Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich. Es wird wieder etwas übersichtlicher.
({0})
Wir haben vor Eintritt in die Fortsetzung unserer
Haushaltsberatung noch einige Nachwahlen vorzunehmen.
Die SPD-Fraktion hat mitgeteilt, dass die ehemalige
Abgeordnete Monika Griefahn aus dem Verwaltungsrat
der Filmförderungsanstalt ausgeschieden ist. Als Nachfolgerin wird die Kollegin Angelika Krüger-Leißner
vorgeschlagen. Als deren Stellvertreterin ist die Kollegin
Ulla Schmidt vorgesehen. Können wir das so vereinbaren? - Sie sind damit offenkundig einverstanden. Dann
sind Frau Krüger-Leißner als Mitglied und die Kollegin
Schmidt als stellvertretendes Mitglied in den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt gewählt.
Die SPD-Fraktion schlägt ferner vor, für den früheren
Abgeordneten Christian Kleiminger die Kollegin Bärbel
Bas in den Stiftungsrat der Stiftung „Humanitäre
Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ zu wählen. Sind Sie auch damit einverstanden? Das ist augenscheinlich der Fall. Dann ist die Kollegin
Bas in diesen Stiftungsrat gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um Zusatzpunkt 1:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen Nr. 187 der Internationalen
Arbeitsorganisation vom 15. Juni 2006 über
den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz
- Drucksache 17/428 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
zu erweitern und diesen Gesetzentwurf ohne Aussprache
zur Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales
zu überweisen. Können wir so verfahren? - Das ist offensichtlich der Fall.
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt 2 - fort:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2010
({2})
- Drucksache 17/200 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Für die heutige Aussprache haben wir am Dienstag
eine Beratungszeit von insgesamt siebeneinhalb Stunden
beschlossen. Wir beginnen die heutigen Beratungen mit
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales, Einzelplan 11.
Das Wort erhält zunächst die Bundesministerin Frau
Dr. von der Leyen.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn man internationale
Berichte über die Arbeitsmärkte in der globalen Krise
liest, ist vor allem ein Tenor einheitlich und durchgehend, nämlich die Verblüffung darüber, dass der deutsche Arbeitsmarkt so robust ist. Die Arbeitslosigkeit ist
trotz des drastischen Einbruchs der Wirtschaftsleistung
nicht wie befürchtet gestiegen. Das ist die gute Nachricht.
Die schlechte Nachricht ist: Wir sind noch lange nicht
über den Berg. Wir werden die Krise am Arbeitsmarkt
noch lange spüren. Die Arbeitslosigkeit wird steigen.
Aber die Prognosen sind nicht mehr ganz so düster, wie
sie es vor einigen Monaten gewesen sind, das heißt, wir
werden voraussichtlich bei der Arbeitslosenzahl unter
4 Millionen bleiben.
Redetext
Hinter dieser Entwicklung steht nicht nur die beginnende Erholung der Wirtschaft. Nein, hinter dieser Entwicklung steht ein neuer, ein breiter Konsens in
Deutschland: Oberste Priorität hat der Erhalt von Fachwissen und damit der Erhalt von Arbeitsplätzen. Diesen
neuen Konsens am Arbeitsmarkt wollen wir als Regierung mit aller Kraft unterstützen.
({0})
Das spiegelt der Haushalt ganz klar wider. Mit
146,8 Milliarden Euro müssen wir rund 19 Milliarden
Euro mehr einsetzen als im Jahr davor. Der Löwenanteil
dieser Steigerung geht in die Arbeitsmarktförderung.
Das setzt sich aus zwei Komponenten zusammen:
Erstens. Mehr Arbeitslose heißt natürlich mehr Ausgaben für die Bundesagentur für Arbeit und weniger
Einnahmen. Wir wollen nicht, dass die Bundesagentur
für Arbeit mitten in der Krise in eine Schuldenspirale gerät. Wir wollen nicht, dass mitten in der Krise damit der
Druck auf den Arbeitslosenbeitrag steigt und damit der
Druck auf die Lohnnebenkosten. Das wäre Gift in der
Krise. Deshalb planen wir, der BA jetzt, in der Krise, einen Zuschuss von 16 Milliarden Euro zu geben und
nicht das übliche Darlehen.
({1})
Die zweite Komponente ist das Kurzarbeitergeld.
Das kostet Arbeitnehmer, Arbeitnehmerinnen, Arbeitgeber, aber auch die Politik viel Geld. Aber natürlich ist es
allemal besser, in den Erhalt von Arbeitsplätzen, in
Fachwissen, in Familieneinkommen zu investieren, als
Kündigung, Arbeitslosigkeit und Kompetenzschwund
teuer zu bezahlen.
({2})
Dieses konjunkturelle Kurzarbeitergeld ist in der
Krise entwickelt worden. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich meinen beiden Vorgängern, Olaf Scholz und
Franz Josef Jung, die dieses konjunkturelle Kurzarbeitergeld immer mit Augenmaß und genau abgestimmt auf
die Entwicklung der Krise weiterentwickelt haben, gewissermaßen am Puls der Zeit. Wir wollen diesen Weg
in der akuten Krise in enger Abstimmung mit den Arbeitnehmervertretungen und den Arbeitgebern weitergehen.
({3})
Abgesehen von der akuten Krise ändert sich die
Struktur des Arbeitsmarktes langfristig natürlich unaufhaltsam. Die Industriearbeitsplätze werden immer anspruchsvoller. Dienstleistungsberufe nehmen an Bedeutung zu, wachsen in ihrer Zahl, in ihrer Vielfalt. Mehr
Frauen arbeiten; das ist gut so. Wir haben mehr Ältere
am Arbeitsmarkt; auch das ist gut so. Dieser Wandel findet statt. Wenn wir ihn ignorieren, weil er uns vielleicht
nicht passt, dann werden wir von dieser Entwicklung
einfach überrollt werden. Deshalb ist es so wichtig, proaktiv zu reagieren und frühzeitig zu erkennen, was es in
Zukunft bedarf, wenn wir diesem Strukturwandel am
Arbeitsmarkt aktiv begegnen wollen. Das heißt, wir
müssen die Menschen viel stärker und viel gezielter für
Zukunftsberufe ausbilden. Wir müssen uns vollständig
neu aufstellen beim Thema Bildung für Ältere. Wir brauchen mehr flexible Kinderbetreuung und mehr Ganztagsschulen, nicht nur, weil das eine Frage von Bildungschancen ist, sondern auch, weil das die Conditio
sine qua non, die Grundvoraussetzung für Eltern ist, dass
sie überhaupt Arbeit annehmen können.
Am Arbeitsmarkt hat unser Land das notwendige
Maß an Flexibilität gewonnen. Wir haben viele Diskussionen darüber geführt, was Flexibilität am Arbeitsmarkt bedeutet. Das wird immer ganz unterschiedlich
interpretiert, etwa: Ist das positiv oder negativ? Ich finde
es ganz wichtig, dass wir jetzt sehen, dass Flexibilität
nicht gleichbedeutend sein muss mit dem Drohszenario
„hire and fire“: Weil es Flexibilität gibt, mal eben
schnell entlassen, weil ja schnell wieder eingestellt werden kann. Nein, wir sehen: In der Krise findet genau das
Gegenteil statt. Weil auf der betrieblichen Ebene viel
mehr Absprachen im Konsens möglich sind, zeichnet
sich Deutschland inzwischen auch im internationalen
Vergleich durch eine sehr hohe betriebsinterne Flexibilität aus. Da sind zu nennen: das Kurzarbeitergeld, der
Abbau von Überstunden, Arbeitszeitkonten.
Ich sage aber auch ganz deutlich: Dieses Mehr an Flexibilität muss immer in einer Balance mit dem notwendigen Schutz der Beschäftigten stehen. Soziale Marktwirtschaft heißt, der Wirtschaft Freiheit zu geben, aber
immer im richtigen Rahmen.
({4})
Das bedeutet im Alltag: Wir brauchen keine starren Pauschalvorschriften beim Mindestlohn, sondern wir brauchen das Vertrauen - das muss auch entwickelt werden auf das, was Gewerkschaften und Arbeitgeber miteinander vereinbaren. Sie sind die Experten in der eigenen Sache, sie wissen genau, wo die Untergrenze des Marktlohns liegt, damit Arbeitsplätze nicht zerstört werden,
damit es andererseits auch Schutz in der jeweiligen
Branche gibt. Ich sage deutlich: Wenn es einstimmige
Vereinbarungen gibt, dann hilft die Politik, diese Vereinbarungen auf den Rest der betreffenden Branche zu
übertragen,
({5})
um die Beschäftigten zu schützen, aber auch die Unternehmen vor Konkurrenten, die zu Hungerlöhnen Arbeit
anbieten, zu schützen.
({6})
Deshalb haben wir bei der Abfallwirtschaft bewusst diesen Weg gewählt und den Mindestlohn jetzt wieder verankert. Ich glaube, das war die richtige, das war eine
gute Entscheidung.
({7})
Bei der Zeitarbeit ist es weiterhin richtig und wichtig, zu sagen: Sie hat ihren Platz, damit Unternehmen
schnell auf Auftragsspitzen reagieren können. Aber das
darf nicht heißen, dass die Zeitarbeit zur dauernden Billigkonkurrenz für die eigene Belegschaft wird. Ich sage
Ihnen: Wenn die Zeitarbeit, die ich - wenn es den richtigen Schutzrahmen gibt - für grundsätzlich richtig halte,
von einzelnen Unternehmen zum Schaden der Beschäftigten missbraucht wird, dann müssen und werden wir
die Gesetze ändern. Denn das ist nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen.
({8})
Auch bei der Arbeitsvermittlung hat sich viel Gutes
getan. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit leisten gute Arbeit. Ich glaube,
man muss sagen - wir alle haben unsere Vorurteile über
die Bundesagentur für Arbeit -: Diese schwerfällige Behörde ist ein moderner Dienstleister geworden. Es ist,
glaube ich, an der Zeit, manches Vorurteil abzubauen.
({9})
Ich will Ihnen eine Zahl nennen, die mir ins Auge gefallen ist. Wenn man die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit im Boomjahr 2006 mit der im Krisenjahr
2009 vergleicht, dann sieht man, dass Arbeitssuchende
im Krisenjahr 2009 im Durchschnitt 36 Tage weniger arbeitslos gewesen sind als in der guten Zeit 2006. Das
heißt, trotz Krise werden die Arbeitssuchenden deutlich
schneller vermittelt als früher. Ich denke, diese Arbeit
der Bundesagentur sollte man auch anerkennen.
({10})
Wir können noch besser werden. Der alte Grundsatz,
dass man nicht unbedingt mehr Geld, sondern mehr Effizienz braucht, gilt natürlich auch bei der aktuellen Diskussion über die Vermittlung der Langzeitarbeitslosen.
Ich sage ganz klar: Unsere Aufgabe ist es, gerade denen,
die schon lange arbeitslos sind, bestmöglich zu helfen
und sie nicht über einen Kamm zu scheren. Ja, ich weiß,
es gibt in Einzelfällen Menschen - dies beobachtet man
überall -, die staatliche Hilfen auf Kosten anderer ausnutzen. Aber schon jetzt können die Jobcenter in solchen
Fällen die Leistungen kürzen, im Extremfall auf null,
und sie tun das auch. Der Normalfall sieht doch ganz anders aus: Die große Mehrheit der Langzeitarbeitslosen
will raus aus Hartz IV. Sie können es aber nicht, weil ihnen die Kinderbetreuung fehlt, weil ihnen der Schulabschluss fehlt, weil ihnen die Berufsausbildung fehlt. Da
müssen wir genau hinschauen und besser werden. Das
muss unser erklärtes Ziel sein.
({11})
Wir haben in den vergangenen fünf Jahren bei dieser
kontroversen Diskussion viel gelernt. Ich möchte deutlich sagen: In diesen Jahren hat sich bei den Jobcentern
ein Erfahrungsschatz herausgebildet, der unverzichtbar
ist.
({12})
Deshalb will ich zur Reform der Jobcenter jetzt nur so
viel sagen:
({13})
Nicht wir haben vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Wir halten die Arbeit vor Ort, so wie sie strukturiert ist, für richtig und gut. Das sollte man noch einmal
gemeinsam hier in diesem Saal festhalten.
({14})
Jetzt zwingt uns das Urteil zum Handeln. Klar, aus der
Sicht der meisten Arbeitsmarktpolitikerinnen und -politiker wäre eine Grundgesetzänderung richtig, um das zu
erhalten, was man will.
({15})
Aber aus der Sicht der meisten Rechtspolitikerinnen und
-politiker wäre sie aus rechtspolitischen Gründen nicht
richtig.
({16})
Ich will Ihnen deutlich sagen: Wir müssten dazu nicht
nur eine Mehrheit finden - es wird ja immer gesagt, es
gebe sie bereits -, sondern diese Mehrheit müsste sich
auch auf ein und denselben Text einigen. Da liegt der
Hase im Pfeffer, meine Damen und Herren.
({17})
Das ist zwei Jahre lang erfolglos versucht worden.
({18})
Es hat sich nichts bewegt.
({19})
Deshalb ist jetzt Pragmatismus gefragt.
({20})
Ich kann Ihnen zur allgemeinen Beruhigung sagen:
Für die Betroffenen wird sich nicht viel ändern; das ist
das Entscheidende - wir führen eine sehr statische Diskussion: Die Arbeitslosen werden in den allermeisten
Fällen in dasselbe Gebäude gehen wie jetzt.
({21})
Sie werden zu ein und demselben Arbeitsvermittler gehen wie jetzt. Sie werden über den Flur in das nächste
Zimmer zu ein und derselben Schuldnerberaterin gehen
wie jetzt. Wenn in den Kommunen die Zusammenarbeit
mit der Bundesagentur für Arbeit offensichtlich - bisher
allerdings unter gesetzlichem Zwang - so ausgezeichnet
geklappt hat, dass sie jetzt alle erhalten wollen, warum
soll sie nicht auch weiterhin freiwillig mit kooperativen
Verträgen funktionieren, meine Damen und Herren?
({22})
Um dies zu gewährleisten, werde ich Anfang kommender Woche Vorschläge für die neue Jobcenterorganisation vorlegen.
({23})
Ich weiß, meine Zeit ist schon abgelaufen; zwei Themen sind mir allerdings noch sehr wichtig.
({24})
- Ja, die Redezeit.
({25})
Ich hoffe, dass meine Zeit im Allgemeinen noch nicht
abgelaufen ist. Aber meine Redezeit ist schon abgelaufen.
({26})
- Meine Lebenszeit ist hoffentlich auch noch nicht abgelaufen. - Mir liegen, wie gesagt, vor allem noch zwei
Themen am Herzen; deshalb muss ich sie ansprechen.
Wir haben uns vorgenommen, die Situation für Menschen mit Behinderung zu verbessern. Unsere Vorgabe
ist die UN-Behindertenrechtskonvention. Wir wollen sie
umsetzen und entwickeln, und zwar gemeinsam mit den
Beteiligten, die es angeht. Mir ist wichtig, auch einen
Bewusstseinswandel herbeizuführen, unsere Perspektive zu verändern und weiterzuentwickeln: weg von der
Fürsorge, hin zu einer Sichtweise, nach der die selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe der Menschen
mit Behinderung eine Voraussetzung ist. Das heißt, wir
wollen die Inklusion gemeinsam mit den Menschen mit
Behinderung zur erfahrbaren Wirklichkeit machen, und
zwar in allen Lebensbereichen.
20 Millionen Rentnerinnen und Rentner in unserem
Land, die sich ein ganzes Leben lang angestrengt haben
und an ihrer Einkommenssituation jetzt nichts mehr ändern können, erwarten zu Recht eine verlässliche Rente.
Das Fundament dafür ist gelegt. Die gesetzliche Rentenversicherung ist stabil und generationengerecht. Ich
glaube, man sollte zur Kenntnis nehmen, dass sie gerade
jetzt, in der Krise, stabiler ist als erwartet und sich auch
im internationalen Vergleich sehr viel besser hält als die
Systeme anderer Länder. Wenn man berücksichtigt, dass
die Löhne und Gehälter in Deutschland zum ersten Mal
seit 50 Jahren gesunken sind, kann man erahnen, welch
hohen Wert die Rentengarantie hat, indem sie gewährleistet, dass die Renten nicht sinken, obwohl die wirtschaftliche Entwicklung so negativ war.
Meine Damen und Herren, zum Schluss sage ich: Ja,
es liegen schwierige Aufgaben und schwierige Monate
vor uns. Wir sind uns hier im Hohen Haus einig, dass
Deutschland stärker aus dieser Krise hervorgehen muss.
Mir ist wichtig, dass die Menschen am Ende dieser Krise
sagen: Es war eine schwierige Zeit, aber wir haben das
gemeinsam geschafft.
Vielen Dank.
({27})
Das Wort hat nun der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, das war Ihre erste
Rede als Arbeitsministerin. Sie haben zum Schluss gesagt, Sie seien am Ende oder Ihre Zeit sei abgelaufen.
Ich wünsche Ihnen - das will ich sagen - viel Lebenszeit
und von Herzen Erfolg in Ihrem Job. Es ist nicht unsere
Aufgabe, Ihnen jeden Tag die Daumen zu drücken, dass
Sie politisch strahlen; aber im Interesse der arbeitslosen
Menschen in diesem Land wünschen wir Ihnen durchaus
alles Gute für Ihre Amtsführung.
({0})
Dass unser Arbeitsmarkt in dieser Krise robuster dasteht - dies ist zu Recht beschrieben worden -, hat Ursachen: Eine rot-grüne Bundesregierung hat Strukturreformen durchgeführt, die geholfen haben, die Dauer des
Verweilens in Langzeitarbeitslosigkeit zu verkürzen. Vor
allen Dingen aber hat es mit beherztem Arbeiten und
Handeln sozialdemokratischer Minister in der Großen
Koalition zu tun. Deshalb ist es richtig, dass Sie Olaf Scholz erwähnt haben, der Änderungen an den Regeln für
Kurzarbeit durchgesetzt hat - mit dem Effekt, dass in
Deutschland im letzten Jahr der Arbeitsmarkt stabil geblieben ist, aber auch mit dem Effekt, dass die Binnennachfrage erstaunlich robust geblieben ist in einer ganz
schwierigen Zeit. Umso weniger, Frau von der Leyen,
verstehe ich, dass die neue Bundesregierung die Regelungen für Kurzarbeit verschlechtert und Kurzarbeit
unattraktiver gemacht hat.
({1})
Verbessern Sie sie stattdessen! Wir wissen nämlich, dass
in diesem Jahr, 2010 - und deshalb gibt es keinen Grund
zur Entwarnung -, die Krise nicht überstanden ist. Die
Kapazitäten der deutschen Wirtschaft sind auch bei einem Wachstum von 1,5 Prozent bei weitem nicht ausgelastet. Wir werden erleben, dass die Arbeitslosigkeit
steigt und die Binnennachfrage zurückgeht. Deshalb ist
es wichtig, dafür zu sorgen, dass für die Arbeitgeber wie
für die betroffenen Arbeitnehmer Kurzarbeit attraktiv
bleibt.
Hubertus Heil ({2})
Wir schlagen vor, die Dauer der Kurzarbeit - wie es
früher möglich war - zu verlängern, sie nicht zu begrenzen. Die Bundesagentur für Arbeit soll auch über
2011 hinaus die sogenannten Remanenzkosten, das heißt
die Lohnnebenkosten, übernehmen. Auch die Weiterbildung muss stärker gefördert werden. Tragen Sie das mit,
Frau von der Leyen - im Interesse der arbeitslosen Menschen in diesem Land!
({3})
Ich kann überhaupt nicht verstehen - Sie sind mit
warmen Worten darüber hinweggegangen -, warum Sie
in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit steigen wird, in
diesem Jahr, in Kauf nehmen, die Jobcenter in Deutschland zu zerschlagen.
({4})
Hilfe aus einer Hand und nicht nur unter einem Dach ist
notwendig, wenn man arbeitslosen Menschen, zumal
langzeitarbeitslosen, effektiv helfen will. Ich kann Ihre
Argumentation nicht nachvollziehen, Frau von der
Leyen. Ich habe den leisen Verdacht, dass Sie es eigentlich genau wie wir sehen, aber Probleme haben, es Ihrem
eigenen Laden zu verklickern. Da sage ich Ihnen als
neuer Ministerin: Zeigen Sie mehr Kreuz und mehr Mut!
Aber auch Rückendeckung von der Kanzlerin täte gut.
Darauf kann man sich allerdings nicht verlassen; das
hat Olaf Scholz erleben müssen, als er im letzten Jahr
zusammen mit den 16 Ministerpräsidenten einen Kompromiss für die Fortführung der Jobcenter geschaffen
hat, der tragfähig ist, der pragmatisch ist, der Hilfe aus
einer Hand ermöglicht, der Argen als Zentren für Grundsicherung und Arbeit erhält und der auch den Optierern
die Sicherheit gibt, die sie brauchen. Frau Merkel hat ihn
im Regen stehen lassen, weil einige Ideologen aus ihrer
Fraktion, namentlich Herr Röttgen und Herr Kauder, und
einige Rechtspolitiker ihrer Fraktion Sand ins Getriebe
gestreut haben. Das ist inakzeptabel. Ich wünsche Ihnen
mehr Pragmatismus, und zwar, wie ich schon letztes Mal
gesagt habe, im Sinne von Karl Popper - pragmatisches
Handeln zu sittlichen Zwecken - und weniger Volker
Kauder.
({5})
Wollen Sie denn, dass in diesen Zeiten mit den Arbeitslosen wieder Pingpong gespielt wird zwischen kommunaler Verwaltung und Arbeitsagentur, wie es früher
üblich war? Wollen Sie eine doppelte Bürokratie und
doppelte Bescheide? Wollen Sie Rechtsunsicherheit?
Denn all das, was Sie jetzt in die Diskussion bringen,
hält verfassungsrechtlich nicht stand. Allein die Entfristung der Optierer ist ohne Verfassungsänderung nicht
zu machen, sagen führende Experten, sagen die kommunalen Spitzenverbände, der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Landkreistag - von dem Sie
ja vor einigen Tagen entsprechend Nachricht bekommen
haben -, aber auch der Deutsche Städtetag. Auch die
Chefs und die Praktiker vor Ort in den Arbeitsagenturen
bitten Sie, die erfolgreiche Einrichtung Jobcenter nicht
zu zerschlagen und damit zurück zu einem Zustand zu
gehen, als Bürokratie und Pingpong mit Langzeitarbeitslosen angesagt waren. Kehren Sie um, Frau von der
Leyen! Das ist unsere Nachricht. Wir sind bereit, daran
mitzuwirken.
({6})
Ich kann Ihnen ein Weiteres nicht ersparen. Sie haben
in Ihrer Rede - das hat Gründe, die mit Ihrem Koalitionspartner zu tun haben - über ein Thema weidlich geschwiegen, nämlich über die Tatsache, dass wir in diesem
Land immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse haben.
Der Deutsche Bundestag ist dringend aufgerufen, zu tun,
was in seinen Möglichkeiten als Gesetzgeber steht, um
dafür zu sorgen, dass Menschen in Arbeit kommen, und
zwar in ordentliche, in gute Arbeit, in Arbeit, von der sie
leben können.
Frau Homburger hat gestern als Motto ausgegeben:
Sozial ist, was Arbeit schafft. Nach dieser Philosophie
wäre auch Sklavenarbeit sozial. Wir sagen: Sozial ist Arbeit, von der Menschen auch leben können, nämlich gute
Arbeit. Das ist der Unterschied.
({7})
Was hat es übrigens mit Ordnungspolitik zu tun, wenn
Herr Rüttgers und diese Koalition einfach nur Zuverdienstmöglichkeiten erweitern wollen und damit einen
dauerhaft subventionierten Niedriglohnsektor auf Kosten der Steuerzahler etablieren? Führen Sie endlich Mindestlöhne in weiteren Branchen ein, und sorgen Sie auch
für einen gesetzlichen Mindestlohn, damit Menschen
von ihrer Arbeit leben können!
({8})
Frau von der Leyen, ich habe mich schon ein bisschen
gewundert, dass Ihnen das Thema „Missbrauch von
Zeit- und Leiharbeit“ erst beim Problem Schlecker
zum ersten Mal begegnet zu sein scheint. Tatsache ist,
dass es nicht nur Schlecker betrifft. Das ist in vielen Bereichen das Problem. Es war richtig - damals haben es
Politik und Gewerkschaften übrigens gemeinsam gemacht -, Zeit- und Leiharbeit aus der Schmuddelecke
geholt zu haben. Wir haben damals den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Stamm- und Leihbelegschaften“ in das Gesetz geschrieben. Aber wir haben
alle miteinander den Fehler gemacht, eine Öffnungsklausel zu schaffen, die besagt, dass Tarifverträge davon abweichen könnten. Dies taten wir in der Hoffnung, dass
Gewerkschaften und Arbeitgeber stark genug sind, vernünftig damit umzugehen. Dann allerdings ist über
Scheintarifverträge und Scheingewerkschaften, auch
wenn sie sich christlich nennen und durch CSU-Abgeordnete in diesem Haus präsent sind, diese Klausel benutzt worden, um Lohndumping und dem Auflösen der
Stammbelegschaften in Richtung Leihbelegschaften
Vorschub zu leisten. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben, meine Damen und Herren, und dazu habe ich
von Ihnen nichts gehört.
({9})
Da reicht es nicht, Frau Ministerin, wenn Sie in Interviews die Folgen beklagen, selbst aber nichts tun. Es
reicht auch nicht, wenn Herr Rüttgers darüber schwadro1360
Hubertus Heil ({10})
niert, nur weil am 9. Mai Landtagswahlen stattfinden
werden. Wir werden Ihnen im Februar in diesem Haus
einen Gesetzentwurf mit drei konkreten Maßnahmen
und Vorschlägen vorlegen, und wir werden jeden Einzelnen von Ihnen in namentlicher Abstimmung befragen,
wie Sie es damit halten. Erstens. Sind Sie bereit - das ist
notwendig -, die Rechte der Betriebsräte zu stärken, was
den Einsatz von Zeit- und Leiharbeit betrifft? Zweitens.
Sie haben vorhin davon gesprochen, Gewerkschaften
und Arbeitgeber sollten Mindestlöhne tarifvertraglich
festschreiben. D’accord, wo sie es können, aber es gibt
ja bei der Zeit- und Leiharbeit einen Tarifvertrag. Warum
sorgen Sie nicht für einen Mindestlohn im Bereich der
Zeit- und Leiharbeitsbranche? Drittens. Die wichtigste
Frage ist: Warum wehren Sie sich dagegen, den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Stamm- und
Leihbelegschaften“ durchzusetzen? Ich verstehe es
nicht; denn dies ist das wirksamste Instrument gegen den
Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit. An diesem Punkt
können Sie mithelfen.
({11})
- Herr Kolb, wenn Sie ein ähnliches Hörvermögen wie
Schreivermögen hätten, hätten Sie eben vernommen - Sie
können es im Protokoll nachlesen -, was der Hintergrund dieser Geschichte ist. Die Frage ist, wie wir jetzt
damit umgehen und was Sie tun.
({12})
Frau von der Leyen, Arbeitsmarktpolitik ist das eine,
Wirtschaftspolitik ist das andere. Wir werden nachher
mit Herrn Brüderle noch darüber diskutieren. Unser zentraler Vorwurf ist nicht, dass wir im Hinblick darauf,
dass es in der Analyse des letzten Jahres und auch des
Beginns dieses Jahres noch ganz gut aussieht, einer Meinung sind. Das haben wir in der Großen Koalition gemeinsam gemacht, Frau Bundeskanzlerin. Unser Vorwurf ist, dass Sie diesen Pfad verlassen, dass Sie kein
Konzept und keine Wachstumsstrategie, aber auch keine
kohärente Vorstellung im Bereich der Arbeitsmarktpolitik haben. Wer in Zeiten, in denen Langzeitarbeitslosigkeit wächst, Jobcenter zerschlagen will - ich sage es
noch einmal -, der ist wirklich mit dem Klammerbeutel
gepudert.
Dann gibt es noch etwas, was uns auch noch nicht so
klar ist und was mit der Haushaltspolitik im unmittelbaren
Sinne zu tun hat: Können Sie uns wirklich versichern,
dass Sie den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung dauerhaft, das heißt über die ganze Legislaturperiode, stabil
halten? Ich habe gestern eine Zwischenfrage an Herrn
Friedrich gestellt, der locker sagte: Natürlich, dagegen
werden wir uns stemmen, das soll nicht über 3 Prozent
steigen. - Aber mir fehlt eine klare Aussage in Ihrer
Rede, Frau Ministerin. Was wird sich eigentlich nach
dem 1. Januar 2011 im Bereich der Arbeitslosenversicherung entwickeln? Der Beitrag wird auf 3 Prozent
steigen. Aber wir dürfen nicht ins Unendliche gehen. Ich
warne Sie davor, die aktive Arbeitsmarktpolitik oder den
Arbeitslosenversicherungsbeitrag als Steinbruch zu nehmen, um Ihre Steuergeschenke für Wohlhabende und
Ihre Klientelgruppen zu finanzieren. Das darf nicht sein.
({13})
Herr Kollege Heil, Sie müssen auch gelegentlich auf
die Endlichkeit Ihrer Redezeit achten.
Ich komme zum Schluss. - Es ginge zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, was die Umverteilungswirkung betrifft. Aber es ginge vor allen Dingen
zulasten von ordentlicher Arbeit.
({0})
Das dürfen Sie nicht zulassen. Dazu muss endlich ein
klares Wort gesagt werden. Kehren Sie um, Frau von der
Leyen!
Herzlichen Dank.
({1})
Die Kollegin Dr. Claudia Winterstein ist die nächste
Rednerin für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Heil, Ihrer Rede hat man wirklich
angemerkt, dass die SPD keine Regierungsverantwortung mehr für die Zukunft dieses Landes trägt, und das
ist auch gut so.
({0})
Sehr wohl aber tragen Sie die Verantwortung für Fehlentscheidungen und Versäumnisse der vergangenen
Jahre. Ich weiß, dass Sie davon nichts mehr wissen wollen, Herr Heil. Ich erinnere aber daran: Ohne Wirtschaftskrise bei sprudelnden Steuermehreinnahmen und
der größten Steuererhöhung aller Zeiten haben Sie den
Haushalt und den Schuldenberg stetig wachsen lassen
und damit die Chancen zur Konsolidierung verpasst.
({1})
Unter SPD-Finanzministern ist der Schuldenberg in den
letzten elf Jahren um 300 Milliarden Euro gewachsen.
Zu Ihrem Redebeitrag wäre vieles zu sagen, Herr
Heil, allerdings nichts Gutes.
({2})
Das will ich Ihnen und mir ersparen. Teilweise hatte ich
bei Ihrer Rede das Gefühl, das grenzte schon an partielle
Amnesie.
({3})
Der Haushalt 2010 entsteht also unter sehr schwierigen Bedingungen. Trotzdem gibt es für das Jahr 2010 die
positive Nachricht, dass der Einzelplan mit einem deutlich geringeren Ansatz, nämlich 6,3 Milliarden Euro weniger, auskommt, als noch unter Finanzminister Steinbrück für 2010 geplant.
({4})
Dieser Einzelplan hat somit einen wichtigen Beitrag
dazu geleistet, dass es uns gelungen ist, gleich zu Beginn
unserer Regierungszeit Steuersenkungen durchzuführen
und zugleich die von Steinbrück ursprünglich geplante
Neuverschuldung sogar etwas geringer zu halten.
Ich will auf einige wichtige Themen eingehen, die unsere Arbeit in diesem ersten Regierungsjahr bestimmen
werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die derzeitige Struktur der Arbeitsgemeinschaften verworfen.
Hier besteht also dringender Handlungsbedarf. Unter
SPD-Arbeitsministern hat es allerdings keine Lösung gegeben; das muss man ganz deutlich sagen.
({5})
Die neue Regierung wird nun eine Lösung vorlegen. Die
Ministerin hat einen entsprechenden Gesetzentwurf angekündigt.
Allen Vorschlägen der SPD liegt eine Änderung der
Verfassung zugrunde. Das wollen wir nicht.
({6})
Insofern sind sie keine Lösung des Problems.
Ich möchte noch auf einen anderen Teilaspekt dieser
Gesetzgebung eingehen. Das Modell der Optionskommunen hat sich bewährt. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt, dass die Optionskommunen ihre
Aufgabe unbefristet wahrnehmen können.
({7})
Wir werden prüfen, ob wir nicht sogar einen Schritt weiter gehen und die Möglichkeit schaffen können, die Anzahl der Optionskommunen zu erhöhen, wenn dies gewünscht wird.
({8})
Hierfür muss ein rechtssicherer Weg ohne Verfassungsänderung gefunden werden.
({9})
Änderungen bei Hartz IV sind derzeit ein großes
Thema und in der Tat sehr notwendig. In der Koalition
gibt es dazu klare Verabredungen. Die Grundsicherung
für Arbeitsuchende ist ein Sicherheitsnetz, das zugleich
dazu anregen soll, dieses Netz wieder zu verlassen und
sich finanziell wieder auf eigene Füße zu stellen. Es gibt
aber Fallstricke im System, die das Verlassen des Netzes
eher behindern als fördern. Das betrifft vor allen Dingen
die Hinzuverdienstregelungen. Deshalb haben wir im
Koalitionsvertrag festgelegt, die Hinzuverdienstregelungen deutlich zu verbessern. Es muss sich lohnen, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Nur so können wir auch die Sozialkassen entlasten.
({10})
Eine zweite wichtige Änderung bei Hartz IV hat die
Koalition bereits auf den Weg gebracht. Mit dem Sozialversicherungsstabilisierungsgesetz verdreifachen wir die
Freibeträge für die Altersvorsorge in der Grundsicherung für Arbeitsuchende von 250 Euro auf 750 Euro pro
Lebensjahr. Das erhöht den Anreiz für die private Altersvorsorge.
In diesem Gesetz gibt es eine weitere Regelung, die
sich direkt im Haushalt des Arbeitsministeriums für
2010 niederschlägt. Die Bundesagentur für Arbeit hat
nach erheblichen Beitragssenkungen, aber auch nach
jahrelangen massiven Leistungs- und Personalausweitungen in diesem Jahr ein Defizit in Milliardenhöhe zu
erwarten. Damit das Defizit nicht zu deutlichen Beitragserhöhungen führt, erhält die Bundesagentur für Arbeit, wie gesagt wurde, vom Bund einen Zuschuss in
Höhe von circa 16 Milliarden Euro, vielleicht auch etwas weniger. Aber die Bundesagentur für Arbeit muss
sich darüber im Klaren sein, dass dieser Zuschuss nur
eine einmalige Maßnahme ist und sie ab dem folgenden
Haushaltsjahr selbstverständlich nur mit Darlehen rechnen kann.
({11})
- Das ist doch klar. - Deshalb ist es wichtig, die Ausgaben in den Griff zu bekommen.
Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, Aufgaben
und Strukturen der Bundesagentur für Arbeit einer Kritik
zu unterziehen.
({12})
Die Arbeitsmarktinstrumente der Arbeitsverwaltung
müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Wir wollen
die Vielzahl der Arbeitsmarktinstrumente deutlich reduzieren, effizienter gestalten und damit natürlich auch
Kosten sparen. Es gab bereits unter der Vorgängerregierung den Versuch einer Neuordnung, allerdings mit der
klaren Absicht, an der Höhe der Ausgaben ja nichts zu
verändern. Das wollen wir anders machen. Wenn wir einen Anstieg des Beitragssatzes vermeiden wollen - das
wollen wir natürlich -, dann führt an der strikten Begrenzung der Ausgaben kein Weg vorbei.
Ab 2011 müssen wir die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten. Das heißt, wir müssen erhebliche
Sparbemühungen unternehmen. Dazu haben wir im
Koalitionsvertrag die goldenen Regeln verankert, nach
denen alle staatlichen Aufgaben auf ihre Notwendigkeit
überprüft werden müssen und alle Ministerien ihren Bei1362
trag zur Eindämmung der Ausgaben erbringen müssen.
Der Einzelplan 11 ist mit 147 Milliarden Euro der größte
Etat im gesamten Bundeshaushalt und muss somit zu
den notwendigen Einsparungen ab 2011 einen erheblichen Beitrag erbringen.
Im Haushalt 2010 halten sich die Möglichkeiten, Einsparungen zu verwirklichen, noch in engen Grenzen. Es
ist aber jetzt unsere Aufgabe, Einsparungen im Jahr 2011
den Boden zu bereiten. Wir werden im Jahr 2010 die im
Koalitionsvertrag beschlossenen Prüfaufträge zügig bearbeiten, um im Jahr 2011 aufgrund der Ergebnisse zu
Umstrukturierungen und mehr Effizienz zu kommen.
Wir werden ebenso aufgrund der bereits vorliegenden
Istergebnisse des Haushaltes 2009 - das ist der Vorteil
dieses Haushaltsentwurfs - sehr genau prüfen, ob höhere
Ansätze für das Jahr 2010 überhaupt gerechtfertigt sind.
Wir wollen beim Eingliederungsbudget ein deutliches
Stoppsignal setzen. Einen weiteren Aufwuchs in diesem
Bereich soll es nicht geben. Wir werden außerdem sehr
genau darauf achten, inwieweit es verantwortbar ist,
neue Projekte ins Leben zu rufen, die uns für mehrere
Jahre finanziell binden. Außerdem muss sorgfältig geprüft werden, in welcher Form und Höhe laufende Projekte weitergeführt werden können.
Frau Kollegin Winterstein!
Mit dem Haushalt 2010 leiten wir somit eine klare
Trendwende ein.
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gesine Lötzsch für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 3. Oktober 2004 erschien eine ganzseitige Anzeige in der Süddeutschen Zeitung mit der Überschrift
„Auch wir sind das Volk“. Ich zitiere daraus:
Die unter dem Angst machenden und abschreckenden Schlagwort Hartz IV beschlossenen Änderungen in der Arbeitslosen- und Sozialhilfe sind überlebensnotwendig für den Standort Deutschland.
Weiter heißt es:
Jetzt hilft nur noch ein radikaler Kurswechsel. Solche Einschnitte tun weh wie alle schweren
Operationen …
Aber den in Geld schwimmenden Unterzeichnern dieser Anzeige haben die Reformen nicht wehgetan. Unter
ihnen ist zum Beispiel der ehemalige Vorstandschef der
WestLB, Dr. Thomas Fischer. Er hat den Steuerzahlern
mit der WestLB einen der größten Bankensanierungsfälle
der Bundesrepublik hinterlassen. Martin Kohlhaussen
war Vorstand und Aufsichtsrat der Commerzbank, der
Bank, die vom Staat über 18 Milliarden Euro erhalten
hat, damit sie nicht in Konkurs gehen musste. Auch
sein Name steht unter dieser zynischen Anzeige.
Dr. Thomas Middelhoff, damaliger Aufsichtsrat der
KarstadtQuelle AG, hat ein Traditionsunternehmen ruiniert und Tausende Verkäuferinnen in die Arbeitslosigkeit entlassen. Auch er hat diese Schmähschrift unterschrieben. Der eigentliche Skandal aber ist, dass keiner
von diesen Managern um sein Schonvermögen und seine
Rente fürchten muss. Keiner von ihnen ist auf das demütigende Hartz IV angewiesen. Ich fordere die Bundesregierung auf, diese Menschen endlich zur Verantwortung
zu ziehen, statt Hartz-IV-Empfänger zu drangsalieren.
Dass Sie das nicht tut, ist der eigentliche Skandal.
({0})
Laut Haushaltsentwurf sollen für Sozialausgaben insgesamt mehr als 176 Milliarden Euro ausgegeben werden; Herr Schäuble hat das am Dienstag dargestellt. Das
betrachtet diese Regierung als Ausweis ihrer sozialen
Politik. Ich sage: Genau das Gegenteil ist der Fall. Diese
extrem hohen Ausgaben sind ein Warnsignal. Diese Regierung treibt wie ihre Vorgängerin die Sozialversicherungssysteme systematisch in den Ruin. Das muss beendet werden.
({1})
Menschen mit hohen Einkommen zahlen überdurchschnittlich wenig in die Systeme ein. Wir als Linke halten es für unerträglich, dass die Sekretärin von Deutsche-Bank-Chef Ackermann genauso viel in die
Versicherungssysteme einzahlt wie der Chef, der mehr
als das Tausendfache des Gehalts der Sekretärin erhält.
Wir als Linke fordern darum die sofortige Anhebung der
Bemessungsgrenzen und die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung.
({2})
Der Bundeshaushalt wird von Ihnen auch ruiniert,
weil Sie den Unternehmen jedes Jahr Lohnsubventionen
von über 9 Milliarden Euro in die Taschen stecken. Sie
haben einen Niedriglohnsektor geschaffen, der ehrlich
arbeitende Menschen zwingt, als Aufstocker beim Arbeitsamt um Almosen zu bitten. Das ist nicht Ausdruck
sozialer, sondern Ausdruck unsozialer Politik.
Ich erwarte von der Bundesministerin Frau von der
Leyen, dass sie sinnvolle Projekte unterstützt und nicht
torpediert. Heute haben wir in allen Zeitungen gelesen,
dass der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor in
Berlin, der ein vorbildliches Modell ist und mit dem
Menschen in würdige Arbeit gebracht werden, durch
Entscheidungen Ihres Ministeriums gefährdet und torpediert werden soll. Ich fordere Sie auf: Nutzen wir die
Haushaltsberatungen, um diese fatale Entwicklung umzukehren! Unterstützen Sie das Bundesland Berlin und
drangsalieren Sie es nicht!
({3})
Es ist schon angesprochen worden, dass die Bundesregierung Milliarden von Euro in die RentenversicheDr. Gesine Lötzsch
rung zuschießen muss. Das hat aber weniger mit der demografischen Situation zu tun als mit der
Niedriglohnpolitik der Regierung. Sie haben nämlich die
gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass
Unternehmen vollwertige versicherungspflichtige Arbeitsplätze in Minijobs umwandeln konnten. Das muss
beendet werden. Wir brauchen endlich einen gesetzlichen Mindestlohn, der den Menschen die Würde zurückgibt, aber auch dazu beiträgt, dass der Bundeshaushalt
entlastet wird und die Sozialsysteme, insbesondere das
Rentensystem, gestärkt werden. Die Einführung eines
gesetzlichen Mindestlohns wäre die Entscheidung der
Stunde.
({4})
Der Finanzminister hat in der Debatte am Dienstag
darauf hingewiesen, dass nach den Wahlen in NordrheinWestfalen auch Leistungsgesetze geändert werden sollen. Ich finde, die Bevölkerung hat aber ein Anrecht darauf, dass jetzt, während wir den Bundeshaushalt diskutieren, die Wahrheit gesagt und Klartext gesprochen
wird. Sie planen nämlich in Wirklichkeit die Anhebung
der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, und Sie wollen Kürzungen bei Hartz IV durchsetzen. Sie haben ja
schon deutlich gemacht, dass Sie Kürzungen bei den
Eingliederungsmaßnahmen erreichen wollen. Wir als
Linke werden uns damit nicht abfinden und dem unseren
Widerstand entgegensetzen.
({5})
Zum Abschluss will ich Ihnen verraten, welcher
Name noch auf der eingangs zitierten Anzeige vom
3. Oktober 2004 stand: Dr. Wendelin Wiedeking. Dieser
Mann wollte aus einem Porsche eine Heuschrecke machen und wunderte sich, dass die Aktionäre diesen Modellwechsel nicht akzeptierten. Er ist damit grandios gescheitert. Ich kann der Bundesregierung nur raten, sich
von solchen aufgeblasenen Beratern endlich zu trennen,
wenn sie diesen Bundeshaushalt in Ordnung bringen und
endlich eine soziale Politik in unserem Land durchsetzen
will. Für diese soziale Politik steht die Linke.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Alexander Bonde,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin von der Leyen, auch ich wünsche Ihnen
viel Erfolg in Ihrem neuen, wichtigen Amt. Uns als Opposition lässt es nämlich nicht kalt, dass gerade diejenigen Menschen, die von Ihrem Etat, dem Arbeits- und Sozialhaushalt, betroffen sind, jetzt Stück für Stück spüren,
dass die Auswirkungen der Krise auch bei ihnen ankommen werden. Wir alle wissen, dass das Jahr 2010, aber
auch das Jahr 2011 die Bewährungsprobe dafür sind, ob
die in Anbetracht der Schwere der Krise positive Situation des Arbeitsmarktes tatsächlich anhält oder ob die
Tatsache, dass wir bisher vergleichsweise gut dastehen,
auf die Verzögerung der Auswirkungen der Krise zurückzuführen ist. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Ich
kann mir vorstellen, wie Kabinettssitzungen im Moment
ablaufen, wenn über Steuersenkungen diskutiert wird
und alle gierigen Blicke auf Sie und Ihren Etat gerichtet
sind.
Es wundert mich, dass Sie hier zu der Frage schweigen, wie es über das Jahr 2010 hinaus mit Ihrem Etat
weitergehen soll. Dazu schweigen Sie, die Kanzlerin und
der Finanzminister. Wir alle wissen: Im Hintergrund
braut sich etwas zusammen, nämlich Grundsatzentscheidungen, die Sie uns und den Menschen im Lande erst
nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl offenlegen wollen.
Sie planen Steuersenkungen in Milliardenhöhe und haben gleichzeitig die Schuldenbremse zu beachten. Sie
machen die Einnahmeseite kaputt und wissen, dass die
Ausgaben Ihnen schon heute über den Kopf wachsen.
Sie legen - das ist für diesen Einzelplan von besonderer
Bedeutung - keinen Finanzplan vor, der deutlich macht,
wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen wird und
für welche zentralen Aufgaben Sie im Bereich „Arbeitsmarkt und Soziales“ Ausgaben vorsehen.
Eine zentrale Frage ist: Wie geht es weiter mit der
Unterstützung der Bundesagentur für Arbeit? Auch 2011
sind wesentliche Entscheidungen zu treffen. Dazu
herrscht bei Ihnen Schweigen. Damit verunsichern Sie
die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft. Wichtig
in einer Krise wie dieser ist, dass bezüglich der Rolle des
Staats auf dem Arbeitsmarkt Verlässlichkeit herrscht.
16 Milliarden erhält die Bundesagentur für Arbeit
dieses Jahr als Bundeszuschuss. Übrigens haben Sie
auch dazu im Wahlkampf geschwiegen. Da haben Sie
noch so getan, als ob der BA ein zinsloses Darlehen gegeben würde, als sei das alles kein Problem. Kaum war
die Wahl vorbei, war klar: Der BA muss ein Bundeszuschuss gewährt werden. Ihre Entscheidung, die Bundesagentur in dieser Situation mit einem Zuschuss zu stabilisieren, war richtig.
({0})
Da haben Sie von der Koalition einmal recht gehabt. Das
darf man offen sagen.
Auf dem entscheidenden Gebiet spielen Sie jedoch
Roulette. Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag wird
zum 1. Januar 2011 geringfügig auf 3 Prozent angehoben. Um die Kosten zu decken, müssten Sie ihn eigentlich auf 4,8 Prozent anheben, also fast verdoppeln. Teile
Ihrer Koalition reden schon darüber. Wir wollen von Ihnen jetzt einmal wissen: Wird es eine Steigerung des
Beitrags geben oder nicht? Prognostiziert wird, dass die
BA 2011 ein Defizit von 11 Milliarden Euro, 2012 von
mehr als 8 Milliarden Euro und 2013 von 5 Milliarden
Euro haben wird. Sie sprechen immer wieder von
Schutzschirmen auch für den Arbeitsmarkt. Für 2011 ist
Regen auf dem Arbeitsmarkt angekündigt. Ich frage Sie:
Ziehen Sie den Regenschirm weg oder nicht? Die Antwort auf diese Frage bleiben Sie uns schuldig. Das geht
nicht, Frau von der Leyen.
({1})
Sie haben verschiedene Möglichkeiten. Eine Möglichkeit ist, der BA wieder ein Darlehen zu gewähren;
das hat Frau Winterstein gerade angedroht. Das hieße,
Sie setzten auf eine dauerhafte Überschuldung der Bundesagentur für Arbeit, für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in Zukunft zahlen müssten. Das ist in dieser Situation - demografischer Wandel plus Wirtschaftskrise - eine unverantwortliche Strategie. Das sage ich
Ihnen ganz offen.
Eine andere Möglichkeit ist, auf Kürzungen zu setzen. Auch diese Drohung liegt bereits auf dem Tisch. Ich
weiß nicht, Frau Winterstein, ob diese Information schon
freigegeben worden ist oder ob Sie etwas ausgeplaudert
haben, was erst im Juni auf den Tisch soll. Ihre Idee ist,
bei Qualifizierungs- und Eingliederungsmaßnahmen zu
kürzen. Auch das ist eine absurde Strategie, weil wir genau wissen, dass über den Eingliederungstitel gerade
diese Qualifizierungsmaßnahmen in der Krise die
Chance bieten, den Fachkräftemangel, der nach der
Krise droht, zu verhindern. Wir alle wissen, dass dies die
nächste Gefahr auf dem Arbeitsmarkt sein wird.
({2})
Im Zusammenhang mit der Beitragserhöhung stellt
sich auch die Frage der sozialen Verteilung der Kosten.
Wer wäre von einer Verdopplung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages betroffen? Dem gegenüber steht die
Frage: Was bedeutete eine Steuerfinanzierung in einer
Krise, wie wir sie heute erleben?
Eine ähnliche absurde Positionierung der Koalition
erleben wir in der Frage der Neuorganisation der Arbeitsgemeinschaften. Jetzt hat sich in diesem Bereich
endlich eine funktionierende Arbeitsweise etabliert, sodass diejenigen, die Unterstützung brauchen, nicht ständig von Pontius zu Pilatus laufen müssen, sondern Hilfe
aus einer Hand bekommen. Die Software funktioniert
endlich.
({3})
Das Anfangschaos ist beseitigt. In dieser Situation wollen Sie dieses Paket wieder aufschnüren. Ich glaube, Sie
schlagen den falschen Weg ein. Sie schicken die Leute
zurück in die Mühlen der Bürokratie und verursachen
neue Friktionen, die gerade in der Krise niemandem helfen.
({4})
Ich bin davon überzeugt: Wir brauchen eine verfassungssichere Fortführung der Jobcenter und eine Ausweitung der Optionsmöglichkeiten, die es den Kommunen erlauben, den für sie richtigen Weg zu finden. Aber
es muss auch darum gehen, dass die Hilfe für die
Schwächsten effizient organisiert wird. Mit Verlaub: Das,
was Sie hier in Aussicht gestellt haben, das Optionsmodell ohne eine Verfassungsänderung verfassungskonform auszuweiten, ist ungefähr so, als ob Sie eine Wurst
ins Schaufenster hängen, obwohl Sie genau wissen, dass
die Auslieferung auf dem Rechtsweg schon verhindert
wird. Das, was Sie hier durchziehen, ist die unehrliche
Politik der FDP.
({5})
Die Minijobs sind die nächste Baustelle, auf der Sie
Unfug anstellen. Jetzt reden Sie über die Lockerung der
Obergrenzen. Das heißt, Ihre Antwort auf die Situation
auf dem Arbeitsmarkt ist eine Ausweitung des Niedriglohnbereichs. Damit lösen Sie ähnliche Folgeprobleme
aus wie das Mehrwertsteuerchaos bei den Hotels. Sie
dachten, Sie tun etwas Gutes, hatten aber die Folgeproblematiken nicht im Blick. Sie wissen doch genau, dass
die Lockerung der 400-Euro-Grenze dazu führt, dass die
Minijobs attraktiver werden. Das wiederum führt dazu,
dass es bei den Sozialversicherungen zu Einnahmeeinbußen kommt und der Niedriglohnsektor weiter wächst.
Machen Sie endlich eine Politik für echte Jobs! Setzen
Sie auf Jobs mit Perspektiven anstatt auf Minijobs und
die Ausweitung von Zuverdienstgrenzen!
({6})
Ich frage Sie: Auf was setzen Sie? Welche Chancen
auf Vermittlung geben Sie den Schwächsten? Welche
Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe geben Sie ihnen?
Es ist in der Krise nicht einfach, den Arbeitslosengeld-IIBetrag anzupassen. Ich glaube aber, dass es trotz Krise
dringend an der Zeit ist, den Regelsatz auf 420 Euro anzuheben. Das ist das absolute Minimum, um ernsthaft
von einer Absicherung und einer Teilhabe sprechen zu
können.
({7})
Ich gebe zu: Die Debatte muss für Sie als Koalition
eine Zumutung sein. Wir reden über das Zimmermädchen, das hart arbeitet und trotzdem kein Einkommen
zum Überleben hat, weil es keinen Mindestlohn gibt, anstatt über die Hotelkettenbesitzer, die im Fokus Ihrer Politik stehen. Aber ich glaube, das wirklich Wichtige in
dieser Republik sind die Leute, die hart arbeiten, nicht
die, die hart an die Koalition spenden.
({8})
Von Ihrer Politik sind auch die Kommunen betroffen.
Das haben wir beim Wachstumsbeschleunigungsgesetz
erlebt. Das erleben wir aber auch in diesem Bereich. Ich
nenne das Stichwort Kosten der Unterkunft. Ich meine
jetzt nicht die Unterkunftskosten im Hotel - nicht nervös
werden! -, sondern die Kosten zur Finanzierung der
Wohnung von Arbeitslosengeld-II-Beziehern. Die Miete
für deren Wohnung kostet im Monat etwa so viel wie
eine einzige Übernachtung in einem 5-Sterne-Hotel.
Sie betreiben eine Finanzpolitik, mit der Sie weiter
wesentliche Lasten auf die Kommunen schieben. Eine
weitere Absenkung des Bundesanteils hätte zur Folge,
dass die kommunalen Ausgaben im nächsten Jahr um
17 Prozent von 10,3 auf rund 12,1 Milliarden Euro steigen. Sie wissen genau, welche zusätzlichen Belastungen
Sie damit den Kommunen aufbürden, denen Sie schon
mit Ihren bisherigen Klientelgeschenken geschadet haben und die Sie mit Ihren Steuersenkungsandrohungen
nun wirklich an die Wand spielen. Überlegen Sie sich
endlich einmal, was die Grundlage dieser Gesellschaft
ist, und hören Sie auf, auf Kosten der Kommunen und
der Schwächsten Ihre Steuersenkungsfantasien auszuleben!
({9})
Frau von der Leyen, Sie wollten diesen Job. Jetzt
machen Sie ihn aber auch! Sie wissen genau, dass die
Ergebnisse der nächsten Steuerschätzung keine dramatischen Veränderungen bringen werden, sondern höchstens marginale. Sie wissen, wenn die Einnahmeseite des
Bundeshaushaltes von Ihrer Koalition systematisch kaputtgemacht wird, dann wird die Koalition Ihren Einzelplan als Steinbruch nutzen müssen. Dann bezahlen die
Schwächsten in der Gesellschaft die Steuersenkungen
für die Reichsten. Eine Arbeits- und Sozialministerin hat
den Job, das zu verhindern. Daran messen wir Sie. Ab
heute stehen Sie unter Beobachtung nicht nur des Kabinetts, sondern auch der Menschen im Land, die sich darauf verlassen, dass es wenigstens einer in der Koalition
gibt, die verhindert, dass die Reichen auf ihre Kosten
noch reicher werden.
Herzlichen Dank.
({10})
Karl Schiewerling ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wachstum, Bildung, Zusammenarbeit - das ist die Antwort der Koalition auf die
Krise. Wir stecken noch mitten in dieser Krise. Bilden
wir uns nichts ein: Wenn es, wie mir die Chefin der
Agentur für Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen vor
einigen Tagen gesagt hat, etwa 100 000 Menschen gibt,
die zwar noch einen Job haben, sich aber bereits arbeitsuchend gemeldet haben, weil ihnen die Kündigung ausgehändigt wurde, dann wissen wir, dass diese Krise nicht
vorbei ist. Ich sage Ihnen: All unsere Anstrengungen
sind gefordert, diesen Menschen trotz allem Sicherheit
zu geben und Perspektiven aufzuzeigen. Deswegen ist es
wichtig, in diesem Hohen Hause kein dummes Zeug von
Sozialabbau zu erzählen, hier nicht zu erzählen, wer ihnen den Boden unter den Füßen wegziehen will, sondern
zu akzeptieren, dass wir eine verlässliche, vernünftige
Politik machen, um diesen Menschen, wenn ihnen Arbeitslosigkeit droht, Hilfe und Unterstützung anbieten zu
können.
({0})
Die Arbeitsmarktpolitik übernimmt in dieser Krise
eine der wichtigsten Aufgaben. Ich denke, dass der vorgelegte Haushalt für 2010 dem auch gerecht wird. Ich
darf in aller Bescheidenheit und in aller Deutlichkeit anmerken: Der Haushalt, über den wir jetzt reden, ist von
Peer Steinbrück entwickelt und nur unwesentlich geändert worden. Aus meiner Sicht ist es durchaus ein großes
Verdienst der FDP, dass sie akzeptiert hat, dass wir in
dieser Krise verantwortungsbewusst miteinander umgehen müssen und schnell verlässliche Grundlagen brauchen.
({1})
Die Dinge, die im Einzelplan 11 stehen, sind also im Wesentlichen Dinge, die Sie selbst entwickelt und für die
auch Sie gestimmt haben.
({2})
Allein für den Arbeitsmarkt werden 62,6 Milliarden
Euro bereitgestellt. Das sind 17 Milliarden Euro mehr
als im vergangenen Jahr. Das ist im Wesentlichen Geld,
das der Bundesagentur für Arbeit zugutekommt. Wir
wissen nämlich, dass weiterhin Kurzarbeit finanziert
werden muss und wir dafür der Bundesagentur für Arbeit einen Zuschuss geben müssen. Es gab, Herr Kollege
Bonde, während des Bundestagswahlkampfes kein Herumgeeiere, sondern wir haben nach einem richtigen und
vernünftigen Weg gesucht. Wir haben dann den Weg gewählt, den wir auch jetzt noch verantworten können.
Meine Damen und Herren, betrachtet man all diese
Zahlen, die wir auf den Tisch legen, dann stellen wir fest,
dass von sozialer Kälte und sozialem Kahlschlag nicht
die Rede sein kann. Alles das, was Sie unserer Koalition
anheften wollen, wird an uns abprallen. Sie werden feststellen, dass wir uns sehr verantwortungsbewusst von
unserem Prinzip und unserem Menschenbild leiten lassen,
({3})
nämlich dem Menschenbild von Solidarität, Subsidiarität, Eigenverantwortung und personaler Würde. Das
steht im Mittelpunkt der Politik, übrigens auch der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
({4})
Das gilt auch für die Neuorganisation im Bereich
der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Es gibt das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2007; Frau Dr. von der Leyen hat darauf hingewiesen. Dieses Urteil hat niemand in diesem Hohen Hause
herbeigeführt; es hat auch niemand so haben wollen. Wir
müssen uns der Herausforderung stellen, eine verfassungsmäßige, ordentliche Form zu finden.
Herr Kollege Heil, die Menschen sind, bevor wir die
Grundorganisation, die Organisation für Arbeitsu1366
chende im SGB II, geschaffen haben, nicht zwischen
dem Sozialamt in der Kommune und der Arbeitslosenversicherung wie in einem Pingpongspiel hin und her geschoben worden, weil es zwischen diesen beiden überhaupt keine Beziehung gab.
({5})
Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe war übrigens eine Grundforderung der CDU/CSU.
Diese ist dann aufgegriffen und über den Bundesrat von
uns mitgestaltet worden. Die Zusammenlegung ist erfolgt, damit wir den Menschen Hilfe aus einer Hand und
auch den Sozialhilfeempfängern die erforderlichen arbeitsmarktpolitischen Hilfestellungen geben können.
Das soll auch weiterhin geschehen.
({6})
Daran wird sich auch nichts ändern, wenn wir eine Form
finden, wie wir den Menschen die Hilfe möglichst aus
einer Hand und möglichst unter einem Dach gewähren
können.
Frau Dr. von der Leyen hat in ihrer Rede darauf hingewiesen, und ich kann das nur unterstreichen: Heute
kommen die Menschen in ein Jobcenter und sprechen
mit ihrem Fallmanager. Sie haben bei der Kommune einen Ansprechpartner etwa im Falle einer Erkrankung
oder Schuldnerberatung. Ich glaube, dass sich an dieser
Form der bewährten Zusammenarbeit auch dann nichts
ändern wird, wenn wir keinen strengen gesetzlichen
Rahmen dafür haben.
Herr Kollege Schiewerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil?
Ja.
Bitte schön.
Sehr geehrter Kollege, ich glaube, dass es in dem
Menschenbild, das Sie als Zielsetzung beschrieben haben, keine großen Unterschiede zu unserem gibt, jedenfalls nicht, wenn ich mir Ihre Worte anhöre. Können Sie
mir bitte Folgendes erklären: Wenn Sie weiterhin Hilfe
nicht nur unter einem Dach, sondern sogar aus einer
Hand haben wollen, warum ist dann jetzt getrennte Aufgabenwahrnehmung Ihr Weg, zumal wir einen Kompromiss hatten, der zwischen Olaf Scholz, damals Bundesarbeitsminister, Ihrem Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers
({0})
- Noch-Ministerpräsident - und Kurt Beck aus Rheinland-Pfalz vereinbart wurde, den alle 16 Bundesländer
mitgetragen haben? Ich will Ihnen nur sagen, Herr
Schiewerling: Ich glaube, dass wir beide uns, wenn wir
uns einen Abend auf ein Bier zusammensetzen würden,
ganz schnell einig wären. Das Problem ist nur Ihre Fraktion. Kann das sein?
Erstens, Herr Kollege Heil, wird Jürgen Rüttgers Ministerpräsident bleiben,
({0})
weil er eine gute Politik betreibt.
({1})
- Ja, das werden Sie feststellen.
Zweitens müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es
auch innerhalb unserer Fraktion heftige Diskussionen in
dieser Frage gegeben hat. Das halte ich für hochanständig; denn es zeigt, dass bei uns lebendig diskutiert wird.
Wenn ich aber zur Kenntnis nehmen muss, dass der Kritik an einer Regelung, die nicht mit der Verfassung konform ist, nur dadurch begegnet werden kann, dass man
die Verfassung ändert mit der Konsequenz, dass dann
möglicherweise die klare Struktur, die wir in der
Föderalismusreform I geschaffen haben, nicht mehr eingehalten werden kann, weil wir in einem Teilbereich,
nämlich im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende, neben den bestehenden staatlichen Strukturen
zusätzliche Aufbauten organisieren, die ausschließlich
für eine bestimmte Personengruppe in dieser Gesellschaft gedacht sind, was dann mit der Verfassung möglicherweise nicht zusammengebracht werden könnte,
dann darf man die Diskussion, die in unserer Fraktion
geführt wurde, als ernsthaft ansehen. Man muss uns wenigstens unterstellen, dass wir versuchen, nicht nur die
Lebenssituation der Menschen in den Blick zu nehmen,
sondern das auch mit der Verfassung kompatibel zu halten.
({2})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf die
Frage der Solidarität anhand eines Punktes eingehen, der
mir sehr am Herzen liegt, nämlich der Lebenssituation
der Rentnerinnen und Rentner und des Zustandes der
Rentenversicherung. Wir können froh sein, dass wir den
Rentnerinnen und Rentnern heute sagen können, dass
die Rücklagen der Rentenversicherung so hoch sind wie
seit vielen Jahren nicht mehr und dass wir deswegen eine
verlässliche Grundlage für die Alterssicherung haben.
Das soll auch so bleiben. Die Rentenversicherung ist auf
einem Solidarsystem aufgebaut, auf der Solidarität der
jüngeren Generation mit der älteren. Wir können - das
wissen wir - nicht mehr Rente zahlen, als letztendlich
erwirtschaftet wird.
Was wir in die Rentenversicherung an staatlichen Zuschüssen einzahlen - im nächsten Jahr sind das übrigens
circa 80 Milliarden Euro -, ist nicht das Ergebnis von
Minijobs, Frau Kollegin Lötzsch, sondern ist das Ergebnis von Beschlüssen des Hohen Hauses aus den zurückliegenden Jahren. Ich nenne unter anderem die Anerkennung von Erziehungsleistungen im Rentenrecht. Dafür
und für viele andere Dinge mehr gibt es staatlicherseits
eine finanzielle Unterstützung, weil es nicht Aufgabe
des Beitragszahlers ist, diese Mittel aufzubringen. Ich
bin sehr stolz darauf, dass unser Sozialstaat im Rahmen
der Rentenversicherung dieses leistet und dass wir dies
beibehalten werden. Auch das ist ein wichtiger Beitrag
zur sozialen Gerechtigkeit in diesem Lande.
({3})
Herr Kollege Schiewerling, darf Ihnen die Kollegin
Lötzsch nun noch eine Zwischenfrage stellen?
Ja.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr
Kollege, die solideste Basis für solide Finanzen der Rentenversicherung sind gute Arbeitsplätze, die gut bezahlt
werden, und nicht prekäre Jobs, die sich immer mehr
ausweiten. Stimmen Sie darin mit mir überein? Wenn ja:
Können Sie einmal kurz erläutern, was Sie dafür tun
wollen, dass wir mehr solide Arbeitsplätze auf solider
Grundlage mit entsprechender Bezahlung und weniger
prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben?
({0})
Erstens. Arbeitsplätze werden nicht durch die Arbeitsmarktpolitik geschaffen, sondern in der Wirtschaft,
indem wir Wirtschaftswachstum generieren und indem
Menschen dort investieren.
({0})
Gelingt uns dies, schaffen wir Arbeitsplätze.
({1})
Zweitens. Auch ich möchte gerne, dass die Menschen
ordentlich bezahlt werden. Aber das ist eine Frage der
Rahmenbedingungen und der Abmachungen zwischen
Arbeitgebern und Gewerkschaften, die die Tarife festlegen und die letztendlich ihre Branche und die Produktivität ihres Bereiches besser kennen als zum Beispiel der
Deutsche Bundestag.
({2})
Deswegen sind wir - ich sage dies, bevor Sie auf diesen
Punkt abheben - gegen gesetzliche Mindestlöhne, und
deswegen sind wir für tarifliche Mindestlöhne. Wir sagen: Wenn eine Branche so ist, wie sie ist, dann haben
wir nicht zu bestimmen, ob die dort beschäftigten Menschen mehr verdienen oder ob sie weniger verdienen.
Denn eine entsprechende Vereinbarung kann letztendlich
darüber entscheiden, ob ihr Arbeitsplatz erhalten bleibt
oder nicht. Wir haben ein Interesse daran, dass jeder zunächst das tut, was er unter den gegebenen Rahmenbedingungen leisten kann. Wenn das der Fall ist, gibt es die
entsprechenden Einkommen für die einzelnen Arbeitnehmer.
({3})
Ich möchte noch kurz auf einen Punkt eingehen, der
mir sehr am Herzen liegt. Es geht um die Situation in der
Zeitarbeit. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich, dass
ich meinem Kollegen Dr. Kolb und Frau Bundesministerin von der Leyen dankbar bin, dass sie meine Anregungen zur Überprüfung der Auswüchse von fehlgeleiteten
Entwicklungen in der Zeitarbeit aufgegriffen haben. Das
Ministerium ist zurzeit dabei, die Fälle zusammenzutragen. Ich sage an dieser Stelle in aller Deutlichkeit und in
aller Klarheit: Es wäre gut, wenn die Tarifpartner selbst
organisieren könnten, dass dieser Missbrauch in ihrer
Branche nicht vorkommt. Es wäre ein Zeichen von
Stärke der Tarifautonomie und der Verantwortung der
Tarifpartner. Sollte das nicht gelingen, werden wir gesetzliche Maßnahmen ergreifen müssen, damit wir den
Menschen, die dort tätig sind, ordentliche und gesicherte
Rahmenbedingungen bieten können.
({4})
Wir brauchen für die Überwindung dieser Krise eine
funktionierende Arbeitsmarktpolitik. Wir sind auf einem guten Weg. Wir fangen nicht bei null an. Die Union
hat in den letzten Jahren erfolgreich gearbeitet. Wir werden diese erfolgreiche Arbeit fortsetzen gemeinsam mit
unserer Bundesarbeitsministerin Frau Dr. von der Leyen.
Die CDU/CSU-Fraktion freut sich auf eine gute Zusammenarbeit. Das hat alles prima angefangen.
({5})
Die Menschen im Land werden merken, dass mit Ihnen,
Frau Ministerin, ein guter Wind in diesem Hause weht
und dass wir die Aufgaben gemeinsam geschultert bekommen. Wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit
mit Ihnen und auf Ihr Wirken.
({6})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe,
möchte ich insbesondere die neuen Kolleginnen und
Kollegen darauf hinweisen, dass der nicht nur gut gemeinte, sondern natürlich auch begrüßenswerte Eifer,
die Debatte durch Zwischenfragen und Kurzinterventionen zusätzlich zu beleben, an die natürliche Grenze der
zu Beginn jeder Debatte vereinbarten Redezeiten stößt,
die beschlossen werden. Es gehört zu den undankbaren
Aufgaben des jeweiligen sitzungsleitenden Präsidenten,
die tatsächliche Debattenzeit in der Nähe der beschlossenen Debattenzeit zu halten. Deswegen bitte ich um
Nachsicht, dass die Zahl der zusätzlich zugelassenen
Zwischenfragen und Kurzinterventionen jedes Mal mit
einem hoffentlich halbwegs nachvollziehbaren Maß an
Fingerspitzengefühl in Grenzen gehalten werden muss.
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Bettina Hagedorn für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sie dürfen mir übrigens trotzdem
reichlich Zwischenfragen stellen, sofern Sie mögen.
({0})
Ich rede hier über den Etat des Arbeits- und Sozialministeriums und damit über Ausgaben von über 146 Milliarden Euro im Jahr 2010. Das sind 6,3 Milliarden Euro
weniger, als im ersten Regierungsentwurf von Peer
Steinbrück für diesen Bereich vorgesehen waren; Kollegin Winterstein hat darauf hingewiesen, hat aber versucht, den Eindruck zu erwecken, als sei dies das Ergebnis von Sparbemühungen von Schwarz-Gelb. Allerdings
ist diese Reduzierung alleine darauf zurückzuführen,
dass wir glücklicherweise seit dem Frühsommer 2009 einen günstigeren Konjunkturverlauf haben, als damals
noch angenommen werden musste: Damals sind wir
noch von 4,6 Millionen Arbeitslosen im Jahr 2010 ausgegangen. Sie haben die Zahl in Ihren Annahmen auf
4,1 Millionen Arbeitslose reduziert. Wenn ich vorhin
den Worten von Frau von der Leyen richtig gelauscht
habe, gehen Sie jetzt schon von unter 4 Millionen Arbeitslosen aus. Damit wollten Sie vermutlich ankündigen, dass die Ansätze weiter gesenkt werden. Das werden Sie uns dann in der zweiten und dritten Lesung
wahrscheinlich wieder als Einsparung verkaufen, wollen
damit dann aber an anderer Stelle Sonderwünsche finanzieren.
Es wurde zu Recht von meinen Kollegen darauf hingewiesen: Dass wir im Vergleich zu den Annahmen vom
letzten Sommer auf 500 000 Arbeitslose weniger hoffen
dürfen, ist weder vom Himmel gefallen noch auf höhere
Gewalt zurückzuführen, sondern allein der Erfolg einer
aktiven Arbeitsmarktpolitik, die 2009 unter Olaf Scholz
als Arbeits- und Sozialminister durchgesetzt worden ist.
({1})
Frau von der Leyen, das sind Erfolge, die diese Regierung jetzt leider fahrlässig verfrühstückt.
Unbestritten bleibt, dass 2010 mit einer steigenden
Arbeitslosigkeit zu rechnen ist. Bei einer Umfrage zum
Jahreswechsel haben 47 Prozent der Bundesbürger gesagt, die größte Sorge für das Jahr 2010 sei die Angst um
ihren Arbeitsplatz. Was machen jetzt CDU/CSU und
FDP in dieser Situation? Sie muten der Bundesagentur
für Arbeit und den Kommunen mit ihren insgesamt
60 000 Mitarbeitern, die in 370 Argen und 69 Optionskommunen im Lande engagiert arbeiten - davon war
schon die Rede -, ohne jede Not eine Umstrukturierung zu.
({2})
Sie führt zu einem Bürokratiemonster und stellt eine unverantwortliche Rückwärtsrolle in der Sozialpolitik dar;
({3})
sie zerschlägt mutwillig die in der Praxis erfolgreiche gemeinsame Arbeitsvermittlung aus einer Hand. Das ist nicht
nur für die Langzeitarbeitslosen, sondern auch für deren
engagierte Vermittler ein Affront. Über 22 000 kommunale
Mitarbeiter, von denen derzeit nur jeder Dritte ursächlich
kommunale Aufgaben wahrnimmt, schweben im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft ab Januar 2011 in Ungewissheit. Frau Ministerin, es ist doch vollkommen
klar, dass die Motivation zur engagierten Arbeit zugunsten von Millionen Arbeitsuchenden dadurch einen heftigen Knick erhält. Dieser Wahnsinn wird beim Bund und
bei den Kommunen einen zusätzlichen Bürokratieaufwand mit Kosten in Höhe von mindestens 300 Millionen
Euro verursachen. Frau von der Leyen, das Geld wäre
nicht nur in diesem Krisenjahr für die Qualifizierung und
Vermittlung von Arbeitslosen und für Antworten auf den
drohenden Fachkräftemangel besser angelegt gewesen.
({4})
Wie soll das denn konkret aussehen? Sie haben versucht, es hier herunterzuspielen, aber die Betroffenen
müssen zu zwei Behörden - vielleicht unter einem Dach;
das weiß man aber noch nicht -, es müssen zwei Bescheide ausgestellt werden, denen zweimal widersprochen werden kann und die auch beide beklagt werden
können. Die große Sorge ist doch, dass die Arbeitsuchenden, wenn sich diese Bescheide widersprechen,
durch den Rost fallen. Dies alles sind Fragen, die noch
nicht geklärt sind.
In Ihrem Koalitionsvertrag steht - Zitat -:
Unser Ziel ist eine bürgerfreundliche Verwaltung,
die unnötige Doppelarbeit vermeidet.
({5})
In der Praxis macht diese Koalition nicht nur in diesem
Bereich leider genau das Gegenteil dessen, was sie zu
tun vorgibt.
({6})
Und wie steht es um die Finanzierung? Ein Blick in
den Haushaltsentwurf 2010 gibt erste Hinweise. Da werden einerseits gegenüber dem ersten Regierungsentwurf
von Peer Steinbrück 1,8 Milliarden Euro beim Arbeitslosengeld, 300 Millionen Euro bei den Leistungen zur
Eingliederung in Arbeit und 600 Millionen Euro bei der
Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung eingespart, also 2,7 Milliarden Euro.
Aber andererseits werden schon einmal vorsorglich bei
den Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende 300 Millionen Euro mehr
veranschlagt.
Der größte Kracher ist aber, Frau von der Leyen, dass
Sie für eine Öffentlichkeitskampagne für diesen
Murks, den Sie da machen wollen, knapp 1,8 Millionen
Euro aus dem Fenster werfen. Das ist das Neunfache
dessen, was im letzten Jahr unter Olaf Scholz für Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben worden ist, und dies mit einem Koalitionspartner FDP, der seit Jahren die Kosten
für Öffentlichkeitsarbeit als zu hoch skandalisiert und
den Bürokratieabbau ebenso lange wie eine Monstranz
vor sich her trägt. Ich sage Ihnen: Sparen Sie sich diesen
ideologischen Umstrukturierungswahnsinn auf dem Rücken von Arbeitslosen, der zu einem absoluten Chaos in
der Vermittlungsarbeit vor Ort führen wird. Sparen Sie
sich die Millionen für Bürokratieaufbau.
Sie haben vorhin gesagt, Frau von der Leyen, Sie
stünden für Pragmatismus bei der Umstrukturierung der
Argen. Wenn das denn so ist, dann kommen Sie zur Vernunft und stimmen Sie mit der SPD und mit allen Bundesländern für die auf dem Tisch liegende Verfassungsänderung. Dann bleiben die Argen in ihrer bewährten
gemeinsamen Struktur erhalten, dann behalten wir Hilfe
aus einer Hand, und dann brauchen Sie keine
1,8 Millionen Euro für diese Öffentlichkeitskampagne,
die dann überflüssig ist wie ein Kropf.
Vielen Dank.
({7})
Dr. Heinrich Kolb ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
schwarz-gelbe Koalition hat erst vor wenigen Monaten
ihre Arbeit aufgenommen, und die heutige Beratung des
Einzelplans 11 gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass wir mit großer Umsicht, mit sehr viel Sorgfalt
und Augenmaß an die Arbeit gegangen sind. Der
Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, erreicht ein Rekordvolumen von 146,8 Milliarden Euro. Herr Heil, damit ist
klar: Ihre Warnung vor Schwarz-Gelb, vor einem Sozialabbau, der stattfinden werde,
({0})
wenn diese bürgerliche Regierung an die Macht kommt,
war nichts anderes als Wahlkampfgetöse, sie hatte keine
Grundlage, und die Menschen in diesem Land haben das
sehr wohl bemerkt.
({1})
Insgesamt geben wir im Bundeshaushalt 177 Milliarden Euro für soziale Zwecke aus, mehr als 54 Prozent
des Gesamtetats. Wenn man auch diejenigen Bereiche
der sozialen Sicherung hinzunimmt, die außerhalb des
Bundeshaushalts laufen, dann kommen wir auf eine
Summe von über 750 Milliarden Euro, die in Deutschland für soziale Zwecke ausgegeben werden. Dies ist für
mich der Beleg: Deutschland ist ein sozialer Staat, und
von Jahr zu Jahr haben wir mehr Geld aufgewendet. Das
ist hier deutlich festzuhalten. Geld ist genug da. Allerdings müssen wir uns die Frage stellen, ob wir das Geld
auch immer richtig ausgeben, ob es tatsächlich bei den
wirklich Bedürftigen ankommt. Diese Frage ist aus meiner Sicht durchaus offen.
({2})
Nun sagen Sie immer, wenn mehr Geld für soziale
Zwecke ausgegeben werde, sei das ein Indiz dafür, dass
alles hier schlecht laufe und die Menschen arm seien. An
dieser Stelle weise ich darauf hin: Jeder Euro, den wir in
Deutschland für soziale Zwecke ausgeben, verhindert
Armut. Transfers verhindern Armut, die bestehen
würde, wenn wir diese Transfers in Deutschland nicht
hätten. Wir sind ein Sozialstaat und leistungsfähig, weil
wir uns diese Transfers in dieser Größenordnung leisten
können. In diesem Einzelplan wird ein ganz wesentlicher Grundstein dafür gelegt.
({3})
Ich will etwas zum Thema Zeitarbeit und Schlecker
wiederholen, was ich auch schon in den Medien gesagt
habe. Für uns, die FDP, und auch für die Koalition insgesamt, Herr Kollege Schiewerling, ist das, was bei Schlecker läuft, absolut inakzeptabel.
({4})
Zeitarbeit ist nicht dazu da, ganze Belegschaften durch
Zeitarbeiter zu ersetzen.
Ich habe aber den Eindruck, dass manche mit ihrem
jetzigen Angriff auf die Zeitarbeit dieses Instrument
gerne insgesamt schleifen würden.
({5})
Wir stellen ein klares Stoppschild auf: Zeitarbeit hat aus
unserer Sicht eine wesentliche Funktion am Arbeitsmarkt. In der Frühphase des letzten Aufschwunges sind
75 Prozent der neuen Arbeitsplätze im Bereich der Zeitarbeit entstanden und das, Herr Heil, mit einem hohen
Klebeeffekt. Das darf man nicht vergessen. Er ist statistisch belegt. Viele Menschen, die zunächst durch Zeitarbeit in ein Unternehmen kommen, bleiben auf Dauer
dort. Das zeigt, dass die Brücke zum ersten Arbeitsmarkt
durch Zeitarbeit funktioniert. Wir werden nicht zulassen,
dass sie zerstört wird.
({6})
Wir werden prüfen - darin bin ich mit dem Kollegen
Schiewerling und auch der Ministerin völlig einer Meinung -, wie man diese Missstände beseitigen kann.
Wir haben in dieser Woche mit den drei großen Zeitarbeitsverbänden Gespräche geführt. Wir sehen Ansatzpunkte. Natürlich wäre es wünschenswert - da stimme
ich Karl Schiewerling zu -, wenn die Tarifpartner in ihren Tarifverträgen selbst regeln könnten, dass die Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz, der im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz steht, bei einer konzerninternen
Überlassung von vornherein verhindert wird, dass die
Tarifverträge also nicht anwendbar sind und damit der
Equal-Pay-Grundsatz nicht ausgehebelt werden kann.
Sollte das nicht gelingen, werden wir als Gesetzgeber
handeln müssen, um das gewünschte Ziel zu erreichen:
Missbrauch verhindern, aber die im Grundsatz wünschenswerte Zeitarbeit weiterhin ermöglichen. Das ist
unser Kurs.
Ich will etwas zum Thema Mindestlohn sagen. Wir
haben anders als die SPD, die wenige Monate nach dem
Regierungswechsel so tut, als sei sie nie in Regierungsverantwortung in Deutschland gewesen,
({7})
gesagt: Wir müssen den Übergang von einer Großen Koalition auf eine bürgerliche Koalition verantwortlich
handhaben. Wir haben Regelungen gefunden, wie wir
vorgehen wollen. Für den Bereich des ArbeitnehmerEntsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes gibt es eine klare Verabredung in der Koalition,
die besagt: In den Branchen, die derzeit in § 4 Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgeführt sind, gibt es den klaren Weg, mit einem einstimmigen Votum neue Mindestlöhne zu vereinbaren. Sie werden feststellen, dass die
Zeitarbeit in § 4 nicht enthalten ist. Deswegen stellt sich
die Frage, wie man in diesem Bereich vorgeht.
({8})
- Herr Heil, im Moment gibt es bei nahezu hundertprozentiger Tarifbindung im Bereich der Zeitarbeit für uns
keinen Handlungsbedarf.
({9})
Die Frage, die sich mit Blick auf die Freizügigkeit,
die in Europa entsteht, stellt, lautet: Wird Handlungsbedarf entstehen? Diese Frage muss man prüfen und diskutieren. Das werden wir tun und dann entscheiden. Aber
die Behauptung, dass es derzeit einen zwingenden Bedarf für einen Mindestlohn im Bereich der Zeitarbeit
gibt, ist aus unserer Sicht nicht zu halten.
Zum Schluss möchte ich zum Thema Hartz IV, speziell zur Organisation, Folgendes ausführen. Wir stehen auf dem Boden der Koalitionsvereinbarung. Das ist
keine Frage. Das heißt: Absicherung der Optionskommunen, getrennte Aufgabenwahrnehmung in den übrigen, keine Grundgesetzänderung. Aber ich denke, es ist
der Anstrengungen aller Edlen wert, sich zu fragen, ob
ohne Grundgesetzänderung möglicherweise mehr drin
ist. Ich sage das vor dem Hintergrund des Gutachtens
von Professor Henneke, das dieser vor wenigen Tagen
vorgelegt hat. Es macht für den Landkreistag deutlich,
dass es vorstellbar ist, dass man allen Kommunen, die
optieren wollen, ein solches Angebot macht.
({10})
Das ist zunächst einmal eine Meinungsäußerung unter
vielen in diesem Bereich, aber ich finde, wir sollten das
zum Anlass nehmen, noch einmal drüberzugucken. Wir
sind jedenfalls nicht dogmatisch festgelegt, nach dem
Motto „Was einmal geschrieben ist, muss für alle Zeit
gelten“. Vielmehr sind wir der Meinung, dass Neuentwicklungen möglicherweise die Chance für neue Lösungen bieten. Das werden wir prüfen. Wir werden uns allerdings nicht auf ein fadenscheiniges Angebot der SPD
einlassen. Ich habe den Eindruck, dass mit Ihren Worten,
Sie seien bereit, eine Verfassungsänderung mitzutragen,
nichts anderes gewollt ist, als die Regierung aufs Glatteis zu führen.
({11})
Sie werden sich am Ende nicht bereitfinden, das Notwendige mitzumachen, Herr Heil. Deswegen sind wir
gut beraten, uns an dieser Stelle auf das zu konzentrieren, was wir aus eigener Kraft realisieren können, nämlich die einfachgesetzliche Regelung bei weitestgehender Ausschöpfung des vorhandenen Rahmens.
In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Beratungen mit Ihnen im Ausschuss, aber auch, was den
Haushalt anbelangt, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Die Kollegin Katja Kipping hat nun das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein zukunftsorientierter Haushalt müsste an den zentralen Problemen unserer Gesellschaft ansetzen. Zu diesen Problemen gehört einerseits die Erosion der Demokratie und
andererseits, dass immer mehr Menschen sozial ausgegrenzt werden. Wir haben also einen doppelten Notstand, einen demokratischen und einen sozialen.
Zur Erosion der Demokratie gehört unter anderem,
dass die Möglichkeiten, in diesem Land auf politische
Entscheidungen Einfluss zu nehmen, sehr unterschiedlich verteilt sind.
({0})
Wer viel Geld hat, hat viel Einfluss, sei es durch großzügige Spenden, mit denen man politische Entscheidungen
beeinflusst, sei es durch Lobbyisten, die in den Ministerien gleich an den Gesetzen mitschreiben, oder sei es dadurch, dass man Institute finanzieren kann und deren
scheinbar unabhängige Fachleute in Talkshows reden,
ohne dass im Untertitel steht: sponsored by. Wer arm ist,
hat all diese Möglichkeiten nicht. Erwerbsloseninitiativen bleiben sogar dann außen vor, wenn die Höhe der
Hartz-IV-Regelleistungen festgelegt wird, also das Existenzminimum. Wer auf Hartz IV angewiesen ist, der
kann noch nicht einmal alle demokratischen Grundrechte wahrnehmen, weil für Bezieher des Hartz-IV-Regelsatzes die Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr einfach nicht drin ist. Wir können also festhalten:
Demokratischer und sozialer Notstand verstärken einander.
Dieser Entwicklung setzt die Linke ein anderes Leitbild entgegen: Wir halten es mit dem demokratischen
Sozialstaat; denn wir gehen davon aus, dass es ein soziales Grundrecht auf Teilhabe gibt.
({1})
Wer es ernst meint mit der Demokratie, der muss sicherstellen, dass keiner ausgegrenzt wird.
Was nötig wäre, ist ein Gipfel für Demokratie und
soziale Grundrechte. Zu diesem Gipfel sollten alle verantwortungsbewussten gesellschaftlichen Kräfte eingeladen werden, vor allen Dingen diejenigen, die die
Suppe am Ende auslöffeln müssen, also die Betroffenen.
Zum sozialen Notstand gehört auch, dass der HartzIV-Regelsatz weit unter der offiziellen Armutsgefährdungsgrenze liegt. Herr Kolb, leider verhindern soziale
Transfers in unserem Land nicht Armut. Die Armutsgefährdungsgrenze ist keine Größe, die wir Linke uns einfach ausgedacht haben. Es gibt zum Beispiel einen
Bericht zur Bekämpfung von Armut und eine Entschließung des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2008.
Darin bekennt sich das Europäische Parlament klar zu
dem Ziel, dass in keinem europäischen Land ein Mensch
unter diese Armutsgrenze fallen darf. Die Berichterstatterin war übrigens Gabi Zimmer. Aber auch alle Sozialdemokraten und große Teile der CDU im EP haben dem
zugestimmt.
Diese Armutsgefährdungsgrenze liegt in unserem
Land bei 913 Euro. Der Hartz-IV-Regelsatz liegt, wenn
man von durchschnittlichen Kosten der Unterkunft ausgeht, bei rund 650 Euro. 913 Euro zu 650 Euro - es ist
offensichtlich, dass hier eine große Lücke klafft. Deswegen sagt die Linke: Der Regelsatz von Hartz IV muss
dringend auf 500 Euro angehoben werden, und das wäre
auch zu finanzieren, wenn wir einfach eine Börsenumsatzsteuer einführen würden.
({2})
Selbst das ohnehin niedrige Arbeitslosengeld II wird
heutzutage noch gekürzt. So sieht es § 31 SGB II vor. Es
gibt ein breites gesellschaftliches Bündnis für die Einführung eines Sanktionsmoratoriums. Eine der Initiativen, die dieses Bündnis mit ins Leben gerufen hat, hat in
einer sehr beeindruckenden Broschüre, die ich Ihnen zur
Lektüre empfehlen möchte, Fälle von Sanktionen zusammengestellt.
Da gibt es zum Beispiel den Fall eines Industriekaufmanns, dem einfach ein Drittel des Arbeitslosengeldes II
gestrichen wurde, mit dem Vorwurf, er hätte die Aufnahme eines 1-Euro-Jobs vereitelt. Was ist wirklich passiert? Er bekam den Auftrag, sich bei einem Träger zu
bewerben. Da er diesen Träger telefonisch mehrmals
nicht erreicht hat, hat er sich schriftlich beworben. Das
ist alles nachweisbar. Da aber im Bescheid stand, dass er
sich telefonisch oder persönlich melden soll, hat man
ihm unterstellt, die Aufnahme des 1-Euro-Jobs vereitelt
zu haben. Er hat immer wieder versucht, den Fall aufzuklären und seine Sachbearbeiter zu erreichen. Erfolglos,
all seine Anrufe landeten in der Endstation Callcenter.
Noch schlimmer erging es Wolfgang Dinse. Das ist
ein Analphabet aus Greifswald. Über ihn wurde kürzlich
in der ARD berichtet. Er hatte von Anfang an darauf hingewiesen, dass er Analphabet ist. Da er als Analphabet
keine Bewerbungsschreiben verfassen konnte, hat man
ihm fehlende Mitwirkung unterstellt und für neun
Monate das Arbeitslosengeld II komplett entzogen. Er
konnte seine Miete nicht zahlen und wurde wohnungslos. Die Betreuung durch das Jobcenter bedeutete für ihn
Endstation Obdachlosenheim.
Deswegen sagt die Linke: Dieser Sanktionsparagraf 31 des SGB II gehört abgeschafft.
({3})
Das Sanktionsregime Hartz IV verstößt gegen die Menschenrechte. Während Roland Koch meint, er müsse
zum Arbeitszwang aufrufen, sagen wir als Linke: Das ist
eine altbekannte Masche. Hier wird der Boden für weitere Kürzungen vorbereitet. Hier bekommen wir einen
Vorgeschmack auf das, was nach den NRW-Wahlen
droht. Sie wollen die Kosten der Krise am Ende offensichtlich auf die Ärmsten abwälzen. Wir als Linke gehen
einen anderen Weg. Wir meinen: Die Kosten der Krise
müssen diejenigen tragen, die sie verursacht haben.
Herzlichen Dank.
({4})
Max Straubinger hat nun für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, dass in dieser Haushaltsdebatte sichtbar
wird - Kollege Kolb hat es ja nochmals dargestellt -,
dass dies vor allen Dingen ein Haushalt ist, der auch in
der Krisenzeit mit einer großen sozialen Verantwortung
für die Menschen in unserem Land gespickt ist.
({0})
Wir können stolz darauf sein, dass fast 54 Prozent des
Haushaltsvolumens für soziale Leistungen des Arbeitsmarktes, der Rentenversicherung, des Gesundheitssystems und für die Familienunterstützung einschließlich
Kindergeld vorgesehen sind. Diese Ausgaben sind sozusagen die mitbestimmenden Tangenten.
Dies alles ist natürlich nur möglich, wenn die entsprechenden wirtschaftlichen Grundlagen gegeben sind. Von
den Vorrednern der Opposition ist unser Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das wir in der neuen Regierung
bereits im Dezember letzten Jahres verabschiedet haben,
vielfältig kritisiert worden. Dieses Gesetz ist letztendlich
die Grundlage dafür, dass unser Sozialstaat weiterhin so
leistungsfähig bleibt. Denn aufgrund dieses Gesetzes
werden Arbeitsplätze geschaffen, werden sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen.
({1})
Da das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hier kleinlich kritisiert wird, möchte ich darauf hinweisen, dass
der Großteil der darin vorgesehenen Maßnahmen zugunsten der Familien ist.
({2})
Ich glaube, niemand in diesem Haus möchte die familienpolitischen Leistungen schmälern. Im Gegenteil:
Man sollte sie mit ausbauen. Darüber hinaus ist es wichtig, dass Unternehmungen durch veränderte Abschreibungsbedingungen bessergestellt werden. Damit werden
die Grundlagen für zukünftige Investitionen gelegt. Somit entsteht ein wichtiger Baustein für die soziale Sicherung unserer Menschen. Das kann man nicht trennen.
In diesem Hohen Haus haben wir uns bereits ausführlich mit dem Umfang der sozialen Sicherung für die
Menschen auseinandergesetzt. Die Opposition ist natürlich immer gerne bereit, das Füllhorn noch größer zu
machen, als es gegenüber der Allgemeinheit, gegenüber
den Steuerzahlern verantwortbar ist. Dafür habe ich
durchaus Verständnis. Auch heute wurden wieder viele
Forderungen gestellt. Vor allen Dingen sind die Sätze,
die dem Arbeitslosengeld II zugrunde liegen, kritisiert
worden. Meine Vorrednerin hat diese kritisiert, und auch
von Herrn Bonde wurde eine Erhöhung angesprochen.
Ich möchte darstellen, was eine Erhöhung der Sätze bedeuten würde. Wir haben eine umfangreiche soziale Sicherung für die Menschen - das ist richtig und gut -,
aber ein Lohnabstandsgebot muss in diesem Zusammenhang gegeben sein.
({3})
Es kann nicht nur um hohe Leistungen gehen, sondern
das gehörige Lohnabstandsgebot muss auch gegeben
sein.
({4})
Die Frau Bundesministerin wurde in einer Fernsehsendung am vergangenen Sonntag mit einer Familie
konfrontiert. Es ist sicherlich bedauerlich, wenn eine Familie mit drei Kindern auf die Leistungen des Sozialstaates mit angewiesen ist.
Ich glaube aber, dass es trotzdem wichtig ist, darauf
hinzuweisen, dass eine fünfköpfige Familie eine Nettoleistung von ungefähr 2 500 Euro erhält. Über die normale Geldleistung hinaus werden die Kosten für Wohnung bzw. Unterkunft erstattet, der Staat leistet Beiträge
zur Rentenversicherung, und die Kosten für Gesundheitsleistungen werden übernommen. Im Vergleich zum
Einkommen des Durchschnittsverdieners ist das sehr
viel. Wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat, liegt
der Durchschnittsverdienst bei 3 300 Euro brutto, während eine fünfköpfige Familie mit einem Ernährer bzw.
einer Ernährerin ein Nettoeinkommen von rund 2 500
bis 2 600 Euro erzielt.
Das zeigt sehr deutlich: Wir erbringen bereits sehr
umfangreiche soziale Leistungen. Das kann man nicht
einfach abtun, indem man irgendwelche theoretischen
Gebilde vorträgt, wie es die Frau Kollegin vorhin getan
hat.
({0})
Nun möchte die Frau Kollegin Kipping Ihre Redezeit
gerne durch eine Zwischenfrage verlängern.
Dann bedanke ich mich bei der Frau Kipping.
Bitte schön.
Gern geschehen, Herr Straubinger. - Sie haben das
Lohnabstandsgebot angesprochen. Darüber kann man
unterschiedlicher Meinung sein. Nehmen wir aber einmal an, wir fänden das Lohnabstandsgebot sehr wichtig.
Ich möchte Sie fragen: Teilen Sie meine Auffassung,
dass es zwei Möglichkeiten gibt, das Lohnabstandsgebot
einzuhalten? Eine Möglichkeit ist, immer dafür Sorge zu
tragen, dass die sozialen Leistungen möglichst niedrig
ausfallen, damit sie unter jedem Dumpinglohn liegen.
Die zweite Möglichkeit, das Lohnabstandsgebot einzuhalten, besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Löhne so
hoch ausfallen, dass man auch die Höhe der sozialen
Leistungen armutsfest gestalten kann.
({0})
Frau Kollegin Kipping, es kann natürlich nicht Ziel
und Zweck sein, die Löhne staatlich festzulegen.
({0})
Es gab in Deutschland einmal ein System, in dem die
Löhne staatlich festgelegt worden sind.
({1})
Ich habe nicht den Eindruck, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dort bessergestellt waren.
Ihre Forderung nach Einführung eines Mindestlohns
hat überhaupt nichts mit der sozialen Sicherung der
Menschen zu tun. Hinzu kommt, dass es zur Höhe des
Mindestlohns unterschiedlichste Vorstellungen gibt: Die
einen fordern 7,50 Euro pro Stunde, Sie gehen mit Ihrer
Forderung sogar noch etwas weiter. Geht man von einer
40-Stunden-Woche aus, würde aber selbst die Höhe des
Mindestlohns, die Sie fordern, nicht ausreichen, um eine
Familie mit drei Kindern zu ernähren.
({2})
Hier sind wir auf staatliche Unterstützung angewiesen.
Deshalb ist das bestehende Transfersystem sehr sinnvoll.
({3})
Kollege Straubinger, möchten Sie noch eine letzte
mögliche Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Heil,
beantworten?
Da kann ich nicht widerstehen.
({0})
Ich danke Ihnen. Ich nehme es Ihnen nicht übel, dass
Sie das nicht können. - Ich danke auch Ihnen, Herr Präsident, für Ihre Großzügigkeit.
Herr Kollege Straubinger, angesichts Ihrer Gleichsetzung von Mindestlöhnen und kommunistischen Planwirtschaften frage ich Sie: Halten Sie Großbritannien
und 22 andere europäische Staaten, in denen es einen
Mindestlohn gibt, auch für kommunistische Planwirtschaften?
({0})
Herr Kollege Heil, Sie wissen haargenau, dass in England und anderen Ländern andere Verhältnisse herrschen
({0})
und die staatlichen Fürsorgeleistungen bei weitem nicht
so umfassend ausgebaut sind wie in Deutschland.
({1})
Deshalb verbieten sich solche Vergleiche.
({2})
Ich glaube, dass wir in Deutschland mit der Tarifautonomie bisher sehr gut gefahren sind. Wir stehen für starke
Gewerkschaften, genauso aber auch für starke Arbeitgeberverbände.
({3})
Werte Damen und Herren, auch in dieser Woche
wurde immer wieder darüber diskutiert, welche Sanktionsmöglichkeiten es gibt und was man tun kann, damit Menschen eine Arbeit annehmen. Frau Kollegin
Kipping, Sie haben vorhin zum Ausdruck gebracht, dass
grundsätzlich jeder alimentiert werden sollte, auch ohne
dafür eine Leistung erbringen zu müssen. Das ist meines
Erachtens nicht sozial. Es gibt kein Recht auf Faulheit,
Frau Kipping. Vielmehr ist es so - das wird auch in der
Arbeitsgesetzgebung deutlich -, dass jeder Mensch,
auch derjenige, der sozialamtlich alimentiert wird, alles
daransetzen muss, seine Hilfsbedürftigkeit zu beenden.
({4})
Das ist letztendlich das Gebot des Sozialen, auch im
Sinne der vielen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und
im Sinne der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, die
unsere sozialen Sicherungssysteme finanzieren. Ich bin
überzeugt, dass diese Bundesregierung die richtigen
Wegmarken setzen wird, um weiterhin zu großer sozialer
Sicherheit für die Menschen einen Beitrag zu leisten.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Die Kollegin Anette Kramme hat jetzt für die SPDFraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Lieber Herr Straubinger, Sie haben gesagt,
in den Ländern, in denen Mindestlöhne existieren, würden andere soziale Verhältnisse herrschen als in der Bundesrepublik Deutschland. Darf ich Sie fragen: Ist Ihnen
bekannt, dass wir aufgrund Ihrer Politik im Niedriglohnsektor mittlerweile bedauerlicherweise eine Situation
ähnlich der in den USA haben?
({0})
Meine Damen und Herren, wir alle wissen: Die Zeiten
sind schwierig. Haushaltspolitik kann aber nur dann
funktionieren, wenn alle politischen Bereiche vorausschauend und vernünftig handeln. Das gilt für den Bundeshaushalt in gleicher Weise wie für den Gemeindehaushalt, für den Bundeshaushalt vielleicht sogar noch
ein klein wenig mehr. Es muss darum gehen, präventiv
zu handeln, damit Einschnitte in das Sozialsystem und
soziale Härten vermieden werden können.
({1})
Leider ist es manchmal so - in Zeiten wie diesen
umso häufiger -, dass die Unvernunft das politische
Handeln beherrscht. Manchmal kann man nicht sicher
sein, ob etwas einfach nur töricht oder bösartig ist.
({2})
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass Sie aktuell
nicht präsentieren, was Sie künftig an Einsparungen vornehmen wollen. Das würde uns alle sehr interessieren.
Offensichtlich ist es so, dass wir noch bis nach der Wahl
in Nordrhein-Westfalen warten müssen,
({3})
bis Sie die Katze, nein, besser: den Knüppel aus dem
Sack lassen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, über Maggie Thatcher
erzählte man sich ein Gerücht.
({5})
Man sagte, sie könne nichts Soziales sehen, ohne mit ihrer Handtasche darauf einzuprügeln. Ich frage mich: Wo
schlagen Sie zu, wen trifft Ihre Handtasche? Wir hören
an der einen oder anderen Stelle Andeutungen: Herr
Barthle von der Union fordert, dass die Beitragssätze zur
Arbeitslosenversicherung enorm heraufgesetzt werden.
Frau Homburger sagt: Kürzungsmöglichkeiten bei der
Bundesagentur für Arbeit.
({6})
Kommen wir zunächst zu den Beiträgssätzen bei der
Arbeitslosenversicherung. Sie wissen genau, dass diese
Wirtschaftskrise, was den Arbeitsmarkt angeht, mindestens bis zum Jahr 2013 dauern wird. Wenn Sie den Arbeitslosenversicherungsbeitrag stark erhöhen, werden
Sie jeden Beschäftigungsaufschwung abwürgen; das
sieht sogar die FDP so. Vor allen Dingen: Es wäre zutiefst sozial ungerecht, wenn Sie die Beitragssätze zur
Arbeitslosenversicherung heraufsetzen würden.
({7})
Das würde nämlich bedeuten, dass Geringverdiener die
Steuerentlastungen für Hoteliers finanzierten.
({8})
Meine Damen und Herren, es ist allgemein bekannt,
dass der Koalition, vor allen Dingen Herrn Niebel,
({9})
die Bundesagentur für Arbeit nicht sonderlich liegt. Ich
sage aber: Es ist unvernünftig, die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik gedankenlos zusammenzustreichen.
({10})
Zum einen haben wir mit einer vernünftigen Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahren erreichen können, dass
die Zahl der Arbeitslosen enorm gesunken ist, zum anderen haben wir erst vor einem Jahr eine Straffung bei den
Instrumenten vorgenommen.
({11})
Ich denke, es ist nur fair und sinnvoll, wenn wir zunächst
einmal evaluieren und dann darüber nachdenken,
({12})
ob weitere Handlungen erforderlich sind.
Zum Thema Kurzarbeit. Wer hat’s erfunden? Sie alle
kennen den hübschen Spruch der Ricola-Werbung. Olaf
Scholz war’s.
({13})
Es ist eine komplett falsche Politik, in der Wirtschaftskrise die Bedingungen für das Kurzarbeitergeld zu verschlechtern. Es gibt Betriebe, die bereit sind, auch im
dritten Jahr ihre Mitarbeiter zu behalten und dafür ihre
Eigenkapitalbasis anzugreifen. Es wird Unternehmen
geben, die erst jetzt in die Kurzarbeit müssen, weil sie
durch die wirtschaftlichen Umstände dazu gezwungen
sind. Es ist nicht einsichtig, wenn diese Betriebe, die
enorm schlechte Bedingungen hinzunehmen haben, jetzt
von Kürzungen beim Kurzarbeitergeld betroffen sind.
({14})
Davon abgesehen ist Kurzarbeitergeld wesentlich billiger als Arbeitslosengeld. Im Regelfall ist nur ein Drittel
der Arbeitszeit Kurzarbeit. Also geht es auch nur darum,
dass staatliche Finanzierung für ein Drittel des Lohnes
eingreift.
({15})
Ein weiteres Thema ist der Niedriglohnsektor. Sie
haben uns in Ihrem Koalitionsvertrag dargelegt, dass Sie
eine konsequente Politik der Ausdehnung des Niedriglohnsektors betreiben wollen.
({16})
Es ist unvernünftig, sich gegen Mindestlöhne zu stellen,
wie Sie es tun. Mit Mindestlöhnen in einer Höhe von
7,50 Euro pro Stunde könnten wir allein bei den Aufstockern circa 1,5 Milliarden Euro einsparen. Was Sie mit
den Hinzuverdienstgrenzen machen, ist völlig unklar.
Was soll das? Dies bedeutet nur eines: Es sind mehr Bezieher von Arbeitslosengeld II möglich, und vor allen
Dingen ist es möglich, dass mehr Unternehmen Lohndumping betreiben. Ergebnis ist die Ausdehnung des
Niedriglohnsektors, was für den gesamten Haushalt inkonsequent und unvernünftig ist.
({17})
Frau von der Leyen, Sie sagen immer, dass Sie sich
für Frauen einsetzen. Aber was machen Sie im Bereich
der Minijobs? Eine Ausdehnung von 400 auf 600 Euro.
In den letzten Jahren haben wir sehr genau beobachtet,
was in diesem Sektor passiert ist. Unendlich viele Vollzeitarbeitsplätze sind gegen Minijobs ausgetauscht worden. Auch dies belastet wegen der Aufstockung den
Haushalt.
Frau Kollegin, Sie denken an Ihre Redezeit?
Ich komme zum Ende. - Wir beobachten, dass Sie
keinerlei Initiativen für eine Politik für Arbeitnehmer
zeigen. Wir können Ihnen eine Menge Ideen aufzeigen.
Werden Sie bei der Leiharbeit konsequent tätig, machen
Sie dort Equal Pay, nicht nur die schlappen Ansätze, die
Sie dort aufzeigen. Machen Sie etwas beim Arbeitnehmerdatenschutz, und seien Sie mutig bei den Argen.
Herzlichen Dank.
({0})
Letzter Redner zum Einzelplan 11 ist der Kollege
Axel Fischer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kramme,
Sie haben eben von der Kurzarbeit gesprochen. Sie gab
es schon unter Konrad Adenauer; das will ich einmal
klarstellen.
({0})
Der Haushaltsentwurf, den wir heute diskutieren, orientiert sich am Entwurf der Großen Koalition, sprich: an
dem damaligen Entwurf des Bundesfinanzministers
Steinbrück. Ich verstehe Ihre Aufregung hier überhaupt
nicht. Das haben Sie damals mitgetragen.
({1})
Der Entwurf steht damit voll im Zeichen von Wachstumsbeschleunigung und zielt im Wesentlichen auf eine
Ankurbelung unserer Wirtschaft ab. Das ist auch gut so.
Schon in der letzten Legislaturperiode wurden unterstützende Maßnahmen ergriffen, die die neue Bundesregierung durch weitere wachstumsstärkende Maßnahmen
ergänzt hat. All dies spiegelt sich im Entwurf 2010 in der
Höhe der Nettokreditaufnahme wider. Die Überwindung
der Wirtschafts- und Finanzkrise und ihrer Symptome ist
nur mit wirtschaftlichem Wachstum möglich; mit Sparen
allein ist noch niemand reich geworden.
Wir müssen zu einem Grundsatz zurückkommen: Es
kann nur verteilt werden, was auch erwirtschaftet wird.
({2})
Längerfristig, das heißt, mit Blick auf Generationengerechtigkeit und gerechte Entlohnung für Lebensleistung,
muss das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne
Konsum auf Pump verwirklicht werden. Der von Frau
Ministerin von der Leyen vorgelegte Haushaltsentwurf
für den Einzelplan 11 zeigt in die richtige Richtung:
6,3 Prozent weniger als im ersten Entwurf. Insofern sind
wir auf einem guten Weg. Daran werden wir weiter arbeiten.
Des Weiteren haben wir gemeinsam mit Ihnen eine
Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen, die mit
dafür sorgen wird, dass der Haushalt auf einen guten
Weg kommt.
({3})
Dass aber in einer Zeit der Rezession eine sinkende Zahl
von Menschen immer mehr Geld bezahlen muss, um
eine zunehmende Zahl von Menschen zu finanzieren,
kann auf Dauer nicht gut sein. Deshalb muss der Staat
seine Ausgaben kritisch hinterfragen.
Meine Damen und Herren, eine Steuersenkung
würde sich nach Erkenntnissen des wirtschaftspolitischen Chefberaters von Präsident Barack Obama mit einem Faktor von 1,2 bis 1,5 positiv auf das wirtschaftliche Wachstum auswirken. Vor diesem Hintergrund ist es
klar und richtig, dass wir an dem Vorhaben einer Steuerreform mit Entlastungen festhalten, um unsere Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
({4})
Es ist auch völlig richtig, dass unsere Bundeskanzlerin
Angela Merkel mit Guido Westerwelle und Horst
Seehofer das vor wenigen Tagen noch einmal klargestellt hat.
({5})
Herr Steinmeier - es ist schön, dass Sie da sind -, Sie
sollten sich eines merken: Dafür, dass die Menschen immer besser leben, wie Sie gestern gesagt haben, ist nicht
allein der Staat zuständig.
({6})
Ihre gestrige Aussage unterstreicht lediglich Ihren Hang
zur fortwährenden Umverteilung. Mehr Umverteilung
führt nicht zu mehr Wohlstand. Der Kuchen wird dadurch nicht größer.
({7})
Meine Damen und Herren, wir kommen im Sozialbereich an einer Überprüfung von Leistungen nicht vorbei. Auch auf die Personal- und Sachmittel werden wir
im Rahmen der Haushaltsberatungen ein besonderes Augenmerk richten und dabei konsequent spezifische Stelleneinsparungen prüfen.
Bei der Suche nach Einsparpotenzialen müssen wir
auch die Bundesagentur für Arbeit genau in den Blick
Axel E. Fischer ({8})
nehmen. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit FrankJürgen Weise selbst hat kürzlich im Focus gesagt - ich
zitiere -:
40 Prozent unserer Arbeitsmarktsprogramme führen zu einer dauerhaften Beschäftigung. 60 Prozent
der Mittel sind also nicht sofort wirksam. Das muss
besser werden.
Wo er recht hat, hat er recht. Ob es allerdings Einsparpotenziale in Milliardenhöhe gibt, wie manche meinen,
wage ich sehr zu bezweifeln.
({9})
Dies müssen wir im Rahmen der Haushaltsberatungen
überprüfen.
Eines ist klar: Wir wollen nicht, dass das Sozialsystem als soziale Hängematte verstanden wird. Wir wollen, dass unser Sozialsystem als Sprungbrett zurück in
den Arbeitsmarkt verstanden wird. Solidarität ist keine
Einbahnstraße.
({10})
Es macht mich betroffen, wenn ich aus meinem Wahlkreis Briefe bekomme, in denen mir Menschen schreiben, dass sie ihren Arbeitsplatz verloren haben, weil das
Unternehmen, in dem sie jahrzehntelang beschäftigt
waren, aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise insolvent geworden ist. Diese Menschen verdienen unsere
Solidarität.
Aber es ärgert mich, wenn ich von Menschen höre,
die Hartz IV beziehen, nebenher schwarz dazuverdienen
und dadurch mehr Einnahmen haben als ein Geringverdiener. Diese Menschen haben unsere Solidarität nicht
verdient. Auch das muss man an dieser Stelle ansprechen.
({11})
Deshalb ist es gut, dass wir in Deutschland derzeit eine
Gerechtigkeitsdebatte führen, in die solche Punkte mit
hineingehören.
Im vorliegenden Haushaltsentwurf hat die Bundesregierung mit erhöhter Arbeitslosigkeit als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise gerechnet. Neben den steigenden Kosten für das Arbeitslosengeld II verursachen mehr
Arbeitslose auch höhere Verwaltungskosten. Das dafür
notwendige Geld muss bereitgestellt werden; denn wir
können und wollen die Arbeitslosen nicht im Regen stehen lassen. Unser Ziel ist es, sie möglichst zeitnah wieder in Arbeit zu bringen. Dieser finanzielle Mehraufwand soll und wird aber nach meiner festen
Überzeugung nicht von Dauer sein; denn die Arbeitslosigkeit wird wieder sinken. Dafür wollen wir alles tun.
Wenn unsere Politik für Wachstum und Beschäftigung
Erfolg haben wird - davon bin ich überzeugt -, dann
wird der Verwaltungsaufwand für die Verwaltung von
Arbeitslosen in absehbarer Zeit sinken. Dies ist der
Grund, warum die Einrichtung neuer dauerhafter Arbeitsplätze in der Arbeitslosenverwaltung nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss ist. Auch das werden
wir im Rahmen der Haushaltsberatungen debattieren
müssen.
({12})
Ich freue mich auf eine angeregte Debatte zu diesem
Thema.
Danke sehr.
({13})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie,
Einzelplan 09.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, dem Kollegen Brüderle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das
Wachstum in Deutschland ist zurückgekehrt. Der Welthandel hat seine Lethargie überwunden, vor allem dank
der Dynamik in Teilen Asiens. Davon profitiert die Exportnation Deutschland. Die Auftragsbücher füllen sich
allmählich wieder. Die Zuversicht kehrt zurück. Aber ich
möchte auch klar sagen: Wir werden noch zwei bis drei
Jahre brauchen, bis wir das Wohlstandsniveau von 2008
wieder erreicht haben.
Es gibt jedoch ermutigende Signale. Der Arbeitsmarkt ist erstaunlich robust. Von Horrorszenarien sind
wir weit entfernt. Dank Kurzarbeit, vernünftiger Abschlüsse der Tarifvertragsparteien auf dem Lohnmarkt
und flexibler Regelungen sind die befürchteten noch
stärkeren Auswirkungen gottlob ausgeblieben. Die Nettoreallöhne steigen das erste Mal seit fünf Jahren wieder
an. Die Menschen haben also netto mehr im Geldbeutel.
Deshalb lautet mein Appell an die Tarifpartner: Handeln
Sie weiter so verantwortungsvoll! Es geht zuerst um die
Sicherung von Beschäftigung. Daher sind maßvolle Tarifabschlüsse wichtig. Überzogene Lohnforderungen gefährden das zarte Konjunkturpflänzchen, zumal weitere
Entlastungen von der Steuerseite kommen.
Wir legen den ersten Entwurf eines Bundeshaushalts
der liberal-christlichen Koalition vor. Er steht im Zeichen des historischen Wachstumseinbruchs aus dem
letzten Jahr. Die Bewältigung der Wirtschaftskrise rechtfertigt die enorme Neuverschuldung. Wir müssen den
Rahmen weiter richtig setzen. Ab dem nächsten Jahr
brauchen wir eine Exit-Strategie. Das heißt: Raus aus
der massiven Beteiligung des Staates, runter mit den
Ausgaben, runter mit der Staatsverschuldung!
({0})
Der neuen Regierung geht es um Wachstum, Leistung
und Beschäftigung. Wir wollen Deutschland in die geordneten Bahnen der sozialen Marktwirtschaft zurückführen. Als Erstes entlasten wir die Familien mit Kindern. Hart arbeitende Mütter und Väter bekommen netto
mehr. Sie haben es verdient. Familien sind Leistungsträger. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Für die
Erhöhung des Kindergeldes sind 4,2 Milliarden Euro
und für die Erhöhung des Kinderfreibetrags 0,4 Milliarden Euro etatisiert. So kann kein falscher Eindruck in
der Diskussion entstehen.
Die liberal-christliche Koalition hat zudem dafür gesorgt, dass im Erbrecht Bruder und Schwester nicht
mehr wie Fremde behandelt werden. Familienmitglieder,
die sogar über den Tod hinaus füreinander einstehen,
sollen nicht durch den Fiskus bestraft werden.
({1})
Steuerpolitik ist auch Gesellschaftspolitik. Bei der
Steuerpolitik geht es nicht nur um konkrete Entlastungen. Es geht um das Verhältnis zwischen Staat und Bürger, zwischen Privat und Staat, zwischen eigenverantwortlicher Entscheidung und Kollektiventscheidung.
Hier wollen wir eine andere Balance.
({2})
Wir wollen keinen sozialen Untertan. Wir wollen freie,
mündige Bürger. Die Menschen wissen selbst am besten,
was sie mit ihrem Geld machen wollen.
({3})
Eine vernünftige Steuerpolitik ist auch immer Freiheitspolitik.
Eines ist allen in der Koalition klar: Wir werden sparen müssen. Im Haushalt des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie gibt es übrigens schon ein
leichtes Signal zur Konsolidierung. Gegenüber dem
ersten Regierungsentwurf sinkt das Volumen dieses Einzelhaushalts leicht ab. Es ist aber auch klar: Wir werden
nicht den Versuch machen, über Steuererhöhungen den
Haushalt zu sanieren. Durch Wachstum sanieren und
durch Sanieren wachsen, das ist die Konsolidierungsstrategie der Regierung.
({4})
Steuersenkungen und Haushaltssanierung sind zwei
Seiten derselben Medaille.
Ohne Wachstum gibt es keine Konsolidierung. Aber
ohne Konsolidierung gibt es auch weniger Wachstum,
denn die Menschen müssen darauf vertrauen können,
dass die Entlastung nachhaltig ist und dass die Schulden
von heute nicht die Steuern von morgen sind. Deshalb
gehört beides zwingend zusammen.
({5})
Sozialdemokratische Finanzminister haben 250 Milliarden Euro Schulden gemacht; da ist die Erblast aus
diesem Jahr noch nicht mitgerechnet. Zu oft wurde dabei
probiert, den Haushalt über Steuererhöhungen zu sanieren. Gelungen ist es nicht.
Jetzt wärmt die SPD den alten Vorschlag einer Vermögensteuer wieder auf. Sozialdemokraten wollen offenbar an die Unternehmenssubstanz.
({6})
Wir haben das Gegenteil gemacht. Wir haben die Besteuerung der Unternehmenssubstanz entschärft. Bei den
Unternehmenssteuern beseitigen wir die größten
Schnitzer. Ich nenne nur die Stichworte Zinsschranke
und Zurechnung bei der Gewerbesteuer. Auch die Erbschaftsteuer wird mittelstandsfreundlich verändert. Die
Voraussetzungen für eine steuerliche Verschonung des
Betriebsvermögens werden deutlich verbessert. Damit
erleichtern wir den Betriebsübergang und die Erhaltung
von Familienbetrieben, die gesellschaftspolitisch ganz
besonders wichtig sind. All dies ist konkrete Politik für
den Mittelstand.
({7})
Der Mittelstand muss weiter investieren können.
Manchmal geht es derzeit um überlebensnotwendige Liquidität. Es darf keine Kreditklemme geben. Da sind zunächst die Banken in der Verantwortung. Das Wirtschaftsministerium hilft den Unternehmen mit dem
Wirtschaftsfonds Deutschland. Der Fonds hat über
10 000 Unternehmen unterstützt. Das hat geholfen,
200 000 wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu sichern.
({8})
Da sind die Auswirkungen der KfW-Hilfen noch nicht
mitgerechnet. Damit wurden 700 000 Arbeitsplätze gesichert. Über 50 Prozent der Kreditsummen entfallen auf
mittelständische Unternehmen.
Aber wir gehen noch weiter. Ich nenne das Stichwort
Kreditmediator. Es wird aus dem Ansatz des Wirtschaftsministeriums ein Arbeitsstab finanziert; das ist
gut angelegtes Geld. Der Mediator soll - die Franzosen
haben gute Erfahrungen damit gemacht - zwischen betroffenen mittelständischen Unternehmen und Banken
vermitteln. Er macht keine Kreditprüfung und vergibt
auch keine Kredite, sondern soll Strukturen klären, helfen, falsche Einschätzungen zu beseitigen, und damit
versuchen, das Aufkommen einer Kreditklemme zu verhindern. Er soll ein unabhängiger Partner von Banken
und Unternehmen sein, der zwischen ihnen, zwischen
Angebot und Nachfrage vermittelt.
Ich bin übrigens erstaunt über die vereinzelte Kritik
aus Kreisen der SPD. Immerhin stand die Forderung
nach einem Kreditmediator im Deutschlandplan des
Kanzlerkandidaten.
({9})
Manchmal, Herr Heil, habe ich den Eindruck, dass Teile
der SPD in elf Wochen vergessen, was sie in elf Jahren
an Regierungspolitik in Deutschland gemacht haben.
({10})
Der neue Haushalt des Wirtschaftsministeriums steht
unter der Überschrift „Zukunft, Technologie und Innovation“. 2,3 Milliarden Euro fließen in die Technologieförderung. Wir geben mehr Geld für Forschung und Ent1378
wicklung aus als für Kohlehilfe. Das ist etwas Neues in
Deutschland.
({11})
Wir investieren in helle Köpfe statt in dunkle Schächte.
Wir investieren in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit.
Wenn Deutschland auch zukünftig an der Spitze sein
will, müssen wir unser Wachstumspotenzial steigern.
Darin liegt eine der strategischen Größen. Das Wachstum des Produktionspotenzials ist mit 0,75 Prozent bis
1 Prozent in Deutschland zu niedrig; wir hatten früher
2 Prozent bis 3 Prozent. Das müssen wir steigern, denn
das ist die nachhaltige Perspektive. Da muss
Innovations- und Technologiepolitik ansetzen. Ich will
zwei Bereiche aus dem Wirtschaftsministerium exemplarisch ansprechen: die Informations- und Kommunikationstechnologie sowie die Elektromobilität. Bei beiden
geht es um Vernetzung, Infrastruktur und neue Wertschöpfungsketten.
Das A und O bei der Informations- und Kommunikationstechnologie ist der Breitbandausbau. Wir brauchen in allen Gewerbegebieten nicht nur gute Verkehrsanbindungen, sondern auch ein schnelles Internet.
({12})
Die Erwartungen an die Telekommunikationsunternehmen sind entsprechend groß. Die weißen Flecken auf
der Breitbandlandkarte müssen beseitigt werden. Die
Bundesregierung flankiert hier mit Geld und auch dadurch, dass sie durch ein Auktionsverfahren Frequenzen
für zusätzliche Angebote und Anwendungsmöglichkeiten freigibt. Daneben geht es um neue Möglichkeiten, intelligente Stromnetze zu nutzen. Das hat positive Auswirkungen bis hin zum Klimaschutz. Für Informationsund Kommunikationstechnologien sind 118 Millionen
Euro vorgesehen.
Elektromobilität ist das zweite Schwerpunktthema.
Deutschland hat das Automobil einst erfunden.
({13})
Wir müssen es neu erfinden, mit einer anderen Antriebstechnologie. Die Elektromobilität ist der Ansatz dafür.
500 Millionen Euro werden für den Themenschwerpunkt Mobilität bereitgestellt.
({14})
Dabei geht es um weit mehr als um die Ersetzung des
Verbrennmotors durch den Elektromotor. Wir brauchen
neue Schnittstellen zwischen Stromnetzen und Autos.
Hier liegen große Chancen für unsere Industrie. Ich erwarte hiervon einen weiteren Innovationsschub, durch
den viele Bereiche unterstützt würden.
({15})
Das Wirtschaftsministerium und das Verkehrsministerium werden in Kürze eine gemeinsame Geschäftsstelle
Elektromobilität eröffnen. Dadurch erhält dieses Thema
zusätzlichen Schwung. Das Ziel ist 1 Million Elektrofahrzeuge in Deutschland im Jahr 2020. Mit Innovationen und einer besseren Mittelstandstechnologie können
wir gestärkt aus der Krise hervorgehen.
({16})
Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass - ich denke an
die heutige Presseberichterstattung - etwas zu unserem
Konzept, das Wettbewerbsrecht zu novellieren und ihm
das Instrument der Entflechtung hinzuzufügen, sagen.
({17})
Anders als berichtet, wird diese Regelung für alle Branchen der Wirtschaft gelten.
({18})
Das ist keine Regelung für einen Sektor, sondern generell ein letztes Mittel - die Amerikaner kennen den
„Sherman Antitrust Act“ seit über 100 Jahren -, um
klare Signale zu setzen. Mit anderen Worten: Wenn es
beim „Monopoly“ zu toll getrieben würde, hätte die Gemeinschaft ein Instrument, um korrigierenden Einfluss
auszuüben. Deshalb soll dieses Instrument in das Kartellrecht aufgenommen werden.
({19})
Lassen Sie mich eine weitere Anmerkung zur Energiepolitik machen. Wir alle wollen in das Zeitalter der
regenerativen Energien eintreten, und zwar möglichst
schnell. Wir wollen über die Verlängerung der Laufzeit
von Kernkraftwerken als Brückentechnologie zusätzliche Mittel generieren, um diesen Umstieg schneller zu
bewerkstelligen. Mehr Gelder sollen in Forschung und
Entwicklung fließen, etwa in die Speichertechnologien.
Wir werden die regenerativen Energien bei diesem Umbau letztlich nur dann umfassend nutzen können, wenn
wir eine entsprechende Speichertechnologie haben. Der
Wind weht nicht immer dann, wenn wir das Licht einschalten. Deshalb ist hier ein weiterer Schwerpunkt zu
setzen. Dadurch sollen viele Sektoren befruchtet werden.
Das Ziel ist ambitioniert. Wir wollen bis zur Sommerpause Klarheiten haben. Im Herbst, spätestens Ende Oktober, wollen wir ein Energiekonzept, das einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, vorlegen, was in elf Jahren
zuvor nicht geschafft wurde: Weder die Große Koalition
noch Rot-Grün haben ein solches Energiekonzept vorgelegt. Es ist Zeit, ein solches Konzept vorzulegen: Auch
auf europäischer Ebene wird über die Erarbeitung eines
solchen Konzepts diskutiert. Deshalb muss das auf nationaler Ebene geklärt sein. Der Ansatz ist, zusätzliche
Mittel zu generieren. Brückentechnologien brauchen
wir, weil wir nicht schnell genug über eine ausreichende
Menge an Zukunftstechnologien verfügen können. Bis
dies der Fall ist, ist ein längerer Weg zu beschreiten. Das
Ziel - auch andere verfolgen es; das gebe ich zu - wird
schneller erreicht, wenn wir in dem geplanten Umfang
zusätzliche Mittel investieren.
({20})
Ganz ohne Geld lassen sich Forschung und Entwicklung
nicht voranbringen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Unterstützung meines Haushalts.
Vielen Dank.
({21})
Der nächste Redner ist der Kollege Garrelt Duin für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, wir alle erinnern uns an die vielen Auftritte des
Kollegen Brüderle hier, nachdem der Haushalt der früheren Wirtschaftsminister aufgerufen worden ist. Wir müssen leider feststellen: Mit Blick auf seine immer wieder
gleichen Reden, die er hier über Jahre gehalten hat, ist
zwar ein Verlust an Originalität zu spüren, aber leider
kein Gewinn an inhaltlicher Schärfe oder Tiefe.
({0})
Herr Brüderle, wir haben hier im Rahmen der Regierungserklärung im November neun Minuten von Ihnen
gehört, ohne dass man hätte erkennen können, in welche
Richtung Ihre Politik eigentlich gehen soll. Das Gleiche
hat sich heute hier wiederholt. In den knapp 100 Tagen,
die Sie jetzt in diesem Amt sind, ist nichts von dem, was
Sie gemacht haben, als bleibender Wert in Erinnerung
geblieben. Eine Ausnahme: Sie haben in China die
Weinkönigin vorgestellt. Aber ich sage Ihnen ehrlich:
Genau das haben wir von Ihnen erwartet und gedacht.
({1})
Herr Brüderle, Sie sind - dessen müssen Sie sich
langsam bewusst werden - der Wirtschaftsminister einer
der größten Industrienationen der Welt. Das ist kein Job
in Altersteilzeit für verdiente Landesminister. Das ist
hier nicht der Vorruhestand. Füllen Sie dieses Amt als
Wirtschaftsminister einer der wichtigsten Nationen auf
der Welt endlich aus! Fangen Sie damit an!
({2})
Sie haben in Ihrer Rede natürlich auf die soziale
Marktwirtschaft Bezug genommen. Völlig richtig! Ludwig Erhard als einer derjenigen, die die soziale Marktwirtschaft in unserem Land vorangebracht haben, wird
von Ihnen oft zitiert. Das, was Sie aber nicht verstehen,
Herr Brüderle, ist, dass Erhards Antworten immer auf
der Höhe der Zeit gewesen sind. Ich bin sicher, dass er
gerade deswegen heute andere Antworten geben würde;
denn die Zeiten haben sich radikal verändert. Die Zeiten
sind nicht mehr die der 50er-Jahre. Das ist nicht mehr zu
vergleichen. Der Einzige, der noch mit dem Politikverständnis und mit den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der 50er-Jahre unterwegs ist, ist dieser Minister.
({3})
Ein bisschen nett zu den Leuten sein, ihnen jovial auf
die Schulter klopfen und sagen: Es wird so schlimm
schon nicht kommen. Die Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht. - Das ist das angestaubte Credo Ihrer
Politik. Das ist im persönlichen Umgang - das will ich
ausdrücklich sagen - durchaus angenehm. Aber es langt
nicht für dieses Amt. Vielleicht wären Sie ein guter
Kreditmediator geworden. Dafür haben Sie
5 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Ich habe
mir im Detail angeschaut, wofür diese 5 Millionen Euro
ausgegeben werden. Wenn Sie Kreditmediator geworden
wären, hätten Sie finanziell keine Einbußen hinnehmen
müssen. Was tut ein Mediator, wenn es hakt? Er lädt die
Leute zum Essen und Trinken ein. Wenn nichts dabei herauskommt, ist das egal, weil er niemandem Rechenschaft schuldig ist. Dieser Job wäre wie für Sie gemacht.
({4})
Leider hat Sie das Schicksal in Form von Herrn Westerwelle zum Minister gemacht. Da wird etwas anderes
gebraucht. Was ein Minister in diesem Amt braucht, ist
mehr Klarheit, mehr Entschlossenheit, mehr Mut, mehr
Wille, um den Betrieben, den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern zu sagen, wo die Perspektive für unser
Land ist. In einem Wort: Was wir brauchen, ist Tatkraft.
Die Rede, die Sie hier heute gehalten haben, hat diese
Tatkraft erneut vermissen lassen.
({5})
Aber man kann diese Tatkraft natürlich nur zeigen,
wenn man weiß, was man überhaupt erreichen will. Ich
sage Ihnen, was für ein Ziel Sie haben sollten, nämlich
die Voraussetzungen für Wachstum zu schaffen, quantitativ, aber eben auch qualitativ, um so - das muss das
Ziel sein - den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu
fördern. Den Zusammenhalt zu fördern, das muss die
Messlatte unseres Handelns sein. Ich bin überrascht,
dass Sie gerade gesagt haben: Wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung gehören zusammen. In Ihrer
praktischen Politik ist davon leider nichts zu spüren.
({6})
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung
gehören in der Tat zusammen. Das galt schon vor der
Krise und ist jetzt aktueller denn je. Wir brauchen einerseits ein Bewusstsein dafür, dass Wirtschaft und Gesellschaft eng zusammengehören. Wir brauchen andererseits
eine solidarische und nachhaltige Ökonomie, damit
diese Gesellschaft zusammenbleibt. Ich habe den Eindruck, dieses Bewusstsein fehlt Ihnen. Sie verschleudern
Ihre Kraft für Steuererhöhungen - Steuersenkungen natürlich, Entschuldigung.
({7})
- Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Westerwelle. - Sie
verschleudern Ihre Kraft, Herr Brüderle, für Steuersenkungen, anstatt sich um die Liquidität wertschöpfender
Betriebe zu kümmern.
({8})
Ihre Haltung, wie Sie das mit der Liquidität bei den
wertschöpfenden Betrieben machen wollen, ändert sich
alle naselang. Sie haben jetzt gerade nichts dazu gesagt.
Im November letzten Jahres hieß es bei Ihnen:
Wir werden die Kreditanstalt für Wiederaufbau in
ihrer Funktion als Mittelstandsbank stärken.
Dazu haben Sie jetzt nichts gesagt. Im Ausschuss haben
Sie erklärt: Wir denken darüber nach, das Hausbankprinzip temporär auszusetzen. Was ist aus dieser Idee geworden? Wollen Sie das immer noch, oder nehmen Sie diese
Idee zurück? Ich jedenfalls höre aus der Koalition oft unterschiedliche Töne.
Im Übrigen will ich Sie noch einmal zitieren. Folgendes haben Sie vor gut einem Jahr in der Haushaltsdebatte
gesagt:
Wer jetzt nicht entschieden handelt, versündigt sich
an der Entwicklung. Wir können nicht länger auf
Impulse der Weltwirtschaft warten. Wir können uns
nicht länger auf den Export verlassen.
…
Wir brauchen einen kräftigen zusätzlichen Impuls.
…
Wir brauchen jetzt Nachfrage und ein Ankurbeln
der Binnenkonjunktur, …
Wenigstens an Ihren eigenen Ansprüchen, Herr Brüderle, müssen Sie sich doch messen lassen. Wir brauchen in der Tat eine neue Balance von Export einerseits
und Binnennachfrage andererseits. Aber kein einziges
Institut, niemand, der sich ernsthaft damit beschäftigt, ist
in der Analyse Ihres sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes zu dem Schluss gekommen, dass es auch
nur einen Hauch von Stärkung der Binnennachfrage mit
sich bringen würde. Das, was Sie da auf den Weg gebracht haben, führt zur Entlastung einiger weniger,
bringt aber für das, was wir wirklich brauchen, nämlich
einen kräftigen Schub - das sind ja Ihre Worte -, überhaupt nichts, Herr Brüderle. Das ist ausgesprochen enttäuschend.
({9})
Was wir brauchen, ist eine Auseinandersetzung
- dazu haben Sie nichts gesagt - mit den entscheidenden
Zukunftsfragen: Wie können wir dafür sorgen, dass in
den nächsten Jahren neue zukunftsfähige Arbeitsplätze
entstehen? Wie können wir die Leitmärkte von morgen
erschließen? Welchen Ordnungsrahmen brauchen wir
dafür? Bei all diesen Fragen spielen natürlich die Energieversorgung, aber auch die Entwicklung anderer Branchen eine wichtige Rolle. Aber nur eine Entflechtung vorzunehmen, wird da nicht ausreichen. Eine solche
Forderung ist nichts anderes als eine Nebelkerze. Wir
brauchen vielmehr Antworten zum Beispiel auf folgende
Fragen: Mit welchen Anreizen können wir bei der ökologischen Modernisierung des Maschinenparks in Deutschland vorankommen? Wie stellen Sie sich die Förderung
von Forschung und Entwicklung im Mittelstand vor?
Auf all diese Fragen, ob es um die Energieversorgung
oder anderes geht, antworten Sie: Ja, das machen wir im
Sommer. Ja, das machen wir im Oktober. - Vertagen und
verzagen, das ist das Motto dieses Wirtschaftsministers.
({10})
Die Antworten auf die Zukunftsfragen kann man nur
finden - Sie haben dazu ein bisschen gesagt -, wenn
man sich die Arbeitsteilung der Akteure verdeutlicht.
Um in diesen Punkten voranzukommen, muss man sich
fragen: Was hat der Staat, was hat der Markt, was haben
die Bürgerinnen und Bürger für eine Funktion?
Erstens brauchen wir - das ist unzweifelhaft - eine
Erneuerung der Industrie: Die Betriebe im Mittelstand
müssen mit Liquidität ausgestattet werden, aber auch
junge Unternehmen mit innovativen Ideen; denn sie sind
der Motor der Entwicklung, sie stellen die Zugkraft dar,
um unseren Wohlstand auf hohem Niveau sichern zu
können. Dazu brauchen wir aber ordnungspolitische
Klarheit und natürlich auch Anreizprogramme, die wieder eine neue Investitionskultur in Deutschland ermöglichen. Das Wort „Investitionen“ kommt in Ihrem Koalitionsvertrag genau ein einziges Mal vor. Dann muss man
sich natürlich nicht wundern, dass da wenig passiert.
Neben der Stärkung dieser Faktoren braucht man
zweitens zwingend auch öffentliche Investitionen in Innovationen und Infrastruktur. Wir brauchen jetzt noch
keine Exit-Strategie, sondern wir brauchen Ideen dafür,
wie auch von öffentlicher Seite aus Investitionen gestärkt werden können. Wer dieses ignoriert, sollte sich
über die derzeit stattfindende Debatte nicht wundern;
denn öffentliche Investitionen erfordern einen handlungsfähigen Staat. Sie haben gerade von Ihrem Staatsbild gesprochen. Auch ich will keinen fetten, selbstgerechten, die Menschen bevormundenden oder ihre
Freiheit beschränkenden Staat,
({11})
jedoch einen handlungsfähigen und - ich füge hinzu auch einen von den Bürgerinnen und Bürgern anerkannten Staat, also einen Staat, der seine Reputation nicht
aufs Spiel setzt.
({12})
Beides, Herr Brüderle und liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP, die Handlungsfähigkeit und die
Anerkennung, wird durch Sie jeden Tag untergraben und
beschädigt, und zwar bewusst und absichtlich. Das entspricht nämlich Ihrer Ideologie.
({13})
Man braucht zum Beispiel für die Handlungsfähigkeit
des Staates stabile Kommunen. Zwei Drittel der Infrastrukturinvestitionen werden dort getätigt. Sie jedoch
tragen die Verantwortung dafür, dass die Kommunen
jetzt in eine massive Krise kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
im letzten Jahr haben wir noch gemeinsam Milliardenhilfen auf den Weg gebracht, um die Städte und Gemeinden dabei zu unterstützen, längst Überfälliges endlich zu
realisieren, zusätzliche Investitionen tätigen zu können.
Wir haben damit die Fähigkeiten vor Ort mobilisiert und
damit auch das Handwerk und den Mittelstand - Stichwort: Vergaberecht - vor Ort gestärkt. Jetzt lassen Sie
sich von der FDP genau das Gegenteil diktieren. Wie
können eigentlich Sie von der CDU, einer Partei, die in
vielen Orten mit Bürgermeistern und Kommunalpolitikern vor Ort Verantwortung für die Menschen in ihrer
Heimat trägt, noch ruhig schlafen, wenn Sie wider besseres Wissen diese katastrophale Lage der Kommunen
mitverursachen? Ich kann das nicht verstehen.
({14})
Lassen Sie mich abschließend sagen: Noch schlimmer ist das Bild - das meinte ich mit meinen Worten von
der Anerkennung des Staates durch die Bürgerinnen
und Bürger -, das insbesondere von Ihnen von der FDP
vom Staat gezeichnet wird.
Die Aussage, der Staat sei ein „teurer Schwächling“,
ist nicht nur eine Frechheit und eine unglaubliche
Dummheit derer, von denen sie kommt; darüber hinaus
ist es für unsere Gesellschaft auch gefährlich, den Staat
und seine handelnden Ebenen zu verunglimpfen, verächtlich zu machen und den Privaten in jeder Frage den
Vorrang zu geben. Ich bin sicher: Polizisten, Lehrer, Erzieherinnen, Richter, Staatsanwälte, Krankenschwestern
und Ärzte, die im öffentlichen Dienst tätig sind, sind
keine Repräsentanten eines Schwächlings; vielmehr sind
sie die Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft und den Wohlstand in Deutschland.
({15})
Das ist es, was Ihnen fehlt, Herr Brüderle, was Ihrer
Partei fehlt, was der ganzen Bundesregierung, die ja leider mehr vom FDP-Programm als von allem anderen geprägt ist, fehlt: der Sinn dafür, dass wir gerade im Bereich der Wirtschaft eine Politik brauchen, die das
Gemeinwohl im Mittelpunkt sieht. Sie stehen für eine
schlechte Mischung aus Egoismus und Stillstand.
Deutschland aber braucht Gemeinschaft und Fortschritt.
Deswegen will ich mit einem Zitat von Ihnen, Herr
Brüderle, schließen. Sie haben, gerichtet an die Bundeskanzlerin, die uns leider schon verlassen hat,
({16})
im November 2006 hier eine Haushaltsrede mit folgenden Worten beendet:
Frau Kanzlerin, befreien Sie Ihre Regierung vom
Mehltau der unteren Mittelmäßigkeit!
({17})
Dem kann ich mich nur vollinhaltlich anschließen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz
zu Ihnen, Herr Kuhn, habe ich etwas Rechtes gelernt und
auch gearbeitet und nicht bloß blöd dahergeredet. Insofern habe ich bezüglich meiner Vergangenheit nichts zu
bereuen.
({0})
Deutschland ist bisher besser durch die Krise gekommen, als wir es im letzten Jahr noch befürchtet haben.
Das Wirtschaftswachstum ist um 5 Prozent statt um
6 Prozent zurückgegangen; dennoch ist es der größte
Rückgang, den wir in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland jemals zu verzeichnen hatten. Der
Rückgang machte sich im vergangenen Jahr auch in der
Industrie deutlich bemerkbar: Er wird bei voraussichtlich 15 bis 18 Prozent liegen. Auch was die Verschuldung anbelangt, sind wir, zumindest in 2009, mit circa
3 Prozent noch mit einem blauen Auge davongekommen. In Großbritannien, den USA und Frankreich sind
es 10 bis 15 Prozent. Dort ist die kumulierte Verschuldung innerhalb von einem oder zwei Jahren von einem
deutlich niedrigeren Niveau aus als in Deutschland verdoppelt worden, und zwar von 40 auf 80 Prozent. Das ist
eine Größenordnung, die auch für uns gelten wird.
Auch der Arbeitsmarkt ist bisher vergleichsweise
ungeschoren davongekommen. Statt der befürchteten
5 Millionen Arbeitslosen hatten wir im Jahresdurchschnitt 3,4 Millionen Arbeitlose. Das ist allerdings differenziert zu betrachten: In bisher schwierigen Regionen,
zum Beispiel in Ostdeutschland, ist die Arbeitslosigkeit
in 2009 sogar zurückgegangen, während sie in anderen
Regionen - ich komme aus der Region Stuttgart - um
30 Prozent gestiegen ist.
Es ist also gelungen, zu stabilisieren und den totalen
Absturz zu verhindern, international durch eine beispiellose und beispielhafte gemeinsame Aktion, die aus meiner Sicht noch nicht abgeschlossen sein darf - ich werde
gleich noch darauf zu sprechen kommen -, national
durch Konjunkturprogramme. Da hat auch die bisherige
Große Koalition gute Arbeit geleistet, zum Beispiel
durch die Kurzarbeiterregelung. Unorthodoxes Handeln war hier richtig, um zu stabilisieren und das notwendige Vertrauen zu schaffen. Das erleichtert den erforderlichen Aufbau.
({1})
Jetzt befinden wir uns im Jahr 2010, das sicher zu einem Schicksalsjahr und dem Jahr der Wahrheit werden
wird: Ist der Tiefpunkt wirklich erreicht, und geht es
wieder aufwärts? Schaffen wir es vor allem, einen
selbsttragenden Aufschwung zu organisieren? Die momentane Lage ist im Wesentlichen durch die Konjunkturpakete und die staatlichen Aktivitäten erreicht worden,
({2})
was sich im Jahr 2010 entsprechend niederschlagen
wird. Ziel muss aber sein, einen selbsttragenden Aufschwung zu erreichen und zu organisieren.
Zentrales Thema ist in diesem Zusammenhang die Sicherung der Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft auch im Aufschwung. Ich unterstütze deshalb vorbehaltlos und nachdrücklich, was die Bundesregierung
bisher auf den Weg gebracht hat: Überarbeitung des Kredit- und Bürgschaftsprogramms im Rahmen des Wirtschaftsfonds, längere Laufzeiten für Investitionskredite,
Flexibilisierung der Zinsbindungsfristen, Betriebsmittelkredite und andere Dinge mehr. Auch der Kreditmediator wird helfen, die Situation zu verbessern.
({3})
Diese positive Entwicklung und die ersten Anzeichen,
dass der Anleihemarkt wieder in Bewegung kommt, sodass sich Großunternehmen wieder besser refinanzieren
können, sind ermutigend. Trotzdem steht zu befürchten,
dass wir in diesem Jahr, auch wenn es aktuell noch keine
Kreditklemme gibt, in Schwierigkeiten kommen können.
Deshalb müssen wir hier weiter justieren und weiter arbeiten. Wir werden das, Herr Duin, mit einem klaren
ordnungspolitischen Kompass tun. Den haben wir. Wir
werden das Hausbankprinzip bei der KfW nicht durchbrechen.
({4})
Etwas anderes macht keinen Sinn. Wir haben gemerkt,
dass die KfW viel Positives bewegt hat. Aber es hat
lange gedauert, die Dinge entsprechend umzusetzen.
Jetzt sind wir dabei, dass wir etwas schneller, was die
Fristen anbelangt, handeln können. Wir wollen aber
nicht, wie gesagt, das Hausbankprinzip durchbrechen.
Ich denke, es ist besser, das Konzept der Globaldarlehen mit Portfoliogarantie umzusetzen. Dieses ist ein
intelligentes Instrument, mit dem die KfW den Kreditinstituten Nachrangrisiken abnimmt, finanziert aus einem Topf, der die Mittel für Kredite beinhaltet. Es gibt
also keine Rosinenpickerei. Das führt zu einer Entlastung der Banken. Wir werden dafür sorgen - das kann
über die KfW geschehen -, dass die so zur Verfügung
stehenden Mittel direkt in die Kreditversorgung fließen.
Dann wird ein Schuh daraus. Das ist ordnungspolitisch
richtig.
Neben diesen Kreditmaßnahmen werden wir ein
internationales Regulierungssystem - die Bundeskanzlerin hat dies gestern angesprochen -, das von der
G 20 auf den Weg gebracht wurde, unterstützen. Es wäre
ja gelacht, wenn wir im 21. Jahrhundert nicht in der
Lage wären, ein zeitgemäßes und wirksames Regulierungssystem zu schaffen. Das Fenster ist da, und dieses
Fenster müssen wir nutzen.
Aber auch national ist die Aufsicht des Finanzsektors
auf den Prüfstand zu stellen. Ich bin der Meinung, dass
die Bündelung der Finanzaufsicht in einer Hand, also
eine Allfinanzaufsicht, durchaus Sinn macht und Synergieeffekte bringt. Wir können dies auch so organisieren,
dass die Unabhängigkeit der Bundesbank hinsichtlich ihrer klassischen Zuständigkeit bei geldpolitischen Angelegenheiten gewährleistet ist.
({5})
- Selbstverständlich. Allfinanzaufsicht heißt: mit Versicherungen. Das meine ich damit.
Wir wollen und werden Möglichkeiten finden, um zukünftig zu verhindern, dass sich solche Dinge wiederholen. In den USA gibt es im Moment den Versuch, die Beteiligten quasi rückwirkend an der Refinanzierung der
Mittel zu beteiligen. Manche sind nicht mehr auf dem
Markt. Manche, die keine Mittel benötigten, kommen
jetzt ebenfalls in das Obligo. Ob das der richtige Weg ist,
wage ich zu bezweifeln.
Ich halte es für viel sinnvoller, wenn wir in die Zukunft blicken und dafür sorgen, dass sich so etwas nicht
wiederholen kann. Wir brauchen eine Art Krisenpräventionsfonds als weitere Säule, ähnlich dem Einlagensicherungsfonds. Dies hat Herr Ackermann vorgeschlagen. In diese Richtung muss es gehen. Dieser Fonds ist
natürlich nicht durch den Staat zu füllen, sondern er ist
durch diejenigen zu füllen, die im Falle einer Krise für
eine Stabilisierung verantwortlich sind. Das heißt, die
Banken, die in der Zukunft hoffentlich wieder erfolgreich sind, müssen diesen Fonds füllen. Das ist eine in
die Zukunft gerichtete Lösung.
({6})
Ich möchte - die Zeit schreitet schnell voran - noch
kurz auf zwei Punkte eingehen, die zeigen, wie wir
Wachstum generieren können. Es wird unsere Hauptaufgabe in diesem Jahr sein, selbstständiges Wachstum zu
generieren, damit es höhere Steuereinnahmen gibt. Der
Bundesfinanzminister - ich sehe, er ist anwesend - hat
es dieser Tage in seiner Rede zur Einbringung des Haushalts angesprochen: In diesem Jahr haben wir Mindereinnahmen in Höhe von 43 Milliarden Euro aufgrund
der Wirtschafts- und Finanzkrise, die uns als Steuereinnahmen fehlen. Nur durch mehr Wachstum wird es uns
gelingen, diese Einnahmen wieder zu generieren. Insofern ist die Förderung von Wachstum die beste Konsolidierungs- und Sanierungspolitik, die wir machen können.
({7})
Wenn wir es aber allein mit Wachstum nicht schaffen
können, werden wir im nächsten Jahr selbstverständlich
konsolidieren.
Wie aber wollen wir Wachstum schaffen? Ich nenne
hier - Herr Brüderle hat es bereits angesprochen - den
Energiebereich. Ein Stichwort in diesem Zusammenhang ist: Energieeffizienz als Königsweg. Wir können
mit neuen, innovativen Ansätzen und Dienstleistungen,
die wir auch exportieren können, ein Vorbild für die Welt
sein. Damit schaffen wir eine Win-win-Situation, indem
wir neue Technologien und Dienstleistungen, die Wachstum schaffen, einführen, Arbeitsplätze sichern und beim
Klimaschutz Gutes bewirken.
Wir werden die erneuerbaren Energien sinnvoll ausbauen. Wir legen gerade eine Revision des Bereichs der
Fotovoltaik vor, wo Überförderungen bestehen. Es geht
darum, diese zurückzuführen, zu beschneiden und mit
einem intelligenten Ansatz in die Zukunft zu gehen, der
sogar eine Erhöhung der Ziele im Bereich der Fotovoltaik im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien bedeutet.
Es geht auch darum, intelligente Anreize zu setzen,
zum Beispiel beim Eigenstromverbrauch. Bisher können
im Bereich der Ein- und Mehrfamilienhäuser gerade einmal 20 Prozent des Bedarfs mit Eigenstrom abgedeckt
werden. Wenn wir dort Anreize setzen, kann neue Technologie zum Einsatz kommen, die eine Speicherung von
Energie ermöglicht und wiederum zum Exportschlager
werden kann. So können wir die Eigenstromversorgung
auf 40 bis 60 Prozent des Bedarfs steigern und damit Investitionen in den Ausbau des Verteilungsnetzes einsparen. Auch das ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten; so wird Wachstum geschaffen.
({8})
Wir werden den volkswirtschaftlichen Nutzen in
Höhe von bis zu 250 Milliarden Euro, den eine Verlängerung der Laufzeiten der sicheren deutschen Kernkraftwerke mit sich bringt, auch für die Generierung von
Wachstum und die Steigerung der Energieeffizienz einsetzen.
({9})
- Mir kommt jemand zur Hilfe, damit ich noch ein bisschen reden kann. Vielen Dank.
Sie möchten die Zwischenfrage zulassen? - Bitte
schön.
Herr Kollege Pfeiffer, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Sie haben eben über die bei einer Laufzeitverlängerung zu erwartenden Erlöse gesprochen. Sind Sie, wenn
es möglich ist, so viel Geld in der Atomwirtschaft zu generieren, der Meinung, dass sich die Atomwirtschaft
vollumfänglich an den Kosten der Entsorgung von
Atommüll beteiligen sollte?
({0})
Gilt dies insbesondere für die Milliardenkosten, die in
Verbindung mit dem Endlager Asse auf uns zukommen,
und für EnBW, von der 60 Prozent des Mülls in der
Asse stammen? Bleibt denn für Ihr großes Projekt, die
erneuerbaren Energien bzw. die Solarenergie querzusubventionieren, noch etwas übrig, wenn man alle Kosten der Atomenergie mit einpreist?
({1})
Vielen Dank für diese Frage, die in der Tat wichtig
und richtig ist. Sie ist nicht einfach zu beantworten. Erlauben Sie mir deshalb, ausführlich darauf einzugehen.
({0})
Ich möchte Ihre Frage gerne beantworten.
In der Tat bringt eine Laufzeitverlängerung einen
volkswirtschaftlichen Nutzen von bis zu 250 Milliarden Euro, die sonst unwiederbringlich verloren gingen.
Dieser volkswirtschaftliche Nutzen darf und soll nicht
nur als betriebswirtschaftlicher Gewinn bei den großen
Vier ankommen. Vielmehr wollen wir diese Mittel einsetzen, um die Energieeffizienz, die Speichertechnologie
und die Systemintegration der erneuerbaren Energien zu
verbessern. Damit haben wir die Chance, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Wachstum zu generieren, Arbeitsplätze zu sichern und der Umwelt etwas Gutes zu tun.
Die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke, die uns im Moment Emissionen in Höhe von
über 150 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ersparen - das
sind 20 Prozent der Emissionen in Deutschland -, führt
dazu - ({1})
- Ich komme sofort darauf zu sprechen. Es handelt sich
schließlich um ein Gesamtkonzept, das ich Ihnen darlegen muss. Herr Friedrich hat das Konzept bisher nicht
verstanden. Deshalb hat er darum gebeten, dass ich es erläutere; das mache ich gerne. - Das Gesamtkonzept sieht
vor, dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien an
der Energieversorgung bis 2020 auf 30 Prozent oder
mehr steigern. Wenn wir die Kernenergie im jetzigen
Umfang beibehalten - ({2})
- Da gibt es eine weitere Frage. Wir können sie gerne
hinzunehmen.
({3})
Bitte beantworten Sie erst einmal die erste Frage.
Okay, dann gehe ich weiter auf die Frage ein.
Wir haben dann in 2020 die Chance, 60 Prozent und
mehr CO2-freien, versorgungssicheren und wettbewerbsfähigen Strom für den Standort Deutschland zu erzeugen.
({0})
Jetzt komme ich zur Frage der Entsorgung.
({1})
Selbstverständlich ist die Entsorgungsfrage zu lösen.
Wir haben uns in Deutschland entschlossen, den Brennstoffkreislauf nicht zu schließen, wie es in anderen Ländern der Fall ist, so in Frankreich und in Japan,
({2})
also keine Wiederaufarbeitung vorzunehmen. Deshalb
haben wir gesagt: Wir gehen im Entsorgungsbereich den
Weg der Endlagerung.
({3})
- Moment, wenn Sie mich immer unterbrechen, werden
wir heute gar nicht fertig. Aber ich habe Zeit; ich habe
mir nichts weiter vorgenommen.
({4})
Wir haben uns also für die Endlagerung entschieden.
95 Prozent des Volumens haben wir jetzt im Sack, indem
wir den Schacht Konrad rechtssicher im Bau haben; er
wird ab 2013 in Betrieb gehen. Bleibt noch eine Größenordnung von 5 Prozent des Volumens im Zusammenhang mit der Endlagerung von hochradioaktiven Substanzen.
({5})
- Ich komme noch auf Asse zu sprechen. - Was machen
wir mit diesem Volumen? Wir haben einen nachvollziehbaren, an international üblichen Kriterien orientierten
Prozess gestartet, indem wir Gorleben einer Prüfung unterziehen. Das hat Ihr komischer Herr Trittin durch ein
Moratorium verhindert.
({6})
Er sagt immer, die Frage der Endlagerung sei nicht gelöst, hat aber alles unternommen, dass die Endlagerung
nicht vorangetrieben werden kann.
({7})
Wir werden sie jetzt vorantreiben. Wenn wir weitere Untersuchungen durchführen, dann werden wir wissen, ob
dieser Standort geeignet ist oder nicht. Wenn wir dies
nicht tun, dann werden wir es auch nicht wissen.
({8})
Jetzt komme ich zu Asse.
({9})
Asse ist natürlich für alle Beteiligten kein besonderes
Ruhmesblatt. Als Versuchskraftwerk wurde es im Übrigen nicht von der Wirtschaft und von Unternehmen, sondern von staatlicher Seite initiiert.
({10})
- Ein Endlager; vielen Dank für den Hinweis.
Jetzt besteht die Frage - dafür gibt es ein Konzept -:
Können wir den Müll dort herausholen?
({11})
- Diejenigen, die es verursacht haben. Das Verursacherprinzip ist hier ziemlich klar nachzuvollziehen. Das können Sie in einem Protokoll vom Frühjahr letzten Jahres
nachlesen, als der zuständige Minister, ein Herr Gabriel,
den Sie wohl kennen, hier an diesem Pult eindeutig gesagt hat: Es gibt keine rechtlichen Möglichkeiten. Verursacherprinzip heißt letztlich, dass diejenigen zahlen, die
etwas verursacht haben, also in diesem Fall der Staat.
({12})
In den Laufzeitverlängerungsgesprächen haben wir
die Chance, dies zu thematisieren und einen Beitrag der
Unternehmen zu erreichen. Dann entsteht ein Gesamtkonzept, und es wird ein Schuh daraus.
({13})
Es gab aber eine weitere Frage.
Herr Pfeiffer, angesichts des Zeitumfangs Ihrer Beantwortung lasse ich nur noch diese Zwischenfrage zu.
({0})
Frau Hendricks, bitte.
Frau Präsidentin, ich möchte übrigens keine Frage
stellen, sondern eine Zwischenbemerkung machen, was
nach dem Protokoll ja möglich ist. Ich erwarte also keine
Antwort.
({0})
- Zwischenbemerkungen sind nach der Geschäftsordnung erlaubt. Das steht in § 27. Ich erwarte also keine
Antwort.
Ich darf zunächst Ihnen, Frau Präsidentin, sagen: Ich
hätte eine geschäftsleitende Bemerkung von Ihnen zu
der Art und Weise erwartet, wie der Kollege mit seiner
Antwort umgegangen ist. Aber das ist eine Kritik, die
man vielleicht an anderer Stelle vertiefen kann.
({1})
Jetzt komme ich zu meiner Zwischenbemerkung.
Nach den Reden des Herrn Minister Brüderle und nach
den Aussagen des Herrn Kollegen Pfeiffer stelle ich fest:
({2})
Dies ist die Regierung, die Koalition der Alchimisten.
Wie Sie wissen, haben die Alchimisten immer versucht,
Gold zu schaffen. Sie haben jetzt schon zwei Punkte benannt, wie Sie Gold - mit anderen Worten: bleibenden
Wohlstand für die Menschen in Deutschland - schaffen
wollen. Das eine sind völlig unsinnige und nicht verantwortbare Steuersenkungen,
({3})
und das andere ist nach Aussage des Kollegen Pfeiffer
die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke.
Diese Regierung der Alchimisten hat also schon zwei
Perpetuum mobile erfunden und erklärt den Bürgerinnen
und Bürgern allen Ernstes,
({4})
damit sei der Wohlstand für die Zukunft zu gewinnen.
Ich bedauere sehr, dass offenbar keine anderen, tiefer gehenden Gedanken in dieser Koalition und in dieser Regierung zu finden sind.
({5})
Frau Präsidentin, was sagen Sie denn jetzt?
Frau Kollegin Hendricks, unabhängig davon, ob Sie
eine Antwort erwarten oder nicht, muss der Kollege
Pfeiffer natürlich die Chance haben, zu antworten.
({0})
Wir sind nicht bei Grimms Märchenstunde.
({0})
Ich habe versucht, darzulegen, wie wir in den verschiedenen Sektoren des Energiebereichs Wachstum schaffen
wollen. Das wird eine zentrale Aufgabe sein. Ich habe
die Energieeffizienz, die erneuerbaren Energien und die
weitere Nutzung der Kernkraft angesprochen. Es gäbe
weitere Dinge hinzuzufügen, zum Beispiel die grüne
Kohle, sprich CCS.
({1})
Bei dieser Technologie steht Deutschland an der Spitze;
diese Technologie können wir einsetzen.
Mit all dem schaffen wir Wachstum. Das ist keine Alchemie, sondern diese Maßnahmen sind geeignet, um einen Wachstumsbeitrag zu leisten, damit wir mehr
Steuereinnahmen generieren und letztlich einen Beitrag
zur Konsolidierung des Haushalts leisten können.
({2})
Frau Hendricks hat sich wieder hingesetzt. Dann
werde ich jetzt mit meiner Rede fortfahren.
Sie haben noch 30 Sekunden.
({0})
Wir werden darüber hinaus in Bildung - es wurde angesprochen -, in Familien, Innovationen, Forschung und
Entwicklung investieren.
({0})
Wir werden eine steuerliche Forschungsförderung einführen.
({1})
Wir wollen das ZIM-Programm ausbauen, mit dem wir
große Erfolge erzielt haben - leider kann ich das nicht
weiter ausführen -, dessen Geltungsdauer wir gemeinsam verlängert und dessen Geltungsbereich wir auf die
alten Bundesländer ausgedehnt haben.
({2})
Das werden wir im nächsten Jahr hoffentlich auch so
beibehalten. Das ist die beste einzelbetriebliche Förderung, um langfristig Wachstum zu schaffen
({3})
und den Haushalt zu konsolidieren.
Wir sind in unserer Wunschkonstellation auf dem
richtigen Weg. Wir werden Herrn Brüderle mit Wort und
Tat unterstützen und ihn auf dem richtigen Weg halten.
Herr Brüderle, wir sind uns einig: Wir brauchen Freiheit,
um Wachstum nach vorne zu bringen.
({4})
Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Linke steht für eine Wirtschaftspolitik, die zu mehr sozialer Gerechtigkeit und Stabilität beiträgt, die Mittelstand und Existenzgründern Zukunftschancen eröffnet
und nicht verbaut, und die Arbeit schafft, von der Beschäftigte auch gut leben können.
({0})
Einem solchen Anspruch wird der Etat des Bundeswirtschaftsministers in keiner Weise gerecht. Eigentlich
schlimmer noch: Er setzt sich keine Ziele und stellt auch
keine Ansprüche,
({1})
abgesehen von der beabsichtigten Rolle rückwärts bei
der Atomenergie.
Ich glaube, in den letzten Minuten ist eines deutlich
geworden: Mit dieser Rolle rückwärts in Sachen Atomenergie werden all Ihre Beschwörungen zur Förderung
erneuerbarer Energien in diesem Lande total unglaubwürdig. Das haben wir jetzt begriffen.
({2})
Für die Öffentlichkeit will ich diesen Etat zunächst
ein bisschen einordnen. Wir reden von 6 Milliarden Euro
bei weit über 300 Milliarden Euro im Gesamtetat. Zieht
man davon die Subventionierung der Steinkohle und Ihrer Raumfahrtlobby ab, bleiben etwa 4,5 Milliarden
Euro, das sind 1,5 Prozent des Gesamtetats. Nur zum
Vergleich: Im vergangenen Jahr wurden allein für das Instrument Abwrackprämie 5 Milliarden Euro eingesetzt.
Mir ist natürlich klar, dass auch anderswo Wirtschaftspolitik gemacht wird. Allein in der BA wird über das Kurzarbeitergeld in größerem Umfang dazu beigetragen.
Ich sage das, damit die Größenordnungen klar werden
und nicht jemand anfängt, Bundesminister Brüderle für
einen großen Wirtschaftslenker zu halten.
({3})
Diese Gefahr bestand heute nicht, aber manchmal
kommt einem das so vor.
({4})
Diesen 6 Milliarden Euro, über die Sie bis zu jedem
Bleistift Rechenschaft ablegen, stehen über 20 Milliarden Euro gegenüber, die im sogenannten Investitionsund Tilgungsfonds, einem Sondervermögen, zur Verfügung stehen; man kann dazu auch Schattenhaushalt
sagen. Mehr als das Dreifache des Etats wird der Öffentlichkeit entzogen und allenfalls mit sehr dürftigen Informationsblättern vor dem Haushalts- und Wirtschaftsausschuss begründet.
({5})
Nun zitiere ich aus den Bemerkungen des Bundeswirtschaftsministeriums zum Haushalt:
Das BMWi unterstützt den Kurs aus Stärkung der
Wachstumsgrundlagen und krisenbedingten Mehrausgaben bei gleichzeitig kluger Sparsamkeit.
Sie wollen also zeitgleich mehr ausgeben und mehr sparen. Sollten Sie nicht gleich sagen: „Bis zur NRW-Wahl
wird die Mathematik außer Kraft gesetzt“? Das ist verordnete Schizophrenie. Das ist Wahlbetrug mit Ansage,
liebe Kabinettsmitglieder.
({6})
Sie wollen gestärkt aus der Wirtschaftskrise herauskommen - das haben wir jetzt oft genug gehört -, sind
aber nicht wirklich bereit, die Ursachen dieser Krise zu
analysieren. Ich sage Ihnen: Ein vernünftiges Wirtschaften wird es erst dann wieder geben, wenn die Übermacht
der Finanzwirtschaft gegenüber der sogenannten Realwirtschaft gebrochen wird. Wir müssen, auch wenn es
uns schwerfällt, die Fantasie aufbringen, uns eine Finanz- und Wirtschaftswelt vorzustellen, in der die Börse
auf ihren ursprünglichen, vernünftigen Ansatz zurückgeführt wird. Kleiner geht es nicht.
({7})
Ein alter Hase aus der Industrie hat mir das letztens
plausibel gemacht. Er hat gesagt: Wissen Sie, früher hat
sich ein Industrieller eine Bank gesucht, um Finanzgeschäfte abzuwickeln und zu Krediten zu kommen. Heute
suchen sich die Banken Betriebe aus, um sie auszunehmen. Einer solchen Entwicklung muss doch, verdammt
noch mal, etwas entgegengesetzt werden.
({8})
Herr Wirtschaftsminister, Sie täten gut daran, zu sagen: Ich habe mich lange, was meine wirtschaftspolitische Vorstellung angeht, gründlich geirrt; aber jetzt habe
ich verstanden, dass man zur Stärkung der Binnennachfrage den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn
braucht. - Ich habe das heute nicht erwartet, aber die
Forderung ist deswegen trotzdem richtig.
({9})
Leider ist die Wahrheit eine andere: 1,4 Millionen
Vollzeitjobs weniger in den letzten zehn Jahren, dafür
1,3 Millionen mehr im Teilzeitbereich. Ein Viertel der
Beschäftigten ist inzwischen im Niedriglohnbereich beschäftigt. Im Osten arbeiten weit über 40 Prozent in diesem Sektor. Das ist natürlich ein Ergebnis von Rot-Grün
und Schwarz-Rot. Ich will aber auch daran erinnern,
dass das alles der FDP noch nicht rigoros genug war. Ein
bisschen wundere ich mich über die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, denen es flächendeckend gelungen ist, den Begriff „Agenda 2010“ ganzkörperlich
abzustreifen und völlig aus der Erinnerung zu streichen.
({10})
Wir müssen auch über das Wort „Kreditklemme“ reden. Sie haben wie wir die Prognosen auf dem Tisch liegen. Im laufenden Jahr ist mit über 45 000 Insolvenzen
zu rechnen. Sie haben dafür eine neue Geheimwaffe erfunden, den Kreditmediator. Den haben Sie im Dezember vollmundig angekündigt. Ich habe mir gedacht:
Bereite dich auf die Debatte vor und rufe dort einmal an.
Das habe ich gestern versucht. Es gibt weder eine Telefonnummer noch einen sonstigen Verweis. Mir ist klar,
dass Herr Metternich den Beginn für März angekündigt
hat. Aber was ist das für eine Bundesregierung? Im Dezember veranstaltet sie einen Gipfel, aber danach passiert lange nichts.
({11})
Wenn Sie mir die Kritik nicht abnehmen, dann sollten
Sie zumindest einem Ihrer Parteifreunde zuhören, Herr
Brüderle, der dazu sagt:
Es ist nicht sinnvoll, vor Weihnachten die Ankunft
eines Kreditmediators … auszurufen,
({12})
ohne konkret zu sagen, was er tun soll und wie er
vernetzt ist.
Die Verunsicherung in der Krise werde damit nur vergrößert. Der, der das sagt, heißt Jörg Bode, ist Wirtschaftsminister in Niedersachsen und gehört bekanntlich
der FDP an. Nehmen Sie diesen Rat an.
Wir sagen Ihnen: Wann immer Sie von einem Ihrer
zahllosen Gipfel im Bundeskanzleramt heruntersteigen,
landen Sie im Tal der Untätigkeit. Das wollen wir nicht
hinnehmen. Deshalb sind bei diesem Etat sehr viele Veränderungen nötig.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae für
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrter Herr Minister Brüderle, Sie haben in Ihrer
Rede die konjunkturelle Entwicklung und Belebung beschworen. Sie haben davon gesprochen, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt. Aber wir müssen doch ehrlicherweise auch davon sprechen, dass wir schon jetzt
erkennen können, welche Strohfeuer mit diesen Konjunkturpaketen teilweise entfacht wurden. 5 Milliarden
Euro wurden für die Abwrackprämie zur Verfügung gestellt. Schon jetzt gibt es wieder Absatzeinbrüche auf
dem Pkw-Markt. Insofern lohnt es sich, sehr genau hinzuschauen, wie sich die konjunkturelle Entwicklung im
Einzelnen darstellt.
({0})
Wir haben die Situation, dass die Unternehmer Angst
vor der Kreditklemme haben, dass sie Angst vor Absatzschwächen haben. Aber auch die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer haben Angst um ihren Arbeitsplatz
und vor existenziellen Nöten. Die Aufgabe der Regierung ist es, an dieser Stelle Vertrauen zu schaffen und
Wege aus der Krise zu zeigen. Sie aber machen das absolute Gegenteil. In einer Umfrage ist dieser Koalition
im Januar 2010 die Schulnote 3,9 gegeben worden. Bei
einer Note von 3,9 werden in Baden-Württemberg Eltern
zum Gespräch eingeladen. Da sagen die Lehrer schon
einmal: So geht es nicht; sehen Sie zu, dass dies besser
wird.
({1})
Fehlstart, Streit und schließlich das Gezerre um die
Steuerreform dominieren das Bild. Das ist auch kein
Wunder. Im Wahlkampf haben Sie, vor allem Sie von der
FDP, vollmundigste Versprechen gemacht, und auf einmal herrscht Verwunderung über die leeren Kassen. Jetzt
hat Sie jede Vernunft verlassen. Das zeigt die Politik, die
Sie uns heute vorlegen.
({2})
Von der Wirtschaftskompetenz der Bundesregierung
- das haben Sie als FDP sich immer auf die Fahne geschrieben - ist nichts mehr übrig. Die Presse nimmt Sie
auseinander. Selbst die Wirtschaftsverbände müssen Sie
inzwischen anschreiben und anmahnen. Wir werden
noch öfter die Debatte über dieses sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz und über die reduzierte
Mehrwertsteuer bei Hotelübernachtungen führen. Ich
möchte Ihnen eines sagen: Wenn Sie hier noch einmal
über Bürokratieabbau reden, dann machen Sie sich wirklich lächerlich. Denn Sie haben bezüglich der Hotelübernachtungen sehr viel Bürokratie aufgebaut.
({3})
Die FDP spricht ständig über Steuersenkungen. Uns
liegt heute ein Bundeshaushalt vor mit einer Rekordneuverschuldung in Höhe von - wenn man alles zusammennimmt - 131 Milliarden Euro, mit einer Bundesverschuldung, die die 1-Billion-Euro-Marke reißt. Ich weiß gar
nicht, ob Sie alle wissen, wie viele Nullen eine Billion
hat.
({4})
Das sind zwölf Nullen. Es gibt keinerlei Generationengerechtigkeit. Jeder achte Euro wird inzwischen für Zins
und Tilgung ausgegeben. Das ist die Bremse beim Wirtschaftswachstum. Sie schaffen kein Vertrauen, wenn Sie
weiterhin über Steuersenkungen reden, die weder 2010
noch 2011 noch 2012 finanzpolitisch irgendwie verantwortbar sind.
({5})
In den Debatten sind immer wieder die Kommunen
angesprochen worden. Die Kommunen sind ein ganz
enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor. Aber mit Ihren Steuersenkungen und mit Ihren sogenannten Entlastungen
({6})
- ja, furchtbar, Herr Lindner -, die Sie auf den Weg bringen, machen Sie zwei Sachen: Zum einen lassen Sie die
Kommunen, die ihre Aufgaben nicht mehr finanzieren
können, im Regen stehen, und zum anderen ist es ein totaler Witz, von mehr netto vom Brutto zu sprechen,
wenn die Leute aufgrund der erhöhten Gebühren und
Beiträge, die auf kommunaler Ebene anfallen, am Ende
nicht mehr in der Tasche haben. Das ist wiederum eine
ganz falsche Politik. Das ist so richtige FDP-Politik,
Klientelpolitik. Sie versprechen irgendetwas, und am
Ende kommt nichts dabei heraus.
({7})
Ich erinnere mich noch gut an die Diskussionen, die
wir immer wieder geführt haben. Sie haben hier mit dem
Liberalen Sparbuch gewedelt.
({8})
Ich glaube, es enthält 400 Einzelvorschläge für die Etats.
({9})
Wenn ich mir nur unseren Bereich, den Wirtschaftsetat,
ansehe, stelle ich fest, dass Sie - und das in einem Ministerium, das von der FDP geführt wird - keinen einzigen dieser ach so tollen 400 Einzelvorschläge aus dem
Liberalen Sparbuch umgesetzt haben.
({10})
Wie wollen Sie erklären, dass Sie, wenn Sie in der Opposition sind, tolle Sparvorschläge machen, und dann,
wenn Sie an der Regierung sind, keinen einzigen dieser
Vorschläge umsetzen? Ihr Sparwille ist vollkommen erlahmt.
({11})
- Oh ja, das kriegen wir schon noch. Da bin ich sehr gespannt.
Nehmen wir doch einmal den Staatssekretär, den Sie
einsparen wollten.
({12})
- Ja, Herr Lindner, Sie wollten im Bereich Wirtschaft einen Staatssekretär einsparen. Jetzt haben Sie drei Staatssekretäre, von denen zwei ein FDP-Buch haben.
({13})
- Ja, Herr Oswald, das scheint genau der Punkt zu sein.
({14})
- Ein Anflug von Ehrlichkeit und, Gott sei Dank, protokollarisch aufgenommen.
Sie wollten bei Dienstreisen sparen; das ist überhaupt
kein Thema mehr. Sie wollten auch bei der Öffentlichkeitsarbeit sparen. Ich kann sogar verstehen, dass Sie das
doch nicht tun. Denn Sie bräuchten eine richtig gute Öffentlichkeitsarbeit, um die Politik, die Sie machen, zumindest ein bisschen besser zu verkaufen.
({15})
Sie wollten außerdem bei Sachverständigen sparen.
({16})
- Sie könnten in den laufenden Haushaltsberatungen jeden einzelnen dieser Punkte aufgreifen, jeden einzelnen
Vorschlag Ihres Liberalen Sparbuchs einbringen.
({17})
Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich verhalten werden.
Mein Vorschlag: Sparen Sie doch bei den Sachverständigen; das wollten Sie nämlich tun. Ehrlich gesagt,
habe ich manchmal den Eindruck, das könnten Sie wirklich tun. Sie hören nämlich überhaupt nicht auf das, was
Ihnen die Sachverständigen sagen.
({18})
Kein einziger Sachverständiger hat gesagt, dass die
Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie etwas bringt.
({19})
Man findet im Augenblick keinen Sachverständigen, der
erklären kann, wie Sie Ihre Steuerreform gegenfinanzieren wollen. Wenn Sie nicht auf die Sachverständigen hören, dann können Sie diese Kosten tatsächlich einsparen.
({20})
Frau Andreae, möchten Sie die Zwischenfrage zulassen?
Ja, bitte.
Bitte schön.
({0})
Frau Kollegin Andreae, Sie haben die Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie gegeißelt.
Ja.
Waren Sie dabei, als entschieden wurde, diese Forderung in Ihr Wahlprogramm aufzunehmen? Wie haben
Sie sich damals dazu geäußert?
({0})
Haben Sie damals dagegengestimmt und diese Forderung abgelehnt,
({1})
oder haben Sie dafür gestimmt, dass diese Forderung in
Ihr Wahlprogramm aufgenommen wird? Hat es nicht
auch etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun, nach der Wahl
bei dem zu bleiben, was man vor der Wahl versprochen
hat, was diese Regierung im Übrigen getan hat?
({2})
Auf jeden Fall geht es dabei auch um Glaubwürdigkeit.
Ich danke Ihnen für Ihre Frage, weil ich nun die Möglichkeit habe, Ihnen ausführlich zu antworten. - Frau
Präsidentin, darf ich eigentlich genauso ausufernd antworten, wie es der Kollege Pfeiffer gerade getan hat? Es
gibt nämlich noch viele Punkte, die ich gerne ansprechen
würde.
({0})
Die Redezeit wird gestoppt, und Herr Hinsken bleibt
bitte so lange stehen.
Ich gebe eine kurze Antwort: Herr Hinsken, Sie sollten sich informieren. Diese Forderung steht nicht in unserem Wahlprogramm. Hiermit ist Ihre Frage beantwortet, und Sie können sich wieder setzen.
({0})
- Herr Hinsken, die Grünen haben diese Forderung nicht
in ihrem Wahlprogramm.
({1})
Wir können das gerne textlich belegen. Aber Ihre Frage,
Herr Hinsken, ist hiermit beantwortet.
({2})
Der Wirtschaftsetat ist ein kleiner Etat, aber einer mit
großer Wirkung. Denn die Möglichkeit, zum Beispiel
über Förderprogramme im wirtschaftlichen Bereich tätig
zu sein, hat eine große Hebelwirkung zur Folge. Ein
Wirtschaftsminister, der die Möglichkeit hat, diese Hebelwirkung zu nutzen, und dabei an die Zukunft denkt,
muss alles, was er im wirtschaftlichen Bereich unternimmt, an diesem Ziel ausrichten.
Das bedeutet, dafür zu sorgen, dass sich die neuen
Fragen, die sich angesichts des Klimawandels und der
ökologischen Herausforderungen stellen, in einem wirtschaftspolitischen Profil und im Haushalt abbilden. Man
muss also die Förderprogramme durchforsten: Was ist
zukunftsgerichtet, wo geht es also um erneuerbare Energien oder um Umwelttechnologien? Wo betreiben wir
Technologieförderung insgesamt? Ich bin mit Ihnen
durchaus einer Meinung, dass es richtig ist, alle Technologien in den Blick zu nehmen. Wir müssen die Technologien allerdings auf Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und auf die Ausrichtung auf Umwelttechnologien
überprüfen, damit wir die Zukunftsmärkte erschließen
können.
Ein Wirtschaftsminister und die wirtschaftspolitische
Kompetenz in diesem Hause müssen folgende Fragen
beantworten: Was kommt nach dem Ölzeitalter? Wie erreichen wir ein CO2-armes und ressourcenschonendes
Wirtschaften? Diese Fragen muss ein Wirtschaftsminister mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten
beantworten, und seine Antwort muss im Haushalt in
Form von Förderprogrammen und Ähnlichem deutlich
werden. Das vermissen wir total.
({3})
Wir müssen in das investieren, was für die kommenden Generationen wirklich wichtig ist. Wir müssen Klimakiller abbauen, national, aber auch global. Und wir
müssen unser Handeln auf Zukunftsmärkte und auf Zukunftsrendite ausrichten. Ich sage Ihnen eines: Das ist
keine Veranstaltung von Bündnis 90/Die Grünen, das ist
die Herausforderung überhaupt, das muss das Thema für
unsere Volkswirtschaft sein. Die Frage ist nicht mehr:
Wie stellt sich das in 50 Jahren dar? Die Frage ist vielmehr: Wie müssen wir heute umsteuern, wie müssen wir
heute die Wirtschaftspolitik neu ausrichten, wenn wir
unsere Chancen nutzen wollen?
Für Technologien, mit denen man Energie und Rohstoffe effizienter nutzen kann, werden sich Zukunftsmärkte eröffnen. Entweder man ist als Volkswirtschaft
und als Nation dabei, oder man ist es nicht. Was Sie uns
immer wieder vorlegen, macht mich nicht optimistisch,
dass wir dabei sein werden.
Wir werden Sie in dieser Sache treiben; denn wir
müssen die gesamte Volkswirtschaft neu aufstellen. Wir
müssen Antworten geben auf die Herausforderungen.
Dazu müssen wir aber wissen: In welche Richtung soll
es gehen, wo liegt die Zukunft?
Aus unserer Sicht ist die Frage vor allem: Wie schaffen wir es, CO2-arm zu wirtschaften, wie schaffen wir es,
ressourcensparend zu wirtschaften? Auch über die
Wachstumsfrage müssen wir diskutieren. Diesen Fragen
müssen wir uns stellen. Dies gehört zu den Aufgaben eines Wirtschaftsministers. Sie haben sich dem wieder
nicht gestellt.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich
möchte mit einem Appell an unseren früheren Koalitionspartner beginnen. Wir haben in einer für die deutsche Wirtschaft schwierigen Phase zusammengearbeitet.
({0})
- Das war vernünftig, Herr Heil. - Wir haben Richtiges
und Wichtiges getan, vom Bankenrettungsschirm, der alternativlos war, über das Konjunkturprogramm bis hin
zur Verlängerung des Zeitraums, für den man Kurzarbeit
anmelden kann.
({1})
All die Dinge, die wir - gemeinsam, Herr Heil - beschlossen haben, haben ihre Konsequenzen. Diese Konsequenzen schlagen sich in dem Haushalt, den wir heute
beraten, nieder. Ich registriere, dass Sie in der Oppositionsrolle angekommen sind; aber ich bitte Sie herzlich,
sich nicht aus der Verantwortung zu stehlen. Meine Damen und Herren, wir haben gemeinsam gelöscht, und
jetzt müssen wir uns - diese neue Regierung tut das mit den Löschwasserschäden beschäftigen.
({2})
- Sie wollen doch nicht behaupten, dass den Brand die
letzte Regierung oder diese Regierung gelegt hat.
({3})
Wir müssen uns jetzt mit einem Haushalt beschäftigen, dessen Neuverschuldung in der Tat allen Sorgen
macht, von der aber 80 Milliarden Euro der Krise geschuldet sind. Wir stehen in der Pflicht, uns damit auseinanderzusetzen, wie es weitergehen soll. Der Bundeswirtschaftsminister hat Richtungsweisendes dazu gesagt.
Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass ein Gutteil
des zarten Pflänzchens Wachstum, das wir registrieren
können, geborgt ist. Deshalb ist es richtig gewesen, eine
Schuldenbremse in das Grundgesetz zu integrieren. Da,
Herr Heil, können Sie über die Rolle der SPD nachdenken; denn es war schon zu spüren, dass viele Kolleginnen und Kollegen von Ihrer Seite davon nicht begeistert
waren.
({4})
- Das wird nicht einfach; darüber brauchen wir nicht zu
diskutieren.
({5})
Hier war einiges zu hören zu dem, was uns noch bevorsteht. Etliches musste einen verwundern, insbesondere das, was der Kollege Claus zum Thema Finanzgewerbe gesagt hat. Wir dürfen uns jetzt doch nicht damit
beschäftigen, wie man die Banken nach Möglichkeit
knebelt und in die Mangel nimmt, wir müssen überlegen,
wie man ihnen den Spielraum eröffnet, in der schwierigen wirtschaftlichen Situation, die wir haben, Kredite zu
geben.
({6})
Das wird in den nächsten Monaten die entscheidende
Frage sein.
Da treibt es mich um, wenn ich registrieren muss,
dass unser durchaus intelligentes Bad-Bank-Konzept
nicht so aufgenommen wird, wie wir das erwartet haben.
Darüber werden wir in den nächsten Monaten noch einmal diskutieren müssen. Wenn es darum geht, wie die
Anforderungen an das Eigenkapital angepasst werden
können, wird es nicht nur darauf ankommen, welche
wohlüberlegten Schritte man macht, sondern vor allem,
zu welchem Zeitpunkt sie stattfinden sollen. Hier kommt
es ganz entscheidend auf den Zeitpunkt an. Wir dürfen
keinen Beitrag dazu leisten, dass letztendlich eine Kreditklemme auftritt.
Der Minister hat das Thema Forschung und Bildung
angesprochen. Ich halte dies für ein zentrales Thema
auch der Wirtschaftspolitik. 12 Milliarden Euro zusätzlich sind kein Pappenstiel; aber es ist auch nicht immer
alles nur eine Frage des Geldes. Zum einen geht es darum, Zukunftsfelder zu identifizieren; Frau Kollegin Andreae hat vorhin unbestreitbar richtige und wichtige genannt. Darüber hinaus gibt es allerdings weitere. Die
verengte Perspektive der Grünen ist falsch, da es im Bereich der Nanotechnologie und der industriellen Biotechnologie über das Thema Umweltschutz- und Klimatechnologie hinaus, um nur ein paar Beispiele zu nennen,
auch noch andere Felder gibt, mit denen wir uns beschäftigen wollen und sollen. Ich bestreite trotzdem
nicht, Frau Kollegin, dass Sie recht haben: Die Umwelttechnologie und insbesondere die Frage der Energieeffizienz werden im Wirtschaften der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen.
({7})
Uns geht es aber darum, meine Damen und Herren,
dass dies nicht staatlich gelenkt, wie es die Linken immer predigen, sondern ergebnisoffen stattfindet. Zum einen können wir die Zukunftsfelder nicht nur politisch
identifizieren, und zum anderen wollen wir, dass dies auf
unternehmerische Initiative hin stattfindet; da spielt der
Mittelstand eine besondere Rolle.
Von dem, was in unserem Koalitionsvertrag steht,
halte ich das Thema steuerorientierte Förderung von Innovation und Forschung vor allem im Bereich des Mittelstands für ganz entscheidend.
({8})
Ob man dies steuerorientiert oder mit Zulagen macht, ist
völlig egal. Aber wir haben hier eine Chance, über den
Markt zu steuern, dass das erforscht und entwickelt wird,
was auf dem Markt wirtschaftlich zum Tragen kommen
und am Schluss unsere Wirtschaft voranbringen wird.
Das wissen wenige so gut wie die Mittelständler in diesem Lande.
({9})
Für mich als einen Vertreter des ländlichen Raumes
ist ein Aspekt, den der Wirtschaftsminister ebenfalls angesprochen hat, besonders wichtig: der Ausbau des
Breitbands. Ich stelle in aller Deutlichkeit fest, dass wir
hier nicht in dem Maß vorangekommen sind - nicht erst
in den letzten drei Monaten, sondern über viele Jahre -,
wie wir es uns vorstellen.
({10})
Wir müssen uns deshalb überlegen, wie wir gerade den
ländlichen Raum vollumfänglich mit schnellem Breitband versorgen.
({11})
Das kann man nicht immer nur mit Wettbewerb lösen,
sondern das muss auch einmal unkonventionell geschehen. Da ist die jetzt angedachte Leerrohrstrategie ein
wichtiger Aspekt. Sie setzt allerdings voraus, dass in den
Kommunen kräftig genug investiert wird, was wir dann
staatlicherseits finanziell flankieren können. Aber ich
bitte noch einmal, darüber nachzudenken, ob wir nicht
im Rahmen eines Konzessionsmodells ganze Landkreise
im Wettbewerb an Betreiber vergeben können, die ein
Angebot machen, woraufhin wir ihnen die Chance
geben, über fünf Jahre hinweg das Geld, das sie in Infrastruktur investiert haben, zurückzuverdienen, um danach
den Wettbewerb um jeden einzelnen Kunden zuzulassen.
Solche Dinge müssen wir unkonventionell handhaben;
anderenfalls kommen wir an dieser Stelle nicht voran.
Ich bin mir sicher, dass der amtierende Wirtschaftsminister dazu auch bereit ist.
({12})
Lassen Sie mich als letzten Aspekt das Thema Energiepolitik ansprechen. Es ist richtig und wichtig, dass
wir ein Energiekonzept auf den Weg bringen. Es ist ein
Novum, dass wir dies nach vielen Jahren wieder zuwege
bringen. Entscheidend dabei ist, dass wir mit der Mär
aufräumen, die heute auch wieder vorgebracht worden
ist, Herr Kollege Claus, dass die Kernenergie die erneuerbaren Energien kannibalisieren würde. Das ist falsch,
weil wir einen Einspeisevorrang haben. Die erneuerbaren Energien sind deshalb auch ganz vorne in der MeritOrder. Tun Sie nicht so, als müsste man das eine gegen
das andere ausspielen. Wir sind auf einem guten Weg,
auch im Bereich der Klimapolitik etliches voranzubringen,
({13})
indem wir auf beides setzen: auf die erneuerbaren Energien auf der einen Seite und auf die Kernenergie auf der
anderen Seite. Denn wir werden die Klimaschutzziele,
die wir uns zu Recht selbst aufgebürdet haben, nicht in
wirtschaftlich vertretbarer Weise erreichen, wenn wir in
dieser Republik auf die Kernenergie verzichten.
Vielen herzlichen Dank.
({14})
Jetzt hat der Kollege Hubertus Heil das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Sehr geehrter Herr Brüderle, ich kann es Ihnen
nicht ersparen: Angesichts dessen, was in der Weltwirtschaft passiert und was die Sachverständigen für dieses
Jahr für unsere Volkswirtschaft prognostizieren, war das,
was Sie vorgetragen haben, gelinde gesagt, etwas unterkomplex. Wir haben zum Beispiel nichts darüber gehört,
wie es nach dem dramatischen Einbruch der Wirtschaft
des letzten Jahres um minus 5 Prozent, der in Deutschland dank der aktiven Politik von Peer Steinbrück und
Olaf Scholz glücklicherweise nicht die befürchteten Folgen gehabt hat, in diesem Jahr weitergeht.
({0})
- Ja, auch die Abwrackprämie. Danke für den Hinweis.
Diese haben wir mit der Union gemeinsam beschlossen.
Das hat in meiner Heimatregion und in vielen Regionen
Deutschlands einen Zusammenbruch der deutschen Automobilwirtschaft verhindert. Darauf sind CDU/CSU
und SPD sicherlich gemeinsam stolz. Das muss man
aber der FDP noch erklären. Herzlichen Glückwunsch
zum neuen Koalitionspartner!
({1})
- Sie haben offensichtlich keine Ahnung, Herr Lindner.
Das zeigt sich auch in der Berliner FDP. Sie sollten sich
mehr mit der Automobilwirtschaft in Deutschland befassen, zum Beispiel mit Volkswagen. Das ist kein Automobilkonzern aus Korea; es ist ein deutscher Konzern. Es
war richtig, eine Brücke zu bauen, um einen Absturz in
diesem Bereich zu verhindern.
({2})
Gleichzeitig stellt sich die Frage, Herr Brüderle, was
wir im laufenden Jahr machen. Letztes Jahr sind durch
die Maßnahmen der alten Bundesregierung, der Großen
Koalition, durch die Konjunkturprogramme und durch
die Kurzarbeitsregelungen die Einbrüche in der Exportwirtschaft teilweise von der Binnennachfrage stabilisiert
worden.
Die Binnennachfrage und die Kaufkraft in
Deutschland sind im letzten Jahr allen Prognosen zum
Trotz erstaunlich stabil geblieben. Leider können wir im
laufenden Jahr nicht damit rechnen, dass das so weitergeht. Wie wir alle wissen, wird die Arbeitslosigkeit zunehmen. Das wird auch zu einem Rückgang der Kaufkraft führen. Der Exportmotor springt aber nicht in dem
Maße an, wie es notwendig wäre, um die Kapazitäten
auszulasten. Im Jahreswirtschaftsbericht, der nächste
Woche vorgelegt wird, wird ein Wirtschaftswachstum
von 1,5 Prozent prognostiziert. Das klingt zwar grandios, Herr Nüßlein, aber damit werden die bestehenden
Kapazitäten in der deutschen Volkswirtschaft nicht ausgelastet. Die Einbrüche im Maschinenbau in BadenWürttemberg im vergangenen Jahr beispielsweise werden damit nicht aufgefangen.
An dieser Stelle setzt unsere Kritik an. Sie haben
keine Wachstumsstrategie, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Ihre Politik ist entweder Klientelpolitik
oder Klein-Klein. Sie führt jedenfalls nicht zu neuen Investitionen und damit nicht zu Beschäftigungssicherung
und -aufbau. Das ist eines Bundeswirtschaftsministers
unwürdig, Herr Brüderle.
({3})
Sie als FDP verwechseln offensichtlich Klientelpolitik mit Wirtschaftskompetenz. Hier ein bisschen was für
reiche Erben, da ein bisschen weniger Wettbewerb für
Apotheker, dort etwas für die Hoteliers, und dann vertreten Sie noch die Interessen privater Krankenversicherungskonzerne. Das ist keine Wirtschaftspolitik, sondern
Klientelpolitik.
Wenn Ihr neuer Generalsekretär unseren demokratischen Rechtsstaat einen Schwächling nennt, dann kann
ich Ihnen nur eines ins Stammbuch schreiben: Sie sollten
sich einmal mit der verfassungsmäßigen Ordnung dieses
Landes beschäftigen. Den sozialen und demokratischen Rechtsstaat zu diffamieren und ihn gleichzeitig
zur Beute von Interessengruppen zu machen, wie es
durch Ihre Klientelpolitik geschieht, ist nicht in Ordnung. Das werden Sie sich vorhalten lassen müssen.
({4})
Das hat aber auch etwas mit dem Umgang mit der öffentlichen Hand zu tun. Wir haben Konjunkturprogramme aufgelegt, um auch kommunale Investitionen
auszulösen. Für die Jahre 2009 und 2010 ist das der Fall.
Deshalb ist die Entwicklung besser als befürchtet. Der
Arbeitsmarkt ist robuster als erwartet. Was aber wird im
Jahr 2011, wenn die Konjunkturprogramme auch für die
Kommunen auslaufen, aber gleichzeitig Ihre Steuersenkungspolitik und die Steuermindereinnahmen aufgrund
der Weltwirtschaftskrise Löcher in die kommunalen
Haushalte reißen und damit die Investitionsmöglichkeiten der Kommunen mindern? Es gibt keine Antwort auf
diese Frage.
Reden Sie doch einmal mit Ihren Bürgermeistern und
Landräten! Die CDU/CSU stellt schließlich eine ganze
Reihe davon.
({5})
Reden Sie mit ihnen über die Lage der Kommunen und
über die Tatsache, dass öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Kinderbetreuung aufgrund der falschen Politik dieser Bundesregierung zurückgehen werden.
({6})
Hubertus Heil ({7})
Herr Brüderle, Sie haben, wie der Kollege Duin ausgeführt hat, bisher in Ihrer Amtszeit außer einem symbolischen Entflechtungsgesetz, das in der Praxis keine
Wirkung entfalten wird, nicht viel zustande gebracht.
Das Gesetz ist ein Placebo. Ich muss darauf hinweisen,
dass eine ähnliche Regelung in der amerikanischen Kartellrechtspraxis keine zentrale Rolle gespielt hat. Wir
werden uns das anschauen. Aber das wird Sie nicht davon befreien, Vorschläge für eine Wachstumsstrategie
zu machen. Wie wollen Sie private und öffentliche Investitionen in Deutschland auslösen? Das ist die entscheidende Frage. Was tun Sie konkret für kleine und
mittlere Unternehmen? Von Herrn Pfeiffer von der
CDU/CSU habe ich vorhin gehört, dass Sie steuerliche
Forschungsförderung zugunsten von Unternehmen betreiben wollen, Stichwort „tax credits“. Das ist keine
schlechte Idee. Dagegen sind wir nicht. Aber ich rate Ihnen, ein Konzept vorzulegen, das gezielt kleinen und
mittleren Unternehmen das ermöglicht und nicht Mitnahmeeffekte zugunsten der Großindustrie hervorruft.
Das ist der Unterschied: Sie haben nur heiße Luft und
kein Konzept.
({8})
Wie wäre es, angesichts der Unterauslastung im Maschinenbau dafür zu sorgen, dass andere Bereiche des
produzierenden Gewerbes ihren Maschinenpark in
Deutschland ökologisch erneuern, dass sie sich moderne
deutsche Maschinen kaufen, weil die Exportnachfrage
nicht ausreicht? Wie wäre es beispielsweise mit Investitionsanreizen in diesem Bereich? Wir könnten im Bereich des Maschinenparks Instrumente wie eine degressive AfA oder eine Art Investitionsprämie einsetzen.
Das sind intelligente Instrumente, um Beschäftigung in
Deutschland zu sichern. Aber aus dem Hause Brüderle
kommt nichts. Das ist eines Bundeswirtschaftsministers
unwürdig.
Auch im Bereich der Dienstleistungspolitik gibt es
keine Ideen von Ihrer Seite, obwohl wir in diesem Land
riesige Potenziale an modernen Dienstleistungen für
Menschen von Menschen haben. In der Gesundheitswirtschaft und im Pflegebereich, der angesichts einer älter werdenden Gesellschaft immer wichtiger wird, haben
Sie keinen Ansatz. Im Bereich der ökologischen Industriepolitik, eines der wichtigsten Märkte von morgen, auf
denen wir nur mit den besten Produkten und Dienstleistungen und nicht mit den niedrigsten Löhnen erfolgreich
sein werden, gibt es keine Initiativen und keine Ideen,
sondern nur ein paar Broschüren. Für den Bereich der
Kreativwirtschaft haben Sie jetzt einen Arbeitskreis gegründet. Herzlichen Glückwunsch! Aber keine Vorschläge, keine Konzepte! Das ist Politik à la Brüderle:
unterkomplex, unzulänglich und des größten Industriestandortes in Europa nicht würdig. Das werden wir deutlich machen.
({9})
CDU/CSU und SPD haben gemeinsam in den schwierigen Zeiten einer Weltwirtschaftskrise richtig reagiert.
Zu einer Zeit, als Herr Brüderle als Oppositionspolitiker
Konjunkturpolitik reif für die Mottenkiste hielt, haben
wir unkonventionell und gezielt geantwortet. Wir hatten
Glück, dass die meisten Staaten und Zentralbanken auf
der Welt im Gegensatz zu 1929/30 nicht restriktiv reagiert, sondern auch Konjunkturprogramme aufgelegt
haben. Das ist in einer vernetzten Weltwirtschaft das
A und O. Wenn Sie, Herr Brüderle, schon jetzt über eine
Exit-Strategie reden, dann ist es umso notwendiger,
dass Sie sich in Europa koordinieren. Dass Sie den Vorschlag des neuen EU-Ratspräsident Zapatero zur Koordinierung in Bausch und Bogen ablehnen und einfach
vom Tisch wischen, zeigt, wie begrenzt Ihr wirtschaftspolitischer Horizont ist. Man darf nicht mehr an nationalen Grenzen haltmachen. Wir brauchen eine europäische
Diskussion.
({10})
Ja, es muss an der richtigen Stelle über eine Exit-Strategie gesprochen werden. Aber es geht um das Timing, das
Wann und Wie, und um Koordinierung. Einfach zu beschließen, dass die Krise ab 1. Januar 2011 vorbei ist und
dass man dann alles zurückfahren kann, hat mit den wirtschaftlichen Realitäten und Entwicklungen nichts zu tun.
Herr Brüderle, dazu haben wir von Ihnen bisher wenig
gehört.
Wirtschaftspolitik in diesem Land ist mit der Steuerund Finanzpolitik, aber auch stark mit der Arbeitsmarktund der Bildungspolitik verbunden. Wenn es gelingt, die
Grundlagen dieses Landes wieder zu stärken, die uns auf
dieser Welt erfolgreich gemacht haben, nämlich Investitionen in Bildung und Forschung zu tätigen und im wissenschaftlichen Bereich dafür zu sorgen, dass die besten
Produkte und Verfahren in diesem Land nicht nur erdacht, sondern auch produziert und angewendet werden
können, wenn wir die Infrastruktur in diesem Land erneuern und wenn wir in dieser Gesellschaft soziale Balance halten, haben wir Chancen, unseren Wohlstand zu
halten. Aber dazu bedarf es einer aktiven Politik. Das
heißt nicht, dass sich der Staat zurückhalten darf. Der
Staat kann sicherlich nicht alles machen. Wir sind keine
Etatisten. Wir sind für den Marktmechanismus. Aber der
Markt braucht einen klaren Ordnungsrahmen und eine
aktive Politik, die Impulse setzt. Das haben viele in der
FDP nicht begriffen. Die Bedrohung für die offene Gesellschaft und eine erfolgreiche Marktwirtschaft geht im
Moment nicht vom Sozialstaat in Deutschland aus, sondern eher von Entwicklungen in staatskapitalistischen
Ländern in anderen Regionen dieser Welt, mit denen wir
in Konkurrenz stehen. Amerika wird nicht mehr wie vor
der Krise das Zentrum sein. Es kommen neue, aufstrebende Staaten hinzu, mit denen wir konkurrieren. Wenn
Deutschland ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat
bleiben soll, brauchen wir eine aktive Wirtschaftspolitik
und nicht nur alte Parolen aus FDP-Programmen.
Herr Brüderle, Max Weber, der große Nationalökonom und vor allen Dingen, wenn man so will, Erfinder
der Politikwissenschaften, hat einmal einen Maßstab
für gute Politik definiert. Er hat gesagt, Politik brauche
drei gute Eigenschaften: Verantwortung, Leidenschaft
und Augenmaß. Die unverantwortliche Klientelpolitik
Hubertus Heil ({11})
der FDP - bei Ihnen läuft im Moment wirklich alles wie
geschmiert ({12})
zugunsten weniger und zulasten vieler zeigt, wie verantwortungslos Sie mit der Wirtschaftspolitik in diesem
Lande umgehen.
({13})
- Ich weiß gar nicht, wie Sie heißen, Herr Schreihals.
({14})
Wer so dreist Klientelpolitik macht wie Sie, beschädigt
leider nicht nur die FDP, sondern das Ansehen demokratischer Institutionen dieses Land. Herr Lindner, Sie sind
hier in Berlin schon als Intrigant verschrien. Sie sollten
sich schämen!
({15})
Leidenschaft habe ich bei der Rede von Herrn Brüderle eben auch nicht gespürt; ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber man braucht auch eine leidenschaftliche
Überzeugung für eine neue Ordnungspolitik. Damit haben Sie nicht viel am Hut. Außerdem kann ich beim
Handeln dieser Regierung in der Haushaltspolitik auch
kein Augenmaß erkennen. Herr Brüderle, wir hatten in
diesem Land große Wirtschaftsminister, zum Beispiel
Ludwig Erhard, Karl Schiller und - auch wenn wir nicht
immer einer Meinung waren - Otto Graf Lambsdorff.
({16})
Es ist ein Trauerspiel, dass Sie als Nachfolger dieser großen Männer keine Wirtschaftspolitik zustande bringen,
die auf der Höhe der Zeit ist. Deswegen werden Sie eine
harte Opposition erfahren, und die brauchen Sie auch.
Herzlichen Dank.
({17})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Christian
Lindner das Wort.
Herr Kollege Heil, Ihre heutigen Einlassungen hätten
an vielen Stellen eines Kommentars bedurft. Ich will
aber, weil Sie mich persönlich angesprochen haben, nur
auf einen Aspekt eingehen. Einige Vertreter der Sozialdemokratie sind erzürnt über meinen Ausdruck des teuren Schwächlings.
({0})
Niemand kann doch bestreiten, dass wir gegenwärtig
einen immens hohen Anteil von Staatsausgaben an unserer gesamten Wirtschaftstätigkeit haben. Aber können
wir denn zufrieden sein, etwa mit der Handlungsfähigkeit des Staates im Bildungssektor? Brauchen wir da
nicht noch sehr viel mehr Handlungsfähigkeit des Staates?
Sie unterliegen einem Irrtum. Das Gegenteil des teuren Schwächlings ist, anders, als Sie es uns unterstellen,
nicht der Minimalstaat. Das Gegenteil des teuren
Schwächlings ist der effiziente, handlungsfähige und
starke Staat. Er ist stark als Regulierer und Garant sozialer Chancen, aber er ist kein unfairer Mitspieler in
Markt und Gesellschaft.
({1})
Sie selbst, Herr Heil, haben, als Lord Dahrendorf verstorben ist, einen großen Nachruf veröffentlicht.
({2})
Deshalb will ich Ihnen auch mit Dahrendorf antworten.
In seiner großen Schrift „Die Chancen der Krise“ von
1983 hat Dahrendorf gefragt: Was, wenn sich der wohlwollende Staat irgendwann als teurer Versager herausstellt? - Im gleichen Buch hat Dahrendorf, auf den Sie
sich gern berufen, das Ende des sozialdemokratischen
Jahrhunderts prognostiziert.
({3})
Offensichtlich hatte er mit beiden Prognosen recht.
({4})
Herr Heil bitte zur Antwort.
Ich freue mich, dass ich zumindest auf einen angestrengt intelligenten Lindner antworten darf und nicht
auf den anderen antworten muss. Wenn wir das umkehren, heißt das also, dass Sie keinen teuren Schwächling,
sondern einen billigen Autoritären wollen. In dieser Diskussion wird deutlich, dass Sie uns unterstellen, es ginge
uns nicht darum, den Staat effektiv zu machen. Das ist
eine Banalität. Es ist die Aufgabe der Politik, dafür zu
sorgen, dass der Staat den Menschen nicht vor der Nase
sitzt, sondern an ihrer Seite ist. Das ist unsere Aufgabe.
Aber mit einer pauschalen Diffamierung unseres demokratischen und sozialen Rechtsstaats in dieser Zeit
({0})
werden Sie Ihrer Aufgabe nicht gerecht. Wie war das
denn im letzten und vorletzten Jahr, als ungezügelte Finanzmärkte unseren Wohlstand und unsere Arbeitsplätze
gefährdet haben? Es war der von Ihnen als teurer
Schwächling bezeichnete Staat, der intervenieren
musste, erfolgreich interveniert hat und so die Menschen
geschützt hat. Sie unterliegen einem Irrtum. Sie sind
heute keine Liberalen mehr, sondern in Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik Nachfolger der Neokonservativen. Sie haben nicht begriffen, was große liberale DenHubertus Heil ({1})
ker als positive und negative Freiheit beschrieben
haben.
Ja, es ist richtig: Es muss eine Freiheit des Bürgers,
der Menschen, auch der Unternehmer vor staatlicher Unterdrückung, vor Willkür und vor Bürokratie geben. Es
gibt eine negative Freiheit des Menschen vor dem Staat.
Dafür zu sorgen, ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam zu
erfüllen haben. Ich denke dabei gerade an das, worüber
im Bereich der inneren Sicherheit diskutiert wird. Aber
es gibt auch eine positive Freiheit: die sozialen Voraussetzungen, um Freiheit leben zu können - der Staat muss
diese Voraussetzungen schaffen -, und die öffentlichen
Güter, die wir gewähren müssen, damit Menschen
selbstbestimmt leben können. Das ist unsere Vorstellung
von vorsorgender Sozialstaatlichkeit.
Was Sie in der Praxis tun, ist, den Staat handlungsunfähig zu machen, ihn krankenhausreif zu reden, um sich
hinterher als Sanitäter anzubieten. Das ist nichts anderes
als das, was Ronald Reagan Anfang der 1980er-Jahre
gemacht hat: Steuersenkungen für Reiche, hinterher
keine erfolgreiche Konsolidierung und damit den Sozialstaat rasieren. Das ist Ihr Konzept, das ist Ihre Ideologie.
Das hat mit sozialem Liberalismus à la Dahrendorf überhaupt nichts mehr zu tun, Herr Lindner. Sie sollten sich
nicht in diese Tradition stellen.
({2})
Andreas Lämmel hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! In meiner Naivität habe ich gedacht, dass wir in
dieser Debatte über den Wirtschaftshaushalt diskutieren.
Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass der Großteil der
Redner auch nur einen Blick in diesen Haushalt geworfen hat; vielmehr hat er sich im Wesentlichen eigentlich
mit Phrasen begnügt.
Frau Andreae, Sie haben mit leichten Worten allerhand gefordert, was das Wirtschaftsministerium leisten
soll. Wenn Sie einmal einen Blick in den Haushalt des
Bundesministeriums für Wirtschaft geworfen hätten,
dann hätten Sie festgestellt, dass genau das realisiert
wird:
({0})
Das zur Verfügung stehende staatliche Geld wird dahin
gelenkt, wo es den größten Effekt erzielt, nämlich in die
Investitionsförderung, in die Forschungsförderung und
in die Außenwirtschaftsförderung. Das sind die Aufgaben, die der deutsche Staat hat, um die Wirtschaft zu unterstützen, damit sie aus der Krise gestärkt hervorgeht.
Ich komme zum Thema Forschungsförderung. Keiner ist darauf richtig eingegangen. Offensichtlich wissen
Sie gar nicht, was dort geleistet wird. Forschung und
Entwicklung bzw. Innovationen im Mittelstand, Stichwort ZIM: Frau Andreae, wir fördern die Energieforschung mit einem großen Einzeltitel. Zur Förderung der
Energieeffizienz gibt es einen weiteren Einzeltitel.
Schauen Sie einmal nach! Für die Informations- und
Kommunikationstechnologien gibt es ein Extraprogramm. Die innovativen Arbeiten der Luft- und Raumfahrt und der maritimen Wirtschaft werden ebenso unterstützt.
Ich möchte auf das ZIM - Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand - zu sprechen kommen; denn es ist
ein entscheidender Punkt im Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums. Dieses Programm ist ein riesiger
Erfolg: 2009 sind allein 8 400 Anträge auf Teilnahme an
diesem Programm eingegangen und bearbeitet worden.
Ich komme zur Hebelwirkung; Frau Andreae, Sie haben sie angesprochen. Nachdem ein Antrag eines Unternehmens positiv beschieden worden ist, müssen 70 bis
75 Prozent Eigenmittel beigesteuert werden; es stammt
also nur ein Viertel der Mittel aus der staatlichen Förderung, während drei Viertel der Mittel privat aufgewendet
werden. Daran können Sie ermessen, was für eine gewaltige Hebelwirkung von diesem Programm ausgeht,
um Forschung und Technologie voranzubringen.
Nachdem die Programme für den gesamten deutschen
Mittelstand geöffnet worden sind, sind mittlerweile rund
100 000 Unternehmen in der Lage, Anträge auf Teilnahme an diesem Programm zu stellen. Die Aufstockung
der Mittel für das ZIM innerhalb des Konjunkturpaketes II war eigentlich nur die logische Konsequenz.
Wir müssen uns allerdings Gedanken machen, wie die
Ausstattung des ZIM nach 2011 weitergehen soll.
Kaum einer hat den Gedanken formuliert, dass die
Existenzgründer im innovativen Bereich die Grundlage
des Wirtschaftswachstums von morgen schaffen. Auch
wenn sich die Gründungsszene wegen des wirtschaftlichen Umfeldes im Moment ziemlich schwertut, müssen
uns die Existenzgründer sehr wichtig sein.
Noch ein Wort zur steuerlichen FuE-Förderung. Wir
möchten diese Förderung sehr gern; aber wir wollen keinen Ersatz für die Projektförderung. Das muss eine
selbstständige Säule sein; ob in Form einer Zulage oder
in Form einer Gutschrift, mag dahingestellt sein.
Die Luft- und Raumfahrttechnik ist ein ganz wichtiger Innovator in Deutschland. Das, was in den Forschungsprogrammen der Luft- und Raumfahrt entwickelt wird, spielt auch im zivilen Leben eine große
Rolle. Wir erwarten natürlich von der Luftfahrtindustrie,
dass es mit den Produkten, welche mit deutschem
Steuergeld entwickelt werden, hier in Deutschland auch
zu einer Wertschöpfung kommt.
({1})
Wir wollen keine Entwicklung in Deutschland fördern,
die dann zu einer Produktion in China, Amerika oder
Russland führt.
Ein anderes großes Thema ist die Außenwirtschaftsförderung. Ich möchte noch einmal die Zahlen nennen:
In Deutschland leben ungefähr 2 Prozent der Weltbevölkerung, aber unser Anteil am gesamten Welthandel beträgt 10 Prozent, bei den Green Technologies beträgt er
sogar 16 Prozent. Daran kann man ermessen, welche
Rolle der Außenhandel, der Export für die deutsche
Wirtschaft spielt. Deutschland ist Exportvizeweltmeister. Wir hoffen, dass wir wieder Weltmeister werden.
Aber es spielt letztlich keine Rolle, ob wir nun Erster
oder Zweiter sind. Wir hoffen, dass die im Haushalt veranschlagten Mittel für die Außenwirtschaftsförderung
ausreichen, dass die German Trade and Invest GmbH auf
die Beine kommt und nicht nur ihren Personalkörper
aufbaut.
Ein weiteres Thema ist die Regionalförderung, die
ebenfalls von niemandem erwähnt wurde. Es geht um
die Investitionsförderung, GRW, GA, je nachdem, welchen Begriff man wählt. 674 Millionen Euro sind dafür
im Haushalt veranschlagt. Hier setzt eine große Hebelwirkung ein, denn die 674 Millionen Euro sind nur die
Mittel des Bundes. Dazu kommen Mittel in gleicher
Höhe von den Ländern, also noch einmal 674 Millionen
Euro, dass heißt, insgesamt 1,3 Milliarden Euro an Investitionsfördermitteln. Das aber sind meist nur 20 Prozent einer Investition. 80 oder 70 Prozent, je nachdem, in
welchem Fördergebiet investiert wird, bringt die Wirtschaft selber auf. Sie können also selbst rechnen, dass zu
den 1,3 Milliarden Euro noch Milliarden Euro an weiteren Mitteln hinzukommen. Genau dieses Investitionsvolumen brauchen wir in Deutschland zur Sicherung von
Arbeitsplätzen und zum Aufbau neuer Arbeitsplätze.
Trotzdem muss man feststellen: Die Mittel für die Investitionsförderung im Haushalt des BMWi sind niedriger
als die für die Steinkohlesubventionierung. Man muss
also immer im Blick haben, dass die Kosten der Steinkohle nach wie vor enorm sind.
Dass die Investitionsförderung in Deutschland funktioniert, zeigt sich daran, dass selbst die Mittel für die
Sonderprogramme 2009 abgearbeitet sind und die Gelder in Deutschland investiert wurden. Gemäß den
Prognosen für 2010 und 2011 wird der Bedarf an Investitionsfördermitteln eher ansteigen. Es ist ein sehr positives Zeichen, dass die deutsche Industrie in der Krise investiert. Das sind für die nächsten Jahre gute
Nachrichten.
Wir werden uns über die Förderkulisse dieses Jahr
noch einmal unterhalten. Wir wollen, dass die C-Fördergebiete erhalten bleiben, damit die strukturschwachen
Gebiete in Gesamtdeutschland von der Regionalförderung profitieren können.
Zusammenfassend kann ich sagen: Hätten Sie sich
den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums einmal
intensiver angeschaut, dann wären Sie von den Oppositionsfraktionen nicht zu der Schlussfolgerung gekommen, dass das Wirtschaftsministerium nicht in der Lage
sei, die Wirtschaftspolitik in Deutschland zu gestalten,
sondern Sie wären zu dem Schluss gekommen, dass dieser Haushalt im Bereich der Investitionen und der Unterstützung für Forschung und Technologie hervorragende
Voraussetzungen bietet, damit die deutsche Wirtschaft
die Krise überwindet und das Wirtschaftswachstum in
den nächsten Jahren vorankommt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat Michael Schlecht für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die Regierung und auch Herr Brüderle haben zentrale
Ziele für die Wirtschaftspolitik formuliert. Eines besteht
darin, darauf zu hoffen, dass bis zum Jahr 2011 die Wirtschaft wieder läuft und man in eine Exit-Strategie einsteigen kann. Vor allen Dingen trägt die Regierung das
Mantra vor sich her: Wir wollen stärker aus dieser Krise
wieder herauskommen.
Die spannende Frage ist natürlich, was das eigentlich
heißt: „stärker wieder herauskommen“. Stärker werden
heißt bei der Regierung nicht, dass, wie wir wollen,
30 Milliarden Euro mehr für Universitäten, Schulen
und Kinderbetreuung ausgegeben werden. Stärker
werden heißt auch nicht, deutlich mehr für soziale
Dienste sowie für Kranke und alte Menschen in diesem
Lande auszugeben und damit wirklich deutliche Verbesserungen in diesem Bereich zu erzielen. Stärker werden
heißt auch nicht, wirklich massiv - wir denken, mindestens 50 Milliarden Euro sind dafür angezeigt - in die
marode deutsche Infrastruktur zu investieren und vor
allen Dingen die Industrieproduktion nachhaltig umzubauen hin zu binnenländisch verwendbaren Produkten,
ökologischen Technologien und dergleichen mehr. Wir
brauchen vor allen Dingen die Stärkung der Binnennachfrage; denn selbst dann, wenn man die wunderbarsten ökologischen Produkte entwickelt, wird die
Nachfrage nicht automatisch kommen. Vielmehr muss
hier der Staat handeln. Stärker werden heißt vor allen
Dingen auch, mehr in die Berliner S-Bahn und ICEs zu
investieren, damit diese wieder ordentlich fahren können. All das würde dazu beitragen, dass man wirklich
wieder stärker wird.
({0})
Die Linke will ein Zukunftsprogramm, mit dem die
Binnennachfrage wirklich nachhaltig gestärkt wird. So
könnte eine Umsteuerung erfolgen. Wir wollen, dass auf
diese Weise 2 Millionen neue Jobs geschaffen werden die Arbeit von morgen. Finanzierbar wäre das Ganze
zum Beispiel durch Einführung einer Millionärssteuer.
Stärker werden darf nicht heißen, dass man immer
mehr darauf setzt, dass die Exporte ansteigen. Die deutsche Wirtschaft hat seit 2002 einen Exportüberschuss
von kumuliert fast 1 Billion Euro erzielt. Die Regierung
ist darauf auch noch stolz. Der Haken an der Sache ist
nur, dass dies nur funktioniert, wenn sich immer mehr
andere Länder entsprechend weiter verschulden. Es gab
ein Land, das den Exportjunkies Deutschland, Japan und
China die Exportüberschüsse abgekauft hat. Das waren
die USA. Möglich wurde dies durch eine dramatisch gestiegene Verschuldung. Insofern - das muss man einmal
deutlich sagen - gehören die Verschuldung der USA
und die deutsche Wirtschaftspolitik fast so zusammen
wie die FDP und Mövenpick.
({1})
Das durch die Agenda 2010 hervorgerufene Lohndumping hat die Bevölkerung enteignet und deutschen
Unternehmern massive Wettbewerbsvorteile im Ausland
beschert. Die Exporte wuchsen immer stärker an.
Gleichzeitig wurde die Binnennachfrage immer mehr
beschnitten. So entstand ein gigantischer Exportüberschuss. Im Finanzdesaster der USA ist dieses System
kollabiert. Der Ausbruch der Verschuldungskrise in den
USA ist in bestimmter Weise auch ein von der deutschen
Wirtschaftspolitik hervorgerufenes Desaster. Wer aber
nach wie vor glaubt, die Binnennachfrage nicht stärken
zu müssen, und darauf hofft, 2011 mit einer Exit-Strategie eine Wende einleiten zu können, ist ein wirtschaftspolitischer Geisterfahrer, der eine große Gefahr für die
weitere wirtschaftliche Entwicklung darstellt.
Im Rahmen der G 20 wurde in Pittsburgh zuletzt vereinbart, dass Länder mit einem nachhaltigen und deutlichen Exportüberschuss ihre Strategie ändern und für
mehr Binnennachfrage sorgen sollen. Davon ist hier in
Deutschland überhaupt nichts zu spüren. Diese auf dem
G-20-Treffen eingegangene Verpflichtung wird in
Deutschland überhaupt nicht umgesetzt, findet überhaupt keinen Niederschlag im Regierungshandeln.
Neben einem massiven Investitionsprogramm in
Höhe von 100 Milliarden Euro - ich sagte das schon benötigen wir vor allen Dingen eine deutliche Stärkung
der Löhne, um die Binnennachfrage zu stärken.
({2})
Die Einkommen der Beschäftigten müssen steigen. Vor
allen Dingen müssen auch die Einkommen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst steigen. Insofern ist es eigentlich unverantwortlich, wenn ein Wirtschaftsminister
dazu aufruft, bei Lohnforderungen ganz kurz zu treten.
Genau das erleben wir ja jetzt bei der aktuellen Tarifrunde des öffentlichen Dienstes. Ich hoffe, dass meine
Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst mit
Entschiedenheit durch Gegenmaßnahmen, auch durch
Streiks, nicht nur ihre eigenen Interessen vertreten, sondern Sie damit auch zu einem Kurs der wirtschaftspolitischen Vernunft zwingen. Das würde unser Land voranbringen.
Danke schön.
({3})
Michael Luther hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Brüderle! Ich bin sozusagen der
letzte Redner in dieser Debatte,
({0})
kurz bevor der Haushalt - und es geht ja um das Haushaltsgesetz - dem Haushaltsausschuss durch Überweisung überantwortet wird. Ich habe sehr aufmerksam die
letzten anderthalb Stunden der Debatte verfolgt
({1})
und habe mir dabei meine eigenen Gedanken gemacht.
Ich glaube, das Parlament hat seine Rolle genau wahrgenommen. Die Regierung, Herr Brüderle, und die Redner
der Union haben versucht, deutlich zu machen, worauf
es in der Wirtschaftspolitik in den nächsten Wochen und
Monaten ankommt.
({2})
Auch die Opposition hat ihre Rolle gespielt. Sie hat all
das benannt, was nicht geht. Am meisten verwundert
mich natürlich die SPD: Nach elf Jahren in der Regierungsverantwortung hat sie - schwupps - den Schalter
umgelegt und sagt heute genau das Gegenteil von dem,
was sie im letzten Jahr erzählt hat.
({3})
Das war für mich schon spannend.
({4})
Gleichwohl glaube ich, dass wir uns in diesem Hause
über eine Wahrheit einig sein sollten, nämlich dass der
Wirtschaftsminister mit seinem Haushalt eine zentrale
Verantwortung für die Wirtschaft in Deutschland trägt.
Denn die Wahrheit heißt: Wenn die Wirtschaft floriert,
dann geht es Deutschland gut; dann gibt es genügend Arbeitsplätze und gute Löhne; dann fließen Steuern und
Sozialabgaben.
({5})
Damit können wir dann unseren Sozialstaat finanzieren.
({6})
Ich denke, dass - und davon ist die Debatte auch nicht
unbeeindruckt geblieben - die Finanz- und Wirtschaftskrise, die wir 2008/2009 auch in Deutschland erleben mussten, bislang gut „gehändelt“ worden ist. Wir
haben durch die Konjunkturpakete richtige Schwerpunkte gesetzt, um letztendlich Schlimmeres zu verhindern. Das ist uns, glaube ich, auch gelungen.
Jetzt aber, zu Beginn des Jahres 2010, stellen wir fest,
dass unsere Wirtschaft wieder wächst, zwar nicht so
sehr, wie wir uns das wünschen würden, aber immerhin.
Die Aufschwungkräfte sind aber noch zu gering. Wir
müssen aus fiskalischer und wirtschaftspolitischer Sicht
noch manches tun, um sie zu stärken und voranzubringen. Ich denke, die Große Koalition - ich meine: die Koalition, ohne groß ({7})
- die Koalition ist groß; in Ordnung - erfüllt genau diese
Aufgabe.
({8})
Wir haben mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz
begonnen. Es ist ein wichtiges Signal,
({9})
dass Entlastungen vorgenommen und Wachstumshemmnisse abgebaut werden.
({10})
Wir müssen auch in schwierigen haushaltspolitischen
Zeiten genau diesen Weg weitergehen. Ansonsten werden wir das Konjunkturpflänzchen, das langsam wieder
zu wachsen beginnt, nicht weiterwachsen sehen.
({11})
Meine Damen und Herren, ich will noch einiges zum
Haushalt selbst sagen. Wir haben ein Volumen von
knapp 6,3 Milliarden Euro; das ist eine leichte Etatsteigerung. Diese leichte Etatsteigerung resultiert aus der
Strategie der Bundesregierung, die Bildungs- und Forschungslandschaft in Deutschland für die Zukunft fitzumachen.
({12})
Auch im Wirtschaftsbereich stellen wir uns dieser Aufgabe, und ich denke, das ist ein wichtiges Signal an die
Wirtschaft für die Zukunft in unserem Land.
({13})
Ein zweiter Punkt: Auch in diesem Haushalt setzt die
Bundesregierung jetzt darauf, Altes zurückzufahren und
Neues zu fördern.
({14})
Der Rückgang der Kohlebeihilfen ist ein wichtiges Signal, da es sich um eine Technologie handelt, die ausläuft.
Wir können die Mittel, die dadurch frei werden, für etwas anderes einsetzen. 2,3 Milliarden Euro - das ist das
Kernstück des Einzelplans - werden für Technologie
und Innovationsförderung zur Verfügung gestellt. Das
ist genau das richtige Signal für die Zukunft.
({15})
Das zentrale Innovationsprogramm für den Mittelstand wurde schon vom Kollegen Lämmel angesprochen. Wir geben dafür viel Geld aus und legen damit
eine Basis für unseren Mittelstand. Er braucht diese Förderung, gerade um FuE-Projekte voranzubringen. Dafür
ist dieses Programm genau die richtige Maßnahme. Als
jemand, der aus den neuen Bundesländern kommt, will
ich betonen: Es ist sinnvoll, Programme, die sich in den
neuen Bundesländern als erfolgreich erwiesen haben,
auf Gesamtdeutschland zu übertragen. Das passiert an
dieser Stelle. Dem Minister danke ich herzlich für das
Signal, das er mit Aufstellen dieses Haushalts gegeben
hat.
({16})
Ich möchte noch etwas zu dem Thema Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ sagen. Dafür sind 670 Millionen Euro
vorgesehen. Diese Förderung, die hauptsächlich für die
neuen Bundesländer vorgesehen ist, ist nach wie vor
sehr wichtig. Unabhängig von den Maßnahmen gegen
die Wirtschaftskrise - auch in den neuen Bundesländern
muss diese Krise natürlich überwunden werden - ist es
allerdings so, dass hier noch mehr gemacht werden
muss. Wenn ich mir den Zeitraum von 1990 bis heute
ansehe, dann muss ich sagen: Nach dem Konkurs der
DDR, als die Wirtschaft am Boden lag, haben wir in den
letzten 20 Jahren viel, aber noch nicht alles erreicht. Wir
stehen jetzt bei einem Volumen von circa 80 Prozent des
Westniveaus. Parallel zu der Krisenbewältigung ist es
also unbedingt notwendig, dass wir den Wirtschaftsaufbau Ost fortsetzen; denn es muss unser gemeinsames
Ziel sein, dass die neuen Bundesländer in absehbarer
Zeit von ihrem eigenen Geld leben können. Wir setzen
uns dafür ein, dass dies mithilfe der im Haushalt des
Wirtschaftsministeriums vorgesehenen Maßnahmen erreicht werden kann.
({17})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Haushaltsausschuss wird ein Haushalt mit einer sehr hohen, aber, wie
ich glaube, wohlbegründeten Neuverschuldung vorgelegt. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass wir eine
schwere Finanz- und Wirtschaftskrise zu tragen haben
und überwinden müssen. Für die Zukunft müssen wir
von dieser Verschuldung herunterkommen. Denn die
Zinsen als Folge der Neuverschuldung müssen wir ebenfalls im Haushalt tragen. Sie belasten uns zunehmend.
Ich kann Ihnen zusagen, dass wir uns in den Haushaltsberatungen diesem Thema stellen werden. Wir werden
jeden Titel genau überprüfen und schauen, ob die Neuverschuldung nicht vielleicht ein Stück zurückgeführt
werden kann. Jeder Schritt in dieser Richtung ist wichtig. Ich bin gespannt, was wir mit einer gemeinsamen
Kraftanstrengung erreichen können.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine gute
Haushaltsberatung. Lassen Sie uns gemeinsam ans Werk
gehen!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Zu diesem Einzelplan liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Wir unterbrechen die Haushaltsberatungen für einen
kurzen Moment.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie Zusatzpunkt 1 auf:
3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag über die Errichtung des IT-Planungsrats
und über die Grundlagen der Zusammenarbeit beim Einsatz der Informationstechnologie
in den Verwaltungen von Bund und Ländern Vertrag zur Ausführung von Artikel 91 c GG
- Drucksache 17/427 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Rechtsausschuss
ZP 1 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen Nr. 187 der Internationalen
Arbeitsorganisation vom 15. Juni 2006 über
den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz
- Drucksache 17/428 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Hierbei handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlagen
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist es
so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 4 a
bis 4 d. Hier geht es um vier Gremienwahlen, die wir
mittels Handzeichen durchführen werden.
Tagesordnungspunkt 4 a:
Beirat bei der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und
Eisenbahnen
- Drucksache 17/460 ({2}) Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
vor.
Wer stimmt für die Wahlvorschläge auf Drucksache
17/460 ({3})? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Dann ist das einstimmig so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 4 b:
Beirat für Fragen des Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur ({4})
- Drucksache 17/461 Dazu liegen wiederum Wahlvorschläge aller Fraktionen vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall.
Dann sind auch diese Wahlvorschläge einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 c:
Beirat zur Auswahl von Themen für die Sonderpostwertzeichen ohne Zuschlag beim Bundesministerium der Finanzen ({5})
- Drucksache 17/462 Dazu liegen Ihnen Wahlvorschläge der Fraktionen der
CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 17/462 vor.
Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Wahlvorschläge sind einstimmig beschlossen.
Tagesordnungspunkt 4 d:
Beirat für die grafische Gestaltung der Sonderpostwertzeichen beim Bundesministerium
der Finanzen ({6})
- Drucksache 17/463 Auf Drucksache 17/463 liegen Ihnen die Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vor. Wer
stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Auch diese Wahlvorschläge sind einstimmig so beschlossen.
Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen fort und
kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelpan 17. Als Erste hat das Wort die Bundesministerin
Dr. Kristina Köhler.
({7})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit einiger Verwunderung habe ich in den letzten Wochen eine offenbar weit verbreitete Auffassung zur
Kenntnis genommen: In der Familienpolitik seien die
großen, grundsätzlichen Themen abgehakt. Das ist natürlich ein schönes Kompliment für die Familienpolitik
der Union in den letzten vier Jahren; insofern freue ich
mich darüber. Ich teile allerdings nicht die Befürchtung,
dass uns im Familienressort in den nächsten Jahren die
großen Themen ausgehen. Ich nutze die heutige Haushaltsdebatte gern für ein paar grundsätzliche Ausführungen.
Der Kabinettsentwurf des Bundeshaushaltes 2010
sieht für den Einzelplan 17 einen Etat von insgesamt
6,56 Milliarden Euro vor. Damit stünden dem Familienressort rund 171 Millionen Euro mehr als im Vorjahr zur
Verfügung. Dieses Plus käme den Familien in unserem
Lande zugute; denn es ist zum größten Teil auf Mehrausgaben für die gesetzlich festgelegten Familienleistungen zurückzuführen, von denen ich drei hervorheben
möchte:
Erstens. Familien erhalten seit dem 1. Januar mehr
Kindergeld. Davon ist zwar nur der geringste Teil in un1400
serem Einzelplan etatisiert; dennoch ist die Kindergelderhöhung ein wichtiges familienpolitisches Signal.
({0})
Viele Familien kommen nämlich mit ihrem Einkommen
gerade so über die Runden. Für sie ist jeder Euro mehr
ein Stück mehr Lebensqualität. Wir lösen damit das
wichtige Wahlversprechen ein, dass wir Eltern und Kindern gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten den Rücken stärken.
Zweitens. Wir geben mehr Geld für den Kinderzuschlag aus. Dafür sind im Etat 374 Millionen Euro veranschlagt. Diese Familienleistung kommt in allererster
Linie Geringverdienern zugute, die sonst nur wegen ihrer Kinder in Hartz IV abrutschen würden. Wir sagen:
Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein; der Fleiß dieser
Eltern muss sich lohnen. Sonst brauchen wir uns nämlich nicht zu wundern, wenn es immer wieder Kinder
gibt, die nicht Kranführer oder Krankenschwester werden wollen, sondern Hartz-IV-Empfänger.
Drittens. Größter Posten im Einzelplan 17 bleibt das
Elterngeld. Dafür stehen 2010 knapp 4,5 Milliarden
Euro zur Verfügung. Damit ermöglichen wir Müttern
und Vätern eine berufliche Auszeit nach der Geburt eines Kindes. Im Vergleich zum Vorjahr sind dies 80 Millionen Euro mehr. Das ist aber gut ausgegebenes, gut angelegtes Geld, denn Kostentreiber im positiven Sinne
sind vor allem die Väter.
({1})
Diese zunehmende Akzeptanz der Vätermonate zeigt,
dass wir damit ein Bedürfnis junger Familien getroffen
haben. Deshalb möchte ich auch noch in diesem Jahr die
Zahl der Vätermonate erhöhen und ein Teilelterngeld
einführen und bitte Sie dafür um Ihre Unterstützung,
({2})
denn damit geben wir Vätern und Müttern mehr Zeit, um
Verantwortung in der Familie zu übernehmen, und dies
kommt vor allen Dingen den Kindern zugute.
So viel erst einmal zu den gesetzlich festgelegten Familienleistungen, die im Etat den mit Abstand größten
Ausgabenblock darstellen. Ich möchte aber aus dem
Einzelplan 17 drei weitere Titel exemplarisch herausgreifen, die sich auf ganz aktuelle Diskussionen beziehen.
Erstens ist dies der Ausbau der Kinderbetreuung
für die unter Dreijährigen. Vor drei Jahren haben sich
Bund, Länder und Kommunen auf ein gemeinsames Ziel
geeinigt: Bis zum Jahr 2013 sollen 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren Betreuungsangebote nutzen können. Ich bin überzeugt, dass das zu schaffen ist und dass
wir den Bedarf damit werden decken können, denn das
35-Prozent-Ziel wurde auf guter empirischer Grundlage
vereinbart.
Neue Zahlen, die der Deutsche Städte- und Gemeindebund letzte Woche ins Spiel gebracht hat, sind unrealistisch, denn sie basieren auf einer Umfrage bei Frauen
mit Kinderwunsch, ob sie denn Interesse an Betreuung
hätten, wohlgemerkt für Kinder, die in den nächsten Jahren erst noch geboren werden müssen. Das ist etwa so, als
würde man ein Jahr vor der Bundestagswahl die Sonntagsfrage stellen und auf dieser Basis dann Koalitionsverhandlungen führen. Die Panik, die hiermit geschürt wird,
ist übertrieben. Wir sollten sie nicht schüren, sondern
uns erst einmal anstrengen, um das gemeinsam vereinbarte Ziel zu erreichen.
({3})
Der Bund trägt dazu seinen Anteil bei. Bis 2013 stellen wir 4 Milliarden Euro zur Verfügung, zum einen für
die Investitionen, zum anderen für die Betriebskosten.
Ab 2014 beteiligt sich der Bund dann mit rund 770 Millionen Euro pro Jahr an den Kosten für den laufenden
Betrieb. Darüber hinaus hat die Bundesregierung den
Kommunen 6,5 Milliarden Euro mit dem Konjunkturpaket II zur Verfügung gestellt, Geld, das ausdrücklich
auch für die Infrastruktur der frühkindlichen Bildung genutzt werden kann.
({4})
Deshalb appelliere ich im Gegenzug an Länder und
Kommunen: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen,
dass alle Eltern, die einen Betreuungsplatz in Anspruch
nehmen wollen, ihn ab 2013 tatsächlich in Anspruch
nehmen können.
({5})
Zweitens geht es ebenfalls um ein ganz aktuelles
Thema, den Zivildienst. 650 Millionen Euro geben wir
für den Zivildienst aus, insgesamt rund 7 Millionen mehr
als 2009, was mit der leicht erhöhten Zahl Zivildienstleistender zu tun hat. Wegen der Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate zum 1. Januar 2011 stehen uns
hier aber große Umbrüche ins Haus. Wenn 90 000 Zivildienstleistende drei Monate weniger Dienst leisten, dann
fallen in den sozialen Einrichtungen 270 000 Dienstmonate weg.
Im Moment arbeiten wir mit dem Koalitionspartner
intensiv an einer Lösung hierfür. Der Zivildienst muss
für junge Männer attraktiv bleiben, er muss auch für die
Dienststellen attraktiv bleiben, und die „biografische Lücke“, die zwischen dem Ende des Zivildienstes und dem
Beginn von Ausbildung oder Studium entsteht, muss so
gering wie möglich sein. Aber ich bin zuversichtlich,
dass wir hierbei bald zu einem Ergebnis kommen werden, mit dem alle Beteiligten und alle Betroffenen werden gut leben können.
({6})
Gut leben können hoffentlich auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Oppositionsfraktionen, mit
der Lösung, die ich für die Neuausrichtung der Programme zur Extremismusprävention erreicht habe. Ich
bin damit beim dritten aktuellen Thema. Es war in den
letzten Wochen schön zu beobachten, wie zuverlässig
die alten Reflexe funktionieren.
({7})
Dabei ist es doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit,
dass wir gegen alle Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorgehen: gegen Rechtsextremisten, gegen Linksextremisten, gegen Antisemiten und
gegen Islamisten. Es gibt keine guten Extremisten.
({8})
Deshalb werde ich die Präventionsprogramme zur Extremismusbekämpfung umbauen.
Wir starten noch im Jahr 2010 zwei Pilotprojekte gegen Linksextremismus und gegen Islamismus. Dafür stehen 2 Millionen Euro aus Mitteln zur Verfügung, die
2009 nicht abgerufen wurden. Die im Einzelplan 17 vorgesehenen 24 Millionen Euro für die bereits bestehenden
Bundesprogramme zur Extremismusprävention bleiben
unangetastet. Erst für 2011 plane ich eine Neukonzeption der Programme. Grundlage sind dann auch die Erfahrungen, die wir 2010 mit den erwähnten Pilotprojekten zur Bekämpfung des Linksextremismus und des
Islamismus machen werden.
Der Einzelplan 17 des Bundeshaushalts 2010 zeigt
nicht nur, wo wir heute stehen, sondern er weist auch
den Weg zu einem großen familienpolitischen Thema
der Zukunft. Denn er zeigt klar und deutlich: Wir tun
viel, damit Eltern Zeit für Verantwortung haben. Aber
wir tun viel zu wenig, damit pflegende Familienangehörige Zeit für Verantwortung haben. Als Familienministerin verstehe ich mich nicht nur als Anwältin der
Eltern, sondern auch als Anwältin der Älteren.
Menschen, die in unserer Gesellschaft ein Leben lang
viel geleistet haben, einen würdigen Lebensabend zu ermöglichen - dazu verpflichtet uns unser Menschenbild.
Nicht nur aus ethischem Pflichtgefühl, sondern auch aus
tiefem inneren Bedürfnis pflegen Menschen ihre betagten Angehörigen, und zwar im Schnitt gut acht Jahre
lang. Sie bringen dabei große persönliche Opfer. Viele
gehen dabei über die Grenzen ihrer persönlichen Belastbarkeit hinaus. Jeder von uns kennt doch jemanden, der
zu Hause die demenzkranke Mutter oder den vom
Schlaganfall gezeichneten Vater pflegt. Aber für uns
selbst haben wir oft keine Antwort auf die Frage parat,
woher wir die Zeit dafür nehmen würden, wenn es unsere eigenen Eltern treffen sollte.
Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass die
Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland von
derzeit etwas über 2 Millionen auf knapp 3 Millionen im
Jahr 2020 steigen wird. Spätestens dann stehen wir ein
zweites Mal vor dem Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dann allerdings mit Blick auf die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Zeit für Verantwortung heißt deswegen auch: Zeit für Pflege. Da gibt es
eine Menge zu tun. Ich glaube, das wird uns über Jahre
hinweg beschäftigen.
Als Vertreterin der jungen Generation erlaube ich mir
den Hinweis: Diese Frage hätte man auch schon früher
angehen müssen; schließlich ist der demografische Wandel nicht über Nacht über uns hereingebrochen.
({9})
Aber wie ein afrikanisches Sprichwort sagt: Die beste
Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die
zweitbeste Zeit ist heute.
In diesem Sinne herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Dagmar Ziegler von der
SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, ich darf Ihnen im Namen der SPD-Fraktion ganz herzlich zu Ihrer
Amtsübernahme gratulieren. Ich wünsche Ihnen ehrlichen Herzens ein gutes und glückliches Händchen.
({0})
Sehr geehrte Frau Dr. Köhler, Sie haben angekündigt,
sich als Ministerin für Gesellschaftspolitik zu verstehen.
Ich finde, das ist ein sehr guter Ansatz. Wenn wir hören,
was Sie vorhaben - das haben Sie heute erläutert -, dann
fragen wir uns: Wo sind die Visionen, von denen Sie gesprochen haben? Wo sind die Dinge, die Sie voranbringen wollen? Wo sind die großen Leitprojekte, mit denen
Sie den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft
- Sie sprechen immer so schön von den Bindekräften stärken wollen? Zumindest in Ihrer Rede konnten wir
davon nichts erkennen. Nun sind Sie ganz neu im Amt,
und wir hoffen darauf, dass sich das noch verändern
wird.
({1})
Ich möchte Ihnen die Befürchtungen, die wir haben,
mitteilen. Es reicht nicht, dass man nur Sprechblasen
loslässt. Sie müssen natürlich mit Inhalten gefüllt werden. Als ersten Punkt nehme ich die Gleichstellungspolitik. Wir haben es jahrelang mit freiwilligen Ansätzen
versucht, mussten aber feststellen, dass das nicht funktioniert. Jetzt haben wir gesetzliche Initiativen ergreifen
wollen. Blockiert hat, zum Beispiel bei der Frauenquote
bei Aufsichtsräten, die Koalition.
Nehmen wir die Kinderbetreuung: Die letzte Koalition hat einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz
ab dem ersten Geburtstag der Kinder ab 2013 gesetzlich
verankert. Diese Koalition schlägt den Ländern und
Kommunen jetzt allerdings die finanziellen Mittel aus
der Hand, die sie benötigen, um diesen gesetzlichen Auftrag erfüllen zu können.
({2})
1 Milliarde Euro für Hoteliers mehr - das kann man
nicht abstreiten -, aber 2,1 Milliarden Euro weniger für
die Kommunen. Allein diese Diskrepanz muss Ihnen zu
denken geben. 1,5 bis 1,9 Milliarden Euro für das Be1402
treuungsgeld, was am Ende heißt, dass viele Kinder von
Bildungsangeboten, auf die Frau Schavan so sehr setzt,
ferngehalten werden. Das kann keine gute Familienpolitik sein.
({3})
Wenn ich die CDU/CSU-Abgeordneten höre, stellt
sich für mich schon die Frage, worauf sich das „C“ in Ihrer Partei bezieht.
({4})
Ich beantworte das damit, dass Sie den Spruch Jesu in
abgewandelter Form im Munde führen: Herr vergib uns;
denn wir wissen nicht, was wir tun.
({5})
- Das ist nicht billig, sondern das, was man aus Ihrer Politik herauslesen kann.
({6})
Ich werde Ihnen das ganz kurz an weiteren Beispielen
belegen. Das Thema Pflege ist ein Thema, das, wie wir
gerade gehört haben, auch zu den Highlights der Politik
der Ministerin gehören soll.
({7})
Auf die Fragen: „Was wollen Sie für die Pflegebedürftigen tun?“ und „Was wollen Sie für eine verbesserte Vereinbarkeit tun?“ fehlen aber die Antworten.
({8})
In der letzten Legislaturperiode hat die SPD eine bis zu
zehn Tage dauernde bezahlte Freistellung vorgeschlagen, wenn ein Pflegefall in der Familie eintritt. Wer hat
das abgelehnt? Die jetzigen Koalitionäre, nicht die SPD.
({9})
Zur Jugendpolitik. Sie taucht in Ihrem Spektrum
heute überhaupt nicht auf; die gibt es für Sie anscheinend nicht.
({10})
Was tun Sie für mehr Mitbestimmung von Jugendlichen?
Für mehr Beteiligung in Schule, Kommunen und Verbänden? Wir reduzieren im Rahmen der Jugendpolitik
die Jugendlichen oftmals auf Defizite und Problemfamilien. Aber wo geben wir ihnen Chancen zu wirklicher
Teilhabe an der Gesellschaft? Keine Antwort darauf bisher.
({11})
- Ich sitze in der Opposition und warte erst einmal Ihre
Vorschläge ab. Das ist doch wohl unser gutes Recht.
({12})
Wir waren die Inputgeber in allen Politikfeldern der
Großen Koalition. Jetzt müssen Sie alleine klarkommen.
({13})
Sehr geehrte Frau Ministerin, was tun Sie für Alleinerziehende, um sie wirksam vor Armut zu schützen? Das
ist im Übrigen eine Aufgabe, die Sie gemeinsam mit der
Fast-noch-Familienministerin, Frau von der Leyen,
wahrnehmen müssen. Wie gedenken Sie bei Ihren Steuersenkungsideen Mehrgenerationenhäuser, Eltern-KindZentren und lokale Bündnisse für Familien zu erhalten?
Sie sagen: Die Verantwortung für die Erziehung von
Kindern liegt vorrangig bei den Eltern. - Wie sollen die
ihre Verantwortung aber wahrnehmen, wenn die Angebote für Beratung und Mitgestaltung wegbrechen? Wie
sollen die vielen hauptamtlich und die - das sind noch
mehr - ehrenamtlich Tätigen in diesen Bereichen zurechtkommen, wenn Länder und Kommunen weniger
Geld haben, weil Sie ihnen das Geld entziehen, um anderen Steuergeschenke machen zu können? Wie sieht Ihre
Gesellschaftspolitik aus? Auf diese Fragen werden Sie
Antworten finden müssen. Das sind viele Fragen, die Sie
heute leider nicht beantwortet haben.
Deshalb sage ich: Wir brauchen eine umfassende Familienpolitik, bei der der Bund seiner Verantwortung gerecht wird. Aber wir brauchen auch eine Bundesregierung, die die Länder und die Kommunen in die Lage
versetzt, ihrer Verantwortung gerecht werden zu können.
Da müssen Sie noch eine ganze Menge tun, wenn Sie Ihrem Anspruch „Freiheit in Verantwortung“ gerecht werden wollen.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Toncar von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, auch ich darf Sie zu Ihrer Amtsübernahme beglückwünschen. Sie wissen die Liberalen immer an Ihrer Seite, wenn es um moderne, weltoffene und
verantwortungsorientierte Familienpolitik geht.
({0})
Die Koalition stellt die Familie in den Mittelpunkt.
Das ist kein Zufall; denn Familien sind der Ort, an dem
Freiheit in Verantwortung, an dem Zuwendung, Solidarität und Mitmenschlichkeit jeden Tag gelebt werden. Das
sind die Werte, zu denen sich diese Koalition bekennt.
({1})
Wenn man die ersten 100 Tage dieser Regierung betrachtet, dann muss man feststellen, dass wir uns vor allem um die Familien und gerade die mit Kindern gekümmert haben und damit um die Zukunft unseres Landes.
Wir haben im Dezember letzten Jahres - sehr zügig nach
der Regierungsübernahme der neuen Bundesregierung dafür gesorgt, dass der Kinderfreibetrag und das Kindergeld spürbar erhöht werden, und zwar weil wir wissen,
({2})
dass viele Familien, gerade die mit mehreren Kindern,
dringend auf größere Spielräume angewiesen sind. Es ist
auch eine Frage der Fairness, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Opposition, dass Kinder im Steuerrecht
nicht weiter wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Wir haben versprochen, das zu ändern, und das machen wir jetzt auch.
({3})
Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz - das
muss man wirklich sagen - ist ein Gesetz in Kraft getreten, das im Wesentlichen ein Familienentlastungsgesetz
ist. Wer sich die Zahlen anschaut - darüber sprechen Sie
nicht; das verstehe ich; aber Sie müssen mir zugestehen,
dass ich es tue -, der sieht, dass von den 8 Milliarden
Euro Entlastungsvolumen, Geld, das bei den Bürgern
bleibt - das Geld verschwindet ja nicht, sondern bleibt
bei den Bürgern, die es erarbeitet haben -,
({4})
4,6 Milliarden Euro Entlastung bei den Familien ankommt. Das muss man einmal festhalten. Wenn das
keine Politik für Familien ist, weiß ich nicht, was Politik
für Familien sein soll.
({5})
Insofern muss ich sagen, dass ich es umso verwunderlicher finde, dass die Opposition so gegen dieses Gesetz
wettert.
({6})
Wissen Sie: Auch wir waren in der Opposition, und
wir haben immer wieder Punkte gefunden, bei denen wir
sehr unterschiedlicher Meinung waren. Darüber muss
gestritten werden. Aber ich finde es nicht nur eigenartig,
sondern auch beschämend, dass sich der Bundestag nicht
einmal geschlossen dazu durchringen kann, 4,6 Milliarden Euro Entlastung für Familien mit Kindern gutzuheißen und zu sagen: Hier hat die Regierung etwas richtig
gemacht.
({7})
Ich möchte zitieren, mit welchen Worten Vertreter Ihrer Fraktion in dieser Haushaltswoche, in den letzten
zwei Tagen, über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz
gesprochen haben, und zwar ohne zu unterscheiden, ob
es um Kindergeld oder andere Entlastungen geht.
({8})
Ihr Fraktionsvorsitzender hat gestern über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz gesagt:
Sie verschleudern das Geld, sodass es hinterher an
allen Ecken und Enden fehlt.
Der haushaltspolitische Sprecher Ihrer Fraktion hat vorgestern in der allgemeinen Finanzdebatte über die Sofortmaßnahmen der Regierung gesagt: 10 Milliarden
Euro verjuxt und verjubelt.
({9})
Die Familien in Deutschland, die diese Haushaltswoche
verfolgen, wissen, wer auf ihrer Seite steht und wer äußerst abwertend über Geld für Familien spricht. Das sind
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Es ist nicht zuletzt eine Frage des Familienbildes, ob
man glaubt, dass Geld für Familien am besten vom Staat
verteilt wird, oder ob man glaubt, dass Familien sehr
wohl in der Lage sind - jedenfalls in ihrer großen Mehrheit -, selbst zu entscheiden, was gut für Kinder ist.
({11})
- Ich glaube nicht, dass es redlich und richtig ist, da einen Gegensatz zu konstruieren.
({12})
Ich glaube nicht, dass das ein Gegensatz ist, Frau Kollegin. Wir müssen doch sehen, dass wir Familienpolitik
nicht nur für die Fälle machen, in denen etwas schiefgegangen ist, sondern auch, um die Familien, die sich redlich bemühen - das sind in Deutschland viele -, zu stärken, ihre Kinder aus eigener Kraft zu erziehen.
({13})
- Ihre Reaktion zeigt viel von Ihrer Haltung.
Sie haben völlig recht, dass es auch und gerade bei
Kindern Probleme gibt, um die wir uns kümmern müssen. Das tun wir doch auch. Wir verbessern doch die Infrastruktur bei der Betreuung vor Ort. Da hilft der Bund
den Kommunen. Den Grundgedanken teilen wir alle.
Dies ist eine Aufgabe, die in dieser Dimension neu ist
und weitergeführt werden muss. Für uns als Freie Demokraten ist es völlig selbstverständlich, dass Familie und
Beruf vereinbar sein müssen, dass wir Integrations- und
Bildungsangebote auch für sehr junge Kinder in den
Kommunen brauchen und dass der Bund hier auch finanziell in der Pflicht steht.
({14})
Der Einzelplan 17 wird natürlich weiterentwickelt.
Die Ministerin hat darauf hingewiesen: Das Elterngeld
soll teilzeitfähig gemacht und bis zu 28 Monate gezahlt
werden. Ich glaube, das ist etwas, was für viele Familien
wichtig ist, weil es ihre Flexibilität erhöht und Vätern
wie Müttern erlaubt, ihre Arbeitsbiografien, ihre Wünsche und Vorstellungen noch besser aufeinander abzustimmen. Es darf auch nicht zum Nachteil von Eltern
sein, wenn sie Teilzeitarbeit wollen. Wir werden das flexibilisieren und damit mehr Wahlfreiheit schaffen.
Für die Liberalen war besonders wichtig - auch das
werden wir umsetzen -, dass die Bezugsdauer des Unterhaltsvorschusses erweitert wird, sodass er bis zum
14. Lebensjahr gezahlt wird. Auch das ist etwas, was
man trotz aller Differenzen einmal hervorheben sollte.
Es ist doch eine gute Sache, wenn wir hier vorankommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({15})
Wir haben im Koalitionsvertrag vorgesehen, ab 2013
ein Betreuungsgeld einzuführen. Seine Konzeption ist
noch offen. Für die FDP ist die eindeutige Anforderung
an dieses Betreuungsgeld - darauf werden wir
drängen -, dass es kein Anreiz sein darf, Familien davon
abzuhalten, sinnvolle Bildungsangebote vor Ort wahrzunehmen;
({16})
darauf werden wir achten.
({17})
- Das werden wir bei unserem Vorschlag berücksichtigen, Frau Kollegin; da kann ich Sie beruhigen. Schließlich sind die Liberalen an der Regierung beteiligt und
werden sich dafür starkmachen.
({18})
Frau Ministerin, das Volumen des Einzelplans 17
wird steigen. Das liegt vor allem daran, dass die gesetzlichen Leistungen erweitert werden. Wir werden, wie in
allen Einzelplänen, natürlich eine Konsolidierung auch
bei den freiwilligen Leistungen brauchen. Das gilt ebenfalls für das Personal. Darüber müssen und werden wir
im Rahmen der Haushaltsberatungen in den nächsten
Wochen sprechen.
Diese Koalition will die Familien stärken, weil dort
Verantwortung gelebt wird. Wir vertrauen auf die Verantwortungsbereitschaft der Familien. Der Staat ist für
die Familien ein Partner, der gebraucht wird, aber kein
Übervater, der Familien reguliert und bevormundet.
({19})
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Bockhahn von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Werte Besuchergruppe aus
Mecklenburg-Vorpommern!
({0})
Im Vorfeld der Debatte zum Einzelplan 17 standen in der
Öffentlichkeit kaum die Themen Familie, Frauen, Senioren oder Jugend im Mittelpunkt der Debatte. Ich hatte
den Eindruck, es ging in erster Linie um die Extremismusprogramme der Bundesregierung. Ich kann auch
verstehen, dass man darüber intensiv diskutiert.
In der Welt war am Dienstag, den 19. Januar, die
große Schlagzeile zu lesen: „Kristina Köhler bricht ihr
erstes Versprechen.“ Das wünscht man sich nicht, wenn
man neu im Amt ist. Aber es stimmt. Denn bis zu diesem
Zeitpunkt hieß es immer, dass an den Extremismusprogrammen in diesem Jahr vernünftigerweise nichts geändert wird. Noch am selben Tag meldete Spiegel Online,
dass doch noch 2 Millionen Euro gefunden wurden, um
auch Linksextremismus und Islamismus ordentlich bekämpfen zu können.
({1})
- Ja, mich müssen Sie genau beobachten; da haben Sie
völlig recht. Aber ich meine das wahrscheinlich anders
als Sie. - Darüber kann man sich erst einmal freuen.
Statt dieser Zurverfügungstellung von 2 Millionen Euro
für Programme zur Bekämpfung von vermeintlichem
Linksextremismus und Islamismus wäre eine Ausweitung der Programme zur Bekämpfung des Rechtsextremismus dringend notwendig gewesen.
Allein der Titel „Jugend, Vielfalt, Toleranz und Demokratie“, aus dem viele verschiedene Aktionspläne finanziert werden, ist völlig überlastet. Es gibt derzeit
90 lokale Aktionspläne, die bewilligt sind, und es gibt
149, die nicht bewilligt wurden,
({2})
in erster Linie, weil kein Geld da war. Es gibt 85 überregionale Projekte, die im Rahmen dieses Titels gefördert
werden, und es gibt 241 Ablehnungen, in erster Linie,
weil der Etat ausgelastet ist. Das macht deutlich, dass die
Anzahl der Programme gegen Rechtsextremismus längst
nicht groß genug ist und dass hier viel mehr Förderung
notwendig ist. Das fordert auch die Fraktion Die Linke.
({3})
Es heißt, in diesem Jahr werde an dem, was besteht,
nichts verändert. Ich nehme zur Kenntnis: Vor einiger
Zeit sind die Mittel für den Titel zur Förderung von Beratungsnetzwerken von etwa 2,4 Millionen Euro auf
5 Millionen Euro erhöht worden, und dieser Betrag
bleibt auch stabil. Nur, meine Damen und Herren: Es
wird nicht mehr, wie bisher, nur ein Beratungsnetzwerk
im Osten der Republik gefördert, sondern jetzt wird die
ganze Republik gefördert. Ich habe nichts dagegen, dass
man Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus in
ganz Deutschland einführt. Aber dafür reicht das Geld
hinten und vorne nicht.
Für Mecklenburg-Vorpommern, ein Bundesland, das
mit dem Rechtsextremismus leider ein überdurchschnittlich großes Problem hat, bedeutet dies, dass die Zuschüsse des Bundes für diese Beratungsnetzwerke im
Jahr 2010 von 950 000 Euro auf nur noch ein Viertel,
nämlich auf 250 000 Euro, zurückgefahren werden.
Das wiederum hat zur Folge, dass Sie auch die demokratischen Strukturen, die zivilgesellschaftlichen Strukturen vernichten, in denen Leute sich ehrenamtlich dem
Kampf gegen Rechtsextremismus widmen und sich für
die Förderung von Kultur und Demokratie und Toleranz
einsetzen. Das kann doch nicht das Ziel Ihrer Politik
sein.
({4})
Forderungen, bei den Programmen gegen Rechtsextremismus nicht zu kürzen, hören Sie nicht nur von
der Linken. Ich glaube BKA-Chef Ziercke ist unverdächtig, meiner Partei nahezustehen. Aber auch er sagt:
Kürzen Sie nicht bei den Programmen gegen Rechtsextremismus! Genau das haben Sie aber angekündigt.
Wie wichtig es ist, gegen Rechtsextremismus intensivst vorzugehen, zeigt sich an so vielen verschiedenen
Punkten. Gestern wurde vor dem Landgericht Rostock
erneut ein Prozess gegen eine rechtsextreme Prügelgruppe eröffnet. 2007 sollen sie in Pölchow, direkt vor
den Türen von Rostock, mit Holzlatten auf linke Demonstranten eingeprügelt haben. Mehrere Personen sind
dabei teilweise schwer verletzt worden. Einer der Schläger ist - das mag nicht überraschen - im Landesvorstand
der NPD.
Hier gilt es endlich etwas zu tun; denn das Problem ist
groß: Die Zahl der rechtsextrem motivierten Straftaten
hat sich zwischen 2004 und 2009 fast verdoppelt. Das ist
ein unglaublicher Anstieg, der zeigt, wie wichtig es ist,
dass Sie endlich aktiv werden und deutlich mehr tun
müssen als bisher.
2008 sind von Rechtsextremen zwei Straftaten mit
Todesfolge verübt worden. Diese reihen sich ein in eine
Reihe von insgesamt über 130 Todesfällen seit 1990, die
auf das Konto rechtsextremistisch oder ausländerfeindlich motivierter Straftäter gehen. Wenn Sie sich das vor
Augen führen, sehen Sie, wie wichtig es ist, auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus das Augenmerk zu legen und kein Stück nachzulassen.
({5})
Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie Programme gegen
Linksextremismus stärker fördern wollen. In der heutigen Ausgabe der Frankfurter Rundschau
({6})
heißt es in einem Artikel von Steffen Hebestreit mit der
Überschrift „Wundersame Geldvermehrung“:
Noch ist allerdings ziemlich unklar, welche Initiativen von diesem Geldsegen profitieren werden. Gibt
es linke Aussteiger-Projekte?
Nein, die gibt es nicht. Die werden auch nicht gebraucht.
({7})
Es passt also nicht zusammen, was Sie tun.
({8})
Ich kann Sie nur warnen, zu machen, was Sie vorhaben. Wenn Sie Rechtsextremismus und Linksextremismus gleichsetzen, vergleichen Sie Äpfel und Birnen miteinander. Das funktioniert nicht.
Noch schlimmer ist aber, was Sie im Hinblick auf den
Islamismus tun wollen, nämlich das auch noch alles
gleichsetzen.
({9})
- Zum Thema kommen? Schauen Sie sich den Einzelplan 17 an; in diesem Einzelplan sind die Extremismusprogramme der Bundesregierung aufgeführt. Also
gehört diese Debatte hierher. Hören Sie also zu!
({10})
Mit dem Islamismuswahn, den Sie verbreiten, machen Sie etwas ganz Gefährliches: Sie tun so, als sei der
Islam als Religion insgesamt gefährlich und demokratiefeindlich und toleranzfeindlich. Das stimmt aber
nicht. Innenminister de Mazière hat am Dienstag gesagt:
Der Islam in Deutschland muss tatsächlich einiges klären, nämlich wie er sich in dieser Gesellschaft bewegen
will, aber auch sein Frauenbild. - Da sind wir an einem
interessanten Punkt. Ich würde nicht behaupten, dass es
nur im Islam ein problematisches Frauenbild gibt. Ich
glaube, das gibt es sehr wohl auch im Christentum, im
Judentum, im Hinduismus und im Buddhismus.
({11})
Lassen Sie uns darüber reden, wie wir insgesamt gegen religiösen Fanatismus und gegen religiösen Fundamentalismus etwas tun können, um Demokratie und Toleranz zu stärken. Was Sie vorschlagen, führt in eine
Sackgasse.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Sven-Christian Kindler
von Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wird allgemein behauptet, Ursula von der Leyen habe als Familienministerin das Weltbild der Union verändert, die
Union neu aufgestellt, die Union modernisiert. Man
muss zugeben: Mit der Einführung des Elterngeldes
- dessen Bezug auch an Vätermonate geknüpft wurde und mit der Einführung des Rechtsanspruches auf einen
Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren ab 2013 hat
die Union, gerade die konservative Union, eine gute
Leistung erbracht. Das muss man lobend anerkennen.
({0})
- Die SPD war beteiligt; aber die SPD war damals schon
weiter als die Union.
Die Frage bleibt, ob die Union wirklich ihr gesellschaftliches Weltbild verändert hat. Schauen wir uns das
an: Gleich nachdem der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren festgeschrieben war, hat die CSU quergeschossen und gefordert,
dass Eltern, die ihr Kind lieber zu Hause betreuen wollen, Geld dafür bekommen sollen, ein sogenanntes
Betreuungsgeld.
({1})
Das war ein Fehler.
({2})
Der Streit geht in der neuen Koalition weiter. FDP
und CSU streiten sich jetzt um die Frage „Gutscheine
oder Barauszahlung“, obwohl dieser Streit nur davon ablenkt, dass das Betreuungsgeld an sich einfach widersinnig ist. Auf der einen Seite werden Betreuungseinrichtungen ausgebaut, was richtig ist, und auf der anderen
Seite werden Anreize geschaffen, die neuen Kitas zu
meiden und die Kinder eben nicht dorthin zu schicken.
Wo ist denn da die Logik? Das ist doch abstrus.
({3})
Wichtig ist beim Ausbau der U-3-Betreuung, dass es
nicht allein um die Betreuung geht, sondern vor allen
Dingen um Bildung und Integration, damit alle Kinder
gute Startchancen haben. Gerade die Kinder aus bildungsfernen Schichten brauchen Betreuung in gut ausgestatteten Kitas und Kinderbetreuungsstätten.
({4})
In Thüringen kann man heute schon sehen, was passiert, wenn ein Betreuungsgeld eingeführt wird. Kinder
aus bildungsfernen Schichten wurden massenhaft von
den Kitas abgemeldet. Frau Köhler, es ist jetzt an der
Zeit, sich zu entscheiden und Stellung zu beziehen, in
welche Richtung es gehen soll. Wollen wir vorwärts in
eine moderne Zukunft mit gerechten Startchancen für
alle Kinder, oder geht es mit der Herdprämie zurück in
die Vergangenheit, wo Frauen dafür belohnt werden, keiner Erwerbsarbeit nachzugehen, und wo Kinder aus bildungsfernen Schichten dabei hinten runterfallen? Ich
kann Ihnen nur raten, Frau Köhler, dieses Betreuungsgeld so schnell wie möglich zu entsorgen; es ist unsozial
und integrationsfeindlich, und es fördert die Spaltung
der Gesellschaft.
({5})
Das Betreuungsgeld ist auch keine Maßnahme, die
wirklich Kinderarmut bekämpft. Das Thema Kinderarmut wird seit Jahren intensiv diskutiert. Geändert hat
sich trotz vieler Absichtserklärungen leider nichts. Viel
zu viele Kinder in unserer Gesellschaft sind weiterhin
von Armut betroffen. Ein Viertel aller Kinder unter
15 Jahren, 26 Prozent, sind nach Daten des „Sozio-oekonomischen Panels“ in der Bundesrepublik vom Armutsrisiko betroffen. Das heißt, jedes vierte Kind in Deutschland ist von Armut bedroht. Es gibt verschiedene
Untersuchungen, warum dies trotz der vielfältigen Leistungen für Familien so ist. Unter anderem erforscht das
Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen für
das Familienministerium, welche Wirkungen auf Kinderarmut Leistungen wie Ehegattensplitting, Kinderzuschlag, Elterngeld und das Kindergeld haben. Anstatt
jetzt aber einen Abschlussbericht durch dieses Kompetenzzentrum vorlegen zu lassen, wird dieser Expertenzirkel still und heimlich geschlossen und im Haushaltsentwurf für 2010 ein neues Kompetenzzentrum für
nachhaltige Familienpolitik eingerichtet. Da drängt sich
schon die Frage auf, ob das Ministerium gar kein Interesse daran hat, dass das alte Kompetenzzentrum einen
Abschlussbericht vorlegt.
({6})
Wie wir alle wissen, haben wir kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Eigentlich wissen wir, worum es bei Kinderarmut geht. Ein Umsetzungsproblem haben wir zum Beispiel im Hinblick auf
das Ehegattensplitting. Es ist offensichtlich, dass das
Ehegattensplitting nicht der Förderung von Kindern
dient. Insbesondere kinderlose Ehepaare profitieren von
den steuerlichen Vorteilen, und gleichzeitig wird für
Frauen ein Anreiz gesetzt, zu Hause zu bleiben und keiner Erwerbsarbeit nachzugehen.
({7})
Deswegen ist es jetzt an der Zeit, bei der steuerlichen
Förderung von Familien nicht mehr die Ehe, sondern die
Kinder in den Vordergrund zu stellen.
({8})
Jetzt entgegnet die Bundesregierung natürlich: Wieso,
wir haben doch die Leistungen für Kinder im Rahmen
des „Schuldenbeschleunigungsgesetzes“ erhöht. Kinder
in Gutverdienerfamilien bekommen wegen der Erhöhung des Freibetrages knapp 40 Euro, 20 Euro Kindergeld gibt es, wenn die Eltern durchschnittlich verdienen,
und genau null Euro, nämlich gar nichts, überhaupt
nichts, gibt es für die 1,8 Millionen Kinder, die in HartzIV-Familien leben. So bekämpft man keine Kinderarmut. Im Gegenteil, so vergrößert man die Spaltung und
die Chancenungleichheit zwischen armen und reichen
Kindern.
({9})
Die Entlastung für Besserverdienende, für Erben, für
Unternehmen, für Mövenpick ist nicht nur unsozial, sondern sie vergrößert die sowieso schon hohen Defizite,
die hohen Schulden in Bund, Ländern und Kommunen
um weitere 8,5 Milliarden Euro. Mit 8,5 Milliarden Euro
entlasten Sie im Wachstumsbeschleunigungsgesetz Ihre
Klientel; aber dieses Geld fehlt an anderer Stelle. Es
fehlt, um die notwendige Erhöhung der Kinderregelsätze
zu finanzieren. Es fehlt beim Ausbau der öffentlichen
Daseinsvorsorge. Gerade die öffentliche Daseinsvorsorge bei der Bildung, beim öffentlichen Nahverkehr, bei
Büchereien und Kultureinrichtungen ist bei der Schaffung von Chancengleichheit und gerechten Perspektiven
für Kinder und Jugendliche so entscheidend. Generationengerechte Politik würde hier wirklich Schwerpunkte
setzen und neben massiven Investitionen in Klimaschutz
auch Investitionen in die Kindergrundsicherung, Bildung
und öffentliche Daseinsvorsorge tätigen. Das wäre generationengerecht, weil davon die jetzige und zukünftige
Generationen profitieren würden.
({10})
Deswegen fordere ich Sie auf, Frau Köhler: Stoppen Sie
diese teure Klientelpolitik, und setzen Sie sich für eine
gerechte Zukunft der Kinder und Jugendlichen ein!
({11})
Ich will noch auf das Thema Generationengerechtigkeit eingehen. Generationengerechtigkeit heißt nicht,
dass man junge Menschen gegen alte Menschen ausspielt, wie es leider von manchen jungen Liberalen oder
jungen Konservativen gerne gemacht wird. Ich erinnere
nur an die Debatte über künstliche Hüftgelenke.
({12})
Generationengerechtigkeit muss auch immer Generationensolidarität sein. Gerade angesichts des demografischen Wandels brauchen wir Antworten darauf, wie wir
solidarisch zusammen in einer Gesellschaft leben wollen, die schrumpft und die älter, bunter und vielfältiger
wird. Deswegen sollten sich alte und junge Menschen
gemeinsam für einen guten ÖPNV, mehr und bessere
Jugendzentren, Bibliotheken, Sportvereine und kulturelle Initiativen einsetzen. Gerade junge und alte Menschen sind besonders auf eine wohnortnahe Infrastruktur
angewiesen.
Doch alle diese Angebote müssen wahrscheinlich wegen der schlimmen Kassenlage der Kommunen, die
durch das „Schuldenbeschleunigungsgesetz“ noch verstärkt wird, gekürzt werden oder wegfallen. Das ist nicht
nur im Hinblick auf Kinder- oder Altersarmut fatal. Es
ist auch katastrophal für das Engagement gegen Rechtsextremismus; denn Rechtsextreme stoßen gezielt in
diese Lücke vor mit Angeboten für Jugendliche, die auf
der Suche nach Orientierung sind. So gibt es Konzerte
mit rechter Musik, oder man kann Fußball spielen, zusammen etwas unternehmen.
({13})
Das ist eine perfide, aber leider zum Teil auch erfolgreiche Strategie, weil die Kommunen entsprechende Angebote kürzen oder einstellen. Wir dürfen dazu nicht
schweigen oder wegschauen; wir müssen das unterbinden. Wir müssen die Kommunen mit den notwendigen
finanziellen Mitteln für den Kampf gegen Rechtsextremismus ausstatten. Insbesondere die zivilgesellschaftlichen Organisationen brauchen eine verlässliche Unterstützung beim Kampf gegen Nazis.
({14})
Am Montag hat Ministerin Köhler im Ausschuss angekündigt, dass sie die Bundesmittel für den Kampf gegen Rechtsextremismus auf alle Extremismusformen
ausweiten will; Kollege Bockhahn hat das bereits angesprochen. Am Dienstag, also nur einen Tag später, zauberte sie dann plötzlich 2 Millionen Euro zusätzlich gegen Linksextremismus und Islamismus aus dem Hut.
({15})
Ich frage mich schon: Was, bitte schön, ist Ihr Plan? Wo
ist das Geld im Haushalt veranschlagt? Frau Köhler, erklären Sie uns bitte nachvollziehbar und haushaltstechnisch korrekt, woher dieses Geld kommen soll.
({16})
Die größte Bedrohung für unsere demokratische Gesellschaft sind nicht linksradikale Gruppen, sondern extrem rechte und menschenfeindliche Einstellungen in der
Gesellschaft.
({17})
Allein 2009 gab es über 20 000 von Rechtsextremen begangene Straftaten. Immer wieder werden Menschen
von Nazis schwer verletzt oder sogar getötet. Seit der
Wende wurden 140 Menschen von Rechtsextremen ermordet. In wenigen Wochen, am 13. Februar, wollen in
Dresden wieder viele Tausend Nazis - das ist der größte
Naziaufmarsch in Europa - aufmarschieren. Sie werden
dabei die Schoah relativieren und deutsche Täter zu Opfern machen. Es ist wichtig, am 13. Februar auf die
Straße zu gehen, um den Naziaufmarsch friedlich zu blockieren.
({18})
Das ist das Problem bei dieser Extremismusdebatte:
Jede Gleichsetzung des Rechtsextremismus mit anderen
Extremismusformen verharmlost die Gewalt und die
mörderische Ideologie von Nazis. Die Mittel für Programme gegen Rechtsextremismus und für Vielfalt,
Toleranz und Demokratie müssen erhöht werden. Gerade in Problemregionen brauchen wir dringend mehr
demokratisch angelegte Angebote als bisher. Ihre
Scheindebatten, Frau Köhler, um einen angeblich bedrohlichen Linksextremismus lenken leider in unverantwortlicher Weise davon ab, dass das Problem in
Deutschland die Nazis sind.
({19})
Weil es um eine gerechte Zukunft geht, müssen wir
jetzt die Weichen richtig stellen und massiv in Infrastruktur investieren, sodass alle Kinder gute Startchancen bekommen. Wir müssen in die Infrastruktur investieren, damit die Daseinsvorsorge für alle Generationen
gesichert ist und der Kampf gegen Rechtsextremismus
erfolgreich geführt werden kann. Für die Zukunft brauchen wir Gerechtigkeit.
Vielen Dank.
({20})
Herr Kollege Kindler, ich darf auch Ihnen im Namen
des ganzen Hauses herzlich zu Ihrer ersten Rede im Bundestag gratulieren.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Bär für die
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zunächst einmal unserer Ministerin zu ihrer guten Rede gratulieren.
Sehr geehrte Frau Dr. Köhler, das war eine sehr gute
Rede zur Haushaltseinbringung, die sich genau mit den
Themen befasst hat, um die wir uns zu kümmern haben.
Sie war nicht ideologiegeprägt, wie das bei manch anderen Reden heute der Fall war.
({0})
Ihre Rede hat konkrete Vorstellungen und detaillierte
Programme enthalten.
Frau Ziegler, ich muss in diesem Zusammenhang
schon sagen, dass Sie ein sehr seltsames Verständnis von
Oppositionspolitik haben, wenn Sie sich hierhin stellen
und wortwörtlich sagen: Wir sind die Opposition; wir
müssen keine Vorschläge machen. - Ich, die ich selber
schon Oppositionspolitikerin war, finde das sehr beeindruckend.
({1})
Ein bisschen Gestaltungswillen erwarte ich auch von der
Opposition in diesem Hohen Hause.
({2})
Wir debattieren heute über den Einzelplan 17. Es geht
um Ausgaben in Höhe von rund 6,56 Milliarden Euro.
Das ist natürlich nur ein Bruchteil der Aufwendungen,
die jährlich für staatliche Maßnahmen und Leistungen
für Familien aufgebracht werden; ich komme gleich zu
den einzelnen Posten. Wir haben aber als Familien-,
Frauen-, Jugend- und Seniorenpolitiker mit einer Vielzahl von Themen zu tun, bei denen sehr viel nicht mit
Geld geleistet werden kann. Natürlich brauchen wir auch
mehr Geld. Nicht, dass der Herr Staatssekretär beim Finanzminister denkt, dass wir weniger Geld brauchen.
Das Gegenteil ist der Fall.
Ein Beispiel für die Vielzahl der Themen, mit denen
wir uns auseinandersetzen: Ich habe eine neue europäische Studie darüber gelesen, wie stark die Lust auf
Kinder in den einzelnen europäischen Staaten ausgeprägt ist. So wurde gefragt: Was ist für Sie die ideale
Kinderzahl? Die Antworten sind erschreckend. In Frankreich haben 3 Prozent gesagt, dass gar keine Kinder die
perfekte Anzahl sind. In vielen anderen europäischen
Ländern sagen im Schnitt 5 Prozent, dass keine Kinder
der gewünschte Idealzustand sind. In den Niederlanden
ist die Quote sehr hoch. Dort wünschen sich fast
12 Prozent keine Kinder. Aber Spitzenreiter ist Deutschland, wo 17 Prozent sagen, dass sie, wenn sie es sich
aussuchen können, keine Kinder haben wollen. Daran
müssen wir gesellschaftspolitisch arbeiten. Schließlich
geben wir schon sehr viel Geld für Familien aus. Nach
Berechnungen des Finanzministeriums und des Familienministeriums handelt es sich um ungefähr 180 Milliarden Euro, die nicht nur aus dem Gesamtetat des Bundes, sondern auch von den Ländern und Kommunen
beigesteuert werden.
Wir investieren trotz einer wirtschaftlich schwierigen
Lage weiter massiv in die Stärkung der Familie - das
wurde schon angesprochen -: Erhöhung des Kindergeldes um volle 20 Euro pro Kind und Monat, des Kinderfreibetrags um fast 1 000 Euro sowie die bessere Absetzbarkeit von Aufwendungen für die Kranken- und
Pflegeversicherung, die ab dem 1. Januar dieses Jahres
wirksam sind und Familien erheblich entlasten. In der
Haushaltsdebatte ringt man natürlich darum, wofür das
Geld am besten ausgegeben werden kann. Es ist wichtig,
dass wir klug und umsichtig handeln, damit das Geld
den Bürgern wieder zugutekommt. Ich denke, wir sind
uns alle einig, dass das im Einzelplan 17 für Familien investierte Geld gut angelegt ist, weil das die beste Zukunftsinvestition ist. Ich verstehe natürlich den Bundesfinanzminister, Herr Staatssekretär Koschyk, dass er
versucht, Einsparungspotenziale zu finden.
Herr Kindler, Sie selber haben in Ihrer ersten Rede
- dazu herzlichen Glückwunsch - das Thema Generationengerechtigkeit angesprochen. Aber man darf sich
nicht über andere erheben und so tun, als hätte die Jugendorganisation der Grünen die Generationengerechtigkeit gepachtet.
({3})
Dieses Thema ist für alle Jugendorganisationen, egal
welcher Partei, wichtig. Genauso wenig wie den Kollegen von der Jungen Union und den Jungen Liberalen
spreche ich der Grünen Jugend ab, sich um das Thema
Generationengerechtigkeit zu kümmern. Nur so viel als
kleine Zwischenbemerkung.
Da wir nach Einsparungspotenzialen suchen, möchte
ich sowohl die Haushälter - auch die der Koalitionsfraktionen - als auch das Bundesfinanzministerium bitten,
das nicht in unserem Einzelplan zu tun; denn es ist nicht
möglich, hier Einsparungen vorzunehmen. Wir können
nicht weniger Geld für familienpolitische Leistungen
ausgeben, sondern brauchen eher mehr Geld. Ich bitte
Sie, Herr Staatssekretär, das an den Minister weiterzugeben.
Als Familienpolitiker haben wir in den letzten Jahren
mit unserer verlässlichen Politik auf die sich stark verändernde Gesellschaft reagiert. Es gibt neue Lebensentwürfe und neue Möglichkeiten in Bildung, Wissenschaft
und Forschung, die jungen Menschen und besonders
jungen Frauen neue Perspektiven eröffnet haben.
Ich bin sehr froh, dass wir in der letzten Legislaturperiode unter Federführung von Ursula von der Leyen das
Elterngeld eingeführt haben, dass wir die Partnerkomponente haben, die wir jetzt verstärkt fördern wollen. Ich
bin auch Ihnen, Frau Ministerin Köhler, dankbar, dass
Sie im Ausschuss noch einmal deutlich gemacht haben,
dass Ihnen diese Weiterentwicklung wichtig ist. Es muss
auch jungen Vätern die Möglichkeit eröffnet werden,
sich sehr stark an der Familienarbeit zu beteiligen. Der
Erfolg des Elterngeldes hängt natürlich auch damit zusammen, inwieweit wir den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen unterstützen, um so eine gute Anschlussperspektive für die Zeit nach dem Elterngeldbezug zu
bieten.
Ich wollte das Thema heute nicht in aller Ausführlichkeit ansprechen, aber möchte noch sagen, dass wir in den
nächsten Jahren sehr viel darüber debattieren müssen,
wie echte Wahlfreiheit für Familien aussieht. Man
kann sich über die Ausgestaltung immer im Detail streiten. Aber mir ist wichtig, dass wir dies ideologiefrei tun.
Ich weiß, dass das einigen hier schwerer fällt als anderen.
({4})
- Nein, unsere Partei hat noch nie eine Ideologie gehabt.
Wir haben Visionen.
({5})
Ich würde Sie bitten, einmal zu versuchen, mit etwas weniger Schaum vor dem Mund mit uns darüber zu diskutieren.
Um diese Wahlfreiheit ermöglichen zu können,
braucht man den Ausbau der Kinderbetreuungsplätze.
Frau Dr. Köhler hat bereits angesprochen, dass der Bund
sich daran mit 4 Milliarden Euro beteiligt. Das ist kein
Pappenstiel, sondern wirklich viel Geld, das wir zur Verfügung stellen, weil uns der Ausbau wichtig ist. Ich weiß
gar nicht, ob sich jeder den Betrag von 4 Milliarden Euro
vorstellen kann. Außerdem beteiligen wir uns mit
770 Millionen Euro an den Betriebskosten.
Mir ist auch der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz sehr wichtig, weil gute Familienpolitik sich
für uns hauptsächlich durch Verlässlichkeit auszeichnet.
Junge Paare müssen sich darauf verlassen können, einen
Betreuungsplatz zu bekommen. Natürlich verstehen wir
auch die Kommunen; aber das ist eine Gesamtaufgabe,
an der sich Bund, Länder und Kommunen beteiligen
müssen. Wenn der Bund seine Hausaufgaben macht,
müssen das die anderen politischen Ebenen genauso tun.
Ich sage das auch als Kreisrätin meines Landkreises.
({6})
Es gibt auch gute Beispiele wie den Freistaat Bayern.
Anders als andere Länder schöpft der Freistaat Bayern
die Mittel des Bundes aus und legt noch eigenes Geld
drauf, um ohne Deckelung fördern zu können. Kein anderes Bundesland hat seinen Kommunen bisher so viele
Mittel bewilligt. Es waren Anfang Dezember 2009
schon über 230 Millionen Euro. Nirgendwo in Deutschland geht der Ausbau so schnell voran. Wir werden es aller Voraussicht nach in Bayern schon bis Ende 2012 geschafft haben, die Quoten zu erfüllen und genügend
Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen. Ich würde
mir wünschen, dass andere Bundesländer, die im Gegensatz zu Bayern Mittel aus dem Länderfinanzausgleich
beziehen, dem Beispiel Bayerns folgen.
({7})
Wir werden also versuchen müssen, in den nächsten
Jahren klug zu agieren. Ich hätte noch viel mehr Themen, die ich ansprechen möchte. Aber nachdem ich
mich auch mit unsinnigen Vorschlägen der Opposition
auseinandersetzen musste, fehlt mir jetzt leider die Zeit.
({8})
- Stimmt, mein Fehler. Sie haben ja gar keine Vorschläge.
({9})
Trotzdem biete ich von Unionsseite auch den Oppositionsparteien einen konstruktiven Dialog an.
({10})
- Frau Ziegler, Sie sagen jetzt: „Lassen Sie mal!“ Ich
frage mich, warum Sie sich in den Bundestag haben
wählen lassen, wenn Sie keine Vorschläge machen und
keine konstruktive Oppositionspolitikerin sein wollen.
({11})
Ich biete es Ihnen trotzdem an und hoffe, dass Sie noch
zur Vernunft kommen.
({12})
Wenn man einmal Landesministerin war, sollte man eigentlich wissen, wie man mit Opposition umgeht. Ich
freue mich auf weitere gute Verhandlungen und auf konstruktive vier Jahre Familienpolitik für die Familien in
diesem Lande.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Caren Marks von der SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Bär,
ohne die Ideologie insbesondere der CSU
({0})
wären wir heute schon viel weiter beim Betreuungsplatzausbau. Das steht jedenfalls fest.
({1})
Wenn eine Partei für eine verbohrte Ideologie steht, dann
ist es allen voran die CSU. Wir wären dankbar, wenn Sie
auch einmal inhaltliche Vorschläge machten, jedenfalls
solche, die voranbringen.
({2})
Heute wird mit einer Auftaktveranstaltung in Madrid
das Europäische Jahr 2010 gegen Armut und soziale
Ausgrenzung eröffnet. Von der schwarz-gelben Regierung aber werden die Armutsbekämpfung und auch der
Schutz vor Armut für Familien, Senioren, Frauen und
Jugendliche nicht ernst genommen; stattdessen setzt sie
einseitig auf Klientelpolitik.
({3})
Aktuelle Studien zeigen, dass die Situation von Kindern
und Familien hierzulande weiter verbessert werden
muss. Wir dürfen uns auf dem bisher Erreichten nicht
ausruhen. Das wäre fatal; denn es gibt wirklich noch viel
zu tun in unserem Land.
({4})
Das Statistische Bundesamt hat Anfang dieser Woche
Zahlen vorgelegt: Trotz positiver Entwicklungen liegt
die Betreuungsquote für unter Dreijährige in den westdeutschen Landkreisen nur zwischen 5 und 15 Prozent.
Eltern haben es im Westen immer noch schwer, einen
Krippenplatz zu finden. Vereinbarkeit von Familie und
Beruf - Fehlanzeige! Das gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Dort regieren CDU
und FDP.
({5})
Die meisten Eltern aber wollen und müssen Familie und
Beruf in Einklang bringen. Gerade für Alleinerziehende
sind Betreuungsangebote unverzichtbar, damit sie eine
Arbeit aufnehmen können und aus der Armutsfalle kommen.
Frau Kollegin Marks, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schirmbeck?
Gerne.
Bitte schön, Herr Schirmbeck.
Frau Kollegin, Sie haben die Ehre, ein paar Jahre jünger zu sein als ich. Vielleicht haben Sie im Geschichtsunterricht über die Bundesrepublik Deutschland verfolgt, wer wann regiert hat.
Mir ist das bekannt.
Wissen Sie, wer der einzige Bundeskanzler ist, der
das Kindergeld gekürzt hat? Wissen Sie, welcher Bundeskanzler gesagt hat: „Kindergeld, Familienpolitik, das
ist alles Gedöns“? Wissen Sie, wie lange in NordrheinWestfalen die SPD regiert hat und seit wann dort CDU
und FDP regieren? Wissen Sie also, wer in NordrheinWestfalen und in Niedersachsen für die Missstände, die
Sie ansprechen, die Verantwortung trägt?
Ihre Fragen wundern mich nicht. Wir sind von der
CDU und auch von der FDP gewohnt, dass sie sich
weiße Füße machen und mit dem, was dort passiert, wo
sie schon einige Jahre regieren, nichts zu tun haben wollen. Ich kann nur sagen: Es war Bundeskanzler Gerhard
Schröder, an den ich mich gut erinnere, der das Kindergeld in einer rot-grünen Koalition deutlich erhöht hat
({0})
und die Defizite, die in den 16 Jahren unter Bundeskanzler Kohl entstanden sind, beseitigt hat.
({1})
In den letzten Jahren haben andere Bundesländer,
zum Beispiel das SPD-regierte Rheinland-Pfalz, deutliche und sichtbare Erfolge in diesem Bereich erzielt, und
zwar nicht nur beim Ausbau, sondern auch bezüglich
Qualität und Beitragsfreiheit. Vielleicht sollten Sie sich
davon einmal eine Scheibe abschneiden. Schauen Sie
nicht nur die Anfänge der Geschichte an, sondern führen
Sie sich auch einmal Bücher zur Zeitgeschichte zu Gemüte.
({2})
Ab 2013 gilt der von der SPD gegen den erheblichen
Widerstand von CDU und CSU - Frau Fischbach, vielleicht erinnern Sie sich noch daran - in der Großen Koalition durchgesetzte Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Ich fordere die Bundesregierung auf, ihre
Kräfte zu bündeln, um gemeinsam mit den Ländern und
Kommunen den Betreuungsausbau schneller voranzutreiben. Das erwarten die Eltern, und das brauchen unsere Kinder. Dabei darf die Qualität der Einrichtungen
nicht auf der Strecke bleiben.
Bisher hat die schwarz-gelbe Koalition ihre Kräfte für
die steuerliche Entlastung von Hoteliers gebündelt.
({3})
Diese Klientelpolitik ist unverantwortlich.
({4})
Mit dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschert die Regierung dem Staat Steuerausfälle in
Milliardenhöhe. Bund, Ländern und Kommunen fehlt
dadurch dauerhaft Geld für die soziale Infrastruktur, aber
auch für die frühkindliche Bildung. Dieser Regierung
sind Hotelbetten wichtiger als die Förderung von Kindern. Schwarz-Gelb lässt die Kommunen ausbluten.
Viele Kommunen haben wegen Ihrer Steuerpolitik bereits höhere Gebühren angekündigt, auch höhere Kitagebühren.
({5})
Die Familien zahlen die Zeche für diese desaströse Steuerpolitik. Auch 20 Euro mehr Kindergeld pro Monat helfen da nicht weiter. Das wissen Sie;
({6})
erst recht wissen das die Familien in unserem Land.
({7})
Mit der Forderung nach einem unsinnigen Betreuungsgeld, das jährlich bis zu 1,9 Milliarden Euro verschlingen würde, setzt die neue Bundesregierung dem
Ganzen wirklich die Krone auf. Dieses Geld wird dringend für den Ausbau von Krippen, Kitas und natürlich
auch Ganztagsschulen gebraucht. Nach Ihrer Argumentationslogik, meine Damen und Herren von Union und
FDP, müssten Sie als Nächstes eine finanzielle Zuwendung für diejenigen einführen, die keine öffentlichen Bibliotheken besuchen; denn mit dem Betreuungsgeld wollen Sie gerade die Eltern belohnen, deren Kinder
sinnvolle Einrichtungen nicht nutzen. Viele Studien belegen dagegen, dass sich Kinder wesentlich besser entwickeln, wenn sie von frühkindlicher Bildung in einer
Krippe profitieren.
({8})
Zahlreiche Verbände haben das Betreuungsgeld als
grundsätzlich kontraproduktiv und als sozial- und
gleichstellungspolitischen Rückschritt abgelehnt. Dem
schließen wir uns an.
({9})
Nicht nur das Betreuungsgeld, nein, grundsätzlich
lässt die konservative Gleichstellungspolitik nichts Gutes erahnen. So lässt die Frauenministerin bei der
Gleichstellungspolitik die Wirtschaft machen, was sie
will, und setzt unbeirrt weiter auf unverbindliche Ankündigungen. So werden Sie den nach wie vor geringen
Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten
nicht erhöhen, Frau Köhler. Wenn Sie bei der Wirtschaft
lediglich für mehr Entgeltgleichheit werben wollen,
dann ist das mehr als zu wenig. Die Lohnungleichheit
zwischen Frauen und Männern ist in den letzten Jahren
sogar noch größer geworden. Es muss Schluss sein mit
freiwilligen Vereinbarungen mit der Wirtschaft.
({10})
Frauen erwarten zu Recht verbindliche gesetzliche
Maßnahmen und endlich gleiche Löhne für gleiche und
gleichwertige Arbeit. Das ist nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit. Es ist auch Voraussetzung für eigenständige
Existenzsicherung und soziale Absicherung für Frauen
im Alter. Hier hilft nur ein Gesetz zur Herstellung von
Entgeltgleichheit. Es ist nicht hinnehmbar, dass der Anteil von Frauen mit Niedriglohn doppelt so hoch ist wie
der Anteil der Männer. Ein gesetzlicher Mindestlohn
käme insbesondere Frauen zugute. Diesen lehnt
Schwarz-Gelb kategorisch ab. Es ist wirklich alarmierend, dass über 63 Prozent der Minijobber sowie
80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten Frauen sind. Es
wäre falsch, hier noch zusätzliche Anreize für Teilzeitarbeit und prekäre Beschäftigung zu setzen, wie von der
Regierung geplant. Das Modell „die Frau als Zuverdienerin“ hat ausgedient. Andere Staaten sind hier längst
weiter.
Auch in Unternehmen bedarf es einer wirklichen
Gleichstellungspolitik. Wir brauchen ein umfassendes
Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft. Dafür
werden wir als SPD weiter kämpfen;
({11})
denn im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren
von Union und FDP, haben wir begriffen: Wer nur auf
die Freiwilligkeit der Wirtschaft setzt, wird in der
Gleichstellungspolitik von Frauen auf dem Arbeitsmarkt
keine Fortschritte erleben. Fakt ist: Frauen sind in der
Gesellschaft nach wie vor benachteiligt. Daher muss der
bestehende Diskriminierungsschutz weiterentwickelt
werden. Die Verankerung einer Verbandsklage im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz würde hier helfen.
Meine Damen und Herren von Union und FDP, ich
appelliere an Sie: Verabschieden Sie sich von einer Politik, die Klientelinteressen bedient,
({12})
die die soziale Infrastruktur in den Kommunen aushöhlt
und auf Fehlinvestitionen wie das Betreuungsgeld setzt.
Familien brauchen eine solide Infrastruktur, Kinder und
Familien ein gerechtes und gebührenfreies Bildungssystem und Frauen wirkungsvolle Gesetze zur Gleichstellung.
({13})
Das sind wirklich wichtige Bausteine zur Armutsbekämpfung und Armutsvermeidung.
({14})
Es reicht nicht aus, meine Damen und Herren von
Union und FDP, sich mantraartig als christlich-liberale
Koalition zu bezeichnen.
({15})
Ihr Handeln ist weder christlich noch liberal. Sie sind
bestenfalls die neoliberale Klientelkoalition.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat die Kollegin Nicole Bracht-Bendt von
der FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! In den Medien ist immer wieder die
Rede von der überalternden Gesellschaft. Demografen
und Ökonomen warnen seit Jahren vor den Folgen dieser
Entwicklung. Ich bin froh, dass sich jetzt im Gegenzug
immer mehr Pragmatiker zu Wort melden, die die demografische Entwicklung nicht so negativ bewerten. Genau
hier müssen wir in der Seniorenpolitik anknüpfen. Ältere Menschen dürfen nicht zwangsweise aufs Abstellgleis gestellt werden. Die Alterung unserer Gesellschaft
nur als Gefährdung unserer Sozialsysteme zu sehen, ist
dumm und kurzsichtig.
({0})
Die Alterung unserer Gesellschaft als Herausforderung
zu sehen, um aus einem unermesslichen Erfahrungsschatz eine moderne und menschliche Gesellschaft zu
formen, stellt eine Chance für uns alle dar, auch für uns
Politiker.
Die FDP-Bundestagsfraktion drängt darauf, dass der
Sechste Altenbericht „Altersbilder in der Gesellschaft“
zeitnah fertiggestellt wird. Die Ergebnisse müssen dann
schnell umgesetzt werden. Diskriminierende Altersgrenzen müssen abgeschafft werden. Nicht nur Ärzte, Manager und Handwerksmeister empfinden die zwangsweise
Versetzung in den Ruhestand als Strafe. Nach einer
Forsa-Umfrage wünscht sich ein Viertel der Menschen
zwischen 60 und 80 Jahren einen bezahlten Job. 14 Prozent haben einen, und deren Anteil wächst. Aber auch
dem Ehrenamt müssen wir mehr Bedeutung schenken.
Die Frage, wie wir ältere Menschen länger in Gesellschaft und Arbeitsleben einbinden können, wird und
muss für uns ein zentrales Thema sein.
({1})
Wir werden uns aber auch verstärkt um die Pflegebedürftigen kümmern müssen. Nicht nur Eltern kleiner
Kinder brauchen Unterstützung beim Spagat zwischen
Familie und Beruf. Auch Frauen und Männer, die zu
Hause ihre alten Eltern pflegen, brauchen Hilfe. Damit
Familien Erwerbstätigkeit und Pflege von Angehörigen
besser in Einklang bringen können, wollen wir mit der
Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst unbürokratische
Lösungen entwickeln. Stichworte sind hier die Änderung des Sozialgesetzbuchs mit Blick auf Teilpflegezeit,
die Prüfung flexibler Entgeltmodelle und neue Arbeitszeitmodelle. Das ist dann „Zeit für Verantwortung“.
Als seniorenpolitische Sprecherin meiner Fraktion
setze ich mich auch für eine bessere Pflege und Betreuung in Heimen ein. Durch meine ehrenamtliche Tätigkeit im Heimbeirat eines Seniorenwohnheims in Hannover und durch meine jahrelange Erfahrung in der
Betreuung Demenzkranker weiß ich nur zu gut, dass es
bei der Altenpflege um mehr gehen muss als um „satt
und sauber“.
({2})
Unsere Aufgabe muss es aber auch sein, die Lebensqualität derer zu verbessern, die nicht im Heim leben. Viele
Alte möchten auch im hohen Alter in ihrer vertrauten
Umgebung bleiben. Deshalb wird sich die FDP-Fraktion
dafür einsetzen, dass die Bedingungen für ein selbstbestimmtes und barrierefreies Wohnen verbessert werden.
Meine Damen und Herren, im Einzelplan 17 ist auch
die Gleichstellungspolitik angesiedelt. Die Ziele der
FDP-Fraktion sind klar im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Erstens: Der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst
soll erhöht werden. Dazu wird ein Stufenplan festgelegt.
Zweitens: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Es ist mit
nichts zu rechtfertigen, dass Frauen bei der Entlohnung
ihrer Arbeit immer noch schlechter gestellt sind als Männer.
({3})
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf eines hinweisen: Sowohl in der Seniorenpolitik als auch in der Frauenpolitik reicht Geld allein nicht aus, um ans Ziel zu
kommen. Bei beiden Themen ist auch ein Bewusstseinswandel in den Köpfen unerlässlich. Jedem, der Altenpolitik macht, muss klar sein, dass sich das Leben ab 60
nicht nur um Windeln und Lätzchen dreht, und in der
Frauenpolitik müssen wir endlich wegkommen von
überholten Rollenklischees. Ein Beispiel: Solange
grundsätzlich nur ich gefragt werde, aber nie mein
Mann, wie ich Beruf und Familie unter einen Hut bekomme, ist Gleichberechtigung auch am Anfang des
neuen Jahrzehnts leider immer noch ein unerledigtes
Thema.
Danke schön.
({4})
Liebe Kollegin Bracht-Bendt, auch Ihnen gratuliere
ich im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede
im Deutschen Bundestag.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Diana Golze von der Fraktion Die Linke.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesfamilienministerin, Sie
haben am Montag im Familienausschuss die Schwerpunkte Ihres Ministeriums und Ihrer zukünftigen Arbeit
vorgestellt. Sie haben uns dargelegt, dass Ihr Haus für
Sie mehr sei als nur ein Ministerium für Familien. Sie
sagten, es sei das Ministerium für Gesellschaftspolitik.
Außerdem haben Sie gesagt, dass Sie, um Ihren Anspruch zu erfüllen, von zwei Prämissen ausgehen: faire
Chancen für alle und Zeit für Verantwortung.
Ich habe mir den Einzelplan dieses Ressorts im Bundeshaushalt 2010 deshalb einmal unter diesen Prämissen
angeschaut. Er spricht eine deutliche Sprache bezüglich
der Gesellschaftspolitik, die Sie meinen, und zeigt, für
welche Menschen Sie Politik machen und vor allem, für
welche nicht.
Beginnen wir beim Elterngeld. Das Elterngeld ist
nach wie vor zu begrüßen, weil es die Situation von Familien verbessert, zumindest der Familien, in denen Eltern ein mittleres oder höheres Einkommen haben, und
weil die Einführung der Partnermonate zumindest dazu
beiträgt, dass die Rollenverteilung überdacht wird und
die Erziehungsarbeit gerechter aufgeteilt wird. Aber allein die Einsparungen in Höhe von 20 Millionen Euro
durch das allmähliche Auslaufen des Erziehungsgeldes
machen deutlich, auf wessen Kosten diese Verbesserungen gehen. Wir haben schon bei der Einführung des Gesetzes kritisiert, dass gerade die Eltern mit keinem oder
einem sehr geringen Einkommen schlechter gestellt werden. Sie sind die Verlierer beim Elterngeld. Sie bekommen nur noch 300 Euro über zwölf Monate. Das ist genau die Hälfte der Leistung, die sie früher durch das
Erziehungsgeld bekommen haben. Wenn Sie also faire
Chancen für alle Eltern wollen, sollten Verbesserungen
gerade für diese Familien angestrebt werden.
({0})
In den Ankündigungen Ihres Hauses zum Elterngeld
habe ich diese Aussage leider vermisst. Wir werden dazu
deshalb als Fraktion einen Vorschlag zur finanziellen
Ausgestaltung eines sozial gerechten Elterngeldes machen.
Für die Zeit nach dem Elterngeld schaffen Sie dagegen in unnachahmlicher Weise eine traurige Gleichheit
für alle Familien, denn die Suche nach einem Kitaplatz
wird bis 2013 und auch danach in vielen Regionen des
Landes ein regelrechtes Lotteriespiel sein. Es wird nur
wenige strahlende Gewinner geben. Der Ausbau verläuft
nach wie vor zu schleppend. Das Ziel, für ein Drittel der
Kinder einen Platz zu schaffen, ist viel zu niedrig angesetzt. Der Bund schiebt den Schwarzen Peter aber den
Ländern und Kommunen zu. Denn dort werden die Eltern von ein- und zweijährigen Kindern 2013 an die Türen klopfen und nicht beim schönen neuen Familienministerium. Die Kommunen werden dann erklären
müssen, warum sie - wenn überhaupt - nur für ein Drittel und nicht für mehr Kinder Plätze vorhalten.
({1})
Mit dem zu niedrig angesetzten Sondervermögen, das
für den Kitaausbau geschaffen wurde, und mit der konsequenten Handlungsverweigerung, was die Ausbildung
der Erzieherinnen und Erzieher betrifft, hat sich der
Bund sträflichst aus der Verantwortung gezogen.
({2})
Kommunen und Länder werden das aus eigener Kraft
nicht leisten können. Ich bin selbst Mitglied in zwei
kommunalen Vertretungen und weiß, was von den vielen
hier versprochenen Entlastungen bei den Kommunen tatsächlich ankommt, nämlich nichts.
Die Finanzpolitik der Regierung, aber auch die Ihres
Ministeriums, Frau Köhler, trägt nicht zu einer Entschärfung der Situation bei. Statt den Bundesanteil am Sondervermögen aufzustocken, betreiben Sie eine Wünschdir-was-Politik für Besserverdienende und große Unternehmen, und die Kommunen werden in den Ruin getrieben. Eine Politik, die sich, wie Sie, Frau Köhler, es bezeichnen, um die Kräfte kümmert, die die Gesellschaft
zusammenhalten, sieht für mich anders aus.
Dass Ihnen zum Thema Kinderarmut in Deutschland nur die zaghafte Ausweitung der Zahl der Kinderzuschlagsberechtigten einfällt, spricht schon Bände.
Auch Ihre Vorgängerin, Frau von der Leyen, hat versucht, halbseidene Reförmchen durchzuführen, um den
Kinderzuschlag zu verbessern.
({3})
Das ist nicht angekommen. Lesen Sie die Stellungnahmen dazu. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen
Bundestages und der Bundesrechnungshof sind wahrlich
keine linken Institutionen. Schauen Sie sich an, wie viel
wirklich bei den Betroffenen ankommt. Schauen Sie sich
an, dass gerade Kindern von Alleinerziehenden, die das
höchste Armutsrisiko in Deutschland tragen, der Kinderzuschlag nicht hilft, sie aus dem Armutsrisiko herauszuholen. Und dann schauen Sie sich an, was das Bundesfamilienministerium zur Verbesserung plant, nämlich eine
Wahloption gegenüber dem Arbeitslosengeld II. Das
führt dazu, dass die Familien, die sich vor der Unterdrückungs- und Erpressungsmaschinerie der Argen retten
wollen, wählen können, dass sie lieber unter der Deckung ihres Bedarfs bleiben, indem sie den Kinderzuschlag wählen. Dafür können sie dann aber immer noch
nicht ihren Bedarf und schon gar nicht den ihrer Kinder
decken und kommen nicht über die Armutsschwelle.
Das kann es wohl nicht sein, und das werden wir nicht
durchgehen lassen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich denke, Ziel der Politik
eines Familienministeriums sollte eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft und das Miteinander der
Generationen sein. Wenn ich mir den Einzelplan 17 anschaue, dann muss ich allerdings sagen, dass ich andere
Vorstellungen von Gesellschaftspolitik habe. Es ist nämlich nicht der Haushalt eines Ministeriums für Gesellschaftspolitik, sondern eines Ministeriums für Besserverdienende. Faire Chancen für alle sehen anders aus,
Frau Köhler. Es ist Zeit für Verantwortung, auch für Sie.
Vielen Dank.
({5})
Der Kollege Erwin Rüddel hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die christlich-liberale Koalition wird die
Familienpolitik konsequent fortentwickeln.
({0})
Wir wissen die Familienpolitik bei der neuen Bundesministerin in guten Händen und werden sie in ihrer Arbeit
nach Kräften unterstützen; denn wir sind mit ihr der Auffassung, dass es sich hier um ein Politikfeld handelt, das
weit über die engeren Grenzen der Familien hinausreicht
und sich nachhaltig auf Wirtschafts- und Arbeitsleben,
den Bildungsbereich, die Integrationspolitik, die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt auswirkt.
Deutschland wird älter, es wird internationaler, aber
es wird auch kleiner, und das, obwohl Jahr für Jahr noch
immer viele Menschen aus anderen Ländern zu uns
kommen, um bei uns zu leben. Ein Land mit immer weniger Kindern ist aber ein Land mit immer weniger Zukunft. Deshalb fördern wir die Familien. Dabei orientieren wir uns an den Lebensrealitäten, den modernen
Lebensentwürfen von Männern und Frauen und an den
Bedürfnissen der Kinder. Wir wollen, dass die Menschen
in unserem Land alle Chancen auf ein erfülltes Familienleben und gleichzeitig auf beruflichen Erfolg haben.
({1})
Chancengleichheit für Frauen und Männer, Zusammenhalt der Generationen, Austausch von Erfahrungen und
bürgerschaftliches Engagement machen eine lebendige
Zivilgesellschaft aus.
Noch nie sind so viele Menschen so alt geworden wie
heute. Noch nie waren sie dabei so gesund und so gut
ausgebildet. Unsere Volkswirtschaft, aber genauso unsere Gesellschaft insgesamt, braucht ihr Wissen und ihre
Erfahrung. Mit dem Verschwinden der Großfamilie, mit
der Auflösung traditioneller sozialer Netze in der Gemeinde oder in der Nachbarschaft ist etwas, was früher
selbstverständlich war, vielfach verloren gegangen, und
zwar die gegenseitige Hilfe und die Weitergabe von Erfahrungen zwischen Alt und Jung. Dem begegnen wir
mit der Errichtung der Mehrgenerationenhäuser. Inzwischen gibt es in Deutschland 500 von ihnen.
Damit die älter werdende Gesellschaft zu einer
Chance für jeden Einzelnen und für unser Land wird, hat
die Bundesregierung ferner die Initiative „Alter schafft
Neues“ ins Leben gerufen.
({2})
Menschen aller Altersgruppen, insbesondere aber die
Älteren, sollen sich nach eigener Wahl für das Gemeinwohl engagieren können. Das Programm wird Schritt für
Schritt bundesweit etabliert und von der Bundesregierung in vielfältiger Weise finanziell unterstützt.
Das Programm „Aktiv im Alter“ zielt vor allem auf
die Kommunen. Die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger sollen hier verstärkt mitgestalten und mitentscheiden
und sich für ihr örtliches Gemeinweisen engagieren.
Schließlich verknüpft die Initiative „Wirtschaftsfaktor
Alter“ Senioren-, Wirtschafts- und Verbraucherpolitik
miteinander. Bessere Dienstleistungen und Produkte
steigern die Lebensqualität älterer Menschen und stärken
sie als Verbraucher.
Ältere Menschen müssen sich auf die Solidarität der
Gesellschaft verlassen können. Sie alle haben Anspruch
auf ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes
Leben. Deshalb werden wir in den kommenden Jahrzehnten auch neue und innovative Wohnformen und
Betreuungsangebote benötigen, die älteren und behinderten Menschen gerecht werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt zudem der Qualitätssicherung beim ambulanten Betrieb betreuter Wohngemeinschaften, vor allem
für Menschen mit Demenz.
({3})
Alter bedeutet nicht nur bürgerschaftliches Engagement, neue Aktivität und Mobilität, Hilfestellung für die
Enkel oder Reisen in Länder, die während des Berufslebens unerreichbar waren. Alter bedeutet auch Leid und
Krankheit, Hilfe und Pflegebedürftigkeit. Schicksalsschläge wie Demenz treffen nicht nur die Kranken, sondern ebenso die unmittelbaren Angehörigen, die sehr oft
zeitgleich pflegende und berufstätige Angehörige
sind. Wir wollen darüber nachdenken, wie wir die vielversprechenden Ansätze aus den Bereichen Kindererziehung, Familie und Beruf auf dieses Problemfeld übertragen können.
In den letzten Jahren ist viel geschehen, um Familie
und Beruf besser miteinander zu verbinden. Es wurde
mehr Familienfreundlichkeit in die deutsche Wirtschaft
gebracht und ein Unternehmensnetzwerk geschaffen, in
dem Erfahrungen gegenseitig ausgetauscht werden, die
zu familiengerechten Arbeitsbedingungen führen. Die
Bundesregierung setzt mit ihrem Förderprogramm auch
hier ganz gezielt Anreize für kleinere und mittlere Unternehmen, um zusätzliche Betreuungsplätze für die Kinder
ihrer Beschäftigten einzurichten.
Aber vergessen wir darüber nicht: Das Thema Arbeit
und Pflege ist nicht weniger wichtig als das Thema Familie und Beruf. Längst nicht alle Menschen haben Kinder, aber alle haben Eltern und andere nahe Angehörige.
Wir wissen, dass die Zahl pflegebedürftiger Menschen in
den kommenden Jahren weiter steigen wird. Schon heute
werden über zwei Drittel der Pflegebedürftigen zu Hause
gepflegt. All diese pflegebedürftigen Menschen haben
einen Anspruch auf menschenwürdige und fachgerechte
Pflege und qualifiziertes Personal genauso wie auf die
Unterstützung der pflegenden Angehörigen.
({4})
Die Vereinbarkeit von Pflege der Angehörigen einerseits mit Familie und Beruf andererseits wird deshalb ein
zentrales Thema christlich-liberaler Politik sein, um
künftig die Lebensqualität pflegebedürftiger älterer
Menschen und ihrer nächsten Angehörigen zu sichern.
Es gibt vieles, woran sich in diesem Kontext denken
lässt: flexible Arbeitszeiten, mobiles Arbeiten, gezielte
Beratung und ein niederschwelliges Angebot von familiennahen, unterstützenden Maßnahmen.
Wir begrüßen deshalb nachdrücklich, dass sich die
Frau Ministerin sehr deutlich dazu bekannt hat, die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu verbessern. Denn
wie gesagt: Das Problem ist vorhanden; es wird in den
nächsten Jahren drängender werden. Je eher wir hier tätig werden und im Sinne der Betroffenen zu einvernehmlichen Lösungen kommen, auch unter Einbindung von
Unternehmen und Gewerkschaften, desto besser. Wir
werden dieses Anliegen in dieser Legislaturperiode voranbringen. Ich lade alle dazu ein, konstruktiv daran mitzuarbeiten.
({5})
Herr Rüddel, das war Ihre erste Rede hier im Hohen
Hause. Dazu gratulieren wir Ihnen herzlich und wünschen für Ihre Zukunft und Ihre Arbeit hier alles Gute.
({0})
Jetzt hat Rolf Schwanitz das Wort für die SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr geehrte Frau Bundesministerin Dr. Köhler,
ich will Ihnen auch von meiner Seite herzlich gratulieren
und Ihnen einen guten Start im neuen Amt und Erfolg in
der Amtsführung wünschen. Ich denke, das darf man
auch aus der Opposition heraus sagen; denn die vielen
Tausend Menschen im Land, die auf eine gute Arbeit Ihres Ministeriums angewiesen sind, setzen auf Ihren Erfolg. Ich denke, deswegen gehört das an den Anfang einer solchen Rede.
Frau Ministerin, Sie haben am Anfang Ihrer Einbringungsrede darauf hingewiesen, dass der Einzelplan 17
im Entwurf zum Haushalt 2010 ein Ausgabenvolumen
von insgesamt 6,56 Milliarden Euro beinhaltet. Das ist
richtig. Anschließend haben Sie sich selbst dafür gelobt,
dass das 170 Millionen Euro mehr sind, als im Haushalt
2009 im Einzelplan 17 zur Verfügung standen. Ich
denke, Sie haben Verständnis dafür, dass ich diesem Lob
nicht folgen kann.
Zum Ersten wäre es eigentlich redlich gewesen, darauf hinzuweisen, dass von dieser Summe ein Betrag in
Höhe von 64 Millionen Euro schon aus dem ersten Entwurf zum Haushalt 2010 stammt, den der damalige Finanzminister Peer Steinbrück aufgestellt hat, dieser jetzt
quasi mit verbucht worden ist.
Zum Zweiten, meine Damen und Herren - zwar haben andere das hier schon gesagt, aber ich erspare Ihnen
das dennoch nicht -, gehört dazu natürlich auch der
Blick darauf, was Sie an anderer Stelle tun. Wir haben
gestern und auch heute noch einmal sehr intensiv in Erinnerung gebracht, welche Geschenke Sie der Hotellerie
machen, verbunden mit einem gesamtstaatlichen Ausfall
von rund 1 Milliarde Euro Steuergeld. Das sind allein
beim Bund 500 Millionen Euro, die weniger zur Verfügung stehen. Das ist in etwa dreieinhalb Mal so viel wie
der gesamte Etat für den Kinder- und Jugendplan im
Einzelplan 17. Das muss man noch einmal in Relation
setzen, damit die Menschen verstehen, was hier eigentlich passiert, wenn solche Geschenke mit der Gießkanne
in der Landschaft verteilt werden.
({0})
Ich will mich beim Einzelplan 17 auf zwei Fragen
konzentrieren. Zunächst will ich ein paar Bemerkungen
zu den Anti-Extremismus-Programmen machen. Die
Koalition hat im Koalitionsvertrag angekündigt, dass
künftig aus den Programmen, vor allen Dingen aus dem
Programm „Vielfalt tut gut. - Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“, auch Projekte gefördert werden,
die sich mit Tendenzen des Linksextremismus und des
Islamismus auseinandersetzen.
({1})
Es ist so, Frau Ministerin, dass Sie sich seit 2006, also
vor dem Antritt Ihres neuen Amtes, in den Medien - ich
habe noch einmal nachgeschaut - intensiv zu dieser
Frage geäußert haben. Da ist zu lesen, dass Sie sagen, es
gebe bei den Projekten gegen Rechtsextremismus ein
riesiges Sparpotenzial. Da ist zu lesen, dass Sie sagen,
man müsse dort umschichten, und es ist in Welt Online
zu lesen - ich will das hier einmal zitieren -:
Beide Phänomene
- damit meinen Sie den Linksextremismus und den Islamismus sind etwa gleich groß und gleich gefährlich. Dies
sollte auch bei der Verteilung der Mittel berücksichtigt werden.
({2})
Ich persönlich habe mir noch keine abschließende
Meinung gebildet, ob das wirklich Ihre Meinung ist,
Frau Ministerin, oder ob es dabei nicht auch darum geht,
ein paar Signale an die rechtskonservativen Teile der Gesellschaft auszusenden, was für mich schlimmer wäre.
({3})
Ich rate Ihnen: Räumen Sie das weg.
({4})
Sie stehen am Anfang Ihrer Amtsführung, Sie haben
jetzt noch die Chance dazu. Räumen Sie das weg. Meines Erachtens würde dies Ihre Tätigkeit in den nächsten
Jahren wesentlich erleichtern.
({5})
- Das ist kein vergifteter Rat, sondern ein ernst gemeinter Rat;
({6})
denn ich glaube, man darf die Amtsführung bei einem
solch wichtigen Thema nicht mit solchen ideologisch geprägten Aussagen beschweren.
({7})
Sie haben weiterhin in dieser Woche erklärt und es in
Ihrer Rede hier wiederholt, dass da nicht gekürzt werden soll, sondern 2 Millionen Euro zusätzlich aus nicht
genutzten Mitteln des Haushalts 2009 für dieses Präventionsprogramm und die einzelnen Projekte hinzukommen sollen.
({8})
Ich will festhalten: Eine inhaltliche Korrektur der
eben von mir zitierten Aussagen ist dies nicht. Aber ich
will auch ausdrücklich sagen: Wir werden bei den Haushaltsberatungen, ebenso bei den Berichterstattergesprächen und auch im Ausschuss ganz intensiv nachfragen,
woher diese zwei Millionen Euro kommen;
({9})
denn das ist eine nicht unbedeutende Frage. Das ist ein
ganz entscheidender Punkt, nicht nur für uns Sozialdemokraten, sondern auch für viele Beteiligte, die in den
Regionen
({10})
schwer unter rechtsextremistischen Tendenzen und Umtrieben leiden. Es ist entscheidend, dass die Projekte gegen Rechtsextremismus durch diese Veränderungen
keine Kürzung erfahren.
({11})
Dabei ist es meiner Meinung nach egal, ob das eine
direkte oder eine indirekte Kürzung ist, etwa bedingt
durch in der Vergangenheit nicht verausgabte Mittel.
Das werden wir klären. Dafür haben wir in den Berichterstattergesprächen Zeit.
({12})
Deutschland braucht nach meiner festen Überzeugung
eine auf Dauer angelegte Auseinandersetzung gegen den
Rechtsextremismus. Darum geht es. Wir brauchen eine
Stärkung der Kultur. Deswegen ist das ein ganz sensibler
Punkt.
({13})
Ihre Amtsvorgängerin hat sehr intensiv Öffentlichkeitsarbeit betrieben.
({14})
Ich glaube, sie ist bei fast allen Einweihungen von Mehrgenerationenhäusern vor Ort gewesen.
({15})
Ich erinnere mich aber nicht daran, sie bei einem einzigen Projekt gegen Rechtsextremismus gesehen zu haben. Frau Minister, ich würde mir wünschen, dass Sie
sich mehr darum kümmern. Das wäre ein wichtiges Signal für die Menschen vor Ort, die sich in Initiativen
stark machen und damit anderen Bürgern Mut beweisen,
der nur bewundert werden kann und der zu unterstützen
ist.
Ich will ein zweites Thema ansprechen - vielleicht eines der schwierigsten im Einzelplan 17 -, und zwar den
Zivildienst.
({16})
Zunächst einmal stelle ich fest: Wir müssen in den Haushaltsberatungen intensiv darüber reden, ob der jetzt etatisierte Titel tatsächlich das abbildet, was im Dritten Zivildienständerungsgesetz geregelt worden ist.
Herr Schwanitz, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
({0})
Wir werden das auf den Prüfstand stellen. Sie haben
heute angekündigt, dass zum 1. Januar 2011 die Dienstzeitverkürzung kommt. Ich kann bei den Haushaltsansätzen keinerlei Vorbereitung hierfür sehen. Deswegen wird
auch das ein Schwerpunkt der Diskussionen und Auseinandersetzungen in den nächsten Wochen sein.
Herzlichen Dank.
({0})
Die Kollegin Miriam Gruß hat jetzt das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich finde, in der letzten Legislaturperiode war
die Opposition besser. Ich höre Frau Ziegler von der
SPD über ein Thema reden, wovon sie keine Ahnung
hat, weil sie nicht im Ausschuss war und die Aufgabenplanung nicht mitbekommen hat.
({0})
Frau Marks spricht wieder einmal nicht frei, sondern
liest lediglich ihre ideologischen Ausführungen, die sie
seit Jahren wiederholt, ab.
({1})
Zu 50 Prozent der Linken kann ich nur sagen: Thema
verfehlt, Note 6, bitte setzen.
({2})
Der Kollege von den Grünen hat heute Glück, weil er
seine erste Rede gehalten hat. Ich muss sagen - Sie werden mir sicherlich zustimmen -: Die FDP war in den
letzten vier Jahren besser.
({3})
Auch wir haben schließlich nachgedacht, Frau
Ziegler, was besser gemacht werden kann, und haben
konstruktive Vorschläge eingebracht. Da Sie, meine sehr
geehrten Damen und Herren von der SPD, wieder einmal reflexartig reagieren und behaupten, uns seien Hotels wichtiger als Kinder,
({4})
will ich Ihnen in Erinnerung rufen, dass Ihnen Autos
wichtiger waren als Kinder. Ich sage nur: 100 Euro Kinderbonus, aber ungefähr 5 Milliarden Euro Abwrackprämie.
({5})
Sie haben ebenso von der Automobilindustrie Spenden
bekommen. Aber wir wollen das gar nicht thematisieren,
weil es unanständig ist, solche Dinge anzuführen, wenn
es um wichtige Zukunftsthemen wie Kinder geht.
Jetzt seien Sie doch einfach mal still und hören mir
zu. Sie haben nicht nur elf Jahre lang geredet, sondern
auch elf Jahre lang regiert. Sie haben nicht das Richtige
gemacht, sonst würden Sie die Defizite, die Sie heute anmahnen, nicht anmahnen müssen. Wenn Sie alles richtig
gemacht hätten, dann bräuchten wir heute nicht mehr daran zu arbeiten.
({6})
Die FDP hat konstruktive Vorschläge eingebracht. Sie
finden auch Gehör. Darum richte ich ein herzliches Dankeschön an das Ministerium. Ihnen, liebe Ministerin,
wünsche ich ein gutes Händchen und viel Erfolg für die
Arbeit. Wir werden Sie konstruktiv unterstützen.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie steht nach
wie vor ganz oben auf der Agenda. Flexibilisierung ist
hier das große Stichwort; denn wir wollen lebensnah an
den Familien dran sein. Ich weiß aus der Vorhabenplanung, dass das Ministerium und die Koalitionsfraktionen
den richtigen, den lebensnahen Weg gehen werden.
({7})
Beim Ausbau der Kinderbetreuung kann ich nur bestätigen, was die Kolleginnen und Kollegen gesagt haben: Wir dürfen uns keinen Sand in die Augen streuen
lassen. Die Vertreter der Kommunen saßen mit am
Tisch. Das Jahr 2013 kommt nicht überraschend. Ich
höre immer wieder, für Kinder sei kein Geld vorhanden,
aber ich höre nicht, dass für andere Prioritätensetzungen
kein Geld vorhanden ist. Zu viele Sportstätten, zu viele
Prestigeobjekte werden von den Kommunen gebaut, obwohl angeblich Geld in der Kasse fehlt. Wir setzen uns
in den Kommunen und in den Ländern, in denen wir regieren, dafür ein, dass in die Zukunft investiert wird. Wir
halten unser Versprechen.
({8})
Beim Kinderschutzgesetz war uns - jetzt sind Sie
bitte wieder ganz still, weil Ihnen das auch wichtig war das Thema Prävention sehr wichtig. Prävention und Intervention - auch das wird kommen. Wir werden eine eigenständige Jugendpolitik haben. Der Kollege Gehring
ist jetzt leider nicht da; der hat vorhin ganz laut geschrien. Das müsste eigentlich auch ihm gefallen. Wir
werden eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik
betreiben. Auch damit sind wir nahe dran an der gesellschaftlichen Realität. Wir wollen für Männer, die auch
für ihre Kinder da sein wollen, Freiräume schaffen, weil
auch sie sich kümmern wollen.
Wir müssen den Blickwinkel erweitern
({9})
und den Blick nicht immer nur auf Frauen richten. Wir
werden unseren Blick nach wie vor auf die Frauen richten, aber auch auf Jungs, die nachgewiesenermaßen die
Bildungsverlierer von heute sind.
({10})
- Liebe Ekin, du hast ja auch einen Sohn. Ich glaube, wir
werden uns da thematisch irgendwann annähern.
({11})
- Frau Marks, Sie brauchen Blätter, um überhaupt reden
zu können. Von daher müssten Sie eigentlich ganz still
sein.
({12})
Ich kann den Rest der Debatte auch ganz frei sprechen.
({13})
Das können Sie nicht, Frau Marks.
({14})
Für uns ist es ein ganz wichtiger Punkt, dass wir die
familienpolitischen Leistungen evaluieren und zielgerichtet bewerten. Auch das haben Sie nur gefordert, in
den letzten vier Jahren aber nichts gemacht.
Zum Thema Wachstumsbeschleunigungsgesetz und
zum Vorwurf, wir würden nichts für die Familien tun.
Was haben Sie gemacht? Sie haben erst einmal den Familien das Geld weggenommen. Mein Sohn ist fünf
Jahre alt. Er hat eines schon verstanden: Wenn man ihm
etwas wegnimmt und dann so tut, als würde man es ihm
schenken, dann sagt er zu mir: Mama, das brauchst du
mir nicht zu schenken; das gehört sowieso mir. So gehen
Sie mit den Steuergeldern um. Sie nehmen das Geld erst
weg und tun dann so, als würden Sie es verschenken.
Wir lassen das Geld in den Taschen der Familien und
vertrauen darauf, dass die Familien wissen, was sie damit zu tun haben.
Frau Gruß, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Frei gesprochen. Frau Marks, das nächste Mal bitte
von Ihnen.
Danke.
({0})
Der Kollege Andreas Mattfeldt hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr
geehrten Damen und Herren!
Kinder sind unsere besten Richter.
Dieser Ausspruch von Otto von Bismarck ist auch heute
noch der Maßstab für die Familienpolitik der Union.
({0})
Wir müssen Familien unterstützen, die Kinder schützen und den sozialen Zusammenhalt der Generationen
ausbauen und festigen. Familie muss wieder das Erfolgsmodell der Gesellschaft werden. Die Familie ist ein festes Fundament für Kinder und bietet Halt und Orientierung.
({1})
Im Gegensatz zu vielen in diesem Hause sprechen wir
in der Union nicht nur davon, etwas für Familien zu tun,
sondern wir setzen unsere Worte auch in Taten um. Als
ehemaliger Bürgermeister einer 15 000-Einwohner-Gemeinde war ich für sechs Kindertagesstätten verantwortlich. Ich kann Ihnen sagen: Ich war beeindruckt, mit
welch einer Hartnäckigkeit unter Führung der Union der
Krippenausbau durchgesetzt und vor allem auch massiv unterstützt wurde.
({2})
Deshalb dürfen wir mit Stolz sagen: Wir blicken auf
eine äußerst fortschrittliche Familienpolitik in den letzten vier Jahren zurück. Familienpolitik ist das Schwerpunktthema der Union. Wir werden die Rahmenbedingungen für Familien weiter verbessern. Frau Golze, wir
brauchen von Ihrer Seite nun wirklich keinen Nachhilfeunterricht; denn dort, wo Sie regieren, nämlich hier, in
Berlin, ist die Kinderarmut am größten. Politik unter Ihrer Führung bedeutet Armut für Kinder. Das ist mit uns
mit Sicherheit nicht zu machen.
({3})
Die Menschen im Land haben es anscheinend auch
verstanden. Einer Allensbach-Umfrage zufolge sind
50 Prozent der Befragten der Meinung, dass unsere Familienpolitik der letzten Jahre die Bedingungen für Familien verbessert hat. Dies zeigt sich beeindruckend an
der Entwicklung im Einzelplan 17. Der Einzelplan 17
hat sich von 2001 bis zum heutigen Entwurf um
19 Prozent erhöht. Das ist eine stolze Leistung.
({4})
Gerade die Erfolge in der Familienpolitik sind für uns
Ansporn, diesen Weg konsequent fortzuführen und auszubauen. Wir müssen Familien weiterhin wirksam unterstützen, egal ob Alleinerziehende oder Großfamilien.
Denn für uns in der Union sind Familien die Zukunftsträger unserer Gesellschaft. Deshalb haben wir zum
1. Januar dieses Jahres das Kindergeld und den Kinderfreibetrag erhöht. Wir entlasten Familien damit um einen
erheblichen Betrag aus dem Bundeshaushalt.
({5})
Zur Stärkung der Familien trägt auch das Elterngeld
bei. Hier wurde der Haushaltsansatz erhöht, und zwar
auf 4,48 Milliarden Euro. Das sind 80 Millionen Euro
mehr als im letzten Jahr. Diese Entwicklung zeigt die
positive Akzeptanz des Elterngeldes. Der Anstieg ist auf
die verstärkte Inanspruchnahme der Vätermonate zurückzuführen. Die Zahl der Väter, die ihre Kinder in den
ersten Lebensmonaten betreuen wollen, ist stetig gestiegen. Mit dem Elterngeld haben wir in der Union die
Rahmenbedingungen geschaffen, dass sich beide Elternteile in den so wichtigen ersten Lebensmonaten gemeinsam um ihr Kind kümmern können. Eine erheblich stärkere, vor allem aber auch emotional bessere Bindung
zwischen Vater und Kind ist das positive Ergebnis.
({6})
Der Erfolg des Elterngeldes hat uns gezeigt, dass wir
auf dem richtigen Weg sind. Deshalb bin ich der Ministerin sehr dankbar, dass sie dieses Erfolgsmodell in den
kommenden Jahren ausbauen möchte. Auch wenn wir
Haushälter sehr sparsam sind, halte ich es für erforderlich, das Teilelterngeld einzuführen. Eltern, die bewusst
zum Wohle ihres Kindes Teilzeit arbeiten, sollen zukünftig nicht mehr dadurch bestraft werden, dass bei gleichzeitiger Inanspruchnahme ein doppelter Anspruchsverbrauch angerechnet wird. Damit wollen wir Eltern in
ihrem Kinderwunsch mehr unterstützen. Die Eltern können dann eine Zeit lang weniger arbeiten und müssen
nicht ganz aus dem Berufsleben aussteigen. Das kann
gerade in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten sehr sinnvoll sein.
Ein weiterer Ausblick gilt dem Jahr 2013. Wir werden
die Zeit bis dahin sorgfältig nutzen und intensiv beraten,
damit Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen und erziehen möchten, Anerkennung erfahren. Es ist für mich
unerträglich, wie in diesem Haus das Betreuungsgeld
als Herdprämie verunglimpft wird.
({7})
Wir sind uns doch wohl einig, dass die große Mehrheit
der Eltern ihrem Erziehungsauftrag gerecht wird. Die Eltern leisten in der breiten Mehrheit eine ausgezeichnete
Arbeit zum Wohle ihrer Kinder.
({8})
Es ist einfach nur unwürdig, wie Sie alle verantwortungsvollen Eltern hier unter Generalverdacht stellen
und suggerieren, als würde das Betreuungsgeld nur verprasst werden.
({9})
Die Kindererziehung in den ersten Jahren durch Mütter
und Väter verdient genauso Anerkennung wie die Arbeit
unserer Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten. Es geht um Anerkennung.
({10})
Die Herkulesaufgabe in den kommenden Jahren wird
bei der Arbeit im Seniorenbereich liegen. In 20 Jahren
wird jeder dritte Bundesbürger älter als 60 Jahre sein.
Dieser Herausforderung müssen wir uns mit pragmatischen Lösungen stellen. Unsere vorrangige Aufgabe
wird es sein, diejenigen, die hilfe- und pflegebedürftig
sind, zu unterstützen. Sie haben Anspruch auf eine menschenwürdige Pflege im Alter. Hierfür benötigen wir
nicht nur qualifiziertes Fachpersonal, sondern es bedarf
auch der Unterstützung der pflegenden Angehörigen.
Das haben Sie richtig gesehen, Frau Ministerin.
({11})
Die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von
Pflege, Beruf und Familie müssen verbessert werden.
({12})
Meine Damen und Herren, bei all diesen Zielen dürfen wir aber nicht vergessen, dass wir schon im kommenden Jahr deutlichere Anstrengungen unternehmen
müssen, die Schuldenbremse einzuhalten. Wie eingangs
gesagt, die Kinder sind unsere Richter. Das bedeutet, wir
müssen noch verantwortungsbewusster im Sinne nachfolgender Generationen mit unserem Geld haushalten.
Natürlich muss an gesetzlich zugesagten Familienleistungen festgehalten werden. Wir alle sind uns, wie
ich hoffe, genauso einig, dass wir in der Verantwortung
stehen, sämtliche Ausgaben auf ihre Wirksamkeit zu
überprüfen. Auch dies wird eine große Aufgabe. Hier
müssen wir ansetzen. Wir tun es für unsere Kinder; dessen müssen wir uns immer bewusst sein. Strengen wir
uns also gemeinsam an!
Herzlichen Dank.
({13})
Herr Kollege Mattfeldt, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag. Dazu gratulieren wir Ihnen recht
herzlich und wünschen viel Erfolg bei der Arbeit!
({0})
Zu diesem Einzelplan liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Ich gebe das Wort dem Bundesminister Dr. Norbert
Röttgen.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Parlamentsdebatte ist die erste
Gelegenheit, hier im Parlament auf den Gipfel von Kopenhagen zu sprechen zu kommen. Darüber könnte viel
gesprochen werden. Über die Enttäuschung, die er ausgelöst hat, über das, was er nicht gebracht hat, von dem
wir gesagt haben: Das ist unser dringendes Interesse und
das, was geleistet werden muss.
Ich möchte in dieser Debatte eine Konsequenz, die
ich daraus ziehe - ich halte sie für die wichtigste -, ansprechen.
({0})
Diese Konsequenz lautet: Jetzt erst recht machen wir
Klimaschutz.
({1})
Wir lassen uns nicht zurückfallen.
({2})
Alle Enttäuschten möchte ich davor warnen, dass ihre
Enttäuschung in Resignation umschlägt. Mit Resignation werden wir keine Veränderung erreichen. Das sage
ich auch an die Adresse all derjenigen, die jetzt die Gelegenheit wittern, unseren Kurs der entschlossenen Klimaschutzpolitik ändern zu können. Nein, meine Damen und
Herren: Jetzt erst recht.
({3})
„Jetzt erst recht“ ist keine Trotzhaltung, die wir an
den Tag legen, weil wir recht behalten wollen. „Jetzt erst
recht“ ist eine Konsequenz aus einer ganz nüchternen,
aber fundamentalen Einschätzung, die mir während meiner Teilnahme an der Konferenz von Kopenhagen und
danach klarer geworden ist, als sie es vorher war. Für
den Kern und die entscheidende Rechtfertigung unserer
Politik halte ich die Feststellung, dass Klimaschutz,
CO2-Reduzierung, Ressourcenschonung ganz allgemein,
im Zentrum der ökonomischen und geopolitischen
Transformation stehen, in der sich unsere Welt derzeit
befindet.
({4})
Das ist auch deshalb so, weil diejenigen, die vielleicht
kein Abkommen wollen, zum Beispiel China - China
hat sich jedenfalls nicht dafür ausgesprochen und eingesetzt -, in ihrem eigenen Land erkannt haben, dass es
dieser Veränderungen bedarf. In China setzt man nämlich auf Technologie, weil man die Klimafolgen spürt
und die Chancen auf den Märkten ergreifen will. Das
Gleiche gilt für die amerikanische Administration. Sie
hat allerdings Probleme, dafür im eigenen Land Mehrheiten zu organisieren.
Ganz nebenbei: Die ökonomische Transformation, in
der wir uns befinden, hat nicht nur eine geopolitische
Bedeutung, die man erleben kann, wenn der amerikanische Präsident mit dem stellvertretenden Außenminister
Chinas in einem Raum verhandelt, um anschließend in
das Hotelzimmer des chinesischen Ministerpräsidenten
zu gehen, in dem die anderen Führer der Basic-Staaten,
der Schwellenländer, zusammensitzen. In dieser Situation wird geradezu hautnah spürbar, dass die Welt im
Fluss ist und dass mit Blick auf die Klimaschutzpolitik
auch internationale Macht neu verteilt wird, aber noch
nicht neu verteilt ist.
({5})
Das ist auch ein Systemwettbewerb: Ist ein autoritäres
Regime, das Ziele einfach in den Fünfjahresplan schreiben kann, besser in der Lage, Ziele zu erreichen, als Demokratien, in denen Politik immer der Legitimation und
der Akzeptanz bedarf? In diesem Wettbewerb sind wir,
und das möchte ich vermitteln.
Die deutsche Position - wir arbeiten daran, dass eine
noch geschlossenere europäische Position zustande
kommt - besteht darin, diesen Prozess, der so oder so
stattfindet, mit unseren Werten, mit unseren Interessen
offensiv zu gestalten, statt alte Strukturen defensiv zu erhalten. Für diese Offensivstrategie, für die wir eintreten,
bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.
({6})
Wir sind in der besten Position von allen, aus diesem
Prozess als Gewinner hervorzugehen. Dieser Prozess
findet statt, weil er eine ökonomische Notwendigkeit ist.
Wenn wir so weiterleben und die Milliarden Menschen
aus den ärmeren Ländern, die sich danach sehnen, unseren Wohlstand zu erreichen, die westliche Lebensweise
annähmen, würde der Planet das nicht aushalten. Um des
Schutzes unseres Planeten willen - es geht um die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen -, aber ebenso,
damit wir auch in Zukunft Wohlstand und Wachstum haben, ist es eine schiere Notwendigkeit, Klimaschutzpolitik zu betreiben. Das ist die Grundlage für die Politik,
die wir machen.
({7})
Darum bleiben wir bei dem nationalen Ziel, den CO2Ausstoß um 40 Prozent zu reduzieren.
({8})
Wir wollen das in unserem Interesse, und wir machen
das auch. Wir wollen, wie die Kanzlerin gestern gesagt
hat, Europa dazu bewegen, den CO2-Ausstoß um
30 Prozent zu reduzieren; aber das müssen die anderen
Mitgliedstaaten mittragen.
({9})
Das ist das, was wir erreichen wollen.
Man kann es auch so formulieren: Wir haben in Kopenhagen versucht, dadurch, dass Deutschland und
Europa mit ambitionierten Zielen vorangehen, andere
Regionen, die Welt mitzuziehen. Damit waren wir nicht
erfolgreich; ich mache bei dieser Feststellung keinerlei
Einschränkungen. Die Schlussfolgerung daraus, dass wir
dabei, andere mitzuziehen, nicht erfolgreich waren, ist
für mich nicht, aufzugeben, sondern dazu überzugehen,
die anderen anzutreiben.
({10})
Denn wir sind in einem Wettbewerb, und wir wollen diesen Wettbewerb gewinnen.
({11})
Unsere Strategie ist zugleich eine ökonomische wie
eine klimaschutzpolitische Strategie; ich habe das betont, und ich betone das. Die Energiepolitik ist ein zentrales Feld, auf dem sich konkret erweist, wie wir die
Ziele unserer ökonomischen und klimaschutzpolitischen
Strategie umsetzen wollen. Die Vorgaben, die wir in der
Energiepolitik machen - die in dieser Wahlperiode, ja in
diesem Jahr 2010 eine wichtige Rolle spielen wird -,
sind klar: Der CO2-Ausstoß ist bis 2020 um 40 Prozent
zu reduzieren, bis 2050 um mindestens 80 Prozent.
Die Stellschrauben sind klar: Sie heißen Energieeffizienz, und sie heißen erneuerbare Energien. Das sind die
Eckpfeiler unserer Energiepolitik. Zur CO2-Reduzierung
habe ich Ausführungen gemacht. Energieeffizienz wird
am meisten dazu beitragen - ich will diesen Aspekt betonen -, dass wir die Ziele erreichen. Wir dürfen, wenn wir
Energiepolitik machen, nicht nur auf die Angebotsseite
schauen, wir müssen auch die Nachfrage nach Strom
betrachten. Wir dürfen den Bürger nicht wie bislang als
passiven Stromabnehmer verstehen, sondern müssen ihn
zu einem aktiven Teilnehmer am Strommarkt machen.
Das ist möglich: Durch intelligente Messsysteme können
wir das individuelle Verbrauchsverhalten steuern. Dazu
brauchen wir aber ganz andere Netze - intelligente
Netze -, und dafür brauchen wir Investitionen. Genau
das ist unsere Energiepolitik. Wir nehmen auch den Verbraucher in den Blick. Wir wollen auch durch individuelle, intelligente Verbrauchssteuerung Energiepolitik
machen. Das ist eine neue Sichtweise.
({12})
Zur Energiepolitik gehört - das ist keine Frage -, die
Angebotsseite zu betrachten. Die Angebotsseite ist bestimmt durch eine politische Vorgabe. Das kann man anders sehen - andere Länder sehen das anders -, aber ich
sage: Wir sehen es so, alle Parteien, die die Koalitions1422
vereinbarung verfasst haben, sehen es so. Wir zielen darauf ab, dass unsere Energieversorgung weitestgehend,
hauptsächlich auf erneuerbaren Energiequellen beruht. Wollen wir dieses Ziel bis 2050 erreichen, müssen
wir eine dynamische Entwicklung und Veränderung unseres Energiemixes erreichen. Das heißt dann Brückenfunktion: dass die erneuerbaren Energien insbesondere
die Kernenergie, aber auch die fossile Energie sukzessive ersetzen, sobald und soweit dies sicher möglich ist.
Das ist unser Ziel, das ist der Prozess, an den wir herangehen, meine Damen und Herren.
({13})
Das ist ein langer Prozess von 40 Jahren. Aber trotzdem
müssen wir heute die Entscheidungen treffen.
({14})
- Ja, wir werden das genau nach diesem Prinzip machen:
nicht mit politischer Willkür, sondern nach diesem Prinzip. Wir können ja unterschiedlicher Auffassung sein.
({15})
Ich sage es noch einmal, damit es klar ist: Die erneuerbaren Energien werden in einem dynamischen Prozess
sukzessive die Kernenergie und fossile Energiequellen
ersetzen. Diese Koalitionsvereinbarung werden wir umsetzen.
({16})
Entscheidungen treffen wir heute. Wenn wir dies von
den Energieversorgungsunternehmen erwarten, wobei
man auch die Marktpotenziale sehen muss, die für sie
darin stecken, dann haben wir auch eine politische
Bringschuld. Die politische Bringschuld heißt Klarheit.
Was wir wollen, setzt gewaltige Investitionen voraus.
Für solche Investitionen und Investitions- und Renditezyklen brauchen wir heute Klarheit. Darum stellt sich
diese Regierung anders als Vorgängerregierungen seit
zehn Jahren der Herausforderung, ein politisches Gesamtkonzept zu erstellen.
({17})
Das werden wir in diesem Jahr tun, um die notwendige
Klarheit zu geben.
({18})
Nach der Verbrauchersicht und dem energiepolitischen Konzept bekunde ich Ihnen noch eine dritte Veränderung gegenüber meinen beiden Vorgängern. Zur
Energiepolitik und zu den Kernkraftwerken, die wir betreiben, gehört auch die Entsorgung. Das ist eine Last
aus der Vergangenheit, die mit dem Betreiben von Kernkraftwerken verbunden ist, meine Damen und Herren.
({19})
Meine beiden Vorgänger im Amt haben sich leider
- schön, dass einer da ist - um die Verantwortung für die
Entsorgung gedrückt. Das war keine Heldentat.
({20})
Sie haben sich vor der Verantwortung gedrückt, weil
sie unangenehm ist. Ich halte mich gar nicht lange mit
der Vergangenheit auf.
({21})
Ich sage es jetzt für mich: Ich bin nicht bereit, die Entsorgungsfrage als ungelöste Frage zukünftigen Generationen zu überlassen.
({22})
Wir drücken uns nicht vor dieser Verantwortung für die
nächsten Generationen. In diesem Sinne bin ich das
Thema Asse angegangen, und in diesem Sinne werden
wir das Thema Gorleben angehen. In engem Kontakt
und im Austausch mit einer sehr konstruktiven örtlichen
Bevölkerung werden wir das tun. Wir werden weiterhin
um Vertrauen und Kooperation werben und an Lösungen
arbeiten.
({23})
In diesem Sinne werden wir auch die erneuerbaren
Energien weiter massiv fördern. Wir werden dies bei der
Fotovoltaik tun. Ich habe den Gesetzesvorschlag gestern gemacht. Wir werden die Fotovoltaik und ihre Nutzung aus der Nischenrolle, die sie bislang mit 1 Prozent
an der Stromversorgung hat, dadurch herausholen, dass
wir sie in einen verlässlichen, im Hinblick auf den Markt
anpassungsfähigen Rahmen einfügen, und ihr so eine
neue Zukunft geben. In zehn Jahren werden wir im Vergleich zu heute bei einem Ausbauvolumen von 4 bis
5 Prozent, also bei vier- bis fünfmal so viel Solarenergie
in Deutschland sein. Das ist unser Ziel. Ich habe unsere
Vorschläge dazu gestern vorgelegt.
({24})
Vielleicht verlieren Sie Ihre Voreingenommenheit,
wenn Sie ein paar Kommentare aus der heutigen Presselandschaft zur Kenntnis nehmen. Ich zitiere zunächst einige Überschriften. Michael Bauchmüller in der Süddeutschen Zeitung kommentiert in der Überschrift:
„Clever und hart“. Ich zitiere Jens Heitmann zu unseren
Vorschlägen; die Überschrift in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung lautet: „Solarbranche überfördert“.
Ich zitiere Thomas Exner, Die Welt: „Sinnvoller Einschnitt“. Aus der Frankfurter Rundschau zitiere ich
Frank-Thomas Wenzel etwas weiter gehend, weil er unsere Politik sehr gut wiedergibt:
… wir müssen möglichst bald die sogenannte Netzparität erreichen. Das bedeutet, der Strom vom
Solardach wird dann so viel kosten wie der Strom
aus der Steckdose. Das ist notwendig, um die Verhältnisse in der Energiewirtschaft zum Tanzen zu
bringen. Deshalb muss das Schmuckstück deutscher Industriepolitik, das Erneuerbare-EnergienGesetz, weiterentwickelt werden.
Eine entscheidende Komponente hat bislang gefehlt. Es gab nur eine unzureichende Rückkopplung
zur Markt- und Preisentwicklung - genau dies hat
die Innovationskraft erlahmen lassen.
Umweltminister Norbert Röttgen holt Versäumtes
nach: Je mehr Anlagen in einem Jahr hinzukommen, was darauf hindeutet, dass die solare Stromerzeugung hoch rentierlich ist, umso stärker werden
die Einspeisevergütungen gekürzt. Noch wichtiger
ist: Erlahmt das Geschäft, fällt die Absenkung der
Vergütung geringer aus. Das stabilisiert.
Leider kommt das neue Instrument mit reichlich
Verspätung. Deshalb ist der zusätzliche Abschlag
nötig.
Genau das ist unsere Politik, die in der Breite Zustimmung findet, weil sie eine dem Markt angepasste Strategie für die Zukunft der erneuerbaren Energien ist.
({25})
Ich will mit einem Hinweis darauf schließen, dass die
UNO dieses Jahr zum Jahr der biologischen Vielfalt
erklärt hat. Leider ist die Zeit knapp, aber ich bitte um
Erlaubnis, das noch vortragen zu dürfen. Ich will mit den
Worten und Einschätzungen von zwei Institutionen zum
Schluss kommen.
Zum einen hat Papst Benedikt zu Beginn dieses Jahres gegenüber der Weltöffentlichkeit von seiner großen
Sorge um die Bewahrung der Schöpfung als moralische
Herausforderung und wichtigen Faktor für Frieden und
Gerechtigkeit gesprochen. Die Wirtschaftskrise und die
globale Klimaproblematik haben nach der Auffassung
des Papstes dieselben Wurzeln, nämlich eine egoistische
und materialistische Mentalität.
({26})
Der geforderte Wandel bestehe deshalb vor allem in der
moralischen Herausforderung, unser Verhalten zu ändern.
Das Worldwatch Institute ist in seinem Bericht Zur
Lage der Welt zu dem Ergebnis gekommen, dass 1987
der ökologische Fußabdruck der Menschheit erstmals
die Regenerationsfähigkeit der Erde überschritten hat.
Wenn alle Menschen so lebten wie die Amerikaner, dann
würde die Erde 1,4 Milliarden Menschen vertragen.
Wenn alle so lebten wie die Westeuropäer, dann würde
der Planet 2,1 Milliarden Menschen vertragen.
Ich möchte mich insbesondere für die Worte des
Papstes bedanken.
({27})
Genau so ist es. Wenn Politiker auf die Wertgrundlagen
des Handelns hinweisen, dann werden sie damit diskreditiert, dass sie handeln sollen, statt über Werte zu predigen.
({28})
Das ist richtig. Darum ist es gut, dass der Papst diese
Werte betont hat.
({29})
Ich möchte deshalb bekunden, dass die Natur für uns
einen Eigenwert hat.
({30})
Ich möchte auch betonen, dass wir um die Dienstleistungsfunktion ganzer Ökosysteme für den Menschen
wissen. Darum dient das Jahr der biologischen Vielfalt
dazu, den Raubbau und die Zerstörung der Natur zu beenden, ein Abkommen im Kampf gegen Biopiraterie zu
schließen und Institutionen zu stärken, um des Respektes
gegenüber der Natur, aber auch um des Menschen willen.
Darum machen wir von der Klimaschutzpolitik über
eine konkrete Energiepolitik mit der Förderung erneuerbarer Energien bis hin zum Schutz der biologischen
Vielfalt konkrete Politik für die Zukunft der Menschen
und der nächsten Generationen. Ich bitte alle, denen daran etwas liegt, um Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({31})
Das Wort hat der Kollege Matthias Miersch für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, ich habe sehr aufmerksam zugehört.
Diese Rede unterschied sich wenig von den anderen Reden, die wir bislang von Ihnen gehört haben.
({0})
Sie hören sich gut an, aber ich finde, es wird Zeit, Sie
auch ein bisschen an Ihren Taten zu messen. Das will ich
tun.
Sie haben in der Aussprache zur Regierungserklärung
am 11. November 2009 gesagt, ein Ziel sei es, das Leitprinzip der Nachhaltigkeit durchzusetzen. Die wichtigsten Felder der Umweltpolitik seien Klimaschutz, Energiepolitik und der Schutz der biologischen Vielfalt. Ich
möchte Ihnen fünf Beispiele nennen, an denen ich deutlich machen will, dass jedenfalls gegenwärtig Worte und
Taten weit auseinander liegen.
Erstes Beispiel ist das Thema Nachhaltigkeit, das
zwar in den Reden sehr häufig vorkommt, aber nur dann
spannend ist, wenn es wirklich konkret wird. Lassen Sie
uns den Blick auf den Haushalt mit seiner Rekordverschuldung und auf Ihren Wachstumsbegriff richten; denn
Sie garnieren das Ganze noch mit einem sogenannten
Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Ich frage Sie: Wer
wächst eigentlich? Wohin wachsen wir? Wo sind unsere
Grenzen, die wir als Umweltpolitiker eigentlich sehr
deutlich sehen müssten? Ob Hoteliers oder Erben, sie
entziehen dem Staat wichtige Einnahmen, die dann fehlen, um im Klimaschutz aktiv werden zu können.
({1})
Ich glaube, der Schlüssel ist, dass wir Wachstum neu
denken, dass wir Wachstum tatsächlich mit Nachhaltigkeit verbinden. Wir haben heute Morgen den Beirat für
nachhaltige Entwicklung konstituiert. Wir haben in der
letzten Legislaturperiode eine Nachhaltigkeitsprüfung
durchgesetzt, an die sich die Ministerien halten müssen.
Wir haben aber nicht dafür gesorgt - das fällt nun auf -,
dass auch die Gesetzesvorhaben, die aus dem Parlament
kommen, einer Nachhaltigkeitsprüfung unterzogen werden müssen. Das wird schnellstens nachgeholt werden
müssen; denn uns hätte beispielsweise interessiert, was
eine solche Nachhaltigkeitsprüfung beim Wachstumsbeschleunigungsgesetz erbracht hätte.
({2})
Sie haben in der FDP-CDU/CSU-Koalition einen antiquierten Wachstumsbegriff und haben das Leitprinzip
der Nachhaltigkeit zumindest in diesem Haushalt an keiner Stelle berücksichtigt.
Das zweite Beispiel ist der Klimaschutz als Hauptziel der Umweltpolitik in Ihrer Regierungszeit. Wir wissen, dass Klimapolitik nach Nicholas Stern viel mehr als
nur Schutz ist. Es geht auch um zentrale ökonomische
Fragen. Sie haben in der Aussprache zur Regierungserklärung am 11. November 2009 argumentiert:
… es gibt keinen Plan B … Die Konferenz von Kopenhagen muss ein Erfolg werden. Wir haben in
diesem Prozess eine Vorreiterrolle. Die Stimme unseres Landes - das zählt zu den Erfahrungen, die
man innerhalb von Tagen machen kann - hat Gewicht.
Ich frage Sie: Wo ist die Vorreiterrolle Deutschlands in
diesem Prozess in Kopenhagen gewesen?
({3})
Was ist mit Ihrer Verhandlungstaktik geschehen? Sie ist
nicht aufgegangen. Schlimmer noch: Sie wurden durch
den Minister Niebel regelrecht rasiert; denn der für Ihre
Verhältnisse hervorragende Antrag, den wir im Umweltausschuss durchgewunken hatten, wurde hier im Parlament an zentralen Stellen geändert. Diese Änderungen
wurden von den Verhandlungsteilnehmern in Kopenhagen deutlich kritisiert, lieber Herr Minister. Sie müssen
sich im Kabinett stärker durchsetzen und dürfen sich
nicht von einem solchen Fossil - er ist ja zum Fossil des
Tages gekürt worden - über den Tisch ziehen lassen.
({4})
Sie sagen, dass Ihr Motto lautet: Jetzt erst recht. - Ich
war aber über die Haushaltsrede der Kanzlerin gestern
erschrocken; denn diejenigen, die genau zugehört haben,
haben festgestellt, dass sie weiter daran festhält - das ist
ein elementarer Fehler -, dass die Europäische Union
sich nicht auf das 30-Prozent-Ziel einigt, sondern erst
darauf wartet, dass andere nachziehen. So viel Zeit haben wir aber nicht mehr. Wenn wir eine Vorreiterrolle
einnehmen wollen, dann müssen wir hier unkonditioniert nach vorne gehen. Wir haben nichts zu verlieren.
Selbst Sie haben sich in dieser Legislaturperiode auf eine
Minderung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent geeinigt.
Daher verstehe ich nicht, warum nach Kopenhagen eine
solche Aussage kommt. Ich will nicht sagen, dass wir
Europäer alleine für das Scheitern verantwortlich sind.
Aber die Europäische Union hatte es in der Hand, Vorreiter zu sein. Das haben wir mit versemmelt; das konnte
man in Kopenhagen deutlich vernehmen. Dafür hat die
Kanzlerin die Verantwortung zu tragen.
({5})
Ich frage Sie: Wo sind die in Kopenhagen zugesagten
Mittel? Wo sind die konkreten Klimaschutzmaßnahmen?
Die 130 Millionen Euro, die in diesem Haushalt für das
Marktanreizprogramm und kommunale Investitionen
eingestellt sind, sind gesperrt. Lassen Sie es nicht zur
Verunsicherung bei den Kommunen kommen, denen Sie
an anderen Stellen sowieso schon Geld wegnehmen! Heben Sie diese Sperrung auf! Vertrauen ist an dieser Stelle
viel wichtiger. Zudem wurden die Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm - das betrifft nicht Ihren Etat,
sondern den des Bauministers - von 2,2 Milliarden auf
1,1 Milliarden Euro gekürzt. Dabei weiß jeder, dass in
diesem Bereich großes Potenzial steckt. So darf eine
Vorreiterrolle im Klimaschutz nicht aussehen, Herr Minister.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden Ihnen
die Gelegenheit geben, die Lehren aus Kopenhagen zu
ziehen. Wir werden im Rahmen eines Antrags ein verDr. Matthias Miersch
bindliches Klimagesetz fordern, und zwar versehen mit
einem Monitoring, sodass wir die notwendige Transparenz und Steuerung erreichen. Sie haben Klimapolitik
als zentrales Ziel definiert, aber ich glaube, dass Sie von
diesem Ziel noch weit entfernt sind.
Das dritte Beispiel ist die Energiepolitik. Heute tagt
im Kanzleramt eine Elefantenrunde zu diesem Thema.
Ich frage Sie: Wann lassen Sie die Katze aus dem Sack?
Wann wird der Ausstieg aus dem Ausstieg verkündet?
Herr Kollege Röttgen, Ihre erste Handlung, die Berufung des Cheflobbyisten der Atomindustrie, Herr
Hennenhöfer, zum Leiter der Abteilung für Reaktorsicherheit, zeigt, dass Ihr Handeln nicht mit dem kompatibel ist, was Sie heute hier wiederholt haben.
({7})
Angesichts der zu erwartenden Milliardengewinne fragt
man sich natürlich, welcher Ablasshandel da vonstatten
geht.
Selbst dieser Haushalt zeigt, dass Atomkraft nichts
mit Nachhaltigkeit zu tun hat. 40 Prozent des Stammhaushaltes des Umweltministeriums sind schon jetzt für
die Endlagerproblematik eingestellt - ohne Berücksichtigung der Asse. Herr Umweltminister, nach Schätzungen, die bislang vorliegen - darüber wird man noch
streiten müssen -, müssen wir 1,5 Milliarden Euro alleine für die Beseitigung der Fehler in der Asse aufwenden. Das ist mehr als der gesamte Etat des Umweltministeriums. Wer auf die Atomenergie setzt, hinterlässt damit
eine schwere Hypothek für die Haushalte nachfolgender
Generationen. Insofern gehen Sie mit der Atomkraft
auch finanzpolitisch einen falschen Schritt.
({8})
Wer sind Ihre Partner? - Der Chef von E.on Deutschland hat erklärt, es gebe keine rechtliche Verpflichtung,
sich an den Kosten zu beteiligen. Was ist das für ein Bild
von Gesellschaft und Industrie? Ein bisschen erinnert
mich das an so manchen Bankmanager, der sagte, dass
die Bankenkrise wahrscheinlich ein Versehen war. Dann
wird aber selbstverständlich verlangt, dass der Steuerzahler blechen muss. Zwei Drittel der Fässer kommen
aus Kernkraftwerken, wenn auch über den Umweg von
Forschungsanstalten. Aber die Ursache ist von der Industrie gesetzt worden, und insofern kann es nicht sein,
dass der Steuerzahler allein bluten muss. Das muss in
den Verhandlungen deutlich gemacht werden.
({9})
Man sollte auch die Folgen bedenken, die man inzwischen erkennen kann, wenn man die Erkenntnisse der
Wissenschaft genau studiert. Sie werden durch eine
Laufzeitverlängerung genau das verhindern, was Sie
selbst fordern, nämlich den Ausbau von erneuerbaren
Energien.
({10})
Ich möchte außerdem auf das hinweisen, was das
Bundeskartellamt gestern noch einmal sehr deutlich gesagt hat: Die Oligopolstruktur in diesem Gebiet, die
Marktmacht von wenigen Konzernen wird gestärkt. Sie
gehen also genau in die falsche Richtung. Sie zementieren falsche Strukturen. Auch insofern sollten Sie sich
den Ausstieg aus dem Ausstieg noch einmal überlegen.
Außerdem haben wir bei dieser Frage die Nachhaltigkeit, die Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen zu berücksichtigen. Wir hinterlassen Müll, von
dem wir heute noch nicht wissen, was eigentlich damit
passiert. Wenn Sie mit Ihrer Regierungspolitik das Leitprinzip nachhaltiger Entwicklung verfolgen, dann können Sie sich nicht aus dem Atomausstieg verabschieden.
Ich hoffe, es kehrt noch einmal Vernunft in Ihrer Regierung ein.
({11})
Das vierte Beispiel ist die biologische Vielfalt. Darüber kann man im Haushalt wenig nachlesen, dafür aber
einiges im Koalitionsvertrag. Darin steht nämlich, dass
Sie das, was wir in der Großen Koalition mit großer
Mühe zur Eingriffsregelung durchgesetzt haben, dass Sie
den Dreiklang von Vermeidung, Ausgleich und Ersatz
aufheben wollen. Wir haben in Deutschland ein zentrales
Problem bei der biologischen Vielfalt, und das ist der
Flächenverbrauch. Jeder, der die Nachhaltigkeitsstrategie und den Fortschrittsbericht liest, kann das leicht feststellen. Wer an der Eingriffsregelung rütteln will - so
wie es im Koalitionsvertrag steht -, schützt nicht die biologische Vielfalt, sondern tut genau das Gegenteil. Auch
dieses vierte Beispiel passt also nicht zu Ihren Worten.
({12})
Das fünfte Beispiel schließlich ist das BMU selbst.
Ich glaube, es ist richtig, über Personalaufstockungen
in den Umweltverwaltungen nachzudenken. Es gibt ein
sehr interessantes Gutachten des Sachverständigenrates
für Umweltfragen, der uns aufgezeigt hat, dass es gerade
im Verwaltungsvollzug hapert. In diesem Zusammenhang war wieder von „Indianern“ und „Häuptlingen“ die
Rede. Was machen Sie? Sie dehnen den Leitungsstab
und vor allen Dingen das, was mit Kommunikation zu
tun hat, aus.
Lieber Herr Kollege Röttgen, lieber Herr Minister,
diese fünf Beispiele machen deutlich, dass mehr Taten
gefordert sind und nicht nur gute Kommunikation. Ich
bitte Sie, auch hier zu prüfen, inwieweit ein bisschen
mehr Indianer und weniger Häuptlinge einzusetzen sind.
({13})
Die Kanzlerin hat gestern in ihrer Haushaltsrede in
Bezug auf die Finanzkrise gesagt: Wir standen am Abgrund. Ich wünsche mir, dass auch bei uns das Bewusstsein geschärft wird, dass es nicht nur um ein finanzielles
Desaster gegangen ist, sondern auch darum, dass wir an
anderer Stelle, nämlich im Bereich der Klimapolitik und
all der damit einhergehenden ökonomischen und sozialen Verwerfungen, am Abgrund stehen. Ich wünsche mir,
dass wir ein bisschen von dem Bewusstsein haben, das
wir in diesem Haus hatten, als es innerhalb von einer
Woche möglich war, Milliardenbeträge zur Rettung von
Banken zur Verfügung zu stellen. Wenn es uns gelingt,
die großen Themen, die wir hier nur ansatzweise besprechen können, in das Bewusstsein dieses Parlaments und
dieser Regierung zu rücken, dann wäre viel gewonnen.
Nicht nur die Finanzindustrie steht am Abgrund - sie ist
menschlich beherrschbar -, sondern auch die Natur. Sie
ist allerdings kein Verhandlungspartner; insofern müssen
Ihren Worten viel mehr Taten folgen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Klimaschutz ist unser nationales Interesse. Klimaschutz ist
Wettbewerbsmotor. Deshalb ist es richtig, dass diese Koalition auch nach Kopenhagen daran festhält: 40 Prozent
Emissionsminderung bis 2020 ohne Wenn und Aber. Das
ist ein Erfolg.
({0})
Die Opposition ist ihrer Verantwortung in Kopenhagen - Kollege Miersch hat das hier angedeutet - nicht
gerecht geworden.
({1})
Es war bisher immer so, dass wir deutschen Abgeordneten auf internationalen Konferenzen mit einer Stimme
gesprochen haben. Was haben Sie gemacht? Sie haben
der Regierung Knüppel zwischen die Beine geworfen,
indem Sie sie diffamiert haben, was nicht richtig war.
({2})
Am Schluss haben wir erreicht, dass wir genau in dem
Punkt, den Sie kritisiert haben - nämlich bei der Finanzierung der Transfers zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern -, einen Erfolg erzielt haben. Das ist
ein Erfolg von Minister Röttgen und von Minister
Niebel. Da können Sie noch so viel zetern.
({3})
Herr Miersch übt eine neue Funktion aus und durfte
deshalb lange reden. Es wäre trotzdem gut gewesen,
wenn Sie, Herr Miersch, sich einmal die Fakten angeschaut hätten. Sie haben kritisiert, dass für das CO2Gebäudesanierungsprogramm dieses Jahr weniger
Mittel zur Verfügung stehen als im letzten Jahr. Sie sollten der Ehrlichkeit halber auch sagen, woran das liegt:
Ihr Minister Tiefensee hat im Wahljahr das Geld, das für
dieses Jahr bestimmt war, ausgegeben, um noch vor der
Wahl zu glänzen. Das ist die Wahrheit über das CO2Gebäudesanierungsprogramm.
({4})
Diese Koalition steht für den Ausbau erneuerbarer
Energien. Deshalb halten wir in diesem Bundeshaushalt
die Mittel für das Marktanreizprogramm auf hohem Niveau konstant. Deshalb haben wir im Wachstumsbeschleunigungsgesetz die von der SPD geplante Erhöhung der Steuern auf Biokraftstoffe gestoppt. Deshalb
haben wir das Vertrauen in das EEG wiederhergestellt,
indem wir rückwirkende Eingriffe in Investitionen verhindert haben. Dass das Ganze in weniger als 100 Tagen
geschehen ist, ist eine gute Bilanz der neuen Koalition.
({5})
Im Koalitionsvertrag finden sich eine Menge Festlegungen - viele auch langfristig - zugunsten der erneuerbaren Energien. Der Einspeisevorrang für erneuerbare
Energien bleibt unbegrenzt erhalten. Wir werden die
Speicherbarkeit und die Netzintegration erneuerbarer
Energien verbessern. Wir werden - das schulden wir den
Verbraucherinnen und Verbrauchern - die Förderung
wirtschaftlicher machen.
Wir bekennen uns zur Solarenergie als wichtiger Zukunftstechnologie am Standort Deutschland. Wir Liberale werden dafür sorgen, dass eine Reform der Förderung den Markt für Solartechnik nicht abwürgt.
({6})
Wir Liberale begrüßen es, wenn es höhere Ausbauziele
für Solarenergie als im bisherigen Erneuerbare-Energien-Gesetz gibt. Wir befürworten es, wenn die Förderung flexibler gestaltet wird, je nach Markterfolg der erneuerbaren Energien mit Zu- oder Abschlägen. Die
Vorschläge des Bundesumweltministers sind nun Grundlage für die weiteren Beratungen in der Koalition. Ich
sage aber auch deutlich: Wir machen sie uns noch nicht
zu eigen. Klar ist: Die Förderung wird nicht in der Regierung, sondern hier im Deutschen Bundestag entschieden.
({7})
Die FDP wird für eine Reform mit Augenmaß sorgen.
Wir sagen aber auch ganz klar in Richtung der Anwürfe
aus der Opposition: Es kann nicht sein, dass wir bei einem massiven Preisverfall von Anlagen dauerhafte
Überförderungen hinnehmen. Die Renditen der Anlagenbetreiber fallen schließlich nicht vom Himmel, sondern sie werden von den Verbraucherinnen und Verbrauchern bezahlt. Wenn die Renditen das normale Maß, das
für die Förderung der Zukunftstechnologien nötig ist,
überschreiten, dann, meine lieben Kolleginnen und KolMichael Kauch
legen gerade von der SPD oder auch von der Linken, ist
das nichts anderes als eine Umverteilung von unten nach
oben: eine Umverteilung von der kinderreichen Arbeiterfamilie hin zu dem Akademiker, der sich Investorenmodelle mit hoher Rendite für seine Geldanlage leisten
kann.
({8})
Deshalb sagen wir Nein zur Überförderung. Wir sagen Ja dazu, die Solarenergie so zu fördern, dass sie ausgebaut werden kann, aber dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher dafür nicht mehr bezahlen müssen, als es
unbedingt notwendig ist.
({9})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Michael Leutert das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon ein schöner Zufall, dass wir ausgerechnet
heute über den Etat des Umweltministeriums sprechen.
Sie haben heute Abend zum Atomgipfel ins Kanzleramt
geladen und wollen dabei den Ausstieg aus dem Atomausstieg beschließen. Die Katze ist aus dem Sack, Herr
Kollege Miersch. Wirtschaftsminister Brüderle hat im
Vorfeld der Verhandlungen versprochen - das konnte
man nachlesen -, dass alle Atomkraftwerke weiter betrieben werden können. Herr Umweltminister Röttgen,
mit der Einstellung eines Atomlobbyisten als Leiter der
Abteilung für Reaktorsicherheit haben Sie nicht gerade
ein Zeichen dagegengesetzt.
({0})
Meine Frage ist: Wenn Sie den Wünschen der Atomlobby sowieso entsprechen: Warum laden Sie dann überhaupt noch zu Verhandlungen ein?
({1})
- Genau. - Sie bezeichnen - das ist das neue Modewort
der Atomkraftbefürworter - die Atomkraft gerne als
Brückentechnologie. Um in dem Bild zu bleiben: Warum
bauen Sie die Brücke nicht an der kürzesten Stelle? Wie
lange soll denn die Brücke werden? Wie lange wollen
Sie denn die Atomkraftwerke noch laufen lassen? Das
sind doch die spannenden Fragen.
Wenn Sie jetzt entgegenhalten, dass Sie dafür der
Atomindustrie große Zugeständnisse abverlangen werden - es heißt sogar, bis zu 50 Prozent der Gewinne aus
der Verlängerung der Laufzeit sollen eingesetzt werden,
um die Förderung des Übergangs zu regenerativen Energien zu stützen -, dann sage ich Ihnen: Das ist - das wissen Sie - nicht mehr und nicht weniger als eine Voraussetzung dafür, um den Ausstieg aus dem Ausstieg
gesellschaftlich überhaupt durchzusetzen. Damit soll die
Atomenergie wieder salonfähig gemacht werden. Das
wissen auch die Energieunternehmen. Deshalb werden
sie diesen Preis zahlen.
({2})
Der Punkt ist aber ein anderer: die Verknüpfung des
energiepolitischen Roll-backs zur Atomenergie mit dem
Klimaschutz. Das ist die eigentliche umweltpolitische
Strategie Ihrer Regierung. Ein Blick in den Haushalt zeigt
das auch: Der Umweltetat steigt um ungefähr 7,3 Prozent. Das begrüßen wir natürlich.
({3})
Davon entfallen 15 Millionen Euro auf das Umweltinnovationsprogramm. Das ist die eine Säule des Aufwuchses. Knapp 110 Millionen Euro gibt es mehr im Endlagerbereich. Das ist die zweite Säule des Aufwuchses.
Nicht hereingeschrieben in den Haushalt haben Sie
allerdings, welche enormen Folgekosten die Stilllegung
der Schachtanlage Asse verursachen wird. Sie wissen es
einfach noch nicht.
Immer noch gesperrt ist zum Beispiel der Titel zum
Salzgitterfonds. Selbst im Berichterstattergespräch gestern bekam man keine Auskunft, ob denn die Energieunternehmen nun ihren Einzahlungsverpflichtungen nachkommen und, wenn ja, in welcher Höhe.
({4})
Immer noch nicht ist im Haushalt abgebildet, wie
denn die Stilllegungskosten von Endlagern refinanziert
werden sollen. Der Bundesrechnungshof hat letztes Jahr
im Juni in einem Bericht ausdrücklich auf dieses Problem hingewiesen. Da steht die Frage im Raum: Wie
wird dieses Problem geregelt? Soll dies ebenfalls der
Steuerzahler übernehmen, wie zum Beispiel bei Morsleben oder Asse?
Die Kosten vom Endlager Konrad haben Sie natürlich
ebenfalls nicht unter Kontrolle. 1,7 Milliarden Euro stehen derzeit zu Buche. Das sind die geplanten Gesamtkosten. 900 Millionen Euro waren ursprünglich veranschlagt. Es handelt sich also fast um eine Verdopplung.
Diese Zahlen zeigen deutlich: Sie haben erstens die
Kosten Ihrer Politik nicht unter Kontrolle, und Sie nehmen zweitens billigend in Kauf, dass die Bevölkerung
die Risiken zu tragen hat, sowohl die finanziellen als
auch die technologischen und ökologischen Risiken.
Indem Sie Atomkraft und Klimaschutz miteinander
verkoppeln wollen, versuchen Sie, der Atomenergie das
Image einer umweltfreundlichen Technologie zu verpassen. Sie konstruieren hier letztendlich einen Zusammenhang, der erstens so nicht existiert und der zweitens so1428
gar aus der PR-Abteilung der Atomlobby selbst kommen
könnte.
({5})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist keine ökologisch nachhaltige Politik. Aus diesem Grund lehnen wir
diese Politik auch strikt ab.
Danke.
({6})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
die Kollegin Dorothea Steiner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Röttgen, Sie haben sich ja heute wieder einmal virtuell
das grüne Jäckchen angezogen. Sie haben sehr engagiert
verschiedene Entwicklungen geschildert, die aber für die
informierte politische Öffentlichkeit nicht wirklich neu
waren. Das Neue war nur, dass sie ein Minister einer
schwarz-gelben Koalition ausgesprochen und für sich in
Anspruch genommen hat. Das ist allerdings auch ein
wichtiger Fortschritt.
({0})
Zu Recht haben Sie den Klimaschutz als Zukunftsfrage behandelt; denn es geht um unsere Lebensgrundlagen und um die unserer Kinder und Enkelkinder. Außerdem bleiben uns nur wenige Jahre, um den Klimawandel
wirksam abzubremsen. Die Weichen für das Abbremsen
sind lange noch nicht richtig gestellt.
Wir führen ja eine Haushaltsdebatte. Deswegen prüfen wir am vorgelegten Haushaltsentwurf, wie Herr Minister Röttgen die vielen schönen weihevollen Worte
auch in Taten umsetzen will.
Fangen wir mit der Klimaschutzinitiative an, die mit
den Einnahmen aus dem CO2-Emissionshandel finanziert werden soll. Sie ist mit 460 Millionen Euro ausgestattet. Das ist schon einmal kein großer Wurf. Vorsorglich sind außerdem noch 130 Millionen Euro aus dem
Haushaltsansatz für diese Initiative gesperrt, weil die
Preise für die Zertifikate derzeit so niedrig sind. Das bedeutet, Sie machen Klimaschutz abhängig von der Konjunktur. Wenn die Preise im Keller sind, dann muss Klimaschutz eben mit halber Kraft betrieben werden. Ich
finde, das sollten Sie schleunigst ändern, wenn Sie wollen, dass diese Klimaschutzinitiative erfolgreich ist.
({1})
Herr Röttgen, Sie haben in Kopenhagen im Zusammenhang mit dem internationalen Klimaschutz Schiffbruch erlitten. Das haben wir alle festgestellt. Sie und die
Kanzlerin haben gezaudert, als es um die Zusage einer
Unterstützung in Höhe von 420 Millionen Euro für die
ärmsten Länder der Welt beim Klimaschutz ging. Und
was passiert jetzt? Sie stellen dafür noch nicht einmal
1 Cent in den Haushalt ein. Da geht doch der Klimakanzlerin a. D. der letzte Rest an Glaubwürdigkeit verloren.
({2})
Frau Merkel hat gestern das Zeitalter der erneuerbaren Energien ausgerufen. Wie verträgt sich das damit,
dass Sie die Einspeisevergütung für Solarstrom so massiv senken wollen, wie Sie es jetzt geplant haben? Wie
verträgt sich diese Ansage damit, dass die erhöhte Nutzung der Windkraft immer wieder ausgebremst wird?
Das Repowering älterer Anlagen wird massiv behindert,
und bei den Offshore-Windparks in der Nordsee hakt es
ganz gewaltig. Das funktioniert so: Große Energiekonzerne sichern sich die Planungshoheit für die OffshoreWindparks, die vom Volumen her mehrere AKWs ersetzen könnten, und anschließend wird die Planung erst
einmal auf Eis gelegt. Das ist auch nicht verwunderlich,
wenn man bedenkt, dass diese Konzerne gleichzeitig
Atomkraftwerke betreiben.
({3})
So kommen wir dem Zeitalter der Erneuerbaren, wie
proklamiert, nicht näher, obwohl es für unsere Zukunft
zwingend ist.
Wir machen Ihnen einen Vorschlag: Streichen Sie die
umwelt- und klimaschädlichen Subventionen! Das kostet den Haushalt nichts, hat aber einen hohen Steuerungseffekt für die Umwelt und für den Klimaschutz.
Streichen Sie zum Beispiel bei der Energiesteuer die
Vergünstigungen für die Kohleverstromung und insbesondere die Begünstigungen für die Braunkohlewirtschaft! Das bezieht sich auf den Verzicht auf Förderabgaben, auf Abgaben für die Wasserentnahme etc.
Nehmen Sie doch die Ermäßigungsregelungen bei
Strom- und Energiesteuer - das sind Milliarden - und
die Ausnahmen von der Ökosteuer zurück!
Das Umweltbundesamt hat 2008 die Summe der umweltschädlichen Subventionen auf circa 42 Milliarden
Euro beziffert. Jetzt sagen Sie mir bitte: Wie wollen Sie
mit solchen Subventionierungen, mit einer solchen Praxis den Ansprüchen im Klimaschutz gerecht werden und
das 40-Prozent-Ziel erreichen? Da müssen Sie schon
ganz anders mit den Besitzstandswahrern umgehen.
({4})
Herr Röttgen, wenn Sie effektive Klimaschutzpolitik
machen wollen, dann werden Sie nicht umhinkommen,
sich große Teile der Energiepolitik von Minister
Brüderle zu holen; denn dieser Wahrer der Interessen der
Energiekonzerne wird uns allen beim Ausbau der Erneuerbaren nur Steine in den Weg legen.
Jetzt noch ein Satz zum Thema Atom. Viel muss man
als Grüne hier dazu nicht sagen; Sie kennen die Position.
Wir alle hier wissen, dass Sie heute Abend Gespräche
mit den AKW-Betreibern führen werden, und wir liegen
sicherlich nicht schief mit der Vermutung, dass Sie dort
Zusagen in punkto Laufzeitverlängerung machen werDorothea Steiner
den, die erst nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen
öffentlich werden. Dass wir dann keinen Ausstieg aus
dem Ausstieg mit Samtpfötchen haben werden, wage ich
schon jetzt zu prophezeien.
Wenn Sie alte, unsichere Reaktoren länger laufen lassen, verursachen Sie nicht nur steigende Kosten für die
Sicherheit und besonders für die Entsorgung des Atommülls. Sie belasten nicht nur Bürger, sondern auch den
zukünftigen Bundeshaushalt bzw. zukünftige Bundeshaushalte und blockieren im Höchstmaß den Ausbau der
Erneuerbaren. Ich verspreche Ihnen auch hier, dass wir
Grüne große Anstrengungen in den Widerstand gegen
dieses Vorhaben investieren werden, vor allem wenn Sie
als erster Endlagerminister, der uns Gorleben als atomares Endlager in Niedersachsen verpasst, in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingehen wollen.
({5})
Bei jedem Haushalt gibt es auch Weichenstellungen
in der Personalpolitik. Wir haben mit Interesse vermerkt,
dass Sie eine neue Leitung des Kommunikationsstabs
planen, die sich wegen der komplexen Aufgaben insbesondere der Akzeptanz des Konzeptes der erneuerbaren
Energien widmen soll. Ich sage Ihnen: In keinem Bereich ist die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern
so hoch wie bei den Erneuerbaren. Was wollen Sie bei
der Kommunikation eigentlich ändern? Oder verfolgen
Sie vielleicht ein anderes Ziel? Ist die Vermittlung der
Brückenfunktion und der Klimanützlichkeit der Atomkraft der eigentliche Auftrag?
Wir wollen solche Gelder anders verwendet sehen.
Investieren Sie zum Beispiel in die Strategien in Bezug
auf Artenvielfalt, auf Biodiversität. Kommunizieren Sie
hier die Notwendigkeit, den Artenschwund zu stoppen,
und schreiben Sie die schönen Passagen, die Sie uns hier
vorgetragen haben, Ihren Parteifreunden ins Stammbuch, die immer wieder die Mopsfledermaus und die
Armleuchteralge anführen, um den Artenschutz lächerlich zu machen.
Kollegin Steiner, würden Sie bitte auf mein Signal
achten, auch wenn Sie Ihr Manuskript auf das Lämpchen
gelegt haben?
({0})
Ja, das mache ich. Ich komme jetzt zum Schluss; ich
war bereits in der Schlusskurve. - Hier Geld zu investieren, ist eine Zukunftsaufgabe für uns alle und hat auch
wirtschaftliche Auswirkungen.
Herr Minister Röttgen, Sie sind mit beachtlichen Vorschusslorbeeren und imposanten Ankündigungen gestartet. Auch heute haben Sie wieder entsprechende Ankündigungen gemacht. Wir warten nun darauf, dass davon in
der Umweltpolitik und auch im Haushalt konkret etwas
ankommt. Wir versprechen Ihnen unsererseits, in den
Haushaltsberatungen handfeste Vorschläge zu machen.
Aber dann wollen wir auch endlich Taten sehen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Haushaltsdebatte 2010 fällt in ein umweltpolitisch sehr kritisches Jahr. Im Klimabereich müssen
wir einen neuen Anlauf nehmen nach Kopenhagen und
vor Mexiko. Die UNO hat das Jahr der biologischen
Vielfalt vor dem Hintergrund ausgerufen, dass auch hier
die internationalen Ziele verfehlt worden sind.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein ganz
persönliches Wort zu dem, was Sie, Herr Miersch, nach
Kopenhagen über Frau Merkel gesagt haben. Ich bin in
diesem Hohen Hause jetzt 20 Jahre auf dem Gebiet der
Umwelt- und Entwicklungspolitik tätig. Ich habe einige
Kanzler kommen und gehen sehen. Aber niemand war
mit Abstand so stark engagiert
({0})
und hat so oft national und international Kopf und Kragen für sowohl Umweltpolitik als auch Entwicklungspolitik riskiert wie Bundeskanzlerin Merkel. Deswegen
weise ich Ihre Anschuldigungen an die Kanzlerin zurück. Sie ist einen Quantensprung besser als ihr Vorgänger Schröder, der jetzt bei Gazprom gelandet ist.
({1})
Man kann einen Kampf verlieren, aber man muss vor allen Dingen kämpfen. Das unterscheidet Frau Merkel von
ihrem Vorgänger fundamental.
Auch ich war wie wir alle von Kopenhagen enttäuscht. Es war ein Zirkus, der dem Ernst der Lage nicht
gerecht geworden ist. Wir haben uns in Kopenhagen getroffen. Also wissen Sie, wovon ich spreche.
Ich gebe dem Minister Röttgen vollkommen recht:
Nachdem die erste Enttäuschung und die erste Wut verflogen sind, gibt es nur eine Alternative: Wir müssen
nach vorne schauen, den Kampf wieder aufnehmen und
den Blick auf Mexiko und Bonn richten. So hoffe ich,
dass eine konstruktive internationale Konferenz der Umweltminister zustande kommt.
Kopenhagen hat natürlich nicht nur Negatives gebracht. Kopenhagen hat bei genauerer Betrachtung zumindest eines gebracht: Die Karten liegen auf dem
Tisch; die Befindlichkeiten und die Schwierigkeiten der
einzelnen Länder sowie die Sinnhaftigkeiten und auch
die Unsinnigkeiten sind klar zutage getreten. Es gibt also
genügend Hinweise, was bis Mexiko zu tun ist.
Ich möchte entgegen der Meinung aller Untergangsspezialisten, die es auch im NGO-Bereich gegeben hat,
ganz ausdrücklich sagen: Wir werden einen neuen Anlauf nehmen. Dazu können auch wir Parlamentarier etwas beitragen. Das indische Parlament spielt in diesem
Zusammenhang eine starke Rolle. Wenn wir unsere guten parlamentarischen Beziehungen zu Indien nutzen,
können wir in den nächsten Monaten auf die indischen
Parlamentarier einwirken.
Dasselbe gilt für die Amerikaner. Es ist doch offensichtlich, dass Präsident Obama einen ganz anderen
Kurs fährt als der frühere Präsident Bush. Aber er
braucht dazu die Unterstützung des Kongresses. Auch da
können wir die nächsten Monate nutzen, um den einen
oder anderen auf dem Wege der transatlantischen
Freundschaft von unserer Position zu überzeugen.
Ich komme zu China. Natürlich hat China keine besonders gute Rolle gespielt. Aber all diejenigen, die sich
mit China beschäftigen, wissen auch, dass es dort viele
hochrangige Leute im Politbüro und auf Gouverneursebene gibt, die mit uns im Bereich der Technologie auf
dem Kohlesektor gerne zusammenarbeiten wollen. Auch
in Bezug auf Indonesien sollten wir - das gilt sowohl
für die Regierung als auch für das Parlament - die Zwischenzeit nutzen.
({2})
An die Adresse der Entwicklungspolitiker der SPD
sage ich: Auch die Afrikaner haben zum Teil einen unsäglichen Beitrag in Kopenhagen geleistet, allen voran
das demokratische Musterland Sudan. Inzwischen sagen
alle Afrikaner - außer dem Sudan -: Zur Not machen wir
mit. - Das sollten wir in gewisser Weise als Ermutigung
verstehen.
({3})
Lieber Norbert Röttgen, ich finde es richtig, dass wir
Deutsche unverdrossen unseren Weg gehen: Wir kämpfen für ein rechtsverbindliches Abkommen noch heuer,
wir suchen die Koalition der Gutwilligen, und wir bieten
selber überzeugende Angebote. Dazu gehört auch die
ausgestreckte Hand in Richtung der Entwicklungsländer. Hier kann ich den Vorwurf, wir hätten keine Angebote gemacht, nicht nachvollziehen. Wir haben sehr umfangreiche Angebote gemacht. Vieles davon steht in den
Haushalten des BMZ und des BMU, und zwar seit Jahren. Die SPD tut jetzt aber immer so, als wären die letzten vier Jahre erfolglos und spurlos an der Welt vorübergegangen.
({4})
- Stehen Sie doch zu unseren gemeinsamen Erfolgen der
letzten vier Jahre! Tun Sie nicht so, als wäre in den letzten vier Monaten alles anders geworden! Das ist doch
scheinheilig und traurig.
({5})
Ich nehme die Verhandlungen mit den Entwicklungsländern sehr ernst. Hier geht es nämlich um die Maßnahmen, die am leichtesten und am dringendsten zu erfüllen
sind: um die Erhaltung der Senken und die Rettung des
Waldes. Dazu brauchen wir auf jeden Fall die Entwicklungsländer. Nur, wir können das alles nicht in den
Haushalt einstellen, bevor wir nicht ein für alle verbindliches internationales Abkommen geschlossen haben.
Erstens wäre das verhandlungstaktisch unsinnig und
würde der Sache nicht dienen; zweitens wäre es ungerecht. Deswegen läuft der Vorwurf, wir hätten keine Angebote gemacht, ins Leere.
({6})
Zum Ziel der Reduktion der CO2-Emissionen um
40 Prozent - Norbert Röttgen hat es wiederholt - sage
ich: Ich bin froh, dass weiterhin Mittel im Umfang von
mindestens 30 Prozent des BMU-Haushalts für die Verwirklichung dieses Ziels zur Verfügung gestellt werden;
die Ausgaben bleiben also auf hohem Niveau. Auch ich
bin dafür, dass die Spezialprogramme und -projekte, die
sehr erfolgreich gelaufen und mit einem Sperrvermerk
bedacht sind, weiter von uns unterstützt werden. Das gilt
zum Beispiel für die Regionalprogramme, die sehr erfolgreich laufen. Das gilt auch für das Programm zur
Förderung von Miniblockheizkraftwerken
({7})
und das hocheffiziente CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das im Haushalt des Kollegen Ramsauer angesiedelt ist. Hier ist es völlig unsinnig, Herrn Ramsauer
etwas vorzuwerfen, was sein Vorgänger verbockt hat.
Wir sollten lieber gemeinsam dafür streiten, dass die
Mittel für dieses Programm im Bundesverkehrsministerium aufgestockt werden können. Wir sollten hier nicht
Minister Ramsauer beschimpfen, sondern sagen: Wir haben ein Interesse daran, dass er in seinem Hause für dieses Programm Unterstützung erhält.
({8})
Norbert Röttgen hat die entscheidende Rolle der
Energiepolitik angesprochen. In diesem Zusammenhang wiederhole ich, was ich schon beim letzten Mal gesagt habe: Es gibt nirgendwo so viele Scheinheiligkeiten, nirgendwo wird so viel gelogen wie in der
Energiepolitik. Ich bin davon überzeugt, dass wir die anspruchsvollen Ziele, die wir uns gemeinsam in diesem
Hause auferlegt haben, ohne einen massiven technischen
Fortschritt und eine Politik der Technologie und der Innovation auf allen Gebieten nicht erreichen werden, egal
ob es, Frau Höhn, um die berühmte CO2-Abscheidetechnik,
({9})
um Desertec, Kernfusion oder viele andere Dinge mehr
geht. Bei all diesen Dingen kommt Deutschland nur mit
Technologieoffenheit voran.
Kollege Ruck, achten Sie bitte auf das Zeichen.
Jawohl, letzter Gedanke. - Das bringt uns einen dreifachen Vorteil: Mit Technologieoffenheit erreichen wir
unsere Klimaziele und mehr Wettbewerbsfähigkeit.
({0})
Frau Höhn, mit dieser Wettbewerbsfähigkeit erreichen
wir auch einen dritten Vorteil: einen Dominoeffekt, der
dazu führt, dass die anderen Länder, die anderen CO2Emittenten, unsere Konkurrenten gar nicht anders können als unsere CO2-arme Technologie nachzuahmen.
Kollege Ruck, Sie reden jetzt auf Kosten Ihrer nachfolgenden Kollegen.
Dann haben wir den Effekt erreicht, den wir erreichen
wollen.
Danke.
({0})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kelber das
Wort.
Herr Kollege Ruck, ich finde es traurig, dass Sie in
Ihrem Redebeitrag zu einer Sache nicht mehr stehen,
nämlich zu dem gemeinsamen Beschluss von CDU/CSU
und SPD aus dem letzten Jahr, die Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm so lange aufzustocken, bis jedem einzelnen Antrag, der gestellt wird, um einen vergünstigten Kredit dafür zu bekommen, bei einem
Gebäude eine Wärmedämmung vorzunehmen, womit
Energiekosten reduziert, Arbeitsplätze geschaffen und
die Umwelt geschont wird, entsprochen werden kann.
Das war ein Beschluss des gemeinsamen Kabinetts.
Sie haben ihn eben kritisiert, genauso wie der Kollege
Kauch, der ihn noch im letzten Jahr begrüßt und heute
kritisiert hat. So schnell ändert sich das, wenn man sich
in anderen Konstellationen befindet. Wir werden beobachten: Wird eine Regierung aus CDU/CSU und FDP
ebenso wie eine Regierung unter SPD-Beteiligung bereit
sein, dieses Gebäudesanierungsprogramm finanziell angemessen auszustatten?
({0})
Sie haben das Wort zu einer Erwiderung.
Lieber Herr Kollege Kelber, ich kann mich ganz kurz
fassen, weil Herr Kauch auf das, was Sie uns vorwerfen,
schon eingegangen ist.
Wir haben das Gebäudesanierungsprogramm unter
Schwarz-Rot sehr ernst genommen.
({0})
Der Kollege Tiefensee, der bekanntlich ein SPD-Mann
ist, hat
({1})
das Geld vorzeitig ausgegeben, auch aus Wahlkampfgründen,
({2})
und zwar vorauseilend mit Blick auf den nächsten Haushalt. Jetzt können Sie seinem Nachfolger nicht vorwerfen, dass er das Geld, das Tiefensee ausgegeben hat,
nicht mehr in der Kasse hat. Das ist doch unsinnig.
({3})
Ich habe es doch gesagt: Tun wir gemeinsam alles dafür, dass Minister Ramsauer das Geld, das sein Vorgänger hinausgeschmissen hat, wieder auffüllen kann.
({4})
- Richtig. Aber Sie können doch dem Kollegen
Ramsauer nicht vorwerfen, dass Tiefensee das Geld
schon verfrühstückt hat.
({5})
Vielmehr muss es unser Ziel sein, dass neues Geld nachkommt. Insofern kann ich nur sagen: Unterstützen Sie
uns doch
({6})
- ich glaube, Sie hören nicht zu, Herr Kelber - in dem
Anliegen, diese Gelder wieder aufzufüllen.
({7})
Als Umweltschützer und Umweltpolitiker habe ich kein
Problem damit, dem Kollegen Ramsauer eine umweltpolitische Maßnahme zu offerieren.
({8})
- Ich stimme jedem vernünftigen Antrag zu; aber das
sind meist die Anträge, die von uns kommen.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Bärbel
Kofler das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Ich hatte am gestrigen Abend das zweifelhafte Vergnügen, über den Einzelplan für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mitzudiskutieren. Eines
kann ich am heutigen Tag positiv feststellen: Ich habe
heute vom Minister zumindest schöne Wort gehört. Meines Erachtens ist dies das Einzige, was Sie an dieser
Stelle unterscheidet.
Kollege Ruck ist vorhin im Zusammenhang mit Klimaschutz und der Konferenz von Kopenhagen auf das
Thema Entwicklungspolitik eingegangen. Dazu möchte
ich ein paar Punkte richtigstellen und einige Dinge deutlich machen. Überhaupt hat man, wenn man die Debatte
hier in den letzten zwei Tagen verfolgt, den Eindruck,
dass das alles in Kopenhagen gar nicht so schlimm war.
Die einen versuchen, dies alles schönzureden und sagen,
man werde das Problem in Mexiko oder sonst wo schon
noch in den Griff bekommen. Die anderen in der Regierungskoalition, die das Scheitern zur Kenntnis nehmen,
machen dafür China oder die USA oder, wie ich heute
gelernt habe, die Opposition verantwortlich.
({0})
All diese Vorwürfe sind völlig aus der Luft gegriffen und
bedeuten einfach nur, dass Sie sich Ihrer Regierungsverantwortung nicht stellen und sich Ihrer Verantwortung
für das Scheitern der Konferenz von Kopenhagen entziehen.
({1})
Es ist schön, dass alle Konferenzländer anerkannt haben, dass wir ein Klimaproblem haben; ich formuliere es
einmal so, denn mehr ist ja nicht herausgekommen. Aber
dazu, welche konkreten Schritte und Maßnahmen man
einleiten sollte, wurde in Kopenhagen nichts beschlossen und auch hier nichts gesagt. Das ist nicht nur die
Erkenntnis der Opposition, sondern das haben auch Wissenschaftler, die in dem Beirat „Globale Umweltveränderungen“ der Bundesregierung sitzen, in der FAZ im
Dezember geschrieben. Kopenhagen hinterlässt „Frustration, Irritation und Konfusion“, so deren Urteil.
Diese Konfusion und Frustration kann ich nachvollziehen. Dies gilt auch für den vorliegenden Haushaltsentwurf. Zum Einzelplan 16 sind viele schöne Worte gefallen. Aber wenn es um die Frage des internationalen
Klimaschutzes geht, dann fragt man sich: Wo finde ich
dazu konkret etwas in diesem Haushalt, über den wir
diskutieren? Ich habe lange im Einzelplan 16 gesucht.
Ich habe auch lange im Einzelplan 23 gesucht; denn es
könnte ja sein, dass irgendwo anders etwas steht.
Nach langem Suchen habe ich im Einzelplan 16 ein
kleines Sternchen gefunden. Dort steht: Beim Stammhaushalt in der Höhe von ungefähr 1,2 Milliarden Euro
ist die Ermächtigung zu Mehrausgaben für den internationalen Klimaschutz in Höhe von 400 Millionen Euro,
als Folge von Kopenhagen, noch nicht berücksichtigt.
Herr Minister, es wäre schön gewesen, heute von Ihnen
ein klärendes Wort zu hören, wie Sie bis zur zweiten
bzw. dritten Lesung diese 400 Millionen Euro in den
Haushalt einstellen wollen.
({2})
Aber ich glaube, das gehört zu einer Reihe von Fragen,
die sich hinter diesem Einzelplan verbergen. Herr Kollege Miersch hat dankenswerterweise auf die 1,5 Milliarden Euro Folgekosten für Asse hingewiesen. Was ist
mit den 400 Millionen Euro? Wir wissen es nicht.
Ich möchte auf eines hinweisen - es ist heute einiges
über die Halbwertszeit der Aussagen dieser schwarz-gelben Koalition gesagt worden -: Am 11. Dezember
wurde in Brüssel beschlossen, dass man sich im Rahmen
der Haushalte 2010 bis 2012, also auch im Rahmen dieses demnächst zu verabschiedenden Haushalts, an der
Hilfe für die Entwicklungsländer beteiligen werde - so
viel zu den Signalen; darauf werde ich noch eingehen,
Herr Kollege Ruck. Für den Klimaschutz der Entwicklungsländer werden weltweit 30 Milliarden US-Dollar
und in der EU 10,6 Milliarden US-Dollar bereitgestellt.
Wo ist der deutsche Anteil? Man hört zwar, dass wir
uns beteiligen wollen. Das steht auch auf der Internetseite des BMU. Es wäre nur schön, wenn Sie sich am
Kabinettstisch einig wären. In der Welt am Sonntag vom
20. Dezember steht - Zeitung lesen hilft manchmal
wirklich -, dass der Kabinettskollege Niebel zu dieser
Frage sagt:
Das Fast-Start-Finanzierungspaket, das Teil des Beschlusses von Kopenhagen werden sollte, ist mit
dem Scheitern des Gipfels auch vom Tisch.
Ja, was denn jetzt bitte? Hü oder hott, Beteiligung ja
oder nein? Was passiert mit dem Geld, das dringend für
den internationalen Klimaschutz benötigt wird? Auch
dies ist ein Signal für die Entwicklungsländer, ein Signal, das man vorher anders hätte senden müssen, damit
mehr Diskussionsbereitschaft und mehr Bereitschaft,
sich einzubringen, vonseiten anderer Länder vorhanden
gewesen wäre.
({3})
Wenn man bei dieser Gelegenheit einmal nachliest,
wer laut unserer Verfassung die Leitlinien der Politik bestimmt, dann frage ich mich schon, wo in diesem Moment die Kanzlerin ist. Es ist ihr Kabinett, in dem der
eine Minister hü und der andere Minister hott sagt bzw.
der eine Minister nichts dazu sagt und der andere Minister es ablehnt, etwas zu sagen.
({4})
Ich denke, es ist wichtig, dass Sie Ihrem Wissenschaftlichen Beirat genauer zuhören, was bei internationalen Verhandlungen das Gebot der Stunde wäre, wenn
es um den Klimaschutz geht. Das Verursacherprinzip
sollte anerkannt werden. Die Industrieländer, die über
Jahrhunderte hinweg durch Industrialisierung zum Klimawandel beigetragen haben, müssen sich entsprechend
ihrer finanziellen Verantwortung stellen.
({5})
- Ja, Sie schieben die Schuld immer auf die Schwellenländer. Auch diese Länder, die jetzt viel CO2 emittieren,
müssen natürlich ihren Beitrag leisten; das bestreitet keiner. Bisher liegt aber die maßgebliche Verantwortung bei
den Industrieländern.
({6})
Wenn man in einer vielschichtigen Weise darüber diskutiert, dann wird man bei den Entwicklungsländern
auf eine andere Akzeptanz stoßen und Glaubwürdigkeit
beweisen. Denn das, was im Vorfeld zur Konferenz passiert ist, hat dazu geführt, dass viele Länder gesagt haben: Das, was ihr macht, ist nicht glaubwürdig. Wir verlassen uns nicht darauf.
({7})
Das kann man auch verstehen. Das ist ja auch ein weites
Feld, wenn man sich die Gesamtsumme für die Entwicklungsländer ansieht; darüber haben wir gestern gesprochen.
Die SPD-Fraktion hat deshalb einen entsprechenden
Antrag eingebracht und gefordert, die Mittel für den Klimaschutz nicht mit den Mitteln für Armutsbekämpfung
zu verrechnen. Ich denke, wenn diesem Antrag im Vorfeld der Konferenz Folge geleistet worden wäre, hätte
man ein wesentlich besseres Signal nach Kopenhagen
senden können, auch was die Rolle Deutschlands anbelangt.
({8})
Neben der Konferenz von Kopenhagen möchte ich
eine andere Frage ansprechen, auf die viele Vorredner
eingegangen sind: das Verhältnis zwischen Stammhaushalt und Endlagerhaushalt. Es ist schon gesagt worden,
dass der Endlagerhaushalt ungefähr ein Viertel des Umwelthaushalts ausmacht. Eine Politik, die die Nutzung
der Atomenergie verlängert, erhöht auch die Folgekosten. Ich glaube nicht, dass das, was Sie hier verschönt als
Brückentechnologie dargestellt haben - Sie versuchen,
den Leuten das schmackhaft zu machen -, wirklich Ausdruck Ihrer Politik im Bereich Atomenergie ist, Herr Minister. Setzen Sie sich einmal mit dem Wirtschaftsminister zusammen. Fragen Sie einmal genau nach, was diese
Regierung zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder
macht? Sie hat, bezogen auf Brasilien, Ausfuhrbürgschaften für Atomkraftwerke bzw. Atomtechnologien in
Milliardenhöhe erteilt. Dies ist die erste Regierung seit
2000, die Hermesbürgschaften für den Bau eines Atomkraftwerks in Brasilien vergibt. Das hat auch die Große
Koalition nicht gemacht, und zwar deswegen - das muss
ich an dieser Stelle deutlich sagen -, weil der sozialdemokratische Umweltminister, Sigmar Gabriel, auf die
Bremse getreten ist.
({9})
Kollegin Kofler, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Dieses kleine Beispiel für Außenwirtschaftsförderung, die dieser Regierung sehr am Herzen liegt, zeigt eines ganz deutlich: dass Sie ins Atomzeitalter und damit
zu einer veralteten Technologie zurückwollen. Dadurch
entziehen Sie neuen Technologien die finanzielle und
ökonomische Basis.
Danke.
({0})
Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin
Angelika Brunkhorst.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu der Debatte über den Umwelthaushalt gehört auch
die Frage der Stilllegung des Schachtes Asse II. Zu Beginn des letzten Jahres, Anfang Januar 2009, gab es eine
Übertragung der Verantwortung auf das Umweltressort.
Es kam zu einem Betreiberwechsel hin zum Bundesamt
für Strahlenschutz, zum BfS. Nun soll Asse II verfahrensrechtlich wie ein Endlager abgewickelt werden. Daher muss es nach Atomrecht behandelt werden. Das BfS
als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des BMU
besitzt in diesem Bereich Kompetenz, weil es auch für
die Endlagerung und die Entsorgung radioaktiver Abfälle zuständig ist.
Es ist konstatiert worden, dass für Asse II circa
98 Millionen Euro pro Jahr erforderlich sind. Das ist
aber noch keine konkrete Zahl. Das kann noch variieren,
weil wir den konkreten Bedarf erst dann kennen, wenn
die Grundsatzentscheidung über das Stilllegungskonzept
tatsächlich gefallen ist.
Ende vergangener Woche hat das BfS nach Begutachtung der verschiedenen Optionen eine Empfehlung für
die Rückholung der Abfälle herausgegeben, da dies nach
heutigem Wissensstand die beste Lösung darstellt. Das
wird angestrebt. Die Optionen Vollverfüllung und Umlagerung sind zunächst verworfen worden. Natürlich ergeben sich daraus für die nachfolgende Diskussion einige
Fragen.
Angesichts der drängenden Probleme hoffe ich, dass
Umweltminister Röttgen dafür sorgen wird, dass das
BfS zügig ein Konzept für das weitere Vorgehen vorlegt,
was die bereits verschlossenen Kammern angeht. Man
muss da schon hineinschauen. Man muss wissen, wie es
dahinter aussieht. Die Abfallgebinde müssen untersucht
werden, damit es keine bösen Überraschungen gibt. Das
BfS schlägt vor, dass das Konzept bis Ende Mai erarbeitet wird. Es ist zu fragen, wie diese Fässer aussehen:
Sind sie angeschlagen? Sind sie defekt? Sind sie in Ordnung? Immerhin sind sie aus Stahl, und es ist feucht. Die
Frage ist auch: Ist eine Rückholung ohne Gefahr mög1434
lich, oder sind die Fässer in einem, sagen wir einmal,
fragilen Zustand, sodass sie eventuell bersten könnten?
Wir müssen darauf achten, dass es keine unnötige
Strahlenexposition gibt; denn das wäre eine unmittelbare
Gefahr. Wir sind auch nach dem Atomgesetz strahlenschutzrechtlich in der Verantwortung.
Die Experten sagen, die Standsicherheit des Grubengebäudes sei bis 2020 gesichert. Für diesen Zeitraum
von zehn Jahren muss sichergestellt sein, dass keine zusätzlichen Störungen dazwischenkommen können. Ich
glaube, dass die Rückholung der 126 000 Fässer in zehn
Jahren, wie das BfS es ausgerechnet hat, ein hoch ambitioniertes Vorhaben ist. Das Vorhaben muss geophysikalisch und technisch umsetzbar sein. Deshalb - das ist der
Kern der Forderung, die wir alle hier im Hause vertreten
sollten -: Wir müssen parallel einen Notfallplan erarbeiten. Denn ohne einen wirksamen und operativ sofort
umsetzbaren Notfallplan wird es nicht zu einem Planfeststellungsbeschluss kommen. Das hat auch der niedersächsische Umweltminister angedeutet, der ja Leiter
der zuständigen Planfeststellungsbehörde ist.
Bei allen etwaigen Unwägbarkeiten, die man in Betracht ziehen kann, muss auf jeden Fall Priorität sein, die
Sicherheit der in der Region lebenden Menschen zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die beschäftigten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Asse keinen unnötigen Gefahren ausgesetzt werden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Sabine Stüber für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wurde schon mehrfach gesagt: Die Konferenz
von Kopenhagen ist grandios gescheitert. Wer hierfür nur
China oder einige lateinamerikanische Entwicklungsländer verantwortlich macht, betreibt unverantwortliche Desinformation. Halten wir fest: Die Minderungsangebote
der Industrieländer bewegten sich zwischen dem Start
der Konferenz und ihrem Ende keinen Zentimeter. Selbst
um das 2-Grad-Ziel überhaupt noch einhalten zu können, sind die vorgelegten Angebote des Nordens völlig
unzureichend.
({0})
In der Summe machen sie auch bei der gutwilligsten Interpretation weniger als 20 Prozent Minderung bis 2020
gegenüber 1990 aus. Mindestens 25 bis 40 Prozent weniger Treibhausgase sind aber die naturwissenschaftliche
Messlatte.
Die großen Schwellenländer hingegen haben nationale Aktionspläne vorgelegt, deren Ziele sogar am oberen Rand des vom IPCC vorgegebenen Korridors liegen.
Versagt haben also in erster Linie die Industriestaaten,
die EU mit ihren 20 Prozent genauso wie die USA, die
praktisch nur 4 Prozent Minderung angeboten haben.
Zudem haben die EU und auch Deutschland signalisiert,
dass die Finanzangebote an den Süden mit dem - bisher
unerfüllten - Versprechen einer höheren Entwicklungshilfe verrechnet werden sollen. Es ist kein Wunder, dass
so Misstrauen entsteht und dass Verhandlungen in der
Sackgasse enden.
Neben dem verpatzten Klimagipfel gab es in diesem
Monat noch ein Ereignis, das unserer ungeteilten Aufmerksamkeit bedarf: das von den Vereinten Nationen für
2010 ausgerufene Internationale Jahr der biologischen
Vielfalt.
({1})
Der weltweite dramatische Artenschwund sollte bis
2010 gestoppt werden. Das war das global vereinbarte
Ziel; aber es wurde nicht annähernd erreicht. Im Gegenteil: Wir gehen in die entgegengesetzte Richtung. In der
Auftaktveranstaltung am 11. Januar hier in Berlin stellte
die Bundeskanzlerin in ihrer Rede eindeutig fest, dass
wir einen wirksamen Schutz der Artenvielfalt und ihre
nachhaltige Nutzung jetzt brauchen und nicht irgendwann, aber das sei schwierig. Da stimmen wir Linke der
Bundeskanzlerin einmal zu.
({2})
Nur sagen wir nicht „aber“, sondern „auch wenn es
schwierig ist“; denn es geht um unsere Lebensgrundlagen.
Von der Wissenschaft erreichte uns, auf den Punkt gebracht, die Botschaft: Klimaschutz ist ohne Naturschutz
nicht möglich - und umgekehrt. Beides bedingt einander.
Kolleginnen und Kollegen, kommen wir zum Geld.
Nichts zu tun, ist am teuersten. Zu wenig zu tun, wird
kaum billiger. Der Schutz der Biodiversität ist der preiswerteste Klimaschutz. Täglich verschwinden 150 Arten
der Tier- und Pflanzenwelt. Investieren wir weltweit in
den Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung der
Wälder, so ist das sowohl eine Maßnahme zur Reduzierung der Treibhausgase als auch zum Schutz der Lebensräume vieler Arten. Das sind Synergien zwischen
Klima- und Artenschutz, die wirtschaftlich ausgesprochen effizient sind.
({3})
Es ist ebenfalls unklar, welchen Beitrag Deutschland
zu einem Schnellstart-Klimaschutzprogramm im globalen Süden leisten will. Im Bundeshaushalt 2010 sind für
den Schutz des Klimas und der Artenvielfalt im Ausland
120 Millionen Euro vorgesehen. Wir denken, das ist zu
wenig. Hinzu kommt, dass diese 120 Millionen Euro vor
allem in große Schwellenländer fließen sollen. Besonders durch den Klimawandel verwundbar sind jedoch ärmere Länder. Deshalb muss das Geld auch dorthin fließen. Das Geld für Klimaschutzmaßnahmen mit der
Entwicklungshilfe zu verrechnen, lehnen wir Linke ab.
({4})
Das ist reine „Verniebelungstaktik“.
Unser Vorschlag: Auch in Anbetracht der besonderen
Verantwortung, die Deutschland mit dem Vorsitz der
UN-Konvention zur biologischen Vielfalt, CBD, noch
bis zum Herbst dieses Jahres hat, sollten im Jahr 2010
mindestens 200 Millionen Euro für Klimaschutzmaßnahmen im Ausland zur Verfügung gestellt werden.
Eine letzte Bemerkung. Der Haushalt des BMU
macht gerade einmal 0,3 Prozent des Gesamthaushalts
aus. Somit ist die Suche nach Ausgabenminderungsmöglichkeiten aussichtslos. Daher kann es bei den zu lösenden Aufgaben einzig und allein um eine Aufstockung
des Haushalts gehen.
Danke.
({5})
Kollegin Stüber, das war Ihre erste Rede im Hohen
Hause. Wir gratulieren Ihnen dazu recht herzlich und
wünschen Ihnen Erfolg für Ihre Arbeit.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
der Kollege Hans-Josef Fell.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir wollen möglichst schnell ins Zeitalter der
erneuerbaren Energien. - Das sagte Kanzlerin Merkel
gestern sinngemäß an diesem Rednerpult. Umweltminister Röttgen erkannte in seiner Regierungserklärung an
- er betonte das auch heute -, dass Umweltschutzpolitik
auch eine Innovations- und Wirtschaftsstrategie ist. Das
sind richtige und gute Ziele, aber sehr späte Erkenntnisse.
Nur, Ihre Politik ist das glatte Gegenteil.
({0})
Das lässt sich schon am Haushaltsentwurf ablesen.
Durch diesen Etat belasten Sie den Steuerzahler mit vielen Milliarden Euro, um die Altlasten der Atomkraft zu
sanieren, statt die Atomkonzerne für ihre Vergangenheitssünden zur Kasse zu bitten.
({1})
Sie veranschlagen kein zusätzliches Geld für die Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien,
den Sie ja wollen, und die Steigerung der Energieeffizienz. Bei wichtigen Branchen wie der Fotovoltaik oder
der Mini-Kraft-Wärme-Kopplung setzen Sie sogar den
Rotstift an. Sie reden von der Erhöhung der Forschungsmittel für erneuerbare Energien. In Wirklichkeit findet
sich im Haushaltsentwurf des BMU kein zusätzlicher
Euro. Die Steuergeschenke für die Hoteliers belaufen
sich auf das Zehnfache der BMU-Mittel für Energieforschung. Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie die Steuergeschenke für die Hoteliers zurück und sparen Sie sich das
Gerede von der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke! Sie sind eine Mauer und keine Brücke ins Solarzeitalter.
({2})
Statt die Mittel für erneuerbare Energien und Energieeffizienz kontinuierlich zu erhöhen, stecken Sie jetzt
sogar Gelder, die für das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien vorgesehen waren, in den Neubau
von Ölheizungen. So schaffen Sie niemals Klimaschutz.
({3})
Es kommt noch schlimmer: In Zeiten, in denen China
mit Subventionen für Solarfabriken Deutschlands Technologieführerschaft ablösen will, streicht Umweltminister Röttgen, statt den deutschen Solarunternehmen zu
helfen, die Mittel für die Fotovoltaikforschung massiv
zusammen. Wie sollen die deutschen Unternehmen verstärkt Innovationen entwickeln und die Kosten senken,
wenn Sie ihnen die öffentlichen Forschungsmittel streichen?
Apropos streichen: Jetzt kündigen Sie auch noch an,
dass die Vergütung für Strom aus Dachanlagen innerhalb
eines Jahres um 30 Prozent, für Strom aus Freiflächenanlagen sogar um 41 Prozent abgesenkt wird. Das ist
eine drastische Kürzung. Sie haben keine belastbare wissenschaftliche Untersuchung vorgelegt, ob der Markt das
verträgt. Finanzunternehmen, die dies genau untersuchen, unter anderem die LBBW, haben klar analysiert,
dass die deutsche Fotovoltaikindustrie bei einer solch
heftigen Senkung der Vergütung zusammenbrechen
wird. Sie setzen Zehntausende Jobs, vor allem im Handwerk und im Mittelstand, aufs Spiel. Mit kompetenter
Wirtschaftspolitik in der Krise hat das nichts zu tun.
({4})
Das Segment der Freiflächenanlagen werden Sie dadurch völlig abwürgen. Lösen Sie den Konflikt um die
Nutzung fruchtbarer Ackerböden doch durch eine Doppelnutzung: agrarische Bewirtschaftung unter PV-Flächen.
({5})
Mit leeren Händen, Herr Umweltminister Röttgen,
sind Sie aus Kopenhagen zurückgekommen. Statt den
Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien national
voranzutreiben, treten Sie bei der Solarenergie massiv
auf die Bremse.
Zwei kalifornische Universitäten haben einen Plan erstellt, nach dem die Energieversorgung der ganzen Welt
bis 2030 zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umgestellt werden kann. Die beiden Universitäten haben
nachgewiesen, dass das ökonomisch sinnvoll und technisch machbar ist. Obwohl Sie wissen, dass dies der
beste Beitrag zu Klimaschutz und neuen Arbeitsplätzen
wäre, nehmen Sie diesen Plan nicht ernst: Sie haben ihn
weder hier noch in Kopenhagen ins Gespräch gebracht.
Das bestätigt, dass Ihre Interessen in Wirklichkeit Kohle
und Atom gelten.
Auf der Weltkonferenz für erneuerbare Energien,
die gerade in Abu Dhabi zu Ende gegangen ist und auf
der über 70 Länder durch Staatschefs oder Minister vertreten waren, gab es nur ein Thema: Wo sind denn hochrangige Vertreter der deutschen Regierung? Warum nur
will die deutsche Regierung die so erfolgreiche deutsche
Solarindustrie beerdigen? Das hat nur Unverständnis
und Kopfschütteln hervorgerufen.
Kollege Fell, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Herr Minister Röttgen, unter Kanzlerin Merkel wurde schon die
heimische Biokraftstoffbranche weitgehend zerstört.
Jetzt treiben Sie mit Ihren Vorstellungen viele deutsche
Solarunternehmen in den Konkurs. Bei so viel Technikfeindlichkeit sehe ich schwarz für die technologische
und industrielle Zukunft Deutschlands.
({0})
Für die Unionsfraktion spricht nun die Kollegin
Marie-Luise Dött.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser
Haushalt sichert umwelt- und klimapolitische Kontinuität und schafft die Grundlagen für die Umsetzung der
ambitionierten Vorhaben unseres Koalitionsvertrages.
Damit wird Deutschland beim Klima- und Umweltschutz weiterhin Schrittmacher bleiben. Ambitionierte
nationale Umwelt- und Klimapolitik, Impulse für die dynamische Entwicklung europäischen Handelns und globale Zusammenarbeit sind die Schlüsselbegriffe dieser
Politik.
Deutschland hat die Wirtschafts- und Finanzkrise
dank einer tatkräftigen und gleichzeitig besonnenen Politik bislang vergleichsweise gut beherrscht. Die Krise
ist aber noch nicht vorbei. Wir müssen nicht nur deswegen die ökologische Modernisierung des Landes - die
Verringerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs als Chancen für Wachstum und Beschäftigung nutzen.
({0})
Umwelt- und Ressourcenschutz werden immer
mehr zum Hebel für wirtschaftliche Entwicklung und soziale Sicherheit. Dieser Hebel wirkt in zwei Richtungen
gleichzeitig: Nur die Volkswirtschaft wird künftig wettbewerbsfähig sein, die bei der Energie- und Ressourcenproduktivität international vorn liegt. Unternehmen
werden künftig nur die Produkte und Technologien verkaufen, die umweltverträglich und ressourceneffizient
sind.
Wer heute den politischen Rahmen schafft, um erneuerbare Energien voranzubringen und die Entwicklung
von Effizienztechnologien voranzutreiben, der macht die
Wirtschaft für den globalen Wettbewerb von morgen
fit. Deutschland ist in diesen Bereichen im internationalen Wettbewerb vorn.
({1})
Aber dieser Spitzenplatz muss von Wissenschaft und
Unternehmen Hand in Hand täglich neu erkämpft werden. Die Politik ist gefordert, für diesen Wettbewerb die
Rahmenbedingungen zu setzen. Diese Rahmenbedingungen sind fairer Wettbewerb zwischen allen Beteiligten, Technologieoffenheit,
({2})
weniger Bürokratie, faire internationale Wettbewerbsbedingungen und klare, anspruchsvolle und verlässliche
umweltpolitische Vorgaben. Genau dafür werden wir mit
der Umsetzung des Koalitionsvertrages sorgen, und genau dieser Weg spiegelt sich im Haushaltsentwurf wider.
Meine Damen und Herren, Ökonomie und Ökologie
sind kein Gegensatz. So richtig diese Analyse ist, einen
Automatismus gibt es dafür nicht. Umweltpolitik ist der
Bewahrung der Schöpfung verpflichtet. Sie ist aber auch
verpflichtet, Instrumente und konkrete Maßnahmen zu
suchen, mit denen Umweltschutz, wirtschaftlicher Fortschritt und soziale Gerechtigkeit gleichermaßen erreicht
werden.
({3})
Energiepolitik beispielsweise kann nicht zum alleinigen Ziel haben, Deutschland CO2-frei zu machen. Dieses
aus Klimaschutzaspekten durchaus wünschenswerte Ziel
kann nicht der einzige Maßstab für die Politik sein. Der
Maßstab für Energiepolitik beinhaltet auch die sichere
und bezahlbare Energiebereitstellung für die Bürger und
für die Wirtschaft. Deshalb ist es richtig, vor einer Entscheidung über den künftigen Energiemix genau zu prüfen, wie die Anforderungen an eine moderne umweltund ressourcenverträgliche Energieversorgung über die
Zeitschiene aussehen. Auf dieser Zeitschiene muss dann
auf wissenschaftlicher Grundlage, verantwortungsbewusst und technologieoffen über den Energiemix entschieden werden. So haben wir es im Koalitionsvertrag
vereinbart, und so ist es richtig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen im Umwelt- und Klimaschutz mehr Effizienz. Wir
müssen stärker als bisher das Kosten-Nutzen-Verhältnis
der Maßnahmen im Auge behalten. Das ist schon in
wirtschaftlich normalen Zeiten ein Gebot. In Zeiten der
Wirtschafts- und Finanzkrise muss die Effizienz des Mitteleinsatzes ein ganz entscheidendes Beurteilungskriterium sein. Jeder Euro, den wir für Umwelt- und Ressourcenschutz ausgeben, ob aus Haushaltsmitteln, von
Unternehmen oder vom Bürger, muss unter Effizienzgesichtspunkten gerechtfertigt sein. Das betrifft auch die
erneuerbaren Energien.
Die Bürger zahlen jährlich allein für die Fotovoltaik
Milliardenbeträge an Subventionen mit der Stromrechnung. Deshalb ist es richtig, dass wir umgehend die Förderung der Fotovoltaik reduzieren. Eine „Hängematte“
aus ungerechtfertigt hohen Einspeisevergütungen hilft
niemandem, auch nicht den Herstellern der Anlagen.
Die dringend erforderlichen Innovationsanreize erreicht man nicht durch maximale, sondern durch optimale Förderung. Diese Innovationsanreize werden nicht
nur die Bürger entlasten. Sie werden auch dafür sorgen,
dass nicht chinesische Solarpaneele auf deutschen Dächern montiert werden, sondern deutsche auf chinesischen Dächern.
({4})
Genau das schafft Arbeitsplätze in Deutschland, und genau das hilft dem globalen Klimaschutz.
({5})
Nur so behalten die erneuerbaren Energien, Frau Höhn,
die Akzeptanz bei den Bürgern.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Es ist ein Grundsatz unserer Umweltpolitik, wo immer
es sinnvoll ist, Investitionsanreize auch für die Bürger zu
schaffen. Mit der Verstetigung des Marktanreizprogramms zur Förderung der erneuerbaren Energien im
Wärmemarkt bei 400 Millionen Euro auch im kommenden Haushaltsjahr erhalten die Bürger weiterhin verlässliche Förderung bei Investitionen in neueste Technologien. Dies nutzt der Umwelt und dem Klima, hilft den
Bürgern und schafft Arbeitsplätze im Handwerk und bei
den Herstellern.
Dieser Haushalt ist so angelegt, dass in vielen Bereichen die Gelder unmittelbar beim Bürger ankommen.
({6})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege HeinzPeter Haustein das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es war ein Septembermorgen. Es war kalt draußen, und der Heizer schippte verzweifelt Rohbraunkohle
in die Gusskessel. Aber der Dampfdruck stieg nicht. Der
Betrieb blieb kalt. Da kam die Anweisung: Anreichern.
Plötzlich wurden Produktionsabfälle mit in den Heizungskessel geschmissen: PVC, PUR-Schaum, Sprelakart. Blankes Gift.
So geschehen vor 25 Jahren in einem Betrieb in der
DDR. Dass die Wolke, die aus dem Schornstein herausquoll, dann auch noch eine Kuhherde erreichte und einige Kühe gleich tot umfielen, sei auch noch erwähnt.
Ich sage das an die Adresse der Linken gewandt, weil sie
immer so tun, als hätten sie den Umweltschutz erfunden.
({0})
In unseren Haushalt für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sind wirklich nur 1,58 Milliarden Euro
eingestellt. Im Einzelnen sind 1,209 Milliarden Euro im
Stammhaushalt und 372 Millionen Euro im Endlagerbereich eingestellt. Der Stammhaushalt wiederum untergliedert sich zum einen in den Verwaltungsteil und zum
anderen in den Programmhaushalt.
Nun könnte man meinen, dass das nicht allzu viel ist.
Aber es ist ein Querschnittshaushalt, und auch in allen
anderen Bereichen wird viel für die Umwelt getan. Nehmen wir zunächst das Ministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich war letzte Woche
mit Minister Niebel und anderen Kollegen im Kongo,
dem zweitgrößten Waldgebiet der Erde. Wir haben dort
Projekte zum Schutz des Waldes im Sinne der Nachhaltigkeit besucht, die auch mit deutschem Geld gefördert
wurden.
Richten wir den Blick auf das Wirtschaftsministerium. Auch die von Herrn Brüderle angekündigten
500 Millionen Euro für die Förderung von Elektroautos
sind in gewissem Maße Umweltschutz.
Alles in allem können dem Umweltschutz in diesem
Haushalt 6,3 Milliarden Euro zugerechnet werden. Dabei rede ich nicht einmal von den Sanierungsmaßnahmen bei den Wismut-Halden. Wismut bzw. die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft, die im Erzgebirge
massiv den Bergbau zur Uranförderung betrieben hat, ist
sicherlich den meisten Deutschen bekannt. Die ganzen
Überbleibsel aus dieser Zeit liegen noch dort. Auch dafür wird noch sehr viel Geld gebraucht werden.
Es gibt in diesem Haushalt viel zu tun. Aber uns muss
nicht bange werden. Dieses Ministerium für Umwelt
wurde unter einer christlich-liberalen Regierung gegründet. Es war einmal mehr Hans-Dietrich Genscher, der
die Umweltpolitik in den Mittelpunkt unserer Politik
gestellt hat.
({1})
Umweltpolitik ist für unsere christlich-liberale Regierung eine Herzenssache. Wir machen das mit Herz und
Emotionen, und wir werden viel erreichen. Uns ist auch
nicht vor den Herausforderungen bange, die noch kommen. Es ist unsere Herzenssache, und so soll es auch
bleiben.
({2})
Wir haben ein gutes Ministerium mit einem kompetenten Minister, und jetzt, mit einer christlich-liberalen
Handschrift, wird es noch besser werden.
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge.
({3})
Das Wort hat der Kollege Bernhard SchulteDrüggelte für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Summe wurde gerade genannt: 1,5 Milliarden
Euro werden in den Haushalt eingestellt. Das bedeutet
eine Steigerung um 7,3 Prozent. Was den Anteil von
0,5 Prozent am Gesamthaushalt angeht, könnte man
meinen, das wäre nicht viel. Aber ich meine, dass der
Umweltschutz durchaus eine sehr wichtige Rolle spielt.
Der Kollege Haustein hat den Umweltschutz gerade als
unsere Herzenssache bezeichnet. Darin kann ich ihm nur
zustimmen.
Die in den BMU-Haushalt eingestellten Mittel sind
nur ein Teil, nämlich 25 Prozent, der Gesamtausgaben,
die in diesem Haushalt für den Umweltschutz veranschlagt sind. Daran sieht man, dass Umweltschutz eine
Querschnittsaufgabe ist. Insgesamt werden über 6 Milliarden Euro veranschlagt. Das kann sich sehen lassen.
({0})
Ich meine, das unterstreicht auch die Aussage von Minister Röttgen, dass wir es uns nicht leisten können, auf
Klimaschutzmaßnahmen zu verzichten. Ich finde es gut,
dass er gerade nach den vielleicht enttäuschenden Ergebnissen von Kopenhagen gesagt hat: Jetzt erst recht; wir
müssen diesen Weg weitergehen. - Das ist richtig, und
das unterstützen wir.
({1})
Ich möchte eine erfreuliche Entwicklung der letzten
Jahre erwähnen. Unter der Großen Koalition sind die
Verwaltungsausgaben gesunken. Von 2005 bis 2010 ist
ihr Anteil von 28 auf 16 Prozent zurückgegangen. Das
bedeutet, dass nicht Behörden gefördert, sondern Maßnahmen im Umweltschutzbereich und die erneuerbaren
Energien unterstützt worden sind. Im Zusammenhang
mit den erneuerbaren Energien möchte ich die Klimaschutzinitiative und besonders das Marktanreizprogramm ansprechen. Wir haben in den letzten Jahren immer darüber gesprochen, dass es hier eine Verstetigung
geben muss; darauf haben bereits die Vorredner hingewiesen. Die Mittel für Maßnahmen im Zusammenhang
mit dem Erneuerbare-Wärme-Gesetz wurden kontinuierlich aufgestockt. Wir machen damit deutlich, dass sich
Investoren und Handwerksbetriebe auf uns verlassen
können.
Ich unterstütze diejenigen, die Bedenken gegen die im
Regierungsentwurf ausgebrachte Sperre vorgetragen
haben. Ich halte es für nicht richtig, dass eine Verknüpfung zwischen den Erlösen aus dem Verkauf von CO2Zertifikaten und den im Haushalt eingestellten Summen
hergestellt wird.
({2})
Ich bin der Meinung, dass ein Einzelhaushalt dieses Risiko nicht tragen kann. Wenn alle Einnahmen als Deckungsmittel für alle Ausgaben dienen, dann bin ich der
Meinung, dass auch alle Einnahmen aus dem Handel mit
CO2-Zertifikaten im Gesamthaushalt zur Verfügung stehen sollen.
({3})
Man muss ganz klar sehen: Wenn man das so wie jetzt
geplant machte, würde darunter das Marktanreizprogramm besonders leiden. Das führte wieder zu einer
Stop-and-go-Förderung. Das wäre für dieses Programm
nicht gut. Dem stimme ich eindeutig zu.
({4})
Wenn es stimmt, dass das Zeitalter der erneuerbaren Energien anbricht, dann sage ich dem Finanzminister - ich
hoffe, er hört zu -: Lassen Sie diese Sperre fallen!
({5})
Ein weiterer wichtiger Bereich sind die Endlager. Ich
möchte mich bei der Endlagerung der schwachradioaktiven Abfälle auf zwei Punkte beschränken. Der Schacht
Konrad in Salzgitter wird derzeit ausgebaut. Im Jahr
2007 begann das Bundesamt für Strahlenschutz mit den
erforderlichen Arbeiten. Es ist beabsichtigt, dieses Endlager bis 2014 fertigzustellen. Ich finde, das ist eine positive Nachricht. Wer hat noch einmal vom „Endlagerminister“ gesprochen? - Jedenfalls ist es noch dem
Schwachendlagerminister Gabriel zu verdanken, dass
hier eine vernünftige Lösung gefunden wird. Ich weiß
allerdings nicht, ob „Schwachendlagerminister“ die richtige Bezeichnung für ihn ist.
({6})
- Wieso? Ich habe es nur aufgenommen.
Ich bin der Meinung, dass es richtig war, die Asse unter Atomrecht zu stellen. Es war richtig, dass das Bundesamt für Strahlenschutz das übernommen hat. Es ist
ebenfalls richtig, dass nun das Umweltministerium verantwortlich ist. Nach dem vorliegenden Optionsvergleich bin ich der Meinung, dass wir trotz der schnell
vorgelegten Lösungsvorschläge sehr sorgfältig beraten
sollten. Ich möchte unterstreichen, was vorhin gesagt
wurde, nämlich, dass die Sicherheit aller Beteiligten,
insbesondere der Mitarbeiter in den Bergwerken, geBernhard Schulte-Drüggelte
währleistet sein muss. Wie Sie sehen, haben wir Beratungsbedarf.
Herzlichen Dank.
({7})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen schließlich zu dem Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15.
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Philipp Rösler.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordneten! Der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums ist mit 467 Millionen Euro einer von
den kleineren Etats in diesem Haushaltsentwurf. Sie
wissen allerdings alle, dass der Gesamtansatz des
Einzelplanes 15 mit 16,2 Milliarden Euro deutlich höher ist. Das liegt natürlich an dem steuerlichen Bundeszuschuss von 15,7 Milliarden Euro. Damit sollen zum
einen die versicherungsfremden Leistungen und zum anderen die krisenbedingten Einnahmeausfälle ausgeglichen werden.
Die Koalition federt damit die krisenbedingten Belastungen der Menschen allein in diesem Jahr mit zusätzlichen 3,9 Milliarden Euro ab, und genau das haben CDU/
CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart.
Wir stellen also fest: Diese Regierungskoalition hält einmal mehr ihr Wort.
({0})
Dennoch wissen wir, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen sich in einer schwierigen finanziellen Situation befinden. Aktuell diskutieren einige Kassen die
Erhebung eines Zusatzbeitrages. Das zeigt, dass es nicht
ausreicht, Geld in das System hineinzugeben, vielmehr
müssen wir das System insgesamt verbessern. Die Menschen brauchen ein Gesundheitssystem, auf das sie sich
verlassen können und das für jeden bezahlbar bleibt. Genau dafür steht diese christlich-liberale Regierungskoalition.
({1})
Denn Ihr System, in dem wir uns momentan befinden - es
ist ein System der ehemals großen Volkspartei SPD -,
({2})
ist unfertig, nicht zu Ende gedacht und für viele Menschen sozial ungerecht.
({3})
Denn es trifft vor allem die Schwachen in unserem
Lande. Demnächst werden gerade diejenigen, die ohnehin schon wenig Einkommen zur Verfügung haben, Ihre
Zusatzbeiträge zu spüren bekommen, und zwar ohne
jeglichen Sozialausgleich, Frau Ferner.
({4})
Es gilt, diesen Geburtsfehler zu beseitigen. Wir wollen
ein faires System.
({5})
Dazu gehören einkommensunabhängige Beiträge, aber
niemals ohne einen Ausgleich für die Schwächeren.
({6})
Für die CDU/CSU und die FDP jedenfalls gilt: kein Beitrag ohne Sozialausgleich. Diese Sicherheit müssen die
Menschen einfach haben.
({7})
Es geht nicht nur darum, die Einnahmeseite zu stabilisieren, sondern gerade in der heutigen Zeit müssen wir
auch auf die Ausgaben Acht geben.
({8})
Wir werden uns deshalb jeden Bereich im Gesundheitssystem ansehen und prüfen, ob dort effizient mit
Versichertengeldern umgegangen wird oder nicht. Ich
will hier ausdrücklich festhalten: Dabei kann es für keinen der Beteiligten einen Freibrief geben. Im Gegenteil,
es gibt nur eine Gruppe, der wir als Koalition uns verpflichtet fühlen, und zwar die 70 Millionen Versicherten.
Das ist unser innerer Kompass, und daran werden wir
unsere Gesundheitspolitik ausrichten.
({9})
Bloße Kostendämpfungsgesetze halten wir für den
falschen Weg, denn sie enden immer in schleichenden
Rationierungen für die Versicherten. Es macht auch keinen Sinn, von oben auf das System zu blicken und dann
zu entscheiden, wo gekürzt wird und wo nicht. Stattdessen brauchen wir echte Anreize und mehr Möglichkeiten, sich wirtschaftlicher zu verhalten, als bisher. Im
Zweifel ist der mündige Versicherte, der aufgeklärte Patient deutlich besser in der Lage, Kosten in den Griff zu
bekommen als Gesetze, Verordnungen und Vorschriften.
Wir jedenfalls setzen zuallererst auf die Menschen und
nicht auf die Bürokratie im System.
({10})
Deswegen bleiben wir dabei: Wir brauchen ein faires
System, das sich nicht anmaßt, alles bis ins kleinste Detail lenken zu wollen. Wir trauen den Menschen im System deutlich mehr zu: den Leistungserbringern bei der
Auswahl ihrer Therapien, den Patientinnen und Patienten bei der Auswahl ihrer Leistungserbringer und Therapeuten, den Krankenversicherungen bei der Betreuung
ihrer Versicherten und den Versicherten bei der Auswahl
ihrer Krankenkassen.
({11})
Darüber hinaus brauchen wir deutlich mehr Transparenz als bisher; denn nur derjenige kann eine freie Ent1440
scheidung treffen, der über Wissen verfügt und Informationen erhält. Es gibt 4,3 Millionen Beschäftigte im
Gesundheitswesen und Millionen von Versicherten. All
diese Menschen brauchen ein faires System. Hören wir
endlich auf, diese Menschen ständig bevormunden zu
wollen!
({12})
Wenn wir den Menschen mehr Freiheit im System geben, dann müssen sie auch Verantwortung erwarten dürfen. Verantwortung heißt, anzuerkennen, dass es einen
Unterschied zwischen einem beliebigen Markt auf der
einen Seite und dem sozialen Sicherungssystem gesetzliche Krankenversicherung auf der anderen Seite gibt. Gesundheit ist keine beliebige Ware, sondern ein hohes
Gut. Man kann sich aussuchen, ob man eine Ware kauft
oder nicht; man kann sich aber nicht aussuchen, ob man
krank wird oder nicht.
({13})
Deswegen gehört zu einem gesunden System immer die
Solidarität der Gesunden mit den Kranken.
({14})
Bei allen Bemühungen um mehr Wirtschaftlichkeit
im System: Keine Reform dieser Welt darf diese Solidarität infrage stellen. Verstehen Sie dies auch als Botschaft an all diejenigen, die ganz aktuell über Rationierung und Priorisierung nachdenken. Wir jedenfalls
lehnen solche Diskussionen ab. Wir arbeiten an einem
System, das solche Diskussionen von vornherein überflüssig macht.
({15})
Wir wollen eine Krankenversicherung, auf die sich
jeder Versicherte zu jeder Zeit verlassen kann. Wir wollen ein System, das dazu beiträgt, mit Beitragsgeldern
effizient umzugehen, und eine Krankenversicherung, die
trotz des demografischen Wandels und des medizinischtechnischen Fortschritts auch in Zukunft bezahlbar ist.
Wir arbeiten an einer Krankenversicherung, die Eigenverantwortung und Solidarität in Einklang bringt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Elke
Ferner das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Minister Rösler, das waren zwar
wohlfeile Worte, aber etwas Konkretes außer dem Hinweis auf einen einmaligen Zuschuss in Höhe von
3,9 Milliarden Euro an die gesetzlichen Krankenversicherungen in diesem Jahr haben Sie nicht gesagt.
({0})
Wir haben es seit Ihrem Amtsantritt im Prinzip damit
zu tun, dass zumindest wöchentlich, teilweise täglich irgendein Streit zwischen den Koalitionsfraktionen darüber ausgetragen wird, ob eine Kopfprämie erwünscht ist
oder nicht.
({1})
- „Seit Sonntag nicht mehr“, das stimmt nicht so ganz.
Noch vor zwei Tagen titelte die Süddeutsche Zeitung
über den Kollegen Söder: „Söder gegen Rösler“. Heute
Morgen war Herr Söder im ARD-Morgenmagazin dann
wieder ganz handzahm - er trug gewissermaßen einen
Maulkorb -; schließlich haben sich jetzt alle lieb.
Schaut man sich die Reden an, die Frau Bundeskanzlerin und Frau Homburger gestern gehalten haben, stellt
man schon Unterschiede fest: Es wird zwar nicht mehr
aufeinander eingedroschen, aber es wird etwas Unterschiedliches gesagt. Die Kanzlerin sagt: Wir wollen Solidarität in unserer Gesellschaft, auch im Gesundheitssystem, und die Koalition steht dafür, dass es keine
Zweiklassenmedizin gibt, dass jeder die medizinischen
Leistungen bekommt, die er braucht, aber in einer Art
und Weise, die die Beschäftigungsmöglichkeiten in unserem Land nicht unterminiert. Das ist ein neuer Unterton. Das stellt die bisher vorhandene Solidarität unter
den Vorbehalt, dass Beschäftigungsmöglichkeiten nicht
eingeschränkt werden.
Frau Homburger hat in einer Debatte auf die Zwischenfrage des Kollegen Beck, ob es bei einer privaten
deutschen Krankenversicherung Sondertarife für die
Klientelpartei FDP gibt, geantwortet: Wir wollen, dass
alle in diesem Land das Recht bekommen, ihre Krankenkasse frei zu wählen, also die Möglichkeit erhalten,
selbst zu entscheiden, wo und in welchem Umfang sie
sich versichern und welche Zusatzversicherung sie abschließen. Das heißt im Klartext: Die FDP will die gesetzliche Krankenversicherung abschaffen. Sie wollen,
dass diejenigen, die sich Solidarität eigentlich am meisten leisten können, zur privaten Krankenversicherung
abwandern. Sie wollen, dass die, die in der gesetzlichen
Krankenversicherung oder in einem Mindestversorgungssystem zurückbleiben, wirklich Minimalmedizin
bekommen, während diejenigen, die es sich leisten können, Medizin auf dem Stand der Technik erhalten.
({2})
Es hört sich gut an, wenn Sie sagen: Steuern sind gerechter als Beiträge. Die hohen Einkommen oberhalb der
Beitragsbemessungsgrenze zahlen eigentlich nicht genug ein. - Das stimmt.
({3})
Aber der Schluss ist falsch. Der Schluss bei Ihnen heißt
nämlich: Wir machen eine einheitliche Kopfprämie.
Auf dieses System bezogen wären das 146 oder
145 Euro pro Monat, wenn die Familienmitversicherung
beibehalten wird. Sie hatten ja die Gelegenheit - Herr
Bahr, Sie schütteln den Kopf -, auf eine Kleine Anfrage
meiner Fraktion zu antworten, aber Sie haben es vorgeElke Ferner
zogen, den Kopf in den Sand zu stecken und eine Kleine
Anfrage in einer Art und Weise, wie ich das in 20 Jahren
noch nicht erlebt habe, zu beantworten, die das Fragerecht des Parlaments wirklich infrage stellt.
({4})
- Sie hätten sie nicht zugelassen. Damit haben wir im
Prinzip gerechnet. Dann hätten wir die Wertungen herausgenommen und es hätte immer noch die Möglichkeit
bestanden, zu antworten.
({5})
Aber das wird Sie wieder einholen.
Ihr Motto ist: Diejenigen, die ungefähr 1 800 Euro
und ein paar Zerquetschte brutto im Monat und darüber
verdienen, werden entlastet; die mit einem Einkommen
darunter müssen mehr bezahlen. Für die muss ein Sozialausgleich organisiert werden; immerhin knapp 37 Milliarden Euro. Hinzu kommen dann noch die Steuermittel, die ohnehin schon im System sind. Gleichzeitig wollen Sie die Steuern noch weiter senken. Es ist aber altbekannt: Wenn man in den Steuertarif eingreift, kommt es
dazu - auch bei Ihrem berühmten Stufentarif -, dass die
oben weniger bezahlen als die unten. Das bedeutet nicht
mehr Solidarität im Gesamtzusammenhang Ihrer Politik,
sondern das bedeutet ganz klar eine Umverteilung von
unten nach oben, und das ist alles andere als ein solidarisch finanziertes Krankenversicherungssystem.
({6})
Was Sie machen, ist Klientelpolitik in Reinkultur. Sie
haben vereinbart, den Kapitalstock für die private Pflegeversicherung in einem Zwangszusatzsystem im Rahmen der privaten Krankenversicherung zu schaffen. Sie
möchten die Wechselmöglichkeiten von der GKV zur
PKV erleichtern. Sie versprechen den Leistungserbringern Geldsegen. Sie wollen mehr Wahlfreiheit für diejenigen, die es sich leisten können. Sie wollen Kostenerstattung statt Sachleistungsprinzip. Das einmal unter
dem Stichwort „Bürokratieabbau“ zu beleuchten, wäre
auch ganz interessant. Man braucht sich nur die Verwaltungskosten der PKV pro Mitglied im Vergleich zu denen bei der gesetzlichen Krankenversicherung anzuschauen. Sie krönen das Ganze damit, dass ein bisheriger
PKV-Spitzenfunktionär Leiter Ihrer Grundsatzabteilung
wird und auch noch die Zuständigkeit für die Pflege bekommt, weil man ja der privaten Versicherungswirtschaft ein neues Geschäftsfeld - zwangsweise für die
Versicherten - eröffnen will.
Schauen wir uns an, was die Süddeutsche heute unter
der Überschrift „Die Rabatt-Könige der FDP“ schreibt!
FDP-Mitglieder und -Mitarbeiter können sich in der
DKV günstiger versichern als jeder andere; es gibt
5 Prozent Rabatt.
({7})
Anders als üblich sollen Vorerkrankungen kein Grund
sein, den Versicherungsschutz zu verweigern. Familienmitglieder werden mitversichert, und Wartezeiten gibt es
auch nicht.
Gleichzeitig kann man lesen, dass die Koalition die
Beitragslücke im Basistarif der PKV über Steuergelder
schließen will.
({8})
Das angeblich überlegene System scheint also nicht in
der Lage zu sein, ein Minimum an Solidarität innerhalb
dieser Versichertengemeinschaft zu leisten. Aber wenn
es darum geht, Solidarität mit den verarmten FDP-Mitgliedern zu leisten, dann ist alles möglich; denn die Rabatte für diese zahlen die anderen Versicherten mit, die
nicht in den Genuss solcher Rabatte kommen. Man
könnte auch sagen: Diejenigen, die sich heute überhaupt
nicht in der privaten Krankenversicherung versichern
können, weil sie Vorerkrankungen haben, beispielsweise
psychisch krank sind, sollen doch in die FDP eintreten;
dann können sie sich bei der DKV versichern, und zwar
zu besseren Konditionen.
({9})
Sie haben die ganze Zeit Ankündigungen völlig ohne
Substanz gemacht.
Mehr netto vom Brutto war im Wahlkampf versprochen. Es wird am Ende weniger netto vom Brutto sein.
Sie haben versprochen, dass es dank Ihres automatischen Sozialausgleichs weniger Bürokratie geben
werde. Dabei weiß kein Mensch, wie er funktionieren
soll - Sie wahrscheinlich auch nicht -; denn zunächst
einmal müsste man in Erfahrung bringen, wer bedürftig
ist. Die Bedürftigkeit könnte entweder so geprüft werden, dass über 82 Millionen Zwangsveranlagungen beim
Finanzamt durchgeführt werden, oder so, dass die ganze
Republik ihre Einkommensverhältnisse bei den jeweiligen Krankenkassen offenlegt. „Viel Vergnügen!“, kann
ich da nur wünschen. Das bringt ja überhaupt keine Bürokratie mit sich. Es wird also nicht weniger, sondern
mehr Bürokratie geben. Schließlich wird die Finanzierung auch nicht gerechter, vielmehr wird sie ungerechter.
Wenn es wahr ist, was Sie eben in Ihren wohlfeilen
Worten gesagt haben, Herr Rösler, wenn Sie das wirklich
vorhaben, kann ich Sie nur auffordern: Lassen Sie ab
von dieser ungerechten Gesundheitsreform und sehen
Sie zu, dass das System, das wir haben, gerechter finanziert wird, indem es zum Beispiel auf eine breitere, solidarischere Finanzierungsgrundlage gestellt wird und ein
Risikostrukturausgleich auch zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen durchgeführt wird.
Das entspräche der Bürgerversicherung, wie wir sie
schon seit Jahren fordern.
({10})
Ich kann Sie auch nur ermuntern, die drängenden Probleme anzugehen. Auch Sie haben ja offensichtlich ge1442
merkt, dass es, ohne die Ausgabenseite zu betrachten,
nicht geht. Ich kann Sie nur auffordern, schnell zu handeln; denn derjenige, der jetzt nicht handelt, wird auch
die Verantwortung dafür tragen müssen, wenn dieses
Jahr Zusatzbeiträge eingeführt werden. Sie können sich
hier nicht hinstellen und alle Probleme auf ein von der
SPD eingeführtes System schieben. Ihre jetzige Staatssekretärin hat damals mit am Verhandlungstisch gesessen.
Sie weiß genauso gut wie ich, was wir nicht wollten und
welche Regelungen auf Kompromisse zurückgehen. Das
gilt insbesondere auch für die Frage der Zusatzbeiträge.
Die CDU hätte es ja am liebsten gehabt, wenn diesen ein
noch stärkeres Gewicht zugekommen wäre und der Gesundheitsfonds geringere Einnahmen gehabt hätte. Kollege Zöller lächelt genüsslich. Er erinnert sich an die vielen Stunden, die wir zusammengesessen haben, und
weiß genau, wovon ich rede. Sie, Herr Rösler, müssen
jetzt handeln. Sie stehen jetzt in der Verantwortung. Als
Sie von uns das Haus übernommen haben, mussten die
gesetzlichen Krankenversicherungen keine Zusatzbeiträge erheben.
({11})
Wir haben die finanzielle Ausstattung der gesetzlichen Krankenversicherung gewährleistet. Sie retten sich
jetzt in diesem Jahr mit einem einmaligen Zuschuss von
3,9 Milliarden Euro über den Berg; dieser soll allerdings
nur dieses Jahr gezahlt werden. Außerdem fehlen laut
Berechnungen des Schätzerkreises noch 4 Milliarden
Euro. Auch diese Mittel müssen irgendwie aufgebracht
werden, wenn die Berechnungen stimmen.
Ich kann nur sagen, dass Ihre Prämisse „Freiheit in
Verantwortung“, die Sie in dieser Haushaltsdebatte bei
jedem Einzelplan hochhalten, nichts mit Freiheit in Verantwortung zu tun hat, sondern gekaufte bzw. gesponserte Verantwortungslosigkeit darstellt. Ich hoffe im Interesse der Menschen in unserem Lande, dass diese
Politik bald ein Ende hat.
({12})
Das Wort hat der Kollege Johannes Singhammer für
die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Frau Kollegin Ferner, Sie haben kritisiert, dass
jemand als hoher Beamter neu eingestellt worden ist, der
zuvor bei der PKV eine wichtige Funktion innehatte. Ich
habe gerade heute eine Einladung in die Hände bekommen, auf der steht:
Politisches Marketing
Grundlagen erfolgreichen Lobbyings für Akteure
der Gesundheitswirtschaft
Die Teilnahme kostet übrigens 465 Euro plus Mehrwertsteuer. Wer, glauben Sie, ist dort der Hauptreferent?
({0})
Dr. Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit a. D.
({1})
Ich sage Ihnen: Kehr jeder vor der eignen Tür, gleich
sauber ist das Stadtquartier!
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen
mit dem Haushalt 2010 eine nachhaltige Gesundheitspolitik erreichen, mit mehr Eigenverantwortung, aber
nicht weniger Solidarität. Wer sich mit dem Gesundheitswesen in Deutschland beschäftigt, der sollte zunächst einmal mit der Beobachtung der Wirklichkeit beginnen. Die Realität ist: Voraussichtlich werden auch im
Jahr 2010, also in diesem Jahr, erneut 24 Millionen Menschen aus unserem Land eine Auslandskrankenversicherung abschließen. Wer in Sizilien oder Spanien Urlaub
macht und dort erkrankt, möchte im Regelfall sehr
schnell zurück in die Heimat, um hier behandelt zu werden. Das gilt auch, wenn in diesen Gegenden gerade die
Mandelbäumchen blühen und die Zitronenbäumchen
duften. Wir wollen, dass die Menschen aus Deutschland
zu Recht auch in diesem Jahr darauf vertrauen, dass die
Versorgung bei uns zu Hause besser ist als im Rest Europas. Deshalb werden wir es nicht zulassen, dass unser
Gesundheitssystem schlechtgeredet wird.
({3})
Wir wollen aber sehr wohl Verbesserungen dort erreichen, wo es notwendig ist.
({4})
Deshalb haben wir rasch gehandelt. Diese Bundesregierung hat in einer Blitzaktion auf das sich abzeichnende Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung
reagiert. Dabei werden 3,9 Milliarden Euro vor allem
von den Steuerzahlern aufgebracht und zusätzlich in den
Gesundheitsfonds eingebracht. Das heißt, diese Bundesregierung hat keinen Stolperstart hingelegt, sondern
einen Blitzstart.
({5})
Mit insgesamt 15,7 Milliarden Euro werden mehr Steuergelder in die gesetzlichen Krankenkassen eingebracht
als je zuvor. Das ist ein großer Solidarbeitrag aller Steuerzahler.
({6})
Zur Wahrheit gehört auch, dass die gesetzlichen
Krankenversicherungen in diesem Jahr 170 Milliarden
Euro zur Verfügung haben. Auch das ist mehr als jemals
zuvor.
({7})
- Ich komme gleich dazu. - Trotzdem besteht - und darüber sind wir uns einig - in der Gesundheitspolitik die
ständige Notwendigkeit, die Einnahmesituation zu überprüfen und zu verbessern. Das werden wir in den nächsten Monaten auch tun. Es gehört zur Ehrlichkeit dazu,
dass wir die Situation des Haushalts - wir führen hier
schließlich eine Haushaltsdebatte - nicht aus den Augen
verlieren. Auf der einen Seite besteht die Notwendigkeit,
in den nächsten Jahren zu konsolidieren. Auf der anderen Seite wollen wir Steuererleichterungen durchsetzen.
Deshalb ist es klar, dass der Spielraum für alle Formen
der Finanzierung nicht größer, sondern kleiner wird.
Deshalb warnen wir auch davor, die Diskussion jetzt
ausschließlich auf die Frage „Prämie, ja oder nein?“ zu
verengen.
({8})
Ich glaube, entscheidend ist - und darauf werden wir
Wert legen -, dass die Finanzierung sozial gerecht erfolgt. Dafür werden wir sorgen. Ihr Modell einer Bürgerversicherung ist weniger gerecht; denn im Endeffekt holen Sie sich das Geld damit von den Kommunen wieder.
Wie das in der jetzigen Situation, die die Kommunen beklagen, gelingen soll, weiß kein Mensch.
({9})
Wir wollen eine nachhaltige Gesundheitspolitik.
Das bedeutet mehr als nur eine gesicherte Finanzierung.
Nachhaltige Gesundheitspolitik heißt erstens - das ist
das Nachhaltigste überhaupt - Prävention, damit
Krankheit möglichst gar nicht erst eintritt, zum Beispiel
Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen
oder Diabetes. Deshalb werden wir einen ganz klaren
Schwerpunkt auf Prävention setzen.
Zweitens. Gesundheit darf nicht zu einem Privileg für
bestimmte Bevölkerungsgruppen, Einkommensgruppen
oder Altersschichten werden. Eine Diskussion darüber,
ob medizinische Leistungen wie Dialyse oder Herzoperationen ab einem bestimmten Alter oder ab einem bestimmten Einkommen nicht mehr erbracht werden sollen, würde ich für unerträglich halten. Deshalb werden
wir sie auch nicht führen. Schweden, das oft als Vorbild
ins Spiel gebracht wird, ist für uns kein Vorbild, wenn
dort beispielsweise die Behandlung gutartiger Tumore
von den Patienten selbst bezahlt werden muss.
Drittens. Diejenigen, die im Gesundheitsbereich in
unterschiedlichsten Berufen, als Mediziner oder Pflegekräfte, tagtäglich einen anstrengenden, der Humanität
gewidmeten Dienst für kranke Menschen leisten,
({10})
sind nicht die Verursacher der Probleme im Gesundheitswesen. Sie brauchen vielmehr unsere Unterstützung.
({11})
Mehr Unterstützung heißt - das ist uns wichtig - weniger Gängelung und weniger Bürokratie, dafür aber mehr
Verantwortung und mehr Freiheit.
({12})
Deshalb halte ich es für einen großen Erfolg, dass wir
uns in den Koalitionsvereinbarungen darauf verständigt
haben, die freie Arztwahl, die freie Krankenhauswahl
und die freie Krankenkassenwahl für die Bürger in
Deutschland zu erhalten.
({13})
- Ich komme jetzt zu Ihnen. - Mehr Planwirtschaft, die
Sie immer im Hinterkopf haben, führt nicht zu mehr Gerechtigkeit. Sie ist allenfalls weiße Salbe.
({14})
Wer wie die SPD Einheitsvergütungen verlangt, der ebnet letztendlich den Weg zur Einheitsmedizin.
({15})
Dann wird die Versorgung der Menschen nicht solidarischer, sondern in der Konsequenz schlechter.
({16})
Zwischen uns besteht ein entscheidender Unterschied: Wir sehen in Eigenverantwortung und Solidarität
keinen Gegensatz. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Solidarität ist notwendig bei großen und
teuren Operationen, wie zum Beispiel bei Herzoperationen. Auf der anderen Seite brauchen wir aber auch mehr
Eigenverantwortung.
({17})
Bei Erkrankungen wie beispielsweise Erkältungen kann
man, was die Mittel dagegen angeht, diese Eigenverantwortung einfordern und mit ihr einiges erreichen.
({18})
Wir werden 2010 voraussichtlich einen Honoraranstieg bei den Ärzten haben.
({19})
Damit stellen wir sicher, dass die Ärzte für ihre schwierige und verantwortungsvolle Arbeit eine angemessene
Honorierung erhalten. Wir erwarten aber - auch das sage
ich an dieser Stelle -, dass die Ärzte ihre Serviceleistungen gegenüber den gesetzlich Versicherten verbessern
und unterschiedliche Wartezeiten verhindern, die als ein
Ärgernis empfunden werden.
({20})
- Wir tun eine ganze Menge.
({21})
Ich darf noch Folgendes ankündigen. Wir haben uns
in der Koalition darauf geeinigt, rasch und ohne Verzö1444
gerung in den nächsten Wochen folgende Herausforderungen aufzugreifen.
Erstens. Wir werden ein Gesetz auf den Weg bringen,
das sich die Verbesserung der ärztlichen Versorgung
vor allem in den ländlichen Regionen zum Ziel setzt.
({22})
Wir wollen, dass sich die Ärzte wieder mehr auf die Versorgung der Patienten konzentrieren können und sich
nicht ständig mit Gebührenordnungen, Richtlinien und
Bürokratie beschäftigen müssen.
({23})
Zweitens. Wir werden in einem weiteren Gesetz den
Arzneimittelbereich deregulieren.
({24})
- Selbstverständlich. - Zurzeit gibt es über zwei Dutzend Steuerungsinstrumente, die an die unterschiedlichsten Akteure gerichtet sind. Das sind viel zu viele. Was
zum Beispiel die Wirtschaftlichkeitsprüfung betrifft, gab
es 1988 eine Vorschrift, die sich noch auf 150 Worte
beschränkte. Jetzt regelt das Gesetz das gleiche Verfahren mit 2 300 Worten in sieben Absätzen. Das werden
wir ändern.
({25})
Drittens. Wir werden ein Gesetz zur Struktur der
Krankenversicherungen auf den Weg bringen. Dabei
geht es auch um das Verhältnis der gesetzlichen Krankenversicherung zur privaten Krankenversicherung. Wir
wollen, dass der Grundsatz, der sowohl das Nebeneinander als auch die Abgrenzung betrifft, erhalten bleibt. Wir
wollen aber auch, dass die Möglichkeiten der Kooperation zwischen GKV und PKV bei Zusatzversicherungen
gestärkt werden.
({26})
Gesundheitspolitik ist aber mehr, als nur auf die Herausforderungen zu reagieren, die uns auf der Einnahmeund auf der Ausgabenseite über Jahre begleiten. Der Gesundheitssektor ist vor allem ein Wachstumsmotor in
Deutschland. Mit 4,4 Millionen Beschäftigten gibt es im
Gesundheitswesen annähernd sieben Mal so viele Beschäftigte wie in der deutschen Vorzeigebranche, der
Automobilindustrie, in der 700 000 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Wir wollen, dass der Standard in unserem
Gesundheitswesen im internationalen Wettbewerb an
vorderer Stelle bleibt. Deshalb werden wir den Gesundheitssektor weder kaputtsparen noch ruinieren, sondern
weiterentwickeln. Eines sage ich - Sie rufen ja immer
dazwischen - deutlich an Ihre Adresse: Wer den Menschen Angst einjagt und behauptet, die medizinische
Versorgung in Deutschland werde zum Risiko, der wird
selbst zum Risiko.
({27})
Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Beim Gesundheitsetat geht es nicht nur
um die 16 Milliarden Euro im Einzelplan 15, von denen
wir gerade gehört haben; den größten Pott in der Gesundheitspolitik füllen die Beiträge der Versicherten
an die gesetzlichen Krankenkassen. Über die Höhe dieser Beiträge und ihre Verteilung entscheiden wir ebenfalls hier im Bundestag. Deshalb müssen wir darüber reden.
Jedes Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung kennt doch die Probleme: Wartezeiten beim Facharzt, Zuzahlungen zu Medikamenten und Hilfsmitteln,
hohe Eigenbeteiligungen etwa beim Zahnersatz oder ein
Hausarzt, der am Ende des Quartals mit dem notwendigen Rezept geizt und es nicht ausstellt. Frau Merkel hat
uns gestern darüber aufgeklärt - Kollegin Ferner hat das
schon zitiert -, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung
keine Zweiklassenmedizin möchte. Es gibt aber längst
schon eine Zweiklassenmedizin. Sogar Ärztepräsident
Hoppe hat zuletzt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung festgestellt, was 70 Millionen Versicherte
längst wissen:
Im deutschen Gesundheitswesen wird heimlich rationiert, weil nicht genügend Geld zur Verfügung
steht, um allen Menschen die optimale Therapie zu
verschaffen.
Er bezog sich damit allerdings nur auf „sehr teure“
Krebsmedikamente, an denen sich die Pharmafirmen
gerne eine goldene Nase verdienen möchten.
Außer der Linken spricht niemand über die Probleme,
die Millionen Menschen schon mit der einfachsten Gesundheitsversorgung haben.
({0})
Dazu möchte ich ein Beispiel aus meiner Heimat, dem
Münsterland, erzählen. In der vorigen Woche hat in Dülmen eine neue Einrichtung Bilanz gezogen: die Medikamententafel. In den ersten drei Monaten haben dort
schon 115 bedürftige Menschen das Angebot genutzt,
Medikamente zum halben Preis zu kaufen. Es geht hier
wohlgemerkt um Medikamente, die der Arzt verschrieben hat, die aber nicht von den Kassen übernommen
werden und nicht von den Patienten aus eigener Tasche
finanziert werden können. Ich schätze das soziale Engagement sehr, das dieses Angebot möglich macht. Es ist
aber eine Schande, dass so etwas in diesem Land nötig
ist.
({1})
So sieht nämlich die soziale Wirklichkeit in unserem
reichen Land aus: Wer arm ist und krank wird, ist auf Almosen angewiesen.
({2})
Damit werde ich mich nicht abfinden; damit wird sich
die Fraktion Die Linke nicht abfinden.
({3})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, wir werden nicht vergessen, dass dies auch ein Ergebnis von zehn Jahren sozialdemokratischer Gesundheitspolitik ist, an der leider auch die Grünen und die
Union beteiligt waren.
Wenn Union und FDP nun versprechen, die Unterfinanzierung zu beenden, dann klingt das erst einmal
klasse; aber für die Versicherten bedeuten Ihre Pläne
eine weitere Umverteilung von unten nach oben. Sie
wollen also das Solidarprinzip abschaffen, demzufolge
Gesunde für Kranke und diejenigen, die gut verdienen,
für diejenigen, die weniger Einkommen haben, einstehen. Das ist mit uns nicht zu machen.
({4})
Sie setzen auf die Kopfpauschale, die von der FDP
beschönigend „Gesundheitsprämie“ genannt wird. Das
heißt, Sie wollen, dass die Friseurin mit 800 Euro Monatsgehalt denselben Beitrag zahlt wie die Chemietechnikerin mit 3 000 Euro Gehalt im Monat. Sie haben im
Wahlkampf versprochen: „Mehr netto vom Brutto.“ Das
setzen Sie jetzt um, aber nur für diejenigen, die mehr als
2 000 Euro im Monat verdienen. Das sollen diejenigen
finanzieren, die über deutlich weniger Einkommen verfügen. Deren Beiträge werden nämlich steigen. Damit
treiben Sie die Spaltung der Gesellschaft voran. Das
werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({5})
Herr Rösler, Ihr Versprechen, diese Ungerechtigkeit
mit einem Sozialausgleich abzufedern, kann ich Ihnen
ehrlich gesagt nicht abnehmen; denn ich glaube nicht,
dass es Ihnen gelingt, die Steuern zu senken - auch das
haben Sie versprochen - und gleichzeitig 20 bis 40 Milliarden Euro aus der Staatskasse für den Sozialausgleich
aufzubringen. Entweder können Sie nicht rechnen oder
Sie wissen nicht, was da auf Sie zukommt, oder Sie wissen genau, dass es nicht funktionieren wird, und belügen
die Leute. Das halte ich für eine Unverschämtheit.
({6})
Zweitens machen Sie damit Millionen Versicherte zu
Bittstellern beim Staat. Nach der Medikamententafel
kommt dann also demnächst die Krankenkassentafel.
Dagegen werden wir uns wehren. Dass Sie diese Reform
zudem ausgerechnet von einem bisherigen Funktionär
der privaten Krankenversicherung erarbeiten lassen,
wundert uns da kaum noch. Es zeigt das wahre Wesen
der FDP als Front der Privilegierten. Oder stehen diese
drei Buchstaben vielleicht doch eher für „Freundeskreis
der Privatversicherer“?
({7})
3,9 Milliarden Euro sollen in diesem Jahr als Steuerzuschuss in den Gesundheitsfonds fließen, um die Mindereinnahmen durch die Finanzkrise auszugleichen; das
haben Sie gerade ganz stolz verkündet. Aber Sie wissen
doch ganz genau, dass den Krankenkassen 2010 voraussichtlich weitere 4 Milliarden Euro fehlen werden.
({8})
Den Versicherten drohen also Zusatzbeiträge, denn irgendwoher müssen die fehlenden Milliarden ja kommen.
Warum kommen Sie eigentlich nicht auf die Idee, diejenigen an den Kosten zu beteiligen, die die Krise verursacht haben?
({9})
Aber nein: Auf die Unternehmer und Aktionäre entfällt
kein einziger Cent an höheren Beiträgen. Wieder sind es
nur die Beschäftigten, die Rentnerinnen und Rentner, die
Sie zur Kasse bitten werden.
Die Linke hat immer wieder Vorschläge gemacht und
wird das auch weiterhin tun, wie die Kassen finanziert
und die Versicherten entlastet werden können. Wir wollen bestmögliche Versorgung für die Patientinnen und
Patienten, mehr Zeit für Zuwendung und für sprechende
Medizin sowie mehr Beschäftigung bei besseren Arbeitsbedingungen statt noch mehr Profite für die
Pharmabranche und private Versicherungskonzerne.
({10})
Sie hingegen preisen im Koalitionsvertrag den Wettbewerb und den Markt als Steuerungsmechanismen und
vergessen dabei eines: Ein kranker Mensch ist kein
Kunde, der über Diagnose und Therapie frei entscheiden
kann. Wer krank ist, braucht Hilfe, schnell erreichbar,
unkompliziert und in guter Qualität, und das Ganze vom
Darß bis zum Bodensee. Das zu schaffen ist unsere gemeinsame Verantwortung hier in diesem Haus. Deswegen werden wir diesen Haushalt ablehnen, und wir werden weiter dafür streiten, dass Medikamententafeln in
diesem Land überflüssig werden.
Danke schön.
({11})
Kollegin Vogler, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg in Ihrer weiteren Arbeit.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
die Kollegin Birgitt Bender.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister Rösler, wenn ich nicht schon so lange Gesundheitspolitik machte, dann wären mir eben bei Ihrer Rede
Tränen der Rührung gekommen. Es war ja so schön anzuhören, dass Sie jetzt derjenige sind, der aus lauter sozialer Verantwortung mit der Hinterlassenschaft der Großen Koalition aufräumt, die nämlich für dieses Jahr
Zusatzbeiträge für die Versicherten zur Folge haben
wird.
Ja, Herr Minister, wer soll Ihnen glauben, dass das
Ihre größte Sorge ist? In Wirklichkeit ist es doch so, dass
Ihnen das als Testfeld willkommen ist. Es werden Kosten auf die Versicherten verschoben, zunächst eine
kleine Kopfpauschale, und das ist der ideale Test für die
von Ihnen geplante große Kopfpauschale. Die Krokodilstränen über Zusatzbeiträge, Herr Minister, können
Sie sich sparen; die glaubt Ihnen niemand.
({0})
Ob Sie wirklich aus sozialer Verantwortung für die
Versicherten handeln, wie Sie behaupten, darf man bezweifeln. Werfen wir einmal einen Blick in Ihren Haushalt. Da wird durchaus mehr Geld ausgegeben, und zwar
nicht nur via Steuerzuschuss für die GKV. Nein, da wird
beispielsweise ein Titel im Bereich der internationalen
Arbeit deutlich erhöht. Wir lesen den Titel „Förderung
der deutschen Gesundheitswirtschaft im Ausland“.
Da geht es um die Mitwirkung der Bundesregierung an
Vermarktungs- und Kooperationsbemühungen gesundheitswirtschaftlich tätiger Unternehmen im Ausland. Es
findet sich eine deutliche Erhöhung des Titels. Herr Minister, wir haben nichts gegen Wirtschaftsförderung.
Aber das Bundesgesundheitsministerium ist keine Unterabteilung des Wirtschaftsministeriums, und das sollte
man deutlich unterscheiden können.
({1})
Wir sind uns nicht sicher, ob Sie diese Unterscheidung
treffen. Als Sie noch Landeswirtschaftsminister waren,
haben Sie an einer Resolution der Landeswirtschaftsminister mitgewirkt, in der es sinngemäß heißt, man
möge endlich dem IQWiG, also dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, auf
die Finger klopfen, weil es die Pharmaindustrie so verunsichere und Arbeitsplätze in der Pharmaindustrie gefährde.
({2})
Was passiert jetzt? Es wird die Ablösung des pharmakritischen Leiters dieses Instituts betrieben.
({3})
Was schließen wir daraus? Dass wir uns nicht missverstehen: Natürlich muss ein Leiter korrekte Spesenabrechnungen vorlegen.
({4})
Aber wenn ausgerechnet jetzt die Ablösung von Sawicki
gefordert wird - vor allem, wenn man weiß, dass schon
während der Koalitionsverhandlungen Papiere kursierten, in denen seine Ablösung gefordert wurde -, dann
wird klar, woher der Wind weht.
({5})
Es geht darum, dass man einen Grund findet, um einen Kritiker loszuwerden. Ich sage Ihnen, Herr Minister:
Wenn das der Auftakt dazu ist, dass die Arbeit des
IQWiG weichgespült wird, um der Pharmaindustrie einen Gefallen zu tun, dann machen Sie einen Fehler. Es
wird nämlich für die Versicherten teurer,
({6})
und es ist auch nicht wirklich im längerfristigen Interesse der Pharmaindustrie.
({7})
Es ist klar, dass sich ein Unternehmen nicht freut,
wenn es durch ein Gutachten des IQWiG auf Anhieb etliche Millionen Euro Umsatz verliert. Aber wenn die
Unternehmen wissen: In Deutschland gilt die KostenNutzen-Bewertung. Das sind die Kriterien, an die wir
uns halten müssen. Wenn wir etwas Neues auf den
Markt bringen, das den Patienten wirklich mehr Nutzen
bietet, dann können wir auch einen höheren Preis realisieren. - Dann wird in die richtige Richtung geforscht.
Das sind verlässliche Rahmenbedingungen. Das sollte
man gerade als Minister nicht infrage stellen.
({8})
Man gewinnt den Eindruck, Herr Minister, dass Sie
nicht der Anwalt der Patienten sind, sondern dass Ihre
Agenda eher die Klientelpflege ist. Nehmen wir als Beispiel die private Krankenversicherung. Erst hieven
Sie einen Mann der PKV auf eine B-9-Stelle in Ihrem
Ministerium. Ausgerechnet er soll für Sie die Grundsätze ausarbeiten. Dann erfahren wir, dass es exklusiv
für FDP-Mitglieder einen Rabattvertrag eines PKV-Unternehmens gibt. Nicht nur, dass Sie dort niedrigere Prämien bezahlen. Nein, es gibt auch noch - wenn wir den
Berichten glauben dürfen - besondere Aufnahmebedingungen.
({9})
Das heißt offenbar nichts anderes, als dass der FDPler
krank sein darf und trotzdem von dieser PKV aufgenommen wird.
({10})
Offensichtlich gilt hier seitens des PKV-Unternehmens:
Der FDP-Kranke ist uns lieb und teuer, weil die kurzfristige wirtschaftliche Belastung sich in langfristigen politischen Nutzen umwandelt. So wird ein Schuh daraus.
({11})
Und siehe da: Es wird politisch angekündigt, dass
man in Zukunft einen höheren Zuschuss für PKV-versicherte Hartz-IV-Empfänger zahlt. Das klingt schön. In
Wirklichkeit nutzt es nur der PKV. Man wird die Wartefrist verkürzen, ab wann gut verdienende GKV-Versicherte in die PKV wechseln dürfen. Was sollen wir denn
davon halten? Das ist doch Klientelpflege reinsten Wassers.
({12})
Frau Kollegin Bender, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Straubinger?
Werte Kollegin Bender, Sie haben sich mit dem Gruppenversicherungsvertrag der FDP auseinandergesetzt,
wie es auch schon einige Vorredner getan haben. Sind
Sie der Meinung, dass Gruppenversicherungsverträge
grundsätzlich verboten werden müssten?
Nein, ich finde sogar, dass es in der GKV richtig
wäre, wenn man beispielsweise Gruppenverträge für Patientengruppen machen könnte, so wie das in den Niederlanden der Fall ist. Die Frage ist doch, warum eine
PKV ausgerechnet einer politischen Partei ein Angebot
für rabattierte Prämien und besondere Aufnahmebedingungen macht.
({0})
Das stinkt zum Himmel. Es wundert mich, dass ausgerechnet jemand aus der CSU das jetzt anspricht. Sie profitieren ja gar nicht.
({1})
Weil meine Redezeit abläuft, möchte ich es kurz machen. Es gibt viele Themen, Herr Minister, die Sie derzeit in Interviews unter die Leute bringen. Angeblich
soll das alles der Freiheit von Patienten und Versicherten
dienen. Dazu kann ich nur sagen: Fragen Sie einmal in
Berlin-Neukölln oder in Stuttgart-Hallschlag, wer da
scharf ist auf Kostenerstattung, auf Arztbesuch gegen
Vorkasse. Sie müssen auch den dort niedergelassenen
Ärzten einmal erklären, wie ihre Arztpraxen in Zukunft
wirtschaftlich bestehen sollen, wenn Sie das Kostenerstattungsprinzip tatsächlich einführen. Davor kann ich
Sie nur warnen.
({2})
Ich sage deswegen: Auf den Wahlplakaten der FDP
hätte ähnlich wie auf Zigarettenpackungen ein Warnhinweis stehen müssen, und zwar: FDP wählen kann tödlich
sein, für die Gesundheit und fürs Gemeinwohl.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat der Kollege Heinz Lanfermann für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums, um heute auch einmal darüber zu reden, zeigt noch die Grundstruktur, die Ulla Schmidt ihm
in ihrer Amtszeit gegeben hat. Er wird jetzt dominiert
von dem Zuschuss für den von der abgewählten Gesundheitsministerin falsch konstruierten und unterfinanzierten Gesundheitsfonds.
({0})
Dessen Einnahmen reichen eben nicht aus. Die Erblast
beträgt im Augenblick 8 Milliarden Euro. Ich weiß gar
nicht, warum Sie sich so darüber aufregen, dass diese
Koalition 4 Milliarden Euro dazugibt,
({1})
weil man sagt: Das sind Folgen, die die Steuerzahler und
nicht die Beitragszahler zu tragen haben. Ich weiß nicht,
ob Ihre Kritik zu rechtfertigen ist.
({2})
Wenn die Krankenkassen sich jetzt gezwungen sehen,
Zusatzbeiträge von ihren Versicherten einzufordern,
dann ist das eine Erblast des Systems Ulla Schmidt.
({3})
Um hier auch einmal über die Dinge zu sprechen, die
in Zukunft zu tun sind: Wir wollen ein Gesundheitsministerium, das einen klaren Schwerpunkt auf die Forschung setzt. Der Wissenschaftsrat hat in seiner Untersuchung der nachgeordneten Behörden hierzu wertvolle
Hinweise geliefert. Ich würde Ihnen empfehlen, sich
auch einmal über solche Dinge Gedanken zu machen.
({4})
Wir wollen die Prävention zu einem Schwerpunkt
machen; denn die beste und natürlich auch kostengünstigste Gesundheitspolitik ist, Krankheiten zu vermeiden.
Dafür brauchen wir einen ressortübergreifenden Ansatz,
der Doppelförderungen ebenso wie Förderlücken vermeidet. Wir wollen nicht zuletzt, dass das Gesundheitsministerium als Innovationsmotor auf dem Weg zu
einem zukunftsfesten Gesundheitssystem mit mehr
Wettbewerb fungiert;
({5})
denn Wettbewerb sichert und hebt die Qualität und begrenzt oder senkt sogar die Preise.
({6})
Wir wollen ein Gesundheitssystem mit mehr Wahlfreiheit für die Bürger;
({7})
denn Wahlfreiheit schafft Transparenz und sorgt dafür,
dass auf die individuellen Bedürfnisse eingegangen
wird. Wir werden mit einem sozialen Ausgleich über das
Steuersystem - da gehört er hin, weil das gerechter ist
als die Ankopplung an die Gehaltshöhe - eine Neujustierung vornehmen.
({8})
Diese wird sorgsam, umsichtig und verantwortungsvoll
vorgenommen.
({9})
Dies ist - das hat man deutlich gesehen - eine etwas
asymmetrische Debatte. Während der Minister für das,
was er und die Koalition vorhaben, klare Worte gefunden hat
({10})
und der Kollege Singhammer auf die einzelnen Punkte
konkret eingegangen ist, haben sich die drei Damen, die
für die Opposition gesprochen haben, gegenseitig geradezu darin übertroffen, sich mit irgendwelchen Mutmaßungen, Vorurteilen und selbstverständlich auch mit Angriffen, zum Beispiel auf die FDP, zu profilieren. Das
war in weiten Teilen ziemlich unseriös.
({11})
Ich will das Thema gerne aufgreifen - wir können darüber gerne öffentlich diskutieren; das ist doch gar kein
Problem -: Wenn weit über 700 Unternehmen und weit
über 300 Verbände und Vereine Gruppentarifverträge
für ihre Mitglieder anbieten
({12})
und auch eine Partei dies tut, dann ist das doch ein ganz
normaler Vorgang, so, wie ADAC-Mitglieder an bestimmten Tankstellen halt einen kleinen Rabatt beim
Tanken bekommen.
({13})
Ich weiß wirklich nicht, woher die Aufregung kommt.
Haben Sie bei der SPD nicht einmal damit geworben,
dass Ihre Mitglieder günstige Reisen nach Kuba vermittelt bekommen? Ich kann mich an so etwas erinnern.
({14})
- Prüfen Sie das noch einmal nach.
Sie dürfen auch nicht mit Unwahrheiten arbeiten,
Frau Ferner. Sie haben hier zum Beispiel wahrheitswidrig behauptet, die Koalition habe beschlossen, dass die
Zusatzversicherung in der Pflege von der PKV durchgeführt werden soll. Das haben wir nie beschlossen, das
steht nicht im Koalitionsvertrag,
({15})
und ich habe noch heute, Frau Ferner, eine bedeutende
Vertreterin der gesetzlichen Krankenversicherung ausdrücklich darum gebeten, dass auch sie, die Krankenversicherungen, Vorschläge machen, wie man diese Zusatzversicherung organisieren könnte.
Kollege Lanfermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert? Ich mache darauf aufmerksam, dass das die einmalige Chance ist, Ihre ablaufende
Redezeit zu verlängern.
Ja, ich gestatte gern die Zwischenfrage, wenn ich
eben kurz meinen Gedanken zu Ende führen darf.
Ich habe sie ferner darum gebeten, zum Beispiel in
Bezug auf die Pflegekassen Vorschläge zu machen, wie
sie sich an dieser Zusatzversicherung beteiligen wollen.
({0})
Herr Kollege Lanfermann, Sie sagten gerade, dass es
viele Gruppen gibt, die solche Gruppenverträge mit
privaten Versicherungen haben, und dass es gar nichts
Besonderes sei, dass die FDP das auch habe. Macht es
nicht einen kleinen Unterschied, ob zum Beispiel ein Behindertenverband eine Gruppenversicherung abschließt
oder die FDP, die unter anderem staatliche Zuschüsse
bekommt, während der Behindertenverband diese nie im
Leben bekommt?
Die Versicherung wird ja nicht von der FDP abgeschlossen, übrigens auch nicht von den Tanzlehrern, die
auch diesen Gruppenvertrag bei dieser Versicherung haben.
({0})
Vielmehr können die einzelnen Menschen, die sich dort
versichern wollen, unter Hinweis auf ihre Mitgliedschaft
in einem bestimmten Unternehmen, einem bestimmten
Verein oder in dem Fall einer bestimmten Partei in einen
Gruppenvertrag eintreten. Dadurch wird ihr individueller Vertrag ein wenig, aber nicht sehr viel billiger.
({1})
Glauben Sie auch nicht die Märchen, die von Frau
Bender erzählt werden, dass es in Deutschland eine private Krankenversicherung gäbe, die sich danach drängte,
jetzt kranke Mitglieder aufzunehmen - Ihr Vorwurf ist ja
immer, dass sie das nicht tun -, um irgendwelche Vorteile zu erlangen. Wir werden Ihnen das noch einmal
schriftlich geben, damit Sie das glauben.
({2})
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für die
Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Bärbel Bas für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für
mich wie für Sie, Herr Dr. Rösler, ist das der erste Haushalt im Deutschen Bundestag. Da Sie mit den Worten
angetreten sind, das Kranken- und Pflegeversicherungssystem verbessern zu wollen, habe ich einmal in den
Haushaltsentwurf geschaut, um mir zwischen den Zahlen und Zeilen einen Eindruck zu verschaffen, wo Sie
Ihre Prioritäten setzen. Ich muss leider sagen: Ich habe
keine gefunden.
({0})
Wo, Herr Dr. Rösler, sind zum Beispiel Ihre Konzepte, um gerade für ältere, chronisch kranke und behinderte Menschen eine wohnortnahe medizinische Versorgung zu gewährleisten?
({1})
Wir leisten uns für fast 30 Milliarden Euro eine qualitativ hochwertige ambulante Versorgung, sind aber offensichtlich nicht in der Lage, diese immer zielgenau dorthin zu steuern, wo die Menschen sie brauchen.
({2})
Damit meine ich nicht nur die fehlenden Ärzte auf dem
Lande. Auch Städte wie Duisburg weisen laut Statistik
der KV eine ausreichende oder sogar Überversorgung
mit Haus- und Fachärzten auf. Trotzdem gibt es sozial
schwache Stadtteile, in denen zum Beispiel kein Kinderarzt mehr zu finden ist. Alleine mit einer Aufhebung der
Budgetierung bei ambulanten Leistungen, die Sie, Herr
Zöller, als Patientenbeauftragter vorgeschlagen haben,
werden wir keinen Arzt in diese Stadtteile bekommen,
einmal abgesehen davon, dass Sie nicht sagen, wie Sie
das finanzieren wollen.
({3})
Solange es die unterschiedliche Honorierung von
Leistungen für gesetzlich und privat Versicherte gibt,
bleibt es für Ärzte attraktiv, sich in wohlhabenderen
Stadteilen niederzulassen. Das Ergebnis sind unterversorgte Gebiete in überversorgten Regionen.
Wo sind Ihre Vorschläge zur Verbesserung der Prävention und Kindergesundheit? Wo sind Ihre Vorschläge
für eine menschenwürdige und qualitätsgesicherte
Pflege?
({4})
Das Einzige, das Ihnen einfällt, sind klientelorientierte
Systemumstellungen, und in der Pflege wollen Sie eine
verpflichtende private Zusatzversicherung einführen.
({5})
Viele Bürgerinnen und Bürger wissen jetzt schon nicht,
wie sie die finanzieren sollen. In der Krankenversicherung wollen Sie eine einkommensunabhängige Kopfpauschale mit Sozialausgleich.
Durch Ihre angestrebten Finanzierungsmodelle und
Ihre einseitige Bevorzugung der Privatversicherung werden weder die Qualität der Versorgung verbessert noch
vorhandene Effizienzreserven im System erschlossen.
Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Fehlsteuerungen und
Zweiklassenmedizin werden von Ihnen nicht beseitigt,
sondern zementiert.
({6})
Ich höre in Ihren Reden immer wieder die Worte
„mehr Wettbewerb“. Sie wollen Wettbewerb? Gerne,
kann ich da nur sagen. Aber dann muss er auch fair sein.
Denn das geht nur, wenn GKV und PKV gleiche Wettbewerbsbedingungen haben.
({7})
Dazu gehört unter anderem: keine unterschiedliche Honorierung der Leistungen und voller Einbezug der PKV
in den Risikostrukturausgleich.
({8})
Sie reden auch viel von Gerechtigkeit und tun trotzdem das Gegenteil. Mit Ihrer Kopfpauschale setzen Sie
wichtige Prinzipien unseres Sozialsystems außer Kraft.
Es mag sein, dass das nur mein Empfinden ist. Aber ich
finde, dass Sie das Prinzip, dass Gesunde für Kranke und
Leistungsstarke für sozial Schwache einstehen, außer
Kraft setzen.
Ihre Kopfpauschale benötigt einen Sozialausgleich,
der nach Berechnungen Ihres Finanzministers mindestens 35 Milliarden Euro kosten wird. Finanzieren wollen
Sie den Sozialausgleich mit Steuereinnahmen aus dem
Wirtschaftswachstum,
({9})
also mit Geld, das Sie noch nicht haben und von dem Sie
auch nicht wissen, wie viel es sein wird. Soll ich Ihnen
sagen, wie ich das nenne? Das ist eine Finanzblase,
({10})
und die wird nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen platzen.
({11})
Denn mit dem gleichen Wirtschaftswachstum wollen Sie
die Mehrausgaben für Ihre Klientelpolitik decken, den
Haushalt konsolidieren und die Steuerreform, wann immer sie kommt - 2011, 2012 oder 2013 -, finanzieren.
Das kann nicht funktionieren.
Sie selbst, Herr Dr. Rösler, haben in einem Interview
gesagt:
Wir werden uns neben der Frage einer fairen Finanzierung auch um die Ausgabenseite kümmern.
Heißt das, dass wir nach der Steuerschätzung im Mai
und damit nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen mit Leistungskürzungen oder einer Gesundheitssteuer, wie Herr Schäuble sie genannt hat, rechnen müssen?
({12})
- Ja.
Ihr Kollege Otto Fricke hat uns vorgestern übrigens
einen schönen Taschenspielertrick vorgeführt. Ich zeige
Ihnen jetzt einmal, wie Ihre Finanzpolitik aussieht. Sie
stecken dem Bürger in Form von Steuersenkungen
10 Euro in die eine Tasche und nehmen ihm für die Sozialversicherung 20 Euro aus der anderen Tasche. Das ist
Ihre Finanzpolitik.
({13})
Kollegin Bas, das war Ihre erste Rede im Hohen
Hause. Wir gratulieren Ihnen dazu recht herzlich und
wünschen Ihnen viel Erfolg!
({0})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Alois
Karl.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Kollegen! Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten
Rede, Frau Kollegin.
({0})
Ich habe mit Verwunderung beobachtet, dass Sie einen
echten Zwanziger aus der Tasche gezogen haben.
({1})
Ihre Fraktion allerdings ähnelt manchmal einem falschen
Fuffziger, was ihren Umgang mit manchen Themen angeht.
({2})
Wir führen eine Haushaltsdebatte. Wir freuen uns,
dass die Auguren vom Januar 2009, als Deutschland und
die Welt in einer üblen finanziellen Situation waren,
nicht recht behalten haben. Unsere Arbeitslosenquote ist
nicht so stark gestiegen und unser Bruttoinlandsprodukt
ist nicht so stark eingebrochen, wie diese Weissager damals vorausgesagt haben, und seit drei Quartalen befinden sich die Leistungen der deutschen Wirtschaft wieder
auf dem aufsteigenden Ast.
Die Wirtschaftsweise Professor Beatrice Weder di
Mauro hat erst kürzlich neben den Zentralbanken gerade
der deutschen Bundesregierung für das letzte Jahr eine
ausgezeichnete Arbeit attestiert. Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, zwei Konjunkturprogramme und das Familienentlastungsgesetz haben wir im letzten Jahr - alles
zusammen mit Ihnen, meine lieben Kollegen von der
SPD - richtigerweise auf den Weg gebracht. Das Bürgerentlastungsgesetz, das wir jetzt gemeinsam mit der FDP
realisieren, setzt diesen richtigen Weg fort. Wir suchen
die Zahl der Beschäftigten in diesem Jahr hoch zu halten
- und das muss uns einiges wert sein -; denn viele Beschäftigte bringen mehr Steuern und zusätzliche Beitragseinnahmen.
Die Bundesschulden - um auf den Haushalt zu kommen - sind exorbitant. Das Jahr 2010 soll das Referenzjahr werden. Häufig wird gesagt, 2011 bis 2016 soll gewaltig gespart werden. Ich meine, es ist nicht richtig, zu
sagen: Ab 2011 muss gespart werden. Wenn ich mit den
Leuten rede, sagen sie mir: Schon 2010 muss gespart
werden. - Da ist kein Haushalt zu gering, bei jedem
Haushalt kann man damit anfangen.
({3})
Die Entscheidung, zu sparen, ist richtig.
Wir werden die Krise, die im letzten Jahr und in diesem Jahr sichtbar geworden ist, ganz gewiss in den Griff
bekommen. Wir müssen aber auch die Lebensgrundlagen der Generationen, die nach uns kommen, erhalten;
wir dürfen nicht deren Substanz heute verbraten.
({4})
Adenauer hat gesagt: Der Staatsmann schaut bis zur
nächsten Generation, der Politiker bloß bis zur nächsten
Wahl. - Ich hoffe, dass viele von uns dem nachfolgen
und Staatsmänner sind. Wir haben in diesem Haus in den
letzten Tagen viel von Nachhaltigkeit gehört. Wenn sich
alle nach diesem Prinzip richten, sind wir auf dem richtigen Weg.
Ein neues Jahrzehnt hat begonnen. Dieses Jahrzehnt
muss ein Jahrzehnt der Investitionen und der Innovationen werden. Wir müssen Antworten geben auf die
demografische Entwicklung, wir müssen die Zukunft
unserer Sozialsysteme sichern.
Wir sind eine alternde Gesellschaft. Wir wissen alle,
dass diese alternde Gesellschaft für das Gesundheitswesen neue und zusätzliche Aufgaben bringt. Die Sozialsysteme sind auf paritätische Finanzierung angelegt. Ein
Eckpfeiler dieser Parität ist jedoch schon vor Jahren
weggebrochen, nämlich die Parität bei der Finanzierung
des Gesundheitssystems: 7 Prozent zahlen die Arbeitgeber, 7,9 Prozent die Arbeitnehmer.
({5})
- Das ist in Ihrer Regierungszeit so beschlossen worden,
Frau Ferner. Sie waren damals noch nicht stellvertretende SPD-Vorsitzende.
({6})
Damals war Ihr Stern noch nicht aufgegangen. Noch
heute leuchtet dieser Stern nicht besonders hell.
({7})
Unsere Bevölkerung wird immer älter. Eigentlich ist
das ein Grund zur Freude. Frühere Generationen haben
nicht davon zu träumen gewagt, gesund in dieses hohe
Alter zu kommen. Es ist dem medizinischen Fortschritt,
es ist unseren hervorragenden Ärzten zu verdanken, dass
wir diese gute Zeit erleben. Die alternde Gesellschaft
kostet aber etwas, und auch der medizinische Fortschritt
ist nicht für umsonst zu bekommen. Alle 80 Millionen
Menschen in unserem Land haben Anspruch auf beste
medizinische Versorgung - ohne Kontingentierung oder
Rationierung; Sie haben das ausgeführt, und dafür bin
ich Ihnen dankbar.
({8})
Ein bloßes Weiter-so kann es aber nicht geben. Die
Medizin wird nicht billiger werden. Also muss sie effizienter werden, wenn sie bezahlbar bleiben soll.
({9})
Schon in den nächsten Monaten, Herr Minister Rösler,
wird die Kommission, die eingesetzt worden ist, Vorschläge für eine Reform des Gesundheitswesens vorlegen. Ich hoffe, dass die Reform nicht wie eine der sieben
Plagen des Alten Testaments über uns kommt, sondern
mutige Ansätze bringt, um das Gesundheitswesen für die
nächsten Jahre, vielleicht Jahrzehnte auf sichere Beine
zu stellen.
({10})
Die Überlegungen des Bundesgesundheitsministers, die
Arbeitgeberbeiträge festzuschreiben, die Beiträge der Arbeitnehmer einkommensunabhängig zu erheben, gesamtgesellschaftliche Aufgaben den Staat, den Steuerzahler
zahlen zu lassen, für Defizite einen Sozialausgleich einzurichten, diese Ansätze haben etwas Frappierendes an
sich. Es wird aber darauf ankommen, wie dieser Sozialausgleich - wir haben Zahlen gehört: 20 Milliarden
Euro, 30 Milliarden Euro, 35 Milliarden Euro - in der
Praxis finanziert wird. Darüber kann heute aber nicht
diskutiert werden. Wir sehen mit Spannung den Empfehlungen Ihrer Kommission entgegen, Herr Minister.
Dabei will ich eines für meine Fraktion und für meine
Partei sagen: Der Grundsatz der Solidarität darf nicht
aus dem Fokus gerückt werden.
({11})
In der Tat müssen Besserverdienende - Sie haben dies in
Ihrer Rede auch erwähnt - über einen höheren Steuersatz
auch mehr für diesen Sozialausgleich bezahlen.
({12})
Gleichwohl bitte ich zu bedenken, dass Mitbürger mit
hohen Einkommen eher Steuergestaltungsmöglichkeiten als jene haben, die lediglich Lohneinkünfte beziehen.
({13})
Auch dies rechnen wir zu der Solidarität, die in den Sozialausgleich einfließen muss.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Haushalt
des Gesundheitsministers weist etwa 16,2 Milliarden
Euro aus. Es ist der Einzelplan mit der größten Steigerungsrate. Er steigt, wie wir gehört haben, um fast
40 Prozent gegenüber dem letzten Jahr. Dies ist kein
Grund für Freudensprünge, weil 4,6 Milliarden Euro für
Bundeszuschüsse und 3,9 Milliarden Euro für die krisenbedingte Situation der Krankenversicherungen ausgegeben werden. Übrigens mein Kompliment, Herr Minister,
wie Sie Herrn Minister Schäuble in wenigen Stunden die
3,9 Milliarden Euro abgenommen haben. Das war schon
à la bonne heure, das war eine gute Leistung in Ihren ersten Tagen als Minister.
({14})
97 Prozent des Haushalts sind determiniert. Es sind
keine großen Sprünge zu machen. Trotzdem werden wir
die Ausgabenposten für die Öffentlichkeitsarbeit, für die
Präventivprogramme und die Aufklärungskampagnen
kritisch unter die Lupe nehmen. Wer aber meinen sollte,
weil 97 Prozent des Haushalts determiniert seien,
komme es auf die paar Millionen auch nicht mehr an, die
disponibel sind, wird sich irren.
({15})
Ich gehe davon aus, dass wir alle Haushaltsansätze sehr
kritisch unter die Lupe nehmen.
Herr Minister, ich freue mich auf die Beratungen mit
Ihnen, Ihren Staatssekretären und Mitarbeitern. Wir werden sicherlich einen guten Haushalt 2010 auf den Weg
bringen.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Danke, Frau Präsidentin. - Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Wenn dieser Tage von Geld und Gesundheit
oder umgekehrt die Rede ist, hört man regierungsseitig
permanent zwei Sätze: Erstens. Die gesetzliche Krankenversicherung hat einen Geburtsfehler. Zweitens. Die
gesetzliche Krankenversicherung ist tot, zumindest nicht
zukunftsfähig.
({0})
Die GKV, um die uns viele Länder beneiden, hat sehr
viele Jahre und viele Wirrnisse gesund überstanden. Allerdings geht es ihr aktuell nicht gut. Zu den krisenbedingten Einnahmeausfällen - im Haushaltsentwurf sind
3,9 Milliarden Euro dazu eingestellt; das ist okay - entsteht nach offizieller Schätzung ein Loch von knapp
4 Milliarden Euro. Doch dieses Loch ist keine Unzulänglichkeit des Systems; es ist von der Politik gegraben.
({1})
Wenn man mehr ausgibt, zum Beispiel für Palliativmedizin oder Ärztehonorare, muss man auch mehr rein
tun. Aber das ist nicht geschehen.
({2})
Wenn man dann noch bei den Medikamenten weniger
spart als erwartet, dann hat man ein Loch. Doch das ist
logisch entstanden und nicht krankhaft.
Aber dieses Loch könnte ganz einfach geschlossen
werden, indem man beispielsweise endlich die Verschiebebahnhöfe zwischen den Sozialversicherungszweigen
aufkündigt.
({3})
In unserem Fall müssten für die Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Bezieher kostendeckende Beiträge gezahlt werden; anstelle der heute eingezahlten 123 Euro
wären 260 Euro angemessen. Dies brächte der GKV
rund 5 Milliarden Euro, und, schwups, das Loch wäre
weg.
Eines ist klar: Hier wird mit Absicht die GKV totgeredet. Sie liegt nicht im Sterben. Sie reden sie tot, damit
ein neues System installiert werden kann. Dagegen wehren wir uns, und das zum Glück nicht allein.
({4})
Sie, Herr Minister, haben heute gesagt:
Das geltende Recht hat einen entscheidenden Geburtsfehler: Es findet kein Sozialausgleich statt.
Deshalb seien die Kopfpauschale und ein steuerfinanzierter Sozialausgleich notwendig. Ich frage mich, welches Verständnis Sie von Solidarität haben. Ich will nicht
den Vergleich von der Lidl-Verkäuferin und dem Konzernmanager bemühen. Fakt ist aber: Wer wenig verdient, zahlt wenig, und wer viel bekommt, zahlt mehr,
nämlich bis knapp 300 Euro. Das ist gerecht, und das
empfinden auch die meisten Bürgerinnen und Bürger so.
Wenn Sie jetzt eine Kopfpauschale von circa 145 Euro
einführen wollen - das ist kein Vorurteil, Herr
Lanfermann -,
({5})
dann werden die Gutverdienenden massiv entlastet und
die Geringverdienenden massiv belastet. Mit Ihrem tollen Sozialausgleich - wie auch immer er aussehen wird soll Gerechtigkeit hergestellt werden. Ich frage mich,
was daran sozial ist, wenn es bei der Entlastung der Gutverdienenden bleibt und die Geringverdienenden den
Zuschuss, den sie beantragen können, über diverse Steuern selbst mitfinanzieren müssen.
({6})
Ich denke, das ist ein sozialpolitischer Skandal.
Der Finanzminister hat gestern eingestanden, dass die
derzeitige Rekordverschuldung nicht trivial ist und dass
es auch 2011 und 2012 schwerwiegende Entscheidungen
geben wird. In dieser Situation wollen Sie ein funktionierendes System umswitchen und Milliardenbedarfe für
den Haushalt erzeugen? Ich denke, das ist reine Klientelpolitik für Arbeitgeber und Gutverdienende. Das wird
die Linke nicht hinnehmen.
({7})
Ein Gesundheitsminister, der den Namen verdient,
müsste sich um die Gesundheitsleistungen kümmern,
unabhängig vom Portemonnaie, sowie um lebenswerte
und gesundheitsfördernde Bedingungen. Aber das Wort
Gesundheitsförderung kommt weder im Koalitionsvertrag noch im Haushalt vor. Hier ist die Koalition am
Werk, der es nicht um moderne Prävention und Gesundheitsförderung geht. Der schwarz-gelbe Gesundheitshaushalt ist unseres Erachtens altbacken. Hier wird weitergeführt, was nie funktionierte: Präventionskampagnen, Aufklärung und Modellprojekte, die nicht flächendeckend ausgeweitet werden. Ganz zu Recht hat der
GKV-Spitzenverband in seinem Präventionsbericht 2009
festgestellt, dass Arme von der Gesundheitsförderung
kaum erreicht werden, obwohl sie es am nötigsten hätten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die
die Kassen nicht alleine bewältigen können. Deshalb
wird die Linke Sie auch dieses Jahr wieder mit der Forderung konfrontieren, in den nächsten vier Jahren jeweils 1 Milliarde Euro für einen Fonds für Gesundheitsförderung und Prävention bereitzustellen, damit im
Gesundheitssystem ein Paradigmenwechsel stattfinden
kann. Ich denke, die Koalition mit ihrer fixen Idee völliger Eigenverantwortung wird nicht dazu fähig sein, diesen Paradigmenwechsel zu ermöglichen. Die Linke wird
aber weiter dafür streiten.
Danke.
({8})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Maria Klein-Schmeink das Wort.
Meine liebe Präsidentin! Meine lieben Kollegen und
Kolleginnen hier im Hause! Ich finde, die Debatte ist
bislang eigentümlich verlaufen; denn sie lässt zentrale
Fragen außen vor. Sie, die Koalitionsfraktionen, erlebe
ich als eine Mehrheit, die eigentlich nicht sprachfähig ist
und mit sehr unterschiedlichen Zungen redet. Ich erlebe
einen Minister, der im Wesentlichen sehr kurze und
überschaubare Sätze formuliert
({0})
und zentrale Aussagen vermissen lässt. Er wird auch
wissen, warum er auf zentrale Aussagen verzichtet; denn
er ist nicht sprachfähig.
({1})
Sie müssen nämlich die gemeinsame Melodie dessen,
was kommen soll, noch erzeugen. Deshalb bleibt es bei
Schablonen wie „fair“ oder „solidarisch“, ohne zu sagen,
wie diese Schablonen auszufüllen wären.
Wie wir alle wissen, haben Sie eigentlich ein Vorbild,
an das Sie sich auch ein bisschen angelehnt haben, nämlich das niederländische Modell. Das könnte man
durchaus etwas stärker ausführen, wenn man es denn
wollte. Aber man will nicht. Vor der Wahl in NRW will
man all das, was das niederländische Modell bedeutet,
nicht aussprechen; denn natürlich käme dann heraus,
dass es um Zusatzbelastungen für die Versicherten geht.
Das ist das A und O auf der einen Seite.
({2})
Ich will aber auch die andere Seite ansprechen. Sie reden davon, dass Sie die Ausgabenseite nicht aus den Augen verlieren und etwas tun wollen. Aber auch hier sagen Sie nicht, was Sie tun und welche Instrumente Sie
einsetzen wollen; denn Sie wissen ganz genau, dass es
dabei wieder um Verteilungsprobleme geht, die man vor
Wahlen besser nicht anspricht. Ich erinnere daran, wie
Sie von der FDP in den vergangenen Debatten aufgetreten sind und gesagt haben, wir müssten uns ehrlich machen. Aber das, was ich nun erlebe, ist das Gegenteil von
ehrlich. Das ist eigentlich eine Form von Wählertäuschung, die Sie bewusst in Kauf nehmen, um über die
NRW-Wahl hinwegzukommen.
({3})
Die SPD hat ebenfalls eine seltsame Haltung. Frau
Bas, ich habe mich über Ihren Beitrag sehr gefreut. Ich
finde, Sie haben die richtigen Zukunftsthemen genannt:
die demografische Entwicklung, die soziale Schieflage
und die mangelnde Steuerung bei Fehlversorgung. Aber
warum ist das nach so langer Zeit, in der die SPD an führender Stelle Gesundheitspolitik betrieben hat, nicht anders?
({4})
Dieser Frage müssen Sie sich stellen; das müssen Sie
den Wählerinnen und Wählern beantworten.
({5})
An die Adresse der Linken muss ich sagen: Unser
zentrales Problem ist nicht eine „Medikamententafel“,
sondern die Minimierung der Gesundheitsrisiken von sozial benachteiligten und einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen. Die Herausforderung heißt Prävention. Ich bin sehr gespannt, was Sie dazu vorlegen
werden.
Frau Kollegin, ich weiß, dass es subjektiv sehr ungerecht empfunden wird, wenn einem von seiner Fraktion
nur drei Minuten Redezeit zugebilligt werden. Aber Sie
sind nun schon über Ihrer Zeit. Sie müssen bitte zum
Schluss kommen.
({0})
- Das müssen wir jetzt verschieben.
Ich werde sehr genau darauf achten, wie Sie den Präventionsansatz ausgestalten und finanzieren wollen. Ich
habe das, was Sie gesagt haben, als Drohung aufgefasst
und Sie so verstanden, dass Sie hier quasi eine neue
Sparkasse aufmachen und Gelder einsammeln wollen.
Das werden wir im weiteren Prozess auf jeden Fall
thematisieren.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Stefanie Vogelsang für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister, wenn man sich Ihren Haushalt genau anschaut und sich vor Augen führt, dass
11,8 Milliarden Euro als Zuschüsse gewährt werden und
die Kompensation für die krisenbedingte Minderausgabe
3,9 Milliarden beträgt, denkt man, dass gar nichts mehr
übrig ist und dass die restlichen Geldsummen keine
Bedeutung haben. Ich finde aber, dass dieser geringe
Rest in Ihrem Haushalt eine ganz wesentliche Bedeutung
für das Gesundheitssystem und die gesundheitliche Situation in unserem Land hat.
Ich möchte mich nicht auf die Neuordnung der Krankenkassen in mehr oder weniger ideologischer Weise,
die einzelnen Ansätze, die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Schuldzuweisungen konzentrieren.
Ich möchte meinen Blick vielmehr auf einzelne Haushaltsthemen wie die Versorgungsforschung, die Leuchtturmprojekte zur Demenz, die Aktion für psychisch
Kranke, den Nationalen Krebsplan und nicht zuletzt
- dieser Punkt ist mir persönlich sehr wichtig - auf mehr
Wertschätzung für den Dienst am Menschen richten.
({0})
Für uns in der christlich-liberalen Koalition hat der
systematische Ausbau der Versorgungsforschung besonderes Gewicht; denn uns ist klar: Nur auf der Basis
genauer Erkenntnisse lassen sich die richtigen Schlussfolgerungen für das Fitmachen der Gesundheitsversorgung in der Zukunft ziehen. Wir wissen, dass der finanzielle Spielraum auch in Zukunft eng bleiben wird.
Gerade deshalb ist es wichtig, das Maximale an Leistungskraft und Qualität für die Menschen herauszuholen.
Das wiederum schafft man nur, wenn man die Erfordernisse unter Alltagsbedingungen möglichst exakt kennt.
In den zusätzlichen 12 Milliarden Euro für das Bundesministerium für Bildung und Forschung in dieser Wahlperiode ist ein kleiner Anteil - aber immerhin - an Forschungsgeldern für die Versorgungsforschung enthalten.
Darüber freue ich mich. Für die kommenden Haushalte
wird es aber wichtig sein, den Auftrag des Gesundheitsministeriums zur Sicherung der Gesundheitsversorgung
durch selbstständige und eigenständige Möglichkeiten
im Bereich der Versorgungsforschung zu flankieren.
Zurzeit gibt es 1,1 Millionen Menschen mit Demenz
in unserem Land. Bis zum Jahre 2030 wird sich diese
Zahl auf 1,7 Millionen erhöhen. Für das Jahr 2050 lautet
die Prognose 2,3 Millionen Menschen. Das ist eine Zahl,
die mir zumindest angst macht. Bisher gibt es kaum Erkenntnisse, wie die Krankheit verhindert werden kann,
und es gibt keine Heilungsmöglichkeiten. Weitere Forschung ist deshalb ein zwingendes menschliches Gebot.
Aber natürlich geht es nicht nur um die Erforschung der
Situation, sondern es ist auch wichtig, die gewonnenen
Erkenntnisse in die praktische Versorgung einfließen zu
lassen. Nur die Kombination von beidem ist nachhaltige
Politik.
Seit dem Haushaltsjahr 2008 läuft das auf zwei Jahre
angelegte Leuchtturmprojekt im Bereich der Verbesserung der Versorgung von Demenzerkrankten. Die Bundesregierung hat umfangreiche Mittel aufgewendet, um
zur Entwicklung und Erprobung neuer Pflegekonzepte
beizutragen. In diesem Jahr ist die Ausfinanzierung dieser Projekte etatisiert. Ab dem Haushaltsjahr 2011 wird
es darauf ankommen, Herr Minister, dass die gewonnenen Erkenntnisse nicht in einer Schublade verschwinden, sondern dass für die Einführung in die Praxis finanzielle Vorsorge getroffen wird. So funktioniert
nachhaltige Politik
({1})
aus Verantwortung für die Menschen, die kranken wie
den gesunden, aber vor allen Dingen aus Verantwortung
für unsere volkswirtschaftlichen Ressourcen.
Die institutionelle und projektbezogene Förderung
der Aktion Psychisch Kranke ist nicht erst seit dem Freitod unseres Fußballnationaltorhüters Robert Enke von
erheblicher Bedeutung. Aber durch dieses schreckliche
Geschehen ist uns allen bewusst geworden, dass die Erkrankungen der Seele zugenommen haben und dass wir
auf diesem Feld unbedingt weiter vorankommen müssen.
Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation zeigt,
dass weltweit 121 Millionen Menschen von Depressionen betroffen sind. In der Bundesrepublik Deutschland
sind sie die zweithäufigsten Leiden nach Herz-KreislaufErkrankung; hier leiden rund 4 Millionen Menschen an
dieser Erkrankung. 300 000 Fälle depressiver Erkrankung pro Jahr führen übrigens zu 11 Millionen Tagen
Arbeitsunfähigkeit in Deutschland. Dies scheint mir ein
wichtiges Handlungsfeld des Gesundheitsministers zu
sein, um nachhaltige Politik fortzusetzen. Ich bin froh
darüber, dass Sie, Herr Minister, die Ansätze so belassen
haben, wie sie etatisiert worden sind.
({2})
Sehr kontinuierlich arbeitet das Bundesgesundheitsministerium seit fast drei Jahren im Bereich der
Krebserkrankungen. Im Jahr 2008 hat die Bundesregierung die Maßnahmen im Kampf gegen den Krebs in
einem Nationalen Krebsplan gebündelt. In einer Gesellschaft, in der wir Menschen glücklicherweise immer älStefanie Vogelsang
ter werden, ist der Kampf gegen den Krebs aber auch
eine wachsende Herausforderung.
In Deutschland erkranken jährlich 430 000 Menschen
neu an Krebs; das sind die Zahlen vom letzten Jahr.
Mehr als die Hälfte der krebserkrankten Menschen stirbt
daran. Damit ist Krebs die zweithäufigste Todesursache
in Deutschland. Krebsfrüherkennung, Krebsvorsorge,
Strukturen für die Erkrankten und die Qualitätssicherung
müssen weiterentwickelt werden. Dies ist ein Gebot der
Menschlichkeit. Immer noch werden Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Brust- oder Prostatakrebs nur sehr unzureichend wahrgenommen. Dass dies
nicht so bleibt, daran müssen wir dringend weiterarbeiten. Dafür müssen wir dem Gesundheitsminister auch
die Ressourcen zur Verfügung stellen. Ich bin froh darüber, dass diese Ressourcen in Ihrem Bereich etatisiert
worden sind, Herr Minister.
Abschließend möchte ich auf einen Auftrag an diese
Regierung zu sprechen kommen, der nicht nur ein Auftrag an das Ministerium für Gesundheit ist, sondern
letztendlich ein Auftrag an die gesamte Regierung, vielleicht sogar ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Als
christlich-liberale Koalition wissen wir um die Bedeutung des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft, um die
Akzeptanz des Staates und um die Wichtigkeit der Solidarität. In unserer schnelllebigen, sich rasant entwickelnden Gesellschaft bekommt derjenige, der sich dem
Dienst am Menschen verpflichtet hat, viel zu wenig
Anerkennung
({3})
und vor allen Dingen viel zu wenig Wertschätzung. Dies
muss sich dringend ändern.
({4})
Wir brauchen mehr Wertschätzung für den Dienst am
Menschen. Wir müssen Angebote für Menschen verbessern, die Hilfe und Förderung brauchen. Die demografische Entwicklung und der Wandel im Zusammenleben
der Menschen in unserem Land stellen uns vor große
Herausforderungen.
Ich bekomme ein Zeichen der Präsidentin, dass meine
Redezeit abgelaufen ist. Das akzeptiere und vor allen
Dingen respektiere ich natürlich. Ich möchte nur noch
einen Gedanken zu Ende bringen.
Lieber Herr Minister, ich finde es vor dem Hintergrund der Wertschätzung, die wir für Menschen erbringen müssen, die Dienst am Menschen leisten, für unsere
Pflegerinnen und Pfleger, für die Krankenschwestern
und Krankenpfleger, für die Ärztinnen und Ärzte, sehr
wichtig, dass ihre Berufsfelder wieder das gesellschaftliche Image bekommen, das sie verdienen, und sie wieder
Zeit für den Menschen und Zeit für Zuwendung haben.
Ich halte es für einen Skandal, dass unsere Bundesländer
- das gilt übrigens vor allen Dingen für das Land Berlin ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Krankenhausfinanzierung im Bereich der baulichen Investitionen
nicht nachkommen. Letztendlich sind die Träger der
2 100 Krankenhäuser in Deutschland gezwungen, diese
Baumaßnahmen von den ihnen zur Versorgung der Menschen zur Verfügung stehenden Entgelten zu bezahlen.
Kollegin Vogelsang, die Redezeitüberschreitung kann
Ihnen nicht der Minister erlauben. Insofern bitte ich Sie
jetzt, einen Punkt zu setzen und diese Debatte in den dafür vorgesehenen Gremien fortzusetzen, bis wir hier zur
zweiten und dritten Lesung kommen.
Ich bitte Sie darum - das ist mein Auftrag an Sie -,
dass Sie dafür kämpfen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Karl Lauterbach für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! In dem Papier „Kernforderungen an
eine schwarz-gelbe Gesundheitspolitik“, erstellt durch
die Mitglieder der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/
CSU-Fraktion, heißt es:
Wir schlagen vor, die Arbeit des IQWiG
- also des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im
Gesundheitswesen als Dienstleister im Gesundheitssystem neu zu ordnen. Diese Neuausrichtung muss sich auch an der
personellen Spitze des Hauses niederschlagen.
Damit war die Rufmordkampagne gegen den Institutsleiter Peter Sawicki eingeleitet; die schwarz-gelbe Koalition hatte Sawicki zum Abschuss freigegeben. Die schäbige Art und Weise, einen unbequemen, aber
kompetenten Wissenschaftler zu diffamieren,
({0})
den die schwarz-gelbe Koalition nicht nur geduldet, sondern höhnisch lachend begleitet hat - das gilt übrigens
insbesondere für den heute nicht anwesenden Kollegen
Spahn -, ist beispiellos. Sie ist ein Tiefpunkt der deutschen Gesundheitspolitik der letzten Jahre.
({1})
Die Spender der CDU, Ferring Arzneimittel - 150 000
Euro im August 2009 -, Stefan Quandt, Mitinhaber der
Heel GmbH - 150 000 Euro im Oktober 2009 -, und andere, werden es Ihnen sicher danken.
({2})
Aber das werden sicherlich auch die Wähler tun. Der
Bürger ist nicht bereit, unwirksame Arzneimittel überteuert zu konsumieren und damit die Gewinne der Pharmaindustrie hier in Deutschland zu stützen.
({3})
Das IQWiG, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, so heißt es in den die
Koalitionsverhandlungen begleitenden Papieren, soll die
betroffenen Pharmaunternehmen demnächst früher in
die Verhandlungen einbinden. - Was bedeutet das konkret? Dass wir demnächst mit der Industrie wie auf einem Basar verhandeln müssen, zu welchen Bedingungen
ein Medikament verkauft und auch dann, wenn es nicht
wirkt,
({4})
angeboten werden darf. Vielleicht kommt es so weit,
dass diese Medikamente zumindest von den Gesunden
genommen werden; denn bei denen werden sie weniger
Schaden anrichten. Darum geht es doch, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({5})
Vielleicht hängen die Ergebnisse in Zukunft sogar davon
ab, wie groß die Spendenbereitschaft der Firmen ist.
Vielleicht werden die Ergebnisse vom IQWiG demnächst zu versteigern sein; auch darauf könnte es hinauslaufen.
({6})
Ähnlich traurig sieht es in der Krankenversicherung
aus.
({7})
Am Montag werden zahlreiche Krankenkassen erste Zusatzbeiträge ankündigen. Dagegen haben Sie, Herr Minister, nichts unternommen. Auch hier lachen die
schwarz-gelben Koalitionäre über den Bürger.
({8})
- Sie lachen; ich sage es ja.
({9})
- Sie lachen über den Bürger, natürlich.
({10})
Sie lachen über den Bürger, aber Ihnen wird das Lachen
noch vergehen. Gott sei es gedankt: Ihre Umfragewerte
sind schon gesunken. So dumm ist der Bürger nicht,
Herr Lanfermann.
({11})
Es wird bislang nicht konkret. Eben hat der Kollege
von der Union dem Minister für die klaren Worte gedankt. Ich persönlich muss ehrlich sagen - und ich habe
die gleiche Rede gehört -: Mit Verlaub, es waren leere
Worte. Konkret ist es nur in der Vergangenheit gewesen,
als angekündigt wurde, dass Apotheker und Fachärzte,
die Stammwähler der FDP - die FDP hat sich früher
selbst „Partei der Besserverdiener“ genannt -, vor Wettbewerb geschützt werden sollen. Für die PKV soll es
jüngere und gutverdienende Neumitglieder geben.
({12})
Die gesetzlich Versicherten können auf höhere Beiträge
und Zusatzprämien in Form von kleinen Kopfpauschalen
warten. Das ist das, was wir bisher konkret gehört haben
- im Gegensatz zu den leeren Worten, die wir heute erneut vernommen haben.
({13})
Der Cheflobbyist der privaten Krankenversicherung
wird Leiter der Grundsatzabteilung.
({14})
Der Grundsatz „privat vor öffentlich“ passt zu der Partei,
die den Staat als teuren Schwächling diffamiert.
({15})
Trotzdem sind die Lobbyisten offenbar auf den teuren
Schwächling Staat angewiesen; denn sonst würden sie
die FDP nicht - wie Baron von Finck - mit Spenden bedenken müssen.
({16})
Die Einstellung des PKV-Lobbyisten Weber als Leiter
der Grundsatzabteilung ist jedoch etwas Neues, etwas
anderes. Bisher wissen wir, dass der Lobbyist die FDP
bezahlt, um Einfluss zu gewinnen. Neu ist, dass der
Steuerzahler selbst demnächst den Lobbyisten zu bezahlen hat.
({17})
Im Gegenzug wird es dann vielleicht bei der PKV niedrigere Beiträge und günstigere Bedingungen für FDP-Mitglieder geben.
Ich schließe mit einer Empfehlung an den Minister:
Wenn für Sie die Interessen der Pharmaindustrie mehr
wiegen als die Interessen der Kranken, die die Medikamente brauchen, wenn für Sie die Interessen der PKV
mehr wiegen als die Beitragssätze für die gesetzlich oder
die privat Versicherten, wenn für Sie die Einkommensinteressen der Apotheker und der Fachärzte wichtiger sind
als die der Patienten und der Beitragszahler, dann werden Sie Minister für Wirtschaft und treten Sie die NachDr. Karl Lauterbach
folge des glück- und farblosen Kollegen Brüderle an, bevor Sie weiteren Schaden anrichten!
({18})
Wir als SPD werden in Kürze Vorträge dazu bringen,
({19})
wie die Praxisgebühr abzuschaffen ist, die uns damals
von der Union in den Nachverhandlungen im Bundesrat
aufgedrückt wurde. Wir wollen zurück zur Parität.
Kollege Lauterbach, achten Sie bitte auf das Zeichen
vor Ihnen.
Vielen Dank. - Frau von der Leyen kündigt an, zu
überprüfen, ob Schlecker zu niedrige Löhne zahlt,
gleichzeitig soll Schlecker aber bei den Arbeitgeberbeiträgen zur Krankenversicherung entlastet werden. Wir
wollen zurück zur paritätischen Finanzierung. Heute ist
es nicht an der Zeit, einseitig die Arbeitgeber zu entlasten.
({0})
Wir wollen auch weg von der Zweiklassenmedizin,
einer Medizin, bei der die Versorgungsqualität vom Einkommen des Bürgers abhängt.
Kollege Lauterbach, ich bin ein geduldiger Mensch,
aber ich habe auch einen Knopf, um das Mikrofon einfach auszuschalten.
Letzter Halbsatz.
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Es ist zu vermeiden, dass die Versorgungsqualität vom
Einkommen oder demnächst möglicherweise sogar von
der Parteimitgliedschaft abhängt.
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Das Wort hat die Kollegin Karin Maag für die
Unionsfraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Eines zeichnet sich jetzt hier sehr deutlich ab: Weite
Teile der Opposition - Herr Kollege Lauterbach, ich
schaue jetzt bewusst in Ihre Richtung - wollen die
Staatsmedizin.
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Sie sagen es nicht ganz deutlich, sondern versuchen, uns
soziale Kälte oder Klientelpolitik nachzuweisen.
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Das ist zu durchsichtig. Das ist Ihnen nicht gelungen.
Die christlich-liberale Koalition wird das Gesundheitswesen zukunftsfest machen,
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sodass es auch die künftigen Herausforderungen meistern kann.
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Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben ein
unglaublich kurzes Gedächtnis. Sie haben bekanntlich
den ersten Entwurf dieses Haushalts noch mitverantwortet. Für die gesamtgesellschaftlichen Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung war 2010 lediglich der
Bundeszuschuss in Höhe von 11,8 Milliarden Euro vorgesehen. Ich halte hier noch einmal fest: Im Entwurf der
christlich-liberalen Koalition ist ein weiterer Bundeszuschuss in Höhe von 3,9 Milliarden Euro zur Kompensation der krisenbedingten Mindereinnahmen veranschlagt. Insgesamt werden die Kassen 2010 damit
Bundeszuschüsse in Höhe von 15,7 Milliarden Euro erhalten.
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Der Etatansatz des Einzelplans 15 erhöht sich damit deutlich von 11,6 Milliarden Euro in 2009 auf 16 Milliarden
Euro in 2010.
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Damit stärken wir den Stellenwert des Gesundheitswesens und stellen es auf stabile finanzielle Füße.
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Wir als christlich-liberale Koalition haben uns ganz
eindeutig und von Anfang an - das betone ich ausdrücklich - zur solidarischen und sozialen Verantwortung
auch im Gesundheitssektor bekannt und tun das auch
weiterhin. Wir entlasten die gesetzlichen Kassen
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und sorgen dafür, dass die Menschen nicht zusätzlich
durch die Wirtschaftskrise belastet werden. Soziale
Kälte sieht aus meiner Sicht anders aus.
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Selbstverständlich werden wir auch in Zukunft unserer
sozialen Verantwortung gerecht. Wie Sie sich die Zu1458
kunft vorstellen, Frau Bender, dazu haben Sie leider gar
nichts gesagt.
Die Geschwindigkeit des medizinischen Fortschritts
nimmt rasant zu. Der demografische Wandel trifft uns jedoch erst in 15 bis 20 Jahren spürbar, wenn die geburtenstarken Jahrgänge, zu denen auch ich gehöre, in den Ruhestand gehen. Gleichzeitig müssen die Kassen
Beitragsausfälle verkraften: 13. Monatsgehälter werden
nicht mehr oder nur teilweise gezahlt. Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, aber auch soziale Errungenschaften wie
zum Beispiel die Arbeitszeitkonten tragen dazu bei, dass
Einnahmen fehlen.
Wir haben es im vergangenen Jahr gemeinsam geschafft, Frau Ferner und Herr Lauterbach, die Arbeitgeberbeiträge festzuschreiben und mit diesem Einstieg in
die Abkopplung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen zu stärken. Bis dahin gingen die Kostensteigerungen entweder zulasten der Lohnzusatzkosten - das
heißt, die Beiträge haben sich erhöht -, oder sie mussten
von den medizinischen Leistungserbringern im System
aufgefangen werden; ich nenne hier nur das Stichwort
Kostendämpfung. Das schadete einem Wachstumsmarkt
mit über 4,4 Millionen Beschäftigten.
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Wir bekennen uns ausdrücklich weiterhin zu dem,
was wir in den vergangenen vier Jahren mit Ihnen von
der SPD gemeinsam erreicht haben. Aber das muss weiterentwickelt werden. Wir können jetzt nicht stehen bleiben und die Herausforderungen dieser Zeit ignorieren.
Unsere Hauptaufgabe in den nächsten vier Jahren
wird es sein, den Einstieg in die stabile Finanzierung
weiterzuentwickeln und vor allem darauf zu achten, dass
die gesetzlich Versicherten damit nicht überfordert werden.
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Natürlich müssen wir auch die Ausgaben im Gesundheitsbereich im Griff behalten. Die Ausgaben für Forschung, Aufklärung und Prävention sind gut angelegt.
Es ist mit Sicherheit angebracht, dort zu investieren;
denn das erspart am Ende die hohen Krankheitskosten.
Ich nenne exemplarisch den Infektions- und den Gesundheitsschutz, den wir stärken müssen. Ich begrüße es
ausdrücklich, dass wir die Forschungsausgaben auch in
Krisenzeiten konstant halten. Zu den Stichworten Aufklärung und Prävention ist anzumerken, dass wir für eine
Sucht- und Drogenpolitik stehen, die Prävention, Therapie und Hilfe zum Ausstieg in den Mittelpunkt stellt.
In diesem Zusammenhang weise ich ausdrücklich auf
die HIV/Aids-Problematik und auf den Alkoholmissbrauch hin. Wir müssen vor allem dagegen ankämpfen,
dass das Thema Aids aus dem Fokus gerät. Die Mittel in
Höhe von insgesamt über 16 Millionen Euro stehen deshalb auch in einem Krisenhaushalt weiterhin ungekürzt
zur Verfügung. Besonders wichtig ist mir in diesem Zusammenhang auch das Thema Alkoholmissbrauch bei
Kindern und Jugendlichen. Im Vergleich zum Jahr 2000
ist die Zahl der stationären Behandlungen um 170 Prozent gestiegen, Frau Dyckmans. Allein 4 500 Kinder
zwischen 10 und 15 Jahren mussten im Jahr 2008 aufgrund einer Alkoholvergiftung stationär behandelt werden. Um diese Kinder und vor allem die Eltern dieser
Kinder zu erreichen, müssen wir neue Wege gehen.
Diese neuen Wege kosten Geld. Die Botschaft lautet:
Das Geld steht trotz Krise auch in diesem Haushalt weiterhin zur Verfügung.
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Ich fasse zusammen: Die Versicherten, die Patientinnen und Patienten, können bei der christlich-liberalen
Koalition sicher sein, dass ihnen weiterhin eine hochwertige, bezahlbare gesundheitliche Versorgung zur Verfügung steht. Die Leistungserbringer - die Ärzte, die
Zahnärzte, all diejenigen, die im Gesundheitssystem tätig sind - dürfen von uns eine faire Partnerschaft auch
im Hinblick auf ihre Vergütung erwarten. Wir werden
diesen Weg mit Entschiedenheit gehen. Ich bin mir sicher, dass es der bessere Weg ist.
Ihnen, Herr Minister Rösler, Ihren Mitarbeitern und
uns allen wünsche ich, dass wir das in den kommenden
Wochen gemeinsam erfolgreich gestalten.
Vielen Dank.
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Kollegin Maag, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Dazu gratulieren wir Ihnen recht herzlich
und wünschen Ihnen auch weiterhin viel Erfolg.
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Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
uns nicht vor.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 22. Januar 2010,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
einen erfolgreichen Abend, wozu auch immer Sie ihn
jetzt nutzen wollen.