegen dem Rat des Sachverständigenrates, des Bundesrechnungshofes und der
Deutschen Bundesbank nicht nach dem Sinn und Zweck
des Gesetzes anwendet.
({1})
Vielmehr haben Sie sich einen Dispokredit in Höhe von
knapp 50 Milliarden Euro gesichert, indem Sie den Ausgangswert für den Abbaupfad zu hoch angesetzt haben.
Ich frage Sie, ob Sie bereit sind - das gilt auch für den
Ratifizierungsfall -, eine Änderung des Gesetzes, die zu
einer Härtung der Schuldenbremse in Deutschland führt,
wie sie die SPD-Fraktion vorschlägt, mitzutragen.
Kollege Schneider, Ihre Behauptung, die Bundesregierung würde die Schuldenbremse nicht konsequent
genug anwenden, wird durch Wiederholung auch im
Deutschen Bundestag leider nicht richtiger. Das Gegenteil ist der Fall.
({0})
Wie Sie wissen, nutzt die Bundesregierung die Verschuldungsspielräume, die der Deutsche Bundestag bewilligt
hat, überhaupt nicht aus. Wir hätten, juristisch betrachtet, eine höhere Verschuldung in Kauf nehmen können.
Es ist eine große Leistung der Bundesregierung und der
Koalition aus Union und FDP, dass Deutschlands Verschuldung heute deutlich geringer ist, als wir noch vor
wenigen Monaten befürchtet haben.
Eine zweite Anmerkung. Ihr Vergleich mit einem Dispositionskredit, den es bei einem Konto gibt, ist weder
sachlich noch politisch richtig. Das von Ihnen auf diese
Weise angesprochene Konto ist für die Bundesregierung
keine Kreditermächtigung, sondern lediglich der Beleg
dafür, dass die Situation, was die Verschuldung betrifft,
besser ist als noch vor wenigen Monaten befürchtet. Es
wird im Deutschen Bundestag kein Euro Schulden aufgenommen ohne parlamentarische Legitimation. Ihr Vergleich mit einem Dispositionskredit, der gleichzeitig einen Schattenhaushalt bedeuten würde, ist Ihren
Kenntnissen des deutschen Haushaltsrechts nicht angemessen; denn er ist falsch.
Volker Beck.
Der Kollege Carsten Schneider hat vorhin eine wichtige Frage gestellt, die der Bundesaußenminister noch
nicht beantwortet hat, nämlich die Frage, ob es konkreter
Korrekturen des Grundgesetzes infolge des Fiskalpaktes
bedarf. Dieser Frage sind Sie ausgewichen. Sie haben
uns nur beschrieben, inwiefern wir den Gesetzgeber mit
Blick auf die Verfassung binden. Deshalb hätte ich gern
die Einschätzung der Bundesregierung gewusst, ob wir
eine Korrektur des Grundgesetzes brauchen. Wir haben
nämlich eine Lage, die mit der, die in Art. 79 des Grundgesetzes beschrieben ist, vergleichbar ist. Ohne eine solche Korrektur hätten wir keine entsprechende Rechtsquelle im Grundgesetz. Das fände ich schwierig.
Noch schwieriger wird es, wenn Herr Kampeter keine
Auskunft darüber geben kann, ob das, was von der Kommission noch zu erwarten ist, womöglich Korrekturen an
unserer jetzigen Verfassungsrechtslage erfordert.
Deshalb bitte ich die Bundesregierung, uns zu sagen,
welche Änderungen an der Verfassung wir aufgrund des
Fiskalpakts nach ihrer Ansicht vornehmen müssen und
in welchem Umfang wir uns bei der Schuldenbremse
binden. Denn die jetzige vertragliche Regelung ist nicht
identisch mit dem Wortlaut unserer Verfassung. Da gibt
es auch Spielräume für Modifikationen.
Herr Kollege, zunächst einmal gibt es über das hinaus, was wir hier vorgelegt haben, keine weiteren Anträge oder Vorschläge seitens der Bundesregierung, die
Verfassungsänderungen erforderlich machten. Für den
Fiskalpakt brauchen wir nach unserer Rechtsauffassung
keine anderen Änderungen der Verfassung.
Ihren Hinweis auf die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes halte ich, offen gestanden, für staatsrechtlich
falsch. Ich kann Ihnen das auch als Staatsrechtler sagen:
Wenn Sie die Ewigkeitsgarantie betrachten, dann stellen
Sie fest, dass sich daraus ganz andere Konsequenzen ergeben. Wenn Sie zum Beispiel die Ordnung unseres Gemeinwesens verändern, dann geht das bis hin zum Widerstandsrecht jedes einzelnen Bürgers. Das hat also
ganz andere Verfassungsimplikationen als das, was wir
hier vorgelegt haben. Auch um auf Nummer sicher zu
gehen, wollen wir eine Zweidrittelmehrheit.
Wir haben beide studiert; ich habe Jura studiert. Ich
weiß nicht, ob Sie mittlerweile ein Jurastudium absolviert haben. Deshalb erlauben Sie mir ausnahmsweise,
dass ich Ihnen das mit auf den Weg gebe, Herr Kollege.
({0})
Ich bitte Sie, das einfach zur Kenntnis zu nehmen.
({1})
- Ja, das ist Meinung der Bundesregierung.
({2})
Herr Kollege Schneider, Sie haben einen zweiten
Punkt genannt, was die Frage der Schuldenbremse angeht. Ich will nur darauf aufmerksam machen, dass die
FDP-Fraktion, der ich seinerzeit als Fraktionsvorsitzender vorgestanden habe, die Schuldenbremse nicht nur
unterstützt hat, sondern auch wesentlich dafür gesorgt
hat, dass sie im Rahmen der Föderalismuskommission
durchgesetzt worden ist.
({3})
Da sie allerdings mit weiteren Fragen und weiteren Paketen verbunden worden ist, hat es damals dieses Abstimmungsverhalten unsererseits gegeben. Ohne die
FDP hätte es aber überhaupt gar keine Schuldenbremse
gegeben. Da Sie danach gefragt haben, weise ich zu Ihrer persönlichen Freude noch einmal darauf hin.
({4})
Da er darauf angesprochen worden ist, finde ich es
völlig in Ordnung, dass er dazu Stellung nimmt. - Die
nächste Frage von unserem Kollegen Volkmar Klein.
({0})
- Wir stellen die Frage des Kollegen Klein einen kleinen
Augenblick zurück, damit Herr Beck im Rahmen einer
Nachfrage erläutern kann, was Herr Kampeter noch beantworten soll.
Er sagte, er könne nicht genau sagen, was die Kommission noch vorschlagen werde. Die Frage ist, ob diese
Vorschläge Konsequenzen für unsere verfassungsrechtliche Lage hätten.
Ich glaube, es ist die Rawls’sche Urvertragssituation,
in der man unter dem Schleier der Ungewissheit über die
zukünftige Situation etwas machen kann. Dies ist aber
eher ein theoretisches Konstrukt.
Der verfassungsrechtlichen Darlegung des Bundesaußenministers ist nichts hinzuzufügen. Nach derzeitigem Stand ist keine Anpassung des Grundgesetzes erforderlich. Wir bitten Sie aus dem dargelegten Grund um
eine Zweidrittelmehrheit für den Fiskalpakt im Bundestag und im Bundesrat. Sollte sich die Sachlage ändern,
werden wir darüber zu diskutieren haben. Das sehe ich
zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber nicht.
({0})
Volkmar Klein.
Wir reden hier im Haus ja regelmäßig intensiv über
die erheblichen Risiken aus ESM und EFSF. Dabei wissen wir, dass es immer gefährlich ist, als Feuerwehr zu
handeln. Insofern scheint mir der Fiskalpakt eher so etwas wie vorbeugender Brandschutz zu sein. Risiken aus
der Staatsschuldenkrise sollen durch Defizitabbau und
nicht durch das Drucken von neuem Geld bekämpft werden. Welche Vorstellung hat die Bundesregierung von
dem Zeitraum, in dem die notwendigen Regelungen in
den heute von der Staatsschuldenkrise betroffenen Ländern wirklich wirksam werden können?
Herr Kollege Klein, der Einschätzung, die Ihrer Frage
zugrunde liegt, kann man nur zustimmen. Bis zum 1. Januar 2014 soll der gesamte Umsetzungsprozess in den
Unterzeichnerstaaten abgeschlossen sein. Spätestens ab
dann geht es um die operative Kontrolle. Ich vermute,
dass einige auch schon vorher damit beginnen werden.
Axel Schäfer.
Hinsichtlich der Reform der Wirtschafts- und Währungsunion wurde hier heute ja auch der Art. 136 des
Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union
genannt. Ich hätte gerne gewusst, ob die Bundesregierung ihre bisherige Position zum ESM dahin gehend korrigiert hat, dass es sich beim ESM um eine europäische
Angelegenheit handelt, sodass nicht eine Ratifizierung
nach Art. 59 Grundgesetz, sondern nach Art. 23 Grundgesetz ansteht.
Falls die Bundesregierung ihre Position verändert hat,
hätte ich gerne gewusst, welche neuen Einsichten Sie
dazu erfreulicherweise bewegt haben. Falls nicht, hätte
ich gerne eine Begründung dafür, warum der ESM keine
europäische Angelegenheit in dem von allen im Bundestag vertretenen Fraktionen gemeinsam getragenen Verständnis ist.
Die Antwort lautet: Nein. Wir haben unser Verständnis nicht geändert und werden dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat nach Beschlussfassung des Kabinetts am nächsten Mittwoch auf dieser Rechtsgrundlage
einen entsprechenden Gesetzentwurf fristgerecht zuleiten.
({0})
Das heißt, Sie bleiben entgegen der Rechtsüberzeugung aller im Bundestag vertretenen Fraktionen bei
Art. 59 Grundgesetz?
({0})
Ich glaube, der Sachverhalt ist von Ihnen nicht kor-
rekt widergegeben. Aufgrund des Inhalts des Vertrages
glauben wir, dass der von Ihnen beschriebene Art. 23
Grundgesetz1) als einschlägige Rechtsgrundlage hinreichend ist.
({0})
Kollegin Paus.
Herr Bundesminister! Herr Staatssekretär! Wenn der
Fiskalpakt so umgesetzt wird, dann beinhaltet er ja eine
Schuldenbremse, die sozusagen nicht ganz so scharf ist
wie die zurzeit in unserer Verfassung verankerte Schul-
denbremse. Nichtsdestotrotz tritt sie früher in Kraft als
die Schuldenbremse, die für die Bundesländer gilt; denn
die Schuldenbremse in der deutschen Verfassung wird
für die Bundesländer erst im Jahre 2020 vollständig wir-
ken. Gibt es daraus irgendwelche Konsequenzen? Haben
Sie überprüft, inwieweit die Schuldenbremse à la Fiskal-
pakt, weil sie schon früher gilt, nämlich ab 2014, Konse-
quenzen für die Haushaltsaufstellung und für die mittel-
fristige Finanzplanung der Bundesländer für die Jahre
2014 bis 2020 hat?
Eine kleine Ergänzung: Herr Kampeter, weil Sie gesagt
haben, Sie möchten den Fiskalpakt als einen Baustein im
1) Korrektur im nächsten Redebeitrag: Art. 59 Grundgesetz
Gesamtgefüge sehen, möchte ich an einen anderen Baustein erinnern, der zumindest von der Bundesregierung
erwähnt worden ist, nämlich an das Wachstumsprogramm. Wie konkret sind inzwischen Ihre Arbeiten am
Wachstumsprogramm für Europa?
Vorhin habe ich Art. 23 und Art. 59 des Grundgesetzes verwechselt. Ich glaube, das müssen wir im Protokoll korrigieren.
({0})
- Ja, das weiß ich.
Ich sage es noch einmal, damit es im Protokoll richtig
steht: Wir gehen beim ESM von der Notwendigkeit einer
einfachen Mehrheit aus und folgen der Interpretation des
Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion nicht. Ich
bitte, zu entschuldigen, dass mir vorhin eine Verwechslung durchgerutscht ist.
Was die Fragen der Kollegin Paus angeht: Wir gehen
zum jetzigen Zeitpunkt nach unserer Analyse des Fiskalpakts auch in der Umsetzung des Ratifikationsgesetzes
davon aus, dass die grundgesetzlichen Vorschriften zur
Umsetzung der Schuldenbremse und der Fiskalpakt miteinander kompatibel sind. Gleichwohl wird durch die
Befassung im Bundesrat deutlich, dass die Umsetzung
nicht nur eine Aufgabe ist, die der Deutsche Bundestag
und der Bundeshaushalt zu leisten haben, sondern dass
Fiskaldisziplin auch eine Bund-Länder-Aufgabe ist. Ich
beispielsweise komme aus Nordrhein-Westfalen und
mache mir große Sorgen über die Haushaltspolitik der
rot-rot-grünen Minderheitsregierung dieses Bundeslandes,
({1})
die offensichtlich trotz grundgesetzlicher Vorgaben die
Richtung der Konsolidierung etwas fehlinterpretiert hat.
Insoweit glaube ich, dass, unbeschadet der Überprüfung
rechtlicher Anpassungen, das politische Handeln in einzelnen Bundesländern auch im Hinblick auf den Fiskalpakt noch einmal überprüft werden muss.
Herr Minister Westerwelle.
Ich will Sie zu der Frage der qualifizierten Mehrheit
beim ESM nur darauf aufmerksam machen, dass der Regelungsgehalt, den wir im Fiskalpakt haben, ein anderer
ist. Erinnern Sie sich bitte an die Eingangsbemerkungen
auch zum Klagerecht und zur Unterwerfung unter die
Gerichtsbarkeit des EuGH. Solche Fragen sind hier nicht
berücksichtigt. So kommt die Einschätzung bezüglich
der unterschiedlichen Mehrheitsnotwendigkeiten zustande.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt jenseits der vereinbarten Zeit. Ich schlage vor, dass ich die
drei Wortmeldungen, die ich noch notiert habe, nämlich
der Kollegin Höger, des Kollegen Schwanitz und des
Kollegen Kalb, jetzt aufrufe und dass wir uns dann den
Fragen, die es sonst noch zur Kabinettssitzung gab, zuwenden. - Dazu stelle ich Einvernehmen fest. Frau
Höger, Sie haben die nächste Frage.
Vielen Dank, dass ich meine Frage noch stellen kann. Der Fiskalpakt ist ein massiver Eingriff in die Haushalte
aller Nationalstaaten der EU, die ihm beitreten. Wie
schätzt die Bundesregierung die Wirksamkeit der Umsetzung in den Einzelstaaten ein, gerade vor dem Hintergrund, dass heute schon zwei Drittel der Staaten in der
Euro-Zone weit über der im Vertrag festgelegten 60-Prozent-Marke liegen? Gerade angesichts der Erfahrungen
in Griechenland, wo die massiven Sparmaßnahmen zu
einem Einbruch der Wirtschaft und zu einer Rezession
geführt haben, stellt sich auch die Frage: Wird es nicht
zu einer europaweiten Rezession führen, wenn Sie so
weitermachen wie bisher?
Frau Kollegin Höger, ich teile Ihre wirtschaftspolitische Analyse nicht, dass man Wachstum mit Schulden
kaufen kann. Das Gegenteil ist richtig. Die wirtschaftliche Entwicklung zeigt - das wird auch deutlich in internationalen Vergleichsanalysen -, dass es in denjenigen
Staaten, die ihre Haushalte in Ordnung haben, nicht nur
ein stärkeres Vertrauen in die Kapitalmärkte und somit
ein niedrigeres Zinsniveau gibt, sondern dass sie auch
stärker wachsen. Das trägt auch zum inneren sozialen
Frieden bei. Deswegen kann ich der Behauptung, die Sie
Ihrer Frage zugrunde legen, dass man sich beispielsweise durch fiskalische Konsolidierung in irgendeiner
Weise kaputtspart, nicht folgen. Das Gegenteil ist richtig. Das zeigt auch das Beispiel der Bundesrepublik
Deutschland.
Wachstum und Haushaltskonsolidierung sind zwei
Seiten derselben Medaille: Sie stehen für nachhaltige soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Dieses Beispiel
werden wir jetzt, glaube ich, gemeinsam in Europa fortentwickeln, und zwar jeder mit seiner individuellen nationalen Lösungsstrategie. Das ist ein guter Beitrag für
nachfolgende Generationen.
({0})
Kollege Schwanitz.
Herr Minister, ich habe noch eine Frage zu der Zweidrittelmehrheit beim Fiskalpakt. In Ihrem Vortrag ist der
Eindruck entstanden, dass es sich hier eventuell um eine
politische Entscheidung der Bundesregierung gehandelt
haben könnte. Deswegen möchte ich noch einmal genau
zu dem Punkt fragen: Ist es nach Auffassung der Bundesregierung eine zwingende Notwendigkeit, dass der
Bundestag mit Zweidrittelmehrheit dem Fiskalpakt zustimmen soll, oder handelt es sich hier um eine politische Entscheidung?
Herr Kollege.
Beides, Herr Kollege.
({0})
Kollege Bartholomäus Kalb.
Lassen Sie mich auf diese Frage zurückkommen, Herr
Minister. Wie Sie eingangs dargelegt haben, ändern wir
unser Grundgesetz deswegen, weil wir sicherstellen wollen, dass das Grundgesetz in diesem Punkt nicht wieder
zurückverändert wird. Gehen wir mit dieser Regelung
nicht weit über das hinaus, was wir von den anderen Vertragspartnern erwarten und objektiv auch erwarten können? Wenn ich es richtig sehe, erwarten wir, dass sie
ähnlich wie wir eine verfassungsmäßige Regelung schaffen bzw. dort, wo das objektiv nicht möglich ist, den Bestand des Fiskalpaktes in ähnlicher Qualität in Kardinalgesetzen - oder wie auch immer das genannt wird absichern. Aber sie müssen sich nicht verpflichten, das
nicht mehr zu ändern.
Nein, diese Sorge habe ich nicht, Herr Kollege. Ich
verstehe aber, dass Sie darauf aufmerksam machen. Das
erklärt sich einfach daraus, dass wir die Schuldenbremse
bereits in die Verfassung eingeführt haben. Wir verpflichten uns also nicht, eine solche Schuldenbremse in
die Verfassung zu übernehmen, sondern wir verpflichten
uns politisch und völkerrechtlich, dass wir es bei dieser
Schuldenbremse auch belassen.
In dem Augenblick, in dem sie in den anderen Ländern eingeführt worden ist, verpflichten sich diese Länder völkerrechtlich, sie dann unverändert zu lassen; genauso wie auch wir. Das heißt: In dem Augenblick, in
dem die anderen Staaten, die die Schuldenbremse jetzt
noch nicht haben - das ist die Mehrzahl der Staaten -,
sie eingeführt haben, bleibt es auch dabei. Es ist dann für
alle in demselben Maße völkerrechtlich verpflichtend.
Einen Zusatz muss ich anfügen. Darauf will ich rechtzeitig aufmerksam machen. Ich bin unverändert der
Überzeugung, dass es natürlich besser gewesen wäre,
wir hätten nicht ein völkerrechtliches Vertragswerk geschaffen, sondern wir hätten das europäische Gemeinschaftsrecht verändert. Das war auch das erste Ziel.
Nachdem wir festgestellt haben, dass dieses erste Ziel
nicht erreichbar war - Sie wissen, dass sich vor allen
Dingen ein Land da verweigert hat -, sind wir zu dem
Ergebnis gekommen, dass so, wie es jetzt geplant ist, unsere Interessen und die Interessen der Bürger besser
wahrgenommen werden.
Sollte sich allerdings herausstellen, dass der Widerstand gegen eine Übernahme ins Gemeinschaftsrecht
sich im Laufe der nächsten Zeit politisch verflüchtigt,
hätten wir natürlich ein Interesse daran, das, was wir
jetzt völkerrechtlich vereinbaren, ins Gemeinschaftsrecht zu übertragen. Das wäre, glaube ich, für Europa
und für den europäischen Geist das Allerbeste.
Vielen Dank. - Wir schließen damit diesen Themenbereich ab.
Ich darf fragen, ob es zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung Fragen gibt. - Das ist offenkundig
nicht der Fall.
Dann frage ich - ({0})
- Ich habe das gerade nur auf Fragen zu sonstigen Themen der Kabinettssitzung bezogen.
({1})
- Umso besser. Bitte schön, Frau Enkelmann. Dann stellen Sie jetzt Ihre Frage zu sonstigen Themen der Kabinettssitzung.
({2})
- Sehen Sie. Genau diesen Unterschied hatte ich doch
gerade gemacht.
({3})
Dann will ich, um für künftige Fragestellungen Missverständnisse zu vermeiden, nur noch einmal daran erinnern, dass wir in dem Block „Befragung der Bundesregierung“ drei Kategorien haben: das angemeldete
Thema, Fragen zu sonstigen Themen der Kabinettssitzung und Fragen unabhängig vom angemeldeten Thema
und der Kabinettssitzung. Ich sehe meine Vermutung bestätigt, dass Sie zur dritten Kategorie eine Frage stellen
wollen.
Dann nehmen wir halt die dritte Kategorie. - Ich habe
mehreren Medienberichten entnommen, dass der Finanzminister plant, Wehrdienstleistende und Bufdis, also
Teilnehmer des Bundesfreiwilligendienstes, steuerlich
zu belasten. Ich würde gerne wissen, wie der Rest der
Bundesregierung diesen Vorschlag bewertet.
Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, Sie geben die derzeit geltende Rechtslage leider nicht sehr präzise wieder. Ich möchte darauf
hinweisen, dass diejenigen, die Sie als „Bufdis“ bezeichnen, bereits heute einer Steuerpflicht unterliegen. Diese
ist im Rahmen einer Billigkeitsregelung vor dem Hintergrund der Steuerfreiheit für Wehrdienstleistende ausgesetzt.
Es ist richtig, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt innerhalb der Bundesregierung bei den Abstimmungen
zum Referentenentwurf des nächsten Jahressteuergesetzes überprüft wird, ob unter unterschiedlichen Gesichtspunkten an dieser Regelung festgehalten werden kann.
Eine endgültige Entscheidung der Bundesregierung wird
erst getroffen, wenn der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2013 vom Bundeskabinett verabschiedet wird. Zum
gegenwärtigen Zeitpunkt befinden wir uns lediglich im
Stadium der Vorüberlegung.
Damit schließe ich die Regierungsbefragung.
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksache 17/8828 Die Fragen werden in der Ihnen bekannten Reihenfolge aufgerufen.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern. Hier steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph Bergner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Daniela Kolbe auf:
Hat das Bundesministerium des Innern Kenntnisse darüber, wie viele Personen insgesamt bundesweit als Lehrkräfte in Integrationskursen arbeiten und wie viele davon als
sozialversicherungspflichtig Beschäftigte oder als Honorarkräfte arbeiten, und wenn ja, wie viele sind dies konkret?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Kolbe, ich antworte wie folgt: Mit
Stand vom 29. Februar 2012 wurden seit dem 1. Januar
2005, also seit Inkrafttreten der entsprechenden gesetzlichen Regelung, insgesamt 18 043 Personen als Lehrkräfte nach § 15 Abs. 1 und 2 der Integrationskursverordnung zugelassen. Statistische Zahlen über die Art des
Beschäftigungsverhältnisses werden nicht erhoben. Es
kann aber davon ausgegangen werden, dass - genauso
wie im Bereich der Erwachsenenbildung üblich - der
ganz überwiegende Teil der Lehrkräfte auf Honorarbasis
arbeitet. Es ist im Übrigen ausschließlich Angelegenheit
der Träger, darüber zu befinden, in welcher Art von
Beschäftigungsverhältnis ihre Lehrkräfte tätig sind. Wir
haben hierzu mehrfach detailliert Auskunft gegeben. Ich
verweise insbesondere auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 1 der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 19. September 2011.
Eine Zusatzfrage? - Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort anklingen
lassen, dass Sie die Lehrkräfte, die in Integrationskursen
tätig sind, eher denen, die in der Erwachsenenbildung
tätig sind, gleichstellen. Von den Lehrkräften selbst und
den Trägern kommt zunehmend die Aussage, dass es
sich angesichts des Umfangs und des Vorbereitungsaufwandes bei einer Tätigkeit als Integrationskurslehrer
eher um eine lehrerähnliche Tätigkeit handelt, zumal sie
auf einen Abschluss hinführen soll. Was entgegnen Sie
solchen Ausführungen, die eher eine Festanstellung als
wünschenswert erscheinen lassen?
Ich darf auf einen grundlegenden Unterschied beispielsweise zum öffentlichen Schulwesen hinweisen.
Der gesetzliche Auftrag für die Integrationskurse lautet,
die Integration von Ausländerinnen und Ausländern
sowie Zugewanderten mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht
in Deutschland zu unterstützen. Das heißt, dieser gesetzliche Auftrag manifestiert keine Einrichtungsgarantie
wie der beim Schulwesen. Insofern ist der Vergleich
bzw. die Parallelität zur beruflichen Weiterbildung und
zur Erwachsenenbildung angemessen. Hier ist insbesondere mit Blick auf die Pluralität der Träger die Verantwortung für die Anstellungsverhältnisse überwiegend
bei den Trägern zu suchen. Das schließt nicht aus, dass
wir ein Interesse daran haben, dass angemessen vergütet
wird und dass eine angemessene Vergütung auch als eine
Voraussetzung für die entsprechende Qualität der Kurse
gesehen wird.
Ihre zweite Zusatzfrage, Frau Kolbe.
Vielen Dank. - Die Situation ist folgende: Sie haben
gerade gesagt, dass Sie den Beschäftigten ein vernünftiges Einkommen wünschen. Im Schnitt verdienen Lehrkräfte, die Integrationskurse geben, etwa 18 Euro pro
Stunde. 80 Prozent sind auf Honorarbasis tätig. Das
heißt, für sie ist das quasi arbeitgeberbrutto. Dementsprechend sind sehr viele auf ergänzende Leistungen
angewiesen. Wie bewertet denn die Bundesregierung die
Situation der Integrationskurslehrer, die einen wirklich
zentralen Beitrag zur Integration in Deutschland leisten?
Zunächst einmal muss ich darauf aufmerksam machen, dass wir auch aus verfassungsrechtlichen Gründen
bei der Zulassung bzw. Anerkennung der entsprechenParl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
den Kursträger keine Möglichkeit haben, unmittelbar auf
die Höhe des Honorars einzuwirken. Sie wissen, dass
wir in dem neuen § 20 der Integrationskursverordnung
ein Instrument eingeführt haben, mit dem wir die Entscheidung über die Dauer der Zulassung der Kursträger
davon abhängig machen können, dass gewisse Honoraranforderungen erfüllt werden. Wir haben diese Anforderung jetzt auf 18 Euro festgelegt.
Das ist das Steuerungsinstrument, das wir haben. Ansonsten kann ich von der großen Anzahl der Ausbilder in
den Integrationskursen nur respektvoll sprechen.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Daniela Kolbe auf:
Welche konkret in Zahlen zu benennenden Faktoren ermöglichen es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
den Stundensatz bei Integrationskursen pro Teilnehmer von
zuletzt 2,35 Euro auf 2,54 Euro ({0})
zu erhöhen?
Die Antwort lautet: Bei der letzten Erhöhung des Erstattungssatzes von 2,35 Euro auf 2,54 Euro - ich lasse
jetzt die höheren Sätze für Sonderkurse weg - handelt es
sich um eine inflationsbedingte Erhöhung um rund
8 Prozent. Diese Erhöhung orientiert sich an der kumulierten Inflationsrate vom 1. Juli 2007 - als wir die letzte
Erhöhung auf 2,35 Euro hatten - bis Ende 2011. Die
durch die Erhöhung bedingten Mehrausgaben werden
sich im Jahr 2012 auf rund 12 Millionen Euro belaufen.
Wie Sie wissen, ist dafür durch den Haushaltsansatz entsprechend vorgesorgt.
Ich nutze die Gelegenheit, meine Frage von eben zu
wiederholen, nämlich wie Sie die Situation der Lehrkräfte in den Integrationskursen bewerten, ob Sie die
Bezahlung für ausreichend und anständig halten, in
welche Richtung die Bundesregierung Handlungen unternehmen möchte und was ihr Ziel dabei ist.
Unser Ziel ist, dass wir ein ausreichendes Angebot an
qualifizierten Integrationskursen haben. Die Qualität der
Integrationskurse ist an viele Voraussetzungen gebunden. Dass dabei auch eine angemessene Vergütung eine
Rolle spielt, habe ich bereits gesagt. Dass wir keinen
unmittelbaren Einfluss auf die Tarife haben und dass wir
deshalb davon Gebrauch machen, durch die Bewilligung
einer längeren Dauer der Zulassung denjenigen Trägern
Arbeitssicherheit zu geben, die über 18 Euro vergüten,
ist bereits Gegenstand meiner Aussage gewesen.
Bitte.
Ich frage noch einmal konkret: Was halten Sie denn
für eine angemessene Vergütung, und welchen Stundensatz legt das BMI für diese angemessene Vergütung zugrunde? Die Summe, die das BMI überweist, hängt doch
mit der Höhe des Honorars zusammen, das die Träger
bezahlen können.
Frau Kollegin, diese Frage unterstellt, wir seien in der
Rolle des unmittelbaren Arbeitgebers. In dieser Rolle
befinden wir uns aber nicht. Sie wissen, dass dort, wo
wir in einer unmittelbaren Arbeitgeberrolle sind, nämlich im öffentlichen Dienst, die Höhe des angemessenen
Verdienstes das Ergebnis der Verhandlungen mit den
Tarifpartnern ist. Ich bitte deshalb, meine Zurückhaltung
zu verstehen, wenn ich hier keine Summen nenne. Sie
wissen aus der Antwort auf die Kleine Anfrage des
Bündnisses 90/Die Grünen, wie sich die Vergütungen
verteilen. Sie wissen, dass wir mit der 18-Euro-Grenze
ein gewisses Steuerungsinstrument haben. Im Wesentlichen gehen die Vergütungssätze bis zu 25 Euro.
Frau Kollegin Pau.
Herr Staatssekretär, ich teile Ihre Auffassung ganz
ausdrücklich nicht. Es ist richtig, dass Sie nicht der
unmittelbare Arbeitgeber sind, aber immerhin sind Sie
der unmittelbare Auftraggeber; denn mit der Anforderung, Integrationskurse zu besuchen und dort einen
entsprechenden Abschluss zu erlangen, wird auch die
Aufgabenstellung der Lehrkräfte formuliert. Deshalb
wiederhole ich die Frage der Kollegin Kolbe: Was halten
Sie für eine angemessene Vergütung, wenn dieser Auftrag durch Honorarkräfte oder auch durch festangestellte
Kräfte erfüllt wird? Denn Auftraggeber sind natürlich
Sie.
Frau Kollegin, ich will Sie einmal auf einen grundsätzlichen Sachverhalt aufmerksam machen: Wenn wir
bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in unterschiedlichen Bereichen jeweils über die Angemessenheit der
Vergütung der Mitarbeiter der Auftragnehmer verhandeln würden, dann sähe unser Vergaberecht ganz anders
aus, als es im Moment ist. Das ist aber nur eine grundsätzliche Bemerkung.
Ich will einräumen, dass wir bei der Diskussion um
die Qualität der Integrationskurse auch die Frage der angemessenen Vergütung nicht ausklammern können. Sie
haben durch den Umstand, dass wir an diejenigen, die
bereit sind, die Lehrkräfte mit mindestens 18 Euro zu
vergüten, Verträge über längere Bewilligungszeiträume
hinweg vergeben, bereits einen Hinweis, wo für uns eine
bestimmte Mindestorientierung liegt.
Dazu sehe ich jetzt keine weiteren Fragen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dann rufe ich jetzt die Frage 3 der Kollegin Özoğuz
auf:
Warum wurde die vom Bundesministerium des Innern in
Auftrag gegebene Studie „Lebenswelten junger Muslime in
Deutschland“ vorab am 29. Februar 2012 der Tageszeitung
Bild zugeleitet, noch bevor die Abgeordneten des Deutschen
Bundestages Einsicht erhalten haben, und sieht der Bundesminister des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, die Vorabberichterstattung als konstruktive Form an?
Frau Kollegin Özoğuz, die Antwort lautet: Die Unterstellung, die in dieser Frage mitschwingt, nämlich das
Bundesministerium des Innern habe die Studie vorab der
Bild zugeleitet, trifft nicht zu. Auch Sie sind vorhin Teilnehmerin der Sitzung des Innenausschusses gewesen
und haben gehört, dass der Bundesinnenminister selbst
dies noch einmal ausdrücklich zum Ausdruck gebracht
hat.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
dann helfen Sie mir doch bitte bei einer Einordnung. Das
Bundesinnenministerium hat eine Studie in Auftrag gegeben, die weit über 400 000 Euro gekostet hat. Der
Bundesinnenminister hat, zeitgleich mit der Vorabveröffentlichung, ausgewählte Zahlen zitiert. In der heutigen
Sitzung des Innenausschusses sagte er, dass er alle
Handlungsempfehlungen der Studie rundweg ablehne.
Ist das die Grundlage, auf der wir darüber sprechen?
Zunächst einmal: Da auch ich Teilnehmer der Sitzung
des Innenausschusses war, kann ich die Wiedergabe der
Aussage des Innenministers, er lehne alle Empfehlungen
rundweg ab, nicht bestätigen.
({0})
Vielleicht sollten wir uns einmal gemeinsam das Sitzungsprotokoll anschauen. Wichtig ist, dass wir vor dem
Hintergrund der Ergebnisse der Studie hinsichtlich der
aktuellen Gesetzgebung keinen Handlungsbedarf sehen.
Da bei Ihnen noch immer Zweifel herrschen, die
Studie könne vom Bundesinnenministerium an die BildZeitung gegeben worden sein, möchte ich auf zwei Umstände aufmerksam machen: Der eine Umstand ist, dass
die Studie nie als Geheimstudie in Auftrag gegeben
wurde und dass der Kreis der beteiligten Institute - das
sind Institute der Wissenschaft, die unter den Bedingungen der Wissenschaftsfreiheit arbeiten - vergleichsweise
groß war. Vor dem Hintergrund, wie andere Informationen in die Medien gelangen, bin ich überhaupt nicht darüber verwundert, dass bereits Ergebnisse dieser Studie,
bevor sie offiziell veröffentlicht wurde bzw. bevor sie
durch das Bundesinnenministerium offiziell freigegeben
und auch den Abgeordneten zugeleitet werden konnte, in
den Medien aufgetaucht sind, in diesem Fall in der BildZeitung.
Dann möchte ich meine Frage gern noch einmal konkretisieren, Herr Staatssekretär. Wir sprechen jetzt über
eine Studie, in der als Ergebnis festgehalten wird, dass
sie erstens keine repräsentativen Zahlen enthält und
zweitens davor gewarnt wird, mit einzelnen Zahlen in
die Öffentlichkeit zu gehen und möglicherweise ein
Zerrbild darzustellen. Es trifft ja wohl zu, dass der Bundesinnenminister zu einem Zeitpunkt ein Interview gegeben hat, zu dem noch niemandem im Bundestag diese
Studie vorlag.
Daher stellen sich mir natürlich die Fragen: Was war
die eigentliche Intention dieser Studie? Sie sagen ja, Sie
sähen überhaupt keinen Handlungsbedarf hinsichtlich
der Gesetzgebung. Und warum hat sich der Bundesinnenminister dazu hinreißen lassen, einzelne Zahlen, die
laut Wissenschaftlern nicht repräsentativ sind, als Zitat
in der Bild-Zeitung veröffentlichen zu lassen?
Ich will mit Ihnen jetzt nicht in einen Streit darüber
eintreten - das sollten besser die Autoren dieser Studie
tun -, wie repräsentativ die zitierten Zahlen sind. Auf jeden Fall sind es Zahlen, die in der Kurzzusammenfassung der Autoren selbst publiziert worden sind. Das
heißt, diese Zahlen müssen wenigstens aus der Sicht der
Autoren selbst als wesentlich gegolten haben; sonst hätten sie sie nicht in ihrer eigenen Kurzzusammenfassung
angegeben.
Kollegin Kolbe.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
eine ganz einfache Ja-Nein-Frage: Bedauert das Ministerium die Art und Weise, wie über diese Studie vorab berichtet wurde?
Frau Kollegin, es ist immer der Wunsch der Bundesregierung - das wird übrigens auch bei einer Frage zu
einer anderen Studie zum Ausdruck kommen; auch da
hätte ich mir das gewünscht -, gewissermaßen selbst
Herr über die in Auftrag gegebenen Studien und ihre Ergebnisse zu sein; darüber besteht gar kein Zweifel. Aber
ich will mit dieser Antwort nicht so verstanden werden,
dass man glaubt, dass ich vor der Transparenz der
Medienlandschaft und ihrer Fähigkeit, bestimmten kritischen Sachverhalten nachzuspüren, keinen hohen
Respekt habe.
Kollege Kilic.
Der Herr Bundesinnenminister hat heute im Innenausschuss gesagt, dass diese Studie nicht von ihm persönlich der Bild-Zeitung zur Verfügung gestellt wurde.
Das heißt aber noch lange nicht, dass sie der Bild-Zeitung nicht vom Bundesinnenministerium zur alleinigen
Auswertung zur Verfügung gestellt wurde. Hält die Bundesregierung die Bild-Zeitung für eine Fachzeitung für
solche Bewertungen?
({0})
Ich glaube, die Bundesregierung bemüht sich erkennbar, Ausgewogenheit gegenüber allen Medien zu praktizieren, die einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leisten. Insofern wäre es völlig irregeleitet, aus
dem Umstand, dass die Bild-Zeitung diese Zeilen zuerst
veröffentlicht hat, irgendeine Privilegierung oder Präferenz abzuleiten. Das möchte ich generell voranstellen.
({0})
Ansonsten kann ich jetzt nur sagen: Es hat keine öffentliche oder wie auch immer geartete Übergabe dieser
Studie durch das Bundesinnenministerium an die Medien gegeben.
Kollege Veit.
Herr Staatssekretär, ich möchte zunächst festhalten,
dass in der Innenausschusssitzung, in der dieser Tagesordnungspunkt behandelt wurde - ich habe daran aktiv
teilgenommen -, der Herr Minister dezidiert gesagt hat,
dass er keine der in diesem Gutachten gezogenen
Schlussfolgerungen teile.
Ich schließe daran folgende Fragen an: Ist Ihnen und
der Bundesregierung bekannt, dass einer der Mitautoren
dieser Studie, nämlich der Soziologe Klaus Boehnke von
der Bremen International Graduate School of Social
Sciences, gesagt hat - es war nicht der Bayernkurier, der
dieses Interview durchgeführt hat, sondern das Neue
Deutschland; ich zitiere wörtlich -:
Man schlägt auf unsere Studie ein, ohne auch nur
eine Zeile gelesen zu haben, und verkehrt den Tenor
unserer Studie ins genaue Gegenteil. Das hat sehr,
sehr weh getan.
({0})
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass ein
sorgfältiger Umgang mit dem, was das Innenministerium selbst in Auftrag gegeben hat, stattgefunden hat?
Zunächst einmal kann ich die Aussage dieses Mitautors insoweit verstehen, als er sich durch die verkürzte
und auch pointierte Wiedergabe in den Medien nicht angemessen widergespiegelt fühlt. Ich will bloß darauf
aufmerksam machen: Dafür können Sie das Bundesinnenministerium nicht verantwortlich machen.
({0})
Hierzu sehe ich im Augenblick keine weitere Wortmeldung.
Dann rufe ich die Frage 4, wiederum der Kollegin
Özoğuz, auf:
Teilt der Bundesminister des Innern die Handlungsempfehlungen der von seinem Bundesministerium in Auftrag gegebenen Studie, insbesondere die Ermöglichung der generellen Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft ({0})
und die Empfehlung, plakative Äußerungen wie: „Der Islam
gehört nicht zu Deutschland“ ({1}), tunlichst zu vermeiden, und welche Initiativen und gesetzgeberischen Schritte
wird die Bundesregierung aus der Studie ableiten?
Frau Kollegin, ich antworte wie folgt: Nach Auffassung des Bundesministeriums des Innern sind aufgrund
der Studie neue gesetzgeberische oder andere Initiativen
nicht zu veranlassen.
Aufgrund der von der Studie aufgezeigten Herausforderung der Radikalisierung einer Minderheit von Muslimen hat der Bundesminister des Innern Handlungsbedarf
erkannt. Hierzu hat er gemeinsam mit Muslimen die Initiative Sicherheitspartnerschaft gegründet, die vielfältige
Maßnahmen gegen Radikalisierung umsetzt.
Was das Staatsangehörigkeitsrecht betrifft: Deutschland besitzt ein offenes Staatsangehörigkeitsrecht. Beispielsweise besteht ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung bereits nach einer Aufenthaltsdauer von acht
Jahren; bei besonderen Integrationsleistungen kann diese
Frist auf sechs Jahre verkürzt werden. Mit diesem Einbürgerungsanspruch macht Deutschland einem großen
Teil der bei uns lebenden Ausländer ein offenes Angebot
zur Einbürgerung und Teilhabe an der politischen Willensbildung.
Das Einbürgerungsrecht hat aber auch die Belange
der aufnehmenden Gesellschaft zu berücksichtigen. Zu
den Einbürgerungsvoraussetzungen gehört im Regelfall,
dass der Einbürgerungsbewerber seine frühere Staatsangehörigkeit aufgibt und damit zum Ausdruck bringt,
dass er sich ohne Vorbehalte zu seinem neuen Staat bekennt. Zudem kann die Mehrstaatigkeit mit tatsächlichen
und rechtlichen Komplikationen, zum Beispiel in familien-, erb- und wehrrechtlichen Angelegenheiten, verbunden sein.
({0})
In Fällen, in denen die Aufgabe der früheren Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen möglich ist, kann die Einbürgerung auch
ohne deren Aufgabe erfolgen. Vor diesem Hintergrund
sieht die Bundesregierung aktuell keinen Handlungsbedarf.
Was die Situation „Muslime als Teil Deutschlands“
betrifft: Der Bundesminister des Innern hat sich wiederholt dahin gehend geäußert, dass Muslime, die in
Deutschland leben, selbstverständlich zu dieser Gesellschaft gehören.
Herr Staatssekretär, das wirft jetzt natürlich eine Fülle
von Fragen auf. Ich möchte mich auf das eine konzentrieren, was Sie eben angesprochen haben. Es war die
Islam-Konferenz im vergangenen Jahr, auf der der Bundesinnenminister die Sicherheitspartnerschaft ins Spiel
gebracht hat. Das war just die Islam-Konferenz, bei der
über islamische Theologie an deutschen Hochschulen
gesprochen wurde. Der Bundesinnenminister hat dieses
Thema damals weggedrückt - so sage ich jetzt einmal -,
indem er öffentlich über Sicherheitspartnerschaften gesprochen hat; die islamische Theologie war dann kein
Thema mehr.
An diesem Wochenende wurde er im Weser-Kurier
aufgrund dieser Studie mit der Überlegung zitiert, man
solle doch mehr islamische Theologen ausbilden. Heißt
das, dass der Bundesinnenminister jetzt einen Erkenntnisgewinn hat und gemerkt hat, dass er da im letzten Jahr
vielleicht ein bisschen auf dem falschen Dampfer gewesen ist?
Frau Kollegin, weil ich selbst nicht Teilnehmer oder
Vorbereiter der von Ihnen angesprochenen Islam-Konferenz war, kann ich jetzt nicht beurteilen, inwieweit bei
den Themen Prioritäten gesetzt wurden, wie Sie sie hier
geschildert haben. Richtig ist aber, dass sich die Initiative Sicherheitspartnerschaft mit den muslimischen Verbänden als ausgesprochen hilfreiche und wichtige Initiative erwiesen hat, um Radikalisierungstendenzen bei
einer ausgesprochen kleinen Minderheit der Muslime
auch mithilfe der Mehrheit der Muslime zu begegnen,
die sich nämlich auch ausweislich dieser Studie ausdrücklich gegen Radikalisierung und gegen Gewaltanwendung wenden. Insofern ist die Initiative, so wie sie
ins Leben gerufen wurde, sicherlich nicht in Zweifel zu
ziehen.
Was die Ausbildung von Imamen und die damit verbundenen Lehraufträge für islamische Theologie an
deutschen Hochschulen betrifft, so arbeiten der Bundesinnenminister und auch unser Haus mit der Bundesregierung kontinuierlich daran und knüpfen an die Bemühungen der Amtsvorgänger an. Ich jedenfalls sehe keinen
Anlass, zu sagen, dass der Minister dieses Thema erst
kurzfristig entdeckt hätte. Ich weiß aus vielfältigen Gesprächen, dass ihm das auch früher schon ein Anliegen
gewesen ist.
Noch eine Zusatzfrage.
Ich darf nur noch eine Frage stellen. Dabei möchte ich
mich auf Folgendes konzentrieren: So wichtig und richtig aus meiner Sicht unsere Kritik an dem Umgang mit
dieser Studie ist, so wichtig sind auch deren Inhalte. Vor
dem Hintergrund der Schlussfolgerungen der Wissenschaftler, selbstverständlich auch für das BMI, fragt man
sich: Wo gibt es eigentlich Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen? Wo gibt es diejenigen, die sagen, dass sie
sich hier nicht wohlfühlen, und die zu Radikalisierungstendenzen neigen?
Bei diesen Fragen gibt es eine Fülle von Unstimmigkeiten, die wir hier diskutieren könnten. Dies ist beispielsweise die Frage: Darf ich meine Herkunftskultur in
Deutschland noch aufrechterhalten? Bedeutet das automatisch, dass ich mich eher nicht integrieren will? Die
zweite wesentliche Frage ist, wenn das Bundesinnenministerium gar keine Handlungsempfehlung übernehmen will: Warum haben Sie dann überhaupt in diese
Richtung forschen lassen? Für den Fall, dass ich Sie
falsch verstanden habe: Was gedenken Sie in der nächsten Zeit konkret zu tun?
Die Studie - so ist es auch in der vorhin von mir verlesenen Antwort zum Ausdruck gebracht worden - beschreibt Herausforderungen. Um dieser Beschreibung
der Herausforderungen willen ist sie in Auftrag gegeben
worden. Es ist selbstverständlich, dass wir uns diesen
Herausforderungen stellen.
Eine der Herausforderungen ist - da will ich das von
Ihnen genannte Stichwort aufgreifen -, dass wir Rücksicht auf Herkunftsidentitäten nehmen und damit bikulturelle Identifikationen als Beitrag der Integration in
die deutsche Gesellschaft betrachten. Wie schwierig sich
das im Einzelnen darstellt, wissen wir auch, wenn wir
uns vergegenwärtigen, welche Ansprüche bezüglich
Identifikation und Identität gelegentlich von den Herkunftsnationen gegenüber denjenigen, die zu uns gekommen sind, gestellt werden. Das ist eine Herausforderung, der wir uns stellen sollten.
Der zweite Punkt. Es ist wichtig, dass man angesichts
des großen Fortschritts im Zusammenhang mit den
Kommunikationsmitteln und Medien das Medienverhalten muslimischer Jugendlicher einer objektiven
Untersuchung unterzieht, weil wir wissen, dass Radikalisierungsrisiken durch einen großen Medienkonsum entstehen können. Insofern beschreibt die Studie in der Tat
Herausforderungen, denen wir uns stellen wollen.
({0})
Frau Kollegin Pau.
Wenn die Studie in Auftrag gegeben wurde, um einen
Überblick über die Herausforderungen, vor denen die
Politik im Allgemeinen und das Bundesinnenministerium im Besonderen bei diesem Themenkomplex steht,
zu bekommen und zu beschreiben, und gleichzeitig der
Bundesinnenminister heute im Innenausschuss sagt, dass
er die Schlussfolgerungen, die die Wissenschaftler nach
der Beschreibung dieser Herausforderungen gezogen haben, nicht teilt, dann würde mich interessieren - da der
Innenminister offensichtlich schon weit mit der Auswertung der Studie vorangekommen ist -, in welchen Schritten Ihr Haus nach der Kenntnisnahme der Herausforderungen eigene Schlussfolgerungen entwickelt und in
welche Richtung dort gedacht wird.
Frau Kollegin, Sie wissen, dass die Arbeiten zur Integration unser Haus dauerhaft beschäftigen und dass seit
2006 insbesondere dem kulturellen Dialog mit den Muslimen eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Das
schlägt sich zum Beispiel in der Arbeit des Referates zur
Deutschen Islam-Konferenz nieder. Es ist selbstverständlich, dass die Ergebnisse dieser Studie in die laufenden Arbeiten des Ministeriums einfließen.
Frau Kolbe.
Vielen Dank. - Eine kurze Frage noch von mir: Sie
hatten gerade angedeutet, dass da noch Forschungsund Klärungsbedarf besteht. Plant denn das BMI noch
eine Studie zum Thema Junge Muslime oder allgemein
Muslime in Deutschland, oder ist schon etwas in Arbeit?
Gegenwärtig sind mir Pläne dieser Art nicht bekannt;
aber das will ich jetzt nicht als letzte Antwort des Bundesinnenministeriums verstanden wissen. Ich müsste die
befassten Abteilungen bzw. die befassten Arbeitseinheiten noch einmal fragen, ob mit entsprechenden Vorschlägen noch zu rechnen ist. Im Moment ist keine Planung
vorgesehen.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Kilic auf:
Spiegelt die Berichterstattung der Tageszeitung Bild die
wichtigsten Erkenntnisse der Studie „Lebenswelten junger
Muslime in Deutschland“ wider, und hält die Bundesregierung diese Art von Berichterstattung für der Integration dienlich?
Herr Kollege Kilic, ich bitte um Verständnis, aber es
obliegt nicht der Bundesregierung, die Art der Berichterstattung der Medien in der von Ihnen geforderten Weise
zu bewerten.
Ich habe kein Verständnis für diese Art der Antwort,
ich nehme sie aber trotzdem zur Kenntnis und möchte
eine weitere Frage anschließen: Im Innenausschuss hat
unser verehrter Bundesinnenminister Herr Friedrich
heute gesagt, dass man diese Studie nicht überbewerten
solle; sie sei eine von vielen Studien. In der Tat gibt es
andere Studien, die vom Bundesinnenministerium in
Auftrag gegeben worden sind: eine von 2007, eine andere von 2008. Alle kommen zu dem Ergebnis, dass Radikalisierungstendenzen in hohem Maße vom Bildungsniveau der Eltern und der Jugendlichen abhängig sind.
Eine weitere wichtige Erkenntnis in der neuen Studie
besagt, dass die Ausgrenzung durch die Mehrheitsgesellschaft zur Radikalisierung führen kann. Könnte die Bundesregierung, insbesondere der Bundesinnenminister,
der Bild-Zeitung mitteilen, dass man die Moslems nicht
ausgrenzen sollte, weil das zur Radikalisierung führen
kann, sondern dass man vielmehr ein besseres Miteinander fördern sollte?
Ich glaube, im Lichte der Erkenntnisse dieser Studie
wird allen, die sie lesen, klar, wie groß das Risiko ist,
Gruppendiskriminierungen vorzunehmen, die zu Solidarisierungseffekten führen können, die der Integration in
die Gesellschaft hinderlich sind. In dieser allgemeinen
Form kann man die Erkenntnisse der Studie wohl wiedergeben.
Es gehört allerdings zur Freiheit der Medien, dass sie
in der Auswertung der Daten, die in Form von Publikationen auf dem Markt kursieren und die ihnen als Information zugänglich sind, ihre ganz eigenen Akzente setzen. Es kann nicht Aufgabe der Bundesregierung sein,
sich hier in irgendeine Rolle als Zensor oder Bewerter zu
begeben.
Herr Staatssekretär, kann sich die Bundesregierung
vorstellen, eine neue Studie in Auftrag zu geben, um die
Konfessionszugehörigkeit von Jugendlichen in NeonaziOrganisationen zu erforschen? Wäre es vielleicht dienlich, zu wissen, ob diese Jugendlichen mehrheitlich Katholiken, Protestanten oder Konfessionslose sind? Oder
passt eine solche Fragestellung nicht in die Konzeption
der Bild-Zeitung oder der Bundesregierung?
Ich kann nun überhaupt nicht sagen, was in die Konzeption der Bild-Zeitung passt. Sie hat ihren ganz eigenen Auftrag und ihre ganz eigene journalistische Zielstellung. Die Fragestellung, so wie Sie sie jetzt
konstruieren, erscheint mir nicht naheliegend. Ich will
nicht ausschließen, dass sich Konstellationen ergeben,
die auch solch eine Art der Untersuchung in irgendeiner
Weise einmal erforderlich machen können; aber vor dem
Hintergrund der Ansatzpunkte, die wir nach der Auseinandersetzung mit der Radikalisierung im rechtsextremen Bereich haben, sehe jedenfalls ich momentan keine
Anhaltspunkte, hier Zusammenhänge zur Zugehörigkeit
zu einer christlichen Konfession herzustellen.
Kollege Frieser.
Herr Präsident, vielen herzlichen Dank. - Herr Staatssekretär, einmal abgesehen von der Tatsache, dass ich
mich an die Innenausschusssitzung heute so erinnere,
dass sich der Innenminister hat so vernehmen lassen,
dass er Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen einer ganz bestimmten zitierten Seite nicht folgen
kann
({0})
- ich sage das hier der Deutlichkeit halber -, kommt die
Debatte aus meiner Sicht ein bisschen in eine Schieflage.
Wenn es nur um den Teil einer Studie geht, es statistisch
nicht erheblich ist und die Zahlen nicht besonders bedeutsam sind, dann stellt sich immer die Frage der
Schlussfolgerungen.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie noch fragen, ob die
Studie am Ende zu dem Ergebnis kommt, dass das, was
die Bundesregierung tut - die Anstrengungen, die im
Augenblick in der Integrationspolitik unternommen werden, insbesondere auch die vermehrten Ausgaben -, der
falsche Weg sei?
Zunächst einmal bin ich dankbar, dass ich mit Ihnen
jedenfalls einen Zeugen finde, was die Aussage zu den
Schlussfolgerungen betrifft. Ich bin angesichts des
Nachdrucks, mit dem mir hier die Zitate des Bundesinnenministers entgegengebracht werden, schon unsicher geworden, ob ich unter Umständen in einer anderen
Veranstaltung gewesen bin.
({0})
Die Studie unterstreicht insgesamt die Notwendigkeit,
unsere Anstrengungen in der Integrationsarbeit fortzusetzen. Sie weist auf spezifische Probleme hin, die wir
tatsächlich im Feld der Integration junger Muslime haben. Auch wenn es nicht ausdrücklich so niedergeschrieben ist, sehe ich zumindest in der Art des Herangehens
eine Würdigung der Bemühungen der Bundesregierung,
die sich auch in Haushaltsansätzen niederschlagen.
Frau Özoğuz, bitte schön.
Herr Staatssekretär, da werden jetzt wahrscheinlich
alle die Bänder ganz genau hören wollen. Doch meine
Frage bezieht sich natürlich nicht darauf. - Wie gehen
Sie damit um, dass die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, aber auch die Wissenschaftler
selbst erhebliche Kritik am Umgang mit der Studie geübt
haben? Was bedeutet es für die Zukunft, wenn Wissenschaftler - einige werden mittlerweile in den Medien zitiert - sagen: Wir machen unsere Arbeit, schreiben alles
auf und haben schon im Hinterkopf, dass bestimmt etwas aus dem Zusammenhang herausgerissen und dann
ganz anders dargestellt wird, als es die Gesamtstudie eigentlich aussagen würde? Wie geht das Bundesinnenministerium mit dieser Kritik um?
Frau Kollegin, wenn die Fragestellerin noch Gelegenheit bekommt, die entsprechende Frage zu stellen, können wir noch über eine andere Studie reden, die ich
durchaus als einen Parallelfall betrachte.
Ich habe Verständnis für die Kritik, die die Autoren da
geäußert haben. Ich muss bloß darauf aufmerksam machen, dass sich diese Kritik nicht an die Bundesregierung richtet, sondern sich auf die Auswertung bzw. Akzentsetzung in den Medien bezieht, für die wir
schwerlich verantwortlich gemacht werden können.
Die Frage 6 des Kollegen Konstantin von Notz wird
schriftlich beantwortet, sodass wir jetzt zur Frage 7 der
Kollegin Haßelmann kommen:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus dem
ihr seit über einem halben Jahr vorliegenden Gutachten „Wirtschaftlicher Stand und Perspektiven für Ostdeutschland“ insbesondere für die Förderung strukturschwacher Regionen in
West- und Ostdeutschland ziehen?
Frau Kollegin Haßelmann, jetzt sind wir bei dem anderen Gutachten. Der Auftrag lautete, der Bundesregierung im Rahmen der laufenden Diskussionen über die
Ausrichtung der Förderstrategie für den Aufbau Ost wissenschaftlich fundierte Handlungsoptionen aufzuzeigen.
Die sechs beteiligten wissenschaftlichen Institute haben
dabei auch uneinheitliche Positionen vertreten.
Für die Bundesregierung bleibt die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ein wichtiges politisches
Ziel. Die Leistungen im Rahmen des Aufbaus Ost werden von der Studie nicht infrage gestellt. Der Solidarpakt II ist unbestritten, und die von der Bundesregierung
in den vergangenen Jahren praktizierte Förderung wird
bestätigt. Das Konvergenzziel bleibt für die Bundesregierung handlungsleitend, wobei künftig - spätestens
nach Auslaufen des Solidarpakts II im Jahre 2019 - weniger die Ungleichheit zwischen Ost und West und mehr
die Frage der Konvergenz von Regionen innerhalb des
gesamten Bundesgebietes in den Fokus rückt. So zeichnet sich jetzt schon ab, dass Förderprogramme, die sich
in Ostdeutschland bewährt haben - zum Beispiel die
technologieoffenen Innovationsprogramme für kleine
und mittlere Unternehmen oder das Programm „Stadtumbau Ost“ sowie das Programm „Städtebaulicher
Denkmalschutz Ost“ -, auf Westdeutschland ausgedehnt
werden.
Bitte.
Der Gutachterauftrag war mir bekannt. Daher bin ich
etwas knapp mit dem Dank für die umfangreiche Auskunft.
Ich möchte gerne eine weitere Frage stellen. Ich habe
in meiner Frage dezidiert Interesse an den Schlüssen, die
Sie aus dem Gutachten ziehen, gezeigt; ich meine sämtliche Programme der Bundesregierung zur Förderung
der strukturschwachen Regionen in Ost- und Westdeutschland. Sie haben jetzt ein oder zwei Beispiele für
Programme genannt. Ich gehe aber nicht davon aus, dass
wir beispielsweise auf der Fachebene über einzelne Programme und deren Übertragbarkeit von Ost- auf Westdeutschland diskutieren werden. Mich interessiert vielmehr, ob sich die Bundesregierung systematisch
umorientiert und strukturschwache Regionen nicht mehr
nach der Himmelsrichtung, sondern nach der Strukturschwäche zu beurteilen gedenkt.
({0})
Frau Kollegin, die Situation, die Sie beschreiben, resultiert aus vom Gesetzgeber in Form von Gesetzen getroffenen Entscheidungen zum Länderfinanzausgleich
und zum Solidarpakt II. Sie wissen, dass die Höhe des
Solidarpakts II bis zum Jahr 2019 degressiv ausgestaltet
ist und dass insofern jede Förderung, die über diesen
Rahmen hinausgeht, die gesamtdeutsche Situation und
den entsprechenden Handlungsbedarf im Blick haben
und entsprechend konzipiert sein muss und konzipiert
wird. Das Ganze erfolgt Schritt für Schritt. Ich nenne
hier das Beispiel der Innovationsförderung für kleine
und mittelständische Unternehmen, die wegen der
Kleinteiligkeit der Wirtschaft in den neuen Bundesländern dort vermutlich auch in Zukunft eine stärkere Bedeutung haben wird, die aber gleichwohl für kleine und
mittelständische Unternehmen in den alten Bundesländern geöffnet wurde, weil sie sich insgesamt als Instrument bewährt hat.
Ähnlich ist die Situation bei den Programmen „Städtebaulicher Denkmalschutz Ost“ und „Stadtumbau Ost“,
wo immer deutlicher wird - und das wird die Demografiestrategie der Bundesregierung, die am Monatsende
vorgelegt wird, zeigen -, dass der Stadtumbau als ein
Konzept für die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels nicht nur die neuen Bundesländer, sondern auch die alten Bundesländer betrifft.
Eine weitere Zusatzfrage?
Ich würde gerne wissen, wie der genaue Zeitplan für
die Studie, für die fachliche Erörterung dieser Studie und
für Programmänderungen bzw. Umgestaltungen, die Sie
möglicherweise aufgrund der Ergebnisse der Studie vorsehen, aussieht.
Zunächst einmal muss ich Wert darauf legen, dass die
allermeisten Aussagen der Studie letztlich eine Bestätigung der Förderpolitik der zurückliegenden Jahre und
Jahrzehnte darstellen und dass die Studie - ich betone es
noch einmal, weil es medial zum Teil verzerrt wiedergegeben wurde - den Aufbau Ost insgesamt als einen erfolgreichen Beitrag auch zur Erringung der inneren Einheit Deutschlands kennzeichnet. In dieser Hinsicht
kommt die Studie zu dem eindeutigen Ergebnis, dass es
keinen zusätzlichen Handlungsbedarf gibt.
Die Diskussion wurde bei zwei Punkten vertieft geführt. Wir wollten das so, und zwar möglichst vor der öffentlichen Diskussion. Erstens. Wir haben es mit einem
Minderheitenvotum zu tun. In der Studie werden bestimmte Konzepte, zum Beispiel die Clusterpolitik, infrage gestellt, die für die Bundesregierung bisher über
mehrere Legislaturperioden ein wichtiges Instrument zur
Überwindung der Nachteile der Kleinteiligkeit der ostdeutschen Wirtschaft war.
Zweitens. Man hält angesichts der jetzt erreichten
Konvergenz beim Bruttoinlandsprodukt weitere Konvergenzen für nicht möglich. Diese Aussage muss aus unserer Sicht vertieft erörtert werden; denn die Bundesregierung hält am Konvergenzziel fest.
Frau Kollegin Gleicke.
Herr Kollege Bergner, dass das erfolgreiche Stadtumbauprogramm eine positive Wirkung in Ostdeutschland
hatte und wir es deshalb schon zu rot-grünen Zeiten mit
dem Stadtumbau West auch auf die alten Länder, wo es
ähnliche Problemlagen gibt, ausgeweitet haben, ist bekannt. Nun liegt das Gutachten schon seit einem halben
Jahr vor. Wir haben bereits im Dezember den Bericht
zum Stand der deutschen Einheit diskutiert. Wie man an
der Frage der Kollegin Haßelmann erkennen kann, gibt
es - das ist uns allen bekannt - immer wieder einen Verteilungskampf in Bezug auf die „Förderung nach der
Himmelsrichtung“.
Im Bericht zum Stand der deutschen Einheit wird sehr
deutlich gemacht, dass selbst die strukturstarken Gebiete
Ostdeutschlands immer noch hinter den strukturschwachen Gebieten in den alten Bundesländern hinterherhinken. Deshalb frage ich Sie: Halten Sie es angesichts der
politischen Diskussion über die Verteilungskämpfe für
einen angemessenen Umgang, ein Gutachten, das diese
Kontroverse aufgreift, ein halbes Jahr lang in den Schubladen des Innenministeriums verschwinden zu lassen?
Hätte man sich im Zusammenhang mit dem Bericht über
den Stand der deutschen Einheit nicht viel früher über
die Ergebnisse der Studie unterhalten müssen?
Frau Kollegin, ich will zunächst festhalten, dass keine
der Aussagen der Studie die Aussagen im Bericht zum
Stand der deutschen Einheit grundsätzlich infrage stellt.
Insofern übt sie keinen korrigierenden Einfluss aus.
Sie selbst engagieren sich lange genug im Bereich der
Ostförderung und im Bereich der Angleichung der Lebensverhältnisse, was im Moment vor allem die Angleichung der Wirtschaftskraft von Ost und West bedeutet.
Daher wissen Sie, dass man über die Aussage, dass die
Konvergenz prinzipiell nicht erreichbar ist, erst mit den
Autoren vertieft diskutieren möchte, ehe man sie in die
öffentliche Diskussion gibt.
({0})
Das war das Bestreben. Die Studie war nie geheim. Sie
war übrigens seit Sommer letzten Jahres in der Bundestagsbibliothek zu bekommen.
({1})
Das will ich am Rande erwähnen. Wir als Auftraggeber
hatten das vertragliche Recht, zunächst einmal weiterführende Diskussionen zu führen, ehe wir mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit gehen. Von diesem Recht
wollten wir Gebrauch machen.
Herr Kollege Beck.
Noch einmal zu dem Aspekt „Förderung nicht nach
Himmelsrichtung, sondern nach Notlage“. Wie bewertet
die Bundesregierung die Situation, dass allein die notleidenden Kommunen in NRW Kassenkredite in Höhe von
20 Milliarden Euro aufnehmen mussten, wenn man bedenkt, dass der Bedarf der Kommunen insgesamt auf
44,3 Milliarden Euro angestiegen ist? Ist das nicht ein
Hinweis darauf, dass es hier eine eindeutige soziale Herausforderung gibt, auf die die Bundesregierung reagieren müsste? Meine Frage ist: Wie wird sie darauf reagieren?
Herr Kollege Beck, Sie wissen, dass der Bund insbesondere infolge der letzten Verfassungsreform sehr beschränkte Möglichkeiten zur Unterstützung der Kommunen hat.
({0})
Ich mache darauf aufmerksam, dass die Situation der
Kommunen in Nordrhein-Westfalen vor allem mit der
Finanzverteilung bzw. den Finanzströmen innerhalb des
Landes zusammenhängt, also eine Folge der nordrheinwestfälischen Landespolitik ist. Das ist bei den neuen
Ländern übrigens nicht anders. Beim Bund eine unmittelbare Schuld für die finanzielle Situation der Kommunen zu suchen und in diesem Zusammenhang den Aufbau der neuen Bundesländer als Ursache zu benennen
- ich weiß, dass einige Politiker in Nordrhein-Westfalen
dies gelegentlich tun -, halte ich für nicht sachgerecht.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Volker Beck auf:
Welche Applikationen für Tabletcomputer hält die Bundesregierung für geeignet, um die Konzentrationsfähigkeit
von Regierungsmitgliedern bzw. von Parlamentarischen
Staatssekretären bei Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages zu fördern, und von welcher Stelle der Bundesregierung
werden diese Applikationen angeschafft?
Herr Kollege Beck, die Antwort lautet: Es ist nicht
Aufgabe der Bundesregierung, die Eignung von Applikationen für Tabletcomputer im Hinblick auf eine mögliche
Förderung der Konzentrationsfähigkeit von Regierungsmitgliedern oder Parlamentarischen Staatssekretären zu
beurteilen. Generell erfolgt die Beschaffung von Applikationen eigenverantwortlich durch die jeweiligen Ressorts, soweit Aspekte der IT-Sicherheit nicht berührt werden.
Die Antwort überrascht nicht wirklich, Herr Staatssekretär. Ich habe mich spontan gefragt, ob das Gewicht
dieser Frage nicht die Einsetzung einer Enquete-Kommission rechtfertigen könnte,
({0})
aber das wird der Kollege Beck jetzt sicher in seiner Zusatzfrage vertiefen.
Die Bundesregierung kann die unmittelbare Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses durch wahrheitsgemäße und umfassende Beantwortung noch abwenden.
Welche Applikationen werden von den Regierungsmitgliedern während der Plenarsitzungen hier verwendet? Stimmen Informationen, nach denen Frau Aigner
hauptsächlich Farm Ville spielt, Herr Ramsauer sich mit
Air Control beschäftigt und Frau Merkel umgestiegen
ist? Früher soll Frau Merkel Angry Birds gespielt haben,
weil man dabei mit Tieren nach anderen Tieren werfen
kann - das hat sie wohl an die Koalition erinnert -, neuerdings soll sie aber Froggy Jump spielen.
Volker Beck ({0})
({1})
Entsprechen die Informationen der Wahrheit, oder gibt
es andere Applikationen, die da im Gespräch sind?
({2})
Herr Kollege, ich kann Ihnen dazu keinerlei Auskunft
geben. Ich kümmere mich darum ebenso wenig wie um
andere Fragen der Ausstattung des persönlichen Lebens.
({0})
Da zuvor ein ausgewachsener Bundesminister hier
seine persönlichen Einsichten von der Regierungsbank
aus kundgetan hat, frage ich Sie: Sind Sie denn bereit,
dem Parlament eine Liste mit den Applikationen, die für
Mitglieder der Bundesregierung angeschafft worden
sind, zur Verfügung zu stellen, damit die Ausschussmitglieder wissen, über welche Spiele sie mit Mitgliedern
der Bundesregierung online in Kontakt treten können?
Sie können dieses Auskunftsersuchen gerne als
schriftliche Anfrage an uns richten.
({0})
Mir ist nicht bekannt, dass es entsprechende Anschaffungslisten gibt. Ich wüsste auch keinen Grund, warum
entsprechende Anschaffungslisten angelegt werden sollten.
({1})
Auch darüber würde ich noch einmal vertieft nachdenken wollen, und zwar sowohl, was die Ankündigung,
als auch, was den strammen Vergleich betrifft. Erstaunlicherweise gibt es keine weiteren Zusatzfragen.
Der ähnlich wichtigen Frage nach der Verwendung
von Software mit Sprach- und Texterkennung bei der
Überwachung digitaler Kommunikation werden wir uns
jetzt nicht mündlich zuwenden können bzw. müssen,
weil der Kollege Hunko um schriftliche Beantwortung
der Frage 9 gebeten hat.
Damit ist die Beantwortung der Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern abgeschlossen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Frage 10 des Kollegen Hunko wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Rebmann auf:
Welche Dissenspunkte innerhalb der Bundesregierung
sind für die mehrfache Verschiebung der Kabinettbefassung
mit dem Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung ursächlich?
Herr Kollege Rebmann, als Antwort auf Ihre Frage
kann ich Ihnen folgende Auskunft geben: Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat
den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherungsverwahrung
mit allen nötigen Anlagen und sonstigen Formalien mit
Schreiben vom 1. März 2012 an den Chef des Bundeskanzleramtes übermittelt und zugleich darum gebeten,
ihn auf die Tagesordnung der heutigen Kabinettssitzung
zu setzen. Dies ist ohne jegliche Verschiebung geschehen. Der Entwurf ist heute vom Kabinett unverändert beschlossen worden.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, meine Frage war, warum es
mehrfach zu einer Verschiebung der Kabinettsbefassung
kam. Es freut mich, dass es heute endlich Thema in der
Kabinettssitzung war. Trotzdem frage ich: Wie lässt sich
die Zeitplanung der Bundesregierung mit der Aufforderung der Landesjustizminister vereinbaren, die Sie unmissverständlich gebeten haben, möglichst schnell einen
Regierungsentwurf vorzulegen, damit das Gesetzgebungsverfahren bis zum 30. Juni dieses Jahres abgeschlossen werden kann?
Zunächst einmal: Eine Verschiebung ist nicht erfolgt.
Der Gesetzentwurf ist zur Befassung im Kabinett angemeldet worden, und in der nächsten Sitzung, also heute,
hat es den Kabinettsbeschluss gegeben.
Hinsichtlich Ihrer weiteren Frage nach dem zeitlichen
Ablauf darf ich in Erinnerung rufen, dass wir gemeinsam, die Koalition aus CDU/CSU und FDP zusammen
mit den Stimmen der SPD-Bundestagsfraktion, zum
1. Januar 2011 eine grundlegende Reform der Sicherungsverwahrung beschlossen haben. Am 4. Mai 2011
hat das Bundesverfassungsgericht diese Reform zwar
bestätigt, aber aufgrund anderer Gesichtspunkte die Bestimmungen zur Sicherungsverwahrung aufgehoben,
wobei es jedoch eine Übergangsfrist bis 31. Mai 2013
festgelegt hat, in der diese Bestimmungen mit den Modifizierungen des Gerichts weiter gelten.
Das Bundesjustizministerium hat selbstverständlich
rasch mit der Gesetzgebungsarbeit begonnen. Der Kern
der Beanstandung durch das Bundesverfassungsgericht
betraf den bisherigen Vollzug der Sicherungsverwahrung. Dieser oblag den Bundesländern. Demgemäß ist
die Neuregelung, um dieses sogenannte Abstandsgebot
im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung
künftig zu erfüllen, mit den Bundesländern intensiv erörtert worden. Damit ist rasch nach dem Urteilserlass begonnen worden. Die Erörterungen dieser komplizierten
Materie haben sich einige Zeit hingezogen. Wir liegen
jedoch gut im Zeitplan; denn jetzt ist Anfang März. Deswegen können die Länder die Änderung des Vollzugs
der Sicherungsverwahrung mit hinreichendem zeitlichen
Vorlauf planen.
Ich interpretiere Ihre Antwort so, dass Sie den Termin
30. Juni einhalten möchten. Dies bedeutet, wenn ich mir
den Jahresplan anschaue - der Bundesrat muss sich auch
noch damit befassen -, dass wir frühestens Mitte Juni
eine Anhörung zu dem Thema durchführen können. Unmittelbar nach der Anhörung würden dann bereits die
zweite und dritte Lesung in diesem Hause stattfinden.
Meine Frage lautet: Wie wollen Sie sicherstellen, dass
die Hinweise, die in der Anhörung gegeben werden,
noch in den Gesetzentwurf eingearbeitet werden, oder
führen Sie nur pro forma eine Anhörung durch, damit
der Opposition und der Öffentlichkeit Genüge getan
wird?
Herr Kollege Rebmann, Aufgabe der Bundesregierung war es, einen Gesetzentwurf zu beschließen und in
das Verfahren zu bringen. Der Verlauf des weiteren Verfahrens ist Sache des Parlaments. Demgemäß ist es nicht
Aufgabe der Bundesregierung, die Durchführung einer
Anhörung zu dem Gesetzentwurf zu beschließen; dies
wird vermutlich der Rechtsausschuss machen. Ich halte
die Durchführung einer Anhörung angesichts der
schwierigen Materie für sachgerecht. Sie sehen, dass
schon aus diesem einen Grund der weitere Verfahrensablauf jetzt in den Händen des Parlaments liegt.
Die Sorge, die Sie in Ihren Fragen zum Ausdruck
bringen, dass das Gesetz nicht rechtzeitig im Bundesgesetzblatt verkündet wird, halte ich für unbegründet.
Die Übergangsregelung, die das Bundesverfassungsgericht getroffen hat, läuft bis zum 31. Mai 2013. Es ist
also noch reichlich Zeit. Allerdings brauchen die Länder
einen Vorlauf, um sich auf die geänderten Bestimmungen einzustellen. Die Länder können, vor allem was das
Abstandsgebot und den Vollzugsbeginn betrifft, eigentlich heute damit beginnen, weil der Kabinettsbeschluss
dafür durchaus eine Grundlage bietet. Die Regelungen
zum Vollzug, die das Abstandsgebot betreffen - um
diese Regelungen geht es den Ländern insbesondere -,
sind von uns nämlich in enger Abstimmung mit den
Landesjustizministerien ins Verfahren eingebracht worden.
Zusatzfrage des Kollegen Lischka.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Stadler, stimmen
Sie mir zu, dass das parlamentarische Verfahren und die
Kabinettsbefassung in den Ländern erst dann eingeleitet
werden können, wenn die Länder wissen, welcher Gesetzentwurf vom Bundestag tatsächlich verabschiedet
wurde? Insofern lautet meine Frage: Wie viel Zeit brauchen die Länder aus Sicht der Bundesregierung noch,
damit die Landesgesetzgebungen bis Ende Mai dieses
Jahres abgeschlossen werden können, sodass die Frist,
die das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, eingehalten wird?
Herr Kollege Lischka, ich stimme dem Ausgangspunkt Ihrer Frage zu, dass auch Landesgesetze, die den
Vollzug betreffen, geändert werden müssen. Aber noch
einmal: Gerade die Regelungen zum Vollzug, die von
uns auf den Weg gebracht werden, sind eng mit den Ländern abgestimmt. Ich gehe daher davon aus, dass die
Länder ihre Gesetzgebung zügig durchführen können.
Was das Verfahren im Bundestag anbelangt, so sind
wir selbstverständlich an einer raschen Verabschiedung
des Gesetzentwurfes interessiert. Aber das liegt in den
Händen der Parlamentarier. Insgesamt ist die von Teilen
der Opposition schon direkt nach dem Urteil am 4. Mai
2011 geäußerte Sorge, wir könnten den Zeitplan nicht
einhalten, wie ich glaube, ganz klar unbegründet. Wir
liegen mit dem heutigen Kabinettsbeschluss gut in der
Zeit.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich rufe nun die
Frage 12 des Kollegen Ingo Egloff auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse des von
Professor Dr. Thomas Hoeren im Auftrag des Verbandes der
deutschen Internetwirtschaft erstellten Gegengutachtens zu
dem in der Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Technologie, BMWi, vorgeschlagenen Warnhinweismodell
zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen, und welche
Konsequenzen wird sie daraus ziehen?
Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, wegen des Zusammenhangs zwischen
Frage 12 und Frage 13 würde ich beide Fragen, wenn
Sie erlauben, gerne zusammen beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 13 des Kollegen Ingo
Egloff auf:
Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 2012
({0}), mit der die Zuordnung von dynamischen
IP-Adressen ausdrücklich als ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1
des Grundgesetzes festgestellt wird, für das mit der BMWiStudie vorgeschlagene vorgerichtliche Warnhinweismodell,
Vizepräsident Eduard Oswald
und in welcher konkreten Ausgestaltung sieht die Bundesregierung ein solches Warnhinweismodell als mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar an?
Ich beantworte Ihre Fragen wie folgt: Die Bundesregierung wird die vom Bundeswirtschaftsministerium in
Auftrag gegebene vergleichende Studie der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht mit den am Wirtschaftsdialog beteiligten Rechteinhabern und Diensteanbietern
erörtern, wobei voraussichtlich auch das Gutachten von
Professor Hoeren, auf das Sie in Ihrer ersten Frage Bezug genommen haben, thematisiert werden wird. Über
mögliche weitere Schritte wird die Bundesregierung auf
Grundlage der Ergebnisse dieser Gespräche entscheiden.
Die rechtliche Bewertung hängt von der konkreten Ausgestaltung eines etwaigen Warnhinweismodells bzw. eines vorgerichtlichen Mitwirkungsmodells ab. Gegenstand der rechtlichen Bewertung wird auch die
Vereinbarkeit mit Art. 10 des Grundgesetzes und mit der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sein.
Herr Kollege Egloff, Sie haben nun eine Reihe von
Nachfragen. Sie starten mit Ihrer ersten.
Muss ich angesichts Ihrer Antwort davon ausgehen,
Herr Staatssekretär, dass die im Gegengutachten vorgebrachten technischen und rechtlichen Probleme Ihrer
Meinung nach jedenfalls im Moment noch nicht als so
gravierend bewertet werden, dass von einer Umsetzung
des Warnhinweismodells in jedem Fall Abstand genommen werden kann?
Sie konnten meiner Antwort entnehmen, Herr Kollege Egloff, dass die Gespräche innerhalb der Bundesregierung über die Frage, wie man Urheberrechtsverletzungen im Internet wirksamer begegnet, noch laufen,
sodass bisher keinerlei inhaltliche Festlegung getroffen
worden ist. Es wurde bisher lediglich eine Festlegung
getroffen, die sich schon im Koalitionsvertrag findet: Es
wird keine Internetsperren als Folge von Urheberrechtsverletzungen geben. Diese sind, wie gesagt, schon im
Koalitionsvertrag ausgeschlossen worden.
Herr Egloff, Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär Otto aus dem Wirtschaftsministerium hat angekündigt, im Zweifelsfall müsse man im
Hinblick auf die Warnhinweise gesetzliche Maßnahmen
ergreifen. Wenn ich Frau Bundesjustizministerin
Leutheusser-Schnarrenberger richtig verstanden habe,
dann befürwortet sie das nicht. Wie beurteilen Sie diesen
Widerspruch innerhalb der Bundesregierung?
Diesen Widerspruch kann ich nicht erkennen. Herr
Kollege Otto ist in der vergangenen Fragestunde auch
dazu befragt worden und hat Ihnen die Auskunft gegeben, dass am 15. März im Bundeswirtschaftsministerium
Gespräche dazu stattfinden werden. Vorher wird es keinerlei inhaltliche Festlegungen geben. Die Gespräche
werden dann ausgewertet.
Des Weiteren hat er ausgeführt, dass eine Gesetzesänderung erforderlich wäre, wenn man bestimmte Formen
eines Warnmodells wählt. Das steht nicht im Widerspruch zu dem, was die Bundesjustizministerin gesagt
hat; denn es gibt auch andere Modelle, die keine Gesetzesänderung erfordern.
Aus den Reihen Ihrer Fraktion ist beim letzten Mal
gefragt worden, ob es jetzt schon möglich sei, dass die
Rechteinhaber Mahnschreiben an die Nutzer richten,
ohne dass es eine Verpflichtung zur Mitwirkung des Providers gibt. Das wäre eine Form von Hinweisen auf Urheberrechtsverletzungen, die nach geltendem Recht
möglich ist und keinerlei Gesetzesänderungen erfordert.
Daher kommt es sehr darauf an, wie die inhaltliche
Debatte geführt wird und welches Ergebnis sie hat. Davon hängen dann die rechtlichen Folgen ab.
Sie haben eine weitere Nachfragemöglichkeit.
Herr Staatssekretär, aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 2012 stellt sich die
Frage, ob die Auffassung richtig ist, dass im Lichte der
Feststellung, bei der Zuordnung von IP-Adressen handele es sich um einen Eingriff in Art. 10 Abs. 1 Grundgesetz, davon ausgegangen werden kann, dass ein vorgerichtliches Warnhinweismodell ohne richterliche
Anordnung zwangsläufig grundgesetzwidrig ist. Teilen
Sie diese Auffassung?
Herr Kollege Egloff, auch hier gilt, dass wir eine
rechtliche Bewertung dann vornehmen werden, wenn
eine Einigung darüber erzielt worden ist, wie man Urheberrechtsverletzungen besser begegnet. Es ist offen, ob
dies mit Warnmodellen, mit Ermahnungsschreiben oder
auch auf ganz andere Art und Weise geschieht. Dann
wollen wir eine rechtliche Bewertung - selbstverständlich unter Beachtung dieses relativ neuen Urteils des
Bundesverfassungsgerichts - vornehmen.
Sie haben die Möglichkeit einer weiteren Nachfrage.
Herr Staatssekretär, es liegen Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern vor. In Frankreich ist mit einer
Art Warnhinweismodell gearbeitet worden. Die Erfah19472
rungen, die die Franzosen damit gemacht haben, sind
durchweg nicht positiv, weil es Umgehungstatbestände
gibt. Werden diese Erfahrungen anderer europäischer
Länder in Ihre Überlegungen einbezogen?
Diese Frage kann ich ganz kurz mit einem einfachen
Ja beantworten. Wenn es anderweitige Erfahrungen gibt,
wie dies in Frankreich der Fall ist, werden diese selbstverständlich einbezogen. Dann schaut man sich natürlich
an, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Allerdings
muss man dabei immer auch die Vergleichbarkeit im
Auge behalten. Wenn die Nutzung bestimmter Formen
des Internets abnimmt, wie dies etwa bei Peer-to-PeerGruppen der Fall ist, ist es verständlich, dass unabhängig
davon, ob man ein Warnhinweismodell hat oder nicht,
die Urheberrechtsverletzungen in diesem Bereich nicht
mehr so häufig sind. Das muss man dann auch bedenken.
Im Übrigen hat der Kollege Otto meiner Erinnerung
nach in der letzten Fragestunde - jedenfalls aber auch
öffentlich - gesagt, dass niemand daran denke, das französische Modell eins zu eins zu übernehmen. In Frankreich sind nämlich als Folge von Urheberrechtsverletzungen Internetsperren vorgesehen. Das wollen wir auf
keinen Fall übernehmen. Außerdem sind dort andere
schwerwiegende Eingriffe in die Nutzung des Internets
wie die Verlangsamung des Zugangs oder Ähnliches
vorgesehen.
Vielen Dank. - Die Frage 14 des Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 15 unseres Kollegen
Burkhard Lischka:
Wie lässt sich der Sinneswandel der Bundesministerin der
Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, im Hinblick auf
die Einführung von Warnhinweismodellen erklären, die sich
in ihrer Berliner Rede zum Urheberrecht im Jahr 2010 zunächst positiv hierzu geäußert hatte, mittlerweile eine solche
Regelung in einer YouTube-Botschaft vom 8. Februar 2012
jedoch ablehnt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Lischka, die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, hat sich in der
Tat in der sogenannten Berliner Rede zum Urheberrecht
vom 14. Juni 2010 zu Warnhinweisen geäußert, sie jedoch nicht befürwortet. Sie hat nämlich erklärt, ein
Warnhinweismodell könne nur in Betracht kommen,
wenn es sich technisch ohne eine Inhaltskontrolle und
Datenerfassung realisieren ließe. In ihrer YouTube-Botschaft vom 8. Februar 2012, auf die Sie sich beziehen,
hat die Bundesjustizministerin dies bekräftigt.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Stadler, für Ihre Beantwortung.
In Bezug auf das Warnhinweismodell aus der Studie
des Bundeswirtschaftsministeriums, das auch Gegenstand vorheriger Fragen war, wird davon ausgegangen
- so verläuft im Augenblick ja auch der Dialog -, dass es
aufgrund einer freiwilligen Vereinbarung zwischen den
Rechteinhabern und den Providern umgesetzt werden
kann, indem es durch allgemeine Geschäftsbedingungen
vereinbart wird. Halten Sie das juristisch für möglich,
oder sehen Sie hier einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf, sofern man ein derartiges Warnhinweismodell
umsetzen will?
Herr Kollege Lischka, eine ähnliche Debatte hatten
wir ja bei dem seinerzeitigen Zugangserschwerungsgesetz, als von der Großen Koalition Internetsperren eingeführt worden sind, die auf Initiative dieser Bundesregierung jetzt gerade wieder abgeschafft worden sind übrigens auch mit Ihren Stimmen. Damals gab es eine
Debatte darüber, wie man der Darstellung von sexuellem
Missbrauch von Kindern im Internet begegnet.
Als seinerzeit die Internetsperren von der Großen Koalition eingeführt worden sind, gab es auch schon eine
Debatte darüber, ob eine freiwillige Vereinbarung zwischen den Beteiligten ausreichen würde. Die damalige
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries von der SPD
hatte die Auffassung vertreten, dass eine gesetzliche Regelung notwendig ist. Diese Auffassung habe ich seinerzeit auch geteilt. Bei der aktuellen Debatte müsste man
diese Frage, wenn es denn überhaupt zu einem solchen
Modell käme, noch einmal aufgreifen und sorgfältig prüfen, ob die Sachverhalte vergleichbar sind.
Noch einmal will ich aber sagen: Das, was aus dem
Bundeswirtschaftsministerin bisher in die Debatte eingebracht wurde, ist noch keine Festlegung auf ein
bestimmtes Modell - weder auf das sogenannte Vertragsmodell, bei dem man mit allgemeinen Geschäftsbedingungen arbeitet, noch auf eine gesetzliche Regelung -,
und noch steht überhaupt nicht fest, ob es überhaupt zu
einem Warnhinweismodell kommen wird.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Urheberrechtsverletzungen im Internet werden derzeit über einen Auskunftsanspruch verfolgt, der bei Gericht geltend gemacht werden kann und den es hier in Deutschland seit
September 2008 gibt.
Ja, genau.
Haben sich dieser Auskunftsanspruch und das Verfahren, das wir derzeit in Deutschland praktizieren, nach
Ansicht der Bundesregierung bewährt?
Herr Kollege Lischka, dieses Verfahren hat sich unserer Auffassung nach bewährt. Es ist ja zu Ihrer Regierungszeit von der Großen Koalition eingeführt worden.
Nachdem ich vorhin ein anderes Gesetzgebungsvorhaben kritisch erwähnt habe, will ich jetzt gerne auch einmal etwas positiv darstellen.
Die Rechteinhaber können den Inhaber einer dynamischen IP-Adresse über einen Auskunftsanspruch bei Gericht abfragen. Dieses Verfahren geht sehr schnell; es
wird sehr häufig praktiziert. Es ist dann Sache der Rechteinhaber, wie sie ihr Urheberrecht weiter durchsetzen.
Beispielsweise wäre es eben auch möglich, dass man
dem Nutzer den Hinweis gibt, dass er sich urheberrechtswidrig verhalten hat, ohne dass dies schon mit Abmahnkosten oder Schadensersatzansprüchen verbunden
ist. Dies wäre nach geltendem Recht ja möglich.
Ich rufe die Frage 16 auf:
Plant die Bundesregierung, den Ratifizierungsprozess des
Handelsübereinkommens ACTA fortzusetzen, sofern die Prüfung durch ein Gutachten des Europäischen Gerichtshofs dessen Rechtmäßigkeit ergibt?
Ich darf die Frage folgendermaßen beantworten: Das
Bundeskabinett hat am 30. November 2011 der Zeichnung von ACTA durch die Bundesrepublik Deutschland
zugestimmt. Ein konkreter Zeichnungstermin und weitere Planungen zum Ratifikationsverfahren stehen derzeit nicht fest.
Die Bundesregierung wird bei ihrer Entscheidung
zum weiteren Vorgehen das Gutachten des Europäischen
Gerichtshofs ebenso wie die weitere Diskussion und Beschlussfassung im Europäischen Parlament berücksichtigen.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
falls ACTA, aus welchen Gründen auch immer, scheitert: Plant die Bundesregierung in diesem Fall auf internationaler Ebene Initiativen zur Bekämpfung der Produktpiraterie, oder sind für die Bundesregierung dann
auch entsprechende Initiativen ad acta gelegt?
Herr Kollege Lischka, ich wäre beinahe versucht zu
sagen: Es freut mich, dass Sie als Oppositionspolitiker
der Bundesregierung so weitreichende Planungen zutrauen. Ich glaube, das richtige Vorgehen besteht jetzt
darin, abzuwarten, wie sich die durch die Entscheidung
der Europäischen Kommission entstandene neue Situation darstellt.
Die Kommission hat bekanntlich die Anrufung des
Europäischen Gerichtshofs beschlossen. Demgemäß
muss man als Nächstes dies abwarten. Es ist das Europäische Parlament am Zug. Denn es handelt sich bei
ACTA um ein Abkommen, das von der Europäischen
Union verhandelt worden ist. Die beiden Akteure, die
ich gerade genannt habe, sind als Nächstes am Zug.
Dann wird die Bundesregierung weitere Schritte überlegen.
Richtig ist aber, was in Ihrer Frage durchscheint, dass
es sehr wohl - auch das muss man betonen - in der derzeitigen Debatte ein erhebliches Interesse der Bundesregierung gibt, der Produktpiraterie entgegenzutreten. Das
steht außer jedem Zweifel.
Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Ihr Kollege, Herr Staatssekretär
Otto, hat in der vergangenen Woche in einer Podiumsdiskussion des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco angekündigt, dass in Kürze ein Gesetzentwurf
der Bundesregierung zum dritten Korb des Urheberrechts vorgelegt wird. Ist dem so, und wenn ja: Wann ist
damit zu rechnen?
Herr Kollege Lischka, wie Sie wissen, hat am Sonntag der Koalitionsausschuss getagt. Es gab dabei auch
eine Beschlussfassung zu urheberrechtlichen Themen.
Diese wird jetzt umgesetzt, indem an den dort behandelten Themen weiter gearbeitet wird. Ich kann Ihnen aber
zum heutigen Tag kein Datum nennen, wann ein Gesetzentwurf vorgelegt wird.
Eine weitere Frage hat unser Kollege Christian
Ströbele.
Danke. - Herr Kollege Stadler, Sie alle kennen die
Kritik insbesondere aus der User-Szene an ACTA. Hat
die Bundesregierung gerade auch angesichts ihrer Bemühungen um eine Neuregelung des Urheberrechts in
Deutschland zu den Formulierungen, wie sie in ACTA
weitgehend ohne Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit, insbesondere der User, zustande gekommen
sind, berücksichtigt, welche anderen Möglichkeiten des
Urheberrechts, aber auch des Schutzes der Interessen derer, die leichter von den modernen Möglichkeiten der
Nutzung dessen, was im Internet zu haben ist, Gebrauch
machen, infrage kommen?
Herr Kollege Ströbele, zunächst einmal gibt mir Ihre
Frage die Gelegenheit, noch einmal eine Selbstverständlichkeit zu betonen: Die Bundesregierung fühlt sich
selbstverständlich dem Schutz des geistigen Eigentums
verpflichtet. Ebenso habe ich aus Ihrer Fraktion die Äußerung gehört, dass dies auch für Bündnis 90/Die Grünen gelte; denn dies sei schließlich die Partei von
Heinrich Böll. Ich weiß nicht genau, welche Ihrer Kolleginnen das gesagt hat. Jedenfalls hat sich auch Ihre Fraktion mit diesem Satz zum Schutz des geistigen Eigentums und zum Urheberrecht bekannt.
({0})
Die Kritik an ACTA ging zum Teil davon aus - das
kann ich ein Stück weit gut nachvollziehen -, dass die
Verhandlungen, die, wie gesagt, nicht von der Bundesregierung, sondern von der Europäischen Union mit anderen Staaten geführt worden sind, zunächst, wie bei
derartigen internationalen Verhandlungen nicht unüblich, hinter verschlossenen Türen geführt worden sind.
Wir, die Bundesregierung, haben uns aber dafür eingesetzt, dass ab 2010 alle maßgeblichen Dokumente veröffentlicht worden sind; denn wir sind der Auffassung,
dass man mit Transparenz Kritikpunkten, die sonst zu
Unrecht auftauchen, vorbeugt.
Beispielsweise wird unentwegt - auch von Ihrer Parteivorsitzenden Claudia Roth - behauptet, wegen ACTA
könnten keine Generika mehr nach Afrika geliefert werden, was dort zu Gesundheitsgefährdungen von Menschen führe. Da kann ich nur sagen: Das hat mit ACTA
nichts zu tun, sondern ist Thema in anderen Abkommen - um nur das aufzugreifen, was Sie zur Kritik gesagt haben.
Nun ging es im Kern Ihrer Frage darum, über Änderungen im Urheberrecht nachzudenken. Ich darf festhalten: ACTA zwingt zu keiner Änderung der Rechtslage in
Deutschland, insbesondere nicht zur Einführung von Internetsperren. Das will ich auch einmal betonen, weil es
dazu in der öffentlichen Debatte manchmal nichtzutreffende Behauptungen gibt.
Dass wir uns insgesamt über das Urheberrecht Gedanken machen, ist schon durch die Antwort auf die
Frage des Kollegen Lischka deutlich geworden. Darin
habe ich ja gesagt: Im Anschluss an den Koalitionsausschuss wird es Überlegungen zu Änderungen im Urheberrecht geben; diese werden zunächst intern abgestimmt.
Vielen Dank. - Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Justiz.
Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Hier steht uns zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Steffen
Kampeter zur Verfügung.
Die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Dr. Anton
Hofreiter sowie die Fragen 19 und 20 des Abgeordneten
Swen Schulz ({0}) werden schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir zur Frage 21 des Kollegen HansChristian Ströbele:
Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, dass an das hochverschuldete Griechenland in der Finanzkrise von der EU und
Deutschland als Nothilfemaßnahmen Kredite zu einem Zinssatz gewährt werden, der weit über dem liegt, den die EU und
Deutschland zur Finanzierung dieser Kredite zahlen müssen,
sodass die Kreditgeber also Milliarden an der Not Griechenlands verdienen, die von dem verschuldeten Land dann auch
noch aufzubringen sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Ströbele, diese Frage möchte ich wie
folgt beantworten: Die Kredite werden nicht von
Deutschland und der EU, sondern von der Europäischen
Finanzstabilisierungsfazilität vergeben.
Der Zinssatz der Kredite soll zumindest die Refinanzierungs- und Betriebskosten der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität abdecken.
Im Rahmen der Beschlüsse der Euro-Gruppe vom
21. Februar 2012 wurden auch die Zinsen für die bereits
bestehenden Griechenland-Pakete noch einmal überprüft
und rückwirkend auf eine Marge von 150 Basispunkten
über dem Drei-Monats-Euribor abgesenkt. Alle Geberländer erzielen daher merklich geringere Erträge. Dies
führt zu einer Minderung der griechischen Schuldenstandsquote im Jahr 2020 in einem Ansatz von 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, die von mir gestellte Frage ist
nicht beantwortet. Meine Frage zielt dahin, wie viel
Deutschland und die EU an den Darlehen, die Griechenland gegeben worden sind, verdienen. Schließlich muss
man nur einmal das, was die EU oder Deutschland aufwenden musste, um das Kapital zur Verfügung zu haben,
und das, was Griechenland aufwenden muss, um diese
Kredite zu bekommen, ins Verhältnis setzen. Da gibt es
doch einen Unterschied. Oder ist das die gleiche
Summe?
Nein, Herr Kollege Ströbele. Die Kreditaufnahme des
Bundes ist in diesem Punkte irrelevant, weil in dieser
Fragestellung nicht der Bund die Kredite vergibt,
({0})
sondern die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität.
Diese wiederum besorgt sich das Geld am Kapitalmarkt.
Dabei geht es nicht um Gewinnorientierung, sondern,
wie ich gesagt habe, um Refinanzierungs- und Kreditkosten. Das ist keine gewinnorientierte Institution. Sie
soll aber zweifelsohne ihre Betriebskosten und eine gewisse Sicherheitsmarge für mögliche Ausfälle decken.
Etwas anderes sind die Kredite aus dem sogenannten
bilateralen Programm. Das wickeln wir über die KfW
ab. Dafür haben wir eine Bundesgarantie abgegeben.
Bisher wurden - diese Zahl dient der Erläuterung - dem
Bund aus den bilateralen Griechenland-Krediten Zinsen
in Höhe von 380 Millionen Euro überwiesen. Durch die
rückwirkende Reduzierung der Marge um 150 Basispunkte wird ein Teil dieses Betrages mit künftigen Einnahmen zu verrechnen sein.
Das Pricing ist fair, spiegelt aber auch die tatsächlichen Refinanzierungskosten sowohl der KfW als auch
der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität wider.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Ströbele.
Meine Frage ist noch immer nicht beantwortet. Ich
stelle jetzt aber eine andere Frage, die mich interessiert.
Sie sprechen immer wieder von den Geldern, die zur
Deckung der Kosten erwirtschaftet werden müssen.
Können Sie mir sagen - die Zinsen lassen wir einmal
beiseite -, um welche Größenordnung es dabei geht?
Wer profitiert von diesen Kosten: Banken, Geld- und
Finanzinstitute?
Noch einmal, Herr Kollege Ströbele: Sie gehen,
glaube ich, von falschen Voraussetzungen aus. Sie gehen
davon aus, dass Banken an den bilateralen Krediten beteiligt sind. Es ist tatsächlich so, dass die Kreditanstalt
für Wiederaufbau im Rahmen eines Zuweisungsgeschäfts Griechenland einen Kredit im Rahmen der Anpassungsprogramme gibt. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau refinanziert sich dabei auf dem Kapitalmarkt und
reicht die Mittel an Griechenland weiter. Der Bund ist
als Garantiegeber für dieses Geschäft tätig.
Bei den vom Deutschen Bundestag am vergangenen
Montag beschlossenen Fazilitäten geht es nicht um bilaterale Kredite, sondern um EFSF-Kredite. Aber das
Prinzip ist das gleiche. Hier wird die europäische Staatengemeinschaft als Garantiegeber tätig. Auf dem Kapitalmarkt werden die entsprechenden Mittel aufgenommen und im Rahmen der Restrukturierungsprogramme
an Griechenland weitergereicht, zum Teil für den Privatsektorumtausch, das Anpassungsprogramm in engerem
Sinne und zum Teil für die Bankenrekapitalisierung.
Eine Profitmöglichkeit für EFSF und KfW ist in diesem
Fall im klassischen Sinne nicht gegeben.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zu Frage 22 des Kollegen Manfred
Kolbe:
Führen die Tender der Europäischen Zentralbank vom Dezember 2011 ({0}) und vom Februar 2012
({1}) - also über 1 Billion Euro an europäische Banken insbesondere aus den Krisenländern - zu theoretischen Haftungsrisiken für die Bundesrepublik Deutschland?
Herr Kollege Kolbe, Ihre Frage möchte ich dahin gehend beantworten, dass geldpolitische Operationen des
Euro-Systems, zu denen die Refinanzierungsgeschäfte,
die Sie ansprechen, von Dezember und Februar zählen,
nach Art. 18 der ESZB-Satzung nur gegen angemessene
Sicherheiten durchgeführt werden. Das heißt, der Tender
emittiert etwas, und man kann von diesem Tender profitieren, indem man entsprechende Sicherheiten bei der
EZB hinterlegt. Die nationalen Zentralbanken, die solche Geschäfte durchführen, können einen Verlust erleiden, wenn einer der geldpolitischen Geschäftspartner
ausfällt und die Verwertung der eingereichten Sicherheiten nicht ausreicht, um die Kreditforderungen zu decken.
Im Übrigen kann der EZB-Rat nach Art. 32.4 der
ESZB-Satzung beschließen, bei nationalen Zentralbanken anfallende Verluste aus geldpolitischen Operationen
auf alle Zentralbanken nach ihrem Beteiligungsschlüssel
betreffend die EZB zu verteilen. Dadurch kann den einzelnen Zentralbanken ein Aufwand entstehen. Mit Hinblick auf die unionsrechtlich verankerte finanzielle Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank ist insoweit zu
berücksichtigen, dass Situationen vermieden werden, die
dazu führen, dass das Nettoeigenkapital einer nationalen
Zentralbank über einen längeren Zeitraum geringer ist
als ihr Grundkapital. In diesem Fall muss daher ein angemessener Kapitalbetrag - mindestens bis zur Höhe des
Grundkapitals - vorhanden sein. Das steht im Konvergenzbericht der EZB.
Das sind die grundsätzlichen, die theoretischen Haftungsrisiken. Sie bestehen nicht durch die Tender, die Sie
ansprechen, sondern sie gehören zu den grundlegenden
Strukturprinzipien und bestehen seit der Gründung der
Europäischen Zentralbank.
Herr Kollege Kolbe, Sie haben das Wort zur ersten
Nachfrage. Bitte schön.
Sie, Herr Staatssekretär, schließen also ein Haftungsrisiko nicht aus. Wie wahrscheinlich das ist, weiß heute
niemand. Angesichts der Höhe der beiden Tender, über
1 Billion Euro, frage ich: Wie hoch liegt denn das theoretisch höchstmögliche Haftungsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland?
Herr Kollege Kolbe, das betrifft die Frage 23.
({0})
Wir gehen nicht davon aus, dass die Europäische
Zentralbank bei der Konzeption und Durchführung der
Tender keine sorgfältige Risikoabwägung vorgenommen
hat. Wir gehen davon aus, dass sie insgesamt nur vertretbare Risiken eingegangen ist. Die Wahrscheinlichkeit
eines theoretischen Risikos - darauf zielt Ihre Betrachtung ab - ist ausschließlich von der EZB unter Berücksichtigung der Qualität der bei ihr deponierten Risiken
zu bewerten. Dazu ist die Bundesregierung weder institutionell noch aufgrund ihrer Kenntnis der Sachlage auskunftsfähig.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Kolbe.
Die Bundesregierung muss sich aufgrund der Vorschriften, die Sie zitiert haben, und aufgrund der theoretisch möglichen Haftung, die auch Sie nicht ausgeschlossen haben, Gedanken machen, wie hoch diese
Haftung möglicherweise ist. Wie hoch ist die theoretisch
höchstmögliche Haftung der Bundesrepublik Deutschland aufgrund dieser beiden Tender?
Herr Kollege Kolbe, in meiner Antwort auf die Frage
habe ich Ihnen die Grundstrukturen von Refinanzierungsgeschäften der Europäischen Zentralbank und die
internen Haftungswege der einzelnen nationalen Notenbanken zur EZB erläutert. Hier ist prinzipiell und theoretisch beschrieben, wie möglicherweise bei einem Ausfall
des Geschäftspartners vorgegangen wird. Informationen
über alles darüber Hinausgehende, insbesondere eine
Wahrscheinlichkeitsrechnung, kann Ihnen nur die Europäische Zentralbank geben. Angesichts der Unabhängigkeit, im Übrigen aber auch wegen der Nichtöffentlichkeit der Geschäftspolitik der Europäischen Zentralbank
ist die Bundesregierung zu einer Quantifizierung eines
von uns eher als unwahrscheinlich gehaltenen Ausfallrisikos in der Exaktheit, die Sie einfordern, leider nicht in
der Lage.
Wir kommen zur Frage 23 des Kollegen Manfred
Kolbe:
Für wie wahrscheinlich hält die Bundesregierung insoweit
eine tatsächliche Haftung der Bundesrepublik Deutschland?
Die Frage betrifft denselben Sachverhalt. Ich variiere
die Antwort und sage: Wir haben keinen Zweifel, dass
sich die EZB risikoangemessen und sorgfältig verhält
und sie lediglich vertretbare Risiken eingegangen ist.
Herr Kolbe, Sie haben die Möglichkeit der Nachfrage. Bitte schön.
Wie beurteilt denn die Bundesregierung die Tatsache,
dass die Anforderungen an die Hinterlegung von Sicherheiten durch die Europäische Zentralbank deutlich abgesenkt worden sind?
Herr Kollege Kolbe, das ist eine Entscheidung, die in
die Autonomie der Europäischen Zentralbank fällt. Sie
wird diese Entscheidung nach kluger Abwägung getroffen haben; denn die Nichtbereitstellung von Liquidität
im europäischen Bankensystem hätte zu einem völlig
anderen Risikoszenario geführt als zu dem, das Sie
hier erfragen. Wenn beispielsweise einzelne Kontrahenten im europäischen Bankensystem aufgrund von Liquiditätsmangel ausgefallen wären, hätten sich nicht nur
theoretische, sondern sehr praktische Risiken für die
Finanzmarktstabilität ergeben. Insoweit bewertet die
Bundesregierung das Agieren der Europäischen Zentralbank im Rahmen ihres geldpolitischen Mandates durchaus positiv.
Wir begleiten die Stabilisierungsmaßnahmen der
Europäischen Zentralbank durch ein umfassendes fiskalpolitisches Bündel von Maßnahmen, beispielsweise
durch den in der Regierungsbefragung hier umfassend
dargelegten Fiskalpakt, aber auch durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus und andere Regeln, die
die striktere Trennung zwischen Geldpolitik und Fiskalpolitik wiederherstellen sollen. Diese ist nach Auffassung mancher Beobachter noch ausbaufähig.
Sie haben eine weitere Nachfrage?
Ja. - Der Präsident der Deutschen Bundesbank hat
sich nicht ganz so euphorisch wie Sie geäußert. Stehen
Sie eher auf der Seite der EZB oder eher auf der Seite
der Deutschen Bundesbank?
Die Bundesregierung steht auf der Seite des Europäischen Systems der Zentralbanken, und der Bundesbankpräsident ist unser nationaler Vertreter innerhalb dieses
Zentralbankensystems. Er genießt unser volles Vertrauen.
Kollege Kolbe, diese Antwort hat Sie sicher überrascht.
Die Fragen 24 und 25 der Abgeordneten Lisa Paus
und die Fragen 26 und 27 der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll werden schriftlich beantwortet, sodass Kollege
Staatssekretär Kampeter - Vizepräsident Eduard Oswald
({0})
- Nein, nein. Der Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen ist beendet. Somit komme ich zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 28 der Frau Kollegin Sabine
Zimmermann:
Wie hoch liegen die gesamtfiskalischen Kosten der
Arbeitslosigkeit in Deutschland pro Erwerbslosem, und wie
hoch wären die gesamtgesellschaftlichen Kosten für
11 750 Betroffene?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, die gesamtwirtschaftlichen Kosten der
Arbeitslosigkeit werden seit langer Zeit vom IAB, dem
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, bearbeitet und ermittelt. Uns liegen Zahlen bis 2007 vor. Diese
Zahlen werden im Augenblick überarbeitet. Wir gehen
davon aus, dass das bis zum Sommer dieses Jahres geschehen sein wird. Ich kann Ihnen daher nur mit Angaben bis zum Jahr 2007 helfen und möchte dies nur vorbemerkt haben, damit Sie diese Zahlen nicht einfach
hochrechnen; denn die Zeit dazwischen hat Veränderungen gebracht. Im Jahr 2007 betrugen die gesamtfiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit pro einzelnem Arbeitslosen 17 900 Euro pro Jahr.
Frau Kollegin Zimmermann, Ihre erste Nachfrage.
Danke schön, Herr Präsident. - Danke schön, Herr
Staatssekretär. Herr Fuchtel, ich freue mich immer wieder, wenn wir beide uns über Schlecker unterhalten.
Wenn Sie sich erinnern: Vor zwei Jahren waren wir
schon einmal an dem Thema dran.
Es stimmt: Vom IAB werden die Kosten auf rund
18 000 Euro geschätzt. Meine Frage ist: Wenn Sie das
Geld in Arbeitsplätze investieren würden, würde unter
dem Strich nicht mehr dabei herauskommen, als wenn
wir weiterhin die Arbeitslosigkeit finanzierten?
Ich wäre froh darüber, wenn wir uns hier nicht über
Schlecker unterhalten müssten und wenn die Situation
nicht so wäre, wie sie bei Schlecker eingetreten ist. Dies
als erste Bemerkung.
Das Zweite. Ich habe schon vermutet, dass Ihre Frage
in diese Richtung geht nach dem Motto: Wenn wir jetzt
einen bestimmten Prozentsatz von Arbeitslosigkeit haben, dann muss das auf diese Weise in Bezug auf den
Einzelfall gerechnet werden. - Wenn wir einen solchen
Weg gehen, dann landen wir wieder bei den alten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, wie wir sie vor vielen
Jahren schon einmal gehabt haben. Das wäre ein Schritt
zurück. Deswegen lehnen wir solche Vorgehensweisen
nach Berechnungen ab. Das mögen Sie mit Ihrem Weltbild weiterverfolgen; wir tun das nicht.
Sie haben jetzt die zweite Nachfrage, Frau Kollegin
Zimmermann. Dann gibt es weitere Nachfragen.
Danke schön, Herr Präsident. - Sie wissen, dass es
nach dem Gesetz drei Monate lang Insolvenzgeld gibt.
Sie wissen auch, dass die Situation bei den SchleckerBeschäftigten ziemlich dramatisch ist; denn bis zum
Ende dieses Monats sollen die ersten Kündigungen ausgesprochen werden. Es ist aber auch so, dass viele
Erkenntnisse noch gar nicht vorliegen, zum Beispiel
über die Vermögensverhältnisse von Herrn Schlecker.
Aber auch der Insolvenzplan ist unklar. Würden nicht
auch Sie dafür plädieren, dass man die Zahlung des Insolvenzgeldes in solchen Situationen verlängern müsste?
Solche Suggestivfragen mag ich schon einmal gar
nicht.
({0})
Ich sage Ihnen: Das Insolvenzgeld ist eine sehr wichtige
Möglichkeit, in solchen Fällen zu helfen. Es hat sich in
der Form bewährt, wie es bis jetzt gehandhabt wird. Mir
sind keine Veränderungsabsichten bekannt.
Ich habe jetzt weitere Nachfragen, und zwar zunächst
von unserer Kollegin Jutta Krellmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau von der Leyen
hat vor kurzem gesagt, dass die Beschäftigten im Grunde
genommen im besten Fall in einer Transfergesellschaft
gezielt weitergebildet werden könnten. Wenn es gut
läuft, dann können sie eventuell, schon bevor sie arbeitslos werden, direkt eine Anschlussbeschäftigung bekommen. Meine konkrete Frage ist: Haben Sie Erkenntnisse
darüber, wie es hinsichtlich des Verbleibs von Beschäftigten in Transfergesellschaften aussieht, und wie sind
Ihre Erfahrungen dazu?
Generell ist das Instrument der Transfergesellschaft
nichts Neues; auch uns beiden Sozialpolitikern ist es gut
bekannt. Eigentlich könnte man davon ausgehen, dass
sich herumgesprochen hat, dass dies in vielen Fällen ein
durchaus gangbarer Weg ist. Wir haben in der Vergangenheit erlebt, wie über Transfergesellschaften Maßnah19478
men der Weiterbildung erfolgt sind, die bessere Vermittlungsmöglichkeiten geschaffen haben. Angesichts der
jetzt doch sehr guten Arbeitsmarktlage ist die Chance für
erfolgreiche Vermittlungen besser, als wir es in der
vergangenen Zeit erleben mussten. Auch dank Transfergesellschaften hat es Möglichkeiten gegeben, Beschäftigung für Arbeitsuchende zu finden.
Nächste Nachfrage durch unsere Kollegin Heidrun
Dittrich.
({0})
- Nein, immer nur eine.
Bitte schön, Frau Kollegin Heidrun Dittrich.
Danke schön, Herr Präsident. - Nach Aussage der
Ministerin von der Leyen haben Verkäuferinnen günstige Arbeitsmarktchancen. Das müsste auch auf die
Schlecker-Verkäuferinnen zutreffen. In der Zeitung Welt
am Sonntag stand am 4. März 2012 - ich zitiere -:
Die Zeit ist günstig. Zurzeit brummt der Arbeitsmarkt, alleine für Einzelhandelskaufleute gibt es
derzeit über 20 000 offene Stellen.
Meine Frage an Sie - keine Suggestivfrage, sondern
eine klare Frage -: Ist Ihnen bekannt, dass den 25 000
offenen Stellen in den Verkaufsberufen 300 000 gemeldete Arbeitslose dieses Berufszweiges gegenüberstehen?
Das entspricht einem Verhältnis von eins zu zwölf. Hält
es die Bundesregierung immer noch für richtig, zu
sagen: „Es gibt eine gute Arbeitsmarktperspektive für
Verkäuferinnen und vor allem für die Verkäuferinnen
von Schlecker“?
Gerade dieser Arbeitsmarkt ist sehr flexibel und von
sehr vielen Komponenten geprägt. Hier muss man
bedenken, dass gerade Menschen, die bis jetzt in einem
Arbeitsverhältnis gestanden haben, praktisch auf dem
aktuellen Stand der Kenntnisse sind und natürlich besonders gute Chancen haben, in eine weiterführende Tätigkeit vermittelt zu werden.
Nächste Nachfrage durch unseren Kollegen Michael
Schlecht.
Wenn die Bereitschaft besteht, eventuell in Transfergesellschaften Geld zu investieren, und wenn auf der anderen Seite aus den ersten Ausführungen von Ihnen klar
ist, dass die arbeitslosen Schlecker-Beschäftigten allein
im ersten Jahr Kosten von weit über 200 Millionen Euro
verursachen würden - die entsprechenden Mittel könnte
man anderweitig sinnvoller investieren -, stellt sich die
Frage, ob sich die Bundesregierung nicht überlegen
könnte, über Belegschaftsbeteiligungsmodelle Hilfen zu
gewähren, wie sie in Teilen der Gewerkschaft Verdi in
unterschiedlicher Form diskutiert werden. Solche Hilfen
könnten eine Chance sein, das Unternehmen Schlecker
weiterzuführen. Gibt es in dieser Richtung ansatzweise
Überlegungen, oder ist da bei Ihnen nur eine komplette
Ablehnung festzustellen?
Zunächst dürfen Sie nicht den Fehler machen, die
Zahl, die ich vorhin genannt habe, auf ein Jahr hochzurechnen. Niemand von uns beiden weiß nämlich, ob die
betroffenen Personen ein Jahr lang arbeitslos sind. Wir
alle erhoffen natürlich, dass Anschlussbeschäftigungen
gefunden werden. Am besten wäre es, wenn es zu einer
Weiterbeschäftigung im Rahmen der jetzigen Tätigkeiten kommen könnte.
Die Frage, die Sie stellen, richtet sich zunächst einmal
natürlich an die Akteure: Das sind vor allem diejenigen
Personen und Institutionen, die an dem Insolvenzverfahren beteiligt sind. Hier sind natürlich immer Ideen
gefragt. Diese Ideen müssen dahin gehend überprüft
werden, inwieweit sie mit den vorhandenen Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik begleitet werden könnten.
Daraus entwickeln sich in aller Regel Konzepte. In dieser Phase befindet man sich zurzeit. Insoweit besteht die
Aufgabe der Beteiligten darin, sich zu überlegen, welche
Wege man in dieser Phase finden kann. Es ist bekannt,
dass es durchaus immer wieder vorkommt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus einer solchen Situation
heraus zu einem Engagement im Unternehmen finden.
Dem kann ich an dieser Stelle natürlich nicht vorgreifen.
Vielen Dank. - Alle weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich - die Frage 29 der Kollegin Britta
Haßelmann sowie die Fragen 30 und 31 des Kollegen
Gustav Herzog - werden schriftlich beantwortet.
Als letzten Geschäftsbereich rufe ich jetzt das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf. Im Anschluss daran - ich darf das
gleich ankündigen - kommen wir zu unserer Aktuellen
Stunde. Zur Beantwortung steht uns nun der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Friedrich
Ostendorff auf:
Haben das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz bzw. dessen Vorgängerministerien für den ehemaligen Staatssekretär des Hauses ({0}) Johannes Carl Adolf Theodor Sonnemann ({1}) einen ehrenden Nachruf ({2}) verfasst, und, wenn ja, wurde die Ehrwürdigkeit
jemals überprüft?
Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da hat
sich das Warten doch gelohnt. - Die Antwort: Aus der
vom Bundesarchiv in Sankt Augustin kurzfristig beschafften Personalakte geht hervor, dass für Herrn
Staatssekretär a. D. Dr. Dr. h. c. Sonnemann am 10. September 1987 ein Nachruf im General-Anzeiger Bonn
veröffentlicht worden ist. Er liegt mir vor. In diesem
Nachruf erfolgte eine Ehrung seiner für die Bundesrepublik Deutschland erbrachten Leistungen. Staatssekretär
a. D. Dr. Sonnemann war nicht Gegenstand der von
Bundesministerin a. D. Künast in Auftrag gegebenen
und Ende 2007 fertiggestellten Untersuchung - Bewertung der Lebensläufe von insgesamt 62 ehemaligen noch
lebenden Bediensteten des heutigen BMELV im Hinblick auf die Zeit des Nationalsozialismus -, da er zum
Zeitpunkt der Erteilung des Untersuchungsauftrages bereits seit 18 Jahren verstorben war.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Friedrich Ostendorff.
Es mag vielleicht verwundern, dass genau auf eine
Person bezogen von mir nachgefragt wurde. Ich glaube,
zu dem sogenannten Dornheim-Gutachten, das hier erstellt worden ist, ist schon zu fragen, ob jemand, der so
exponiert im landwirtschaftlichen System gearbeitet hat
wie Herr Sonnemann - er war lange Zeit auch Generalsekretär des Deutschen Raiffeisenverbandes, er war
zwölf Jahre Staatssekretär, und er war ganz sicher ein
Überzeugungstäter in der Zeit des Nationalsozialismus;
zu dem Schluss kommt man, wenn man sein Leben und
Wirken sieht -, nicht auch von diesem Gutachten erfasst
werden sollte. Es setzt ja mit dem Jahr 1903 ein. Meine
Frage an Sie wäre also: Sind Sie angesichts dieser Erfahrung bereit, die Untersuchung auf Menschen auszuweiten, die vor 1903 geboren worden sind und auch schon
nicht mehr leben? Wir schreiben das Jahr 2012; da werden nur ganz wenige aus diesen Jahrgängen überhaupt
noch unter uns sein. Aber die Frage bleibt doch, ob man
die Untersuchung nach der Erfahrung mit dem Dornheim-Gutachten, auf das Sie hingewiesen haben, nicht
ausdehnen sollte, wenn man eine saubere Analyse der
Vergangenheit vornehmen will. Sind Sie also bereit, das
auszudehnen?
Herr Kollege, ich habe darauf verwiesen, dass Frau
Bundesministerin a. D. Künast diese Untersuchung in
Auftrag gegeben und den Personenkreis so gefasst hat,
wie er beschrieben worden ist. Ein weiteres Gutachten
über verstorbene ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BML oder BMELV ist nicht geplant.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege.
Da verzichte ich auf eine Nachfrage, aber gestatten
Sie mir bitte eine Bemerkung. Wir haben in der letzten
Woche im Kulturausschuss eine Anhörung zu diesem
Fragenkomplex durchgeführt. Ich bitte das Haus, darüber nachzudenken, ob man das Dornheim-Gutachten
nicht ausweiten sollte, und uns Nachricht zu geben,
wenn das positiv beschieden wird.
Vielen Dank. Nachdenken ist immer gut.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Ende der Fragestunde. Die Beantwortung der weiteren
Fragen werden wir entsprechend der Geschäftsordnung
vornehmen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Tarifeinheit sicherstellen - Tarifzersplitterung
vermeiden
Erster Redner unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Hubertus
Heil. Bitte schön, Kollege Hubertus Heil.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tarifautonomie ist ein zentraler Grundpfeiler
der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Wir Sozialdemokraten machen deutlich: Dazu gehört auch die
bewährte Tarifeinheit. Tarifautonomie und Tarifeinheit
gehören zusammen, weil sie eine Zersplitterung des Tarifvertragssystems bisher verhindert haben, weil so einer
Spaltung von Belegschaften entgegengewirkt wurde und
weil wir ein System hatten - so muss man ja sagen -, das
eine Vervielfachung kollektiver Konflikte vermieden
hat. In einem Wort: Tarifautonomie und Tarifeinheit sind
sowohl im Interesse der Unternehmerinnen und Unternehmer, der Wirtschaft in Deutschland, als auch der Beschäftigten in diesem Land. Wir haben seit 2010, seit
zwei Urteilen des Bundesarbeitsgerichtes, die Situation,
dass diese Tarifeinheit zukünftig zerbrechen kann. Wir
haben die Aktuelle Stunde deshalb beantragt, Frau
Ministerin, weil wir erleben, dass trotz vielfältiger Ankündigungen der Bundeskanzlerin und auch von Ihnen
in der vergangenen Woche seit 2010 in diesem Bereich
nichts passiert ist. Diese Bundesregierung ist nicht in der
Lage, die zentralen Probleme dieses Landes anzupacken,
weil sie sich wechselseitig blockiert. Das gilt auch für
eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit.
Hubertus Heil ({0})
({1})
Zur Erinnerung: Das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes lässt in der Begründung explizit offen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit hat, die Dinge, die die Tarifeinheit betreffen, auch gesetzgeberisch zu regeln.
Daraufhin gab es eine gemeinsame Initiative der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und
des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit der Forderung,
die Tarifeinheit in Deutschland gesetzlich zu regeln. Im
November 2010 gab es eine persönliche Zusage der
Bundeskanzlerin, innerhalb von wenigen Monaten, bis
Januar 2011, die Dinge auf den Weg zu bringen. Was wir
dann erlebt haben, ist typisch Schwarz-Gelb, nämlich die
Tatsache, dass Sie im Wesentlichen nur in der Lage sind,
sich wechselseitig zu blockieren - mit dem Ergebnis,
dass Sie inzwischen Koalitionsausschüsse veranstalten,
wo Sie Streitpunkte nicht einmal mehr auf die Tagesordnung setzen. Ich habe das noch anders in Erinnerung
- ich habe früher in anderer Funktion Koalitionsausschüsse vorbereiten dürfen -: Das sind Clearingstellen,
um Probleme zu lösen, wenn es in der Koalition hakt.
Was Sie am vergangenen Sonntag gemacht haben, ist etwas anderes: Sie haben „Mensch ärgere dich nicht“ gespielt. Sie haben sich zusammengesetzt und Punkte abgenickt, die auf Arbeitsebene ohnehin unstrittig waren.
Aber Sie waren zu feige, so ein Thema wie die Tarifeinheit, das Sie, Frau Ministerin, noch in der vergangenen
Woche im Morgenmagazin angesprochen haben, auf die
Tagesordnung zu setzen,
({2})
weil Sie genau gewusst haben, dass Sie mit der FDP
auch an diesem Punkt nicht vorankommen.
Ich sage Ihnen, dass wir schon im Sommer 2010 bereit waren, mit Ihnen gemeinsam nach einer gesetzlichen
Regelung zu suchen. Damals gab es ein Schreiben unseres Fraktionsvorsitzenden, Frank-Walter Steinmeier, und
des Ministerpräsidenten Kurt Beck an die Bundeskanzlerin mit dem Angebot, in diesem juristisch zugegebenermaßen nicht einfachen Bereich nach einer gemeinsamen
Lösung zu suchen. Wir sagen heute: Es ist noch nicht zu
spät. Wer nicht will, dass die soziale Marktwirtschaft
Schaden nimmt, wer nicht will, dass Spartengewerkschaften sich auf Kosten von Gesamtbelegschaften einen
schlanken Fuß machen können, wer nicht will, dass es
eine unverhältnismäßige Zunahme von Tarifauseinandersetzungen und Streiks in Deutschland gibt, der muss
in diesem Bereich vorankommen. Wir reichen Ihnen die
Hand zu einer Lösung, aber wir erwarten von dieser
Bundesregierung, namentlich von der Bundesarbeitsministerin, dass sie endlich einen Gesetzentwurf auf den
Tisch legt. Das ist Ihr Job, Frau von der Leyen, und da
haben Sie seit zwei Jahren nichts zustande gebracht.
({3})
Wir erwarten zudem, dass dieser Gesetzentwurf auf
den gemeinsamen Vorschlägen der Bundesvereinigung
der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Deutschen
Gewerkschaftsbundes basiert und dass diese Vorschläge
mit den Sozialpartnern in Deutschland besprochen werden. Das ist uns ganz wichtig.
Ich sage Ihnen auch, was passiert, wenn nichts passiert - das werden wir in kürzerer Zeit erleben -, dass
nämlich die Tariflandschaft in Deutschland immer mehr
zersplittert, dass kleine wirkungsmächtige Spartengewerkschaften ganze Belegschaften bzw. ganze Betriebe
lahmlegen, um ihre speziellen Interessen durchzusetzen.
Und ich sage Ihnen: Diese Form von Entsolidarisierung
und wirtschaftlicher Unsicherheit, die wir in einigen Bereichen schon jetzt beobachten können, beispielsweise
am Frankfurter Flughafen - das ist Gott sei Dank durch
Arbeitsgerichte abgewendet worden -, dürfen Sie nicht
auf Ihre Kappe nehmen.
Deshalb appelliere ich vor allen Dingen an die Kollegen der CDU/CSU - wir wissen, dass es in Ihren Reihen
viele gibt, die in diesem Bereich mit uns vorankommen
wollen; wir wissen auch, dass die FDP Sie aus ideologischen Gründen im Moment daran hindert -: Werfen Sie
Ihr Herz über die Hürde! Tarifeinheit und Tarifautonomie in Deutschland sind viel zu wichtig, als dass in dieser Frage der Koalitionsfrieden darübergestellt werden
sollte.
({4})
Ich sage Ihnen noch einmal: Wir sind zu Gesprächen
bereit; wir erwarten aber von der Bundesregierung, namentlich von der Bundesarbeitsministerin, dass sie ihren
Job macht. Frau von der Leyen, bisher muss man feststellen: viele Interviews und warme Worte zu diesem
Thema, aber keine Taten - das ist zu wenig. Machen Sie
Ihren Job!
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank, Kollege Hubertus Heil. - Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU, unser Kollege Karl
Schiewerling. Bitte schön, Kollege Schiewerling.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Heil, was Sie hier inszeniert haben, ist haarscharf
am Ziel vorbeigeschossen.
({0})
Das Thema - das wissen Sie genauso gut wie ich - ist
hochkomplex und hochkompliziert, weil es sich um eine
sehr schwierige Rechtsmaterie handelt.
({1})
Als vor etwa eineinviertel Jahr, im Juli 2010, das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes erlassen wurde, in dem
der Vierte und der Zehnte Senat erstmals den Grundsatz
der Tarifeinheit nicht mehr als Bestandteil angesehen,
sondern aufgegeben haben, standen wir alle miteinander
vor der Frage, wie wir das Problem lösen können.
Es ist richtig: BDA und DGB haben uns gemeinsam
einen Brief geschrieben, damit diese Dinge gelöst werden. Wir haben dann festgestellt, dass das so einfach offensichtlich nicht ist. Zwischenzeitlich ist von den Gewerkschaften Verdi ausgeschieden und beteiligt sich
nicht mehr daran.
({2})
Nur zu sagen: „Nehmt das als Grundlage; schafft damit
eine Lösung“, wo Sie genau wissen, dass wichtige Teile
der Tarifpartnerschaft dies nicht mitmachen - so einfach
geht das nicht.
({3})
Was hat es nicht vor einem Jahr alles an Auguren gegeben, die prophezeit haben, was alles zusammenbricht.
In diesem einen Jahr, seitdem das gilt, wurde nicht eine
einzige Spartengewerkschaft neu gegründet,
({4})
und es gab bisher keine weiteren Verwerfungen in diesem Bereich. Ich gestehe aber gerne zu: Einen Streik wie
den jetzt am Frankfurter Flughafen, bei dem die Bevölkerung und die Öffentlichkeit in dieser Form einbezogen
wurden, haben wir noch nicht erlebt. Deswegen suchen
wir derzeit gemeinsam mit der Bundesregierung innerhalb des gesetzlichen Rahmens nach einer Lösung, wie
wir damit umgehen können.
({5})
Ich will Ihnen sagen: Wir erhalten Signale sowohl
von den Gewerkschaften als auch von den Arbeitgebern.
Die einen sagen: Tut nichts, das wird sich regeln. Die anderen sagen: Macht bitte sofort eine gesetzliche Regelung.
Die Wahrheit lautet doch: Art. 9 Abs. 3 der Verfassung regelt die Koalitionsfreiheit, und zwar in einer derart stringenten Form, dass diese explizit nicht nur für jedermann - also den einzelnen Arbeitnehmer -, sondern
auch für „alle Berufe“, wie es heißt, gilt. Auf der anderen Seite der Skala haben wir ein hohes Gut, nämlich das
hohe Gut des betrieblichen Friedens. Wir müssen eine
vernünftige Lösung irgendwo dazwischen finden.
Ich will Ihnen deutlich sagen - da mache ich aus meinem Herzen keine Mördergrube -, dass die Auseinandersetzungen, die wir jetzt erleben, einer Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichtes geschuldet sind, die immer
mehr und immer stringenter das Individuum in den Mittelpunkt stellt und immer mehr Details auflöst, sodass
wir vor großen Herausforderungen stehen, wie wir diese
Gesellschaft bis hinein in den Arbeitsmarkt zusammenhalten können. Das ist eines der Kernprobleme.
Damit folgt das Bundesarbeitsgericht einer gesamtgesellschaftlichen Strömung, in der wir uns befinden. Das
gilt ja nicht nur im Bereich der Tariflandschaft oder im
Bereich der Arbeitswelt, sondern wir erleben in der gesamten Gesellschaft eine Individualisierung und eine
Ausdifferenzierung, die es uns zunehmend schwer machen, die Dinge zusammenzuhalten.
Die Bundesarbeitsministerin hat die Initiative ergriffen. Sie ist in diesem schwierigen rechtlichen Feld unterwegs, um nach einer Lösung zu suchen. Auch in unserer
Fraktion gibt es eine Arbeitsgruppe Tarifeinheit, deren
Arbeit genau an diesem Punkt ansetzt. Wir haben uns
vorgenommen, gemeinsam mit dem Koalitionspartner in
absehbarer Zeit zu einer Lösung zu kommen.
({6})
Herr Kollege Heil, ich will Ihnen sehr deutlich sagen:
Hier geht es nicht um die unterschiedlichen Ansichten,
die die Fraktionen haben, sondern es geht letztendlich
um die Frage, wie wir die Probleme gemeinsam lösen
können. Vor dieser Frage stehen wir alle miteinander.
Auch wir wollen nicht, dass der Betriebsfrieden gestört
wird. Wir wollen auch nicht von uns aus alles daransetzen, dass möglicherweise große volkswirtschaftliche
Schäden auftreten. Wir wollen dies vernünftig lösen.
Im Übrigen: Manche Streikaktionen, die wir erlebt
haben, hätten genauso gut von einer Flächengewerkschaft durchgeführt werden können, die einen Bereich
punktuell lahmlegt. Die Vorfeldmitarbeiter beim Frankfurter Flughafen hätten genauso gut bei Verdi organisiert
sein können. Verdi hätte zur Durchsetzung seiner Interessen genau diese 200 Mitarbeiter streiken lassen können;
({7})
dann gäbe es dieselben Entwicklungen.
Wir haben nicht die Aufgabe, dies zu bewerten. Eine
Gewerkschaft, die nicht streiken kann, ist keine Gewerkschaft. Das ist ihr gutes Recht; das gehört zu ihren
Aufgaben. Wir müssen aber dafür sorgen, dass die Tarifautonomie in Deutschland gewahrt bleibt, dass der Betriebsfrieden nicht gestört wird, dass die Umsetzung von
Art. 9 der Verfassung gesichert bleibt. Wir müssen auch
alles daransetzen, dass für Betriebe, in denen mehrere
Gewerkschaften für eine Personengruppe zuständig sind,
Wege und Verfahren gefunden werden, damit sich diese
Gewerkschaften gemeinsam verständigen, wenn sie mit
dem Arbeitgeber verhandeln.
({8})
Ich glaube, dass wir hier miteinander auf einem guten
Weg sind. Wir freuen uns, dass die SPD in dieser Frage
konstruktiv mitarbeitet; wir erwarten das sogar. Ich bin
gespannt, ob Sie die Lösungen, die wir finden, unterstützen.
({9})
Herzlichen Dank.
({10})
Vielen Dank, Kollege Schiewerling. - Nächster Redner für die Fraktion Die Linke ist unser Kollege Michael
Schlecht. Bitte schön, Kollege Michael Schlecht.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Woche streiken die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, um endlich mit Lohndumping bzw. viel zu
niedrigen Einkommen Schluss zu machen. Dies wäre eigentlich ein Anlass, um hier im Bundestag darüber zu
diskutieren, wie dieser Arbeitskampf unterstützt werden
kann, wie vor allen Dingen die Regierung dazu gedrängt
werden kann, Gelder für eine Lohnerhöhung um 6,5 Prozent, mindestens 200 Euro, bereitzustellen. Bei Bankenrettungen ist so etwas üblich: Da werden die Milliarden
im Blitztempo bereitgestellt.
({0})
Aber was erleben wir diese Woche hier im Parlament?
Die SPD will diese Debatte nicht. Sie will lieber darüber
debattieren, wie das Streikrecht eingeschränkt werden
kann; darauf läuft diese Debatte um die Tarifeinheit doch
hinaus.
({1})
Was ist das für eine Perversion! So wird der letzte Rest
an Sozialdemokratie aus der SPD hinausgetrieben.
({2})
Wenn Tarifeinheit gesetzlich erzwungen wird, dann läuft
das immer auf die Einschränkung des Streikrechtes hinaus. Dazu sagen wir ganz klar Nein.
({3})
Im Gegenteil: Wir brauchen in diesen Zeiten eher eine
deutliche Ausweitung des Streikrechtes. Es wäre hier
eine Debatte darüber zu führen, dass wir endlich eine
Klarstellung hinsichtlich des Rechtes auf Solidaritätsstreik brauchen, und zwar unbeschränkt, ohne dass sich
ein Arbeitsrichter darüber hermacht und die Verhältnismäßigkeit nach seiner Vorstellung durchdekliniert.
({4})
Wir brauchen endlich eine Klarstellung, dass politische
Streiks unbeschränkt legal sind.
({5})
In vielen anderen zivilisierten Ländern ist das doch
selbstverständlich, nur bei uns nicht. Das ist doch eigentlich irre.
({6})
Für gewerkschaftliches Handeln ist es wichtig, dass
sich die Stärkeren zugleich für die Schwächeren einsetzen; das ist vollkommen klar. Dass Fluglotsen, Ärzte, Piloten und Lokführer für ihre Interessen eintreten und
auch streiken, ist ihr gutes Recht.
({7})
Zugleich ist es aber problematisch, weil sie ihre besondere Kampfkraft häufig nur für sich und nicht auch für
die Krankenschwester, die Stewardess und den Zugbegleiter einsetzen. Aber die Zusammenführung der verschiedenen Gruppen zu gemeinsamem gewerkschaftlichem Handeln muss politisch vorangebracht werden; das
darf nicht durch gesetzliche Maßnahmen, die immer eine
Einschränkung des Streikrechts bestimmter Gruppen bedeuten, geregelt werden.
Dazu hat es im Übrigen - man muss das einmal zur
Kenntnis nehmen - einen länger als ein Jahr andauernden Diskussionsprozess in meiner Gewerkschaft Verdi
gegeben. Am Anfang gab es dort durchaus Überlegungen, solche Wege mitzugehen. Nach einem Jahr einer
ganz breiten Diskussion an der Basis stand am Ende eine
ganz klare Botschaft: Nein, keinerlei Einschränkungen
des Streikrechtes. Die Dinge müssen politisch geregelt
werden.
({8})
Wir müssen uns auch einmal vor Augen führen, weshalb es zu diesen Problemen und dieser Zersplitterung
gekommen ist. Das hat - das sage ich Ihnen ganz deutlich - viel damit zu tun, dass SPD und Grüne gerade in
den letzten Jahrzehnten die Handlungsmacht der Gewerkschaften geschwächt haben.
({9})
Wer befristet arbeitet, hat es viel schwerer, zu streiken.
({10})
- Ihre Schimpfworte sind aber sehr unparlamentarisch. Wer verliehen ist, schafft das nur in Ausnahmefällen.
Weil so die Verhandlungsergebnisse für die Gewerkschaften gerade in den letzten zehn Jahren immer
schlechter wurden,
({11})
fühlten sich manche Beschäftigtengruppen besonders
benachteiligt und kamen in die Versuchung, ihren Vorteil
im isolierten Kampf zu suchen.
({12})
- Sie haben doch gar keine Ahnung von der Arbeitswelt.
Seien Sie doch ruhig!
({13})
Heute erleben wir, wie sich die Hauptverantwortlichen für dieses politische Desaster - ich meine Rot-Grün
und insbesondere die SPD -, hier hinstellen und sich für
eine Einschränkung des Streikrechts aussprechen. Das
schlägt dem Fass doch wirklich den Boden aus. Jetzt,
nachdem wir zehn Jahre die Agenda 2010 mit all ihren
negativen Entwicklungen erlebt haben,
({14})
setzt die SPD also noch einen obendrauf, indem sie sich
zum Befürworter einer Einschränkung des Streikrechts
macht, und stellt sich damit auch gegen die Gewerkschaften.
Danke schön.
({15})
Vielen Dank. - Nächster Redner in unserer Aktuellen
Stunde ist für die Fraktion der FDP unser Kollege
Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Heinrich Kolb.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte zunächst einmal für meine Fraktion festhalten:
Die Koalitionsfreiheit ist ein hohes, verfassungsrechtlich
geschütztes Gut. Art. 9 Abs. 3 lautet - ich zitiere -:
Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen
zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.
Damit ist klar: Die Bildung von Spartengewerkschaften
wird man nicht verhindern können. Die Frage ist allerdings, Kollege Heil, in welchem rechtlichen Rahmen
diese Gewerkschaften tarifpolitisch agieren dürfen. Das
ist im Kern die Frage nach der Zulässigkeit von Streiks
dieser Gewerkschaften; das hat der Kollege Schlecht
richtig betont.
({0})
Zulässig sind Streiks, wenn sie zur Durchsetzung der Tarifforderungen geeignet, erforderlich und angemessen
- also in einem engeren Sinne verhältnismäßig - sind.
Herr Kollege Heil, Sie haben die Situation am Frankfurter Flughafen angesprochen. Viele Menschen in unserem Lande hatten bei den jüngsten Streiks der Vorfeldlotsen in Frankfurt das Gefühl: Wenn 200 Leute für eine
Lohnerhöhung um 40 bis 70 Prozent streiken und
15 000 Kollegen des Unternehmens für ihre Forderung
gleichsam in Mithaftung nehmen, dann ist das nicht
mehr verhältnismäßig. Welche Auswirkungen das auf
den Betriebsfrieden hat, kann sich jeder Arbeitnehmer
- und sogar Außenstehende - gut vorstellen.
Ich selbst muss bei aller Zurückhaltung, die die Achtung der Tarifautonomie und auch das Gebot der Nichteinmischung in einen offiziell noch nicht beendeten
Tarifkonflikt gebieten, sagen: Das Gefühl der Unverhältnismäßigkeit hat sich auch bei mir mit zunehmender
Dauer des Streiks immer stärker eingestellt.
({1})
Aber ich habe mich auch gefragt - Herr Kollege Krings,
Sie sprechen es an -, warum das betroffene Unternehmen so lange gezögert hat,
({2})
bis es eine gerichtliche Überprüfung der Verhältnismäßigkeit beantragte. Ich meine schon: Bevor der Gesetzgeber auf den Plan gerufen wird, müssen die Betroffenen
selbst die bereits bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen.
({3})
Doch zum eigentlichen Punkt. Wir beobachten die Situation nach der Aufgabe der Tarifeinheit durch das
Bundesarbeitsgericht sehr aufmerksam und genau und
stellen uns fortlaufend die Frage, ob und welche Maßnahmen auch von gesetzgeberischer Seite zur Wahrung
und Wiederherstellung der Verhältnismäßigkeit von
Streiks geboten sind. Das gilt naturgemäß besonders in
Bereichen der Daseinsvorsorge. Dazu will ich Ihnen sagen, Herr Kollege Heil: Ganz sicher keine Maßnahme
zur Wahrung oder Herstellung der Verhältnismäßigkeit
von Streiks ist eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit.
Denjenigen, die wie Sie den Streik am Frankfurter
Flughafen zum Anlass nehmen wollen, um für alte Forderungen nach einer Wiederherstellung der Tarifeinheit
Rückenwind zu entfachen, muss man Folgendes entgegenhalten: Erstens ist es falsch, von einer Wiederherstellung der Tarifeinheit zu sprechen; denn auch vor der Entscheidung durch das Bundesarbeitsgericht - das wissen
Sie nur zu gut - gab es bei den hauptsächlich betroffenen
ehemaligen Staatsunternehmen Lufthansa, Deutsche
Bahn usw. keine Tarifeinheit, sondern eine verhandelte
Tarifpluralität. Zweitens wären, weil das betriebsbezogene Mehrheitsprinzip nach dem Vorschlag von BDA
und DGB gelten soll, Streiks von kleineren Gewerkschaften, die in einem Betrieb die stärkste Gewerkschaft
sind, unverändert möglich. Mit Blick auf den Frankfurter
Flughafen sage ich: Die Deutsche Flugsicherung - ein
selbstständiges Unternehmen im Eigentum des Bundes muss mit der GdF, die dort Mehrheitsgewerkschaft ist,
Tarifverträge schließen. Da änderte sich nichts. Deswegen ist das aus unserer Sicht kein geeigneter Weg.
Es gibt eine ganze Reihe von Vorschlägen, die darauf
abzielen, ohne eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit die Verhältnismäßigkeit von Streiks zu wahren oder
herzustellen. Ich schließe ausdrücklich nicht aus, dass
der Gesetzgeber in diesem Sinne tätig werden könnte.
Ein Königsweg drängt sich mir allerdings nicht auf. Die
Vorschläge reichen von einer Koordinierung der Tarif19484
laufzeiten, von obligatorischen Schlichtungsverfahren,
Quoren für streikende Gewerkschaften und Vorankündigungspflichten bis hin zur Forderung nach einer Regelung zur lösenden Aussperrung, was bei streikenden
Funktionseliten - Ärzten, Piloten, Lokführern - in der
Praxis wohl eher nicht in Betracht kommen dürfte.
Die FDP-Bundestagsfraktion wird sehr zeitnah in einer erneuten Gesprächsrunde zunächst mit Professoren
und Wissenschaftlern und dann mit Gewerkschaften und
betroffenen Unternehmen auch im Hinblick auf die
Durchsetzbarkeit Handlungsbedarf und Handlungsoptionen ausloten. Dann werden wir Gespräche mit unserem
Koalitionspartner führen.
Klar scheint mir, dass der Gesetzgeber dort, wo Korrekturen am Streikrecht vorgenommen werden müssen,
Neuland beschreitet, weil das Streikrecht bisher reines
Richterrecht ist. Ich ahne, dass sich die Begeisterung
über regelnde Eingriffe in das Streikrecht sowohl bei den
Arbeitgebern als auch bei den Gewerkschaften, Spartengewerkschaften und DGB gleichermaßen, doch sehr in
Grenzen halten würde.
({4})
Die wenigen Ansätze, die sich außerhalb des Streikrechts bewegen, zum Beispiel die Missbrauchskontrolle
durch das Kartellrecht, sind eher bei groben Fällen des
Machtmissbrauchs durch eine Gewerkschaft hilfreich.
Insgesamt gebe ich zu bedenken: Die Zahl der Streiktage in Deutschland ist nicht gestiegen - darauf hat der
Kollege Schiewerling hingewiesen -; sie hat sich im
Jahre 2010 sogar halbiert. Es gibt keine Gründungswelle
bei den Spartengewerkschaften. Englische Verhältnisse
sind in Deutschland - zum jetzigen Zeitpunkt kann man
das sehr klar sagen - nicht zu befürchten. Deswegen rate
ich dazu, mit Augenmaß vorzugehen. Damit sind wir gut
beraten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin ist
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin
Beate Müller-Gemmeke. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem BAG-Urteil zur Tarifeinheit kündigte Bundeskanzlerin Merkel bereits 2010 eine
Gesetzesinitiative an. Wie so häufig gab es interne
Schwierigkeiten innerhalb der Koalition. In der Folge ist
das Thema wieder eingeschlafen. Die 200 Beschäftigten
auf dem Vorfeld des Frankfurter Flughafens haben jetzt
erneut das politische Berlin aufgescheucht.
({0})
Natürlich konnte Ankündigungsministerin von der
Leyen nicht stillhalten und hat letzte Woche über alle
Kanäle eine Initiative der Bundesregierung angekündigt.
Verheißungsvolle Ankündigungen sind aber zu wenig.
Wie bei vielen anderen, vor allem sozialen Themen ist
konkretes Handeln gefordert.
({1})
Eine gesetzlich normierte Tarifeinheit ist wahrlich
kein einfaches Thema. Vor allem muss gut überlegt sein,
ob man solch eine Initiative überhaupt angehen möchte
und ob sie notwendig ist. Für unsere Fraktion kann ich
Ihnen sagen, dass dieser Diskussionsprozess noch nicht
abgeschlossen ist.
({2})
Die Wirtschaft befürchtet, dass mit immer mehr Spartengewerkschaften die Tarifverhandlungen konfliktreicher werden. Der Streik auf dem Frankfurter Flughafen
hat zahlreiche Menschen betroffen, Unverständnis in der
Öffentlichkeit hervorgerufen und auch Kosten verursacht. Der Streik hat meiner Meinung nach aber auch gezeigt, dass rechtliche Grenzen existieren. So hat das
Arbeitsgericht den geplanten Solidaritätsstreik der Fluglotsen als unverhältnismäßig eingestuft und letztlich
gestoppt. Es bestehen also funktionierende Kontrollmechanismen, die Unternehmen - trotz Tarifpluralität schützen.
Sachlich gesehen drohen Deutschland keine englischen Verhältnisse. Ich sehe das genauso wie die FDP.
({3})
- Das soll auch mal vorkommen. - Die Zahl der Streiktage hat sich trotz des BAG-Urteils nicht erhöht, sondern
reduziert. Deutschland ist also kein streikgeplagtes
Land. Dennoch werden wir die Anliegen und Befürchtungen der Wirtschaft in unsere Überlegungen einbeziehen und ernst nehmen.
({4})
Für die großen Gewerkschaften sind Spartengewerkschaften natürlich Konkurrenz. Dabei geht es vor allem
und zu Recht um den Erhalt der innerbetrieblichen Solidarität. Tarifpolitik muss solidarisch sein. Die Starken
dürfen sich nicht nur um sich selbst kümmern und sich
nur für ihre eigenen Interessen einsetzen,
({5})
sondern sie müssen auch die Schwachen im Betrieb im
Blick haben. Auch wir wünschen uns eine solidarische
Tarifpolitik, durch die immer Verbesserungen für die gesamte Belegschaft erkämpft werden.
({6})
Etliche Beschäftigte fühlten sich von den großen Einheitsgewerkschaften in der Vergangenheit aber nicht
mehr vertreten und haben deswegen selbst die Initiative
ergriffen. An diesem Punkt wird das Thema Tarifeinheit
richtig schwierig; denn hier geht es um das verfassungsrechtlich garantierte Grundrecht auf Koalitionsfreiheit
und um das Streikrecht. Der Vorsitzende der Monopolkommission warnte bereits davor, per Gesetz die TaBeate Müller-Gemmeke
rifeinheit wieder herzustellen. Wortwörtlich sagte er
- ich zitiere -:
Ein Zwang für Minderheiten, sich der Mehrheitsgewerkschaft anzuschließen oder das Verhandlungsmandat zwangsweise aufzugeben, wäre kaum
grundgesetzkonform, da es die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie verletzen würde. Diese gilt
nämlich auch für Minderheiten.
({7})
Dieses Zitat zeigt, dass wir in den kommenden Wochen
in diesem Haus sehr ernste Diskussion führen müssen.
Wichtig ist, dass die Bundesregierung auf weitere Ankündigungen verzichtet, endlich Position bezieht und
handelt, in die eine oder in die andere Richtung.
Abschließend möchte ich noch einen Aspekt ansprechen, der mir in dieser Diskussion sehr wichtig ist. Die
Bundesregierung, aber auch die Kollegen Heil und
Steinmeier begründen ihre Forderung nach Tarifeinheit
immer mit der drohenden Zersplitterung der Tariflandschaft. Auch ich warne immer davor. An der Zersplitterung hat das BAG-Urteil aber den geringsten Anteil.
Viel wichtiger sind andere Faktoren: die Tarifflucht vieler Arbeitgeber,
({8})
Leiharbeit, sachgrundlose Befristung, Werk- und Honorarverträge. Wenn sich die Bundesregierung wirklich um
die Zersplitterung der Tariflandschaft sorgt, dann sollte
sie endlich etwas dagegen unternehmen: Dann sollte sie
einen gesetzlichen Mindestlohn einführen, die Leiharbeit regulieren und die Befristungsmöglichkeiten eingrenzen.
({9})
All dies wären effektive Maßnahmen, um die Verhandlungskraft der großen Gewerkschaften zu stärken und
Spartengewerkschaften zu vermeiden.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Günter
Krings. Bitte schön, Kollege Dr. Kings.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, es ist gut und wichtig, dass wir unsere Arbeit im Rahmen des Arbeitsmarktrechts und der
Tarifpolitik nicht als Auftragsarbeit im Dienste von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden betrachten,
sondern es uns erlauben, selber nachzudenken. Wir von
der Union tun das. Daher war ich schon vor gut einem
Jahr skeptisch, als DGB und BDA das Ansinnen formulierten, den von ihnen fertig ausgearbeitete Gesetzentwurf einfach querzuschreiben. Ich glaube, das ist und
darf nicht die Rolle der Politik sein. Ich hoffe, das sehen
alle Fraktionen in diesem Hause so, vielleicht nach einigem Nachdenken selbst die SPD.
({0})
Der Bundestag sollte den Anspruch haben, eine eigene Lösung zu finden. Daher ist zunächst zu überlegen,
ob eine gesetzliche Maßnahme zum jetzigen Zeitpunkt
überhaupt notwendig ist. Es geht nicht um irgendein
Recht, um irgendeine Frage, sondern es geht - Kollege
Kolb hat das dankenswerterweise schon angesprochen um Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes und damit um ein
ganz wesentliches, verfassungsrechtlich garantiertes
Grundrecht. Ich will den Absatz, in dem die Koalitionsfreiheit garantiert wird, nicht komplett vorlesen, sondern
nur drei Wörter: „für alle Berufe“. Dort steht nicht: „für
alle Betriebsbelegschaften“, sondern: „für alle Berufe“.
An diesem Wortlaut muss man erst einmal vorbeikommen, wenn man etwas machen möchte.
({1})
Das Erzwingen der Tarifeinheit hielte ich für einen
schwerwiegenden Grundrechtseingriff, und ich sehe
nicht, wie dieser angesichts des Wortlauts unserer Verfassung ohne Weiteres gerechtfertigt werden könnte. Ich
bitte insbesondere den Kollegen Heil, den Wortlaut unserer Verfassung an dieser Stelle ernst zu nehmen.
({2})
Ich bin sogar ein Stück weit entsetzt darüber, dass
BDA und DGB in ihrem Vorschlag die Grundrechtsausübung von einer Mehrheitsentscheidung abhängig machen wollen. Ich will jetzt nicht viel über die Theorie der
Grundrechte reden, aber eines sei gesagt: Grundrechte
sind Minderheitenrechte. Sie dienen dazu, dem Einzelnen oder einer Minderheit zu einem Recht zu verhelfen.
Wenn sie keine Minderheitenrechte wären, bräuchten
wir gar keine Grundrechte. Sie wären in einer Demokratie überflüssig, da man sagen könnte: Die Entscheidungen im Bundestag werden mit Mehrheit getroffen; daher
muss man gegen staatliche Entscheidungen keine
Grundrechte ins Feld führen. Das Konzept der Grundrechte lautet: Minderheiten und Einzelne werden geschützt. Daran kommt man nicht vorbei.
Die Union beobachtet die Entwicklung seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Juli 2010, die
einige Befürchtungen ausgelöst hat, natürlich genau.
Dies gilt auch für die jüngsten Ereignisse am Frankfurter
Flughafen; das ist überhaupt keine Frage. Es ist meist
schlecht, wenn der Gesetzgeber aufgrund eines aktuellen
Ereignisses ein Gesetz verabschiedet. Diese Schnellschüsse führen meistens nicht zu einer guten Lösung,
sondern verursachen eher Politikverdrossenheit; denn
die Menschen merken, dass man keine Einzelfallgesetze
machen kann. Vielmehr muss man strukturell und besonnen auf Probleme reagieren.
({3})
Auch nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus 2010 gibt es keinen signifikanten Anstieg der
Gründungen neuer Spartengewerkschaften. Eine typische Spartengewerkschaft in Deutschland ist zum Beispiel der Marburger Bund; er wurde 1947 gegründet. Die
Gewerkschaft der Lokomotivführer ist eine der ältesten
Gewerkschaften Deutschlands; ihre Vorgängergewerkschaft geht auf das Jahr 1867 zurück. Diese Gewerkschaften wurden nicht auf die Schnelle aus rein egoistischen Motiven gegründet; diese Interessenvertretungen
für Arbeitnehmer in Deutschland bestehen schon seit
Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten.
Der Streik am Frankfurter Flughafen zeigt - daraus
können wir etwas lernen -: Schon nach geltendem Recht
gibt es Möglichkeiten, den Missbrauch des Streikrechts
zu unterbinden. Arbeitsgerichte haben festgestellt, dass
ein Solidaritätsstreik aller Fluglotsen für die Vorfeldmitarbeiter unverhältnismäßig, also rechtswidrig ist. Ein anderes Urteil besagt, dass auch der Streik der Vorfeldmitarbeiter selbst rechtswidrig ist. Das beweist: Arbeitgeber
sind nicht hilflos, wenn es darum geht, gegen unverhältnismäßige Streikmaßnahmen vorzugehen. Es gibt hier
durch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bereits rechtliche Grenzen. Ich stimme Herrn Kollegen Kolb zu.
Auch ich wundere mich etwas darüber, dass die Arbeitgeber erst so spät geklagt haben. In der Fußballersprache
könnte man sagen: Die Aktion in Frankfurt scheint nicht
nur ein Foul einer Spartengewerkschaft gewesen zu sein,
sondern auch eine Schwalbe des Arbeitgebers.
({4})
Ich habe durchaus Verständnis für die Kollegen, die
sagen, dass hier von einigen Spartengewerkschaften - in
diesem Falle von einer - zu egoistisch vorgegangen
wird; dies ist auch mir übel aufgestoßen. Aber wir dürfen Methoden wie die Minimaxstrategie nicht vergessen.
Dabei werden wenige in den Streik geschickt, um hohe
Wirkung zu erzielen. Das machen auch die großen Gewerkschaften so, zum Beispiel Verdi zurzeit in Nordrhein-Westfalen. Heute wird dort nicht flächendeckend
der öffentliche Dienst bestreikt, sondern es wird gezielt
gestreikt, zum Beispiel beim öffentlichen Nahverkehr,
weil es dort besonders wehtut. Darüber mag man sich ärgern, aber das ist legitim. Dies geht weit über das Thema
Spartengewerkschaften hinaus.
Die Fragmentierung der Arbeitnehmerbereiche ist natürlich auch die Folge einer immer weiter spezialisierten
Arbeitswelt. Ich glaube, das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Auch Kirchen und Parteien beklagen,
dass sie Konkurrenz haben. Selbst Herr Heil würde wohl
nicht vorschlagen, die Neugründung von Parteien zu
verbieten,
({5})
weil wir mit Neugründungen nicht zurechtkommen.
({6})
Zum Schluss sage ich: Die Union wird diese Entwicklung natürlich weiterhin genau beobachten. Diese hat
übrigens erst 1989 mit der Tarifeinheit begonnen. Auch
vor dem Urteil des BAG gab es in vielen Betrieben mindestens zwei Gewerkschaften; bis 2000 waren dies DAG
und DGB. Das alles ist nicht allzu lange her. Wir werden
die Entwicklung jedenfalls sehr genau beobachten, um
herauszufinden, ob das Prinzip der Verhältnismäßigkeit
gewahrt bleibt oder ob es im Arbeitsrecht nachgeschärft
werden muss. Bis dahin gilt die ewige Erkenntnis
Montesquieus: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz
zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Kollege Dr. Krings. - Nächste Rednerin
ist unsere Kollegin Anette Kramme für die Fraktion der
Sozialdemokraten. Bitte schön, Frau Kollegin Kramme.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Als SPD freuen wir uns natürlich immer
über selbstbewusste Tarifforderungen und höhere Löhne.
Für das Jahr 2012 gilt sicherlich, dass es kein Jahr der
Bescheidenheit sein kann. Wir haben eine gute Konjunktur, und die Konjunkturaussichten sind nach wie vor relativ positiv. Vor allen Dingen gab es einen Verzicht der
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den Krisenjahren 2009 und 2010. Es ist daher fair, wenn die Löhne
kräftig steigen, ein kräftiger Schluck aus der Pulle genommen wird.
({0})
Herr Kolb, „fair“ ist das Stichwort, das den Unterschied ausmacht: zwischen den üblichen Tarifvertragsverhandlungen und dem, was wir leider immer häufiger
beobachten, zuletzt an den Flughäfen in Frankfurt und
Berlin. Es ist zum Geschäftsmodell einiger Spartengewerkschaften geworden, nicht zu verhandeln, sondern
letztlich zu erpressen. Wenn Sie, Herr Dr. Krings, sagen,
der Marburger Bund und die Gewerkschaft der Lokführer seien alte Gründungen, dann ist das mit Sicherheit
zutreffend. Aber sie haben in der Bundesrepublik mittlerweile eine eigenständige und neue Rolle eingenommen.
({1})
Der Marburger Bund hat sich aus den Tarifvertragsverhandlungen mit Verdi herausgelöst.
({2})
Auch die Rolle der Gewerkschaft der Lokführer ist eine
ganz andere geworden.
({3})
- Warum? Das werde ich Ihnen gleich erläutern.
({4})
Meine Damen und Herren, das Geschäftsmodell der
Spartengewerkschaften beruht nicht darauf, die Interessen einer gesamten Belegschaft durchzusetzen, sondern
es geht um die wirkungsvolle Durchsetzung der Einzelinteressen von Personengruppen, die Arbeitsabläufe innerhalb eines Betriebes effektiv lahmlegen können. Das
Prinzip der klassischen Gewerkschaften beruhte und beruht immer auf einem anderen Konzept. Da geht es um
zwei Dinge: Es geht erstens darum, dass alle Kollegen
und Kolleginnen mit ins Boot geholt werden, um vom
Kuchen profitieren und ihn genießen zu können. Zweitens geht es darum, die Leistungsfähigkeit der Branche
im Auge zu behalten. Aber leider ist es so, dass sich immer mehr Spartengewerkschaften nicht mehr daran
orientieren. Insofern ist festzuhalten, dass wir es an dieser Stelle letztendlich auch mit einem Versagen der Bundesregierung zu tun haben.
Bereits im Sommer 2010 hat das Bundesarbeitsgericht gesagt, dass das lang gehegte Prinzip der Tarifeinheit - also ein Tarifvertrag für einen Betrieb - nicht mehr
gelten soll. Jetzt haben wir die Situation, dass in einem
Betrieb viele Tarifverträge nebeneinander gelten können.
Frau Merkel hat noch im November 2010 auf dem Arbeitgebertag gesagt: Ich persönlich bin davon überzeugt,
dass der Grundsatz der Tarifeinheit gesetzlich geregelt
werden muss. - Bis heute liegt in dieser Sache leider
kein Gesetzentwurf vor. Dabei haben BDA und Gewerkschaften sogar einen gemeinsamen Entwurf vorgelegt,
({5})
einen Entwurf, an dem man sich durchaus entlanghangeln könnte und mit dem man arbeiten könnte. Leider ist
bei Ihnen aber kein Handeln zu beobachten.
({6})
Herr Dr. Krings, Schuld am Aufkommen der Spartengewerkschaften sind auch die Arbeitgeberverbände und
die Arbeitgeber. Wir haben die Situation, dass die Gewerkschaften durch die Begründung sogenannter OTMitgliedschaften in den Arbeitgeberverbänden geschwächt worden sind; man kann also den bloßen
Rechtsschutz in Anspruch nehmen, muss aber keine Tarifverantwortung mehr übernehmen. Wir haben die Situation, dass viele Arbeitgeber den Weg in die Tarifflucht gesucht haben, indem sie Outsourcing betrieben
haben. Wir haben die Situation, dass das Spezialitätsprinzip missbraucht worden ist, indem Tarifverträge mit
Scheingewerkschaften abgeschlossen und dadurch Tarifverträge der DGB-Gewerkschaften verdrängt worden
sind. Wir als SPD sagen ganz klar und deutlich: Wir
brauchen den Grundsatz der Tarifeinheit. Der Grundsatz
der Tarifeinheit muss bleiben. Anderenfalls würden wir
davon nur kurzfristig profitieren.
({7})
Ich bin der festen Überzeugung: Wir werden im Laufe
der nächsten Jahre eine Zunahme der Zahl von Spartengewerkschaften beobachten. Wir werden beobachten,
dass es zu einer Radikalisierung kommen wird, der sich
auch die klassischen DGB-Gewerkschaften nicht mehr
werden entziehen können. Damit wird einhergehen, dass
es zu einer Zersplitterung der Gewerkschaftslandschaft
kommen wird, und viele Köche verderben bekanntermaßen den Brei. Sanierungstarifverträge werden in Betrieben nicht mehr durchgesetzt werden können. Davon abgesehen: Es fehlt an Transparenz und Rechtsklarheit.
Wir sind gerne bereit, die Bundesregierung zu unterstützen. Selbstverständlich werden wir als SPD nur abgestimmt mit den Gewerkschaften handeln.
In diesem Sinne herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin Kramme. - Nächster
Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege
Johannes Vogel. Bitte schön, Kollege Vogel.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, man kann grundsätzlich festhalten: Streiks dürfen immer nur das letzte Mittel sein. Niemals sind
Streiks etwas Schönes.
({0})
Niemand findet es schön, wenn beispielsweise aktuell in
Nordrhein-Westfalen Warnstreiks in Kitas stattfinden.
Niemand empfindet es als angenehm, wenn er in seinem
Alltag dadurch beeinträchtigt wird, dass Busse nicht
mehr fahren, dass Flugzeuge nicht mehr fliegen
({1})
und dass man deshalb Termine verpasst oder nicht rechtzeitig zur Familie zurückkommt. Das ist alles richtig.
Es ist auch richtig, dass man über wirtschaftliche
Schäden nicht schweigen soll und dass auch da der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gelten muss. Ich persönlich bin sehr gespannt, wie die Gerichte zum Beispiel
im Frankfurter Fall urteilen werden.
Dass Streiks gern auch am Flaschenhals angesetzt
werden - der Kollege Krings hat vorhin schon darauf
hingewiesen -, das ist legitimer Teil der Streiktätigkeiten
von Gewerkschaften. Das denken sich nicht nur kleinere
Gewerkschaften aus, sondern auch Verdi zum Beispiel
lässt aktuell die Busfahrer in Nordrhein-Westfalen streiken.
Johannes Vogel ({2})
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, da Sie
die Aktuelle Stunde beantragt haben: Verantwortungsbewusste Politik muss an dieser Stelle auch einmal sagen,
dass Streiks nicht schön sind, aber nun einmal unzweifelhaft Mittel und Teil der Tarifautonomie sind und die
Gewerkschaften nun einmal das Recht zum Streiken haben. Das ist auch richtig so, weil dies Teil der Tarifautonomie ist, die ganz wesentlich nicht nur den wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik, sondern auch den
derzeitigen Erfolg auf unserem Arbeitsmarkt ausmacht.
Verantwortungsbewusste Politik ist es auch, hier nicht zu
skandalisieren, sondern darauf auch hinzuweisen, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD.
({4})
Im Kern dieser Tarifautonomie steht nun einmal nicht
die Tarifeinheit, sondern das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit. Im Kern steht das Grundrecht, dass jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin wählen darf, wer ihn
bzw. sie vertritt, welcher Gewerkschaft man sich anschließt und von wem man seine Interessen durchgesetzt
haben will. Zu dieser Durchsetzung der Interessen gehört nun einmal zwingend auch das Streikrecht.
Natürlich werden wir nicht die Augen vor realen Problemen verschließen. Das sage ich auch für meine Fraktion. Natürlich sind wir offen, uns anzuschauen, ob es
nötig ist, neue Lösungen zu finden, und wenn ja, welche
Lösungen dies vernünftigerweise sein können.
Eines ist aber auch klar: Mit Grundrechten spaßt man
nicht. Mit Grundrechten werden wir deshalb auch nicht
spaßen. Das gilt auch für das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, als die
Fraktion, die diese Aktuelle Stunde beantragt hat, müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, was denn der aktuelle Anlass ist.
({6})
- Nein, nein, nein. Ich habe vorhin sehr genau zugehört,
lieber Hubertus. Du hast gesagt, ein aktueller Anlass sei
die unverhältnismäßige Zunahme von Streiks und insbesondere das, was wir bei der Fraport erlebt haben.
({7})
- Nein, ich habe dir einfach zugehört, was du hier im
Plenum des Deutschen Bundestags gesagt hast.
Deshalb sollten wir uns diese zwei Punkte noch einmal näher anschauen. Vorredner von mir haben schon
darauf hingewiesen.
Streiktage sind ein guter Anhaltspunkt. Schauen wir
uns das einmal an. Nachdem das BAG den Grundsatz
der Tarifeinheit aufgegeben hat, hatten wir im Jahr 2010
in Deutschland 26 000 Streiktage. Im Jahr 2009 waren es
mehr als dreimal so viel. Im Jahr 2008 waren es mehr als
fünfmal so viel. Im Jahr 1984, also in alten Zeiten, waren
es über 2 Millionen Streiktage.
Daraus muss man doch den Schluss ziehen, dass die
Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit offenbar nicht
der entscheidende Faktor ist, wenn es um Streiktage und
die Streikintensität in Deutschland geht. Das muss man
doch einmal zur Kenntnis nehmen, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({8})
Das RWI, das einzige Institut, das sich das bisher einmal fundiert angeschaut hat, ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich eindeutig festhalten lässt - das zitiere
ich -, dass das BAG-Urteil bisher keine messbaren Spuren bei Streikaktivitäten hinterlassen hat.
Schauen wir uns einmal das Thema Frankfurt an.
Frankfurt ist ein Fall, bei dem ein Streik auch nach meinem persönlichen Empfinden unverhältnismäßig war. Es
ist aber immer so, dass die Politik Recht setzt und dass
Recht gilt, dass die Durchsetzung von Recht manchmal
aber auch eingeklagt werden muss. Dies würde übrigens
auch bei einem veränderten Recht gelten. Das würde
auch gelten, wenn man etwas verändern will.
Im Falle Fraport kann man einfach nur feststellen:
Fast alle Bürgerinnen und Bürger und wahrscheinlich
auch fast alle Abgeordneten des Deutschen Bundestags
empfanden diese Streikaktivität als unverhältnismäßig.
Diese Unverhältnismäßigkeit wurde aber auch innerhalb
weniger Stunden festgestellt, nachdem Fraport geklagt
hatte.
({9})
Insofern wird das Recht hier eingehalten. Aus dem Fall
Fraport kann man aber nun wirklich keine politischen
Handlungsnotwendigkeiten ableiten.
Ich will damit festhalten: Wir sind offen für vernünftige Lösungen, wenn sie nötig sind. Wir werden uns das
weiter konstruktiv und offen anschauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das darf aber nicht zulasten von Grundrechten gehen.
Ich würde mich freuen, wenn Sie sich dieser vernünftigen Betrachtung anschließen und hier nicht versuchen
würden, in der Tagespolitik Honig daraus zu saugen,
dass die Menschen teilweise im Streik standen und darunter gelitten haben, indem Sie ihnen einfache Lösungen versprechen, die es bei diesem schwierigen Problem
niemals geben kann.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der SozialVizepräsident Eduard Oswald
demokraten unser Kollege Josip Juratovic. Bitte schön,
Herr Kollege.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Thema Tarifeinheit kommt immer wieder
in die Schlagzeilen, wenn eine Spartengewerkschaft
streikt. Die Diskussion um die Tarifeinheit ist in der
Politik aber schon älter. Seit dem Spruch des Bundesarbeitsgerichts von 2010 wäre jede Menge Zeit gewesen,
zu handeln. Die Koalition verhielt sich aber wie immer:
Sie hat keine Entscheidung getroffen. Auch 2011 wurde
die Diskussion um die Tarifeinheit schon einmal von der
Tagesordnung eines Koalitionsausschusses gestrichen.
Das erleben wir jetzt wieder. Letzten Sonntag traf sich
der Koalitionsausschuss im Kanzleramt. Die Protagonisten tranken sogar noch einen Wein zusammen. Strittige
Themen wie die Tarifeinheit wurden aber nicht angesprochen. Frau von der Leyen kann noch so oft in der
Presse betonen, dass sie eine Regelung zur Tarifeinheit
anstrebt; wenn das Thema in der Koalition nicht angesprochen wird, dann wird es auch diesmal keine Regelung geben.
({0})
Wir brauchen aber dringend eine Regelung; denn die Tarifeinheit ist der Kitt für den sozialen Zusammenhalt im
Betrieb und in der Gesellschaft.
Offensichtlich hat weder die Linke noch die FDP
richtig verstanden, worum es hier geht. Tarifzersplitterung bedeutet Entsolidarisierung in der Gesellschaft
bzw. in der Arbeitswelt.
({1})
Wenn die Lokführer streiken, können sie den Betrieb
der Züge anhalten. Was passiert aber, wenn die Mitarbeiter der Gastronomie in den Zügen streiken? Dann bleibt
der Zug nicht stehen, sondern er fährt ohne Gastronomie.
({2})
Dieses einfache Beispiel macht offensichtlich, dass die
Mitarbeiter in einem Betrieb verschiedene Machtpositionen haben. Ohne Tarifeinheit beobachten wir, dass diejenigen, die aufgrund ihrer Aufgabe im Unternehmen die
Möglichkeit haben, den Betriebsablauf aufzuhalten, dies
nur für sich ausnutzen und die anderen Mitarbeiter blöd
schauen.
({3})
Es darf nicht sein, dass sich eine Sparte von Arbeitnehmern auf Kosten anderer Arbeitnehmer durchsetzt.
Es kann nicht unser Ziel sein, dass es zu einer Aufsplitterung der Belegschaften in den Betrieben kommt. Gewerkschaften sind nur dann stark, wenn sie einheitlich
und geschlossen agieren. Nur dann kann es eine gute Regelung nicht nur für den Lokführer, sondern auch für den
Mitarbeiter in der Gastronomie, nicht nur für die Fluglotsen, sondern auch für das Reinigungspersonal, nicht
nur für den Arzt, sondern auch für die Krankenschwester
geben.
({4})
Auch die Bundesregierung betont in ihren Sonntagsreden gerne, dass starke Gewerkschaften und die soziale
Partnerschaft die Grundlage unseres wirtschaftlichen Erfolgs sind. Bewusst hat man sich nach dem Zweiten
Weltkrieg dafür entschieden, Einheitsgewerkschaften zu
bilden, die nicht parteipolitisch sind und die alle Arbeitnehmer eines Betriebes vertreten, damit keine Entsolidarisierung zwischen verschiedenen Arbeitnehmern im Betrieb stattfindet. Es war bewusst gesagt worden: ein
Betrieb, eine Gewerkschaft und ein Tarif.
({5})
Diese Errungenschaft ist jetzt in Gefahr; denn Sonntagsreden über den sozialen Dialog helfen niemandem,
wenn danach nicht politisch gehandelt wird. Wir müssen
die Tarifeinheit umsetzen, damit es keine Aufsplitterung
der Belegschaften und keine Schwächung der Gewerkschaften gibt. Gerade jetzt, in einer europaweit wirtschaftlich komplizierten Situation, können wir uns eine
Zersplitterung der Arbeitnehmer nicht leisten. Wir brauchen mehr denn je starke Gewerkschaften.
({6})
Ich weiß, was für ein sensibles Politikfeld das Tarifund Streikrecht ist. Wir müssen die Koalitionsfreiheit
nach Art. 9 des Grundgesetzes wahren, gleichzeitig dürfen wir aber den gesellschaftlichen Zusammenhalt im
Betrieb nicht gefährden. Deswegen sollten wir mit der
notwendigen Achtsamkeit und nicht im politischen Streit
an dieses Thema herangehen. Das Angebot der SPD
liegt auf dem Tisch. Wir sollten fraktionsübergreifend
handeln, um die Gewerkschaften in unserem Land zu
stärken.
Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, Ihr
eigenes Handeln ist durch Ihr Vertagen des Themas im
Koalitionsausschuss 2011, aber auch am vergangenen
Sonntag gescheitert. Daher appelliere ich an Sie: Wir
sollten zusammenarbeiten, damit das Thema nicht wieder bis zum nächsten Streik sang- und klanglos von der
Tagesordnung gestrichen wird. Denn nur so schaffen wir
es, dass alle Menschen in unserem Land eine Chance auf
Erfolg beim Streik haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank, Kollege Juratovic. - Nächster Redner in
unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/
CSU unser Kollege Paul Lehrieder. Bitte schön, Kollege
Lehrieder.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Dass ich das noch erleben darf: Kollege
Schlecht von der Linkspartei erklärt hier mit Krokodilstränen in den Augen der SPD, wie das Streikrecht funktioniert.
({0})
Das ist schon hart. Dass das erforderlich ist, lieber
Hubertus Heil, haben Sie sich selber zuzuschreiben,
wenn Sie in der jetzigen Zeit so eine Aktuelle Stunde beantragen.
({1})
Wo stehen wir? Der Streik der Vorfeldlotsen in Frankfurt hatte große Auswirkungen und führte zu Beeinträchtigungen von Passagieren. Ich möchte jedoch ausdrücklich vor einer voreiligen Reaktion warnen. Von der
Kollegin Müller-Gemmeke wurde angedeutet: Unsere
Ministerin kündigt gerne etwas an, aber die Umsetzung
dauert etwas länger. - Blicken wir doch einmal zurück,
Frau Kollegin Müller-Gemmeke: Wir hatten vor knapp
zehn Jahren eine Regierung,
({2})
nämlich aus SPD und Grünen, die sehr schnell Gesetze
gemacht hat. Sie haben die ganze Sozialgesetzgebung
reformiert, und nach sechs, sieben Jahren durften wir
nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgericht
den Mist, den Sie uns eingebrockt haben, wieder korrigieren.
({3})
Auch hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
Mir ist eine Ministerin, die vor Erlass eines Gesetzes
nachdenkt und die relevanten Gruppen zusammenruft,
um eine vernünftige gesetzliche Regelung zu finden, allemal lieber als ein Minister, der erst ein Gesetz macht
und sich dann wundert, warum das Gesetz verfassungswidrig ist.
({4})
Von meinen Vorrednern wurde bereits auf die wichtige Norm des Art. 9 Grundgesetz hingewiesen. Lieber
Hubertus Heil, Sie haben ein Schubfach vor sich, in dem
ein graues Büchlein liegt.
({5})
Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal hineingeschaut haben. Sie sollten einmal auf Seite 18 den Art. 9 Grundgesetz aufschlagen. Der Abs. 3 wurde bereits von mehreren Kollegen zitiert, allerdings nur in den ersten beiden
Sätzen.
({6})
Es gibt noch einen dritten Satz, lieber Hubertus Heil. Ich
lese das noch einmal vor;
({7})
vielleicht verstehen Sie es dann:
Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen
zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.
- Auch für Vorfeldmitarbeiter. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete
Maßnahmen sind rechtswidrig.
Das ist jetzt schon Verfassungsrecht durch das Grundgesetz, das auch für die SPD gilt.
({8})
Es geht in dieser Diskussion um die Existenz von
Spartengewerkschaften. Deren Existenz ist keineswegs
neu. Es wurde von den Vorrednern bereits darauf hingewiesen, dass seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes gerade keine Verschärfung der Situation eingetreten ist. Seien wir doch ehrlich: In den letzten Jahren hat
Deutschland davon profitiert und über den vernünftigen
Umgang mit seinen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden die bisher größte Weltwirtschaftskrise relativ
souverän überstanden. Ich glaube, dass der Streik der
Vorfeldlotsen in Frankfurt sine ira et studio, also ohne
Aufgeregtheit, betrachtet werden sollte.
Wie hat Fraport reagiert? Fraport hat gesagt: „Wir haben Personal, das die Aufgaben erfüllen kann“, und hat
Streikbrecher eingesetzt. Die Anzahl der ausgefallenen
Flüge hat sich dann deutlich reduziert. Das heißt, je neuralgischer bzw. je enger der Flaschenhals ist, desto eher
wird sich der Arbeitgeber Gedanken über einen Plan B
machen für den Fall, dass er unter Druck gesetzt wird.
Das hat in Frankfurt recht gut funktioniert.
Dass jetzt die Welt untergeht, nur weil in Frankfurt
200 Mitarbeiter versucht haben, eine fünfstellige Anzahl
von Mitarbeitern in Geiselhaft zu nehmen, sehe ich beim
besten Willen nicht. Gleichwohl - auch hierauf hat
Kollege Schiewerling in seiner Weisheit bereits hingewiesen -:
({9})
Wir haben eine mit viel Kompetenz ausgestattete Arbeitsgruppe, die sich dieses Themas annehmen wird mit unserem Koalitionspartner gemeinsam. Wir werden
schauen, was wir hier verfassungskonform auf den Weg
bringen können.
Einerseits muss gesagt werden, dass Spartengewerkschaften natürlich ihre Berechtigung haben. Andererseits
steht außer Frage, dass wir sicherstellen müssen, dass
der Streik kleinerer Gruppen nicht ganze Betriebsabläufe
unterbricht. Eine große Gewerkschaft kann das mit der
gezielten Bestreikung von bestimmten Betriebsteilen
aber natürlich heute schon erreichen. So etwas ist also
auch ohne Spartengewerkschaften möglich.
Unsere Bundesarbeitsministerin, Frau Dr. von der
Leyen, hat vor wenigen Tagen auch klar ausgeführt:
Sollte sich der Istzustand verändern, ist durchaus Veränderungsbedarf gegeben.
Gehört der aktuelle Streik nun tatsächlich zum Istzustand in Deutschland? Da sage ich ganz deutlich: Nein.
Wenn Streikturbulenzen wie am Frankfurter Flughafen
tatsächlich wiederkehrende Wirklichkeit werden sollten,
müssten wir über eine gesetzliche Änderung, über eine
gesetzliche Präzisierung nachdenken.
({10})
Wer keine Dauerstreiks will, muss vorankommen, haben Sie letztendlich gesagt, Herr Heil. Aber wenn wir
vorankommen, dann kommt diese Koalition verfassungskonform voran ({11})
und nicht wie vor zehn Jahren so, dass wir in wenigen
Jahren vom Verfassungsgericht die Quittung ausgestellt
bekommen, was wir falsch gemacht haben.
Ich biete ausdrücklich auch Ihnen an, sehr geehrter
Herr Heil, an einer guten, konstruktiven Lösung mitzuwirken - aber nicht von jetzt auf nachher; kein Schnellschuss aus der Hüfte. Was Sie damit treffen, werden Sie
dann sehen.
Herzlichen Dank. In diesem Sinne: Gute Zusammenarbeit!
({12})
Vielen Dank, Kollege Paul Lehrieder. - Nächster
Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser
Kollege Ingo Egloff. Bitte schön, Kollege Egloff.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Lehrieder, daran, ob wir mit Ihrer
Koalition in dieser Frage wirklich vorankommen, habe
ich nach den Reden, die ich heute hier gehört habe, beträchtliche Zweifel.
({0})
Die Reden waren eigentlich alle nicht darauf ausgerichtet, hier eine Lösung dieses Problems zu finden, wie die
Bundesarbeitsministerin gesagt hat, sondern darauf,
deutlich zu machen, dass man diese Lösung eben nicht
will.
({1})
Sie behaupten, wir wollten hier Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz einschränken.
({2})
Das stimmt überhaupt nicht. Niemand will jemanden daran hindern, eine Gewerkschaft zu gründen, eine Vereinigung zu gründen, um Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Frage ist aber, ob alle diese Gründungen wie
die der Vorfeldlotsen mit 200 Mitgliedern tariffähig sein
müssen. Darum geht es doch letztendlich.
({3})
Manchmal nimmt es ja komische Wendungen mit den
Dingen. Ich erinnere mich: Vor der Wahl 2009 hat man
von Ihren Parteien, aber auch von den Unternehmerverbänden immer gehört, das soziale System der Bundesrepublik Deutschland sei nicht mehr zeitgemäß; angesichts
der Globalisierung der Wirtschaft sei mit dem System
der Sozialpartnerschaft, mit dem rheinischen Kapitalismus, keine Konkurrenzfähigkeit mehr vorhanden. Wir
bräuchten keine Mitbestimmung mehr; wir bräuchten
keinen Kündigungsschutz; wir bräuchten keine Flächentarifverträge.
Nun haben die Unternehmer im Zuge der Krise immerhin festgestellt: Mitbestimmung ist ganz gut, weil
man natürlich in so einer Krise auch die Arbeitnehmer
mit ins Boot kriegt, wenn sie denn in den Aufsichtsräten
mitbestimmen und die Betriebsräte eingebunden sind.
Die Unternehmerverbände haben jetzt auch gemerkt:
Tarifverträge sind gut. In dem Moment, in dem egoistische Spartengewerkschaften anfangen, die Tarifeinheit
aufzuweichen, haben sie festgestellt, dass Flächentarifverträge gut sind, und sich dazu durchgerungen, mit dem
DGB eine gemeinsame Erklärung abzugeben.
Ich finde es gut, wenn man eine Einsicht hat; lieber
spät als nie.
({4})
Allerdings muss man auch sagen - darauf haben
meine Kollegen bereits hingewiesen -, dass wir vorher
eine andere Entwicklung hatten. Ich erinnere mich noch
gut daran, dass einige Arbeitgeberverbände versucht haben, mit dem Christlichen Gewerkschaftsbund die IG
Metall und andere Gewerkschaften bei Tarifverträgen
auszuhebeln. Das haben wir nicht vergessen.
Wenn man möchte, dass es eine Tarifeinheit gibt und
dass es tariffähige Gewerkschaften gibt, die auch in der
Lage sind, die Mehrheit der Arbeitnehmer zu vertreten,
dann muss man sich immer daran erinnern und darf
keine Rosinenpickerei betreiben. Jedenfalls würden wir
so etwas nicht zulassen. Wir sind dafür, dass hier eine
neue gesetzliche Regelung geschaffen wird, die dafür
sorgt, dass nicht Spartenegoismus die Oberhand gewinnt.
({5})
Die aus den Erfahrungen der Nazizeit geschaffene
Einheitsgewerkschaft ist meines Erachtens einer der
Glücksfälle dieser Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Dieser Einheitsgewerkschaft haben wir Mitbestimmung, Kündigungsschutz und Tarifeinheit durch Flächentarifverträge zu verdanken. - Ich habe gemerkt, dass
Sie gelacht haben. Ich finde es einen Skandal, wenn Sie
an dieser Stelle über so eine Äußerung lachen, meine
Damen und Herren von der CDU.
({7})
Das sollten sich die Gewerkschaften merken. Sie, Herr
Kollege Weinberg, können dafür sorgen, dass in den Reihen der CDA ein anderes Verständnis für die Gewerkschaften herrscht.
Ich bin jedenfalls der Auffassung, dass die Einheitsgewerkschaft ein großer Glücksfall für die Bundesrepublik ist. Deswegen verstehe ich Ihre Äußerung, Herr
Kollege Schlecht, als Gewerkschaftssekretär überhaupt
nicht. Sie haben sich im Prinzip gegen die Einheitsgewerkschaft ausgesprochen. Das ist ein Skandal, Herr
Schlecht.
({8})
Gott sei Dank kenne ich Verdi-Funktionäre, die anders
sind als Sie. Das macht es mir leicht, Mitglied dieser Gewerkschaft zu sein.
({9})
Herr Schiewerling, es ist ein Unterschied, ob eine
große Gewerkschaft wie Verdi in einem Streik zugunsten
einer gesamten Flughafengesellschaft an bestimmten
Stellen Leute einsetzt, um am Ende für die Gesamtbelegschaft eine Lohnerhöhung von 4 oder 5 Prozent herauszuholen, oder ob 200 Leute 30, 40 oder sogar 50 Prozent
mehr Lohn nur für sich selber herausholen wollen, während der Rest der Belegschaft hinten herunterfällt.
({10})
Lassen Sie die Chance nicht vorbeigehen! Lassen Sie
uns dafür sorgen, dass die Tarifeinheit wiederhergestellt
wird! Wir sind bereit dazu. Wir werden testen, ob auch
Sie dazu bereit sind, und werden Sie dann beim Wort
nehmen.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank, Kollege Ingo Egloff. - Letzter Redner
in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
CDU/CSU unser Kollege Peter Weiß. Bitte schön, Kollege Peter Weiß.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Das Prinzip, dass pro Betrieb ein Tarifvertrag gilt, ist
nicht von der Politik, sondern vom Bundesarbeitsgericht
aufgehoben worden. Es war die Bundesministerin
Ursula von der Leyen, die unmittelbar nach diesem Urteil eine regierungsinterne Arbeitsgruppe eingesetzt hat,
um zu prüfen, ob man den gemeinsamen Vorschlag
({0})
der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Deutschen Gewerkschaftsbundes, künftig
die Tarifeinheit dadurch zu gewährleisten, dass man
nach dem Mehrheitsprinzip vorgeht (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Was macht
denn die Arbeitsgruppe? Arbeitsverweigerung? Oder was?
bei konkurrierenden Tarifverträgen soll der Tarifvertrag
gelten, der von der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb abgeschlossen wurde -, gesetzgeberisch umsetzen kann.
({1})
Am 7. Juni des vergangenen Jahres hat der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf Betreiben von Verdi beschlossen, diese gemeinsame Initiative
mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände nicht weiter zu verfolgen.
({2})
Damit war auch für die gemeinsame Arbeitsgruppe der
Bundesregierung die Weiterarbeit an diesem Vorschlag
beendet.
({3})
Ich habe gedacht, dass die Sozialdemokraten diesen Beschluss des DGB-Bundesvorstandes kennen, weil sie
mittlerweile versuchen, ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften zu verbessern. Aber offensichtlich, Herr Kollege
Heil, ist die SPD jetzt ein Bündnis mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände eingegangen
und hat die Kommunikation mit den Gewerkschaften eingestellt.
({4})
Die Bundesarbeitsministerin hat des Weiteren führende Verfassungsrechtler und Arbeitsrechtler eingeladen, um zu prüfen, ob es möglich ist, auf der Basis des
BDA/DGB-Vorschlags einen verfassungsfesten Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag einzubringen. Das Ergebnis
({5})
Peter Weiß ({6})
dieser Konferenz war zwiespältig. Deswegen muss ich
klipp und klar sagen: Die Pflicht einer Bundesarbeitsministerin ist es,
({7})
dem Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf zuzuleiten, der verfassungsfest ist und der später in Karlsruhe
nicht einkassiert wird.
({8})
Richtig ist - ich glaube, das ist unsere gemeinsame
politische Überzeugung -: Die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer eines Betriebes in Deutschland haben dann
Erfolg - gerade wenn es um Tarifforderungen geht -,
wenn sie untereinander Solidarität üben. Das, was wir
bei Fraport erlebt haben, ist ein negatives Beispiel. Dort
hat sich eine kleine Gruppe von 200 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern, die strategisch günstig positioniert
sind, abgespaltet, den ganzen Flugbetrieb lahmgelegt
und hat sich für die Entwicklung der Tarife der anderen
12 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Betriebs
gar nicht interessiert. Diese Art von Entsolidarisierung
ist sicherlich nicht das, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland künftig bei Tarifverhandlungen Erfolg bringen kann.
Nun gibt es ein Prinzip - auch daran sollte man einmal erinnern -, das sich auch bewährt hat, nämlich dass
sich unterschiedliche Gewerkschaften in einer Branche
zunächst einmal zu einer Tarifgemeinschaft zusammenschließen. Es ist erwähnt worden, dass zurzeit die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst stattfinden. Verdi
und der deutsche beamtenbund und tarifunion verhandeln in Tarifgemeinschaft. Dazu ist es manchmal notwendig, dass die größere Gewerkschaft vom hohen Ross
heruntersteigt und dass die kleinere Gewerkschaft auf
die Verfolgung von nur Spezialinteressen verzichtet.
Deswegen muss die erste Forderung von uns als Politiker sein: Gewerkschaften, versucht, im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunächst einmal
eine Tarifgemeinschaft zu bilden und damit die Tarifeinheit in einem Betrieb und in einer Branche herzustellen,
und ladet nicht das Problem bei der Politik ab!
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Dennoch bekenne ich mich dazu: Ich glaube, dass das
alte Prinzip der Tarifeinheit, das in der Form, die wir traditionell hatten, angesichts der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht mehr gilt, trotzdem einen hohen
Wert darstellt - im Interesse einer Befriedung der Tariflandschaft, auch im Interesse guter Löhne für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und im Interesse einer
verlässlichen Sozialpartnerschaft von Arbeitgebern und
Gewerkschaften. Deswegen unterstütze ich die Absicht
der Bundesarbeitsministerin, erneut einen Versuch zu
unternehmen, zu einer befriedigenden Regelung der Tarifeinheit in Deutschland zu kommen, die allerdings
klarstellen muss: Erstens. Jeder Arbeitnehmer darf sich
in Wahrnehmung der Koalitionsfreiheit dort organisieren, wo er will. Zweitens. Es darf der Größere den Kleineren nicht einfach wegdrücken können. Drittens. Eine
solche Lösung muss verfassungsfest sein, damit sie auch
in Karlsruhe Bestand hat. Daran sollten wir miteinander
in den nächsten Monaten arbeiten.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Kollege Peter Weiß. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 8. März 2012,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Vielen herzlichen Dank.