Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/21/2010

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Es wird wieder etwas übersichtlicher. ({0}) Wir haben vor Eintritt in die Fortsetzung unserer Haushaltsberatung noch einige Nachwahlen vorzunehmen. Die SPD-Fraktion hat mitgeteilt, dass die ehemalige Abgeordnete Monika Griefahn aus dem Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt ausgeschieden ist. Als Nachfolgerin wird die Kollegin Angelika Krüger-Leißner vorgeschlagen. Als deren Stellvertreterin ist die Kollegin Ulla Schmidt vorgesehen. Können wir das so vereinbaren? - Sie sind damit offenkundig einverstanden. Dann sind Frau Krüger-Leißner als Mitglied und die Kollegin Schmidt als stellvertretendes Mitglied in den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt gewählt. Die SPD-Fraktion schlägt ferner vor, für den früheren Abgeordneten Christian Kleiminger die Kollegin Bärbel Bas in den Stiftungsrat der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ zu wählen. Sind Sie auch damit einverstanden? Das ist augenscheinlich der Fall. Dann ist die Kollegin Bas in diesen Stiftungsrat gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um Zusatzpunkt 1: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 187 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 15. Juni 2006 über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz - Drucksache 17/428 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) zu erweitern und diesen Gesetzentwurf ohne Aussprache zur Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales zu überweisen. Können wir so verfahren? - Das ist offensichtlich der Fall. Wir setzen nun die Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt 2 - fort: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 ({2}) - Drucksache 17/200 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Für die heutige Aussprache haben wir am Dienstag eine Beratungszeit von insgesamt siebeneinhalb Stunden beschlossen. Wir beginnen die heutigen Beratungen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Einzelplan 11. Das Wort erhält zunächst die Bundesministerin Frau Dr. von der Leyen. ({3})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man internationale Berichte über die Arbeitsmärkte in der globalen Krise liest, ist vor allem ein Tenor einheitlich und durchgehend, nämlich die Verblüffung darüber, dass der deutsche Arbeitsmarkt so robust ist. Die Arbeitslosigkeit ist trotz des drastischen Einbruchs der Wirtschaftsleistung nicht wie befürchtet gestiegen. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist: Wir sind noch lange nicht über den Berg. Wir werden die Krise am Arbeitsmarkt noch lange spüren. Die Arbeitslosigkeit wird steigen. Aber die Prognosen sind nicht mehr ganz so düster, wie sie es vor einigen Monaten gewesen sind, das heißt, wir werden voraussichtlich bei der Arbeitslosenzahl unter 4 Millionen bleiben. Redetext Hinter dieser Entwicklung steht nicht nur die beginnende Erholung der Wirtschaft. Nein, hinter dieser Entwicklung steht ein neuer, ein breiter Konsens in Deutschland: Oberste Priorität hat der Erhalt von Fachwissen und damit der Erhalt von Arbeitsplätzen. Diesen neuen Konsens am Arbeitsmarkt wollen wir als Regierung mit aller Kraft unterstützen. ({0}) Das spiegelt der Haushalt ganz klar wider. Mit 146,8 Milliarden Euro müssen wir rund 19 Milliarden Euro mehr einsetzen als im Jahr davor. Der Löwenanteil dieser Steigerung geht in die Arbeitsmarktförderung. Das setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Erstens. Mehr Arbeitslose heißt natürlich mehr Ausgaben für die Bundesagentur für Arbeit und weniger Einnahmen. Wir wollen nicht, dass die Bundesagentur für Arbeit mitten in der Krise in eine Schuldenspirale gerät. Wir wollen nicht, dass mitten in der Krise damit der Druck auf den Arbeitslosenbeitrag steigt und damit der Druck auf die Lohnnebenkosten. Das wäre Gift in der Krise. Deshalb planen wir, der BA jetzt, in der Krise, einen Zuschuss von 16 Milliarden Euro zu geben und nicht das übliche Darlehen. ({1}) Die zweite Komponente ist das Kurzarbeitergeld. Das kostet Arbeitnehmer, Arbeitnehmerinnen, Arbeitgeber, aber auch die Politik viel Geld. Aber natürlich ist es allemal besser, in den Erhalt von Arbeitsplätzen, in Fachwissen, in Familieneinkommen zu investieren, als Kündigung, Arbeitslosigkeit und Kompetenzschwund teuer zu bezahlen. ({2}) Dieses konjunkturelle Kurzarbeitergeld ist in der Krise entwickelt worden. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich meinen beiden Vorgängern, Olaf Scholz und Franz Josef Jung, die dieses konjunkturelle Kurzarbeitergeld immer mit Augenmaß und genau abgestimmt auf die Entwicklung der Krise weiterentwickelt haben, gewissermaßen am Puls der Zeit. Wir wollen diesen Weg in der akuten Krise in enger Abstimmung mit den Arbeitnehmervertretungen und den Arbeitgebern weitergehen. ({3}) Abgesehen von der akuten Krise ändert sich die Struktur des Arbeitsmarktes langfristig natürlich unaufhaltsam. Die Industriearbeitsplätze werden immer anspruchsvoller. Dienstleistungsberufe nehmen an Bedeutung zu, wachsen in ihrer Zahl, in ihrer Vielfalt. Mehr Frauen arbeiten; das ist gut so. Wir haben mehr Ältere am Arbeitsmarkt; auch das ist gut so. Dieser Wandel findet statt. Wenn wir ihn ignorieren, weil er uns vielleicht nicht passt, dann werden wir von dieser Entwicklung einfach überrollt werden. Deshalb ist es so wichtig, proaktiv zu reagieren und frühzeitig zu erkennen, was es in Zukunft bedarf, wenn wir diesem Strukturwandel am Arbeitsmarkt aktiv begegnen wollen. Das heißt, wir müssen die Menschen viel stärker und viel gezielter für Zukunftsberufe ausbilden. Wir müssen uns vollständig neu aufstellen beim Thema Bildung für Ältere. Wir brauchen mehr flexible Kinderbetreuung und mehr Ganztagsschulen, nicht nur, weil das eine Frage von Bildungschancen ist, sondern auch, weil das die Conditio sine qua non, die Grundvoraussetzung für Eltern ist, dass sie überhaupt Arbeit annehmen können. Am Arbeitsmarkt hat unser Land das notwendige Maß an Flexibilität gewonnen. Wir haben viele Diskussionen darüber geführt, was Flexibilität am Arbeitsmarkt bedeutet. Das wird immer ganz unterschiedlich interpretiert, etwa: Ist das positiv oder negativ? Ich finde es ganz wichtig, dass wir jetzt sehen, dass Flexibilität nicht gleichbedeutend sein muss mit dem Drohszenario „hire and fire“: Weil es Flexibilität gibt, mal eben schnell entlassen, weil ja schnell wieder eingestellt werden kann. Nein, wir sehen: In der Krise findet genau das Gegenteil statt. Weil auf der betrieblichen Ebene viel mehr Absprachen im Konsens möglich sind, zeichnet sich Deutschland inzwischen auch im internationalen Vergleich durch eine sehr hohe betriebsinterne Flexibilität aus. Da sind zu nennen: das Kurzarbeitergeld, der Abbau von Überstunden, Arbeitszeitkonten. Ich sage aber auch ganz deutlich: Dieses Mehr an Flexibilität muss immer in einer Balance mit dem notwendigen Schutz der Beschäftigten stehen. Soziale Marktwirtschaft heißt, der Wirtschaft Freiheit zu geben, aber immer im richtigen Rahmen. ({4}) Das bedeutet im Alltag: Wir brauchen keine starren Pauschalvorschriften beim Mindestlohn, sondern wir brauchen das Vertrauen - das muss auch entwickelt werden auf das, was Gewerkschaften und Arbeitgeber miteinander vereinbaren. Sie sind die Experten in der eigenen Sache, sie wissen genau, wo die Untergrenze des Marktlohns liegt, damit Arbeitsplätze nicht zerstört werden, damit es andererseits auch Schutz in der jeweiligen Branche gibt. Ich sage deutlich: Wenn es einstimmige Vereinbarungen gibt, dann hilft die Politik, diese Vereinbarungen auf den Rest der betreffenden Branche zu übertragen, ({5}) um die Beschäftigten zu schützen, aber auch die Unternehmen vor Konkurrenten, die zu Hungerlöhnen Arbeit anbieten, zu schützen. ({6}) Deshalb haben wir bei der Abfallwirtschaft bewusst diesen Weg gewählt und den Mindestlohn jetzt wieder verankert. Ich glaube, das war die richtige, das war eine gute Entscheidung. ({7}) Bei der Zeitarbeit ist es weiterhin richtig und wichtig, zu sagen: Sie hat ihren Platz, damit Unternehmen schnell auf Auftragsspitzen reagieren können. Aber das darf nicht heißen, dass die Zeitarbeit zur dauernden Billigkonkurrenz für die eigene Belegschaft wird. Ich sage Ihnen: Wenn die Zeitarbeit, die ich - wenn es den richtigen Schutzrahmen gibt - für grundsätzlich richtig halte, von einzelnen Unternehmen zum Schaden der Beschäftigten missbraucht wird, dann müssen und werden wir die Gesetze ändern. Denn das ist nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen. ({8}) Auch bei der Arbeitsvermittlung hat sich viel Gutes getan. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit leisten gute Arbeit. Ich glaube, man muss sagen - wir alle haben unsere Vorurteile über die Bundesagentur für Arbeit -: Diese schwerfällige Behörde ist ein moderner Dienstleister geworden. Es ist, glaube ich, an der Zeit, manches Vorurteil abzubauen. ({9}) Ich will Ihnen eine Zahl nennen, die mir ins Auge gefallen ist. Wenn man die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit im Boomjahr 2006 mit der im Krisenjahr 2009 vergleicht, dann sieht man, dass Arbeitssuchende im Krisenjahr 2009 im Durchschnitt 36 Tage weniger arbeitslos gewesen sind als in der guten Zeit 2006. Das heißt, trotz Krise werden die Arbeitssuchenden deutlich schneller vermittelt als früher. Ich denke, diese Arbeit der Bundesagentur sollte man auch anerkennen. ({10}) Wir können noch besser werden. Der alte Grundsatz, dass man nicht unbedingt mehr Geld, sondern mehr Effizienz braucht, gilt natürlich auch bei der aktuellen Diskussion über die Vermittlung der Langzeitarbeitslosen. Ich sage ganz klar: Unsere Aufgabe ist es, gerade denen, die schon lange arbeitslos sind, bestmöglich zu helfen und sie nicht über einen Kamm zu scheren. Ja, ich weiß, es gibt in Einzelfällen Menschen - dies beobachtet man überall -, die staatliche Hilfen auf Kosten anderer ausnutzen. Aber schon jetzt können die Jobcenter in solchen Fällen die Leistungen kürzen, im Extremfall auf null, und sie tun das auch. Der Normalfall sieht doch ganz anders aus: Die große Mehrheit der Langzeitarbeitslosen will raus aus Hartz IV. Sie können es aber nicht, weil ihnen die Kinderbetreuung fehlt, weil ihnen der Schulabschluss fehlt, weil ihnen die Berufsausbildung fehlt. Da müssen wir genau hinschauen und besser werden. Das muss unser erklärtes Ziel sein. ({11}) Wir haben in den vergangenen fünf Jahren bei dieser kontroversen Diskussion viel gelernt. Ich möchte deutlich sagen: In diesen Jahren hat sich bei den Jobcentern ein Erfahrungsschatz herausgebildet, der unverzichtbar ist. ({12}) Deshalb will ich zur Reform der Jobcenter jetzt nur so viel sagen: ({13}) Nicht wir haben vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Wir halten die Arbeit vor Ort, so wie sie strukturiert ist, für richtig und gut. Das sollte man noch einmal gemeinsam hier in diesem Saal festhalten. ({14}) Jetzt zwingt uns das Urteil zum Handeln. Klar, aus der Sicht der meisten Arbeitsmarktpolitikerinnen und -politiker wäre eine Grundgesetzänderung richtig, um das zu erhalten, was man will. ({15}) Aber aus der Sicht der meisten Rechtspolitikerinnen und -politiker wäre sie aus rechtspolitischen Gründen nicht richtig. ({16}) Ich will Ihnen deutlich sagen: Wir müssten dazu nicht nur eine Mehrheit finden - es wird ja immer gesagt, es gebe sie bereits -, sondern diese Mehrheit müsste sich auch auf ein und denselben Text einigen. Da liegt der Hase im Pfeffer, meine Damen und Herren. ({17}) Das ist zwei Jahre lang erfolglos versucht worden. ({18}) Es hat sich nichts bewegt. ({19}) Deshalb ist jetzt Pragmatismus gefragt. ({20}) Ich kann Ihnen zur allgemeinen Beruhigung sagen: Für die Betroffenen wird sich nicht viel ändern; das ist das Entscheidende - wir führen eine sehr statische Diskussion: Die Arbeitslosen werden in den allermeisten Fällen in dasselbe Gebäude gehen wie jetzt. ({21}) Sie werden zu ein und demselben Arbeitsvermittler gehen wie jetzt. Sie werden über den Flur in das nächste Zimmer zu ein und derselben Schuldnerberaterin gehen wie jetzt. Wenn in den Kommunen die Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit offensichtlich - bisher allerdings unter gesetzlichem Zwang - so ausgezeichnet geklappt hat, dass sie jetzt alle erhalten wollen, warum soll sie nicht auch weiterhin freiwillig mit kooperativen Verträgen funktionieren, meine Damen und Herren? ({22}) Um dies zu gewährleisten, werde ich Anfang kommender Woche Vorschläge für die neue Jobcenterorganisation vorlegen. ({23}) Ich weiß, meine Zeit ist schon abgelaufen; zwei Themen sind mir allerdings noch sehr wichtig. ({24}) - Ja, die Redezeit. ({25}) Ich hoffe, dass meine Zeit im Allgemeinen noch nicht abgelaufen ist. Aber meine Redezeit ist schon abgelaufen. ({26}) - Meine Lebenszeit ist hoffentlich auch noch nicht abgelaufen. - Mir liegen, wie gesagt, vor allem noch zwei Themen am Herzen; deshalb muss ich sie ansprechen. Wir haben uns vorgenommen, die Situation für Menschen mit Behinderung zu verbessern. Unsere Vorgabe ist die UN-Behindertenrechtskonvention. Wir wollen sie umsetzen und entwickeln, und zwar gemeinsam mit den Beteiligten, die es angeht. Mir ist wichtig, auch einen Bewusstseinswandel herbeizuführen, unsere Perspektive zu verändern und weiterzuentwickeln: weg von der Fürsorge, hin zu einer Sichtweise, nach der die selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderung eine Voraussetzung ist. Das heißt, wir wollen die Inklusion gemeinsam mit den Menschen mit Behinderung zur erfahrbaren Wirklichkeit machen, und zwar in allen Lebensbereichen. 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner in unserem Land, die sich ein ganzes Leben lang angestrengt haben und an ihrer Einkommenssituation jetzt nichts mehr ändern können, erwarten zu Recht eine verlässliche Rente. Das Fundament dafür ist gelegt. Die gesetzliche Rentenversicherung ist stabil und generationengerecht. Ich glaube, man sollte zur Kenntnis nehmen, dass sie gerade jetzt, in der Krise, stabiler ist als erwartet und sich auch im internationalen Vergleich sehr viel besser hält als die Systeme anderer Länder. Wenn man berücksichtigt, dass die Löhne und Gehälter in Deutschland zum ersten Mal seit 50 Jahren gesunken sind, kann man erahnen, welch hohen Wert die Rentengarantie hat, indem sie gewährleistet, dass die Renten nicht sinken, obwohl die wirtschaftliche Entwicklung so negativ war. Meine Damen und Herren, zum Schluss sage ich: Ja, es liegen schwierige Aufgaben und schwierige Monate vor uns. Wir sind uns hier im Hohen Haus einig, dass Deutschland stärker aus dieser Krise hervorgehen muss. Mir ist wichtig, dass die Menschen am Ende dieser Krise sagen: Es war eine schwierige Zeit, aber wir haben das gemeinsam geschafft. Vielen Dank. ({27})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, das war Ihre erste Rede als Arbeitsministerin. Sie haben zum Schluss gesagt, Sie seien am Ende oder Ihre Zeit sei abgelaufen. Ich wünsche Ihnen - das will ich sagen - viel Lebenszeit und von Herzen Erfolg in Ihrem Job. Es ist nicht unsere Aufgabe, Ihnen jeden Tag die Daumen zu drücken, dass Sie politisch strahlen; aber im Interesse der arbeitslosen Menschen in diesem Land wünschen wir Ihnen durchaus alles Gute für Ihre Amtsführung. ({0}) Dass unser Arbeitsmarkt in dieser Krise robuster dasteht - dies ist zu Recht beschrieben worden -, hat Ursachen: Eine rot-grüne Bundesregierung hat Strukturreformen durchgeführt, die geholfen haben, die Dauer des Verweilens in Langzeitarbeitslosigkeit zu verkürzen. Vor allen Dingen aber hat es mit beherztem Arbeiten und Handeln sozialdemokratischer Minister in der Großen Koalition zu tun. Deshalb ist es richtig, dass Sie Olaf Scholz erwähnt haben, der Änderungen an den Regeln für Kurzarbeit durchgesetzt hat - mit dem Effekt, dass in Deutschland im letzten Jahr der Arbeitsmarkt stabil geblieben ist, aber auch mit dem Effekt, dass die Binnennachfrage erstaunlich robust geblieben ist in einer ganz schwierigen Zeit. Umso weniger, Frau von der Leyen, verstehe ich, dass die neue Bundesregierung die Regelungen für Kurzarbeit verschlechtert und Kurzarbeit unattraktiver gemacht hat. ({1}) Verbessern Sie sie stattdessen! Wir wissen nämlich, dass in diesem Jahr, 2010 - und deshalb gibt es keinen Grund zur Entwarnung -, die Krise nicht überstanden ist. Die Kapazitäten der deutschen Wirtschaft sind auch bei einem Wachstum von 1,5 Prozent bei weitem nicht ausgelastet. Wir werden erleben, dass die Arbeitslosigkeit steigt und die Binnennachfrage zurückgeht. Deshalb ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass für die Arbeitgeber wie für die betroffenen Arbeitnehmer Kurzarbeit attraktiv bleibt. Hubertus Heil ({2}) Wir schlagen vor, die Dauer der Kurzarbeit - wie es früher möglich war - zu verlängern, sie nicht zu begrenzen. Die Bundesagentur für Arbeit soll auch über 2011 hinaus die sogenannten Remanenzkosten, das heißt die Lohnnebenkosten, übernehmen. Auch die Weiterbildung muss stärker gefördert werden. Tragen Sie das mit, Frau von der Leyen - im Interesse der arbeitslosen Menschen in diesem Land! ({3}) Ich kann überhaupt nicht verstehen - Sie sind mit warmen Worten darüber hinweggegangen -, warum Sie in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit steigen wird, in diesem Jahr, in Kauf nehmen, die Jobcenter in Deutschland zu zerschlagen. ({4}) Hilfe aus einer Hand und nicht nur unter einem Dach ist notwendig, wenn man arbeitslosen Menschen, zumal langzeitarbeitslosen, effektiv helfen will. Ich kann Ihre Argumentation nicht nachvollziehen, Frau von der Leyen. Ich habe den leisen Verdacht, dass Sie es eigentlich genau wie wir sehen, aber Probleme haben, es Ihrem eigenen Laden zu verklickern. Da sage ich Ihnen als neuer Ministerin: Zeigen Sie mehr Kreuz und mehr Mut! Aber auch Rückendeckung von der Kanzlerin täte gut. Darauf kann man sich allerdings nicht verlassen; das hat Olaf Scholz erleben müssen, als er im letzten Jahr zusammen mit den 16 Ministerpräsidenten einen Kompromiss für die Fortführung der Jobcenter geschaffen hat, der tragfähig ist, der pragmatisch ist, der Hilfe aus einer Hand ermöglicht, der Argen als Zentren für Grundsicherung und Arbeit erhält und der auch den Optierern die Sicherheit gibt, die sie brauchen. Frau Merkel hat ihn im Regen stehen lassen, weil einige Ideologen aus ihrer Fraktion, namentlich Herr Röttgen und Herr Kauder, und einige Rechtspolitiker ihrer Fraktion Sand ins Getriebe gestreut haben. Das ist inakzeptabel. Ich wünsche Ihnen mehr Pragmatismus, und zwar, wie ich schon letztes Mal gesagt habe, im Sinne von Karl Popper - pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken - und weniger Volker Kauder. ({5}) Wollen Sie denn, dass in diesen Zeiten mit den Arbeitslosen wieder Pingpong gespielt wird zwischen kommunaler Verwaltung und Arbeitsagentur, wie es früher üblich war? Wollen Sie eine doppelte Bürokratie und doppelte Bescheide? Wollen Sie Rechtsunsicherheit? Denn all das, was Sie jetzt in die Diskussion bringen, hält verfassungsrechtlich nicht stand. Allein die Entfristung der Optierer ist ohne Verfassungsänderung nicht zu machen, sagen führende Experten, sagen die kommunalen Spitzenverbände, der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Landkreistag - von dem Sie ja vor einigen Tagen entsprechend Nachricht bekommen haben -, aber auch der Deutsche Städtetag. Auch die Chefs und die Praktiker vor Ort in den Arbeitsagenturen bitten Sie, die erfolgreiche Einrichtung Jobcenter nicht zu zerschlagen und damit zurück zu einem Zustand zu gehen, als Bürokratie und Pingpong mit Langzeitarbeitslosen angesagt waren. Kehren Sie um, Frau von der Leyen! Das ist unsere Nachricht. Wir sind bereit, daran mitzuwirken. ({6}) Ich kann Ihnen ein Weiteres nicht ersparen. Sie haben in Ihrer Rede - das hat Gründe, die mit Ihrem Koalitionspartner zu tun haben - über ein Thema weidlich geschwiegen, nämlich über die Tatsache, dass wir in diesem Land immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse haben. Der Deutsche Bundestag ist dringend aufgerufen, zu tun, was in seinen Möglichkeiten als Gesetzgeber steht, um dafür zu sorgen, dass Menschen in Arbeit kommen, und zwar in ordentliche, in gute Arbeit, in Arbeit, von der sie leben können. Frau Homburger hat gestern als Motto ausgegeben: Sozial ist, was Arbeit schafft. Nach dieser Philosophie wäre auch Sklavenarbeit sozial. Wir sagen: Sozial ist Arbeit, von der Menschen auch leben können, nämlich gute Arbeit. Das ist der Unterschied. ({7}) Was hat es übrigens mit Ordnungspolitik zu tun, wenn Herr Rüttgers und diese Koalition einfach nur Zuverdienstmöglichkeiten erweitern wollen und damit einen dauerhaft subventionierten Niedriglohnsektor auf Kosten der Steuerzahler etablieren? Führen Sie endlich Mindestlöhne in weiteren Branchen ein, und sorgen Sie auch für einen gesetzlichen Mindestlohn, damit Menschen von ihrer Arbeit leben können! ({8}) Frau von der Leyen, ich habe mich schon ein bisschen gewundert, dass Ihnen das Thema „Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit“ erst beim Problem Schlecker zum ersten Mal begegnet zu sein scheint. Tatsache ist, dass es nicht nur Schlecker betrifft. Das ist in vielen Bereichen das Problem. Es war richtig - damals haben es Politik und Gewerkschaften übrigens gemeinsam gemacht -, Zeit- und Leiharbeit aus der Schmuddelecke geholt zu haben. Wir haben damals den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Stamm- und Leihbelegschaften“ in das Gesetz geschrieben. Aber wir haben alle miteinander den Fehler gemacht, eine Öffnungsklausel zu schaffen, die besagt, dass Tarifverträge davon abweichen könnten. Dies taten wir in der Hoffnung, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber stark genug sind, vernünftig damit umzugehen. Dann allerdings ist über Scheintarifverträge und Scheingewerkschaften, auch wenn sie sich christlich nennen und durch CSU-Abgeordnete in diesem Haus präsent sind, diese Klausel benutzt worden, um Lohndumping und dem Auflösen der Stammbelegschaften in Richtung Leihbelegschaften Vorschub zu leisten. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben, meine Damen und Herren, und dazu habe ich von Ihnen nichts gehört. ({9}) Da reicht es nicht, Frau Ministerin, wenn Sie in Interviews die Folgen beklagen, selbst aber nichts tun. Es reicht auch nicht, wenn Herr Rüttgers darüber schwadro1360 Hubertus Heil ({10}) niert, nur weil am 9. Mai Landtagswahlen stattfinden werden. Wir werden Ihnen im Februar in diesem Haus einen Gesetzentwurf mit drei konkreten Maßnahmen und Vorschlägen vorlegen, und wir werden jeden Einzelnen von Ihnen in namentlicher Abstimmung befragen, wie Sie es damit halten. Erstens. Sind Sie bereit - das ist notwendig -, die Rechte der Betriebsräte zu stärken, was den Einsatz von Zeit- und Leiharbeit betrifft? Zweitens. Sie haben vorhin davon gesprochen, Gewerkschaften und Arbeitgeber sollten Mindestlöhne tarifvertraglich festschreiben. D’accord, wo sie es können, aber es gibt ja bei der Zeit- und Leiharbeit einen Tarifvertrag. Warum sorgen Sie nicht für einen Mindestlohn im Bereich der Zeit- und Leiharbeitsbranche? Drittens. Die wichtigste Frage ist: Warum wehren Sie sich dagegen, den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Stamm- und Leihbelegschaften“ durchzusetzen? Ich verstehe es nicht; denn dies ist das wirksamste Instrument gegen den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit. An diesem Punkt können Sie mithelfen. ({11}) - Herr Kolb, wenn Sie ein ähnliches Hörvermögen wie Schreivermögen hätten, hätten Sie eben vernommen - Sie können es im Protokoll nachlesen -, was der Hintergrund dieser Geschichte ist. Die Frage ist, wie wir jetzt damit umgehen und was Sie tun. ({12}) Frau von der Leyen, Arbeitsmarktpolitik ist das eine, Wirtschaftspolitik ist das andere. Wir werden nachher mit Herrn Brüderle noch darüber diskutieren. Unser zentraler Vorwurf ist nicht, dass wir im Hinblick darauf, dass es in der Analyse des letzten Jahres und auch des Beginns dieses Jahres noch ganz gut aussieht, einer Meinung sind. Das haben wir in der Großen Koalition gemeinsam gemacht, Frau Bundeskanzlerin. Unser Vorwurf ist, dass Sie diesen Pfad verlassen, dass Sie kein Konzept und keine Wachstumsstrategie, aber auch keine kohärente Vorstellung im Bereich der Arbeitsmarktpolitik haben. Wer in Zeiten, in denen Langzeitarbeitslosigkeit wächst, Jobcenter zerschlagen will - ich sage es noch einmal -, der ist wirklich mit dem Klammerbeutel gepudert. Dann gibt es noch etwas, was uns auch noch nicht so klar ist und was mit der Haushaltspolitik im unmittelbaren Sinne zu tun hat: Können Sie uns wirklich versichern, dass Sie den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung dauerhaft, das heißt über die ganze Legislaturperiode, stabil halten? Ich habe gestern eine Zwischenfrage an Herrn Friedrich gestellt, der locker sagte: Natürlich, dagegen werden wir uns stemmen, das soll nicht über 3 Prozent steigen. - Aber mir fehlt eine klare Aussage in Ihrer Rede, Frau Ministerin. Was wird sich eigentlich nach dem 1. Januar 2011 im Bereich der Arbeitslosenversicherung entwickeln? Der Beitrag wird auf 3 Prozent steigen. Aber wir dürfen nicht ins Unendliche gehen. Ich warne Sie davor, die aktive Arbeitsmarktpolitik oder den Arbeitslosenversicherungsbeitrag als Steinbruch zu nehmen, um Ihre Steuergeschenke für Wohlhabende und Ihre Klientelgruppen zu finanzieren. Das darf nicht sein. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Heil, Sie müssen auch gelegentlich auf die Endlichkeit Ihrer Redezeit achten.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Es ginge zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, was die Umverteilungswirkung betrifft. Aber es ginge vor allen Dingen zulasten von ordentlicher Arbeit. ({0}) Das dürfen Sie nicht zulassen. Dazu muss endlich ein klares Wort gesagt werden. Kehren Sie um, Frau von der Leyen! Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Dr. Claudia Winterstein ist die nächste Rednerin für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Heil, Ihrer Rede hat man wirklich angemerkt, dass die SPD keine Regierungsverantwortung mehr für die Zukunft dieses Landes trägt, und das ist auch gut so. ({0}) Sehr wohl aber tragen Sie die Verantwortung für Fehlentscheidungen und Versäumnisse der vergangenen Jahre. Ich weiß, dass Sie davon nichts mehr wissen wollen, Herr Heil. Ich erinnere aber daran: Ohne Wirtschaftskrise bei sprudelnden Steuermehreinnahmen und der größten Steuererhöhung aller Zeiten haben Sie den Haushalt und den Schuldenberg stetig wachsen lassen und damit die Chancen zur Konsolidierung verpasst. ({1}) Unter SPD-Finanzministern ist der Schuldenberg in den letzten elf Jahren um 300 Milliarden Euro gewachsen. Zu Ihrem Redebeitrag wäre vieles zu sagen, Herr Heil, allerdings nichts Gutes. ({2}) Das will ich Ihnen und mir ersparen. Teilweise hatte ich bei Ihrer Rede das Gefühl, das grenzte schon an partielle Amnesie. ({3}) Der Haushalt 2010 entsteht also unter sehr schwierigen Bedingungen. Trotzdem gibt es für das Jahr 2010 die positive Nachricht, dass der Einzelplan mit einem deutlich geringeren Ansatz, nämlich 6,3 Milliarden Euro weniger, auskommt, als noch unter Finanzminister Steinbrück für 2010 geplant. ({4}) Dieser Einzelplan hat somit einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass es uns gelungen ist, gleich zu Beginn unserer Regierungszeit Steuersenkungen durchzuführen und zugleich die von Steinbrück ursprünglich geplante Neuverschuldung sogar etwas geringer zu halten. Ich will auf einige wichtige Themen eingehen, die unsere Arbeit in diesem ersten Regierungsjahr bestimmen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die derzeitige Struktur der Arbeitsgemeinschaften verworfen. Hier besteht also dringender Handlungsbedarf. Unter SPD-Arbeitsministern hat es allerdings keine Lösung gegeben; das muss man ganz deutlich sagen. ({5}) Die neue Regierung wird nun eine Lösung vorlegen. Die Ministerin hat einen entsprechenden Gesetzentwurf angekündigt. Allen Vorschlägen der SPD liegt eine Änderung der Verfassung zugrunde. Das wollen wir nicht. ({6}) Insofern sind sie keine Lösung des Problems. Ich möchte noch auf einen anderen Teilaspekt dieser Gesetzgebung eingehen. Das Modell der Optionskommunen hat sich bewährt. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt, dass die Optionskommunen ihre Aufgabe unbefristet wahrnehmen können. ({7}) Wir werden prüfen, ob wir nicht sogar einen Schritt weiter gehen und die Möglichkeit schaffen können, die Anzahl der Optionskommunen zu erhöhen, wenn dies gewünscht wird. ({8}) Hierfür muss ein rechtssicherer Weg ohne Verfassungsänderung gefunden werden. ({9}) Änderungen bei Hartz IV sind derzeit ein großes Thema und in der Tat sehr notwendig. In der Koalition gibt es dazu klare Verabredungen. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist ein Sicherheitsnetz, das zugleich dazu anregen soll, dieses Netz wieder zu verlassen und sich finanziell wieder auf eigene Füße zu stellen. Es gibt aber Fallstricke im System, die das Verlassen des Netzes eher behindern als fördern. Das betrifft vor allen Dingen die Hinzuverdienstregelungen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt, die Hinzuverdienstregelungen deutlich zu verbessern. Es muss sich lohnen, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Nur so können wir auch die Sozialkassen entlasten. ({10}) Eine zweite wichtige Änderung bei Hartz IV hat die Koalition bereits auf den Weg gebracht. Mit dem Sozialversicherungsstabilisierungsgesetz verdreifachen wir die Freibeträge für die Altersvorsorge in der Grundsicherung für Arbeitsuchende von 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr. Das erhöht den Anreiz für die private Altersvorsorge. In diesem Gesetz gibt es eine weitere Regelung, die sich direkt im Haushalt des Arbeitsministeriums für 2010 niederschlägt. Die Bundesagentur für Arbeit hat nach erheblichen Beitragssenkungen, aber auch nach jahrelangen massiven Leistungs- und Personalausweitungen in diesem Jahr ein Defizit in Milliardenhöhe zu erwarten. Damit das Defizit nicht zu deutlichen Beitragserhöhungen führt, erhält die Bundesagentur für Arbeit, wie gesagt wurde, vom Bund einen Zuschuss in Höhe von circa 16 Milliarden Euro, vielleicht auch etwas weniger. Aber die Bundesagentur für Arbeit muss sich darüber im Klaren sein, dass dieser Zuschuss nur eine einmalige Maßnahme ist und sie ab dem folgenden Haushaltsjahr selbstverständlich nur mit Darlehen rechnen kann. ({11}) - Das ist doch klar. - Deshalb ist es wichtig, die Ausgaben in den Griff zu bekommen. Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, Aufgaben und Strukturen der Bundesagentur für Arbeit einer Kritik zu unterziehen. ({12}) Die Arbeitsmarktinstrumente der Arbeitsverwaltung müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Wir wollen die Vielzahl der Arbeitsmarktinstrumente deutlich reduzieren, effizienter gestalten und damit natürlich auch Kosten sparen. Es gab bereits unter der Vorgängerregierung den Versuch einer Neuordnung, allerdings mit der klaren Absicht, an der Höhe der Ausgaben ja nichts zu verändern. Das wollen wir anders machen. Wenn wir einen Anstieg des Beitragssatzes vermeiden wollen - das wollen wir natürlich -, dann führt an der strikten Begrenzung der Ausgaben kein Weg vorbei. Ab 2011 müssen wir die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten. Das heißt, wir müssen erhebliche Sparbemühungen unternehmen. Dazu haben wir im Koalitionsvertrag die goldenen Regeln verankert, nach denen alle staatlichen Aufgaben auf ihre Notwendigkeit überprüft werden müssen und alle Ministerien ihren Bei1362 trag zur Eindämmung der Ausgaben erbringen müssen. Der Einzelplan 11 ist mit 147 Milliarden Euro der größte Etat im gesamten Bundeshaushalt und muss somit zu den notwendigen Einsparungen ab 2011 einen erheblichen Beitrag erbringen. Im Haushalt 2010 halten sich die Möglichkeiten, Einsparungen zu verwirklichen, noch in engen Grenzen. Es ist aber jetzt unsere Aufgabe, Einsparungen im Jahr 2011 den Boden zu bereiten. Wir werden im Jahr 2010 die im Koalitionsvertrag beschlossenen Prüfaufträge zügig bearbeiten, um im Jahr 2011 aufgrund der Ergebnisse zu Umstrukturierungen und mehr Effizienz zu kommen. Wir werden ebenso aufgrund der bereits vorliegenden Istergebnisse des Haushaltes 2009 - das ist der Vorteil dieses Haushaltsentwurfs - sehr genau prüfen, ob höhere Ansätze für das Jahr 2010 überhaupt gerechtfertigt sind. Wir wollen beim Eingliederungsbudget ein deutliches Stoppsignal setzen. Einen weiteren Aufwuchs in diesem Bereich soll es nicht geben. Wir werden außerdem sehr genau darauf achten, inwieweit es verantwortbar ist, neue Projekte ins Leben zu rufen, die uns für mehrere Jahre finanziell binden. Außerdem muss sorgfältig geprüft werden, in welcher Form und Höhe laufende Projekte weitergeführt werden können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Winterstein!

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit dem Haushalt 2010 leiten wir somit eine klare Trendwende ein. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 3. Oktober 2004 erschien eine ganzseitige Anzeige in der Süddeutschen Zeitung mit der Überschrift „Auch wir sind das Volk“. Ich zitiere daraus: Die unter dem Angst machenden und abschreckenden Schlagwort Hartz IV beschlossenen Änderungen in der Arbeitslosen- und Sozialhilfe sind überlebensnotwendig für den Standort Deutschland. Weiter heißt es: Jetzt hilft nur noch ein radikaler Kurswechsel. Solche Einschnitte tun weh wie alle schweren Operationen … Aber den in Geld schwimmenden Unterzeichnern dieser Anzeige haben die Reformen nicht wehgetan. Unter ihnen ist zum Beispiel der ehemalige Vorstandschef der WestLB, Dr. Thomas Fischer. Er hat den Steuerzahlern mit der WestLB einen der größten Bankensanierungsfälle der Bundesrepublik hinterlassen. Martin Kohlhaussen war Vorstand und Aufsichtsrat der Commerzbank, der Bank, die vom Staat über 18 Milliarden Euro erhalten hat, damit sie nicht in Konkurs gehen musste. Auch sein Name steht unter dieser zynischen Anzeige. Dr. Thomas Middelhoff, damaliger Aufsichtsrat der KarstadtQuelle AG, hat ein Traditionsunternehmen ruiniert und Tausende Verkäuferinnen in die Arbeitslosigkeit entlassen. Auch er hat diese Schmähschrift unterschrieben. Der eigentliche Skandal aber ist, dass keiner von diesen Managern um sein Schonvermögen und seine Rente fürchten muss. Keiner von ihnen ist auf das demütigende Hartz IV angewiesen. Ich fordere die Bundesregierung auf, diese Menschen endlich zur Verantwortung zu ziehen, statt Hartz-IV-Empfänger zu drangsalieren. Dass Sie das nicht tut, ist der eigentliche Skandal. ({0}) Laut Haushaltsentwurf sollen für Sozialausgaben insgesamt mehr als 176 Milliarden Euro ausgegeben werden; Herr Schäuble hat das am Dienstag dargestellt. Das betrachtet diese Regierung als Ausweis ihrer sozialen Politik. Ich sage: Genau das Gegenteil ist der Fall. Diese extrem hohen Ausgaben sind ein Warnsignal. Diese Regierung treibt wie ihre Vorgängerin die Sozialversicherungssysteme systematisch in den Ruin. Das muss beendet werden. ({1}) Menschen mit hohen Einkommen zahlen überdurchschnittlich wenig in die Systeme ein. Wir als Linke halten es für unerträglich, dass die Sekretärin von Deutsche-Bank-Chef Ackermann genauso viel in die Versicherungssysteme einzahlt wie der Chef, der mehr als das Tausendfache des Gehalts der Sekretärin erhält. Wir als Linke fordern darum die sofortige Anhebung der Bemessungsgrenzen und die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung. ({2}) Der Bundeshaushalt wird von Ihnen auch ruiniert, weil Sie den Unternehmen jedes Jahr Lohnsubventionen von über 9 Milliarden Euro in die Taschen stecken. Sie haben einen Niedriglohnsektor geschaffen, der ehrlich arbeitende Menschen zwingt, als Aufstocker beim Arbeitsamt um Almosen zu bitten. Das ist nicht Ausdruck sozialer, sondern Ausdruck unsozialer Politik. Ich erwarte von der Bundesministerin Frau von der Leyen, dass sie sinnvolle Projekte unterstützt und nicht torpediert. Heute haben wir in allen Zeitungen gelesen, dass der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor in Berlin, der ein vorbildliches Modell ist und mit dem Menschen in würdige Arbeit gebracht werden, durch Entscheidungen Ihres Ministeriums gefährdet und torpediert werden soll. Ich fordere Sie auf: Nutzen wir die Haushaltsberatungen, um diese fatale Entwicklung umzukehren! Unterstützen Sie das Bundesland Berlin und drangsalieren Sie es nicht! ({3}) Es ist schon angesprochen worden, dass die Bundesregierung Milliarden von Euro in die RentenversicheDr. Gesine Lötzsch rung zuschießen muss. Das hat aber weniger mit der demografischen Situation zu tun als mit der Niedriglohnpolitik der Regierung. Sie haben nämlich die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Unternehmen vollwertige versicherungspflichtige Arbeitsplätze in Minijobs umwandeln konnten. Das muss beendet werden. Wir brauchen endlich einen gesetzlichen Mindestlohn, der den Menschen die Würde zurückgibt, aber auch dazu beiträgt, dass der Bundeshaushalt entlastet wird und die Sozialsysteme, insbesondere das Rentensystem, gestärkt werden. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns wäre die Entscheidung der Stunde. ({4}) Der Finanzminister hat in der Debatte am Dienstag darauf hingewiesen, dass nach den Wahlen in NordrheinWestfalen auch Leistungsgesetze geändert werden sollen. Ich finde, die Bevölkerung hat aber ein Anrecht darauf, dass jetzt, während wir den Bundeshaushalt diskutieren, die Wahrheit gesagt und Klartext gesprochen wird. Sie planen nämlich in Wirklichkeit die Anhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, und Sie wollen Kürzungen bei Hartz IV durchsetzen. Sie haben ja schon deutlich gemacht, dass Sie Kürzungen bei den Eingliederungsmaßnahmen erreichen wollen. Wir als Linke werden uns damit nicht abfinden und dem unseren Widerstand entgegensetzen. ({5}) Zum Abschluss will ich Ihnen verraten, welcher Name noch auf der eingangs zitierten Anzeige vom 3. Oktober 2004 stand: Dr. Wendelin Wiedeking. Dieser Mann wollte aus einem Porsche eine Heuschrecke machen und wunderte sich, dass die Aktionäre diesen Modellwechsel nicht akzeptierten. Er ist damit grandios gescheitert. Ich kann der Bundesregierung nur raten, sich von solchen aufgeblasenen Beratern endlich zu trennen, wenn sie diesen Bundeshaushalt in Ordnung bringen und endlich eine soziale Politik in unserem Land durchsetzen will. Für diese soziale Politik steht die Linke. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Alexander Bonde, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin von der Leyen, auch ich wünsche Ihnen viel Erfolg in Ihrem neuen, wichtigen Amt. Uns als Opposition lässt es nämlich nicht kalt, dass gerade diejenigen Menschen, die von Ihrem Etat, dem Arbeits- und Sozialhaushalt, betroffen sind, jetzt Stück für Stück spüren, dass die Auswirkungen der Krise auch bei ihnen ankommen werden. Wir alle wissen, dass das Jahr 2010, aber auch das Jahr 2011 die Bewährungsprobe dafür sind, ob die in Anbetracht der Schwere der Krise positive Situation des Arbeitsmarktes tatsächlich anhält oder ob die Tatsache, dass wir bisher vergleichsweise gut dastehen, auf die Verzögerung der Auswirkungen der Krise zurückzuführen ist. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Ich kann mir vorstellen, wie Kabinettssitzungen im Moment ablaufen, wenn über Steuersenkungen diskutiert wird und alle gierigen Blicke auf Sie und Ihren Etat gerichtet sind. Es wundert mich, dass Sie hier zu der Frage schweigen, wie es über das Jahr 2010 hinaus mit Ihrem Etat weitergehen soll. Dazu schweigen Sie, die Kanzlerin und der Finanzminister. Wir alle wissen: Im Hintergrund braut sich etwas zusammen, nämlich Grundsatzentscheidungen, die Sie uns und den Menschen im Lande erst nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl offenlegen wollen. Sie planen Steuersenkungen in Milliardenhöhe und haben gleichzeitig die Schuldenbremse zu beachten. Sie machen die Einnahmeseite kaputt und wissen, dass die Ausgaben Ihnen schon heute über den Kopf wachsen. Sie legen - das ist für diesen Einzelplan von besonderer Bedeutung - keinen Finanzplan vor, der deutlich macht, wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen wird und für welche zentralen Aufgaben Sie im Bereich „Arbeitsmarkt und Soziales“ Ausgaben vorsehen. Eine zentrale Frage ist: Wie geht es weiter mit der Unterstützung der Bundesagentur für Arbeit? Auch 2011 sind wesentliche Entscheidungen zu treffen. Dazu herrscht bei Ihnen Schweigen. Damit verunsichern Sie die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft. Wichtig in einer Krise wie dieser ist, dass bezüglich der Rolle des Staats auf dem Arbeitsmarkt Verlässlichkeit herrscht. 16 Milliarden erhält die Bundesagentur für Arbeit dieses Jahr als Bundeszuschuss. Übrigens haben Sie auch dazu im Wahlkampf geschwiegen. Da haben Sie noch so getan, als ob der BA ein zinsloses Darlehen gegeben würde, als sei das alles kein Problem. Kaum war die Wahl vorbei, war klar: Der BA muss ein Bundeszuschuss gewährt werden. Ihre Entscheidung, die Bundesagentur in dieser Situation mit einem Zuschuss zu stabilisieren, war richtig. ({0}) Da haben Sie von der Koalition einmal recht gehabt. Das darf man offen sagen. Auf dem entscheidenden Gebiet spielen Sie jedoch Roulette. Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag wird zum 1. Januar 2011 geringfügig auf 3 Prozent angehoben. Um die Kosten zu decken, müssten Sie ihn eigentlich auf 4,8 Prozent anheben, also fast verdoppeln. Teile Ihrer Koalition reden schon darüber. Wir wollen von Ihnen jetzt einmal wissen: Wird es eine Steigerung des Beitrags geben oder nicht? Prognostiziert wird, dass die BA 2011 ein Defizit von 11 Milliarden Euro, 2012 von mehr als 8 Milliarden Euro und 2013 von 5 Milliarden Euro haben wird. Sie sprechen immer wieder von Schutzschirmen auch für den Arbeitsmarkt. Für 2011 ist Regen auf dem Arbeitsmarkt angekündigt. Ich frage Sie: Ziehen Sie den Regenschirm weg oder nicht? Die Antwort auf diese Frage bleiben Sie uns schuldig. Das geht nicht, Frau von der Leyen. ({1}) Sie haben verschiedene Möglichkeiten. Eine Möglichkeit ist, der BA wieder ein Darlehen zu gewähren; das hat Frau Winterstein gerade angedroht. Das hieße, Sie setzten auf eine dauerhafte Überschuldung der Bundesagentur für Arbeit, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft zahlen müssten. Das ist in dieser Situation - demografischer Wandel plus Wirtschaftskrise - eine unverantwortliche Strategie. Das sage ich Ihnen ganz offen. Eine andere Möglichkeit ist, auf Kürzungen zu setzen. Auch diese Drohung liegt bereits auf dem Tisch. Ich weiß nicht, Frau Winterstein, ob diese Information schon freigegeben worden ist oder ob Sie etwas ausgeplaudert haben, was erst im Juni auf den Tisch soll. Ihre Idee ist, bei Qualifizierungs- und Eingliederungsmaßnahmen zu kürzen. Auch das ist eine absurde Strategie, weil wir genau wissen, dass über den Eingliederungstitel gerade diese Qualifizierungsmaßnahmen in der Krise die Chance bieten, den Fachkräftemangel, der nach der Krise droht, zu verhindern. Wir alle wissen, dass dies die nächste Gefahr auf dem Arbeitsmarkt sein wird. ({2}) Im Zusammenhang mit der Beitragserhöhung stellt sich auch die Frage der sozialen Verteilung der Kosten. Wer wäre von einer Verdopplung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages betroffen? Dem gegenüber steht die Frage: Was bedeutete eine Steuerfinanzierung in einer Krise, wie wir sie heute erleben? Eine ähnliche absurde Positionierung der Koalition erleben wir in der Frage der Neuorganisation der Arbeitsgemeinschaften. Jetzt hat sich in diesem Bereich endlich eine funktionierende Arbeitsweise etabliert, sodass diejenigen, die Unterstützung brauchen, nicht ständig von Pontius zu Pilatus laufen müssen, sondern Hilfe aus einer Hand bekommen. Die Software funktioniert endlich. ({3}) Das Anfangschaos ist beseitigt. In dieser Situation wollen Sie dieses Paket wieder aufschnüren. Ich glaube, Sie schlagen den falschen Weg ein. Sie schicken die Leute zurück in die Mühlen der Bürokratie und verursachen neue Friktionen, die gerade in der Krise niemandem helfen. ({4}) Ich bin davon überzeugt: Wir brauchen eine verfassungssichere Fortführung der Jobcenter und eine Ausweitung der Optionsmöglichkeiten, die es den Kommunen erlauben, den für sie richtigen Weg zu finden. Aber es muss auch darum gehen, dass die Hilfe für die Schwächsten effizient organisiert wird. Mit Verlaub: Das, was Sie hier in Aussicht gestellt haben, das Optionsmodell ohne eine Verfassungsänderung verfassungskonform auszuweiten, ist ungefähr so, als ob Sie eine Wurst ins Schaufenster hängen, obwohl Sie genau wissen, dass die Auslieferung auf dem Rechtsweg schon verhindert wird. Das, was Sie hier durchziehen, ist die unehrliche Politik der FDP. ({5}) Die Minijobs sind die nächste Baustelle, auf der Sie Unfug anstellen. Jetzt reden Sie über die Lockerung der Obergrenzen. Das heißt, Ihre Antwort auf die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist eine Ausweitung des Niedriglohnbereichs. Damit lösen Sie ähnliche Folgeprobleme aus wie das Mehrwertsteuerchaos bei den Hotels. Sie dachten, Sie tun etwas Gutes, hatten aber die Folgeproblematiken nicht im Blick. Sie wissen doch genau, dass die Lockerung der 400-Euro-Grenze dazu führt, dass die Minijobs attraktiver werden. Das wiederum führt dazu, dass es bei den Sozialversicherungen zu Einnahmeeinbußen kommt und der Niedriglohnsektor weiter wächst. Machen Sie endlich eine Politik für echte Jobs! Setzen Sie auf Jobs mit Perspektiven anstatt auf Minijobs und die Ausweitung von Zuverdienstgrenzen! ({6}) Ich frage Sie: Auf was setzen Sie? Welche Chancen auf Vermittlung geben Sie den Schwächsten? Welche Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe geben Sie ihnen? Es ist in der Krise nicht einfach, den Arbeitslosengeld-IIBetrag anzupassen. Ich glaube aber, dass es trotz Krise dringend an der Zeit ist, den Regelsatz auf 420 Euro anzuheben. Das ist das absolute Minimum, um ernsthaft von einer Absicherung und einer Teilhabe sprechen zu können. ({7}) Ich gebe zu: Die Debatte muss für Sie als Koalition eine Zumutung sein. Wir reden über das Zimmermädchen, das hart arbeitet und trotzdem kein Einkommen zum Überleben hat, weil es keinen Mindestlohn gibt, anstatt über die Hotelkettenbesitzer, die im Fokus Ihrer Politik stehen. Aber ich glaube, das wirklich Wichtige in dieser Republik sind die Leute, die hart arbeiten, nicht die, die hart an die Koalition spenden. ({8}) Von Ihrer Politik sind auch die Kommunen betroffen. Das haben wir beim Wachstumsbeschleunigungsgesetz erlebt. Das erleben wir aber auch in diesem Bereich. Ich nenne das Stichwort Kosten der Unterkunft. Ich meine jetzt nicht die Unterkunftskosten im Hotel - nicht nervös werden! -, sondern die Kosten zur Finanzierung der Wohnung von Arbeitslosengeld-II-Beziehern. Die Miete für deren Wohnung kostet im Monat etwa so viel wie eine einzige Übernachtung in einem 5-Sterne-Hotel. Sie betreiben eine Finanzpolitik, mit der Sie weiter wesentliche Lasten auf die Kommunen schieben. Eine weitere Absenkung des Bundesanteils hätte zur Folge, dass die kommunalen Ausgaben im nächsten Jahr um 17 Prozent von 10,3 auf rund 12,1 Milliarden Euro steigen. Sie wissen genau, welche zusätzlichen Belastungen Sie damit den Kommunen aufbürden, denen Sie schon mit Ihren bisherigen Klientelgeschenken geschadet haben und die Sie mit Ihren Steuersenkungsandrohungen nun wirklich an die Wand spielen. Überlegen Sie sich endlich einmal, was die Grundlage dieser Gesellschaft ist, und hören Sie auf, auf Kosten der Kommunen und der Schwächsten Ihre Steuersenkungsfantasien auszuleben! ({9}) Frau von der Leyen, Sie wollten diesen Job. Jetzt machen Sie ihn aber auch! Sie wissen genau, dass die Ergebnisse der nächsten Steuerschätzung keine dramatischen Veränderungen bringen werden, sondern höchstens marginale. Sie wissen, wenn die Einnahmeseite des Bundeshaushaltes von Ihrer Koalition systematisch kaputtgemacht wird, dann wird die Koalition Ihren Einzelplan als Steinbruch nutzen müssen. Dann bezahlen die Schwächsten in der Gesellschaft die Steuersenkungen für die Reichsten. Eine Arbeits- und Sozialministerin hat den Job, das zu verhindern. Daran messen wir Sie. Ab heute stehen Sie unter Beobachtung nicht nur des Kabinetts, sondern auch der Menschen im Land, die sich darauf verlassen, dass es wenigstens einer in der Koalition gibt, die verhindert, dass die Reichen auf ihre Kosten noch reicher werden. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Karl Schiewerling ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wachstum, Bildung, Zusammenarbeit - das ist die Antwort der Koalition auf die Krise. Wir stecken noch mitten in dieser Krise. Bilden wir uns nichts ein: Wenn es, wie mir die Chefin der Agentur für Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen vor einigen Tagen gesagt hat, etwa 100 000 Menschen gibt, die zwar noch einen Job haben, sich aber bereits arbeitsuchend gemeldet haben, weil ihnen die Kündigung ausgehändigt wurde, dann wissen wir, dass diese Krise nicht vorbei ist. Ich sage Ihnen: All unsere Anstrengungen sind gefordert, diesen Menschen trotz allem Sicherheit zu geben und Perspektiven aufzuzeigen. Deswegen ist es wichtig, in diesem Hohen Hause kein dummes Zeug von Sozialabbau zu erzählen, hier nicht zu erzählen, wer ihnen den Boden unter den Füßen wegziehen will, sondern zu akzeptieren, dass wir eine verlässliche, vernünftige Politik machen, um diesen Menschen, wenn ihnen Arbeitslosigkeit droht, Hilfe und Unterstützung anbieten zu können. ({0}) Die Arbeitsmarktpolitik übernimmt in dieser Krise eine der wichtigsten Aufgaben. Ich denke, dass der vorgelegte Haushalt für 2010 dem auch gerecht wird. Ich darf in aller Bescheidenheit und in aller Deutlichkeit anmerken: Der Haushalt, über den wir jetzt reden, ist von Peer Steinbrück entwickelt und nur unwesentlich geändert worden. Aus meiner Sicht ist es durchaus ein großes Verdienst der FDP, dass sie akzeptiert hat, dass wir in dieser Krise verantwortungsbewusst miteinander umgehen müssen und schnell verlässliche Grundlagen brauchen. ({1}) Die Dinge, die im Einzelplan 11 stehen, sind also im Wesentlichen Dinge, die Sie selbst entwickelt und für die auch Sie gestimmt haben. ({2}) Allein für den Arbeitsmarkt werden 62,6 Milliarden Euro bereitgestellt. Das sind 17 Milliarden Euro mehr als im vergangenen Jahr. Das ist im Wesentlichen Geld, das der Bundesagentur für Arbeit zugutekommt. Wir wissen nämlich, dass weiterhin Kurzarbeit finanziert werden muss und wir dafür der Bundesagentur für Arbeit einen Zuschuss geben müssen. Es gab, Herr Kollege Bonde, während des Bundestagswahlkampfes kein Herumgeeiere, sondern wir haben nach einem richtigen und vernünftigen Weg gesucht. Wir haben dann den Weg gewählt, den wir auch jetzt noch verantworten können. Meine Damen und Herren, betrachtet man all diese Zahlen, die wir auf den Tisch legen, dann stellen wir fest, dass von sozialer Kälte und sozialem Kahlschlag nicht die Rede sein kann. Alles das, was Sie unserer Koalition anheften wollen, wird an uns abprallen. Sie werden feststellen, dass wir uns sehr verantwortungsbewusst von unserem Prinzip und unserem Menschenbild leiten lassen, ({3}) nämlich dem Menschenbild von Solidarität, Subsidiarität, Eigenverantwortung und personaler Würde. Das steht im Mittelpunkt der Politik, übrigens auch der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. ({4}) Das gilt auch für die Neuorganisation im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Es gibt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2007; Frau Dr. von der Leyen hat darauf hingewiesen. Dieses Urteil hat niemand in diesem Hohen Hause herbeigeführt; es hat auch niemand so haben wollen. Wir müssen uns der Herausforderung stellen, eine verfassungsmäßige, ordentliche Form zu finden. Herr Kollege Heil, die Menschen sind, bevor wir die Grundorganisation, die Organisation für Arbeitsu1366 chende im SGB II, geschaffen haben, nicht zwischen dem Sozialamt in der Kommune und der Arbeitslosenversicherung wie in einem Pingpongspiel hin und her geschoben worden, weil es zwischen diesen beiden überhaupt keine Beziehung gab. ({5}) Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe war übrigens eine Grundforderung der CDU/CSU. Diese ist dann aufgegriffen und über den Bundesrat von uns mitgestaltet worden. Die Zusammenlegung ist erfolgt, damit wir den Menschen Hilfe aus einer Hand und auch den Sozialhilfeempfängern die erforderlichen arbeitsmarktpolitischen Hilfestellungen geben können. Das soll auch weiterhin geschehen. ({6}) Daran wird sich auch nichts ändern, wenn wir eine Form finden, wie wir den Menschen die Hilfe möglichst aus einer Hand und möglichst unter einem Dach gewähren können. Frau Dr. von der Leyen hat in ihrer Rede darauf hingewiesen, und ich kann das nur unterstreichen: Heute kommen die Menschen in ein Jobcenter und sprechen mit ihrem Fallmanager. Sie haben bei der Kommune einen Ansprechpartner etwa im Falle einer Erkrankung oder Schuldnerberatung. Ich glaube, dass sich an dieser Form der bewährten Zusammenarbeit auch dann nichts ändern wird, wenn wir keinen strengen gesetzlichen Rahmen dafür haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schiewerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Kollege, ich glaube, dass es in dem Menschenbild, das Sie als Zielsetzung beschrieben haben, keine großen Unterschiede zu unserem gibt, jedenfalls nicht, wenn ich mir Ihre Worte anhöre. Können Sie mir bitte Folgendes erklären: Wenn Sie weiterhin Hilfe nicht nur unter einem Dach, sondern sogar aus einer Hand haben wollen, warum ist dann jetzt getrennte Aufgabenwahrnehmung Ihr Weg, zumal wir einen Kompromiss hatten, der zwischen Olaf Scholz, damals Bundesarbeitsminister, Ihrem Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers ({0}) - Noch-Ministerpräsident - und Kurt Beck aus Rheinland-Pfalz vereinbart wurde, den alle 16 Bundesländer mitgetragen haben? Ich will Ihnen nur sagen, Herr Schiewerling: Ich glaube, dass wir beide uns, wenn wir uns einen Abend auf ein Bier zusammensetzen würden, ganz schnell einig wären. Das Problem ist nur Ihre Fraktion. Kann das sein?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens, Herr Kollege Heil, wird Jürgen Rüttgers Ministerpräsident bleiben, ({0}) weil er eine gute Politik betreibt. ({1}) - Ja, das werden Sie feststellen. Zweitens müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es auch innerhalb unserer Fraktion heftige Diskussionen in dieser Frage gegeben hat. Das halte ich für hochanständig; denn es zeigt, dass bei uns lebendig diskutiert wird. Wenn ich aber zur Kenntnis nehmen muss, dass der Kritik an einer Regelung, die nicht mit der Verfassung konform ist, nur dadurch begegnet werden kann, dass man die Verfassung ändert mit der Konsequenz, dass dann möglicherweise die klare Struktur, die wir in der Föderalismusreform I geschaffen haben, nicht mehr eingehalten werden kann, weil wir in einem Teilbereich, nämlich im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende, neben den bestehenden staatlichen Strukturen zusätzliche Aufbauten organisieren, die ausschließlich für eine bestimmte Personengruppe in dieser Gesellschaft gedacht sind, was dann mit der Verfassung möglicherweise nicht zusammengebracht werden könnte, dann darf man die Diskussion, die in unserer Fraktion geführt wurde, als ernsthaft ansehen. Man muss uns wenigstens unterstellen, dass wir versuchen, nicht nur die Lebenssituation der Menschen in den Blick zu nehmen, sondern das auch mit der Verfassung kompatibel zu halten. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf die Frage der Solidarität anhand eines Punktes eingehen, der mir sehr am Herzen liegt, nämlich der Lebenssituation der Rentnerinnen und Rentner und des Zustandes der Rentenversicherung. Wir können froh sein, dass wir den Rentnerinnen und Rentnern heute sagen können, dass die Rücklagen der Rentenversicherung so hoch sind wie seit vielen Jahren nicht mehr und dass wir deswegen eine verlässliche Grundlage für die Alterssicherung haben. Das soll auch so bleiben. Die Rentenversicherung ist auf einem Solidarsystem aufgebaut, auf der Solidarität der jüngeren Generation mit der älteren. Wir können - das wissen wir - nicht mehr Rente zahlen, als letztendlich erwirtschaftet wird. Was wir in die Rentenversicherung an staatlichen Zuschüssen einzahlen - im nächsten Jahr sind das übrigens circa 80 Milliarden Euro -, ist nicht das Ergebnis von Minijobs, Frau Kollegin Lötzsch, sondern ist das Ergebnis von Beschlüssen des Hohen Hauses aus den zurückliegenden Jahren. Ich nenne unter anderem die Anerkennung von Erziehungsleistungen im Rentenrecht. Dafür und für viele andere Dinge mehr gibt es staatlicherseits eine finanzielle Unterstützung, weil es nicht Aufgabe des Beitragszahlers ist, diese Mittel aufzubringen. Ich bin sehr stolz darauf, dass unser Sozialstaat im Rahmen der Rentenversicherung dieses leistet und dass wir dies beibehalten werden. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in diesem Lande. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schiewerling, darf Ihnen die Kollegin Lötzsch nun noch eine Zwischenfrage stellen?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Kollege, die solideste Basis für solide Finanzen der Rentenversicherung sind gute Arbeitsplätze, die gut bezahlt werden, und nicht prekäre Jobs, die sich immer mehr ausweiten. Stimmen Sie darin mit mir überein? Wenn ja: Können Sie einmal kurz erläutern, was Sie dafür tun wollen, dass wir mehr solide Arbeitsplätze auf solider Grundlage mit entsprechender Bezahlung und weniger prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben? ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens. Arbeitsplätze werden nicht durch die Arbeitsmarktpolitik geschaffen, sondern in der Wirtschaft, indem wir Wirtschaftswachstum generieren und indem Menschen dort investieren. ({0}) Gelingt uns dies, schaffen wir Arbeitsplätze. ({1}) Zweitens. Auch ich möchte gerne, dass die Menschen ordentlich bezahlt werden. Aber das ist eine Frage der Rahmenbedingungen und der Abmachungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, die die Tarife festlegen und die letztendlich ihre Branche und die Produktivität ihres Bereiches besser kennen als zum Beispiel der Deutsche Bundestag. ({2}) Deswegen sind wir - ich sage dies, bevor Sie auf diesen Punkt abheben - gegen gesetzliche Mindestlöhne, und deswegen sind wir für tarifliche Mindestlöhne. Wir sagen: Wenn eine Branche so ist, wie sie ist, dann haben wir nicht zu bestimmen, ob die dort beschäftigten Menschen mehr verdienen oder ob sie weniger verdienen. Denn eine entsprechende Vereinbarung kann letztendlich darüber entscheiden, ob ihr Arbeitsplatz erhalten bleibt oder nicht. Wir haben ein Interesse daran, dass jeder zunächst das tut, was er unter den gegebenen Rahmenbedingungen leisten kann. Wenn das der Fall ist, gibt es die entsprechenden Einkommen für die einzelnen Arbeitnehmer. ({3}) Ich möchte noch kurz auf einen Punkt eingehen, der mir sehr am Herzen liegt. Es geht um die Situation in der Zeitarbeit. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich, dass ich meinem Kollegen Dr. Kolb und Frau Bundesministerin von der Leyen dankbar bin, dass sie meine Anregungen zur Überprüfung der Auswüchse von fehlgeleiteten Entwicklungen in der Zeitarbeit aufgegriffen haben. Das Ministerium ist zurzeit dabei, die Fälle zusammenzutragen. Ich sage an dieser Stelle in aller Deutlichkeit und in aller Klarheit: Es wäre gut, wenn die Tarifpartner selbst organisieren könnten, dass dieser Missbrauch in ihrer Branche nicht vorkommt. Es wäre ein Zeichen von Stärke der Tarifautonomie und der Verantwortung der Tarifpartner. Sollte das nicht gelingen, werden wir gesetzliche Maßnahmen ergreifen müssen, damit wir den Menschen, die dort tätig sind, ordentliche und gesicherte Rahmenbedingungen bieten können. ({4}) Wir brauchen für die Überwindung dieser Krise eine funktionierende Arbeitsmarktpolitik. Wir sind auf einem guten Weg. Wir fangen nicht bei null an. Die Union hat in den letzten Jahren erfolgreich gearbeitet. Wir werden diese erfolgreiche Arbeit fortsetzen gemeinsam mit unserer Bundesarbeitsministerin Frau Dr. von der Leyen. Die CDU/CSU-Fraktion freut sich auf eine gute Zusammenarbeit. Das hat alles prima angefangen. ({5}) Die Menschen im Land werden merken, dass mit Ihnen, Frau Ministerin, ein guter Wind in diesem Hause weht und dass wir die Aufgaben gemeinsam geschultert bekommen. Wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit mit Ihnen und auf Ihr Wirken. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich insbesondere die neuen Kolleginnen und Kollegen darauf hinweisen, dass der nicht nur gut gemeinte, sondern natürlich auch begrüßenswerte Eifer, die Debatte durch Zwischenfragen und Kurzinterventionen zusätzlich zu beleben, an die natürliche Grenze der zu Beginn jeder Debatte vereinbarten Redezeiten stößt, die beschlossen werden. Es gehört zu den undankbaren Aufgaben des jeweiligen sitzungsleitenden Präsidenten, die tatsächliche Debattenzeit in der Nähe der beschlossenen Debattenzeit zu halten. Deswegen bitte ich um Nachsicht, dass die Zahl der zusätzlich zugelassenen Zwischenfragen und Kurzinterventionen jedes Mal mit einem hoffentlich halbwegs nachvollziehbaren Maß an Fingerspitzengefühl in Grenzen gehalten werden muss. Nun erteile ich das Wort der Kollegin Bettina Hagedorn für die SPD-Fraktion. ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sie dürfen mir übrigens trotzdem reichlich Zwischenfragen stellen, sofern Sie mögen. ({0}) Ich rede hier über den Etat des Arbeits- und Sozialministeriums und damit über Ausgaben von über 146 Milliarden Euro im Jahr 2010. Das sind 6,3 Milliarden Euro weniger, als im ersten Regierungsentwurf von Peer Steinbrück für diesen Bereich vorgesehen waren; Kollegin Winterstein hat darauf hingewiesen, hat aber versucht, den Eindruck zu erwecken, als sei dies das Ergebnis von Sparbemühungen von Schwarz-Gelb. Allerdings ist diese Reduzierung alleine darauf zurückzuführen, dass wir glücklicherweise seit dem Frühsommer 2009 einen günstigeren Konjunkturverlauf haben, als damals noch angenommen werden musste: Damals sind wir noch von 4,6 Millionen Arbeitslosen im Jahr 2010 ausgegangen. Sie haben die Zahl in Ihren Annahmen auf 4,1 Millionen Arbeitslose reduziert. Wenn ich vorhin den Worten von Frau von der Leyen richtig gelauscht habe, gehen Sie jetzt schon von unter 4 Millionen Arbeitslosen aus. Damit wollten Sie vermutlich ankündigen, dass die Ansätze weiter gesenkt werden. Das werden Sie uns dann in der zweiten und dritten Lesung wahrscheinlich wieder als Einsparung verkaufen, wollen damit dann aber an anderer Stelle Sonderwünsche finanzieren. Es wurde zu Recht von meinen Kollegen darauf hingewiesen: Dass wir im Vergleich zu den Annahmen vom letzten Sommer auf 500 000 Arbeitslose weniger hoffen dürfen, ist weder vom Himmel gefallen noch auf höhere Gewalt zurückzuführen, sondern allein der Erfolg einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, die 2009 unter Olaf Scholz als Arbeits- und Sozialminister durchgesetzt worden ist. ({1}) Frau von der Leyen, das sind Erfolge, die diese Regierung jetzt leider fahrlässig verfrühstückt. Unbestritten bleibt, dass 2010 mit einer steigenden Arbeitslosigkeit zu rechnen ist. Bei einer Umfrage zum Jahreswechsel haben 47 Prozent der Bundesbürger gesagt, die größte Sorge für das Jahr 2010 sei die Angst um ihren Arbeitsplatz. Was machen jetzt CDU/CSU und FDP in dieser Situation? Sie muten der Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen mit ihren insgesamt 60 000 Mitarbeitern, die in 370 Argen und 69 Optionskommunen im Lande engagiert arbeiten - davon war schon die Rede -, ohne jede Not eine Umstrukturierung zu. ({2}) Sie führt zu einem Bürokratiemonster und stellt eine unverantwortliche Rückwärtsrolle in der Sozialpolitik dar; ({3}) sie zerschlägt mutwillig die in der Praxis erfolgreiche gemeinsame Arbeitsvermittlung aus einer Hand. Das ist nicht nur für die Langzeitarbeitslosen, sondern auch für deren engagierte Vermittler ein Affront. Über 22 000 kommunale Mitarbeiter, von denen derzeit nur jeder Dritte ursächlich kommunale Aufgaben wahrnimmt, schweben im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft ab Januar 2011 in Ungewissheit. Frau Ministerin, es ist doch vollkommen klar, dass die Motivation zur engagierten Arbeit zugunsten von Millionen Arbeitsuchenden dadurch einen heftigen Knick erhält. Dieser Wahnsinn wird beim Bund und bei den Kommunen einen zusätzlichen Bürokratieaufwand mit Kosten in Höhe von mindestens 300 Millionen Euro verursachen. Frau von der Leyen, das Geld wäre nicht nur in diesem Krisenjahr für die Qualifizierung und Vermittlung von Arbeitslosen und für Antworten auf den drohenden Fachkräftemangel besser angelegt gewesen. ({4}) Wie soll das denn konkret aussehen? Sie haben versucht, es hier herunterzuspielen, aber die Betroffenen müssen zu zwei Behörden - vielleicht unter einem Dach; das weiß man aber noch nicht -, es müssen zwei Bescheide ausgestellt werden, denen zweimal widersprochen werden kann und die auch beide beklagt werden können. Die große Sorge ist doch, dass die Arbeitsuchenden, wenn sich diese Bescheide widersprechen, durch den Rost fallen. Dies alles sind Fragen, die noch nicht geklärt sind. In Ihrem Koalitionsvertrag steht - Zitat -: Unser Ziel ist eine bürgerfreundliche Verwaltung, die unnötige Doppelarbeit vermeidet. ({5}) In der Praxis macht diese Koalition nicht nur in diesem Bereich leider genau das Gegenteil dessen, was sie zu tun vorgibt. ({6}) Und wie steht es um die Finanzierung? Ein Blick in den Haushaltsentwurf 2010 gibt erste Hinweise. Da werden einerseits gegenüber dem ersten Regierungsentwurf von Peer Steinbrück 1,8 Milliarden Euro beim Arbeitslosengeld, 300 Millionen Euro bei den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und 600 Millionen Euro bei der Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung eingespart, also 2,7 Milliarden Euro. Aber andererseits werden schon einmal vorsorglich bei den Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende 300 Millionen Euro mehr veranschlagt. Der größte Kracher ist aber, Frau von der Leyen, dass Sie für eine Öffentlichkeitskampagne für diesen Murks, den Sie da machen wollen, knapp 1,8 Millionen Euro aus dem Fenster werfen. Das ist das Neunfache dessen, was im letzten Jahr unter Olaf Scholz für Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben worden ist, und dies mit einem Koalitionspartner FDP, der seit Jahren die Kosten für Öffentlichkeitsarbeit als zu hoch skandalisiert und den Bürokratieabbau ebenso lange wie eine Monstranz vor sich her trägt. Ich sage Ihnen: Sparen Sie sich diesen ideologischen Umstrukturierungswahnsinn auf dem Rücken von Arbeitslosen, der zu einem absoluten Chaos in der Vermittlungsarbeit vor Ort führen wird. Sparen Sie sich die Millionen für Bürokratieaufbau. Sie haben vorhin gesagt, Frau von der Leyen, Sie stünden für Pragmatismus bei der Umstrukturierung der Argen. Wenn das denn so ist, dann kommen Sie zur Vernunft und stimmen Sie mit der SPD und mit allen Bundesländern für die auf dem Tisch liegende Verfassungsänderung. Dann bleiben die Argen in ihrer bewährten gemeinsamen Struktur erhalten, dann behalten wir Hilfe aus einer Hand, und dann brauchen Sie keine 1,8 Millionen Euro für diese Öffentlichkeitskampagne, die dann überflüssig ist wie ein Kropf. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Heinrich Kolb ist der nächste Redner für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die schwarz-gelbe Koalition hat erst vor wenigen Monaten ihre Arbeit aufgenommen, und die heutige Beratung des Einzelplans 11 gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass wir mit großer Umsicht, mit sehr viel Sorgfalt und Augenmaß an die Arbeit gegangen sind. Der Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, erreicht ein Rekordvolumen von 146,8 Milliarden Euro. Herr Heil, damit ist klar: Ihre Warnung vor Schwarz-Gelb, vor einem Sozialabbau, der stattfinden werde, ({0}) wenn diese bürgerliche Regierung an die Macht kommt, war nichts anderes als Wahlkampfgetöse, sie hatte keine Grundlage, und die Menschen in diesem Land haben das sehr wohl bemerkt. ({1}) Insgesamt geben wir im Bundeshaushalt 177 Milliarden Euro für soziale Zwecke aus, mehr als 54 Prozent des Gesamtetats. Wenn man auch diejenigen Bereiche der sozialen Sicherung hinzunimmt, die außerhalb des Bundeshaushalts laufen, dann kommen wir auf eine Summe von über 750 Milliarden Euro, die in Deutschland für soziale Zwecke ausgegeben werden. Dies ist für mich der Beleg: Deutschland ist ein sozialer Staat, und von Jahr zu Jahr haben wir mehr Geld aufgewendet. Das ist hier deutlich festzuhalten. Geld ist genug da. Allerdings müssen wir uns die Frage stellen, ob wir das Geld auch immer richtig ausgeben, ob es tatsächlich bei den wirklich Bedürftigen ankommt. Diese Frage ist aus meiner Sicht durchaus offen. ({2}) Nun sagen Sie immer, wenn mehr Geld für soziale Zwecke ausgegeben werde, sei das ein Indiz dafür, dass alles hier schlecht laufe und die Menschen arm seien. An dieser Stelle weise ich darauf hin: Jeder Euro, den wir in Deutschland für soziale Zwecke ausgeben, verhindert Armut. Transfers verhindern Armut, die bestehen würde, wenn wir diese Transfers in Deutschland nicht hätten. Wir sind ein Sozialstaat und leistungsfähig, weil wir uns diese Transfers in dieser Größenordnung leisten können. In diesem Einzelplan wird ein ganz wesentlicher Grundstein dafür gelegt. ({3}) Ich will etwas zum Thema Zeitarbeit und Schlecker wiederholen, was ich auch schon in den Medien gesagt habe. Für uns, die FDP, und auch für die Koalition insgesamt, Herr Kollege Schiewerling, ist das, was bei Schlecker läuft, absolut inakzeptabel. ({4}) Zeitarbeit ist nicht dazu da, ganze Belegschaften durch Zeitarbeiter zu ersetzen. Ich habe aber den Eindruck, dass manche mit ihrem jetzigen Angriff auf die Zeitarbeit dieses Instrument gerne insgesamt schleifen würden. ({5}) Wir stellen ein klares Stoppschild auf: Zeitarbeit hat aus unserer Sicht eine wesentliche Funktion am Arbeitsmarkt. In der Frühphase des letzten Aufschwunges sind 75 Prozent der neuen Arbeitsplätze im Bereich der Zeitarbeit entstanden und das, Herr Heil, mit einem hohen Klebeeffekt. Das darf man nicht vergessen. Er ist statistisch belegt. Viele Menschen, die zunächst durch Zeitarbeit in ein Unternehmen kommen, bleiben auf Dauer dort. Das zeigt, dass die Brücke zum ersten Arbeitsmarkt durch Zeitarbeit funktioniert. Wir werden nicht zulassen, dass sie zerstört wird. ({6}) Wir werden prüfen - darin bin ich mit dem Kollegen Schiewerling und auch der Ministerin völlig einer Meinung -, wie man diese Missstände beseitigen kann. Wir haben in dieser Woche mit den drei großen Zeitarbeitsverbänden Gespräche geführt. Wir sehen Ansatzpunkte. Natürlich wäre es wünschenswert - da stimme ich Karl Schiewerling zu -, wenn die Tarifpartner in ihren Tarifverträgen selbst regeln könnten, dass die Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz, der im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz steht, bei einer konzerninternen Überlassung von vornherein verhindert wird, dass die Tarifverträge also nicht anwendbar sind und damit der Equal-Pay-Grundsatz nicht ausgehebelt werden kann. Sollte das nicht gelingen, werden wir als Gesetzgeber handeln müssen, um das gewünschte Ziel zu erreichen: Missbrauch verhindern, aber die im Grundsatz wünschenswerte Zeitarbeit weiterhin ermöglichen. Das ist unser Kurs. Ich will etwas zum Thema Mindestlohn sagen. Wir haben anders als die SPD, die wenige Monate nach dem Regierungswechsel so tut, als sei sie nie in Regierungsverantwortung in Deutschland gewesen, ({7}) gesagt: Wir müssen den Übergang von einer Großen Koalition auf eine bürgerliche Koalition verantwortlich handhaben. Wir haben Regelungen gefunden, wie wir vorgehen wollen. Für den Bereich des ArbeitnehmerEntsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes gibt es eine klare Verabredung in der Koalition, die besagt: In den Branchen, die derzeit in § 4 Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgeführt sind, gibt es den klaren Weg, mit einem einstimmigen Votum neue Mindestlöhne zu vereinbaren. Sie werden feststellen, dass die Zeitarbeit in § 4 nicht enthalten ist. Deswegen stellt sich die Frage, wie man in diesem Bereich vorgeht. ({8}) - Herr Heil, im Moment gibt es bei nahezu hundertprozentiger Tarifbindung im Bereich der Zeitarbeit für uns keinen Handlungsbedarf. ({9}) Die Frage, die sich mit Blick auf die Freizügigkeit, die in Europa entsteht, stellt, lautet: Wird Handlungsbedarf entstehen? Diese Frage muss man prüfen und diskutieren. Das werden wir tun und dann entscheiden. Aber die Behauptung, dass es derzeit einen zwingenden Bedarf für einen Mindestlohn im Bereich der Zeitarbeit gibt, ist aus unserer Sicht nicht zu halten. Zum Schluss möchte ich zum Thema Hartz IV, speziell zur Organisation, Folgendes ausführen. Wir stehen auf dem Boden der Koalitionsvereinbarung. Das ist keine Frage. Das heißt: Absicherung der Optionskommunen, getrennte Aufgabenwahrnehmung in den übrigen, keine Grundgesetzänderung. Aber ich denke, es ist der Anstrengungen aller Edlen wert, sich zu fragen, ob ohne Grundgesetzänderung möglicherweise mehr drin ist. Ich sage das vor dem Hintergrund des Gutachtens von Professor Henneke, das dieser vor wenigen Tagen vorgelegt hat. Es macht für den Landkreistag deutlich, dass es vorstellbar ist, dass man allen Kommunen, die optieren wollen, ein solches Angebot macht. ({10}) Das ist zunächst einmal eine Meinungsäußerung unter vielen in diesem Bereich, aber ich finde, wir sollten das zum Anlass nehmen, noch einmal drüberzugucken. Wir sind jedenfalls nicht dogmatisch festgelegt, nach dem Motto „Was einmal geschrieben ist, muss für alle Zeit gelten“. Vielmehr sind wir der Meinung, dass Neuentwicklungen möglicherweise die Chance für neue Lösungen bieten. Das werden wir prüfen. Wir werden uns allerdings nicht auf ein fadenscheiniges Angebot der SPD einlassen. Ich habe den Eindruck, dass mit Ihren Worten, Sie seien bereit, eine Verfassungsänderung mitzutragen, nichts anderes gewollt ist, als die Regierung aufs Glatteis zu führen. ({11}) Sie werden sich am Ende nicht bereitfinden, das Notwendige mitzumachen, Herr Heil. Deswegen sind wir gut beraten, uns an dieser Stelle auf das zu konzentrieren, was wir aus eigener Kraft realisieren können, nämlich die einfachgesetzliche Regelung bei weitestgehender Ausschöpfung des vorhandenen Rahmens. In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Beratungen mit Ihnen im Ausschuss, aber auch, was den Haushalt anbelangt, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Katja Kipping hat nun das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein zukunftsorientierter Haushalt müsste an den zentralen Problemen unserer Gesellschaft ansetzen. Zu diesen Problemen gehört einerseits die Erosion der Demokratie und andererseits, dass immer mehr Menschen sozial ausgegrenzt werden. Wir haben also einen doppelten Notstand, einen demokratischen und einen sozialen. Zur Erosion der Demokratie gehört unter anderem, dass die Möglichkeiten, in diesem Land auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen, sehr unterschiedlich verteilt sind. ({0}) Wer viel Geld hat, hat viel Einfluss, sei es durch großzügige Spenden, mit denen man politische Entscheidungen beeinflusst, sei es durch Lobbyisten, die in den Ministerien gleich an den Gesetzen mitschreiben, oder sei es dadurch, dass man Institute finanzieren kann und deren scheinbar unabhängige Fachleute in Talkshows reden, ohne dass im Untertitel steht: sponsored by. Wer arm ist, hat all diese Möglichkeiten nicht. Erwerbsloseninitiativen bleiben sogar dann außen vor, wenn die Höhe der Hartz-IV-Regelleistungen festgelegt wird, also das Existenzminimum. Wer auf Hartz IV angewiesen ist, der kann noch nicht einmal alle demokratischen Grundrechte wahrnehmen, weil für Bezieher des Hartz-IV-Regelsatzes die Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr einfach nicht drin ist. Wir können also festhalten: Demokratischer und sozialer Notstand verstärken einander. Dieser Entwicklung setzt die Linke ein anderes Leitbild entgegen: Wir halten es mit dem demokratischen Sozialstaat; denn wir gehen davon aus, dass es ein soziales Grundrecht auf Teilhabe gibt. ({1}) Wer es ernst meint mit der Demokratie, der muss sicherstellen, dass keiner ausgegrenzt wird. Was nötig wäre, ist ein Gipfel für Demokratie und soziale Grundrechte. Zu diesem Gipfel sollten alle verantwortungsbewussten gesellschaftlichen Kräfte eingeladen werden, vor allen Dingen diejenigen, die die Suppe am Ende auslöffeln müssen, also die Betroffenen. Zum sozialen Notstand gehört auch, dass der HartzIV-Regelsatz weit unter der offiziellen Armutsgefährdungsgrenze liegt. Herr Kolb, leider verhindern soziale Transfers in unserem Land nicht Armut. Die Armutsgefährdungsgrenze ist keine Größe, die wir Linke uns einfach ausgedacht haben. Es gibt zum Beispiel einen Bericht zur Bekämpfung von Armut und eine Entschließung des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2008. Darin bekennt sich das Europäische Parlament klar zu dem Ziel, dass in keinem europäischen Land ein Mensch unter diese Armutsgrenze fallen darf. Die Berichterstatterin war übrigens Gabi Zimmer. Aber auch alle Sozialdemokraten und große Teile der CDU im EP haben dem zugestimmt. Diese Armutsgefährdungsgrenze liegt in unserem Land bei 913 Euro. Der Hartz-IV-Regelsatz liegt, wenn man von durchschnittlichen Kosten der Unterkunft ausgeht, bei rund 650 Euro. 913 Euro zu 650 Euro - es ist offensichtlich, dass hier eine große Lücke klafft. Deswegen sagt die Linke: Der Regelsatz von Hartz IV muss dringend auf 500 Euro angehoben werden, und das wäre auch zu finanzieren, wenn wir einfach eine Börsenumsatzsteuer einführen würden. ({2}) Selbst das ohnehin niedrige Arbeitslosengeld II wird heutzutage noch gekürzt. So sieht es § 31 SGB II vor. Es gibt ein breites gesellschaftliches Bündnis für die Einführung eines Sanktionsmoratoriums. Eine der Initiativen, die dieses Bündnis mit ins Leben gerufen hat, hat in einer sehr beeindruckenden Broschüre, die ich Ihnen zur Lektüre empfehlen möchte, Fälle von Sanktionen zusammengestellt. Da gibt es zum Beispiel den Fall eines Industriekaufmanns, dem einfach ein Drittel des Arbeitslosengeldes II gestrichen wurde, mit dem Vorwurf, er hätte die Aufnahme eines 1-Euro-Jobs vereitelt. Was ist wirklich passiert? Er bekam den Auftrag, sich bei einem Träger zu bewerben. Da er diesen Träger telefonisch mehrmals nicht erreicht hat, hat er sich schriftlich beworben. Das ist alles nachweisbar. Da aber im Bescheid stand, dass er sich telefonisch oder persönlich melden soll, hat man ihm unterstellt, die Aufnahme des 1-Euro-Jobs vereitelt zu haben. Er hat immer wieder versucht, den Fall aufzuklären und seine Sachbearbeiter zu erreichen. Erfolglos, all seine Anrufe landeten in der Endstation Callcenter. Noch schlimmer erging es Wolfgang Dinse. Das ist ein Analphabet aus Greifswald. Über ihn wurde kürzlich in der ARD berichtet. Er hatte von Anfang an darauf hingewiesen, dass er Analphabet ist. Da er als Analphabet keine Bewerbungsschreiben verfassen konnte, hat man ihm fehlende Mitwirkung unterstellt und für neun Monate das Arbeitslosengeld II komplett entzogen. Er konnte seine Miete nicht zahlen und wurde wohnungslos. Die Betreuung durch das Jobcenter bedeutete für ihn Endstation Obdachlosenheim. Deswegen sagt die Linke: Dieser Sanktionsparagraf 31 des SGB II gehört abgeschafft. ({3}) Das Sanktionsregime Hartz IV verstößt gegen die Menschenrechte. Während Roland Koch meint, er müsse zum Arbeitszwang aufrufen, sagen wir als Linke: Das ist eine altbekannte Masche. Hier wird der Boden für weitere Kürzungen vorbereitet. Hier bekommen wir einen Vorgeschmack auf das, was nach den NRW-Wahlen droht. Sie wollen die Kosten der Krise am Ende offensichtlich auf die Ärmsten abwälzen. Wir als Linke gehen einen anderen Weg. Wir meinen: Die Kosten der Krise müssen diejenigen tragen, die sie verursacht haben. Herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Max Straubinger hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass in dieser Haushaltsdebatte sichtbar wird - Kollege Kolb hat es ja nochmals dargestellt -, dass dies vor allen Dingen ein Haushalt ist, der auch in der Krisenzeit mit einer großen sozialen Verantwortung für die Menschen in unserem Land gespickt ist. ({0}) Wir können stolz darauf sein, dass fast 54 Prozent des Haushaltsvolumens für soziale Leistungen des Arbeitsmarktes, der Rentenversicherung, des Gesundheitssystems und für die Familienunterstützung einschließlich Kindergeld vorgesehen sind. Diese Ausgaben sind sozusagen die mitbestimmenden Tangenten. Dies alles ist natürlich nur möglich, wenn die entsprechenden wirtschaftlichen Grundlagen gegeben sind. Von den Vorrednern der Opposition ist unser Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das wir in der neuen Regierung bereits im Dezember letzten Jahres verabschiedet haben, vielfältig kritisiert worden. Dieses Gesetz ist letztendlich die Grundlage dafür, dass unser Sozialstaat weiterhin so leistungsfähig bleibt. Denn aufgrund dieses Gesetzes werden Arbeitsplätze geschaffen, werden sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen. ({1}) Da das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hier kleinlich kritisiert wird, möchte ich darauf hinweisen, dass der Großteil der darin vorgesehenen Maßnahmen zugunsten der Familien ist. ({2}) Ich glaube, niemand in diesem Haus möchte die familienpolitischen Leistungen schmälern. Im Gegenteil: Man sollte sie mit ausbauen. Darüber hinaus ist es wichtig, dass Unternehmungen durch veränderte Abschreibungsbedingungen bessergestellt werden. Damit werden die Grundlagen für zukünftige Investitionen gelegt. Somit entsteht ein wichtiger Baustein für die soziale Sicherung unserer Menschen. Das kann man nicht trennen. In diesem Hohen Haus haben wir uns bereits ausführlich mit dem Umfang der sozialen Sicherung für die Menschen auseinandergesetzt. Die Opposition ist natürlich immer gerne bereit, das Füllhorn noch größer zu machen, als es gegenüber der Allgemeinheit, gegenüber den Steuerzahlern verantwortbar ist. Dafür habe ich durchaus Verständnis. Auch heute wurden wieder viele Forderungen gestellt. Vor allen Dingen sind die Sätze, die dem Arbeitslosengeld II zugrunde liegen, kritisiert worden. Meine Vorrednerin hat diese kritisiert, und auch von Herrn Bonde wurde eine Erhöhung angesprochen. Ich möchte darstellen, was eine Erhöhung der Sätze bedeuten würde. Wir haben eine umfangreiche soziale Sicherung für die Menschen - das ist richtig und gut -, aber ein Lohnabstandsgebot muss in diesem Zusammenhang gegeben sein. ({3}) Es kann nicht nur um hohe Leistungen gehen, sondern das gehörige Lohnabstandsgebot muss auch gegeben sein. ({4}) Die Frau Bundesministerin wurde in einer Fernsehsendung am vergangenen Sonntag mit einer Familie konfrontiert. Es ist sicherlich bedauerlich, wenn eine Familie mit drei Kindern auf die Leistungen des Sozialstaates mit angewiesen ist. Ich glaube aber, dass es trotzdem wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass eine fünfköpfige Familie eine Nettoleistung von ungefähr 2 500 Euro erhält. Über die normale Geldleistung hinaus werden die Kosten für Wohnung bzw. Unterkunft erstattet, der Staat leistet Beiträge zur Rentenversicherung, und die Kosten für Gesundheitsleistungen werden übernommen. Im Vergleich zum Einkommen des Durchschnittsverdieners ist das sehr viel. Wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat, liegt der Durchschnittsverdienst bei 3 300 Euro brutto, während eine fünfköpfige Familie mit einem Ernährer bzw. einer Ernährerin ein Nettoeinkommen von rund 2 500 bis 2 600 Euro erzielt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das zeigt sehr deutlich: Wir erbringen bereits sehr umfangreiche soziale Leistungen. Das kann man nicht einfach abtun, indem man irgendwelche theoretischen Gebilde vorträgt, wie es die Frau Kollegin vorhin getan hat. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun möchte die Frau Kollegin Kipping Ihre Redezeit gerne durch eine Zwischenfrage verlängern.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann bedanke ich mich bei der Frau Kipping.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gern geschehen, Herr Straubinger. - Sie haben das Lohnabstandsgebot angesprochen. Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Nehmen wir aber einmal an, wir fänden das Lohnabstandsgebot sehr wichtig. Ich möchte Sie fragen: Teilen Sie meine Auffassung, dass es zwei Möglichkeiten gibt, das Lohnabstandsgebot einzuhalten? Eine Möglichkeit ist, immer dafür Sorge zu tragen, dass die sozialen Leistungen möglichst niedrig ausfallen, damit sie unter jedem Dumpinglohn liegen. Die zweite Möglichkeit, das Lohnabstandsgebot einzuhalten, besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Löhne so hoch ausfallen, dass man auch die Höhe der sozialen Leistungen armutsfest gestalten kann. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Kipping, es kann natürlich nicht Ziel und Zweck sein, die Löhne staatlich festzulegen. ({0}) Es gab in Deutschland einmal ein System, in dem die Löhne staatlich festgelegt worden sind. ({1}) Ich habe nicht den Eindruck, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dort bessergestellt waren. Ihre Forderung nach Einführung eines Mindestlohns hat überhaupt nichts mit der sozialen Sicherung der Menschen zu tun. Hinzu kommt, dass es zur Höhe des Mindestlohns unterschiedlichste Vorstellungen gibt: Die einen fordern 7,50 Euro pro Stunde, Sie gehen mit Ihrer Forderung sogar noch etwas weiter. Geht man von einer 40-Stunden-Woche aus, würde aber selbst die Höhe des Mindestlohns, die Sie fordern, nicht ausreichen, um eine Familie mit drei Kindern zu ernähren. ({2}) Hier sind wir auf staatliche Unterstützung angewiesen. Deshalb ist das bestehende Transfersystem sehr sinnvoll. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Straubinger, möchten Sie noch eine letzte mögliche Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Heil, beantworten?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da kann ich nicht widerstehen. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke Ihnen. Ich nehme es Ihnen nicht übel, dass Sie das nicht können. - Ich danke auch Ihnen, Herr Präsident, für Ihre Großzügigkeit. Herr Kollege Straubinger, angesichts Ihrer Gleichsetzung von Mindestlöhnen und kommunistischen Planwirtschaften frage ich Sie: Halten Sie Großbritannien und 22 andere europäische Staaten, in denen es einen Mindestlohn gibt, auch für kommunistische Planwirtschaften? ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Heil, Sie wissen haargenau, dass in England und anderen Ländern andere Verhältnisse herrschen ({0}) und die staatlichen Fürsorgeleistungen bei weitem nicht so umfassend ausgebaut sind wie in Deutschland. ({1}) Deshalb verbieten sich solche Vergleiche. ({2}) Ich glaube, dass wir in Deutschland mit der Tarifautonomie bisher sehr gut gefahren sind. Wir stehen für starke Gewerkschaften, genauso aber auch für starke Arbeitgeberverbände. ({3}) Werte Damen und Herren, auch in dieser Woche wurde immer wieder darüber diskutiert, welche Sanktionsmöglichkeiten es gibt und was man tun kann, damit Menschen eine Arbeit annehmen. Frau Kollegin Kipping, Sie haben vorhin zum Ausdruck gebracht, dass grundsätzlich jeder alimentiert werden sollte, auch ohne dafür eine Leistung erbringen zu müssen. Das ist meines Erachtens nicht sozial. Es gibt kein Recht auf Faulheit, Frau Kipping. Vielmehr ist es so - das wird auch in der Arbeitsgesetzgebung deutlich -, dass jeder Mensch, auch derjenige, der sozialamtlich alimentiert wird, alles daransetzen muss, seine Hilfsbedürftigkeit zu beenden. ({4}) Das ist letztendlich das Gebot des Sozialen, auch im Sinne der vielen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und im Sinne der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, die unsere sozialen Sicherungssysteme finanzieren. Ich bin überzeugt, dass diese Bundesregierung die richtigen Wegmarken setzen wird, um weiterhin zu großer sozialer Sicherheit für die Menschen einen Beitrag zu leisten. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Anette Kramme hat jetzt für die SPDFraktion das Wort.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Lieber Herr Straubinger, Sie haben gesagt, in den Ländern, in denen Mindestlöhne existieren, würden andere soziale Verhältnisse herrschen als in der Bundesrepublik Deutschland. Darf ich Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass wir aufgrund Ihrer Politik im Niedriglohnsektor mittlerweile bedauerlicherweise eine Situation ähnlich der in den USA haben? ({0}) Meine Damen und Herren, wir alle wissen: Die Zeiten sind schwierig. Haushaltspolitik kann aber nur dann funktionieren, wenn alle politischen Bereiche vorausschauend und vernünftig handeln. Das gilt für den Bundeshaushalt in gleicher Weise wie für den Gemeindehaushalt, für den Bundeshaushalt vielleicht sogar noch ein klein wenig mehr. Es muss darum gehen, präventiv zu handeln, damit Einschnitte in das Sozialsystem und soziale Härten vermieden werden können. ({1}) Leider ist es manchmal so - in Zeiten wie diesen umso häufiger -, dass die Unvernunft das politische Handeln beherrscht. Manchmal kann man nicht sicher sein, ob etwas einfach nur töricht oder bösartig ist. ({2}) Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass Sie aktuell nicht präsentieren, was Sie künftig an Einsparungen vornehmen wollen. Das würde uns alle sehr interessieren. Offensichtlich ist es so, dass wir noch bis nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen warten müssen, ({3}) bis Sie die Katze, nein, besser: den Knüppel aus dem Sack lassen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, über Maggie Thatcher erzählte man sich ein Gerücht. ({5}) Man sagte, sie könne nichts Soziales sehen, ohne mit ihrer Handtasche darauf einzuprügeln. Ich frage mich: Wo schlagen Sie zu, wen trifft Ihre Handtasche? Wir hören an der einen oder anderen Stelle Andeutungen: Herr Barthle von der Union fordert, dass die Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung enorm heraufgesetzt werden. Frau Homburger sagt: Kürzungsmöglichkeiten bei der Bundesagentur für Arbeit. ({6}) Kommen wir zunächst zu den Beiträgssätzen bei der Arbeitslosenversicherung. Sie wissen genau, dass diese Wirtschaftskrise, was den Arbeitsmarkt angeht, mindestens bis zum Jahr 2013 dauern wird. Wenn Sie den Arbeitslosenversicherungsbeitrag stark erhöhen, werden Sie jeden Beschäftigungsaufschwung abwürgen; das sieht sogar die FDP so. Vor allen Dingen: Es wäre zutiefst sozial ungerecht, wenn Sie die Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung heraufsetzen würden. ({7}) Das würde nämlich bedeuten, dass Geringverdiener die Steuerentlastungen für Hoteliers finanzierten. ({8}) Meine Damen und Herren, es ist allgemein bekannt, dass der Koalition, vor allen Dingen Herrn Niebel, ({9}) die Bundesagentur für Arbeit nicht sonderlich liegt. Ich sage aber: Es ist unvernünftig, die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik gedankenlos zusammenzustreichen. ({10}) Zum einen haben wir mit einer vernünftigen Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahren erreichen können, dass die Zahl der Arbeitslosen enorm gesunken ist, zum anderen haben wir erst vor einem Jahr eine Straffung bei den Instrumenten vorgenommen. ({11}) Ich denke, es ist nur fair und sinnvoll, wenn wir zunächst einmal evaluieren und dann darüber nachdenken, ({12}) ob weitere Handlungen erforderlich sind. Zum Thema Kurzarbeit. Wer hat’s erfunden? Sie alle kennen den hübschen Spruch der Ricola-Werbung. Olaf Scholz war’s. ({13}) Es ist eine komplett falsche Politik, in der Wirtschaftskrise die Bedingungen für das Kurzarbeitergeld zu verschlechtern. Es gibt Betriebe, die bereit sind, auch im dritten Jahr ihre Mitarbeiter zu behalten und dafür ihre Eigenkapitalbasis anzugreifen. Es wird Unternehmen geben, die erst jetzt in die Kurzarbeit müssen, weil sie durch die wirtschaftlichen Umstände dazu gezwungen sind. Es ist nicht einsichtig, wenn diese Betriebe, die enorm schlechte Bedingungen hinzunehmen haben, jetzt von Kürzungen beim Kurzarbeitergeld betroffen sind. ({14}) Davon abgesehen ist Kurzarbeitergeld wesentlich billiger als Arbeitslosengeld. Im Regelfall ist nur ein Drittel der Arbeitszeit Kurzarbeit. Also geht es auch nur darum, dass staatliche Finanzierung für ein Drittel des Lohnes eingreift. ({15}) Ein weiteres Thema ist der Niedriglohnsektor. Sie haben uns in Ihrem Koalitionsvertrag dargelegt, dass Sie eine konsequente Politik der Ausdehnung des Niedriglohnsektors betreiben wollen. ({16}) Es ist unvernünftig, sich gegen Mindestlöhne zu stellen, wie Sie es tun. Mit Mindestlöhnen in einer Höhe von 7,50 Euro pro Stunde könnten wir allein bei den Aufstockern circa 1,5 Milliarden Euro einsparen. Was Sie mit den Hinzuverdienstgrenzen machen, ist völlig unklar. Was soll das? Dies bedeutet nur eines: Es sind mehr Bezieher von Arbeitslosengeld II möglich, und vor allen Dingen ist es möglich, dass mehr Unternehmen Lohndumping betreiben. Ergebnis ist die Ausdehnung des Niedriglohnsektors, was für den gesamten Haushalt inkonsequent und unvernünftig ist. ({17}) Frau von der Leyen, Sie sagen immer, dass Sie sich für Frauen einsetzen. Aber was machen Sie im Bereich der Minijobs? Eine Ausdehnung von 400 auf 600 Euro. In den letzten Jahren haben wir sehr genau beobachtet, was in diesem Sektor passiert ist. Unendlich viele Vollzeitarbeitsplätze sind gegen Minijobs ausgetauscht worden. Auch dies belastet wegen der Aufstockung den Haushalt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, Sie denken an Ihre Redezeit?

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. - Wir beobachten, dass Sie keinerlei Initiativen für eine Politik für Arbeitnehmer zeigen. Wir können Ihnen eine Menge Ideen aufzeigen. Werden Sie bei der Leiharbeit konsequent tätig, machen Sie dort Equal Pay, nicht nur die schlappen Ansätze, die Sie dort aufzeigen. Machen Sie etwas beim Arbeitnehmerdatenschutz, und seien Sie mutig bei den Argen. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zum Einzelplan 11 ist der Kollege Axel Fischer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kramme, Sie haben eben von der Kurzarbeit gesprochen. Sie gab es schon unter Konrad Adenauer; das will ich einmal klarstellen. ({0}) Der Haushaltsentwurf, den wir heute diskutieren, orientiert sich am Entwurf der Großen Koalition, sprich: an dem damaligen Entwurf des Bundesfinanzministers Steinbrück. Ich verstehe Ihre Aufregung hier überhaupt nicht. Das haben Sie damals mitgetragen. ({1}) Der Entwurf steht damit voll im Zeichen von Wachstumsbeschleunigung und zielt im Wesentlichen auf eine Ankurbelung unserer Wirtschaft ab. Das ist auch gut so. Schon in der letzten Legislaturperiode wurden unterstützende Maßnahmen ergriffen, die die neue Bundesregierung durch weitere wachstumsstärkende Maßnahmen ergänzt hat. All dies spiegelt sich im Entwurf 2010 in der Höhe der Nettokreditaufnahme wider. Die Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise und ihrer Symptome ist nur mit wirtschaftlichem Wachstum möglich; mit Sparen allein ist noch niemand reich geworden. Wir müssen zu einem Grundsatz zurückkommen: Es kann nur verteilt werden, was auch erwirtschaftet wird. ({2}) Längerfristig, das heißt, mit Blick auf Generationengerechtigkeit und gerechte Entlohnung für Lebensleistung, muss das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne Konsum auf Pump verwirklicht werden. Der von Frau Ministerin von der Leyen vorgelegte Haushaltsentwurf für den Einzelplan 11 zeigt in die richtige Richtung: 6,3 Prozent weniger als im ersten Entwurf. Insofern sind wir auf einem guten Weg. Daran werden wir weiter arbeiten. Des Weiteren haben wir gemeinsam mit Ihnen eine Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen, die mit dafür sorgen wird, dass der Haushalt auf einen guten Weg kommt. ({3}) Dass aber in einer Zeit der Rezession eine sinkende Zahl von Menschen immer mehr Geld bezahlen muss, um eine zunehmende Zahl von Menschen zu finanzieren, kann auf Dauer nicht gut sein. Deshalb muss der Staat seine Ausgaben kritisch hinterfragen. Meine Damen und Herren, eine Steuersenkung würde sich nach Erkenntnissen des wirtschaftspolitischen Chefberaters von Präsident Barack Obama mit einem Faktor von 1,2 bis 1,5 positiv auf das wirtschaftliche Wachstum auswirken. Vor diesem Hintergrund ist es klar und richtig, dass wir an dem Vorhaben einer Steuerreform mit Entlastungen festhalten, um unsere Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. ({4}) Es ist auch völlig richtig, dass unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Guido Westerwelle und Horst Seehofer das vor wenigen Tagen noch einmal klargestellt hat. ({5}) Herr Steinmeier - es ist schön, dass Sie da sind -, Sie sollten sich eines merken: Dafür, dass die Menschen immer besser leben, wie Sie gestern gesagt haben, ist nicht allein der Staat zuständig. ({6}) Ihre gestrige Aussage unterstreicht lediglich Ihren Hang zur fortwährenden Umverteilung. Mehr Umverteilung führt nicht zu mehr Wohlstand. Der Kuchen wird dadurch nicht größer. ({7}) Meine Damen und Herren, wir kommen im Sozialbereich an einer Überprüfung von Leistungen nicht vorbei. Auch auf die Personal- und Sachmittel werden wir im Rahmen der Haushaltsberatungen ein besonderes Augenmerk richten und dabei konsequent spezifische Stelleneinsparungen prüfen. Bei der Suche nach Einsparpotenzialen müssen wir auch die Bundesagentur für Arbeit genau in den Blick Axel E. Fischer ({8}) nehmen. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit FrankJürgen Weise selbst hat kürzlich im Focus gesagt - ich zitiere -: 40 Prozent unserer Arbeitsmarktsprogramme führen zu einer dauerhaften Beschäftigung. 60 Prozent der Mittel sind also nicht sofort wirksam. Das muss besser werden. Wo er recht hat, hat er recht. Ob es allerdings Einsparpotenziale in Milliardenhöhe gibt, wie manche meinen, wage ich sehr zu bezweifeln. ({9}) Dies müssen wir im Rahmen der Haushaltsberatungen überprüfen. Eines ist klar: Wir wollen nicht, dass das Sozialsystem als soziale Hängematte verstanden wird. Wir wollen, dass unser Sozialsystem als Sprungbrett zurück in den Arbeitsmarkt verstanden wird. Solidarität ist keine Einbahnstraße. ({10}) Es macht mich betroffen, wenn ich aus meinem Wahlkreis Briefe bekomme, in denen mir Menschen schreiben, dass sie ihren Arbeitsplatz verloren haben, weil das Unternehmen, in dem sie jahrzehntelang beschäftigt waren, aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise insolvent geworden ist. Diese Menschen verdienen unsere Solidarität. Aber es ärgert mich, wenn ich von Menschen höre, die Hartz IV beziehen, nebenher schwarz dazuverdienen und dadurch mehr Einnahmen haben als ein Geringverdiener. Diese Menschen haben unsere Solidarität nicht verdient. Auch das muss man an dieser Stelle ansprechen. ({11}) Deshalb ist es gut, dass wir in Deutschland derzeit eine Gerechtigkeitsdebatte führen, in die solche Punkte mit hineingehören. Im vorliegenden Haushaltsentwurf hat die Bundesregierung mit erhöhter Arbeitslosigkeit als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise gerechnet. Neben den steigenden Kosten für das Arbeitslosengeld II verursachen mehr Arbeitslose auch höhere Verwaltungskosten. Das dafür notwendige Geld muss bereitgestellt werden; denn wir können und wollen die Arbeitslosen nicht im Regen stehen lassen. Unser Ziel ist es, sie möglichst zeitnah wieder in Arbeit zu bringen. Dieser finanzielle Mehraufwand soll und wird aber nach meiner festen Überzeugung nicht von Dauer sein; denn die Arbeitslosigkeit wird wieder sinken. Dafür wollen wir alles tun. Wenn unsere Politik für Wachstum und Beschäftigung Erfolg haben wird - davon bin ich überzeugt -, dann wird der Verwaltungsaufwand für die Verwaltung von Arbeitslosen in absehbarer Zeit sinken. Dies ist der Grund, warum die Einrichtung neuer dauerhafter Arbeitsplätze in der Arbeitslosenverwaltung nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss ist. Auch das werden wir im Rahmen der Haushaltsberatungen debattieren müssen. ({12}) Ich freue mich auf eine angeregte Debatte zu diesem Thema. Danke sehr. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Einzelplan 09. Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, dem Kollegen Brüderle.

Rainer Brüderle (Minister:in)

Politiker ID: 11003059

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wachstum in Deutschland ist zurückgekehrt. Der Welthandel hat seine Lethargie überwunden, vor allem dank der Dynamik in Teilen Asiens. Davon profitiert die Exportnation Deutschland. Die Auftragsbücher füllen sich allmählich wieder. Die Zuversicht kehrt zurück. Aber ich möchte auch klar sagen: Wir werden noch zwei bis drei Jahre brauchen, bis wir das Wohlstandsniveau von 2008 wieder erreicht haben. Es gibt jedoch ermutigende Signale. Der Arbeitsmarkt ist erstaunlich robust. Von Horrorszenarien sind wir weit entfernt. Dank Kurzarbeit, vernünftiger Abschlüsse der Tarifvertragsparteien auf dem Lohnmarkt und flexibler Regelungen sind die befürchteten noch stärkeren Auswirkungen gottlob ausgeblieben. Die Nettoreallöhne steigen das erste Mal seit fünf Jahren wieder an. Die Menschen haben also netto mehr im Geldbeutel. Deshalb lautet mein Appell an die Tarifpartner: Handeln Sie weiter so verantwortungsvoll! Es geht zuerst um die Sicherung von Beschäftigung. Daher sind maßvolle Tarifabschlüsse wichtig. Überzogene Lohnforderungen gefährden das zarte Konjunkturpflänzchen, zumal weitere Entlastungen von der Steuerseite kommen. Wir legen den ersten Entwurf eines Bundeshaushalts der liberal-christlichen Koalition vor. Er steht im Zeichen des historischen Wachstumseinbruchs aus dem letzten Jahr. Die Bewältigung der Wirtschaftskrise rechtfertigt die enorme Neuverschuldung. Wir müssen den Rahmen weiter richtig setzen. Ab dem nächsten Jahr brauchen wir eine Exit-Strategie. Das heißt: Raus aus der massiven Beteiligung des Staates, runter mit den Ausgaben, runter mit der Staatsverschuldung! ({0}) Der neuen Regierung geht es um Wachstum, Leistung und Beschäftigung. Wir wollen Deutschland in die geordneten Bahnen der sozialen Marktwirtschaft zurückführen. Als Erstes entlasten wir die Familien mit Kindern. Hart arbeitende Mütter und Väter bekommen netto mehr. Sie haben es verdient. Familien sind Leistungsträger. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Für die Erhöhung des Kindergeldes sind 4,2 Milliarden Euro und für die Erhöhung des Kinderfreibetrags 0,4 Milliarden Euro etatisiert. So kann kein falscher Eindruck in der Diskussion entstehen. Die liberal-christliche Koalition hat zudem dafür gesorgt, dass im Erbrecht Bruder und Schwester nicht mehr wie Fremde behandelt werden. Familienmitglieder, die sogar über den Tod hinaus füreinander einstehen, sollen nicht durch den Fiskus bestraft werden. ({1}) Steuerpolitik ist auch Gesellschaftspolitik. Bei der Steuerpolitik geht es nicht nur um konkrete Entlastungen. Es geht um das Verhältnis zwischen Staat und Bürger, zwischen Privat und Staat, zwischen eigenverantwortlicher Entscheidung und Kollektiventscheidung. Hier wollen wir eine andere Balance. ({2}) Wir wollen keinen sozialen Untertan. Wir wollen freie, mündige Bürger. Die Menschen wissen selbst am besten, was sie mit ihrem Geld machen wollen. ({3}) Eine vernünftige Steuerpolitik ist auch immer Freiheitspolitik. Eines ist allen in der Koalition klar: Wir werden sparen müssen. Im Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie gibt es übrigens schon ein leichtes Signal zur Konsolidierung. Gegenüber dem ersten Regierungsentwurf sinkt das Volumen dieses Einzelhaushalts leicht ab. Es ist aber auch klar: Wir werden nicht den Versuch machen, über Steuererhöhungen den Haushalt zu sanieren. Durch Wachstum sanieren und durch Sanieren wachsen, das ist die Konsolidierungsstrategie der Regierung. ({4}) Steuersenkungen und Haushaltssanierung sind zwei Seiten derselben Medaille. Ohne Wachstum gibt es keine Konsolidierung. Aber ohne Konsolidierung gibt es auch weniger Wachstum, denn die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass die Entlastung nachhaltig ist und dass die Schulden von heute nicht die Steuern von morgen sind. Deshalb gehört beides zwingend zusammen. ({5}) Sozialdemokratische Finanzminister haben 250 Milliarden Euro Schulden gemacht; da ist die Erblast aus diesem Jahr noch nicht mitgerechnet. Zu oft wurde dabei probiert, den Haushalt über Steuererhöhungen zu sanieren. Gelungen ist es nicht. Jetzt wärmt die SPD den alten Vorschlag einer Vermögensteuer wieder auf. Sozialdemokraten wollen offenbar an die Unternehmenssubstanz. ({6}) Wir haben das Gegenteil gemacht. Wir haben die Besteuerung der Unternehmenssubstanz entschärft. Bei den Unternehmenssteuern beseitigen wir die größten Schnitzer. Ich nenne nur die Stichworte Zinsschranke und Zurechnung bei der Gewerbesteuer. Auch die Erbschaftsteuer wird mittelstandsfreundlich verändert. Die Voraussetzungen für eine steuerliche Verschonung des Betriebsvermögens werden deutlich verbessert. Damit erleichtern wir den Betriebsübergang und die Erhaltung von Familienbetrieben, die gesellschaftspolitisch ganz besonders wichtig sind. All dies ist konkrete Politik für den Mittelstand. ({7}) Der Mittelstand muss weiter investieren können. Manchmal geht es derzeit um überlebensnotwendige Liquidität. Es darf keine Kreditklemme geben. Da sind zunächst die Banken in der Verantwortung. Das Wirtschaftsministerium hilft den Unternehmen mit dem Wirtschaftsfonds Deutschland. Der Fonds hat über 10 000 Unternehmen unterstützt. Das hat geholfen, 200 000 wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu sichern. ({8}) Da sind die Auswirkungen der KfW-Hilfen noch nicht mitgerechnet. Damit wurden 700 000 Arbeitsplätze gesichert. Über 50 Prozent der Kreditsummen entfallen auf mittelständische Unternehmen. Aber wir gehen noch weiter. Ich nenne das Stichwort Kreditmediator. Es wird aus dem Ansatz des Wirtschaftsministeriums ein Arbeitsstab finanziert; das ist gut angelegtes Geld. Der Mediator soll - die Franzosen haben gute Erfahrungen damit gemacht - zwischen betroffenen mittelständischen Unternehmen und Banken vermitteln. Er macht keine Kreditprüfung und vergibt auch keine Kredite, sondern soll Strukturen klären, helfen, falsche Einschätzungen zu beseitigen, und damit versuchen, das Aufkommen einer Kreditklemme zu verhindern. Er soll ein unabhängiger Partner von Banken und Unternehmen sein, der zwischen ihnen, zwischen Angebot und Nachfrage vermittelt. Ich bin übrigens erstaunt über die vereinzelte Kritik aus Kreisen der SPD. Immerhin stand die Forderung nach einem Kreditmediator im Deutschlandplan des Kanzlerkandidaten. ({9}) Manchmal, Herr Heil, habe ich den Eindruck, dass Teile der SPD in elf Wochen vergessen, was sie in elf Jahren an Regierungspolitik in Deutschland gemacht haben. ({10}) Der neue Haushalt des Wirtschaftsministeriums steht unter der Überschrift „Zukunft, Technologie und Innovation“. 2,3 Milliarden Euro fließen in die Technologieförderung. Wir geben mehr Geld für Forschung und Ent1378 wicklung aus als für Kohlehilfe. Das ist etwas Neues in Deutschland. ({11}) Wir investieren in helle Köpfe statt in dunkle Schächte. Wir investieren in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit. Wenn Deutschland auch zukünftig an der Spitze sein will, müssen wir unser Wachstumspotenzial steigern. Darin liegt eine der strategischen Größen. Das Wachstum des Produktionspotenzials ist mit 0,75 Prozent bis 1 Prozent in Deutschland zu niedrig; wir hatten früher 2 Prozent bis 3 Prozent. Das müssen wir steigern, denn das ist die nachhaltige Perspektive. Da muss Innovations- und Technologiepolitik ansetzen. Ich will zwei Bereiche aus dem Wirtschaftsministerium exemplarisch ansprechen: die Informations- und Kommunikationstechnologie sowie die Elektromobilität. Bei beiden geht es um Vernetzung, Infrastruktur und neue Wertschöpfungsketten. Das A und O bei der Informations- und Kommunikationstechnologie ist der Breitbandausbau. Wir brauchen in allen Gewerbegebieten nicht nur gute Verkehrsanbindungen, sondern auch ein schnelles Internet. ({12}) Die Erwartungen an die Telekommunikationsunternehmen sind entsprechend groß. Die weißen Flecken auf der Breitbandlandkarte müssen beseitigt werden. Die Bundesregierung flankiert hier mit Geld und auch dadurch, dass sie durch ein Auktionsverfahren Frequenzen für zusätzliche Angebote und Anwendungsmöglichkeiten freigibt. Daneben geht es um neue Möglichkeiten, intelligente Stromnetze zu nutzen. Das hat positive Auswirkungen bis hin zum Klimaschutz. Für Informationsund Kommunikationstechnologien sind 118 Millionen Euro vorgesehen. Elektromobilität ist das zweite Schwerpunktthema. Deutschland hat das Automobil einst erfunden. ({13}) Wir müssen es neu erfinden, mit einer anderen Antriebstechnologie. Die Elektromobilität ist der Ansatz dafür. 500 Millionen Euro werden für den Themenschwerpunkt Mobilität bereitgestellt. ({14}) Dabei geht es um weit mehr als um die Ersetzung des Verbrennmotors durch den Elektromotor. Wir brauchen neue Schnittstellen zwischen Stromnetzen und Autos. Hier liegen große Chancen für unsere Industrie. Ich erwarte hiervon einen weiteren Innovationsschub, durch den viele Bereiche unterstützt würden. ({15}) Das Wirtschaftsministerium und das Verkehrsministerium werden in Kürze eine gemeinsame Geschäftsstelle Elektromobilität eröffnen. Dadurch erhält dieses Thema zusätzlichen Schwung. Das Ziel ist 1 Million Elektrofahrzeuge in Deutschland im Jahr 2020. Mit Innovationen und einer besseren Mittelstandstechnologie können wir gestärkt aus der Krise hervorgehen. ({16}) Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass - ich denke an die heutige Presseberichterstattung - etwas zu unserem Konzept, das Wettbewerbsrecht zu novellieren und ihm das Instrument der Entflechtung hinzuzufügen, sagen. ({17}) Anders als berichtet, wird diese Regelung für alle Branchen der Wirtschaft gelten. ({18}) Das ist keine Regelung für einen Sektor, sondern generell ein letztes Mittel - die Amerikaner kennen den „Sherman Antitrust Act“ seit über 100 Jahren -, um klare Signale zu setzen. Mit anderen Worten: Wenn es beim „Monopoly“ zu toll getrieben würde, hätte die Gemeinschaft ein Instrument, um korrigierenden Einfluss auszuüben. Deshalb soll dieses Instrument in das Kartellrecht aufgenommen werden. ({19}) Lassen Sie mich eine weitere Anmerkung zur Energiepolitik machen. Wir alle wollen in das Zeitalter der regenerativen Energien eintreten, und zwar möglichst schnell. Wir wollen über die Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken als Brückentechnologie zusätzliche Mittel generieren, um diesen Umstieg schneller zu bewerkstelligen. Mehr Gelder sollen in Forschung und Entwicklung fließen, etwa in die Speichertechnologien. Wir werden die regenerativen Energien bei diesem Umbau letztlich nur dann umfassend nutzen können, wenn wir eine entsprechende Speichertechnologie haben. Der Wind weht nicht immer dann, wenn wir das Licht einschalten. Deshalb ist hier ein weiterer Schwerpunkt zu setzen. Dadurch sollen viele Sektoren befruchtet werden. Das Ziel ist ambitioniert. Wir wollen bis zur Sommerpause Klarheiten haben. Im Herbst, spätestens Ende Oktober, wollen wir ein Energiekonzept, das einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, vorlegen, was in elf Jahren zuvor nicht geschafft wurde: Weder die Große Koalition noch Rot-Grün haben ein solches Energiekonzept vorgelegt. Es ist Zeit, ein solches Konzept vorzulegen: Auch auf europäischer Ebene wird über die Erarbeitung eines solchen Konzepts diskutiert. Deshalb muss das auf nationaler Ebene geklärt sein. Der Ansatz ist, zusätzliche Mittel zu generieren. Brückentechnologien brauchen wir, weil wir nicht schnell genug über eine ausreichende Menge an Zukunftstechnologien verfügen können. Bis dies der Fall ist, ist ein längerer Weg zu beschreiten. Das Ziel - auch andere verfolgen es; das gebe ich zu - wird schneller erreicht, wenn wir in dem geplanten Umfang zusätzliche Mittel investieren. ({20}) Ganz ohne Geld lassen sich Forschung und Entwicklung nicht voranbringen. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Unterstützung meines Haushalts. Vielen Dank. ({21})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist der Kollege Garrelt Duin für die SPD-Fraktion. ({0})

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir alle erinnern uns an die vielen Auftritte des Kollegen Brüderle hier, nachdem der Haushalt der früheren Wirtschaftsminister aufgerufen worden ist. Wir müssen leider feststellen: Mit Blick auf seine immer wieder gleichen Reden, die er hier über Jahre gehalten hat, ist zwar ein Verlust an Originalität zu spüren, aber leider kein Gewinn an inhaltlicher Schärfe oder Tiefe. ({0}) Herr Brüderle, wir haben hier im Rahmen der Regierungserklärung im November neun Minuten von Ihnen gehört, ohne dass man hätte erkennen können, in welche Richtung Ihre Politik eigentlich gehen soll. Das Gleiche hat sich heute hier wiederholt. In den knapp 100 Tagen, die Sie jetzt in diesem Amt sind, ist nichts von dem, was Sie gemacht haben, als bleibender Wert in Erinnerung geblieben. Eine Ausnahme: Sie haben in China die Weinkönigin vorgestellt. Aber ich sage Ihnen ehrlich: Genau das haben wir von Ihnen erwartet und gedacht. ({1}) Herr Brüderle, Sie sind - dessen müssen Sie sich langsam bewusst werden - der Wirtschaftsminister einer der größten Industrienationen der Welt. Das ist kein Job in Altersteilzeit für verdiente Landesminister. Das ist hier nicht der Vorruhestand. Füllen Sie dieses Amt als Wirtschaftsminister einer der wichtigsten Nationen auf der Welt endlich aus! Fangen Sie damit an! ({2}) Sie haben in Ihrer Rede natürlich auf die soziale Marktwirtschaft Bezug genommen. Völlig richtig! Ludwig Erhard als einer derjenigen, die die soziale Marktwirtschaft in unserem Land vorangebracht haben, wird von Ihnen oft zitiert. Das, was Sie aber nicht verstehen, Herr Brüderle, ist, dass Erhards Antworten immer auf der Höhe der Zeit gewesen sind. Ich bin sicher, dass er gerade deswegen heute andere Antworten geben würde; denn die Zeiten haben sich radikal verändert. Die Zeiten sind nicht mehr die der 50er-Jahre. Das ist nicht mehr zu vergleichen. Der Einzige, der noch mit dem Politikverständnis und mit den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der 50er-Jahre unterwegs ist, ist dieser Minister. ({3}) Ein bisschen nett zu den Leuten sein, ihnen jovial auf die Schulter klopfen und sagen: Es wird so schlimm schon nicht kommen. Die Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht. - Das ist das angestaubte Credo Ihrer Politik. Das ist im persönlichen Umgang - das will ich ausdrücklich sagen - durchaus angenehm. Aber es langt nicht für dieses Amt. Vielleicht wären Sie ein guter Kreditmediator geworden. Dafür haben Sie 5 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Ich habe mir im Detail angeschaut, wofür diese 5 Millionen Euro ausgegeben werden. Wenn Sie Kreditmediator geworden wären, hätten Sie finanziell keine Einbußen hinnehmen müssen. Was tut ein Mediator, wenn es hakt? Er lädt die Leute zum Essen und Trinken ein. Wenn nichts dabei herauskommt, ist das egal, weil er niemandem Rechenschaft schuldig ist. Dieser Job wäre wie für Sie gemacht. ({4}) Leider hat Sie das Schicksal in Form von Herrn Westerwelle zum Minister gemacht. Da wird etwas anderes gebraucht. Was ein Minister in diesem Amt braucht, ist mehr Klarheit, mehr Entschlossenheit, mehr Mut, mehr Wille, um den Betrieben, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu sagen, wo die Perspektive für unser Land ist. In einem Wort: Was wir brauchen, ist Tatkraft. Die Rede, die Sie hier heute gehalten haben, hat diese Tatkraft erneut vermissen lassen. ({5}) Aber man kann diese Tatkraft natürlich nur zeigen, wenn man weiß, was man überhaupt erreichen will. Ich sage Ihnen, was für ein Ziel Sie haben sollten, nämlich die Voraussetzungen für Wachstum zu schaffen, quantitativ, aber eben auch qualitativ, um so - das muss das Ziel sein - den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu fördern. Den Zusammenhalt zu fördern, das muss die Messlatte unseres Handelns sein. Ich bin überrascht, dass Sie gerade gesagt haben: Wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung gehören zusammen. In Ihrer praktischen Politik ist davon leider nichts zu spüren. ({6}) Wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung gehören in der Tat zusammen. Das galt schon vor der Krise und ist jetzt aktueller denn je. Wir brauchen einerseits ein Bewusstsein dafür, dass Wirtschaft und Gesellschaft eng zusammengehören. Wir brauchen andererseits eine solidarische und nachhaltige Ökonomie, damit diese Gesellschaft zusammenbleibt. Ich habe den Eindruck, dieses Bewusstsein fehlt Ihnen. Sie verschleudern Ihre Kraft für Steuererhöhungen - Steuersenkungen natürlich, Entschuldigung. ({7}) - Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Westerwelle. - Sie verschleudern Ihre Kraft, Herr Brüderle, für Steuersenkungen, anstatt sich um die Liquidität wertschöpfender Betriebe zu kümmern. ({8}) Ihre Haltung, wie Sie das mit der Liquidität bei den wertschöpfenden Betrieben machen wollen, ändert sich alle naselang. Sie haben jetzt gerade nichts dazu gesagt. Im November letzten Jahres hieß es bei Ihnen: Wir werden die Kreditanstalt für Wiederaufbau in ihrer Funktion als Mittelstandsbank stärken. Dazu haben Sie jetzt nichts gesagt. Im Ausschuss haben Sie erklärt: Wir denken darüber nach, das Hausbankprinzip temporär auszusetzen. Was ist aus dieser Idee geworden? Wollen Sie das immer noch, oder nehmen Sie diese Idee zurück? Ich jedenfalls höre aus der Koalition oft unterschiedliche Töne. Im Übrigen will ich Sie noch einmal zitieren. Folgendes haben Sie vor gut einem Jahr in der Haushaltsdebatte gesagt: Wer jetzt nicht entschieden handelt, versündigt sich an der Entwicklung. Wir können nicht länger auf Impulse der Weltwirtschaft warten. Wir können uns nicht länger auf den Export verlassen. … Wir brauchen einen kräftigen zusätzlichen Impuls. … Wir brauchen jetzt Nachfrage und ein Ankurbeln der Binnenkonjunktur, … Wenigstens an Ihren eigenen Ansprüchen, Herr Brüderle, müssen Sie sich doch messen lassen. Wir brauchen in der Tat eine neue Balance von Export einerseits und Binnennachfrage andererseits. Aber kein einziges Institut, niemand, der sich ernsthaft damit beschäftigt, ist in der Analyse Ihres sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes zu dem Schluss gekommen, dass es auch nur einen Hauch von Stärkung der Binnennachfrage mit sich bringen würde. Das, was Sie da auf den Weg gebracht haben, führt zur Entlastung einiger weniger, bringt aber für das, was wir wirklich brauchen, nämlich einen kräftigen Schub - das sind ja Ihre Worte -, überhaupt nichts, Herr Brüderle. Das ist ausgesprochen enttäuschend. ({9}) Was wir brauchen, ist eine Auseinandersetzung - dazu haben Sie nichts gesagt - mit den entscheidenden Zukunftsfragen: Wie können wir dafür sorgen, dass in den nächsten Jahren neue zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen? Wie können wir die Leitmärkte von morgen erschließen? Welchen Ordnungsrahmen brauchen wir dafür? Bei all diesen Fragen spielen natürlich die Energieversorgung, aber auch die Entwicklung anderer Branchen eine wichtige Rolle. Aber nur eine Entflechtung vorzunehmen, wird da nicht ausreichen. Eine solche Forderung ist nichts anderes als eine Nebelkerze. Wir brauchen vielmehr Antworten zum Beispiel auf folgende Fragen: Mit welchen Anreizen können wir bei der ökologischen Modernisierung des Maschinenparks in Deutschland vorankommen? Wie stellen Sie sich die Förderung von Forschung und Entwicklung im Mittelstand vor? Auf all diese Fragen, ob es um die Energieversorgung oder anderes geht, antworten Sie: Ja, das machen wir im Sommer. Ja, das machen wir im Oktober. - Vertagen und verzagen, das ist das Motto dieses Wirtschaftsministers. ({10}) Die Antworten auf die Zukunftsfragen kann man nur finden - Sie haben dazu ein bisschen gesagt -, wenn man sich die Arbeitsteilung der Akteure verdeutlicht. Um in diesen Punkten voranzukommen, muss man sich fragen: Was hat der Staat, was hat der Markt, was haben die Bürgerinnen und Bürger für eine Funktion? Erstens brauchen wir - das ist unzweifelhaft - eine Erneuerung der Industrie: Die Betriebe im Mittelstand müssen mit Liquidität ausgestattet werden, aber auch junge Unternehmen mit innovativen Ideen; denn sie sind der Motor der Entwicklung, sie stellen die Zugkraft dar, um unseren Wohlstand auf hohem Niveau sichern zu können. Dazu brauchen wir aber ordnungspolitische Klarheit und natürlich auch Anreizprogramme, die wieder eine neue Investitionskultur in Deutschland ermöglichen. Das Wort „Investitionen“ kommt in Ihrem Koalitionsvertrag genau ein einziges Mal vor. Dann muss man sich natürlich nicht wundern, dass da wenig passiert. Neben der Stärkung dieser Faktoren braucht man zweitens zwingend auch öffentliche Investitionen in Innovationen und Infrastruktur. Wir brauchen jetzt noch keine Exit-Strategie, sondern wir brauchen Ideen dafür, wie auch von öffentlicher Seite aus Investitionen gestärkt werden können. Wer dieses ignoriert, sollte sich über die derzeit stattfindende Debatte nicht wundern; denn öffentliche Investitionen erfordern einen handlungsfähigen Staat. Sie haben gerade von Ihrem Staatsbild gesprochen. Auch ich will keinen fetten, selbstgerechten, die Menschen bevormundenden oder ihre Freiheit beschränkenden Staat, ({11}) jedoch einen handlungsfähigen und - ich füge hinzu auch einen von den Bürgerinnen und Bürgern anerkannten Staat, also einen Staat, der seine Reputation nicht aufs Spiel setzt. ({12}) Beides, Herr Brüderle und liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die Handlungsfähigkeit und die Anerkennung, wird durch Sie jeden Tag untergraben und beschädigt, und zwar bewusst und absichtlich. Das entspricht nämlich Ihrer Ideologie. ({13}) Man braucht zum Beispiel für die Handlungsfähigkeit des Staates stabile Kommunen. Zwei Drittel der Infrastrukturinvestitionen werden dort getätigt. Sie jedoch tragen die Verantwortung dafür, dass die Kommunen jetzt in eine massive Krise kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, im letzten Jahr haben wir noch gemeinsam Milliardenhilfen auf den Weg gebracht, um die Städte und Gemeinden dabei zu unterstützen, längst Überfälliges endlich zu realisieren, zusätzliche Investitionen tätigen zu können. Wir haben damit die Fähigkeiten vor Ort mobilisiert und damit auch das Handwerk und den Mittelstand - Stichwort: Vergaberecht - vor Ort gestärkt. Jetzt lassen Sie sich von der FDP genau das Gegenteil diktieren. Wie können eigentlich Sie von der CDU, einer Partei, die in vielen Orten mit Bürgermeistern und Kommunalpolitikern vor Ort Verantwortung für die Menschen in ihrer Heimat trägt, noch ruhig schlafen, wenn Sie wider besseres Wissen diese katastrophale Lage der Kommunen mitverursachen? Ich kann das nicht verstehen. ({14}) Lassen Sie mich abschließend sagen: Noch schlimmer ist das Bild - das meinte ich mit meinen Worten von der Anerkennung des Staates durch die Bürgerinnen und Bürger -, das insbesondere von Ihnen von der FDP vom Staat gezeichnet wird. Die Aussage, der Staat sei ein „teurer Schwächling“, ist nicht nur eine Frechheit und eine unglaubliche Dummheit derer, von denen sie kommt; darüber hinaus ist es für unsere Gesellschaft auch gefährlich, den Staat und seine handelnden Ebenen zu verunglimpfen, verächtlich zu machen und den Privaten in jeder Frage den Vorrang zu geben. Ich bin sicher: Polizisten, Lehrer, Erzieherinnen, Richter, Staatsanwälte, Krankenschwestern und Ärzte, die im öffentlichen Dienst tätig sind, sind keine Repräsentanten eines Schwächlings; vielmehr sind sie die Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft und den Wohlstand in Deutschland. ({15}) Das ist es, was Ihnen fehlt, Herr Brüderle, was Ihrer Partei fehlt, was der ganzen Bundesregierung, die ja leider mehr vom FDP-Programm als von allem anderen geprägt ist, fehlt: der Sinn dafür, dass wir gerade im Bereich der Wirtschaft eine Politik brauchen, die das Gemeinwohl im Mittelpunkt sieht. Sie stehen für eine schlechte Mischung aus Egoismus und Stillstand. Deutschland aber braucht Gemeinschaft und Fortschritt. Deswegen will ich mit einem Zitat von Ihnen, Herr Brüderle, schließen. Sie haben, gerichtet an die Bundeskanzlerin, die uns leider schon verlassen hat, ({16}) im November 2006 hier eine Haushaltsrede mit folgenden Worten beendet: Frau Kanzlerin, befreien Sie Ihre Regierung vom Mehltau der unteren Mittelmäßigkeit! ({17}) Dem kann ich mich nur vollinhaltlich anschließen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kuhn, habe ich etwas Rechtes gelernt und auch gearbeitet und nicht bloß blöd dahergeredet. Insofern habe ich bezüglich meiner Vergangenheit nichts zu bereuen. ({0}) Deutschland ist bisher besser durch die Krise gekommen, als wir es im letzten Jahr noch befürchtet haben. Das Wirtschaftswachstum ist um 5 Prozent statt um 6 Prozent zurückgegangen; dennoch ist es der größte Rückgang, den wir in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland jemals zu verzeichnen hatten. Der Rückgang machte sich im vergangenen Jahr auch in der Industrie deutlich bemerkbar: Er wird bei voraussichtlich 15 bis 18 Prozent liegen. Auch was die Verschuldung anbelangt, sind wir, zumindest in 2009, mit circa 3 Prozent noch mit einem blauen Auge davongekommen. In Großbritannien, den USA und Frankreich sind es 10 bis 15 Prozent. Dort ist die kumulierte Verschuldung innerhalb von einem oder zwei Jahren von einem deutlich niedrigeren Niveau aus als in Deutschland verdoppelt worden, und zwar von 40 auf 80 Prozent. Das ist eine Größenordnung, die auch für uns gelten wird. Auch der Arbeitsmarkt ist bisher vergleichsweise ungeschoren davongekommen. Statt der befürchteten 5 Millionen Arbeitslosen hatten wir im Jahresdurchschnitt 3,4 Millionen Arbeitlose. Das ist allerdings differenziert zu betrachten: In bisher schwierigen Regionen, zum Beispiel in Ostdeutschland, ist die Arbeitslosigkeit in 2009 sogar zurückgegangen, während sie in anderen Regionen - ich komme aus der Region Stuttgart - um 30 Prozent gestiegen ist. Es ist also gelungen, zu stabilisieren und den totalen Absturz zu verhindern, international durch eine beispiellose und beispielhafte gemeinsame Aktion, die aus meiner Sicht noch nicht abgeschlossen sein darf - ich werde gleich noch darauf zu sprechen kommen -, national durch Konjunkturprogramme. Da hat auch die bisherige Große Koalition gute Arbeit geleistet, zum Beispiel durch die Kurzarbeiterregelung. Unorthodoxes Handeln war hier richtig, um zu stabilisieren und das notwendige Vertrauen zu schaffen. Das erleichtert den erforderlichen Aufbau. ({1}) Jetzt befinden wir uns im Jahr 2010, das sicher zu einem Schicksalsjahr und dem Jahr der Wahrheit werden wird: Ist der Tiefpunkt wirklich erreicht, und geht es wieder aufwärts? Schaffen wir es vor allem, einen selbsttragenden Aufschwung zu organisieren? Die momentane Lage ist im Wesentlichen durch die Konjunkturpakete und die staatlichen Aktivitäten erreicht worden, ({2}) was sich im Jahr 2010 entsprechend niederschlagen wird. Ziel muss aber sein, einen selbsttragenden Aufschwung zu erreichen und zu organisieren. Zentrales Thema ist in diesem Zusammenhang die Sicherung der Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft auch im Aufschwung. Ich unterstütze deshalb vorbehaltlos und nachdrücklich, was die Bundesregierung bisher auf den Weg gebracht hat: Überarbeitung des Kredit- und Bürgschaftsprogramms im Rahmen des Wirtschaftsfonds, längere Laufzeiten für Investitionskredite, Flexibilisierung der Zinsbindungsfristen, Betriebsmittelkredite und andere Dinge mehr. Auch der Kreditmediator wird helfen, die Situation zu verbessern. ({3}) Diese positive Entwicklung und die ersten Anzeichen, dass der Anleihemarkt wieder in Bewegung kommt, sodass sich Großunternehmen wieder besser refinanzieren können, sind ermutigend. Trotzdem steht zu befürchten, dass wir in diesem Jahr, auch wenn es aktuell noch keine Kreditklemme gibt, in Schwierigkeiten kommen können. Deshalb müssen wir hier weiter justieren und weiter arbeiten. Wir werden das, Herr Duin, mit einem klaren ordnungspolitischen Kompass tun. Den haben wir. Wir werden das Hausbankprinzip bei der KfW nicht durchbrechen. ({4}) Etwas anderes macht keinen Sinn. Wir haben gemerkt, dass die KfW viel Positives bewegt hat. Aber es hat lange gedauert, die Dinge entsprechend umzusetzen. Jetzt sind wir dabei, dass wir etwas schneller, was die Fristen anbelangt, handeln können. Wir wollen aber nicht, wie gesagt, das Hausbankprinzip durchbrechen. Ich denke, es ist besser, das Konzept der Globaldarlehen mit Portfoliogarantie umzusetzen. Dieses ist ein intelligentes Instrument, mit dem die KfW den Kreditinstituten Nachrangrisiken abnimmt, finanziert aus einem Topf, der die Mittel für Kredite beinhaltet. Es gibt also keine Rosinenpickerei. Das führt zu einer Entlastung der Banken. Wir werden dafür sorgen - das kann über die KfW geschehen -, dass die so zur Verfügung stehenden Mittel direkt in die Kreditversorgung fließen. Dann wird ein Schuh daraus. Das ist ordnungspolitisch richtig. Neben diesen Kreditmaßnahmen werden wir ein internationales Regulierungssystem - die Bundeskanzlerin hat dies gestern angesprochen -, das von der G 20 auf den Weg gebracht wurde, unterstützen. Es wäre ja gelacht, wenn wir im 21. Jahrhundert nicht in der Lage wären, ein zeitgemäßes und wirksames Regulierungssystem zu schaffen. Das Fenster ist da, und dieses Fenster müssen wir nutzen. Aber auch national ist die Aufsicht des Finanzsektors auf den Prüfstand zu stellen. Ich bin der Meinung, dass die Bündelung der Finanzaufsicht in einer Hand, also eine Allfinanzaufsicht, durchaus Sinn macht und Synergieeffekte bringt. Wir können dies auch so organisieren, dass die Unabhängigkeit der Bundesbank hinsichtlich ihrer klassischen Zuständigkeit bei geldpolitischen Angelegenheiten gewährleistet ist. ({5}) - Selbstverständlich. Allfinanzaufsicht heißt: mit Versicherungen. Das meine ich damit. Wir wollen und werden Möglichkeiten finden, um zukünftig zu verhindern, dass sich solche Dinge wiederholen. In den USA gibt es im Moment den Versuch, die Beteiligten quasi rückwirkend an der Refinanzierung der Mittel zu beteiligen. Manche sind nicht mehr auf dem Markt. Manche, die keine Mittel benötigten, kommen jetzt ebenfalls in das Obligo. Ob das der richtige Weg ist, wage ich zu bezweifeln. Ich halte es für viel sinnvoller, wenn wir in die Zukunft blicken und dafür sorgen, dass sich so etwas nicht wiederholen kann. Wir brauchen eine Art Krisenpräventionsfonds als weitere Säule, ähnlich dem Einlagensicherungsfonds. Dies hat Herr Ackermann vorgeschlagen. In diese Richtung muss es gehen. Dieser Fonds ist natürlich nicht durch den Staat zu füllen, sondern er ist durch diejenigen zu füllen, die im Falle einer Krise für eine Stabilisierung verantwortlich sind. Das heißt, die Banken, die in der Zukunft hoffentlich wieder erfolgreich sind, müssen diesen Fonds füllen. Das ist eine in die Zukunft gerichtete Lösung. ({6}) Ich möchte - die Zeit schreitet schnell voran - noch kurz auf zwei Punkte eingehen, die zeigen, wie wir Wachstum generieren können. Es wird unsere Hauptaufgabe in diesem Jahr sein, selbstständiges Wachstum zu generieren, damit es höhere Steuereinnahmen gibt. Der Bundesfinanzminister - ich sehe, er ist anwesend - hat es dieser Tage in seiner Rede zur Einbringung des Haushalts angesprochen: In diesem Jahr haben wir Mindereinnahmen in Höhe von 43 Milliarden Euro aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise, die uns als Steuereinnahmen fehlen. Nur durch mehr Wachstum wird es uns gelingen, diese Einnahmen wieder zu generieren. Insofern ist die Förderung von Wachstum die beste Konsolidierungs- und Sanierungspolitik, die wir machen können. ({7}) Wenn wir es aber allein mit Wachstum nicht schaffen können, werden wir im nächsten Jahr selbstverständlich konsolidieren. Wie aber wollen wir Wachstum schaffen? Ich nenne hier - Herr Brüderle hat es bereits angesprochen - den Energiebereich. Ein Stichwort in diesem Zusammenhang ist: Energieeffizienz als Königsweg. Wir können mit neuen, innovativen Ansätzen und Dienstleistungen, die wir auch exportieren können, ein Vorbild für die Welt sein. Damit schaffen wir eine Win-win-Situation, indem wir neue Technologien und Dienstleistungen, die Wachstum schaffen, einführen, Arbeitsplätze sichern und beim Klimaschutz Gutes bewirken. Wir werden die erneuerbaren Energien sinnvoll ausbauen. Wir legen gerade eine Revision des Bereichs der Fotovoltaik vor, wo Überförderungen bestehen. Es geht darum, diese zurückzuführen, zu beschneiden und mit einem intelligenten Ansatz in die Zukunft zu gehen, der sogar eine Erhöhung der Ziele im Bereich der Fotovoltaik im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien bedeutet. Es geht auch darum, intelligente Anreize zu setzen, zum Beispiel beim Eigenstromverbrauch. Bisher können im Bereich der Ein- und Mehrfamilienhäuser gerade einmal 20 Prozent des Bedarfs mit Eigenstrom abgedeckt werden. Wenn wir dort Anreize setzen, kann neue Technologie zum Einsatz kommen, die eine Speicherung von Energie ermöglicht und wiederum zum Exportschlager werden kann. So können wir die Eigenstromversorgung auf 40 bis 60 Prozent des Bedarfs steigern und damit Investitionen in den Ausbau des Verteilungsnetzes einsparen. Auch das ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten; so wird Wachstum geschaffen. ({8}) Wir werden den volkswirtschaftlichen Nutzen in Höhe von bis zu 250 Milliarden Euro, den eine Verlängerung der Laufzeiten der sicheren deutschen Kernkraftwerke mit sich bringt, auch für die Generierung von Wachstum und die Steigerung der Energieeffizienz einsetzen. ({9}) - Mir kommt jemand zur Hilfe, damit ich noch ein bisschen reden kann. Vielen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie möchten die Zwischenfrage zulassen? - Bitte schön.

Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003754, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Pfeiffer, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben eben über die bei einer Laufzeitverlängerung zu erwartenden Erlöse gesprochen. Sind Sie, wenn es möglich ist, so viel Geld in der Atomwirtschaft zu generieren, der Meinung, dass sich die Atomwirtschaft vollumfänglich an den Kosten der Entsorgung von Atommüll beteiligen sollte? ({0}) Gilt dies insbesondere für die Milliardenkosten, die in Verbindung mit dem Endlager Asse auf uns zukommen, und für EnBW, von der 60 Prozent des Mülls in der Asse stammen? Bleibt denn für Ihr großes Projekt, die erneuerbaren Energien bzw. die Solarenergie querzusubventionieren, noch etwas übrig, wenn man alle Kosten der Atomenergie mit einpreist? ({1})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für diese Frage, die in der Tat wichtig und richtig ist. Sie ist nicht einfach zu beantworten. Erlauben Sie mir deshalb, ausführlich darauf einzugehen. ({0}) Ich möchte Ihre Frage gerne beantworten. In der Tat bringt eine Laufzeitverlängerung einen volkswirtschaftlichen Nutzen von bis zu 250 Milliarden Euro, die sonst unwiederbringlich verloren gingen. Dieser volkswirtschaftliche Nutzen darf und soll nicht nur als betriebswirtschaftlicher Gewinn bei den großen Vier ankommen. Vielmehr wollen wir diese Mittel einsetzen, um die Energieeffizienz, die Speichertechnologie und die Systemintegration der erneuerbaren Energien zu verbessern. Damit haben wir die Chance, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Wachstum zu generieren, Arbeitsplätze zu sichern und der Umwelt etwas Gutes zu tun. Die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke, die uns im Moment Emissionen in Höhe von über 150 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ersparen - das sind 20 Prozent der Emissionen in Deutschland -, führt dazu - ({1}) - Ich komme sofort darauf zu sprechen. Es handelt sich schließlich um ein Gesamtkonzept, das ich Ihnen darlegen muss. Herr Friedrich hat das Konzept bisher nicht verstanden. Deshalb hat er darum gebeten, dass ich es erläutere; das mache ich gerne. - Das Gesamtkonzept sieht vor, dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien an der Energieversorgung bis 2020 auf 30 Prozent oder mehr steigern. Wenn wir die Kernenergie im jetzigen Umfang beibehalten - ({2}) - Da gibt es eine weitere Frage. Wir können sie gerne hinzunehmen. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte beantworten Sie erst einmal die erste Frage.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Okay, dann gehe ich weiter auf die Frage ein. Wir haben dann in 2020 die Chance, 60 Prozent und mehr CO2-freien, versorgungssicheren und wettbewerbsfähigen Strom für den Standort Deutschland zu erzeugen. ({0}) Jetzt komme ich zur Frage der Entsorgung. ({1}) Selbstverständlich ist die Entsorgungsfrage zu lösen. Wir haben uns in Deutschland entschlossen, den Brennstoffkreislauf nicht zu schließen, wie es in anderen Ländern der Fall ist, so in Frankreich und in Japan, ({2}) also keine Wiederaufarbeitung vorzunehmen. Deshalb haben wir gesagt: Wir gehen im Entsorgungsbereich den Weg der Endlagerung. ({3}) - Moment, wenn Sie mich immer unterbrechen, werden wir heute gar nicht fertig. Aber ich habe Zeit; ich habe mir nichts weiter vorgenommen. ({4}) Wir haben uns also für die Endlagerung entschieden. 95 Prozent des Volumens haben wir jetzt im Sack, indem wir den Schacht Konrad rechtssicher im Bau haben; er wird ab 2013 in Betrieb gehen. Bleibt noch eine Größenordnung von 5 Prozent des Volumens im Zusammenhang mit der Endlagerung von hochradioaktiven Substanzen. ({5}) - Ich komme noch auf Asse zu sprechen. - Was machen wir mit diesem Volumen? Wir haben einen nachvollziehbaren, an international üblichen Kriterien orientierten Prozess gestartet, indem wir Gorleben einer Prüfung unterziehen. Das hat Ihr komischer Herr Trittin durch ein Moratorium verhindert. ({6}) Er sagt immer, die Frage der Endlagerung sei nicht gelöst, hat aber alles unternommen, dass die Endlagerung nicht vorangetrieben werden kann. ({7}) Wir werden sie jetzt vorantreiben. Wenn wir weitere Untersuchungen durchführen, dann werden wir wissen, ob dieser Standort geeignet ist oder nicht. Wenn wir dies nicht tun, dann werden wir es auch nicht wissen. ({8}) Jetzt komme ich zu Asse. ({9}) Asse ist natürlich für alle Beteiligten kein besonderes Ruhmesblatt. Als Versuchskraftwerk wurde es im Übrigen nicht von der Wirtschaft und von Unternehmen, sondern von staatlicher Seite initiiert. ({10}) - Ein Endlager; vielen Dank für den Hinweis. Jetzt besteht die Frage - dafür gibt es ein Konzept -: Können wir den Müll dort herausholen? ({11}) - Diejenigen, die es verursacht haben. Das Verursacherprinzip ist hier ziemlich klar nachzuvollziehen. Das können Sie in einem Protokoll vom Frühjahr letzten Jahres nachlesen, als der zuständige Minister, ein Herr Gabriel, den Sie wohl kennen, hier an diesem Pult eindeutig gesagt hat: Es gibt keine rechtlichen Möglichkeiten. Verursacherprinzip heißt letztlich, dass diejenigen zahlen, die etwas verursacht haben, also in diesem Fall der Staat. ({12}) In den Laufzeitverlängerungsgesprächen haben wir die Chance, dies zu thematisieren und einen Beitrag der Unternehmen zu erreichen. Dann entsteht ein Gesamtkonzept, und es wird ein Schuh daraus. ({13}) Es gab aber eine weitere Frage.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Pfeiffer, angesichts des Zeitumfangs Ihrer Beantwortung lasse ich nur noch diese Zwischenfrage zu. ({0}) Frau Hendricks, bitte.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich möchte übrigens keine Frage stellen, sondern eine Zwischenbemerkung machen, was nach dem Protokoll ja möglich ist. Ich erwarte also keine Antwort. ({0}) - Zwischenbemerkungen sind nach der Geschäftsordnung erlaubt. Das steht in § 27. Ich erwarte also keine Antwort. Ich darf zunächst Ihnen, Frau Präsidentin, sagen: Ich hätte eine geschäftsleitende Bemerkung von Ihnen zu der Art und Weise erwartet, wie der Kollege mit seiner Antwort umgegangen ist. Aber das ist eine Kritik, die man vielleicht an anderer Stelle vertiefen kann. ({1}) Jetzt komme ich zu meiner Zwischenbemerkung. Nach den Reden des Herrn Minister Brüderle und nach den Aussagen des Herrn Kollegen Pfeiffer stelle ich fest: ({2}) Dies ist die Regierung, die Koalition der Alchimisten. Wie Sie wissen, haben die Alchimisten immer versucht, Gold zu schaffen. Sie haben jetzt schon zwei Punkte benannt, wie Sie Gold - mit anderen Worten: bleibenden Wohlstand für die Menschen in Deutschland - schaffen wollen. Das eine sind völlig unsinnige und nicht verantwortbare Steuersenkungen, ({3}) und das andere ist nach Aussage des Kollegen Pfeiffer die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke. Diese Regierung der Alchimisten hat also schon zwei Perpetuum mobile erfunden und erklärt den Bürgerinnen und Bürgern allen Ernstes, ({4}) damit sei der Wohlstand für die Zukunft zu gewinnen. Ich bedauere sehr, dass offenbar keine anderen, tiefer gehenden Gedanken in dieser Koalition und in dieser Regierung zu finden sind. ({5})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, was sagen Sie denn jetzt?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin Hendricks, unabhängig davon, ob Sie eine Antwort erwarten oder nicht, muss der Kollege Pfeiffer natürlich die Chance haben, zu antworten. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir sind nicht bei Grimms Märchenstunde. ({0}) Ich habe versucht, darzulegen, wie wir in den verschiedenen Sektoren des Energiebereichs Wachstum schaffen wollen. Das wird eine zentrale Aufgabe sein. Ich habe die Energieeffizienz, die erneuerbaren Energien und die weitere Nutzung der Kernkraft angesprochen. Es gäbe weitere Dinge hinzuzufügen, zum Beispiel die grüne Kohle, sprich CCS. ({1}) Bei dieser Technologie steht Deutschland an der Spitze; diese Technologie können wir einsetzen. Mit all dem schaffen wir Wachstum. Das ist keine Alchemie, sondern diese Maßnahmen sind geeignet, um einen Wachstumsbeitrag zu leisten, damit wir mehr Steuereinnahmen generieren und letztlich einen Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts leisten können. ({2}) Frau Hendricks hat sich wieder hingesetzt. Dann werde ich jetzt mit meiner Rede fortfahren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben noch 30 Sekunden. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir werden darüber hinaus in Bildung - es wurde angesprochen -, in Familien, Innovationen, Forschung und Entwicklung investieren. ({0}) Wir werden eine steuerliche Forschungsförderung einführen. ({1}) Wir wollen das ZIM-Programm ausbauen, mit dem wir große Erfolge erzielt haben - leider kann ich das nicht weiter ausführen -, dessen Geltungsdauer wir gemeinsam verlängert und dessen Geltungsbereich wir auf die alten Bundesländer ausgedehnt haben. ({2}) Das werden wir im nächsten Jahr hoffentlich auch so beibehalten. Das ist die beste einzelbetriebliche Förderung, um langfristig Wachstum zu schaffen ({3}) und den Haushalt zu konsolidieren. Wir sind in unserer Wunschkonstellation auf dem richtigen Weg. Wir werden Herrn Brüderle mit Wort und Tat unterstützen und ihn auf dem richtigen Weg halten. Herr Brüderle, wir sind uns einig: Wir brauchen Freiheit, um Wachstum nach vorne zu bringen. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke steht für eine Wirtschaftspolitik, die zu mehr sozialer Gerechtigkeit und Stabilität beiträgt, die Mittelstand und Existenzgründern Zukunftschancen eröffnet und nicht verbaut, und die Arbeit schafft, von der Beschäftigte auch gut leben können. ({0}) Einem solchen Anspruch wird der Etat des Bundeswirtschaftsministers in keiner Weise gerecht. Eigentlich schlimmer noch: Er setzt sich keine Ziele und stellt auch keine Ansprüche, ({1}) abgesehen von der beabsichtigten Rolle rückwärts bei der Atomenergie. Ich glaube, in den letzten Minuten ist eines deutlich geworden: Mit dieser Rolle rückwärts in Sachen Atomenergie werden all Ihre Beschwörungen zur Förderung erneuerbarer Energien in diesem Lande total unglaubwürdig. Das haben wir jetzt begriffen. ({2}) Für die Öffentlichkeit will ich diesen Etat zunächst ein bisschen einordnen. Wir reden von 6 Milliarden Euro bei weit über 300 Milliarden Euro im Gesamtetat. Zieht man davon die Subventionierung der Steinkohle und Ihrer Raumfahrtlobby ab, bleiben etwa 4,5 Milliarden Euro, das sind 1,5 Prozent des Gesamtetats. Nur zum Vergleich: Im vergangenen Jahr wurden allein für das Instrument Abwrackprämie 5 Milliarden Euro eingesetzt. Mir ist natürlich klar, dass auch anderswo Wirtschaftspolitik gemacht wird. Allein in der BA wird über das Kurzarbeitergeld in größerem Umfang dazu beigetragen. Ich sage das, damit die Größenordnungen klar werden und nicht jemand anfängt, Bundesminister Brüderle für einen großen Wirtschaftslenker zu halten. ({3}) Diese Gefahr bestand heute nicht, aber manchmal kommt einem das so vor. ({4}) Diesen 6 Milliarden Euro, über die Sie bis zu jedem Bleistift Rechenschaft ablegen, stehen über 20 Milliarden Euro gegenüber, die im sogenannten Investitionsund Tilgungsfonds, einem Sondervermögen, zur Verfügung stehen; man kann dazu auch Schattenhaushalt sagen. Mehr als das Dreifache des Etats wird der Öffentlichkeit entzogen und allenfalls mit sehr dürftigen Informationsblättern vor dem Haushalts- und Wirtschaftsausschuss begründet. ({5}) Nun zitiere ich aus den Bemerkungen des Bundeswirtschaftsministeriums zum Haushalt: Das BMWi unterstützt den Kurs aus Stärkung der Wachstumsgrundlagen und krisenbedingten Mehrausgaben bei gleichzeitig kluger Sparsamkeit. Sie wollen also zeitgleich mehr ausgeben und mehr sparen. Sollten Sie nicht gleich sagen: „Bis zur NRW-Wahl wird die Mathematik außer Kraft gesetzt“? Das ist verordnete Schizophrenie. Das ist Wahlbetrug mit Ansage, liebe Kabinettsmitglieder. ({6}) Sie wollen gestärkt aus der Wirtschaftskrise herauskommen - das haben wir jetzt oft genug gehört -, sind aber nicht wirklich bereit, die Ursachen dieser Krise zu analysieren. Ich sage Ihnen: Ein vernünftiges Wirtschaften wird es erst dann wieder geben, wenn die Übermacht der Finanzwirtschaft gegenüber der sogenannten Realwirtschaft gebrochen wird. Wir müssen, auch wenn es uns schwerfällt, die Fantasie aufbringen, uns eine Finanz- und Wirtschaftswelt vorzustellen, in der die Börse auf ihren ursprünglichen, vernünftigen Ansatz zurückgeführt wird. Kleiner geht es nicht. ({7}) Ein alter Hase aus der Industrie hat mir das letztens plausibel gemacht. Er hat gesagt: Wissen Sie, früher hat sich ein Industrieller eine Bank gesucht, um Finanzgeschäfte abzuwickeln und zu Krediten zu kommen. Heute suchen sich die Banken Betriebe aus, um sie auszunehmen. Einer solchen Entwicklung muss doch, verdammt noch mal, etwas entgegengesetzt werden. ({8}) Herr Wirtschaftsminister, Sie täten gut daran, zu sagen: Ich habe mich lange, was meine wirtschaftspolitische Vorstellung angeht, gründlich geirrt; aber jetzt habe ich verstanden, dass man zur Stärkung der Binnennachfrage den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn braucht. - Ich habe das heute nicht erwartet, aber die Forderung ist deswegen trotzdem richtig. ({9}) Leider ist die Wahrheit eine andere: 1,4 Millionen Vollzeitjobs weniger in den letzten zehn Jahren, dafür 1,3 Millionen mehr im Teilzeitbereich. Ein Viertel der Beschäftigten ist inzwischen im Niedriglohnbereich beschäftigt. Im Osten arbeiten weit über 40 Prozent in diesem Sektor. Das ist natürlich ein Ergebnis von Rot-Grün und Schwarz-Rot. Ich will aber auch daran erinnern, dass das alles der FDP noch nicht rigoros genug war. Ein bisschen wundere ich mich über die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, denen es flächendeckend gelungen ist, den Begriff „Agenda 2010“ ganzkörperlich abzustreifen und völlig aus der Erinnerung zu streichen. ({10}) Wir müssen auch über das Wort „Kreditklemme“ reden. Sie haben wie wir die Prognosen auf dem Tisch liegen. Im laufenden Jahr ist mit über 45 000 Insolvenzen zu rechnen. Sie haben dafür eine neue Geheimwaffe erfunden, den Kreditmediator. Den haben Sie im Dezember vollmundig angekündigt. Ich habe mir gedacht: Bereite dich auf die Debatte vor und rufe dort einmal an. Das habe ich gestern versucht. Es gibt weder eine Telefonnummer noch einen sonstigen Verweis. Mir ist klar, dass Herr Metternich den Beginn für März angekündigt hat. Aber was ist das für eine Bundesregierung? Im Dezember veranstaltet sie einen Gipfel, aber danach passiert lange nichts. ({11}) Wenn Sie mir die Kritik nicht abnehmen, dann sollten Sie zumindest einem Ihrer Parteifreunde zuhören, Herr Brüderle, der dazu sagt: Es ist nicht sinnvoll, vor Weihnachten die Ankunft eines Kreditmediators … auszurufen, ({12}) ohne konkret zu sagen, was er tun soll und wie er vernetzt ist. Die Verunsicherung in der Krise werde damit nur vergrößert. Der, der das sagt, heißt Jörg Bode, ist Wirtschaftsminister in Niedersachsen und gehört bekanntlich der FDP an. Nehmen Sie diesen Rat an. Wir sagen Ihnen: Wann immer Sie von einem Ihrer zahllosen Gipfel im Bundeskanzleramt heruntersteigen, landen Sie im Tal der Untätigkeit. Das wollen wir nicht hinnehmen. Deshalb sind bei diesem Etat sehr viele Veränderungen nötig. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae für Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Minister Brüderle, Sie haben in Ihrer Rede die konjunkturelle Entwicklung und Belebung beschworen. Sie haben davon gesprochen, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt. Aber wir müssen doch ehrlicherweise auch davon sprechen, dass wir schon jetzt erkennen können, welche Strohfeuer mit diesen Konjunkturpaketen teilweise entfacht wurden. 5 Milliarden Euro wurden für die Abwrackprämie zur Verfügung gestellt. Schon jetzt gibt es wieder Absatzeinbrüche auf dem Pkw-Markt. Insofern lohnt es sich, sehr genau hinzuschauen, wie sich die konjunkturelle Entwicklung im Einzelnen darstellt. ({0}) Wir haben die Situation, dass die Unternehmer Angst vor der Kreditklemme haben, dass sie Angst vor Absatzschwächen haben. Aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Angst um ihren Arbeitsplatz und vor existenziellen Nöten. Die Aufgabe der Regierung ist es, an dieser Stelle Vertrauen zu schaffen und Wege aus der Krise zu zeigen. Sie aber machen das absolute Gegenteil. In einer Umfrage ist dieser Koalition im Januar 2010 die Schulnote 3,9 gegeben worden. Bei einer Note von 3,9 werden in Baden-Württemberg Eltern zum Gespräch eingeladen. Da sagen die Lehrer schon einmal: So geht es nicht; sehen Sie zu, dass dies besser wird. ({1}) Fehlstart, Streit und schließlich das Gezerre um die Steuerreform dominieren das Bild. Das ist auch kein Wunder. Im Wahlkampf haben Sie, vor allem Sie von der FDP, vollmundigste Versprechen gemacht, und auf einmal herrscht Verwunderung über die leeren Kassen. Jetzt hat Sie jede Vernunft verlassen. Das zeigt die Politik, die Sie uns heute vorlegen. ({2}) Von der Wirtschaftskompetenz der Bundesregierung - das haben Sie als FDP sich immer auf die Fahne geschrieben - ist nichts mehr übrig. Die Presse nimmt Sie auseinander. Selbst die Wirtschaftsverbände müssen Sie inzwischen anschreiben und anmahnen. Wir werden noch öfter die Debatte über dieses sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz und über die reduzierte Mehrwertsteuer bei Hotelübernachtungen führen. Ich möchte Ihnen eines sagen: Wenn Sie hier noch einmal über Bürokratieabbau reden, dann machen Sie sich wirklich lächerlich. Denn Sie haben bezüglich der Hotelübernachtungen sehr viel Bürokratie aufgebaut. ({3}) Die FDP spricht ständig über Steuersenkungen. Uns liegt heute ein Bundeshaushalt vor mit einer Rekordneuverschuldung in Höhe von - wenn man alles zusammennimmt - 131 Milliarden Euro, mit einer Bundesverschuldung, die die 1-Billion-Euro-Marke reißt. Ich weiß gar nicht, ob Sie alle wissen, wie viele Nullen eine Billion hat. ({4}) Das sind zwölf Nullen. Es gibt keinerlei Generationengerechtigkeit. Jeder achte Euro wird inzwischen für Zins und Tilgung ausgegeben. Das ist die Bremse beim Wirtschaftswachstum. Sie schaffen kein Vertrauen, wenn Sie weiterhin über Steuersenkungen reden, die weder 2010 noch 2011 noch 2012 finanzpolitisch irgendwie verantwortbar sind. ({5}) In den Debatten sind immer wieder die Kommunen angesprochen worden. Die Kommunen sind ein ganz enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor. Aber mit Ihren Steuersenkungen und mit Ihren sogenannten Entlastungen ({6}) - ja, furchtbar, Herr Lindner -, die Sie auf den Weg bringen, machen Sie zwei Sachen: Zum einen lassen Sie die Kommunen, die ihre Aufgaben nicht mehr finanzieren können, im Regen stehen, und zum anderen ist es ein totaler Witz, von mehr netto vom Brutto zu sprechen, wenn die Leute aufgrund der erhöhten Gebühren und Beiträge, die auf kommunaler Ebene anfallen, am Ende nicht mehr in der Tasche haben. Das ist wiederum eine ganz falsche Politik. Das ist so richtige FDP-Politik, Klientelpolitik. Sie versprechen irgendetwas, und am Ende kommt nichts dabei heraus. ({7}) Ich erinnere mich noch gut an die Diskussionen, die wir immer wieder geführt haben. Sie haben hier mit dem Liberalen Sparbuch gewedelt. ({8}) Ich glaube, es enthält 400 Einzelvorschläge für die Etats. ({9}) Wenn ich mir nur unseren Bereich, den Wirtschaftsetat, ansehe, stelle ich fest, dass Sie - und das in einem Ministerium, das von der FDP geführt wird - keinen einzigen dieser ach so tollen 400 Einzelvorschläge aus dem Liberalen Sparbuch umgesetzt haben. ({10}) Wie wollen Sie erklären, dass Sie, wenn Sie in der Opposition sind, tolle Sparvorschläge machen, und dann, wenn Sie an der Regierung sind, keinen einzigen dieser Vorschläge umsetzen? Ihr Sparwille ist vollkommen erlahmt. ({11}) - Oh ja, das kriegen wir schon noch. Da bin ich sehr gespannt. Nehmen wir doch einmal den Staatssekretär, den Sie einsparen wollten. ({12}) - Ja, Herr Lindner, Sie wollten im Bereich Wirtschaft einen Staatssekretär einsparen. Jetzt haben Sie drei Staatssekretäre, von denen zwei ein FDP-Buch haben. ({13}) - Ja, Herr Oswald, das scheint genau der Punkt zu sein. ({14}) - Ein Anflug von Ehrlichkeit und, Gott sei Dank, protokollarisch aufgenommen. Sie wollten bei Dienstreisen sparen; das ist überhaupt kein Thema mehr. Sie wollten auch bei der Öffentlichkeitsarbeit sparen. Ich kann sogar verstehen, dass Sie das doch nicht tun. Denn Sie bräuchten eine richtig gute Öffentlichkeitsarbeit, um die Politik, die Sie machen, zumindest ein bisschen besser zu verkaufen. ({15}) Sie wollten außerdem bei Sachverständigen sparen. ({16}) - Sie könnten in den laufenden Haushaltsberatungen jeden einzelnen dieser Punkte aufgreifen, jeden einzelnen Vorschlag Ihres Liberalen Sparbuchs einbringen. ({17}) Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich verhalten werden. Mein Vorschlag: Sparen Sie doch bei den Sachverständigen; das wollten Sie nämlich tun. Ehrlich gesagt, habe ich manchmal den Eindruck, das könnten Sie wirklich tun. Sie hören nämlich überhaupt nicht auf das, was Ihnen die Sachverständigen sagen. ({18}) Kein einziger Sachverständiger hat gesagt, dass die Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie etwas bringt. ({19}) Man findet im Augenblick keinen Sachverständigen, der erklären kann, wie Sie Ihre Steuerreform gegenfinanzieren wollen. Wenn Sie nicht auf die Sachverständigen hören, dann können Sie diese Kosten tatsächlich einsparen. ({20})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Andreae, möchten Sie die Zwischenfrage zulassen?

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Andreae, Sie haben die Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie gegeißelt.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Waren Sie dabei, als entschieden wurde, diese Forderung in Ihr Wahlprogramm aufzunehmen? Wie haben Sie sich damals dazu geäußert? ({0}) Haben Sie damals dagegengestimmt und diese Forderung abgelehnt, ({1}) oder haben Sie dafür gestimmt, dass diese Forderung in Ihr Wahlprogramm aufgenommen wird? Hat es nicht auch etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun, nach der Wahl bei dem zu bleiben, was man vor der Wahl versprochen hat, was diese Regierung im Übrigen getan hat? ({2})

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auf jeden Fall geht es dabei auch um Glaubwürdigkeit. Ich danke Ihnen für Ihre Frage, weil ich nun die Möglichkeit habe, Ihnen ausführlich zu antworten. - Frau Präsidentin, darf ich eigentlich genauso ausufernd antworten, wie es der Kollege Pfeiffer gerade getan hat? Es gibt nämlich noch viele Punkte, die ich gerne ansprechen würde. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Redezeit wird gestoppt, und Herr Hinsken bleibt bitte so lange stehen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich gebe eine kurze Antwort: Herr Hinsken, Sie sollten sich informieren. Diese Forderung steht nicht in unserem Wahlprogramm. Hiermit ist Ihre Frage beantwortet, und Sie können sich wieder setzen. ({0}) - Herr Hinsken, die Grünen haben diese Forderung nicht in ihrem Wahlprogramm. ({1}) Wir können das gerne textlich belegen. Aber Ihre Frage, Herr Hinsken, ist hiermit beantwortet. ({2}) Der Wirtschaftsetat ist ein kleiner Etat, aber einer mit großer Wirkung. Denn die Möglichkeit, zum Beispiel über Förderprogramme im wirtschaftlichen Bereich tätig zu sein, hat eine große Hebelwirkung zur Folge. Ein Wirtschaftsminister, der die Möglichkeit hat, diese Hebelwirkung zu nutzen, und dabei an die Zukunft denkt, muss alles, was er im wirtschaftlichen Bereich unternimmt, an diesem Ziel ausrichten. Das bedeutet, dafür zu sorgen, dass sich die neuen Fragen, die sich angesichts des Klimawandels und der ökologischen Herausforderungen stellen, in einem wirtschaftspolitischen Profil und im Haushalt abbilden. Man muss also die Förderprogramme durchforsten: Was ist zukunftsgerichtet, wo geht es also um erneuerbare Energien oder um Umwelttechnologien? Wo betreiben wir Technologieförderung insgesamt? Ich bin mit Ihnen durchaus einer Meinung, dass es richtig ist, alle Technologien in den Blick zu nehmen. Wir müssen die Technologien allerdings auf Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und auf die Ausrichtung auf Umwelttechnologien überprüfen, damit wir die Zukunftsmärkte erschließen können. Ein Wirtschaftsminister und die wirtschaftspolitische Kompetenz in diesem Hause müssen folgende Fragen beantworten: Was kommt nach dem Ölzeitalter? Wie erreichen wir ein CO2-armes und ressourcenschonendes Wirtschaften? Diese Fragen muss ein Wirtschaftsminister mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten beantworten, und seine Antwort muss im Haushalt in Form von Förderprogrammen und Ähnlichem deutlich werden. Das vermissen wir total. ({3}) Wir müssen in das investieren, was für die kommenden Generationen wirklich wichtig ist. Wir müssen Klimakiller abbauen, national, aber auch global. Und wir müssen unser Handeln auf Zukunftsmärkte und auf Zukunftsrendite ausrichten. Ich sage Ihnen eines: Das ist keine Veranstaltung von Bündnis 90/Die Grünen, das ist die Herausforderung überhaupt, das muss das Thema für unsere Volkswirtschaft sein. Die Frage ist nicht mehr: Wie stellt sich das in 50 Jahren dar? Die Frage ist vielmehr: Wie müssen wir heute umsteuern, wie müssen wir heute die Wirtschaftspolitik neu ausrichten, wenn wir unsere Chancen nutzen wollen? Für Technologien, mit denen man Energie und Rohstoffe effizienter nutzen kann, werden sich Zukunftsmärkte eröffnen. Entweder man ist als Volkswirtschaft und als Nation dabei, oder man ist es nicht. Was Sie uns immer wieder vorlegen, macht mich nicht optimistisch, dass wir dabei sein werden. Wir werden Sie in dieser Sache treiben; denn wir müssen die gesamte Volkswirtschaft neu aufstellen. Wir müssen Antworten geben auf die Herausforderungen. Dazu müssen wir aber wissen: In welche Richtung soll es gehen, wo liegt die Zukunft? Aus unserer Sicht ist die Frage vor allem: Wie schaffen wir es, CO2-arm zu wirtschaften, wie schaffen wir es, ressourcensparend zu wirtschaften? Auch über die Wachstumsfrage müssen wir diskutieren. Diesen Fragen müssen wir uns stellen. Dies gehört zu den Aufgaben eines Wirtschaftsministers. Sie haben sich dem wieder nicht gestellt. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte mit einem Appell an unseren früheren Koalitionspartner beginnen. Wir haben in einer für die deutsche Wirtschaft schwierigen Phase zusammengearbeitet. ({0}) - Das war vernünftig, Herr Heil. - Wir haben Richtiges und Wichtiges getan, vom Bankenrettungsschirm, der alternativlos war, über das Konjunkturprogramm bis hin zur Verlängerung des Zeitraums, für den man Kurzarbeit anmelden kann. ({1}) All die Dinge, die wir - gemeinsam, Herr Heil - beschlossen haben, haben ihre Konsequenzen. Diese Konsequenzen schlagen sich in dem Haushalt, den wir heute beraten, nieder. Ich registriere, dass Sie in der Oppositionsrolle angekommen sind; aber ich bitte Sie herzlich, sich nicht aus der Verantwortung zu stehlen. Meine Damen und Herren, wir haben gemeinsam gelöscht, und jetzt müssen wir uns - diese neue Regierung tut das mit den Löschwasserschäden beschäftigen. ({2}) - Sie wollen doch nicht behaupten, dass den Brand die letzte Regierung oder diese Regierung gelegt hat. ({3}) Wir müssen uns jetzt mit einem Haushalt beschäftigen, dessen Neuverschuldung in der Tat allen Sorgen macht, von der aber 80 Milliarden Euro der Krise geschuldet sind. Wir stehen in der Pflicht, uns damit auseinanderzusetzen, wie es weitergehen soll. Der Bundeswirtschaftsminister hat Richtungsweisendes dazu gesagt. Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass ein Gutteil des zarten Pflänzchens Wachstum, das wir registrieren können, geborgt ist. Deshalb ist es richtig gewesen, eine Schuldenbremse in das Grundgesetz zu integrieren. Da, Herr Heil, können Sie über die Rolle der SPD nachdenken; denn es war schon zu spüren, dass viele Kolleginnen und Kollegen von Ihrer Seite davon nicht begeistert waren. ({4}) - Das wird nicht einfach; darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. ({5}) Hier war einiges zu hören zu dem, was uns noch bevorsteht. Etliches musste einen verwundern, insbesondere das, was der Kollege Claus zum Thema Finanzgewerbe gesagt hat. Wir dürfen uns jetzt doch nicht damit beschäftigen, wie man die Banken nach Möglichkeit knebelt und in die Mangel nimmt, wir müssen überlegen, wie man ihnen den Spielraum eröffnet, in der schwierigen wirtschaftlichen Situation, die wir haben, Kredite zu geben. ({6}) Das wird in den nächsten Monaten die entscheidende Frage sein. Da treibt es mich um, wenn ich registrieren muss, dass unser durchaus intelligentes Bad-Bank-Konzept nicht so aufgenommen wird, wie wir das erwartet haben. Darüber werden wir in den nächsten Monaten noch einmal diskutieren müssen. Wenn es darum geht, wie die Anforderungen an das Eigenkapital angepasst werden können, wird es nicht nur darauf ankommen, welche wohlüberlegten Schritte man macht, sondern vor allem, zu welchem Zeitpunkt sie stattfinden sollen. Hier kommt es ganz entscheidend auf den Zeitpunkt an. Wir dürfen keinen Beitrag dazu leisten, dass letztendlich eine Kreditklemme auftritt. Der Minister hat das Thema Forschung und Bildung angesprochen. Ich halte dies für ein zentrales Thema auch der Wirtschaftspolitik. 12 Milliarden Euro zusätzlich sind kein Pappenstiel; aber es ist auch nicht immer alles nur eine Frage des Geldes. Zum einen geht es darum, Zukunftsfelder zu identifizieren; Frau Kollegin Andreae hat vorhin unbestreitbar richtige und wichtige genannt. Darüber hinaus gibt es allerdings weitere. Die verengte Perspektive der Grünen ist falsch, da es im Bereich der Nanotechnologie und der industriellen Biotechnologie über das Thema Umweltschutz- und Klimatechnologie hinaus, um nur ein paar Beispiele zu nennen, auch noch andere Felder gibt, mit denen wir uns beschäftigen wollen und sollen. Ich bestreite trotzdem nicht, Frau Kollegin, dass Sie recht haben: Die Umwelttechnologie und insbesondere die Frage der Energieeffizienz werden im Wirtschaften der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen. ({7}) Uns geht es aber darum, meine Damen und Herren, dass dies nicht staatlich gelenkt, wie es die Linken immer predigen, sondern ergebnisoffen stattfindet. Zum einen können wir die Zukunftsfelder nicht nur politisch identifizieren, und zum anderen wollen wir, dass dies auf unternehmerische Initiative hin stattfindet; da spielt der Mittelstand eine besondere Rolle. Von dem, was in unserem Koalitionsvertrag steht, halte ich das Thema steuerorientierte Förderung von Innovation und Forschung vor allem im Bereich des Mittelstands für ganz entscheidend. ({8}) Ob man dies steuerorientiert oder mit Zulagen macht, ist völlig egal. Aber wir haben hier eine Chance, über den Markt zu steuern, dass das erforscht und entwickelt wird, was auf dem Markt wirtschaftlich zum Tragen kommen und am Schluss unsere Wirtschaft voranbringen wird. Das wissen wenige so gut wie die Mittelständler in diesem Lande. ({9}) Für mich als einen Vertreter des ländlichen Raumes ist ein Aspekt, den der Wirtschaftsminister ebenfalls angesprochen hat, besonders wichtig: der Ausbau des Breitbands. Ich stelle in aller Deutlichkeit fest, dass wir hier nicht in dem Maß vorangekommen sind - nicht erst in den letzten drei Monaten, sondern über viele Jahre -, wie wir es uns vorstellen. ({10}) Wir müssen uns deshalb überlegen, wie wir gerade den ländlichen Raum vollumfänglich mit schnellem Breitband versorgen. ({11}) Das kann man nicht immer nur mit Wettbewerb lösen, sondern das muss auch einmal unkonventionell geschehen. Da ist die jetzt angedachte Leerrohrstrategie ein wichtiger Aspekt. Sie setzt allerdings voraus, dass in den Kommunen kräftig genug investiert wird, was wir dann staatlicherseits finanziell flankieren können. Aber ich bitte noch einmal, darüber nachzudenken, ob wir nicht im Rahmen eines Konzessionsmodells ganze Landkreise im Wettbewerb an Betreiber vergeben können, die ein Angebot machen, woraufhin wir ihnen die Chance geben, über fünf Jahre hinweg das Geld, das sie in Infrastruktur investiert haben, zurückzuverdienen, um danach den Wettbewerb um jeden einzelnen Kunden zuzulassen. Solche Dinge müssen wir unkonventionell handhaben; anderenfalls kommen wir an dieser Stelle nicht voran. Ich bin mir sicher, dass der amtierende Wirtschaftsminister dazu auch bereit ist. ({12}) Lassen Sie mich als letzten Aspekt das Thema Energiepolitik ansprechen. Es ist richtig und wichtig, dass wir ein Energiekonzept auf den Weg bringen. Es ist ein Novum, dass wir dies nach vielen Jahren wieder zuwege bringen. Entscheidend dabei ist, dass wir mit der Mär aufräumen, die heute auch wieder vorgebracht worden ist, Herr Kollege Claus, dass die Kernenergie die erneuerbaren Energien kannibalisieren würde. Das ist falsch, weil wir einen Einspeisevorrang haben. Die erneuerbaren Energien sind deshalb auch ganz vorne in der MeritOrder. Tun Sie nicht so, als müsste man das eine gegen das andere ausspielen. Wir sind auf einem guten Weg, auch im Bereich der Klimapolitik etliches voranzubringen, ({13}) indem wir auf beides setzen: auf die erneuerbaren Energien auf der einen Seite und auf die Kernenergie auf der anderen Seite. Denn wir werden die Klimaschutzziele, die wir uns zu Recht selbst aufgebürdet haben, nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise erreichen, wenn wir in dieser Republik auf die Kernenergie verzichten. Vielen herzlichen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Hubertus Heil das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Brüderle, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Angesichts dessen, was in der Weltwirtschaft passiert und was die Sachverständigen für dieses Jahr für unsere Volkswirtschaft prognostizieren, war das, was Sie vorgetragen haben, gelinde gesagt, etwas unterkomplex. Wir haben zum Beispiel nichts darüber gehört, wie es nach dem dramatischen Einbruch der Wirtschaft des letzten Jahres um minus 5 Prozent, der in Deutschland dank der aktiven Politik von Peer Steinbrück und Olaf Scholz glücklicherweise nicht die befürchteten Folgen gehabt hat, in diesem Jahr weitergeht. ({0}) - Ja, auch die Abwrackprämie. Danke für den Hinweis. Diese haben wir mit der Union gemeinsam beschlossen. Das hat in meiner Heimatregion und in vielen Regionen Deutschlands einen Zusammenbruch der deutschen Automobilwirtschaft verhindert. Darauf sind CDU/CSU und SPD sicherlich gemeinsam stolz. Das muss man aber der FDP noch erklären. Herzlichen Glückwunsch zum neuen Koalitionspartner! ({1}) - Sie haben offensichtlich keine Ahnung, Herr Lindner. Das zeigt sich auch in der Berliner FDP. Sie sollten sich mehr mit der Automobilwirtschaft in Deutschland befassen, zum Beispiel mit Volkswagen. Das ist kein Automobilkonzern aus Korea; es ist ein deutscher Konzern. Es war richtig, eine Brücke zu bauen, um einen Absturz in diesem Bereich zu verhindern. ({2}) Gleichzeitig stellt sich die Frage, Herr Brüderle, was wir im laufenden Jahr machen. Letztes Jahr sind durch die Maßnahmen der alten Bundesregierung, der Großen Koalition, durch die Konjunkturprogramme und durch die Kurzarbeitsregelungen die Einbrüche in der Exportwirtschaft teilweise von der Binnennachfrage stabilisiert worden. Die Binnennachfrage und die Kaufkraft in Deutschland sind im letzten Jahr allen Prognosen zum Trotz erstaunlich stabil geblieben. Leider können wir im laufenden Jahr nicht damit rechnen, dass das so weitergeht. Wie wir alle wissen, wird die Arbeitslosigkeit zunehmen. Das wird auch zu einem Rückgang der Kaufkraft führen. Der Exportmotor springt aber nicht in dem Maße an, wie es notwendig wäre, um die Kapazitäten auszulasten. Im Jahreswirtschaftsbericht, der nächste Woche vorgelegt wird, wird ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent prognostiziert. Das klingt zwar grandios, Herr Nüßlein, aber damit werden die bestehenden Kapazitäten in der deutschen Volkswirtschaft nicht ausgelastet. Die Einbrüche im Maschinenbau in BadenWürttemberg im vergangenen Jahr beispielsweise werden damit nicht aufgefangen. An dieser Stelle setzt unsere Kritik an. Sie haben keine Wachstumsstrategie, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Ihre Politik ist entweder Klientelpolitik oder Klein-Klein. Sie führt jedenfalls nicht zu neuen Investitionen und damit nicht zu Beschäftigungssicherung und -aufbau. Das ist eines Bundeswirtschaftsministers unwürdig, Herr Brüderle. ({3}) Sie als FDP verwechseln offensichtlich Klientelpolitik mit Wirtschaftskompetenz. Hier ein bisschen was für reiche Erben, da ein bisschen weniger Wettbewerb für Apotheker, dort etwas für die Hoteliers, und dann vertreten Sie noch die Interessen privater Krankenversicherungskonzerne. Das ist keine Wirtschaftspolitik, sondern Klientelpolitik. Wenn Ihr neuer Generalsekretär unseren demokratischen Rechtsstaat einen Schwächling nennt, dann kann ich Ihnen nur eines ins Stammbuch schreiben: Sie sollten sich einmal mit der verfassungsmäßigen Ordnung dieses Landes beschäftigen. Den sozialen und demokratischen Rechtsstaat zu diffamieren und ihn gleichzeitig zur Beute von Interessengruppen zu machen, wie es durch Ihre Klientelpolitik geschieht, ist nicht in Ordnung. Das werden Sie sich vorhalten lassen müssen. ({4}) Das hat aber auch etwas mit dem Umgang mit der öffentlichen Hand zu tun. Wir haben Konjunkturprogramme aufgelegt, um auch kommunale Investitionen auszulösen. Für die Jahre 2009 und 2010 ist das der Fall. Deshalb ist die Entwicklung besser als befürchtet. Der Arbeitsmarkt ist robuster als erwartet. Was aber wird im Jahr 2011, wenn die Konjunkturprogramme auch für die Kommunen auslaufen, aber gleichzeitig Ihre Steuersenkungspolitik und die Steuermindereinnahmen aufgrund der Weltwirtschaftskrise Löcher in die kommunalen Haushalte reißen und damit die Investitionsmöglichkeiten der Kommunen mindern? Es gibt keine Antwort auf diese Frage. Reden Sie doch einmal mit Ihren Bürgermeistern und Landräten! Die CDU/CSU stellt schließlich eine ganze Reihe davon. ({5}) Reden Sie mit ihnen über die Lage der Kommunen und über die Tatsache, dass öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Kinderbetreuung aufgrund der falschen Politik dieser Bundesregierung zurückgehen werden. ({6}) Hubertus Heil ({7}) Herr Brüderle, Sie haben, wie der Kollege Duin ausgeführt hat, bisher in Ihrer Amtszeit außer einem symbolischen Entflechtungsgesetz, das in der Praxis keine Wirkung entfalten wird, nicht viel zustande gebracht. Das Gesetz ist ein Placebo. Ich muss darauf hinweisen, dass eine ähnliche Regelung in der amerikanischen Kartellrechtspraxis keine zentrale Rolle gespielt hat. Wir werden uns das anschauen. Aber das wird Sie nicht davon befreien, Vorschläge für eine Wachstumsstrategie zu machen. Wie wollen Sie private und öffentliche Investitionen in Deutschland auslösen? Das ist die entscheidende Frage. Was tun Sie konkret für kleine und mittlere Unternehmen? Von Herrn Pfeiffer von der CDU/CSU habe ich vorhin gehört, dass Sie steuerliche Forschungsförderung zugunsten von Unternehmen betreiben wollen, Stichwort „tax credits“. Das ist keine schlechte Idee. Dagegen sind wir nicht. Aber ich rate Ihnen, ein Konzept vorzulegen, das gezielt kleinen und mittleren Unternehmen das ermöglicht und nicht Mitnahmeeffekte zugunsten der Großindustrie hervorruft. Das ist der Unterschied: Sie haben nur heiße Luft und kein Konzept. ({8}) Wie wäre es, angesichts der Unterauslastung im Maschinenbau dafür zu sorgen, dass andere Bereiche des produzierenden Gewerbes ihren Maschinenpark in Deutschland ökologisch erneuern, dass sie sich moderne deutsche Maschinen kaufen, weil die Exportnachfrage nicht ausreicht? Wie wäre es beispielsweise mit Investitionsanreizen in diesem Bereich? Wir könnten im Bereich des Maschinenparks Instrumente wie eine degressive AfA oder eine Art Investitionsprämie einsetzen. Das sind intelligente Instrumente, um Beschäftigung in Deutschland zu sichern. Aber aus dem Hause Brüderle kommt nichts. Das ist eines Bundeswirtschaftsministers unwürdig. Auch im Bereich der Dienstleistungspolitik gibt es keine Ideen von Ihrer Seite, obwohl wir in diesem Land riesige Potenziale an modernen Dienstleistungen für Menschen von Menschen haben. In der Gesundheitswirtschaft und im Pflegebereich, der angesichts einer älter werdenden Gesellschaft immer wichtiger wird, haben Sie keinen Ansatz. Im Bereich der ökologischen Industriepolitik, eines der wichtigsten Märkte von morgen, auf denen wir nur mit den besten Produkten und Dienstleistungen und nicht mit den niedrigsten Löhnen erfolgreich sein werden, gibt es keine Initiativen und keine Ideen, sondern nur ein paar Broschüren. Für den Bereich der Kreativwirtschaft haben Sie jetzt einen Arbeitskreis gegründet. Herzlichen Glückwunsch! Aber keine Vorschläge, keine Konzepte! Das ist Politik à la Brüderle: unterkomplex, unzulänglich und des größten Industriestandortes in Europa nicht würdig. Das werden wir deutlich machen. ({9}) CDU/CSU und SPD haben gemeinsam in den schwierigen Zeiten einer Weltwirtschaftskrise richtig reagiert. Zu einer Zeit, als Herr Brüderle als Oppositionspolitiker Konjunkturpolitik reif für die Mottenkiste hielt, haben wir unkonventionell und gezielt geantwortet. Wir hatten Glück, dass die meisten Staaten und Zentralbanken auf der Welt im Gegensatz zu 1929/30 nicht restriktiv reagiert, sondern auch Konjunkturprogramme aufgelegt haben. Das ist in einer vernetzten Weltwirtschaft das A und O. Wenn Sie, Herr Brüderle, schon jetzt über eine Exit-Strategie reden, dann ist es umso notwendiger, dass Sie sich in Europa koordinieren. Dass Sie den Vorschlag des neuen EU-Ratspräsident Zapatero zur Koordinierung in Bausch und Bogen ablehnen und einfach vom Tisch wischen, zeigt, wie begrenzt Ihr wirtschaftspolitischer Horizont ist. Man darf nicht mehr an nationalen Grenzen haltmachen. Wir brauchen eine europäische Diskussion. ({10}) Ja, es muss an der richtigen Stelle über eine Exit-Strategie gesprochen werden. Aber es geht um das Timing, das Wann und Wie, und um Koordinierung. Einfach zu beschließen, dass die Krise ab 1. Januar 2011 vorbei ist und dass man dann alles zurückfahren kann, hat mit den wirtschaftlichen Realitäten und Entwicklungen nichts zu tun. Herr Brüderle, dazu haben wir von Ihnen bisher wenig gehört. Wirtschaftspolitik in diesem Land ist mit der Steuerund Finanzpolitik, aber auch stark mit der Arbeitsmarktund der Bildungspolitik verbunden. Wenn es gelingt, die Grundlagen dieses Landes wieder zu stärken, die uns auf dieser Welt erfolgreich gemacht haben, nämlich Investitionen in Bildung und Forschung zu tätigen und im wissenschaftlichen Bereich dafür zu sorgen, dass die besten Produkte und Verfahren in diesem Land nicht nur erdacht, sondern auch produziert und angewendet werden können, wenn wir die Infrastruktur in diesem Land erneuern und wenn wir in dieser Gesellschaft soziale Balance halten, haben wir Chancen, unseren Wohlstand zu halten. Aber dazu bedarf es einer aktiven Politik. Das heißt nicht, dass sich der Staat zurückhalten darf. Der Staat kann sicherlich nicht alles machen. Wir sind keine Etatisten. Wir sind für den Marktmechanismus. Aber der Markt braucht einen klaren Ordnungsrahmen und eine aktive Politik, die Impulse setzt. Das haben viele in der FDP nicht begriffen. Die Bedrohung für die offene Gesellschaft und eine erfolgreiche Marktwirtschaft geht im Moment nicht vom Sozialstaat in Deutschland aus, sondern eher von Entwicklungen in staatskapitalistischen Ländern in anderen Regionen dieser Welt, mit denen wir in Konkurrenz stehen. Amerika wird nicht mehr wie vor der Krise das Zentrum sein. Es kommen neue, aufstrebende Staaten hinzu, mit denen wir konkurrieren. Wenn Deutschland ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat bleiben soll, brauchen wir eine aktive Wirtschaftspolitik und nicht nur alte Parolen aus FDP-Programmen. Herr Brüderle, Max Weber, der große Nationalökonom und vor allen Dingen, wenn man so will, Erfinder der Politikwissenschaften, hat einmal einen Maßstab für gute Politik definiert. Er hat gesagt, Politik brauche drei gute Eigenschaften: Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß. Die unverantwortliche Klientelpolitik Hubertus Heil ({11}) der FDP - bei Ihnen läuft im Moment wirklich alles wie geschmiert ({12}) zugunsten weniger und zulasten vieler zeigt, wie verantwortungslos Sie mit der Wirtschaftspolitik in diesem Lande umgehen. ({13}) - Ich weiß gar nicht, wie Sie heißen, Herr Schreihals. ({14}) Wer so dreist Klientelpolitik macht wie Sie, beschädigt leider nicht nur die FDP, sondern das Ansehen demokratischer Institutionen dieses Land. Herr Lindner, Sie sind hier in Berlin schon als Intrigant verschrien. Sie sollten sich schämen! ({15}) Leidenschaft habe ich bei der Rede von Herrn Brüderle eben auch nicht gespürt; ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber man braucht auch eine leidenschaftliche Überzeugung für eine neue Ordnungspolitik. Damit haben Sie nicht viel am Hut. Außerdem kann ich beim Handeln dieser Regierung in der Haushaltspolitik auch kein Augenmaß erkennen. Herr Brüderle, wir hatten in diesem Land große Wirtschaftsminister, zum Beispiel Ludwig Erhard, Karl Schiller und - auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren - Otto Graf Lambsdorff. ({16}) Es ist ein Trauerspiel, dass Sie als Nachfolger dieser großen Männer keine Wirtschaftspolitik zustande bringen, die auf der Höhe der Zeit ist. Deswegen werden Sie eine harte Opposition erfahren, und die brauchen Sie auch. Herzlichen Dank. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Christian Lindner das Wort.

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Heil, Ihre heutigen Einlassungen hätten an vielen Stellen eines Kommentars bedurft. Ich will aber, weil Sie mich persönlich angesprochen haben, nur auf einen Aspekt eingehen. Einige Vertreter der Sozialdemokratie sind erzürnt über meinen Ausdruck des teuren Schwächlings. ({0}) Niemand kann doch bestreiten, dass wir gegenwärtig einen immens hohen Anteil von Staatsausgaben an unserer gesamten Wirtschaftstätigkeit haben. Aber können wir denn zufrieden sein, etwa mit der Handlungsfähigkeit des Staates im Bildungssektor? Brauchen wir da nicht noch sehr viel mehr Handlungsfähigkeit des Staates? Sie unterliegen einem Irrtum. Das Gegenteil des teuren Schwächlings ist, anders, als Sie es uns unterstellen, nicht der Minimalstaat. Das Gegenteil des teuren Schwächlings ist der effiziente, handlungsfähige und starke Staat. Er ist stark als Regulierer und Garant sozialer Chancen, aber er ist kein unfairer Mitspieler in Markt und Gesellschaft. ({1}) Sie selbst, Herr Heil, haben, als Lord Dahrendorf verstorben ist, einen großen Nachruf veröffentlicht. ({2}) Deshalb will ich Ihnen auch mit Dahrendorf antworten. In seiner großen Schrift „Die Chancen der Krise“ von 1983 hat Dahrendorf gefragt: Was, wenn sich der wohlwollende Staat irgendwann als teurer Versager herausstellt? - Im gleichen Buch hat Dahrendorf, auf den Sie sich gern berufen, das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts prognostiziert. ({3}) Offensichtlich hatte er mit beiden Prognosen recht. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Heil bitte zur Antwort.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich freue mich, dass ich zumindest auf einen angestrengt intelligenten Lindner antworten darf und nicht auf den anderen antworten muss. Wenn wir das umkehren, heißt das also, dass Sie keinen teuren Schwächling, sondern einen billigen Autoritären wollen. In dieser Diskussion wird deutlich, dass Sie uns unterstellen, es ginge uns nicht darum, den Staat effektiv zu machen. Das ist eine Banalität. Es ist die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass der Staat den Menschen nicht vor der Nase sitzt, sondern an ihrer Seite ist. Das ist unsere Aufgabe. Aber mit einer pauschalen Diffamierung unseres demokratischen und sozialen Rechtsstaats in dieser Zeit ({0}) werden Sie Ihrer Aufgabe nicht gerecht. Wie war das denn im letzten und vorletzten Jahr, als ungezügelte Finanzmärkte unseren Wohlstand und unsere Arbeitsplätze gefährdet haben? Es war der von Ihnen als teurer Schwächling bezeichnete Staat, der intervenieren musste, erfolgreich interveniert hat und so die Menschen geschützt hat. Sie unterliegen einem Irrtum. Sie sind heute keine Liberalen mehr, sondern in Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik Nachfolger der Neokonservativen. Sie haben nicht begriffen, was große liberale DenHubertus Heil ({1}) ker als positive und negative Freiheit beschrieben haben. Ja, es ist richtig: Es muss eine Freiheit des Bürgers, der Menschen, auch der Unternehmer vor staatlicher Unterdrückung, vor Willkür und vor Bürokratie geben. Es gibt eine negative Freiheit des Menschen vor dem Staat. Dafür zu sorgen, ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam zu erfüllen haben. Ich denke dabei gerade an das, worüber im Bereich der inneren Sicherheit diskutiert wird. Aber es gibt auch eine positive Freiheit: die sozialen Voraussetzungen, um Freiheit leben zu können - der Staat muss diese Voraussetzungen schaffen -, und die öffentlichen Güter, die wir gewähren müssen, damit Menschen selbstbestimmt leben können. Das ist unsere Vorstellung von vorsorgender Sozialstaatlichkeit. Was Sie in der Praxis tun, ist, den Staat handlungsunfähig zu machen, ihn krankenhausreif zu reden, um sich hinterher als Sanitäter anzubieten. Das ist nichts anderes als das, was Ronald Reagan Anfang der 1980er-Jahre gemacht hat: Steuersenkungen für Reiche, hinterher keine erfolgreiche Konsolidierung und damit den Sozialstaat rasieren. Das ist Ihr Konzept, das ist Ihre Ideologie. Das hat mit sozialem Liberalismus à la Dahrendorf überhaupt nichts mehr zu tun, Herr Lindner. Sie sollten sich nicht in diese Tradition stellen. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Andreas Lämmel hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In meiner Naivität habe ich gedacht, dass wir in dieser Debatte über den Wirtschaftshaushalt diskutieren. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass der Großteil der Redner auch nur einen Blick in diesen Haushalt geworfen hat; vielmehr hat er sich im Wesentlichen eigentlich mit Phrasen begnügt. Frau Andreae, Sie haben mit leichten Worten allerhand gefordert, was das Wirtschaftsministerium leisten soll. Wenn Sie einmal einen Blick in den Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft geworfen hätten, dann hätten Sie festgestellt, dass genau das realisiert wird: ({0}) Das zur Verfügung stehende staatliche Geld wird dahin gelenkt, wo es den größten Effekt erzielt, nämlich in die Investitionsförderung, in die Forschungsförderung und in die Außenwirtschaftsförderung. Das sind die Aufgaben, die der deutsche Staat hat, um die Wirtschaft zu unterstützen, damit sie aus der Krise gestärkt hervorgeht. Ich komme zum Thema Forschungsförderung. Keiner ist darauf richtig eingegangen. Offensichtlich wissen Sie gar nicht, was dort geleistet wird. Forschung und Entwicklung bzw. Innovationen im Mittelstand, Stichwort ZIM: Frau Andreae, wir fördern die Energieforschung mit einem großen Einzeltitel. Zur Förderung der Energieeffizienz gibt es einen weiteren Einzeltitel. Schauen Sie einmal nach! Für die Informations- und Kommunikationstechnologien gibt es ein Extraprogramm. Die innovativen Arbeiten der Luft- und Raumfahrt und der maritimen Wirtschaft werden ebenso unterstützt. Ich möchte auf das ZIM - Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand - zu sprechen kommen; denn es ist ein entscheidender Punkt im Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums. Dieses Programm ist ein riesiger Erfolg: 2009 sind allein 8 400 Anträge auf Teilnahme an diesem Programm eingegangen und bearbeitet worden. Ich komme zur Hebelwirkung; Frau Andreae, Sie haben sie angesprochen. Nachdem ein Antrag eines Unternehmens positiv beschieden worden ist, müssen 70 bis 75 Prozent Eigenmittel beigesteuert werden; es stammt also nur ein Viertel der Mittel aus der staatlichen Förderung, während drei Viertel der Mittel privat aufgewendet werden. Daran können Sie ermessen, was für eine gewaltige Hebelwirkung von diesem Programm ausgeht, um Forschung und Technologie voranzubringen. Nachdem die Programme für den gesamten deutschen Mittelstand geöffnet worden sind, sind mittlerweile rund 100 000 Unternehmen in der Lage, Anträge auf Teilnahme an diesem Programm zu stellen. Die Aufstockung der Mittel für das ZIM innerhalb des Konjunkturpaketes II war eigentlich nur die logische Konsequenz. Wir müssen uns allerdings Gedanken machen, wie die Ausstattung des ZIM nach 2011 weitergehen soll. Kaum einer hat den Gedanken formuliert, dass die Existenzgründer im innovativen Bereich die Grundlage des Wirtschaftswachstums von morgen schaffen. Auch wenn sich die Gründungsszene wegen des wirtschaftlichen Umfeldes im Moment ziemlich schwertut, müssen uns die Existenzgründer sehr wichtig sein. Noch ein Wort zur steuerlichen FuE-Förderung. Wir möchten diese Förderung sehr gern; aber wir wollen keinen Ersatz für die Projektförderung. Das muss eine selbstständige Säule sein; ob in Form einer Zulage oder in Form einer Gutschrift, mag dahingestellt sein. Die Luft- und Raumfahrttechnik ist ein ganz wichtiger Innovator in Deutschland. Das, was in den Forschungsprogrammen der Luft- und Raumfahrt entwickelt wird, spielt auch im zivilen Leben eine große Rolle. Wir erwarten natürlich von der Luftfahrtindustrie, dass es mit den Produkten, welche mit deutschem Steuergeld entwickelt werden, hier in Deutschland auch zu einer Wertschöpfung kommt. ({1}) Wir wollen keine Entwicklung in Deutschland fördern, die dann zu einer Produktion in China, Amerika oder Russland führt. Ein anderes großes Thema ist die Außenwirtschaftsförderung. Ich möchte noch einmal die Zahlen nennen: In Deutschland leben ungefähr 2 Prozent der Weltbevölkerung, aber unser Anteil am gesamten Welthandel beträgt 10 Prozent, bei den Green Technologies beträgt er sogar 16 Prozent. Daran kann man ermessen, welche Rolle der Außenhandel, der Export für die deutsche Wirtschaft spielt. Deutschland ist Exportvizeweltmeister. Wir hoffen, dass wir wieder Weltmeister werden. Aber es spielt letztlich keine Rolle, ob wir nun Erster oder Zweiter sind. Wir hoffen, dass die im Haushalt veranschlagten Mittel für die Außenwirtschaftsförderung ausreichen, dass die German Trade and Invest GmbH auf die Beine kommt und nicht nur ihren Personalkörper aufbaut. Ein weiteres Thema ist die Regionalförderung, die ebenfalls von niemandem erwähnt wurde. Es geht um die Investitionsförderung, GRW, GA, je nachdem, welchen Begriff man wählt. 674 Millionen Euro sind dafür im Haushalt veranschlagt. Hier setzt eine große Hebelwirkung ein, denn die 674 Millionen Euro sind nur die Mittel des Bundes. Dazu kommen Mittel in gleicher Höhe von den Ländern, also noch einmal 674 Millionen Euro, dass heißt, insgesamt 1,3 Milliarden Euro an Investitionsfördermitteln. Das aber sind meist nur 20 Prozent einer Investition. 80 oder 70 Prozent, je nachdem, in welchem Fördergebiet investiert wird, bringt die Wirtschaft selber auf. Sie können also selbst rechnen, dass zu den 1,3 Milliarden Euro noch Milliarden Euro an weiteren Mitteln hinzukommen. Genau dieses Investitionsvolumen brauchen wir in Deutschland zur Sicherung von Arbeitsplätzen und zum Aufbau neuer Arbeitsplätze. Trotzdem muss man feststellen: Die Mittel für die Investitionsförderung im Haushalt des BMWi sind niedriger als die für die Steinkohlesubventionierung. Man muss also immer im Blick haben, dass die Kosten der Steinkohle nach wie vor enorm sind. Dass die Investitionsförderung in Deutschland funktioniert, zeigt sich daran, dass selbst die Mittel für die Sonderprogramme 2009 abgearbeitet sind und die Gelder in Deutschland investiert wurden. Gemäß den Prognosen für 2010 und 2011 wird der Bedarf an Investitionsfördermitteln eher ansteigen. Es ist ein sehr positives Zeichen, dass die deutsche Industrie in der Krise investiert. Das sind für die nächsten Jahre gute Nachrichten. Wir werden uns über die Förderkulisse dieses Jahr noch einmal unterhalten. Wir wollen, dass die C-Fördergebiete erhalten bleiben, damit die strukturschwachen Gebiete in Gesamtdeutschland von der Regionalförderung profitieren können. Zusammenfassend kann ich sagen: Hätten Sie sich den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums einmal intensiver angeschaut, dann wären Sie von den Oppositionsfraktionen nicht zu der Schlussfolgerung gekommen, dass das Wirtschaftsministerium nicht in der Lage sei, die Wirtschaftspolitik in Deutschland zu gestalten, sondern Sie wären zu dem Schluss gekommen, dass dieser Haushalt im Bereich der Investitionen und der Unterstützung für Forschung und Technologie hervorragende Voraussetzungen bietet, damit die deutsche Wirtschaft die Krise überwindet und das Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren vorankommt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Michael Schlecht für die Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Regierung und auch Herr Brüderle haben zentrale Ziele für die Wirtschaftspolitik formuliert. Eines besteht darin, darauf zu hoffen, dass bis zum Jahr 2011 die Wirtschaft wieder läuft und man in eine Exit-Strategie einsteigen kann. Vor allen Dingen trägt die Regierung das Mantra vor sich her: Wir wollen stärker aus dieser Krise wieder herauskommen. Die spannende Frage ist natürlich, was das eigentlich heißt: „stärker wieder herauskommen“. Stärker werden heißt bei der Regierung nicht, dass, wie wir wollen, 30 Milliarden Euro mehr für Universitäten, Schulen und Kinderbetreuung ausgegeben werden. Stärker werden heißt auch nicht, deutlich mehr für soziale Dienste sowie für Kranke und alte Menschen in diesem Lande auszugeben und damit wirklich deutliche Verbesserungen in diesem Bereich zu erzielen. Stärker werden heißt auch nicht, wirklich massiv - wir denken, mindestens 50 Milliarden Euro sind dafür angezeigt - in die marode deutsche Infrastruktur zu investieren und vor allen Dingen die Industrieproduktion nachhaltig umzubauen hin zu binnenländisch verwendbaren Produkten, ökologischen Technologien und dergleichen mehr. Wir brauchen vor allen Dingen die Stärkung der Binnennachfrage; denn selbst dann, wenn man die wunderbarsten ökologischen Produkte entwickelt, wird die Nachfrage nicht automatisch kommen. Vielmehr muss hier der Staat handeln. Stärker werden heißt vor allen Dingen auch, mehr in die Berliner S-Bahn und ICEs zu investieren, damit diese wieder ordentlich fahren können. All das würde dazu beitragen, dass man wirklich wieder stärker wird. ({0}) Die Linke will ein Zukunftsprogramm, mit dem die Binnennachfrage wirklich nachhaltig gestärkt wird. So könnte eine Umsteuerung erfolgen. Wir wollen, dass auf diese Weise 2 Millionen neue Jobs geschaffen werden die Arbeit von morgen. Finanzierbar wäre das Ganze zum Beispiel durch Einführung einer Millionärssteuer. Stärker werden darf nicht heißen, dass man immer mehr darauf setzt, dass die Exporte ansteigen. Die deutsche Wirtschaft hat seit 2002 einen Exportüberschuss von kumuliert fast 1 Billion Euro erzielt. Die Regierung ist darauf auch noch stolz. Der Haken an der Sache ist nur, dass dies nur funktioniert, wenn sich immer mehr andere Länder entsprechend weiter verschulden. Es gab ein Land, das den Exportjunkies Deutschland, Japan und China die Exportüberschüsse abgekauft hat. Das waren die USA. Möglich wurde dies durch eine dramatisch gestiegene Verschuldung. Insofern - das muss man einmal deutlich sagen - gehören die Verschuldung der USA und die deutsche Wirtschaftspolitik fast so zusammen wie die FDP und Mövenpick. ({1}) Das durch die Agenda 2010 hervorgerufene Lohndumping hat die Bevölkerung enteignet und deutschen Unternehmern massive Wettbewerbsvorteile im Ausland beschert. Die Exporte wuchsen immer stärker an. Gleichzeitig wurde die Binnennachfrage immer mehr beschnitten. So entstand ein gigantischer Exportüberschuss. Im Finanzdesaster der USA ist dieses System kollabiert. Der Ausbruch der Verschuldungskrise in den USA ist in bestimmter Weise auch ein von der deutschen Wirtschaftspolitik hervorgerufenes Desaster. Wer aber nach wie vor glaubt, die Binnennachfrage nicht stärken zu müssen, und darauf hofft, 2011 mit einer Exit-Strategie eine Wende einleiten zu können, ist ein wirtschaftspolitischer Geisterfahrer, der eine große Gefahr für die weitere wirtschaftliche Entwicklung darstellt. Im Rahmen der G 20 wurde in Pittsburgh zuletzt vereinbart, dass Länder mit einem nachhaltigen und deutlichen Exportüberschuss ihre Strategie ändern und für mehr Binnennachfrage sorgen sollen. Davon ist hier in Deutschland überhaupt nichts zu spüren. Diese auf dem G-20-Treffen eingegangene Verpflichtung wird in Deutschland überhaupt nicht umgesetzt, findet überhaupt keinen Niederschlag im Regierungshandeln. Neben einem massiven Investitionsprogramm in Höhe von 100 Milliarden Euro - ich sagte das schon benötigen wir vor allen Dingen eine deutliche Stärkung der Löhne, um die Binnennachfrage zu stärken. ({2}) Die Einkommen der Beschäftigten müssen steigen. Vor allen Dingen müssen auch die Einkommen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst steigen. Insofern ist es eigentlich unverantwortlich, wenn ein Wirtschaftsminister dazu aufruft, bei Lohnforderungen ganz kurz zu treten. Genau das erleben wir ja jetzt bei der aktuellen Tarifrunde des öffentlichen Dienstes. Ich hoffe, dass meine Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst mit Entschiedenheit durch Gegenmaßnahmen, auch durch Streiks, nicht nur ihre eigenen Interessen vertreten, sondern Sie damit auch zu einem Kurs der wirtschaftspolitischen Vernunft zwingen. Das würde unser Land voranbringen. Danke schön. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Luther hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Brüderle! Ich bin sozusagen der letzte Redner in dieser Debatte, ({0}) kurz bevor der Haushalt - und es geht ja um das Haushaltsgesetz - dem Haushaltsausschuss durch Überweisung überantwortet wird. Ich habe sehr aufmerksam die letzten anderthalb Stunden der Debatte verfolgt ({1}) und habe mir dabei meine eigenen Gedanken gemacht. Ich glaube, das Parlament hat seine Rolle genau wahrgenommen. Die Regierung, Herr Brüderle, und die Redner der Union haben versucht, deutlich zu machen, worauf es in der Wirtschaftspolitik in den nächsten Wochen und Monaten ankommt. ({2}) Auch die Opposition hat ihre Rolle gespielt. Sie hat all das benannt, was nicht geht. Am meisten verwundert mich natürlich die SPD: Nach elf Jahren in der Regierungsverantwortung hat sie - schwupps - den Schalter umgelegt und sagt heute genau das Gegenteil von dem, was sie im letzten Jahr erzählt hat. ({3}) Das war für mich schon spannend. ({4}) Gleichwohl glaube ich, dass wir uns in diesem Hause über eine Wahrheit einig sein sollten, nämlich dass der Wirtschaftsminister mit seinem Haushalt eine zentrale Verantwortung für die Wirtschaft in Deutschland trägt. Denn die Wahrheit heißt: Wenn die Wirtschaft floriert, dann geht es Deutschland gut; dann gibt es genügend Arbeitsplätze und gute Löhne; dann fließen Steuern und Sozialabgaben. ({5}) Damit können wir dann unseren Sozialstaat finanzieren. ({6}) Ich denke, dass - und davon ist die Debatte auch nicht unbeeindruckt geblieben - die Finanz- und Wirtschaftskrise, die wir 2008/2009 auch in Deutschland erleben mussten, bislang gut „gehändelt“ worden ist. Wir haben durch die Konjunkturpakete richtige Schwerpunkte gesetzt, um letztendlich Schlimmeres zu verhindern. Das ist uns, glaube ich, auch gelungen. Jetzt aber, zu Beginn des Jahres 2010, stellen wir fest, dass unsere Wirtschaft wieder wächst, zwar nicht so sehr, wie wir uns das wünschen würden, aber immerhin. Die Aufschwungkräfte sind aber noch zu gering. Wir müssen aus fiskalischer und wirtschaftspolitischer Sicht noch manches tun, um sie zu stärken und voranzubringen. Ich denke, die Große Koalition - ich meine: die Koalition, ohne groß ({7}) - die Koalition ist groß; in Ordnung - erfüllt genau diese Aufgabe. ({8}) Wir haben mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz begonnen. Es ist ein wichtiges Signal, ({9}) dass Entlastungen vorgenommen und Wachstumshemmnisse abgebaut werden. ({10}) Wir müssen auch in schwierigen haushaltspolitischen Zeiten genau diesen Weg weitergehen. Ansonsten werden wir das Konjunkturpflänzchen, das langsam wieder zu wachsen beginnt, nicht weiterwachsen sehen. ({11}) Meine Damen und Herren, ich will noch einiges zum Haushalt selbst sagen. Wir haben ein Volumen von knapp 6,3 Milliarden Euro; das ist eine leichte Etatsteigerung. Diese leichte Etatsteigerung resultiert aus der Strategie der Bundesregierung, die Bildungs- und Forschungslandschaft in Deutschland für die Zukunft fitzumachen. ({12}) Auch im Wirtschaftsbereich stellen wir uns dieser Aufgabe, und ich denke, das ist ein wichtiges Signal an die Wirtschaft für die Zukunft in unserem Land. ({13}) Ein zweiter Punkt: Auch in diesem Haushalt setzt die Bundesregierung jetzt darauf, Altes zurückzufahren und Neues zu fördern. ({14}) Der Rückgang der Kohlebeihilfen ist ein wichtiges Signal, da es sich um eine Technologie handelt, die ausläuft. Wir können die Mittel, die dadurch frei werden, für etwas anderes einsetzen. 2,3 Milliarden Euro - das ist das Kernstück des Einzelplans - werden für Technologie und Innovationsförderung zur Verfügung gestellt. Das ist genau das richtige Signal für die Zukunft. ({15}) Das zentrale Innovationsprogramm für den Mittelstand wurde schon vom Kollegen Lämmel angesprochen. Wir geben dafür viel Geld aus und legen damit eine Basis für unseren Mittelstand. Er braucht diese Förderung, gerade um FuE-Projekte voranzubringen. Dafür ist dieses Programm genau die richtige Maßnahme. Als jemand, der aus den neuen Bundesländern kommt, will ich betonen: Es ist sinnvoll, Programme, die sich in den neuen Bundesländern als erfolgreich erwiesen haben, auf Gesamtdeutschland zu übertragen. Das passiert an dieser Stelle. Dem Minister danke ich herzlich für das Signal, das er mit Aufstellen dieses Haushalts gegeben hat. ({16}) Ich möchte noch etwas zu dem Thema Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ sagen. Dafür sind 670 Millionen Euro vorgesehen. Diese Förderung, die hauptsächlich für die neuen Bundesländer vorgesehen ist, ist nach wie vor sehr wichtig. Unabhängig von den Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise - auch in den neuen Bundesländern muss diese Krise natürlich überwunden werden - ist es allerdings so, dass hier noch mehr gemacht werden muss. Wenn ich mir den Zeitraum von 1990 bis heute ansehe, dann muss ich sagen: Nach dem Konkurs der DDR, als die Wirtschaft am Boden lag, haben wir in den letzten 20 Jahren viel, aber noch nicht alles erreicht. Wir stehen jetzt bei einem Volumen von circa 80 Prozent des Westniveaus. Parallel zu der Krisenbewältigung ist es also unbedingt notwendig, dass wir den Wirtschaftsaufbau Ost fortsetzen; denn es muss unser gemeinsames Ziel sein, dass die neuen Bundesländer in absehbarer Zeit von ihrem eigenen Geld leben können. Wir setzen uns dafür ein, dass dies mithilfe der im Haushalt des Wirtschaftsministeriums vorgesehenen Maßnahmen erreicht werden kann. ({17}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Haushaltsausschuss wird ein Haushalt mit einer sehr hohen, aber, wie ich glaube, wohlbegründeten Neuverschuldung vorgelegt. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass wir eine schwere Finanz- und Wirtschaftskrise zu tragen haben und überwinden müssen. Für die Zukunft müssen wir von dieser Verschuldung herunterkommen. Denn die Zinsen als Folge der Neuverschuldung müssen wir ebenfalls im Haushalt tragen. Sie belasten uns zunehmend. Ich kann Ihnen zusagen, dass wir uns in den Haushaltsberatungen diesem Thema stellen werden. Wir werden jeden Titel genau überprüfen und schauen, ob die Neuverschuldung nicht vielleicht ein Stück zurückgeführt werden kann. Jeder Schritt in dieser Richtung ist wichtig. Ich bin gespannt, was wir mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung erreichen können. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine gute Haushaltsberatung. Lassen Sie uns gemeinsam ans Werk gehen! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu diesem Einzelplan liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir unterbrechen die Haushaltsberatungen für einen kurzen Moment. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie Zusatzpunkt 1 auf: 3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag über die Errichtung des IT-Planungsrats und über die Grundlagen der Zusammenarbeit beim Einsatz der Informationstechnologie in den Verwaltungen von Bund und Ländern Vertrag zur Ausführung von Artikel 91 c GG - Drucksache 17/427 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Rechtsausschuss ZP 1 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 187 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 15. Juni 2006 über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz - Drucksache 17/428 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Hierbei handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist es so beschlossen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 4 a bis 4 d. Hier geht es um vier Gremienwahlen, die wir mittels Handzeichen durchführen werden. Tagesordnungspunkt 4 a: Beirat bei der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen - Drucksache 17/460 ({2}) Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor. Wer stimmt für die Wahlvorschläge auf Drucksache 17/460 ({3})? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Dann ist das einstimmig so beschlossen. Tagesordnungspunkt 4 b: Beirat für Fragen des Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur ({4}) - Drucksache 17/461 Dazu liegen wiederum Wahlvorschläge aller Fraktionen vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann sind auch diese Wahlvorschläge einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 4 c: Beirat zur Auswahl von Themen für die Sonderpostwertzeichen ohne Zuschlag beim Bundesministerium der Finanzen ({5}) - Drucksache 17/462 Dazu liegen Ihnen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 17/462 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Wahlvorschläge sind einstimmig beschlossen. Tagesordnungspunkt 4 d: Beirat für die grafische Gestaltung der Sonderpostwertzeichen beim Bundesministerium der Finanzen ({6}) - Drucksache 17/463 Auf Drucksache 17/463 liegen Ihnen die Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Auch diese Wahlvorschläge sind einstimmig so beschlossen. Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen fort und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelpan 17. Als Erste hat das Wort die Bundesministerin Dr. Kristina Köhler. ({7})

Dr. Kristina Köhler (Minister:in)

Politiker ID: 11003569

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit einiger Verwunderung habe ich in den letzten Wochen eine offenbar weit verbreitete Auffassung zur Kenntnis genommen: In der Familienpolitik seien die großen, grundsätzlichen Themen abgehakt. Das ist natürlich ein schönes Kompliment für die Familienpolitik der Union in den letzten vier Jahren; insofern freue ich mich darüber. Ich teile allerdings nicht die Befürchtung, dass uns im Familienressort in den nächsten Jahren die großen Themen ausgehen. Ich nutze die heutige Haushaltsdebatte gern für ein paar grundsätzliche Ausführungen. Der Kabinettsentwurf des Bundeshaushaltes 2010 sieht für den Einzelplan 17 einen Etat von insgesamt 6,56 Milliarden Euro vor. Damit stünden dem Familienressort rund 171 Millionen Euro mehr als im Vorjahr zur Verfügung. Dieses Plus käme den Familien in unserem Lande zugute; denn es ist zum größten Teil auf Mehrausgaben für die gesetzlich festgelegten Familienleistungen zurückzuführen, von denen ich drei hervorheben möchte: Erstens. Familien erhalten seit dem 1. Januar mehr Kindergeld. Davon ist zwar nur der geringste Teil in un1400 serem Einzelplan etatisiert; dennoch ist die Kindergelderhöhung ein wichtiges familienpolitisches Signal. ({0}) Viele Familien kommen nämlich mit ihrem Einkommen gerade so über die Runden. Für sie ist jeder Euro mehr ein Stück mehr Lebensqualität. Wir lösen damit das wichtige Wahlversprechen ein, dass wir Eltern und Kindern gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten den Rücken stärken. Zweitens. Wir geben mehr Geld für den Kinderzuschlag aus. Dafür sind im Etat 374 Millionen Euro veranschlagt. Diese Familienleistung kommt in allererster Linie Geringverdienern zugute, die sonst nur wegen ihrer Kinder in Hartz IV abrutschen würden. Wir sagen: Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein; der Fleiß dieser Eltern muss sich lohnen. Sonst brauchen wir uns nämlich nicht zu wundern, wenn es immer wieder Kinder gibt, die nicht Kranführer oder Krankenschwester werden wollen, sondern Hartz-IV-Empfänger. Drittens. Größter Posten im Einzelplan 17 bleibt das Elterngeld. Dafür stehen 2010 knapp 4,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Damit ermöglichen wir Müttern und Vätern eine berufliche Auszeit nach der Geburt eines Kindes. Im Vergleich zum Vorjahr sind dies 80 Millionen Euro mehr. Das ist aber gut ausgegebenes, gut angelegtes Geld, denn Kostentreiber im positiven Sinne sind vor allem die Väter. ({1}) Diese zunehmende Akzeptanz der Vätermonate zeigt, dass wir damit ein Bedürfnis junger Familien getroffen haben. Deshalb möchte ich auch noch in diesem Jahr die Zahl der Vätermonate erhöhen und ein Teilelterngeld einführen und bitte Sie dafür um Ihre Unterstützung, ({2}) denn damit geben wir Vätern und Müttern mehr Zeit, um Verantwortung in der Familie zu übernehmen, und dies kommt vor allen Dingen den Kindern zugute. So viel erst einmal zu den gesetzlich festgelegten Familienleistungen, die im Etat den mit Abstand größten Ausgabenblock darstellen. Ich möchte aber aus dem Einzelplan 17 drei weitere Titel exemplarisch herausgreifen, die sich auf ganz aktuelle Diskussionen beziehen. Erstens ist dies der Ausbau der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen. Vor drei Jahren haben sich Bund, Länder und Kommunen auf ein gemeinsames Ziel geeinigt: Bis zum Jahr 2013 sollen 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren Betreuungsangebote nutzen können. Ich bin überzeugt, dass das zu schaffen ist und dass wir den Bedarf damit werden decken können, denn das 35-Prozent-Ziel wurde auf guter empirischer Grundlage vereinbart. Neue Zahlen, die der Deutsche Städte- und Gemeindebund letzte Woche ins Spiel gebracht hat, sind unrealistisch, denn sie basieren auf einer Umfrage bei Frauen mit Kinderwunsch, ob sie denn Interesse an Betreuung hätten, wohlgemerkt für Kinder, die in den nächsten Jahren erst noch geboren werden müssen. Das ist etwa so, als würde man ein Jahr vor der Bundestagswahl die Sonntagsfrage stellen und auf dieser Basis dann Koalitionsverhandlungen führen. Die Panik, die hiermit geschürt wird, ist übertrieben. Wir sollten sie nicht schüren, sondern uns erst einmal anstrengen, um das gemeinsam vereinbarte Ziel zu erreichen. ({3}) Der Bund trägt dazu seinen Anteil bei. Bis 2013 stellen wir 4 Milliarden Euro zur Verfügung, zum einen für die Investitionen, zum anderen für die Betriebskosten. Ab 2014 beteiligt sich der Bund dann mit rund 770 Millionen Euro pro Jahr an den Kosten für den laufenden Betrieb. Darüber hinaus hat die Bundesregierung den Kommunen 6,5 Milliarden Euro mit dem Konjunkturpaket II zur Verfügung gestellt, Geld, das ausdrücklich auch für die Infrastruktur der frühkindlichen Bildung genutzt werden kann. ({4}) Deshalb appelliere ich im Gegenzug an Länder und Kommunen: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass alle Eltern, die einen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen wollen, ihn ab 2013 tatsächlich in Anspruch nehmen können. ({5}) Zweitens geht es ebenfalls um ein ganz aktuelles Thema, den Zivildienst. 650 Millionen Euro geben wir für den Zivildienst aus, insgesamt rund 7 Millionen mehr als 2009, was mit der leicht erhöhten Zahl Zivildienstleistender zu tun hat. Wegen der Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate zum 1. Januar 2011 stehen uns hier aber große Umbrüche ins Haus. Wenn 90 000 Zivildienstleistende drei Monate weniger Dienst leisten, dann fallen in den sozialen Einrichtungen 270 000 Dienstmonate weg. Im Moment arbeiten wir mit dem Koalitionspartner intensiv an einer Lösung hierfür. Der Zivildienst muss für junge Männer attraktiv bleiben, er muss auch für die Dienststellen attraktiv bleiben, und die „biografische Lücke“, die zwischen dem Ende des Zivildienstes und dem Beginn von Ausbildung oder Studium entsteht, muss so gering wie möglich sein. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir hierbei bald zu einem Ergebnis kommen werden, mit dem alle Beteiligten und alle Betroffenen werden gut leben können. ({6}) Gut leben können hoffentlich auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Oppositionsfraktionen, mit der Lösung, die ich für die Neuausrichtung der Programme zur Extremismusprävention erreicht habe. Ich bin damit beim dritten aktuellen Thema. Es war in den letzten Wochen schön zu beobachten, wie zuverlässig die alten Reflexe funktionieren. ({7}) Dabei ist es doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass wir gegen alle Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorgehen: gegen Rechtsextremisten, gegen Linksextremisten, gegen Antisemiten und gegen Islamisten. Es gibt keine guten Extremisten. ({8}) Deshalb werde ich die Präventionsprogramme zur Extremismusbekämpfung umbauen. Wir starten noch im Jahr 2010 zwei Pilotprojekte gegen Linksextremismus und gegen Islamismus. Dafür stehen 2 Millionen Euro aus Mitteln zur Verfügung, die 2009 nicht abgerufen wurden. Die im Einzelplan 17 vorgesehenen 24 Millionen Euro für die bereits bestehenden Bundesprogramme zur Extremismusprävention bleiben unangetastet. Erst für 2011 plane ich eine Neukonzeption der Programme. Grundlage sind dann auch die Erfahrungen, die wir 2010 mit den erwähnten Pilotprojekten zur Bekämpfung des Linksextremismus und des Islamismus machen werden. Der Einzelplan 17 des Bundeshaushalts 2010 zeigt nicht nur, wo wir heute stehen, sondern er weist auch den Weg zu einem großen familienpolitischen Thema der Zukunft. Denn er zeigt klar und deutlich: Wir tun viel, damit Eltern Zeit für Verantwortung haben. Aber wir tun viel zu wenig, damit pflegende Familienangehörige Zeit für Verantwortung haben. Als Familienministerin verstehe ich mich nicht nur als Anwältin der Eltern, sondern auch als Anwältin der Älteren. Menschen, die in unserer Gesellschaft ein Leben lang viel geleistet haben, einen würdigen Lebensabend zu ermöglichen - dazu verpflichtet uns unser Menschenbild. Nicht nur aus ethischem Pflichtgefühl, sondern auch aus tiefem inneren Bedürfnis pflegen Menschen ihre betagten Angehörigen, und zwar im Schnitt gut acht Jahre lang. Sie bringen dabei große persönliche Opfer. Viele gehen dabei über die Grenzen ihrer persönlichen Belastbarkeit hinaus. Jeder von uns kennt doch jemanden, der zu Hause die demenzkranke Mutter oder den vom Schlaganfall gezeichneten Vater pflegt. Aber für uns selbst haben wir oft keine Antwort auf die Frage parat, woher wir die Zeit dafür nehmen würden, wenn es unsere eigenen Eltern treffen sollte. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass die Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland von derzeit etwas über 2 Millionen auf knapp 3 Millionen im Jahr 2020 steigen wird. Spätestens dann stehen wir ein zweites Mal vor dem Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dann allerdings mit Blick auf die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Zeit für Verantwortung heißt deswegen auch: Zeit für Pflege. Da gibt es eine Menge zu tun. Ich glaube, das wird uns über Jahre hinweg beschäftigen. Als Vertreterin der jungen Generation erlaube ich mir den Hinweis: Diese Frage hätte man auch schon früher angehen müssen; schließlich ist der demografische Wandel nicht über Nacht über uns hereingebrochen. ({9}) Aber wie ein afrikanisches Sprichwort sagt: Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die zweitbeste Zeit ist heute. In diesem Sinne herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dagmar Ziegler von der SPD-Fraktion. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, ich darf Ihnen im Namen der SPD-Fraktion ganz herzlich zu Ihrer Amtsübernahme gratulieren. Ich wünsche Ihnen ehrlichen Herzens ein gutes und glückliches Händchen. ({0}) Sehr geehrte Frau Dr. Köhler, Sie haben angekündigt, sich als Ministerin für Gesellschaftspolitik zu verstehen. Ich finde, das ist ein sehr guter Ansatz. Wenn wir hören, was Sie vorhaben - das haben Sie heute erläutert -, dann fragen wir uns: Wo sind die Visionen, von denen Sie gesprochen haben? Wo sind die Dinge, die Sie voranbringen wollen? Wo sind die großen Leitprojekte, mit denen Sie den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft - Sie sprechen immer so schön von den Bindekräften stärken wollen? Zumindest in Ihrer Rede konnten wir davon nichts erkennen. Nun sind Sie ganz neu im Amt, und wir hoffen darauf, dass sich das noch verändern wird. ({1}) Ich möchte Ihnen die Befürchtungen, die wir haben, mitteilen. Es reicht nicht, dass man nur Sprechblasen loslässt. Sie müssen natürlich mit Inhalten gefüllt werden. Als ersten Punkt nehme ich die Gleichstellungspolitik. Wir haben es jahrelang mit freiwilligen Ansätzen versucht, mussten aber feststellen, dass das nicht funktioniert. Jetzt haben wir gesetzliche Initiativen ergreifen wollen. Blockiert hat, zum Beispiel bei der Frauenquote bei Aufsichtsräten, die Koalition. Nehmen wir die Kinderbetreuung: Die letzte Koalition hat einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag der Kinder ab 2013 gesetzlich verankert. Diese Koalition schlägt den Ländern und Kommunen jetzt allerdings die finanziellen Mittel aus der Hand, die sie benötigen, um diesen gesetzlichen Auftrag erfüllen zu können. ({2}) 1 Milliarde Euro für Hoteliers mehr - das kann man nicht abstreiten -, aber 2,1 Milliarden Euro weniger für die Kommunen. Allein diese Diskrepanz muss Ihnen zu denken geben. 1,5 bis 1,9 Milliarden Euro für das Be1402 treuungsgeld, was am Ende heißt, dass viele Kinder von Bildungsangeboten, auf die Frau Schavan so sehr setzt, ferngehalten werden. Das kann keine gute Familienpolitik sein. ({3}) Wenn ich die CDU/CSU-Abgeordneten höre, stellt sich für mich schon die Frage, worauf sich das „C“ in Ihrer Partei bezieht. ({4}) Ich beantworte das damit, dass Sie den Spruch Jesu in abgewandelter Form im Munde führen: Herr vergib uns; denn wir wissen nicht, was wir tun. ({5}) - Das ist nicht billig, sondern das, was man aus Ihrer Politik herauslesen kann. ({6}) Ich werde Ihnen das ganz kurz an weiteren Beispielen belegen. Das Thema Pflege ist ein Thema, das, wie wir gerade gehört haben, auch zu den Highlights der Politik der Ministerin gehören soll. ({7}) Auf die Fragen: „Was wollen Sie für die Pflegebedürftigen tun?“ und „Was wollen Sie für eine verbesserte Vereinbarkeit tun?“ fehlen aber die Antworten. ({8}) In der letzten Legislaturperiode hat die SPD eine bis zu zehn Tage dauernde bezahlte Freistellung vorgeschlagen, wenn ein Pflegefall in der Familie eintritt. Wer hat das abgelehnt? Die jetzigen Koalitionäre, nicht die SPD. ({9}) Zur Jugendpolitik. Sie taucht in Ihrem Spektrum heute überhaupt nicht auf; die gibt es für Sie anscheinend nicht. ({10}) Was tun Sie für mehr Mitbestimmung von Jugendlichen? Für mehr Beteiligung in Schule, Kommunen und Verbänden? Wir reduzieren im Rahmen der Jugendpolitik die Jugendlichen oftmals auf Defizite und Problemfamilien. Aber wo geben wir ihnen Chancen zu wirklicher Teilhabe an der Gesellschaft? Keine Antwort darauf bisher. ({11}) - Ich sitze in der Opposition und warte erst einmal Ihre Vorschläge ab. Das ist doch wohl unser gutes Recht. ({12}) Wir waren die Inputgeber in allen Politikfeldern der Großen Koalition. Jetzt müssen Sie alleine klarkommen. ({13}) Sehr geehrte Frau Ministerin, was tun Sie für Alleinerziehende, um sie wirksam vor Armut zu schützen? Das ist im Übrigen eine Aufgabe, die Sie gemeinsam mit der Fast-noch-Familienministerin, Frau von der Leyen, wahrnehmen müssen. Wie gedenken Sie bei Ihren Steuersenkungsideen Mehrgenerationenhäuser, Eltern-KindZentren und lokale Bündnisse für Familien zu erhalten? Sie sagen: Die Verantwortung für die Erziehung von Kindern liegt vorrangig bei den Eltern. - Wie sollen die ihre Verantwortung aber wahrnehmen, wenn die Angebote für Beratung und Mitgestaltung wegbrechen? Wie sollen die vielen hauptamtlich und die - das sind noch mehr - ehrenamtlich Tätigen in diesen Bereichen zurechtkommen, wenn Länder und Kommunen weniger Geld haben, weil Sie ihnen das Geld entziehen, um anderen Steuergeschenke machen zu können? Wie sieht Ihre Gesellschaftspolitik aus? Auf diese Fragen werden Sie Antworten finden müssen. Das sind viele Fragen, die Sie heute leider nicht beantwortet haben. Deshalb sage ich: Wir brauchen eine umfassende Familienpolitik, bei der der Bund seiner Verantwortung gerecht wird. Aber wir brauchen auch eine Bundesregierung, die die Länder und die Kommunen in die Lage versetzt, ihrer Verantwortung gerecht werden zu können. Da müssen Sie noch eine ganze Menge tun, wenn Sie Ihrem Anspruch „Freiheit in Verantwortung“ gerecht werden wollen. Vielen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Toncar von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, auch ich darf Sie zu Ihrer Amtsübernahme beglückwünschen. Sie wissen die Liberalen immer an Ihrer Seite, wenn es um moderne, weltoffene und verantwortungsorientierte Familienpolitik geht. ({0}) Die Koalition stellt die Familie in den Mittelpunkt. Das ist kein Zufall; denn Familien sind der Ort, an dem Freiheit in Verantwortung, an dem Zuwendung, Solidarität und Mitmenschlichkeit jeden Tag gelebt werden. Das sind die Werte, zu denen sich diese Koalition bekennt. ({1}) Wenn man die ersten 100 Tage dieser Regierung betrachtet, dann muss man feststellen, dass wir uns vor allem um die Familien und gerade die mit Kindern gekümmert haben und damit um die Zukunft unseres Landes. Wir haben im Dezember letzten Jahres - sehr zügig nach der Regierungsübernahme der neuen Bundesregierung dafür gesorgt, dass der Kinderfreibetrag und das Kindergeld spürbar erhöht werden, und zwar weil wir wissen, ({2}) dass viele Familien, gerade die mit mehreren Kindern, dringend auf größere Spielräume angewiesen sind. Es ist auch eine Frage der Fairness, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, dass Kinder im Steuerrecht nicht weiter wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Wir haben versprochen, das zu ändern, und das machen wir jetzt auch. ({3}) Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz - das muss man wirklich sagen - ist ein Gesetz in Kraft getreten, das im Wesentlichen ein Familienentlastungsgesetz ist. Wer sich die Zahlen anschaut - darüber sprechen Sie nicht; das verstehe ich; aber Sie müssen mir zugestehen, dass ich es tue -, der sieht, dass von den 8 Milliarden Euro Entlastungsvolumen, Geld, das bei den Bürgern bleibt - das Geld verschwindet ja nicht, sondern bleibt bei den Bürgern, die es erarbeitet haben -, ({4}) 4,6 Milliarden Euro Entlastung bei den Familien ankommt. Das muss man einmal festhalten. Wenn das keine Politik für Familien ist, weiß ich nicht, was Politik für Familien sein soll. ({5}) Insofern muss ich sagen, dass ich es umso verwunderlicher finde, dass die Opposition so gegen dieses Gesetz wettert. ({6}) Wissen Sie: Auch wir waren in der Opposition, und wir haben immer wieder Punkte gefunden, bei denen wir sehr unterschiedlicher Meinung waren. Darüber muss gestritten werden. Aber ich finde es nicht nur eigenartig, sondern auch beschämend, dass sich der Bundestag nicht einmal geschlossen dazu durchringen kann, 4,6 Milliarden Euro Entlastung für Familien mit Kindern gutzuheißen und zu sagen: Hier hat die Regierung etwas richtig gemacht. ({7}) Ich möchte zitieren, mit welchen Worten Vertreter Ihrer Fraktion in dieser Haushaltswoche, in den letzten zwei Tagen, über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz gesprochen haben, und zwar ohne zu unterscheiden, ob es um Kindergeld oder andere Entlastungen geht. ({8}) Ihr Fraktionsvorsitzender hat gestern über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz gesagt: Sie verschleudern das Geld, sodass es hinterher an allen Ecken und Enden fehlt. Der haushaltspolitische Sprecher Ihrer Fraktion hat vorgestern in der allgemeinen Finanzdebatte über die Sofortmaßnahmen der Regierung gesagt: 10 Milliarden Euro verjuxt und verjubelt. ({9}) Die Familien in Deutschland, die diese Haushaltswoche verfolgen, wissen, wer auf ihrer Seite steht und wer äußerst abwertend über Geld für Familien spricht. Das sind Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Es ist nicht zuletzt eine Frage des Familienbildes, ob man glaubt, dass Geld für Familien am besten vom Staat verteilt wird, oder ob man glaubt, dass Familien sehr wohl in der Lage sind - jedenfalls in ihrer großen Mehrheit -, selbst zu entscheiden, was gut für Kinder ist. ({11}) - Ich glaube nicht, dass es redlich und richtig ist, da einen Gegensatz zu konstruieren. ({12}) Ich glaube nicht, dass das ein Gegensatz ist, Frau Kollegin. Wir müssen doch sehen, dass wir Familienpolitik nicht nur für die Fälle machen, in denen etwas schiefgegangen ist, sondern auch, um die Familien, die sich redlich bemühen - das sind in Deutschland viele -, zu stärken, ihre Kinder aus eigener Kraft zu erziehen. ({13}) - Ihre Reaktion zeigt viel von Ihrer Haltung. Sie haben völlig recht, dass es auch und gerade bei Kindern Probleme gibt, um die wir uns kümmern müssen. Das tun wir doch auch. Wir verbessern doch die Infrastruktur bei der Betreuung vor Ort. Da hilft der Bund den Kommunen. Den Grundgedanken teilen wir alle. Dies ist eine Aufgabe, die in dieser Dimension neu ist und weitergeführt werden muss. Für uns als Freie Demokraten ist es völlig selbstverständlich, dass Familie und Beruf vereinbar sein müssen, dass wir Integrations- und Bildungsangebote auch für sehr junge Kinder in den Kommunen brauchen und dass der Bund hier auch finanziell in der Pflicht steht. ({14}) Der Einzelplan 17 wird natürlich weiterentwickelt. Die Ministerin hat darauf hingewiesen: Das Elterngeld soll teilzeitfähig gemacht und bis zu 28 Monate gezahlt werden. Ich glaube, das ist etwas, was für viele Familien wichtig ist, weil es ihre Flexibilität erhöht und Vätern wie Müttern erlaubt, ihre Arbeitsbiografien, ihre Wünsche und Vorstellungen noch besser aufeinander abzustimmen. Es darf auch nicht zum Nachteil von Eltern sein, wenn sie Teilzeitarbeit wollen. Wir werden das flexibilisieren und damit mehr Wahlfreiheit schaffen. Für die Liberalen war besonders wichtig - auch das werden wir umsetzen -, dass die Bezugsdauer des Unterhaltsvorschusses erweitert wird, sodass er bis zum 14. Lebensjahr gezahlt wird. Auch das ist etwas, was man trotz aller Differenzen einmal hervorheben sollte. Es ist doch eine gute Sache, wenn wir hier vorankommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({15}) Wir haben im Koalitionsvertrag vorgesehen, ab 2013 ein Betreuungsgeld einzuführen. Seine Konzeption ist noch offen. Für die FDP ist die eindeutige Anforderung an dieses Betreuungsgeld - darauf werden wir drängen -, dass es kein Anreiz sein darf, Familien davon abzuhalten, sinnvolle Bildungsangebote vor Ort wahrzunehmen; ({16}) darauf werden wir achten. ({17}) - Das werden wir bei unserem Vorschlag berücksichtigen, Frau Kollegin; da kann ich Sie beruhigen. Schließlich sind die Liberalen an der Regierung beteiligt und werden sich dafür starkmachen. ({18}) Frau Ministerin, das Volumen des Einzelplans 17 wird steigen. Das liegt vor allem daran, dass die gesetzlichen Leistungen erweitert werden. Wir werden, wie in allen Einzelplänen, natürlich eine Konsolidierung auch bei den freiwilligen Leistungen brauchen. Das gilt ebenfalls für das Personal. Darüber müssen und werden wir im Rahmen der Haushaltsberatungen in den nächsten Wochen sprechen. Diese Koalition will die Familien stärken, weil dort Verantwortung gelebt wird. Wir vertrauen auf die Verantwortungsbereitschaft der Familien. Der Staat ist für die Familien ein Partner, der gebraucht wird, aber kein Übervater, der Familien reguliert und bevormundet. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Bockhahn von der Fraktion Die Linke. ({0})

Steffen Bockhahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004014, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Werte Besuchergruppe aus Mecklenburg-Vorpommern! ({0}) Im Vorfeld der Debatte zum Einzelplan 17 standen in der Öffentlichkeit kaum die Themen Familie, Frauen, Senioren oder Jugend im Mittelpunkt der Debatte. Ich hatte den Eindruck, es ging in erster Linie um die Extremismusprogramme der Bundesregierung. Ich kann auch verstehen, dass man darüber intensiv diskutiert. In der Welt war am Dienstag, den 19. Januar, die große Schlagzeile zu lesen: „Kristina Köhler bricht ihr erstes Versprechen.“ Das wünscht man sich nicht, wenn man neu im Amt ist. Aber es stimmt. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hieß es immer, dass an den Extremismusprogrammen in diesem Jahr vernünftigerweise nichts geändert wird. Noch am selben Tag meldete Spiegel Online, dass doch noch 2 Millionen Euro gefunden wurden, um auch Linksextremismus und Islamismus ordentlich bekämpfen zu können. ({1}) - Ja, mich müssen Sie genau beobachten; da haben Sie völlig recht. Aber ich meine das wahrscheinlich anders als Sie. - Darüber kann man sich erst einmal freuen. Statt dieser Zurverfügungstellung von 2 Millionen Euro für Programme zur Bekämpfung von vermeintlichem Linksextremismus und Islamismus wäre eine Ausweitung der Programme zur Bekämpfung des Rechtsextremismus dringend notwendig gewesen. Allein der Titel „Jugend, Vielfalt, Toleranz und Demokratie“, aus dem viele verschiedene Aktionspläne finanziert werden, ist völlig überlastet. Es gibt derzeit 90 lokale Aktionspläne, die bewilligt sind, und es gibt 149, die nicht bewilligt wurden, ({2}) in erster Linie, weil kein Geld da war. Es gibt 85 überregionale Projekte, die im Rahmen dieses Titels gefördert werden, und es gibt 241 Ablehnungen, in erster Linie, weil der Etat ausgelastet ist. Das macht deutlich, dass die Anzahl der Programme gegen Rechtsextremismus längst nicht groß genug ist und dass hier viel mehr Förderung notwendig ist. Das fordert auch die Fraktion Die Linke. ({3}) Es heißt, in diesem Jahr werde an dem, was besteht, nichts verändert. Ich nehme zur Kenntnis: Vor einiger Zeit sind die Mittel für den Titel zur Förderung von Beratungsnetzwerken von etwa 2,4 Millionen Euro auf 5 Millionen Euro erhöht worden, und dieser Betrag bleibt auch stabil. Nur, meine Damen und Herren: Es wird nicht mehr, wie bisher, nur ein Beratungsnetzwerk im Osten der Republik gefördert, sondern jetzt wird die ganze Republik gefördert. Ich habe nichts dagegen, dass man Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus in ganz Deutschland einführt. Aber dafür reicht das Geld hinten und vorne nicht. Für Mecklenburg-Vorpommern, ein Bundesland, das mit dem Rechtsextremismus leider ein überdurchschnittlich großes Problem hat, bedeutet dies, dass die Zuschüsse des Bundes für diese Beratungsnetzwerke im Jahr 2010 von 950 000 Euro auf nur noch ein Viertel, nämlich auf 250 000 Euro, zurückgefahren werden. Das wiederum hat zur Folge, dass Sie auch die demokratischen Strukturen, die zivilgesellschaftlichen Strukturen vernichten, in denen Leute sich ehrenamtlich dem Kampf gegen Rechtsextremismus widmen und sich für die Förderung von Kultur und Demokratie und Toleranz einsetzen. Das kann doch nicht das Ziel Ihrer Politik sein. ({4}) Forderungen, bei den Programmen gegen Rechtsextremismus nicht zu kürzen, hören Sie nicht nur von der Linken. Ich glaube BKA-Chef Ziercke ist unverdächtig, meiner Partei nahezustehen. Aber auch er sagt: Kürzen Sie nicht bei den Programmen gegen Rechtsextremismus! Genau das haben Sie aber angekündigt. Wie wichtig es ist, gegen Rechtsextremismus intensivst vorzugehen, zeigt sich an so vielen verschiedenen Punkten. Gestern wurde vor dem Landgericht Rostock erneut ein Prozess gegen eine rechtsextreme Prügelgruppe eröffnet. 2007 sollen sie in Pölchow, direkt vor den Türen von Rostock, mit Holzlatten auf linke Demonstranten eingeprügelt haben. Mehrere Personen sind dabei teilweise schwer verletzt worden. Einer der Schläger ist - das mag nicht überraschen - im Landesvorstand der NPD. Hier gilt es endlich etwas zu tun; denn das Problem ist groß: Die Zahl der rechtsextrem motivierten Straftaten hat sich zwischen 2004 und 2009 fast verdoppelt. Das ist ein unglaublicher Anstieg, der zeigt, wie wichtig es ist, dass Sie endlich aktiv werden und deutlich mehr tun müssen als bisher. 2008 sind von Rechtsextremen zwei Straftaten mit Todesfolge verübt worden. Diese reihen sich ein in eine Reihe von insgesamt über 130 Todesfällen seit 1990, die auf das Konto rechtsextremistisch oder ausländerfeindlich motivierter Straftäter gehen. Wenn Sie sich das vor Augen führen, sehen Sie, wie wichtig es ist, auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus das Augenmerk zu legen und kein Stück nachzulassen. ({5}) Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie Programme gegen Linksextremismus stärker fördern wollen. In der heutigen Ausgabe der Frankfurter Rundschau ({6}) heißt es in einem Artikel von Steffen Hebestreit mit der Überschrift „Wundersame Geldvermehrung“: Noch ist allerdings ziemlich unklar, welche Initiativen von diesem Geldsegen profitieren werden. Gibt es linke Aussteiger-Projekte? Nein, die gibt es nicht. Die werden auch nicht gebraucht. ({7}) Es passt also nicht zusammen, was Sie tun. ({8}) Ich kann Sie nur warnen, zu machen, was Sie vorhaben. Wenn Sie Rechtsextremismus und Linksextremismus gleichsetzen, vergleichen Sie Äpfel und Birnen miteinander. Das funktioniert nicht. Noch schlimmer ist aber, was Sie im Hinblick auf den Islamismus tun wollen, nämlich das auch noch alles gleichsetzen. ({9}) - Zum Thema kommen? Schauen Sie sich den Einzelplan 17 an; in diesem Einzelplan sind die Extremismusprogramme der Bundesregierung aufgeführt. Also gehört diese Debatte hierher. Hören Sie also zu! ({10}) Mit dem Islamismuswahn, den Sie verbreiten, machen Sie etwas ganz Gefährliches: Sie tun so, als sei der Islam als Religion insgesamt gefährlich und demokratiefeindlich und toleranzfeindlich. Das stimmt aber nicht. Innenminister de Mazière hat am Dienstag gesagt: Der Islam in Deutschland muss tatsächlich einiges klären, nämlich wie er sich in dieser Gesellschaft bewegen will, aber auch sein Frauenbild. - Da sind wir an einem interessanten Punkt. Ich würde nicht behaupten, dass es nur im Islam ein problematisches Frauenbild gibt. Ich glaube, das gibt es sehr wohl auch im Christentum, im Judentum, im Hinduismus und im Buddhismus. ({11}) Lassen Sie uns darüber reden, wie wir insgesamt gegen religiösen Fanatismus und gegen religiösen Fundamentalismus etwas tun können, um Demokratie und Toleranz zu stärken. Was Sie vorschlagen, führt in eine Sackgasse. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Sven-Christian Kindler von Bündnis 90/Die Grünen.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wird allgemein behauptet, Ursula von der Leyen habe als Familienministerin das Weltbild der Union verändert, die Union neu aufgestellt, die Union modernisiert. Man muss zugeben: Mit der Einführung des Elterngeldes - dessen Bezug auch an Vätermonate geknüpft wurde und mit der Einführung des Rechtsanspruches auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren ab 2013 hat die Union, gerade die konservative Union, eine gute Leistung erbracht. Das muss man lobend anerkennen. ({0}) - Die SPD war beteiligt; aber die SPD war damals schon weiter als die Union. Die Frage bleibt, ob die Union wirklich ihr gesellschaftliches Weltbild verändert hat. Schauen wir uns das an: Gleich nachdem der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren festgeschrieben war, hat die CSU quergeschossen und gefordert, dass Eltern, die ihr Kind lieber zu Hause betreuen wollen, Geld dafür bekommen sollen, ein sogenanntes Betreuungsgeld. ({1}) Das war ein Fehler. ({2}) Der Streit geht in der neuen Koalition weiter. FDP und CSU streiten sich jetzt um die Frage „Gutscheine oder Barauszahlung“, obwohl dieser Streit nur davon ablenkt, dass das Betreuungsgeld an sich einfach widersinnig ist. Auf der einen Seite werden Betreuungseinrichtungen ausgebaut, was richtig ist, und auf der anderen Seite werden Anreize geschaffen, die neuen Kitas zu meiden und die Kinder eben nicht dorthin zu schicken. Wo ist denn da die Logik? Das ist doch abstrus. ({3}) Wichtig ist beim Ausbau der U-3-Betreuung, dass es nicht allein um die Betreuung geht, sondern vor allen Dingen um Bildung und Integration, damit alle Kinder gute Startchancen haben. Gerade die Kinder aus bildungsfernen Schichten brauchen Betreuung in gut ausgestatteten Kitas und Kinderbetreuungsstätten. ({4}) In Thüringen kann man heute schon sehen, was passiert, wenn ein Betreuungsgeld eingeführt wird. Kinder aus bildungsfernen Schichten wurden massenhaft von den Kitas abgemeldet. Frau Köhler, es ist jetzt an der Zeit, sich zu entscheiden und Stellung zu beziehen, in welche Richtung es gehen soll. Wollen wir vorwärts in eine moderne Zukunft mit gerechten Startchancen für alle Kinder, oder geht es mit der Herdprämie zurück in die Vergangenheit, wo Frauen dafür belohnt werden, keiner Erwerbsarbeit nachzugehen, und wo Kinder aus bildungsfernen Schichten dabei hinten runterfallen? Ich kann Ihnen nur raten, Frau Köhler, dieses Betreuungsgeld so schnell wie möglich zu entsorgen; es ist unsozial und integrationsfeindlich, und es fördert die Spaltung der Gesellschaft. ({5}) Das Betreuungsgeld ist auch keine Maßnahme, die wirklich Kinderarmut bekämpft. Das Thema Kinderarmut wird seit Jahren intensiv diskutiert. Geändert hat sich trotz vieler Absichtserklärungen leider nichts. Viel zu viele Kinder in unserer Gesellschaft sind weiterhin von Armut betroffen. Ein Viertel aller Kinder unter 15 Jahren, 26 Prozent, sind nach Daten des „Sozio-oekonomischen Panels“ in der Bundesrepublik vom Armutsrisiko betroffen. Das heißt, jedes vierte Kind in Deutschland ist von Armut bedroht. Es gibt verschiedene Untersuchungen, warum dies trotz der vielfältigen Leistungen für Familien so ist. Unter anderem erforscht das Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen für das Familienministerium, welche Wirkungen auf Kinderarmut Leistungen wie Ehegattensplitting, Kinderzuschlag, Elterngeld und das Kindergeld haben. Anstatt jetzt aber einen Abschlussbericht durch dieses Kompetenzzentrum vorlegen zu lassen, wird dieser Expertenzirkel still und heimlich geschlossen und im Haushaltsentwurf für 2010 ein neues Kompetenzzentrum für nachhaltige Familienpolitik eingerichtet. Da drängt sich schon die Frage auf, ob das Ministerium gar kein Interesse daran hat, dass das alte Kompetenzzentrum einen Abschlussbericht vorlegt. ({6}) Wie wir alle wissen, haben wir kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Eigentlich wissen wir, worum es bei Kinderarmut geht. Ein Umsetzungsproblem haben wir zum Beispiel im Hinblick auf das Ehegattensplitting. Es ist offensichtlich, dass das Ehegattensplitting nicht der Förderung von Kindern dient. Insbesondere kinderlose Ehepaare profitieren von den steuerlichen Vorteilen, und gleichzeitig wird für Frauen ein Anreiz gesetzt, zu Hause zu bleiben und keiner Erwerbsarbeit nachzugehen. ({7}) Deswegen ist es jetzt an der Zeit, bei der steuerlichen Förderung von Familien nicht mehr die Ehe, sondern die Kinder in den Vordergrund zu stellen. ({8}) Jetzt entgegnet die Bundesregierung natürlich: Wieso, wir haben doch die Leistungen für Kinder im Rahmen des „Schuldenbeschleunigungsgesetzes“ erhöht. Kinder in Gutverdienerfamilien bekommen wegen der Erhöhung des Freibetrages knapp 40 Euro, 20 Euro Kindergeld gibt es, wenn die Eltern durchschnittlich verdienen, und genau null Euro, nämlich gar nichts, überhaupt nichts, gibt es für die 1,8 Millionen Kinder, die in HartzIV-Familien leben. So bekämpft man keine Kinderarmut. Im Gegenteil, so vergrößert man die Spaltung und die Chancenungleichheit zwischen armen und reichen Kindern. ({9}) Die Entlastung für Besserverdienende, für Erben, für Unternehmen, für Mövenpick ist nicht nur unsozial, sondern sie vergrößert die sowieso schon hohen Defizite, die hohen Schulden in Bund, Ländern und Kommunen um weitere 8,5 Milliarden Euro. Mit 8,5 Milliarden Euro entlasten Sie im Wachstumsbeschleunigungsgesetz Ihre Klientel; aber dieses Geld fehlt an anderer Stelle. Es fehlt, um die notwendige Erhöhung der Kinderregelsätze zu finanzieren. Es fehlt beim Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge. Gerade die öffentliche Daseinsvorsorge bei der Bildung, beim öffentlichen Nahverkehr, bei Büchereien und Kultureinrichtungen ist bei der Schaffung von Chancengleichheit und gerechten Perspektiven für Kinder und Jugendliche so entscheidend. Generationengerechte Politik würde hier wirklich Schwerpunkte setzen und neben massiven Investitionen in Klimaschutz auch Investitionen in die Kindergrundsicherung, Bildung und öffentliche Daseinsvorsorge tätigen. Das wäre generationengerecht, weil davon die jetzige und zukünftige Generationen profitieren würden. ({10}) Deswegen fordere ich Sie auf, Frau Köhler: Stoppen Sie diese teure Klientelpolitik, und setzen Sie sich für eine gerechte Zukunft der Kinder und Jugendlichen ein! ({11}) Ich will noch auf das Thema Generationengerechtigkeit eingehen. Generationengerechtigkeit heißt nicht, dass man junge Menschen gegen alte Menschen ausspielt, wie es leider von manchen jungen Liberalen oder jungen Konservativen gerne gemacht wird. Ich erinnere nur an die Debatte über künstliche Hüftgelenke. ({12}) Generationengerechtigkeit muss auch immer Generationensolidarität sein. Gerade angesichts des demografischen Wandels brauchen wir Antworten darauf, wie wir solidarisch zusammen in einer Gesellschaft leben wollen, die schrumpft und die älter, bunter und vielfältiger wird. Deswegen sollten sich alte und junge Menschen gemeinsam für einen guten ÖPNV, mehr und bessere Jugendzentren, Bibliotheken, Sportvereine und kulturelle Initiativen einsetzen. Gerade junge und alte Menschen sind besonders auf eine wohnortnahe Infrastruktur angewiesen. Doch alle diese Angebote müssen wahrscheinlich wegen der schlimmen Kassenlage der Kommunen, die durch das „Schuldenbeschleunigungsgesetz“ noch verstärkt wird, gekürzt werden oder wegfallen. Das ist nicht nur im Hinblick auf Kinder- oder Altersarmut fatal. Es ist auch katastrophal für das Engagement gegen Rechtsextremismus; denn Rechtsextreme stoßen gezielt in diese Lücke vor mit Angeboten für Jugendliche, die auf der Suche nach Orientierung sind. So gibt es Konzerte mit rechter Musik, oder man kann Fußball spielen, zusammen etwas unternehmen. ({13}) Das ist eine perfide, aber leider zum Teil auch erfolgreiche Strategie, weil die Kommunen entsprechende Angebote kürzen oder einstellen. Wir dürfen dazu nicht schweigen oder wegschauen; wir müssen das unterbinden. Wir müssen die Kommunen mit den notwendigen finanziellen Mitteln für den Kampf gegen Rechtsextremismus ausstatten. Insbesondere die zivilgesellschaftlichen Organisationen brauchen eine verlässliche Unterstützung beim Kampf gegen Nazis. ({14}) Am Montag hat Ministerin Köhler im Ausschuss angekündigt, dass sie die Bundesmittel für den Kampf gegen Rechtsextremismus auf alle Extremismusformen ausweiten will; Kollege Bockhahn hat das bereits angesprochen. Am Dienstag, also nur einen Tag später, zauberte sie dann plötzlich 2 Millionen Euro zusätzlich gegen Linksextremismus und Islamismus aus dem Hut. ({15}) Ich frage mich schon: Was, bitte schön, ist Ihr Plan? Wo ist das Geld im Haushalt veranschlagt? Frau Köhler, erklären Sie uns bitte nachvollziehbar und haushaltstechnisch korrekt, woher dieses Geld kommen soll. ({16}) Die größte Bedrohung für unsere demokratische Gesellschaft sind nicht linksradikale Gruppen, sondern extrem rechte und menschenfeindliche Einstellungen in der Gesellschaft. ({17}) Allein 2009 gab es über 20 000 von Rechtsextremen begangene Straftaten. Immer wieder werden Menschen von Nazis schwer verletzt oder sogar getötet. Seit der Wende wurden 140 Menschen von Rechtsextremen ermordet. In wenigen Wochen, am 13. Februar, wollen in Dresden wieder viele Tausend Nazis - das ist der größte Naziaufmarsch in Europa - aufmarschieren. Sie werden dabei die Schoah relativieren und deutsche Täter zu Opfern machen. Es ist wichtig, am 13. Februar auf die Straße zu gehen, um den Naziaufmarsch friedlich zu blockieren. ({18}) Das ist das Problem bei dieser Extremismusdebatte: Jede Gleichsetzung des Rechtsextremismus mit anderen Extremismusformen verharmlost die Gewalt und die mörderische Ideologie von Nazis. Die Mittel für Programme gegen Rechtsextremismus und für Vielfalt, Toleranz und Demokratie müssen erhöht werden. Gerade in Problemregionen brauchen wir dringend mehr demokratisch angelegte Angebote als bisher. Ihre Scheindebatten, Frau Köhler, um einen angeblich bedrohlichen Linksextremismus lenken leider in unverantwortlicher Weise davon ab, dass das Problem in Deutschland die Nazis sind. ({19}) Weil es um eine gerechte Zukunft geht, müssen wir jetzt die Weichen richtig stellen und massiv in Infrastruktur investieren, sodass alle Kinder gute Startchancen bekommen. Wir müssen in die Infrastruktur investieren, damit die Daseinsvorsorge für alle Generationen gesichert ist und der Kampf gegen Rechtsextremismus erfolgreich geführt werden kann. Für die Zukunft brauchen wir Gerechtigkeit. Vielen Dank. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kindler, ich darf auch Ihnen im Namen des ganzen Hauses herzlich zu Ihrer ersten Rede im Bundestag gratulieren. ({0}) Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Bär für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zunächst einmal unserer Ministerin zu ihrer guten Rede gratulieren. Sehr geehrte Frau Dr. Köhler, das war eine sehr gute Rede zur Haushaltseinbringung, die sich genau mit den Themen befasst hat, um die wir uns zu kümmern haben. Sie war nicht ideologiegeprägt, wie das bei manch anderen Reden heute der Fall war. ({0}) Ihre Rede hat konkrete Vorstellungen und detaillierte Programme enthalten. Frau Ziegler, ich muss in diesem Zusammenhang schon sagen, dass Sie ein sehr seltsames Verständnis von Oppositionspolitik haben, wenn Sie sich hierhin stellen und wortwörtlich sagen: Wir sind die Opposition; wir müssen keine Vorschläge machen. - Ich, die ich selber schon Oppositionspolitikerin war, finde das sehr beeindruckend. ({1}) Ein bisschen Gestaltungswillen erwarte ich auch von der Opposition in diesem Hohen Hause. ({2}) Wir debattieren heute über den Einzelplan 17. Es geht um Ausgaben in Höhe von rund 6,56 Milliarden Euro. Das ist natürlich nur ein Bruchteil der Aufwendungen, die jährlich für staatliche Maßnahmen und Leistungen für Familien aufgebracht werden; ich komme gleich zu den einzelnen Posten. Wir haben aber als Familien-, Frauen-, Jugend- und Seniorenpolitiker mit einer Vielzahl von Themen zu tun, bei denen sehr viel nicht mit Geld geleistet werden kann. Natürlich brauchen wir auch mehr Geld. Nicht, dass der Herr Staatssekretär beim Finanzminister denkt, dass wir weniger Geld brauchen. Das Gegenteil ist der Fall. Ein Beispiel für die Vielzahl der Themen, mit denen wir uns auseinandersetzen: Ich habe eine neue europäische Studie darüber gelesen, wie stark die Lust auf Kinder in den einzelnen europäischen Staaten ausgeprägt ist. So wurde gefragt: Was ist für Sie die ideale Kinderzahl? Die Antworten sind erschreckend. In Frankreich haben 3 Prozent gesagt, dass gar keine Kinder die perfekte Anzahl sind. In vielen anderen europäischen Ländern sagen im Schnitt 5 Prozent, dass keine Kinder der gewünschte Idealzustand sind. In den Niederlanden ist die Quote sehr hoch. Dort wünschen sich fast 12 Prozent keine Kinder. Aber Spitzenreiter ist Deutschland, wo 17 Prozent sagen, dass sie, wenn sie es sich aussuchen können, keine Kinder haben wollen. Daran müssen wir gesellschaftspolitisch arbeiten. Schließlich geben wir schon sehr viel Geld für Familien aus. Nach Berechnungen des Finanzministeriums und des Familienministeriums handelt es sich um ungefähr 180 Milliarden Euro, die nicht nur aus dem Gesamtetat des Bundes, sondern auch von den Ländern und Kommunen beigesteuert werden. Wir investieren trotz einer wirtschaftlich schwierigen Lage weiter massiv in die Stärkung der Familie - das wurde schon angesprochen -: Erhöhung des Kindergeldes um volle 20 Euro pro Kind und Monat, des Kinderfreibetrags um fast 1 000 Euro sowie die bessere Absetzbarkeit von Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung, die ab dem 1. Januar dieses Jahres wirksam sind und Familien erheblich entlasten. In der Haushaltsdebatte ringt man natürlich darum, wofür das Geld am besten ausgegeben werden kann. Es ist wichtig, dass wir klug und umsichtig handeln, damit das Geld den Bürgern wieder zugutekommt. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass das im Einzelplan 17 für Familien investierte Geld gut angelegt ist, weil das die beste Zukunftsinvestition ist. Ich verstehe natürlich den Bundesfinanzminister, Herr Staatssekretär Koschyk, dass er versucht, Einsparungspotenziale zu finden. Herr Kindler, Sie selber haben in Ihrer ersten Rede - dazu herzlichen Glückwunsch - das Thema Generationengerechtigkeit angesprochen. Aber man darf sich nicht über andere erheben und so tun, als hätte die Jugendorganisation der Grünen die Generationengerechtigkeit gepachtet. ({3}) Dieses Thema ist für alle Jugendorganisationen, egal welcher Partei, wichtig. Genauso wenig wie den Kollegen von der Jungen Union und den Jungen Liberalen spreche ich der Grünen Jugend ab, sich um das Thema Generationengerechtigkeit zu kümmern. Nur so viel als kleine Zwischenbemerkung. Da wir nach Einsparungspotenzialen suchen, möchte ich sowohl die Haushälter - auch die der Koalitionsfraktionen - als auch das Bundesfinanzministerium bitten, das nicht in unserem Einzelplan zu tun; denn es ist nicht möglich, hier Einsparungen vorzunehmen. Wir können nicht weniger Geld für familienpolitische Leistungen ausgeben, sondern brauchen eher mehr Geld. Ich bitte Sie, Herr Staatssekretär, das an den Minister weiterzugeben. Als Familienpolitiker haben wir in den letzten Jahren mit unserer verlässlichen Politik auf die sich stark verändernde Gesellschaft reagiert. Es gibt neue Lebensentwürfe und neue Möglichkeiten in Bildung, Wissenschaft und Forschung, die jungen Menschen und besonders jungen Frauen neue Perspektiven eröffnet haben. Ich bin sehr froh, dass wir in der letzten Legislaturperiode unter Federführung von Ursula von der Leyen das Elterngeld eingeführt haben, dass wir die Partnerkomponente haben, die wir jetzt verstärkt fördern wollen. Ich bin auch Ihnen, Frau Ministerin Köhler, dankbar, dass Sie im Ausschuss noch einmal deutlich gemacht haben, dass Ihnen diese Weiterentwicklung wichtig ist. Es muss auch jungen Vätern die Möglichkeit eröffnet werden, sich sehr stark an der Familienarbeit zu beteiligen. Der Erfolg des Elterngeldes hängt natürlich auch damit zusammen, inwieweit wir den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen unterstützen, um so eine gute Anschlussperspektive für die Zeit nach dem Elterngeldbezug zu bieten. Ich wollte das Thema heute nicht in aller Ausführlichkeit ansprechen, aber möchte noch sagen, dass wir in den nächsten Jahren sehr viel darüber debattieren müssen, wie echte Wahlfreiheit für Familien aussieht. Man kann sich über die Ausgestaltung immer im Detail streiten. Aber mir ist wichtig, dass wir dies ideologiefrei tun. Ich weiß, dass das einigen hier schwerer fällt als anderen. ({4}) - Nein, unsere Partei hat noch nie eine Ideologie gehabt. Wir haben Visionen. ({5}) Ich würde Sie bitten, einmal zu versuchen, mit etwas weniger Schaum vor dem Mund mit uns darüber zu diskutieren. Um diese Wahlfreiheit ermöglichen zu können, braucht man den Ausbau der Kinderbetreuungsplätze. Frau Dr. Köhler hat bereits angesprochen, dass der Bund sich daran mit 4 Milliarden Euro beteiligt. Das ist kein Pappenstiel, sondern wirklich viel Geld, das wir zur Verfügung stellen, weil uns der Ausbau wichtig ist. Ich weiß gar nicht, ob sich jeder den Betrag von 4 Milliarden Euro vorstellen kann. Außerdem beteiligen wir uns mit 770 Millionen Euro an den Betriebskosten. Mir ist auch der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz sehr wichtig, weil gute Familienpolitik sich für uns hauptsächlich durch Verlässlichkeit auszeichnet. Junge Paare müssen sich darauf verlassen können, einen Betreuungsplatz zu bekommen. Natürlich verstehen wir auch die Kommunen; aber das ist eine Gesamtaufgabe, an der sich Bund, Länder und Kommunen beteiligen müssen. Wenn der Bund seine Hausaufgaben macht, müssen das die anderen politischen Ebenen genauso tun. Ich sage das auch als Kreisrätin meines Landkreises. ({6}) Es gibt auch gute Beispiele wie den Freistaat Bayern. Anders als andere Länder schöpft der Freistaat Bayern die Mittel des Bundes aus und legt noch eigenes Geld drauf, um ohne Deckelung fördern zu können. Kein anderes Bundesland hat seinen Kommunen bisher so viele Mittel bewilligt. Es waren Anfang Dezember 2009 schon über 230 Millionen Euro. Nirgendwo in Deutschland geht der Ausbau so schnell voran. Wir werden es aller Voraussicht nach in Bayern schon bis Ende 2012 geschafft haben, die Quoten zu erfüllen und genügend Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen. Ich würde mir wünschen, dass andere Bundesländer, die im Gegensatz zu Bayern Mittel aus dem Länderfinanzausgleich beziehen, dem Beispiel Bayerns folgen. ({7}) Wir werden also versuchen müssen, in den nächsten Jahren klug zu agieren. Ich hätte noch viel mehr Themen, die ich ansprechen möchte. Aber nachdem ich mich auch mit unsinnigen Vorschlägen der Opposition auseinandersetzen musste, fehlt mir jetzt leider die Zeit. ({8}) - Stimmt, mein Fehler. Sie haben ja gar keine Vorschläge. ({9}) Trotzdem biete ich von Unionsseite auch den Oppositionsparteien einen konstruktiven Dialog an. ({10}) - Frau Ziegler, Sie sagen jetzt: „Lassen Sie mal!“ Ich frage mich, warum Sie sich in den Bundestag haben wählen lassen, wenn Sie keine Vorschläge machen und keine konstruktive Oppositionspolitikerin sein wollen. ({11}) Ich biete es Ihnen trotzdem an und hoffe, dass Sie noch zur Vernunft kommen. ({12}) Wenn man einmal Landesministerin war, sollte man eigentlich wissen, wie man mit Opposition umgeht. Ich freue mich auf weitere gute Verhandlungen und auf konstruktive vier Jahre Familienpolitik für die Familien in diesem Lande. Danke schön. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Caren Marks von der SPDFraktion. ({0})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Bär, ohne die Ideologie insbesondere der CSU ({0}) wären wir heute schon viel weiter beim Betreuungsplatzausbau. Das steht jedenfalls fest. ({1}) Wenn eine Partei für eine verbohrte Ideologie steht, dann ist es allen voran die CSU. Wir wären dankbar, wenn Sie auch einmal inhaltliche Vorschläge machten, jedenfalls solche, die voranbringen. ({2}) Heute wird mit einer Auftaktveranstaltung in Madrid das Europäische Jahr 2010 gegen Armut und soziale Ausgrenzung eröffnet. Von der schwarz-gelben Regierung aber werden die Armutsbekämpfung und auch der Schutz vor Armut für Familien, Senioren, Frauen und Jugendliche nicht ernst genommen; stattdessen setzt sie einseitig auf Klientelpolitik. ({3}) Aktuelle Studien zeigen, dass die Situation von Kindern und Familien hierzulande weiter verbessert werden muss. Wir dürfen uns auf dem bisher Erreichten nicht ausruhen. Das wäre fatal; denn es gibt wirklich noch viel zu tun in unserem Land. ({4}) Das Statistische Bundesamt hat Anfang dieser Woche Zahlen vorgelegt: Trotz positiver Entwicklungen liegt die Betreuungsquote für unter Dreijährige in den westdeutschen Landkreisen nur zwischen 5 und 15 Prozent. Eltern haben es im Westen immer noch schwer, einen Krippenplatz zu finden. Vereinbarkeit von Familie und Beruf - Fehlanzeige! Das gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Dort regieren CDU und FDP. ({5}) Die meisten Eltern aber wollen und müssen Familie und Beruf in Einklang bringen. Gerade für Alleinerziehende sind Betreuungsangebote unverzichtbar, damit sie eine Arbeit aufnehmen können und aus der Armutsfalle kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Marks, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schirmbeck?

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Schirmbeck.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Sie haben die Ehre, ein paar Jahre jünger zu sein als ich. Vielleicht haben Sie im Geschichtsunterricht über die Bundesrepublik Deutschland verfolgt, wer wann regiert hat.

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mir ist das bekannt.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wissen Sie, wer der einzige Bundeskanzler ist, der das Kindergeld gekürzt hat? Wissen Sie, welcher Bundeskanzler gesagt hat: „Kindergeld, Familienpolitik, das ist alles Gedöns“? Wissen Sie, wie lange in NordrheinWestfalen die SPD regiert hat und seit wann dort CDU und FDP regieren? Wissen Sie also, wer in NordrheinWestfalen und in Niedersachsen für die Missstände, die Sie ansprechen, die Verantwortung trägt?

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihre Fragen wundern mich nicht. Wir sind von der CDU und auch von der FDP gewohnt, dass sie sich weiße Füße machen und mit dem, was dort passiert, wo sie schon einige Jahre regieren, nichts zu tun haben wollen. Ich kann nur sagen: Es war Bundeskanzler Gerhard Schröder, an den ich mich gut erinnere, der das Kindergeld in einer rot-grünen Koalition deutlich erhöht hat ({0}) und die Defizite, die in den 16 Jahren unter Bundeskanzler Kohl entstanden sind, beseitigt hat. ({1}) In den letzten Jahren haben andere Bundesländer, zum Beispiel das SPD-regierte Rheinland-Pfalz, deutliche und sichtbare Erfolge in diesem Bereich erzielt, und zwar nicht nur beim Ausbau, sondern auch bezüglich Qualität und Beitragsfreiheit. Vielleicht sollten Sie sich davon einmal eine Scheibe abschneiden. Schauen Sie nicht nur die Anfänge der Geschichte an, sondern führen Sie sich auch einmal Bücher zur Zeitgeschichte zu Gemüte. ({2}) Ab 2013 gilt der von der SPD gegen den erheblichen Widerstand von CDU und CSU - Frau Fischbach, vielleicht erinnern Sie sich noch daran - in der Großen Koalition durchgesetzte Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Ich fordere die Bundesregierung auf, ihre Kräfte zu bündeln, um gemeinsam mit den Ländern und Kommunen den Betreuungsausbau schneller voranzutreiben. Das erwarten die Eltern, und das brauchen unsere Kinder. Dabei darf die Qualität der Einrichtungen nicht auf der Strecke bleiben. Bisher hat die schwarz-gelbe Koalition ihre Kräfte für die steuerliche Entlastung von Hoteliers gebündelt. ({3}) Diese Klientelpolitik ist unverantwortlich. ({4}) Mit dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschert die Regierung dem Staat Steuerausfälle in Milliardenhöhe. Bund, Ländern und Kommunen fehlt dadurch dauerhaft Geld für die soziale Infrastruktur, aber auch für die frühkindliche Bildung. Dieser Regierung sind Hotelbetten wichtiger als die Förderung von Kindern. Schwarz-Gelb lässt die Kommunen ausbluten. Viele Kommunen haben wegen Ihrer Steuerpolitik bereits höhere Gebühren angekündigt, auch höhere Kitagebühren. ({5}) Die Familien zahlen die Zeche für diese desaströse Steuerpolitik. Auch 20 Euro mehr Kindergeld pro Monat helfen da nicht weiter. Das wissen Sie; ({6}) erst recht wissen das die Familien in unserem Land. ({7}) Mit der Forderung nach einem unsinnigen Betreuungsgeld, das jährlich bis zu 1,9 Milliarden Euro verschlingen würde, setzt die neue Bundesregierung dem Ganzen wirklich die Krone auf. Dieses Geld wird dringend für den Ausbau von Krippen, Kitas und natürlich auch Ganztagsschulen gebraucht. Nach Ihrer Argumentationslogik, meine Damen und Herren von Union und FDP, müssten Sie als Nächstes eine finanzielle Zuwendung für diejenigen einführen, die keine öffentlichen Bibliotheken besuchen; denn mit dem Betreuungsgeld wollen Sie gerade die Eltern belohnen, deren Kinder sinnvolle Einrichtungen nicht nutzen. Viele Studien belegen dagegen, dass sich Kinder wesentlich besser entwickeln, wenn sie von frühkindlicher Bildung in einer Krippe profitieren. ({8}) Zahlreiche Verbände haben das Betreuungsgeld als grundsätzlich kontraproduktiv und als sozial- und gleichstellungspolitischen Rückschritt abgelehnt. Dem schließen wir uns an. ({9}) Nicht nur das Betreuungsgeld, nein, grundsätzlich lässt die konservative Gleichstellungspolitik nichts Gutes erahnen. So lässt die Frauenministerin bei der Gleichstellungspolitik die Wirtschaft machen, was sie will, und setzt unbeirrt weiter auf unverbindliche Ankündigungen. So werden Sie den nach wie vor geringen Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten nicht erhöhen, Frau Köhler. Wenn Sie bei der Wirtschaft lediglich für mehr Entgeltgleichheit werben wollen, dann ist das mehr als zu wenig. Die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern ist in den letzten Jahren sogar noch größer geworden. Es muss Schluss sein mit freiwilligen Vereinbarungen mit der Wirtschaft. ({10}) Frauen erwarten zu Recht verbindliche gesetzliche Maßnahmen und endlich gleiche Löhne für gleiche und gleichwertige Arbeit. Das ist nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit. Es ist auch Voraussetzung für eigenständige Existenzsicherung und soziale Absicherung für Frauen im Alter. Hier hilft nur ein Gesetz zur Herstellung von Entgeltgleichheit. Es ist nicht hinnehmbar, dass der Anteil von Frauen mit Niedriglohn doppelt so hoch ist wie der Anteil der Männer. Ein gesetzlicher Mindestlohn käme insbesondere Frauen zugute. Diesen lehnt Schwarz-Gelb kategorisch ab. Es ist wirklich alarmierend, dass über 63 Prozent der Minijobber sowie 80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten Frauen sind. Es wäre falsch, hier noch zusätzliche Anreize für Teilzeitarbeit und prekäre Beschäftigung zu setzen, wie von der Regierung geplant. Das Modell „die Frau als Zuverdienerin“ hat ausgedient. Andere Staaten sind hier längst weiter. Auch in Unternehmen bedarf es einer wirklichen Gleichstellungspolitik. Wir brauchen ein umfassendes Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft. Dafür werden wir als SPD weiter kämpfen; ({11}) denn im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von Union und FDP, haben wir begriffen: Wer nur auf die Freiwilligkeit der Wirtschaft setzt, wird in der Gleichstellungspolitik von Frauen auf dem Arbeitsmarkt keine Fortschritte erleben. Fakt ist: Frauen sind in der Gesellschaft nach wie vor benachteiligt. Daher muss der bestehende Diskriminierungsschutz weiterentwickelt werden. Die Verankerung einer Verbandsklage im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz würde hier helfen. Meine Damen und Herren von Union und FDP, ich appelliere an Sie: Verabschieden Sie sich von einer Politik, die Klientelinteressen bedient, ({12}) die die soziale Infrastruktur in den Kommunen aushöhlt und auf Fehlinvestitionen wie das Betreuungsgeld setzt. Familien brauchen eine solide Infrastruktur, Kinder und Familien ein gerechtes und gebührenfreies Bildungssystem und Frauen wirkungsvolle Gesetze zur Gleichstellung. ({13}) Das sind wirklich wichtige Bausteine zur Armutsbekämpfung und Armutsvermeidung. ({14}) Es reicht nicht aus, meine Damen und Herren von Union und FDP, sich mantraartig als christlich-liberale Koalition zu bezeichnen. ({15}) Ihr Handeln ist weder christlich noch liberal. Sie sind bestenfalls die neoliberale Klientelkoalition. Vielen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Nicole Bracht-Bendt von der FDP-Fraktion. ({0})

Nicole Bracht-Bendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004016, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den Medien ist immer wieder die Rede von der überalternden Gesellschaft. Demografen und Ökonomen warnen seit Jahren vor den Folgen dieser Entwicklung. Ich bin froh, dass sich jetzt im Gegenzug immer mehr Pragmatiker zu Wort melden, die die demografische Entwicklung nicht so negativ bewerten. Genau hier müssen wir in der Seniorenpolitik anknüpfen. Ältere Menschen dürfen nicht zwangsweise aufs Abstellgleis gestellt werden. Die Alterung unserer Gesellschaft nur als Gefährdung unserer Sozialsysteme zu sehen, ist dumm und kurzsichtig. ({0}) Die Alterung unserer Gesellschaft als Herausforderung zu sehen, um aus einem unermesslichen Erfahrungsschatz eine moderne und menschliche Gesellschaft zu formen, stellt eine Chance für uns alle dar, auch für uns Politiker. Die FDP-Bundestagsfraktion drängt darauf, dass der Sechste Altenbericht „Altersbilder in der Gesellschaft“ zeitnah fertiggestellt wird. Die Ergebnisse müssen dann schnell umgesetzt werden. Diskriminierende Altersgrenzen müssen abgeschafft werden. Nicht nur Ärzte, Manager und Handwerksmeister empfinden die zwangsweise Versetzung in den Ruhestand als Strafe. Nach einer Forsa-Umfrage wünscht sich ein Viertel der Menschen zwischen 60 und 80 Jahren einen bezahlten Job. 14 Prozent haben einen, und deren Anteil wächst. Aber auch dem Ehrenamt müssen wir mehr Bedeutung schenken. Die Frage, wie wir ältere Menschen länger in Gesellschaft und Arbeitsleben einbinden können, wird und muss für uns ein zentrales Thema sein. ({1}) Wir werden uns aber auch verstärkt um die Pflegebedürftigen kümmern müssen. Nicht nur Eltern kleiner Kinder brauchen Unterstützung beim Spagat zwischen Familie und Beruf. Auch Frauen und Männer, die zu Hause ihre alten Eltern pflegen, brauchen Hilfe. Damit Familien Erwerbstätigkeit und Pflege von Angehörigen besser in Einklang bringen können, wollen wir mit der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst unbürokratische Lösungen entwickeln. Stichworte sind hier die Änderung des Sozialgesetzbuchs mit Blick auf Teilpflegezeit, die Prüfung flexibler Entgeltmodelle und neue Arbeitszeitmodelle. Das ist dann „Zeit für Verantwortung“. Als seniorenpolitische Sprecherin meiner Fraktion setze ich mich auch für eine bessere Pflege und Betreuung in Heimen ein. Durch meine ehrenamtliche Tätigkeit im Heimbeirat eines Seniorenwohnheims in Hannover und durch meine jahrelange Erfahrung in der Betreuung Demenzkranker weiß ich nur zu gut, dass es bei der Altenpflege um mehr gehen muss als um „satt und sauber“. ({2}) Unsere Aufgabe muss es aber auch sein, die Lebensqualität derer zu verbessern, die nicht im Heim leben. Viele Alte möchten auch im hohen Alter in ihrer vertrauten Umgebung bleiben. Deshalb wird sich die FDP-Fraktion dafür einsetzen, dass die Bedingungen für ein selbstbestimmtes und barrierefreies Wohnen verbessert werden. Meine Damen und Herren, im Einzelplan 17 ist auch die Gleichstellungspolitik angesiedelt. Die Ziele der FDP-Fraktion sind klar im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Erstens: Der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst soll erhöht werden. Dazu wird ein Stufenplan festgelegt. Zweitens: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Es ist mit nichts zu rechtfertigen, dass Frauen bei der Entlohnung ihrer Arbeit immer noch schlechter gestellt sind als Männer. ({3}) Lassen Sie mich zum Schluss noch auf eines hinweisen: Sowohl in der Seniorenpolitik als auch in der Frauenpolitik reicht Geld allein nicht aus, um ans Ziel zu kommen. Bei beiden Themen ist auch ein Bewusstseinswandel in den Köpfen unerlässlich. Jedem, der Altenpolitik macht, muss klar sein, dass sich das Leben ab 60 nicht nur um Windeln und Lätzchen dreht, und in der Frauenpolitik müssen wir endlich wegkommen von überholten Rollenklischees. Ein Beispiel: Solange grundsätzlich nur ich gefragt werde, aber nie mein Mann, wie ich Beruf und Familie unter einen Hut bekomme, ist Gleichberechtigung auch am Anfang des neuen Jahrzehnts leider immer noch ein unerledigtes Thema. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Liebe Kollegin Bracht-Bendt, auch Ihnen gratuliere ich im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({0}) Das Wort hat die Kollegin Diana Golze von der Fraktion Die Linke. ({1})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesfamilienministerin, Sie haben am Montag im Familienausschuss die Schwerpunkte Ihres Ministeriums und Ihrer zukünftigen Arbeit vorgestellt. Sie haben uns dargelegt, dass Ihr Haus für Sie mehr sei als nur ein Ministerium für Familien. Sie sagten, es sei das Ministerium für Gesellschaftspolitik. Außerdem haben Sie gesagt, dass Sie, um Ihren Anspruch zu erfüllen, von zwei Prämissen ausgehen: faire Chancen für alle und Zeit für Verantwortung. Ich habe mir den Einzelplan dieses Ressorts im Bundeshaushalt 2010 deshalb einmal unter diesen Prämissen angeschaut. Er spricht eine deutliche Sprache bezüglich der Gesellschaftspolitik, die Sie meinen, und zeigt, für welche Menschen Sie Politik machen und vor allem, für welche nicht. Beginnen wir beim Elterngeld. Das Elterngeld ist nach wie vor zu begrüßen, weil es die Situation von Familien verbessert, zumindest der Familien, in denen Eltern ein mittleres oder höheres Einkommen haben, und weil die Einführung der Partnermonate zumindest dazu beiträgt, dass die Rollenverteilung überdacht wird und die Erziehungsarbeit gerechter aufgeteilt wird. Aber allein die Einsparungen in Höhe von 20 Millionen Euro durch das allmähliche Auslaufen des Erziehungsgeldes machen deutlich, auf wessen Kosten diese Verbesserungen gehen. Wir haben schon bei der Einführung des Gesetzes kritisiert, dass gerade die Eltern mit keinem oder einem sehr geringen Einkommen schlechter gestellt werden. Sie sind die Verlierer beim Elterngeld. Sie bekommen nur noch 300 Euro über zwölf Monate. Das ist genau die Hälfte der Leistung, die sie früher durch das Erziehungsgeld bekommen haben. Wenn Sie also faire Chancen für alle Eltern wollen, sollten Verbesserungen gerade für diese Familien angestrebt werden. ({0}) In den Ankündigungen Ihres Hauses zum Elterngeld habe ich diese Aussage leider vermisst. Wir werden dazu deshalb als Fraktion einen Vorschlag zur finanziellen Ausgestaltung eines sozial gerechten Elterngeldes machen. Für die Zeit nach dem Elterngeld schaffen Sie dagegen in unnachahmlicher Weise eine traurige Gleichheit für alle Familien, denn die Suche nach einem Kitaplatz wird bis 2013 und auch danach in vielen Regionen des Landes ein regelrechtes Lotteriespiel sein. Es wird nur wenige strahlende Gewinner geben. Der Ausbau verläuft nach wie vor zu schleppend. Das Ziel, für ein Drittel der Kinder einen Platz zu schaffen, ist viel zu niedrig angesetzt. Der Bund schiebt den Schwarzen Peter aber den Ländern und Kommunen zu. Denn dort werden die Eltern von ein- und zweijährigen Kindern 2013 an die Türen klopfen und nicht beim schönen neuen Familienministerium. Die Kommunen werden dann erklären müssen, warum sie - wenn überhaupt - nur für ein Drittel und nicht für mehr Kinder Plätze vorhalten. ({1}) Mit dem zu niedrig angesetzten Sondervermögen, das für den Kitaausbau geschaffen wurde, und mit der konsequenten Handlungsverweigerung, was die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher betrifft, hat sich der Bund sträflichst aus der Verantwortung gezogen. ({2}) Kommunen und Länder werden das aus eigener Kraft nicht leisten können. Ich bin selbst Mitglied in zwei kommunalen Vertretungen und weiß, was von den vielen hier versprochenen Entlastungen bei den Kommunen tatsächlich ankommt, nämlich nichts. Die Finanzpolitik der Regierung, aber auch die Ihres Ministeriums, Frau Köhler, trägt nicht zu einer Entschärfung der Situation bei. Statt den Bundesanteil am Sondervermögen aufzustocken, betreiben Sie eine Wünschdir-was-Politik für Besserverdienende und große Unternehmen, und die Kommunen werden in den Ruin getrieben. Eine Politik, die sich, wie Sie, Frau Köhler, es bezeichnen, um die Kräfte kümmert, die die Gesellschaft zusammenhalten, sieht für mich anders aus. Dass Ihnen zum Thema Kinderarmut in Deutschland nur die zaghafte Ausweitung der Zahl der Kinderzuschlagsberechtigten einfällt, spricht schon Bände. Auch Ihre Vorgängerin, Frau von der Leyen, hat versucht, halbseidene Reförmchen durchzuführen, um den Kinderzuschlag zu verbessern. ({3}) Das ist nicht angekommen. Lesen Sie die Stellungnahmen dazu. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages und der Bundesrechnungshof sind wahrlich keine linken Institutionen. Schauen Sie sich an, wie viel wirklich bei den Betroffenen ankommt. Schauen Sie sich an, dass gerade Kindern von Alleinerziehenden, die das höchste Armutsrisiko in Deutschland tragen, der Kinderzuschlag nicht hilft, sie aus dem Armutsrisiko herauszuholen. Und dann schauen Sie sich an, was das Bundesfamilienministerium zur Verbesserung plant, nämlich eine Wahloption gegenüber dem Arbeitslosengeld II. Das führt dazu, dass die Familien, die sich vor der Unterdrückungs- und Erpressungsmaschinerie der Argen retten wollen, wählen können, dass sie lieber unter der Deckung ihres Bedarfs bleiben, indem sie den Kinderzuschlag wählen. Dafür können sie dann aber immer noch nicht ihren Bedarf und schon gar nicht den ihrer Kinder decken und kommen nicht über die Armutsschwelle. Das kann es wohl nicht sein, und das werden wir nicht durchgehen lassen. ({4}) Meine Damen und Herren, ich denke, Ziel der Politik eines Familienministeriums sollte eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft und das Miteinander der Generationen sein. Wenn ich mir den Einzelplan 17 anschaue, dann muss ich allerdings sagen, dass ich andere Vorstellungen von Gesellschaftspolitik habe. Es ist nämlich nicht der Haushalt eines Ministeriums für Gesellschaftspolitik, sondern eines Ministeriums für Besserverdienende. Faire Chancen für alle sehen anders aus, Frau Köhler. Es ist Zeit für Verantwortung, auch für Sie. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Erwin Rüddel hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die christlich-liberale Koalition wird die Familienpolitik konsequent fortentwickeln. ({0}) Wir wissen die Familienpolitik bei der neuen Bundesministerin in guten Händen und werden sie in ihrer Arbeit nach Kräften unterstützen; denn wir sind mit ihr der Auffassung, dass es sich hier um ein Politikfeld handelt, das weit über die engeren Grenzen der Familien hinausreicht und sich nachhaltig auf Wirtschafts- und Arbeitsleben, den Bildungsbereich, die Integrationspolitik, die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt auswirkt. Deutschland wird älter, es wird internationaler, aber es wird auch kleiner, und das, obwohl Jahr für Jahr noch immer viele Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen, um bei uns zu leben. Ein Land mit immer weniger Kindern ist aber ein Land mit immer weniger Zukunft. Deshalb fördern wir die Familien. Dabei orientieren wir uns an den Lebensrealitäten, den modernen Lebensentwürfen von Männern und Frauen und an den Bedürfnissen der Kinder. Wir wollen, dass die Menschen in unserem Land alle Chancen auf ein erfülltes Familienleben und gleichzeitig auf beruflichen Erfolg haben. ({1}) Chancengleichheit für Frauen und Männer, Zusammenhalt der Generationen, Austausch von Erfahrungen und bürgerschaftliches Engagement machen eine lebendige Zivilgesellschaft aus. Noch nie sind so viele Menschen so alt geworden wie heute. Noch nie waren sie dabei so gesund und so gut ausgebildet. Unsere Volkswirtschaft, aber genauso unsere Gesellschaft insgesamt, braucht ihr Wissen und ihre Erfahrung. Mit dem Verschwinden der Großfamilie, mit der Auflösung traditioneller sozialer Netze in der Gemeinde oder in der Nachbarschaft ist etwas, was früher selbstverständlich war, vielfach verloren gegangen, und zwar die gegenseitige Hilfe und die Weitergabe von Erfahrungen zwischen Alt und Jung. Dem begegnen wir mit der Errichtung der Mehrgenerationenhäuser. Inzwischen gibt es in Deutschland 500 von ihnen. Damit die älter werdende Gesellschaft zu einer Chance für jeden Einzelnen und für unser Land wird, hat die Bundesregierung ferner die Initiative „Alter schafft Neues“ ins Leben gerufen. ({2}) Menschen aller Altersgruppen, insbesondere aber die Älteren, sollen sich nach eigener Wahl für das Gemeinwohl engagieren können. Das Programm wird Schritt für Schritt bundesweit etabliert und von der Bundesregierung in vielfältiger Weise finanziell unterstützt. Das Programm „Aktiv im Alter“ zielt vor allem auf die Kommunen. Die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger sollen hier verstärkt mitgestalten und mitentscheiden und sich für ihr örtliches Gemeinweisen engagieren. Schließlich verknüpft die Initiative „Wirtschaftsfaktor Alter“ Senioren-, Wirtschafts- und Verbraucherpolitik miteinander. Bessere Dienstleistungen und Produkte steigern die Lebensqualität älterer Menschen und stärken sie als Verbraucher. Ältere Menschen müssen sich auf die Solidarität der Gesellschaft verlassen können. Sie alle haben Anspruch auf ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben. Deshalb werden wir in den kommenden Jahrzehnten auch neue und innovative Wohnformen und Betreuungsangebote benötigen, die älteren und behinderten Menschen gerecht werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt zudem der Qualitätssicherung beim ambulanten Betrieb betreuter Wohngemeinschaften, vor allem für Menschen mit Demenz. ({3}) Alter bedeutet nicht nur bürgerschaftliches Engagement, neue Aktivität und Mobilität, Hilfestellung für die Enkel oder Reisen in Länder, die während des Berufslebens unerreichbar waren. Alter bedeutet auch Leid und Krankheit, Hilfe und Pflegebedürftigkeit. Schicksalsschläge wie Demenz treffen nicht nur die Kranken, sondern ebenso die unmittelbaren Angehörigen, die sehr oft zeitgleich pflegende und berufstätige Angehörige sind. Wir wollen darüber nachdenken, wie wir die vielversprechenden Ansätze aus den Bereichen Kindererziehung, Familie und Beruf auf dieses Problemfeld übertragen können. In den letzten Jahren ist viel geschehen, um Familie und Beruf besser miteinander zu verbinden. Es wurde mehr Familienfreundlichkeit in die deutsche Wirtschaft gebracht und ein Unternehmensnetzwerk geschaffen, in dem Erfahrungen gegenseitig ausgetauscht werden, die zu familiengerechten Arbeitsbedingungen führen. Die Bundesregierung setzt mit ihrem Förderprogramm auch hier ganz gezielt Anreize für kleinere und mittlere Unternehmen, um zusätzliche Betreuungsplätze für die Kinder ihrer Beschäftigten einzurichten. Aber vergessen wir darüber nicht: Das Thema Arbeit und Pflege ist nicht weniger wichtig als das Thema Familie und Beruf. Längst nicht alle Menschen haben Kinder, aber alle haben Eltern und andere nahe Angehörige. Wir wissen, dass die Zahl pflegebedürftiger Menschen in den kommenden Jahren weiter steigen wird. Schon heute werden über zwei Drittel der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt. All diese pflegebedürftigen Menschen haben einen Anspruch auf menschenwürdige und fachgerechte Pflege und qualifiziertes Personal genauso wie auf die Unterstützung der pflegenden Angehörigen. ({4}) Die Vereinbarkeit von Pflege der Angehörigen einerseits mit Familie und Beruf andererseits wird deshalb ein zentrales Thema christlich-liberaler Politik sein, um künftig die Lebensqualität pflegebedürftiger älterer Menschen und ihrer nächsten Angehörigen zu sichern. Es gibt vieles, woran sich in diesem Kontext denken lässt: flexible Arbeitszeiten, mobiles Arbeiten, gezielte Beratung und ein niederschwelliges Angebot von familiennahen, unterstützenden Maßnahmen. Wir begrüßen deshalb nachdrücklich, dass sich die Frau Ministerin sehr deutlich dazu bekannt hat, die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu verbessern. Denn wie gesagt: Das Problem ist vorhanden; es wird in den nächsten Jahren drängender werden. Je eher wir hier tätig werden und im Sinne der Betroffenen zu einvernehmlichen Lösungen kommen, auch unter Einbindung von Unternehmen und Gewerkschaften, desto besser. Wir werden dieses Anliegen in dieser Legislaturperiode voranbringen. Ich lade alle dazu ein, konstruktiv daran mitzuarbeiten. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Rüddel, das war Ihre erste Rede hier im Hohen Hause. Dazu gratulieren wir Ihnen herzlich und wünschen für Ihre Zukunft und Ihre Arbeit hier alles Gute. ({0}) Jetzt hat Rolf Schwanitz das Wort für die SPD-Fraktion. ({1})

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bundesministerin Dr. Köhler, ich will Ihnen auch von meiner Seite herzlich gratulieren und Ihnen einen guten Start im neuen Amt und Erfolg in der Amtsführung wünschen. Ich denke, das darf man auch aus der Opposition heraus sagen; denn die vielen Tausend Menschen im Land, die auf eine gute Arbeit Ihres Ministeriums angewiesen sind, setzen auf Ihren Erfolg. Ich denke, deswegen gehört das an den Anfang einer solchen Rede. Frau Ministerin, Sie haben am Anfang Ihrer Einbringungsrede darauf hingewiesen, dass der Einzelplan 17 im Entwurf zum Haushalt 2010 ein Ausgabenvolumen von insgesamt 6,56 Milliarden Euro beinhaltet. Das ist richtig. Anschließend haben Sie sich selbst dafür gelobt, dass das 170 Millionen Euro mehr sind, als im Haushalt 2009 im Einzelplan 17 zur Verfügung standen. Ich denke, Sie haben Verständnis dafür, dass ich diesem Lob nicht folgen kann. Zum Ersten wäre es eigentlich redlich gewesen, darauf hinzuweisen, dass von dieser Summe ein Betrag in Höhe von 64 Millionen Euro schon aus dem ersten Entwurf zum Haushalt 2010 stammt, den der damalige Finanzminister Peer Steinbrück aufgestellt hat, dieser jetzt quasi mit verbucht worden ist. Zum Zweiten, meine Damen und Herren - zwar haben andere das hier schon gesagt, aber ich erspare Ihnen das dennoch nicht -, gehört dazu natürlich auch der Blick darauf, was Sie an anderer Stelle tun. Wir haben gestern und auch heute noch einmal sehr intensiv in Erinnerung gebracht, welche Geschenke Sie der Hotellerie machen, verbunden mit einem gesamtstaatlichen Ausfall von rund 1 Milliarde Euro Steuergeld. Das sind allein beim Bund 500 Millionen Euro, die weniger zur Verfügung stehen. Das ist in etwa dreieinhalb Mal so viel wie der gesamte Etat für den Kinder- und Jugendplan im Einzelplan 17. Das muss man noch einmal in Relation setzen, damit die Menschen verstehen, was hier eigentlich passiert, wenn solche Geschenke mit der Gießkanne in der Landschaft verteilt werden. ({0}) Ich will mich beim Einzelplan 17 auf zwei Fragen konzentrieren. Zunächst will ich ein paar Bemerkungen zu den Anti-Extremismus-Programmen machen. Die Koalition hat im Koalitionsvertrag angekündigt, dass künftig aus den Programmen, vor allen Dingen aus dem Programm „Vielfalt tut gut. - Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“, auch Projekte gefördert werden, die sich mit Tendenzen des Linksextremismus und des Islamismus auseinandersetzen. ({1}) Es ist so, Frau Ministerin, dass Sie sich seit 2006, also vor dem Antritt Ihres neuen Amtes, in den Medien - ich habe noch einmal nachgeschaut - intensiv zu dieser Frage geäußert haben. Da ist zu lesen, dass Sie sagen, es gebe bei den Projekten gegen Rechtsextremismus ein riesiges Sparpotenzial. Da ist zu lesen, dass Sie sagen, man müsse dort umschichten, und es ist in Welt Online zu lesen - ich will das hier einmal zitieren -: Beide Phänomene - damit meinen Sie den Linksextremismus und den Islamismus sind etwa gleich groß und gleich gefährlich. Dies sollte auch bei der Verteilung der Mittel berücksichtigt werden. ({2}) Ich persönlich habe mir noch keine abschließende Meinung gebildet, ob das wirklich Ihre Meinung ist, Frau Ministerin, oder ob es dabei nicht auch darum geht, ein paar Signale an die rechtskonservativen Teile der Gesellschaft auszusenden, was für mich schlimmer wäre. ({3}) Ich rate Ihnen: Räumen Sie das weg. ({4}) Sie stehen am Anfang Ihrer Amtsführung, Sie haben jetzt noch die Chance dazu. Räumen Sie das weg. Meines Erachtens würde dies Ihre Tätigkeit in den nächsten Jahren wesentlich erleichtern. ({5}) - Das ist kein vergifteter Rat, sondern ein ernst gemeinter Rat; ({6}) denn ich glaube, man darf die Amtsführung bei einem solch wichtigen Thema nicht mit solchen ideologisch geprägten Aussagen beschweren. ({7}) Sie haben weiterhin in dieser Woche erklärt und es in Ihrer Rede hier wiederholt, dass da nicht gekürzt werden soll, sondern 2 Millionen Euro zusätzlich aus nicht genutzten Mitteln des Haushalts 2009 für dieses Präventionsprogramm und die einzelnen Projekte hinzukommen sollen. ({8}) Ich will festhalten: Eine inhaltliche Korrektur der eben von mir zitierten Aussagen ist dies nicht. Aber ich will auch ausdrücklich sagen: Wir werden bei den Haushaltsberatungen, ebenso bei den Berichterstattergesprächen und auch im Ausschuss ganz intensiv nachfragen, woher diese zwei Millionen Euro kommen; ({9}) denn das ist eine nicht unbedeutende Frage. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, nicht nur für uns Sozialdemokraten, sondern auch für viele Beteiligte, die in den Regionen ({10}) schwer unter rechtsextremistischen Tendenzen und Umtrieben leiden. Es ist entscheidend, dass die Projekte gegen Rechtsextremismus durch diese Veränderungen keine Kürzung erfahren. ({11}) Dabei ist es meiner Meinung nach egal, ob das eine direkte oder eine indirekte Kürzung ist, etwa bedingt durch in der Vergangenheit nicht verausgabte Mittel. Das werden wir klären. Dafür haben wir in den Berichterstattergesprächen Zeit. ({12}) Deutschland braucht nach meiner festen Überzeugung eine auf Dauer angelegte Auseinandersetzung gegen den Rechtsextremismus. Darum geht es. Wir brauchen eine Stärkung der Kultur. Deswegen ist das ein ganz sensibler Punkt. ({13}) Ihre Amtsvorgängerin hat sehr intensiv Öffentlichkeitsarbeit betrieben. ({14}) Ich glaube, sie ist bei fast allen Einweihungen von Mehrgenerationenhäusern vor Ort gewesen. ({15}) Ich erinnere mich aber nicht daran, sie bei einem einzigen Projekt gegen Rechtsextremismus gesehen zu haben. Frau Minister, ich würde mir wünschen, dass Sie sich mehr darum kümmern. Das wäre ein wichtiges Signal für die Menschen vor Ort, die sich in Initiativen stark machen und damit anderen Bürgern Mut beweisen, der nur bewundert werden kann und der zu unterstützen ist. Ich will ein zweites Thema ansprechen - vielleicht eines der schwierigsten im Einzelplan 17 -, und zwar den Zivildienst. ({16}) Zunächst einmal stelle ich fest: Wir müssen in den Haushaltsberatungen intensiv darüber reden, ob der jetzt etatisierte Titel tatsächlich das abbildet, was im Dritten Zivildienständerungsgesetz geregelt worden ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schwanitz, Sie müssen bitte zum Ende kommen. ({0})

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir werden das auf den Prüfstand stellen. Sie haben heute angekündigt, dass zum 1. Januar 2011 die Dienstzeitverkürzung kommt. Ich kann bei den Haushaltsansätzen keinerlei Vorbereitung hierfür sehen. Deswegen wird auch das ein Schwerpunkt der Diskussionen und Auseinandersetzungen in den nächsten Wochen sein. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Miriam Gruß hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde, in der letzten Legislaturperiode war die Opposition besser. Ich höre Frau Ziegler von der SPD über ein Thema reden, wovon sie keine Ahnung hat, weil sie nicht im Ausschuss war und die Aufgabenplanung nicht mitbekommen hat. ({0}) Frau Marks spricht wieder einmal nicht frei, sondern liest lediglich ihre ideologischen Ausführungen, die sie seit Jahren wiederholt, ab. ({1}) Zu 50 Prozent der Linken kann ich nur sagen: Thema verfehlt, Note 6, bitte setzen. ({2}) Der Kollege von den Grünen hat heute Glück, weil er seine erste Rede gehalten hat. Ich muss sagen - Sie werden mir sicherlich zustimmen -: Die FDP war in den letzten vier Jahren besser. ({3}) Auch wir haben schließlich nachgedacht, Frau Ziegler, was besser gemacht werden kann, und haben konstruktive Vorschläge eingebracht. Da Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, wieder einmal reflexartig reagieren und behaupten, uns seien Hotels wichtiger als Kinder, ({4}) will ich Ihnen in Erinnerung rufen, dass Ihnen Autos wichtiger waren als Kinder. Ich sage nur: 100 Euro Kinderbonus, aber ungefähr 5 Milliarden Euro Abwrackprämie. ({5}) Sie haben ebenso von der Automobilindustrie Spenden bekommen. Aber wir wollen das gar nicht thematisieren, weil es unanständig ist, solche Dinge anzuführen, wenn es um wichtige Zukunftsthemen wie Kinder geht. Jetzt seien Sie doch einfach mal still und hören mir zu. Sie haben nicht nur elf Jahre lang geredet, sondern auch elf Jahre lang regiert. Sie haben nicht das Richtige gemacht, sonst würden Sie die Defizite, die Sie heute anmahnen, nicht anmahnen müssen. Wenn Sie alles richtig gemacht hätten, dann bräuchten wir heute nicht mehr daran zu arbeiten. ({6}) Die FDP hat konstruktive Vorschläge eingebracht. Sie finden auch Gehör. Darum richte ich ein herzliches Dankeschön an das Ministerium. Ihnen, liebe Ministerin, wünsche ich ein gutes Händchen und viel Erfolg für die Arbeit. Wir werden Sie konstruktiv unterstützen. Vereinbarkeit von Beruf und Familie steht nach wie vor ganz oben auf der Agenda. Flexibilisierung ist hier das große Stichwort; denn wir wollen lebensnah an den Familien dran sein. Ich weiß aus der Vorhabenplanung, dass das Ministerium und die Koalitionsfraktionen den richtigen, den lebensnahen Weg gehen werden. ({7}) Beim Ausbau der Kinderbetreuung kann ich nur bestätigen, was die Kolleginnen und Kollegen gesagt haben: Wir dürfen uns keinen Sand in die Augen streuen lassen. Die Vertreter der Kommunen saßen mit am Tisch. Das Jahr 2013 kommt nicht überraschend. Ich höre immer wieder, für Kinder sei kein Geld vorhanden, aber ich höre nicht, dass für andere Prioritätensetzungen kein Geld vorhanden ist. Zu viele Sportstätten, zu viele Prestigeobjekte werden von den Kommunen gebaut, obwohl angeblich Geld in der Kasse fehlt. Wir setzen uns in den Kommunen und in den Ländern, in denen wir regieren, dafür ein, dass in die Zukunft investiert wird. Wir halten unser Versprechen. ({8}) Beim Kinderschutzgesetz war uns - jetzt sind Sie bitte wieder ganz still, weil Ihnen das auch wichtig war das Thema Prävention sehr wichtig. Prävention und Intervention - auch das wird kommen. Wir werden eine eigenständige Jugendpolitik haben. Der Kollege Gehring ist jetzt leider nicht da; der hat vorhin ganz laut geschrien. Das müsste eigentlich auch ihm gefallen. Wir werden eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik betreiben. Auch damit sind wir nahe dran an der gesellschaftlichen Realität. Wir wollen für Männer, die auch für ihre Kinder da sein wollen, Freiräume schaffen, weil auch sie sich kümmern wollen. Wir müssen den Blickwinkel erweitern ({9}) und den Blick nicht immer nur auf Frauen richten. Wir werden unseren Blick nach wie vor auf die Frauen richten, aber auch auf Jungs, die nachgewiesenermaßen die Bildungsverlierer von heute sind. ({10}) - Liebe Ekin, du hast ja auch einen Sohn. Ich glaube, wir werden uns da thematisch irgendwann annähern. ({11}) - Frau Marks, Sie brauchen Blätter, um überhaupt reden zu können. Von daher müssten Sie eigentlich ganz still sein. ({12}) Ich kann den Rest der Debatte auch ganz frei sprechen. ({13}) Das können Sie nicht, Frau Marks. ({14}) Für uns ist es ein ganz wichtiger Punkt, dass wir die familienpolitischen Leistungen evaluieren und zielgerichtet bewerten. Auch das haben Sie nur gefordert, in den letzten vier Jahren aber nichts gemacht. Zum Thema Wachstumsbeschleunigungsgesetz und zum Vorwurf, wir würden nichts für die Familien tun. Was haben Sie gemacht? Sie haben erst einmal den Familien das Geld weggenommen. Mein Sohn ist fünf Jahre alt. Er hat eines schon verstanden: Wenn man ihm etwas wegnimmt und dann so tut, als würde man es ihm schenken, dann sagt er zu mir: Mama, das brauchst du mir nicht zu schenken; das gehört sowieso mir. So gehen Sie mit den Steuergeldern um. Sie nehmen das Geld erst weg und tun dann so, als würden Sie es verschenken. Wir lassen das Geld in den Taschen der Familien und vertrauen darauf, dass die Familien wissen, was sie damit zu tun haben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Gruß, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frei gesprochen. Frau Marks, das nächste Mal bitte von Ihnen. Danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Andreas Mattfeldt hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kinder sind unsere besten Richter. Dieser Ausspruch von Otto von Bismarck ist auch heute noch der Maßstab für die Familienpolitik der Union. ({0}) Wir müssen Familien unterstützen, die Kinder schützen und den sozialen Zusammenhalt der Generationen ausbauen und festigen. Familie muss wieder das Erfolgsmodell der Gesellschaft werden. Die Familie ist ein festes Fundament für Kinder und bietet Halt und Orientierung. ({1}) Im Gegensatz zu vielen in diesem Hause sprechen wir in der Union nicht nur davon, etwas für Familien zu tun, sondern wir setzen unsere Worte auch in Taten um. Als ehemaliger Bürgermeister einer 15 000-Einwohner-Gemeinde war ich für sechs Kindertagesstätten verantwortlich. Ich kann Ihnen sagen: Ich war beeindruckt, mit welch einer Hartnäckigkeit unter Führung der Union der Krippenausbau durchgesetzt und vor allem auch massiv unterstützt wurde. ({2}) Deshalb dürfen wir mit Stolz sagen: Wir blicken auf eine äußerst fortschrittliche Familienpolitik in den letzten vier Jahren zurück. Familienpolitik ist das Schwerpunktthema der Union. Wir werden die Rahmenbedingungen für Familien weiter verbessern. Frau Golze, wir brauchen von Ihrer Seite nun wirklich keinen Nachhilfeunterricht; denn dort, wo Sie regieren, nämlich hier, in Berlin, ist die Kinderarmut am größten. Politik unter Ihrer Führung bedeutet Armut für Kinder. Das ist mit uns mit Sicherheit nicht zu machen. ({3}) Die Menschen im Land haben es anscheinend auch verstanden. Einer Allensbach-Umfrage zufolge sind 50 Prozent der Befragten der Meinung, dass unsere Familienpolitik der letzten Jahre die Bedingungen für Familien verbessert hat. Dies zeigt sich beeindruckend an der Entwicklung im Einzelplan 17. Der Einzelplan 17 hat sich von 2001 bis zum heutigen Entwurf um 19 Prozent erhöht. Das ist eine stolze Leistung. ({4}) Gerade die Erfolge in der Familienpolitik sind für uns Ansporn, diesen Weg konsequent fortzuführen und auszubauen. Wir müssen Familien weiterhin wirksam unterstützen, egal ob Alleinerziehende oder Großfamilien. Denn für uns in der Union sind Familien die Zukunftsträger unserer Gesellschaft. Deshalb haben wir zum 1. Januar dieses Jahres das Kindergeld und den Kinderfreibetrag erhöht. Wir entlasten Familien damit um einen erheblichen Betrag aus dem Bundeshaushalt. ({5}) Zur Stärkung der Familien trägt auch das Elterngeld bei. Hier wurde der Haushaltsansatz erhöht, und zwar auf 4,48 Milliarden Euro. Das sind 80 Millionen Euro mehr als im letzten Jahr. Diese Entwicklung zeigt die positive Akzeptanz des Elterngeldes. Der Anstieg ist auf die verstärkte Inanspruchnahme der Vätermonate zurückzuführen. Die Zahl der Väter, die ihre Kinder in den ersten Lebensmonaten betreuen wollen, ist stetig gestiegen. Mit dem Elterngeld haben wir in der Union die Rahmenbedingungen geschaffen, dass sich beide Elternteile in den so wichtigen ersten Lebensmonaten gemeinsam um ihr Kind kümmern können. Eine erheblich stärkere, vor allem aber auch emotional bessere Bindung zwischen Vater und Kind ist das positive Ergebnis. ({6}) Der Erfolg des Elterngeldes hat uns gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Deshalb bin ich der Ministerin sehr dankbar, dass sie dieses Erfolgsmodell in den kommenden Jahren ausbauen möchte. Auch wenn wir Haushälter sehr sparsam sind, halte ich es für erforderlich, das Teilelterngeld einzuführen. Eltern, die bewusst zum Wohle ihres Kindes Teilzeit arbeiten, sollen zukünftig nicht mehr dadurch bestraft werden, dass bei gleichzeitiger Inanspruchnahme ein doppelter Anspruchsverbrauch angerechnet wird. Damit wollen wir Eltern in ihrem Kinderwunsch mehr unterstützen. Die Eltern können dann eine Zeit lang weniger arbeiten und müssen nicht ganz aus dem Berufsleben aussteigen. Das kann gerade in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten sehr sinnvoll sein. Ein weiterer Ausblick gilt dem Jahr 2013. Wir werden die Zeit bis dahin sorgfältig nutzen und intensiv beraten, damit Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen und erziehen möchten, Anerkennung erfahren. Es ist für mich unerträglich, wie in diesem Haus das Betreuungsgeld als Herdprämie verunglimpft wird. ({7}) Wir sind uns doch wohl einig, dass die große Mehrheit der Eltern ihrem Erziehungsauftrag gerecht wird. Die Eltern leisten in der breiten Mehrheit eine ausgezeichnete Arbeit zum Wohle ihrer Kinder. ({8}) Es ist einfach nur unwürdig, wie Sie alle verantwortungsvollen Eltern hier unter Generalverdacht stellen und suggerieren, als würde das Betreuungsgeld nur verprasst werden. ({9}) Die Kindererziehung in den ersten Jahren durch Mütter und Väter verdient genauso Anerkennung wie die Arbeit unserer Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten. Es geht um Anerkennung. ({10}) Die Herkulesaufgabe in den kommenden Jahren wird bei der Arbeit im Seniorenbereich liegen. In 20 Jahren wird jeder dritte Bundesbürger älter als 60 Jahre sein. Dieser Herausforderung müssen wir uns mit pragmatischen Lösungen stellen. Unsere vorrangige Aufgabe wird es sein, diejenigen, die hilfe- und pflegebedürftig sind, zu unterstützen. Sie haben Anspruch auf eine menschenwürdige Pflege im Alter. Hierfür benötigen wir nicht nur qualifiziertes Fachpersonal, sondern es bedarf auch der Unterstützung der pflegenden Angehörigen. Das haben Sie richtig gesehen, Frau Ministerin. ({11}) Die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Pflege, Beruf und Familie müssen verbessert werden. ({12}) Meine Damen und Herren, bei all diesen Zielen dürfen wir aber nicht vergessen, dass wir schon im kommenden Jahr deutlichere Anstrengungen unternehmen müssen, die Schuldenbremse einzuhalten. Wie eingangs gesagt, die Kinder sind unsere Richter. Das bedeutet, wir müssen noch verantwortungsbewusster im Sinne nachfolgender Generationen mit unserem Geld haushalten. Natürlich muss an gesetzlich zugesagten Familienleistungen festgehalten werden. Wir alle sind uns, wie ich hoffe, genauso einig, dass wir in der Verantwortung stehen, sämtliche Ausgaben auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Auch dies wird eine große Aufgabe. Hier müssen wir ansetzen. Wir tun es für unsere Kinder; dessen müssen wir uns immer bewusst sein. Strengen wir uns also gemeinsam an! Herzlichen Dank. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Mattfeldt, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Dazu gratulieren wir Ihnen recht herzlich und wünschen viel Erfolg bei der Arbeit! ({0}) Zu diesem Einzelplan liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16. Ich gebe das Wort dem Bundesminister Dr. Norbert Röttgen. ({1})

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Parlamentsdebatte ist die erste Gelegenheit, hier im Parlament auf den Gipfel von Kopenhagen zu sprechen zu kommen. Darüber könnte viel gesprochen werden. Über die Enttäuschung, die er ausgelöst hat, über das, was er nicht gebracht hat, von dem wir gesagt haben: Das ist unser dringendes Interesse und das, was geleistet werden muss. Ich möchte in dieser Debatte eine Konsequenz, die ich daraus ziehe - ich halte sie für die wichtigste -, ansprechen. ({0}) Diese Konsequenz lautet: Jetzt erst recht machen wir Klimaschutz. ({1}) Wir lassen uns nicht zurückfallen. ({2}) Alle Enttäuschten möchte ich davor warnen, dass ihre Enttäuschung in Resignation umschlägt. Mit Resignation werden wir keine Veränderung erreichen. Das sage ich auch an die Adresse all derjenigen, die jetzt die Gelegenheit wittern, unseren Kurs der entschlossenen Klimaschutzpolitik ändern zu können. Nein, meine Damen und Herren: Jetzt erst recht. ({3}) „Jetzt erst recht“ ist keine Trotzhaltung, die wir an den Tag legen, weil wir recht behalten wollen. „Jetzt erst recht“ ist eine Konsequenz aus einer ganz nüchternen, aber fundamentalen Einschätzung, die mir während meiner Teilnahme an der Konferenz von Kopenhagen und danach klarer geworden ist, als sie es vorher war. Für den Kern und die entscheidende Rechtfertigung unserer Politik halte ich die Feststellung, dass Klimaschutz, CO2-Reduzierung, Ressourcenschonung ganz allgemein, im Zentrum der ökonomischen und geopolitischen Transformation stehen, in der sich unsere Welt derzeit befindet. ({4}) Das ist auch deshalb so, weil diejenigen, die vielleicht kein Abkommen wollen, zum Beispiel China - China hat sich jedenfalls nicht dafür ausgesprochen und eingesetzt -, in ihrem eigenen Land erkannt haben, dass es dieser Veränderungen bedarf. In China setzt man nämlich auf Technologie, weil man die Klimafolgen spürt und die Chancen auf den Märkten ergreifen will. Das Gleiche gilt für die amerikanische Administration. Sie hat allerdings Probleme, dafür im eigenen Land Mehrheiten zu organisieren. Ganz nebenbei: Die ökonomische Transformation, in der wir uns befinden, hat nicht nur eine geopolitische Bedeutung, die man erleben kann, wenn der amerikanische Präsident mit dem stellvertretenden Außenminister Chinas in einem Raum verhandelt, um anschließend in das Hotelzimmer des chinesischen Ministerpräsidenten zu gehen, in dem die anderen Führer der Basic-Staaten, der Schwellenländer, zusammensitzen. In dieser Situation wird geradezu hautnah spürbar, dass die Welt im Fluss ist und dass mit Blick auf die Klimaschutzpolitik auch internationale Macht neu verteilt wird, aber noch nicht neu verteilt ist. ({5}) Das ist auch ein Systemwettbewerb: Ist ein autoritäres Regime, das Ziele einfach in den Fünfjahresplan schreiben kann, besser in der Lage, Ziele zu erreichen, als Demokratien, in denen Politik immer der Legitimation und der Akzeptanz bedarf? In diesem Wettbewerb sind wir, und das möchte ich vermitteln. Die deutsche Position - wir arbeiten daran, dass eine noch geschlossenere europäische Position zustande kommt - besteht darin, diesen Prozess, der so oder so stattfindet, mit unseren Werten, mit unseren Interessen offensiv zu gestalten, statt alte Strukturen defensiv zu erhalten. Für diese Offensivstrategie, für die wir eintreten, bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. ({6}) Wir sind in der besten Position von allen, aus diesem Prozess als Gewinner hervorzugehen. Dieser Prozess findet statt, weil er eine ökonomische Notwendigkeit ist. Wenn wir so weiterleben und die Milliarden Menschen aus den ärmeren Ländern, die sich danach sehnen, unseren Wohlstand zu erreichen, die westliche Lebensweise annähmen, würde der Planet das nicht aushalten. Um des Schutzes unseres Planeten willen - es geht um die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen -, aber ebenso, damit wir auch in Zukunft Wohlstand und Wachstum haben, ist es eine schiere Notwendigkeit, Klimaschutzpolitik zu betreiben. Das ist die Grundlage für die Politik, die wir machen. ({7}) Darum bleiben wir bei dem nationalen Ziel, den CO2Ausstoß um 40 Prozent zu reduzieren. ({8}) Wir wollen das in unserem Interesse, und wir machen das auch. Wir wollen, wie die Kanzlerin gestern gesagt hat, Europa dazu bewegen, den CO2-Ausstoß um 30 Prozent zu reduzieren; aber das müssen die anderen Mitgliedstaaten mittragen. ({9}) Das ist das, was wir erreichen wollen. Man kann es auch so formulieren: Wir haben in Kopenhagen versucht, dadurch, dass Deutschland und Europa mit ambitionierten Zielen vorangehen, andere Regionen, die Welt mitzuziehen. Damit waren wir nicht erfolgreich; ich mache bei dieser Feststellung keinerlei Einschränkungen. Die Schlussfolgerung daraus, dass wir dabei, andere mitzuziehen, nicht erfolgreich waren, ist für mich nicht, aufzugeben, sondern dazu überzugehen, die anderen anzutreiben. ({10}) Denn wir sind in einem Wettbewerb, und wir wollen diesen Wettbewerb gewinnen. ({11}) Unsere Strategie ist zugleich eine ökonomische wie eine klimaschutzpolitische Strategie; ich habe das betont, und ich betone das. Die Energiepolitik ist ein zentrales Feld, auf dem sich konkret erweist, wie wir die Ziele unserer ökonomischen und klimaschutzpolitischen Strategie umsetzen wollen. Die Vorgaben, die wir in der Energiepolitik machen - die in dieser Wahlperiode, ja in diesem Jahr 2010 eine wichtige Rolle spielen wird -, sind klar: Der CO2-Ausstoß ist bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, bis 2050 um mindestens 80 Prozent. Die Stellschrauben sind klar: Sie heißen Energieeffizienz, und sie heißen erneuerbare Energien. Das sind die Eckpfeiler unserer Energiepolitik. Zur CO2-Reduzierung habe ich Ausführungen gemacht. Energieeffizienz wird am meisten dazu beitragen - ich will diesen Aspekt betonen -, dass wir die Ziele erreichen. Wir dürfen, wenn wir Energiepolitik machen, nicht nur auf die Angebotsseite schauen, wir müssen auch die Nachfrage nach Strom betrachten. Wir dürfen den Bürger nicht wie bislang als passiven Stromabnehmer verstehen, sondern müssen ihn zu einem aktiven Teilnehmer am Strommarkt machen. Das ist möglich: Durch intelligente Messsysteme können wir das individuelle Verbrauchsverhalten steuern. Dazu brauchen wir aber ganz andere Netze - intelligente Netze -, und dafür brauchen wir Investitionen. Genau das ist unsere Energiepolitik. Wir nehmen auch den Verbraucher in den Blick. Wir wollen auch durch individuelle, intelligente Verbrauchssteuerung Energiepolitik machen. Das ist eine neue Sichtweise. ({12}) Zur Energiepolitik gehört - das ist keine Frage -, die Angebotsseite zu betrachten. Die Angebotsseite ist bestimmt durch eine politische Vorgabe. Das kann man anders sehen - andere Länder sehen das anders -, aber ich sage: Wir sehen es so, alle Parteien, die die Koalitions1422 vereinbarung verfasst haben, sehen es so. Wir zielen darauf ab, dass unsere Energieversorgung weitestgehend, hauptsächlich auf erneuerbaren Energiequellen beruht. Wollen wir dieses Ziel bis 2050 erreichen, müssen wir eine dynamische Entwicklung und Veränderung unseres Energiemixes erreichen. Das heißt dann Brückenfunktion: dass die erneuerbaren Energien insbesondere die Kernenergie, aber auch die fossile Energie sukzessive ersetzen, sobald und soweit dies sicher möglich ist. Das ist unser Ziel, das ist der Prozess, an den wir herangehen, meine Damen und Herren. ({13}) Das ist ein langer Prozess von 40 Jahren. Aber trotzdem müssen wir heute die Entscheidungen treffen. ({14}) - Ja, wir werden das genau nach diesem Prinzip machen: nicht mit politischer Willkür, sondern nach diesem Prinzip. Wir können ja unterschiedlicher Auffassung sein. ({15}) Ich sage es noch einmal, damit es klar ist: Die erneuerbaren Energien werden in einem dynamischen Prozess sukzessive die Kernenergie und fossile Energiequellen ersetzen. Diese Koalitionsvereinbarung werden wir umsetzen. ({16}) Entscheidungen treffen wir heute. Wenn wir dies von den Energieversorgungsunternehmen erwarten, wobei man auch die Marktpotenziale sehen muss, die für sie darin stecken, dann haben wir auch eine politische Bringschuld. Die politische Bringschuld heißt Klarheit. Was wir wollen, setzt gewaltige Investitionen voraus. Für solche Investitionen und Investitions- und Renditezyklen brauchen wir heute Klarheit. Darum stellt sich diese Regierung anders als Vorgängerregierungen seit zehn Jahren der Herausforderung, ein politisches Gesamtkonzept zu erstellen. ({17}) Das werden wir in diesem Jahr tun, um die notwendige Klarheit zu geben. ({18}) Nach der Verbrauchersicht und dem energiepolitischen Konzept bekunde ich Ihnen noch eine dritte Veränderung gegenüber meinen beiden Vorgängern. Zur Energiepolitik und zu den Kernkraftwerken, die wir betreiben, gehört auch die Entsorgung. Das ist eine Last aus der Vergangenheit, die mit dem Betreiben von Kernkraftwerken verbunden ist, meine Damen und Herren. ({19}) Meine beiden Vorgänger im Amt haben sich leider - schön, dass einer da ist - um die Verantwortung für die Entsorgung gedrückt. Das war keine Heldentat. ({20}) Sie haben sich vor der Verantwortung gedrückt, weil sie unangenehm ist. Ich halte mich gar nicht lange mit der Vergangenheit auf. ({21}) Ich sage es jetzt für mich: Ich bin nicht bereit, die Entsorgungsfrage als ungelöste Frage zukünftigen Generationen zu überlassen. ({22}) Wir drücken uns nicht vor dieser Verantwortung für die nächsten Generationen. In diesem Sinne bin ich das Thema Asse angegangen, und in diesem Sinne werden wir das Thema Gorleben angehen. In engem Kontakt und im Austausch mit einer sehr konstruktiven örtlichen Bevölkerung werden wir das tun. Wir werden weiterhin um Vertrauen und Kooperation werben und an Lösungen arbeiten. ({23}) In diesem Sinne werden wir auch die erneuerbaren Energien weiter massiv fördern. Wir werden dies bei der Fotovoltaik tun. Ich habe den Gesetzesvorschlag gestern gemacht. Wir werden die Fotovoltaik und ihre Nutzung aus der Nischenrolle, die sie bislang mit 1 Prozent an der Stromversorgung hat, dadurch herausholen, dass wir sie in einen verlässlichen, im Hinblick auf den Markt anpassungsfähigen Rahmen einfügen, und ihr so eine neue Zukunft geben. In zehn Jahren werden wir im Vergleich zu heute bei einem Ausbauvolumen von 4 bis 5 Prozent, also bei vier- bis fünfmal so viel Solarenergie in Deutschland sein. Das ist unser Ziel. Ich habe unsere Vorschläge dazu gestern vorgelegt. ({24}) Vielleicht verlieren Sie Ihre Voreingenommenheit, wenn Sie ein paar Kommentare aus der heutigen Presselandschaft zur Kenntnis nehmen. Ich zitiere zunächst einige Überschriften. Michael Bauchmüller in der Süddeutschen Zeitung kommentiert in der Überschrift: „Clever und hart“. Ich zitiere Jens Heitmann zu unseren Vorschlägen; die Überschrift in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung lautet: „Solarbranche überfördert“. Ich zitiere Thomas Exner, Die Welt: „Sinnvoller Einschnitt“. Aus der Frankfurter Rundschau zitiere ich Frank-Thomas Wenzel etwas weiter gehend, weil er unsere Politik sehr gut wiedergibt: … wir müssen möglichst bald die sogenannte Netzparität erreichen. Das bedeutet, der Strom vom Solardach wird dann so viel kosten wie der Strom aus der Steckdose. Das ist notwendig, um die Verhältnisse in der Energiewirtschaft zum Tanzen zu bringen. Deshalb muss das Schmuckstück deutscher Industriepolitik, das Erneuerbare-EnergienGesetz, weiterentwickelt werden. Eine entscheidende Komponente hat bislang gefehlt. Es gab nur eine unzureichende Rückkopplung zur Markt- und Preisentwicklung - genau dies hat die Innovationskraft erlahmen lassen. Umweltminister Norbert Röttgen holt Versäumtes nach: Je mehr Anlagen in einem Jahr hinzukommen, was darauf hindeutet, dass die solare Stromerzeugung hoch rentierlich ist, umso stärker werden die Einspeisevergütungen gekürzt. Noch wichtiger ist: Erlahmt das Geschäft, fällt die Absenkung der Vergütung geringer aus. Das stabilisiert. Leider kommt das neue Instrument mit reichlich Verspätung. Deshalb ist der zusätzliche Abschlag nötig. Genau das ist unsere Politik, die in der Breite Zustimmung findet, weil sie eine dem Markt angepasste Strategie für die Zukunft der erneuerbaren Energien ist. ({25}) Ich will mit einem Hinweis darauf schließen, dass die UNO dieses Jahr zum Jahr der biologischen Vielfalt erklärt hat. Leider ist die Zeit knapp, aber ich bitte um Erlaubnis, das noch vortragen zu dürfen. Ich will mit den Worten und Einschätzungen von zwei Institutionen zum Schluss kommen. Zum einen hat Papst Benedikt zu Beginn dieses Jahres gegenüber der Weltöffentlichkeit von seiner großen Sorge um die Bewahrung der Schöpfung als moralische Herausforderung und wichtigen Faktor für Frieden und Gerechtigkeit gesprochen. Die Wirtschaftskrise und die globale Klimaproblematik haben nach der Auffassung des Papstes dieselben Wurzeln, nämlich eine egoistische und materialistische Mentalität. ({26}) Der geforderte Wandel bestehe deshalb vor allem in der moralischen Herausforderung, unser Verhalten zu ändern. Das Worldwatch Institute ist in seinem Bericht Zur Lage der Welt zu dem Ergebnis gekommen, dass 1987 der ökologische Fußabdruck der Menschheit erstmals die Regenerationsfähigkeit der Erde überschritten hat. Wenn alle Menschen so lebten wie die Amerikaner, dann würde die Erde 1,4 Milliarden Menschen vertragen. Wenn alle so lebten wie die Westeuropäer, dann würde der Planet 2,1 Milliarden Menschen vertragen. Ich möchte mich insbesondere für die Worte des Papstes bedanken. ({27}) Genau so ist es. Wenn Politiker auf die Wertgrundlagen des Handelns hinweisen, dann werden sie damit diskreditiert, dass sie handeln sollen, statt über Werte zu predigen. ({28}) Das ist richtig. Darum ist es gut, dass der Papst diese Werte betont hat. ({29}) Ich möchte deshalb bekunden, dass die Natur für uns einen Eigenwert hat. ({30}) Ich möchte auch betonen, dass wir um die Dienstleistungsfunktion ganzer Ökosysteme für den Menschen wissen. Darum dient das Jahr der biologischen Vielfalt dazu, den Raubbau und die Zerstörung der Natur zu beenden, ein Abkommen im Kampf gegen Biopiraterie zu schließen und Institutionen zu stärken, um des Respektes gegenüber der Natur, aber auch um des Menschen willen. Darum machen wir von der Klimaschutzpolitik über eine konkrete Energiepolitik mit der Förderung erneuerbarer Energien bis hin zum Schutz der biologischen Vielfalt konkrete Politik für die Zukunft der Menschen und der nächsten Generationen. Ich bitte alle, denen daran etwas liegt, um Unterstützung. Herzlichen Dank. ({31})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Matthias Miersch für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich habe sehr aufmerksam zugehört. Diese Rede unterschied sich wenig von den anderen Reden, die wir bislang von Ihnen gehört haben. ({0}) Sie hören sich gut an, aber ich finde, es wird Zeit, Sie auch ein bisschen an Ihren Taten zu messen. Das will ich tun. Sie haben in der Aussprache zur Regierungserklärung am 11. November 2009 gesagt, ein Ziel sei es, das Leitprinzip der Nachhaltigkeit durchzusetzen. Die wichtigsten Felder der Umweltpolitik seien Klimaschutz, Energiepolitik und der Schutz der biologischen Vielfalt. Ich möchte Ihnen fünf Beispiele nennen, an denen ich deutlich machen will, dass jedenfalls gegenwärtig Worte und Taten weit auseinander liegen. Erstes Beispiel ist das Thema Nachhaltigkeit, das zwar in den Reden sehr häufig vorkommt, aber nur dann spannend ist, wenn es wirklich konkret wird. Lassen Sie uns den Blick auf den Haushalt mit seiner Rekordverschuldung und auf Ihren Wachstumsbegriff richten; denn Sie garnieren das Ganze noch mit einem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Ich frage Sie: Wer wächst eigentlich? Wohin wachsen wir? Wo sind unsere Grenzen, die wir als Umweltpolitiker eigentlich sehr deutlich sehen müssten? Ob Hoteliers oder Erben, sie entziehen dem Staat wichtige Einnahmen, die dann fehlen, um im Klimaschutz aktiv werden zu können. ({1}) Ich glaube, der Schlüssel ist, dass wir Wachstum neu denken, dass wir Wachstum tatsächlich mit Nachhaltigkeit verbinden. Wir haben heute Morgen den Beirat für nachhaltige Entwicklung konstituiert. Wir haben in der letzten Legislaturperiode eine Nachhaltigkeitsprüfung durchgesetzt, an die sich die Ministerien halten müssen. Wir haben aber nicht dafür gesorgt - das fällt nun auf -, dass auch die Gesetzesvorhaben, die aus dem Parlament kommen, einer Nachhaltigkeitsprüfung unterzogen werden müssen. Das wird schnellstens nachgeholt werden müssen; denn uns hätte beispielsweise interessiert, was eine solche Nachhaltigkeitsprüfung beim Wachstumsbeschleunigungsgesetz erbracht hätte. ({2}) Sie haben in der FDP-CDU/CSU-Koalition einen antiquierten Wachstumsbegriff und haben das Leitprinzip der Nachhaltigkeit zumindest in diesem Haushalt an keiner Stelle berücksichtigt. Das zweite Beispiel ist der Klimaschutz als Hauptziel der Umweltpolitik in Ihrer Regierungszeit. Wir wissen, dass Klimapolitik nach Nicholas Stern viel mehr als nur Schutz ist. Es geht auch um zentrale ökonomische Fragen. Sie haben in der Aussprache zur Regierungserklärung am 11. November 2009 argumentiert: … es gibt keinen Plan B … Die Konferenz von Kopenhagen muss ein Erfolg werden. Wir haben in diesem Prozess eine Vorreiterrolle. Die Stimme unseres Landes - das zählt zu den Erfahrungen, die man innerhalb von Tagen machen kann - hat Gewicht. Ich frage Sie: Wo ist die Vorreiterrolle Deutschlands in diesem Prozess in Kopenhagen gewesen? ({3}) Was ist mit Ihrer Verhandlungstaktik geschehen? Sie ist nicht aufgegangen. Schlimmer noch: Sie wurden durch den Minister Niebel regelrecht rasiert; denn der für Ihre Verhältnisse hervorragende Antrag, den wir im Umweltausschuss durchgewunken hatten, wurde hier im Parlament an zentralen Stellen geändert. Diese Änderungen wurden von den Verhandlungsteilnehmern in Kopenhagen deutlich kritisiert, lieber Herr Minister. Sie müssen sich im Kabinett stärker durchsetzen und dürfen sich nicht von einem solchen Fossil - er ist ja zum Fossil des Tages gekürt worden - über den Tisch ziehen lassen. ({4}) Sie sagen, dass Ihr Motto lautet: Jetzt erst recht. - Ich war aber über die Haushaltsrede der Kanzlerin gestern erschrocken; denn diejenigen, die genau zugehört haben, haben festgestellt, dass sie weiter daran festhält - das ist ein elementarer Fehler -, dass die Europäische Union sich nicht auf das 30-Prozent-Ziel einigt, sondern erst darauf wartet, dass andere nachziehen. So viel Zeit haben wir aber nicht mehr. Wenn wir eine Vorreiterrolle einnehmen wollen, dann müssen wir hier unkonditioniert nach vorne gehen. Wir haben nichts zu verlieren. Selbst Sie haben sich in dieser Legislaturperiode auf eine Minderung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent geeinigt. Daher verstehe ich nicht, warum nach Kopenhagen eine solche Aussage kommt. Ich will nicht sagen, dass wir Europäer alleine für das Scheitern verantwortlich sind. Aber die Europäische Union hatte es in der Hand, Vorreiter zu sein. Das haben wir mit versemmelt; das konnte man in Kopenhagen deutlich vernehmen. Dafür hat die Kanzlerin die Verantwortung zu tragen. ({5}) Ich frage Sie: Wo sind die in Kopenhagen zugesagten Mittel? Wo sind die konkreten Klimaschutzmaßnahmen? Die 130 Millionen Euro, die in diesem Haushalt für das Marktanreizprogramm und kommunale Investitionen eingestellt sind, sind gesperrt. Lassen Sie es nicht zur Verunsicherung bei den Kommunen kommen, denen Sie an anderen Stellen sowieso schon Geld wegnehmen! Heben Sie diese Sperrung auf! Vertrauen ist an dieser Stelle viel wichtiger. Zudem wurden die Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm - das betrifft nicht Ihren Etat, sondern den des Bauministers - von 2,2 Milliarden auf 1,1 Milliarden Euro gekürzt. Dabei weiß jeder, dass in diesem Bereich großes Potenzial steckt. So darf eine Vorreiterrolle im Klimaschutz nicht aussehen, Herr Minister. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden Ihnen die Gelegenheit geben, die Lehren aus Kopenhagen zu ziehen. Wir werden im Rahmen eines Antrags ein verDr. Matthias Miersch bindliches Klimagesetz fordern, und zwar versehen mit einem Monitoring, sodass wir die notwendige Transparenz und Steuerung erreichen. Sie haben Klimapolitik als zentrales Ziel definiert, aber ich glaube, dass Sie von diesem Ziel noch weit entfernt sind. Das dritte Beispiel ist die Energiepolitik. Heute tagt im Kanzleramt eine Elefantenrunde zu diesem Thema. Ich frage Sie: Wann lassen Sie die Katze aus dem Sack? Wann wird der Ausstieg aus dem Ausstieg verkündet? Herr Kollege Röttgen, Ihre erste Handlung, die Berufung des Cheflobbyisten der Atomindustrie, Herr Hennenhöfer, zum Leiter der Abteilung für Reaktorsicherheit, zeigt, dass Ihr Handeln nicht mit dem kompatibel ist, was Sie heute hier wiederholt haben. ({7}) Angesichts der zu erwartenden Milliardengewinne fragt man sich natürlich, welcher Ablasshandel da vonstatten geht. Selbst dieser Haushalt zeigt, dass Atomkraft nichts mit Nachhaltigkeit zu tun hat. 40 Prozent des Stammhaushaltes des Umweltministeriums sind schon jetzt für die Endlagerproblematik eingestellt - ohne Berücksichtigung der Asse. Herr Umweltminister, nach Schätzungen, die bislang vorliegen - darüber wird man noch streiten müssen -, müssen wir 1,5 Milliarden Euro alleine für die Beseitigung der Fehler in der Asse aufwenden. Das ist mehr als der gesamte Etat des Umweltministeriums. Wer auf die Atomenergie setzt, hinterlässt damit eine schwere Hypothek für die Haushalte nachfolgender Generationen. Insofern gehen Sie mit der Atomkraft auch finanzpolitisch einen falschen Schritt. ({8}) Wer sind Ihre Partner? - Der Chef von E.on Deutschland hat erklärt, es gebe keine rechtliche Verpflichtung, sich an den Kosten zu beteiligen. Was ist das für ein Bild von Gesellschaft und Industrie? Ein bisschen erinnert mich das an so manchen Bankmanager, der sagte, dass die Bankenkrise wahrscheinlich ein Versehen war. Dann wird aber selbstverständlich verlangt, dass der Steuerzahler blechen muss. Zwei Drittel der Fässer kommen aus Kernkraftwerken, wenn auch über den Umweg von Forschungsanstalten. Aber die Ursache ist von der Industrie gesetzt worden, und insofern kann es nicht sein, dass der Steuerzahler allein bluten muss. Das muss in den Verhandlungen deutlich gemacht werden. ({9}) Man sollte auch die Folgen bedenken, die man inzwischen erkennen kann, wenn man die Erkenntnisse der Wissenschaft genau studiert. Sie werden durch eine Laufzeitverlängerung genau das verhindern, was Sie selbst fordern, nämlich den Ausbau von erneuerbaren Energien. ({10}) Ich möchte außerdem auf das hinweisen, was das Bundeskartellamt gestern noch einmal sehr deutlich gesagt hat: Die Oligopolstruktur in diesem Gebiet, die Marktmacht von wenigen Konzernen wird gestärkt. Sie gehen also genau in die falsche Richtung. Sie zementieren falsche Strukturen. Auch insofern sollten Sie sich den Ausstieg aus dem Ausstieg noch einmal überlegen. Außerdem haben wir bei dieser Frage die Nachhaltigkeit, die Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen zu berücksichtigen. Wir hinterlassen Müll, von dem wir heute noch nicht wissen, was eigentlich damit passiert. Wenn Sie mit Ihrer Regierungspolitik das Leitprinzip nachhaltiger Entwicklung verfolgen, dann können Sie sich nicht aus dem Atomausstieg verabschieden. Ich hoffe, es kehrt noch einmal Vernunft in Ihrer Regierung ein. ({11}) Das vierte Beispiel ist die biologische Vielfalt. Darüber kann man im Haushalt wenig nachlesen, dafür aber einiges im Koalitionsvertrag. Darin steht nämlich, dass Sie das, was wir in der Großen Koalition mit großer Mühe zur Eingriffsregelung durchgesetzt haben, dass Sie den Dreiklang von Vermeidung, Ausgleich und Ersatz aufheben wollen. Wir haben in Deutschland ein zentrales Problem bei der biologischen Vielfalt, und das ist der Flächenverbrauch. Jeder, der die Nachhaltigkeitsstrategie und den Fortschrittsbericht liest, kann das leicht feststellen. Wer an der Eingriffsregelung rütteln will - so wie es im Koalitionsvertrag steht -, schützt nicht die biologische Vielfalt, sondern tut genau das Gegenteil. Auch dieses vierte Beispiel passt also nicht zu Ihren Worten. ({12}) Das fünfte Beispiel schließlich ist das BMU selbst. Ich glaube, es ist richtig, über Personalaufstockungen in den Umweltverwaltungen nachzudenken. Es gibt ein sehr interessantes Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen, der uns aufgezeigt hat, dass es gerade im Verwaltungsvollzug hapert. In diesem Zusammenhang war wieder von „Indianern“ und „Häuptlingen“ die Rede. Was machen Sie? Sie dehnen den Leitungsstab und vor allen Dingen das, was mit Kommunikation zu tun hat, aus. Lieber Herr Kollege Röttgen, lieber Herr Minister, diese fünf Beispiele machen deutlich, dass mehr Taten gefordert sind und nicht nur gute Kommunikation. Ich bitte Sie, auch hier zu prüfen, inwieweit ein bisschen mehr Indianer und weniger Häuptlinge einzusetzen sind. ({13}) Die Kanzlerin hat gestern in ihrer Haushaltsrede in Bezug auf die Finanzkrise gesagt: Wir standen am Abgrund. Ich wünsche mir, dass auch bei uns das Bewusstsein geschärft wird, dass es nicht nur um ein finanzielles Desaster gegangen ist, sondern auch darum, dass wir an anderer Stelle, nämlich im Bereich der Klimapolitik und all der damit einhergehenden ökonomischen und sozialen Verwerfungen, am Abgrund stehen. Ich wünsche mir, dass wir ein bisschen von dem Bewusstsein haben, das wir in diesem Haus hatten, als es innerhalb von einer Woche möglich war, Milliardenbeträge zur Rettung von Banken zur Verfügung zu stellen. Wenn es uns gelingt, die großen Themen, die wir hier nur ansatzweise besprechen können, in das Bewusstsein dieses Parlaments und dieser Regierung zu rücken, dann wäre viel gewonnen. Nicht nur die Finanzindustrie steht am Abgrund - sie ist menschlich beherrschbar -, sondern auch die Natur. Sie ist allerdings kein Verhandlungspartner; insofern müssen Ihren Worten viel mehr Taten folgen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Klimaschutz ist unser nationales Interesse. Klimaschutz ist Wettbewerbsmotor. Deshalb ist es richtig, dass diese Koalition auch nach Kopenhagen daran festhält: 40 Prozent Emissionsminderung bis 2020 ohne Wenn und Aber. Das ist ein Erfolg. ({0}) Die Opposition ist ihrer Verantwortung in Kopenhagen - Kollege Miersch hat das hier angedeutet - nicht gerecht geworden. ({1}) Es war bisher immer so, dass wir deutschen Abgeordneten auf internationalen Konferenzen mit einer Stimme gesprochen haben. Was haben Sie gemacht? Sie haben der Regierung Knüppel zwischen die Beine geworfen, indem Sie sie diffamiert haben, was nicht richtig war. ({2}) Am Schluss haben wir erreicht, dass wir genau in dem Punkt, den Sie kritisiert haben - nämlich bei der Finanzierung der Transfers zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern -, einen Erfolg erzielt haben. Das ist ein Erfolg von Minister Röttgen und von Minister Niebel. Da können Sie noch so viel zetern. ({3}) Herr Miersch übt eine neue Funktion aus und durfte deshalb lange reden. Es wäre trotzdem gut gewesen, wenn Sie, Herr Miersch, sich einmal die Fakten angeschaut hätten. Sie haben kritisiert, dass für das CO2Gebäudesanierungsprogramm dieses Jahr weniger Mittel zur Verfügung stehen als im letzten Jahr. Sie sollten der Ehrlichkeit halber auch sagen, woran das liegt: Ihr Minister Tiefensee hat im Wahljahr das Geld, das für dieses Jahr bestimmt war, ausgegeben, um noch vor der Wahl zu glänzen. Das ist die Wahrheit über das CO2Gebäudesanierungsprogramm. ({4}) Diese Koalition steht für den Ausbau erneuerbarer Energien. Deshalb halten wir in diesem Bundeshaushalt die Mittel für das Marktanreizprogramm auf hohem Niveau konstant. Deshalb haben wir im Wachstumsbeschleunigungsgesetz die von der SPD geplante Erhöhung der Steuern auf Biokraftstoffe gestoppt. Deshalb haben wir das Vertrauen in das EEG wiederhergestellt, indem wir rückwirkende Eingriffe in Investitionen verhindert haben. Dass das Ganze in weniger als 100 Tagen geschehen ist, ist eine gute Bilanz der neuen Koalition. ({5}) Im Koalitionsvertrag finden sich eine Menge Festlegungen - viele auch langfristig - zugunsten der erneuerbaren Energien. Der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien bleibt unbegrenzt erhalten. Wir werden die Speicherbarkeit und die Netzintegration erneuerbarer Energien verbessern. Wir werden - das schulden wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern - die Förderung wirtschaftlicher machen. Wir bekennen uns zur Solarenergie als wichtiger Zukunftstechnologie am Standort Deutschland. Wir Liberale werden dafür sorgen, dass eine Reform der Förderung den Markt für Solartechnik nicht abwürgt. ({6}) Wir Liberale begrüßen es, wenn es höhere Ausbauziele für Solarenergie als im bisherigen Erneuerbare-Energien-Gesetz gibt. Wir befürworten es, wenn die Förderung flexibler gestaltet wird, je nach Markterfolg der erneuerbaren Energien mit Zu- oder Abschlägen. Die Vorschläge des Bundesumweltministers sind nun Grundlage für die weiteren Beratungen in der Koalition. Ich sage aber auch deutlich: Wir machen sie uns noch nicht zu eigen. Klar ist: Die Förderung wird nicht in der Regierung, sondern hier im Deutschen Bundestag entschieden. ({7}) Die FDP wird für eine Reform mit Augenmaß sorgen. Wir sagen aber auch ganz klar in Richtung der Anwürfe aus der Opposition: Es kann nicht sein, dass wir bei einem massiven Preisverfall von Anlagen dauerhafte Überförderungen hinnehmen. Die Renditen der Anlagenbetreiber fallen schließlich nicht vom Himmel, sondern sie werden von den Verbraucherinnen und Verbrauchern bezahlt. Wenn die Renditen das normale Maß, das für die Förderung der Zukunftstechnologien nötig ist, überschreiten, dann, meine lieben Kolleginnen und KolMichael Kauch legen gerade von der SPD oder auch von der Linken, ist das nichts anderes als eine Umverteilung von unten nach oben: eine Umverteilung von der kinderreichen Arbeiterfamilie hin zu dem Akademiker, der sich Investorenmodelle mit hoher Rendite für seine Geldanlage leisten kann. ({8}) Deshalb sagen wir Nein zur Überförderung. Wir sagen Ja dazu, die Solarenergie so zu fördern, dass sie ausgebaut werden kann, aber dass die Verbraucherinnen und Verbraucher dafür nicht mehr bezahlen müssen, als es unbedingt notwendig ist. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Michael Leutert das Wort. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein schöner Zufall, dass wir ausgerechnet heute über den Etat des Umweltministeriums sprechen. Sie haben heute Abend zum Atomgipfel ins Kanzleramt geladen und wollen dabei den Ausstieg aus dem Atomausstieg beschließen. Die Katze ist aus dem Sack, Herr Kollege Miersch. Wirtschaftsminister Brüderle hat im Vorfeld der Verhandlungen versprochen - das konnte man nachlesen -, dass alle Atomkraftwerke weiter betrieben werden können. Herr Umweltminister Röttgen, mit der Einstellung eines Atomlobbyisten als Leiter der Abteilung für Reaktorsicherheit haben Sie nicht gerade ein Zeichen dagegengesetzt. ({0}) Meine Frage ist: Wenn Sie den Wünschen der Atomlobby sowieso entsprechen: Warum laden Sie dann überhaupt noch zu Verhandlungen ein? ({1}) - Genau. - Sie bezeichnen - das ist das neue Modewort der Atomkraftbefürworter - die Atomkraft gerne als Brückentechnologie. Um in dem Bild zu bleiben: Warum bauen Sie die Brücke nicht an der kürzesten Stelle? Wie lange soll denn die Brücke werden? Wie lange wollen Sie denn die Atomkraftwerke noch laufen lassen? Das sind doch die spannenden Fragen. Wenn Sie jetzt entgegenhalten, dass Sie dafür der Atomindustrie große Zugeständnisse abverlangen werden - es heißt sogar, bis zu 50 Prozent der Gewinne aus der Verlängerung der Laufzeit sollen eingesetzt werden, um die Förderung des Übergangs zu regenerativen Energien zu stützen -, dann sage ich Ihnen: Das ist - das wissen Sie - nicht mehr und nicht weniger als eine Voraussetzung dafür, um den Ausstieg aus dem Ausstieg gesellschaftlich überhaupt durchzusetzen. Damit soll die Atomenergie wieder salonfähig gemacht werden. Das wissen auch die Energieunternehmen. Deshalb werden sie diesen Preis zahlen. ({2}) Der Punkt ist aber ein anderer: die Verknüpfung des energiepolitischen Roll-backs zur Atomenergie mit dem Klimaschutz. Das ist die eigentliche umweltpolitische Strategie Ihrer Regierung. Ein Blick in den Haushalt zeigt das auch: Der Umweltetat steigt um ungefähr 7,3 Prozent. Das begrüßen wir natürlich. ({3}) Davon entfallen 15 Millionen Euro auf das Umweltinnovationsprogramm. Das ist die eine Säule des Aufwuchses. Knapp 110 Millionen Euro gibt es mehr im Endlagerbereich. Das ist die zweite Säule des Aufwuchses. Nicht hereingeschrieben in den Haushalt haben Sie allerdings, welche enormen Folgekosten die Stilllegung der Schachtanlage Asse verursachen wird. Sie wissen es einfach noch nicht. Immer noch gesperrt ist zum Beispiel der Titel zum Salzgitterfonds. Selbst im Berichterstattergespräch gestern bekam man keine Auskunft, ob denn die Energieunternehmen nun ihren Einzahlungsverpflichtungen nachkommen und, wenn ja, in welcher Höhe. ({4}) Immer noch nicht ist im Haushalt abgebildet, wie denn die Stilllegungskosten von Endlagern refinanziert werden sollen. Der Bundesrechnungshof hat letztes Jahr im Juni in einem Bericht ausdrücklich auf dieses Problem hingewiesen. Da steht die Frage im Raum: Wie wird dieses Problem geregelt? Soll dies ebenfalls der Steuerzahler übernehmen, wie zum Beispiel bei Morsleben oder Asse? Die Kosten vom Endlager Konrad haben Sie natürlich ebenfalls nicht unter Kontrolle. 1,7 Milliarden Euro stehen derzeit zu Buche. Das sind die geplanten Gesamtkosten. 900 Millionen Euro waren ursprünglich veranschlagt. Es handelt sich also fast um eine Verdopplung. Diese Zahlen zeigen deutlich: Sie haben erstens die Kosten Ihrer Politik nicht unter Kontrolle, und Sie nehmen zweitens billigend in Kauf, dass die Bevölkerung die Risiken zu tragen hat, sowohl die finanziellen als auch die technologischen und ökologischen Risiken. Indem Sie Atomkraft und Klimaschutz miteinander verkoppeln wollen, versuchen Sie, der Atomenergie das Image einer umweltfreundlichen Technologie zu verpassen. Sie konstruieren hier letztendlich einen Zusammenhang, der erstens so nicht existiert und der zweitens so1428 gar aus der PR-Abteilung der Atomlobby selbst kommen könnte. ({5}) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist keine ökologisch nachhaltige Politik. Aus diesem Grund lehnen wir diese Politik auch strikt ab. Danke. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Dorothea Steiner.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Röttgen, Sie haben sich ja heute wieder einmal virtuell das grüne Jäckchen angezogen. Sie haben sehr engagiert verschiedene Entwicklungen geschildert, die aber für die informierte politische Öffentlichkeit nicht wirklich neu waren. Das Neue war nur, dass sie ein Minister einer schwarz-gelben Koalition ausgesprochen und für sich in Anspruch genommen hat. Das ist allerdings auch ein wichtiger Fortschritt. ({0}) Zu Recht haben Sie den Klimaschutz als Zukunftsfrage behandelt; denn es geht um unsere Lebensgrundlagen und um die unserer Kinder und Enkelkinder. Außerdem bleiben uns nur wenige Jahre, um den Klimawandel wirksam abzubremsen. Die Weichen für das Abbremsen sind lange noch nicht richtig gestellt. Wir führen ja eine Haushaltsdebatte. Deswegen prüfen wir am vorgelegten Haushaltsentwurf, wie Herr Minister Röttgen die vielen schönen weihevollen Worte auch in Taten umsetzen will. Fangen wir mit der Klimaschutzinitiative an, die mit den Einnahmen aus dem CO2-Emissionshandel finanziert werden soll. Sie ist mit 460 Millionen Euro ausgestattet. Das ist schon einmal kein großer Wurf. Vorsorglich sind außerdem noch 130 Millionen Euro aus dem Haushaltsansatz für diese Initiative gesperrt, weil die Preise für die Zertifikate derzeit so niedrig sind. Das bedeutet, Sie machen Klimaschutz abhängig von der Konjunktur. Wenn die Preise im Keller sind, dann muss Klimaschutz eben mit halber Kraft betrieben werden. Ich finde, das sollten Sie schleunigst ändern, wenn Sie wollen, dass diese Klimaschutzinitiative erfolgreich ist. ({1}) Herr Röttgen, Sie haben in Kopenhagen im Zusammenhang mit dem internationalen Klimaschutz Schiffbruch erlitten. Das haben wir alle festgestellt. Sie und die Kanzlerin haben gezaudert, als es um die Zusage einer Unterstützung in Höhe von 420 Millionen Euro für die ärmsten Länder der Welt beim Klimaschutz ging. Und was passiert jetzt? Sie stellen dafür noch nicht einmal 1 Cent in den Haushalt ein. Da geht doch der Klimakanzlerin a. D. der letzte Rest an Glaubwürdigkeit verloren. ({2}) Frau Merkel hat gestern das Zeitalter der erneuerbaren Energien ausgerufen. Wie verträgt sich das damit, dass Sie die Einspeisevergütung für Solarstrom so massiv senken wollen, wie Sie es jetzt geplant haben? Wie verträgt sich diese Ansage damit, dass die erhöhte Nutzung der Windkraft immer wieder ausgebremst wird? Das Repowering älterer Anlagen wird massiv behindert, und bei den Offshore-Windparks in der Nordsee hakt es ganz gewaltig. Das funktioniert so: Große Energiekonzerne sichern sich die Planungshoheit für die OffshoreWindparks, die vom Volumen her mehrere AKWs ersetzen könnten, und anschließend wird die Planung erst einmal auf Eis gelegt. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass diese Konzerne gleichzeitig Atomkraftwerke betreiben. ({3}) So kommen wir dem Zeitalter der Erneuerbaren, wie proklamiert, nicht näher, obwohl es für unsere Zukunft zwingend ist. Wir machen Ihnen einen Vorschlag: Streichen Sie die umwelt- und klimaschädlichen Subventionen! Das kostet den Haushalt nichts, hat aber einen hohen Steuerungseffekt für die Umwelt und für den Klimaschutz. Streichen Sie zum Beispiel bei der Energiesteuer die Vergünstigungen für die Kohleverstromung und insbesondere die Begünstigungen für die Braunkohlewirtschaft! Das bezieht sich auf den Verzicht auf Förderabgaben, auf Abgaben für die Wasserentnahme etc. Nehmen Sie doch die Ermäßigungsregelungen bei Strom- und Energiesteuer - das sind Milliarden - und die Ausnahmen von der Ökosteuer zurück! Das Umweltbundesamt hat 2008 die Summe der umweltschädlichen Subventionen auf circa 42 Milliarden Euro beziffert. Jetzt sagen Sie mir bitte: Wie wollen Sie mit solchen Subventionierungen, mit einer solchen Praxis den Ansprüchen im Klimaschutz gerecht werden und das 40-Prozent-Ziel erreichen? Da müssen Sie schon ganz anders mit den Besitzstandswahrern umgehen. ({4}) Herr Röttgen, wenn Sie effektive Klimaschutzpolitik machen wollen, dann werden Sie nicht umhinkommen, sich große Teile der Energiepolitik von Minister Brüderle zu holen; denn dieser Wahrer der Interessen der Energiekonzerne wird uns allen beim Ausbau der Erneuerbaren nur Steine in den Weg legen. Jetzt noch ein Satz zum Thema Atom. Viel muss man als Grüne hier dazu nicht sagen; Sie kennen die Position. Wir alle hier wissen, dass Sie heute Abend Gespräche mit den AKW-Betreibern führen werden, und wir liegen sicherlich nicht schief mit der Vermutung, dass Sie dort Zusagen in punkto Laufzeitverlängerung machen werDorothea Steiner den, die erst nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen öffentlich werden. Dass wir dann keinen Ausstieg aus dem Ausstieg mit Samtpfötchen haben werden, wage ich schon jetzt zu prophezeien. Wenn Sie alte, unsichere Reaktoren länger laufen lassen, verursachen Sie nicht nur steigende Kosten für die Sicherheit und besonders für die Entsorgung des Atommülls. Sie belasten nicht nur Bürger, sondern auch den zukünftigen Bundeshaushalt bzw. zukünftige Bundeshaushalte und blockieren im Höchstmaß den Ausbau der Erneuerbaren. Ich verspreche Ihnen auch hier, dass wir Grüne große Anstrengungen in den Widerstand gegen dieses Vorhaben investieren werden, vor allem wenn Sie als erster Endlagerminister, der uns Gorleben als atomares Endlager in Niedersachsen verpasst, in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingehen wollen. ({5}) Bei jedem Haushalt gibt es auch Weichenstellungen in der Personalpolitik. Wir haben mit Interesse vermerkt, dass Sie eine neue Leitung des Kommunikationsstabs planen, die sich wegen der komplexen Aufgaben insbesondere der Akzeptanz des Konzeptes der erneuerbaren Energien widmen soll. Ich sage Ihnen: In keinem Bereich ist die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern so hoch wie bei den Erneuerbaren. Was wollen Sie bei der Kommunikation eigentlich ändern? Oder verfolgen Sie vielleicht ein anderes Ziel? Ist die Vermittlung der Brückenfunktion und der Klimanützlichkeit der Atomkraft der eigentliche Auftrag? Wir wollen solche Gelder anders verwendet sehen. Investieren Sie zum Beispiel in die Strategien in Bezug auf Artenvielfalt, auf Biodiversität. Kommunizieren Sie hier die Notwendigkeit, den Artenschwund zu stoppen, und schreiben Sie die schönen Passagen, die Sie uns hier vorgetragen haben, Ihren Parteifreunden ins Stammbuch, die immer wieder die Mopsfledermaus und die Armleuchteralge anführen, um den Artenschutz lächerlich zu machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Steiner, würden Sie bitte auf mein Signal achten, auch wenn Sie Ihr Manuskript auf das Lämpchen gelegt haben? ({0})

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, das mache ich. Ich komme jetzt zum Schluss; ich war bereits in der Schlusskurve. - Hier Geld zu investieren, ist eine Zukunftsaufgabe für uns alle und hat auch wirtschaftliche Auswirkungen. Herr Minister Röttgen, Sie sind mit beachtlichen Vorschusslorbeeren und imposanten Ankündigungen gestartet. Auch heute haben Sie wieder entsprechende Ankündigungen gemacht. Wir warten nun darauf, dass davon in der Umweltpolitik und auch im Haushalt konkret etwas ankommt. Wir versprechen Ihnen unsererseits, in den Haushaltsberatungen handfeste Vorschläge zu machen. Aber dann wollen wir auch endlich Taten sehen. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte 2010 fällt in ein umweltpolitisch sehr kritisches Jahr. Im Klimabereich müssen wir einen neuen Anlauf nehmen nach Kopenhagen und vor Mexiko. Die UNO hat das Jahr der biologischen Vielfalt vor dem Hintergrund ausgerufen, dass auch hier die internationalen Ziele verfehlt worden sind. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein ganz persönliches Wort zu dem, was Sie, Herr Miersch, nach Kopenhagen über Frau Merkel gesagt haben. Ich bin in diesem Hohen Hause jetzt 20 Jahre auf dem Gebiet der Umwelt- und Entwicklungspolitik tätig. Ich habe einige Kanzler kommen und gehen sehen. Aber niemand war mit Abstand so stark engagiert ({0}) und hat so oft national und international Kopf und Kragen für sowohl Umweltpolitik als auch Entwicklungspolitik riskiert wie Bundeskanzlerin Merkel. Deswegen weise ich Ihre Anschuldigungen an die Kanzlerin zurück. Sie ist einen Quantensprung besser als ihr Vorgänger Schröder, der jetzt bei Gazprom gelandet ist. ({1}) Man kann einen Kampf verlieren, aber man muss vor allen Dingen kämpfen. Das unterscheidet Frau Merkel von ihrem Vorgänger fundamental. Auch ich war wie wir alle von Kopenhagen enttäuscht. Es war ein Zirkus, der dem Ernst der Lage nicht gerecht geworden ist. Wir haben uns in Kopenhagen getroffen. Also wissen Sie, wovon ich spreche. Ich gebe dem Minister Röttgen vollkommen recht: Nachdem die erste Enttäuschung und die erste Wut verflogen sind, gibt es nur eine Alternative: Wir müssen nach vorne schauen, den Kampf wieder aufnehmen und den Blick auf Mexiko und Bonn richten. So hoffe ich, dass eine konstruktive internationale Konferenz der Umweltminister zustande kommt. Kopenhagen hat natürlich nicht nur Negatives gebracht. Kopenhagen hat bei genauerer Betrachtung zumindest eines gebracht: Die Karten liegen auf dem Tisch; die Befindlichkeiten und die Schwierigkeiten der einzelnen Länder sowie die Sinnhaftigkeiten und auch die Unsinnigkeiten sind klar zutage getreten. Es gibt also genügend Hinweise, was bis Mexiko zu tun ist. Ich möchte entgegen der Meinung aller Untergangsspezialisten, die es auch im NGO-Bereich gegeben hat, ganz ausdrücklich sagen: Wir werden einen neuen Anlauf nehmen. Dazu können auch wir Parlamentarier etwas beitragen. Das indische Parlament spielt in diesem Zusammenhang eine starke Rolle. Wenn wir unsere guten parlamentarischen Beziehungen zu Indien nutzen, können wir in den nächsten Monaten auf die indischen Parlamentarier einwirken. Dasselbe gilt für die Amerikaner. Es ist doch offensichtlich, dass Präsident Obama einen ganz anderen Kurs fährt als der frühere Präsident Bush. Aber er braucht dazu die Unterstützung des Kongresses. Auch da können wir die nächsten Monate nutzen, um den einen oder anderen auf dem Wege der transatlantischen Freundschaft von unserer Position zu überzeugen. Ich komme zu China. Natürlich hat China keine besonders gute Rolle gespielt. Aber all diejenigen, die sich mit China beschäftigen, wissen auch, dass es dort viele hochrangige Leute im Politbüro und auf Gouverneursebene gibt, die mit uns im Bereich der Technologie auf dem Kohlesektor gerne zusammenarbeiten wollen. Auch in Bezug auf Indonesien sollten wir - das gilt sowohl für die Regierung als auch für das Parlament - die Zwischenzeit nutzen. ({2}) An die Adresse der Entwicklungspolitiker der SPD sage ich: Auch die Afrikaner haben zum Teil einen unsäglichen Beitrag in Kopenhagen geleistet, allen voran das demokratische Musterland Sudan. Inzwischen sagen alle Afrikaner - außer dem Sudan -: Zur Not machen wir mit. - Das sollten wir in gewisser Weise als Ermutigung verstehen. ({3}) Lieber Norbert Röttgen, ich finde es richtig, dass wir Deutsche unverdrossen unseren Weg gehen: Wir kämpfen für ein rechtsverbindliches Abkommen noch heuer, wir suchen die Koalition der Gutwilligen, und wir bieten selber überzeugende Angebote. Dazu gehört auch die ausgestreckte Hand in Richtung der Entwicklungsländer. Hier kann ich den Vorwurf, wir hätten keine Angebote gemacht, nicht nachvollziehen. Wir haben sehr umfangreiche Angebote gemacht. Vieles davon steht in den Haushalten des BMZ und des BMU, und zwar seit Jahren. Die SPD tut jetzt aber immer so, als wären die letzten vier Jahre erfolglos und spurlos an der Welt vorübergegangen. ({4}) - Stehen Sie doch zu unseren gemeinsamen Erfolgen der letzten vier Jahre! Tun Sie nicht so, als wäre in den letzten vier Monaten alles anders geworden! Das ist doch scheinheilig und traurig. ({5}) Ich nehme die Verhandlungen mit den Entwicklungsländern sehr ernst. Hier geht es nämlich um die Maßnahmen, die am leichtesten und am dringendsten zu erfüllen sind: um die Erhaltung der Senken und die Rettung des Waldes. Dazu brauchen wir auf jeden Fall die Entwicklungsländer. Nur, wir können das alles nicht in den Haushalt einstellen, bevor wir nicht ein für alle verbindliches internationales Abkommen geschlossen haben. Erstens wäre das verhandlungstaktisch unsinnig und würde der Sache nicht dienen; zweitens wäre es ungerecht. Deswegen läuft der Vorwurf, wir hätten keine Angebote gemacht, ins Leere. ({6}) Zum Ziel der Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent - Norbert Röttgen hat es wiederholt - sage ich: Ich bin froh, dass weiterhin Mittel im Umfang von mindestens 30 Prozent des BMU-Haushalts für die Verwirklichung dieses Ziels zur Verfügung gestellt werden; die Ausgaben bleiben also auf hohem Niveau. Auch ich bin dafür, dass die Spezialprogramme und -projekte, die sehr erfolgreich gelaufen und mit einem Sperrvermerk bedacht sind, weiter von uns unterstützt werden. Das gilt zum Beispiel für die Regionalprogramme, die sehr erfolgreich laufen. Das gilt auch für das Programm zur Förderung von Miniblockheizkraftwerken ({7}) und das hocheffiziente CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das im Haushalt des Kollegen Ramsauer angesiedelt ist. Hier ist es völlig unsinnig, Herrn Ramsauer etwas vorzuwerfen, was sein Vorgänger verbockt hat. Wir sollten lieber gemeinsam dafür streiten, dass die Mittel für dieses Programm im Bundesverkehrsministerium aufgestockt werden können. Wir sollten hier nicht Minister Ramsauer beschimpfen, sondern sagen: Wir haben ein Interesse daran, dass er in seinem Hause für dieses Programm Unterstützung erhält. ({8}) Norbert Röttgen hat die entscheidende Rolle der Energiepolitik angesprochen. In diesem Zusammenhang wiederhole ich, was ich schon beim letzten Mal gesagt habe: Es gibt nirgendwo so viele Scheinheiligkeiten, nirgendwo wird so viel gelogen wie in der Energiepolitik. Ich bin davon überzeugt, dass wir die anspruchsvollen Ziele, die wir uns gemeinsam in diesem Hause auferlegt haben, ohne einen massiven technischen Fortschritt und eine Politik der Technologie und der Innovation auf allen Gebieten nicht erreichen werden, egal ob es, Frau Höhn, um die berühmte CO2-Abscheidetechnik, ({9}) um Desertec, Kernfusion oder viele andere Dinge mehr geht. Bei all diesen Dingen kommt Deutschland nur mit Technologieoffenheit voran.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ruck, achten Sie bitte auf das Zeichen.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl, letzter Gedanke. - Das bringt uns einen dreifachen Vorteil: Mit Technologieoffenheit erreichen wir unsere Klimaziele und mehr Wettbewerbsfähigkeit. ({0}) Frau Höhn, mit dieser Wettbewerbsfähigkeit erreichen wir auch einen dritten Vorteil: einen Dominoeffekt, der dazu führt, dass die anderen Länder, die anderen CO2Emittenten, unsere Konkurrenten gar nicht anders können als unsere CO2-arme Technologie nachzuahmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ruck, Sie reden jetzt auf Kosten Ihrer nachfolgenden Kollegen.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann haben wir den Effekt erreicht, den wir erreichen wollen. Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kelber das Wort.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ruck, ich finde es traurig, dass Sie in Ihrem Redebeitrag zu einer Sache nicht mehr stehen, nämlich zu dem gemeinsamen Beschluss von CDU/CSU und SPD aus dem letzten Jahr, die Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm so lange aufzustocken, bis jedem einzelnen Antrag, der gestellt wird, um einen vergünstigten Kredit dafür zu bekommen, bei einem Gebäude eine Wärmedämmung vorzunehmen, womit Energiekosten reduziert, Arbeitsplätze geschaffen und die Umwelt geschont wird, entsprochen werden kann. Das war ein Beschluss des gemeinsamen Kabinetts. Sie haben ihn eben kritisiert, genauso wie der Kollege Kauch, der ihn noch im letzten Jahr begrüßt und heute kritisiert hat. So schnell ändert sich das, wenn man sich in anderen Konstellationen befindet. Wir werden beobachten: Wird eine Regierung aus CDU/CSU und FDP ebenso wie eine Regierung unter SPD-Beteiligung bereit sein, dieses Gebäudesanierungsprogramm finanziell angemessen auszustatten? ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer Erwiderung.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Kelber, ich kann mich ganz kurz fassen, weil Herr Kauch auf das, was Sie uns vorwerfen, schon eingegangen ist. Wir haben das Gebäudesanierungsprogramm unter Schwarz-Rot sehr ernst genommen. ({0}) Der Kollege Tiefensee, der bekanntlich ein SPD-Mann ist, hat ({1}) das Geld vorzeitig ausgegeben, auch aus Wahlkampfgründen, ({2}) und zwar vorauseilend mit Blick auf den nächsten Haushalt. Jetzt können Sie seinem Nachfolger nicht vorwerfen, dass er das Geld, das Tiefensee ausgegeben hat, nicht mehr in der Kasse hat. Das ist doch unsinnig. ({3}) Ich habe es doch gesagt: Tun wir gemeinsam alles dafür, dass Minister Ramsauer das Geld, das sein Vorgänger hinausgeschmissen hat, wieder auffüllen kann. ({4}) - Richtig. Aber Sie können doch dem Kollegen Ramsauer nicht vorwerfen, dass Tiefensee das Geld schon verfrühstückt hat. ({5}) Vielmehr muss es unser Ziel sein, dass neues Geld nachkommt. Insofern kann ich nur sagen: Unterstützen Sie uns doch ({6}) - ich glaube, Sie hören nicht zu, Herr Kelber - in dem Anliegen, diese Gelder wieder aufzufüllen. ({7}) Als Umweltschützer und Umweltpolitiker habe ich kein Problem damit, dem Kollegen Ramsauer eine umweltpolitische Maßnahme zu offerieren. ({8}) - Ich stimme jedem vernünftigen Antrag zu; aber das sind meist die Anträge, die von uns kommen. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Bärbel Kofler das Wort. ({0})

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich hatte am gestrigen Abend das zweifelhafte Vergnügen, über den Einzelplan für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mitzudiskutieren. Eines kann ich am heutigen Tag positiv feststellen: Ich habe heute vom Minister zumindest schöne Wort gehört. Meines Erachtens ist dies das Einzige, was Sie an dieser Stelle unterscheidet. Kollege Ruck ist vorhin im Zusammenhang mit Klimaschutz und der Konferenz von Kopenhagen auf das Thema Entwicklungspolitik eingegangen. Dazu möchte ich ein paar Punkte richtigstellen und einige Dinge deutlich machen. Überhaupt hat man, wenn man die Debatte hier in den letzten zwei Tagen verfolgt, den Eindruck, dass das alles in Kopenhagen gar nicht so schlimm war. Die einen versuchen, dies alles schönzureden und sagen, man werde das Problem in Mexiko oder sonst wo schon noch in den Griff bekommen. Die anderen in der Regierungskoalition, die das Scheitern zur Kenntnis nehmen, machen dafür China oder die USA oder, wie ich heute gelernt habe, die Opposition verantwortlich. ({0}) All diese Vorwürfe sind völlig aus der Luft gegriffen und bedeuten einfach nur, dass Sie sich Ihrer Regierungsverantwortung nicht stellen und sich Ihrer Verantwortung für das Scheitern der Konferenz von Kopenhagen entziehen. ({1}) Es ist schön, dass alle Konferenzländer anerkannt haben, dass wir ein Klimaproblem haben; ich formuliere es einmal so, denn mehr ist ja nicht herausgekommen. Aber dazu, welche konkreten Schritte und Maßnahmen man einleiten sollte, wurde in Kopenhagen nichts beschlossen und auch hier nichts gesagt. Das ist nicht nur die Erkenntnis der Opposition, sondern das haben auch Wissenschaftler, die in dem Beirat „Globale Umweltveränderungen“ der Bundesregierung sitzen, in der FAZ im Dezember geschrieben. Kopenhagen hinterlässt „Frustration, Irritation und Konfusion“, so deren Urteil. Diese Konfusion und Frustration kann ich nachvollziehen. Dies gilt auch für den vorliegenden Haushaltsentwurf. Zum Einzelplan 16 sind viele schöne Worte gefallen. Aber wenn es um die Frage des internationalen Klimaschutzes geht, dann fragt man sich: Wo finde ich dazu konkret etwas in diesem Haushalt, über den wir diskutieren? Ich habe lange im Einzelplan 16 gesucht. Ich habe auch lange im Einzelplan 23 gesucht; denn es könnte ja sein, dass irgendwo anders etwas steht. Nach langem Suchen habe ich im Einzelplan 16 ein kleines Sternchen gefunden. Dort steht: Beim Stammhaushalt in der Höhe von ungefähr 1,2 Milliarden Euro ist die Ermächtigung zu Mehrausgaben für den internationalen Klimaschutz in Höhe von 400 Millionen Euro, als Folge von Kopenhagen, noch nicht berücksichtigt. Herr Minister, es wäre schön gewesen, heute von Ihnen ein klärendes Wort zu hören, wie Sie bis zur zweiten bzw. dritten Lesung diese 400 Millionen Euro in den Haushalt einstellen wollen. ({2}) Aber ich glaube, das gehört zu einer Reihe von Fragen, die sich hinter diesem Einzelplan verbergen. Herr Kollege Miersch hat dankenswerterweise auf die 1,5 Milliarden Euro Folgekosten für Asse hingewiesen. Was ist mit den 400 Millionen Euro? Wir wissen es nicht. Ich möchte auf eines hinweisen - es ist heute einiges über die Halbwertszeit der Aussagen dieser schwarz-gelben Koalition gesagt worden -: Am 11. Dezember wurde in Brüssel beschlossen, dass man sich im Rahmen der Haushalte 2010 bis 2012, also auch im Rahmen dieses demnächst zu verabschiedenden Haushalts, an der Hilfe für die Entwicklungsländer beteiligen werde - so viel zu den Signalen; darauf werde ich noch eingehen, Herr Kollege Ruck. Für den Klimaschutz der Entwicklungsländer werden weltweit 30 Milliarden US-Dollar und in der EU 10,6 Milliarden US-Dollar bereitgestellt. Wo ist der deutsche Anteil? Man hört zwar, dass wir uns beteiligen wollen. Das steht auch auf der Internetseite des BMU. Es wäre nur schön, wenn Sie sich am Kabinettstisch einig wären. In der Welt am Sonntag vom 20. Dezember steht - Zeitung lesen hilft manchmal wirklich -, dass der Kabinettskollege Niebel zu dieser Frage sagt: Das Fast-Start-Finanzierungspaket, das Teil des Beschlusses von Kopenhagen werden sollte, ist mit dem Scheitern des Gipfels auch vom Tisch. Ja, was denn jetzt bitte? Hü oder hott, Beteiligung ja oder nein? Was passiert mit dem Geld, das dringend für den internationalen Klimaschutz benötigt wird? Auch dies ist ein Signal für die Entwicklungsländer, ein Signal, das man vorher anders hätte senden müssen, damit mehr Diskussionsbereitschaft und mehr Bereitschaft, sich einzubringen, vonseiten anderer Länder vorhanden gewesen wäre. ({3}) Wenn man bei dieser Gelegenheit einmal nachliest, wer laut unserer Verfassung die Leitlinien der Politik bestimmt, dann frage ich mich schon, wo in diesem Moment die Kanzlerin ist. Es ist ihr Kabinett, in dem der eine Minister hü und der andere Minister hott sagt bzw. der eine Minister nichts dazu sagt und der andere Minister es ablehnt, etwas zu sagen. ({4}) Ich denke, es ist wichtig, dass Sie Ihrem Wissenschaftlichen Beirat genauer zuhören, was bei internationalen Verhandlungen das Gebot der Stunde wäre, wenn es um den Klimaschutz geht. Das Verursacherprinzip sollte anerkannt werden. Die Industrieländer, die über Jahrhunderte hinweg durch Industrialisierung zum Klimawandel beigetragen haben, müssen sich entsprechend ihrer finanziellen Verantwortung stellen. ({5}) - Ja, Sie schieben die Schuld immer auf die Schwellenländer. Auch diese Länder, die jetzt viel CO2 emittieren, müssen natürlich ihren Beitrag leisten; das bestreitet keiner. Bisher liegt aber die maßgebliche Verantwortung bei den Industrieländern. ({6}) Wenn man in einer vielschichtigen Weise darüber diskutiert, dann wird man bei den Entwicklungsländern auf eine andere Akzeptanz stoßen und Glaubwürdigkeit beweisen. Denn das, was im Vorfeld zur Konferenz passiert ist, hat dazu geführt, dass viele Länder gesagt haben: Das, was ihr macht, ist nicht glaubwürdig. Wir verlassen uns nicht darauf. ({7}) Das kann man auch verstehen. Das ist ja auch ein weites Feld, wenn man sich die Gesamtsumme für die Entwicklungsländer ansieht; darüber haben wir gestern gesprochen. Die SPD-Fraktion hat deshalb einen entsprechenden Antrag eingebracht und gefordert, die Mittel für den Klimaschutz nicht mit den Mitteln für Armutsbekämpfung zu verrechnen. Ich denke, wenn diesem Antrag im Vorfeld der Konferenz Folge geleistet worden wäre, hätte man ein wesentlich besseres Signal nach Kopenhagen senden können, auch was die Rolle Deutschlands anbelangt. ({8}) Neben der Konferenz von Kopenhagen möchte ich eine andere Frage ansprechen, auf die viele Vorredner eingegangen sind: das Verhältnis zwischen Stammhaushalt und Endlagerhaushalt. Es ist schon gesagt worden, dass der Endlagerhaushalt ungefähr ein Viertel des Umwelthaushalts ausmacht. Eine Politik, die die Nutzung der Atomenergie verlängert, erhöht auch die Folgekosten. Ich glaube nicht, dass das, was Sie hier verschönt als Brückentechnologie dargestellt haben - Sie versuchen, den Leuten das schmackhaft zu machen -, wirklich Ausdruck Ihrer Politik im Bereich Atomenergie ist, Herr Minister. Setzen Sie sich einmal mit dem Wirtschaftsminister zusammen. Fragen Sie einmal genau nach, was diese Regierung zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder macht? Sie hat, bezogen auf Brasilien, Ausfuhrbürgschaften für Atomkraftwerke bzw. Atomtechnologien in Milliardenhöhe erteilt. Dies ist die erste Regierung seit 2000, die Hermesbürgschaften für den Bau eines Atomkraftwerks in Brasilien vergibt. Das hat auch die Große Koalition nicht gemacht, und zwar deswegen - das muss ich an dieser Stelle deutlich sagen -, weil der sozialdemokratische Umweltminister, Sigmar Gabriel, auf die Bremse getreten ist. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Kofler, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. Dieses kleine Beispiel für Außenwirtschaftsförderung, die dieser Regierung sehr am Herzen liegt, zeigt eines ganz deutlich: dass Sie ins Atomzeitalter und damit zu einer veralteten Technologie zurückwollen. Dadurch entziehen Sie neuen Technologien die finanzielle und ökonomische Basis. Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Angelika Brunkhorst. ({0})

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu der Debatte über den Umwelthaushalt gehört auch die Frage der Stilllegung des Schachtes Asse II. Zu Beginn des letzten Jahres, Anfang Januar 2009, gab es eine Übertragung der Verantwortung auf das Umweltressort. Es kam zu einem Betreiberwechsel hin zum Bundesamt für Strahlenschutz, zum BfS. Nun soll Asse II verfahrensrechtlich wie ein Endlager abgewickelt werden. Daher muss es nach Atomrecht behandelt werden. Das BfS als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des BMU besitzt in diesem Bereich Kompetenz, weil es auch für die Endlagerung und die Entsorgung radioaktiver Abfälle zuständig ist. Es ist konstatiert worden, dass für Asse II circa 98 Millionen Euro pro Jahr erforderlich sind. Das ist aber noch keine konkrete Zahl. Das kann noch variieren, weil wir den konkreten Bedarf erst dann kennen, wenn die Grundsatzentscheidung über das Stilllegungskonzept tatsächlich gefallen ist. Ende vergangener Woche hat das BfS nach Begutachtung der verschiedenen Optionen eine Empfehlung für die Rückholung der Abfälle herausgegeben, da dies nach heutigem Wissensstand die beste Lösung darstellt. Das wird angestrebt. Die Optionen Vollverfüllung und Umlagerung sind zunächst verworfen worden. Natürlich ergeben sich daraus für die nachfolgende Diskussion einige Fragen. Angesichts der drängenden Probleme hoffe ich, dass Umweltminister Röttgen dafür sorgen wird, dass das BfS zügig ein Konzept für das weitere Vorgehen vorlegt, was die bereits verschlossenen Kammern angeht. Man muss da schon hineinschauen. Man muss wissen, wie es dahinter aussieht. Die Abfallgebinde müssen untersucht werden, damit es keine bösen Überraschungen gibt. Das BfS schlägt vor, dass das Konzept bis Ende Mai erarbeitet wird. Es ist zu fragen, wie diese Fässer aussehen: Sind sie angeschlagen? Sind sie defekt? Sind sie in Ordnung? Immerhin sind sie aus Stahl, und es ist feucht. Die Frage ist auch: Ist eine Rückholung ohne Gefahr mög1434 lich, oder sind die Fässer in einem, sagen wir einmal, fragilen Zustand, sodass sie eventuell bersten könnten? Wir müssen darauf achten, dass es keine unnötige Strahlenexposition gibt; denn das wäre eine unmittelbare Gefahr. Wir sind auch nach dem Atomgesetz strahlenschutzrechtlich in der Verantwortung. Die Experten sagen, die Standsicherheit des Grubengebäudes sei bis 2020 gesichert. Für diesen Zeitraum von zehn Jahren muss sichergestellt sein, dass keine zusätzlichen Störungen dazwischenkommen können. Ich glaube, dass die Rückholung der 126 000 Fässer in zehn Jahren, wie das BfS es ausgerechnet hat, ein hoch ambitioniertes Vorhaben ist. Das Vorhaben muss geophysikalisch und technisch umsetzbar sein. Deshalb - das ist der Kern der Forderung, die wir alle hier im Hause vertreten sollten -: Wir müssen parallel einen Notfallplan erarbeiten. Denn ohne einen wirksamen und operativ sofort umsetzbaren Notfallplan wird es nicht zu einem Planfeststellungsbeschluss kommen. Das hat auch der niedersächsische Umweltminister angedeutet, der ja Leiter der zuständigen Planfeststellungsbehörde ist. Bei allen etwaigen Unwägbarkeiten, die man in Betracht ziehen kann, muss auf jeden Fall Priorität sein, die Sicherheit der in der Region lebenden Menschen zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Asse keinen unnötigen Gefahren ausgesetzt werden. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sabine Stüber für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Stüber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004171, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wurde schon mehrfach gesagt: Die Konferenz von Kopenhagen ist grandios gescheitert. Wer hierfür nur China oder einige lateinamerikanische Entwicklungsländer verantwortlich macht, betreibt unverantwortliche Desinformation. Halten wir fest: Die Minderungsangebote der Industrieländer bewegten sich zwischen dem Start der Konferenz und ihrem Ende keinen Zentimeter. Selbst um das 2-Grad-Ziel überhaupt noch einhalten zu können, sind die vorgelegten Angebote des Nordens völlig unzureichend. ({0}) In der Summe machen sie auch bei der gutwilligsten Interpretation weniger als 20 Prozent Minderung bis 2020 gegenüber 1990 aus. Mindestens 25 bis 40 Prozent weniger Treibhausgase sind aber die naturwissenschaftliche Messlatte. Die großen Schwellenländer hingegen haben nationale Aktionspläne vorgelegt, deren Ziele sogar am oberen Rand des vom IPCC vorgegebenen Korridors liegen. Versagt haben also in erster Linie die Industriestaaten, die EU mit ihren 20 Prozent genauso wie die USA, die praktisch nur 4 Prozent Minderung angeboten haben. Zudem haben die EU und auch Deutschland signalisiert, dass die Finanzangebote an den Süden mit dem - bisher unerfüllten - Versprechen einer höheren Entwicklungshilfe verrechnet werden sollen. Es ist kein Wunder, dass so Misstrauen entsteht und dass Verhandlungen in der Sackgasse enden. Neben dem verpatzten Klimagipfel gab es in diesem Monat noch ein Ereignis, das unserer ungeteilten Aufmerksamkeit bedarf: das von den Vereinten Nationen für 2010 ausgerufene Internationale Jahr der biologischen Vielfalt. ({1}) Der weltweite dramatische Artenschwund sollte bis 2010 gestoppt werden. Das war das global vereinbarte Ziel; aber es wurde nicht annähernd erreicht. Im Gegenteil: Wir gehen in die entgegengesetzte Richtung. In der Auftaktveranstaltung am 11. Januar hier in Berlin stellte die Bundeskanzlerin in ihrer Rede eindeutig fest, dass wir einen wirksamen Schutz der Artenvielfalt und ihre nachhaltige Nutzung jetzt brauchen und nicht irgendwann, aber das sei schwierig. Da stimmen wir Linke der Bundeskanzlerin einmal zu. ({2}) Nur sagen wir nicht „aber“, sondern „auch wenn es schwierig ist“; denn es geht um unsere Lebensgrundlagen. Von der Wissenschaft erreichte uns, auf den Punkt gebracht, die Botschaft: Klimaschutz ist ohne Naturschutz nicht möglich - und umgekehrt. Beides bedingt einander. Kolleginnen und Kollegen, kommen wir zum Geld. Nichts zu tun, ist am teuersten. Zu wenig zu tun, wird kaum billiger. Der Schutz der Biodiversität ist der preiswerteste Klimaschutz. Täglich verschwinden 150 Arten der Tier- und Pflanzenwelt. Investieren wir weltweit in den Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder, so ist das sowohl eine Maßnahme zur Reduzierung der Treibhausgase als auch zum Schutz der Lebensräume vieler Arten. Das sind Synergien zwischen Klima- und Artenschutz, die wirtschaftlich ausgesprochen effizient sind. ({3}) Es ist ebenfalls unklar, welchen Beitrag Deutschland zu einem Schnellstart-Klimaschutzprogramm im globalen Süden leisten will. Im Bundeshaushalt 2010 sind für den Schutz des Klimas und der Artenvielfalt im Ausland 120 Millionen Euro vorgesehen. Wir denken, das ist zu wenig. Hinzu kommt, dass diese 120 Millionen Euro vor allem in große Schwellenländer fließen sollen. Besonders durch den Klimawandel verwundbar sind jedoch ärmere Länder. Deshalb muss das Geld auch dorthin fließen. Das Geld für Klimaschutzmaßnahmen mit der Entwicklungshilfe zu verrechnen, lehnen wir Linke ab. ({4}) Das ist reine „Verniebelungstaktik“. Unser Vorschlag: Auch in Anbetracht der besonderen Verantwortung, die Deutschland mit dem Vorsitz der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt, CBD, noch bis zum Herbst dieses Jahres hat, sollten im Jahr 2010 mindestens 200 Millionen Euro für Klimaschutzmaßnahmen im Ausland zur Verfügung gestellt werden. Eine letzte Bemerkung. Der Haushalt des BMU macht gerade einmal 0,3 Prozent des Gesamthaushalts aus. Somit ist die Suche nach Ausgabenminderungsmöglichkeiten aussichtslos. Daher kann es bei den zu lösenden Aufgaben einzig und allein um eine Aufstockung des Haushalts gehen. Danke. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Stüber, das war Ihre erste Rede im Hohen Hause. Wir gratulieren Ihnen dazu recht herzlich und wünschen Ihnen Erfolg für Ihre Arbeit. ({0}) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Hans-Josef Fell. ({1})

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen möglichst schnell ins Zeitalter der erneuerbaren Energien. - Das sagte Kanzlerin Merkel gestern sinngemäß an diesem Rednerpult. Umweltminister Röttgen erkannte in seiner Regierungserklärung an - er betonte das auch heute -, dass Umweltschutzpolitik auch eine Innovations- und Wirtschaftsstrategie ist. Das sind richtige und gute Ziele, aber sehr späte Erkenntnisse. Nur, Ihre Politik ist das glatte Gegenteil. ({0}) Das lässt sich schon am Haushaltsentwurf ablesen. Durch diesen Etat belasten Sie den Steuerzahler mit vielen Milliarden Euro, um die Altlasten der Atomkraft zu sanieren, statt die Atomkonzerne für ihre Vergangenheitssünden zur Kasse zu bitten. ({1}) Sie veranschlagen kein zusätzliches Geld für die Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien, den Sie ja wollen, und die Steigerung der Energieeffizienz. Bei wichtigen Branchen wie der Fotovoltaik oder der Mini-Kraft-Wärme-Kopplung setzen Sie sogar den Rotstift an. Sie reden von der Erhöhung der Forschungsmittel für erneuerbare Energien. In Wirklichkeit findet sich im Haushaltsentwurf des BMU kein zusätzlicher Euro. Die Steuergeschenke für die Hoteliers belaufen sich auf das Zehnfache der BMU-Mittel für Energieforschung. Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie die Steuergeschenke für die Hoteliers zurück und sparen Sie sich das Gerede von der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke! Sie sind eine Mauer und keine Brücke ins Solarzeitalter. ({2}) Statt die Mittel für erneuerbare Energien und Energieeffizienz kontinuierlich zu erhöhen, stecken Sie jetzt sogar Gelder, die für das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien vorgesehen waren, in den Neubau von Ölheizungen. So schaffen Sie niemals Klimaschutz. ({3}) Es kommt noch schlimmer: In Zeiten, in denen China mit Subventionen für Solarfabriken Deutschlands Technologieführerschaft ablösen will, streicht Umweltminister Röttgen, statt den deutschen Solarunternehmen zu helfen, die Mittel für die Fotovoltaikforschung massiv zusammen. Wie sollen die deutschen Unternehmen verstärkt Innovationen entwickeln und die Kosten senken, wenn Sie ihnen die öffentlichen Forschungsmittel streichen? Apropos streichen: Jetzt kündigen Sie auch noch an, dass die Vergütung für Strom aus Dachanlagen innerhalb eines Jahres um 30 Prozent, für Strom aus Freiflächenanlagen sogar um 41 Prozent abgesenkt wird. Das ist eine drastische Kürzung. Sie haben keine belastbare wissenschaftliche Untersuchung vorgelegt, ob der Markt das verträgt. Finanzunternehmen, die dies genau untersuchen, unter anderem die LBBW, haben klar analysiert, dass die deutsche Fotovoltaikindustrie bei einer solch heftigen Senkung der Vergütung zusammenbrechen wird. Sie setzen Zehntausende Jobs, vor allem im Handwerk und im Mittelstand, aufs Spiel. Mit kompetenter Wirtschaftspolitik in der Krise hat das nichts zu tun. ({4}) Das Segment der Freiflächenanlagen werden Sie dadurch völlig abwürgen. Lösen Sie den Konflikt um die Nutzung fruchtbarer Ackerböden doch durch eine Doppelnutzung: agrarische Bewirtschaftung unter PV-Flächen. ({5}) Mit leeren Händen, Herr Umweltminister Röttgen, sind Sie aus Kopenhagen zurückgekommen. Statt den Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien national voranzutreiben, treten Sie bei der Solarenergie massiv auf die Bremse. Zwei kalifornische Universitäten haben einen Plan erstellt, nach dem die Energieversorgung der ganzen Welt bis 2030 zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umgestellt werden kann. Die beiden Universitäten haben nachgewiesen, dass das ökonomisch sinnvoll und technisch machbar ist. Obwohl Sie wissen, dass dies der beste Beitrag zu Klimaschutz und neuen Arbeitsplätzen wäre, nehmen Sie diesen Plan nicht ernst: Sie haben ihn weder hier noch in Kopenhagen ins Gespräch gebracht. Das bestätigt, dass Ihre Interessen in Wirklichkeit Kohle und Atom gelten. Auf der Weltkonferenz für erneuerbare Energien, die gerade in Abu Dhabi zu Ende gegangen ist und auf der über 70 Länder durch Staatschefs oder Minister vertreten waren, gab es nur ein Thema: Wo sind denn hochrangige Vertreter der deutschen Regierung? Warum nur will die deutsche Regierung die so erfolgreiche deutsche Solarindustrie beerdigen? Das hat nur Unverständnis und Kopfschütteln hervorgerufen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Fell, kommen Sie bitte zum Schluss.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Herr Minister Röttgen, unter Kanzlerin Merkel wurde schon die heimische Biokraftstoffbranche weitgehend zerstört. Jetzt treiben Sie mit Ihren Vorstellungen viele deutsche Solarunternehmen in den Konkurs. Bei so viel Technikfeindlichkeit sehe ich schwarz für die technologische und industrielle Zukunft Deutschlands. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun die Kollegin Marie-Luise Dött. ({0})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Haushalt sichert umwelt- und klimapolitische Kontinuität und schafft die Grundlagen für die Umsetzung der ambitionierten Vorhaben unseres Koalitionsvertrages. Damit wird Deutschland beim Klima- und Umweltschutz weiterhin Schrittmacher bleiben. Ambitionierte nationale Umwelt- und Klimapolitik, Impulse für die dynamische Entwicklung europäischen Handelns und globale Zusammenarbeit sind die Schlüsselbegriffe dieser Politik. Deutschland hat die Wirtschafts- und Finanzkrise dank einer tatkräftigen und gleichzeitig besonnenen Politik bislang vergleichsweise gut beherrscht. Die Krise ist aber noch nicht vorbei. Wir müssen nicht nur deswegen die ökologische Modernisierung des Landes - die Verringerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs als Chancen für Wachstum und Beschäftigung nutzen. ({0}) Umwelt- und Ressourcenschutz werden immer mehr zum Hebel für wirtschaftliche Entwicklung und soziale Sicherheit. Dieser Hebel wirkt in zwei Richtungen gleichzeitig: Nur die Volkswirtschaft wird künftig wettbewerbsfähig sein, die bei der Energie- und Ressourcenproduktivität international vorn liegt. Unternehmen werden künftig nur die Produkte und Technologien verkaufen, die umweltverträglich und ressourceneffizient sind. Wer heute den politischen Rahmen schafft, um erneuerbare Energien voranzubringen und die Entwicklung von Effizienztechnologien voranzutreiben, der macht die Wirtschaft für den globalen Wettbewerb von morgen fit. Deutschland ist in diesen Bereichen im internationalen Wettbewerb vorn. ({1}) Aber dieser Spitzenplatz muss von Wissenschaft und Unternehmen Hand in Hand täglich neu erkämpft werden. Die Politik ist gefordert, für diesen Wettbewerb die Rahmenbedingungen zu setzen. Diese Rahmenbedingungen sind fairer Wettbewerb zwischen allen Beteiligten, Technologieoffenheit, ({2}) weniger Bürokratie, faire internationale Wettbewerbsbedingungen und klare, anspruchsvolle und verlässliche umweltpolitische Vorgaben. Genau dafür werden wir mit der Umsetzung des Koalitionsvertrages sorgen, und genau dieser Weg spiegelt sich im Haushaltsentwurf wider. Meine Damen und Herren, Ökonomie und Ökologie sind kein Gegensatz. So richtig diese Analyse ist, einen Automatismus gibt es dafür nicht. Umweltpolitik ist der Bewahrung der Schöpfung verpflichtet. Sie ist aber auch verpflichtet, Instrumente und konkrete Maßnahmen zu suchen, mit denen Umweltschutz, wirtschaftlicher Fortschritt und soziale Gerechtigkeit gleichermaßen erreicht werden. ({3}) Energiepolitik beispielsweise kann nicht zum alleinigen Ziel haben, Deutschland CO2-frei zu machen. Dieses aus Klimaschutzaspekten durchaus wünschenswerte Ziel kann nicht der einzige Maßstab für die Politik sein. Der Maßstab für Energiepolitik beinhaltet auch die sichere und bezahlbare Energiebereitstellung für die Bürger und für die Wirtschaft. Deshalb ist es richtig, vor einer Entscheidung über den künftigen Energiemix genau zu prüfen, wie die Anforderungen an eine moderne umweltund ressourcenverträgliche Energieversorgung über die Zeitschiene aussehen. Auf dieser Zeitschiene muss dann auf wissenschaftlicher Grundlage, verantwortungsbewusst und technologieoffen über den Energiemix entschieden werden. So haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart, und so ist es richtig. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen im Umwelt- und Klimaschutz mehr Effizienz. Wir müssen stärker als bisher das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Maßnahmen im Auge behalten. Das ist schon in wirtschaftlich normalen Zeiten ein Gebot. In Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise muss die Effizienz des Mitteleinsatzes ein ganz entscheidendes Beurteilungskriterium sein. Jeder Euro, den wir für Umwelt- und Ressourcenschutz ausgeben, ob aus Haushaltsmitteln, von Unternehmen oder vom Bürger, muss unter Effizienzgesichtspunkten gerechtfertigt sein. Das betrifft auch die erneuerbaren Energien. Die Bürger zahlen jährlich allein für die Fotovoltaik Milliardenbeträge an Subventionen mit der Stromrechnung. Deshalb ist es richtig, dass wir umgehend die Förderung der Fotovoltaik reduzieren. Eine „Hängematte“ aus ungerechtfertigt hohen Einspeisevergütungen hilft niemandem, auch nicht den Herstellern der Anlagen. Die dringend erforderlichen Innovationsanreize erreicht man nicht durch maximale, sondern durch optimale Förderung. Diese Innovationsanreize werden nicht nur die Bürger entlasten. Sie werden auch dafür sorgen, dass nicht chinesische Solarpaneele auf deutschen Dächern montiert werden, sondern deutsche auf chinesischen Dächern. ({4}) Genau das schafft Arbeitsplätze in Deutschland, und genau das hilft dem globalen Klimaschutz. ({5}) Nur so behalten die erneuerbaren Energien, Frau Höhn, die Akzeptanz bei den Bürgern. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Es ist ein Grundsatz unserer Umweltpolitik, wo immer es sinnvoll ist, Investitionsanreize auch für die Bürger zu schaffen. Mit der Verstetigung des Marktanreizprogramms zur Förderung der erneuerbaren Energien im Wärmemarkt bei 400 Millionen Euro auch im kommenden Haushaltsjahr erhalten die Bürger weiterhin verlässliche Förderung bei Investitionen in neueste Technologien. Dies nutzt der Umwelt und dem Klima, hilft den Bürgern und schafft Arbeitsplätze im Handwerk und bei den Herstellern. Dieser Haushalt ist so angelegt, dass in vielen Bereichen die Gelder unmittelbar beim Bürger ankommen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege HeinzPeter Haustein das Wort. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war ein Septembermorgen. Es war kalt draußen, und der Heizer schippte verzweifelt Rohbraunkohle in die Gusskessel. Aber der Dampfdruck stieg nicht. Der Betrieb blieb kalt. Da kam die Anweisung: Anreichern. Plötzlich wurden Produktionsabfälle mit in den Heizungskessel geschmissen: PVC, PUR-Schaum, Sprelakart. Blankes Gift. So geschehen vor 25 Jahren in einem Betrieb in der DDR. Dass die Wolke, die aus dem Schornstein herausquoll, dann auch noch eine Kuhherde erreichte und einige Kühe gleich tot umfielen, sei auch noch erwähnt. Ich sage das an die Adresse der Linken gewandt, weil sie immer so tun, als hätten sie den Umweltschutz erfunden. ({0}) In unseren Haushalt für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sind wirklich nur 1,58 Milliarden Euro eingestellt. Im Einzelnen sind 1,209 Milliarden Euro im Stammhaushalt und 372 Millionen Euro im Endlagerbereich eingestellt. Der Stammhaushalt wiederum untergliedert sich zum einen in den Verwaltungsteil und zum anderen in den Programmhaushalt. Nun könnte man meinen, dass das nicht allzu viel ist. Aber es ist ein Querschnittshaushalt, und auch in allen anderen Bereichen wird viel für die Umwelt getan. Nehmen wir zunächst das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich war letzte Woche mit Minister Niebel und anderen Kollegen im Kongo, dem zweitgrößten Waldgebiet der Erde. Wir haben dort Projekte zum Schutz des Waldes im Sinne der Nachhaltigkeit besucht, die auch mit deutschem Geld gefördert wurden. Richten wir den Blick auf das Wirtschaftsministerium. Auch die von Herrn Brüderle angekündigten 500 Millionen Euro für die Förderung von Elektroautos sind in gewissem Maße Umweltschutz. Alles in allem können dem Umweltschutz in diesem Haushalt 6,3 Milliarden Euro zugerechnet werden. Dabei rede ich nicht einmal von den Sanierungsmaßnahmen bei den Wismut-Halden. Wismut bzw. die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft, die im Erzgebirge massiv den Bergbau zur Uranförderung betrieben hat, ist sicherlich den meisten Deutschen bekannt. Die ganzen Überbleibsel aus dieser Zeit liegen noch dort. Auch dafür wird noch sehr viel Geld gebraucht werden. Es gibt in diesem Haushalt viel zu tun. Aber uns muss nicht bange werden. Dieses Ministerium für Umwelt wurde unter einer christlich-liberalen Regierung gegründet. Es war einmal mehr Hans-Dietrich Genscher, der die Umweltpolitik in den Mittelpunkt unserer Politik gestellt hat. ({1}) Umweltpolitik ist für unsere christlich-liberale Regierung eine Herzenssache. Wir machen das mit Herz und Emotionen, und wir werden viel erreichen. Uns ist auch nicht vor den Herausforderungen bange, die noch kommen. Es ist unsere Herzenssache, und so soll es auch bleiben. ({2}) Wir haben ein gutes Ministerium mit einem kompetenten Minister, und jetzt, mit einer christlich-liberalen Handschrift, wird es noch besser werden. In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Bernhard SchulteDrüggelte für die Unionsfraktion. ({0})

Bernhard Schulte-Drüggelte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003629, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Summe wurde gerade genannt: 1,5 Milliarden Euro werden in den Haushalt eingestellt. Das bedeutet eine Steigerung um 7,3 Prozent. Was den Anteil von 0,5 Prozent am Gesamthaushalt angeht, könnte man meinen, das wäre nicht viel. Aber ich meine, dass der Umweltschutz durchaus eine sehr wichtige Rolle spielt. Der Kollege Haustein hat den Umweltschutz gerade als unsere Herzenssache bezeichnet. Darin kann ich ihm nur zustimmen. Die in den BMU-Haushalt eingestellten Mittel sind nur ein Teil, nämlich 25 Prozent, der Gesamtausgaben, die in diesem Haushalt für den Umweltschutz veranschlagt sind. Daran sieht man, dass Umweltschutz eine Querschnittsaufgabe ist. Insgesamt werden über 6 Milliarden Euro veranschlagt. Das kann sich sehen lassen. ({0}) Ich meine, das unterstreicht auch die Aussage von Minister Röttgen, dass wir es uns nicht leisten können, auf Klimaschutzmaßnahmen zu verzichten. Ich finde es gut, dass er gerade nach den vielleicht enttäuschenden Ergebnissen von Kopenhagen gesagt hat: Jetzt erst recht; wir müssen diesen Weg weitergehen. - Das ist richtig, und das unterstützen wir. ({1}) Ich möchte eine erfreuliche Entwicklung der letzten Jahre erwähnen. Unter der Großen Koalition sind die Verwaltungsausgaben gesunken. Von 2005 bis 2010 ist ihr Anteil von 28 auf 16 Prozent zurückgegangen. Das bedeutet, dass nicht Behörden gefördert, sondern Maßnahmen im Umweltschutzbereich und die erneuerbaren Energien unterstützt worden sind. Im Zusammenhang mit den erneuerbaren Energien möchte ich die Klimaschutzinitiative und besonders das Marktanreizprogramm ansprechen. Wir haben in den letzten Jahren immer darüber gesprochen, dass es hier eine Verstetigung geben muss; darauf haben bereits die Vorredner hingewiesen. Die Mittel für Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Erneuerbare-Wärme-Gesetz wurden kontinuierlich aufgestockt. Wir machen damit deutlich, dass sich Investoren und Handwerksbetriebe auf uns verlassen können. Ich unterstütze diejenigen, die Bedenken gegen die im Regierungsentwurf ausgebrachte Sperre vorgetragen haben. Ich halte es für nicht richtig, dass eine Verknüpfung zwischen den Erlösen aus dem Verkauf von CO2Zertifikaten und den im Haushalt eingestellten Summen hergestellt wird. ({2}) Ich bin der Meinung, dass ein Einzelhaushalt dieses Risiko nicht tragen kann. Wenn alle Einnahmen als Deckungsmittel für alle Ausgaben dienen, dann bin ich der Meinung, dass auch alle Einnahmen aus dem Handel mit CO2-Zertifikaten im Gesamthaushalt zur Verfügung stehen sollen. ({3}) Man muss ganz klar sehen: Wenn man das so wie jetzt geplant machte, würde darunter das Marktanreizprogramm besonders leiden. Das führte wieder zu einer Stop-and-go-Förderung. Das wäre für dieses Programm nicht gut. Dem stimme ich eindeutig zu. ({4}) Wenn es stimmt, dass das Zeitalter der erneuerbaren Energien anbricht, dann sage ich dem Finanzminister - ich hoffe, er hört zu -: Lassen Sie diese Sperre fallen! ({5}) Ein weiterer wichtiger Bereich sind die Endlager. Ich möchte mich bei der Endlagerung der schwachradioaktiven Abfälle auf zwei Punkte beschränken. Der Schacht Konrad in Salzgitter wird derzeit ausgebaut. Im Jahr 2007 begann das Bundesamt für Strahlenschutz mit den erforderlichen Arbeiten. Es ist beabsichtigt, dieses Endlager bis 2014 fertigzustellen. Ich finde, das ist eine positive Nachricht. Wer hat noch einmal vom „Endlagerminister“ gesprochen? - Jedenfalls ist es noch dem Schwachendlagerminister Gabriel zu verdanken, dass hier eine vernünftige Lösung gefunden wird. Ich weiß allerdings nicht, ob „Schwachendlagerminister“ die richtige Bezeichnung für ihn ist. ({6}) - Wieso? Ich habe es nur aufgenommen. Ich bin der Meinung, dass es richtig war, die Asse unter Atomrecht zu stellen. Es war richtig, dass das Bundesamt für Strahlenschutz das übernommen hat. Es ist ebenfalls richtig, dass nun das Umweltministerium verantwortlich ist. Nach dem vorliegenden Optionsvergleich bin ich der Meinung, dass wir trotz der schnell vorgelegten Lösungsvorschläge sehr sorgfältig beraten sollten. Ich möchte unterstreichen, was vorhin gesagt wurde, nämlich, dass die Sicherheit aller Beteiligten, insbesondere der Mitarbeiter in den Bergwerken, geBernhard Schulte-Drüggelte währleistet sein muss. Wie Sie sehen, haben wir Beratungsbedarf. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen schließlich zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15. Das Wort hat der Bundesminister Dr. Philipp Rösler. ({0})

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005311

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums ist mit 467 Millionen Euro einer von den kleineren Etats in diesem Haushaltsentwurf. Sie wissen allerdings alle, dass der Gesamtansatz des Einzelplanes 15 mit 16,2 Milliarden Euro deutlich höher ist. Das liegt natürlich an dem steuerlichen Bundeszuschuss von 15,7 Milliarden Euro. Damit sollen zum einen die versicherungsfremden Leistungen und zum anderen die krisenbedingten Einnahmeausfälle ausgeglichen werden. Die Koalition federt damit die krisenbedingten Belastungen der Menschen allein in diesem Jahr mit zusätzlichen 3,9 Milliarden Euro ab, und genau das haben CDU/ CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Wir stellen also fest: Diese Regierungskoalition hält einmal mehr ihr Wort. ({0}) Dennoch wissen wir, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen sich in einer schwierigen finanziellen Situation befinden. Aktuell diskutieren einige Kassen die Erhebung eines Zusatzbeitrages. Das zeigt, dass es nicht ausreicht, Geld in das System hineinzugeben, vielmehr müssen wir das System insgesamt verbessern. Die Menschen brauchen ein Gesundheitssystem, auf das sie sich verlassen können und das für jeden bezahlbar bleibt. Genau dafür steht diese christlich-liberale Regierungskoalition. ({1}) Denn Ihr System, in dem wir uns momentan befinden - es ist ein System der ehemals großen Volkspartei SPD -, ({2}) ist unfertig, nicht zu Ende gedacht und für viele Menschen sozial ungerecht. ({3}) Denn es trifft vor allem die Schwachen in unserem Lande. Demnächst werden gerade diejenigen, die ohnehin schon wenig Einkommen zur Verfügung haben, Ihre Zusatzbeiträge zu spüren bekommen, und zwar ohne jeglichen Sozialausgleich, Frau Ferner. ({4}) Es gilt, diesen Geburtsfehler zu beseitigen. Wir wollen ein faires System. ({5}) Dazu gehören einkommensunabhängige Beiträge, aber niemals ohne einen Ausgleich für die Schwächeren. ({6}) Für die CDU/CSU und die FDP jedenfalls gilt: kein Beitrag ohne Sozialausgleich. Diese Sicherheit müssen die Menschen einfach haben. ({7}) Es geht nicht nur darum, die Einnahmeseite zu stabilisieren, sondern gerade in der heutigen Zeit müssen wir auch auf die Ausgaben Acht geben. ({8}) Wir werden uns deshalb jeden Bereich im Gesundheitssystem ansehen und prüfen, ob dort effizient mit Versichertengeldern umgegangen wird oder nicht. Ich will hier ausdrücklich festhalten: Dabei kann es für keinen der Beteiligten einen Freibrief geben. Im Gegenteil, es gibt nur eine Gruppe, der wir als Koalition uns verpflichtet fühlen, und zwar die 70 Millionen Versicherten. Das ist unser innerer Kompass, und daran werden wir unsere Gesundheitspolitik ausrichten. ({9}) Bloße Kostendämpfungsgesetze halten wir für den falschen Weg, denn sie enden immer in schleichenden Rationierungen für die Versicherten. Es macht auch keinen Sinn, von oben auf das System zu blicken und dann zu entscheiden, wo gekürzt wird und wo nicht. Stattdessen brauchen wir echte Anreize und mehr Möglichkeiten, sich wirtschaftlicher zu verhalten, als bisher. Im Zweifel ist der mündige Versicherte, der aufgeklärte Patient deutlich besser in der Lage, Kosten in den Griff zu bekommen als Gesetze, Verordnungen und Vorschriften. Wir jedenfalls setzen zuallererst auf die Menschen und nicht auf die Bürokratie im System. ({10}) Deswegen bleiben wir dabei: Wir brauchen ein faires System, das sich nicht anmaßt, alles bis ins kleinste Detail lenken zu wollen. Wir trauen den Menschen im System deutlich mehr zu: den Leistungserbringern bei der Auswahl ihrer Therapien, den Patientinnen und Patienten bei der Auswahl ihrer Leistungserbringer und Therapeuten, den Krankenversicherungen bei der Betreuung ihrer Versicherten und den Versicherten bei der Auswahl ihrer Krankenkassen. ({11}) Darüber hinaus brauchen wir deutlich mehr Transparenz als bisher; denn nur derjenige kann eine freie Ent1440 scheidung treffen, der über Wissen verfügt und Informationen erhält. Es gibt 4,3 Millionen Beschäftigte im Gesundheitswesen und Millionen von Versicherten. All diese Menschen brauchen ein faires System. Hören wir endlich auf, diese Menschen ständig bevormunden zu wollen! ({12}) Wenn wir den Menschen mehr Freiheit im System geben, dann müssen sie auch Verantwortung erwarten dürfen. Verantwortung heißt, anzuerkennen, dass es einen Unterschied zwischen einem beliebigen Markt auf der einen Seite und dem sozialen Sicherungssystem gesetzliche Krankenversicherung auf der anderen Seite gibt. Gesundheit ist keine beliebige Ware, sondern ein hohes Gut. Man kann sich aussuchen, ob man eine Ware kauft oder nicht; man kann sich aber nicht aussuchen, ob man krank wird oder nicht. ({13}) Deswegen gehört zu einem gesunden System immer die Solidarität der Gesunden mit den Kranken. ({14}) Bei allen Bemühungen um mehr Wirtschaftlichkeit im System: Keine Reform dieser Welt darf diese Solidarität infrage stellen. Verstehen Sie dies auch als Botschaft an all diejenigen, die ganz aktuell über Rationierung und Priorisierung nachdenken. Wir jedenfalls lehnen solche Diskussionen ab. Wir arbeiten an einem System, das solche Diskussionen von vornherein überflüssig macht. ({15}) Wir wollen eine Krankenversicherung, auf die sich jeder Versicherte zu jeder Zeit verlassen kann. Wir wollen ein System, das dazu beiträgt, mit Beitragsgeldern effizient umzugehen, und eine Krankenversicherung, die trotz des demografischen Wandels und des medizinischtechnischen Fortschritts auch in Zukunft bezahlbar ist. Wir arbeiten an einer Krankenversicherung, die Eigenverantwortung und Solidarität in Einklang bringt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Elke Ferner das Wort.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Minister Rösler, das waren zwar wohlfeile Worte, aber etwas Konkretes außer dem Hinweis auf einen einmaligen Zuschuss in Höhe von 3,9 Milliarden Euro an die gesetzlichen Krankenversicherungen in diesem Jahr haben Sie nicht gesagt. ({0}) Wir haben es seit Ihrem Amtsantritt im Prinzip damit zu tun, dass zumindest wöchentlich, teilweise täglich irgendein Streit zwischen den Koalitionsfraktionen darüber ausgetragen wird, ob eine Kopfprämie erwünscht ist oder nicht. ({1}) - „Seit Sonntag nicht mehr“, das stimmt nicht so ganz. Noch vor zwei Tagen titelte die Süddeutsche Zeitung über den Kollegen Söder: „Söder gegen Rösler“. Heute Morgen war Herr Söder im ARD-Morgenmagazin dann wieder ganz handzahm - er trug gewissermaßen einen Maulkorb -; schließlich haben sich jetzt alle lieb. Schaut man sich die Reden an, die Frau Bundeskanzlerin und Frau Homburger gestern gehalten haben, stellt man schon Unterschiede fest: Es wird zwar nicht mehr aufeinander eingedroschen, aber es wird etwas Unterschiedliches gesagt. Die Kanzlerin sagt: Wir wollen Solidarität in unserer Gesellschaft, auch im Gesundheitssystem, und die Koalition steht dafür, dass es keine Zweiklassenmedizin gibt, dass jeder die medizinischen Leistungen bekommt, die er braucht, aber in einer Art und Weise, die die Beschäftigungsmöglichkeiten in unserem Land nicht unterminiert. Das ist ein neuer Unterton. Das stellt die bisher vorhandene Solidarität unter den Vorbehalt, dass Beschäftigungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt werden. Frau Homburger hat in einer Debatte auf die Zwischenfrage des Kollegen Beck, ob es bei einer privaten deutschen Krankenversicherung Sondertarife für die Klientelpartei FDP gibt, geantwortet: Wir wollen, dass alle in diesem Land das Recht bekommen, ihre Krankenkasse frei zu wählen, also die Möglichkeit erhalten, selbst zu entscheiden, wo und in welchem Umfang sie sich versichern und welche Zusatzversicherung sie abschließen. Das heißt im Klartext: Die FDP will die gesetzliche Krankenversicherung abschaffen. Sie wollen, dass diejenigen, die sich Solidarität eigentlich am meisten leisten können, zur privaten Krankenversicherung abwandern. Sie wollen, dass die, die in der gesetzlichen Krankenversicherung oder in einem Mindestversorgungssystem zurückbleiben, wirklich Minimalmedizin bekommen, während diejenigen, die es sich leisten können, Medizin auf dem Stand der Technik erhalten. ({2}) Es hört sich gut an, wenn Sie sagen: Steuern sind gerechter als Beiträge. Die hohen Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze zahlen eigentlich nicht genug ein. - Das stimmt. ({3}) Aber der Schluss ist falsch. Der Schluss bei Ihnen heißt nämlich: Wir machen eine einheitliche Kopfprämie. Auf dieses System bezogen wären das 146 oder 145 Euro pro Monat, wenn die Familienmitversicherung beibehalten wird. Sie hatten ja die Gelegenheit - Herr Bahr, Sie schütteln den Kopf -, auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion zu antworten, aber Sie haben es vorgeElke Ferner zogen, den Kopf in den Sand zu stecken und eine Kleine Anfrage in einer Art und Weise, wie ich das in 20 Jahren noch nicht erlebt habe, zu beantworten, die das Fragerecht des Parlaments wirklich infrage stellt. ({4}) - Sie hätten sie nicht zugelassen. Damit haben wir im Prinzip gerechnet. Dann hätten wir die Wertungen herausgenommen und es hätte immer noch die Möglichkeit bestanden, zu antworten. ({5}) Aber das wird Sie wieder einholen. Ihr Motto ist: Diejenigen, die ungefähr 1 800 Euro und ein paar Zerquetschte brutto im Monat und darüber verdienen, werden entlastet; die mit einem Einkommen darunter müssen mehr bezahlen. Für die muss ein Sozialausgleich organisiert werden; immerhin knapp 37 Milliarden Euro. Hinzu kommen dann noch die Steuermittel, die ohnehin schon im System sind. Gleichzeitig wollen Sie die Steuern noch weiter senken. Es ist aber altbekannt: Wenn man in den Steuertarif eingreift, kommt es dazu - auch bei Ihrem berühmten Stufentarif -, dass die oben weniger bezahlen als die unten. Das bedeutet nicht mehr Solidarität im Gesamtzusammenhang Ihrer Politik, sondern das bedeutet ganz klar eine Umverteilung von unten nach oben, und das ist alles andere als ein solidarisch finanziertes Krankenversicherungssystem. ({6}) Was Sie machen, ist Klientelpolitik in Reinkultur. Sie haben vereinbart, den Kapitalstock für die private Pflegeversicherung in einem Zwangszusatzsystem im Rahmen der privaten Krankenversicherung zu schaffen. Sie möchten die Wechselmöglichkeiten von der GKV zur PKV erleichtern. Sie versprechen den Leistungserbringern Geldsegen. Sie wollen mehr Wahlfreiheit für diejenigen, die es sich leisten können. Sie wollen Kostenerstattung statt Sachleistungsprinzip. Das einmal unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“ zu beleuchten, wäre auch ganz interessant. Man braucht sich nur die Verwaltungskosten der PKV pro Mitglied im Vergleich zu denen bei der gesetzlichen Krankenversicherung anzuschauen. Sie krönen das Ganze damit, dass ein bisheriger PKV-Spitzenfunktionär Leiter Ihrer Grundsatzabteilung wird und auch noch die Zuständigkeit für die Pflege bekommt, weil man ja der privaten Versicherungswirtschaft ein neues Geschäftsfeld - zwangsweise für die Versicherten - eröffnen will. Schauen wir uns an, was die Süddeutsche heute unter der Überschrift „Die Rabatt-Könige der FDP“ schreibt! FDP-Mitglieder und -Mitarbeiter können sich in der DKV günstiger versichern als jeder andere; es gibt 5 Prozent Rabatt. ({7}) Anders als üblich sollen Vorerkrankungen kein Grund sein, den Versicherungsschutz zu verweigern. Familienmitglieder werden mitversichert, und Wartezeiten gibt es auch nicht. Gleichzeitig kann man lesen, dass die Koalition die Beitragslücke im Basistarif der PKV über Steuergelder schließen will. ({8}) Das angeblich überlegene System scheint also nicht in der Lage zu sein, ein Minimum an Solidarität innerhalb dieser Versichertengemeinschaft zu leisten. Aber wenn es darum geht, Solidarität mit den verarmten FDP-Mitgliedern zu leisten, dann ist alles möglich; denn die Rabatte für diese zahlen die anderen Versicherten mit, die nicht in den Genuss solcher Rabatte kommen. Man könnte auch sagen: Diejenigen, die sich heute überhaupt nicht in der privaten Krankenversicherung versichern können, weil sie Vorerkrankungen haben, beispielsweise psychisch krank sind, sollen doch in die FDP eintreten; dann können sie sich bei der DKV versichern, und zwar zu besseren Konditionen. ({9}) Sie haben die ganze Zeit Ankündigungen völlig ohne Substanz gemacht. Mehr netto vom Brutto war im Wahlkampf versprochen. Es wird am Ende weniger netto vom Brutto sein. Sie haben versprochen, dass es dank Ihres automatischen Sozialausgleichs weniger Bürokratie geben werde. Dabei weiß kein Mensch, wie er funktionieren soll - Sie wahrscheinlich auch nicht -; denn zunächst einmal müsste man in Erfahrung bringen, wer bedürftig ist. Die Bedürftigkeit könnte entweder so geprüft werden, dass über 82 Millionen Zwangsveranlagungen beim Finanzamt durchgeführt werden, oder so, dass die ganze Republik ihre Einkommensverhältnisse bei den jeweiligen Krankenkassen offenlegt. „Viel Vergnügen!“, kann ich da nur wünschen. Das bringt ja überhaupt keine Bürokratie mit sich. Es wird also nicht weniger, sondern mehr Bürokratie geben. Schließlich wird die Finanzierung auch nicht gerechter, vielmehr wird sie ungerechter. Wenn es wahr ist, was Sie eben in Ihren wohlfeilen Worten gesagt haben, Herr Rösler, wenn Sie das wirklich vorhaben, kann ich Sie nur auffordern: Lassen Sie ab von dieser ungerechten Gesundheitsreform und sehen Sie zu, dass das System, das wir haben, gerechter finanziert wird, indem es zum Beispiel auf eine breitere, solidarischere Finanzierungsgrundlage gestellt wird und ein Risikostrukturausgleich auch zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen durchgeführt wird. Das entspräche der Bürgerversicherung, wie wir sie schon seit Jahren fordern. ({10}) Ich kann Sie auch nur ermuntern, die drängenden Probleme anzugehen. Auch Sie haben ja offensichtlich ge1442 merkt, dass es, ohne die Ausgabenseite zu betrachten, nicht geht. Ich kann Sie nur auffordern, schnell zu handeln; denn derjenige, der jetzt nicht handelt, wird auch die Verantwortung dafür tragen müssen, wenn dieses Jahr Zusatzbeiträge eingeführt werden. Sie können sich hier nicht hinstellen und alle Probleme auf ein von der SPD eingeführtes System schieben. Ihre jetzige Staatssekretärin hat damals mit am Verhandlungstisch gesessen. Sie weiß genauso gut wie ich, was wir nicht wollten und welche Regelungen auf Kompromisse zurückgehen. Das gilt insbesondere auch für die Frage der Zusatzbeiträge. Die CDU hätte es ja am liebsten gehabt, wenn diesen ein noch stärkeres Gewicht zugekommen wäre und der Gesundheitsfonds geringere Einnahmen gehabt hätte. Kollege Zöller lächelt genüsslich. Er erinnert sich an die vielen Stunden, die wir zusammengesessen haben, und weiß genau, wovon ich rede. Sie, Herr Rösler, müssen jetzt handeln. Sie stehen jetzt in der Verantwortung. Als Sie von uns das Haus übernommen haben, mussten die gesetzlichen Krankenversicherungen keine Zusatzbeiträge erheben. ({11}) Wir haben die finanzielle Ausstattung der gesetzlichen Krankenversicherung gewährleistet. Sie retten sich jetzt in diesem Jahr mit einem einmaligen Zuschuss von 3,9 Milliarden Euro über den Berg; dieser soll allerdings nur dieses Jahr gezahlt werden. Außerdem fehlen laut Berechnungen des Schätzerkreises noch 4 Milliarden Euro. Auch diese Mittel müssen irgendwie aufgebracht werden, wenn die Berechnungen stimmen. Ich kann nur sagen, dass Ihre Prämisse „Freiheit in Verantwortung“, die Sie in dieser Haushaltsdebatte bei jedem Einzelplan hochhalten, nichts mit Freiheit in Verantwortung zu tun hat, sondern gekaufte bzw. gesponserte Verantwortungslosigkeit darstellt. Ich hoffe im Interesse der Menschen in unserem Lande, dass diese Politik bald ein Ende hat. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Johannes Singhammer für die Unionsfraktion.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Ferner, Sie haben kritisiert, dass jemand als hoher Beamter neu eingestellt worden ist, der zuvor bei der PKV eine wichtige Funktion innehatte. Ich habe gerade heute eine Einladung in die Hände bekommen, auf der steht: Politisches Marketing Grundlagen erfolgreichen Lobbyings für Akteure der Gesundheitswirtschaft Die Teilnahme kostet übrigens 465 Euro plus Mehrwertsteuer. Wer, glauben Sie, ist dort der Hauptreferent? ({0}) Dr. Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit a. D. ({1}) Ich sage Ihnen: Kehr jeder vor der eignen Tür, gleich sauber ist das Stadtquartier! ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen mit dem Haushalt 2010 eine nachhaltige Gesundheitspolitik erreichen, mit mehr Eigenverantwortung, aber nicht weniger Solidarität. Wer sich mit dem Gesundheitswesen in Deutschland beschäftigt, der sollte zunächst einmal mit der Beobachtung der Wirklichkeit beginnen. Die Realität ist: Voraussichtlich werden auch im Jahr 2010, also in diesem Jahr, erneut 24 Millionen Menschen aus unserem Land eine Auslandskrankenversicherung abschließen. Wer in Sizilien oder Spanien Urlaub macht und dort erkrankt, möchte im Regelfall sehr schnell zurück in die Heimat, um hier behandelt zu werden. Das gilt auch, wenn in diesen Gegenden gerade die Mandelbäumchen blühen und die Zitronenbäumchen duften. Wir wollen, dass die Menschen aus Deutschland zu Recht auch in diesem Jahr darauf vertrauen, dass die Versorgung bei uns zu Hause besser ist als im Rest Europas. Deshalb werden wir es nicht zulassen, dass unser Gesundheitssystem schlechtgeredet wird. ({3}) Wir wollen aber sehr wohl Verbesserungen dort erreichen, wo es notwendig ist. ({4}) Deshalb haben wir rasch gehandelt. Diese Bundesregierung hat in einer Blitzaktion auf das sich abzeichnende Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung reagiert. Dabei werden 3,9 Milliarden Euro vor allem von den Steuerzahlern aufgebracht und zusätzlich in den Gesundheitsfonds eingebracht. Das heißt, diese Bundesregierung hat keinen Stolperstart hingelegt, sondern einen Blitzstart. ({5}) Mit insgesamt 15,7 Milliarden Euro werden mehr Steuergelder in die gesetzlichen Krankenkassen eingebracht als je zuvor. Das ist ein großer Solidarbeitrag aller Steuerzahler. ({6}) Zur Wahrheit gehört auch, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen in diesem Jahr 170 Milliarden Euro zur Verfügung haben. Auch das ist mehr als jemals zuvor. ({7}) - Ich komme gleich dazu. - Trotzdem besteht - und darüber sind wir uns einig - in der Gesundheitspolitik die ständige Notwendigkeit, die Einnahmesituation zu überprüfen und zu verbessern. Das werden wir in den nächsten Monaten auch tun. Es gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass wir die Situation des Haushalts - wir führen hier schließlich eine Haushaltsdebatte - nicht aus den Augen verlieren. Auf der einen Seite besteht die Notwendigkeit, in den nächsten Jahren zu konsolidieren. Auf der anderen Seite wollen wir Steuererleichterungen durchsetzen. Deshalb ist es klar, dass der Spielraum für alle Formen der Finanzierung nicht größer, sondern kleiner wird. Deshalb warnen wir auch davor, die Diskussion jetzt ausschließlich auf die Frage „Prämie, ja oder nein?“ zu verengen. ({8}) Ich glaube, entscheidend ist - und darauf werden wir Wert legen -, dass die Finanzierung sozial gerecht erfolgt. Dafür werden wir sorgen. Ihr Modell einer Bürgerversicherung ist weniger gerecht; denn im Endeffekt holen Sie sich das Geld damit von den Kommunen wieder. Wie das in der jetzigen Situation, die die Kommunen beklagen, gelingen soll, weiß kein Mensch. ({9}) Wir wollen eine nachhaltige Gesundheitspolitik. Das bedeutet mehr als nur eine gesicherte Finanzierung. Nachhaltige Gesundheitspolitik heißt erstens - das ist das Nachhaltigste überhaupt - Prävention, damit Krankheit möglichst gar nicht erst eintritt, zum Beispiel Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes. Deshalb werden wir einen ganz klaren Schwerpunkt auf Prävention setzen. Zweitens. Gesundheit darf nicht zu einem Privileg für bestimmte Bevölkerungsgruppen, Einkommensgruppen oder Altersschichten werden. Eine Diskussion darüber, ob medizinische Leistungen wie Dialyse oder Herzoperationen ab einem bestimmten Alter oder ab einem bestimmten Einkommen nicht mehr erbracht werden sollen, würde ich für unerträglich halten. Deshalb werden wir sie auch nicht führen. Schweden, das oft als Vorbild ins Spiel gebracht wird, ist für uns kein Vorbild, wenn dort beispielsweise die Behandlung gutartiger Tumore von den Patienten selbst bezahlt werden muss. Drittens. Diejenigen, die im Gesundheitsbereich in unterschiedlichsten Berufen, als Mediziner oder Pflegekräfte, tagtäglich einen anstrengenden, der Humanität gewidmeten Dienst für kranke Menschen leisten, ({10}) sind nicht die Verursacher der Probleme im Gesundheitswesen. Sie brauchen vielmehr unsere Unterstützung. ({11}) Mehr Unterstützung heißt - das ist uns wichtig - weniger Gängelung und weniger Bürokratie, dafür aber mehr Verantwortung und mehr Freiheit. ({12}) Deshalb halte ich es für einen großen Erfolg, dass wir uns in den Koalitionsvereinbarungen darauf verständigt haben, die freie Arztwahl, die freie Krankenhauswahl und die freie Krankenkassenwahl für die Bürger in Deutschland zu erhalten. ({13}) - Ich komme jetzt zu Ihnen. - Mehr Planwirtschaft, die Sie immer im Hinterkopf haben, führt nicht zu mehr Gerechtigkeit. Sie ist allenfalls weiße Salbe. ({14}) Wer wie die SPD Einheitsvergütungen verlangt, der ebnet letztendlich den Weg zur Einheitsmedizin. ({15}) Dann wird die Versorgung der Menschen nicht solidarischer, sondern in der Konsequenz schlechter. ({16}) Zwischen uns besteht ein entscheidender Unterschied: Wir sehen in Eigenverantwortung und Solidarität keinen Gegensatz. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Solidarität ist notwendig bei großen und teuren Operationen, wie zum Beispiel bei Herzoperationen. Auf der anderen Seite brauchen wir aber auch mehr Eigenverantwortung. ({17}) Bei Erkrankungen wie beispielsweise Erkältungen kann man, was die Mittel dagegen angeht, diese Eigenverantwortung einfordern und mit ihr einiges erreichen. ({18}) Wir werden 2010 voraussichtlich einen Honoraranstieg bei den Ärzten haben. ({19}) Damit stellen wir sicher, dass die Ärzte für ihre schwierige und verantwortungsvolle Arbeit eine angemessene Honorierung erhalten. Wir erwarten aber - auch das sage ich an dieser Stelle -, dass die Ärzte ihre Serviceleistungen gegenüber den gesetzlich Versicherten verbessern und unterschiedliche Wartezeiten verhindern, die als ein Ärgernis empfunden werden. ({20}) - Wir tun eine ganze Menge. ({21}) Ich darf noch Folgendes ankündigen. Wir haben uns in der Koalition darauf geeinigt, rasch und ohne Verzö1444 gerung in den nächsten Wochen folgende Herausforderungen aufzugreifen. Erstens. Wir werden ein Gesetz auf den Weg bringen, das sich die Verbesserung der ärztlichen Versorgung vor allem in den ländlichen Regionen zum Ziel setzt. ({22}) Wir wollen, dass sich die Ärzte wieder mehr auf die Versorgung der Patienten konzentrieren können und sich nicht ständig mit Gebührenordnungen, Richtlinien und Bürokratie beschäftigen müssen. ({23}) Zweitens. Wir werden in einem weiteren Gesetz den Arzneimittelbereich deregulieren. ({24}) - Selbstverständlich. - Zurzeit gibt es über zwei Dutzend Steuerungsinstrumente, die an die unterschiedlichsten Akteure gerichtet sind. Das sind viel zu viele. Was zum Beispiel die Wirtschaftlichkeitsprüfung betrifft, gab es 1988 eine Vorschrift, die sich noch auf 150 Worte beschränkte. Jetzt regelt das Gesetz das gleiche Verfahren mit 2 300 Worten in sieben Absätzen. Das werden wir ändern. ({25}) Drittens. Wir werden ein Gesetz zur Struktur der Krankenversicherungen auf den Weg bringen. Dabei geht es auch um das Verhältnis der gesetzlichen Krankenversicherung zur privaten Krankenversicherung. Wir wollen, dass der Grundsatz, der sowohl das Nebeneinander als auch die Abgrenzung betrifft, erhalten bleibt. Wir wollen aber auch, dass die Möglichkeiten der Kooperation zwischen GKV und PKV bei Zusatzversicherungen gestärkt werden. ({26}) Gesundheitspolitik ist aber mehr, als nur auf die Herausforderungen zu reagieren, die uns auf der Einnahmeund auf der Ausgabenseite über Jahre begleiten. Der Gesundheitssektor ist vor allem ein Wachstumsmotor in Deutschland. Mit 4,4 Millionen Beschäftigten gibt es im Gesundheitswesen annähernd sieben Mal so viele Beschäftigte wie in der deutschen Vorzeigebranche, der Automobilindustrie, in der 700 000 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Wir wollen, dass der Standard in unserem Gesundheitswesen im internationalen Wettbewerb an vorderer Stelle bleibt. Deshalb werden wir den Gesundheitssektor weder kaputtsparen noch ruinieren, sondern weiterentwickeln. Eines sage ich - Sie rufen ja immer dazwischen - deutlich an Ihre Adresse: Wer den Menschen Angst einjagt und behauptet, die medizinische Versorgung in Deutschland werde zum Risiko, der wird selbst zum Risiko. ({27})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Gesundheitsetat geht es nicht nur um die 16 Milliarden Euro im Einzelplan 15, von denen wir gerade gehört haben; den größten Pott in der Gesundheitspolitik füllen die Beiträge der Versicherten an die gesetzlichen Krankenkassen. Über die Höhe dieser Beiträge und ihre Verteilung entscheiden wir ebenfalls hier im Bundestag. Deshalb müssen wir darüber reden. Jedes Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung kennt doch die Probleme: Wartezeiten beim Facharzt, Zuzahlungen zu Medikamenten und Hilfsmitteln, hohe Eigenbeteiligungen etwa beim Zahnersatz oder ein Hausarzt, der am Ende des Quartals mit dem notwendigen Rezept geizt und es nicht ausstellt. Frau Merkel hat uns gestern darüber aufgeklärt - Kollegin Ferner hat das schon zitiert -, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung keine Zweiklassenmedizin möchte. Es gibt aber längst schon eine Zweiklassenmedizin. Sogar Ärztepräsident Hoppe hat zuletzt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung festgestellt, was 70 Millionen Versicherte längst wissen: Im deutschen Gesundheitswesen wird heimlich rationiert, weil nicht genügend Geld zur Verfügung steht, um allen Menschen die optimale Therapie zu verschaffen. Er bezog sich damit allerdings nur auf „sehr teure“ Krebsmedikamente, an denen sich die Pharmafirmen gerne eine goldene Nase verdienen möchten. Außer der Linken spricht niemand über die Probleme, die Millionen Menschen schon mit der einfachsten Gesundheitsversorgung haben. ({0}) Dazu möchte ich ein Beispiel aus meiner Heimat, dem Münsterland, erzählen. In der vorigen Woche hat in Dülmen eine neue Einrichtung Bilanz gezogen: die Medikamententafel. In den ersten drei Monaten haben dort schon 115 bedürftige Menschen das Angebot genutzt, Medikamente zum halben Preis zu kaufen. Es geht hier wohlgemerkt um Medikamente, die der Arzt verschrieben hat, die aber nicht von den Kassen übernommen werden und nicht von den Patienten aus eigener Tasche finanziert werden können. Ich schätze das soziale Engagement sehr, das dieses Angebot möglich macht. Es ist aber eine Schande, dass so etwas in diesem Land nötig ist. ({1}) So sieht nämlich die soziale Wirklichkeit in unserem reichen Land aus: Wer arm ist und krank wird, ist auf Almosen angewiesen. ({2}) Damit werde ich mich nicht abfinden; damit wird sich die Fraktion Die Linke nicht abfinden. ({3}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wir werden nicht vergessen, dass dies auch ein Ergebnis von zehn Jahren sozialdemokratischer Gesundheitspolitik ist, an der leider auch die Grünen und die Union beteiligt waren. Wenn Union und FDP nun versprechen, die Unterfinanzierung zu beenden, dann klingt das erst einmal klasse; aber für die Versicherten bedeuten Ihre Pläne eine weitere Umverteilung von unten nach oben. Sie wollen also das Solidarprinzip abschaffen, demzufolge Gesunde für Kranke und diejenigen, die gut verdienen, für diejenigen, die weniger Einkommen haben, einstehen. Das ist mit uns nicht zu machen. ({4}) Sie setzen auf die Kopfpauschale, die von der FDP beschönigend „Gesundheitsprämie“ genannt wird. Das heißt, Sie wollen, dass die Friseurin mit 800 Euro Monatsgehalt denselben Beitrag zahlt wie die Chemietechnikerin mit 3 000 Euro Gehalt im Monat. Sie haben im Wahlkampf versprochen: „Mehr netto vom Brutto.“ Das setzen Sie jetzt um, aber nur für diejenigen, die mehr als 2 000 Euro im Monat verdienen. Das sollen diejenigen finanzieren, die über deutlich weniger Einkommen verfügen. Deren Beiträge werden nämlich steigen. Damit treiben Sie die Spaltung der Gesellschaft voran. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({5}) Herr Rösler, Ihr Versprechen, diese Ungerechtigkeit mit einem Sozialausgleich abzufedern, kann ich Ihnen ehrlich gesagt nicht abnehmen; denn ich glaube nicht, dass es Ihnen gelingt, die Steuern zu senken - auch das haben Sie versprochen - und gleichzeitig 20 bis 40 Milliarden Euro aus der Staatskasse für den Sozialausgleich aufzubringen. Entweder können Sie nicht rechnen oder Sie wissen nicht, was da auf Sie zukommt, oder Sie wissen genau, dass es nicht funktionieren wird, und belügen die Leute. Das halte ich für eine Unverschämtheit. ({6}) Zweitens machen Sie damit Millionen Versicherte zu Bittstellern beim Staat. Nach der Medikamententafel kommt dann also demnächst die Krankenkassentafel. Dagegen werden wir uns wehren. Dass Sie diese Reform zudem ausgerechnet von einem bisherigen Funktionär der privaten Krankenversicherung erarbeiten lassen, wundert uns da kaum noch. Es zeigt das wahre Wesen der FDP als Front der Privilegierten. Oder stehen diese drei Buchstaben vielleicht doch eher für „Freundeskreis der Privatversicherer“? ({7}) 3,9 Milliarden Euro sollen in diesem Jahr als Steuerzuschuss in den Gesundheitsfonds fließen, um die Mindereinnahmen durch die Finanzkrise auszugleichen; das haben Sie gerade ganz stolz verkündet. Aber Sie wissen doch ganz genau, dass den Krankenkassen 2010 voraussichtlich weitere 4 Milliarden Euro fehlen werden. ({8}) Den Versicherten drohen also Zusatzbeiträge, denn irgendwoher müssen die fehlenden Milliarden ja kommen. Warum kommen Sie eigentlich nicht auf die Idee, diejenigen an den Kosten zu beteiligen, die die Krise verursacht haben? ({9}) Aber nein: Auf die Unternehmer und Aktionäre entfällt kein einziger Cent an höheren Beiträgen. Wieder sind es nur die Beschäftigten, die Rentnerinnen und Rentner, die Sie zur Kasse bitten werden. Die Linke hat immer wieder Vorschläge gemacht und wird das auch weiterhin tun, wie die Kassen finanziert und die Versicherten entlastet werden können. Wir wollen bestmögliche Versorgung für die Patientinnen und Patienten, mehr Zeit für Zuwendung und für sprechende Medizin sowie mehr Beschäftigung bei besseren Arbeitsbedingungen statt noch mehr Profite für die Pharmabranche und private Versicherungskonzerne. ({10}) Sie hingegen preisen im Koalitionsvertrag den Wettbewerb und den Markt als Steuerungsmechanismen und vergessen dabei eines: Ein kranker Mensch ist kein Kunde, der über Diagnose und Therapie frei entscheiden kann. Wer krank ist, braucht Hilfe, schnell erreichbar, unkompliziert und in guter Qualität, und das Ganze vom Darß bis zum Bodensee. Das zu schaffen ist unsere gemeinsame Verantwortung hier in diesem Haus. Deswegen werden wir diesen Haushalt ablehnen, und wir werden weiter dafür streiten, dass Medikamententafeln in diesem Land überflüssig werden. Danke schön. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Vogler, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg in Ihrer weiteren Arbeit. ({0}) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Birgitt Bender.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Rösler, wenn ich nicht schon so lange Gesundheitspolitik machte, dann wären mir eben bei Ihrer Rede Tränen der Rührung gekommen. Es war ja so schön anzuhören, dass Sie jetzt derjenige sind, der aus lauter sozialer Verantwortung mit der Hinterlassenschaft der Großen Koalition aufräumt, die nämlich für dieses Jahr Zusatzbeiträge für die Versicherten zur Folge haben wird. Ja, Herr Minister, wer soll Ihnen glauben, dass das Ihre größte Sorge ist? In Wirklichkeit ist es doch so, dass Ihnen das als Testfeld willkommen ist. Es werden Kosten auf die Versicherten verschoben, zunächst eine kleine Kopfpauschale, und das ist der ideale Test für die von Ihnen geplante große Kopfpauschale. Die Krokodilstränen über Zusatzbeiträge, Herr Minister, können Sie sich sparen; die glaubt Ihnen niemand. ({0}) Ob Sie wirklich aus sozialer Verantwortung für die Versicherten handeln, wie Sie behaupten, darf man bezweifeln. Werfen wir einmal einen Blick in Ihren Haushalt. Da wird durchaus mehr Geld ausgegeben, und zwar nicht nur via Steuerzuschuss für die GKV. Nein, da wird beispielsweise ein Titel im Bereich der internationalen Arbeit deutlich erhöht. Wir lesen den Titel „Förderung der deutschen Gesundheitswirtschaft im Ausland“. Da geht es um die Mitwirkung der Bundesregierung an Vermarktungs- und Kooperationsbemühungen gesundheitswirtschaftlich tätiger Unternehmen im Ausland. Es findet sich eine deutliche Erhöhung des Titels. Herr Minister, wir haben nichts gegen Wirtschaftsförderung. Aber das Bundesgesundheitsministerium ist keine Unterabteilung des Wirtschaftsministeriums, und das sollte man deutlich unterscheiden können. ({1}) Wir sind uns nicht sicher, ob Sie diese Unterscheidung treffen. Als Sie noch Landeswirtschaftsminister waren, haben Sie an einer Resolution der Landeswirtschaftsminister mitgewirkt, in der es sinngemäß heißt, man möge endlich dem IQWiG, also dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, auf die Finger klopfen, weil es die Pharmaindustrie so verunsichere und Arbeitsplätze in der Pharmaindustrie gefährde. ({2}) Was passiert jetzt? Es wird die Ablösung des pharmakritischen Leiters dieses Instituts betrieben. ({3}) Was schließen wir daraus? Dass wir uns nicht missverstehen: Natürlich muss ein Leiter korrekte Spesenabrechnungen vorlegen. ({4}) Aber wenn ausgerechnet jetzt die Ablösung von Sawicki gefordert wird - vor allem, wenn man weiß, dass schon während der Koalitionsverhandlungen Papiere kursierten, in denen seine Ablösung gefordert wurde -, dann wird klar, woher der Wind weht. ({5}) Es geht darum, dass man einen Grund findet, um einen Kritiker loszuwerden. Ich sage Ihnen, Herr Minister: Wenn das der Auftakt dazu ist, dass die Arbeit des IQWiG weichgespült wird, um der Pharmaindustrie einen Gefallen zu tun, dann machen Sie einen Fehler. Es wird nämlich für die Versicherten teurer, ({6}) und es ist auch nicht wirklich im längerfristigen Interesse der Pharmaindustrie. ({7}) Es ist klar, dass sich ein Unternehmen nicht freut, wenn es durch ein Gutachten des IQWiG auf Anhieb etliche Millionen Euro Umsatz verliert. Aber wenn die Unternehmen wissen: In Deutschland gilt die KostenNutzen-Bewertung. Das sind die Kriterien, an die wir uns halten müssen. Wenn wir etwas Neues auf den Markt bringen, das den Patienten wirklich mehr Nutzen bietet, dann können wir auch einen höheren Preis realisieren. - Dann wird in die richtige Richtung geforscht. Das sind verlässliche Rahmenbedingungen. Das sollte man gerade als Minister nicht infrage stellen. ({8}) Man gewinnt den Eindruck, Herr Minister, dass Sie nicht der Anwalt der Patienten sind, sondern dass Ihre Agenda eher die Klientelpflege ist. Nehmen wir als Beispiel die private Krankenversicherung. Erst hieven Sie einen Mann der PKV auf eine B-9-Stelle in Ihrem Ministerium. Ausgerechnet er soll für Sie die Grundsätze ausarbeiten. Dann erfahren wir, dass es exklusiv für FDP-Mitglieder einen Rabattvertrag eines PKV-Unternehmens gibt. Nicht nur, dass Sie dort niedrigere Prämien bezahlen. Nein, es gibt auch noch - wenn wir den Berichten glauben dürfen - besondere Aufnahmebedingungen. ({9}) Das heißt offenbar nichts anderes, als dass der FDPler krank sein darf und trotzdem von dieser PKV aufgenommen wird. ({10}) Offensichtlich gilt hier seitens des PKV-Unternehmens: Der FDP-Kranke ist uns lieb und teuer, weil die kurzfristige wirtschaftliche Belastung sich in langfristigen politischen Nutzen umwandelt. So wird ein Schuh daraus. ({11}) Und siehe da: Es wird politisch angekündigt, dass man in Zukunft einen höheren Zuschuss für PKV-versicherte Hartz-IV-Empfänger zahlt. Das klingt schön. In Wirklichkeit nutzt es nur der PKV. Man wird die Wartefrist verkürzen, ab wann gut verdienende GKV-Versicherte in die PKV wechseln dürfen. Was sollen wir denn davon halten? Das ist doch Klientelpflege reinsten Wassers. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Bender, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Straubinger?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Kollegin Bender, Sie haben sich mit dem Gruppenversicherungsvertrag der FDP auseinandergesetzt, wie es auch schon einige Vorredner getan haben. Sind Sie der Meinung, dass Gruppenversicherungsverträge grundsätzlich verboten werden müssten?

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich finde sogar, dass es in der GKV richtig wäre, wenn man beispielsweise Gruppenverträge für Patientengruppen machen könnte, so wie das in den Niederlanden der Fall ist. Die Frage ist doch, warum eine PKV ausgerechnet einer politischen Partei ein Angebot für rabattierte Prämien und besondere Aufnahmebedingungen macht. ({0}) Das stinkt zum Himmel. Es wundert mich, dass ausgerechnet jemand aus der CSU das jetzt anspricht. Sie profitieren ja gar nicht. ({1}) Weil meine Redezeit abläuft, möchte ich es kurz machen. Es gibt viele Themen, Herr Minister, die Sie derzeit in Interviews unter die Leute bringen. Angeblich soll das alles der Freiheit von Patienten und Versicherten dienen. Dazu kann ich nur sagen: Fragen Sie einmal in Berlin-Neukölln oder in Stuttgart-Hallschlag, wer da scharf ist auf Kostenerstattung, auf Arztbesuch gegen Vorkasse. Sie müssen auch den dort niedergelassenen Ärzten einmal erklären, wie ihre Arztpraxen in Zukunft wirtschaftlich bestehen sollen, wenn Sie das Kostenerstattungsprinzip tatsächlich einführen. Davor kann ich Sie nur warnen. ({2}) Ich sage deswegen: Auf den Wahlplakaten der FDP hätte ähnlich wie auf Zigarettenpackungen ein Warnhinweis stehen müssen, und zwar: FDP wählen kann tödlich sein, für die Gesundheit und fürs Gemeinwohl. Danke schön. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Heinz Lanfermann für die FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums, um heute auch einmal darüber zu reden, zeigt noch die Grundstruktur, die Ulla Schmidt ihm in ihrer Amtszeit gegeben hat. Er wird jetzt dominiert von dem Zuschuss für den von der abgewählten Gesundheitsministerin falsch konstruierten und unterfinanzierten Gesundheitsfonds. ({0}) Dessen Einnahmen reichen eben nicht aus. Die Erblast beträgt im Augenblick 8 Milliarden Euro. Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so darüber aufregen, dass diese Koalition 4 Milliarden Euro dazugibt, ({1}) weil man sagt: Das sind Folgen, die die Steuerzahler und nicht die Beitragszahler zu tragen haben. Ich weiß nicht, ob Ihre Kritik zu rechtfertigen ist. ({2}) Wenn die Krankenkassen sich jetzt gezwungen sehen, Zusatzbeiträge von ihren Versicherten einzufordern, dann ist das eine Erblast des Systems Ulla Schmidt. ({3}) Um hier auch einmal über die Dinge zu sprechen, die in Zukunft zu tun sind: Wir wollen ein Gesundheitsministerium, das einen klaren Schwerpunkt auf die Forschung setzt. Der Wissenschaftsrat hat in seiner Untersuchung der nachgeordneten Behörden hierzu wertvolle Hinweise geliefert. Ich würde Ihnen empfehlen, sich auch einmal über solche Dinge Gedanken zu machen. ({4}) Wir wollen die Prävention zu einem Schwerpunkt machen; denn die beste und natürlich auch kostengünstigste Gesundheitspolitik ist, Krankheiten zu vermeiden. Dafür brauchen wir einen ressortübergreifenden Ansatz, der Doppelförderungen ebenso wie Förderlücken vermeidet. Wir wollen nicht zuletzt, dass das Gesundheitsministerium als Innovationsmotor auf dem Weg zu einem zukunftsfesten Gesundheitssystem mit mehr Wettbewerb fungiert; ({5}) denn Wettbewerb sichert und hebt die Qualität und begrenzt oder senkt sogar die Preise. ({6}) Wir wollen ein Gesundheitssystem mit mehr Wahlfreiheit für die Bürger; ({7}) denn Wahlfreiheit schafft Transparenz und sorgt dafür, dass auf die individuellen Bedürfnisse eingegangen wird. Wir werden mit einem sozialen Ausgleich über das Steuersystem - da gehört er hin, weil das gerechter ist als die Ankopplung an die Gehaltshöhe - eine Neujustierung vornehmen. ({8}) Diese wird sorgsam, umsichtig und verantwortungsvoll vorgenommen. ({9}) Dies ist - das hat man deutlich gesehen - eine etwas asymmetrische Debatte. Während der Minister für das, was er und die Koalition vorhaben, klare Worte gefunden hat ({10}) und der Kollege Singhammer auf die einzelnen Punkte konkret eingegangen ist, haben sich die drei Damen, die für die Opposition gesprochen haben, gegenseitig geradezu darin übertroffen, sich mit irgendwelchen Mutmaßungen, Vorurteilen und selbstverständlich auch mit Angriffen, zum Beispiel auf die FDP, zu profilieren. Das war in weiten Teilen ziemlich unseriös. ({11}) Ich will das Thema gerne aufgreifen - wir können darüber gerne öffentlich diskutieren; das ist doch gar kein Problem -: Wenn weit über 700 Unternehmen und weit über 300 Verbände und Vereine Gruppentarifverträge für ihre Mitglieder anbieten ({12}) und auch eine Partei dies tut, dann ist das doch ein ganz normaler Vorgang, so, wie ADAC-Mitglieder an bestimmten Tankstellen halt einen kleinen Rabatt beim Tanken bekommen. ({13}) Ich weiß wirklich nicht, woher die Aufregung kommt. Haben Sie bei der SPD nicht einmal damit geworben, dass Ihre Mitglieder günstige Reisen nach Kuba vermittelt bekommen? Ich kann mich an so etwas erinnern. ({14}) - Prüfen Sie das noch einmal nach. Sie dürfen auch nicht mit Unwahrheiten arbeiten, Frau Ferner. Sie haben hier zum Beispiel wahrheitswidrig behauptet, die Koalition habe beschlossen, dass die Zusatzversicherung in der Pflege von der PKV durchgeführt werden soll. Das haben wir nie beschlossen, das steht nicht im Koalitionsvertrag, ({15}) und ich habe noch heute, Frau Ferner, eine bedeutende Vertreterin der gesetzlichen Krankenversicherung ausdrücklich darum gebeten, dass auch sie, die Krankenversicherungen, Vorschläge machen, wie man diese Zusatzversicherung organisieren könnte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lanfermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert? Ich mache darauf aufmerksam, dass das die einmalige Chance ist, Ihre ablaufende Redezeit zu verlängern.

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich gestatte gern die Zwischenfrage, wenn ich eben kurz meinen Gedanken zu Ende führen darf. Ich habe sie ferner darum gebeten, zum Beispiel in Bezug auf die Pflegekassen Vorschläge zu machen, wie sie sich an dieser Zusatzversicherung beteiligen wollen. ({0})

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Lanfermann, Sie sagten gerade, dass es viele Gruppen gibt, die solche Gruppenverträge mit privaten Versicherungen haben, und dass es gar nichts Besonderes sei, dass die FDP das auch habe. Macht es nicht einen kleinen Unterschied, ob zum Beispiel ein Behindertenverband eine Gruppenversicherung abschließt oder die FDP, die unter anderem staatliche Zuschüsse bekommt, während der Behindertenverband diese nie im Leben bekommt?

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Versicherung wird ja nicht von der FDP abgeschlossen, übrigens auch nicht von den Tanzlehrern, die auch diesen Gruppenvertrag bei dieser Versicherung haben. ({0}) Vielmehr können die einzelnen Menschen, die sich dort versichern wollen, unter Hinweis auf ihre Mitgliedschaft in einem bestimmten Unternehmen, einem bestimmten Verein oder in dem Fall einer bestimmten Partei in einen Gruppenvertrag eintreten. Dadurch wird ihr individueller Vertrag ein wenig, aber nicht sehr viel billiger. ({1}) Glauben Sie auch nicht die Märchen, die von Frau Bender erzählt werden, dass es in Deutschland eine private Krankenversicherung gäbe, die sich danach drängte, jetzt kranke Mitglieder aufzunehmen - Ihr Vorwurf ist ja immer, dass sie das nicht tun -, um irgendwelche Vorteile zu erlangen. Wir werden Ihnen das noch einmal schriftlich geben, damit Sie das glauben. ({2}) Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für die Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Bärbel Bas für die SPDFraktion. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für mich wie für Sie, Herr Dr. Rösler, ist das der erste Haushalt im Deutschen Bundestag. Da Sie mit den Worten angetreten sind, das Kranken- und Pflegeversicherungssystem verbessern zu wollen, habe ich einmal in den Haushaltsentwurf geschaut, um mir zwischen den Zahlen und Zeilen einen Eindruck zu verschaffen, wo Sie Ihre Prioritäten setzen. Ich muss leider sagen: Ich habe keine gefunden. ({0}) Wo, Herr Dr. Rösler, sind zum Beispiel Ihre Konzepte, um gerade für ältere, chronisch kranke und behinderte Menschen eine wohnortnahe medizinische Versorgung zu gewährleisten? ({1}) Wir leisten uns für fast 30 Milliarden Euro eine qualitativ hochwertige ambulante Versorgung, sind aber offensichtlich nicht in der Lage, diese immer zielgenau dorthin zu steuern, wo die Menschen sie brauchen. ({2}) Damit meine ich nicht nur die fehlenden Ärzte auf dem Lande. Auch Städte wie Duisburg weisen laut Statistik der KV eine ausreichende oder sogar Überversorgung mit Haus- und Fachärzten auf. Trotzdem gibt es sozial schwache Stadtteile, in denen zum Beispiel kein Kinderarzt mehr zu finden ist. Alleine mit einer Aufhebung der Budgetierung bei ambulanten Leistungen, die Sie, Herr Zöller, als Patientenbeauftragter vorgeschlagen haben, werden wir keinen Arzt in diese Stadtteile bekommen, einmal abgesehen davon, dass Sie nicht sagen, wie Sie das finanzieren wollen. ({3}) Solange es die unterschiedliche Honorierung von Leistungen für gesetzlich und privat Versicherte gibt, bleibt es für Ärzte attraktiv, sich in wohlhabenderen Stadteilen niederzulassen. Das Ergebnis sind unterversorgte Gebiete in überversorgten Regionen. Wo sind Ihre Vorschläge zur Verbesserung der Prävention und Kindergesundheit? Wo sind Ihre Vorschläge für eine menschenwürdige und qualitätsgesicherte Pflege? ({4}) Das Einzige, das Ihnen einfällt, sind klientelorientierte Systemumstellungen, und in der Pflege wollen Sie eine verpflichtende private Zusatzversicherung einführen. ({5}) Viele Bürgerinnen und Bürger wissen jetzt schon nicht, wie sie die finanzieren sollen. In der Krankenversicherung wollen Sie eine einkommensunabhängige Kopfpauschale mit Sozialausgleich. Durch Ihre angestrebten Finanzierungsmodelle und Ihre einseitige Bevorzugung der Privatversicherung werden weder die Qualität der Versorgung verbessert noch vorhandene Effizienzreserven im System erschlossen. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Fehlsteuerungen und Zweiklassenmedizin werden von Ihnen nicht beseitigt, sondern zementiert. ({6}) Ich höre in Ihren Reden immer wieder die Worte „mehr Wettbewerb“. Sie wollen Wettbewerb? Gerne, kann ich da nur sagen. Aber dann muss er auch fair sein. Denn das geht nur, wenn GKV und PKV gleiche Wettbewerbsbedingungen haben. ({7}) Dazu gehört unter anderem: keine unterschiedliche Honorierung der Leistungen und voller Einbezug der PKV in den Risikostrukturausgleich. ({8}) Sie reden auch viel von Gerechtigkeit und tun trotzdem das Gegenteil. Mit Ihrer Kopfpauschale setzen Sie wichtige Prinzipien unseres Sozialsystems außer Kraft. Es mag sein, dass das nur mein Empfinden ist. Aber ich finde, dass Sie das Prinzip, dass Gesunde für Kranke und Leistungsstarke für sozial Schwache einstehen, außer Kraft setzen. Ihre Kopfpauschale benötigt einen Sozialausgleich, der nach Berechnungen Ihres Finanzministers mindestens 35 Milliarden Euro kosten wird. Finanzieren wollen Sie den Sozialausgleich mit Steuereinnahmen aus dem Wirtschaftswachstum, ({9}) also mit Geld, das Sie noch nicht haben und von dem Sie auch nicht wissen, wie viel es sein wird. Soll ich Ihnen sagen, wie ich das nenne? Das ist eine Finanzblase, ({10}) und die wird nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen platzen. ({11}) Denn mit dem gleichen Wirtschaftswachstum wollen Sie die Mehrausgaben für Ihre Klientelpolitik decken, den Haushalt konsolidieren und die Steuerreform, wann immer sie kommt - 2011, 2012 oder 2013 -, finanzieren. Das kann nicht funktionieren. Sie selbst, Herr Dr. Rösler, haben in einem Interview gesagt: Wir werden uns neben der Frage einer fairen Finanzierung auch um die Ausgabenseite kümmern. Heißt das, dass wir nach der Steuerschätzung im Mai und damit nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen mit Leistungskürzungen oder einer Gesundheitssteuer, wie Herr Schäuble sie genannt hat, rechnen müssen? ({12}) - Ja. Ihr Kollege Otto Fricke hat uns vorgestern übrigens einen schönen Taschenspielertrick vorgeführt. Ich zeige Ihnen jetzt einmal, wie Ihre Finanzpolitik aussieht. Sie stecken dem Bürger in Form von Steuersenkungen 10 Euro in die eine Tasche und nehmen ihm für die Sozialversicherung 20 Euro aus der anderen Tasche. Das ist Ihre Finanzpolitik. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Bas, das war Ihre erste Rede im Hohen Hause. Wir gratulieren Ihnen dazu recht herzlich und wünschen Ihnen viel Erfolg! ({0}) Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Alois Karl. ({1})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede, Frau Kollegin. ({0}) Ich habe mit Verwunderung beobachtet, dass Sie einen echten Zwanziger aus der Tasche gezogen haben. ({1}) Ihre Fraktion allerdings ähnelt manchmal einem falschen Fuffziger, was ihren Umgang mit manchen Themen angeht. ({2}) Wir führen eine Haushaltsdebatte. Wir freuen uns, dass die Auguren vom Januar 2009, als Deutschland und die Welt in einer üblen finanziellen Situation waren, nicht recht behalten haben. Unsere Arbeitslosenquote ist nicht so stark gestiegen und unser Bruttoinlandsprodukt ist nicht so stark eingebrochen, wie diese Weissager damals vorausgesagt haben, und seit drei Quartalen befinden sich die Leistungen der deutschen Wirtschaft wieder auf dem aufsteigenden Ast. Die Wirtschaftsweise Professor Beatrice Weder di Mauro hat erst kürzlich neben den Zentralbanken gerade der deutschen Bundesregierung für das letzte Jahr eine ausgezeichnete Arbeit attestiert. Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, zwei Konjunkturprogramme und das Familienentlastungsgesetz haben wir im letzten Jahr - alles zusammen mit Ihnen, meine lieben Kollegen von der SPD - richtigerweise auf den Weg gebracht. Das Bürgerentlastungsgesetz, das wir jetzt gemeinsam mit der FDP realisieren, setzt diesen richtigen Weg fort. Wir suchen die Zahl der Beschäftigten in diesem Jahr hoch zu halten - und das muss uns einiges wert sein -; denn viele Beschäftigte bringen mehr Steuern und zusätzliche Beitragseinnahmen. Die Bundesschulden - um auf den Haushalt zu kommen - sind exorbitant. Das Jahr 2010 soll das Referenzjahr werden. Häufig wird gesagt, 2011 bis 2016 soll gewaltig gespart werden. Ich meine, es ist nicht richtig, zu sagen: Ab 2011 muss gespart werden. Wenn ich mit den Leuten rede, sagen sie mir: Schon 2010 muss gespart werden. - Da ist kein Haushalt zu gering, bei jedem Haushalt kann man damit anfangen. ({3}) Die Entscheidung, zu sparen, ist richtig. Wir werden die Krise, die im letzten Jahr und in diesem Jahr sichtbar geworden ist, ganz gewiss in den Griff bekommen. Wir müssen aber auch die Lebensgrundlagen der Generationen, die nach uns kommen, erhalten; wir dürfen nicht deren Substanz heute verbraten. ({4}) Adenauer hat gesagt: Der Staatsmann schaut bis zur nächsten Generation, der Politiker bloß bis zur nächsten Wahl. - Ich hoffe, dass viele von uns dem nachfolgen und Staatsmänner sind. Wir haben in diesem Haus in den letzten Tagen viel von Nachhaltigkeit gehört. Wenn sich alle nach diesem Prinzip richten, sind wir auf dem richtigen Weg. Ein neues Jahrzehnt hat begonnen. Dieses Jahrzehnt muss ein Jahrzehnt der Investitionen und der Innovationen werden. Wir müssen Antworten geben auf die demografische Entwicklung, wir müssen die Zukunft unserer Sozialsysteme sichern. Wir sind eine alternde Gesellschaft. Wir wissen alle, dass diese alternde Gesellschaft für das Gesundheitswesen neue und zusätzliche Aufgaben bringt. Die Sozialsysteme sind auf paritätische Finanzierung angelegt. Ein Eckpfeiler dieser Parität ist jedoch schon vor Jahren weggebrochen, nämlich die Parität bei der Finanzierung des Gesundheitssystems: 7 Prozent zahlen die Arbeitgeber, 7,9 Prozent die Arbeitnehmer. ({5}) - Das ist in Ihrer Regierungszeit so beschlossen worden, Frau Ferner. Sie waren damals noch nicht stellvertretende SPD-Vorsitzende. ({6}) Damals war Ihr Stern noch nicht aufgegangen. Noch heute leuchtet dieser Stern nicht besonders hell. ({7}) Unsere Bevölkerung wird immer älter. Eigentlich ist das ein Grund zur Freude. Frühere Generationen haben nicht davon zu träumen gewagt, gesund in dieses hohe Alter zu kommen. Es ist dem medizinischen Fortschritt, es ist unseren hervorragenden Ärzten zu verdanken, dass wir diese gute Zeit erleben. Die alternde Gesellschaft kostet aber etwas, und auch der medizinische Fortschritt ist nicht für umsonst zu bekommen. Alle 80 Millionen Menschen in unserem Land haben Anspruch auf beste medizinische Versorgung - ohne Kontingentierung oder Rationierung; Sie haben das ausgeführt, und dafür bin ich Ihnen dankbar. ({8}) Ein bloßes Weiter-so kann es aber nicht geben. Die Medizin wird nicht billiger werden. Also muss sie effizienter werden, wenn sie bezahlbar bleiben soll. ({9}) Schon in den nächsten Monaten, Herr Minister Rösler, wird die Kommission, die eingesetzt worden ist, Vorschläge für eine Reform des Gesundheitswesens vorlegen. Ich hoffe, dass die Reform nicht wie eine der sieben Plagen des Alten Testaments über uns kommt, sondern mutige Ansätze bringt, um das Gesundheitswesen für die nächsten Jahre, vielleicht Jahrzehnte auf sichere Beine zu stellen. ({10}) Die Überlegungen des Bundesgesundheitsministers, die Arbeitgeberbeiträge festzuschreiben, die Beiträge der Arbeitnehmer einkommensunabhängig zu erheben, gesamtgesellschaftliche Aufgaben den Staat, den Steuerzahler zahlen zu lassen, für Defizite einen Sozialausgleich einzurichten, diese Ansätze haben etwas Frappierendes an sich. Es wird aber darauf ankommen, wie dieser Sozialausgleich - wir haben Zahlen gehört: 20 Milliarden Euro, 30 Milliarden Euro, 35 Milliarden Euro - in der Praxis finanziert wird. Darüber kann heute aber nicht diskutiert werden. Wir sehen mit Spannung den Empfehlungen Ihrer Kommission entgegen, Herr Minister. Dabei will ich eines für meine Fraktion und für meine Partei sagen: Der Grundsatz der Solidarität darf nicht aus dem Fokus gerückt werden. ({11}) In der Tat müssen Besserverdienende - Sie haben dies in Ihrer Rede auch erwähnt - über einen höheren Steuersatz auch mehr für diesen Sozialausgleich bezahlen. ({12}) Gleichwohl bitte ich zu bedenken, dass Mitbürger mit hohen Einkommen eher Steuergestaltungsmöglichkeiten als jene haben, die lediglich Lohneinkünfte beziehen. ({13}) Auch dies rechnen wir zu der Solidarität, die in den Sozialausgleich einfließen muss. Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Haushalt des Gesundheitsministers weist etwa 16,2 Milliarden Euro aus. Es ist der Einzelplan mit der größten Steigerungsrate. Er steigt, wie wir gehört haben, um fast 40 Prozent gegenüber dem letzten Jahr. Dies ist kein Grund für Freudensprünge, weil 4,6 Milliarden Euro für Bundeszuschüsse und 3,9 Milliarden Euro für die krisenbedingte Situation der Krankenversicherungen ausgegeben werden. Übrigens mein Kompliment, Herr Minister, wie Sie Herrn Minister Schäuble in wenigen Stunden die 3,9 Milliarden Euro abgenommen haben. Das war schon à la bonne heure, das war eine gute Leistung in Ihren ersten Tagen als Minister. ({14}) 97 Prozent des Haushalts sind determiniert. Es sind keine großen Sprünge zu machen. Trotzdem werden wir die Ausgabenposten für die Öffentlichkeitsarbeit, für die Präventivprogramme und die Aufklärungskampagnen kritisch unter die Lupe nehmen. Wer aber meinen sollte, weil 97 Prozent des Haushalts determiniert seien, komme es auf die paar Millionen auch nicht mehr an, die disponibel sind, wird sich irren. ({15}) Ich gehe davon aus, dass wir alle Haushaltsansätze sehr kritisch unter die Lupe nehmen. Herr Minister, ich freue mich auf die Beratungen mit Ihnen, Ihren Staatssekretären und Mitarbeitern. Wir werden sicherlich einen guten Haushalt 2010 auf den Weg bringen. Vielen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn dieser Tage von Geld und Gesundheit oder umgekehrt die Rede ist, hört man regierungsseitig permanent zwei Sätze: Erstens. Die gesetzliche Krankenversicherung hat einen Geburtsfehler. Zweitens. Die gesetzliche Krankenversicherung ist tot, zumindest nicht zukunftsfähig. ({0}) Die GKV, um die uns viele Länder beneiden, hat sehr viele Jahre und viele Wirrnisse gesund überstanden. Allerdings geht es ihr aktuell nicht gut. Zu den krisenbedingten Einnahmeausfällen - im Haushaltsentwurf sind 3,9 Milliarden Euro dazu eingestellt; das ist okay - entsteht nach offizieller Schätzung ein Loch von knapp 4 Milliarden Euro. Doch dieses Loch ist keine Unzulänglichkeit des Systems; es ist von der Politik gegraben. ({1}) Wenn man mehr ausgibt, zum Beispiel für Palliativmedizin oder Ärztehonorare, muss man auch mehr rein tun. Aber das ist nicht geschehen. ({2}) Wenn man dann noch bei den Medikamenten weniger spart als erwartet, dann hat man ein Loch. Doch das ist logisch entstanden und nicht krankhaft. Aber dieses Loch könnte ganz einfach geschlossen werden, indem man beispielsweise endlich die Verschiebebahnhöfe zwischen den Sozialversicherungszweigen aufkündigt. ({3}) In unserem Fall müssten für die Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Bezieher kostendeckende Beiträge gezahlt werden; anstelle der heute eingezahlten 123 Euro wären 260 Euro angemessen. Dies brächte der GKV rund 5 Milliarden Euro, und, schwups, das Loch wäre weg. Eines ist klar: Hier wird mit Absicht die GKV totgeredet. Sie liegt nicht im Sterben. Sie reden sie tot, damit ein neues System installiert werden kann. Dagegen wehren wir uns, und das zum Glück nicht allein. ({4}) Sie, Herr Minister, haben heute gesagt: Das geltende Recht hat einen entscheidenden Geburtsfehler: Es findet kein Sozialausgleich statt. Deshalb seien die Kopfpauschale und ein steuerfinanzierter Sozialausgleich notwendig. Ich frage mich, welches Verständnis Sie von Solidarität haben. Ich will nicht den Vergleich von der Lidl-Verkäuferin und dem Konzernmanager bemühen. Fakt ist aber: Wer wenig verdient, zahlt wenig, und wer viel bekommt, zahlt mehr, nämlich bis knapp 300 Euro. Das ist gerecht, und das empfinden auch die meisten Bürgerinnen und Bürger so. Wenn Sie jetzt eine Kopfpauschale von circa 145 Euro einführen wollen - das ist kein Vorurteil, Herr Lanfermann -, ({5}) dann werden die Gutverdienenden massiv entlastet und die Geringverdienenden massiv belastet. Mit Ihrem tollen Sozialausgleich - wie auch immer er aussehen wird soll Gerechtigkeit hergestellt werden. Ich frage mich, was daran sozial ist, wenn es bei der Entlastung der Gutverdienenden bleibt und die Geringverdienenden den Zuschuss, den sie beantragen können, über diverse Steuern selbst mitfinanzieren müssen. ({6}) Ich denke, das ist ein sozialpolitischer Skandal. Der Finanzminister hat gestern eingestanden, dass die derzeitige Rekordverschuldung nicht trivial ist und dass es auch 2011 und 2012 schwerwiegende Entscheidungen geben wird. In dieser Situation wollen Sie ein funktionierendes System umswitchen und Milliardenbedarfe für den Haushalt erzeugen? Ich denke, das ist reine Klientelpolitik für Arbeitgeber und Gutverdienende. Das wird die Linke nicht hinnehmen. ({7}) Ein Gesundheitsminister, der den Namen verdient, müsste sich um die Gesundheitsleistungen kümmern, unabhängig vom Portemonnaie, sowie um lebenswerte und gesundheitsfördernde Bedingungen. Aber das Wort Gesundheitsförderung kommt weder im Koalitionsvertrag noch im Haushalt vor. Hier ist die Koalition am Werk, der es nicht um moderne Prävention und Gesundheitsförderung geht. Der schwarz-gelbe Gesundheitshaushalt ist unseres Erachtens altbacken. Hier wird weitergeführt, was nie funktionierte: Präventionskampagnen, Aufklärung und Modellprojekte, die nicht flächendeckend ausgeweitet werden. Ganz zu Recht hat der GKV-Spitzenverband in seinem Präventionsbericht 2009 festgestellt, dass Arme von der Gesundheitsförderung kaum erreicht werden, obwohl sie es am nötigsten hätten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die die Kassen nicht alleine bewältigen können. Deshalb wird die Linke Sie auch dieses Jahr wieder mit der Forderung konfrontieren, in den nächsten vier Jahren jeweils 1 Milliarde Euro für einen Fonds für Gesundheitsförderung und Prävention bereitzustellen, damit im Gesundheitssystem ein Paradigmenwechsel stattfinden kann. Ich denke, die Koalition mit ihrer fixen Idee völliger Eigenverantwortung wird nicht dazu fähig sein, diesen Paradigmenwechsel zu ermöglichen. Die Linke wird aber weiter dafür streiten. Danke. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Maria Klein-Schmeink das Wort.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine liebe Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen hier im Hause! Ich finde, die Debatte ist bislang eigentümlich verlaufen; denn sie lässt zentrale Fragen außen vor. Sie, die Koalitionsfraktionen, erlebe ich als eine Mehrheit, die eigentlich nicht sprachfähig ist und mit sehr unterschiedlichen Zungen redet. Ich erlebe einen Minister, der im Wesentlichen sehr kurze und überschaubare Sätze formuliert ({0}) und zentrale Aussagen vermissen lässt. Er wird auch wissen, warum er auf zentrale Aussagen verzichtet; denn er ist nicht sprachfähig. ({1}) Sie müssen nämlich die gemeinsame Melodie dessen, was kommen soll, noch erzeugen. Deshalb bleibt es bei Schablonen wie „fair“ oder „solidarisch“, ohne zu sagen, wie diese Schablonen auszufüllen wären. Wie wir alle wissen, haben Sie eigentlich ein Vorbild, an das Sie sich auch ein bisschen angelehnt haben, nämlich das niederländische Modell. Das könnte man durchaus etwas stärker ausführen, wenn man es denn wollte. Aber man will nicht. Vor der Wahl in NRW will man all das, was das niederländische Modell bedeutet, nicht aussprechen; denn natürlich käme dann heraus, dass es um Zusatzbelastungen für die Versicherten geht. Das ist das A und O auf der einen Seite. ({2}) Ich will aber auch die andere Seite ansprechen. Sie reden davon, dass Sie die Ausgabenseite nicht aus den Augen verlieren und etwas tun wollen. Aber auch hier sagen Sie nicht, was Sie tun und welche Instrumente Sie einsetzen wollen; denn Sie wissen ganz genau, dass es dabei wieder um Verteilungsprobleme geht, die man vor Wahlen besser nicht anspricht. Ich erinnere daran, wie Sie von der FDP in den vergangenen Debatten aufgetreten sind und gesagt haben, wir müssten uns ehrlich machen. Aber das, was ich nun erlebe, ist das Gegenteil von ehrlich. Das ist eigentlich eine Form von Wählertäuschung, die Sie bewusst in Kauf nehmen, um über die NRW-Wahl hinwegzukommen. ({3}) Die SPD hat ebenfalls eine seltsame Haltung. Frau Bas, ich habe mich über Ihren Beitrag sehr gefreut. Ich finde, Sie haben die richtigen Zukunftsthemen genannt: die demografische Entwicklung, die soziale Schieflage und die mangelnde Steuerung bei Fehlversorgung. Aber warum ist das nach so langer Zeit, in der die SPD an führender Stelle Gesundheitspolitik betrieben hat, nicht anders? ({4}) Dieser Frage müssen Sie sich stellen; das müssen Sie den Wählerinnen und Wählern beantworten. ({5}) An die Adresse der Linken muss ich sagen: Unser zentrales Problem ist nicht eine „Medikamententafel“, sondern die Minimierung der Gesundheitsrisiken von sozial benachteiligten und einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen. Die Herausforderung heißt Prävention. Ich bin sehr gespannt, was Sie dazu vorlegen werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin, ich weiß, dass es subjektiv sehr ungerecht empfunden wird, wenn einem von seiner Fraktion nur drei Minuten Redezeit zugebilligt werden. Aber Sie sind nun schon über Ihrer Zeit. Sie müssen bitte zum Schluss kommen. ({0}) - Das müssen wir jetzt verschieben.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich werde sehr genau darauf achten, wie Sie den Präventionsansatz ausgestalten und finanzieren wollen. Ich habe das, was Sie gesagt haben, als Drohung aufgefasst und Sie so verstanden, dass Sie hier quasi eine neue Sparkasse aufmachen und Gelder einsammeln wollen. Das werden wir im weiteren Prozess auf jeden Fall thematisieren. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Stefanie Vogelsang für die Unionsfraktion. ({0})

Stefanie Vogelsang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004180, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister, wenn man sich Ihren Haushalt genau anschaut und sich vor Augen führt, dass 11,8 Milliarden Euro als Zuschüsse gewährt werden und die Kompensation für die krisenbedingte Minderausgabe 3,9 Milliarden beträgt, denkt man, dass gar nichts mehr übrig ist und dass die restlichen Geldsummen keine Bedeutung haben. Ich finde aber, dass dieser geringe Rest in Ihrem Haushalt eine ganz wesentliche Bedeutung für das Gesundheitssystem und die gesundheitliche Situation in unserem Land hat. Ich möchte mich nicht auf die Neuordnung der Krankenkassen in mehr oder weniger ideologischer Weise, die einzelnen Ansätze, die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Schuldzuweisungen konzentrieren. Ich möchte meinen Blick vielmehr auf einzelne Haushaltsthemen wie die Versorgungsforschung, die Leuchtturmprojekte zur Demenz, die Aktion für psychisch Kranke, den Nationalen Krebsplan und nicht zuletzt - dieser Punkt ist mir persönlich sehr wichtig - auf mehr Wertschätzung für den Dienst am Menschen richten. ({0}) Für uns in der christlich-liberalen Koalition hat der systematische Ausbau der Versorgungsforschung besonderes Gewicht; denn uns ist klar: Nur auf der Basis genauer Erkenntnisse lassen sich die richtigen Schlussfolgerungen für das Fitmachen der Gesundheitsversorgung in der Zukunft ziehen. Wir wissen, dass der finanzielle Spielraum auch in Zukunft eng bleiben wird. Gerade deshalb ist es wichtig, das Maximale an Leistungskraft und Qualität für die Menschen herauszuholen. Das wiederum schafft man nur, wenn man die Erfordernisse unter Alltagsbedingungen möglichst exakt kennt. In den zusätzlichen 12 Milliarden Euro für das Bundesministerium für Bildung und Forschung in dieser Wahlperiode ist ein kleiner Anteil - aber immerhin - an Forschungsgeldern für die Versorgungsforschung enthalten. Darüber freue ich mich. Für die kommenden Haushalte wird es aber wichtig sein, den Auftrag des Gesundheitsministeriums zur Sicherung der Gesundheitsversorgung durch selbstständige und eigenständige Möglichkeiten im Bereich der Versorgungsforschung zu flankieren. Zurzeit gibt es 1,1 Millionen Menschen mit Demenz in unserem Land. Bis zum Jahre 2030 wird sich diese Zahl auf 1,7 Millionen erhöhen. Für das Jahr 2050 lautet die Prognose 2,3 Millionen Menschen. Das ist eine Zahl, die mir zumindest angst macht. Bisher gibt es kaum Erkenntnisse, wie die Krankheit verhindert werden kann, und es gibt keine Heilungsmöglichkeiten. Weitere Forschung ist deshalb ein zwingendes menschliches Gebot. Aber natürlich geht es nicht nur um die Erforschung der Situation, sondern es ist auch wichtig, die gewonnenen Erkenntnisse in die praktische Versorgung einfließen zu lassen. Nur die Kombination von beidem ist nachhaltige Politik. Seit dem Haushaltsjahr 2008 läuft das auf zwei Jahre angelegte Leuchtturmprojekt im Bereich der Verbesserung der Versorgung von Demenzerkrankten. Die Bundesregierung hat umfangreiche Mittel aufgewendet, um zur Entwicklung und Erprobung neuer Pflegekonzepte beizutragen. In diesem Jahr ist die Ausfinanzierung dieser Projekte etatisiert. Ab dem Haushaltsjahr 2011 wird es darauf ankommen, Herr Minister, dass die gewonnenen Erkenntnisse nicht in einer Schublade verschwinden, sondern dass für die Einführung in die Praxis finanzielle Vorsorge getroffen wird. So funktioniert nachhaltige Politik ({1}) aus Verantwortung für die Menschen, die kranken wie den gesunden, aber vor allen Dingen aus Verantwortung für unsere volkswirtschaftlichen Ressourcen. Die institutionelle und projektbezogene Förderung der Aktion Psychisch Kranke ist nicht erst seit dem Freitod unseres Fußballnationaltorhüters Robert Enke von erheblicher Bedeutung. Aber durch dieses schreckliche Geschehen ist uns allen bewusst geworden, dass die Erkrankungen der Seele zugenommen haben und dass wir auf diesem Feld unbedingt weiter vorankommen müssen. Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation zeigt, dass weltweit 121 Millionen Menschen von Depressionen betroffen sind. In der Bundesrepublik Deutschland sind sie die zweithäufigsten Leiden nach Herz-KreislaufErkrankung; hier leiden rund 4 Millionen Menschen an dieser Erkrankung. 300 000 Fälle depressiver Erkrankung pro Jahr führen übrigens zu 11 Millionen Tagen Arbeitsunfähigkeit in Deutschland. Dies scheint mir ein wichtiges Handlungsfeld des Gesundheitsministers zu sein, um nachhaltige Politik fortzusetzen. Ich bin froh darüber, dass Sie, Herr Minister, die Ansätze so belassen haben, wie sie etatisiert worden sind. ({2}) Sehr kontinuierlich arbeitet das Bundesgesundheitsministerium seit fast drei Jahren im Bereich der Krebserkrankungen. Im Jahr 2008 hat die Bundesregierung die Maßnahmen im Kampf gegen den Krebs in einem Nationalen Krebsplan gebündelt. In einer Gesellschaft, in der wir Menschen glücklicherweise immer älStefanie Vogelsang ter werden, ist der Kampf gegen den Krebs aber auch eine wachsende Herausforderung. In Deutschland erkranken jährlich 430 000 Menschen neu an Krebs; das sind die Zahlen vom letzten Jahr. Mehr als die Hälfte der krebserkrankten Menschen stirbt daran. Damit ist Krebs die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Krebsfrüherkennung, Krebsvorsorge, Strukturen für die Erkrankten und die Qualitätssicherung müssen weiterentwickelt werden. Dies ist ein Gebot der Menschlichkeit. Immer noch werden Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Brust- oder Prostatakrebs nur sehr unzureichend wahrgenommen. Dass dies nicht so bleibt, daran müssen wir dringend weiterarbeiten. Dafür müssen wir dem Gesundheitsminister auch die Ressourcen zur Verfügung stellen. Ich bin froh darüber, dass diese Ressourcen in Ihrem Bereich etatisiert worden sind, Herr Minister. Abschließend möchte ich auf einen Auftrag an diese Regierung zu sprechen kommen, der nicht nur ein Auftrag an das Ministerium für Gesundheit ist, sondern letztendlich ein Auftrag an die gesamte Regierung, vielleicht sogar ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Als christlich-liberale Koalition wissen wir um die Bedeutung des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft, um die Akzeptanz des Staates und um die Wichtigkeit der Solidarität. In unserer schnelllebigen, sich rasant entwickelnden Gesellschaft bekommt derjenige, der sich dem Dienst am Menschen verpflichtet hat, viel zu wenig Anerkennung ({3}) und vor allen Dingen viel zu wenig Wertschätzung. Dies muss sich dringend ändern. ({4}) Wir brauchen mehr Wertschätzung für den Dienst am Menschen. Wir müssen Angebote für Menschen verbessern, die Hilfe und Förderung brauchen. Die demografische Entwicklung und der Wandel im Zusammenleben der Menschen in unserem Land stellen uns vor große Herausforderungen. Ich bekomme ein Zeichen der Präsidentin, dass meine Redezeit abgelaufen ist. Das akzeptiere und vor allen Dingen respektiere ich natürlich. Ich möchte nur noch einen Gedanken zu Ende bringen. Lieber Herr Minister, ich finde es vor dem Hintergrund der Wertschätzung, die wir für Menschen erbringen müssen, die Dienst am Menschen leisten, für unsere Pflegerinnen und Pfleger, für die Krankenschwestern und Krankenpfleger, für die Ärztinnen und Ärzte, sehr wichtig, dass ihre Berufsfelder wieder das gesellschaftliche Image bekommen, das sie verdienen, und sie wieder Zeit für den Menschen und Zeit für Zuwendung haben. Ich halte es für einen Skandal, dass unsere Bundesländer - das gilt übrigens vor allen Dingen für das Land Berlin ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Krankenhausfinanzierung im Bereich der baulichen Investitionen nicht nachkommen. Letztendlich sind die Träger der 2 100 Krankenhäuser in Deutschland gezwungen, diese Baumaßnahmen von den ihnen zur Versorgung der Menschen zur Verfügung stehenden Entgelten zu bezahlen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Vogelsang, die Redezeitüberschreitung kann Ihnen nicht der Minister erlauben. Insofern bitte ich Sie jetzt, einen Punkt zu setzen und diese Debatte in den dafür vorgesehenen Gremien fortzusetzen, bis wir hier zur zweiten und dritten Lesung kommen.

Stefanie Vogelsang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004180, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bitte Sie darum - das ist mein Auftrag an Sie -, dass Sie dafür kämpfen. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Karl Lauterbach für die SPD-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem Papier „Kernforderungen an eine schwarz-gelbe Gesundheitspolitik“, erstellt durch die Mitglieder der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/ CSU-Fraktion, heißt es: Wir schlagen vor, die Arbeit des IQWiG - also des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen als Dienstleister im Gesundheitssystem neu zu ordnen. Diese Neuausrichtung muss sich auch an der personellen Spitze des Hauses niederschlagen. Damit war die Rufmordkampagne gegen den Institutsleiter Peter Sawicki eingeleitet; die schwarz-gelbe Koalition hatte Sawicki zum Abschuss freigegeben. Die schäbige Art und Weise, einen unbequemen, aber kompetenten Wissenschaftler zu diffamieren, ({0}) den die schwarz-gelbe Koalition nicht nur geduldet, sondern höhnisch lachend begleitet hat - das gilt übrigens insbesondere für den heute nicht anwesenden Kollegen Spahn -, ist beispiellos. Sie ist ein Tiefpunkt der deutschen Gesundheitspolitik der letzten Jahre. ({1}) Die Spender der CDU, Ferring Arzneimittel - 150 000 Euro im August 2009 -, Stefan Quandt, Mitinhaber der Heel GmbH - 150 000 Euro im Oktober 2009 -, und andere, werden es Ihnen sicher danken. ({2}) Aber das werden sicherlich auch die Wähler tun. Der Bürger ist nicht bereit, unwirksame Arzneimittel überteuert zu konsumieren und damit die Gewinne der Pharmaindustrie hier in Deutschland zu stützen. ({3}) Das IQWiG, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, so heißt es in den die Koalitionsverhandlungen begleitenden Papieren, soll die betroffenen Pharmaunternehmen demnächst früher in die Verhandlungen einbinden. - Was bedeutet das konkret? Dass wir demnächst mit der Industrie wie auf einem Basar verhandeln müssen, zu welchen Bedingungen ein Medikament verkauft und auch dann, wenn es nicht wirkt, ({4}) angeboten werden darf. Vielleicht kommt es so weit, dass diese Medikamente zumindest von den Gesunden genommen werden; denn bei denen werden sie weniger Schaden anrichten. Darum geht es doch, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({5}) Vielleicht hängen die Ergebnisse in Zukunft sogar davon ab, wie groß die Spendenbereitschaft der Firmen ist. Vielleicht werden die Ergebnisse vom IQWiG demnächst zu versteigern sein; auch darauf könnte es hinauslaufen. ({6}) Ähnlich traurig sieht es in der Krankenversicherung aus. ({7}) Am Montag werden zahlreiche Krankenkassen erste Zusatzbeiträge ankündigen. Dagegen haben Sie, Herr Minister, nichts unternommen. Auch hier lachen die schwarz-gelben Koalitionäre über den Bürger. ({8}) - Sie lachen; ich sage es ja. ({9}) - Sie lachen über den Bürger, natürlich. ({10}) Sie lachen über den Bürger, aber Ihnen wird das Lachen noch vergehen. Gott sei es gedankt: Ihre Umfragewerte sind schon gesunken. So dumm ist der Bürger nicht, Herr Lanfermann. ({11}) Es wird bislang nicht konkret. Eben hat der Kollege von der Union dem Minister für die klaren Worte gedankt. Ich persönlich muss ehrlich sagen - und ich habe die gleiche Rede gehört -: Mit Verlaub, es waren leere Worte. Konkret ist es nur in der Vergangenheit gewesen, als angekündigt wurde, dass Apotheker und Fachärzte, die Stammwähler der FDP - die FDP hat sich früher selbst „Partei der Besserverdiener“ genannt -, vor Wettbewerb geschützt werden sollen. Für die PKV soll es jüngere und gutverdienende Neumitglieder geben. ({12}) Die gesetzlich Versicherten können auf höhere Beiträge und Zusatzprämien in Form von kleinen Kopfpauschalen warten. Das ist das, was wir bisher konkret gehört haben - im Gegensatz zu den leeren Worten, die wir heute erneut vernommen haben. ({13}) Der Cheflobbyist der privaten Krankenversicherung wird Leiter der Grundsatzabteilung. ({14}) Der Grundsatz „privat vor öffentlich“ passt zu der Partei, die den Staat als teuren Schwächling diffamiert. ({15}) Trotzdem sind die Lobbyisten offenbar auf den teuren Schwächling Staat angewiesen; denn sonst würden sie die FDP nicht - wie Baron von Finck - mit Spenden bedenken müssen. ({16}) Die Einstellung des PKV-Lobbyisten Weber als Leiter der Grundsatzabteilung ist jedoch etwas Neues, etwas anderes. Bisher wissen wir, dass der Lobbyist die FDP bezahlt, um Einfluss zu gewinnen. Neu ist, dass der Steuerzahler selbst demnächst den Lobbyisten zu bezahlen hat. ({17}) Im Gegenzug wird es dann vielleicht bei der PKV niedrigere Beiträge und günstigere Bedingungen für FDP-Mitglieder geben. Ich schließe mit einer Empfehlung an den Minister: Wenn für Sie die Interessen der Pharmaindustrie mehr wiegen als die Interessen der Kranken, die die Medikamente brauchen, wenn für Sie die Interessen der PKV mehr wiegen als die Beitragssätze für die gesetzlich oder die privat Versicherten, wenn für Sie die Einkommensinteressen der Apotheker und der Fachärzte wichtiger sind als die der Patienten und der Beitragszahler, dann werden Sie Minister für Wirtschaft und treten Sie die NachDr. Karl Lauterbach folge des glück- und farblosen Kollegen Brüderle an, bevor Sie weiteren Schaden anrichten! ({18}) Wir als SPD werden in Kürze Vorträge dazu bringen, ({19}) wie die Praxisgebühr abzuschaffen ist, die uns damals von der Union in den Nachverhandlungen im Bundesrat aufgedrückt wurde. Wir wollen zurück zur Parität.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lauterbach, achten Sie bitte auf das Zeichen vor Ihnen.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Frau von der Leyen kündigt an, zu überprüfen, ob Schlecker zu niedrige Löhne zahlt, gleichzeitig soll Schlecker aber bei den Arbeitgeberbeiträgen zur Krankenversicherung entlastet werden. Wir wollen zurück zur paritätischen Finanzierung. Heute ist es nicht an der Zeit, einseitig die Arbeitgeber zu entlasten. ({0}) Wir wollen auch weg von der Zweiklassenmedizin, einer Medizin, bei der die Versorgungsqualität vom Einkommen des Bürgers abhängt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lauterbach, ich bin ein geduldiger Mensch, aber ich habe auch einen Knopf, um das Mikrofon einfach auszuschalten.

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Letzter Halbsatz. ({0}) Es ist zu vermeiden, dass die Versorgungsqualität vom Einkommen oder demnächst möglicherweise sogar von der Parteimitgliedschaft abhängt. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Karin Maag für die Unionsfraktion. ({0})

Karin Maag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004104, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Eines zeichnet sich jetzt hier sehr deutlich ab: Weite Teile der Opposition - Herr Kollege Lauterbach, ich schaue jetzt bewusst in Ihre Richtung - wollen die Staatsmedizin. ({0}) Sie sagen es nicht ganz deutlich, sondern versuchen, uns soziale Kälte oder Klientelpolitik nachzuweisen. ({1}) Das ist zu durchsichtig. Das ist Ihnen nicht gelungen. Die christlich-liberale Koalition wird das Gesundheitswesen zukunftsfest machen, ({2}) sodass es auch die künftigen Herausforderungen meistern kann. ({3}) Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben ein unglaublich kurzes Gedächtnis. Sie haben bekanntlich den ersten Entwurf dieses Haushalts noch mitverantwortet. Für die gesamtgesellschaftlichen Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung war 2010 lediglich der Bundeszuschuss in Höhe von 11,8 Milliarden Euro vorgesehen. Ich halte hier noch einmal fest: Im Entwurf der christlich-liberalen Koalition ist ein weiterer Bundeszuschuss in Höhe von 3,9 Milliarden Euro zur Kompensation der krisenbedingten Mindereinnahmen veranschlagt. Insgesamt werden die Kassen 2010 damit Bundeszuschüsse in Höhe von 15,7 Milliarden Euro erhalten. ({4}) Der Etatansatz des Einzelplans 15 erhöht sich damit deutlich von 11,6 Milliarden Euro in 2009 auf 16 Milliarden Euro in 2010. ({5}) Damit stärken wir den Stellenwert des Gesundheitswesens und stellen es auf stabile finanzielle Füße. ({6}) Wir als christlich-liberale Koalition haben uns ganz eindeutig und von Anfang an - das betone ich ausdrücklich - zur solidarischen und sozialen Verantwortung auch im Gesundheitssektor bekannt und tun das auch weiterhin. Wir entlasten die gesetzlichen Kassen ({7}) und sorgen dafür, dass die Menschen nicht zusätzlich durch die Wirtschaftskrise belastet werden. Soziale Kälte sieht aus meiner Sicht anders aus. ({8}) Selbstverständlich werden wir auch in Zukunft unserer sozialen Verantwortung gerecht. Wie Sie sich die Zu1458 kunft vorstellen, Frau Bender, dazu haben Sie leider gar nichts gesagt. Die Geschwindigkeit des medizinischen Fortschritts nimmt rasant zu. Der demografische Wandel trifft uns jedoch erst in 15 bis 20 Jahren spürbar, wenn die geburtenstarken Jahrgänge, zu denen auch ich gehöre, in den Ruhestand gehen. Gleichzeitig müssen die Kassen Beitragsausfälle verkraften: 13. Monatsgehälter werden nicht mehr oder nur teilweise gezahlt. Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, aber auch soziale Errungenschaften wie zum Beispiel die Arbeitszeitkonten tragen dazu bei, dass Einnahmen fehlen. Wir haben es im vergangenen Jahr gemeinsam geschafft, Frau Ferner und Herr Lauterbach, die Arbeitgeberbeiträge festzuschreiben und mit diesem Einstieg in die Abkopplung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen zu stärken. Bis dahin gingen die Kostensteigerungen entweder zulasten der Lohnzusatzkosten - das heißt, die Beiträge haben sich erhöht -, oder sie mussten von den medizinischen Leistungserbringern im System aufgefangen werden; ich nenne hier nur das Stichwort Kostendämpfung. Das schadete einem Wachstumsmarkt mit über 4,4 Millionen Beschäftigten. ({9}) Wir bekennen uns ausdrücklich weiterhin zu dem, was wir in den vergangenen vier Jahren mit Ihnen von der SPD gemeinsam erreicht haben. Aber das muss weiterentwickelt werden. Wir können jetzt nicht stehen bleiben und die Herausforderungen dieser Zeit ignorieren. Unsere Hauptaufgabe in den nächsten vier Jahren wird es sein, den Einstieg in die stabile Finanzierung weiterzuentwickeln und vor allem darauf zu achten, dass die gesetzlich Versicherten damit nicht überfordert werden. ({10}) Natürlich müssen wir auch die Ausgaben im Gesundheitsbereich im Griff behalten. Die Ausgaben für Forschung, Aufklärung und Prävention sind gut angelegt. Es ist mit Sicherheit angebracht, dort zu investieren; denn das erspart am Ende die hohen Krankheitskosten. Ich nenne exemplarisch den Infektions- und den Gesundheitsschutz, den wir stärken müssen. Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir die Forschungsausgaben auch in Krisenzeiten konstant halten. Zu den Stichworten Aufklärung und Prävention ist anzumerken, dass wir für eine Sucht- und Drogenpolitik stehen, die Prävention, Therapie und Hilfe zum Ausstieg in den Mittelpunkt stellt. In diesem Zusammenhang weise ich ausdrücklich auf die HIV/Aids-Problematik und auf den Alkoholmissbrauch hin. Wir müssen vor allem dagegen ankämpfen, dass das Thema Aids aus dem Fokus gerät. Die Mittel in Höhe von insgesamt über 16 Millionen Euro stehen deshalb auch in einem Krisenhaushalt weiterhin ungekürzt zur Verfügung. Besonders wichtig ist mir in diesem Zusammenhang auch das Thema Alkoholmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen. Im Vergleich zum Jahr 2000 ist die Zahl der stationären Behandlungen um 170 Prozent gestiegen, Frau Dyckmans. Allein 4 500 Kinder zwischen 10 und 15 Jahren mussten im Jahr 2008 aufgrund einer Alkoholvergiftung stationär behandelt werden. Um diese Kinder und vor allem die Eltern dieser Kinder zu erreichen, müssen wir neue Wege gehen. Diese neuen Wege kosten Geld. Die Botschaft lautet: Das Geld steht trotz Krise auch in diesem Haushalt weiterhin zur Verfügung. ({11}) Ich fasse zusammen: Die Versicherten, die Patientinnen und Patienten, können bei der christlich-liberalen Koalition sicher sein, dass ihnen weiterhin eine hochwertige, bezahlbare gesundheitliche Versorgung zur Verfügung steht. Die Leistungserbringer - die Ärzte, die Zahnärzte, all diejenigen, die im Gesundheitssystem tätig sind - dürfen von uns eine faire Partnerschaft auch im Hinblick auf ihre Vergütung erwarten. Wir werden diesen Weg mit Entschiedenheit gehen. Ich bin mir sicher, dass es der bessere Weg ist. Ihnen, Herr Minister Rösler, Ihren Mitarbeitern und uns allen wünsche ich, dass wir das in den kommenden Wochen gemeinsam erfolgreich gestalten. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Maag, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Dazu gratulieren wir Ihnen recht herzlich und wünschen Ihnen auch weiterhin viel Erfolg. ({0}) Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen uns nicht vor. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 22. Januar 2010, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen Abend, wozu auch immer Sie ihn jetzt nutzen wollen.