Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Konzept der Bundesregierung „Globalisierung gestalten - Partnerschaften
ausbauen - Verantwortung teilen“.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido
Westerwelle. - Bitte schön, Herr Minister.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben heute im Bundeskabinett das bereits eingeführte
Konzept „Globalisierung gestalten - Partnerschaften
ausbauen - Verantwortung teilen“ verabschiedet. Das
setzt die Reihe der Konzeptionen in der Außenpolitik
fort, die wir mit dem Lateinamerikakonzept und dem
Afrikakonzept im letzten Jahr begonnen haben. Letzten
Endes geht es darum, zu erkennen, dass sich die Gewichte auf der Welt deutlich und dramatisch verschieben
und dass neue Gestaltungsmächte die Weltbühne betreten. Das Wort „Schwellenländer“, das in diesem Zusammenhang oft fällt, ist aus unserer Sicht unscharf; denn
erstens haben viele Länder, um die es hier geht, das
Schwellenstadium längst verlassen, und zweitens sind
viele Länder bereits dabei, sich nicht nur wirtschaftlich,
sondern auch politisch entsprechend zu entwickeln.
Die neuen Gestaltungsmächte zeichnen sich durch
drei Eigenschaften aus. Erstens. Es sind Länder mit einem zum Teil atemberaubenden wirtschaftlichen Erfolg
in ebenso atemberaubender Schnelligkeit. Zweitens. Es
sind Länder, die daraus - und zwar zu Recht - auch den
Anspruch ableiten, als politische Akteure die globalen
Entscheidungen mitzugestalten. Drittens. Es sind Länder, die mindestens regional als Ordnungskraft in Erscheinung treten. Diese drei Eigenschaften treffen auf
viele Länder zu. Deswegen haben wir auch keine abschließende Liste erstellt, die eine begrenzte Anzahl von
Ländern enthält, die künftig in unsere strategischen Partnerschaften enger einbezogen werden. Wir sind der
Überzeugung, dass sich die Umbrüche so schnell vollziehen, dass man keine abschließende Voraussage treffen
kann und dementsprechend auch keine abschließende
Liste vorlegen kann.
Es sind Länder, die uns in den Vereinten Nationen oft
genug kontrovers, aber in aller Regel auch mit vielen
Gemeinsamkeiten politisch begleiten. Es ist auch klar:
Wenn wir neue strategische Partnerschaften eingehen
und uns mit den neuen Gestaltungsmächten enger verknüpfen und vernetzen wollen, bedeutet dies keine Aufkündigung alter Freundschaften oder eine Abkehr von
alten Partnerschaften. Wir bauen unsere Politik zuallererst auf der europäischen Säule auf. Wir wissen, dass die
transatlantische Partnerschaft eine unverändert notwendige Achse und ein Bündnis ist, das unser Handeln prägt.
Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass sich
bestimmte Länder auf den Weg gemacht haben. Das
zieht viele Konsequenzen nach sich. Wir sehen das bei
der Diskussion über die Reform der Vereinten Nationen.
Diese Diskussion wird bei uns oft auf den Aspekt reduziert, dass Deutschland als einer der größten Beitragszahler ständiges Mitglied des Sicherheitsrates werden
will.
Aber in Wahrheit geht es natürlich darum, dass die
Verhältnisse unserer Zeit widergespiegelt werden. Lateinamerika und Afrika sind nicht ständig im Sicherheitsrat repräsentiert. Der asiatische Kontinent ist im Sicherheitsrat unterrepräsentiert. Das alles hat mit der
Realität, in der wir heute leben, wenig zu tun.
Wir müssen beispielsweise zur Kenntnis nehmen,
dass China die zweitgrößte Wirtschaftsmacht ist. Mittlerweile hat übrigens Brasilien Großbritannien überholt,
was die Wirtschaftskraft angeht. Alleine das besagt viel.
Es wird weitergehen: Hinter der Reihe bekannter großer
Champions gibt es längst eine zweite Reihe von Ländern
- mit all den Schwierigkeiten, wenn es um Themen wie
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit geht -, mit denen wir uns auseinandersetzen, beispielsweise Kolumbien, Vietnam, Indonesien; ich kann jetzt nicht alle auf18762
zählen. In der Wirtschaft gibt es den Begriff „Hidden
Champions“. Ich glaube, dieser Begriff trifft auch auf
die Politik sehr gut zu. Das sind Länder, die in der zweiten Reihe, noch etwas im Windschatten der großen Öffentlichkeit, stehen, die jedoch eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte vorweisen oder zumindest auf dem Weg
sind, eine solche zu schreiben.
Bei den Kriterien, die wir in unserem Konzept festgeschrieben haben, geht es in entscheidendem Maße um
Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, also
um unsere Werte. Aber auch unsere Interessen werden
definiert. Das Ganze muss in einen kohärenten Auftritt
der Bundesregierung münden. Alle Ressorts sind im
Rahmen ihrer fachlichen Zuständigkeit, die in keiner
Weise infrage gestellt wird, zunehmend international gefordert. Es ist aber notwendig, den Außenauftritt einheitlicher, effizienter und kohärenter zu gestalten. Der
Charme und der Sinn dieses Konzepts beruhen darauf,
dass es ressortübergreifend ist.
Die entsprechenden operativen Maßnahmen finden
Sie auch dort. Es ist ein Informationssystem, auf das regierungsintern zugegriffen werden kann, um zu synchronisieren, was international, beispielsweise im Hinblick
auf bestimmte Länderkreise, in denen strategische Diskussionen stattfinden, zu geschehen hat. Das leistet einen Beitrag dazu, die deutsche Außenpolitik schlagkräftiger und den Außenauftritt unseres Landes kohärenter
zu gestalten. Aber es ist auch das Ergebnis einer sich
verändernden Welt, die wir als eine Herausforderung,
aber vor allem als eine Chance begreifen, und zwar weit
über Wirtschaftsfragen hinaus.
Vielen Dank, Herr Präsident, für die Möglichkeit der
Einführung.
({0})
Vielen Dank, Herr Minister.
Bevor ich mit den Fragen beginne, möchte ich noch
auf unsere neue Farbregelung hinweisen. Zunächst
möchte ich an die Ein-Minuten-Regelung für Fragen und
Antworten erinnern. Für die Kolleginnen und Kollegen,
die an den letzten Befragungen der Bundesregierung
nicht teilgenommen haben, mache ich darauf aufmerksam, dass nun statt des akustischen Signals ein optisches
eingesetzt wird. Auf den bisherigen Anzeigen für die Tagesordnungspunkte rechts und links des Adlers sowie
oberhalb der Hammelsprungtüren wird eine Uhr sekundenweise rückwärtslaufen. Begleitet wird dies von einem Lichtsignal in Gestalt eines Farbfeldes: Grün, Gelb
und Rot. In den ersten 30 Sekunden zeigt das Farbfeld
Grün, gefolgt von Gelb. Nach Ablauf der 60 Sekunden,
also nach Ablauf der Redezeit, erscheint es dann rot. Einige kennen das schon, andere noch nicht. Deswegen
weise ich noch einmal ausdrücklich darauf hin.
({0})
Ich bitte, zunächst Fragen zum Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde.
Als Erster hatte sich der Kollege Dr. Schmidt von den
Grünen gemeldet. - Bitte schön.
Herr Außenminister, Sie haben gesagt, dass Sie offenlassen, wer genau zu den - in der Terminologie des Konzepts - neuen Gestaltungsmächten gehört und wer nicht.
Ich möchte die Frage politisch zuspitzen: Glauben Sie,
dass eine Erweiterung der G 20 notwendig ist, und wie
sehen Sie für die Zukunft die Gestaltung des Verhältnisses zwischen den G 20, die eine Parallelstruktur zu den
Vereinten Nationen bilden, und den Vereinten Nationen?
Es gibt die Tendenz, die Vereinten Nationen als geschwächt anzusehen, weil sehr viele Fragen im Rahmen
der G 20 behandelt werden und weil viele Länder, die
man zu den Gestaltungsmächten zählen könnte, dort
nicht vertreten sind. Wie lautet die konzeptionelle Antwort der Bundesregierung?
Bitte schön, Herr Minister.
Danke, Herr Präsident. - Herr Kollege Schmidt, das
Herzstück sind für uns natürlich die Vereinten Nationen;
sie sind das Herzstück unseres Konzepts einer multipolaren Welt und unserer Außenpolitik. Deswegen geht es
uns bei der Reform der Vereinten Nationen darum, sie zu
stärken. Die Vereinten Nationen werden aber nur stark
sein, wenn sie nicht die Verhältnisse nach dem Zweiten
Weltkrieg politisch widerspiegeln, sondern die unserer
Zeit widerspiegeln, das heißt, so wie die Gewichte heute
in der Welt verteilt sind. Deswegen ist eine Reform notwendig; wir werden sie weiter vorantreiben.
Ich bin nicht der Überzeugung, dass wir derzeit an einer Schwelle stehen, an der man die Erweiterung der
G 20 beschließen müsste. Aber ich muss Ihnen recht geben, Herr Kollege: Die G 20 werden zunehmend zu einem politischen Format; sie sind nicht mehr nur ein wirtschaftliches und finanzpolitisches Format. Auch dort
wird natürlich mehr und mehr die internationale Politik
besprochen. Zum Beispiel wird am Sonntag in einer Woche zum ersten Mal ein Treffen der Außenminister der
G-20-Länder in Mexiko stattfinden. Es ist sicherlich aussagekräftig, dass Mexiko, eine dieser neuen Gestaltungskräfte, dazu eingeladen hat.
Vielen Dank. - Die nächste Frage geht an den Kollegen Mützenich von der SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Herr Außenminister, dass Sie uns nicht nur heute, sondern auch
schon zuvor ein bisschen über dieses Konzept informiert
haben. Es ist offenkundig, dass es andere Länder insbesondere aufgrund ihrer wirtschaftlichen Prosperität
schaffen werden, auf der internationalen Bühne Einfluss
zu nehmen, und entsprechende Forderungen stellen.
Deswegen sollte man sich damit befassen.
Was mich zu einer Nachfrage zum Konzept der Bundesregierung provoziert, ist Ihr Kriterienkatalog, in dem
Sie insbesondere wirtschaftspolitische Kriterien erfasst
haben. Was ich ein bisschen vermisse, ist die Frage der
Interessenkoalition, also die Frage, ob wir überhaupt gemeinsame Interessen und insbesondere gemeinsame
Werte mit den besagten Ländern teilen, obwohl sie wirtschaftlich aufstrebend sind. Sie werden mit Sicherheit
dazu ein oder zwei Sätze sagen können. Mich interessiert insbesondere die neue Doktrin, die sich daraus ableiten lässt. Denn als es um die Lieferung von Panzern
nach Saudi-Arabien ging, lautete die Antwort der Bundeskanzlerin, die offensichtlich frühzeitig von diesem
Konzept Kenntnis gehabt hat: Hier handelt es sich um
eine Gestaltungsmacht in der internationalen Politik. Insofern interessiert mich, ob wir in nächster Zukunft
unsere Außenpolitik in enger Partnerschaft gerade mit
solchen Gestaltungsmächten betreiben.
Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Erstens. Herr Kollege
Mützenich, es ist richtig, dass die Bundeskanzlerin frühzeitig Kenntnis von diesem Konzept gehabt hat. Das ist
immer so: Bei allem, was wir tun, hat die Bundeskanzlerin selbstverständlich frühzeitig Kenntnis.
({0})
Das muss hier einmal klargestellt werden.
Zweitens, zur Gewichtung. Herr Kollege, Sie sprechen ein Spannungsfeld an, das man - das wissen wir
aus vielen Jahrzehnten deutscher Außenpolitik - natürlich nicht ignorieren kann; man muss nur sehen, dass
man es auflöst. Es gibt eine interessenorientierte und
eine werteorientierte Außenpolitik. In Wahrheit ist beides notwendig: Wir müssen unsere Interessen wahrnehmen und unsere Werte vertreten. In Wahrheit liegt die
Wahrung unserer Werte auch in unserem unmittelbaren
Interesse. Aus der deutschen Geschichte haben wir doch
gelernt, dass der Satz „Wandel durch Handel“ stimmt; er
hat sich in Europa als richtig herausgestellt. Er stellt sich
jetzt auch in anderen Regionen als richtig heraus. Aus
einer Intensivierung von Handelsbeziehungen und Wirtschaftsinvestitionen einerseits und der Verbreitung unserer rechtsstaatlichen Ideen andererseits einen Widerspruch herzuleiten, halte ich aus meiner Sicht daher für
nicht richtig; der Widerspruch trifft nicht zu. Wir müssen
beides zusammenbringen. Deswegen haben wir bei den
Aktionsfeldern, die wir aufgelistet haben, „Frieden und
Sicherheit“ als Nummer eins und „Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit“ als Nummer zwei genannt; „Wirtschaft und Finanzen“ folgen erst als Nummer drei. Wir
verändern Gesellschaften, wenn wir mit ihnen in Austausch treten. Manchmal geht es nur langsam oder gibt
es Rückschläge. Aus unserer Sicht ist dieses Konzept
aber richtig.
Herr Präsident, ich muss Ihnen sagen: Ich sehe da immer dieses rote Licht blinken;
({1})
da war mir das akustische Signal lieber.
({2})
- Frau Kollegin, es ist wahr: Ich habe mich in meinem
Leben eigentlich nicht von Rot aufhalten lassen wollen.
({3})
Aber nun ist die Regelung so. So streng wollen wir
das auch gar nicht sehen. Sie haben ja mitbekommen,
dass ich nicht interveniert habe.
Ich bin Ihnen dankbar. Ich bin schon - genauso wie
viele andere hier - seit viele Jahren Mitglied dieses Parlaments. Nun gibt es Anzeigetafeln, und es blinkt. Das
ist wohl die neue Welt.
({0})
Auch das Parlament ist reformbereit und reformfähig.
Es muss nicht allein an der Farbgebung des Warnsignales liegen.
({0})
Ich werde Ihre Bemerkung an den Präsidenten weiterleiten.
Jetzt hat das Fragerecht der Kollege Gehrcke von der
Fraktion Die Linke.
({1})
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Das war eine
schöne Überleitung, dass Sie sich von Rot nie haben aufhalten lassen. Aber ich hatte immer den Eindruck, dass
Sie sich von Rot immer sehr haben beeindrucken lassen.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Unterbrechung? Das bezog sich auf das besonders attraktive rote Kostüm
von Frau Kollegin Enkelmann in der ersten Reihe.
({0})
Das habe ich befürchtet. Das kann ich auch nachvollziehen.
Ihnen steht der schwarze Anzug auch sehr gut.
({0})
Herr Außenminister, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, dann haben Sie nichts anderes angekündigt als
eine neue außenpolitische Grundsatzdebatte, die aus Ihrer Sicht notwendig ist. Das finde ich gut. Ich will ausdrücklich begrüßen, dass Sie damit im Parlament und
nicht in Davos begonnen haben. Andere fangen so etwas
in Davos an - wir haben eine ganze Davos-Klasse -,
aber ich möchte es im Parlament debattiert wissen.
In Ihrer Heidelberger Rede betonen Sie die Notwendigkeit neuer fester Regeln und Gerüste. Bezieht sich
diese Notwendigkeit aus Ihrer Sicht auch auf die Wirtschaftspolitik, zum Beispiel auf die Fragen, ob man den
Handel mit Nahrungsmitteln anders regeln oder über die
Einführung der Tobin-Steuer erneut nachdenken muss?
Die FDP als Regulierungspartei ist eine neue Erscheinung für mich. Ich nehme das gerne zur Kenntnis und
würde mich gerne mit Ihnen darüber streiten.
Nun muss ich vorab eines klarstellen: Wenn ich für
die FDP spreche, dann spreche ich von den Reihen der
FDP aus. Wenn ich für die Bundesregierung spreche,
dann spreche ich - wie jetzt - von der Regierungsbank
aus. Ich will den Ball nicht aufgreifen - Herr Mützenich
hat es schon versucht; das hat auch jeder verstanden und auf innenpolitische Debatten eingehen. Dafür ist das
Konzept zu wichtig und zu ernst. Ich verstehe Ihre
Frage. In der Opposition hätte ich genauso nachgefragt.
Aber ich muss Ihnen sagen, Herr Kollege: So, wie Sie es
sagen, ist es auch beabsichtigt.
Ich teile Ihre Einschätzung der Notwendigkeit. Wir
müssen doch in Deutschland erkennen, dass es nicht genug ist, uns mit uns selbst zu befassen. Wir müssen in
Europa erkennen, dass es bei aller Notwendigkeit, die
Probleme zu lösen, nicht ausreicht, uns nur mit Europa
zu befassen. Das sage ich, der ich ein begeisterter Europäer bin. Die Welt befindet sich in einem Umbruch. Wir
führen die Debatte oft zu zentristisch. Wir meinen, wir
hätten den Taktstock fest in der Hand. Wir registrieren
aber mehr und mehr, dass auch andere nach dem Taktstock greifen. Die damalige Reise von Präsident Lula in
den Nahen und Mittleren Osten ist doch ein bemerkenswerter Einschnitt in der brasilianischen Außenpolitik gewesen. Wir reden doch hier weit mehr als über Wirtschaftspolitik.
Es geht darum, dass die neuen Gestaltungsmächte aus
ihrer enormen Wirtschaftskraft einen politischen Gestaltungsanspruch herleiten. Wir müssen nicht erst nach
Asien, Afrika oder Lateinamerika blicken. Nehmen wir
als Beispiel die Türkei. Ich will gar nicht Bezug auf das
Verbindende und Trennende in den Diskussionen nehmen - das ist nicht mein Thema -, aber es ist erkennbar,
dass die Türkei nach einer zehnjährigen Erfolgsgeschichte ihrer Wirtschaft vor dem Hintergrund, dass
Ägypten, wo die Lage im Augenblick sehr schwierig ist,
an Einfluss in der Region verloren hat, und angesichts
der Vorgänge im Iran die außenpolitische Strategie verfolgt, sich als Gestaltungsmacht und Gestaltungskraft in
der Region stärker zu engagieren. Deshalb würde ich es
sehr begrüßen, Herr Kollege - das sage ich in vollem
Ernst -, wenn der Bundestag und die Regierung jenseits
aller Parteigrenzen es schaffen würden, gemeinsam eine
Debatte über die Ausrichtung und die grundsätzliche Bedeutung unserer Außenpolitik zu führen.
Ich sage Ihnen voraus: Worüber wir hier reden, wird
die deutsche Außenpolitik nicht weniger verändern als
die Westintegration, die neue Ostpolitik, die europäische
bzw. die deutsche Wiedervereinigung. Die Welt verändert sich. Wir müssen meines Erachtens dabei sein und
- am besten - schneller sein als andere.
({0})
Herr Gehrcke, Sie können sich gerne zu einer neuen
Frage melden. - Jetzt hat die Kollegin Kerstin Müller
das Fragerecht.
Herr Außenminister, ich weiß nicht, ob das ein Plädoyer dafür ist, dass im Grunde genommen auch die
Türkei als Gestaltungsmacht einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat haben müsste. Das zeigt wiederum, dass Sie
sich nicht festlegen wollen, welche Staaten Sie eigentlich meinen. Das verunklart die ganze Sache.
Meine Frage, anknüpfend an die Frage von Herrn
Gehrcke, betrifft das Verhältnis von Menschenrechten
zur Wirtschaft. Auch dazu wird in Ihrem Konzept etwas
gesagt. Was ich allerdings vermisst habe, ist die Bindung
der Außenwirtschaftsförderung an die Einhaltung der
Menschenrechte. Sie sprechen zwar davon, dass das
wichtig ist, aber das fehlt im Konzept. Ist das nicht mehr
vorgesehen? Welche konkreten Schritte sind geplant, um
zum Beispiel den Menschenrechtsdialog zu stärken?
Zu Ihrer konkreten Frage kann ich Ihnen Folgendes
versichern: Der Menschenrechtsdialog ist ein wesentlicher Teil unserer Außenpolitik. Er wird zum Beispiel
auch mit den Ländern vorangetrieben, bei denen wir uns
Sorgen um die Menschenrechtslage machen und zu denen wir gute Wirtschaftsbeziehungen unterhalten. Wir
befinden uns beispielsweise in einem intensiven Rechtsstaatsdialog mit China. Wir nutzen diese Formate, um
Einfluss auszuüben. Oft erreicht man schon etwas, wenn
man den Dialog auf eine Art und Weise führt, die der anBundesminister Dr. Guido Westerwelle
deren Seite gewisse Bewegungsspielräume eröffnen.
Wie Sie wissen, habe ich mich für einige Persönlichkeiten sehr engagiert. Wir konnten so bei bestimmten
Einzelschicksalen helfen und zu einer guten Lösung
kommen. Ich sehe keinen Gegensatz zwischen Wirtschaftspolitik und der Notwendigkeit, einen Rechtsstaats- und Menschenrechtsdialog zu führen. Beides gehört zusammen.
Übrigens sind einige Länder beispielhaft genannt - so
unscharf, wie Sie sagen, ist das Konzept nicht; es gibt
nur keine abschließende Liste über die Gestaltungsmächte -: Ägypten, Argentinien, Brasilien, Chile, China,
Indien, Indonesien, Kasachstan, Katar, Kolumbien, Republik Korea, Malaysia, Mexiko, Nigeria, Singapur,
Südafrika, Vereinigte Arabische Emirate und Vietnam.
Das sind die Länder, die expressis verbis im Konzept genannt werden. Sie sehen: Es ist sehr viel präziser, als Sie
meinen. Es ist natürlich das Recht des Deutschen Bundestages, nachzufragen.
Vielen Dank. - Jetzt hat der Kollege van Aken von
der Fraktion Die Linke das Fragerecht.
Vielen Dank. - Erst einmal begrüße ich diese Diskussion. Ich denke, wir sollten sie führen. Sie haben in Ihrer
Heidelberger Rede auf das Ziel einer multipolaren Welt
abgehoben. Dies teilen wir auch. Allerdings ist der Weg
dahin wahrscheinlich schwierig.
Mir ist aufgefallen, dass Sie in der Antwort auf die
Frage des Kollegen Gehrcke drei Länder erwähnt haben,
nämlich Brasilien, die Türkei und den Iran. Da stelle ich
mir die Frage: Was genau ist denn in Ihren Augen eine
strategische Partnerschaft? Genau diese drei Länder waren vor kurzem Thema. Als es um den Atomkonflikt mit
dem Iran ging, waren es gerade die Gestaltungsmächte
Brasilien und Türkei, die versucht haben, einen Deadlock zwischen dem Westen und dem Iran aufzulösen.
Aber die politische Gestaltungskraft dieser beiden Länder wurde von Ihnen nicht genutzt. Daher befürchte ich,
dass es sich bei Ihrem Konzept weniger um ein außenpolitisches Konzept als eher um ein Außenwirtschaftskonzept handelt. Ein solches Konzept kann man durchaus verfolgen. Aber es bietet keine Grundlage für eine
Grundsatzdebatte über außenpolitische Perspektiven der
Bundesrepublik.
Wenn ich in Ihrer Heidelberger Rede dann noch lese,
dass die Übereinstimmung von Werten und Interessen sicherlich deutsche Unternehmen im Ausland stärken
wird, dann muss ich feststellen, dass das nichts mit Wandel durch Handel zu tun hat. Wandel durch Handel bedeutet, nicht nur Arbeitsplätze hier in Deutschland zu
schaffen, sondern auch gerechte Wirtschaftsbeziehungen
zwischen den Ländern herzustellen.
Erstens. Blenden Sie weiterhin die politische Dimension aus, so wie Sie es bei den Gestaltungsmächten Türkei und Brasilien im letzten Jahr getan haben? Zweitens.
Wie wollen Sie eigentlich gerechte Weltwirtschaftsbeziehungen herstellen, wenn Sie - wie in Ihrer Rede in
Heidelberg - ausschließlich die Interessen deutscher Unternehmer im Blick haben?
Ich würde sagen: Das ist eine selektive Perzeption,
({0})
weil ich, Herr Kollege van Aken, keinem meiner Texte,
weder meiner Heidelberger Rede noch diesem Konzept,
entnehmen kann, was Sie sagen, ganz im Gegenteil.
Nehmen wir beispielsweise die Unternehmen: Ich
glaube, dass die Investitionen deutscher Unternehmen
im Ausland erstens in unserem wirtschaftlichen Interesse
liegen, zweitens im wirtschaftlichen Interesse der Gastländer liegen und drittens dadurch ein Stück weit auch
unser Werteverständnis vermittelt wird. Wenn Sie nach
Südafrika gehen - dort gibt es Niederlassungen großer
deutscher Firmen - oder nach Brasilien - in São Paulo
gibt es die größte deutsche Wirtschaftsgemeinde außerhalb von Europa und Nordamerika -, stellen Sie fest,
dass die Arbeitsplätze, die deutsche Unternehmen in diesen Ländern geschaffen haben, sehr begehrt sind. Das
liegt nicht nur daran, dass diese Unternehmen gut zahlen, sondern auch daran, dass sie bis hin zur Gesundheitsversorgung deutsche Standards bieten. Dabei geht
es um unser Verständnis von sozialer Marktwirtschaft,
um ökologische Kriterien oder Fragen der Gesundheitsversorgung. Unser Verständnis von verantwortlicher Unternehmensführung wird durch deutsche Firmen in den
Gastländern vermittelt. Deutsche Unternehmen, die
weltweit tätig sind, sind in Wahrheit auch Botschafter
unseres Landes. Deswegen achten wir gemeinsam mit
den Außenhandelskammern, die beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt sind, darauf, dass das
vernünftig zusammenpasst.
Zu Ihrer konkreten Frage zur Türkei, zu Brasilien und
dem Iran: Ich kann das, was Sie gesagt haben, überhaupt
nicht erkennen. Möglicherweise sehen Sie das etwas anders, als es tatsächlich gewesen ist. Es waren zwei Initiativen. Bei der ersten Initiative von Brasilien und der Türkei habe ich, wie Sie wissen, immer wieder gesagt, dass
man dieser eine Chance geben muss. Allerdings kam
dann der Punkt, an dem man erkennen musste, dass sich
der Iran auf gar keine Weise beeindrucken lässt. In einem solchen Fall - das muss ich Ihnen sagen - kann es
nur eine gemeinsame Antwort geben. Diese Antwort
lautet in meinen Augen ganz klar - das liegt nicht nur im
Sicherheitsinteresse der Region, sondern auch in unserem gemeinsamen Interesse -: Eine atomare Bewaffnung des Iran kann nicht akzeptiert werden. - Das liegt
im strategischen Interesse unserer Außenpolitik. Deswegen haben wir scharfe Sanktionen beschlossen, die übrigens zu wirken beginnen. Ich kann darin keinen Widerspruch erkennen. In meinen Augen hat die
Bundesregierung das Recht und die Pflicht, sich Gedanken über die Sicherheitslage in dieser Region zu machen, nicht nur wegen der besonderen Verantwortung
gegenüber Israel, sondern auch, weil es um uns selbst,
um unser Koordinatensystem in Europa geht.
Vielen Dank. - Jetzt geht das Fragerecht an die Kollegin Beck von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, Konzepte sind das eine; sie mit Leben
zu erfüllen, ist das andere, das Schwierigere.
Erste Frage. Sie haben eben gesagt, es sei eindeutig
belegt, dass es Wandel durch Handel gebe. Gestern hat
eine Pressekonferenz des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft stattgefunden. Dabei ist von einer deutlichen Zunahme des Handels mit Russland im Jahr 2011
berichtet worden. Kann man denn in Russland tatsächlich eine Korrelation zwischen wirtschaftlicher Entwicklung einerseits und der Zunahme von Rechtsstaatlichkeit
und der Abnahme von Korruption andererseits feststellen?
Zweite Frage. Welche Chancen sehen Sie in der Verbindung von Politik und Wirtschaft? Ich denke an den
Fall Chodorkowski, in dem es nicht nur um menschenrechtliche Fragen geht. Alle russischen Akteure bestätigen, dass der skandalöse zweite Prozess die Türen für
eine kriminelle, mafiöse Energie geöffnet hat, die dazu
führt, das man sich an Unternehmen regelrecht bedient.
Würde das, was wir seitens der Politik machen, nicht unterstützt, wenn der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft als Vertreter deutscher Interessen rechtsstaatliche
Verlässlichkeit einklagen würde, die mit dem Vorgehen
in den Fällen Chodorkowski und Lebedew nicht zusammenpasst?
Frau Kollegin, Sie wissen, dass ich mich zu dem von
Ihnen explizit genannten Fall mehrfach eingelassen habe
- das gilt übrigens für die gesamte Bundesregierung -,
und zwar nicht nur in internen Gesprächen, sondern auch
öffentlich. Wir haben das immer kritisch begleitet und es
an den notwendigen öffentlichen Äußerungen nicht fehlen lassen, und zwar nicht nur hier, sondern zum Beispiel
auch im Rahmen der Pressekonferenz, die ich in Moskau
gemeinsam mit Sergej Lawrow gegeben habe.
Ich glaube, dass Sie recht haben. Es sollte unser gemeinsames Anliegen sein, also das Anliegen von Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt, die Bürgerrechte,
die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit voranzubringen.
Es sind die Nichtregierungsorganisationen, es ist die
Politik, und es ist - das sage ausdrücklich - auch die
Wirtschaft, die ein Interesse daran haben; denn es ist offenkundig: Ohne Investitionssicherheit - das setzt Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung voraus - sind
Investitionen sehr gefährdet. Deswegen wird das keinen
Beitrag leisten.
Sie haben gleich am Anfang gesagt - da kann ich Ihnen nur recht geben -: Die Konzepte formulieren die
strategische Ausrichtung; die Mühen der Ebene werden
entscheiden, ob es gelingt. Daran gibt es keinen Zweifel.
Jedes Konzept muss sich in der Praxis bewähren. Deswegen ist es ein lernendes Konzept; denn wenn wir sehen, dass es in einigen Ländern anders geht, müssen wir
unsere Schlüsse daraus ziehen und die Politik entsprechend ändern.
Das sind die Antworten, die ich Ihnen dazu geben
kann.
Zu der Frage, ob es immer einen Zusammenhang zwischen einer Intensivierung des Handels und einer Verbesserung der Menschenrechtslage gibt, sage ich Ihnen:
Nein, kurzfristig oftmals nicht. Auf den kurzen Linien
erleben wir oftmals Ausschläge in die Richtung, die genau gegenteilig zu der von Ihnen gewünschten ist. Auf
den langen Linien aber können wir erkennen, dass, wenn
sich Gesellschaften öffnen und durch Wandel und Austausch miteinander ins Gespräch kommen, sehr wohl
auch Werte vermittelt werden. Das ist die große Chance.
Die Globalisierung ist kein wirtschaftlicher Prozess. Sie
ist in Wahrheit ein Prozess der Vernetzung der Welt, einschließlich Ansichten, Werten und Lebensstilen.
({0})
Vielen Dank. - Eine weitere Frage stellt Herr
Mützenich.
Danke, Herr Präsident. - Herr Außenminister, ich
versuche, so zu fragen, dass Sie Ihre Ausführungen jetzt
etwas konkretisieren können. Sie haben davon gesprochen, wie wichtig Regeln und Normen in der internationalen Politik sind und dass sich die deutsche Außenpolitik daran orientiert. Können Sie uns hier im deutschen
Parlament erklären, ob eine der von Ihnen identifizierten
neuen Gestaltungsmächte einen für Sie wegweisenden
Vorschlag im Hinblick auf die Fortentwicklung des Völkerrechts gemacht hat, auf dessen Grundlage Sie gerne
in Kooperation mit dieser Gestaltungsmacht vorangehen
wollen? Das fände ich interessant; denn das würde auch
eine neue Partnerschaft begründen.
Zum Zweiten. Sie haben davon gesprochen, dass es
jetzt andere Rahmen gibt als G 8 und G 20. Glauben Sie
nicht, dass es eine Kollision mit dem Völkerrecht ist,
wenn sich hier Institutionen bilden, die eigentlich keine
Legitimität, sondern sozusagen eine Spontanität haben,
während Institutionen wie die Vereinten Nationen dadurch etwas entwertet werden? Wie wollen Sie dem entgegengehen?
Zum Dritten würde mich interessieren: Wie haben die
sogenannten alten Partner auf Ihr Konzept reagiert? Begrüßen sie es? Wollen sie sich daran beteiligen? Vielleicht können Sie uns im Deutschen Bundestag darüber
ein bisschen aufklären.
Vielen Dank, Herr Kollege Mützenich. - Zu der Frage
hinsichtlich der Vereinten Nationen kann ich nur noch
einmal sagen: Für mich und für die deutsche Bundesregierung sind die Vereinten Nationen das Herzstück;
das hatte ich bereits am Anfang meines einleitenden kurzen Berichts gesagt. Ich kann nur wiederholen: Ob die
Vereinten Nationen eine Zukunft haben, liegt an und entscheidet sich in den Vereinten Nationen. Es geht darum,
ob sie es schaffen, ihre Strukturen zu verändern. Ich
werde immer zu denen zählen, die die Vereinten
Nationen stärken und - auch das wissen Sie - der Überzeugung sind, dass wir dieses Gremium in unserer
multipolaren Welt brauchen, selbst wenn die Entscheidungsfindung dort manchmal langwierig ist oder Entscheidungen getroffen werden, die wir in keiner Weise
akzeptieren können, wie jüngst bei Syrien. Trotzdem ist
es wichtig, dass wir so weitermachen.
Zweitens. Ja, es gibt Überlegungen bezüglich des
Völkerrechts; es wird über die Weiterentwicklung des
Völkerrechts diskutiert. Wir haben gelegentlich schon an
anderer Stelle zum Beispiel darüber gesprochen, inwieweit die Responsibility to Protect einhergeht mit der
Capability to Protect; das befasst uns alle aktuell sehr.
Natürlich gibt es auch beim Völkerrecht Entwicklungsnotwendigkeiten. Das Völkerrecht zeichnet sich ja dadurch aus, dass es sich weiterentwickelt, ohne dass dafür
Gesetze verabschiedet werden. Das Ganze ist eine
Rechtsentwicklung, die sich in der Praxis durch Taten
zeigt.
Ich komme zu Ihrer Frage hinsichtlich der anderen,
der alten Partnerschaften. Herr Kollege Mützenich, ich
will es einmal so sagen: Als die Vereinigten Staaten von
Amerika angekündigt haben, sie würden ihre Truppenpräsenz in Deutschland zurückführen, haben wir dies
verständlicherweise zunächst dahin gehend beäugt und
hinterfragt, was es für diesen oder jenen Standort im
ländlichen Raum bedeutet. In Wahrheit ist dies Ausdruck
der Tatsache, dass sich auch andere Länder über die
neuen strategischen Partnerschaften und Entwicklungen
in der Welt Gedanken machen.
Die Amerikaner verfolgen die Strategie von Hillary
Clinton und sagen: Wir müssen im asiatisch-pazifischen
Raum präsenter sein. Das liegt in unserem Interesse. Gleichzeitig sagen sie: Europa ist unser bester Freund.
Europa ist unser stärkster und wichtigster Partner. - Das
haben Hillary Clinton und Leon Panetta gerade erst am
letzten Wochenende in München erklärt. Die Amerikaner sagen aber auch: Wir müssen uns neue strategische
Optionen eröffnen. - Deswegen kam es zu der Initiative
im Hinblick auf Myanmar, und deswegen findet auch die
Ausrichtung auf den asiatisch-pazifischen Raum statt.
Ich bin nicht der Überzeugung, dass wir hier hintanstehen sollten. Ich bin der Überzeugung: Eine kluge
Außenpolitik beobachtet diese Entwicklungen und versucht, voranzugehen und rechtzeitig Optionen zu eröffnen, die im eigenen Interesse sind. Das Fundament sind
dabei natürlich unsere alte Freundschaft mit den USA,
genauso aber auch die europäische Integration. Von diesem Fundament ausgehend sind allerdings auch neue
Partnerschaften und neue Freundschaften dringend notwendig. Wir würden einen Fehler machen, würden wir
die Zeichen der Zeit nicht erkennen.
Vielen Dank. - Jetzt hat der Kollege Gehrcke von der
Fraktion Die Linke das Wort.
Ich möchte der Debatte, die folgen wird, nicht vorgreifen; ich bin allerdings schon sehr gespannt. Sie wird
hoffentlich Spaß machen und einen Erkenntnisgewinn
liefern.
Politik hat in einem bestimmten Umfang immer auch
etwas mit Symbolik zu tun. Ich war gerade erst zusammen mit meiner Kollegin Frau Enkelmann in Israel und
Palästina und habe gespürt, wie bedrückend die Situation in beiden Gebieten ist. Kann ich davon ausgehen,
dass Ihre Erklärung, die diplomatischen Vertretungen
Deutschlands in Palästina und Berlin würden zu Missionen, die Botschaftscharakter haben, aufgewertet, zum
Teil ein politisches Signal ist, dass Deutschland diesem
Problem, über seine Haltung in der Vollversammlung der
Vereinten Nationen hinaus, Aufmerksamkeit schenkt?
Die Bundesregierung wendet sich gegen unilaterale
Schritte; das haben wir mehrfach deutlich gemacht. Wir
glauben, dass einseitige Schritte, egal auf welcher Seite,
dazu führen, dass der Gesprächsfaden dünner wird. Wir
hingegen wollen den Gesprächsfaden festigen. Das war
auch der Grund für meine gerade erst zu Ende gegangene Reise nach Israel und Ramallah.
Einerseits haben wir unseren Beitrag dazu geleistet,
der palästinensischen Führung noch einmal zu verdeutlichen, dass aus unserer Sicht die Fortsetzung der Gespräche sinnvoll ist, auch jenseits der Ereignisse des 26. Januar dieses Jahres. Andererseits bemühen wir uns nach
besten Kräften, unsere israelischen Freunde davon zu
überzeugen, dass dies natürlich auch bedeutet, dass sie
selbst durch vertrauensbildende Maßnahmen einen Beitrag dazu leisten sollten.
Was wir dazu im Detail besprochen haben, werde ich
vor der Öffentlichkeit nicht ausbreiten; denn es soll wirken. Es geht hier nämlich nicht um Symbole, sondern
um einen konkreten Beitrag. Dass uns die derzeitige Situation allergrößte Sorgen macht, daran besteht kein
Zweifel.
Was die Aufwertung der Diplomatischen Mission Palästinas in Berlin angeht, so ist dies eine Entscheidung,
die bereits von 18 anderen EU-Mitgliedstaaten getroffen
worden ist, darunter auch von jenen Ländern, die gerade
in der Nahostpolitik bei den Vereinten Nationen in New
York die identische oder eine sehr ähnliche Haltung wie
wir vertreten haben und vertreten.
({0})
Vielen Dank. - Jetzt eröffne ich dem Kollegen
Wellmann die Möglichkeit, die letzte Frage zu diesem
Themenbereich zu stellen. Bitte schön.
Herr Minister, vielleicht können Sie uns von der
Sorge befreien, dass das Papier an einer kleinen Schwäche leidet. Wir sagen ja: Das Konzept betrifft nicht die
Länder, mit denen wir im Rahmen von NATO, EU und
G 8 zusammenarbeiten. - Die G 8 schließt Russland ein.
Wir gehen davon aus, dass die Zusammenarbeit mit
Russland in Anbetracht der Globalisierung wichtig ist.
Besteht zu Recht die Sorge, dass wir Russland einerseits
außen vor lassen, indem wir das Land in dem Papier expressis verbis ausschließen, obwohl andererseits die
enge Zusammenarbeit mit Russland zur Stärkung der
europäischen Position ein ganz wichtiger Faktor ist - das
ist aus vielen Gründen so, unter anderem aufgrund der
Rohstoffbasis des Landes -, wenn wir weltweit eine
Rolle spielen wollen?
Herr Präsident, ich bin der Erste, der die Gelbphase
eingehalten hat. Das möchte ich fürs Protokoll feststellen.
({0})
Sie hätten auch gerne ein wenig überziehen können.
Das wäre kein Problem gewesen. - Herr Minister, zur
Antwort. Bitte schön.
Herr Kollege Wellmann, ich nehme Ihre Frage zum
Anlass, einige grundsätzliche Bemerkungen dazu zu machen.
Ich glaube, dass der gesamte Deutsche Bundestag
vom Stimmverhalten Russlands im Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen sehr enttäuscht gewesen ist.
({0})
Ich vermute, dass wir alle der Auffassung sind, dass dieses Veto Russland auf die falsche Seite der Geschichte
stellt. Gleichzeitig werden wir alles dafür tun, um unsere
Anstrengungen, den Druck auf das Regime Assad zu
vergrößern, fortzusetzen. Ich kann hier heute auch kein
erneutes Vorlegen von entsprechenden Initiativen im Sicherheitsrat ausschließen. Darüber sind wir engstens im
Gespräch.
Trotz dieser Kritik, die ich sehr deutlich gemacht
habe, bin ich der Überzeugung: Es gibt Interessen, die
wir unbedingt gemeinsam mit Russland wahrnehmen
müssen. Ich nenne zwei Beispiele: Wir wissen, wie
wichtig die Transitwege Russlands für den AfghanistanEinsatz sind, und die Initiativen zur Drogenbekämpfung
können wir nur gemeinsam umsetzen. Auch hier arbeiten wir engstens zusammen.
Das Strategische Konzept der NATO wurde in Lissabon beschlossen und wird in wenigen Wochen in Chicago weiterdiskutiert. Ich sage Ihnen voraus: Sicherheit
hier bei uns, auf unserem Kontinent, hier, wo wir jetzt
stehen und sprechen, wird es nicht gegen, sondern nur
mit Russland geben. Trotzdem ist es richtig, dass es
Dinge gibt, die wir scharf kritisieren, beispielsweise das
Veto in Sachen Syrien im Sicherheitsrat. Es ist aber eben
auch richtig, dass wir in unseren Bemühungen nicht
nachlassen.
Das, was Frau Kollegin Beck gesagt hat und was auch
andere immer wieder sagen, geht mir genauso zu Herzen
wie Ihnen. Wenn ich die Bilder und die Menschen sehe,
die in ihren Freiheitsrechten verletzt werden und nicht
auf die Straße gehen können, weil sie wirklich um Leib
und Leben fürchten müssen, dann geht es mir wie jedem
anderen in diesem Hause auch. Als Außenminister habe
ich aber gleichzeitig die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass
wir unseren Einfluss dadurch behalten, dass der Gesprächsfaden eben nicht reißt. Das ist der eigentliche
Punkt, auch dann, wenn unsere Entscheidung ganz anders aussieht.
Wir müssen übrigens zur Kenntnis nehmen: Die
neuen Gestaltungsmächte werden nicht nur Entscheidungen treffen, die uns politisch in den Kram passen, sondern sie werden auch Entscheidungen treffen, die uns
und möglicherweise den gesamten Westen fordern. Der
Westen war für mich immer mehr als eine strategische
und eine geografische Komponente; er war für mich immer eine Wertegemeinschaft. Das ist der eigentliche Inhalt des Begriffs des Westens. Auch damit müssen wir
uns auseinandersetzen.
Das, was Sie sagen, ist richtig: Gerade das Verhältnis
zu Russland wirft Fragen auf. Trotzdem bin ich der
Überzeugung: Die Bundesregierung fährt richtig damit,
das Verhältnis zu Russland nach besten Kräften engstens
zu gestalten; denn die Russen sind unsere Nachbarn, und
das bleiben sie. Sie sind eine große Macht in einer multipolaren Welt.
Vielen Dank, Herr Minister. - Wir kommen jetzt zu
Fragen, die andere Themen der heutigen Kabinettssitzung betreffen. - Frau Pau, Sie haben das Wort. Bitte
schön.
Danke, Herr Präsident. - Das Bundeskabinett hat
heute die Bildung einer Bund-Länder-Kommission zum
Rechtsterrorismus gebilligt. Ich frage die Bundesregierung: Mit welchen Erwartungen und welchem konkreten
Auftrag wurde diese Billigung vollzogen, und auf welcher Geschäftsgrundlage wird diese Bund-Länder-Kommission tätig werden? Ich kann noch deutlicher fragen:
Hat die Bundesregierung vor, dieser Bund-Länder-Kommission Einblick in die Dateien, Akten und Vorgänge bei
den Bundesbehörden zu gewähren, die in diesem Zusammenhang in den letzten 10 bis 15 Jahren tätig wurden?
Herr Staatsminister von Klaeden ist zur Beantwortung
bereit. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Frau Kollegin Pau, die paritätisch besetzte Bund-Länder-Kommission ist mit dem Ziel eingesetzt worden, die
Form der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden der
Länder und des Bundes zu analysieren und zu bewerten.
In diesem Zusammenhang wird auch die Bundesregierung die Bund-Länder-Kommission im Rahmen der Gesetze bei ihrer Arbeit unterstützen. Das ist selbstverständlich.
Die Frage nach der Akteneinsicht oder der Zurverfügungstellung von Datensätzen kann ich jetzt so pauschal
nicht beantworten, weil diese, wie sicherlich auch Ihnen
bekannt ist, jeweils unterschiedlichen Vorschriften unterliegen. An diese wird sich die Bundesregierung selbstverständlich halten.
Wir haben ein Interesse an dem Erfolg dieser BundLänder-Kommission; sonst hätten wir sie nicht eingesetzt. Deswegen werden wir sie im Rahmen unserer
Möglichkeiten unterstützen.
Danke schön. - Gibt es weitere Fragen zu diesem
Themenbereich, zu anderen Themenbereichen aus der
Kabinettssitzung, oder gibt es allgemeine Fragen? - Das
ist nicht der Fall. Dann beende ich die Befragung der
Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/8537 Auch hier möchte ich noch einmal an unsere Zeitordnung erinnern: Für die Antwort auf die eigentliche Frage
werden zwei Minuten und ansonsten werden jeweils eine
Minute für Zusatzfrage und Antwort gewährt. Die Farbzeichen kennen Sie mittlerweile; diese brauche ich nicht
noch einmal zu erläutern, denke ich.
Ich rufe nun die mündlichen Fragen auf Drucksache
17/8537 in der üblichen Reihenfolge auf.
Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 des Kollegen Dr. Sascha Raabe von
der SPD auf:
An welchem Tag hat das vom Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in seiner Antwort vom 27. Januar 2012 auf meine mündliche Frage vom
25. Januar 2012, Plenarprotokoll 17/154, zugegebene Telefonat mit Gabriela Büssemaker stattgefunden, und an welchen
Tagen fanden im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 17. Januar
2012 weitere Gespräche - Telefonate, persönliche Gespräche
usw. - oder Kommunikation - Briefe, E-Mails usw. - zwischen dem Bundesminister und Gabriela Büssemaker statt?
({0})
Herr Kollege Raabe, Sie haben nach dem Tag eines
Telefonates von Bundesminister Niebel mit Frau
Büssemaker gefragt, der neuen Leiterin der Servicestelle
in Bonn. Sie haben nach weiteren Kontakten im Laufe
des Jahres 2011 zwischen dem Bundesminister und Frau
Büssemaker gefragt. Ich antworte Ihnen wie folgt:
Das Telefonat, von dem Sie sprachen, hat zwischen
dem 13. Oktober und dem 25. Oktober 2011 stattgefunden, also zwischen dem Zeitpunkt der Ausschreibung
und dem Eingang des Bewerbungsschreibens von Frau
Büssemaker im BMZ. Eine taggenaue Bestimmung ist
nicht mehr möglich.
({0})
Ihre zweite Teilfrage betrifft den Zeitraum von über
einem Jahr. In diesem Zeitraum fanden zahlreiche Kontakte statt, weil Frau Büssemaker Mitglied im Landesvorstand der FDP Baden-Württemberg war, dem auch
Minister Niebel angehört. Aber in dieser speziellen Angelegenheit hat es keine weiteren Kontakte gegeben.
Herr Raabe, eine Nachfrage? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, meine Frage kam dadurch zustande, dass Minister Niebel am 17. Januar dieses Jahres
in seiner Pressekonferenz gesagt hat, dass er zu keinem
einzigen Zeitpunkt von einer Bewerbung gewusst habe
und dass er auch nicht am Verfahren beteiligt gewesen
sei. Dazu haben Sie am 25. Januar auf meine Nachfrage,
ob es nicht doch einen Kontakt gegeben und ab wann
Minister Niebel von dieser Bewerbung gewusst habe,
sehr „niebulös“ geantwortet. Dann haben Sie in der
schriftlichen Antwort dargelegt, dass ein entsprechendes
Telefonat stattgefunden hat, nachdem Frau Büssemaker
die Ausschreibung gesehen hat. Das bedeutet, der Minister hat sich logischerweise auch am Verfahren beteiligt;
denn Fachfragen oder formale Fragen kann man auch einer Sekretärin oder einer anderen Stelle stellen; da fragt
man nicht direkt bei dem nach, der über eine Bewerbung
zu entscheiden hat. Also hat damit der Minister - das sagen Sie jetzt nachweislich - am 17. Januar dieses Jahres
die Unwahrheit gesagt.
Sie haben mir damals - jetzt komme ich zu meiner
Frage - in der Antwort geschrieben, dass Frau Büssemaker
im Zusammenhang mit einer zugesagten Stelle eine andere Stelle im Bereich der erneuerbaren Energien ge18770
meint habe. Können Sie selbst bzw. das BMZ bestätigen,
dass Frau Büssemaker aus Ihrer eigenen Kenntnis heraus
am 1. Januar 2012 eine andere Stelle in Aussicht hatte?
Haben Sie einen Arbeitsvertrag oder irgendetwas gesehen? Sie haben mir geschrieben, dass das gesagt wurde.
Haben Sie selbst davon Kenntnis?
Herr Kollege Raabe, die Aussage, dass Frau
Büssemaker wohl eine Anstellung in einem Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien in Aussicht
gehabt hat, ist nicht von mir gekommen, sondern sie hat
Frau Büssemaker selbst in einer Pressemeldung getätigt.
Ich habe Ihnen am 25. Januar dieses Jahres genau diese
Frage nicht beantwortet. Ich habe Ihnen gesagt: Ich habe
deswegen nicht mit ihr telefoniert und habe dazu auch
keine Veranlassung gesehen, weil das ihre private berufliche Planung betrifft und sich die Bundesregierung damit nicht befasst.
Im Übrigen will ich bei dieser gesamten Personaldiskussion auch im Namen der Bundesregierung Ihre Behauptung von mir weisen, der Minister habe die Unwahrheit gesagt. Das habe ich schon in der letzten
Fragestunde beantwortet, und Minister Niebel hat in der
darauffolgenden Aktuellen Stunde ganz klar gesagt, dass
weder er noch Dritte zu irgendeinem Zeitpunkt während
oder vor Abschluss des Bewerbungsverfahrens irgendwelche Zusagen an Frau Büssemaker gemacht haben.
Das war am 25. Januar richtig, und das ist heute noch genauso richtig.
Ich bedaure, dass wir inzwischen von der politischen
Auseinandersetzung in eine juristische eingetreten sind.
Ich wiederhole, dass der Minister eine klare Stellungnahme dazu abgegeben hat, die bis zum heutigen Tage
richtig ist und zu der ich keinerlei Zusätze zu sagen
habe.
Eine weitere Nachfrage des Kollegen Raabe.
Frau Staatssekretärin, erstens hat er am 17. Januar
nachweislich die Unwahrheit gesagt, als er sagte, dass er
weder eine Bewerbung gesehen habe noch sich am Verfahren beteiligt habe. Sie haben selbst gesagt: Er hat mit
ihr telefoniert. - Daher ist die Unwahrheit schon nachgewiesen.
Zweitens. Der Vorwurf, der in der Tat noch staatsanwaltschaftlich geklärt werden muss, ob der Minister
Frau Büssemaker eine Zusage gegeben hat, hat sich darauf gegründet. Das haben Sie mir geantwortet; ich habe
Ihre schriftliche Antwort mitgebracht. Darin schreiben
Sie:
Sehr geehrter Herr Dr. Raabe … Im Übrigen stellte
Frau Büssemaker zu diesem Gesamtvorgang laut
Boulevard Baden am 26.01. fest: „In dem nun vielfach zitierten Interview vom 16. Oktober 2011 bezog ich mich auf eine andere Stelle im Umfeld der
erneuerbaren Energien …“
Das haben Sie mir geantwortet.
Sie haben jetzt gerade gesagt, dass Sie das selbst nicht
bestätigen können. Wie erklären Sie sich, dass es mittlerweile Aussagen gibt, dass Frau Büssemaker bzw. ihre
Familie und ihr Ehemann schon im August/September
gesagt haben, sie habe eine Stelle im Entwicklungsministerium versprochen bekommen, die sie annehmen
werde, und dass sie angeblich schon am 1. November
2011 einen Mietvertrag in Bonn unterschrieben hat? Sie
hat auch ihr Kreistagsmandat schon im Oktober niedergelegt mit dem Hinweis, dass sie zum Jahreswechsel den
Wohnort wechselt. Wie passt das Ihrer Meinung nach
zusammen? Dahinter steht in der Tat der Verdacht, dass
sie eine solche Zusage nur von höchster Stelle bekommen haben kann.
({0})
Herr Kollege Raabe, es bleibt richtig, dass ich Ihnen
mündlich in der Fragestunde zu dem Interview von Frau
Büssemaker vom Oktober 2011 - das genaue Datum
habe ich jetzt nicht im Kopf - keine Erklärung gegeben
habe und dass ich in der schriftlichen Beantwortung der
Frage Frau Büssemaker aus einem dann gegebenen
Interview zitiert habe. Ich habe selber keine Recherchen
angestellt. Das bleibt richtig.
Des Weiteren betone ich noch einmal ausdrücklich,
dass der Minister in einem Telefonat ({0})
- ich weiß; es gibt leider Personaldebatten, die einen
ganz anderen Charakter haben als den fachlich-inhaltlichen - bestätigt hat, dass Frau Büssemaker gefragt hat,
ob sie sich bewerben könne. Aber ob sie sich beworben
hat, ist eine andere Frage.
Die nächste Frage bezieht sich auf die Bewerberliste
und die drei Personen, die sich in der Endauswahl befanden. Dazu kommen wir gleich noch.
Es haben sich keinerlei Widersprüche ergeben, sondern es stehen die Aussagen so, wie sie auch in der letzten
Sitzungswoche die richtigen waren. Frau Büssemaker hat
sich einem ordnungsgemäßen, breit angelegten Auswahlverfahren gestellt wie 132 weitere Interessenten
auch, und sie hat am Ende den Zuschlag bekommen. Ich
kann verstehen, dass Sie die Entscheidung vielleicht
nicht gut finden; aber das ist nicht mein Problem. Es sind
klare Fakten auf dem Tisch, und es gibt keinerlei Widersprüche aus unserer Sicht. Dabei bleibt es.
Jetzt hat der Kollege Movassat eine weitere Frage.
Danke, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, zur
Person Frau Büssemaker: Während ihrer Tätigkeit als
Ettlinger Oberbürgermeisterin hat sich Frau Büssemaker
bereits selbst der Vorteilsnahme für schuldig bekannt.
Zum Hintergrund: Es gab damals eine anonyme Anzeige, weil Frau Büssemaker mit dem Chef der Stadtwerke an einer von der Eon Ruhrgas AG bezahlten Reise
zu einer Bohrinsel in Norwegen teilgenommen hat und
ein Jahr später die Stadtwerke und Eon Ruhrgas einen
neuen Liefervertrag abgeschlossen haben. Daraufhin hat
die Staatsanwaltschaft ermittelt und ein Verfahren wegen
Vorteilsnahme eingeleitet. Das Verfahren wurde nach
Zahlung eines Strafbefehls in Höhe von 3 000 Euro wegen geringer Schuld eingestellt. Es gab aber letztlich einen Strafbefehl wegen Vorteilsnahme. Herr Niebel betont immer: Korruption tötet. Ich frage, wie das Motto
des Ministers mit der Einstellung von Frau Büssemaker,
die bereits wegen Korruption belangt worden ist, zusammengeht?
Herr Kollege Movassat, die Bundesregierung nimmt
zu solchen Fragen keinerlei Stellung. Ich empfinde es inzwischen als wirklich unerträglich - Sie haben das Verfahren erwähnt -, in welcher Weise hier Personalentscheidungen debattiert werden, ob es um Mietverträge,
Gespräche mit Nachbarn oder was auch immer geht.
({0})
Ich will noch einmal ausdrücklich betonen: Es hat
hier ein transparentes und offenes Bewerbungsverfahren
gegeben. Es gab viele sehr geeignete Kandidaten und
Kandidatinnen. Frau Büssemaker war eine davon. Sie ist
sehr geeignet für diese Position. Der Minister hat, wie er
es auch gesagt hat, während des Verfahrens keinerlei Bewerbungen gesehen oder sich zeigen lassen. Er hat die
letzte, ausschlaggebende Entscheidung nach einem längeren Verfahren, in dem mehrere Kandidaten zu Auswahlgesprächen eingeladen wurden und in dessen Verlauf die Zahl der Kandidaten immer weiter reduziert
wurde, getroffen. Unter der verbleibenden geringen Zahl
von Kandidatinnen und Kandidaten ist Frau Büssemaker
von ihm ausgewählt worden. Es war ein ordnungsgemäßes und transparentes Verfahren, an dem es aus unserer
Sicht nichts zu kritisieren gibt.
Eine weitere Frage der Kollegin Koczy vom Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Staatssekretärin, so einfach können Sie es sich
nicht machen;
({0})
denn es besteht ein Verdacht. Diesen Verdacht haben Sie
in der letzten Fragestunde nicht ausräumen können, und
Sie konnten ihn auch heute nicht ausräumen. Es ist eigentlich eine einfache Frage, die wir stellen: Können Sie
sagen, dass sich Frau Büssemaker in ihrem Interview,
das sie am 16. Oktober gegeben hat, nicht auf eine Zusage des Ministers oder des Entwicklungsministeriums
bezogen hat, als sie behauptet hat, sie habe eine neue
Stelle usw. usf. zum Ende des Jahres?
Wir haben jetzt mit Ihrer Hilfe verschiedene Antworten bekommen, die den Schluss zulassen, dass sich dieser Verdacht bestätigt; denn Sie haben gesagt, in dem
Zeitraum zwischen dem 13. und 25. Oktober habe tatsächlich ein Telefonat stattgefunden. Das haben Sie in
der letzten Fragestunde nicht gesagt. Das ist ein neues
Faktum. Ich frage Sie: Gibt es ein konkretes Datum für
dieses Telefonat? Können Sie ausschließen, dass es
keine Vorabzusage gegeben hat? Ja oder Nein?
({1})
Frau Kollegin Koczy, ich wiederhole es gerne: Den
genauen Zeitpunkt, das genaue Datum des Telefonats
kann ich Ihnen nicht sagen.
({0})
- Ich bitte Sie. Dann müssten wir Telefonprotokolle erstellen. Wo sind wir hier?
({1})
Lassen Sie mich den ersten Teil der Frage beantworten. Frau Koczy, es geht um das Interview vom 16. Oktober; darauf haben Sie sich bezogen. Ich kann Ihnen
ganz klar sagen, dass sich Frau Büssemaker nicht auf
eine Stelle im BMZ, bei der Servicestelle oder wo auch
immer bezogen haben kann, weil es keinerlei Zusage gegeben hat.
Die Ausschreibung dieser Stelle erfolgte erst zu dem
Zeitpunkt, den ich genannt habe. Der Minister hat dazu
Stellung genommen. Ich habe dazu Stellung genommen.
Es hat zu keinem Zeitpunkt während bzw. vor Abschluss
des Verfahrens eine Zusage an Frau Büssemaker gegeben - Ausrufezeichen.
({2})
Ich will nur darauf hinweisen, dass bereits gestellte
Fragen nicht erneut gestellt werden sollten und auch
nicht erneut beantwortet werden müssen.
Die nächste Frage geht an die Frau Kollegin
Dr. Kofler.
Frau Staatssekretärin, Sie haben den Begriff „Transparenz“ sehr oft gebraucht. Ich möchte an der Stelle
noch einmal betonen: Uns geht es nicht darum, wie auch
immer eine Personalentscheidung gefällt wurde, sondern
darum, wann diese Personalentscheidung gefällt wurde.
Nicht dass die Entscheidung am Ende gefällt wurde,
sondern wann sie gefällt wurde, das ist für uns der entscheidende Punkt. Dabei geht es auch nicht um die Person der Frau Büssemaker,
({0})
sondern um das Verfahren, wie es zu dieser Entscheidung kam. Das wollte ich vorausschicken; denn das ist,
wie ich denke, wichtig vor dem Hintergrund der Personaldebatte.
Jetzt meine konkrete Frage. Sie haben gerade bestätigt, dass es im Rahmen des Landesvorstandes der FDP
Baden-Württemberg zahlreiche Kontakte mit dem
Minister, mit dem Ministerium gegeben hat. Können Sie
ausschließen, dass es im Rahmen dieser Kontakte, also
dieser Treffen und der Gespräche, die geführt worden
sind, um die Stelle im BMZ ging, dass es in diesem Zusammenhang um eine Arbeitsmöglichkeit für Frau Büssemaker im Ministerium ging?
Sehr geehrte Frau Kofler, ich nehme an, Sie wissen,
wie das ist, wenn man Mitglied eines Landesvorstands
ist: Man sieht sich, auch bei anderen Gremiensitzungen.
Die Frage, die gestellt wurde, bezog sich ja auch auf Begegnungen. Es ging darum: Wie oft begegneten sich
Minister Niebel und Frau Büssemaker? Zu welchen Gelegenheiten und in welcher Form, also persönlich, telefonisch oder wie auch immer, gab es Kontakte?
Ich sage noch einmal: In Bezug auf diese Stelle hat es
keinerlei Vorabsprachen zwischen dem Minister und
Frau Büssemaker gegeben. Der Minister hat auch noch
einmal ausdrücklich unterstrichen - ich nehme jetzt auf
den Landesvorstand Bezug; das ist ja nicht Sache der
Bundesregierung -, dass man sich unter Parteifreunden
gelegentlich sieht und trifft. Das sollte hinterher nicht in
irgendeiner Weise skandalisiert werden. Deshalb der
Hinweis darauf.
Noch einmal: Es hat vorher keinerlei Zusagen gegeben. Das hat der Minister bestätigt, und das bestätige ich
heute auch noch einmal.
Die nächste Frage geht an die Kollegin Frau Hänsel.
Danke schön, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
ich möchte da auch noch einmal nachhaken. Hier kam ja
so ein bisschen der Tenor auf, dass kritisiert wurde, dass
wir uns für diese ganzen Details interessieren und irgendwelche Diskussionen aufmachen. Ich denke, das ist
für uns alle entscheidend. Gerade Minister Niebel ist ja
sehr bemüht, international Korruption, Vetternwirtschaft
zu bekämpfen. Er stellt sich immer hin und spricht von
Good Governance. Das hören wir auch ständig aus den
Reihen der Koalition: Good Governance, Good Governance, Good Governance.
({0})
Er sagt, die Entwicklungsländer müssen hier ihre Verantwortung wahrnehmen und das alles in den Griff bekommen. Vor diesem Hintergrund, finde ich, kann es nicht
sein, dass in der Personalpolitik im Entwicklungsministerium viele Ungereimtheiten auftauchen. Das ist inakzeptabel. Deswegen haken wir da nach.
Deshalb meine Frage an Sie: Wie bewertet die Bundesregierung Äußerungen von, wohlgemerkt, FDP-Parteikollegen aus Ettlingen, die sich laut Rheinpfalz vom
5. Februar - das alles ist nachlesbar; das haben Sie selbst
in der Presseschau vom Ministerium - über die Vetternwirtschaft, die da stattfindet, entsetzt zeigen. Viele ziehen auch die Qualifikation von Frau Büssemaker in
Zweifel, weil sie als Bürgermeisterin die Hoffnungen
nicht erfüllt hat und sich nicht der Wiederwahl gestellt
hat. Die Vetternwirtschaft wird also selbst von den eigenen Parteileuten kritisiert. Nicht die Opposition ist entsetzt über diese Personalpolitik, sondern Ihre eigenen
Parteileute sind es. Wie bewerten Sie das?
({1})
Frau Hänsel, es sind nicht die eigenen Parteifreunde,
sondern es gibt eine ganz geringe Zahl von Parteifreunden, nämlich ein oder zwei Personen, die sich so geäußert haben. Sie wissen es selbst: Wenn Sie in einer
Position sind, zum Beispiel einer politischen, in der Sie
manchmal Entscheidungen fällen müssen, die nicht allen
gefallen, dann macht man sich nicht nur Freunde. Das
muss ich Ihnen nicht erklären. Das ist so. Wenn Fusionsverfahren durchgeführt wurden, die nicht im Interesse
aller waren, dann können Sie sich vorstellen, dass der
eine oder andere vielleicht aus persönlicher Enttäuschung oder aus persönlichen Gründen heraus Äußerungen macht.
Ich sage Ihnen noch einmal ausdrücklich, dass ich
keinerlei Grund dafür sehe. Ich finde es wirklich bemerkenswert, welchen Drall diese gesamte Diskussion
nimmt.
({0})
Ich finde das bemerkenswert, und ich weise ausdrücklich zurück, dass hier Good Governance und Korruptionsbekämpfung in Verbindung mit der Personalpolitik
des Bundesministers derart thematisiert werden. Das
weise ich ausdrücklich zurück. Das sind Unterstellungen
der schlimmsten Art.
({1})
Ich kann Ihnen nur sagen: Sie werden eines Tages
feststellen und auch öffentlich feststellen müssen, wie
verkehrt Sie gelegen haben. Eher geben Sie wahrscheinlich auch gar keine Ruhe. Ich finde diese Art der Inquisition, die Sie hier betreiben, und die Art, wie Sie mit solcherlei Entscheidungen umgehen, wirklich unerträglich.
Das will ich noch einmal betonen.
({2})
Selbst wenn Ihnen das nicht gefällt - das kann ich ja verstehen -, dürften Sie nicht in einer so diskreditierenden
Art und Weise reagieren.
({3})
Die nächste Frage geht an die Kollegin Dr. Hendricks.
Frau Kollegin Kopp, wir wissen, dass im Zusammenhang mit der Besetzung der Stelle, um die es hier geht,
am 21. Dezember des vergangenen Jahres drei Personen
in die engere Wahl gekommen sind. Der Minister hat in
der letzten Sitzungswoche in einer Aktuellen Stunde eingeräumt, dass er unter diesen dreien, die in die engere
Wahl gekommen sind, eine Person ausgewählt habe. Das
ist selbstverständlich sein Recht, das ist nicht zu bestreiten. Die Bewerberin, von der hier die Rede ist, hat diese
Stelle dann bekommen.
Nach unserer Kenntnis hat mit den dreien, die in die
engere Wahl gekommen sind, niemand mehr gesprochen, nachdem festgestellt wurde, dass sie in der engeren
Wahl sind. Selbstverständlich muss der Minister das
auch nicht selbst tun, aber irgendjemand im Ministerium
hätte doch noch einmal mit den dreien, die in der engeren Wahl sind, sprechen und dem Minister dann einen
Vermerk vorlegen müssen, der ihm Entscheidungsgründe an die Hand gibt neben denen in der Papierform,
die natürlich jeder sehen kann, wenn er die Bewerbungsunterlagen in die Hand nimmt. Gibt es einen solchen
Vermerk, der dem Minister als Entscheidungsgrundlage
diente und ihm die Entscheidung erleichtert hat? Wenn
nein, warum nicht? Warum hat niemand mehr im Ministerium mit den dreien, die in die engere Wahl gekommen
sind, gesprochen?
({0})
Frau Kollegin Hendricks, Sie sprechen etwas an, das
auch in der Frage von Herrn Kollegen Raabe, die als
nächste zu behandeln ist, enthalten ist. Ich setze voraus,
dass Sie, Herr Kollege Raabe, damit einverstanden sind,
wenn ich einen Teil dieser Frage schon jetzt mitbeantworte. Ansonsten würden wir uns im Kreis drehen.
({0})
Frau Kollegin Hendricks, Frau Büssemaker war eine
der drei Kandidaten. Es gab zwei weitere. Mit ihr ist hinterher gesprochen worden. Ihr ist gesagt worden: Sie haben den Zuschlag bekommen. Ich gehe davon aus, dass
die beiden anderen Kandidaten oder Kandidatinnen natürlich auch informiert wurden. Das ist gar keine Frage.
Von wem, kann ich Ihnen nicht sagen.
({1})
- Ja, nach der Entscheidung des Ministers. Davon gehe
ich aus.
({2})
- Wieso vorher? Das geht doch gar nicht.
Ich will Ihnen das jetzt noch einmal genau sagen, damit wir das exakt im Protokoll haben: Drei Personen
kommen in die engere Wahl. Bundesminister Niebel hat
keine der eingegangenen Bewerbungsunterlagen gesichtet. Das Ergebnis der Bewertung der Kandidaten, also
die Shortlist, die reduzierte Bewerberliste, wurde Bundesminister Niebel von Staatssekretär Hans-Jürgen
Beerfeltz vorgetragen. Auf der Grundlage dieses Vortrags hat Bundesminister Dirk Niebel die Letztauswahl
getroffen. Das will ich ausdrücklich als Zitat verstanden
wissen. Dass er vorher mit den anderen Kandidaten nicht
sprechen konnte, ist klar. Hinterher geschah das selbstverständlich; davon gehe ich aus. Das habe ich jetzt
nicht abgefragt, aber das ist selbstverständlich. Einer
macht das Rennen bei der Auswahl; und dass man mit
denjenigen, die nicht erfolgreich waren, spricht, ist völlig klar.
Die nächste Frage geht an den Kollegen Fischer.
Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Ich will hier
ganz offen sagen, dass ich eine derartige Form der Inquisition einer Mitarbeiterin eines Hauses noch nicht erlebt
habe. Dabei sind persönliche Dinge offengelegt worden,
sodass ich mich frage, was Sie eigentlich von Datenschutz und dem Umgang mit Personal halten.
({0})
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Auffassung, dass, nachdem ein Dreivierteljahr in Bezug auf die
inhaltliche Ausrichtung des Ministeriums von der Opposition nichts gekommen ist, jetzt versucht wird, ein
Thema, das seit über zwei Monaten aufgeklärt ist, an einer Person festzumachen? Ich frage mich, ob das damit
Hartwig Fischer ({1})
zusammenhängt, dass man in diesem Haus nach einer
zehnjährigen Gleichschaltung parteipolitischer Art erwartet, dass jede einzelne Personalentscheidung von der
derzeitigen Koalition so getroffen wird, wie man es in
der Vergangenheit selbst gemacht hat. Ich finde es unglaublich, wie in diesem Zusammenhang von Korruption gesprochen wird. Sie wissen, dass gerade diese
Koalition dieses Thema in den Partnerländern zu einem
Schwerpunkt gemacht hat und dass wir das auch vorleben.
({2})
Zur Beantwortung Frau Staatssekretärin.
Ich stimme Ihnen vollkommen zu, Herr Kollege
Fischer, und sage: Wir werden die Themen Korruptionsbekämpfung und Good Governance auch weiterhin zu
zentralen Themen der Entwicklungszusammenarbeit in
Deutschland und weltweit machen.
({0})
Die vorerst letzte Frage in diesem Zusammenhang hat
der Kollege Christian Ahrendt.
Frau Staatssekretärin, Sie haben heute viele Fragen zu
der Einstellungspraxis in Ihrem Ministerium entgegennehmen müssen. Ich habe erfahren, dass die stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD Frau Schwesig, ihres
Zeichens Sozialministerin im Land Mecklenburg-Vorpommern, die Kreisvorsitzende der SPD, die Schatzmeisterin ihres Kreisverbandes und die stellvertretende
Vorsitzende der Stadtfraktion der SPD in ihrem Ministerium angestellt hat. Fernerhin ist auch ihr Staatssekretär
Mitglied des Kreisverbandes Schwerin. Würden Sie eine
solche Einstellungspraxis als konform mit den doch sehr
hochmoralischen Fragen ansehen, die Ihnen von der
SPD heute entgegengehalten worden sind?
({0})
Können Sie mir beantworten, ob der Maßstab, der
heute in den Fragen an Sie herangetragen worden ist,
auch der Maßstab war, der die Einstellungspraxis von
Frau Wieczorek-Zeul als Vorgängerin in Ihrem Ministerium gekennzeichnet hat?
Letzte Frage an dieser Stelle: Würden Sie mir zustimmen, dass die Frageweise, wie wir sie heute von der Opposition erlebt haben, doch eher einen bigotten Charakter hat?
({1})
Zweifellos und uneingeschränkt: Ja, den Eindruck
habe ich. Ich füge hinzu, Herr Kollege Ahrendt: In der
Zwischenzeit hat die Debatte noch eine ganz andere Dimension erreicht, nämlich eine juristische.
({0})
Gerade vor diesem Hintergrund kann ich die Fragen
überhaupt nicht verstehen. Da kann man natürlich zu
dem Schluss kommen, dass das gelenkte Sensationsmache ist. Ich finde das bedauerlich.
({1})
Jetzt kommen wir zur Frage 2 des Kollegen Sascha
Raabe:
Warum haben nicht mehr mit allen drei verbleibenden
Kandidaten für die Leitungsstelle der Servicestelle „Engagement
Global“ abschließende Auswahlgespräche im Januar 2012
stattgefunden, so wie es nach den Bewerbergesprächen am
21. Dezember 2011 zugesagt wurde, und auf welcher Entscheidungsgrundlage hat der Bundesminister Dirk Niebel,
ohne mit allen drei Kandidaten gesprochen zu haben, dann
seine Auswahl getroffen?
Bitte schön.
Kollege Raabe, eine Zusage zu abschließenden Auswahlgesprächen wurde gar nicht gegeben, und die Entscheidung von Bundesminister Dirk Niebel beruhte auf
den Bewertungsunterlagen des Auswahlverfahrens.
Herr Raabe, bitte.
Frau Staatssekretärin und Herr Kollege Fischer, in
Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes steht, dass jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und Leistung den
gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern hat. Das ist ein
hohes Gut in der Demokratie.
({0})
Man kann nicht Regierungen in Entwicklungsländern
kritisieren und sich über Vetternwirtschaft empören,
wenn gleichzeitig Parteifreunde in öffentliche Ämter gebracht werden.
Herr Kollege.
Ich komme zu meiner Nachfrage.
({0})
Ja, bitte.
Frau Staatssekretärin, eine der Bewerberinnen, die bezeugen kann, dass sie am 21. Dezember eine der letzten
drei Bewerberinnen war, hat mich angerufen und mir
persönlich gesagt, dass ihr mitgeteilt wurde, dass Ende
Januar im Ministerium Endgespräche stattfinden sollten.
Das ist ja auch logisch: Wenn man unter den letzten drei
Bewerbern ist, geht man davon aus, dass die entscheidenden Gespräche noch stattfinden werden. Sie hat mir
ferner mitgeteilt, dass es bis zum 21. Dezember nicht um
Inhalte im Sinne von „Wie stellen Sie sich Ihre neue
Stelle vor?“ gegangen ist. Sie hat sich darüber aber keine
Gedanken gemacht; denn sie ging davon aus, dass im Januar im Ministerium - das wurde ihr auch von Herrn
Donner, dem Geschäftsführer von Dr. Heimeier & Partner, gesagt - die Endgespräche mit den letzten drei Bewerbern stattfinden.
Sie sagten vorhin in Ihrer Antwort auf die Nachfrage
von Frau Hendricks, Staatssekretär Beerfeltz habe dem
Minister eine Entscheidungsgrundlage vorgelegt. Die
Bewerberin, mit der ich gesprochen habe, sagte mir, sie
habe weder mit Herrn Beerfeltz noch mit dem Minister
persönlich gesprochen. Mit Blick darauf, dass man am
Ende dieses langen und teuren Verfahrens mit den letzten drei Bewerbern kein Endgespräch geführt hat, frage
ich Sie: Auf welcher Grundlage ist diese Entscheidung
gefällt worden? Ich sage Ihnen: Das riecht nicht nur nach
Vetternwirtschaft, sondern das stinkt nach Vetternwirtschaft.
({0})
Herr Kollege Raabe, Ihre Kollegin hat vorhin selbst
gesagt, dass die Tatsache, dass der Minister seine Entscheidung so getroffen hat, wie er sie getroffen hat, nicht
kritisiert wird und dass es um das Verfahren geht. Aber
anscheinend sehen Sie das - das muss ich Ihren Ausführungen entnehmen - nicht so.
Ich sage noch einmal: Ich habe die Information, dass
es diese Zusage für ein nochmaliges Gespräch mit allen
nicht gegeben haben soll, sondern dass die letzten drei
Bewerber, die zur Auswahl standen, informiert werden.
Herr Beerfeltz hat auch nicht einfach irgendetwas zusammengetragen. Es ist doch klar, dass jemand aus dem
engsten Kreis des Ministers das Bewerbungsverfahren
begleitet, die Fakten zusammenträgt und die Eindrücke
wiedergibt. Auf der Grundlage dieser Informationen, die
dem Herrn Minister vorgetragen wurden, hat Herr
Niebel so entschieden, wie er entschieden hat. Das ist
völlig in Ordnung.
Es ist sicherlich ein teures Verfahren gewesen. Aber
wir waren der Meinung, dass eine externe und daher
neutrale Agentur das Verfahren leiten und eine Vorauswahl treffen sollte. Ich hatte es schon gesagt: Es waren
133 Bewerbungen; das ist wirklich eine Menge. Die
Agentur hat sich mit dem gesamten Auswahlverfahren
und bei den Gesprächen sehr viel Mühe gegeben. Das
sollten Sie einfach akzeptieren.
Zweite Nachfrage? - Bitte schön.
Ich finde dieses Verhalten sehr ungewöhnlich. Wir
alle in diesem Haus haben schon einmal Personalentscheidungen getroffen. Es ist normal, dass man am Ende
mit den Bewerbern, die in der engen Auswahl sind, persönliche Gespräche führt. Ich kenne das nicht anders. Ich
nehme es aber jetzt einmal so hin, dass diese Gespräche
weder mit Herrn Beerfeltz noch Herrn Niebel geführt
wurden.
Meine Nachfrage bezieht sich auf die Auswahl, also
darauf, wie es zu den letzten drei Bewerberinnen und
Bewerbern gekommen ist. Sie sagten, es sei eine unabhängige Personalagentur gewesen, die so entschieden
habe. Die Bewerberin, die mich informiert hat, hat gesagt, am 21. Dezember seien nicht nur Mitarbeiter der
Personalagentur, sondern auch Mitglieder einer sogenannten Findungskommission des Ministeriums anwesend gewesen. Ich möchte deshalb von Ihnen wissen:
Wer hat die Bewerber, die zu den letzten drei gehörten,
ausgewählt? Hat die Personalagentur völlig unabhängig
von Mitarbeitern des Ministeriums diese Auswahl getroffen, oder ist Frau Büssemaker eventuell auf Vorschlag der Findungskommission des Ministeriums unter
die letzten drei Bewerber gekommen? Das wurde bisher
ja immer anders dargestellt.
Nein, Herr Kollege Raabe. Ich habe schon am 25. Januar von einer Kommission gesprochen, die aus fünf
Personen bestand. Ich habe diese Liste zwar jetzt nicht
vorliegen. Ich kann aber sagen, dass ein Personalvertreter und Mitarbeiter der Agentur darunter waren. Von
133 Bewerbungen, die gesichtet wurden, kamen letztendlich 13 in die engere Auswahl.
({0})
- Nur die Ruhe. - Letzten Endes kann man auch keine
13 Bewerber präsentieren, sodass die Zahl der Kandidaten von der fünfköpfigen Auswahlkommission immer
weiter zugespitzt wurde: Von den 13 ging es auf 8 Bewerber, bis zum Schluss 3 Bewerber übrig blieben.
Frau Kofler möchte eine weitere Frage stellen. Bitte
schön, Frau Dr. Kofler.
Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal präzise
nachfragen. Sie haben das Verfahren geschildert. Erst
gab es 133 Kandidaten, dann 13 und zum Schluss bleiben 3 übrig. Es gab außerdem eine Auswahlhilfe für den
Minister. Ich möchte gerne wissen, wann sich das Ministerium in dieses Auswahlverfahren eingeklinkt hat und
ob der Staatssekretär Beerfeltz in dieses Auswahlverfahren involviert war. Aufgrund welcher Kenntnis ist diese
Auswahl im Ministerium vorgenommen worden? Ist der
Eindruck, der bei mir gerade entstanden ist, richtig, dass
die Entscheidung allein von einer externen Personalagentur gefällt worden ist?
Frau Kofler, ich reiche Ihnen gerne die Namen der
Kommissionsteilnehmer nach. In der letzten Fragestunde hatte ich sie dabei. Jetzt habe ich sie nicht dabei.
Die Namen können Sie gerne wissen. Es ist selbstverständlich, dass auch die Personalvertretung aus dem
Hause irgendwann einbezogen wird. Vertreter der Agentur Heimeier plus Personalvertretung und andere waren
bei der Entscheidung anwesend. Die Namen aller fünf
Teilnehmer teile ich Ihnen gerne noch einmal schriftlich
mit. Es ist ein völlig übliches Verfahren, dass im Rahmen einer Kommission die Endauswahl getroffen wird.
Das habe ich im Übrigen auch am 25. Januar in der Fragestunde erwähnt.
Vielen Dank. - Die Frage 3 des Kollegen Frank
Schwabe soll schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zu Frage 4 des Kollegen Lothar
Binding:
Welche Projekte mit welchem Volumen wurden direkt von
Tom Pätz, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit GmbH, GIZ, für den Bereich
International Services akquiriert, und in welchem Verhältnis
stehen die Volumina der neu akquirierten ertragreichen Projekte zu den verursachten Kosten ({0})?
Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Binding,
Ihre Frage bezieht sich auf eine weitere Personalie. Es
geht um Herrn Tom Pätz, Vorstandsmitglied der GIZ. Ich
beantworte Ihre genau auf eine Person zugespitzte Frage
wie folgt: Die Akquisition von Vorhaben ist die Aufgabe
des operativen Bereichs International Services der GIZ
und kann nicht einzelnen Personen zugeordnet werden.
Es ist im Übrigen auch nicht primäre Aufgabe eines Vorstandsmitgliedes, Einzelprojekte zu akquirieren.
Es ist allerdings ein Verdienst von Tom Pätz, dass der
Bereich International Services auf ein erfolgreiches Jahr
2011 zurückblicken kann. Ich nenne Ihnen gerne ein
paar Zahlen: Im Jahr 2011 gingen bei der GIZ 15 Aufträge in Höhe von 250 Millionen Euro ein. Der Bereich
erzielte in 2011 einen geschätzten Gewinn in Höhe von
1 Million Euro. Weil der Jahresabschluss 2011 noch
nicht offiziell vorliegt, kann ich nur die geschätzte Zahl
nennen. Des Weiteren ist eine deutliche Ausweitung des
Geschäfts im Jahr 2012 aufgrund der im Jahr 2011 realisierten Akquisitionsanstrengungen zu erwarten. Das ist
ein Verdienst des gesamten Personals.
Zu den Kosten kann ich Ihnen gleich noch eine Antwort geben, aber meine Zeit zur Beantwortung der Frage
ist abgelaufen.
Dann kommen wir zur Nachfrage. Herr Kollege
Binding.
Offen gestanden ging es mir gar nicht um eine Personalie, sondern mir ging es um die Arbeit einer Person.
Das unterscheide ich natürlich.
Das ist gut.
Da haben Sie nicht ganz genau geantwortet; denn die
Begründung, dass Tom Pätz - dessen Qualitäten hinsichtlich eines Vorstandspostens unterschiedlich beurteilt werden - im International-Service-Bereich eingesetzt wird, lautete ja, weil er über besondere Fähigkeiten
der Akquise verfüge und deshalb der Bereich IS jetzt einen großen Aufschwung nehmen werde. Damit wurde
gerechtfertigt, dass man Tom Pätz dafür eingestellt hat.
Nach Informationen, die mir vorliegen, gab es während seiner Anstellungszeit im vergangenen Jahr bisher
noch keine für ihn erfolgreichen Akquisen.
({0})
Deshalb hatte ich nach genaueren Zahlen gefragt; denn
möglicherweise sind meine Informationen ja falsch. Insofern wäre ich dankbar, wenn Sie mir hier Auskunft geben könnten. Ich habe ja explizit danach gefragt, in welchem Verhältnis die Volumina stehen. Das ist so zu
verstehen, dass ich gerne einen Quotienten hätte, auf
dem oben und unten eine Zahl steht, sodass ich mir die
Leistungsfähigkeit ungefähr ausrechnen kann.
Herr Kollege Binding, ich kann das verstehen und
nachvollziehen, was Sie meinen. Aber eine solche Angabe ist schlecht möglich. Wenn sich ein Vorstandsteam
in besonderer Weise um International Services kümmert
- in der Tat bringt Herr Pätz hier aus seinen früheren Tätigkeiten eine Menge Erfahrungen mit -, dann ist es
schwierig, bestimmte Projekte einzelnen Personen zuzuParl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
schreiben. Deswegen habe ich das eben noch einmal gesagt.
Ich will Ihnen außerdem sagen: Für das Geschäftsjahr
2012 plant die GIZ IS, also der Bereich International
Services, mit einem Auftragseingang in Höhe von rund
300 Millionen Euro. Das wäre dann sehr erfolgreich; das
will ich ausdrücklich betonen.
Herr Binding, wenn Sie gestatten, will ich noch die
Kosten nennen, also Flugkosten usw., nach denen Sie
gefragt haben: Die vorstandsbezogenen Ausgaben für
Personal, Fahrzeuge, Flugkosten etc. bewegen sich bei
allen Vorständen der GIZ innerhalb des für eine derart
hervorgehobene Position üblichen Rahmens. Genaue
Zahlen hierzu sind uns leider nicht bekannt. Im Zuge der
im letzten Jahr von Ihnen, Herr Binding, entfachten Diskussion um Reisekosten von Vorständen hat der GIZAufsichtsrat, dem Sie, Herr Binding, ja angehören, festgestellt, dass die Wirtschaftlichkeit gewahrt wurde.
Eine weitere Nachfrage, Herr Binding?
Ja.
Bitte schön.
Ich möchte noch einmal nachfragen, ob ich es richtig
verstanden habe, dass sich die Leistung von Herrn Pätz
nicht quantifizieren lässt, also in diesem Sinne nicht
messbar ist? Außerdem möchte ich fragen, ob Sie mit
mir der Auffassung sind, dass, wenn ich etwas über die
geplanten Vorhaben hätte wissen wollen, ich nach den
geplanten Vorhaben gefragt hätte? Ich habe aber nach
den vergangenen Leistungen gefragt.
Herr Kollege Binding, ich habe Ihnen auch die zurückliegenden Leistungen von 2011 genannt.
({0})
Ich habe Ihnen auch gesagt, dass man die Erfolge in diesem Bereich, also die Umsätze, nicht einzelnen Personen
zuschreiben kann. Ich habe aber durchaus die Zahlen
von 2011 genannt, den erwarteten Gewinn von 1 Million
Euro - der Abschluss liegt ja noch nicht vor -, und auch
das positive Geschäft erwähnt, das sich für das Jahr 2012
schon anbahnt.
Es gibt eine weitere Frage des Kollegen Raabe.
Frau Staatssekretärin, Sie sagten, dass Herr Tom Pätz
aufgrund seiner in der Vergangenheit gesammelten Erfahrungen so gute Arbeit geleistet hätte. Herr Pätz ist
aber doch als Mediator für den Fusionsprozess eingestellt worden und ist dann, was schon erstaunlich genug
ist, als vermeintlich neutraler Mediator bei einem Vorstandsposten der GIZ gelandet. Vorher war er im BMZ
angestellt.
Können Sie mir im Hinblick auf die Kosten sagen,
warum man den Arbeitsvertrag von Herrn Pätz im
Ministerium noch entfristet hat, wenn er doch so gut auf
eigenen Füßen gestanden hat? Wenn er irgendwann aus
der GIZ ausscheiden sollte, dann muss er wieder vom
BMZ eingestellt werden. Das war ja gegen die Absprache mit dem Personalrat. Dem Personalrat wurde schriftlich bestätigt, dass keine Entfristung erfolgt. Warum
wurde der Vertrag noch entfristet? Ich will jetzt nicht sagen, was für ein Parteibuch er hat; das kann sich jeder
denken. Es ist aber schon erstaunlich, dass jemand nach
einem halben oder dreiviertel Jahr einen unbefristeten
Vertrag im Ministerium erhält, dann einen GIZ-Vorstandsposten bekommt und jederzeit später wieder ins
Ministerium zurückwechseln kann.
Herr Kollege Binding, ich habe Ihnen vorhin mit einer Reaktion etwas unrecht getan. Sie sagten mir, es
gehe Ihnen nicht um eine erneute Personaldiskussion.
Sie merken aber, dass meine reflexartige Reaktion nicht
ganz unbegründet war. - Herr Kollege Raabe, wir sind
jetzt wieder bei einer Personaldiskussion und sogar bei
Arbeitsvertragsinhalten.
In der Tat hatte Tom Pätz im Rahmen der Fusion der
früheren Organisationen GTZ, InWEnt und DED - ich
will es noch einmal betonen - eine schwierige Sache zu
bewältigen. Ich nenne einmal die Zahlen - denn uns hören einige Menschen zu -: Es geht um 17 000 Menschen
in 130 Ländern weltweit und um 2 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Die längst überfällige Fusion, die wir hier
auf den Weg gebracht haben, war ein ganz schwieriger
Kraftakt, und zwar personell und juristisch, wie auch immer Sie es drehen; denn hier ging es um die Zusammenführung dreier verschiedener Organisationen. Da war es
sinnvoll, einen Mediator einzusetzen. Herr Pätz hat hervorragende Arbeit geleistet. - Sie lächeln; aber ich kann
es Ihnen nicht ersparen, darauf hinzuweisen, dass er das
wirklich sehr gut gemacht hat, dass er da seine Erfahrungen eingebracht hat. Er ist anschließend in den Vorstand
berufen worden, weil wir der Meinung sind, dass er für
die weitere Arbeit der GIZ wirklich unerlässlich ist; er
kann dort seine Erfahrungen einbringen. Ich finde es gut,
dass er einen entfristeten Vertrag erhalten hat. Wie Sie
wissen, wurden mehrere andere Verträge entfristet; auch
da hat es verschiedene öffentliche Debatten gegeben. Es
ist gut, wenn Arbeitnehmer auf diese Weise ein Stück
weit Sicherheit erhalten.
({0})
Dann kommen wir zur Frage 5 des Kollegen Binding:
Wie bewertet die Bundesregierung aus entwicklungspolitischer Sicht die Auslagerung der entwicklungsorientierten
Not- und Übergangshilfe vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, in das
Auswärtige Amt, obwohl diese Auslagerung in dem jetzt vorliegenden Gutachten nicht empfohlen und das Parlament erst
nach Vollzug unterrichtet wurde, und wie wird das BMZ sicherstellen, dass die kurzfristige Hilfe weiterhin abgestimmt
und nachhaltig mit den anschließenden mittel- und langfristigen entwicklungspolitischen Maßnahmen verbunden wird?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Binding, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die bisherige Aufteilung der Ressortzuständigkeiten und deren Bewertung waren nicht Gegenstand des
Gutachtens, der Evaluierung. Zu der bisherigen Arbeitsteilung hatte sich aber der DAC Peer Review der OECD
kritisch geäußert. In die Ausgestaltung der politischen
Entscheidung, die Ressortzuständigkeiten neu zu verteilen, sind verschiedene Erkenntnisse aus unterschiedlichen Quellen eingeflossen.
Das Auswärtige Amt wird zukünftig die humanitäre
Hilfe verantworten. Das BMZ verantwortet die entwicklungsorientierte und strukturbildende Übergangshilfe,
insbesondere in Kooperationsländern der deutschen EZ.
Diese klarere Aufgabenverteilung war notwendig, um
die Kohärenz und Effizienz der Bundesregierung zu erhöhen. Die Brücke zur Entwicklungszusammenarbeit
wird durch weiterhin enge Abstimmung zwischen AA
und BMZ gewährleistet.
Ihre Nachfrage, Kollege Binding.
Ich möchte fragen, ob Sie die Formulierung „verschiedene Erkenntnisse aus unterschiedlichen Quellen“ etwas
spezifizieren können. Ihre Antwort habe ich verstanden;
sie zitiert im Wesentlichen die in der Frage aufgenommenen Gedanken. Aber ich würde gerne die Formulierung
„verschiedene Erkenntnisse aus unterschiedlichen Quellen“ mit dem Gutachten zusammenbringen. Ich glaube,
wir sind uns über die Ziele einig; aber ich halte die operative Umsetzung, die Verlagerung der Dinge in das AA,
für zweifelhaft. Meiner Meinung nach wäre das beim
BMZ insgesamt sehr viel besser aufgehoben. Ich frage,
ob Sie als Vertreterin des BMZ nicht auch dieser Meinung
sind.
Herr Kollege Binding, die Kernfrage ist doch: Wie
können wir die Nothilfe, also die erste Hilfe bei Katastrophen, so effizient, so schnell und so eng abgestimmt
wie irgend möglich koordinieren? Es ist in verschiedenen Gutachten immer wieder die Rede davon gewesen,
dass die Zusammenführung in diesem Bereich, sagen
wir einmal, suboptimal, also verbesserungswürdig, war:
Das eine Ministerium lieferte die Lebensmittel und das
andere das Essgeschirr dazu. Da hat es in der Vergangenheit immer wieder Verzögerungen gegeben. Es gibt Verzögerungen, bis der Krisenstab gebildet ist und jeder
seine Beiträge leistet.
Die zentrale Frage ist: Wie können die Menschen, die
vor Ort Hilfe brauchen, optimal versorgt werden? Die
zweite Frage ist: Wie können wir bei Katastrophen, die
vorhersehbar sind, durch mittel- und langfristige Strukturen, die noch aufzubauen sind, helfen, zum Beispiel im
Bereich der ländlichen Entwicklung? Darum kümmert
sich das BMZ. Ich finde das sehr gut. Wir ergänzen uns
an dieser Stelle auch sehr gut. Natürlich ist es eine Frage
der Ausgestaltung. Wir sind dabei, die Vorhaben umzusetzen. Wer das letzten Endes macht, ist nicht der zentrale Punkt, sondern von zentraler Bedeutung ist, wie wir
schnellstens und mit dem geringsten Kohärenzverlust arbeiten.
Zweite Frage, Kollege Binding.
Lassen wir das im Dissens stehen. - Ich möchte fragen, was zwischen dem 18. Januar und dem 27. Januar
2012 passiert ist; denn in der Ausschussdrucksache 4300
vom 27. Januar ist die Übertragung von 95 Millionen
Euro aus dem entsprechenden BMZ-Titel in das Auswärtige Amt vorgesehen, während in einer Vorlage, die
den Berichterstattern am 18. Januar zugegangen ist, noch
behauptet wird, die Mittel sollen erst im regulären Aufstellungsverfahren betreffend den Haushalt 2013 dafür
vorgesehen werden.
Herr Kollege Binding, Sie wissen selbst, dass es heute
Vormittag - so bin ich informiert - im Haushaltsausschuss ein Abstimmungsgespräch zu dieser Vereinbarung zwischen AA und BMZ mit den Haushaltsberichterstattern gegeben haben soll. Dort sollten letzte Fragen
geklärt werden. Ich bin sicher, dass dies eine der Fragen
war, die noch zu klären waren.
Es gibt also noch Abstimmungsgespräche. Sie wissen
auch, dass sich die Fachausschüsse - auch der Haushaltsausschuss und alle weiteren Ausschüsse, die daran
beteiligt sind - erst Ende des Monats mit diesem Thema
befassen, weil vorweg das Abstimmungsgespräch mit
den Haushältern stattfinden sollte.
Es gibt dann eine weitere Frage der Kollegin Roth.
Frau Kollegin Kopp, im Rahmen des Gutachtens geht
es nicht nur um die Not- und Übergangshilfe, sondern
auch um weitere operative Empfehlungen, die ich sehr
Karin Roth ({0})
interessant und spannend finde, unter anderem die Einführung von Verpflichtungsermächtigungen, um insbesondere die Budgethilfe zu organisieren. Ein zweiter
Punkt ist: weniger Projekte, dafür mehr Programme. Ein
dritter Punkt ist: Übertragung der Gemeinschaftsaufgaben, also Kooperation mit der Europäischen Union, weil
unser Budget insgesamt relativ gering ist.
Werden diese Punkte auch nach den Empfehlungen
des Gutachters abgearbeitet, oder bleiben sie sozusagen
ausgeschlossen? Würden sie nicht umgesetzt werden,
dann würden all die Punkte, die ich eben angesprochen
habe, ganz im Sinne der SPD-Fraktion in die anderen
Bereiche einfließen.
Frau Kollegin Roth, wir haben heute im Fachausschuss AwZ kurz das Evaluierungsgutachten angesprochen. Wir haben zwar nicht inhaltlich, aber verfahrenstechnisch darüber diskutiert.
Das Gutachten enthält eine ganze Reihe von Empfehlungen. In Auftrag gegeben wurde es 2008, also zu Zeiten der vorherigen Regierung, als das Ministerium unter
SPD-Leitung stand. Es wurden etliche Fragen und Details - es ist sehr umfangreich - darin aufgeführt, auch
zu der damaligen Arbeit im BMZ im Zeitraum bis 2009.
Das Gutachten bleibt selbstverständlich nicht unbeachtet. Vielmehr haben wir das Gutachten schon sehr intensiv beraten und ausgewertet. Wir werden Ihnen in der
nächsten Sitzung im AwZ im Rahmen der breiten Debatte, die dort stattfinden soll, unsere Meinung dazu sagen.
Insgesamt bleibt natürlich die Tatsache, dass wir unsere Entwicklungsarbeit kohärent gestalten müssen. Sie
haben zum Beispiel gesagt: Eine Empfehlung des Gutachtens betrifft die Abstimmung mit der EU. Sie kennen
das Thema „Joint Programming“. Es gibt viele EU-Partner, die sich hier überhaupt nicht abstimmen wollen. Natürlich ist es wichtig, sich gerade auch bei Großprojekten
abzustimmen, an denen wir über Gemeinschaftsfinanzierungen beteiligt sind. Immerhin finanzieren wir Deutsche aus unseren Steuergeldern 20 Prozent der EU-Leistungen in diesem Bereich. Wir wollen da ein großes
Wort mitzureden haben, und das haben wir auch. Wir
wollen Einfluss nehmen und möchten, dass es in diesem
Bereich eine Abstimmung gibt.
In dem Gutachten gibt es andere Empfehlungen, die
wir nicht teilen und zu denen wir sagen: Nein, die politische Ausrichtung der schwarz-gelben Regierung in der
Entwicklungszusammenarbeit ist eine andere. - Ich
finde, das ist die Freiheit, die man dabei hat.
Das Gutachten wird also im Detail beachtet und ist,
wie gesagt, diskutiert worden. Es ist selbstverständlich
nicht für den Papierkorb, sondern wird Gegenstand weiterer Debatten im Parlament sein.
Vielen Dank. - Wir kommen dann zur Frage 6 der
Kollegin Dr. Bärbel Kofler:
Warum wurde die bereits mehrfach in Aussicht gestellte
und letztlich für den September 2011 angekündigte Bildungsstrategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bis zum heutigen Tag nicht veröffentlicht, und wie will der Bundesminister Dirk Niebel seinen
strategischen Plan mit dem Titel „Zehn Ziele für Bildung BMZ Bildungsstrategie 2010-2013“ in der verbleibenden Zeit
bis September 2013 noch umsetzen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Danke schön. - Frau Kollegin Kofler, auf Ihre Frage
antworte ich Ihnen wie folgt: Im September 2011 endete,
wie angekündigt, der Konsultationsprozess zum Entwurf
unserer Bildungsstrategie. Das, Frau Kollegin Kofler,
war ein sehr umfangreicher Prozess. Sie können sich sicher daran erinnern; wir haben auch im Ausschuss darüber gesprochen. Wir haben daraufhin den Textentwurf
auch dank der vielen Beiträge unserer Partner nochmals
substanziell verbessert. Die endgültige BMZ-Bildungsstrategie wird in dieser Woche - genauer gesagt, morgen, am Donnerstag - durch Bundesminister Niebel im
Rahmen einer Bundespressekonferenz der Öffentlichkeit
vorgestellt.
Mit der Umsetzung einiger Ziele haben wir bereits
begonnen. So haben wir beispielsweise die Mittel weltweit und für Afrika substanziell gesteigert. Mit Äthiopien haben wir einen neuen Bildungsschwerpunkt vereinbart. Die Leuchtturmvorhaben werden auf den Weg
gebracht.
Die Erfüllung der übrigen Ziele wird aktuell überarbeitet und das dazu notwendige Bündel an Einzelmaßnahmen nach der morgigen Pressekonferenz umgesetzt.
Wie bereits im Entwurf der Strategie angekündigt, wollen wir uns an der Erreichung unserer zehn strategischen
Ziele für Bildung messen lassen. Genau so soll es sein,
Frau Kofler.
Nachfrage? - Bitte.
Ich knüpfe einmal an die Messbarkeit an. Das ist in
der Tat der Schlusssatz des vorliegenden Strategiepapiers. Bis jetzt kann ich nichts anderes beurteilen als das,
was mir vorliegt. Wenn man etwas messen möchte, dann
muss man es ins Benehmen setzen und irgendwelche Indikatoren haben, die man messen oder erreichen möchte.
Ich frage Sie deshalb ganz konkret: Können Sie Indikatoren benennen, an denen Sie sich im Rahmen Ihrer Bildungsstrategie messen lassen wollen? Bisher sind mir
dazu keine bekannt.
Das ist in der Tat immer die Debatte auf allen Konferenzen auf EU- oder internationaler Ebene. Nach den
Weltbildungsberichten, die es auf internationaler Ebene
gibt - Sie kennen das wahrscheinlich auch von den
MDGs -, wird Bildung daran gemessen, wie viele Einschulungen es gibt, also wie viele Kinder - natürlich
Mädchen und Jungen - in die Schule kommen. Das ist
ein Kriterium, das aber nicht allein stehen bleiben darf.
Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen nicht nur die
Zahl der Einschulungen messen, sondern auch: Wie
lange bleiben die Kinder in der Schule? Wie viele Jahre
werden sie beschult? Gibt es für sie eine Anschlussbildung bis hin zur universitären Bildung, aber auch zur
technischen Ausbildung? Diese Schritte sind natürlich
messbar. Die MDGs zum Beispiel sehen das nicht vor.
Sie gehen nur von der Grundbildung aus. Unser Konzept
und auch unsere Strategie gehen weit darüber hinaus,
weil wir der Meinung sind: Wir brauchen den gesamten
Bildungsstrang, um Entwicklung überhaupt erfolgreich
gestalten zu können. Wir dürfen nicht auf halber Strecke
stehen bleiben. Das macht dieses eine Beispiel schon
deutlich.
Zweite Nachfrage? - Bitte.
Um ein bisschen konkreter zu werden: Ich glaube, in
unserem Ausschuss ist unstrittig, dass man die Qualität
der Bildung in einen ganz besonderen Fokus stellen
sollte.
Ja.
Sie haben vorhin von Äthiopien und von Leuchtturmprojekten gesprochen. Sie haben in diesem Zusammenhang die finanziellen Mittel angesprochen. Im Zusammenhang mit Frage 7 kommen wir sicher im Detail
darauf zu sprechen, wie das Ganze umgesetzt und ausgestattet werden soll. Mit Verlaub: Nach zweieinhalb Jahren liegt nur ein Zehn-Punkte-Strategiepapier vor. Ich
möchte schon wissen, wie Sie diese umfangreiche Implementierung realisieren wollen. Sie haben das Thema
„Qualität in der Bildung“ angesprochen. Mit welchen
Maßnahmen soll Qualität in der Entwicklungszusammenarbeit verbessert werden, und zwar sowohl in der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit als auch mit
Blick auf den deutschen Anteil an der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit? Mit welchen Maßnahmen,
mit welchen konkreten Schritten und mit welchem Geld
soll dies geschehen?
Ich beantworte Ihre Frage sehr gerne, Frau Kofler.
Dazu kann ich Ihnen einiges nennen. Ich fange mit dem
Geld an: Die bilateralen staatlichen Mittel für Bildung
werden weltweit erhöht. Die Mittel für Bildungsprojekte
in Afrika beispielsweise werden verdoppelt: von
68,5 Millionen Euro in 2009 auf mindestens 137 Millionen Euro in 2013.
Das Zweite, was ich Ihnen sagen möchte, betrifft das
lebenslange Lernen. Dabei geht es um die Qualität der
Bildung und um inklusive Bildung. Das ist ein ganz
wichtiger Punkt, auch um benachteiligte Bevölkerungsgruppen einzubeziehen. In diesem Zusammenhang
nenne ich ausdrücklich Menschen, insbesondere Kinder,
mit Behinderungen. Inklusive Bildung ist geschlechterneutral und auf Wirksamkeit ausgerichtet.
Ich nenne Ihnen zehn Punkte, die in der Bildungsstrategie wirklich zentral sind: Bildungschancen eröffnen,
Bildung ganzheitlich fördern, Qualität und Zugang zu
Grund- und Sekundarbildung, berufliche Bildung weiter
ausbauen, Hochschulbildung und Wissenschaft für zukünftige Verantwortungsträger öffnen, gleiche Chancen
für Mädchen und Jungen, innovative Bildungsansätze,
Dialog stärken, Wirksamkeit steigern, unternehmerisches Potenzial für Bildung nutzen. Wir wollen also
auch das Potenzial der Privatwirtschaft nutzen und ihr
Engagement im Bereich Bildung fördern, das heißt für
Bildung begeistern.
Zur Vorbereitung des Entwurfs einer Bildungsstrategie haben wir sechs Fachkonferenzen durchgeführt. Frau
Kofler, es gab einen partizipativen Prozess im Internet, an
dem sich jeder beteiligen konnte; davon habe ich eben gesprochen. In der Konsultationsphase wurden aber auch
sechs Fachkonferenzen mit Vertretern der Durchführungsorganisationen und Vertretern der Zivilgesellschaft - Kirchen, Wirtschaft, Wissenschaft - durchgeführt. Das ist
partizipative Entwicklungszusammenarbeit. Dabei standen im Fokus: Qualität von Bildung, Bildungsförderung
in fragilen Kontexten, ganzheitliche Bildungsförderung,
Berufsbildung, Hochschulbildung, Bildungsfinanzierung.
Wir haben unsere Bildungsstrategie ressortübergreifend mit dem Auswärtigen Amt, dem BMBF und dem
BMWi abgestimmt. Wir haben Gespräche mit nationalen
NRO-Vertretern aus dem Bereich Bildung geführt. Am
morgigen Tag werden wir das gesamte Konzept als Ergebnis dieses Prozesses vorlegen und vorstellen.
Vielen Dank. - Jetzt kommt eine Frage des Kollegen
Movassat.
Danke, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, Sie
haben gerade gesagt, dass die Strategie, die bald veröffentlicht wird, substanziell verbessert wurde. Ich habe
eine inhaltliche Nachfrage zu dem bisherigen Entwurf.
In dem Entwurf, der uns vorgelegt wurde, war nicht die
Rede davon, staatliche Bildungssysteme in den Ländern
des Südens aufzubauen, zu verbessern oder zu unterstützen. Mich interessiert, ob es an dieser Stelle einen Kurswechsel gegeben hat, ob man staatliche Bildungssysteme stärken will, weil nur diese allen Kindern den
gleichen Zugang zu Bildung gewährleisten können,
während das Setzen auf private Trägerschaften - das war
ein entscheidender Aspekt im bisherigen Entwurf der
Bildungsstrategie - am Ende dazu führt, dass es noch
mehr private Bildungsträger gibt und einige Eltern ihren
Kindern aufgrund der Schul- und Studiengebühren keinen Zugang zu Bildung gewährleisten können.
Herr Movassat, das eine schließt das andere nicht aus.
Wir helfen beim Aufbau von staatlichen Bildungseinrichtungen, aber wir unterstützen auch private.
Dann kommen wir zur Frage 7 der Kollegin Bärbel
Kofler:
Wie will der Bundesminister Dirk Niebel die inhaltlichen
Ziele der angekündigten Bildungsstrategie angesichts des seit
zwei Jahren stagnierenden entwicklungspolitischen Haushaltes mit den nötigen finanziellen Mitteln unterfüttern, und wie
viel Prozent der ODA-anrechenbaren - ODA: öffentliche Entwicklungszusammenarbeit - Mittel des BMZ für Bildung
werden zukünftig zur Förderung der Grundbildung in der Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt?
Auf Ihre Frage antworte ich Ihnen wie folgt: Die mit
der Rahmenplanung zur Verfügung stehenden Mittel aus
dem Einzelplan 23 sind für 2012 so hoch wie nie zuvor.
Insbesondere die für die Bildungsförderung veranschlagten Mittel sind gestiegen. Darüber hinaus gilt, dass nicht
alle Verbesserungen in der Bildungsförderung unmittelbar Kosten verursachen. Die Stärkung der Ressortkohärenz ist hierfür ein Beispiel.
Die Grundbildungsförderung ist weiterhin ein essenzieller Bestandteil unserer Bildungsförderung. Da Regierungszusagen jedoch grundsätzlich im Rahmen von
Regierungsverhandlungen gemacht werden, in denen
auch unsere Partner ihre Vorstellungen zur zukünftigen
Zusammenarbeit formulieren, ist nicht ganz genau quantifizierbar, wie hoch der potenzielle Anteil der Mittel zur
Förderung der Grundbildung für die kommenden Jahre
sein wird.
Nachfrage? - Bitte schön, Frau Kofler.
Frau Staatssekretärin, eine konkrete Antwort auf eine
konkrete Frage sieht meines Erachtens ein bisschen
anders aus. Es geht ja um Haushaltszahlen; diese sind
überprüfbar. Es gibt immer Sollzahlen, Istzahlen und
Sektoren, die mit bestimmten Mitteln unterfüttert bzw.
unterlegt sind. Wenn die Aussage stimmt - ich begrüße
es ja, wenn mehr Geld in Bildung investiert wird -, der
Haushalt aber nicht in den Proportionen ansteigt, die Sie
gerade noch einmal für den Bereich Bildung genannt haben, dann möchte ich gerne wissen: Aus welchen anderen Sektoren werden Mittel abgezogen, um den Bereich
Bildung stärker zu fördern? Handelt es sich um andere
wichtige Sektoren wie zum Beispiel Gesundheit und soziale Sicherung? Woher nehmen Sie die Mittel?
Zu Ihrer Aussage, dass nicht alles Geld kostet, frage
ich: Wie stehen Sie zu den Erkenntnissen auch der
UNESCO, dass man, wenn man in die Qualität der Bildung investiert, insbesondere auch in die Gehälter, die
Ausstattung und Ausbildung der Lehrer investieren
muss? Auch das kostet Geld, und zwar nicht unerheblich. Es hängt also doch ein bisschen vom Geldbeutel ab.
Frau Kollegin Kofler, selbstverständlich, ohne Geld
läuft das nicht; das ist gar keine Frage. Ich will Ihnen sagen: Der neueste Haushalt ist der dritte Haushalt in
Folge, bei dem es einen Aufwuchs gibt. Dieser Aufwuchs ist bescheiden, beträgt aber immerhin insgesamt
500 Millionen Euro. Dies ist enorm, zumal wir gehalten
sind, auch hier einzusparen. Ich finde das bemerkenswert. Früheren Regierungen ist dies jedenfalls nicht gelungen.
({0})
Ich will Ihnen auch sagen, dass Deutschland bei den
ODA-Auszahlungen im Bereich Bildung mit 1,26 Milliarden Euro in 2010 zweitgrößter Geber weltweit war
und die Ausgaben für Bildung in den nächsten Jahren
kontinuierlich steigern wird. Das ist ein enormer Betrag.
Seit Beginn der Legislaturperiode, Frau Kollegin Kofler,
hat die deutsche Entwicklungspolitik im Bereich Bildung finanzielle Akzente gesetzt. Unsere Regierungszusagen für Mittel im Bereich Bildung weltweit haben wir
substanziell erhöht, und zwar auf aktuell 392 Millionen
Euro für 2012. Diese Zahl liefert ein umfassendes Bild
unseres Engagements. Darunter fallen erstmals sowohl
originäre Bildungsmaßnahmen im Umfang von 267 Millionen Euro als auch Bildungsbestandteile in Vorhaben
anderer EZ-Schwerpunkte im Umfang von 125 Millionen Euro.
Wir konzentrieren uns in der Bildungszusammenarbeit vor allen Dingen auf zehn Länder: Afghanistan, Angola, Guatemala, Guinea, Honduras, Jemen, Kosovo,
Malawi, Mosambik und Pakistan. Wir als BMZ haben
uns vorgenommen, Bildung in nahezu jedem Entwicklungsland zu einem Hauptthema zu machen; denn - ich
glaube, da sind wir uns einig - ohne die Förderung von
Bildung werden wir die Entwicklung in den armen Ländern nicht voranbringen. Das Geld, das dafür eingesetzt
wird, ist ein ganz wichtiger Punkt.
Sie fragten, woher wir das Geld nehmen.
Frau Kollegin, ich bitte Sie: Die Leuchtzeichen sind
nicht nur zum Schmuck des Saales da, Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Okay.
- sondern sie sollten auch beachtet werden.
({0})
Okay.
Ich würde dann Frau Kofler bitten, ihre zweite Nachfrage zu stellen.
Ich würde mich freuen, wenn ich Ihre weiteren Erläuterungen schriftlich bekäme. Darauf bin ich gespannt.
Ich finde es interessant, welche Zahlen Sie in den
Raum stellen, Frau Kopp. Mit Verlaub: Sie streuen den
Leuten schon ein bisschen Sand in die Augen, wenn Sie
hier von einem Aufwuchs in Höhe von 500 Millionen
Euro sprechen, diesen aber an Ihrer mittelfristigen
Finanzplanung und nicht am Vorjahreshaushalt bemessen. Das ist an dieser Stelle ein bisschen Zahlentrickserei.
Ich fand es ganz spannend, dass Sie eine Zahl genannt
haben, nämlich die Zahl 1,26 Milliarden Euro im Hinblick auf die ODA-Auszahlungen im Bereich Bildung.
Meine Frage bezog sich allerdings auf die Grundbildung; dazu konnten Sie mir aber keine Zahlen nennen.
Die spannende Frage lautet, wie hoch der Anteil der
Grundbildung daran ist. Ich versuche, diese Frage an
dieser Stelle einzubetten.
Die Länder, um die es geht, haben Sie erwähnt; dieses
Thema ist, wie ich denke, ganz entscheidend. Denn es
gibt leider immer mehr Länder, die im Rahmen der internationalen Geberkoordinierung gerade beim Thema Bildung herausfallen; als eines dieser Länder nenne ich
Burkina Faso. Mich würde interessieren, welche Rolle
Sie gerade in multinationalen Zusammenschlüssen spielen wollen, um die Bildung gemeinsam zu fördern und
die sogenannten Donor Orphans zu vermeiden.
Frau Kollegin Kofler, ich kann Ihnen den Betrag, den
wir weltweit für die Grundbildung bereitstellen, jetzt
nicht separat nennen. Ich habe versucht, deutlich zu machen: Die Zahlen, die wir im Rahmen des Bildungspaketes vorzuweisen haben, sind wirklich eindrucksvoll. Ich
kann allerdings in unserem Haus gerne nachfragen, ob
ich die entsprechende Zahl zur Grundbildung bekommen
kann.
Selbstverständlich ist es wichtig, im internationalen
Kontext sowohl gemeinsam Bildungsstrategien umzusetzen, auch mit anderen Donor-Ländern, als auch separat aktiv zu sein. Außerdem gibt es - das habe ich eben
deutlich zu machen versucht - Leuchtturmprojekte, in
deren Rahmen wir die Wirkungen ganz bestimmter Bildungsstrategien am besten herausarbeiten können. Dann
können wir die Frage beantworten: Sind diese Strategien
geeignet, in größerem Maßstab verfolgt zu werden, oder
nicht? Hier gibt es sehr viele verschiedene Projekte,
auch solche, die sich in der Phase der Erprobung befinden.
Vielen Dank. - Wir kommen dann zur Frage 8 der
Kollegin Dr. Barbara Hendricks:
Mit welcher Begründung streicht die Bundesregierung die
Republik Senegal aus der Gruppe der Länder der bilateralen
Entwicklungszusammenarbeit, EZ, mit Länderprogrammen
mit den drei bisherigen Schwerpunkten „Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung“, „Förderung der Dezentralisierung und
lokalen Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung der
Friedensentwicklung in der Casamance“ sowie „Erneuerbare
Energien und Energieeffizienz“ und handelt damit entgegen
dem Rat unter anderem der vor Ort arbeitenden deutschen
politischen Stiftungen und anderer Nichtregierungsorganisationen, und was wird der zukünftige einzige Schwerpunkt im
Rahmen der deutschen bilateralen EZ mit dem Land als
Kooperationsland mit fokussierter regionaler oder thematischer Zusammenarbeit sein?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Dr. Hendricks, ich will Ihnen dazu sagen: Die Bundesregierung sieht die Graduierung des
Senegal von einem Kooperationsland mit vollem bilateralen Länderprogramm zu einem Kooperationsland mit
fokussierter regionaler oder thematischer Zusammenarbeit vor. Der Senegal gehört zwar noch zu den am wenigsten entwickelten Ländern, zu den LDCs, verfügt
aber im Vergleich zu anderen Ländern in Westafrika und
Subsahara-Afrika über ein relativ hohes Pro-Kopf-Einkommen von 1 040 US-Dollar.
Das Land gehört aus Sicht des BMZ zur Gruppe der
Länder, die sich wirtschaftlich und politisch stabil entwickeln könnten. Allerdings ist schon seit einiger Zeit eine
Verschlechterung der Governance-Situation und der Entwicklungsorientierung des Regierungshandelns festzustellen. Auch das nehmen wir durchaus zur Kenntnis,
und wir beobachten die Entwicklung.
Eine Nachfrage, Frau Hendricks?
Ja. - Frau Kollegin Kopp, ich möchte klarstellen, dass
im Hinblick auf die Entwicklungszusammenarbeit mit
dem Senegal folgende drei Schwerpunkte nicht mehr gesetzt werden: „Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung“,
„Förderung der Dezentralisierung und lokalen Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung der Friedensentwicklung in der Casamance“ sowie „Erneuerbare
Energien und Energieeffizienz“. In Beantwortung meiner Frage haben Sie gerade gesagt, das Land sei jetzt ein
Kooperationsland mit fokussierter regionaler oder thematischer Zusammenarbeit. Welche regionale oder thematische Zusammenarbeit ist das denn jetzt? Worauf fokussiert sich das, was übrig geblieben ist? Das haben Sie
nicht zum Ausdruck gebracht.
Nur um es für die Zuhörerinnen und Zuhörer noch
einmal deutlich zu machen: Das Pro-Kopf-Einkommen
von 1 040 US-Dollar bezieht sich natürlich auf ein Jahr.
Das sind also knapp 3 US-Dollar am Tag, was natürlich,
das wissen wir, mehr als 1 US-Dollar am Tag ist, aber
damit ist im Senegal natürlich noch kein Reichtum ausgebrochen. Deswegen müssten Sie Ihre Entscheidungen
eigentlich doch noch einmal ein bisschen besser begründen, als Sie das in der Antwort jetzt getan haben.
Frau Kollegin Hendricks, ich stimme Ihnen absolut
zu, dass das von mir genannte Pro-Kopf-Einkommen
von 1 040 US-Dollar pro Jahr wirklich keinen Reichtum
bedeutet; das ist gar keine Frage. Trotzdem entwickelt
sich dieses Land derzeit trotz aller Erwägungen dort und
trotz mancher vielleicht auch kritischer Entwicklungen,
die sich dort zeigen, eigentlich recht stabil.
Ich will Ihnen aber auch noch einmal ausdrücklich sagen, dass wir als Bundesregierung eine enge Kooperationspartnerschaft mit dem Senegal beibehalten wollen
und auch die privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit weiter ausbauen und unterstützen.
Das wollen wir schon. Im Sinne des EU-Verhaltenskodex für eine bessere Arbeitsteilung zwischen den EUGebern sieht die Bundesregierung angesichts von immerhin 32 bi- und multilateral tätigen Gebern - 7 davon
sind EU-Mitgliedstaaten mit Präsenz im Land - außerdem die Möglichkeit, vorhandene Spielräume zu nutzen,
um auch in anderen Ländern der Region Entwicklungsprozesse voranzubringen.
Über die Frage, auf welchen Schwerpunkt sich die bilaterale Zusammenarbeit in Zukunft konzentrieren soll,
haben wir mit der senegalesischen Regierung zum geeigneten Zeitpunkt noch Gespräche zu führen. Dieser ist
noch nicht festgelegt.
Noch einmal: Wir haben entschieden, die Zahl der
Länder, mit denen eine Kooperation des ersten Grades
erfolgt, also derjenigen, mit denen wir das volle dreigleisige Programm durchführen, von 57 auf 50 zu kürzen,
um uns auf diese konzentrieren zu können. Denken Sie
daran: Die Briten arbeiten gerade einmal mit 28 Ländern
weltweit zusammen. Deshalb haben wir gesagt: Es gibt
im Senegal eine Vielzahl von Gebern - ich habe die Zahl
eben genannt -, und wir beobachten die weiteren Entwicklungen. Das ist überhaupt nicht in Stein gemeißelt,
aber wir sind der Meinung, dass wir uns jetzt auf einen
zentralen Schwerpunkt konzentrieren können.
Frau Hendricks, Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte
schön.
Wie Sie gerade gesagt haben, sind Sie ja dabei, diesen
zentralen Schwerpunkt auszuarbeiten. Es ist also noch
nicht festgelegt, in welchem Bereich sich Deutschland in
Zukunft im Senegal einbringen wird.
Sind Sie nicht auch mit mir der Auffassung, dass es
gerade dann, wenn sich auf der einen Seite Stabilisierungstendenzen in einem Land zeigen und auf der anderen Seite durchaus auch kritische Anmerkungen in Richtung Good Governance erfolgen müssen, besonders
wichtig ist, Präsenz zu zeigen, um genau diese beiden
Punkte, nämlich die Stärkung von Good Governance
und die Verstärkung der Stabilität des Landes, miteinander zu verbinden? Warum, um Himmels willen, soll sich
solch ein Land sonst anstrengen, um voranzukommen?
Es ist noch immer arm und gehört weiterhin zu den
Least Developed Countries. Sie sagen aber nur: Es gibt
eine ganz gute Tendenz. Macht jetzt mal alleine weiter,
auch wenn ihr noch immer zu den Ärmsten gehört.
Nein, Frau Hendricks, genau so ist es nicht. Es ist
nicht so, dass wir die Länder dann quasi sich selbst überlassen. Ich habe eben aber gesagt: Wir müssen natürlich
schauen, auf welche Länder wir uns konzentrieren; denn
es gibt neben dem Senegal noch weitere Länder, die zu
den ärmsten Ländern gehören. Das ist gar keine Frage.
Sie wissen doch, dass wir uns aufgrund der Arbeitsteilung auf EU-Ebene natürlich auch mit den anderen
Gebern absprechen. Es gibt 32 weitere Geberländer, wovon 7 EU-Staaten dort präsent sind. Es steht außer Frage,
dass wir uns natürlich vergewissern, ob in dem Bereich
weiter stabilisierend gearbeitet wird, dass wir den Prozess weiter verfolgen und auch Gespräche in diese Richtung führen und dass wir wollen, dass diese stabilisierenden Instrumente auch weiter wirken.
Zu den Least Developed Countries, also den wirklich
ärmsten Ländern, möchte ich noch sagen: Wir haben die
Entscheidung hinsichtlich dieser verbleibenden 50 Länder nach bestimmten Kriterien getroffen. Auf diese haben wir uns geeignet und wollen wir uns konzentrieren.
In diesen 50 Ländern wollen wir das Programm in der
ganzen Bandbreite durchführen. Wir stimmen uns natürlich auch auf EU-Ebene ab und hören, welche Schwerpunkte andere Geber setzen. Das heißt, die stabilisierende Entwicklung findet trotzdem weiterhin statt.
Jedenfalls beobachten wir das in diese Richtung.
Herr Movassat, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, die
Frage ist, nach welchen Kriterien man entscheidet, welche Ländernamen aus der Liste gestrichen werden. Ich
würde sagen, Kriterien müssen sein, inwiefern es notwendig ist, Entwicklungszusammenarbeit zu leisten, um
die MDGs zu erreichen - im Fall von Senegal ist klar,
dass dort die Entwicklungszusammenarbeit noch nötig
ist -, und inwiefern die Schwerpunkte, die man für ein
Land erarbeitet und dort setzt, einzigartig sind und erfüllt werden. Das ist bei einem Teil der Schwerpunkte,
die Deutschland im Senegal verfolgt, der Fall. Das heißt,
für bestimme Bereiche gibt es keine anderen Geber.
Es gibt dann Kriterien, die aus meiner Sicht damit
nicht zusammenhängen dürfen. Es ist zum Beispiel im
Fall von Senegal so, dass es dort relativ wenige Direktinvestitionen der deutschen Wirtschaft gibt, dass es ein geringes Außenhandelsvolumen hat, dass man politisch relativ wenig Einfluss hat, weil Frankreich sehr großen
politischen Einfluss ausübt, dass es im Senegal keine
Rohstoffvorkommen gibt. Können Sie ausschließen,
dass solche Kriterien bei der Entscheidung, welche Ländernamen von der BMZ-Länderliste gestrichen werden
oder, wie in diesem Fall, die Förderung für den Senegal
von drei Schwerpunkten auf einen Schwerpunkt herunterzustufen, eine Rolle gespielt haben?
Herr Movassat, Ihre Frage impliziert, dass wir mit all
jenen Ländern, die arm sind, über wenig Rohstoffe verfügen und auch für andere reiche westliche Länder interessant sind, keine Zusammenarbeit wollen. Diese Vermutung weise ich zurück. Sie müssten eigentlich wissen,
dass dazu überhaupt keine Veranlassung besteht.
Wir sind angetreten, die Entwicklungszusammenarbeit im Sinne von Lebensperspektiven, die zu schaffen
sind, zu verstärken. Selbstverständlich bemühen wir uns
auch um eine verantwortungsbewusste Zusammenarbeit
mit der Privatwirtschaft, die Sie nicht so mögen, aber
von der wir meinen, dass sie sehr viel Investment bringen kann, das wir alleine gar nicht schultern können.
Nein, es ist in der Tat so: 32 Geber engagieren sich
vor Ort. Sie haben zu Recht gesagt: Die Franzosen sind
hier aus historischen Gründen ganz vorne. Angesichts
dessen stellt sich die Frage, ob wir als weiterer Geber
mit dem ganzen Programm vor Ort präsent sein müssen
oder ob wir uns auf andere Länder konzentrieren, denen
es ähnlich wie dem Senegal geht. Dabei behalten wir die
Situation im Auge und legen in Regierungsverhandlungen einen Schwerpunkt der künftigen Kooperation fest,
weil wir den Regierungen der Länder nichts aufoktroyieren wollen, sondern mit ihnen gemeinsam deren Entwicklung zu entwickeln versuchen.
Frau Dağdelen, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte an die
erste Antwort auf die Frage meiner Kollegin Hendricks
anknüpfen. Sie sagten in der ersten Antwort bezüglich
der Kürzung der Mittel: Im Senegal ist vor allen Dingen
eine Verschlechterung in Sachen Good Governance und
Regierungshandeln zu verzeichnen. Insofern möchte ich
sagen: Es ist gut, wenn aus der Erfahrung gelernt wird,
von der jetzigen, aber auch den vorangegangenen Regierungen, dass man autoritären Regierungsstil oder
schlechte Regierungsführung nicht mehr finanzieren und
unterstützen möchte.
Aber in diesem Zusammenhang stellt sich ein Widerspruch dar. Trotz des immer offener zutage tretenden autoritären Regierungshandelns des jetzt amtierenden Präsidenten, der gleichzeitig Kandidat für die nächsten
Präsidentschaftswahlen Ende Februar ist, und trotz des
ihm nahestehenden Verfassungsrates, der ihm entgegen
dem Wortlaut der Verfassung eine dritte Amtszeit ermöglicht und andere Kandidaten zur Wahl nicht zugelassen hat, frage ich mich, warum diese Bundesregierung
erst kürzlich, Mitte Januar, ein Vierjahresprogramm zur
Ausstattungs- und Ausbildungshilfe für den Senegal beschlossen hat. Es umfasst militärische und auch polizeiliche Ausstattungs- und Ausbildungshilfe, also die Ausbildung senegalesischer Polizisten oder auch die
Beratung von Bundeswehrsoldaten bei der militärischen
Ausbildungs- und Ausstattungshilfe. Das stellt sich für
mich als Widerspruch dar. Vielleicht könnten Sie das näher erläutern.
Frau Kollegin, der jetzige Regierungsführer, bereits
85-jährig, soll in der Tat noch eine weitere Amtsperiode
übernehmen. Dem stehen wir mit großer Skepsis gegenüber. Wir sehen auch, dass das eigentlich gegen die Verfassung ist, und deswegen sehen wir das, was dort geschieht, nicht positiv. Diese Entwicklung beobachten wir
auch. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch mit Programmen versuchen, rechtsstaatliche Strukturen zu
schaffen.
Wenn Polizeikräfte ausgebildet werden, dann soll das
Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei und rechtsstaatliche Strukturen nach demokratischen Verfahren gestärkt werden. Darin sehe ich keinen Widerspruch.
Ich sage aber noch einmal: Wir sind natürlich an einer
positiven Entwicklung Senegals interessiert, und dies
wird bei den anstehenden Verhandlungen über den
Schwerpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit, den
wir jetzt gemeinsam festlegen werden, eine Rolle spielen. Wir werden auch thematisieren, was nach unserer
Meinung an welcher Stelle schiefläuft. Das ist der Sinn
einer solchen Kooperation. Wir können aber nicht alle
Probleme lösen. Wenn es darum geht, Schwerpunkte zu
bilden, müssen wir Entscheidungen treffen. 50 Länder in
der höchsten Kategorie der Zusammenarbeit sind schon
viel. Das müssen Sie sehen.
Aber ich wiederhole: Wir beobachten die Entwicklung. Wir sind auch weiterhin mit der Regierung vor Ort
im Gespräch, damit weiterhin eine positive Entwicklung
stattfinden kann.
Wir kommen jetzt zur Frage 9 der Kollegin
Dr. Barbara Hendricks:
Welche Auswirkungen haben die Gewaltausbrüche in Nigeria auf laufende entwicklungspolitische Projekte?
Frau Kollegin Hendricks, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Die laufenden Programme der staatlichen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit von GIZ und
KfW in Nigeria, die in den Bundesstaaten Niger, Borno
und Plateau - also in den Regionen, die unlängst im Zentrum der Gewaltausbrüche standen - durchgeführt werden, sind hiervon in sehr unterschiedlichem Maße betroffen. Mit der gestiegenen latenten Gefahr von
Anschlägen bzw. gewalttätigen Ausschreitungen gehen
ein erhöhter Sicherheitsaufwand an den Gebäuden sowie
ein höherer logistischer Aufwand einher. Insbesondere
betrifft dies Fahrten in die Projektregionen, die inzwischen mit Begleitschutz stattfinden.
Zudem kann es sein, dass es je nach aktueller Sicherheitseinschätzung aufgrund der erhöhten Gefahr in bestimmten Regionen zu einer Reduzierung des Projektgebietes kommen kann. Dies hat wiederum einen
geringeren Austausch mit den Zielgruppen sowie eine
geringere Planungssicherheit hinsichtlich der Wirkungen
der Vorhaben zur Folge.
Hinsichtlich einer gegebenenfalls verminderten Wirkung ist derzeit vor allem das GIZ-Vorhaben „Stärkung
der Rechte von Frauen und Mädchen“ betroffen, das im
Nordosten der Region umgesetzt wird. Die Offenheit für
frauen- und mädchenrelevante Fragen in diesen Bundesstaaten hat sich wahrnehmbar reduziert.
Frau Hendricks, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte
schön.
Ja, ich habe eine Nachfrage zu Ihrem letzten Satz,
dass sich die Offenheit für frauen- und mädchenrelevante Fragen in den Regionen wahrnehmbar reduziert
hat. Was ist die Ursache dafür? Liegt die Ursache darin,
dass man vor dem Hintergrund der gewalttätigen Ausschreitungen solche Projekte nicht mehr durchführen
kann, oder liegt ein Wesensmerkmal der gewalttätigen
Ausschreitungen darin, dass diejenigen, die diese Ausschreitungen befördern, sich prinzipiell nicht mit
Frauen- und Mädchenprojekten und den Rechten von
Frauen und Mädchen auseinandersetzen wollen?
Ich glaube, dass die Ursache durchaus sein könnte
- aber auch ich muss da jetzt spekulieren -, dass die Bereitschaft, sich mit dieser Art von Projekten auseinanderzusetzen, nicht allzu groß ist. Wir müssen aber trotzdem
Druck machen, damit wir an der Stelle erfolgreich sind.
Es ist ein schwieriger Prozess, wenn Sie auf Widerstand
stoßen. Aber wir müssen gerade angesichts der sicherheitsrelevanten Fragen, die es gibt, unsere Arbeit vor allem da machen, wo sie uns am wichtigsten erscheint. Die
Offenheit, die wir vorübergehend festgestellt haben, ist
nicht mehr gegeben. Da sehen wir einen Rückschritt.
Daran müssen wir arbeiten.
Frau Hendricks, eine zweite Nachfrage.
Ich will etwas allgemeiner fragen: Ist es wegen der
Ausschreitungen schon dazu gekommen, dass Einrichtungen vorübergehend geschlossen worden sind? Sind
die Einrichtungen, die im Zusammenhang mit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit stehen, weiterhin
aktiv?
Von bereits geschlossenen Projekten oder abgebrochenen Arbeiten ist mir derzeit nichts bekannt. Klar ist
aber, dass sich sowohl die GIZ als auch die KfW, die vor
Ort sind und für die Sicherheit der Mitarbeiter zu sorgen
haben, nach den Sicherheitseinstufungen des Auswärtigen Amts richten und mit diesem in engem Kontakt stehen.
Bitte, Frau Roth.
Frau Kollegin Kopp, ich habe eine Nachfrage im Zusammenhang mit den Gewaltausbrüchen. Es ist oft so,
dass bei solchen Gewaltausbrüchen Kindersoldaten eingesetzt werden. Wir hatten heute die Aktion „Red Hand
Day - Kinder sind keine Soldaten!“. Es sind immer noch
250 000 Kindersoldaten im Einsatz. Dagegen wollen wir
etwas unternehmen. Ist Ihnen bekannt, ob in Nigeria
Kindersoldaten eingesetzt werden?
Meine zweite Frage bezieht sich auf Projekte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, mit denen Kindersoldaten geholfen werden soll, ihre traumatischen Erfahrungen zu bewältigen und sie in die Gesellschaft zu
integrieren. Nach meinen Informationen steht auf der
Homepage des BMZ, dass es in Afrika neun bilaterale
Projekte und ein überregionales gebe. Ich habe aber eine
weitere Information, dass es sich nur um ein Projekt handelt. Die Integration von Kindersoldaten in die Gesellschaft ist meiner Meinung nach wichtig, um in solchen
Karin Roth ({0})
Ländern Gewaltausbrüche zukünftig zu vermeiden. Wird
die Bundesregierung ihre Maßnahmen verstärken, um
Kindersoldaten zu integrieren? Könnten Sie mir zu diesem Thema insgesamt - Stichwort Volumen - sagen,
was Sie beabsichtigen und was Sie bisher getan haben?
Frau Kollegin Roth, das BMZ hat mehrere Projekte.
Ob das neun oder noch mehr sind, kann ich Ihnen jetzt
nicht genau sagen. Natürlich ist das Thema der Kindersoldaten ganz schrecklich. Dieses Thema betrifft auch
die Frage alternativer Lebensperspektiven. Die Projekte
arbeiten beispielsweise im Bereich der Förderung von
Bildung. Es geht darum, Jungen, die als Soldaten ausgenutzt wurden, zurückzuholen, ihnen einen Schlafplatz,
Essen und Bildung anzubieten, damit sie einen Beruf erlernen, in einem anderen Bereich arbeiten und somit ihr
Leben selbst gestalten können. Das ist ein zentraler
Punkt.
Leider erfahren wir immer wieder von der Ausbildung von Kindersoldaten. Wir hören von Kindern, die
gekidnappt werden, um als Kindersoldaten eingesetzt zu
werden. Ich finde die Aktion der roten Hände sehr gut,
um ein Bewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen.
Auch wir setzen bei unserer Entwicklungszusammenarbeit einen Schwerpunkt darauf. Dieser Schwerpunkt ist
eng mit dem Eröffnen von Lebensperspektiven und der
Vermittlung von Bildung verbunden.
Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen Rebmann:
Denkt die Bundesregierung daran, auch vor dem Hintergrund des Beschlusses der 11. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 9. November 2011, Nordafrika und
besonders „Libyen beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen“ zu unterstützen, und der Aussage der
Parlamentarischen Staatssekretärin Gudrun Kopp im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
des Deutschen Bundestages vom 23. Februar 2011, eine künftige Zusammenarbeit mit Libyen sei nicht auszuschließen,
wenn neue politische Verhältnisse kommen, die jüngst überprüfte Länderliste des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung mit Blick auf Libyen zu
ändern?
Herr Rebmann, ich antworte wie folgt: Die Bundesregierung hält in ihrer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit im Sinne der Paris Declaration and Accra
Agenda for Action an der Länderliste fest. Libyen ist
nicht auf der Liste. Die politische Leitung des BMZ hat
entschieden, dass Libyen mit seinem relativ hohen ProKopf-Einkommen keine staatliche Zusammenarbeit benötigt. Um die Übergangsregierung anfänglich dabei zu
unterstützen, internationales Know-how auf eigene Kosten zu mobilisieren, wird das BMZ in Kürze eine Kurzzeitmission entsenden. Der Experte soll Handlungsfelder
im Bereich der beruflichen Bildung für die libysche
Übergangsregierung identifizieren. Nichtstaatliche Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit, zum Beispiel PPP-Projekte, Projekte mit Stiftungen und NRO,
können in Libyen grundsätzlich eingesetzt werden.
Zu der Frage, warum Libyen nicht auf der Liste ist,
will ich noch hinzufügen, dass Libyen über erhebliche
Bodenschätze verfügt. Wir sind der Meinung, dass wir
dort dann nicht mit Steuergeldern im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit einsteigen müssen. Gleichwohl wollen wir im Übergang in der Weise helfen, wie
ich das eben genannt habe.
Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
Frau Kopp, mir ging es bei der Frage nicht darum
- um das klar zu sagen -, dass wir Libyen finanziell unterstützen, sondern darum, dass wir diesen Staat dabei
begleiten, wenn er den Demokratisierungsprozess voranbringt.
Ist es nicht so, dass das BMZ indirekt über die GIZ IS
in Libyen schon engagiert ist, zum Beispiel bei der Lehrerausbildung, bei der beruflichen Bildung und in den
Bereichen Solar- und Wasserwirtschaft? Würde es dann
nicht Sinn machen, dies auch in der Länderliste zu verankern?
Noch einmal: Es geht nicht darum, Gelder nach Libyen zu bringen; denn Geld - das ist sehr wohl bekannt ist dort vorhanden.
Ja, genau. - Herr Kollege Rebmann, ein bisschen
kommen wir jetzt zu Ihrer zweiten Frage. Vielleicht darf
ich das in die Beantwortung einbeziehen.
({0})
Dann rufe ich auch die Frage 11 des Kollegen
Rebmann auf:
Wenn nein, wäre im Zuge der neuen Vereinbarung zwischen dem Auswärtigen Amt, AA, und dem BMZ, die vorsieht, dass die Not- und Soforthilfe bei Katastrophen und humanitären Krisen künftig ins AA verlagert wird und sich das
BMZ eher „auf die mittel- bis langfristig orientierte Hilfe“
konzentrieren soll, nicht zu erwarten, dass das BMZ mehr
Verantwortung für den Aufbau einer funktionierenden Zivilgesellschaft auch in Libyen übernimmt?
Libyen auf die Länderliste zu nehmen, auch nur mit
einem Schwerpunkt, wäre nicht angebracht. Jetzt geht es
darum: Nach den Unruhen, bis die Strukturen einigermaßen stehen, helfen wir gern auf unterschiedliche Art und
Weise. So arbeiten wir vor allen Dingen mit den politischen Stiftungen, mit der DW Akademie und den NRO.
Wenn ich von den politischen Stiftungen spreche: Die
Friedrich-Ebert-Stiftung plant, in Libyen aktiv zu werden, und zwar im Bereich der Gewerkschaftsförderung.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung plant ebenfalls, dort aktiv zu werden, und zwar im Bereich der Demokratieförderung. Die Hanns-Seidel-Stiftung plant, bei der Zusammenarbeit und dem Aufbau von Universitäten aktiv zu
werden. Die Friedrich-Naumann-Stiftung und die Deutsche Welle engagieren sich bereits vor Ort.
Das ist der richtige Weg, Demokratisierung voranzubringen: in diesem Prozess zu beraten, zu begleiten. Da
haben gerade wir mit unserem Stiftungssystem einen
großen Vorteil gegenüber anderen europäischen Gebern,
zum Beispiel den Nordics - die kennen so etwas nicht -,
die auch schon einmal dem Fonds, den wir aufgelegt haben, zugestiftet haben.
Ich glaube, es ist ein gutes Verfahren, wenn wir auf
diese Art und Weise die Entwicklung Libyens begleiten.
Ich gehe davon aus, dass Sie die Frage 11 beantwortet
haben. - Dann hätten Sie jetzt noch drei Nachfragen,
Herr Rebmann, sofern Sie möchten.
Eine zusätzliche Nachfrage reicht mir vollkommen. Kann ich davon ausgehen, dass das BMZ dann kommunale Kooperationen aktiv unterstützen wird? Der Oberbürgermeister der Stadt Mannheim zum Beispiel hat
seinem Amtskollegen in Misrata angeboten, in den Bereichen Abfallwirtschaft, Kanalisation, Bürgerdienste und
dergleichen aktiv zusammenzuarbeiten. Kann ich davon
ausgehen, dass das BMZ das aktiv unterstützt?
Herr Kollege Rebmann, gerade der Abfall- und Abwasserbereich ist ein ganz wichtiger. Wir fördern ihn in
spezieller Weise, auch mit großem Fachwissen, das wir
in unserem Haus und darüber hinaus haben.
Ich bitte Sie, uns jeweils den konkreten Fall ins Haus
zu geben, damit wir das prüfen können. Was genau hat
die Stadt Mannheim vor? Wo können wir hilfreich sein?
Was können wir unterstützen?
Die Fragen 12 und 13 der Kollegin SchwarzelührSutter werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 14 der Kollegin Karin Roth auf:
In welcher Form beabsichtigt das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die neue
Rohstoffallianz deutscher Unternehmen zu unterstützen und
zu fördern, und wie stellt das BMZ sicher, dass bei den durch
die Bundesregierung - Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie und BMZ - geförderten und unterstützten Aktivitäten deutscher Unternehmen zur Rohstoffsicherung im
Ausland die von der Parlamentarischen Staatssekretärin
Gudrun Kopp in der Pressemitteilung vom 1. Februar 2012
besonders hervorgehobenen „hohen Umwelt- und Sozialstandards“ eingehalten werden?
Danke für die Frage, Frau Kollegin Roth. - Sie wissen, das BMZ begrüßt den Vorstoß der deutschen Wirtschaft, aktiv zu werden, ausdrücklich. Eine konkrete Zusammenarbeit zwischen der Rohstoffallianz und dem
BMZ gibt es derzeit aber nicht. Das BMZ steht insbesondere über den Fachausschuss des BDI im Austausch
mit der deutschen Rohstoffwirtschaft, um mit unseren
Partnerländern gemeinsam an Lösungen zur Förderung
einer nachhaltigen Rohstoffwirtschaft zu arbeiten. Dies
nützt uns allen; denn eine nachhaltige Rohstoffproduktion vor Ort ist eine Grundvoraussetzung für eine sichere
Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft, aber auch
für die Entwicklung vor Ort. Sie wissen, dass wir Wert
darauf legen, dass die Einnahmen aus der Rohstoffförderung vor Ort in dem jeweiligen Land, in dem die Rohstoffe gefördert wurden, in die Haushalte fließen und
dass daraus Sozialsysteme wie der Gesundheits- oder der
Bildungsbereich finanziert werden.
Frau Roth, Sie haben eine Nachfrage. - Bitte schön.
Liebe Frau Kollegin Kopp, Sie haben diese Initiative
am 1. Februar so angekündigt. Meine Frage war, ob im
Zusammenhang mit dieser Rohstoffallianz auch die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards, insbesondere
im Zusammenhang mit den Themen Keine Kinderarbeit,
Keine Sklavenarbeit, also mit all diesen Dingen, die relevant sind, gewährleistet wird. Sie haben das angekündigt. Meine Frage war: In welcher Form wird das gemacht?
Ich weiß, wie das ist. Man kündigt etwas an, und am
Ende kann man es nicht umsetzen. Deshalb lautet meine
Frage: Wie wollen Sie das umsetzen? Ansonsten funktioniert das nicht.
Frau Roth, es ist nicht unser Anspruch, etwas anzukündigen und am Ende nicht zu liefern. Das will ich Ihnen
noch einmal ausdrücklich sagen. Es gibt die EITI-Initiative, die Initiative für Transparenz in der Rohstoffindustrie auf freiwilliger Ebene, die wir massiv unterstützen.
Wir haben inzwischen etliche Unternehmen dafür gewonnen. Wir müssen aber noch sehr viel mehr Unternehmen
dafür akquirieren. Für die Einhaltung von Umwelt- und
Sozialstandards sehen wir die unternehmerische Verantwortung im Rahmen von CSR. Das haben wir auch schon
gemacht. Diese Verantwortung ist im Zusammenhang mit
allen Kooperationen, die wir eingehen, unerlässlich.
Ich erinnere daran, dass die Kanzlerin vor kurzem
eine Rohstoffpartnerschaft mit der Mongolei abgeschlossen hat, die wir im BMZ vorbereitet hatten. Es
gibt weitere Rohstoffpartnerschaften, die wir derzeit vorbereiten. Dies geschieht immer vor dem Hintergrund,
dass mit einer solchen Partnerschaft die Einhaltung von
Umwelt- und Sozialstandards verbunden ist und dass dabei Transparenz gegeben ist. Hier leisten wir Fachberatung, weil wir natürlich wollen, dass sich die Verhältnisse vor Ort bessern. Dies nützt natürlich auch unserer
Wirtschaft, und das halten wir auch nicht für schädlich,
solange der Entwicklungsaspekt vor Ort im Vordergrund
steht.
Frau Roth, Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte sehr.
Sehr gern. - Frau Kollegin Kopp, das ist interessant.
Auf der Ebene der Europäischen Union wird vorgeschlagen, das Thema CSR, also die Verantwortung der Unternehmen, verpflichtend und nicht freiwillig zu gestalten.
Ich habe aber gehört, dass die Bundesregierung nicht auf
die Verpflichtung setzt, sondern auf die Freiwilligkeit.
Damit ist das Problem verbunden, dass es bisher so ist,
dass einige diese Verantwortung wahrnehmen und andere
nicht. Das gilt übrigens auch für die Transparenzrichtlinie. Insofern werden meine Befürchtungen eher bestätigt,
wenn Sie diesem Vorschlag auf der Ebene der Europäischen Union nicht zustimmen. Dann werden Umweltund Sozialstandards zwar angekündigt, am Ende aber
nicht eingehalten, weil die Freiwilligkeit nicht dazu führt,
dass alle Unternehmen in Europa und in Deutschland genau das tun, was Sie wollen, nämlich Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten, und zwar sowohl im Zusammenhang mit den Rohstoffen als auch mit den anderen
Themen.
Frau Kollegin Roth, bei den Rohstoffpartnerschaften,
die das BMZ veranlasst, die wir vorbereiten, zu denen
wir mit den Regierungen Gespräche führen, bei denen
wir beratend tätig sind, unser Know-how einbringen und
die Entwicklung vorantreiben, ist die Einhaltung von
Umwelt- und Sozialstandards unerlässlich. Das gilt für
jedes Unternehmen, das sich in eine solche Partnerschaft
begibt. Wir reden von Entwicklungsländern, von ärmsten Ländern, in denen die Sozial-, Gesundheits- und Arbeitsstandards oft wirklich alarmierend sind. Wir als
BMZ leisten dort, wo solche Verhältnisse herrschen,
keine Partnerschaftshilfe, mit der wir quasi diese Verhältnisse am Leben erhalten würden. Unser Anspruch in
Bezug auf diese Rohstoffpartnerschaften mit den Entwicklungsländern ist, dass die Umwelt- und Sozialstandards eingehalten werden.
Damit sind wir bei Frage 15, ebenfalls von der Kollegin Karin Roth:
Wird das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nach dem Rücktritt des Exekutivdirektors des Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids,
Tuberkulose und Malaria, Dr. Michel Kazatchkine, zum
16. März 2012 und der Ernennung von Gabriel Jaramillo zum
General Manager die erste Tranche der 200 Millionen Euro
für 2012 freigeben?
Frau Kollegin Roth, es ist in der Tat so, dass die Bundesregierung die erste Tranche in 2012 in Höhe von
50 Millionen Euro im März dieses Jahres auszahlen
wird. Mit der personellen Erneuerung an der Spitze des
GFATM-Sekretariats ist die geplante Transformation des
Global Fund auf einem guten Weg. Ich betone noch einmal, dass nicht dem Global Fund Board Korruption vorgeworfen wurde; vielmehr waren es die Strukturen im
Zusammenhang mit der Auszahlung der Gelder an die
entsprechenden Länder, die den Verdacht auf Korruption
mehr als erhärtet hatten. Den Reformprozess, den wir
gemeinsam mit dem GFATM erarbeitet haben, den der
GFATM auch akzeptiert hat und sukzessive umsetzt, begrüßen wir. Ich glaube, dass wir da auf einem guten Weg
sind. Denn in der Tat: Korruption tötet, da das Geld, das
wir einsetzen, nicht bei denen ankommt, die es nötig haben.
Wir sind also voll im Plan. Wir planen, viermal
50 Millionen Euro auszuzahlen, je nach dem jeweiligen
Reformfortschritt.
Eine Nachfrage bitte, Frau Roth.
Frau Kollegin Kopp, das ist eine gute Nachricht, vor
allen Dingen für die Menschen, die an Aids, Malaria
oder Tuberkulose leiden. Sie haben sicher die neuesten
Meldungen zum Thema Malaria gehört, die besagen,
dass sich die Zahl der Toten verdoppelt hat. Insofern ist
diese Investition in den Global Fund aus unserer Sicht
richtig und nötig.
In diesem Zusammenhang habe ich eine zweite Frage,
die sich auf die Vereinbarung mit Bill Gates bezieht. Sie
haben groß angekündigt, in die Bereiche, in die Bill
Gates Geld gibt, ebenfalls mehr Geld zu investieren.
Nun hat Bill Gates gerade vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, den Global Fund zu unterstützen, 750 Millionen Dollar, also rund 570 Millionen Euro, zusätzlich
gegeben. Wenn man jetzt Ihre Vereinbarung ernst nähme
- was ich natürlich tue -, dann müssten Sie in den Global Fund wenigstens - zu den im Haushalt veranschlagten - weitere 200 Millionen Euro investieren. Das hatte
die SPD schon einmal angemahnt. Sind Sie bereit dazu,
oder schließen Sie nur schöne Vereinbarungen ab, die
dann lediglich abgeheftet werden?
Nein, Frau Roth. Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass wir im Haushalt 200 Millionen Euro veranschlagt haben.
({0})
- Das wissen Sie. - Darin sehen wir die Erfüllung unserer Verpflichtungen; das haben wir auch so zugesagt.
Dass wir nicht 570 Millionen Euro draufpacken können,
wie Sie gerade gesagt haben, ist vollkommen klar. Wir
stehen zu unseren Verpflichtungen. Es ist im Übrigen
unserer Initiative zu verdanken, dass es ein Gremium des
Global Fund gegeben hat, das sich mit dem Reformprozess befasst hat. Das ist wichtig, um die Arbeit des Global Fund zukunftssicher zu machen.
Leider ist nicht nur ein sprunghafter Anstieg der Zahl
der Malariaerkrankungen, sondern auch der Zahl der Tuberkuloseerkrankungen zu verzeichnen. Frau Kollegin
Roth, Sie haben sicherlich gelesen, dass es aller Voraussicht nach demnächst ein sehr kostengünstiges Medikament zur Malariabekämpfung geben soll, das nur einen
Bruchteil des Preises der teuren Medikamente kostet, die
es derzeit gibt. Dabei handelt es sich um ein Zufallsprodukt der Wissenschaft und Forschung, welches letzte
Woche vorgestellt wurde. Das würde bedeuten, dass wir
sehr viel mehr Menschen, die Medikamente benötigen,
helfen könnten.
Es ist wichtig, die Strukturen zu stärken und bei den
Themen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria weiterhin
unsere Verpflichtungen zu erfüllen. Das gedenken wir zu
tun.
Haben Sie noch eine weitere Nachfrage? - Bitte
schön.
Meine Nachfrage bezieht sich auf das, was ich schon
gefragt habe. Ich wollte nämlich wissen, ob das Abkommen mit Bill Gates nur eine Schaufenstererklärung ist
oder ob Sie das, was aufgeschrieben wurde, auch ernst
meinen und anschließend umsetzen. Ich habe auch keine
570 Millionen Euro, sondern nur 200 Millionen mehr im
Haushalt verlangt.
Sie haben zugesagt, dass Sie immer dann, wenn Bill
Gates Geld gibt, einen entsprechenden Beitrag leisten.
Bei GAVI haben Sie das getan, aber bei dem Global
Fund nicht. Wenn Sie einen solchen Beitrag für den
nächsten Haushalt 2013 in Aussicht stellen könnten,
dann wären wir schon zufrieden.
Sehr geehrte Frau Kollegin Roth, seien Sie ganz unbesorgt: Vertragliche Vereinbarungen nehmen wir sehr
ernst. Wir gedenken, solcherlei Verpflichtungen einzuhalten.
Frau Kopp, wir erlauben uns jetzt, zu den anderen Geschäftsbereichen überzugehen.
({0})
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Frage 16 des
Kollegen Josef Philip Winkler wird ebenso wie die
Frage 17 des Kollegen Memet Kilic schriftlich beantwortet. Das Gleiche gilt für die Fragen 18 und 19 des
Kollegen Siegmund Ehrmann sowie die Fragen 20 und
21 der Kollegin Angelika Krüger-Leißner.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeministeriums für Wirtschaft und Technologie. Der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Burgbacher steht für die
Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 22 des Kollegen Dr. Egon Jüttner wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Oliver Krischer
auf:
Wann wird die Bundesregierung welche konkreten Änderungen von Gesetzen bzw. Verordnungen beschließen - oder
den Koalitionsfraktionen entsprechende Formulierungshilfen
zur Verfügung stellen - bzw. in Kraft setzen, die die Förderung von unkonventionellem Erdgas und/oder die Anwendung des sogenannten Fracking bei der Gasförderung regeln?
Herr Kollege Krischer, zunächst sollten wir für die
Zuschauer, die diese Debatte verfolgen, sagen: Wenn
man von unkonventionellem Erdgas - das ist der Fachbegriff - redet, dann bezieht man sich auf die Förderung
von Erdgas und nicht auf das Erdgas selbst.
Die Bundesregierung prüft derzeit den Änderungsbedarf. Es ist aus Sicht der Bundesregierung selbstverständlich, dass im Rahmen von Zulassungsentscheidungen bei unkonventionellen Erdgasförderungen die
Umweltauswirkungen grundsätzlich berücksichtigt werden. Da sind wir im Augenblick in den Abstimmungsgesprächen.
Herr Krischer, eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich freue mich,
dass sich die Bundesregierung in Gesprächen über dieses
Thema befindet. Lange Zeit war es so, dass auf die Fragen unserer Fraktion die Bundesregierung geantwortet
hat, sie sehe keinen Bedarf. Wenn jetzt konkrete Gespräche stattfinden, dann ist das ein Fortschritt. In Nordrhein-Westfalen handelt es sich seit über einem Jahr um
das beherrschende Thema. Das gilt insbesondere für das
Münsterland, wo sich viele Menschen von den Aktivitäten der Gaskonzerne sozusagen überfahren fühlen.
Im Umweltausschuss gab es heute zu diesem Thema
Anträge der Grünen, der SPD und der Linken. Vonseiten
der Koalition und auch der Bundesregierung wurde angedeutet, man wolle erst das Gutachten des UBA zu diesem Thema, welches frühestens im Sommer vorliegen
wird, abwarten und man werde erst dann gegebenenfalls
über Maßnahmen nachdenken. Meine Frage an Sie lautet: Wollen auch Sie erst dieses Gutachten abwarten oder
schon vorher aktiv werden?
Herr Kollege Krischer, es geht um zwei Gutachten,
nämlich um das Gutachten des UBA und um das Gutachten der BGR, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, das im Februar, also in diesem Monat, vorliegen wird.
Aus rohstoffpolitischer Sicht haben wir natürlich ein
großes Interesse an unkonventionellen Erdgaslagerstätten. Erdgas trägt derzeit zu 22 Prozent und damit wesentlich zur deutschen Energieversorgung bei. Erdgas
aus Deutschland hat einen Anteil von 14 Prozent und
reicht noch für circa 15 Jahre. Wir müssen also beide Aspekte in unsere Überlegungen einbeziehen.
Wir haben das Bundesberggesetz und die Verordnungen. Wir müssen deutlich zwischen Aufsuchungsphase
und Erschließung unterscheiden. Jetzt sind wir in der
Aufsuchungsphase. Mögliche Abbaustätten sollen nachgewiesen werden. Erst danach wird es um die Erschließung gehen. Das alles wird in den Gutachten stehen.
Selbstverständlich werden wir die Gutachten dann entsprechend auswerten.
Herr Krischer, Sie haben eine zweite Nachfrage?
Vielen Dank für die Ausführungen. - Natürlich brauchen wir Erdgas. Es geht auch nicht darum, grundsätzlich darüber nachzudenken, dieses Gas zu nutzen. Das
Entscheidende ist, dass man es den Menschen vor Ort
nicht erklären kann, dass sie mit hohem Aufwand ihren
Kanalanschluss abzudichten haben, aber ein paar Kilometer weiter Gaskonzerne möglicherweise giftige Chemikalien in den Untergrund leiten, um Gas zu gewinnen.
Das ist ein Problem; daneben gibt es viele andere Aspekte wie Erdbeben, Bergschäden usw.
Deswegen möchte ich die konkrete Frage stellen: Das
Land Nordrhein-Westfalen, das sich sehr intensiv mit der
Thematik auseinandersetzt, hat eine Bundesratsinitiative gestartet zur Änderung der Bergbau-UVP. Können
Sie sich vorstellen, dass Sie den Antrag Nordrhein-Westfalens unterstützen, damit eine Änderung der BergbauUVP tatsächlich realisiert wird?
Herr Kollege Krischer, ich habe Ihnen gesagt, dass
wir uns mit anderen Häusern abstimmen. Um es noch
einmal deutlich zu machen: Probebohrungen in der Aufsuchungsphase haben relativ geringe Umweltauswirkungen.
Wir müssen differenzieren. Wir tun uns allen keinen
Gefallen, wenn wir pauschal vorgehen. Wir haben das
Berggesetz und die Verordnungen. Die Ausführenden
sind übrigens die Länder. Sie haben Nordrhein-Westfalen genannt. Auch in Niedersachsen ist es so. In anderen
Ländern werden Vorkommen vermutet. Es ist aber noch
unklar, wie groß sie sein könnten. Wir sind noch in der
Aufsuchungsphase. Das habe ich Ihnen bereits gesagt.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Energieeffizienz, Energieeinsparung, Erneuerbare-Energien-Gesetz - Haltung der Bundesregierung angesichts der unterschiedlichen
Positionen der beteiligten Bundesministerien
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor gut
einem Dreivierteljahr hat dieser Bundestag mit einer
sehr breiten Mehrheit beschlossen, aus der Atomenergie
auszusteigen und in eine nachhaltige Energiepolitik einzusteigen. Das Problem ist: Wenn man in eine nachhaltige Energiepolitik einsteigen will, dann muss man sich
von drei Grundsätzen leiten lassen. Sie müssen mehr tun
bei der energetischen Einsparung, also Energie sparen.
Sie müssen mehr tun bei der Energieeffizienz, und Sie
müssen erneuerbare Energien aufbauen und ausbauen.
Diese drei E sind der Schlüssel jeder Energiewende.
({0})
Wenn Sie sich ansehen, was seitdem passiert ist und was
in diesem Moment passiert, dann stellen Sie fest: Auf allen drei Gebieten versagt diese Bundesregierung.
({1})
Nehmen wir die Energieeinsparung: Ich würde mir
sehr wünschen, dass es heute Nachmittag im Vermittlungsausschuss endlich zur Einsetzung einer Arbeitsgruppe kommt, damit der Stillstand bei der energetischen Gebäudesanierung endlich überwunden werden
kann. Dieser Stillstand ist nämlich zu überwinden, weil
wir Gas einsparen müssen. Das ist für die Energiewende
notwendig.
({2})
Ich kann mich auch nicht damit abfinden - jetzt sehen
Sie auch den Zusammenhang zwischen den drei E -,
dass die Mittel für die energetische Gebäudesanierung
im Rahmen der KfW nur zu einem Drittel freigegeben
worden sind. Warum? Statt 1,5 Milliarden Euro werden
nur 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Warum?
Weil der Energie- und Klimafonds, den Sie auf den Weg
gebracht haben, sich aus den Erlösen des Emissionshandels finanzieren soll. Was ist passiert? Sie weigern sich,
weil Sie, Herr Rösler, und Sie, Herr Röttgen, sich nicht
einigen können, in Europa endlich das verbindliche Ziel
vorzugeben, 2020 30 Prozent der Treibhausgase einzusparen.
({3})
In Deutschland haben wir damit kein Problem; denn wir
haben uns ja gemeinsam auf 40 Prozent verpflichtet. Warum erwarten wir von anderen nicht das Gleiche?
Das hat Folgen. Weil es dieses Ziel nicht gibt, sind zu
viele Zertifikate auf dem Markt. Weil zu viele Zertifikate
auf dem Markt sind, ist der Preis zu niedrig. Deswegen
haben Sie kein Geld für die energetische Gebäudesanierung. Sie versagen bei der Energieeinsparung nach
Strich und Faden, weil Sie nicht den Mut haben, sich für
mehr Klimaschutz und mehr Energieeffizienz einzusetzen.
({4})
Oder, Herr Rösler und Herr Röttgen, nehmen wir das
jüngste Drama, bei dem Sie sich verkeilt haben, nämlich
bei der Frage: Wie geht man eigentlich mit dem Ausbau
erneuerbarer Energien um?
({5})
Vor einigen Jahren hätte ich aus jener Ecke wahrscheinlich noch höhnisches Gelächter gehört, wenn ich behauptet hätte: Im Jahre 2011 beziehen wir 20 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien. Ich muss Ihnen
gestehen, auch ich hätte es selber fast nicht geglaubt.
Aber es ist so gekommen. Heute sind 400 000 Menschen in dieser Branche beschäftigt. Und was ist uns in
diesem Zusammenhang für diesen Winter alles prophezeit worden von den Vahrenholts bei RWE, die jetzt den
Klimawandel leugnen, und allen anderen? Stromausfälle, Blackouts; wir müssten Strom in Massen importieren.
Schauen wir uns die Realität in diesem ja ach so milden Winter zwischen Sibirien und London an: Stromabschaltungen gibt es nicht in Deutschland; Stromabschaltungen gibt es in Frankreich, weil Frankreich mit seinem
hohen Atomstromanteil darauf gesetzt hat, mit Strom zu
heizen. Es ist der größte energetische Unsinn, mit Strom
zu heizen.
({6})
Frankreich hat jetzt ein Versorgungsproblem.
Wer ist nach wie vor Nettostromexporteur? Die Bundesrepublik Deutschland. Und dann läuft der Herr
Rösler herum und erklärt überall, wie teuer die erneuerbaren Energien sind! Ich weiß nicht, ob Sie in den letzten Wochen einmal auf die Leipziger Strombörse geschaut haben. Dort gibt es regelmäßig Strompreise von
9 Cent die Kilowattstunde; an manchen Tagen ist der
Preis in Frankreich sogar auf 20, 30 Cent hochgegangen.
Wissen Sie, was jemand bekommt, der heute mit einer
neuen Windenergieanlage Strom einspeist? Weniger als
7 Cent. Anders gesagt: Die Erneuerbaren tragen zurzeit
zur Stabilisierung und zur Senkung des Strompreises bei.
({7})
Dieses Instrument will Herr Rösler abschaffen! Er sagt
zwar: nicht beim Wind; ich kümmere mich nur um die
Photovoltaik. Aber selbst die Photovoltaik trägt dazu
bei, die Mittagsspitzen abzudecken, und wirkt auf diese
Weise preisdämpfend.
({8})
Wenn irgendwer Preistreiberei betrieben hat, so waren
das nicht die Erneuerbaren. Wenn es nur nach der Umlage gegangen wäre, läge der Preis um 0,5 Cent niedriger. Nein, Herr Rösler, das waren Sie, weil Sie zusammen mit Herrn Röttgen der Auffassung waren, dass man
Rechenzentren von Banken und ähnliche Großverbraucher von der EEG-Umlage ausnehmen müsste, weil Sie
lieber Handwerker und Verbraucher abkassieren und
Stromverbrauch und Stromverschwendung auf diese
Weise subventionieren. Deswegen ist der Strompreis gestiegen!
({9})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Dieses Drama setzt sich fort in der Energieeffizienz.
Nächste Woche steht in Brüssel die neue Energieeffizienzrichtlinie zur Abstimmung. Hier sorgen Herr Rösler
und Herr Röttgen dafür, dass ein Kanzlerinnenwort gebrochen wird.
Herr Kollege.
Es war die deutsche Bundeskanzlerin, die erklärt hat:
Wir wollen 2020 20 Prozent mehr Energieeffizienz. Sie
weigern sich, das verbindlich zu machen. Was gilt in
Deutschland eigentlich noch das Wort von Frau Merkel?
({0})
Das Wort hat Dr. Philipp Rösler für die Bundesregierung.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Es ist ganz schön dreist, dass ausgerechnet die Grünen heute die Energiewende auf die
Tagesordnung gesetzt haben. Ausgerechnet die Grünen!
({0})
Ihre Energiepolitik bestand aus einem Ausstiegsbeschluss und viel Wind um nichts, meine sehr verehrten
Damen und Herren.
({1})
In sieben Jahren rot-grüner Bundesregierung war von Ihnen, sowohl beim Netzausbau als auch bei der Energieeffizienz, nichts zu sehen, nur Ideologie.
({2})
Sie haben sich weder um die Unternehmen noch um die
Menschen gekümmert. Meine Damen und Herren, es ist
gut, dass diese naive Energiepolitik von dieser Regierungskoalition beendet wurde.
({3})
Wir haben den Ausstieg aus der Kernenergie nicht nur
beschlossen, sondern wir wissen auch, dass die Arbeit
damit überhaupt erst anfängt. Wir haben uns längst an
die Arbeit gemacht.
({4})
Da können Sie uns nicht auseinanderdividieren.
({5})
Bestes Beispiel ist die Offshore-Windenergie:
({6})
Umweltministerium, Wirtschaftsministerium, gemeinsam haben wir alle Akteure an einen Tisch gebracht und
gute Problemlösungen auf den Weg gebracht.
({7})
Denn für diese Regierungskoalition, Herr Trittin, ist eines klar: Während Sie im Offshore-Bereich an jeder
Stelle, an der Sie es können, blockieren, sagen wir sehr
klar, dass die Offshore-Windenergie eine Zukunftsbranche für Deutschland ist.
({8})
- Da werden Sie aber ganz schön nervös. - Wir haben
ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz verabschiedet
und damit eindeutig die Bürgerbeteiligung verbessert.
({9})
Wir erarbeiten ein Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren.
({10})
Es wird einen Netzentwicklungsplan geben. Meine Damen und Herren, eine Anreizregulierungsverordnung
wurde bereits verabschiedet, eine KWKG-Novelle auf
den Weg gebracht. All dies zeigt: Während Sie nur nach
Öffentlichkeit gieren, demonstrieren,
({11})
alles schlechtreden, setzt diese Regierungskoalition die
Energiewende erfolgreich und gemeinsam um.
({12})
Wo waren Sie denn bei den konkreten Maßnahmen
zur Energiewende? Ich kann es Ihnen sagen: Immer auf
der falschen Seite. Nehmen wir doch einmal BadenWürttemberg. Dort sollte es ein Pumpspeicherkraftwerk
geben, um die Grundlastfähigkeit erneuerbarer Energien
zu verbessern. Was soll ich sagen! Was machen die Grünen?
({13})
Sie sind natürlich dagegen. Neue Kraftwerke in Sachsen-Anhalt, Hamburg, Niedersachsen: Überall da, wo
die Energieversorgung gesichert werden soll, sind die
Grünen dagegen. Leitungsausbau in Nordrhein-Westfalen: Die Grünen sind dagegen.
({14})
All das belegt die Regierungsunfähigkeit dieser Partei.
({15})
Sie zeigen höchstens beim Dagegensein Energie. Nur,
mit dem Dagegensein schafft man keine Energiewende.
Hier zeigt sich das hässliche Gesicht der Dagegen-Partei. Die wahren Bremser bei der Energiewende sind Sie,
meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen.
({16})
Wer ist zerstritten? Schauen wir uns doch einmal die
Sozialdemokraten an: Frau Kraft kriegt bis heute das
hochmoderne Kraftwerk in Datteln nicht ans Netz. Entweder will sie es nicht, oder sie kann es nicht. Sigmar
Gabriel hat sie vor kurzem quasi aufgefordert - Zitat -:
An einigen Stellen werden wir auch neue hocheffiziente Kohlekraftwerke bauen müssen.
Da hat er ausnahmsweise sogar recht. Umgehend kommt
von Herrn Kelber
({17})
ein gegenteiliges Zitat: Wir brauchen keine neuen Kohlekraftwerke.
({18})
Ja, was gilt denn nun?
({19})
Raufen Sie sich doch endlich einmal zusammen, hören
Sie auf, zu streiten, und lösen Sie die Probleme vor ihrer
eigenen Haustür.
({20})
Aber selbst das gelingt Ihnen nicht.
({21})
Wir haben klare Vorgaben bei Strom, Wärme und
Verkehr gemacht. Das größte und wichtigste Thema ist
in der Tat das Thema Energieeffizienz. Nur, wo ist denn
da die Opposition?
({22})
Die Regierungskoalition hat doch die Mittel für Maßnahmen der energetischen Gebäudesanierung aufgestockt: 1,5 Milliarden Euro.
({23})
Denn gerade im Bereich Energieeffizienz gibt es
Chancen auf Zehntausende neue Arbeitsplätze,
({24})
gerade im Handwerk, Chancen auf Wachstum. Was
macht Rot-Grün?
({25})
- Herr Kelber, seit über einem Vierteljahr blockieren Sie
im Bundesrat ein milliardenschweres Förderprogramm
für die Energieeffizienz.
({26})
Wir nehmen Sie heute Abend im Vermittlungsausschuss
beim Wort. Hören Sie endlich auf mit Ihrer Blockade,
und stimmen Sie der energetischen Gebäudesanierung
endlich zu!
({27})
Orientieren Sie sich ruhig an der Bundesregierung;
denn wir haben klare Ausbauziele, zum Beispiel im Bereich der erneuerbaren Energien, Herr Trittin, Sie haben
es angesprochen.
({28})
Bis zum Jahre 2020 35 Prozent, bis zum Jahre 2050
80 Prozent.
({29})
Aber eines ist auch klar: Wir müssen erneuerbare Energien marktfähig machen, wir wollen ihre Integration in
die Stromnetze, und wir wollen die Exportchancen dieser Wachstumsbranche nutzen. Gleichzeitig - da sind
sich Kollege Röttgen und ich völlig einig ({30})
müssen wir auch die Bezahlbarkeit im Blick behalten;
denn jeder Ausbau im Bereich der erneuerbaren Energien muss wirtschaftlich sein.
Wir alle wissen: Die Energiewende wird nicht zum
Nulltarif zu haben sein.
({31})
Das ist gar keine Frage. Aber umso wichtiger ist es, die
Kosten dort zu kontrollieren, wo sie aus dem Ruder laufen. Jede Diskussion über den Preis von Energie lohnt
sich: für die Stromkunden, für die Unternehmen und für
die Menschen in unserem Lande. Wir jedenfalls werden
nicht zulassen, dass der Standort Deutschland im Bereich Energiekosten ins Abseits gerät.
({32})
Ihr Dreiklang sind drei d: dagegen, dagegen, dagegen,
und das überall dort, wo eigentlich vernünftige Maßnahmen anstehen. Wir sagen klar: Wir brauchen Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit
von Energie. Das ist der Dreiklang der Vernunft. Er wird
gelten bis 2022 und weit darüber hinaus.
({33})
- Engagieren Sie sich doch einmal, Frau Höhn. Es geht
um den wichtigen Ausstieg aus der Kernenergie.
({34})
Da können wir von Ihnen doch eigentlich anderes erwarten als nur Blockade. Wir jedenfalls werden den Ausstieg umsetzen und den Weg dorthin vernünftig beschreiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({35})
Frank-Walter Steinmeier hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer es jetzt noch nicht wusste, der weiß es nach der
Rede von Herrn Rösler: Diese Debatte ist längst überfällig.
({0})
Was Sie von der Regierungsbank Energiewende nennen,
ist nichts anderes als ein einziges Gewürge. Das haben
Sie hier noch einmal deutlich gemacht.
({1})
Herr Rösler, bis Sie dran waren, gab es eine Energiewende. Dann kamen Sie, und Ihre Energiewende war
die Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken.
Dann kam Fukushima, und alles war ganz anders. Die
Irrtümer mussten ganz schnell bereinigt werden. Die
acht AKW gingen mal eben vom Netz - das war bis dahin Ihre Ökoenergie -, und mit regenerativen Energien
konnte es gar nicht schnell genug gehen. Doppelte
Kehrtwende, hehre Ziele - aber dann war Schicht im
Schacht: viel Palaver, keine Politik, nichts geht vorwärts,
die Energiewende ist an die Wand gefahren, noch bevor
sie überhaupt begonnen hat.
({2})
Das ist weiß Gott nicht nur in der Energiepolitik so,
aber hier ist es brandgefährlich. In diesem Kabinett weiß
die eine Hand nicht, was die andere tut. Schlimmer noch:
Die Hauptbeteiligten - und die sitzen beide dort - arbeiten in der zentralen Frage sogar gegeneinander. Herr
Rösler hat seine Runden, und Herr Röttgen hat seine
Runden, und die Vertreter der Wirtschaft sagen uns: Da,
wo wir ständig eingeladen werden, fühlen wir uns wie
im Brummkreisel - dauernd in Bewegung, immer um
dieselbe Achse, aber nie vorwärts. So ist die Situation.
({3})
Die Energiewende bedeutet in diesem Kabinett vor allen Dingen Chaos, da gibt es ministerielle Eitelkeiten
und, was das Kanzleramt angeht, die Verweigerung jeder
Steuerung des Prozesses.
({4})
Es scheint nicht einmal zu interessieren, dass da etwas
gegen die Wand läuft. Wo ist das Monitoring, das Ihnen
die eigene Ethikkommission vorgeschlagen hat?
Schlimm genug, dass das nicht eingerichtet ist, aber
schlimmer noch: Ich glaube, Sie begreifen nicht, dass
das Energienetz so etwas wie das Nervensystem einer
hochentwickelten Industriegesellschaft ist. Wenn das
nicht funktioniert, dann gerät der ganze Mechanismus in
Gefahr.
Ich rede nicht von Blackout, aber ich rede davon - Sie
wissen es doch -, dass der gesamte Bereich hochtechnologischer Produktion - von dessen Export leben wir
überwiegend - nur bei absolut schwankungsfreier Energieversorgung funktioniert. Das gilt in der Chemie, bei
der Metallurgie und in vielen anderen Bereichen. Sie
müssen doch sehen, dass die Warnlampen leuchten.
Wenn Sie es uns, der Opposition, nicht glauben, dann
fragen Sie die Bundesnetzagentur. Noch vor wenigen
Jahren hatten wir im Jahr fünf bis zehn Eingriffe von außen zur Stabilisierung des Netzes. Im letzten Jahr waren
das nicht doppelt so viel, nicht dreimal so viel, sondern
900 Eingriffe zur Netzstabilisierung. Da müsste doch jedem ein Licht aufgehen, dass man das so nicht weiterlaufen lassen kann.
({5})
Zweite Warnlampe: Netzausbau. Weil das so schwierig ist - ich sehe das ja überall, will das auch gar nicht
kommentieren -, wird jetzt der Ausbaubedarf überall
nach unten gerechnet. Mir ist es im Augenblick völlig
gleich, ob das am Ende 4 000, 3 000 oder 2 500 Kilometer sein werden, die notwendig sind. Fest steht, dass zum
Beispiel in Schleswig-Holstein, wo 700 Kilometer ausgebaut werden müssen, erst 30 Kilometer fertig sind.
Wenn das in dieser Geschwindigkeit weitergeht, dann
sind wir in hundert Jahren noch nicht da, wo wir hinmüssen.
({6})
Dritte Warnlampe: Gaskraftwerke. Sie unterstellen in
Ihrer Energiewende einfach, dass im Zweifel die Gaskraftwerke Leistung ins Netz liefern, wenn die Sonne
nicht scheint oder der Wind nicht weht. Das ist schön
und gut. Ich frage mich nur: Wo sind sie denn, die Gaskraftwerke? Wer soll sie denn bauen? Ich sage Ihnen voraus: Für 2 000 Betriebsstunden im Jahr rechnet sich in
Deutschland nicht ein einziges Gaskraftwerk. Da finden
Sie keine Investoren. Wenn Sie mir das nicht glauben,
fragen Sie Horst Seehofer. Er hat in Bayern sechs neue
Gaskraftwerke angekündigt. Wie viele werden gebaut?
Kein einziges davon. Wenn Sie jetzt nicht endlich einen
Regulierungsrahmen schaffen, der Investitionssicherheit
gibt, dann ist Pustekuchen mit Gaskraftwerken als Reserve. Dann geht es auch mit den Erneuerbaren nicht
vorwärts. So ist der Zusammenhang.
({7})
Die größte Illusion ist, dass Sie in Ihren Vorstellungen
von der Energiewende einfach denselben Energiebedarf
unterstellen, der in der Zukunft nur ganz anders produziert werden soll. Das wird nicht gehen. Wir werden mit
weniger Energieeinsatz auskommen. Energieeffizienz ist
das Thema, das wir im Augenblick nach vorne bringen
müssen. Aber dazu kein Wort, weder in der Rede von
Herrn Rösler noch sonst von der Bundesregierung.
({8})
- Nicht wir!
({9})
Sie haben doch nicht eine einzige Vorlage zum Thema
Energieeffizienz eingebracht.
({10})
Sie haben die Gebäudesanierung kaputtgemacht. Und
jetzt kommen Sie mit einem verkümmerten Vorschlag
und wissen nicht, wie Sie dafür Mehrheiten organisieren
sollen.
Dass Sie dieses Thema nicht wirklich und nicht ernsthaft bearbeiten, ist mit Blick auf das Klima und endliche
Ressourcen kurzsichtig. Aber es ist eben auch wirtschaftspolitisch ignorant; denn ich glaube, dass in der
Energieeffizienz das eigentliche Innovationspotenzial
für den deutschen Mittelstand liegt. Keiner weiß, ob wir
bei der Produktion von Solarzellen in Deutschland wirklich langfristig wettbewerbsfähig bleiben. Aber bei der
Klimatechnik, der Prozesssteuerung und dem Maschinenbau läuft uns keiner den Rang ab. Da liegen unsere
Wettbewerbsvorteile. Da können wir unsere Wertschöpfungskette ausspielen, und da können wir Wachstum und
Arbeitsplätze sichern. Da müssen wir ran. Aber das wird
mit diesem energiepolitischen Dilettantismus, den wir
gerade noch einmal gehört haben, nicht gehen.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Steinmeier, da Sie hier von „Gewürge“ gesprochen haben, will ich diese Gelegenheit
nutzen, Ihnen einige Pressemeldungen aus Ihrer Regierungszeit vorzuhalten. Ich zitiere aus einer Ausgabe der
Welt von Oktober 2002:
Clement und Trittin streiten um Kompetenzen in
der Energiepolitik.
({0})
Handelsblatt, September 2003:
Klimaschutz spaltet rot-grüne Koalition.
({1})
FAZ, März 2001:
Trittin für, Müller gegen eine neue KWK-Umlage.
({2})
Der Tagesspiegel, Januar 2005:
Windkraft sorgt für dicke Luft. Koalition gespalten:
Clement und Trittin ringen um Subventionen für
Ökostrom.
({3})
- Frau Höhn, da Sie gerade einen Zwischenruf machen:
Die Welt am 24. Mai 2000:
Clement nennt Höhn eine „grüne Blockade“.
Das war Ihre rot-grüne Einigkeit in der Energiepolitik.
Wir machen das anders.
({4})
Manchmal habe ich den Eindruck, dass aus Ihren
Worten ein bisschen Neid spricht.
({5})
Wir haben das ambitionierteste Energieprogramm, das
unser Land jemals gesehen hat, auf den Weg gebracht.
({6})
Wir haben die höchsten Zielsetzungen in der Geschichte
unseres Landes im Bereich der Energiepolitik.
Jetzt geht es darum, das Ganze engagiert voranzutreiben.
({7})
Wir haben vor, bis 2020 einen Stromanteil von 35 Prozent aus erneuerbaren Energien zu erreichen, wir wollen
die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent reduzieren, und wir wollen den KWK-Anteil an der
Stromerzeugung bis 2020 auf 25 Prozent erhöhen. Das
sind nur drei hohe Ziele, die wir erreichen wollen, und
wir wollen gleichzeitig das Zieldreieck Bezahlbarkeit,
Umweltverträglichkeit und Sicherheit nicht aus den Augen verlieren.
Wenn wir diese Ziele erreichen wollen, brauchen wir
einen Wettbewerb der Ideen. Dazu gehört auch eine
emotionale Diskussion, um die besten Ideen herauszufiltern. Ich wünsche mir, dass wir auch hier, im Hohen
Haus, streiten, um die besten Lösungen zu finden. Wir
können uns die einzelnen Punkte ansehen und fragen,
wo wir konkret vorankommen wollen.
Der erste Streitpunkt ist das EEG. Wir brauchen in
den nächsten Jahren eine intensive Diskussion über das
EEG. Schon heute werden 20 Prozent unseres Stroms aus
erneuerbaren Energien gewonnen. Wenn wir früher aus
der Kernenergienutzung aussteigen wollen, dann heißt
das auch, dass sich der Bereich der erneuerbaren Energien schneller dem Wettbewerb und dem Markt stellen
muss. Ein höherer Anteil an Strom aus erneuerbaren
Energien wird zwangsläufig mehr Kosten verursachen.
Wir geben schon heute 10 Milliarden Euro aus. Herr
Steinmeier, wenn Sie es mit Ihrer Aussage, dass Sie ein
effizientes und wettbewerbsfähiges Erneuerbare-Energien-Gesetz wollen, ernst meinen, dann müssen Sie mit
uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir in die Technologien investieren, in denen Deutschland wettbewerbsfähig ist. Das sind nicht in erster Linie die Technologien,
die wir heute in besonderer Weise vorantreiben. Wir
brauchen auch aus dem Grund ein effizientes und wettbewerbsfähiges EEG, damit es von der Bevölkerung akzeptiert wird. Wir müssen ferner dafür sorgen, dass die
Stromkosten für Verbraucher und Industrie bezahlbar
bleiben.
Nächster Punkt: Energieeffizienz. Ich teile die Auffassung meines Vorredners: Wir brauchen mehr Energieeffizienz. Wir wollen unseren Primärenergiebedarf bis
2020 um 20 Prozent reduzieren.
({8})
Auch an dieser Stelle sind große Worte gar nicht notwendig. Wir kommen in dieser Frage doch voran. Im
letzten Jahr haben wir eine Endenergieverbrauchsreduktion von 4,8 Prozent erreicht. Wir sind besser, als Sie es
hier ständig sagen. Wir werden in den nächsten Wochen
bei der Energieeffizienzrichtline eine gemeinsame Position finden. Wir werden, im Gegensatz zu Ihren Forderungen, nicht ständig Zwang erzeugen; vielmehr wollen
wir Anreize schaffen, um hier schneller voranzukommen. Ich glaube, der Weg, den wir derzeit gehen, ist der
richtige Weg.
({9})
- Ja, Frau Künast, manchmal ist es langweilig. Ich denke
aber, letztendlich überwiegt die Sacharbeit, und die wird
zum Ergebnis führen.
({10})
Die großen Worte zum Thema Energie führen nicht zum
Ergebnis, sondern die harte Sacharbeit, die wir jetzt
Stück für Stück leisten.
({11})
Sie haben immer nur viele Worte gemacht, herausgekommen ist dabei aber gar nichts.
({12})
Deshalb werden wir auch - das ist ein weiterer Punkt beim Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz vorangehen. Wir
haben schon jetzt das Ziel, 25 Prozent im Jahr 2020, vor
Augen. Wir werden dieses Ziel voraussichtlich nicht
ganz erreichen. Wir werden aber die Rahmenbedingungen so gestalten, dass wir in den nächsten Jahren auch
auf diesem Gebiet vorankommen. Das alles sind kleine
Bausteine, die uns aber zum Ziel führen, sodass wir
Stück für Stück die Energiewende schaffen und die Bereiche der fossilen Energie und der Kernenergie entsprechend umbauen. Wir werden die entscheidenden Baustellen in den nächsten Jahren anpacken.
Ich möchte zum Schluss sagen: Die Energiewende ist
kein 100-Meter-Sprint, sondern ein Marathonlauf.
({13})
Wir sind nicht mehr nur in den Startlöchern wie Sie, sondern losgelaufen. Wir gehen das Projekt Stück für Stück
an.
({14})
Ich lade Sie ein, an diesem Projekt gemeinsam mit uns
mitzuarbeiten.
Herzlichen Dank.
({15})
Dorothée Menzner hat jetzt das Wort für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Alle großen Umwälzungen müssen in den Köpfen beginDorothée Menzner
nen. Was ich eben hier von der Koalition gehört habe,
zeigt, dass in Ihren Köpfen kein Umdenken begonnen
hat. Ihnen ist überhaupt nicht klar, was Energiewende
wirklich bedeutet. Das ist nicht erst heute so, sondern
das erleben wir seit letztem Sommer. Man kann wirklich
zu dem Schluss kommen, dass der sogenannte Atomausstieg nur eine Sache von Opportunität und nicht von
Überzeugung war.
({0})
Was jetzt wie Differenzen zwischen den Koalitionspartnern in den Fragen der Energiepolitik aussieht, ist in
Wirklichkeit Ausdruck einer generellen Konzeptlosigkeit in diesem Bereich. Sie rührt daher, dass sich die
Bundesregierung vor allem als Interessenvertreter der
großen Energiekonzerne versteht. Der Drang der großen
Energiekonzerne, weiterhin mit Atom- und Kohlestrom
maximale Profite einzufahren, steht natürlich den objektiven Erfordernissen und Notwendigkeiten einer Energiewende entgegen.
({1})
Das ist das Dilemma, vor dem Sie als Bundesregierung stehen. Folglich schwanken Sie hin und her, rufen
„hü und hott!“. Wenn die Gelegenheit günstig ist, riskiert
Herr Rösler sogar den Versuch, das Erneuerbare-Energien-Gesetz komplett zu diskreditieren. Sie setzen auf
Großprojekte, weil Sie die vier großen Energiekonzerne
im Boot halten wollen. Sie diskreditieren das EEG, das
ein Erfolgsmodell ist, ein Exportschlager der Bundesrepublik. Dutzende Länder, allein 19 im EU-Raum, haben
die Idee übernommen und ähnliche Gesetze eingeführt.
Diesem Gesetz verdanken wir, dass der Ausbau erneuerbarer Energien bei uns relativ weit fortgeschritten ist;
Prognosen zum Ausbau wurden immer schnell übertroffen.
({2})
Die Diskussionen über die Rolle der Solarenergie in
den letzten Wochen sind ein Beispiel für Ihren fahrlässigen und kontraproduktiven Umgang mit diesem Thema.
Redereien über unbezahlbare Preise, über Beschränkungen von Zubaumöglichkeiten und über ein mögliches
Abschalten von Solar- oder Windenergieanlagen sowie
die Dramatisierung der Versorgungssicherheit gefährden nicht nur Investitionen und damit Arbeitsplätze, sondern die Energiewende insgesamt und verunsichern die
Verbraucherinnen und Verbraucher.
({3})
Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen.
Sie streben die Energiewende offensichtlich nicht an,
auch wenn Sie hier entsprechende Lippenbekenntnisse
vortragen.
Die im EEG festgeschriebenen Grundsätze dürfen
nicht angetastet werden; denn das Gesetz garantiert eine
vergütete Einspeisung des sauberen Stroms. Der Einspeisevorrang darf nicht angetastet werden; dieser ist angesichts des Klimaschutzes notwendig. Das EEG ist die
Basis, um überhaupt einen Systemwechsel zu erreichen.
Durch die Eigenverbrauchsregelung bietet das Erneuerbare-Energien-Gesetz bereits jetzt eine Grundlage für einen dezentralen Netzausbau. In diese Richtung müssen
wir weitergehen, statt weitere Großprojekte zu verfolgen
und bestehende Regelungen ohne Sinn und Verstand zu
schleifen.
({4})
Natürlich reichen die aktuellen Rahmenbedingungen
nicht aus. Weitere Gesetze und Regelungen müssen geschaffen werden, doch Sie sind mit Kompetenzstreitigkeiten beschäftigt. Sie sind noch nicht einmal dabei, Gesetzespakete vorzubereiten. Stattdessen streiten Sie sich
lieber auch noch über die Frage der Energieeffizienz.
Dabei weiß jeder, dass Einsparung und effizienter Verbrauch notwendig sind. Man muss es aber auch wollen.
Manchmal kann man wirklich den Eindruck bekommen:
Sie wollen nicht. Diese Zweifel hegen nicht nur die Opposition und die Umweltverbände, nein, diese Zweifel
sind inzwischen weit verbreitet in der Gesellschaft, bei
den Bürgerinnen und Bürgern, in Redaktionen und in
Forschungseinrichtungen.
Energieeffizienz hieße zum Beispiel, der Industrie
konkrete in Schritten darzustellende Einsparvorgaben zu
machen. Doch dazu habe ich von Ihrer Seite noch nichts
gehört. Da hat sich bisher jede Regierung weggeduckt.
({5})
Stattdessen werden die Kosten überproportional und
weitestgehend alleine den privaten Haushalten aufgedrückt. Die Endverbraucher, die sparsam mit Energie umgehen, und die kleinen Haushalte - nicht die Industrie werden mit entsprechenden Regelungen dazu angehalten,
tätig zu werden. Außerdem hat sich die Bundesregierung
massiv daran beteiligt, die EU-Energieeffizienzrichtlinie
noch weiter zu verwaschen, sie noch weiter weichzuspülen. Jetzt rückt sie sogar vom Ziel ab, bis 2020 20 Prozent
der Energie einzusparen. Das darf nicht passieren. Eigentlich müsste man auf die 20 Prozent noch eine Schippe
drauflegen.
({6})
Zuletzt möchte ich Ihnen sagen: Kritik äußern nicht
nur Umweltverbände und die Oppositionsparteien. Kritik
kommt sogar aus den Reihen Ihrer eigenen Partei. Heute
ist in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, dass EU-Kommissar Oettinger Sie auffordert, im Bereich Energieeffizienz endlich aktiv zu werden. Außerdem wirft er Ihnen
Konzeptlosigkeit vor. Das zeichnet ein sehr deutliches
Bild von Ihrer Unfähigkeit und von Ihrer Unwilligkeit in
diesem Bereich.
Ich danke.
({7})
Das Wort für die Bundesregierung hat der Kollege
Dr. Norbert Röttgen.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich bei der Fraktion der
Grünen dafür bedanken, dass sie diese Aktuelle Stunde
beantragt hat.
({0})
Es ist in den vergangenen Tagen unheimlich viel energiepolitischer Unsinn erzählt worden.
({1})
Darum ist dies eine Gelegenheit, dem Unsinn ein paar
Fakten gegenüberzustellen und ein paar Dinge geradezubiegen.
({2})
Ich will kurz auf einige Punkte, die in den bisherigen
Reden genannt worden sind, eingehen. Herr Trittin, Sie
haben behauptet, die Rechenzentren seien von der EEGUmlage ausgenommen worden. Diese Behauptung ist
falsch. Lesen Sie es nach! Das ist eine falsche Behauptung.
({3})
Herr Steinmeier, Sie haben gesagt, das Monitoring sei
noch gar nicht eingesetzt worden. Ich sehe Ihnen nach,
dass Sie das nicht mitbekommen haben. Aber: Das Monitoring ist eingesetzt worden. Die Kommission ist eingesetzt worden.
({4})
- Ja, genau das ist es.
({5})
Wir werden dem Deutschen Bundestag Ende des Jahres
einen Bericht mit der Stellungnahme der Kommission
vorlegen. Vielleicht lesen Sie ihn dann einmal; ich bin
aber nicht ganz sicher, dass Sie das tun werden. - Sie haben das, wie gesagt, nicht mitbekommen. Es ist Ihnen
entgangen.
Das stärkste Stück war, dass Sie uns vorgehalten haben, die Regierungsfraktionen hätten noch keine Vorlage
zum Thema Energieeffizienz in den Deutschen Bundestag eingebracht.
({6})
Die Regierungsfraktionen haben in diesem Haus die
steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung beschlossen. Aber Sie halten das auf, sodass es
nicht kommen kann.
({7})
Dieser Bundestag hat das beschlossen, Herr Kollege.
Das haben Sie aber nicht zur Kenntnis genommen.
({8})
Sie haben gesagt, es habe schon einmal eine Energiewende gegeben. Sie, Herr Steinmeier, haben elf Jahre
in Regierungen gearbeitet. In dieser Zeit hat es einen
Ausstieg aus der Kernenergie gegeben. Er hat übrigens
nicht das zuwege gebracht, was wir beim Ausstieg erreicht haben; das mal ganz nebenbei.
({9})
Außer Ausstieg ist nichts passiert.
({10})
In der Zeit von 1998 bis 2009 ist unter Ihrer Regierungsbeteiligung und unter Beteiligung von Wirtschaftsministern der SPD - Werner Müller, Wolfgang Clement; man
muss nur die Namen nennen, und man weiß, warum beim Netzausbau nichts passiert. Wir arbeiten Ihre Defizite der vergangenen zehn Jahre ab.
({11})
Warum haben Sie hier denn nichts gemacht? Eine Energiewende hat bei Ihnen nicht stattgefunden.
In den sieben Jahren Ihrer Amtszeit als Umweltminister, Herr Trittin, haben Sie es versäumt, bei den sozialdemokratischen Wirtschaftsministern darauf zu drängen,
dass beim Netzausbau etwas passiert.
({12})
Das ist der Grund, warum wir heute daran arbeiten müssen. Sie haben es versäumt. Sie haben nichts getan.
({13})
Jetzt will ich mich mit dem beschäftigen, was Sie gesagt haben. Ihre These lautet: Die Energiewende fährt
vor die Wand. - Ich sage Ihnen - ich werde das auch
nachweisen -: Die Energiewende ist ökonomisch und
ökologisch ein Erfolgsmodell. Wenn Sie sich nicht damit
identifizieren wollen, ist das Ihre Sache. Diese Koalition
tut es, und zwar die gesamte Regierung, der Wirtschaftsminister und der Umweltminister. Die gesamte Regierung bekennt sich zu diesem Erfolgsmodell, das wir in
diesen Tagen erleben.
({14})
Es ist unsere Energiewende. Sie ist erfolgreich, und sie
wird von uns getragen.
Weil bei diesem Thema so viel Abstraktes und Falsches erzählt wird,
({15})
gehe ich die Anforderungen an die Energiepolitik einmal
durch. Eine Anforderung an die Energiepolitik ist ohne
jeden Zweifel die Versorgungssicherheit. Wir erleben
seit Tagen klirrende Kälte und extreme Nachfrage nach
Strom. Wie zeigt sich die Energiewende, die Ihrer Meinung nach vor die Wand fährt, in diesen Tagen? Sie besteht diesen Härtetest.
({16})
Wir haben Netzstabilität und stabile Preise, und wir exportieren deutschen Strom, und zwar erneuerbaren
Strom, ins Ausland. Die Energiewende hat diesen ersten
Härtetest bestanden.
({17})
Das ist unser Erfolg. Sie mögen ihn nicht zugestehen.
Ich glaube, Herr Trittin ist etwas großzügiger und sagt:
Das ist ein richtiger Erfolg.
({18})
In diesen Zeiten klirrender Kälte und extremer Nachfrage exportieren wir am Tag und netto zwischen
100 000 und 170 000 Megawattstunden Strom. Das ist
unser Erfolg. Sie möchten ihn ja nicht haben. Wir nehmen ihn sehr gerne.
({19})
- Hören Sie doch einfach zu. Das sind ja nur Fakten. Ich
nenne ausschließlich Fakten.
({20})
Eine andere Anforderung der Energiewende sind stabile Preise. Sie sagen: Die Energiewende fährt vor die
Wand. Ich sage Ihnen einmal etwas zu der Preissituation:
Die Energiewende hat in Deutschland zur Stabilität von
Börsenstrompreisen geführt.
({21})
- Es ist ja schön, dass Sie sich jetzt auch zunehmend zu
dem Erfolgsmodell bekennen; das finde ich gut.
({22})
- Ich habe nur eine kurze Redezeit.
({23})
Tun Sie mir kollegialerweise den Gefallen, dass ich hier
reden und die Fakten benennen kann.
Heute ist der 8. Februar 2012. Ich nenne Ihnen jetzt
die Börsenstrompreise vom gestrigen Tag. In Deutschland betrug er pro Megawattstunde 78 Euro. Der europäische Durchschnittspreis lag bei 108 Euro. In Frankreich betrug er 129 Euro und in der Schweiz 140 Euro.
Wir haben die niedrigsten Börsenstrompreise in Europa.
Das ist unser Erfolg. Wir bekennen uns zu diesem Erfolg. Sie mögen das kritisieren. Das ist unser Erfolg, zu
dem wir uns bekennen.
({24})
- Ja, das ist doch schön. Das ist unsere Politik, die Politik des Bundeswirtschaftsministers, des Bundesumweltministers und der christlich-liberalen Koalition.
({25})
- Es ist wirklich so, dass Sie dabei einen Identitätsverlust erleiden und richtig darunter leiden.
({26})
Ich kann es Ihnen aber nicht ersparen, dass wir eine
gute Wirtschafts- und Umweltpolitik machen. Der Unterschied zwischen uns ist: Sie sehen noch immer die
Gegensätze. Bei uns ist das ein integraler Bestandteil
und ein gemeinsamer Ansatz. Der ist erfolgreich, auch
wenn Sie darunter leiden und dadurch ein Mobilisierungs- und Identitätsthema verlieren.
({27})
Die Ursache Ihrer Schreierei ist doch, dass Sie sagen
müssen: Das war einmal unser Thema, aber wir haben es
nicht gekonnt. Als Herr Trittin aus dem Amt gegangen
ist, lag der Anteil der erneuerbaren Energien bei 10 Prozent, beim Netzausbau und bei den Rechtsgrundlagen
war nichts passiert, und über ein Monitoring oder so etwas, dessen Fehlen Sie jetzt kritisieren, obwohl wir dafür sorgen, haben Sie nicht einmal auch nur ansatzweise
nachgedacht. Wir machen das jetzt.
({28})
Wir entlasten die Industrie; das ist richtig. Das ist kritisiert worden. Die erneuerbaren Energien senken den
Börsenstrompreis. Das kommt in besonderer Weise der
Industrie und nicht so sehr den Privatverbrauchern zu18800
gute. Darüber hinaus stellen wir die energieintensive Industrie in einem viel weitergehenden Maße von der
EEG-Umlage frei, als das früher der Fall war. Das kann
man kritisieren, und das mögen Sie auch anders machen
wollen. Wir sagen aber: Wir wollen und machen diese
Energiewende, aber wir wollen und werden dabei Industrieland bleiben und unsere industrielle Wettbewerbsfähigkeit verteidigen. Darum machen wir das. Es geht um
zweistellige Milliardenbeträge. Vielleicht reden Sie bei
Ihren zahlreichen Gesprächen mit der Industrie auch einmal darüber.
({29})
Sie haben das der Industrie nämlich nicht zugebilligt.
Wir haben das getan, und ich stehe dazu, um das ausdrücklich zu sagen - gerade auch als Umweltminister.
({30})
Unsere Energiewende ist auch Technologiepolitik. Es
ist ein wesentlicher Teil der Energiewende, dass wir moderne, innovative Technologien fördern. Das ist auch ein
Wettbewerb. Wir sehen das gerade an der Politik Chinas,
die uns dazu zwingt, wiederum Änderungen beim EEG
vorzunehmen. Wir haben das auch schon erfolgreich getan.
Wir haben bei der EEG-Umlage, die jetzt bei 3,5 Cent
liegt und die wir in der Größenordnung halten wollen,
einen ausgeprägten Gabriel-Faktor aus der vergangenen
Legislaturperiode: Das war die falsche, verfehlte Überförderung der Photovoltaik.
({31})
Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden das
noch über Jahre hinweg bezahlen müssen. Das werden
wir ihnen jedes Mal sagen. Der Gabriel-Faktor kommt
die Verbraucher teuer zu stehen - und das über 20 Jahre.
Das ist verfehlte Politik.
({32})
Wir werden Mitte des Jahres mit unserer Politik die
Vergütung um mehr als 50 Prozent gesenkt und gleichzeitig einen dynamischen Ausbau auch der Photovoltaik
bzw. der erneuerbaren Energien erreicht haben. Das sind
die Ergebnisse unserer Politik. Der atmende Deckel, den
wir eingeführt haben, wirkt also. Angeblich fährt ja alles
gegen die Wand.
({33})
Aber wir haben einen zu hohen Zubau. Wir haben
eine Zielgröße von 2 500 bis 3 500 Megawatt im Gesetz
stehen und lagen bei 7 500 Megawatt. Das ist unter dem
Gesichtspunkt der Kosten, aber noch mehr unter dem
Gesichtspunkt der Netzstabilität zu viel. Darum müssen
wir handeln. Die Ursache liegt in chinesischer Industrieund Technologiepolitik, die mit unbegrenztem und kostenlosem Kredit- und Kapitalzugang international ein offensives und aggressives Preisdumping macht,
({34})
dem wir uns nicht einfach ausliefern dürfen. Vielmehr
wollen wir diese Technologie im Land halten, weil sie
ohne jeden Zweifel eine Zukunfts- und Exporttechnologie ist. Aber wir müssen zu einer wirksamen Begrenzung des Zubaus in Deutschland kommen.
({35})
Dieser Aufgabe stellen wir uns. Darüber diskutieren
wir auch. Wir werden das Problem lösen. Nur: Mit Ihrer
albernen Schreierei lösen Sie überhaupt kein einziges
Problem. Ich sage Ihnen: Philipp Rösler und ich werden
dieses Problem für Deutschland lösen, damit diese Technologie eine Zukunft hat.
({36})
Das Gleiche gilt für die Energieeffizienz. Wir haben
eine klare Beschlusslage: 20 Prozent Energieeffizienz
bis 2020, bezogen auf 2008. Dafür werden wir uns in
Europa einsetzen. Diese Energiewende hat zwei Beine:
erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Beide werden wir kräftig machen, damit sie unser Land voranbringen.
Was wir sonst noch getan haben: Novelle zur KraftWärme-Kopplung im Kabinett verabschiedet, Anreizregulierungsverordnung für die Netze, 5 Milliarden Euro
für das KfW-Programm Offshore-Windenergie, Netzplattform beim Bundeswirtschaftsminister, erfolgreiche
Offshore-Netzanbindung - wir sind dabei, durch unsere
Arbeit Schritt für Schritt einen konzeptionellen Ansatz
in der deutschen Wirtschaftstechnologie und Umweltpolitik zu verfolgen.
Sie können weiter abseits stehen und schreien und
sich darüber zum Teil inkompetent auslassen. Wir machen diese Politik weiter und werden an diesem Erfolg
für unser Land weiter arbeiten.
Vielen Dank.
({37})
Ulrich Kelber hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Zehn Jahre lang konnte man sich in Deutschland
anschauen, wie eine gut gemachte Energiewende geht.
({0})
Zwischen 1998 und 2009 hat sich der Anteil der erneuerbaren Energien verfünffacht. In nur zehn Jahren hat
Deutschland in allen möglichen Energieerzeugungstechnologien Weltmarktführerschaft und Technologieführerschaft erreicht. Von einem Land, das Strom importieren
musste, sind wir zu einem Land mit Rekordexportüberschüssen bei Strom geworden, was es uns jetzt ermöglicht hat, mit Anlagen, die bis 2009 gebaut worden sind,
nicht nur die AKW in Deutschland abzuschalten, sondern auch noch unseren französischen Nachbarn zu helfen.
({1})
Wir haben in Europa mit dieser Politik die besten Klimaschutzergebnisse erreicht. Zum Schluss - das ist nicht
das Schlechteste - sind 400 000 neue Arbeitsplätze allein im Bereich der erneuerbaren Energien entstanden.
So macht man eine Energiewende.
({2})
Das musste die Regierung aus SPD und Grünen am
Anfang gegen CDU/CSU und FDP durchsetzen. 19 von
20 Gesetzen dieser Energiewende sind von CDU/CSU
und FDP abgelehnt worden. Norbert Röttgen hat gegen
die Förderprogramme für erneuerbare Energien gestimmt, gegen die Förderprogramme für den Austausch
von Heizungen, gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz. All das, worauf er jetzt verweist, ist gegen seine
Stimme durchgesetzt worden. Noch in der Großen Koalition hat der Erste Parlamentarische Geschäftsführer
der CDU/CSU, Norbert Röttgen, ein Netzausbaugesetz
abgelehnt und verhindert. Das ist die Realität.
({3})
27 Monate Schwarz-Gelb: stop and go, hü und hott,
vor und zurück. Wir sagen: Sie fahren die Energiewende
an die Wand. - Das sehen nicht nur wir so. Erstens. Die
Medien sehen das so. Zitat der Süddeutschen Zeitung:
„Verstolperte Wende“. Zweitens. Die Wirtschaft sieht
das so. Zitat des Weltmarktführers für Wärmepumpen,
Stiebel Eltron:
Die mangelnde politisch-administrative … Koordination erweist sich … als großes Hemmnis, ja …
als Blockade.
Drittens. Auch die eigenen Leute sehen das so. Haben
Sie Klaus Töpfer nicht bei dem zugehört, was er über
Ihre Energiepolitik sagt? Sie hätten die Ergebnisse der
Ethik-Kommission nicht verstanden. Taten und Worte
klaffen auseinander. So schaffen Sie die Energiewende
nicht. Das hat Ihnen nicht die Opposition gesagt, sondern Klaus Töpfer, der frühere CDU-Umweltminister.
({4})
Die Minister blockieren sich gegenseitig. Kameraminuten zählen mehr als Ergebnisse. Jeder macht, was er
will. Frau Schavan fördert lieber die Fusionsforschung
als die Erneuerbaren und Energieeffizienz. Die Fraktionsspitzen von Schwarz und Gelb streiten sich monatelang, wer der neue Chef der Bundesnetzagentur werden
soll. Parteibuch geht vor Kompetenz, obwohl die Bundesnetzagentur für den Netzausbau sehr wichtig ist.
Röttgen und Rösler streiten sich endlos über jedes energiepolitische Gesetz. Das ist so, Herr Rösler. Vor wenigen Minuten kam die Nachricht, dass Herr Röttgen mit
viel Mühe einen neuen Antragsentwurf zur Verwässerung der Energieeffizienzziele Europas, der mit Ihrer
Unterstützung entstanden ist, gerade noch verhindern
konnte. Er kursiert zum Glück bereits im Internet.
Röttgen und Ramsauer haben 2010 die Mittel für Förderprogramme für Gebäudedämmung, innovative Heizungsanlagen und Wärme aus erneuerbaren Energien gekürzt und sie 2011 erhöht, nur damit der Finanzminister
sie jetzt wieder um 40 Prozent zusammenstreichen kann.
Wer soll auf der Grundlage eines solchen Hü und Hotts
Geld ausgeben, Mitarbeiter einstellen und in die Fertigung investieren? Private Haushalte, Handwerk und Industrie - keinem ist so ein Risiko zuzumuten. Sie verhindern Investitionen. Unsere Konkurrenten holen auf.
Unser technologischer Vorsprung ist schon fast verspielt.
Sie verstehen nicht, dass die Energiewende mehr ist
als eine kleine Kurskorrektur. Sie setzen weiterhin nur
auf Großkraftwerke und Energiekonzerne. Wir setzen
auf die Innovationsfähigkeit von 82 Millionen Menschen
und Tausenden Unternehmen in diesem Land.
({5})
Wir wollen ein Internet der Energie mit Millionen Erzeugungseinheiten und intelligenten Netzen.
({6})
Das ist eine Energiewende mit hoher Wertschöpfung vor
Ort, Wettbewerb statt Monopolen und demokratischer
Teilhabe.
({7})
Schwarz-Gelb hätte alle Voraussetzungen für eine
schnelle und preisgünstige Energiewende: erstens eine in
zehn Jahren aufgebaute Branche für Energieeffizienz
und Erneuerbare, zweitens eine Opposition, die nicht
wie Schwarz-Gelb früher immer Nein sagt, sondern Sie
unterstützen würde, wenn Sie die richtigen Gesetzentwürfe einbringen, drittens investitionswillige Unternehmen und Privathaushalte, die darauf warten, dass endlich
eindeutige Signale kommen, und viertens - das ist am
wichtigsten - eine Bevölkerung, die die Energiewende
will. Das ist wie ein Elfmeter, bei dem der gegnerische
Torwart nicht einmal aufs Feld darf, um den Ball zu halten. Aber auch das versemmeln Sie. Das ist ein Trauerspiel für Deutschland.
({8})
Das Wort hat Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist bemerkenswert, mit welch inhaltsleeren Floskeln
wie der eines Internets der Energie Sie hier vor sich hin
schwadronieren.
({0})
Nichts ist zu Ihrer Zeit passiert. Sie haben Beschlüsse
gefasst, aber nichts davon umgesetzt.
({1})
Das Einzige, was Sie gemacht haben, ist das EEG. Sie
haben kein Kernkraftwerk vom Netz genommen. Sie haben keinen Meter Netz ausgebaut. Sie haben nicht versucht, die Speichertechnologie und den Verbrauch von
erneuerbaren Energien voranzubringen und zu beantworten, wie man einerseits die fossilen Kraftwerke und
andererseits die erneuerbaren Energien zusammenbringt.
({2})
Nichts davon ist passiert. Sie quatschen hier vor sich hin;
aber wenn es wie heute Abend beim Thema Gebäudesanierung im Bundesrat darum geht, Ihre eigenen Länderregierungen dazu zu bewegen, mitzuhelfen, dass die
Energiewende gelingt, dann blockieren Sie alles, weil
Ihnen völlig egal ist, was passiert.
({3})
Allein im Jahr 2011 haben die Länder durch die Einkommensteuer Mehreinnahmen von 15 Milliarden Euro
erzielt. Nichts davon wollen Sie für die energetische Gebäudesanierung verwenden.
({4})
Es wird nicht funktionieren, wenn sich alle aus der Verantwortung stehlen. Hier schwingen Sie große Reden;
aber wenn es darum geht, selber mitzuhelfen, etwas zu
tun, funktioniert nichts davon.
Richten wir den Blick einmal darauf, was Sie vor Ort
für großartige Leistungen bringen. Sie sagen - zum Beispiel Herr Steinmeier -, wir brauchen neue Gaskraftwerke. Wie sieht es vor Ort aus? Beim Gaskraftwerk
Wustermark geht es um Investitionen in Höhe von
650 Millionen Euro. Die SPD blockiert das Vorhaben,
plakatiert gegen das Gaskraftwerk und weist auf die vielen Berliner hin, die dort hingezogen sind. Wie soll es
denn funktionieren, wenn man vor Ort immer das Gegenteil von dem macht, was man hier fordert? Das ist
mir nicht ganz verständlich.
({5})
Die Grünen bzw. Herr Trittin haben angekündigt, dass
sie deutlich mehr CO2 einsparen wollen. Wir seien zu
wenig ambitioniert. Die taz schreibt heute Folgendes:
Die baden-württembergische Landesregierung hat
die Eckpunkte ihres Klimaschutzgesetzes verabschiedet. Dabei überraschte Grün-Rot mit einem
niedrigeren Ziel zur CO2-Minderung als die schwarzgelbe Vorgängerregierung. Grün-Rot will den CO2Ausstoß bis 2020 um 25 Prozent reduzieren,
Schwarz-Gelb wollte ihn um 30 Prozent senken.
({6})
Umweltminister Franz Untersteller ({7}) rechtfertigte diese Zahl mit dem Atomausstieg, der kurzfristig mit fossilen Brennstoffen ausgeglichen werden müsse.
({8})
Das ist Ihre Klimapolitik. Das ist der Unterschied zwischen Ihrem Gequatsche und dem, was Sie in Wirklichkeit vor Ort machen.
({9})
Sie haben, was Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit - wir haben es gerade gehört -, Klimaschutz
und die Bezahlbarkeit der Maßnahmen betrifft, keine
konkreten Vorstellungen. Sie machen nichts anderes, als
uns zu kritisieren. Wenn man vor Ort etwas verändern
könnte, dann stellen Sie sich quer.
Ich meine auch, dass man durchaus darauf hinweisen
darf, dass unsere Energieversorgung in den letzten Jahrzehnten hervorragend funktioniert hat. Es ist eine extreme Herausforderung, von großen, zentralen Kraftwerken wegzukommen. Das gilt für die Kohlekraftwerke im
SPD-regierten Nordrhein-Westfalen genauso wie für alle
anderen Kraftwerke.
({10})
Das müssen wir gemeinsam in Angriff nehmen. Dass
das eine Riesenherausforderung ist, ist doch klar.
Wir haben zum Beispiel das Netzausbaubeschleunigungsgesetz, NABEG, gemacht. Was haben Sie denn in
Sachen Netzausbau gemacht? Nichts dergleichen.
({11})
Wir werden in diesem Jahr der Bundesnetzagentur einen
Netzentwicklungsplan übergeben.
({12})
Da wird man ganz genau sehen, an welcher Stelle ausgebaut wird. Sie haben nichts dergleichen gemacht.
Wir haben die Fördergelder für die Energieforschung
auf 3,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2014 aufgestockt.
({13})
Das sind 75 Prozent mehr, als Sie beabsichtigt haben.
Sie haben seinerzeit die energetische Sanierung befristet,
wir verlängern sie. Wir investieren zusätzlich in die Forschung.
({14})
- Natürlich, bis 2011. Dann ist das Programm weggefallen. Das ist der Unterschied. Sie haben das Gegenteil
von dem gemacht, was Sie angekündigt haben.
({15})
Allein zu sagen, dass man aus der Kernkraft aussteigt,
ist kein Energiekonzept.
({16})
Sie haben den Ausstieg angekündigt, aber nichts ist passiert. Kein einziges Kraftwerk ist vom Netz gegangen.
Das ist lächerlich ohne Ende.
({17})
Ich möchte auf Philipp Rösler eingehen, der eine nötige Debatte angestoßen hat. Jetzt wird es interessant.
Was sagen Sie denn dazu, dass die Vergütung für die
Einspeisung von Photovoltaikstrom reduziert werden
soll?
({18})
Was sagen Sie denn dazu, dass dafür gesorgt wird, dass
nicht mehr zweistellige Renditen für die Großen garantiert werden, die der kleine Mann bezahlen muss? Was
sagen Sie denn dazu, dass wir die Umverteilung von unten nach oben begrenzen wollen? Dazu hört man nichts
von Ihnen.
({19})
Vielleicht hört man deshalb nichts, weil das zufälligerweise die eigene Klientel betrifft. Das ist für Sie, Herr
Kelber, das Entscheidende. Wie viel das kostet, ist Ihnen
doch egal. Es ist das Scheinheilige, was mich an Ihrer
Politik ganz besonders ärgert.
({20})
Wir haben - Herr Röttgen hat es gesagt - die Einspeisevergütung um 50 Prozent reduziert und gleichzeitig
extrem viel zugebaut. Im letzten Jahr waren es
7 500 Megawatt nur im Bereich der Photovoltaik.
({21})
- Wahrscheinlich haben es die Grünen und die SPD gemacht. Das ist das, was ihr denkt. - Wir haben es
gemacht, und zwar dadurch, dass wir entsprechende
Rahmenbedingungen gesetzt haben. Das ist das Entscheidende. 2005, als Rot-Grün aus der Regierung geflogen ist, betrug der Anteil der erneuerbaren Energien gerade einmal 5, 6 oder 7 Prozent. Wie hoch ist der Anteil
jetzt? Er liegt bei über 20 Prozent.
({22})
Was Sie erzählen, sind Phantastereien. In Wirklichkeit
sind wir diejenigen, die geliefert haben. Sie sind diejenigen, die nur angekündigt haben.
({23})
Ich möchte jetzt darauf eingehen, dass es wichtig ist,
bei der Photovoltaik tatsächlich zu kürzen. Ich möchte
auch darauf hinweisen, dass wir zum EEG stehen. Ich
selber habe dafür gesorgt, dass das im FDP-Wahlprogramm stand. Das ist aber keine unendliche Geschichte.
Vielmehr hat die Branche selbst angekündigt, dass sie ab
dem Jahr 2017 keine Einspeisevergütung mehr braucht.
Deshalb müssen wir jetzt erklären, dass dieser Fördertatbestand wegfällt. Die Preissenkung bei Photovoltaik ist
enorm. Da müssen wir nachlegen. Es geht darum, Innovationen zu fördern. Es geht nicht darum, Strom aus erneuerbaren Energien unbegrenzt ins Netz zu pumpen,
sondern der Eigenverbrauch muss angekurbelt werden.
Man muss innovative Technologien - Stichwort: Speichertechnologien, Smart Metering - entwickeln.
({24})
Das muss geschehen. Nichts davon ist von Ihrer Seite
unterstützt worden.
({25})
Wir hingegen stellen Fördergelder in Höhe von
3,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Sie haben es vielleicht nicht mitbekommen: Wenn man zu hohe Vergütungen zahlt, wie es zu Ihrer Zeit, Herr Kelber, der Fall
war, dann führt das zu Stillstand, Sattheit und Bequemlichkeit. Jetzt werden die Unternehmen dazu motiviert,
im Wettbewerb zu bestehen.
({26})
Sie werden einmal mehr überrascht sein, welch große
Erfolge wir feiern werden. Am Schluss werden Sie sie
für sich selbst in Anspruch nehmen.
Herzlichen Dank.
({27})
Hans-Josef Fell hat jetzt für Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Energiewende der Bundesregierung währte
nur einen Sommer. Seitdem herrschen Chaos und Streit.
Die schwarz-gelbe Koalition ist offensichtlich nicht in
der Lage, den Atomausstieg und die Energiewende zu
organisieren. Jetzt hören Sie sich das an: Schuld am
schleppenden Energieumbau ist die schwarz-gelbe Bundesregierung. So sagte es gerade der FDP-Wirtschaftsminister Zeil aus Bayern. Recht hat Herr Zeil, Herr
Rösler!
({0})
Sie müssen sich das von den eigenen Parteifreunden sagen lassen; denn Umweltminister Röttgen kann es offensichtlich nicht, und Wirtschaftsminister Rösler will es
offensichtlich nicht, und der Rest des Kabinetts tut so,
als ginge ihn die Energiewende gar nichts an.
({1})
Bis heute hat diese Bundesregierung kein neues Energiekonzept vorgelegt. Immer noch gilt genau das gleiche, das für die Laufzeitverlängerung erstellt wurde. Immer noch gelten die gleichen Ausbauziele - etwa das
von 35 Prozent für Ökostrom -, die zu dem Zeitpunkt
aufgestellt wurden, als Frau Merkel mit Herrn
Großmann die Laufzeitverlängerung ausgehandelt hat.
({2})
Das ist doch nicht ambitioniert.
Noch rückständiger sind die Regierungsfraktionen,
die ganz aktuell einen Antrag vorgelegt haben, den Ausbau der erneuerbaren Energien so zu betreiben, dass die
EEG-Umlage auf 3,5 Cent gedeckelt wird. So werden
Sie selbst Ihre anspruchslosen Ziele einkassieren!
Wenn Sie gleichzeitig die EEG-Umlage mit weiteren
Sonderfaktoren belasten, bekommen Sie eine weitere
Steigerung der EEG-Umlage, Herr Röttgen. Jürgen
Trittin hat doch nicht Unsinn erzählt, als er diese Ausnahmetatbestände erwähnt hat.
({3})
Sie haben Unsinn gemacht, indem Sie beispielsweise die
Braunkohleindustrie und die Steinkohleindustrie von der
EEG-Umlage befreit haben - das macht 100 Millionen
Euro aus - und die anderen Stromkunden damit belastet
haben. Wo steht denn die Braunkohleindustrie in internationalem Wettbewerb? Das ist doch absurd, was Sie hier
tun.
({4})
Der Wirtschaftsminister will von der Energiewende
gar nichts wissen. Erst wollte er wenigstens ein Atomkraftwerk in die Kaltreserve retten, und jetzt hat er sogar
ein Solarausstiegsgesetz vorgelegt. Der FDP-Parteivorsitzende spricht von Wachstum und liefert eine Insolvenz in der Solarwirtschaft nach der anderen. Wir fürchten, dass das nicht die letzten Insolvenzen sein werden,
für die dieser FDP-Minister zuständig ist.
({5})
Herr Rösler spricht von den hohen Kosten, die die erneuerbaren Energien und die Solarwirtschaft verursachen würden, und übersieht, dass die Solarstromkosten
in den letzten drei Jahren mehr als halbiert wurden. So
tragen Wind und Sonne dazu bei, dass in Deutschland
die Börsenstrompreise aktuell nur bei etwa 10 Cent liegen. Im Atomland Frankreich aber müssen die Börsenkunden stundenweise jetzt schon 30 Cent für die Kilowattstunde berappen. Herr Röttgen hat es wunderbar
aufgezeigt. Nur, Herr Röttgen, warum wollen Sie uns
von Rot-Grün etwas erklären, was wir längst wissen,
nämlich wie wunderbar die Kostensenkungswirkung der
erneuerbaren Energien ist? Sagen Sie das doch Ihren Kabinettskollegen! Sagen Sie es Herrn Fuchs, sagen Sie es
Herrn Brüderle und all denjenigen, die immer noch behaupten, die erneuerbaren Energien seien Preistreiber!
({6})
Nein, sie sind die Billigmacher der Stromerzeugung.
({7})
Herr Bundesumweltminister, Sie legen selbst die
Hände in den Schoß. Sie verhandeln zwar mit der SolarHans-Josef Fell
lobby; aber dass Sie selbst Konzepte auf den Tisch legen, davon habe ich noch nichts gesehen.
Nur in einem Einzigen sind Sie sich mit Ihrem Bundeswirtschaftsminister doch einig: Sie überlassen die Industriepolitik für die Photovoltaik lieber der chinesischen Regierung, statt eine eigene deutsche zu machen.
Was ist das für eine absurde Industriepolitik für das Exportland Deutschland?
({8})
Nicht nur im Stromsektor fährt diese Regierung die
Energiewende an die Wand. Für den Umbau des Wärmesektors scheint sich überhaupt kein Bundesminister
ernsthaft zu interessieren. Die Regierung bekommt noch
nicht einmal ein Monitoring der aktuellen Gesetzgebung
und der Förderinstrumente hin. Dabei hat die Realität
das Ergebnis schon geliefert. Erstmals ist im vergangenen Jahr in Deutschland der Anteil der erneuerbaren
Energien im Wärmesektor gesunken. Das ist das Ergebnis Ihrer verfehlten Politik und ein schlimmes Zeugnis
für das Versagen Ihrer Regierung.
({9})
Dabei stöhnen doch die Menschen draußen immer
wegen weiter steigender Ölpreise, und sie fürchten um
die Versorgungssicherheit.
({10})
Dieser Tage erleben wir erneut, dass Russland in kalten
Wintern nicht genug Erdgas liefern kann. Im renommierten US-Wissenschaftsmagazin Nature wird akribisch
vorgerechnet, dass die Welt das Maximum der Erdölförderung überschritten hat. Kein Wunder, dass der Ölpreis
aktuell bei 110 Dollar liegt, dreimal so hoch wie noch
Anfang 2009! Doch diese bedrohliche Entwicklung ficht
Sie gar nicht an. Wir hören nichts davon. Keine Vorschläge, wie Sie auf diese Herausforderung reagieren
wollen! Sie gefährden in diesem Staat in höchstem Maße
die Energieversorgungssicherheit und den Klimaschutz
gleichzeitig.
({11})
Wieso legen die Minister Röttgen, Rösler und
Ramsauer nicht endlich Strategien und Gesetzentwürfe
vor, aufgrund derer wir unsere Abhängigkeit von Erdöl
und Erdgas verringern können? - Wir sehen davon
nichts.
Herr Kollege.
Was von Schwarz-Gelb im letzten Sommer als Energiekonzept und Energierevolution fantasiert wurde, hat
sich heute längst als Fata Morgana erwiesen.
({0})
Die Kollegin Maria Flachsbarth hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Zusammenarbeit der Häuser für Energiepolitik in
der Bundesregierung ist gekennzeichnet von einer
fruchtbar-konstruktiven Dialektik,
({0})
so Bundesminister Peter Ramsauer gestern Abend beim
Neujahrsempfang des BEE.
({1})
Nachdem wir eben den Kollegen Thomas Bareiß gehört
haben, kann man feststellen, dass dies nicht nur eine Erfindung dieser Legislaturperiode ist, sondern dass dies
über viele Perioden des Zusammenlebens in der Bundesregierung hinweg gute Tradition ist.
({2})
Dennoch oder vielleicht gerade deshalb sind die Erneuerbaren in Deutschland auf einer Erfolgsspur. Sie haben
im letzten Jahr einen Anteil von 20,8 Prozent an der
Bruttostromproduktion gehabt. Vielleicht liegt das auch
daran, dass das EEG und die erneuerbaren Energien trotz
dieses ganzen Getöses, das diese Debatte in diesem Haus
wieder auslöst, ein Anliegen des gesamten Hauses ist.
Wir müssen uns aber auch den Status quo angucken.
Erfolgsmeldungen bei den Erneuerbaren sind gut und
schön. Nach wie vor werden 89 Prozent des Endenergieverbrauchs aber durch fossile Energien bereitgestellt.
Deutschland importiert 70 Prozent seiner Energieträger.
In Deutschland bezahlte man dafür im Jahr 2011 etwas
mehr als 100 Milliarden Euro. Vor fünf Jahren musste
man dafür nur 75 Milliarden Euro bezahlen.
Der Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hat uns in der letzten Sitzungswoche
im Ausschuss gesagt, dass die Vorräte für Erdöl wohl
noch 50 Jahre reichen würden. Professor Kümpel ist niemand, der schwarz- oder grünmalt. Von daher ist es tatsächlich nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondern auch eine Frage der ökonomischen Vernunft und
der Versorgungssicherheit, unser Energiesystem mehr
und mehr auf Erneuerbare umzustellen. Es ist einfach
vernünftig, den Anteil der erneuerbaren Energien am
Bruttostromverbrauch bis 2020 auf 35 Prozent zu steigern.
Deshalb haben wir bei den Überlegungen zur Novelle
zum EEG im letzten Sommer vor allen Dingen drei
Punkte im Blick gehabt: Zum einen haben wir die bewährte Grundkonstruktion erhalten, nämlich den Einspeisevorrang und die garantierten Vergütungen über
20 Jahre. Auf der anderen Seite haben wir aber vermehrt
auf Kosteneffizienz geschaut. Drittens haben wir darauf
geachtet, dass es mehr und mehr Markt- und Netzintegration gibt, zum Beispiel im Rahmen von Direktvermarktungen. Es kommt jetzt nicht mehr so sehr darauf
an, auf Teufel komm raus Kilowattstunden ins Netz einzuspeisen, sondern darauf, Angebot und Nachfrage besser übereinanderzulegen.
({3})
Deshalb freuen wir uns über den anhaltend dynamischen Ausbau der Erneuerbaren, insbesondere natürlich
vor dem Hintergrund der Entscheidung, nach Fukushima
8 der 17 deutschen Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen. Der Ersatz der Erzeugungskapazität hat auf der einen Seite durch Braunkohlekraftwerke stattgefunden
- dies gehört zu einer ehrlichen Debatte -, auch durch
ein Ölkraftwerk in Österreich, das durch die Medien
geistert. Der Ersatz hat aber auch durch den Einsatz von
Photovoltaik und durch die Mehrleistung von OnshoreWindkraftanlagen stattgefunden.
Jawohl, Strom ist vorübergehend teurer geworden,
aber die Großhandelspreise sinken seit November wieder. Seit November sind die Preise sogar niedriger als
vor Fukushima, und die Netze sind - Gott sei Dank - im
Großen und Ganzen stabil.
({4})
Wenn wir uns die Debatte über die PV noch einmal
vergegenwärtigen, dann ist es so, dass wir inzwischen
eine installierte Leistung von ungefähr 25 Gigawatt haben, die sich übrigens auf 860 000 Photovoltaikanlagen
mit fast ebenso vielen Besitzern verteilt. Hier ist also
eine breite Truppe in die Energieerzeugung eingetreten.
Wir freuen uns über diesen Zubau; aber es muss ganz
klar sein, dass dieser Zubau systemverträglich ist, und
zwar in zwei Richtungen:
({5})
Zum einen dürfen die Kosten nicht überbordend werden,
weil wir sonst ein Problem mit der Akzeptanz haben.
Zum anderen muss die Netzintegration gewährleistet
sein. - Das bedeutet als Auftrag an unsere Bundesregierung: Der Zubau muss deutlich über 1 Gigawatt, aber
deutlich unter 7,5 Gigawatt liegen. Deshalb wünschen
wir uns von der Bundesregierung - ich bin ganz sicher,
dass diesem Wunsch auch Genüge getan wird - ein Konzept, wie man die Vergütung abschmelzen kann,
({6})
und zwar kontinuierlich, damit kein Schlussverkaufeffekt entsteht, und wie möglicherweise weitere Anforderungen an die Systemintegration gestellt werden können.
Wir freuen uns auch über den Zubau bei OnshoreWindenergie; denn Wind ist letztendlich der Lastesel für
die Erneuerbaren. Dieser Zubau bringt wirklich etwas.
Im letzten Jahr hat sich gezeigt, dass vor allen Dingen
das Repowering geholfen hat. Das haben wir im Rahmen
der Novelle gestärkt. Zudem haben wir eine Marktprämie eingeführt, um mehr Energie aus Wind, diesen volatilen Energieträger, auf den Markt zu bekommen.
({7})
Ich glaube, dass das ein sehr gutes Instrument ist. Aber
wir werden im Blick behalten müssen, ob wir das Ziel
der Marktintegration mit diesem Instrument erreichen
können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube,
dass wir tatsächlich gute Chancen haben, dass der Umbau des Energiesystems gelingt und wir in die Technologie- und Energiemärkte der Zukunft eintreten können.
Deshalb haben wir allen Grund, den eingeschlagenen
Weg zuversichtlich und konsequent weiterzugehen.
Herzlichen Dank.
({8})
Rolf Hempelmann spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte erst einmal Herrn Rösler und Herrn
Röttgen gratulieren. Sie haben heute hier Einigkeit demonstriert. Jedenfalls in einer Sache haben Sie sich offenbar erfolgreich abgesprochen, nämlich darin, sich
heute vor allen Dingen mit Eigenlob zu überschütten.
({0})
Das ist Ihnen zweifellos gelungen.
Wenn man aber einmal nachliest, was außerhalb Ihrer
beiden Häuser zu dem Thema Energiewende gedacht,
gesagt und geschrieben wird, dann sieht das schon ein
bisschen anders aus. In der Financial Times Deutschland
vom gestrigen Tage wurde ein Christdemokrat - nicht
etwa ein Sozialdemokrat - zitiert, der eine wichtige
energiepolitische Funktion in Europa hat: Herr
Oettinger, Energiekommissar. Er wurde gefragt, was er
von der deutschen Energiepolitik hält. Antwort: Welche
Energiepolitik?
({1})
Ich glaube, das sagt so ziemlich alles. Er wirft der deutschen Bundesregierung Konzeptlosigkeit, eine fehlende
Energie- und Industriepolitik und vor allen Dingen ein
Zurückhängen beim Thema Energieeffizienz vor. Diese
Vokabeln kommen in Ihren Reden vor; sie sind aber leider nicht mit Inhalt und erst recht nicht mit Taten gefüllt.
Aber auch von anderer Seite hagelt es Kritik, zum
Beispiel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen.
Er wirft Ihnen vor:
Es mangelt am politischen Willen, die Energiewende so preiswert wie möglich zu gestalten.
Herr Rösler, dabei hat er sich unter anderem einen Ihrer
Vorschläge vorgeknöpft. Sie hatten ja kürzlich die Idee,
das EEG kurzfristig aufzuheben und stattdessen den
Energieversorgern Quoten zur Erzeugung von Ökostrom
vorzugeben. Die Analyse des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen ist: Das wäre in der Tat die Garantie
für eine deutliche Verteuerung der Produktion, weil sich
dann nämlich alles an der Merit-Order, also am teuersten
Kraftwerk am Netz, orientieren würde, ganz abgesehen
davon, dass Sie auch die Mengenziele so nie erreichen
würden.
({2})
Die Kritik der Öffentlichkeit unterscheidet sich also
deutlich vom Eigenlob unserer beiden Minister. Rheinische Post: „Energiewende droht zu scheitern“. Berliner
Zeitung: „Die Energiewende scheitert im Heizungskeller“. Der BDI-Präsident, Hans-Peter Keitel, wird im
Focus mit den Worten zitiert: Wir werden leichtsinnig.
Er meint damit die deutsche Energie- und Industriepolitik. Die WAZ titelte: „Energiewende im Schleudergang“.
Im Handelsblatt war im Zusammenhang mit der Energiepolitik die Überschrift „Wirtschaft fürchtet um das
deutsche Jobwunder“ zu lesen. Die FAZ sprach von einem Vakuum und führte aus, dass es an Elan mangelt,
für die erforderlichen gewaltigen Umbauinvestitionen
auch die begleitenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich könnte diesen Katalog endlos fortsetzen. Ich will mir
und Ihnen allen dies aber ersparen.
In den letzten Tagen wird in den Medien ein Punkt
besonders erwähnt. Er betrifft zwei, die auf der Regierungsbank sitzen, nämlich Wirtschaftsminister Rösler
und Umweltminister Röttgen. „Röttgen schmettert
Röslers Kritik ab“, so schrieb das Handelsblatt am
18. Januar. „Rösler und Röttgen streiten über Industrieprämie“, meldete Zeit online am 1. Februar. „Der
Streit der Minister um den Ökostrom“, titelte das Handelsblatt am 17. Januar. Das Hamburger Abendblatt
kommentierte: „Sie müssten eigentlich Partner sein, nun
entpuppen sie sich als Widersacher“. Der Tagesspiegel
vom 20. Januar schrieb: „Röttgen gegen Rösler: Der
Streit um den Solarstrom entzweit die Regierungskoalition“.
Es ist nicht etwa nur so, dass Sie das Falsche tun. Es
ist auch nicht etwa nur so, dass Sie nichts tun. Nein, in
dem Wenigen, was Sie tun, blockieren Sie sich auch
noch gegenseitig und sorgen so dafür, dass in der gesamten Öffentlichkeit die Zweifel an der Energiewende zunehmen. Das ist in der Tat für ein Industrieland wie
Deutschland eine Katastrophe.
({3})
Mit diesen zwei Ich-AGs an der Spitze zweier so wichtiger Häuser wird uns die Energiewende nicht gelingen.
Zum Abschluss. Herr Röttgen, Sie betonen immer
wieder, dass Sie von der Koalition es waren, die mit der
Energiewende begonnen haben. Herr Kelber hat schon
über die Erfolgsgeschichte der erneuerbaren Energien
berichtet. Es gab auch - das ist ein weiteres Beispiel große Investitionen in konventionelle Kraftwerke, etwa
Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die von Stadtwerken
aufgrund der angekündigten Abschaltung von Atomkraftwerken getätigt wurden. Wenn Sie uns vorwerfen,
dass wir bei Themen wie beispielsweise dem Netzausbau und der Systemintegration der erneuerbaren Energien nicht so vorangekommen sind, wie wir uns das vielleicht gewünscht hätten, dann sollten Sie sich bitte an die
eigene Nase packen. Wir hatten den Atomausstieg im
Jahre 2000 beschlossen. Aber Schwarz-Gelb hatte angekündigt, im Falle der Regierungsübernahme die Laufzeiten wieder zu verlängern. Dadurch haben Sie für den Erhalt des alten Systems gesorgt und haben mit dieser
Systemträgheit jeden Fortschritt beim Systemumbau behindert.
({4})
Das tun Sie seit zehn Jahren. Jetzt versuchen Sie, der
Opposition, die damals die Regierung gestellt hat, diese
Mängel anzuhängen.
Herr Kollege.
Das ist ein durchschaubares Spiel.
({0})
Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr
Hempelmann, ein durchschaubares Spiel ist es, wenn die
Kollegen Steinmeier und Trittin hier erst ihre Show abziehen, dann aber abziehen und nicht einmal den letzten
Redner aus den eigenen Reihen abwarten. Daran sieht
man, um was es Ihnen letztendlich geht, nämlich um die
Show.
({0})
Auf der einen Seite gönne ich Ihnen diese Show. Auf
der anderen Seite möchte ich das unterstreichen, was der
Kollege Bareiß vorhin gesagt hat,
({1})
dass Energiepolitik viele Facetten hat und dass man im
Spannungsfeld zwischen Umweltverträglichkeit, Preisstabilität und Versorgungssicherheit unterschiedliche
Betrachtungsweisen, was die jeweiligen Systeme angeht,
haben kann. Deshalb kann es an der Stelle zu unterschiedlichen Perspektiven der Minister kommen.
({2})
Wir von der CSU fordern für die nächste Legislaturperiode ein Energieministerium,
({3})
weil wir glauben, dass wir hier noch einen Schritt vorankommen können. Jetzt sind wir gut aufgestellt; denn in
der Anfangsphase der Energiewende brauchen wir beide
Perspektiven:
({4})
die Umweltperspektive auf der einen Seite und die Wirtschaftlichkeitsperspektive auf der anderen Seite.
Damit komme ich zu den Prioritäten. Für uns als Regierungskoalition steht als Priorität fest:
({5})
Es darf in Deutschland keine Deindustrialisierung geben.
({6})
Das ist ganz klar. In diesem Zusammenhang sind die Befreiungen, die heute von verschiedener Seite kritisiert
worden sind, von entscheidender Bedeutung. Es gibt sie,
weil einige Industriebereiche auf günstige Energiepreise
im Wettbewerb angewiesen sind. Diese Industriebereiche können nicht effizienter arbeiten, als sie es ohnehin
tun. Hierauf müssen wir unser Augenmerk lenken. Das
sage ich sowohl als Wirtschafts- als auch als Umweltpolitiker. Es bringt der Umwelt nichts, wenn diese Betriebe anderswo produzieren.
Bei dem Thema Kosten hat es mich überrascht, dass
der Kollege Fell die erneuerbaren Energien als Billigmacher des Strompreises bezeichnet hat. Wenn man das so
sieht, kann man doch nicht gleichzeitig kritisieren, dass
die Koalition die EEG-Umlage auf 3,5 Cent pro Kilowattstunde beschränken will. Warum haben Sie ein Problem mit einer solchen Beschränkung, wenn die erneuerbaren Energien Billigmacher sind, lieber Kollege?
({7})
Ich möchte herausarbeiten, worin der Unterschied
zwischen Ihrer Politik und unserer Politik besteht. Sie
haben gesagt, man müsse Kapazitäten aufbauen, koste
es, was es wolle. Sie haben die Photovoltaik zu früh und
zu teuer an den Markt herangeführt und dabei eine ganz
andere und viel komplexere Aufgabe vergessen: Wir
müssen eine sichere Energieversorgung aufbauen. Hier
geht es auch um die Frage, in welchem Zeitraum und mit
welchen Kosten man das umsetzen kann. Ich glaube, wir
sind mit unseren beiden Ministern auf einem sehr guten
Weg.
({8})
- Die Hühner lachen, wenn sich Herr Steinmeier nach
einem Jahr Energiewende hinstellt und sagt, es gebe
noch kein Gaskraftwerk. Wenn man Genehmigungszeiten und den Vorlauf bedenkt, dann weiß man, dass das
keine realistische Sichtweise ist.
({9})
In diesem Zusammenhang möchte ich etwas zu dem
sagen, was nun aus Brüssel zu hören ist; hierauf hat der
Kollege Hempelmann bereits Bezug genommen. Zu
Herrn Oettinger - obwohl er quasi ein Parteikollege ist fällt mir nur die Bergpredigt ein: Du siehst den Balken
im Auge des Bruders nicht.
({10})
- Jetzt haben Sie mich durcheinandergebracht. - Richtig
heißt es: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines
Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du
nicht?“
Sie brüllen ständig kindische Sachen dazwischen und
benehmen sich so, wie es sich nicht gehört, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Das ist ausgesprochen unkollegial. Außerdem sollten Sie
mir wenigstens zuhören, wenn ich etwas gegen einen
Unionskollegen sage; das ist doch spannend.
Ich bin der Meinung, dass sich der Kollege Oettinger
darauf konzentrieren sollte, was seine Aufgabe ist. Er hat
uns vor kurzem vorgeschlagen - und das, obwohl die Liberalisierung in Deutschland bis zum Unbundling gegangen ist -, RWE und Eon zu fusionieren. Er kommt in
Frankreich nicht weiter, weil die Franzosen einen Staatskonzern haben, weil sie nach wie vor die chemische Industrie über billige Strompreise subventionieren. Das
wäre seine Baustelle. Darum könnte er sich kümmern.
Stattdessen quält er uns mit planwirtschaftlichen Vorgaben. Wir sollen im Bereich der Energieeffizienz Dinge
umsetzen, die man uns in Brüssel haarklein vorgeben
möchte. Hier gilt offenbar der alte Grundsatz - ich will
spaßeshalber Karl Marx zitieren -, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt.
({12})
Herr Kollege!
Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin. - Oettinger ist
dabei, planwirtschaftliche Vorschläge zur Energieeffizienz zu machen.
({0})
Früher als Ministerpräsident hat er das vermieden und
auf Subsidiarität gesetzt. Daran sollte er sich bei seiner
Tätigkeit als EU-Kommissar erinnern. Aber das Sein bestimmt halt das Bewusstsein.
Vielen Dank.
({1})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt Klaus Breil das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen haben die Energieeffizienz und das
EEG zum Thema dieser Aktuellen Stunde gemacht.
Wenn Effizienz und EEG in einer Überschrift stehen,
denke ich automatisch an eine Form der Stromerzeugung, nämlich an die aus Photovoltaik. Besser gesagt:
Ich denke dabei an die maßlose Überförderung, gemessen an den aktuellen Preisen für Module.
Mehr als die Hälfte der Nettowälzsumme - jetzt über
7 Milliarden Euro, bald 8 Milliarden Euro und über die
nächsten 15 Jahre mehr als 150 Milliarden Euro - bezahlen die Stromverbraucher in Deutschland für knapp
4 Prozent ihrer Stromerzeugung. Das ist effektiv, nämlich für diejenigen, die eine solche Anlage betreiben. Bis
zu 30 Prozent Rendite können Anlagenbetreiber immer
noch vor Steuern auf das eingesetzte Kapital verdienen.
Das kann aber nicht effizient im Sinne des Gemeinwohls
sein.
({0})
Das ist volkswirtschaftliche Ressourcenverschwendung.
Da wir gerade beim Gemeinwohl sind: Wir Liberale
sind der Meinung, dass dem Gemeinwohl gerade dann
am besten gedient ist, wenn den Menschen in ihrem täglichen Leben weitestgehend die Freiheit für das eigene
Handeln überlassen wird.
({1})
Deshalb haben wir uns in dieser Woche in der Fraktion
intensiv mit der EU-Effizienzrichtlinie befasst. Unsere
Erwartungen an Brüssel sind:
Erstens. Wir haben festgeschrieben, dass wir verbindliche Maßnahmen für Energieversorgungsunternehmen
und Netzbetreiber, also Art. 6 der Richtlinie, entschieden
ablehnen.
Zweitens. Neue, mit fossilen Energieträgern betriebene Kraftwerke müssen auch ohne eine verpflichtende
Ausrüstung zur Wärmeauskoppelung gebaut werden
dürfen. Es macht keinen Sinn, bei einer Nachfrage von
Strom automatisch die Ausrüstung mit Kraft-WärmeKopplung vorzuschreiben, insbesondere dann nicht,
wenn keine regionale Nachfrage nach Wärme oder Kälte
vorliegt. Das ist Vernichtung von Volksvermögen.
({2})
Das machen wir schon an anderer Stelle, eben bei der
Förderung der Photovoltaik in Deutschland.
Drittens. Eine Pflicht zur Einführung von Energiemanagementsystemen im Rahmen der Energieeffizienzrichtlinie ist abzulehnen; denn - und das ist kein Geheimnis - die Unternehmen werden diese, sofern nicht
bereits aus eigenen Stücken getan, ohnehin schon als
Gegenleistung für den Fortbestand des Spitzenausgleichs einführen müssen. „Quid pro quo“ also.
Vierter und letzter Punkt. Wir stehen zu einer Erhöhung der Sanierungsrate von Gebäuden in öffentlicher
Hand auf 2 Prozent, so wie wir es im Energiekonzept beschlossen haben. Jedoch darf es im Rahmen der Richtlinie keine Zwangssanierungen von Wohngebäuden in öffentlichem Eigentum geben.
({3})
Sonst sind Mieter von Wohnungen dieser Art gegenüber
Mietern von Wohnungen aus privater Hand schlicht und
einfach benachteiligt.
({4})
Da wir schon bei Gebäuden sind: Heute Abend geht
es bei der steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung
in eine neue Runde.
({5})
Wenn ich mir für dieses noch junge Jahr etwas wünschen
dürfte, dann dass die Länder hier endlich ihre Blockade
aufgeben.
({6})
Die Mittel für ihre Ausgaben dafür werden ihnen doch in
Form von Gewerbesteuereinnahmen mehrfach wieder in
die Kassen gespült. Das ist eine Kurzsichtigkeit, die ich
nicht nachvollziehen kann. Das gilt auch für die Antragsteller dieser Aktuellen Stunde.
({7})
Im Bundestag und in den Medien fordern Sie - gerade
heute wieder der Kollege Fell - eine Offensive bei der
energetischen Gebäudesanierung. Dann tun Sie auch
bitte etwas dafür! Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung!
Wirken Sie auf die Ministerpräsidenten der Länder ein,
in denen Sie mit auf der Regierungsbank sitzen!
({8})
Meine Damen und Herren, in dieser Legislaturperiode
haben wir schon eine ganze Menge erreicht, und das lassen wir uns nicht kaputtreden. Im Frühsommer letzten
Jahres hat Deutschland ein neues Kapitel in der Energiepolitik aufgeschlagen. Bundestag und Bundesrat haben
das Energiepaket beschlossen. Wir steigen nach und
nach aus der Kernenergie aus. Damit ist ein wichtiger
Schritt hin zum langfristigen Umbau der Energieversorgung getan. Wenn aber unsere Energiewende Akzeptanz
bei Wirtschaft und Verbrauchern finden soll, muss die
Versorgung mit Energie sicher bleiben.
({9})
Es muss eine ehrliche Kostendiskussion geführt werden.
Nur dann kann die Energiewende gelingen. Für eine bezahlbare Energieversorgung wollen wir die erneuerbaren
Energien so schnell wie möglich an den Markt heranführen. Ich finde daher den Vorschlag, den der Bundeswirtschaftsminister, Herr Dr. Rösler, zur Photovoltaikförderung gemacht hat, sehr gut.
({10})
Das Problem an der Sache ist aber: Jede weitere Verzögerung in diesem Bereich geht zulasten unseres Wohlstands. Ein Euro kann leider nur einmal ausgegeben werden. Was man nicht alles mit über 7 Milliarden Euro
jedes Jahr oder 150 Milliarden Euro und mehr in 15 Jahren tun könnte!
({11})
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Volkmar Vogel für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, man kann zu der heutigen Debatte zusammenfassend sagen: Energiepolitik ist auf jeden Fall eine
Querschnittsaufgabe. Das macht die Sache nicht leicht.
Wenn es aber leicht wäre, könnte es ja jeder. Es ist
schwierig, und deswegen beherrschen nur wir das.
({0})
Der zweite Aspekt, der hier eine Rolle spielt, ist der
Satz von der Erhaltung der Energie; der gilt für uns alle.
Dabei sind zwei Dinge besonders wichtig: zum einen,
dass wir Energie mithilfe erneuerbarer Energiequellen
erzeugen, und zum anderen, dass wir dafür sorgen, dass
so wenig Energie wie möglich verbraucht wird. Dafür
ergreifen wir entsprechende Maßnahmen im Energieeffizienzbereich. Hier ist gerade der Baubereich wichtig;
denn hier gibt es wichtige, maßgebliche Potenziale.
Circa 50 Prozent des gesamten Einsparvolumens durch
Verbesserung der Energieeffizienz bestehen im Gebäudebereich, sowohl bei den Wohngebäuden als auch bei
den Nichtwohngebäuden.
Wie erreichen wir diese Einsparungen? Hier unterscheiden wir, die Opposition auf der einen Seite und die
christlich-liberale Koalition auf der anderen Seite, uns
maßgeblich. Die Opposition will die Einsparziele mit rigiden ordnungspolitischen Maßnahmen erreichen, mit
einem Zwang zur Sanierung im Gebäudebestand. In den
nächsten zehn Jahren - man höre und staune! - sollen
diesbezüglich alle Gebäude auf den neuesten Stand gebracht werden, um die Ziele zu erreichen. Ich kann den
Menschen in unserem Land nur zurufen: Wacht auf und
wehrt euch! Lasst so etwas nicht zu! - Wozu würde das
nämlich führen? Zu dem, was Kollege Steinmeier am
Anfang gesagt hat: Gewürge. Das Gewürge geht hier
aber zulasten der Geldbörsen der Menschen, die das am
Ende bezahlen müssen. Das ist nicht unsere Politik; dagegen wehren wir uns.
({1})
Das betrifft nicht nur die Wohnungsunternehmen, sondern auch die Kleinvermieter, die vielen Selbstnutzer
und schlussendlich natürlich auch die Mieter, die die Zeche zahlen müssen. Und warum? Weil die Opposition an
der Stelle etwas Wesentliches vergisst: das Wirtschaftlichkeitsgebot. Bei allen Maßnahmen muss man darauf
achten, dass es sich in vertretbarer Zeit für denjenigen
rechnet, der investieren muss und die Maßnahmen umsetzt. Wenn wir das nicht aus dem Blick verlieren, dann
gelingt die Energiewende. Wir werden uns dafür einsetzen.
({2})
Das Wirtschaftlichkeitsgebot ist ein wesentlicher Aspekt der Energieeinsparverordnung. Die Energieeinsparverordnung, die 2009 in Kraft getreten ist, kann uns in
der breiten Anwendung vieler mehr helfen als neue Anforderungen, die keiner erfüllen kann und denen sich alle
verweigern. Deswegen gilt: Einfache Lösungen, in der
Breite angewendet, helfen am Ende mehr, die Energieeffizienz zu verbessern und zu steigern.
Noch ein anderer Punkt kam heute in der Diskussion
und in den Reden mehrerer Kollegen - auch aus der Opposition - zum Ausdruck. Wir müssen die Potenziale, die
unsere Wirtschaft, aber auch die vielen kleinen Tüftler
haben, mehr heben. Das heißt, wir dürfen keine Technologien vorschreiben, so wie Sie es tun wollen. Vielmehr
müssen wir die notwendigen Kennziffern vorgeben, die
notwendigen Anforderungen maßvoll formulieren und
den Menschen den Ermessensspielraum geben, auf welche Art und Weise sie das umsetzen. Das führt einerseits
zu mehr Akzeptanz und andererseits zwangsläufig zu
Volkmar Vogel ({3})
durchaus wirtschaftlichen Lösungen, die nicht immer mit
Fördermitteln und Zuschüssen einhergehen müssen.
Damit bin ich beim nächsten Thema, bei den Fördermitteln und dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm; das
wurde oft angesprochen.
Ich möchte an dieser Stelle eines klarstellen: Das
CO2-Gebäudesanierungsprogramm wäre 2011 ausgelaufen. Die christlich-liberale Koalition hat vereinbart, dieses Programm fortzuführen. Die Ausgestaltung des Programmes war in den vergangenen Jahren maßgeblich
dadurch bestimmt, dass Mittel aus den Folgejahren vorgezogen bzw. durch neue Schulden, die wir im Rahmen
der Konjunkturprogramme machen mussten, finanziert
worden sind. Das hatte zur Folge, dass Ende 2011 nur
noch rund 400 Millionen Euro zur Verfügung standen.
Die Mittel haben wir im vergangenen Jahr auf fast 1 Milliarde Euro aufgestockt. Wir werden das Programm in
diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren mithilfe der
Einnahmen aus dem Energie- und Klimafonds
({4})
- in voller Höhe ({5})
oder mithilfe von Vorschüssen fortführen, die wir im
Rahmen der Haushaltsführung bewilligen werden.
({6})
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen:
({7})
Zwang ist sicherlich das einfachste Mittel, Tatkraft zu
beweisen und sich als handlungsfähig darzustellen. Für
uns ist das unsozial. Es schadet den Menschen und führt
zu Verweigerungen. Deswegen werden wir als christlich-liberale Koalition die Balance zwischen maßvoller
Verpflichtung auf der einen Seite und entsprechenden
Anreizen auf der anderen Seite halten. Dazu gehören
auch steuerliche Anreize. Unser Beschluss hier im Bundestag sieht vor, solche Anreize zu geben. Ich appelliere
an dieser Stelle an die Bundesländer, im Rahmen ihrer
Möglichkeiten einen Beitrag zu leisten und entsprechende Anreize für die Bürger in unserem Land zu setzen.
({8})
Ein Wort zum Schluss. Für mich lautet die Erkenntnis
aus der heutigen Debatte: Das Einzige, was heute vonseiten der Opposition vielleicht zur Verbesserung der
Energiebilanz beigetragen hat, ist die heiße Luft, die sie
verbreitet hat.
Vielen Dank.
({9})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages berufe ich auf morgen, Donnerstag, den 9. Februar 2012,
9 Uhr, ein.
Genießen Sie den Abend und die gewonnenen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.