Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung haben wir an erfreuliche Ereignisse zu erinnern. In der Sitzungspause
haben die Kollegen Hans-Josef Fell und Klaus-Peter
Flosbach ihren 60. Geburtstag und der Kollege Peer
Steinbrück seinen 65. Geburtstag gefeiert. Der Kollege
Norbert Geis beging seinen 73. Geburtstag und der Kollege Franz Müntefering seinen 72. Geburtstag.
({0})
Im Namen des gesamten Hauses gratuliere ich allen Jubilaren nachträglich sehr herzlich und wünsche ihnen alles Gute.
Der Kollege Dr. Werner Hoyer hat mit Wirkung vom
1. Januar 2012 auf die Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag verzichtet. Für ihn ist der Kollege Jörg von
Polheim nachgerückt. Die Kollegin Christine Scheel hat
am 16. Januar ebenfalls auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Für sie ist die Kollegin
Beate Walter-Rosenheimer nachgerückt. Im Namen
des ganzen Hauses begrüße ich die neuen Kollegen sehr
herzlich und wünsche eine gute Zusammenarbeit.
({1})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige
Tagesordnung zu erweitern und nach der Fragestunde
eine von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP verlangte Aktuelle Stunde zur Solidarität von Abgeordneten
der Fraktion Die Linke mit dem syrischen Präsidenten
Assad durchzuführen. Sind Sie damit einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Entwicklung ländlicher Räume.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz, Frau Ilse Aigner. Bitte, Frau
Ministerin.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch von meiner Seite erst einmal ein gutes
neues Jahr und den Geburtstagskindern, vor allem den
heute anwesenden, noch einmal nachträglich alles Gute.
Das Jahr beginnt insgesamt gut. Es freut mich vor allem, dass wir Ihnen als ersten Bericht aus dem Kabinett
den Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Entwicklung der ländlichen Räume vorstellen können und
heute darüber diskutieren können. Dieser Bericht wurde
von der interministeriellen Arbeitsgruppe „Ländliche
Räume“ unter Federführung meines Hauses vorgelegt.
Der Fortschrittsbericht kommt zu einer Zeit, in der sich
Gesellschaft und Politik sehr intensiv um wichtige
Herausforderungen kümmern müssen. Die eine ist der
demografische Wandel, die anderen sind die Energieversorgung, der Klimawandel und nicht zuletzt die biologische Vielfalt. Mit diesen Themen müssen wir uns intensiv auseinandersetzen. Diesen Herausforderungen
müssen sich die ländlichen Räume sowohl als Lebensraum als auch als Wirtschaftsstandort stellen, und dabei
verlaufen Wachstums- und Schrumpfungsprozesse oft
parallel. Wir haben auf der einen Seite starke Anziehungskräfte auf den ländlichen Raum um die Ballungsgebiete, und auf der anderen Seite haben wir Regionen,
die wirklich Schwierigkeiten hinsichtlich der wirtschaftlichen und auch der sozialen Entwicklung verzeichnen.
Ich sage ganz klar und deutlich, dass sich die Schere
zwischen den prosperierenden Regionen und den Regionen mit strukturellen Problemen nicht noch weiter öffnen darf. Wir müssen deshalb die entsprechenden Rahmenbedingungen für die Menschen gestalten und die
Maßnahmen regionalspezifisch ausrichten.
Leitbild meiner Politik sowie der Politik der gesamten
Bundesregierung für die ländlichen Räume sind eigenständige Lebens- und Wirtschaftsräume, die sowohl vital
als auch multifunktional, wettbewerbsfähig und damit
zugleich lebenswert sind. Das heißt, ländliche Räume
brauchen wirtschaftliche Stabilität als Grundlage für attraktive Lebensbedingungen. Das ist die Grundvoraussetzung.
Der Fortschrittsbericht, der heute vorgelegt wird,
zeigt, dass es hier in die richtige Richtung geht. Ländliche Räume brauchen immer eine angemessene Grundversorgung. Eine öffentliche Daseinsvorsorge schafft die
Basis für die Lebensqualität und die wirtschaftliche Entwicklung der Regionen. Ländliche Räume müssen die
natürlichen Ressourcen erhalten. Deshalb konzentriert
sich der Fortschrittsbericht zunächst auf das Handlungsfeld Wirtschaft und Arbeit. Das zweite Handlungsfeld
umfasst die Daseinsvorsorge und die ländliche Infrastruktur. Das dritte Handlungsfeld befasst sich mit Natur
und Umwelt.
Der Bericht dokumentiert einen integrierten Politikansatz der gesamten Bundesregierung. Deshalb werden
innerhalb dieser Handlungsfelder auf der einen Seite die
Herausforderungen und auf der anderen Seite die Chancen genannt und die jeweiligen Maßnahmen der Ressorts
aufeinander abgestimmt.
Ich will Ihnen hierzu vier praktische Beispiele nennen: Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ fördern
wir flächendeckend den Breitbandausbau, mittlerweile
mit bis zu 90 Prozent der Investitionskosten. Mit dem
Projekt „LandZukunft“ gehen wir neue Wege und stärken gerade periphere Regionen mit einer sehr ungünstigen Alters- und Wirtschaftsstruktur. Mit Mikrokrediten
fördern wir Klein- und Kleinstunternehmen als wichtige
Arbeitgeber vor allem in den ländlichen Räumen. Mit
dem Versorgungsstrukturgesetz, das zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, stellen wir wichtige Weichen für eine flächendeckende und wohnortnahe Ärzteversorgung auf dem Land. So sorgen wir gemeinsam für
lebenswerte ländliche Räume.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Fortschrittsbericht ist in keiner Weise statisch, sondern soll, wo es
möglich und sinnvoll ist, in Zusammenarbeit mit den
Ländern, der Wissenschaft, den Verbänden, vor allem
aber mit den Menschen vor Ort umgesetzt und stetig
weiterentwickelt werden. Mit der Verabschiedung des
Fortschrittsberichts setzt die Bundesregierung ein starkes Zeichen ihrer Verantwortung gerade für die ländlichen Räume. Sie leistet damit auch einen wichtigen Beitrag zum Erhalt gleichwertiger Lebensverhältnisse in
ganz Deutschland.
Danke, Frau Ministerin.
Bevor ich das Wort zur ersten Frage erteile, erinnere
ich an unsere Ein-Minuten-Regelung für Fragen und
Antworten. Insoweit gibt es heute eine Neuerung. Statt
des akustischen Signals wird jetzt ein optisches Signal
eingesetzt. Auf den bisherigen Anzeigen für die Tagesordnungspunkte rechts und links des Adlers und oberhalb der Hammelsprungtüren wird eine Uhr sekundenweise rückwärts laufen. Begleitet wird dies von einem
Lichtsignal in Gestalt eines Farbfeldes mit den Farben
Grün, Gelb und Rot. Die Farben Grün und Gelb werden
allerdings noch optimiert. Sie haben es schon gesehen;
hier gibt es noch Überarbeitungsbedarf. Das Signal soll
in den ersten 30 Sekunden grün sein, gefolgt von Gelb.
Nach Ablauf der 60 Sekunden erscheint es dann in Rot.
({0})
War das verständlich oder wünschen Sie Wiederholung?
({1})
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. - Das Wort hat
Franz Müntefering.
Frau Ministerin, in den Städten mit weniger als
5 000 Einwohnern wohnen etwa 25 Prozent der Menschen. Etwa 50 Prozent der Menschen wohnen im ländlichen Raum. Insofern ist der Fortschrittsbericht ein ganz
wichtiges Thema. Es handelt sich um einen Bericht, der
durchaus beachtenswert ist und sicher intensiv diskutiert
werden wird.
Ich will dazu eine Frage stellen. Der Bericht hat auch
den Zweck, deutlich zu machen, wie man die Politikbereiche besser koordiniert. Ihr Bericht stammt vom
16. November. Sie wollten am 7. Dezember im Kabinett
darüber sprechen. Das Gespräch ist aber damals nicht
zustande gekommen, sondern erst heute. Zwischendurch, am 1. Dezember, hat der Kollege Ramsauer ein
Modellvorhaben der Raumordnung in die Welt gesetzt;
21 Regionen, darunter im Übrigen auch sein Wahlkreis,
sind dabei. Die Regionen werden für zwei Jahre mit jeweils 180 000 Euro gefördert. In acht bis zwölf Regionen soll die Förderung verlängert werden; sie erhalten in
den Jahren danach 150 000 bis 200 000 Euro. Welche
Rolle spielen solche unglaublichen Modellkonzeptionen
in Ihrem Gesamtkonzept?
Herr Kollege Müntefering, zuerst möchte ich Ihnen
noch einmal ganz persönlich nachträglich alles Gute
zum Geburtstag wünschen.
({0})
Modellregionen sind keine neue Erfindung; es hat sie
auch unter früheren Regierungen - ich glaube, auch unter Ihrer Beteiligung - gegeben, weil sie sinnvolle Impulse im Hinblick auf neue Konzepte geben können. Ich
kann nur sagen, dass auch ich in diesem Bereich gerade
ein Projekt auf den Weg gebracht habe: das Modellvorhaben „LandZukunft“. Damit nehmen wir eigentlich das
vorweg, was die Europäische Kommission in der nächsten Förderperiode plant, nämlich den Regionen mehr
Bewegungsmöglichkeiten zu geben und eine Abstimmung zwischen den Ressorts herbeizuführen. Ich habe
gerade die Mikrokredite angesprochen. Hierbei geht es
um ein Projekt, das vom BMAS erarbeitet wurde. Wir
integrieren das in das Modellvorhaben „LandZukunft“.
Auch der Kollege Ramsauer hat selbstverständlich
die Möglichkeit, innovative Konzepte zu seinem
Schwerpunkt „Infrastruktur der ländlichen Räume“ vorzulegen und diese auszuprobieren.
({1})
Bevor wir zur nächsten Frage kommen, weise ich darauf hin, dass wir - Sie haben es beobachten können - in
jeder Hinsicht üben: Heute ist die Uhr auf einer Seite
ausgefallen. Die Farbgebung funktioniert schon. Gleichwohl wird sie, wie auch an den anderen Anzeigen, noch
optimiert.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Sabine BätzingLichtenthäler.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Frau
Ministerin, auch von meiner Seite herzlichen Dank für
den Bericht. Auch ich denke, dass darin wichtige Handlungsschwerpunkte gesetzt werden. Vor allen Dingen
freue ich mich, dass auch der Bereich der Wirtschaft und
Arbeit im ländlichen Raum in den Fokus genommen
wird.
Sie erwähnen in Ihrem Bericht, wie wichtig es ist,
dort Fachkräfte zu sichern. Mir geht es um die Abstimmung zwischen den Ministerien innerhalb der Regierung. Wie erklären Sie sich, dass einerseits in dem
Bericht im Hinblick auf die Fachkräftesicherung ausdrücklich eine bessere Kinderbetreuung gefordert wird
- mehr Bildung, mehr Integration -, aber andererseits
das Betreuungsgeld eingeführt werden soll? Soll die Einführung in diesem Zusammenhang vielleicht sogar rückgängig gemacht werden?
({0})
Frau Kollegin Bätzing-Lichtenthäler, ich kann nicht
wirklich einen Zusammenhang herstellen und erkenne
nicht, dass das Betreuungsgeld kontraproduktiv ist.
({0})
- Deswegen haben Sie die Frage gestellt. - Ich versuche,
Ihnen zu erklären, was der Sinn und Zweck des Betreuungsgeldes ist. Die Intention ist entgegen dem, was Sie
immer sagen, nicht, die Fachkräfte - Sie haben sie jetzt
angesprochen - dazu zu verpflichten, zu Hause zu bleiben. Vielmehr handelt es sich um eine Erstattung, die
man erhält, wenn man sagt: Ich nehme nicht die öffentlich geförderten Kinderbetreuungseinrichtungen - in
diesem Fall die Kindertagesstätten, die durchschnittlich
etwa 1 000 Euro pro Monat und Kind kosten - in Anspruch, sondern organisiere die Betreuung anderweitig;
entweder mache ich es selbst oder ich nehme jemand anderen in Anspruch, zum Beispiel eine Leihoma. - Es
handelt sich also um einen Ersatz. Es ist also nicht das,
was von Ihnen immer propagiert wird - ich nehme das
Wort, das Sie gerne hören wollen, absichtlich nicht in
den Mund -, sondern eine Leistung für Familien, die in
Anspruch genommen werden kann.
Zur Frage der Fachkräfte insgesamt muss man, so
schwierig die Situation für die Wirtschaft teilweise ist,
auch sehen, dass wir uns vor ein paar Jahren gerade im
Bildungs- und Forschungsausschuss - ich kann mich
noch gut daran erinnern - über die Frage des Lehrstellenmangels unterhalten haben. Ich bin froh, dass wir
jetzt schon im zweiten Jahr in Folge die Möglichkeit haben, praktisch allen Jugendlichen eine Lehrstelle anzubieten und damit Fachkräfte für die Zukunft auszubilden. Das halte ich eigentlich für ein positives Zeichen;
das ist besser, als uns über eine zu hohe Arbeitslosigkeit
unterhalten zu müssen, wie es in der Vergangenheit der
Fall war.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Marlene Mortler
von der Unionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank für Ihren
Bericht. - Wenn wir über die Entwicklung ländlicher
Räume sprechen, reden wir im gleichen Atemzug über
die gleichwertige Entwicklung in Stadt und Land. Sie
haben in diesem Zusammenhang das sogenannte Versorgungsstrukturgesetz angesprochen. Meine Frage ist: Was
wird konkret getan, um die medizinische Versorgung in
den ländlichen Regionen nicht nur zu verbessern, sondern auch, wenn sie gut ist, zu erhalten?
Danke schön.
Vielen Dank, Frau Kollegin Mortler. - Es geht um das
Thema der Ärzteversorgung in den ländlichen Regionen.
Durch das Versorgungsstrukturgesetz haben wir erreicht,
die ländlichen Regionen für Ärzte attraktiver zu gestalten. Es gibt beispielsweise die Möglichkeit, eine Zweitpraxis zu betreiben. Es gibt auch keine Abschläge mehr,
wenn die Ärzte - kurz gesagt - viel arbeiten. Es wurden
zusätzliche finanzielle Anreize geschaffen, damit sich
mehr Ärzte im ländlichen Raum ansiedeln. Darüber hinaus gibt es andere innovative Konzepte, zum Beispiel
das Projekt AGnES, die die Möglichkeit vorsehen, qualifiziertes Personal im Bereich der Grundversorgung einzusetzen.
Ich würde gerne einen weiteren Punkt hinzufügen, der
mir immer sehr am Herzen liegt: das bürgerschaftliche
Engagement. Zu diesem Themenbereich wird im Bericht
Stellung genommen. Gerade die Frage, wie eine schnelle
Versorgung durch Rettungsdienste bis hin zu Feuerwehren gewährleistet werden kann, ist für die ländlichen
Strukturen eminent wichtig. Das wollen wir weiter unterstützen.
Danke schön.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Max Lehmer.
Sehr verehrte Frau Ministerin, vielen Dank für Ihren
Bericht. - Ich möchte einen Bereich im ländlichen Raum
ansprechen, der auch in Ihrem Konzept vorkam, nämlich
die Entwicklung dezentraler Energiekonzepte. Sie sind
im ländlichen Raum sehr wichtig, um die Netze zu schonen und um alle Energieformen, die es im ländlichen
Raum gibt - von Biomasse bis Wind -, einzubinden.
Wichtig ist dabei, dass die Kommunen und die Bürger in
gemeinsamen Organisationsformen zusammenwirken,
um das Netz möglichst schnell auszubauen. Haben Sie
Überlegungen angestellt, welche Rechtsformen oder Organisationsformen für diese notwendige Zusammenarbeit geeignet sind? Ich denke beispielsweise an Wohnungsbaugesellschaften oder die Zweckverbände der
Gemeinden.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lehmer. - Ich habe
sehr wohl die Hoffnung, dass die Energiewende in den
ländlichen Regionen - es gibt sehr viele Konzepte; die
Innovationskraft der Kommunen und des Handwerks bis
hin zu der der Gewerbetreibenden vor Ort spielt dabei
eine große Rolle - viel bewegen kann. Das geht bis hin
zu Genossenschaften, in denen sich Menschen zusammenschließen, um gemeinsam Photovoltaikanlagen zu
bauen.
Es gibt auch ehrenamtliches Engagement. Das weiß
ich, weil mein Haus Bioenergieregionen explizit gefördert hat, was von den einzelnen Kommunen sehr gut angenommen wurde. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die
jeweils eigene Region aus eigener Kraft zu versorgen.
Das ist sehr wichtig, weil die dezentrale Energieversorgung in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen
wird. Das hat viel mit der Versorgungsstruktur bzw. den
Leitungen zu tun, die dann nicht quer durch die ganze
Bundesrepublik gelegt werden müssen. Gerade die dezentrale Energieversorgung kann die Innovationskraft
der ländlichen Regionen stärken. Verkürzt gesagt: Früher hat man den Strom sozusagen von den Städten ins
Land gebracht. Vielleicht ist es die Zukunftsmelodie,
den Strom aus den ländlichen Regionen in die Städte zu
bringen.
Das Wort hat der Kollege Alexander Süßmair.
Frau Ministerin, vielen Dank für Ihren Bericht. - Sie
haben in Ihrer Einführung gesagt, dass Sie die ländlichen
Räume wettbewerbsfähig und damit auch lebenswerter
machen wollen. Ich kann die Gleichung so nicht ganz
unterschreiben; denn wir haben das Problem - es wurde
im Bericht angesprochen -, dass es ein starkes Einkommensgefälle gibt. Viele Menschen verlassen aufgrund
dieser Tatsache den ländlichen Raum. Wäre es daher
nicht an der Zeit, endlich den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen? Denn dadurch könnte
man darauf hinwirken, dass der Ort, an dem man arbeitet, zumindest nicht mehr so stark das Einkommen
bedingt. Man könnte die Kaufkraft und auch die Einnahmen im ländlichen Raum steigern; denn viele Kommunen haben, wie Sie wissen, sowieso Finanzprobleme, die
im ländlichen Raum noch viel größere als andere Kommunen. Man begibt sich in einen Teufelskreis, wenn man
nicht verhindert, dass immer mehr Menschen und auch
Unternehmen wegziehen. Die Kommunen können gar
nicht mehr handeln. Man müsste generell für eine bessere Ausstattung der Kommunen sorgen, gerade im ländlichen Raum. Daher meine Frage: Was möchten Sie in
diesem Bereich tun?
Zum flächendeckenden Mindestlohn, wie Sie ihn sich
vorstellen, sage ich Nein. Das haben wir schon öfter diskutiert. Ich glaube nicht, dass das im Interesse der Bevölkerung in den unterschiedlichen Strukturen ist.
Zur Finanzausstattung der Kommunen möchte ich auf
eines hinweisen: Diese Bundesregierung hat jetzt dafür
gesorgt, dass die Grundsicherungskosten den Kommunen in den nächsten Jahren erstattet werden. Es handelt
sich dabei um Milliardenbeträge. Dadurch wird den
Kommunen vor Ort Luft gegeben. Das war in der Vergangenheit eine große Belastung für die Kommunen.
Deshalb halte ich diese Finanzierung für sehr wichtig.
Wir haben auch immer sehr intensiv über die Gewerbesteuer diskutiert. Ich bin nach wie vor der Meinung,
dass die Gewerbesteuer für die Kommunen eine wichtige Einkommensquelle ist. Diese haben wir erhalten, ich
persönlich.
({0})
- Wir haben sie ja erhalten.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Happach-Kasan.
Frau Ministerin, ich habe eine Frage zum Thema
Energiewende. Die Möglichkeit der Energieproduktion
auf dem Land, der Energieautarkie, ist angesprochen
worden. Wir wissen natürlich, dass die großen Zentren
versorgt und dafür Leitungen gebaut werden müssen.
Wir wissen auch, dass dieser Leitungsbau drastisch beschleunigt werden muss. Im letzten Jahr sind nur 4 Kilometer gebaut worden. Das ist angesichts der 3 500 Kilometer, die wir brauchen, viel zu wenig. Wie kann man
den Bau beschleunigen, und wie kann man insbesondere
die Landwirte, über deren Flächen dies erfolgen soll,
einbinden? Wie kann man sie dafür marktgerecht entschädigen?
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Happach-Kasan. Das ist eine in der Tat sehr wichtige Frage, der wir uns in
der Bundesregierung gemeinsam stellen. Auch die Bundeskanzlerin hat beim Bauerntag in Koblenz im letzten
Jahr darauf hingewiesen, dass ein zentrales Thema die
Frage der Flächen für alternative Energieversorgung sein
wird. Ich sehe, dass die Durchleitungsrechte und die entsprechende Entschädigung ein Problem darstellen; denn
wir brauchen einen beschleunigten Ausbau, und die Widerstände bei den Privateigentümern könnten erheblich
sein. Deshalb werden wir zu genau diesem Thema in der
nächsten Zeit Gespräche führen, um dieses Problem hoffentlich zu lösen.
Das Wort hat die Kollegin Cornelia Behm.
Ich will nicht kritisieren, dass Minister Ramsauer ein
Modellvorhaben auflegt und dabei seinen Wahlkreis bedenkt, ich will Modellvorhaben zur Entwicklung ländlicher Räume überhaupt nicht kritisieren, aber ich stelle
fest: Seit wir dieses Thema hier im Parlament beackern
- ich verfolge dies, seit ich im Bundestag bin -, gibt es
ein Modellvorhaben nach dem anderen mit sehr ähnlichen Zielsetzungen. Ich vermisse eine Lernkurve. Deswegen würde ich von Ihnen gerne wissen, welche der
Erfahrungen, die man bisher aufgrund der Modellvorhaben zur ländlichen Entwicklung gesammelt hat, tatsächlich in die Förderpraxis übertragen worden sind.
Wir haben zum Beispiel aus dem Projekt „Regionen
Aktiv“ gelernt, dass es für die ländliche Entwicklung
wichtig ist, dass die Regionen mehr Entscheidungsautonomie haben und mehr Geld zur eigenen Verwendung in
die Hand bekommen. Jetzt legen Sie ein neues Modellvorhaben auf, das dies noch einmal bestätigen soll. Nennen Sie mir bitte ganz konkrete Maßnahmen, die basierend auf dem, was wir aus den Modellvorhaben gelernt
haben, jetzt umgesetzt werden.
Eines habe ich Ihnen schon genannt. Die Mikrofinanzierung zum Beispiel ist gerade für diejenigen wichtig,
die sich in den ländlichen Regionen selbstständig machen wollen. Dafür stehen 100 Millionen Euro zur Verfügung; abgeflossen sind, wenn ich es richtig im Kopf
habe, 39 Millionen Euro. Es geht um Kredite in Höhe
von durchschnittlich 6 000 Euro, die anderweitig nicht
beschafft werden könnten. 33 Prozent der Personen, die
diese Mikrokredite in Anspruch nehmen, sind übrigens
Frauen; es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen.
Das Zweite sind Regionalbudgets. Eine Innovation ist
regionalspezifisch, denn es gibt in Mecklenburg-Vorpommern, in Baden-Württemberg, in Nordrhein-Westfalen, wo auch immer, sehr unterschiedliche Strukturen.
Die Aktiven vor Ort kennen sich am besten aus. Ich
möchte es aus Sicht meines Hauses für ein Projekt dezidierter sagen: Beim Modellvorhaben „LandZukunft“
arbeiten wir - übrigens zum ersten Mal - mit Zielvorgaben. In einem Vertrag zwischen dem Bund, dem jeweiligen Land, wenn es mitmachen möchte, kommunalen
Vertretern, Wirtschaftsvertretern und Ehrenamtlichen
können sich diese gemeinsam über Zielvereinbarungen
verständigen und die neuen Instrumente - 2010 wurden
die Mikrofinanzierung und die Regionalbudgets eingeführt - zielgerichtet entwickeln.
Dies ist auch aufgrund der Umstellung auf der europäischen Ebene wichtig; das habe ich schon angesprochen. Die Strukturfonds, ELER, EFRE und wie sie alle
heißen, sollen künftig sozusagen gebündelt bzw. zwischen den Ressorts abgestimmt werden. Wir haben diesen Schritt mit der interministeriellen Arbeitsgruppe
schon getan. Im Rahmen des Modellvorhabens „LandZukunft“, das ich zu verantworten habe, prüfen wir gerade die Frage, wie das in Zukunft aussehen kann, um
unsere Erfahrungen auch auf europäischer Ebene einzubringen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Willi Brase.
Frau Ministerin, auch von unserer Seite herzlichen
Dank für diesen Bericht. - In dem Bericht und in Ihren
Ausführungen haben Sie betont, dass es sehr wichtig ist,
zukünftig die Fachkräftebasis zu stabilisieren. Das deckt
sich aber nicht mit einer Untersuchung des Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Instituts in der HansBöckler-Stiftung, in der deutlich wird, dass wir in den
ländlichen Regionen eine Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse zu verzeichnen haben, also eine Zunahme der Zahl von Minijobs und prekären Beschäftigungsverhältnissen. Was will die Bundesregierung und
was wollen Sie tun, um diesen Trend zu stoppen? Denn
wenn man die Fachkräftebasis stabilisieren will, kann
man nicht gleichzeitig prekäre Beschäftigungsverhältnisse ausweiten.
Ich komme auf das zurück, was ich vorhin schon angesprochen habe. Nach meiner Ansicht gibt es eine sehr
positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Es sind so
viele Menschen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen wie noch nie; mittlerweile
sind es 41,3 Millionen. Das ist eine sehr positive Entwicklung.
In manchen Regionen besteht eher ein Unterschuss an
jungen Menschen, die eine Ausbildung machen wollen.
Deshalb müssen wir uns bemühen, dass wir diejenigen,
die aus unterschiedlichen Gründen bisher keine Ausbil18074
dungsstelle bekommen konnten, weiter integrieren. Dass
es daneben auch solche Beschäftigungsverhältnisse gibt,
die vielleicht nicht Ihren Vorstellungen entsprechen, mag
sein. Das kann ich jetzt nicht im Detail beurteilen. Mit
Verlaub, ich kenne auch die von Ihnen erwähnte Studie
- ich glaube, Sie sagten, sie sei von der Hans-BöcklerStiftung - nicht auswendig. Ich finde, dass die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt sehr positiv ist und
wir uns eigentlich gemeinsam darüber freuen sollten.
Lieber Kollege Brase, als wir damals im Bildungsausschuss immer wieder miteinander diskutiert haben - ich
weiß das noch sehr genau -, haben wir uns ganz andere
Gedanken machen müssen, insbesondere um die jungen
Leute.
Das Wort für die nächste Frage hat die Kollegin Karin
Binder.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin
Aigner, es gibt immer wieder Probleme mit der Projektförderung durch den Bund, da viele Länder und Kommunen nicht in der Lage sind, die Kofinanzierung zu
übernehmen, Stichwort Schuldenbremse. In Ihrem Bericht sind als Beispiel die Mehrgenerationenhäuser genannt, deren Errichtung in den Kommunen sehr oft nicht
umgesetzt werden kann, weil einfach die Mittel fehlen.
Wie soll der Bund Ihrer Meinung nach künftig mit solchen Projekten umgehen, und wie kann er ermöglichen,
dass hier Fortschritte erzielt werden und eine gewisse
Nachhaltigkeit hergestellt wird?
Was die Mehrgenerationenhäuser betrifft, ist nach
meiner Kenntnis in praktisch jedem Landkreis ein entsprechendes Projekt verwirklicht, das auch sehr gut
läuft. Insofern weiß ich nicht genau, wo konkret das Problem entsteht. Für meinen Verantwortungsbereich im
Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ kann ich nur sagen, dass wir gemeinsame Aufgaben haben. Wir stellen
in diesem Bereich Mittel zur Verfügung. Die Länder
können die entsprechenden Projekte entweder zum Teil
kofinanzieren oder andere Schwerpunkte setzen. Es ist
das Grundprinzip einer föderalen Struktur, dass die einzelnen Länder in Eigenverantwortung eigene Akzente
setzen können. Es gibt ja auch Landesregierungen und
Landesparlamente, damit man sich konkret vor Ort mit
diesen Themen auseinandersetzen kann.
Das Wort hat die Kollegin Nicole Maisch.
Frau Ministerin, ich möchte Ihnen gerne eine Frage
zum Breitbandausbau stellen. Ist Ihnen bekannt, wie
weit die Versorgung der ländlichen Regionen mit Breitbandanschlüssen gediehen ist und welche Geschwindigkeiten dort erreicht werden? Im Zusammenhang damit
würde mich interessieren, wie Sie zum Thema „Universaldienstleistung Breitbandanschluss für jeden und jede“
stehen.
Zunächst zur Abdeckungsquote. Wenn ich es richtig
im Kopf habe, verfügen etwa 98 Prozent der Haushalte
über einen Anschluss mit einer Geschwindigkeit von
mindestens 1 Megabit pro Sekunde. Wir brauchen uns,
glaube ich, nicht darüber zu unterhalten, dass das nicht
ausreichend ist. Deshalb wurde in der letzten Zeit intensiv über die Frage, wie wir die Breitbandversorgung in
die Fläche bringen, diskutiert, auch im Rahmen des Telekommunikationsgesetzes.
Ich bin nach wie vor der Meinung: Wir müssen als
Zielvorgabe haben, eine deutlich höhere Geschwindigkeit, 16 Megabit pro Sekunde und mehr, als Standard zu
etablieren. Über die Mechanismen muss man in der Tat
noch diskutieren. In der Zwischenzeit haben wir durch
die Versteigerung der Funkfrequenzen allerdings auf den
Weg gebracht, dass der Schwerpunkt auf die Gebiete gelegt wird, in denen bisher noch gar keine Breitbandversorgung vorhanden war. Das ist im Wesentlichen schon
geschehen. Aber ich sage auch: Das ist eine Daueraufgabe, die sich fortentwickeln wird, weil sich auch die
Geschwindigkeiten immer weiter fortentwickeln.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Edmund
Geisen.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Für die FDP-Fraktion sind die
ländlichen Räume wichtige Stützpfeiler und Ruhepole
unserer Gesellschaft. Frau Ministerin, deswegen finden
wir es sehr gut, dass die Bundesregierung die ländlichen
Räume so eindeutig in den Vordergrund gerückt hat. Wie
sehen Sie, Frau Ministerin, die zukünftige Priorisierung
und Weiterentwicklung der GAK, und wie erfolgt die zukünftige Abstimmung mit der EU-Förderung der ländlichen Entwicklung?
Vielen Dank, Herr Dr. Geisen. - Eines unserer Anliegen bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ besteht darin
- ich habe es vorhin schon angedeutet -, dass wir uns
gerade mit den Länderkolleginnen und -kollegen in einer
Diskussion darüber befinden, ob Prioritätensetzungen
möglich sind oder nicht. Ich finde, wir müssen uns gerade nach der Neuprogrammierung nach 2013 darüber
unterhalten, wo wir unsere Schwerpunkte setzen.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. An uns wird stets die
Frage der Investitionsförderung in der Landwirtschaft
gestellt. In dem Zusammenhang werden wir uns über die
Frage der Priorisierung unterhalten müssen. Wir werden
auch die Frage klären müssen, wie wir die BreitbandverBundesministerin Ilse Aigner
sorgung in der Fläche weiter ausbauen können. Es gibt
viele Punkte; aber diese können wir, wie gesagt, nur gemeinsam mit den Ländern angehen. Ich werbe dafür,
dass wir uns in Zukunft darauf fokussieren und uns nicht
zu breit aufstellen.
Das Wort hat der Kollege Franz-Josef Holzenkamp.
({0})
Frau Ministerin, vielen Dank für Ihren Bericht. - Damit sich die ländlichen Räume tatsächlich zu lebendigen
Räumen entwickeln, wird neben der Gesamtverkehrsinfrastruktur auch die Kombination aus anderen Infrastrukturen - ich nenne beispielhaft die Gesundheitsversorgung - immer wichtiger. Sie haben schon angedeutet,
dass die Breitbandversorgung gerade im ländlichen
Raum eine zentrale Herausforderung darstellt. Muss
man hier nicht eine stärkere Priorisierung im Verhältnis
zu anderen Investitionen vornehmen? Denn eine Leistung von 1 Megabit pro Sekunde reicht im ländlichen
Raum nicht aus. Es bedarf einer schnellen Umsetzung,
damit wir beispielsweise Telearbeitsplätze in den Dörfern und im ländlichen Raum insgesamt anbieten können.
Herr Kollege Holzenkamp, auch ich glaube, dass eine
Leistung von 1 Megabit pro Sekunde nicht ausreichend
ist. Bei einer solchen Geschwindigkeit schläft man fast
ein, wenn man größere Dateien herunterladen muss.
Übertragungsgeschwindigkeit ist nicht nur für den privaten Bereich, sondern gerade für die Wirtschaft - das
reicht vom Tourismus bis zur Landwirtschaft; denken
Sie auch an einen Architekten, der zu Hause arbeitet ganz entscheidend.
Wir gehen hier Schritt für Schritt vor. Die Antwort
auf die Frage, was für eine vernünftige Infrastruktur nötig ist, wird mit Sicherheit nicht „eine Leistung von
1 Megabit pro Sekunde“ lauten. Wir haben uns bei der
Breitbandversorgung Ziele gesetzt, die erfordern, dass
wir die Leistungen nach und nach steigern müssen. Darüber hinaus haben wir - das halte ich für sehr wichtig einen Infrastrukturatlas aufgelegt, der den bestehenden
Ausbauzustand der Infrastruktur aufzeigt. Es ist wichtig,
dass man auch in diesem Bereich vorausschauend arbeitet.
Es sei mir der Hinweis gestattet: Obwohl das Lichtsignal ausgefallen ist, halten wir uns an die Ein-Minuten-Regel. Wir schauen, ob die Anzeige beim nächsten
Redner wieder funktioniert.
Mir liegen noch sehr viele Wortmeldungen vor, und
ich habe vor, möglichst viele bei diesem wichtigen
Thema zu Wort kommen zu lassen. Es ist klar, dass die
Dauer der folgenden Fragestunde entsprechend verkürzt
wird.
Jetzt fragt der Kollege Cajus Caesar.
Frau Ministerin, ich bin Ihnen persönlich, aber selbstverständlich auch der Bundesregierung sehr dankbar dafür, dass Sie Prioritäten bei dem ländlichen Raum, bei
der Attraktivitätssteigerung und bei der Entwicklung setzen. Das ist für mich als Abgeordneten aus einem ländlichen Wahlkreis, dem Kreis Lippe, ebenfalls sehr wichtig.
Ich darf Sie fragen: Sehen Sie die besondere Bedeutung der Rahmenbedingungen der Land- und Forstwirtschaft? Sie ist nämlich weltweit vorbildlich, und es gilt
auch zukünftig, naturnah zu wirtschaften und nicht immer mehr Flächen aus dem Produktionsprozess herauszunehmen, damit wir hier die Lebensmittel- und
Nahrungsmittelversorgung sichern und die Energieversorgung im ländlichen Raum sicherstellen können; Sie
haben dies eben angesprochen. Es geht also darum, Arbeitsplätze zu schaffen und die wirtschaftliche Entwicklung des ländlichen Raumes zu fördern.
Die Signalanlage, diese Innovation im Deutschen
Bundestag, geht jetzt wieder. - Herr Kollege Caesar, ich
weiß nicht, ob mir für dieses breite Feld eine Minute
Antwortzeit reichen wird.
Es ist in der Tat so, dass in der Land- und Ernährungswirtschaft mit all ihren vor- und nachgelagerten Bereichen ein riesiges Arbeitskräftepotenzial steckt. Wir
zählen hier ungefähr jeden achten Arbeitsplatz. Sie hat
einen großen Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Man hat
meistens nur den Landwirt oder die Landwirtin selbst
geistig vor Augen; aber zur Landwirtschaft gehört natürlich auch eine ganz große Wertschöpfungskette, angefangen bei der Landmaschinenherstellung bis hin zur
Verarbeitung und allem, was dazugehört.
Die Land- und Ernährungswirtschaft ist wirklich die
tragende Säule der ländlichen Räume. 50 Prozent der
Flächen sind landwirtschaftliche Flächen, und 30 Prozent der Flächen sind Forst- bzw. Waldflächen, die bei
uns in Deutschland zu einem großen Teil von Privaten
bewirtschaftet werden. Hier gibt es also ein großes Wertschöpfungspotenzial. Deshalb sind die Förderung der
Landwirtschaft, die ordentliche Bewirtschaftung der Flächen zentrale Punkte, um die wir uns gerade bei den
künftigen Verhandlungen über die Gemeinsame Agrarpolitik - sie besteht seit 50 Jahren - kümmern werden.
({0})
Das Wort hat der Kollege Georg Schirmbeck.
({0})
Verehrte Frau Ministerin, ich vertrete seit fast vier
Jahrzehnten auf allen politischen Ebenen einen ländlichen Raum mit 360 000 Einwohnern. Was ich mich in
diesem Zusammenhang gefragt habe, ist: Warum gibt es
eine sehr positive Entwicklung in den Landkreisen
Cloppenburg, Vechta, Emsland, Grafschaft Bentheim
und Osnabrück, wo viele Kinder geboren werden und
eine erhebliche Zuwanderung zu verzeichnen ist, während es diese im nördlichen Bereich von Weser-Ems und
in Ost-Hannover nicht gibt? Könnte man das nicht einmal untersuchen lassen? Wenn man nämlich begründen
kann, warum es in den einen Landkreisen eine so positive und in den anderen eine negative Entwicklung gibt,
dann hat man eigentlich den Schlüssel dafür, die Aufgaben zu bewältigen, über die wir hier diskutieren.
Bei uns ist der allgemeine Tenor: Wir haben eine sehr
positive Entwicklung; eigentlich soll man uns in Ruhe
lassen; wenn wir etwas haben, was noch nicht so ist, wie
wir es uns vorstellen, dann fangen wir morgen mit der
Arbeit an.
({0})
Herr Kollege Schirmbeck, ich bin mir nicht ganz sicher, ob es immer so ist, dass man nur in Ruhe gelassen
werden will.
({0})
Die Kommunen haben meistens Wünsche, die sie bis hin
zur Bundesregierung tragen. Das ist in Ordnung, und das
gehört auch zum Aufbau.
Es ist unbestritten, dass es sehr unterschiedliche Entwicklungen in den Regionen gibt, auch unter teilweise
sehr ähnlichen Startvoraussetzungen. Das hat bestimmt
auch etwas mit den politischen Weichenstellungen zu
tun, die von den Landräten und den Landrätinnen vor
Ort vorgenommen wurden. Eine Untersuchung dazu ist
mir nicht bekannt. Man kann letztendlich immer an den
Strukturdaten ablesen - es gibt ja zig Studien -, wo die
Entwicklung sehr gut oder sehr schlecht ist. Das kann
man auch getrennt nach Bundesländern nachverfolgen.
Mit Sicherheit kann man persönlich oder politisch Rückschlüsse ziehen.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Franz
Müntefering.
Frau Ministerin, unter der Überschrift „Reden und
Handeln“ will ich auf Ramsauers Modellregionen zurückkommen, die Sie eben tapfer verteidigt haben. Manche Kreise bekommen jetzt 120 000 Euro. Für den Kreis,
der eben angesprochen wurde, bedeutet das 3 Euro pro
Einwohner im Jahr. Können Sie mir sagen, welche zielführenden Aktivitäten sich die Bundesregierung von diesen Kreisen erwartet und ob das vielleicht nicht doch vor
allen Dingen eine PR-Aktion ist?
Nein. Noch einmal: Über Modellregionen bekommt
man im Prinzip immer neue Erkenntnisse, die in die tägliche Arbeit einfließen. Herr Kollege Müntefering, ich
bin mir sicher, dass Sie in Ihrer Zeit als Minister Modellvorhaben gefördert haben. Ich schaue gerne nach, wie es
war, und frage einmal den Kollegen Ramsauer, ob es
möglich ist, dass er Ihnen den schriftlichen Bericht komplett vorlegen wird. Ist das in Ordnung?
({0})
Das Wort hat der Kollege Thomas Jarzombek.
Frau Ministerin, ich möchte das Thema Breitbandausbau noch einmal ansprechen. Sie hatten in Ihrem Eingangsstatement erwähnt, dass es zahlreiche Programme
zur Förderung der Breitbandversorgung im ländlichen
Raum gibt. Man hört, dass sie sehr unterschiedlich angenommen werden. Ich wollte Sie an dieser Stelle gerne
fragen, ob die Mittel, speziell die aus der Gemeinschaftsaufgabe, in den letzten Jahren in allen Bundesländern
abgerufen wurden und ob möglicherweise Veränderungen geplant sind.
Man muss sagen, dass die Mittel am Anfang nicht so
intensiv abgerufen worden sind. Das ist bei neuen Programmen aber nichts Unübliches, weil meistens erst
Strukturen vor Ort geschaffen werden müssen. Hinzu
kommen Notifizierungen und anderes.
Jetzt, nachdem diese Programme angelaufen sind,
werden diese Mittel umfangreich abgerufen. Auch die
Restmittel, die übertragen worden sind, werden abgerufen. Selbstverständlich gibt es wie immer Unterschiede
zwischen den Bundesländern. Ich finde, dass das Programm insgesamt, wie gesagt, sehr gut angelaufen ist.
Ein Höchstfördersatz von 90 Prozent wird von den jeweiligen Kommunen natürlich sehr gerne angenommen,
weil sie so nur noch einen kleinen Restbetrag zur Verfügung stellen müssen. Das ist angesichts der Leistung, die
man bekommt, in der Regel sehr erschwinglich.
Das Wort hat die Kollegin Cornelia Behm.
Frau Ministerin, Sie wollen eine integrierte Förderung
der ländlichen Räume und unter anderem die GAK und
die GRW besser miteinander verzahnen; das ist gut. Ihr
Vorgänger, Horst Seehofer, war da schon einen Schritt
weiter. Er wollte einmal aus der GAK eine GemeinCornelia Behm
schaftsaufgabe zur Entwicklung ländlicher Räume machen. Das ist eine sehr gute Idee gewesen, weil man über
diese Gemeinschaftsaufgabe alle Möglichkeiten und alle
Maßnahmen, die der Fonds ELER bietet, hätte umsetzen
können. Daraus ist nun nichts geworden.
Ich weiß, dass man bei der Gründung der entsprechenden IMAG vorgeschlagen hat, die GAK zu einer
Gemeinschaftsaufgabe für die ländlichen Räume weiterzuentwickeln. Da hat das Ministerium, dem Sie vorstehen, als Bremser gewirkt. Vielleicht können Sie das erklären und auch sagen, wie man dazu kommt, ELER in
Deutschland mit den vorhandenen Instrumenten wirklich
vollumfänglich zu nutzen.
Erstens. Mein Haus ist mit Sicherheit nicht der Bremser gewesen. Ich weiß nicht, woher diese Information
kommt.
Zweitens. Es ist in der Tat so, dass die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“ genauso wie die GRW eine Maßnahme
ist, die im Grundgesetz verankert ist. Das heißt, für eine
Veränderung braucht man die Zustimmung des Bundestages und der Länder. Sie können sich vorstellen, dass es
nicht einfach ist, eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen.
({0})
Es gab zwei Föderalismuskommissionen, mit denen unterschiedliche Weichenstellungen vorgenommen wurden. Aber für diese Aufgabe brauchen wir eine Veränderung der grundgesetzlichen Basis, die nicht in Sichtweite
ist. Dass ich diese Aufgabe gerne weiterentwickeln
würde, will ich hier gar nicht verheimlichen. Aber entsprechende Mehrheiten im Bundesrat gibt es dafür nicht.
Im Moment gibt es für eine Grundgesetzänderung keine
großen Erfolgsaussichten.
({1})
Das Wort hat der Kollege Willi Brase.
Frau Ministerin, in einer Studie des Berlin-Instituts
für Bevölkerung und Entwicklung vom November 2011
wird festgestellt, dass die Bevölkerungszahl in Ostdeutschland in 96 Prozent aller ländlichen Gemeinden
schrumpft. Teilweise ist ein Bevölkerungsrückgang von
5 Prozent zu verzeichnen. In Westdeutschland betrifft
dieser Trend das westliche Rheinland-Pfalz, den Südosten Niedersachsens, Nordhessen und das nördliche
Bayern. Was will die Bundesregierung tun, um die Perspektiven der ländlichen Räume, vor allem der Dörfer,
weiterzuentwickeln? Dabei spielt die Frage, die ich eben
gestellt habe, eine Rolle.
Es geht nicht darum, zu sagen: Wir haben einen Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. - Das ist gut; das muss noch mehr
werden. Wir haben aber auch im ländlichen Bereich einen Zuwachs prekärer Beschäftigungsverhältnisse; ich
verweise auf den Niedriglohnsektor und auf den Bereich
der Minijobs. Von prekärer Beschäftigung sind viele
Frauen betroffen. In Studien wie der oben erwähnten und
auch in anderen Berichten der letzten Jahre wird festgestellt, dass vor allen Dingen Frauen aus Ostdeutschland
wegziehen. Wie soll dieser Trend gestoppt werden?
Arbeitsplätze entstehen nicht auf dem Papier; sie werden letztendlich von Unternehmern bereitgestellt. Die
Frage ist deshalb, wie sich eine Kommune oder ein Bundesland aufstellt und sich gegenüber der Wirtschaft
verhält. Das wird gerade in den neuen Bundesländern
deutlich. Sie sind 1990 bekanntermaßen mit ziemlich
gleichen Voraussetzungen gestartet. In einigen neuen
Bundesländern ist es sehr gut gelaufen - das hat vielleicht auch etwas mit den politischen Weichenstellungen
zu tun -; in anderen ist es nicht so gut gelaufen. Vielleicht kann man daran ablesen, dass es sehr wohl auch
mit politischen Weichenstellungen zu tun hat, ob attraktive Arbeitsplätze geschaffen werden.
({0})
Die letzte Frage zu diesem Themenbereich stellt die
Kollegin Karin Binder.
Frau Ministerin, ich knüpfe an meinen Vorredner an.
Wir haben heute einer Mitteilung des Statistischen Bundesamtes entnommen, dass nur 8 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe von Frauen geführt werden. Wir
wissen, dass insbesondere hochqualifizierte junge
Frauen abwandern.
Sie haben Initiativen für Fachkräfte im ländlichen
Raum ins Leben gerufen. Mich würde interessieren, welchen Anteil die besondere Berücksichtigung von Arbeitsplätzen für Frauen hat, und zwar nicht nur in geringfügiger Beschäftigung oder teilzeitbeschäftigt, sondern
bezogen auf Arbeitsplätze, mit denen Frauen ihre Existenz und später einmal die Rente bestreiten können.
Unsere Programme sind selbstverständlich geschlechtsneutral.
({0})
Insofern kann eine Betriebsleiterin sie genauso in Anspruch nehmen wie ein Betriebsleiter. Vielleicht sind
manche Frauen gerade in der Landwirtschaft noch immer in einer anderen Rollenverteilung. Ich kann das
nicht beurteilen.
Ich habe gerade insbesondere die Mikrokreditfinanzierung angesprochen, also Kredite bis zu 20 000 Euro,
die nicht von der Hausbank zur Verfügung gestellt werden. Sie werden zu einem Drittel gerade von Frauen in
Anspruch genommen und fördern sehr stark die Selbstständigkeit. Ich finde das Programm sehr positiv und
hoffe, dass wir es fortführen können und dass wir durch
die Verschränkung mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales Frauen auch in diesem Bereich intensiv
fördern können. Das halte ich für sehr sinnvoll.
Danke, Frau Ministerin. - Mir sind noch zwei Fragen
zur heutigen Kabinettssitzung signalisiert worden. Das
Wort hat der Kollege Dr. Carsten Sieling.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Einführung einer Finanztransaktionsteuer hat in der vergangenen Woche auch in der europapolitischen Diskussion eine Rolle
gespielt und in der innenpolitischen Debatte an der einen
oder anderen Stelle eine Vielfalt der Positionen gezeigt.
Die Kanzlerin hat sich persönlich für die Möglichkeit einer Einführung in der Euro-Zone ausgesprochen. Der
Vizekanzler und andere haben ihr widersprochen. Das
wirft einige Fragen auf, unter anderem die, wie das Bundeskabinett mit diesen unterschiedlichen Haltungen umgeht und mit welcher Haltung und Perspektive die Bundesregierung ernsthaft, glaubwürdig und nachhaltig die
weiteren Gespräche auf der europäischen Ebene führen
möchte.
Das ist eine Feststellung gewesen, die ich nicht teile,
Herr Kollege. Wenn aber hinter Ihrer umfänglichen Feststellung die Frage gestanden haben sollte, ob das in der
Kabinettssitzung heute angesprochen wurde, kann ich
das mit Nein beantworten.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Brigitte Zypries.
Herr Minister, ich fürchte, dass sich das Kabinett
heute auch mit dem Thema, das ich ansprechen möchte,
nicht befasst hat, nämlich mit dem Datenschutzrecht und
dem europäischen Recht. Wir haben aber die Möglichkeit, auch über die Kabinettssitzung hinaus Fragen zu
stellen, und das Innenministerium ist auch vertreten.
Ich habe im Tagesspiegel vom vergangenen Sonntag
ein Interview mit Innenminister Friedrich gelesen. Darin
hat er sich darüber beschwert, dass die Europäische
Union mit der neuen Verordnung, die zum Datenschutz
erlassen werden soll, zu viele Kompetenzen an sich
zieht. Er hat das beklagt. Zumindest war das in diesem
Interview zu lesen.
Die Kompetenz für den Datenschutz ist nach dem
neuen EU-Vertrag geregelt. Es ist aber offengeblieben,
ob eine Verordnung oder eine Richtlinie erforderlich ist.
Mich würde interessieren, ob sich das Bundesinnenministerium vorher darüber Gedanken gemacht hat, in
welcher Rechtsform die Kommission handeln sollte. Ich
denke, dass man sich vorher darüber verständigt hat.
Ich frage erstens: In welcher Form hat das Bundesinnenministerium auf europäischer Ebene interveniert,
um sicherzustellen, dass es nicht, wie jetzt geplant, in einer Verordnung, sondern in einer Richtlinie geregelt
wird?
Zweitens. Was machen Sie, wenn in Kürze ein Verordnungsentwurf kommt, um sicherzustellen, dass die
nationalen Kompetenzen möglichst umfassend erhalten
bleiben?
Vielen Dank für Ihre Frage. - Wir warten so lange ab,
bis die Vorschläge öffentlich werden und auf dem Tisch
liegen. Dann werden wir sie selbstverständlich analysieren. Für die Bundesregierung ist entscheidend, dass wir
unser hohes datenschutzrechtliches Niveau aufrechterhalten können. Daher ist es wichtig, dass wir die Möglichkeit haben, weiterhin eine eigene Rechtsetzung zu
betreiben. Das ist mit allen Ressorts abgestimmt. Natürlich sprechen wir mit den Parlamentariern des Europäischen Parlaments. Wir führen dahin gehend aber auch
Gespräche mit der Kommission.
Danke, Herr Staatssekretär. - Ich beende die Befragung der Bundesregierung und mache darauf aufmerksam: Aufgrund des großen Interesses am Bericht der
Bundesregierung haben wir die Zeit für die Befragung
der Ministerin verlängert. Das wird von der Zeit für die
nun folgende Fragestunde abgezogen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/8323 Ich möchte auch hier an unsere Ein-Minuten-Regelung erinnern. Die Fragestunde wird jetzt durch optische
Signale und nicht mehr allein akustisch begleitet. Für die
erste Antwort stehen zwei Minuten zur Verfügung. Für
die folgenden Fragen und Antworten steht jeweils eine
Minute zur Verfügung. Die Uhren rechts und links vom
„Adler“ sowie oberhalb der Hammelsprungtüren zeigen
jeweils die verbleibenden Sekunden an. Hier sind wir
schon bei der ersten Ausnahme: Die linke Uhr hat sich
heute eine Auszeit genommen. Aber wir werden auf jeden Fall die Farbsignale wahrnehmen können. Das heißt,
es gibt zusätzlich ein Lichtsignal in Gestalt eines Farbfeldes: Grün, Gelb und Rot. Wie bereits in der Regierungsbefragung betont, werden die Farben Grün und
Gelb noch optimiert werden. Anfangs soll ein grünes
Licht leuchten. Die letzten 30 Sekunden werden durch
Gelb verdeutlicht. Nach Zeitablauf wird es rot. Soll ich
das wiederholen oder war das für alle einleuchtend? Gut. Dann beginnen wir mit der Fragestunde.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe nun die mündlichen Fragen auf Drucksache
17/8323 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen
mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Friedrich
Ostendorff auf:
Wie bewertet die Bundesregierung Vorschläge, den massiven Einsatz von Antibiotika in der industriellen Tierhaltung
teurer und unattraktiver zu machen, zum Beispiel durch die
Einführung von Festpreisen oder das Verbot bzw. die Einschränkung von Rabattsystemen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sichere
Lebensmittel haben höchste Priorität. Die Thematik Resistenzbakterien nehmen wir deshalb sehr ernst. Wir haben bereits vor Jahren Maßnahmen zur Reduzierung des
Antibiotikaeinsatzes in der Mast umgesetzt, und wir haben aktuell zusätzlich reagiert. Gesunde Tiere, gesunde
Lebensmittel - das ist das Ziel. Dies fängt bei der Haltung an, im Stallmanagement. Dabei haben die Tierärzte
und die Landwirte strenge gesetzliche Vorgaben zu erfüllen. Jeder Einsatz von Tierarzneimitteln wird dokumentiert und wissenschaftlich begründet. Die Länder
haben in unserem föderalen System die Aufgabe, zu
kontrollieren und zu überwachen.
Schon heute ist der Einsatz von Antibiotika als
Wachstumsförderer verboten. Ein prophylaktischer Einsatz in den Beständen ist ebenfalls verboten. Die Länder
müssen kontrollieren. Wir reagieren jetzt aber noch einmal und legen eine Novelle zum AMG vor, um die Überwachung in den Ländern effektiver zu gestalten.
Ab Mitte 2012 wird es erstmals detaillierte Daten
über Arzneimittelmengen geben. Wir werden diese veröffentlichen. Tierärzte müssen alle Daten an die Behörden übermitteln. Wir gestalten damit den gesetzlichen
Rahmen noch einmal enger, präziser und klarer, damit
die Länderminister kontrollieren, überwachen und im
Ernstfall auch sanktionieren können.
Vielen Dank.
Herr Ostendorff, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Schönen Dank. - Herr Staatssekretär, leider war das
nicht die Antwort auf meine Frage, sondern eine grundsätzliche Feststellung, die wir alle wahrscheinlich unterschreiben. Deshalb gestatten Sie mir, dass ich noch einmal zu der Frage zurückkomme und in ein, zwei kurzen
Sätzen erläutere, worum es geht.
Auch Ihnen dürfte Folgendes nicht unbekannt sein:
Wenn man ein sehr gebräuchliches Antibiotikum in Einzelflaschen vom Tierarzt bzw. von der Tierärztin bezieht,
werden 15 Euro pro Flasche berechnet, wie mir Tierärzte
und Tierärztinnen sagen, während es zu 10 Euro pro Flasche eingekauft worden ist. Wenn der gleiche Tierarzt
oder die gleiche Tierärztin diese Flaschen in Paletten
kauft - das sind 1 000 Flaschen -, kostet die Flasche
3,50 Euro. Darum geht es hier, Herr Staatssekretär.
Wie wollen Sie damit umgehen, dass es wenige Tierarztpraxen gibt, die sehr großräumig agieren, sehr viele
Mitarbeiter haben? Ich meine die sogenannten Autobahntierärzte, die große Mengen Antibiotika verschreiben und verkaufen. Das ist das Besondere: dass Tierärzte
und Tierärztinnen gleichzeitig Apothekenfunktion haben; das ist nicht so wie in der Humanmedizin. Wie wollen Sie diesem Umstand entgegenwirken? Ist daran gedacht, diese Rabattsysteme infrage zu stellen, sprich: zu
verbieten, und eine Gleichbehandlung herbeizuführen?
Wie ich gerade dargelegt habe, Herr Kollege
Ostendorff, haben wir hier einen viel breiteren Ansatz
mit dem Ziel der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes
in der Humanmedizin - hierzu gibt es eine gemeinsame
Strategie des BMG und unseres Bundesministeriums sowie in der Nutztierhaltung und Nutztiermast. Nach unserer Einschätzung wären dirigistische Eingriffe in die
Preisgestaltung der Tierarzneimittelhersteller ein Instrument, das vollkommen unzureichend ist. Es ist nicht geplant, hier Veränderungen vorzunehmen.
Ihre zweite Frage.
Der breite Ansatz ist auch hier sehr gut. Aber es hilft,
glaube ich, irgendwo einmal anzufangen. Alle Fragen,
die die Kolleginnen und Kollegen heute stellen, deuten
in diese Richtung.
Eine zweite Frage. Wir haben eine Behandlungslandschaft, in der gesagt wird: Wir geben bei Hühnchen Antibiotika übers Trinkwasser prophylaktisch in die Herde,
und das im Grunde in den 32 Tagen des Lebens der
Hühnchen andauernd. Halten Sie, Herr Staatssekretär, es
für angemessen, dass hier auf der Grundlage der Feststellung einer Veterinärin oder eines Veterinärs, dass
möglicherweise eine Erkrankung eintritt, eine Ganzherdenbehandlung erfolgt? Ist das gesetzeskonform? Sind
Sie nicht auch der Meinung, dass es ausschließlich darum gehen kann, kranke Tiere zu behandeln?
Wie ich gerade festgestellt habe, ist die grundsätzlich
prophylaktische Abgabe und Verabreichung von Antibiotika schon heute verboten.
Eine weitere Nachfrage stellt die Kollegin Bärbel
Höhn.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben von gesunden
Tieren und gesunden Lebensmitteln gesprochen. Sie haben gesagt: Die prophylaktische Gabe von Medikamenten ist verboten. - Jetzt wird in einer Studie festgestellt,
dass in Nordrhein-Westfalen 96 Prozent der Tiere Medikamente bekommen. Heißt das, dass alle diese Tiere
krank sind, und heißt das dann in der Schlussfolgerung,
dass wir kranke Tiere und krankmachende Lebensmittel
haben?
Herr Minister Remmel hat diese Studie veröffentlicht.
Es liegt nun bei Herrn Minister Remmel und beim Land
NRW, auf der Grundlage dieser Studie und dieser Daten
seiner Aufgabe als Landesminister gerecht zu werden
und die Kontrolle und Überwachung der Tierärzte, aber
auch der Bauern auf der Grundlage der gesetzlichen Vorschriften durchzuführen.
({0})
Es ist viel zu einfach, nun die Bundesministerin zu
fragen: „Was tun Sie in NRW?“, wenn der dortige Landesminister, der für Überwachung, Kontrolle und ordnungsgemäße Umsetzung zuständig ist und im Übrigen
auch entsprechende Sanktionsmöglichkeiten hat, zu einer solchen Feststellung kommt. Wir fordern also Herrn
Minister Remmel auf, wenn er den begründeten Verdacht hat, dass hier gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen wurde, sofort zu handeln und einzugreifen.
({1})
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Dorothea
Steiner.
Herr Staatssekretär, in Anbetracht des Ausmaßes der
Antibiotikagabe, das Sie ja gerade selber auch eingeräumt haben, und angesichts der Tatsache, dass Sie die
Frage von Frau Höhn eigentlich gar nicht beantwortet
haben, ob nun wirklich 96 Prozent der Tiere krank seien
und deswegen Antibiotika bekommen müssten oder
nicht, sehe ich mich zu der Frage veranlasst: Wie bewerten Sie denn Vorschläge dahin gehend, den massiven
Einsatz von Antibiotika in der industriellen Tierhaltung
teurer und unattraktiver zu machen, zum Beispiel durch
die Einführung von Festpreisen oder das Verbot bzw. die
Einschränkung von Rabattsystemen?
Frau Kollegin, ich sage noch einmal: Die gesetzliche
Vorgabe ist klar. Wir haben in der Humanmedizin das Interesse und in der Tiermedizin die gesetzliche Vorgabe,
den Antibiotikaeinsatz zu minimieren. Die Tierärzte sind
verpflichtet, in den Stallungen auf wissenschaftlicher
Basis eine Diagnose vorzunehmen. Nur auf Grundlage
einer wissenschaftlich fundierten Diagnose ist es möglich, Antibiotika zu verordnen.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Elisabeth
Scharfenberg.
Vielen Dank. - Mich würde interessieren, wie die
Bundesregierung die Belastung von Geflügelbeständen
mit antibiotikaresistenten Keimen einschätzt und welche
Konsequenzen sich daraus für die Verbraucherinnen und
Verbraucher ergeben.
Ich darf vielleicht noch einmal grundsätzlich auf das
Thema der sogenannten Resistenzbakterien eingehen.
Resistenzbakterien können sich nach dem Einsatz von
Antibiotika bilden. Das ist ein Problem, das wir weltweit
haben, auch in Europa, in Deutschland. Ich möchte dazu
sagen: Jeder Mensch nimmt Bakterien auf, Millionen
von Bakterien. Dem Problem der Resistenzbakterien haben wir uns auch in der Humanmedizin zu stellen. Allein
ihr Vorhandensein löst zunächst einmal kein aktuelles
Problem aus. Aber es kommt in der Folge zu mangelnder
Wirksamkeit von Antibiotika. Deshalb haben wir, das
Bundesministerium für Gesundheit und unser Bundesministerium, schon 2008 eine gemeinsame Strategie zur
Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes generell, sowohl
in der Human- wie in der Tiermedizin, entwickelt.
Wir haben im Augenblick keine begründeten Daten
dazu, dass der Einsatz gestiegen wäre, aber aufgrund der
Änderung der gesetzlichen Vorgaben wird bereits Mitte
dieses Jahres eine durch das BfR in einem Forschungsprojekt vorgenommene, repräsentative Erhebung für das
Bundesgebiet vorliegen. Auf dieser Grundlage können
wir dann differenziert miteinander darüber diskutieren:
Kam es zu einer Erhöhung des Antibiotikaeinsatzes und,
wenn ja, in welchen Bereichen - ob bei der Hühnchen-,
der Puten- oder der Schweinemast - und in welchen Regionen? In der jetzt vorliegenden Novelle des AMG hat
die Bundesministerin noch einmal nachgelegt, damit
dann auf der Basis dieser Daten die Länderbehörden
bzw. die Kontrollbehörden ganz konkret dort einschreiten können, wo der begründete Verdacht des Verstoßes
gegen das Arzneimittelgesetz vorliegt.
Zuerst ein Hinweis an die Kollegin Steiner: Zu dieser
Frage können Sie jetzt nicht mehr nachfragen. Da sich
aber nachvollziehbar auch die folgenden Fragen auf diesen Themenbereich beziehen, könnten Sie sich dann
noch einmal melden.
Jetzt fragt die Kollegin Katja Keul.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, da es ja nun so
aussieht, als ob die aktuellen Formen der Tierhaltung
ohne massiven Einsatz von Antibiotika nicht wirklich
praktikabel sind, frage ich Sie, ob die Bundesregierung
beabsichtigt, die Tierhaltungsregeln zu verschärfen, insbesondere im Hinblick auf Mindestmastdauer und Besatzdichte.
Ich möchte noch einmal grundsätzlich sagen: Auch
aus Sicht des Tierwohls ist es nach wissenschaftlicher
Begründung notwendig, dann, wenn Tiere erkrankt sind,
Antibiotika einzusetzen. Das wird von den Tiermedizinern sehr verantwortungsvoll vorgenommen. Sollte es
schwarze Schafe geben, muss dort ganz konkret vorgegangen werden.
Ich komme auf Ihre Frage zu sprechen. Wir haben im
Rahmen der Antibiotikaminimierungsstrategie klar darauf hingewiesen, dass Antibiotikaeinsatz und -reduzierung in erster Linie zunächst einmal im Stallmanagement und in der Betriebsführung beginnen, in der
Tierhaltung ganz klar im Rahmen der Tierhaltungsformen in der Frage, wie das Tierhaltungsmanagement professionell umgesetzt wird. Jeder Bauer, jeder Landwirt
und jeder Mäster möchte gesunde Tiere haben.
Es gibt keine Erkenntnisse, dass es verstärkt in großen
Betrieben zu einem höheren Antibiotikaeinsatz kommt.
Im Gegenteil, auch in der Studie von Minister Remmel
wird festgestellt, dass es bei der Frage des Antibiotikaeinsatzes keine Unterschiede zu kleineren Betrieben gibt
- der Landesminister hat die Studie nur noch nicht veröffentlicht -, es gibt sogar Hinweise, dass in größeren
Betrieben der Einsatz eher geringer ist als in kleinen Betrieben. Daraus lässt sich also nicht schließen, dass wir
in der Frage der Haltungsformen mit Größenbeschränkungen reagieren müssen.
({0})
Der Kollege Hans-Christian Ströbele hat eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie vergleichen immer wieder
den Einsatz von Antibiotika bei Tieren und bei Menschen und sagen, bei beiden sollte man dies weniger tun.
Nun gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen
Tieren und Menschen in diesem Zusammenhang: dass
Menschen in der Regel nicht gegessen werden
({0})
und deshalb Resistenzen auf diese Art und Weise nicht
auf viele andere Menschen übertragen werden können.
Deshalb hinkt dieser Vergleich etwas. Das ist doch die
Hauptgefahr.
Ich frage Sie im Zusammenhang damit sowie in Verbindung mit der Frage, die Kollegin Keul gerade gestellt
hat: Ist es nicht so: Erst macht man die Tiere krank
- man kann zum Beispiel in Fernsehaufnahmen von der
Hühnerhaltung sehen, dass sich diese gegenseitig wundpicken, sich die Federn herausreißen und Ähnliches -,
und dann hat man einen Grund, Antibiotika zu geben,
und daher kommt es zu diesen sehr hohen Prozentzahlen
beim Einsatz von Antibiotika?
({1})
Ist es deshalb nicht richtig, bei dieser Ursache anzusetzen und massiv gegen diese Tierhaltung anzugehen, bei
der die Tiere krankgemacht werden? Man kann zusehen,
wie sie krankgemacht werden. Dann bräuchte man auch
keine Antibiotika zu geben, und dann würde die Gefahr,
die in diesem Zusammenhang für die Bevölkerung, die
danach die Tiere essen soll, besteht, vermieden.
Ich freue mich, Herr Kollege Ströbele, dass Sie sich
sehr intensiv um dieses Thema kümmern. Ich darf Ihnen
noch einmal sagen: Das Kernproblem in der Wissenschaft ist die Resistenz bzw. sind die Resistenzbakterien.
Das ist auch in der Humanmedizin entscheidend. Auch
Sie bekommen, wenn Sie eine Lungenentzündung haben, ob Sie wollen oder nicht, Antibiotika verschrieben.
Natürlich wird der Mensch nicht aufgegessen; aber er
scheidet aus, und die menschliche Ausscheidung kommt
in den Kreislauf.
Zu Ihrem voraussichtlichen Erstaunen muss ich Ihnen
sagen, dass Resistenzbakterien auch bei Tieren festgestellt werden, die niemals mit Antibiotika behandelt
wurden. Deshalb ist die Resistenzstrategie eine Strategie, die sowohl in der Humanmedizin als auch in der
Tiermedizin generell auf die Reduktion des Einsatzes
von Antibiotika setzt.
Im Bereich der Tiermedizin - das möchte ich noch
einmal sagen - gibt es keine Belege für einen stärkeren
Einsatz in großen Betrieben. Im Gegenteil, die Studie
von Remmel belegt, dass größere Betriebe im Vergleich
zu kleineren Betrieben eher unterdurchschnittlich Antibiotika einsetzen. Es ist allerdings festgestellt worden,
dass auch in Ökobetrieben Resistenzbakterien im Fleisch
nachgewiesen werden.
({0})
Bevor ich die weiteren Fragesteller aufrufe, folgender
Hinweis an alle Fragesteller - wir sind ja in der Erprobungsphase, was unsere technische Neuerung angeht -:
Wenn das rote Licht leuchtet, dann haben Sie die eine
Minute definitiv überzogen. Die Zeit, die die Uhr dann
anzeigt, ist die, die Sie überziehen. Ich bitte Sie, darauf
zu achten, schon deshalb, weil jeder hier im Saal nachvollziehen kann, dass Sie sich nicht an die verabredete
Regel halten und dass es keine Gehässigkeit der Präsidentin ist, wenn sie Ihnen ins Wort fällt.
Mir liegen noch drei Wortmeldungen zu Nachfragen
zur Frage 1 vor; das sei geschäftsleitend bemerkt. Das
Wort hat die Kollegin Undine Kurth.
({0})
Herr Staatssekretär, Sie haben uns richtigerweise
mehrfach gesagt, dass Antibiotika nur an erkrankte Tiere
verabreicht werden. Nun kann man sich bei der Menge
der verabreichten Antibiotika zwar große Sorgen um den
Gesundheitszustand der Tiere in unseren Ställen machen, aber ich frage Sie mit Blick auf diese Feststellung,
was denn eigentlich die Minimierungsstrategie, die Sie
für den Antibiotikaeinsatz vorschlagen, bewirken soll.
Denn wenn nur erkrankte Tiere behandelt werden, die ja
behandelt werden müssen, ist eine Minimierungsstrategie eigentlich unlogisch.
({0})
Ihre Logik kann ich nicht nachvollziehen.
({0})
- Das ist grüne Logik. - Es ist unbestritten in der Wissenschaft und in der Medizin - darüber gibt es auch
keine parteipolitische Diskussion -, dass die Problematik der Resistenzbakterien uns alle betrifft. Das heißt,
wenn die Bakterien resistent sind, kann im Ernstfall bei
einer Erkrankung von Menschen ein entsprechendes Antibiotikum nicht mehr anschlagen, und dann könnte es
gefährlich werden. Deshalb ist es ausgesprochen wichtig, dass wir Antibiotika europaweit - auch die Kommission hat sich mit dem Thema beschäftigt; es wäre wünschenswert, wenn auch andere Staaten so weit wären wie
Deutschland - sowohl in der Tiermedizin wie auch in
der Humanmedizin treffsicher, zielgenau nur bei Erkrankungen einsetzen. Ich sage noch einmal: Natürlich sind
wir den Bundesländern, auch NRW, dankbar für die
durchgeführte Studie. Sie zeigt, dass es vor Ort offensichtlich Handlungsbedarf gibt.
({1})
Wir sagen in Richtung der Länder: Wenn Minister
Remmel vom Bundesland NRW jetzt, in diesem Dezember und Januar, offensichtlich feststellt, dass 96 Prozent
der Tiere betroffen sind, dann frage ich: Wo war er in
den letzten Jahren?
({2})
Wir haben seit 2008, also auch schon in der Großen Koalition, den fraktionsübergreifenden Konsens im Bundestag, dass die Minimierungsstrategie in der Tiermedizin vorangetrieben werden muss. Ich würde mich freuen,
wenn das in den Bundesländern genauso gesehen würde
und NRW nicht hinterherhinkt und mit dem Finger auf
Berlin zeigt, während es offensichtlich die größten Probleme im eigenen Land hat.
({3})
Der Kollege Oliver Krischer hat das Wort.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, dass wir
bei 96 Prozent der Tiere den Einsatz von Antibiotika
feststellen können, kann ich es nur als zynisch bezeichnen, wenn Sie in diesem Zusammenhang sagen, andere
Länder sollen zu Deutschland aufschließen. Wenn Sie
die anderen Länder auffordern, ähnliche Zahlen zu erreichen, ist das schon eine merkwürdige Betrachtung.
Mich würde interessieren, was die Bundesregierung
zu tun gedenkt, damit die Länder, die Sie hier kritisieren,
insbesondere Nordrhein-Westfalen, und die Sie auffordern, aktiv zu werden, an Informationen über die Vergabe von Antibiotika herankommen können, ob die Bundesregierung bereit ist, die entsprechenden gesetzlichen
Grundlagen zu ändern, damit die Länder an diese Informationen herankommen können und dann auch risikoorientiert überprüft werden kann. Denn wenn man weiß,
wo diese Antibiotika abgesetzt werden, zum Beispiel
über welche Tierärzte das läuft, dann ist auch eine bessere Kontrolle möglich.
Das ist einer der wichtigsten Bereiche. Deshalb sage
ich Ihnen, was alles schon auf den Weg gebracht wurde:
Seit 2011 werden die Mengen von Antibiotika, die an
Tierärzte abgegeben werden, nach der DIMDI-Verordnung erfasst.
({0})
Wir haben diese Verordnung vor zwei Jahren geändert.
Die Länder haben nun die entsprechenden Daten - auch
Herr Minister Remmel - und können den Tierärzten Vorgaben machen.
Mit der neuen AMG-Novelle haben wir den Ländern
effektivere Möglichkeiten gegeben, auf diese Daten zuzugreifen. Wir haben die Ausnahmen für die Geflügelzucht gestrichen. Das heißt, auch hier kann bis auf die
zweite Postleitzahl genau durchgegriffen werden.
Es gibt ein Forschungsprojekt zur repräsentativen
Verbrauchsmengenerfassung durch das BfR. Mitte dieses Jahres werden wir wissenschaftliche Ergebnisse vorlegen, die zeigen, ob es wirklich zutrifft, dass in den Regionen, wo hohe Mengen abgegeben werden, verstärkt
Resistenzen auftreten.
Seit 2011 gibt es - ich habe es gerade erwähnt - die
Pflicht zur Erfassung der Mengen von abgegebenen Antibiotika. Die Daten sind in den Ländern also vorhanden.
Die verantwortlichen Kontrollbehörden und die zuständigen Minister werden auf diese Daten zugreifen, sie
analysieren, Schwerpunkte erkennen und handeln. Sie
haben also jede Zugriffsmöglichkeit. Mit der AMG-Novelle geben wir ihnen verbesserte Kontrollmöglichkeiten, die sie in die Lage versetzen, dort, wo sie einen begründeten Verdacht haben, direkt einzugreifen.
Ich möchte zunächst einen Hinweis für diejenigen geben, die uns nicht so oft in der Fragestunde begleiten. In
der Fragestunde hat der Abgeordnete, der eine Frage
schriftlich gestellt hat, die Möglichkeit, zwei Nachfragen
zu stellen. Jeder andere Kollege und jede andere Kollegin kann eine Nachfrage stellen. Es gab einige Doppelmeldungen, die ich gemäß unserer Geschäftsordnung
nicht berücksichtigen konnte.
Ich rufe nun die Frage 2 des Kollegen Friedrich
Ostendorff auf:
Warum schafft die Bundesregierung nicht die gesetzliche
Grundlage dafür, dass bei der Verschreibung von Medikamenten für die Tierhaltung die Daten vom behandelnden Tierarzt
und Landwirt sofort zentral erfasst und den Landeskontrollbehörden zugänglich gemacht werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Mit der
16. AMG-Novelle soll eine Ermächtigung - damit
komme ich genau auf das zurück, was ich soeben ausgeführt habe - für die Regelungen geschaffen werden, die
den Tierarzt verpflichten, Nachweise über die Abgabe
und Anwendung bestimmter Arzneimittel der zuständigen Behörde zusammengefasst zu übermitteln, sofern
die Behörde die Zusendung anordnet. Damit sollen die
zuständigen Landesbehörden in die Lage versetzt werden, ihre Überwachungsaufgaben noch effektiver als bisher wahrzunehmen.
Durch die Regelung wird es ermöglicht werden, dass
Verbrauchsmengen von Antibiotika, die von einzelnen
Tierärzten verschrieben werden, der zuständigen Behörde auf deren Verlangen zur Verfügung stehen. Jeder
Betrieb, jeder Tierarzt in jeder Region muss den Einsatz
von Antibiotika dokumentieren. Dies kann abgefragt
und kontrolliert werden. Wir fordern die Bundesländer
auf, dies zu tun und uns den Stand der Kontrollen - etwas Ähnliches gibt es im Futtermittelbereich - am Ende
des Jahres zu übermitteln. Dann können wir sehen, wer
in Bezug auf Quantität und Qualität der Kontrollen diese
Anforderungen im Interesse der Verbraucherinnen und
Verbraucher erfüllt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, schönen Dank. Sie sind auf meine
zweite Frage - das ist ein Fortschritt - ziemlich konkret
eingegangen.
Vonseiten des Bundesministeriums bzw. der Bundesministerin ist ein nachsorgender Ansatz gewählt worden.
Das führt mich zu der Nachfrage: Ist angesichts der Dramatik in deutschen Tierställen, was die Abgabe von Antibiotika angeht, nicht ein vorsorgender Ansatz zu wählen? Ist die Bundesministerin nicht auch der Meinung,
dass im Sinne des Verbraucherschutzes hier vorsorgend
gearbeitet werden muss? Das heißt, das, was im Tierstall
verabreicht worden ist, muss zwingend und kann nicht
auf freiwilliger Basis erfasst werden. Diese Daten müssen für die Kontrollbehörden jederzeit und nicht erst bei
dem begründeten Verdacht, dass es zu einer missbräuchlichen Anwendung gekommen ist, einsehbar sein. Wie
steht also die Ministerin zu diesem vorsorgenden Ansatz?
Herr Kollege Ostendorff, ich stelle mit Blick auf den
Antibiotikaeinsatz noch einmal fest: Jeder Betrieb, jeder
Bauer muss jede Ampulle, jede Spritze dokumentieren,
die verabreicht wird. Jeder Tierarzt darf Antibiotika nur
dann verordnen, wenn er das Tier vorher untersucht hat.
Er muss dies dokumentieren und der Behörde auf Nachfrage entsprechende Nachweise liefern. Das ist die Ausgangslage.
Also, die Daten sind vorhanden und werden ab 2012
auch den Behörden zur Verfügung stehen. Seit 2011 wird
nach der DIMDI-Verordnung und dem AMG die Abgabe
von Antibiotika tierarztbezogen und bundeseinheitlich
zentral erfasst.
Eine Forderung, die Herr Kollege Priesmeier angesprochen hat, möchte ich gleich aufgreifen. Es geht um
die Frage: Ist es sinnvoll, wenn der Bund auf Bundesebene eine zentrale Datenbank vorhält, oder ist es nicht
sinnvoller, dieses Kontrollsystem vor Ort in den Betrieben, wo die Tierärzte wöchentlich oder zum Teil täglich
kommen und die Tiere und die Bauern kennen, also nahe
am Stall, in der Region und bei den Ländern, zu belassen? Im Übrigen sind die Länder in keiner Weise bereit,
auf diese Aufgabe zugunsten des Bundes zu verzichten.
Wir halten dies auch für effektiv. Es muss aber sichergestellt sein, dass die Länder diese Kontrollaufgabe auch
wahrnehmen. Die Daten haben sie. Sie haben den Zugriff und die Möglichkeit, sich all diese Einzeldaten zu
holen.
Ihre zweite Frage.
Den Verzicht der Länderzuständigkeit hat heute niemand gefordert. Von daher halte ich dies für etwas nebulös.
Auch wir sind in der Lage, zu lesen. Wenn man wirklich liest, Herr Staatssekretär, kann auch hier ein Bildungseffekt einsetzen. In der nordrhein-westfälischen
Studie sieht man, dass die Haltungssysteme sehr wohl
mit der Höhe des Antibiotikaeinsatzes korrespondieren.
Das ist in der nordrhein-westfälischen Studie im Gegensatz zur niedersächsischen Studie eindeutig festgehalten
worden. Die niedersächsische Studie hat das nicht getan.
Das führt mich zu der Frage: Die Nordrhein-Westfalen
haben daraus eine Datenbank gemacht. Wir haben in
Nordrhein-Westfalen das beispielhaft gemacht, was Sie
noch installieren wollen, uns aber noch nicht richtig mitteilen wollen. Warum nutzen Sie nicht die Grüne Woche
mit Nordrhein-Westfalen zusammen, um das zu einem
Bundesmodell zu machen?
Es ist erfreulich, wenn NRW eine Länderdatenbank
hat. Umso erstaunlicher ist es, dass der NRW-Minister
diese Daten von angeblich 96 Prozent übermittelt. Ich
sage da nur: Was nutzt eine Datenbank, wenn die Kontrollbehörden nicht tätig werden? Die Datenerfassung ist
das eine. Es müssen jedoch effektive Strukturen für risikoorientierte Kontrollen in den Betrieben, aber auch für
die Überwachung der Tierärzte geschaffen werden. Das
ist Aufgabe der Länder. Hier hat der Bund keine Zuständigkeit. Wir wollen die Tierärzte bundesweit nicht unter
Generalverdacht stellen. Aber dort, wo es schwarze
Schafe am Markt gibt, ist dringender Handlungsbedarf
geboten.
Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn zu einer
Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie erwähnen immer die Studie
aus Nordrhein-Westfalen. Ich möchte hinzufügen, dass
die Studie aus Niedersachsen praktisch zu den gleichen
Ergebnissen kommt. Wir haben im nördlichen Teil von
Nordrhein-Westfalen und im südlichen Teil von Niedersachsen die größte Massentierhaltungsregion in ganz
Deutschland. Also gibt es in dieser Region natürlich
auch bei der Vergabe der Medikamente einen Zusammenhang.
Sie versuchen, sich jetzt herauszureden. Die Länder
sagen eindeutig, sie brauchen die Daten zentral und sie
brauchen sie sofort. Von daher löst die Regelung, die Sie
vorgeschlagen haben, nämlich dass jeder die Daten vor
Ort erheben kann, das Problem nicht; denn es gibt auch
Betriebe, die in der Nähe der Grenze liegen. Es kann
sein, dass der Tierarzt auf der anderen Seite der Grenze
ist. Warum erheben Sie die Daten nicht zentral, wenn die
Länder es so wollen, und stellen sie ihnen sofort zur Verfügung, damit sie endlich einmal zum Vollzug - dass sie
dies nicht tun, werfen Sie ihnen derzeit vor - kommen
können?
Wie so häufig liegen wir an dieser Stelle gar nicht
weit auseinander. Ich habe vorhin in einem Nebensatz
gesagt, dass wir am Ende des Jahres von den 16 Bundesländern einen jährlichen Futtermittelüberwachungsplan
bekommen, dem man entnehmen kann, wer in welcher
Qualität und welcher Tiefe und mit welchen Ergebnissen
kontrolliert. Wir schlagen den Ländern vor, dass wir
auch auf Bundesebene am Ende des Jahres einen solchen
Bericht zur Umsetzung des AMG im Bereich der Antibiotika vorgelegt bekommen. Denn dann haben wir diesen länderübergreifenden Austausch von Informationen,
der natürlich sinnvoll ist. Ich kann mir nur schlecht vorstellen, dass Niedersachsen und NRW keinen gegenseitigen Austausch von Daten über mögliche Risiken oder
Probleme in diesem Bereich vornehmen.
({0})
Kollegin Höhn, wir sind gerade nicht im Dialog. Zur Geschäftsordnung hat der Kollege Volker Beck das
Wort.
Ich denke, nach dem bisherigen Verlauf der Fragestunde - obwohl wir die Fragen sicher noch weiter abarbeiten sollten, um eine geeignete Grundlage zu erhalten - sollten wir nachher eine Aktuelle Stunde zum
Thema Haltung der Bundesregierung zum massiven Einsatz von Antibiotika in der industriellen Tierhaltung
durchführen. Ich beantrage das hiermit im Namen meiner Fraktion.
Volker Beck ({0})
Jenseits der einzelnen administrativen Fragen scheint
bei der Bundesregierung nicht verstanden worden zu
sein, dass die industrielle Tierhaltung, wie wir sie heute
kennen, der Grund für diesen massiven Antibiotikaeinsatz ist. Hierüber müssen wir sehr grundsätzlich diskutieren. Dazu möchten wir dem Haus nachher die Gelegenheit geben.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zur Antwort
der Bundesregierung auf die Fragen 1 und 2 zum Thema
Eindämmung des massiven Einsatzes von Antibiotika in
der industriellen Tierhaltung eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Das heißt, die Aussprache findet im Anschluss an die Fragestunde statt. Damit korrigiere ich
meine Eingangsbemerkung zu Beginn der Sitzung. Die
Aktuelle Stunde, die von der Koalition beantragt wurde,
verschiebt sich damit auf morgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gleichwohl habe ich
noch fünf Wortmeldungen für Nachfragen zur Antwort
des Herrn Staatssekretär auf die Frage 2. Da sich erkennbar auch weitere Fragen mit diesem Themenbereich beschäftigen, mache ich auf Folgendes aufmerksam: Sollten Kolleginnen und Kollegen ihren Nachfragebedarf
verschieben wollen, bitte ich, mir das zu signalisieren,
damit wir an dieser Stelle weiterarbeiten können.
Jetzt hat erst einmal die Kollegin Elisabeth
Scharfenberg das Wort.
Vielen Dank. - Ich habe bezüglich der multiresistenten Keime eine Nachfrage. Teilt die Bundesregierung die
Einschätzung, die unter anderem auch von Professor
Karsten Becker von der Uniklinik Münster geäußert
wurde, dass nämlich die Entwicklung der MRSA-Keime
aus der Landwirtschaft, also der LA-MRSA, bedrohlich
ist und einzelne Isolate bereits die gefährlichen Eigenschaften der MRSA-Keime aus den Krankenhäusern,
also der HA-MRSA, besitzen?
Frau Kollegin, im Sinne der Wissenschaftlichkeit
sollte man so verfahren, dass Sie mir dieses Gutachten
des Herrn Professor Becker, das mir nicht bekannt ist,
vorlegen; dann erhalten Sie eine wissenschaftliche Bewertung.
Jetzt fragt der Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier nach.
Herr Kollege, ich habe eine Frage zu der vorhin von
Ihnen dargestellten Systematik der Überwachung des
Einsatzes von Arzneimitteln und speziell von Antibiotika in den Betrieben. Wir alle wissen: Es gibt bei den
Tierärzten viele Kollegen aus den Niederlanden. Es gibt
auch viele Landwirte aus den Niederlanden, die mittlerweile in Deutschland Betriebe bewirtschaften. Wie stellen Sie sicher, dass die Mengen, die von diesen holländischen Tierärzten, von denen unter anderem auch
deutsche Landwirte betreut werden, verordnet und in
den Verkehr gebracht werden, ordnungsgemäß erfasst
werden? In welcher Weise überprüfen Sie diese Praxen,
die in Deutschland tätig sind?
Herr Kollege Priesmeier, die Frage der Antibiotikaresistenz und auch die Frage des Tierarzneimitteleinsatzes ist in den grenzüberschreitenden Regionen natürlich
ein grenzüberschreitendes Thema. Selbstverständlich
haben sich auch niederländische oder belgische Tierärzte
an das deutsche Recht zu halten, wenn sie in deutschen
Beständen Arzneimittel verordnen; sie unterliegen den
entsprechenden Kontrollen und, wenn sie gegen das
Recht verstoßen sollten, den vorgesehenen Sanktionen.
Sie können jetzt keine Nachfrage stellen. Aber wenn
ich es richtig sehe, haben Sie eine eigene Frage dazu eingereicht. - Das Wort hat die Kollegin Maisch.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Nachfrage zu dem,
was Sie zum ordnungsgemäßen Antibiotikaeinsatz gesagt haben. Sie haben gesagt: Wenn man diese Medikamente ordnungsgemäß verabreichen will, dann muss
man jedes einzelne Tier untersuchen. - Meine Frage ist
jetzt: Wie realistisch ist das angesichts von Ställen mit
mehreren Zehntausend Hühnchen? Wie wird das in der
Praxis ordnungsgemäß gemacht: Wie nimmt man bei
30 000, 40 000 oder 50 000 Hühnchen Einzeluntersuchungen vor?
Ausgangspunkt ist das Betriebsmanagement: Der
Bauer übt die Kontrolle über seine Tiere aus und muss
sie gewährleisten. Hier sind Standards in der Betriebsführung umzusetzen. Ich halte es für nicht standardgemäß, wenn einmal am Tag durch die Stallung gegangen
wird. Über diese Fragen werden wir diskutieren; darüber
wird natürlich auch vor Ort diskutiert. Notwendig ist ein
Monitoring der Bestände: Wie läuft das Betriebsmanagement? Je schneller man Auffälligkeiten erkennt,
desto schneller kann eingegriffen werden. In der Schweinemast muss dann möglichst beim Einzeltier eingegriffen werden: Es muss isoliert werden, oder es muss eine
Einzelabgabe erfolgen. Deshalb ist es wichtig, dass vor
Ort, in der Praxis, in der Ausbildung und im Tiermanagement, angesetzt wird.
Ich sage an der Stelle aber auch, dass wir die Tierhaltungsstandards - wir haben zu der Frage aktuell eine Arbeitsgruppe im Ministerium eingesetzt - weiterentwickeln müssen. Die Ministerin wird neue Vorschläge zum
Tierschutzrecht vorlegen. Wir haben die entsprechenden
Haltungsverordnungen, beispielsweise für die Schweinemast, geändert. Wir können uns im Bereich der Schweinemast Weiterentwicklungen vorstellen, aber auch - das
ist mir persönlich ein Anliegen - bei der Putenhaltung,
der Geflügelhaltung und Hähnchenmast.
({0})
Im Bereich der Putenhaltung haben die Verbände und
die Halter selber angekündigt, dass hier neue, weiter gehende Standards entwickelt werden müssen. Wir halten
das für dringend angebracht und notwendig.
({1})
Kollege Ebner, habe ich es richtig verstanden, dass
Sie verzichten? - Dann hat als Letzter zu dieser Frage
der Kollege Alexander Süßmair das Wort.
Herr Minister - ({0})
- Natürlich „Staatssekretär“, noch nicht „Minister“. ({1})
Wir sehen, dass die beiden Studien aus NRW und Niedersachsen zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Wenn
wir davon ausgehen - das tue ich jetzt einmal stellvertretend für uns alle hier -, dass die Behörden in NRW und
Niedersachsen im Großen und Ganzen ihrer Pflicht
nachkommen, dass auch die Ärzte ihrer Pflicht nachkommen und nach Recht und Gesetz vorgehen, dass
auch die Bauern ihre Arbeit nach bestem Wissen und
Gewissen tun, glaube ich nicht, dass Sie die Dimensionen richtig beschreiben, wenn Sie davon sprechen, dass
es sich vor allem um schwarze Schafe handelt. Nachdem
Sie ausgeführt haben, dass es nicht unmittelbar mit der
Größe der Betriebe zu tun hat, muss man sich schon die
Frage stellen, ob es hier eine generelle Problematik bei
den Haltungssystemen gibt.
Man muss hier, wenn ich das sagen darf, analog zur
Industrie vorgehen: Wenn es in einem Arbeitsprozess
häufig zu Unfällen kommt, dann kann man natürlich zu
dem Ergebnis kommen, dass hier menschliches Versagen
vorliegt. Dann kann man handeln, indem man die Mitarbeiter besser schult. Man kommt aber häufig zu dem Ergebnis, dass der Arbeitsprozess zu gefährlich ist und er
neu überdacht und anders angelegt werden muss, damit
die Zahl der Arbeitsunfälle reduziert werden kann. Sehen Sie es nicht auch so, dass Sie im Zusammenhang mit
der Reduzierungsstrategie die Haltungssysteme viel stärker unter die Lupe nehmen sollten?
Der Tierarzt Dr. Priesmeier wird Ihnen bestätigen,
dass das Tier auch nur ein Mensch ist, das heißt, es hat
eine Lunge und kann wie wir auch eine Lungenentzündung bzw. eine Erkältung bekommen. Das kann bei einem Einzeltier und auch bei jedem Einzelnen von uns
passieren. Wenn Sie gemeinsam mit 30 000 Menschen in
einem Stadion stehen, dann können Sie sich schneller infizieren.
Grundsätzlich müssen wir von der Seite des Tieres
her denken und festlegen, dass der Einsatz von Antibiotika bei ernsthaften Erkrankungen möglich sein muss.
Was seit 2006 verboten ist, ist der prophylaktische, flächendeckende Einsatz von Antibiotika. Jetzt muss die
Notwendigkeit des Einsatzes von Antibiotika durch einen Tierarzt einzeln diagnostiziert und verordnet werden. Anhaltspunkte, um daraus eine Diskussion über
Haltungssysteme zu machen, geben die derzeitigen Studien nicht her.
Ich sage noch einmal: Wir sind in diesem Bereich
sehr sensibel. Der Bund für Umwelt und Naturschutz hat
durch eine Untersuchung von 20 Hähnchenfleischproben
die Diskussion angestoßen. Das BfR macht erstmals
bundesweit repräsentative Erhebungen zu Verbrauchsmengen. Mitte 2012 werden wir wissenschaftsgestützt
Aussagen dazu machen können, ob die Haltungsformen,
die Größe der Stallungen und auch die Verabreichung
von Antibiotika wirklich auf Resistenzbakterien schließen lassen.
Zum Schluss möchte ich mich für die fachgerechte
Diskussion bedanken. Das Thema eignet sich gerade mit
Blick auf den Auftakt der Grünen Woche nicht zur Skandalisierung. Das ist kein Thema, hinter dem ein Skandal
steckt, sondern es ist ein Thema, das uns europa- und
weltweit berührt. Es besteht aber keine akute Gesundheitsgefährdung der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die
Frage 3 des Kollegen Dr. Wilhelm Priesmeier aufrufe,
sei mir der Hinweis gestattet, dass wir heute eine neue
Regelung zur Umsetzung unserer Ein-Minuten-Vereinbarung einführen, das heißt, es wird kein akustisches
Signal nach Ablauf der Antwortzeit bzw. der Fragezeit
geben, sondern es gibt optische Signale. Wenn die
Leuchte rot aufglimmt, dann ist tatsächlich sowohl die
Fragezeit als auch die Zeit zum Antworten beendet. Ich
bitte, darauf zu achten.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Dr. Wilhelm
Priesmeier auf:
Vizepräsidentin Petra Pau
Wie bewertet die Bundesregierung die Antibiotikaminderungsstrategien in den Niederlanden und in Dänemark, und
wird die Bundesregierung die Ergebnisse aus den Niederlanden und Dänemark für konkrete Minderungsziele in Deutschland nutzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wir lernen natürlich gerne, wenn es etwas zu lernen
gibt. Die Niederländer haben vorgegeben, sie hätten
stark reduziert. Es wurden Prozentangaben gemacht.
Maßgeblich ist aber immer die Ausgangsbasis, Herr
Kollege Priesmeier, Sie wissen das. Wir sind nicht zuletzt auch jetzt bei der Grünen Woche im freundschaftlichen Austausch mit den Niederländern, und wir werden
dieses Thema miteinander diskutieren.
Ihre erste Nachfrage.
Angesichts der Größenordnung des Antibiotikaeinsatzes in den Niederlanden besteht Nachholbedarf - da
gebe ich Ihnen recht -; denn der Einsatz pro Kilo erzeugtem Fleisch ist in den Niederlanden doppelt so hoch wie
in Deutschland. Im Vergleich dazu lässt sich beobachten,
dass der Arzneimittel- bzw. Antibiotikaaufwand in Dänemark bei der Hälfte liegt. Sehen Sie es nicht als ambitioniertes Ziel an, im Rahmen einer Antibiotikaminderungsstrategie den Antibiotikaeinsatz in Deutschland
zumindest kurzfristig zunächst um 30 Prozent abzusenken?
Darüber werden wir miteinander diskutieren, wenn
wir erstmals verlässliche Gesamtzahlen haben, die belegen, wie hoch der Einsatz im Augenblick ist. Sie als
Tierarzt wissen genau: Es kommt nicht nur darauf an,
Mengen zu reduzieren, sondern es geht auch darum, Vorgaben zu machen, wie ein spezielles modernes Antibiotikum treffsicher eingesetzt werden soll und kann.
Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen; denn in
der Novelle zum AMG haben wir konkrete Vorgaben
gemacht, die Treffsicherheit eines Antibiotikums mit
Wirksamkeitsuntersuchungen zu unterlegen. Es soll
nicht wahllos der Verordnungsblock gezückt werden.
Vielmehr soll eine Verordnung treffsicher zur entsprechenden Krankheit passen. Dazu muss eine Wirksamkeitsuntersuchung vorgenommen werden. Die Tierärzte
begleiten dies wissenschaftlich. Sie sind bestens ausgebildet und in dieser Frage jetzt natürlich noch mehr als
bisher gefordert.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Erkennen Sie nicht, dass wir die gleiche Situation in
anderen Bereichen der Lebensmittelüberwachung und
bei der Kontrolle von Standards, für die die Länder zuständig sind, haben? In all diesen Fragen erleben wir,
dass die jeweiligen Verantwortlichkeiten anderen zugeschoben werden, und wir beobachten Vollzugsdefizite
auf der Länderebene. Ist es nicht unsere Aufgabe, diesem Problem gemeinsam zu begegnen und ein gemeinsames Konzept zu erarbeiten?
Ja, selbstverständlich. Heute beginnt die Amtschefkonferenz. Die Bundesländer haben bereits reagiert.
Frau Ministerin hat die AMG-Novelle vorgelegt, bevor
die NRW-Studie bekannt wurde. Wir haben das Thema
seit Jahren im Fokus; das habe ich dargelegt.
Ich sage noch einmal, was mit dem Gesetzentwurf
konkret auf den Weg gebracht wird. Ich bitte darum, bei
den Bundesländern dafür zu werben, dies zu unterstützen. Wir werden den Überwachungsbehörden der Bundesländer einen erweiterten Zugriff auf die Daten bezüglich der erfassten Abgabemengen ermöglichen. Wir
werden Tierärzte verpflichten, auf Ersuchen der Länderbehörden alle Daten zur Abgabe und Anwendung von
Antibiotika zusammengefasst zu übermitteln. Für Antibiotika soll die Möglichkeit zur Umwidmung drastisch
eingeschränkt werden; für Sie als Tierarzt ist das nachvollziehbar. Beim Wechsel des Wirkstoffes, vor einer
eventuell erforderlichen Umwidmung usw. soll die Erstellung eines sogenannten Antibiogramms verpflichtend vorgeschrieben werden.
({0})
Behörden, die Betriebe zum Beispiel im Bereich Tierschutz und Lebensmittelhygiene kontrollieren, werden
verpflichtet, die Datenerkenntnisse, die auf einen Verstoß hindeuten, den zuständigen Stellen zuzuleiten.
Wir schaffen also Transparenz. Wir schaffen die Möglichkeit der Datenerhebung, des Zugriffs und der Kontrollen. Jetzt sind die Länder gefordert. Diese Studie in
NRW war ein zusätzlicher Anlass, das Thema nicht unten, sondern ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen.
Wir brauchen eine gemeinsame Strategie der 16 Bundesländer mit der Bundesministerin. Frau Aigner hat reagiert. Die AMG-Novelle zeigt alles auf, was aus Sicht
des Bundes machbar ist. Wir sind bereit, hier einzugreifen, um eine noch schnellere Umsetzung und eine Verstärkung der Möglichkeiten der Länder zu erreichen.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie wie auch Ihre Kolleginnen und Kollegen auf der Regierungsbank darauf aufmerksam machen, dass wir für Sie über den Hammelsprungtüren auch das entsprechende Lichtsignal haben.
Ich schaue nur auf Sie.
({0})
Das ehrt mich, aber ich bitte Sie, Ihre Aufmerksamkeit gelegentlich auch dorthin zu richten. Abgesehen davon, wenn Sie auf mich schauen, müssten Sie doch eigentlich das Signal auch verstehen.
Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen Dr. Wilhelm
Priesmeier:
Ist nach Einschätzung der Bundesregierung die Erfassung
von Antibiotikaverordnungen in Betrieben und Tierarztpraxen,
die länderübergreifend arbeiten, mit den angekündigten Maßnahmen möglich, und wie sollen nach Einschätzung der Bundesregierung die Ländervollzugsbehörden ein realistisches
Überwachungskonzept erarbeiten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Datenerfassung von Arzneimitteln mit antimikrobieller Wirkung nach der DIMDI-Arzneimittelverordnung bezieht die Antibiotika ein, die von pharmazeutischen Unternehmen oder Großhändlern an Tierärzte
abgegeben werden. Die tatsächlichen Verbrauchsmengen werden, wie von mir schon dargestellt, in einer zurzeit laufenden Studie des BfR repräsentativ erfasst.
In jedem landwirtschaftlichen Betrieb werden alle
Behandlungen an lebensmittelliefernden Tieren dokumentiert. Jeder Tierarzt, der lebensmittelliefernde Tiere
behandelt, muss die Tierarzneimittelgabe dokumentieren. Erhält die zuständige Behörde Hinweise auf konkrete Verstöße gegen arzneimittelrechtliche Vorschriften,
muss sie diesen nachgehen. Ich wiederhole noch einmal,
was ich vorhin schon gesagt habe: Die Voraussetzungen,
wirksam einzugreifen, sind geschaffen.
Ihre erste Nachfrage.
Ist es Ihrer Einschätzung nach in diesem System ausgeschlossen, dass Antibiotikamengen über das normal
erforderliche Maß hinaus verordnet werden, und wie
werden der zuständigen Behörde Verdachtsmomente bekannt? Könnten Sie mir diesen Vorgang einmal erläutern?
Wir haben zwar rechtliche Vorgaben, es ist jedoch wie
im Strafrecht: Mord ist verboten; es ist aber nicht ausgeschlossen, dass ein Mord geschieht.
({0})
Ihre zweite Frage.
Teilen Sie vielleicht meine Einschätzung, dass es, um
den Antibiotikaverbrauch und den Aufwand zu minimieren und den Hygienestatus in den Beständen zu verbessern - ein schlechter Hygienestatus ist häufig der Grund
für höhere Erkrankungsraten und vielfach für die Verordnung von Antibiotika -, an der Zeit ist, am jeweiligen
Betrieb und an der jeweiligen Tierarztpraxis vor Ort anzusetzen, und dass allgemeine Monitoringprogramme in
diesem Zusammenhang zwar Erkenntnisse liefern, aber
wenig hilfreich sind?
Nein, Monitoringprogramme zeigen natürlich Problembereiche auf. Wenn ein Monitoring ergibt, dass in
bestimmten Regionen - diese sind nach Postleitzahlen
herauszufiltern - ein doppelt so hoher Antibiotikaeinsatz
festzustellen ist, dann ist der Verdacht gegeben, dass dort
nicht mit der notwendigen Sorgfalt vorgegangen wird.
Hier muss zumindest die Frage des Betriebsmanagements aufgeworfen werden. Dann müssen sich Tierärzte
und Behörden die Betriebe anschauen.
An dieser Stelle sage ich für die Nichtlandwirte und
die Zuhörerinnen und Zuhörer: In der jetzigen Zeit, in
der man sich zum Beispiel schnell erkältet, muss man
natürlich auch etwas für die eigene Fitness und Gesundheit tun, damit man resistent ist und sich nicht erkältet
oder an einer Lungenentzündung erkrankt. Das ist auch
bei Tieren so.
({0})
Die Frage ist: Wie behandelt man die Tiere? Je besser
man sie behandelt, desto fitter sind sie. Wir könnten uns
beispielsweise über die Lüftungen unterhalten. Es geht
auch um die Entmistung. Es geht aber auch um die
Frage: Wie schnell wird bei Entzündungen eingegriffen?
Als Tierarzt wissen Sie, dass von diesem Problem leider
nicht nur Puten, sondern auch andere Tiere betroffen
sind. Hier muss angesetzt werden, damit wir den Einsatz
von Antibiotika gar nicht erst benötigen. - Wie ich sehe,
habe ich wieder überzogen.
Aber wir werden uns weiter mit dieser Frage befassen. - Der Kollege Kelber hat eine Nachfrage.
Vor meinem geistigen Auge sah ich den Parlamentarischen Staatssekretär gerade mit Hühnchen zur Abhärtung Morgengymnastik machen.
Es ist ja so, dass Veterinäre nicht nur bundesländerübergreifend, sondern in zunehmendem Maße auch staatenübergreifend arbeiten. Wie groß ist nach Auffassung
der Bundesregierung die Begeisterung in Den Haag,
wenn dort parallel 16 Rechtshilfebegehren zur Aufklärung solcher Fälle eintreffen? Beschleunigt es das Finden einer Lösung, wenn dies 16-mal parallel passiert?
Das beschleunigt das Verfahren nicht. Das zeigt vielmehr die Kehrseiten des Föderalismus und die Probleme
eines offenen Marktes. Wir betrachten dies aber als
Chance. Die Europäische Kommission ist gefordert, aus
ihrem Aktionsplan, der nur eine Diskussionsgrundlage
ist, einheitliche Standards zu entwickeln. Es ist doch
vollkommen klar, dass es in den Niederlanden, in Frankreich, Dänemark und Deutschland - diese Länder haben
intensive Beziehungen zueinander; Tierärzte können
über die Grenzen hinweg tätig sein und Tierarzneimittel
über die Grenzen hinweg bezogen werden - ein abgestimmtes Vorgehen der Behörden geben muss, und zwar
auf der Basis eines möglichst einheitlichen Rechtsrahmens. Das würde ich mir wünschen.
Die letzte Nachfrage zu dieser Frage stellt die Kollegin Behm.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, Sie haben sich
vorhin so geäußert: Wenn der Antibiotikaverbrauch in
den Ställen in Nordrhein-Westfalen so groß ist, warum
kommt Minister Remmel erst jetzt damit herüber? - Wir
wissen, warum das so ist: Vorher gab es dort einen anderen Minister.
Ich würde gerne wissen, ob die Bundesregierung die
Ergebnisse der Studien aus Nordrhein-Westfalen und
Niedersachsen zum massiven Einsatz von Antibiotika in
der Tierhaltung für länderspezifisch hält - also: Schuld
Remmel - oder ob sie darin ein generelles, bundesweites
Problem sieht.
Frau Kollegin Behm, in Deutschland obliegt die Kontrolle der Umsetzung der Gesetze - und somit auch des
Arzneimittelgesetzes - der Länderzuständigkeit.
Wir sind aber Gott sei Dank ein Land mit offenen
Grenzen, und deshalb sind die Bundesländer natürlich
aufgefordert, genauso wie im Bereich der Lebensmittelüberwachung gemeinsame Audits und Standards zu entwickeln. Das sehe auch ich durchaus so. Denn es kann
nicht sein, dass ein Land zufällig oder überzufällig
- jetzt meine ich NRW - eine Studie durchführt und sich
des Themas widmet. Vielmehr brauchen wir in allen
16 Bundesländern vergleichbare Standards für die Kontrollen, die Umsetzung, die Einhaltung und die Sanktionierung von Verstößen.
Ähnlich wie im Futtermittelbereich brauchen wir am
Ende des Jahres einen kompletten Überblick, damit wir
in Problemfällen gemeinsam handeln können.
Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Rita SchwarzelührSutter auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die zentrale Erfassung
der Antibiotikaverordnungen nach bundeseinheitlichen Kriterien, und ist die Bundesregierung bereit, die Voraussetzungen
dafür zu schaffen?
Zur Beantwortung steht noch immer der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Aus unserer Sicht liegen keine Erkenntnisse vor, die
einen solchen Eingriff, das heißt die Forderung nach
einer Bundesdatenbank und einer automatischen Speicherung aller vorliegenden Daten, jetzt hinlänglich begründen würden. Das käme einer bundesweiten Vorratsdatenspeicherung ohne begründeten Verdacht gegen die
Mehrheit der Tierärzte und Tierhalter gleich und wäre
zumindest verfassungsrechtlich bedenklich.
({0})
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Man könnte es so formulieren, dass die Vorratsdatenspeicherung der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger
dienen würde. Das müsste man noch einmal prüfen.
Vor dem Hintergrund möchte ich noch einmal nachfragen. Sie lassen zwar kein Interesse in diese Richtung
erkennen, aber es wäre doch insbesondere vor dem Hintergrund, dass Sie die Tätigkeiten der 16 Bundesländer
koordinieren wollen, wichtig: Haben Sie keinen Ansatz,
um sicherzustellen, dass die Länderbehörden ihre jeweilige Antibiotikaverordnung mit bundeseinheitlichen Kriterien anwenden und auch ihrer Überwachungspflicht
nachkommen? Denken Sie nicht, dass das auch im Sinne
der Verbraucher wäre?
Frau Kollegin, die Bundesländer haben die Möglichkeit - und einzelne nutzen sie auch -, länderspezifische
Datenbanken aufzubauen. Dies ist sinnvoll und möglich.
Wir sehen keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn, wenn
wir in diesem Bereich eine Bundesdatenbank aufbauen
würden. Dies würde keine zusätzliche Erkenntnis bringen.
Wenn zum Beispiel Bayern, Baden-Württemberg und
Niedersachsen den Einsatz von Tierarzneimitteln in eigenen Datenbanken aufnehmen, dann erkennen sie auch
vor Ort, wo es Schwerpunkte gibt und wo Handlungsnotwendigkeiten bestehen. Das ist meiner Meinung nach
sinnvoll, und dafür haben wir mit der AMG-Novelle
noch einmal bessere Voraussetzungen geschaffen. Die
Länder bekommen auch alle Daten, und zwar nach den
ersten beiden Ziffern der Postleitzahl gegliedert.
Darüber hinaus haben wir die Ausnahme für Geflügel
abgeschafft.
({0})
Auch die Daten über die Antibiotikamenge bei Geflügel
können von den Ländern nun in ihre Datenbanken eingestellt werden.
Respekt, Herr Staatssekretär! Das war eine Punktlandung. - Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Sie sagten, Herr Staatssekretär, jedes Bundesland betreibe diese Datenspeicherung; sie scheint also gesetzmäßig zu sein. Vor diesem Hintergrund stellt sich mir die
Frage, warum die Bundesregierung die Datenbanken
nicht koordiniert. Schließlich kommt es zu Verflechtungen, beispielsweise wenn Tierhandel betrieben wird und
Tiere in ein anderes Bundesland transportiert werden.
Warum will die Bundesregierung diese Datenbanken
nicht koordinieren oder zumindest Auffälligkeiten registrieren?
Unsere Vorstellung ist, dass die 16 Bundesländer ihren Aufgaben effektiv gerecht werden, diese Daten vor
Ort erheben und auswerten, entsprechend tätig werden
und mindestens einmal am Ende des Jahres sozusagen
einen Überblicksbericht an die Bundesebene abgeben,
und wir uns dann mit den Bundesländern über unterschiedliche Standards, die Kontrollintensität, die Kontrollqualität und die unterschiedlichen Mengeneinsätze
unterhalten. Das wäre dann so wie im Futtermittelbereich. Dort erhalten wir jeweils am Ende eines Jahres
einen solchen Kontrollbericht und werden dann gemeinsam tätig, wenn wir das Gefühl haben, dass ein Bundesland etwas nachlässiger ist.
Es gibt also den Wunsch bzw. das Ziel in dieser föderalen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, dass
uns die Länder hier mit einbeziehen.
({0})
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Rita SchwarzelührSutter auf:
Wann ist mit der Vorlage einer Antibiotikaminimierungsstrategie, die klare Aktions- und Schwellenwerte für die tierhaltenden Betriebe enthält, zu rechnen, und werden darin betriebsbezogene Sanierungsprogramme vorgesehen sein?
Die Antibiotikaminimierungsstrategie haben wir bereits vor Jahren auf den Weg gebracht; ich habe das sehr
ausführlich dargestellt. Mit der jetzt laufenden Datenerfassung, für die wir im vergangenen Jahr die gesetzliche
Grundlage geschaffen haben, werden wir erstmals Mitte
2012 repräsentative und aktuelle Daten bekommen - auch
über die Mengen und über die regionalen Schwerpunkte
des Einsatzes. Dann werden wir das gemeinsam mit Ihnen
im Fachausschuss und mit unseren Wissenschaftlern auswerten und entsprechende Schlüsse ziehen.
Ein Schluss ist sicherlich - das habe ich immer wieder gesagt -: Mit betriebsbezogenen Sanierungsprogrammen und der Gesundheitvorsorge muss man im eigenen Stall anfangen. Das ist ganz klar. Zur Tierhygiene
und zu den Tierhaltungsstandards habe ich Notwendiges
gesagt, wobei ich auch zwischen der Schweinemast und
der Putenmast unterschieden habe. Auch hier werden
wir mit den Wissenschaftlern genau ins Auge fassen, wo
es größere und kleinere Probleme gibt.
Ich kann Ihnen beispielsweise sagen: Im Bereich der
Schweinemast gibt es schon moderne neue Vorstellungen. Und auch die Fleischindustrie sagt: Wir setzen hier
Standards und werden es den Bauern honorieren, wenn
sie eine Weiterentwicklung der heutigen Standards mittragen. Für den Bereich der Putenmast wurden neue Vorschläge angekündigt. Ich sage es noch einmal: Das halte
ich auch für dringend notwendig.
Diese Themen stehen also an, sobald wir die Werte
durch unsere Bundesoberbehörden vorliegen haben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, das heißt also, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher, bis das umgesetzt wird,
Glück haben und darauf vertrauen müssen, dass sie ein
Hühnchen mit möglichst wenig Antibiotika vor sich haben. Der Verbraucher hat keine Handhabe, und es gibt
kein Kennzeichen oder etwas anderes. Er ist eigentlich
darauf angewiesen, dass das irgendwann einmal funktioniert und die Minimierungsstrategie dann auch greift.
Ich kann den Verbraucherinnen und Verbrauchern Lust
machen, auf der Grünen Woche in ein Hähnchen zu beißen. Ich habe gesagt, das Thema eignet sich nicht zur
Skandalisierung. Im Übrigen gibt es strenge Vorschriften
für die Gabe von Antibiotika vor Beendigung der Mast,
und es gibt in den schlachtenden Betrieben strenge Kontrollen des Fleisches auf Rückstände von Antibiotika. Der
Verbraucher muss und kann hier auf der sicheren Seite
sein. Das ist gewährleistet, und dafür stehen wir alle ein.
({0})
Ihre zweite Nachfrage. - Sie verzichten.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Ulrich Kelber auf:
Hält die Bundesregierung die Sammlung von Daten über
die verabreichten Antibiotikamengen und Substanzklassen zu
Monitoringzwecken für ausreichend, um den Ländern eine effiziente Überwachung zu ermöglichen, und welche Konsequenzen beabsichtigt die Bundesregierung im Hinblick auf
eine risikoorientierte Auswertung von tierhaltenden Betrieben
zu ziehen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Zunächst ist zwischen „Monitoring“ und „Überwachung“ zu unterscheiden. Es wird davon ausgegangen,
dass mit dem ersten Teil Ihrer Frage die Erfassung der
Menge gemeint ist, die vom pharmazeutischen Hersteller zum Tierarzt abgegeben wird. Die Erfassung der Abgabenmenge nach der DIMDI-Arzneimittelverordnung
dient ausschließlich Monitoringzwecken. Insoweit können Ergebnisse aus der Abgabemengenerfassung nur für
das Auffinden von Problembereichen, nicht jedoch für
konkrete Überwachungsmaßnahmen herangezogen werden. Die Resultate der Abgabemengenerfassung sollen
durch die Bundesoberbehörden zusammen mit Erkenntnissen aus dem wissenschaftlichen Resistenzmonitoring
verschiedener Keime im Hinblick auf die Entwicklung
und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen ausgewertet
werden. Inwieweit und auf welche Weise die Länder die
mit DIMDI-AMV bereitgestellten Daten nutzen, wird
sich zeigen.
Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ist es nicht vielmehr so, dass die
Bundesregierung mit dem Verweis auf eine reine Monitoringstrategie und mit dem Verweis, die Länder sollten
sich doch auf ein einheitliches System einigen, die Verantwortung ein Stück weit von sich schiebt? Wäre es
nicht besser, wenn auch die Bundesregierung einen Vorschlag für ein einheitliches, risikoabhängiges Untersuchungsmanagement machte? Würde das nicht mehr
Transparenz und damit Rechtssicherheit sowohl für die
Landwirte als auch für Bevölkerung schaffen?
Ich bin der festen Auffassung: je näher die Kontrolle
vor Ort, desto größer die Sicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Wie sollen wir in Berlin aus
einer Entfernung von 800, 700 oder 600 Kilometern
Hühnermast, Putenmast oder Schweinemast vor Ort mit
eigenen bundeseinheitlichen, angestellten Tierärzten
kontrollieren?
({0})
Nein, die Kontrolle ist effektiv organisiert.
Für die Verbraucherinnen und Verbraucher möchte
ich das noch einmal darstellen: Jeder Betrieb, der heute
in der Mast, in der Tierhaltung tätig ist, unterliegt strengen Vorgaben, wird von Amtstierärzten kontrolliert und
muss die Gesetze einhalten. Tierärzte werden von Amtstierärzten kontrolliert und müssen Erwerb und Verbleib
dokumentieren. Beim Schlachthof wird eine Eingangskontrolle der Tiere vorgenommen und eine Fleischkontrolle durchgeführt. Wir haben die bestkontrollierten und
bestüberwachten Lebensmittel und deshalb auch die gesündesten auf der ganzen Welt.
({1})
Herr Kollege Ulrich Kelber, Ihre zweite Nachfrage.
Vielen Dank. - Ich hatte natürlich nicht nach bundeseinheitlichen Tierärzten, sondern nach bundeseinheitlichen Regeln für die Tierärzte gefragt. Kommen wir zurück auf die Auswirkungen, die ein Verzicht auf
einheitliche Vorgaben und eine einheitliche Regelung
hätte. Wenn sich der Wunsch des BMELV erfüllen
würde, dass sich die Länder auf gemeinsame Verfahren
einigten, wenn später auch die Europäische Union zu
gleichen Regeln käme, könnte trotzdem noch folgender
Fall eintreten: Eine Veterinärfirma aus den Niederlanden
ist in der gesamten Bundesrepublik tätig. Jetzt muss sie
überprüft werden. Dann muss es weiterhin 16 individuelle Rechtshilfeersuchungsverfahren in Den Haag
geben. Ist das der Wunsch der Bundesregierung zur Lösung der Frage des Antibiotikaeinsatzes in der Massentierhaltung?
Herr Kelber, über all diese Bereiche können wir uns
natürlich unterhalten und überlegen, wie das System
noch effektiver ausgestaltet werden kann. Aber die
Grundaussage bleibt und wird auch in Zukunft so sein:
Kontrolle und Ausführung der Gesetze erfolgen vor Ort.
Dafür gibt es die Landratsämter, die entsprechenden
Überwachungsbehörden. Der gesetzliche Rahmen ist in
Ostfriesland genau so wie im Ostallgäu. Den setzt der
Bund, wir, Sie, als Gesetzgeber. Die Länder achten darauf, dass diese einheitlichen Gesetze einheitlich umgesetzt werden.
Etwas anderes ist die europäische Ebene. Ich gebe Ihnen durchaus recht: Da sprechen Sie einen Punkt an, an
dem ich Handlungsbedarf sehe, insbesondere weil ich
sehr genau weiß, dass wir sehr starke und gute grenzüberschreitende Beziehungen der Landwirte, aber auch
der Fleischwirtschaft in unserem Land haben. Deshalb
ist es notwendig, dass wir sehr schnell auch im europäischen Bereich einheitliche Standards schaffen, was die
gesetzlichen Vorgaben betrifft, aber auch - da gebe ich
Ihnen recht - in der Frage der Überwachung und der
Kontrolle der Abgabe der Arzneimittel durch Tierärzte
im grenzüberschreitenden Bereich.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Jetzt rufe ich die Frage 8 der Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß auf:
Wie schätzt die Bundesregierung die Belastung von Geflügelbeständen mit antibiotikaresistenten Keimen ein, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Verbraucherinnen und Verbraucher?
Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Drobinski-Weiß, ich habe im Prinzip viele dieser
Fragen schon allgemein oder speziell beantwortet. Aber
ich gehe noch einmal darauf ein.
Das BfR hat festgestellt, dass das Vorkommen von
antibiotikaresistenten Bakterien in Nutztierbeständen
und damit auch in Geflügelbeständen zunimmt. Das ist
der Kern des Problems, über das wir diskutieren.
({0})
Dies ist ein Grund dafür, dass das BMELV jetzt mit der
16. Novelle des Arzneimittelgesetzes Maßnahmen einleitet, die den Einsatz von Antibiotika weiter begrenzen
und damit das Risiko der antimikrobiellen Resistenz verringern.
Aus der Tatsache des Nachweises in Beständen ergeben sich für Verbraucherinnen und Verbraucher aber
jetzt keine gesundheitlichen Konsequenzen. Geflügelfleisch wird vor dem Verzehr erhitzt - Sie als Verbraucherpolitikerin wissen das -, und resistente Keime werden dabei abgetötet. Für die nicht so haushaltserfahrenen
Männer darf ich allerdings sagen: Wenn man rohes Geflügelfleisch mit dem Messer schneidet und anschließend auf die Idee kommt, damit in den Salat hineinzugehen, besteht die Möglichkeit der Übertragung solcher
Keime. Deshalb wäre es gut, das Fach Ernährungswirtschaft einzuführen - für Männer und Frauen.
({1})
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Drobinski-Weiß.
Die Kollegen danken Ihnen sicherlich für diesen Pflegehinweis. Sie werden ihn auch gewiss befolgen.
In der Tat haben Sie heute im Laufe der Fragestunde
schon einiges beantwortet. Uns interessiert noch eines.
Ich glaube, das haben Sie aber auch schon gesagt, nämlich dass Ihnen keine eigenen Untersuchungsergebnisse
vorliegen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen
Sie sich aber zukünftig darum kümmern. Die Frage ist,
ob das tatsächlich an dem ist und nicht auf den SanktNimmerleins-Tag verschoben wird.
Nein. Das BfR und das BVL sind längst an dem
Thema dran und untersuchen diese Fragen. Mitte 2012
werden wir, wie gesagt, erste Ergebnisse vorlegen, um
dann genau zum Kern zu kommen. Die Antibiotikaabgabe in bestimmten Regionen nach bestimmten Mengen
und die Frage, ob es einen Zusammenhang zum Auftreten von Resistenzbakterien gibt: Das ist der Kern des
Projektes.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin.
Meine Nachfrage bezieht sich auf die Frage 9.
Dann rufe ich jetzt Frage 9 auf:
Plant die Bundesregierung, wie in den Niederlanden, Antibiotikasubstanzklassen von der Anwendung in der Tierhaltung auszuschließen, und, wenn ja, welche?
Der Herr Staatssekretär wird sie beantworten. Bitte
schön.
In den Niederlanden gibt es nach hiesiger Kenntnis
bislang lediglich eine freiwillige Selbstverpflichtung der
Wirtschaft, Antibiotika der Substanzklassen Cephalosporinen und Fluorochinolone bei Schweinen nicht anzuwenden. Eine dahin gehende rechtlich verbindliche
Regelung existiert in den Niederlanden nicht. Das ist
rein freiwillig.
Ihre erste Zusatzfrage, Frau Kollegin DrobinskiWeiß.
Meine Frage ist, wie sich die Bundesregierung dazu
stellt. Würden Sie sie entsprechend ausschließen, und,
wenn ja, welche?
Wir werden das niederländische Modell nicht übernehmen.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin DrobinskiWeiß.
Im Fortgang dieser Fragestunde hat der Herr Staatssekretär auch meine zweite Nachfrage zu diesem Bereich
bereits beantwortet. Vielen Dank.
Vielen Dank. - Es gibt jetzt noch eine Nachfrage der
Frau Kollegin Birgitt Bender.
Ich frage klipp und klar: Warum verbietet die Bundesregierung nicht einfach die Umwidmung von Antibiotika
aus der Humanmedizin für die Tiermedizin?
Als Nichtmediziner nehme ich an der Stelle die Frage
erst einmal auf. Wir werden im Haus diskutieren, ob das
ein Weg ist.
Vielen Dank, Frau Kollegin Bender.
Jetzt kommen wir zu Frage 10 unserer Kollegin
Kerstin Tack:
Plant die Bundesregierung, das Dispensierrecht für Tierärzte einzuschränken, und in welcher Form ist dies vorgesehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort
zur Beantwortung.
Wir, die Bundesregierung und alle Tierärzte, haben
uns mit den Vor- und Nachteilen einer Beschränkung des
Dispensierrechts befasst und werden dies prüfen. In
Deutschland gibt es das Recht der Tierärzte als Ausnahme vom Apothekermonopol, Arzneimittel für die
von ihnen behandelten Tiere abzugeben. Dieses Recht
gilt seit vielen Jahren. Mit Blick auf den massiven Antibiotikaeinsatz werden wir prüfen, ob die Gründe für dieses Recht noch heute gelten. Es gibt gute Gründe dafür,
aber auch gute dagegen. Es wird eine Anhörung der Länder und der Verbände zu diesem Thema geben.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär. - Sie teilen sicherlich unsere Einschätzung, dass die Tierärzte auch
Verbündete bei der Strategie zur Minimierung des Antibiotikaeinsatzes sein können. Meine Frage lautet daher:
Können bundesweit einheitliche Kriterien in den Antibiotikaverordnungen unter Umständen zu einer ausreichenden Kontrolle führen?
Können Sie mir in ein paar Sätzen sagen, was Sie damit konkret meinen?
Natürlich. - Die Frage lautet, ob die Tierärzte auch
Verbündete bei der Strategie zur Minimierung des Antibiotikaeinsatzes sein können und ob bundeseinheitliche
Kriterien in den Antibiotikaverordnungen eine bessere
Kontrolle gewährleisten können.
Ohne die Tierärzte werden wir an dieser Stelle nicht
zum Ziel kommen, den Antibiotikaeinsatz zu reduzieren.
Wir brauchen die Tierärzte in vielfacher Weise, auch im
Betriebsmanagement und in der Ausbildung der Bäuerinnen und Bauern, der Mäster und der Nutztierhalter genauso wie beim Einsatz der Tiermedizin. Ohne die Tierärzte geht es mit Sicherheit nicht.
Ich möchte an dieser Stelle eine Lanze für den Beruf
des Tierarztes brechen, den heute fast nur noch Frauen
ergreifen. Das ist sicherlich schön. Aber wir brauchen
auch Männer. Tierarzt ist ein hochspannender und interessanter Beruf mit hohem wissenschaftlichen Anspruch
und großer Verantwortung.
Wir werden uns mit den Tierärzten zusammensetzen,
um über die vorgeschlagenen Strategien und die Konsequenzen zu diskutieren. Ich erinnere aber auch an die
Jahre, in denen die Behörden das eine oder andere
schwarze Schaf entdeckt haben. Alle Tierärzte sind aufgefordert, hier ihre gemeinsame Verantwortung wahrzunehmen. Ein Tierarzt weiß schließlich, wie seine Kolleginnen und Kollegen arbeiten. Bevor der Staat eingreifen
muss, ist es besser, dafür zu sorgen, dass die Eigenkontrolle funktioniert.
Frau Kollegin Tack, Ihre zweite Nachfrage.
Bei meiner zweiten Nachfrage wäre es um die Beteiligung der Tierärzte an der Umsetzung der Strategie zur
Minimierung des Antibiotikaeinsatzes gegangen. Aber
dazu hat der Herr Staatssekretär schon etwas gesagt.
Vielen Dank. - Es gibt noch eine Nachfrage unseres
Kollegen Friedrich Ostendorff.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Leitlinien zur Verabreichung von Antibiotika betont. Warum schreiben Sie
diese denn nicht fest?
Diesem Satz kann ich nicht ganz folgen.
Diese Leitlinien könnten Sie in den Rang einer Verordnung erheben.
Wir werden mit den Ländern darüber diskutieren, wie
wir zum Ziel kommen, Herr Ostendorff.
Vielen Dank. - Ich rufe die Frage 11 der Kollegin
Kerstin Tack auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Gestaltung der Abgabepreise von Antibiotika an Tierärzte durch die Hersteller,
und sieht sie darin eine Wettbewerbsverzerrung bzw. eine Einschränkung der Berufsausübung von Tierärzten?
Herr Staatssekretär, bitte.
Die Preisgestaltung durch die Hersteller von Antibiotika ist staatlich nicht geregelt. Nach der Arzneimittelpreisverordnung dürfen durch den Großhandel bei der
Abgabe von Tierarzneimitteln an Tierärzte gestaffelte
Höchstzuschläge auf den Abgabepreis erhoben werden.
Höchstzuschläge dürfen nicht überschritten, können jedoch unterschritten werden. Soweit eine Unterschreitung
bei der Abnahme größerer Mengen stattfindet, sind Tierärzte, die größere Mengen Arzneimittel beziehen, dann
im Vorteil, wenn sie Arzneimittel mit entsprechend niedriger Spanne an den Tierhalter abgeben und für diesen
Tierhalter der Preis des Arzneimittels ausschlaggebend
für den Tierarztkontakt ist. Punkt. Verstanden? - Das
war von Beamten formuliert, aber das beantwortet die
Frage korrekt.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Tack.
({0})
- Keine. - Dann hat die Frau Kollegin Bärbel Höhn eine
Frage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben vorgelesen, was
Ihre Beamten aufgeschrieben haben. Aber die entscheidende Frage ist doch eine politische. Sie könnten Festpreise vorgeben, und Sie könnten sagen: Dieses System,
dass jemand, der ganz viel ordert, das ganz billig bekommt, führt von der Struktur her automatisch zu einem
massenhaften Einsatz von Antibiotika. Das ändern wir,
indem wir festlegen: Das gibt es nicht mehr. Es wird ein
Festpreis eingeführt, der gilt, egal welche Menge abgegeben wird. - Warum machen Sie das nicht?
Es ist nicht vergleichbar mit der Humanmedizin. Wir
wollen keine dirigistischen Eingriffe und Regelungen in
diesem Sektor.
({0})
Vielen Dank.
Die Frage 12 des Kollegen Hans-Josef Fell wird
schriftlich beantwortet. Die Frage 13 der Frau Kollegin
Caren Marks wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Müller, Sie
werden es nicht glauben, aber für Sie sind keine weiteren
Fragen da. Man sieht, was Parlamentarische Staatssekretäre leisten müssen; auch dies will ich bei der Gelegenheit einmal sagen. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
({0})
Somit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian
Schmidt zur Verfügung.
Die Frage 14 der Frau Kollegin Inge Höger:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Magazins
des Reservistenverbandes Loyal ({1}), dass das
Kommando Spezialkräfte, KSK, „noch geraume Zeit in
Afghanistan bleiben wird, selbst wenn die übrigen Truppen
weg“ sind, und, wenn ja, mit welchen Aufgaben wird das
KSK dann dort verbleiben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär Christian Schmidt.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nachdem
die Tierärzte jetzt Pause haben, komme ich zu der Frage
der Frau Kollegin Höger. Ich beantworte die Frage, ob
wir die Einschätzung teilen, die in diesem Magazin zum
Ausdruck kommt, seitens der Bundesregierung wie
folgt:
Der Einsatz internationaler Kampftruppen im Rahmen der ISAF, der International Security Assistance
Force, in Afghanistan soll, wie Sie und wir alle wissen,
Ende 2014 abgeschlossen werden. Diese Entscheidung
wurde von der internationalen Afghanistan-Konferenz in
Bonn am 5. Dezember 2011 gemeinsam mit dem afghanischen Präsidenten nochmals bekräftigt. Es handelt sich
um eine Position und um eine Willensbekundung der
souveränen Islamischen Republik Afghanistan und ihres
Präsidenten.
Deutschland hat zusammen mit der Staatengemeinschaft der afghanischen Regierung jedoch auch für die
Zeit nach 2014 Unterstützung bei der weiteren Ausbildung und Befähigung der afghanischen Sicherheitskräfte
zugesagt. Über die Ausgestaltung des Engagements der
Bundeswehr in Afghanistan nach 2014 wird die Bundesregierung nach Abstimmung mit unseren internationalen
Partnern dem Deutschen Bundestag einen Vorschlag unterbreiten.
Vielen Dank. - Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin
Höger.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Schmidt, Sie sind
meiner Frage ausgewichen. Ist das KSK, Kommando
Spezialkräfte, eine Kampftruppe oder nicht? Ich verstehe unter Spezialtruppen schon Kampftruppen. Werden sie 2014 abgezogen oder nicht?
Frau Kollegin Höger, die Begrifflichkeit „Kampftruppen“ findet sich zwar in der politischen Diskussion, aber
sie ist kein Terminus technicus, der etwa eine Qualifikation von Spezialkräften oder spezialisierten Kräften in
ihren Fähigkeiten umschreibt oder umreißt. Deswegen
darf ich darauf hinweisen, dass Spezialkräfte der Bundeswehr im Jahr 2011 Unterstützung beim Aufbau einer
spezialisierten Polizeieinheit in der Provinz Kunduz geleistet haben. Diese Polizeieinheit hat zwischenzeitlich
den vorgesehenen Personalumfang annähernd erreicht
und ihre Leistungsbereitschaft bei zahlreichen gemeinsamen, aber auch eigenständig durchgeführten Operationen unter Beweis gestellt.
Seit Oktober 2011 wurde mit Unterstützung der Spezialkräfte der Bundeswehr auch in der Provinz Baghlan
mit der Aufstellung einer spezialisierten Polizeieinheit
begonnen.
Daraus mögen Sie ersehen, dass über operative Tätigkeit im Sinne von Kampf hinaus ein weiteres Spektrum
an Fähigkeiten von den spezialisierten Spezialkräften
der Bundeswehr abgebildet wird und auch zum Einsatz
im Sinne von Ausbildung kommt.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Inge Höger.
Vielen Dank. - In diesem Artikel im Magazin Loyal
heißt es über die Aufgaben der KSK unter anderem:
Kommandos stören und lähmen Netzwerke von
Terroristen oder Aufständischen, indem sie ihre
Kommandeure, Führer und Drahtzieher aus dem
Verkehr ziehen. Das kommt der Enthauptung des
Feindes gleich …
Meine Frage: Ist diesem Zitat zu entnehmen, dass die
KSK-Soldaten zur Jagd auf regierungsfeindliche Kräfte
eingesetzt werden, also bei sogenannten Capture-andkill-Missionen, die ja faktisch eine Menschenjagd darstellen? Das sind ja wohl eindeutig Aufgaben, die nach
Ihrer Definition nach 2014 nicht mehr durchzuführen
wären. Die Frage ist aber natürlich, ob KSK-Soldaten
jetzt an solchen Missionen beteiligt sind oder ob sie in
Zukunft an diesen Missionen beteiligt werden sollen.
Herr Präsident, wenn Sie gestatten, würde ich, da die
Zusatzfrage der Kollegin, soweit ich es erkennen kann,
auch sofort die Wortmeldung des Kollegen Ströbele hervorgerufen hat, dem bei diesen Fragestellungen fast ein
gewisses Originalitätsprivileg zugutekommt, auch noch
seine Wortmeldung abwarten und dann sozusagen auf
die beiden Fragen eine Doppelantwort geben.
({0})
Zunächst einmal ist die Frage der Frau Kollegin
Höger zu beantworten, weil wir ja im Vorhinein nicht
genau wissen, was der Kollege Ströbele fragen will.
({0})
Er ist immer für alle Überraschungen gut, wie wir wissen.
Manchmal glaube ich sogar schon zu wissen, wie die
Frage aussieht, die jemand stellen will. Aber ich verfahre
natürlich selbstverständlich so, wie Sie es wünschen,
Herr Präsident.
Die Fragestellungen und die Begrifflichkeiten, die Sie
aus diesem Artikel unter Bezugnahme auf die Spezialkräfte vorgetragen haben, können sich nicht auf die Spezialkräfte der Bundeswehr alleine beziehen, sondern haben wohl den Begriff von Spezialkräften auch von
anderen Nationen im Blick, und zwar insbesondere Spezialkräften von anderen Nationen, die auch in Afghanistan im Einsatz sind.
Hinsichtlich Ihrer Fragestellung zur Thematik „capture and kill“ hatte ich schon Gelegenheit, hier in diesem
Hohen Hause und auch in den Ausschüssen - ich beziehe mich aber natürlich vorrangig auf Informationen
und auf die Beantwortung von Fragen im Plenum des
Deutschen Bundestages - darauf hinzuweisen, dass sich
die Spezialkräfte der Bundeswehr ausschließlich und
ausdrücklich auf dem Boden der rechtlichen Vorgaben
des Mandats und der diesem zugrunde liegenden rechtlichen Rahmenbedingungen bewegen.
Es sei mir erlaubt, hinzuzufügen, dass allerdings in
der Tat kriegsähnliche Zustände, wie sie in Afghanistan
herrschen, nicht ohne Gewalttätigkeiten einhergehen.
Vielen Dank. - Aus gegebenem Anlass weise ich wieder auf die verschiedenen Farben der Lichter hin, die uns
entsprechende Hinweise zur Redezeit geben.
Das war ja der Hintergrund meines Wunsches, eine
Doppelantwort zu geben und sozusagen einen StröbeleBonus zu erhalten.
Das nützt nichts, Herr Staatssekretär. - Das Wort zur
Nachfrage hat der Kollege Christian Ströbele.
Herr Staatssekretär, damit Sie auch die weiteren Fragen noch beantworten können, frage ich ganz schnell:
Beteiligen sich KSK-Soldaten der Bundeswehr im Rahmen des Partnering derzeit an Einsätzen der von ihnen
ausgebildeten afghanischen Kräfte? Sind sie damit also
auch in Kampfeinsätzen tätig und werden sie das nach
dem Jahr 2014, wenn sie noch weitere ausbilden, auch
tun?
Das Partnering ist ein Element der Tätigkeit der
Streitkräfte der Bundeswehr und der dort eingesetzten
Kräfte. Insgesamt müsste ich die Antwort über Details
der Beteiligung der Spezialkräfte, soweit sie detailliert
gegeben werden kann, schriftlich nachliefern.
Ich möchte aber den zweiten Teil der Frage noch einmal unterstreichen und sagen, dass nach Ende 2014 nicht
vorgesehen ist, dass Kräfte im operativen Einsatz tätig
sind.
Vielen Dank. - Es gibt eine Nachfrage der Kollegin
Heike Hänsel.
Danke schön, Herr Präsident. - Ich habe eine Nachfrage, da Sie gerade den Begriff Kampftruppen ansprachen und selbst richtig feststellten, dass es kein technisch festgelegter Begriff, sondern eine Sprachregelung
der Bundesregierung ist. Meine Nachfrage lautet deshalb: Wie genau definiert die Bundesregierung Kampftruppen und Nichtkampftruppen? Woran macht sie das
genau fest, da das Mandat dies nicht unterscheidet, sondern zwischen bewaffnet und unbewaffnet unterscheidet? Wie wollen Sie garantieren, dass in Ihren Augen
Nichtkampftruppen nicht in Kämpfe verwickelt werden?
Mit Blick auf die Zeit nach 2014 und auch bereits
jetzt ist es in der Tat sehr kompliziert und herausfordernd, dies zu unterscheiden; denn Soldaten der Bundeswehr, die in Afghanistan im Einsatz sind, sind grundsätzlich alle bewaffnet, sei es zum Selbstschutz oder für
operative Einsätze, auch im Gefecht und in der Bekämpfung von Gegnern.
Die politische Unterscheidung, die der Bundesaußenminister in der Einbringungsrede für die Verlängerung
des Afghanistan-Mandats, das wir in Kürze hier im Plenum in der zweiten und dritten Lesung diskutieren und
entscheiden werden, gemacht hat, bezieht sich darauf,
dass Ausbildung und Unterstützung bei der Ausbildung,
und nicht eigenständige militärische Operationen im
Vordergrund stehen. So kann man das wohl am besten
unterscheiden.
In diesem Sinne liegt die Perspektive für die Zeit nach
2014 und bis dahin zu einem wachsenden Anteil eher
nicht in operativen Militäreinsätzen - sprich: Kämpfen der vorgesehenen Kräfte, sondern geht immer mehr hin
zur Ausbildung. Der Begriff, der hier am besten zum
Zuge kommt, ist der der Ausbildung und der Ausbildungsunterstützung.
Vielen herzlichen Dank. - Bevor wir zur Frage 15
kommen, weise ich darauf hin, dass ich beabsichtige, die
Aktuelle Stunde gegen 17.45 Uhr aufzurufen.
({0})
- Was? Natürlich, 15.45 Uhr, das ist doch ganz klar. Das
liegt an der Handschrift. - Vielen Dank.
Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Katja Keul auf:
Ist der Export von Patriot-Raketen nach Südkorea im Bundessicherheitsrat behandelt und nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz genehmigt worden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Ich beantworte die Frage wie folgt: Zunächst muss
ich darauf hinweisen, dass der Bundessicherheitsrat geheim tagt und seine Tagesordnung sowie die Ergebnisse
in gleicher Weise eingestuft sind. Daher kann die Bundesregierung zur Frage der Behandlung eines Exportvorhabens im Bundessicherheitsrat nicht Stellung nehmen.
Die andere, weitergehende Frage, ob im vorliegenden
Fall die erforderliche Ausfuhrgenehmigung nach dem
Kriegswaffenkontrollgesetz erteilt worden ist, kann ich
bejahen.
Darüber hinaus gilt allgemein, dass die Bundesregierung über Rüstungsexporte im Einzelfall im Lichte der
jeweiligen Situation entscheidet. Grundlage hierfür sind
die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den
Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern
aus dem Jahr 2000 und der Gemeinsame Standpunkt
2008/944/GASP des Rates der Europäischen Union vom
8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für
die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und
Militärgütern. „Gemeinsam“ bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Europäische Union.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Keul.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Schmidt, allein die
Tatsache, dass Sie und nicht ein Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums hier stehen, um die Frage zu
diesem Rüstungsexport zu beantworten, zeigt, in welche
Richtung meine Frage ging. Ich wollte wissen, ob es sich
hier um ein normales Genehmigungsverfahren handelt,
ob ein Antrag beim BAFA gestellt worden ist, der dann
an die höheren Ebenen, zum Beispiel die Ministerien,
weitergereicht worden ist, oder ob es sich hier vielmehr
um eine Genehmigungsfiktion handelt, nach der das
Bundesverteidigungsministerium in eigener Zuständigkeit, ohne weitere Ressortbeteiligung, Kriegswaffen aus
Beständen der Bundeswehr exportiert. Vielleicht könnten Sie das noch einmal klarstellen.
Solche Fiktionen sind nicht der Grund für meine Präsenz hier. Ich bedanke mich dafür, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass die Intention Ihrer Frage - so haben
wir es verstanden - die Beurteilung der sicherheitspolitischen Situation in Korea umfasst sowie die Auskunft, inwieweit eine bilaterale Zusammenarbeit im Bereich von
Ausbildung und Rüstung besteht. Damit nähern Sie sich
dem Bereich unseres Ressorts. In der Tat fallen die Patriot-Raketen in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Wir sind die Einzigen in
der Bundesregierung, die über Flugabwehrraketen verfügen. Das impliziert aber nicht einen bestimmen Gang
des Entscheidungsprozesses, zu dem ich das Notwendige gesagt habe.
Vielen Dank. - Ihre zweite Nachfrage hierzu, Frau
Kollegin Keul.
Dann muss ich jetzt noch einmal nachfragen, ob bei
der Genehmigung des Exports dieser Patriot-Raketen die
anderen Ressorts, insbesondere das Auswärtige Amt,
wie auch bei sonstigen Rüstungsexporten beteiligt worden sind und wie das, wenn das nicht der Fall ist, mit
Art. 26 Abs. 2 unseres Grundgesetzes zu vereinbaren ist,
der stets eine Entscheidung der Bundesregierung und
nicht eines einzelnen Ministeriums verlangt.
Die Ausfuhrgenehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz hat entsprechende Verfahren bzw. Entscheidungen zur Grundlage. Das ist eingehalten worden.
Vielen Dank. - Jetzt rufe ich die Frage 16, ebenfalls
von unserer Kollegin Katja Keul, auf:
Weshalb exportiert die Bundesrepublik Deutschland
Kriegswaffen in solche Spannungsgebiete, und was ist das besondere sicherheitspolitische Interesse Deutschlands bei dem
Verkauf von Patriot-Raketen aus den Beständen der Bundeswehr an Südkorea?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Gemäß Kriterium 4 des Gemeinsamen Standpunkts der
EU, dessen vollständigen Titel ich bereits genannt habe,
verweigern die Mitgliedstaaten „eine Ausfuhrgenehmigung, wenn eindeutig das Risiko besteht, dass der angegebene Empfänger die Militärtechnologie oder die
Militärgüter, die zur Ausfuhr bestimmt sind, zum Zwecke der Aggression gegen ein anderes Land oder zur
gewaltsamen Durchsetzung eines Gebietsanspruchs benutzt“. Ein solches Risiko lag nicht vor. Dementsprechend liegt hier kein Widerspruch zu den bereits genannten Politischen Grundsätzen vor. Sie wissen, dass
Südkorea ein wichtiger Partner Deutschlands in Nordostasien ist, dass das deutsch-südkoreanische Verhältnis
traditionell freundschaftlich und vertrauensvoll ist, dass
darüber hinaus Südkorea Partner bei internationalen
Friedensmissionen der Vereinten Nationen, beim ISAFEinsatz in Afghanistan und bei der Pirateriebekämpfung
am Horn von Afrika ist. Die Unterstützung Südkoreas
liegt daher im besonderen außen- und sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands. Ergänzend muss man
schon darauf hinweisen, dass die Spannungen auf der
koreanischen Halbinsel nicht von Südkorea ausgehen.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Katja Keul.
Ich kann mich nicht daran erinnern, in der Rüstungsexportrichtlinie gelesen zu haben, dass es bei der Bewertung eines Gebiets als Spannungsgebiet darauf ankommt, von wem die Spannungen ausgehen.
Haben Sie irgendwelche Erkenntnisse darüber, warum das Schiff mit den Patriot-Raketen und dem Sprengstoff, das eigentlich in Richtung Westen nach Korea fahren sollte, zunächst nach Osten über die Ostsee in
Richtung Russland gefahren ist, in Finnland einen Stopp
gemacht hat, dann umgedreht ist und jetzt wieder in
Richtung Westen, also in Richtung Korea, unterwegs ist?
Ich habe solche Erkenntnisse nicht und teile Ihr Erstaunen über den Transportweg. Der Transport wird mit
einem unter britischer Flagge fahrenden Schiff durchgeführt. Die Anlandung war ja in einem EU-Mitgliedstaat.
Ich nehme diesen Vorgang zur Kenntnis. Aber er liegt
außerhalb der Zuständigkeit und damit der Eingriffsmöglichkeit der Bundesregierung.
Ihre zweite Nachfrage, bitte schön.
Ich hoffe doch sehr, dass Sie das weiterhin interessiert
und dass Sie herausfinden werden, wohin die von Ihnen
genehmigten Exporte gehen.
Meine Verwunderung wird aber noch größer, wenn
ich lese und höre, wie dieser Sprengstoff auf dem Schiff
verladen worden ist. Er liegt völlig unfachmännisch verpackt lose auf Paletten und ist noch nicht einmal in Container verladen worden. Da frage ich mich, wer eigentlich für die Verladung von Kriegswaffen, die aus
Beständen der Bundeswehr stammen und die exportiert
werden, verantwortlich ist. Haftet da das Bundesamt für
Wehrtechnik und Beschaffung, oder übt es zumindest
eine gewisse Kontrolle über die Transporte aus?
Die Bundeswehr bzw. die zuständigen Behörden haben den Auftrag, die Gerätschaften gefährdungssicher zu
verpacken und sie für den Transport vorzubereiten - soweit das nicht Aufgabe und Zuständigkeit des Käufers
ist. Ich bin fast versucht zu sagen, dass dies Punkte sind,
die mit dem Recht der Versendung zu tun haben. Ich will
das Thema nicht auf dieser Ebene behandeln und will
daher Folgendes sagen: Wir haben natürlich ein Interesse an einem sicheren Transport. Wenn es sich um Gerätschaften handelt, die nicht aus der Bundeswehr stammen, ist natürlich keine Zuständigkeit gegeben.
Sehr wichtig ist allerdings, dass über den Verbleib der
Geräte nach dem Transport Klarheit herrscht. Darauf
muss sich unser Interesse beziehen; denn es handelt sich
nicht, wie Sie schon angedeutet haben, um Materialien,
die man gerade mal einfach so irgendwohin schicken
kann. Ein solches Geschäft bedarf einer sorgfältigen
Prüfung und eines großen Vertrauens auch in den Käufer, dass er die Geräte gemäß seinen Bedürfnissen verwendet. Diesbezüglich haben wir zu Südkorea großes
Vertrauen.
Die nächste Nachfrage kommt von unserer Kollegin
Kathrin Vogler. Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich möchte an
dieser Stelle nachfragen, wie sich nach Auffassung des
BMVg die Eigentumsverhältnisse bei solchen Exporten
gestalten. Bis zu welchem Punkt der Lieferkette versteht
sich das BMVg als Eigentümer dieser Rüstungsexporte,
und ab welchem Punkt erfolgt die Besitzübergabe?
Frau Kollegin, da diese Frage einer genauen rechtlichen Prüfung bedarf, erkläre ich schon jetzt, dass ich
meine Antwort ergänzend korrigieren werde, falls eine
Prüfung ergibt, dass sich meine Aussage, die ich aus
Sicht eines Juristen mache, nicht mit klassischen Bewertungen deckt.
Ich gehe davon aus, dass die Verantwortung für dieses
Gerät, das aus Überschussbeständen der Bundeswehr
stammt, in dem Moment auf den Käufer übergeht, wenn
es übergeben ist bzw. die Versendung auf einem nicht
von der Bundesrepublik Deutschland oder von dem Bundesministerium der Verteidigung bzw. dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gecharterten
Schiff erfolgt.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Frage 17 der Abgeordneten Caren Marks wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Flach zur Verfügung. Die Fragen 18 und 19 der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu Frage 20 unserer Kollegin Elisabeth
Scharfenberg:
Wie bewertet die Bundesregierung die zersplitterte Zuständigkeit im Hinblick auf die Effizienz und Wirksamkeit der
Überwachung von Medizinprodukten, und sieht sie Bedarf,
dies zu ändern?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau
Kollegin Scharfenberg, ich antworte Ihnen wie folgt:
Seit dem Inkrafttreten des Medizinproduktegesetzes am
1. Januar 1995 gilt die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern. Konkrete Gefährdungen der
Gesundheit von Patienten durch zum Beispiel einen zu
langwierigen Informationsfluss vom Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte zu den zuständigen
Landesbehörden sind der Bundesregierung nicht bekannt. Die föderale Grundstruktur der Überwachung von
Medizinprodukten muss daher nicht grundsätzlich infrage gestellt werden. Gleichwohl hat der Gesetzgeber
auf Initiative der Bundesregierung punktuelle Änderungen mit Wirkung zum 21. März 2010 vorgenommen.
Dies betrifft unter anderem die neue Genehmigungspflicht für klinische Prüfungen von Medizinprodukten
durch das BfArM, die das bisherige bloße Anzeigeverfahren bei den Ländern ersetzt hat. Außerdem sieht die
Bundesregierung Verbesserungsbedarf zum Beispiel in
der Zusammenarbeit der Behörden zwischen Bund und
Ländern und zwischen den Ländern. Deshalb hat die
Bundesregierung am 20. Dezember 2011 den Entwurf
einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Medizinproduktegesetzes beschlossen, welche
wahrscheinlich im Februar durch den Bundesrat beschlossen wird.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Scharfenberg.
Vielen Dank für die erste Antwort. - Wenn wir in diesen Tagen über Medizinprodukte sprechen, liegt unser
Fokus ganz speziell auf den Brustimplantaten; das ist
auch ein Medizinprodukt. Hier meine Nachfrage: Hat
das BfArM etwas unternommen, um sich einen quantitativen Überblick zu verschaffen über die in Deutschland
verwendeten Implantate, insbesondere von PIP- und Rofil-Implantaten? Wenn ja: Was wurde unternommen?
Wenn nein: Warum wurde nichts unternommen?
Frau Kollegin Scharfenberg, wir haben heute bereits
in einer umfangreichen Diskussion im Gesundheitsausschuss dargestellt, dass das BfArM zügig im Dezember
reagiert hat. Es ist eine E-Mail an die Länderregierungen, an die zuständigen Behörden gegangen. Eine weitere Mitteilung ist am 9. Januar herausgegangen. Das
Problem in Deutschland ist, dass die Länder auf ihre
ureigene Art reagieren, weil das im Bereich ihrer Zuständigkeit liegt. So ist es zum Beispiel dem größten
Bundesland, Nordrhein-Westfalen, welches einer „erfolgreichen“ rot-grünen Landesregierung untersteht,
nicht möglich gewesen, schnell zu antworten. Wir werden die Antwort aus diesem großen Bundesland zum
Beispiel erst am 24. Januar erhalten. Allein daran können Sie sehen, welche Probleme es geben kann, wenn
man 16-mal entsprechend abfragt. Trotzdem sind wir in
der Lage, eine Zahl zu nennen, die einen gewissen Überblick kennzeichnet. Der Präsident des BfArM hat heute
im Gesundheitsausschuss des Bundestages gesagt, dass
nach derzeitigem Kenntnisstand ungefähr 1 300 Frauen
in Deutschland betroffen sind.
Vielen Dank. - Bevor wir zur nächsten Zusatzfrage
der Frau Kollegin Scharfenberg und einer weiteren
Nachfrage kommen, weise ich darauf hin, dass wir anschließend direkt mit der Aktuellen Stunde beginnen.
Jetzt aber Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin
Scharfenberg.
Muss ich davon ausgehen, dass meine zweite Frage
dann nicht mehr beantwortet wird?
Eigentlich ja.
Gut. - Noch am 23. Dezember hat das BfArM, anders
als die französische Regierung, keine allgemeine Empfehlung zur präventiven Explantation der Implantate gegeben. Das hat sich dann aber geändert. Am 6. Januar
2012 hat das BfArM plötzlich eine präventive Entfernung empfohlen. Vor diesem Hintergrund stellt sich mir
natürlich die Frage: Aufgrund welcher konkreten Einschätzung und auf Grundlage welcher medizinischen
Nutzen-Risiko-Abwägung kam das BfArM zu so unterschiedlichen Empfehlungen in so kurzer Zeit? Gibt es im
BfArM allgemeine Kriterien für diese Empfehlungen?
Soll ich noch antworten, Herr Präsident?
Sie antworten, und dann gibt es noch die Nachfrage
der Frau Kollegin Kathrin Vogler. Danach haben wir es
geschafft. - Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Am 20. Dezember 2011 informierte die zuständige
französische Behörde und meinte, dass es keine Empfehlungen für eine systematische Explantation geben sollte.
Am 23. Dezember 2011 steuerte die französische Behörde noch einmal nach und veröffentlichte den Bericht
der medizinischen Expertengruppe. Darin empfahl man
den betroffenen Frauen in Frankreich als präventive
Maßnahme die Entfernung der Brustimplantate.
In Übereinstimmung mit anderen europäischen Behörden hat das BfArM am 23. Dezember 2011 seine bisherigen Empfehlungen erweitert und Patientinnen wegen
des Risikos möglicher Rissbildungen als präventive
Maßnahme geraten, in jedem Fall den implantierenden
Arzt bzw. die Klinik aufzusuchen, um anschließend über
die jeweils geeigneten Maßnahmen entscheiden zu können.
Frau Kollegin Scharfenberg, dann kam der Januar.
Aufgrund der in zunehmender Zahl eingehenden Mitteilungen von Ärzten, Fachgesellschaften und Kliniken erweiterte das BfArM am 6. Januar 2012 seine Risikobewertung und empfiehlt nunmehr als Vorsichtsmaßnahme
die Entfernung der Implantate.
Vielen Dank. - Nun habe ich noch die Nachfrage der
Frau Kollegin Kathrin Vogler.
Herzlichen Dank. - Frau Staatssekretärin, auch in anderen Bereichen scheint die Bundesregierung langsamer
zu agieren, als das unsere französischen Nachbarinnen
und Nachbarn tun. Ich möchte daher nachfragen: Wie
beurteilen Sie als Bundesregierung die Äußerungen von
ausländischen Expertinnen und Experten zu einem
neuen gesetzlichen Regelungsbedarf? Es gibt ja die Forderungen - unter anderem vom französischen Gesundheitsminister Xavier Bertrand sowie vom Chef der europäischen Arzneimittelbehörde EMA, Guido Rasi -, diese
gefährlichen Implantate ähnlich stark zu reglementieren
wie auch Arzneimittel. Wird sich die Bundesregierung
hier möglicherweise ihren französischen Kollegen annähern?
Sehr geehrte Kollegin Vogler, ich glaube, die Aussagen des Präsidenten des BfArM heute im Gesundheitsausschuss haben sehr deutlich gezeigt, dass wir an keiner
Stelle hinterhergehinkt haben. In Deutschland kamen wir
aufgrund der Empfehlungen der Fachgesellschaften ungefähr 14 Tage später zu den gleichen Empfehlungen
wie die Franzosen. Diese lagen zum Zeitpunkt der französischen Empfehlungen noch nicht vor.
Ansonsten steht das BfArM immer in engem Kontakt
mit den anderen europäischen Behörden und befindet
sich deswegen in sehr guter Übereinstimmung mit den
Empfehlungen. Was nun die Explantation der Brustimplantate angeht, so sprechen zurzeit außer Deutschland noch drei andere europäische Länder diese Empfehlungen aus. Es ist also weiß Gott nicht so, als ob in den
gesamten betroffenen Ländern diese Empfehlungen ausgesprochen würden.
Sie haben zusätzlich gefragt, ob wir ein anderes Zulassungsverfahren empfehlen würden: Nein, das würden
wir nicht. Wir gehen davon aus, dass das bisherige Zulassungsverfahren greift, welches sowohl qualitätsmäßig
als auch sicherheitsmäßig sehr strenge Anforderungen
stellt. In Deutschland besteht keine Veranlassung, das an
dieser Stelle zu bezweifeln.
Wenn man das mit einem staatlichen Zulassungsverfahren vergleicht, wie es zum Beispiel in den USA gilt,
und behauptet - im Spiegel war es so berichtet worden -,
ein solches Verfahren würde deutlich besser passen und
man könnte besser damit agieren, so kann man sagen:
Dies trifft nicht zu. Es gibt viele Produkte, die in den
USA durch ein staatliches System zugelassen wurden
und bei denen es trotzdem Probleme gab.
Da, wo Kriminelle handeln - und so war es in diesem
Fall -, darf man nicht sofort nach einer Änderung der
Gesetze rufen, sondern muss schauen, wie man die Kontrollfunktionen verbessern kann. Das tun wir zurzeit.
Wir stehen mit den Ländern in einem engen Austausch.
Ich denke, dass wir gemeinsam zu einer weiteren Verschärfung der Kontrollen kommen werden.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir sind nun am Ende unserer Fragestunde.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gemäß Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b
GO-BT
zu den Antworten der Bundesregierung auf
die Fragen 1 und 2 auf Drucksache 17/8323
Dabei geht es um Antibiotika in der industriellen
Tierhaltung.
Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege
Friedrich Ostendorff. Bitte schön, Kollege Friedrich
Ostendorff.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Antibiotikaskandal in der industriellen
Massentierhaltung offenbart endlich die Wahrheit über
die Herkunft unserer Billighähnchen und Billigschnitzel,
die Wahrheit über das Innenleben und die Vorgänge unter den Blechdächern der Tierfabriken, die unsere Landschaften zunehmend prägen, offenbart aber auch die
Wahrheit darüber, wie jedes Jahr 55 Millionen Schweine
und fast 600 Millionen Hühnchen ihr Dasein in Deutschland fristen. Er offenbart die Wahrheit über die Haltungssysteme, in denen 22 bis 24 Hühnchen pro Quadratmeter herumvegetieren, 40 000 in einem Stall, ohne
Tageslicht, ohne Bewegungsfreiheit, ohne Würde, gefüttert mit Soja von einer ungefähr 2,5 Millionen Hektar
großen Anbaufläche in ehemaligen südamerikanischen
Waldgebieten.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Schande
für solch ein zivilisiertes Land wie das unserige.
({1})
Tiere, die so leben müssen, brauchen permanent Antibiotika, von der Geburt bis zur Schlachtung; sonst überstehen sie die 32 Tage ihres kurzen Hühnchenlebens
nicht. Antibiotika - das belegen die Zahlen aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen - sind der Treibstoff
der industriellen Massentierhaltung. Ohne Antibiotika
bricht dieses System zusammen.
Was macht Frau Ministerin Aigner? Sie ist betroffen.
Klar! Wie immer! Sie kündigt an. Klar! Wie immer! Sie
schminkt das hässliche System, ohne es von Grund auf
zu verändern. Klar! Wie immer! Frau Aigner, damit werden Sie dieses Mal nicht mehr durchkommen.
({2})
Denn Sie gefährden mit diesem Vorgehen die Gesundheit der Mitbürgerinnen und Mitbürger. Über 50 Prozent
der Fleischproben sind mit den für den Menschen gefährlichen multiresistenten Keimen wie ESBL und
MRSA kontaminiert, wie die BUND-Studie gezeigt hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns
mitten in der nächsten großen Lebensmittelkrise, aber
die Bundesregierung wiegelt ab und verharmlost die
Keimgefahr aus der Massentierhaltung.
({3})
Das lässt Hygienikern die Haare zu Berge stehen, soweit
sie noch welche haben und sie sich nicht schon vorher
ausgerauft haben. Denn es ist doch bekannt, dass sich
Bakterien dynamisch entwickeln: Sie tauschen ihre resistenzbildenden Eigenschaften aus wie Reisegepäck.
Die Intensivtierhaltung bietet für diesen Prozess idealste
Bedingungen. So verwundert es uns nicht, wenn die Uniklinik Münster bereits 9 Prozent der MRSA-Infektionen
in münsterländischen Krankenhäusern auf LA-MRSA,
also auf die Landwirtschaft, zurückführen kann. Diese
Entwicklung ist insbesondere in den letzten drei Jahren
dynamisch verlaufen.
Leider sterben jedes Jahr 7 000 Menschen an einer Infektion mit Krankenhauskeimen. Frau Aigner verharmlost, und der Bundesgesundheitsminister tut so, als wäre
er gar nicht zuständig. Jährlich werden circa 900 Tonnen
Antibiotika in der Tierhaltung eingesetzt. 2006 wurden
784 Tonnen Antibiotika in der Tierhaltung eingesetzt.
Meine Damen und Herren, die Antibiotika müssen raus
aus den Tierställen. Das ist die Devise.
({4})
Wir müssen den Dealern der Massentierhaltung das
Handwerk legen, diesen Autobahntierärzten, die als promovierte Paketdienstleister ihre Kunden in den Großställen beliefern.
({5})
Die ärztliche Behandlung einzelner kranker Tiere muss
wieder Maßstab tierärztlicher Arbeit werden. Wir brauchen eine transparente Erfassung der Daten, und zwar
unmittelbar bei Verschreibung der Antibiotika. Diese
Daten müssen den Landeskontrollbehörden zeitnah zur
Verfügung stehen. Missbrauch muss sofort geahndet
werden.
Wir müssen raus aus der industriellen Massentierhaltung. Studien belegen, dass tiergerechte Haltungsbedingungen die massenhafte prophylaktische Antibiotikamedikation unnötig machen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen klare
Vorgaben, erstens für eine viel geringere Besatzdichte,
zweitens für viel höhere Mindestmastdauern, drittens für
den regelmäßigen Kontakt der Tiere mit der Außenwelt,
das heißt Auslauf.
Die Menschen haben das System der industriellen
Fleischproduktion satt. Das werden wieder viele Tausende Menschen am Samstag auf der Demo hier vor dem
Hause zeigen. Sie wollen eine nachhaltige bäuerliche
Landwirtschaft. Sie sind den täglichen Betrug an der
Kasse leid, wo das Hühnchen auf der Verpackung die
Menschen von der Wiese vor dem Fachwerkhof anlächelt. Sie sind in Sorge wegen des hohen, massiven Medikamenteneinsatzes. Sie sind angewidert von den
unwürdigen Haltungsbedingungen und der Profitgier der
großen Fleischkonzerne.
Wir fordern die Bundesregierung auf: Machen Sie
sich nicht länger zum Handlanger der Agrarindustrie!
Beenden Sie das antibiotikabasierte System der Massentierhaltung.
({7})
Frau Aigner, sorgen Sie endlich für eine artgerechte Haltung unserer Tiere! Denn sie sind nicht Produktionsmittel, sondern Mitgeschöpfe. Auch hier - wir haben es
eben gehört -: Es kann helfen, bei Franz von Assisi über
die Mitgeschöpflichkeit des Tieres nachzulesen.
({8})
Vielen Dank, Kollege Ostendorff. - Nächste Rednerin
ist Frau Bundesministerin Ilse Aigner. Bitte schön, Frau
Bundesministerin.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
dankbar, dass ich durch ihre Aktuelle Stunde heute Gelegenheit habe, Stellung zu beziehen.
({0})
Der Zeitpunkt erscheint mir allerdings nicht ganz zufällig. Am Samstag findet eine Demonstration statt. Vielleicht ist das heute auch eine Werbeveranstaltung für die
Demonstration.
({1})
- Ja, der Teufel des Zufalls.
Eines ist für mich ganz klar - da gibt es auch gar kein
Herumreden -: Der Einsatz von Antibiotika ist auf ein
Minimum zu beschränken, und zwar auf das therapeutisch Notwendige.
({2})
Damit kein Missverständnis aufkommt - noch einmal
für die Opposition zum Mitschreiben -, hier die bereits
geltende Rechtslage:
({3})
Antibiotika dürfen nicht für prophylaktische Zwecke
und schon gar nicht als Wachstumsförderer verwendet
werden.
({4})
Das ist heute schon verboten. Damit das klar ist: Wer
Antibiotika bei Tieren einsetzt, die nicht erkrankt sind,
verstößt gegen geltendes Recht.
({5})
Es gibt ein klares föderales System mit entsprechender Aufgabenteilung. Herr Kollege Ostendorff, deshalb
hätten Sie Ihre Rede eher im Landtag von NordrheinWestfalen halten sollen.
({6})
Die Länder sind zuständig für die Kontrollen. Vielleicht
noch ein kleiner Nachhilfeunterricht für den SPD-Parteivorsitzenden, der früher einmal Ministerpräsident gewesen ist: Er müsste erst recht wissen, wie die föderalen
Strukturen sind. Ich leite aber gerne seine Anliegen nach
Nordrhein-Westfalen an Frau Kraft und Herrn Remmel
weiter. Da gehören sie nämlich hin.
({7})
Wir verschließen nicht die Augen vor diesen Problemen. Das haben wir auch schon seit längerem nicht getan. Wir haben bereits 2008 mit der Bundesregierung
eine Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie auf den
Weg gebracht. Heute lege ich ein Maßnahmenpaket vor.
Ich weiß nicht, wie Sie das nicht lesen können, Herr
Kollege Ostendorff. Das hat nichts mit Ankündigungen
zu tun. Vielmehr liegt ein Gesetz auf dem Tisch, nämlich
eine Novelle des Arzneimittelgesetzes mit ganz wesentlichen Änderungen.
({8})
So werden wir auch künftig dafür sorgen, dass die Überwachungsaufgaben
({9})
noch effektiver, schneller und unbürokratisch erfüllt
werden können; wenn sie wollen,
({10})
die Länder. Damit verbunden ist die Aufforderung, diese
Möglichkeiten auch zu nutzen.
({11})
Vorschreiben können wir es ihnen nicht, aber wir fordern
sie auf.
Die Länder werden künftig besseren Zugriff auf die
erfassten Abgabemengen von Antibiotika erhalten. Mitte
2012 werden erstmals genaue Daten über die in Deutschland in den Verkehr gebrachten Tierarzneimittel veröffentlicht und damit transparent gemacht. Die Länder
können damit ihre Überwachungsplanungen deutlich
verbessern. Auch den Informationsaustausch zwischen
Behörden verbessern wir deutlich. Behörden, die Betriebe zum Beispiel im Bereich von Tierschutz und Lebensmittelhygiene kontrollieren, werden verpflichtet,
Daten und Erkenntnisse, die auf einen Verstoß gegen
arzneimittelrechtliche Vorschriften hinweisen, an die zuständigen Stellen der Tierarzneimittelüberwachung weiterzuleiten.
Darüber hinaus müssen die Tierärzte künftig auf Anforderung der Überwachungsbehörden - die Länder haben diese Möglichkeit - alle Daten, die die Abgabe und
Anwendung von Antibiotika betreffen, zusammengefasst zur Verfügung stellen. Das erleichtert die Kontrolle
bzw. die Überwachung erheblich. Entscheidend ist, dass
es wirklich gemacht wird.
Wichtig ist auch, dass wir die Möglichkeiten, Antibiotika zu verschreiben und einzusetzen, begrenzen. So
wird die Umwidmung von Antibiotika insbesondere bei
den Wirkstoffen, die in der Humanmedizin von Bedeutung sind, in der Nutztierhaltung drastisch eingeschränkt.
Schließlich werden wir die Zeitspanne ausweiten, für
die der Arzneimitteleinsatz vor der Schlachtung zu dokumentieren ist; diese Daten werden an den Schlachtbetrieb übermittelt. Damit bekommen die nachfolgenden
Glieder in der Kette noch genauere Informationen über
den Gesundheitsstatus der Tiere.
Ich weiß, dass dieses Thema für einige Akteure Anlass ist, sich mit wohlfeilen Forderungen gegenseitig zu
überbieten. Der eine fordert eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes um 30 Prozent, der andere eine Reduktion
um 50 Prozent. Der Nächste fordert eine Reduktion auf
null.
({12})
Das ist nicht einmal im Ökolandbau Standard bzw. Vorschrift.
({13})
Ich muss Ihnen sagen: Wer verhindern will, dass ein
krankes Tier behandelt wird, der verweigert Tierschutz,
({14})
versteht nichts von der Sache oder ist schlicht populistisch.
({15})
Wir wollen die Anwendung von Antibiotika auf die
absolut notwendige Behandlung von Krankheiten beschränken. Das heißt auch, dass wir alles tun müssen,
um Krankheiten, insbesondere haltungsbedingten
Krankheiten, vorzubeugen.
({16})
Wir gehen deshalb über das aktuelle Maßnahmenpaket
hinaus. Morgen werde ich bei der Grünen Woche die
Charta für Landwirtschaft und Verbraucher vorstellen.
Dabei werde ich einen besonderen Schwerpunkt auf die
Verbesserung der Tierhaltung und der Tiergesundheit legen.
Erstens werden wir die Initiative ergreifen und Mittel
aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ künftig nur noch für
besonders tiergerechte Haltungsformen verwenden und
dafür die Fördersätze erhöhen.
({17})
- Wir werden das machen, Frau Künast.
Zweitens werden wir den Forschungsschwerpunkt bezüglich Tierhaltung und Tiergesundheit ausbauen. Hierbei geht es um den Zusammenhang zwischen Haltungsbedingungen und Tiergesundheit.
Drittens werden wir auf europäischer Ebene die Einführung der Tierwohlkennzeichnung unterstützen. Das
haben wir auch schon in der Vergangenheit getan.
Wir werden aber kein Geplänkel über Groß und Klein
zulassen. Wer die Studie aus Nordrhein-Westfalen genau
liest, stellt fest, dass die größeren Betriebe weniger Antibiotika einsetzen als die mittelgroßen Betriebe.
({18})
- Frau Kollegin Höhn, Lesen bringt Vorteile. Genau das
steht dort.
({19})
Sie wollen das nicht lesen und Ihre Vorurteile pflegen. Das Entscheidende ist: Der Tierschutz beginnt beim
Tier, egal wie groß oder klein der Betrieb ist.
({20})
Wir sollten meines Erachtens bei diesem wichtigen
Thema gemeinsam Wege gehen, um die Tiergesundheit
überall gezielt zu verbessern. Das ist das Entscheidende.
Haltungssysteme, die nur mit erheblichem Einsatz von
Antibiotika funktionieren, müssen verändert werden.
Die Marschrichtung der Bundesregierung ist für mich
ganz klar: Wir verschärfen jetzt die rechtlichen Bestimmungen für den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung, um diesen auf das absolut notwendige Maß zu
beschränken. Wir erweitern deutlich die Befugnisse der
zuständigen Kontroll- und Überwachungsbehörden der
Länder. Wo es erforderlich ist, müssen diese die Rechtsverstöße konsequent ahnden; sie dürfen nicht nur zuschauen.
Meinen Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern
sage ich deshalb: Wir haben die Hausaufgaben gemacht,
und wir werden dies weiterhin tun. Die Länder sind jetzt
aufgefordert, ihre Kontrollmöglichkeiten wahrzunehmen
und gegebenenfalls abschreckende Strafen zu verhängen. Sie müssen diese Möglichkeiten ausschöpfen.
Ich bleibe dabei: Wir können unser gemeinsames
Ziel, die Minimierung des Einsatzes von Antibiotika, nur
dann erreichen, wenn wir alle an einem Strang ziehen
und parteipolitisches Taktieren nicht in den Vordergrund
stellen.
Herzlichen Dank.
({21})
Vielen Dank, Frau Bundesministerin. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
Sozialdemokraten unser Kollege Professor Dr. Karl
Lauterbach. Bitte schön, Kollege Lauterbach.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst einmal, Frau Aigner: Wenn ich
zusammenfassen sollte, was wir gerade gehört haben,
würde ich sagen: Im Prinzip haben wir eine unzureichende Beschreibung des Problems gehört, aber keinen
Lösungsansatz.
({0})
Wieso war die Beschreibung des Problems unzulänglich? Sie haben über Antibiotikaresistenzen und über die
Zunahme der Antibiotikanutzung in der Tiermedizin gesprochen. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass oft
keine Indikation vorhanden ist. Aber Sie haben das tatsächliche Problem nicht beim Namen genannt - das hat
der Kollege vor Ihnen gemacht -: Ohne die massenhafte
nicht indizierte Antibiotikagabe wäre die unwürdige
Massentierhaltung überhaupt nicht darstellbar. Das ist
das eigentliche Problem.
({1})
Frau Aigner, hier gilt das gleiche alte Gesetz wie in der
Medizin: Wenn ich als Arzt nicht bereit bin, die Diagnose zu stellen, dann kann ich auch keine Therapie anbieten. Wenn ich die Diagnose zum Tabu erkläre, dann
kann ich dem Patienten keine Therapie anbieten. Genau
daran wird Ihre Novelle scheitern, sehr verehrte Frau
Ministerin.
({2})
Schauen wir uns doch einmal an, was Sie vorschlagen. Sie sagen zum Beispiel, es solle mehr kontrolliert
werden. Es wundert mich, dass die FDP die Forderung
nach mehr Kontrolle durch die Behörden mitträgt.
({3})
- Ganz genau; das wird wahrscheinlich noch gestrichen. Außerdem wollen Sie mehr Abgabenkontrollen und
mehr Datenübermittlungen. Sie schlagen unter anderem
vor, die Übermittlung der Daten eine Woche vor der
Schlachtung durchzuführen. Im Prinzip soll der Missbrauch von Antibiotika nicht abgeschafft, sondern besser
dokumentiert werden. Was ist denn das für eine Lösung,
meine sehr verehrten Damen und Herren?
({4})
Das ist so ähnlich, als wenn ich einen Patienten beobachte, feststelle, dass sich sein Zustand stündlich verschlechtert, und, statt einzugreifen und zu operieren,
sage: Wir müssen mehr Laboruntersuchungen durchführen und die Ergebnisse schneller an die Kollegen übermitteln.
({5})
Seien wir doch ehrlich! Sie haben nicht den Mut, die
Dinge beim Namen zu nennen. Die Massentierhaltung,
({6})
die Sie auf Druck der Lobbygruppen, denen Sie verpflichtet sind, nicht problematisieren wollen, ist das eigentliche Problem. Aber da wollen Sie nicht herangehen,
sehr verehrte Frau Ministerin.
({7})
Was wird die Konsequenz sein? Machen wir uns doch
nichts vor: Wir haben es mit einer sogenannten Metaphylaxe zu tun. Das bedeutet: Wenn einige Tiere krank
sind, wird im Rahmen der unwürdigen Massentierhaltung die Masse der Tiere mit Antibiotika behandelt; das
ist eine Art Mischung aus Vorbeugung und Behandlung.
Dies führt dazu, dass 80, 90 Prozent der Tiere behandelt
werden. Es ist doch klar, dass Staphylokokken, E.-coliBakterien und Salmonellen dann innerhalb weniger
Jahre resistent sein werden. Das ist das, was wir beobachten. Wir sehen jetzt die Spitze des Eisbergs.
({8})
Im Moment haben wir die Situation, dass mehr Antibiotika ihre Wirkung verlieren als neue auf den Markt
kommen; das muss man sich vor Augen halten.
({9})
Es gibt mehr neue Resistenzen als neue Wirkstoffe. Für
dieses riesige Problem, das aus humanmedizinischer
Sicht eines der Hauptprobleme ist, bieten Sie in Ihrer
AMG-Novelle keinerlei Lösung an. Das ist das Thema,
über das wir heute sprechen.
({10})
Frau Aigner, wenn ich auf einen letzten Punkt hinweisen darf: Es ist nicht wahr, wenn Sie sagen, Sie hätten
keine Zuständigkeit. Wer ist denn für den Einsatz von
Antibiotika bei Mensch und Tier zuständig? Das liegt in
Ihrer zentralen Zuständigkeit. Ich nenne Ihnen ein paar
Beispiele, was Sie machen könnten, weil es zentral in
Ihre Zuständigkeit fällt. Sie könnten zum Beispiel vorschreiben: Antibiotika dürfen nur gegeben werden, wenn
vorher der Erreger getestet wurde.
({11})
Dann wäre ihr prophylaktischer Einsatz nicht mehr möglich.
({12})
- Ja, das wäre sehr wichtig.
Ich nenne ein weiteres Beispiel. Sie könnten sagen:
Wir setzen uns das Ziel, den Antibiotikaeinsatz um
50 Prozent zu reduzieren. - Wir könnten dann immer
noch darüber streiten, ob wir ihn um 50 oder 30 Prozent
reduzieren wollen. Aber Sie haben gar kein Ziel formuliert. Im Prinzip sagen Sie: Es soll alles so bleiben, wie
es ist. - Das ist die Beschreibung des Problems, nicht die
Lösung.
({13})
Die Wahrheit ist: Wir brauchen eine Einschränkung
des Dispensierrechts; auch darauf gehen Sie nicht ein.
Wir brauchen eine bessere Qualität der Lebensmittelprodukte; da stimme ich dem Kollegen Ostendorff ohne
Wenn und Aber zu. Bei uns gilt „Masse statt Klasse“.
Die Preise für die Produkte sind zu niedrig, was erst
durch die Massentierhaltung ermöglicht wurde. Wir
müssen zu einer menschlicheren und besseren Ernährung kommen. Seien wir doch ehrlich: Es ist Teil der
Wahrheit, dass dann Fleisch- und Geflügelprodukte etwas teurer würden. Aber der Konsument wäre doch bereit, das zu bezahlen, wenn er wüsste, dass er dann nicht
krank würde und die Tiere würdig lebten. Das ist doch
die Wahrheit.
({14})
Ich komme zum Schluss. Sie haben hier nichts vorzulegen. Insbesondere fehlt eine Vision. Ich bin ehrlich gesagt dankbar dafür, dass sich bei dieser für den Verbraucher wichtigen Frage so etwas wie eine rot-grüne Vision
erkennen lässt. Es geht um bessere Ernährung, bessere
Gesundheit und besseren sozialen Schutz; denn es sind
gerade die einkommensschwachen Menschen, die von
diesem Problem am stärksten betroffen sind.
Vielen Dank.
({15})
Vielen Dank, Kollege Lauterbach. - Nächste Rednerin in der Aktuellen Stunde ist unsere Kollegin
Dr. Christel Happach-Kasan. Bitte schön, Frau Kollegin.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal an die Adresse von Professor Lauterbach:
Es muss uns bewusst sein - und nur dann können wir das
Problem lösen -, dass sich MRSA bilden, weil in der
Humanmedizin nicht sorgfältig genug mit Antibiotika
umgegangen wird. Das ist das Kernproblem.
({0})
Insofern finde ich es schon merkwürdig, wenn in einer
Landwirtschaftsdebatte
({1})
ein Gesundheitspolitiker auftritt und den Vorwurf an die
Landwirte richtet,
({2})
statt zu sagen, wie er das Problem im Humanbereich lösen möchte. Das ist das Erste.
({3})
Der zweite Punkt: Die größte Lebensmittelkrise, die
wir seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland hatten,
war die Ehec-Krise im vergangenen Jahr; das ist kaum
ein halbes Jahr her. Ursache waren kontaminierte Sprossen aus einem Ökobetrieb in Niedersachsen. Das gehört
zur Wahrheit, und auch das müssen wir sagen.
({4})
Ein Drittes möchte ich festhalten: In Deutschland
werden von Landwirten und Lebensmittelunternehmen
Lebensmittel produziert, die „Klasse und Masse“ sind.
({5})
Natürlich brauchen wir als ein Volk mit 82 Millionen
Menschen auch die Masse. Es leben Mitmenschen unter
uns, die jeden Cent zweimal umdrehen müssen, um sich
das leisten zu können, was sie sich leisten müssen, und
auch für diese Menschen muss die Landwirtschaft produzieren. Unsere Lebensmittel sind erste Klasse.
({6})
Ich finde es schon bemerkenswert, dass die Opposition das Thema Antibiotika - es ist im Übrigen ein älteres Thema; die Probleme sind bereits 2009 vom BfR
beim Zoonosen-Monitoring aufgedeckt worden - als
Auftakt für die Grüne Woche wählt. Was sollten eigentlich Ihre Fragen zum ländlichen Raum vor dem Hintergrund, dass Sie in derartiger Weise zur Verunsicherung
der Menschen beitragen und sich gegen die Interessen
der Bürgerinnen und Bürger in den ländlichen Räumen
verhalten?
({7})
Ich finde, das ist maßlos und absolut unverantwortlich.
Sie schaden damit den ländlichen Räumen in unvorstellbarer Weise.
({8})
Wir sind uns darin einig - wir haben die Unterlagen
gelesen -, dass die Untersuchung in Niedersachsen sehr
viel aussagekräftiger ist als die Untersuchung in Nordrhein-Westfalen. Dann sehen wir, dass die größten Probleme nicht bei der Hähnchenmast, sondern bei der Kälber- und der Putenmast auftreten. Sie reden aber viel
lieber über Hähnchen. Warum eigentlich? Ich verstehe
das nicht. Wir müssen über das Problem sprechen.
({9})
Wir wissen natürlich, dass es Betriebe gibt, die es im
Griff haben, und Betriebe, die es nicht im Griff haben.
Das ist aber eine Frage des Managements und nicht eine
Frage von Groß oder Klein. Sie sagen natürlich immer
wieder pauschal: Groß ist schlecht, Klein ist gut. - Wovon die Leute leben sollen, weiß ich nicht. - Sie haben
hier aber das falsche Thema gewählt. Wir brauchen ein
besseres Management, ein besseres Hygienemanagement und ein besseres Futtermittelmanagement. In der
Schweinehaltung gibt es Betriebe, die es uns vormachen.
Sie wählen die Strategie des geschlossenen Systems. Sie
produzieren die Ferkel selber und mästen sie. Es kommt
kein einziges anderes Tier in den Betrieb hinein.
({10})
Das bringt für die Seuchenprophylaxe und für den Hygienestatus insgesamt enorme Vorteile. Das sind die
Wege, die wir in Zukunft beschreiten wollen.
Die Opposition hat mit ihren Änderungsvorschlägen
nur dokumentiert: Wir wollen keine industrielle Tierhaltung. Was heißt denn eigentlich „industria“? Ist kein Lateiner unter euch? „Industria“ heißt Fleiß. Was ist gegen
fleißige Betriebe einzuwenden?
({11})
Überhaupt nichts. Fleiß ist eine Kardinaltugend.
({12})
- Für euch wohl nicht. Das mag so sein. Ihr lebt lieber
vom Staat. Aber für die Unternehmer ist Fleiß eine ganz
wichtige Tugend.
({13})
Zur Lösung, die Sie hier vorlegen, zu den großen Datenbanken. Wisst ihr nicht, dass große Datenbanken
auch Datenfriedhöfe sind? Damit werden wir nicht vorankommen; so werden wir das Problem nicht lösen. Der
Bericht des Rechnungshofes vom Sommer des vergangenen Jahres hat sehr deutlich aufgezeigt, wo die Defizite liegen. Sie liegen weitgehend bei den Ländern, weil
sie ihre Kontrollmöglichkeiten gar nicht wahrnehmen.
Nach dem Bericht von Herrn Remmel stellt sich die
Frage: Warum ist das nicht schon längst einmal breiter
abgefragt worden? Es wird deutlich, dass die Länder ihren Aufgaben nicht gerecht werden. Mit dem neuen Gesetz werden wir sie in den Stand setzen, es besser zu machen. Sie werden keine Ausrede mehr dafür haben, dass
sie nicht nachfragen und nicht wissen, was sie schon
jetzt wissen könnten, wenn sie sich um dieses Thema in
verantwortlicher Weise kümmern würden, was im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher und der
Landwirtschaftsbetriebe erforderlich wäre.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Happach-Kasan. Nächste Rednerin ist unsere Kollegin Frau Dr. Kirsten
Tackmann für die Fraktion Die Linke. Bitte schön, Frau
Dr. Tackmann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich versuche es jetzt mit ein bisschen Sachlichkeit.
Auf Kollege Lauterbach zurückkommend:
({0})
Ich glaube, dass wir eben nicht nur über Antibiotika in
der Nutztierhaltung, sondern auch in der Humanmedizin
und in der Haus- und Kleintierhaltung reden müssen.
Auch hier gibt es Missstände. Ich finde es schon ein bisschen fahrlässig, das nur auf die Nutztierhaltung zu reduzieren.
({1})
Unser Ziel ist doch klar: Wir wollen den Missbrauch
von Antibiotika verhindern. Die Frage ist nur: Was ist
Missbrauch, und wo wird tatsächlich Missbrauch betrieben? In den seriösen Studien aus NRW und Niedersachsen wird durchaus darauf hingewiesen, dass es einen
missbräuchlichen und unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika gibt. Man kann über Details dieser Studien streiten - das ist keine Frage -, aber auf ein ernsthaftes Problem weisen sie auf jeden Fall hin. Wir müssen doch zur
Kenntnis nehmen, dass in NRW bei vier von fünf Mastdurchgängen mindestens einmal Antibiotika an Hähnchen verabreicht wurden, manchmal sogar bis zu acht
Wirkstoffe bei einer Lebensdauer von - daran möchte
ich erinnern - 35 Tagen, und dass in Niedersachsen
83 Prozent der Masthühner, 92 Prozent der Puten,
77 Prozent der Schweine und sogar 80 bis 100 Prozent
der Rinder mit Antibiotika behandelt wurden. Aber gerade weil wir nicht genau wissen, wie verbreitet das Problem ist, brauchen wir eine verlässliche Dokumentation.
Das ist kein Herausreden, sondern wir müssen die Lage
analysieren und bundesweit erheben, in welchen Beständen Probleme existieren und in welchen nicht.
({2})
Eigentlich müssen wir noch viel früher ansetzen. Wir
brauchen Haltungsbedingungen, die Tiere gesund halten
und nicht verstärkt zu einer Erkrankung beitragen.
({3})
Denn eines ist doch klar: Wo regelmäßig Antibiotika
eingesetzt werden müssen, sind die Haltungsbedingungen nicht in Ordnung. Das ist nicht hinzunehmen, und
zwar aus zwei Gründen:
({4})
Erstens. Solche Haltungsbedingungen sind gesellschaftlich nicht akzeptiert. Man kann über die Demo
„Wir haben es satt!“ denken, wie man will; aber man
muss sich dieser Debatte stellen, und die Politik muss
sich den erhobenen Forderungen stellen.
Zweitens. Der Antibiotikamissbrauch birgt eben auch
das Risiko, dass sich Resistenzen entwickeln können,
zum Beispiel durch zu kurze Behandlungsintervalle.
Diese Unempfindlichkeiten von Bakterien, die hier entstehen können, sind ein Risiko, weil sie wie ein Bumerang wirken und dann andere Erkrankungen bei Mensch
und Tier nicht mehr behandelt werden können. Nach
meiner Überzeugung müssen wir deswegen wirklich
handeln.
Die Bundesregierung hat erste Vorschläge auf den
Tisch gelegt. Sie reichen uns aber nicht aus. Die Linksfraktion hat gestern einen eigenen Antrag zur deutlichen
Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes beschlossen, den
wir noch in dieser Woche einbringen werden.
({5})
Hier geht es wirklich um Sachlichkeit.
Die Forderung aus Rheinland-Pfalz und NordrheinWestfalen, ein totales Verbot von Antibiotika in der Tierhaltung auszusprechen, halte ich für völlig unseriös.
({6})
Aus meiner Sicht muss es die Option geben, einzelne
Tiere mit Antibiotika zu behandeln. Das ist tierschutzgerecht.
({7})
Was müssen wir nun wirklich tun? Erstens. Am Wichtigsten ist mir, Krankheiten zu verhindern, statt sie zu
behandeln. Häufige Antibiotikaanwendungen weisen
fast immer auf Mängel bei den Haltungsbedingungen
hin. Wir brauchen präventive Lösungen. Das bedeutet,
Haltungsbedingungen auf den Prüfstand zu stellen, und
zwar ernsthaft. Wir brauchen tiergerechte Ställe. Wir
brauchen bessere Stallhygiene. Wir brauchen besseres
Stallklima. Eine ganz wichtige Voraussetzung ist: Wir
brauchen gut ausgebildetes und auch gut bezahltes Betreuungspersonal.
({8})
Zweitens. Antibiotikaanwendungen müssen klar und
deutlich nachvollziehbar sein. Das hat der Bundesrat bereits 2007 gefordert. Der Entwurf der Bundesregierung
zur Änderung des Arzneimittelgesetzes ist ein wichtiger
Schritt, aber er ist nur ein ganz kleiner und zögerlicher
Schritt. Aus unserer Sicht müssen Antibiotikaverwendungen bundesweit einheitlich und bis in den einzelnen
Bestand nachverfolgbar und auch kontrollierbar sein.
({9})
Erst dann wissen wir tatsächlich, an welchen Stellen wir
Probleme haben und wo eingegriffen werden muss.
Drittens. Wir brauchen ein strategisches Herangehen.
In Dänemark und den Niederlanden gibt es durchaus interessante Ansätze. Beispielsweise brauchen wir dringend Schulungen zum guten Bestandsmanagement und
sachgemäßen Arzneimitteleinsatz. Ziel muss eine bessere Bestandsgesundheit sein. Dafür brauchen wir ein
gutes Bestandsmanagement, eine integrierte tierärztliche
Betreuung und betriebliche Minimierungsprogramme.
Wenn wir feststellen, dass das auf freiwilliger Basis
nicht funktioniert, muss das gesetzlich geregelt werden,
und zwar konsequent.
({10})
Viertens. Antibiotika, die für die Behandlung von
Menschen notwendig sind, sollten wir nicht im Stall einsetzen. Ich bin dafür, eine Trennung ernsthaft zu prüfen;
denn die potenzielle Gefahr der Übertragung von Resistenzen aus dem Stall in die Krankenhäuser ist gegeben,
auch wenn es viele Gründe für das Auftreten von Krankenhausresistenzen gibt. Ich finde, hier muss man tatsächlich trennen.
Zwei Bemerkungen zum Schluss. Erstens. Ich finde
es falsch, im Kontext mit dem Antibiotikaproblem eine
Auseinandersetzung mit der sogenannten Massentierhaltung zu führen. Als Linke haben wir die Position: Man
muss über Qualität in der Tierhaltung reden, nicht allein
über die Quantität. Dabei ist völlig klar, dass es nach
oben Grenzen gibt. Die Haltung von 69 000 Schweinen
an einem Standort zum Beispiel ist für mich unvernünftig. Da muss man gesetzliche Regelungen finden.
({11})
Zweitens. Die Problemlösung darf nicht allein von
der Agrarwirtschaft verlangt werden. Ich finde, man
muss ehrlichkeitshalber zur Kenntnis nehmen: Die
Agrarwirtschaft ist einem gnadenlosen Markt ausgesetzt.
Die Gesellschaft erwartet billige Nahrungsmittel. Das ist
aufgrund der Lohnentwicklung und der allgemeinen Verarmung durchaus ein wichtiges und sensibles Thema.
Aber wenn wir das wissen, müssen wir zur Kenntnis
nehmen, dass wir keinen Druck auf die Erzeuger hinsichtlich der Kosten ausüben dürfen. Mit diesen Problemen müssen wir uns beschäftigen. Wir müssen überlegen, wie wir der Agrarwirtschaft bei der Lösung der
Probleme helfen.
({12})
Bitte kommen Sie zum Schluss.
Mein letzter Satz. - Zum Schluss. Ich finde, dass das
Thema weit über die Grüne Woche hinausreichen muss.
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns auf eine Anhörung zu diesem Thema verständigen könnten, wo wir
viele dieser Aspekte, die hier zur Sprache gekommen
sind, noch einmal genauer prüfen können und dann auch
kluge Lösungen finden.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Tackmann. - Jetzt für
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dieter Stier.
Bitte schön, Kollege Stier.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Pünktlich vor Beginn der Internationalen Grünen Woche versucht die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, hier ein Thema zu platzieren,
({0})
welches vielleicht geeignet erscheint, die landwirtschaftliche Tierhaltung in ein schlechtes Licht zu rücken. So
ist Ihre Vorstellung. Ganz gewiss aber ist das Thema
nicht der Skandal, zu dem Sie es machen wollen.
({1})
Auch der Mensch, lieber Kollege Ostendorff, ist, so
glaube ich, ein Teil der Schöpfung. Wenn Sie über NRW
reden, dann darf ich Sie daran erinnern, dass die Kollegin Höhn, die unter uns sitzt, dort jahrelang Verantwortung getragen hat.
({2})
Dann verstehe ich nicht, warum das Ergebnis der Studie
so aussieht.
({3})
Jetzt zum Thema. Ich sage es vorneweg: Wir sind uns
einig, dass der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung weiter reduziert werden muss.
({4})
Dennoch nimmt Deutschland, wie wir das bereits heute
Morgen im Agrarausschuss feststellen konnten, nicht
den Spitzenplatz beim Verbrauch von Antibiotika ein.
Zunächst einmal möchte ich Frau Bundesministerin
Ilse Aigner für den eben vorgetragenen Bericht danken
und das von ihr auf den Weg gebrachte Maßnahmenpaket gegen Antibiotikaresistenzen in der Tierhaltung
begrüßen.
({5})
Damit hat sie deutlich gemacht, dass die Bundesregierung schnell handelt und dass nur mit konsequenter Kontrolle von Tierhaltern und Tierärzten die nicht sachgerechte Antibiotikaverwendung eingedämmt werden
kann.
Damit die Kontrolle darüber hinaus auch zielgerichtet
wirksam ist, müssen wir darüber nachdenken, den Kontrollbehörden der Bundesländer über den bestehenden
rechtlichen Rahmen hinaus zusätzliche Überwachungsbefugnisse zu gewähren. Ich denke, nur dadurch in Verbindung mit einer spürbaren Sanktionierung bei Verstößen können wir die schwarzen Schafe - und um diese
handelt es sich - disziplinieren. Ich begrüße deshalb ausdrücklich die geplante Verschärfung des derzeit geltenden rechtlichen Rahmens im Arzneimittelgesetz.
({6})
Mit dem von Ministerin Aigner vorgelegten Maßnahmenpaket gegen Antibiotikaresistenzen in der landwirtschaftlichen Tierhaltung können wir diesen, denke ich,
wirksam begegnen. Ich sage aber auch: Wir lassen die
deutsche Landwirtschaft und die dort tätigen Tierärzte
nicht unter Generalverdacht stellen, sondern wir begleiten sie bei ihrer wichtigen Aufgabe der Produktion von
Lebensmitteln.
Dem Landwirt selbst - das ist schon angeklungen und seinem Management kommt dabei eine entscheidende
Rolle im verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika
in der Tierzucht zu. Die sachkundige Antibiotikaverwendung nach streng fachlichen und wissenschaftlichen
Maßstäben hängt letztendlich auch von der Sachkunde
unserer Landwirte ab. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Mindestanwendungsdauer von Antibiotika zum Beispiel ist dabei ebenso wichtig wie die tierärztliche Betreuung auch bei einem Wirkstoffwechsel. Es darf nicht
sein - ich denke, das stellen wir übereinstimmend fest -,
dass Antibiotika rein prophylaktisch gegeben werden.
Das ist schon jetzt nicht zulässig. Keinesfalls darf die
Antibiotikavergabe zum Kaschieren von Hygienedefiziten in den Ställen dienen. Auch darüber sind wir uns
wohl alle einig.
Wir wollen die fachgerechte Vergabe der Medikamente einzig und allein begrenzt auf Krankheitsfälle.
Die Tierärzte müssen dabei durch eine restriktive Verschreibungspraxis ihren Teil der Verantwortung übernehmen. Wir brauchen den Willen aller Beteiligten, sowohl der Landwirte als auch der Tierärzte, zu einer
konsequenten Minimierungsstrategie. Ich habe zumindest in den letzten Tagen erkannt, dass alle Beteiligten
dazu willens sind.
Tierarzneimittel sind teuer. Sie sollten deshalb auch
aus ökonomischen Gründen sparsam eingesetzt werden.
Da der Einsatz neuer Antibiotika derzeit nicht zu erwarten ist - ich denke, auch darüber sind wir uns einig -,
müssen wir die für die Tiere zur Verfügung stehenden
Arzneimittel sorgsam verwenden. Nur so können Tiere
auch zukünftig bei Krankheiten wirksam behandelt werden.
Wenn in den Medien immer wieder Stimmen laut
werden, man solle den Antibiotikaeinsatz in der Tierzucht ganz abschaffen, dann muss ich entgegnen:
Kranke Tiere haben ein Recht auf Behandlung. Es widerspricht dem Tierschutzgedanken, wenn ein krankes
Tier nicht behandelt werden kann.
({7})
Ebenso plädiere ich an dieser Stelle für eine stetige Verbesserung der Haltungsbedingungen.
Zudem hat der Verbraucher ein Recht auf sichere Lebensmittel und auf wahrheitsgemäße Aufklärung. Wenn
laut BUND-Studie bei 10 von 20 untersuchten Hähnchenfleischproben Keime gefunden worden sein sollen,
die gegen Antibiotika resistent sind, dann stelle ich fest,
dass laut Bundesinstitut für Risikobewertung antibiotikaresistente Keime auf Fleischproben nichts Neues sind.
Keime kommen in unserer Umgebung vor. Das ist kein
Grund zur Besorgnis, wie Sie es die Menschen glauben
machen wollen. Meine Damen und Herren, auch das
müssen wir heute vor der geneigten deutschen Öffentlichkeit klarstellen: Das bloße Vorkommen von antibiotikaresistenten Keimen auf Geflügelfleisch sagt rein gar
nichts über eine eventuelle gesundheitliche Gefährdung
für den Verbraucher aus. Keime und Bakterien sind, wie
gesagt, in der Umgebung des Menschen ganz natürlich.
Ich ärgere mich auch darüber, wenn der BUND nach
seiner Untersuchung verschweigt
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
- ja -, dass mehr als 99 Prozent der tierischen Produkte in unseren Lebensmittelregalen keine Antibiotikarückstände aufweisen. Das hat auch etwas mit seriöser
Berichterstattung und Aufklärung zu tun.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich deshalb
Zum Schluss kommen, bitte.
- abschließend feststellen: Die christlich-liberale
Koalition tut alles dafür, um Tierschutz und Lebensmittelsicherheit in Einklang zu bringen.
Ich freue mich auf die Grüne Woche, die den Stand
der deutschen Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft eindrucksvoll dokumentieren wird.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin in
unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Elvira Drobinski-Weiß.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Wir haben es satt!“, so lautet das Motto der Demonstration anlässlich der Grünen Woche am kommenden
Samstag, Frau Ministerin. Ich finde, dafür kann man gar
nicht genug Werbung betreiben.
({0})
Vorgestern BSE, gestern Dioxin, heute Antibiotika - und
morgen? Der nächste Lebensmittelskandal kommt bestimmt. Meistens kommt er aus der Fleischecke, wegen
der Tierhaltungsmethoden und des Futters. Die Menschen haben davon die Nase voll. Da werden aus reiner
Profitgier Stoffe verfüttert, die nichts im Futter zu suchen haben, nur weil es billiger ist. Da werden Tiere unter Bedingungen gehalten, die sie nur unter Einsatz von
Medikamenten bis zur Schlachtung durchstehen. Das haben die Verbraucherinnen und Verbraucher satt.
({1})
Sicher wird jetzt von bestimmter Seite wieder eingewendet werden, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher selbst schuld seien, weil sie zu viel Fleisch essen
bzw. weil sie überhaupt Fleisch essen und weil sie auf
den Preis schauen und zu Preisen einkaufen, zu denen
man nicht ordnungsgemäß und verantwortungsvoll produzieren kann. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sagen: Der Schutz der Verbraucherinnen und
Verbraucher hat oberste Priorität. Das heißt für uns, die
Konsumenten müssen sich darauf verlassen können,
dass die auf dem Markt befindlichen Produkte in Ordnung sind, und zwar unabhängig vom Preis. Wo sichere
Lebensmittel eine Frage des Einkommens werden, hat
der Staat versagt und sind die Bürgerinnen und Bürger
schutzlos dem Wettbewerbsmarkt überlassen.
({2})
Der Antibiotikaskandal zeigt erneut, was wir längst
wissen und endlich beherzigen müssten: Was im Futtertrog der Tiere landet, landet am Ende bei den Menschen,
bei uns selbst. Deshalb ist Tierschutz auch Verbraucherschutz.
({3})
Wer behauptet, Verbraucherinnen und Verbraucher, die
auf „billig“ schauen, müssten wissen, unter welchen Bedingungen produziert worden sei, hat keine Ahnung vom
Alltag der Menschen. Woher sollen sie wissen, wie sich
der Preis zusammensetzt? Oft ist der Preis die einzige
verlässliche und sofort zugängliche Information. Es fehlt
echte Markttransparenz, die den Verbraucherinnen und
Verbrauchern eine wirklich selbstbestimmte Wahl ermöglicht. Es fehlt an Wissen darüber, wie Landwirtschaft, Tierhaltung und Lebensmittelproduktion funktionieren. Da klafft eine große Lücke zwischen der jungen
feschen Bäuerin, die in der Werbung den Joghurt noch
von Hand rührt, und der Realität in der industriellen Lebensmittelproduktion.
({4})
Da muss entzaubert und aufgeklärt werden. Schon in der
Schule müssen die Kinder erfahren, wie Produkte erzeugt werden. Marktwissen muss vermittelt werden. Erst
dann werden die Verbraucherinnen und Verbraucher bessere Möglichkeiten haben, das Angebot einzuschätzen.
Es muss echte Transparenz her, damit gute Produkte und
verantwortungsvolle Anbieter sofort unterscheidbar sind
von solchen, die sich im Graubereich bewegen.
Gesetze und Gewissen sollten eigentlich dafür sorgen,
dass nur einwandfreie Ware auf den Markt gelangt. Jedoch entsteht der Eindruck, dass es immer häufiger an
beidem mangelt. Wo das Gewissen fehlt, muss Kontrolle
her; denn Gesetze, deren Einhaltung nur mangelhaft
überwacht wird, nutzen nichts. Deshalb ist es mir wichtig, auf die Verantwortung der Anbieter hinzuweisen.
Nicht alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt. Aber über die Lücke zwischen Gesetz und Gewissen diskutieren wir derzeit noch an ganz anderer Stelle.
Wenn dem Vertreter des höchsten Amts im Staat dieser
Unterschied fremd ist, müssen wir uns nicht wundern,
dass Anbieter zunehmend Gesetzes- und Kontrolllücken
nutzen und vor Gesetz und Gewissen den Gewinn stellen.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unser
Kollege Hans-Michael Goldmann. Bitte schön, Kollege
Hans-Michael Goldmann.
({0})
Danke schön. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich finde, wir hatten heute eine sehr gute
Diskussion im Ausschuss, und zwar auf der Basis eines
Antrags, den die SPD gestellt hatte. Es gab sehr intensive Erörterungen aus dem Hause. Wir haben uns mit
dem Thema in einer Tiefe beschäftigt, die dem Thema
angemessen war.
Ich bin immer wieder betroffen darüber - ich sage das
einmal in der Rolle des stellvertretenden Ausschussvorsitzenden -, wie du, lieber Friedrich Ostendorff, durch
die Landschaft bretterst, von Dealern und von Menschen
sprichst, die mit Antibiotika so umgehen, als ob sie einen Postversand betreiben würden
({0})
- ach, lieber Kollege -, und wie du die Bauern, auch auf
den intensiv haltenden Betrieben, in einer Form diskreditierst, die unerträglich ist. Es ist doch nicht so, dass die
Bauern hier etwas zum Schaden ihrer Tiere machen. Es
ist doch nicht so, dass die Bauern etwas in der Absicht
tun, keine guten Lebensmittel zu produzieren. Sie wollen
doch im Grunde genommen dafür sorgen, dass sie in ihrem Haltungssystem hochwertige Lebensmittel produzieren. Unsere Lebensmittel sind absolut sicher, und unsere Lebensmittel sind von hoher Qualität. Ich finde, das
sollte man dann auch einmal ganz simpel so zum Ausdruck bringen.
({1})
Wir müssen uns fragen, welche Botschaft wir mit einer solchen Aktuellen Stunde eigentlich aussenden wollen.
({2})
- Daran können wir gemeinsam arbeiten. Hier gibt es
keine FDP-Lösung und keine Linke-Lösung. Gleichwohl sage ich ganz klar: Das, was Frau Dr. Tackmann als
promovierte Tierärztin hier dargestellt hat, war meiner
Meinung nach logisch aufeinander aufbauend und zielorientiert. Da ist es mir völlig schnuppe, ob das von
links, Rot, Schwarz oder Blau-Gelb kommt.
({3})
- Dann sind wir uns doch einig. Da sind wir uns doch in
der Arbeit im Ausschuss sowieso einig. Bei einem
Thema von solch hoher Dramatik sollten wir uns nicht
auseinanderdividieren lassen nach dem Motto: Der eine
macht Werbung für seine Demonstration, und der andere
ist der Trottel, der von diesen Dingen keine Ahnung hat. So kann doch nicht miteinander umgegangen werden,
wenn es um ein dramatisches, ernstzunehmendes Thema
geht.
({4})
Liebe Freunde, nun kommen immer Prozentzahlen.
„97 Prozent“, sagt der eine; „96 Prozent“, sagt der andere. Jetzt frage ich Sie: Wer von Ihnen wäre, wenn er
getestet würde, ohne Antibiotikum? Wer von Ihnen hat
noch nie in seinem Leben ein Antibiotikum eingenommen? Man muss doch einmal festhalten: Antibiotika sind
eine der besten Erfindungen, die es überhaupt gegeben
hat; denn sie sorgen dafür, dass wir, wenn wir ein bisschen krank werden,
({5})
sehr schnell, Gott sei Dank, wieder gesund werden. Deswegen müssen wir alles tun, damit Antibiotika ihre Qualität behalten. Deswegen müssen wir alles dafür tun - da
bin ich mit allen hier einer Meinung -, um Resistenzen
zu vermeiden, zu reduzieren.
({6})
- Das machen wir doch. Genau das machen wir.
Es war ganz witzig, was Herr Dr. Lauterbach gesagt
hat - ich weiß nicht, wo er geblieben ist -, aber eines
stimmt einfach nicht. Es ist so: Die Humanmedizin hat
mit diesem Sachverhalt größere Probleme als die Tiermedizin.
({7})
- Es ist eindeutig so. Lassen Sie sich nicht täuschen!
Die 7 000 bis 15 000 Toten in Krankenhäusern sind
keine Antibiotikaresistenzfälle. Es geht um allgemeine
Krankenhausinfektionen, bei denen wir es allerdings mit
Resistenzerscheinungen zu tun haben. Das sollten wir
vernünftig, mit Ruhe und Gelassenheit betrachten.
Man sollte auch mit ein bisschen fachlicher Substanz
an seine Arbeit herangehen. Was hat der BUND gemacht? Der BUND hat eine großartige Untersuchung
gemacht. 20 Pröbchen hat er genommen. Dabei hat er
festgestellt, dass auf den Produkten etwas ist, das Resistenzsymptome beinhaltet. Ich finde es schlecht, dass es
diese Resistenzerscheinungen gibt, aber sie haben mit
dem Antibiotikaeinsatz, der in der intensiven Haltungsform ausgeprägter ist als in den ökologischen Haltungsformen - das bestreite ich gar nicht -, möglicherweise
überhaupt nichts zu tun.
Ich will mit noch etwas aufräumen. Vor 40 Jahren
wurde ich Tierarzt. Eine Zeit lang habe ich auch als solcher gearbeitet. Es wurden damals pro Tier viel mehr
Antibiotika eingesetzt als heute. Ich erinnere nur daran:
Euterentzündungen waren gang und gäbe. Rotlauf hat es
in einer Form gegeben. Es hat Schweinepest gegeben. Es
hat Maul- und Klauenseuche gegeben. Aber heute - das
muss man natürlich sehen - sind die intensiven HalHans-Michael Goldmann
tungsformen sicherlich ein Anlass, um Verbesserungen
zu erreichen.
Ich will hier noch einmal betonen: Es liegt in unserer
Hand, wie wir das, was Frau Aigner auf den Tisch des
Hauses legt, noch besser machen. Der Ansatz, den Frau
Aigner hat, ist absolut in Ordnung. Der Transparenzansatz, der in dem Konzept von Frau Aigner enthalten
ist, ist absolut in Ordnung. Dieser muss auch verwirklicht werden.
Ich sage es auch hier noch einmal, nachdem ich es
heute Morgen schon im Ausschuss gesagt habe: Es wird
einen Gesetzentwurf geben. Selbstverständlich werden
wir dazu eine Anhörung durchführen. Selbstverständlich
werden wir alle Bausteine unseres Vorhabens in das Gesetzgebungsverfahren des Parlamentes einspeisen und
diese nicht etwa in Form von Verordnungen oder Ermächtigungen auf den Weg bringen.
Ich glaube, wir alle haben Veranlassung, gemeinsam
dafür zu sorgen, dass die Menge der eingesetzten Antibiotika reduziert wird. Wir alle haben auch Veranlassung, dafür zu sorgen, dass die Tierhaltungssysteme verbessert werden. Frau Tackmann hat dazu sehr kluge
Vorschläge gemacht: Bei der Züchtung fängt es an, es
geht dann über die Qualifikation der Bäuerinnen und
Bauern und muss auch mit dem Berufsethos der Tierärzte in Verbindung gebracht werden. So müssen wir
vorgehen. Dann wird es nicht mehr dazu kommen, dass
wir panikorientiert über dieses Thema reden, sondern
dann werden wir lösungsorientiert darüber reden können. Das wünsche ich mir insbesondere jetzt, so kurz vor
Eröffnung der Internationalen Grünen Woche.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Kollege Hans-Michael Goldmann. Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Bärbel Höhn. Bitte schön, Kollegin Bärbel Höhn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Goldmann, Sie haben gesagt, Antibiotika seien eine
der besten Erfindungen. Ja, aber dann müssen wir auch
darauf achten und vorsichtiger im Umgang sein, weil es
fast keine Antibiotika mehr gibt, gegen die sich noch
keine Resistenzen gebildet haben. Um also das Instrument Antibiotika zu bewahren, müssen wir dafür sorgen,
dass Antibiotika nicht falsch eingesetzt werden. Genau
darum geht es in dieser Debatte, Herr Goldmann.
({0})
Schauen wir uns einmal an, wer von dieser Debatte
tangiert ist: Es ist schon spannend, dass es eine gemeinsame Erklärung vom Deutschen Bauernverband und
vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte gibt.
({1})
In dieser Erklärung zeigen sie sich alarmiert darüber,
dass nach den Studien aus Nordrhein-Westfalen und
Niedersachsen eine kritische öffentliche Diskussion über
die Tierhaltung in Deutschland stattfindet. Außerdem
warnen sie „angesichts der zunehmend hektischen politischen Debatte, jetzt kurzfristige Entscheidungen zu treffen, die die Behandlungsmöglichkeiten erkrankter Tiere
einschränken“.
({2})
- Erkrankter Tiere, richtig.
Nun schauen wir uns einmal an, zu welchem Ergebnis
die Studie aus NRW kommt: 95 Prozent der Masttiere
bekommen Antibiotika. Das heißt nach dieser Logik:
95 Prozent der Tiere sind erkrankt. Meine Damen und
Herren, es ist ein krankes System, wenn 95 Prozent der
Tiere erkranken.
({3})
Wenn man es sich näher anschaut, stellt man fest: Es
geht nicht nur um erkrankte Tiere; denn in 53 Prozent
der Fälle dauert die Behandlung nur ein bis zwei Tage.
Wir alle wissen, dass man kranke Tiere nicht ein bis
zwei Tage, sondern sieben Tage mit Antibiotika behandelt. Das heißt, es geht hier ganz klar um eine falsche
Behandlung. Es geht hier um präventive und wachstumsfördernde Behandlung. Das kritisieren wir. Das
hängt auch mit dem System zusammen. Genau darüber
müssen wir diskutieren und dürfen das nicht wegdiskutieren, Herr Goldmann.
({4})
Frau Ministerin, auch Sie haben diese Systemfrage
gestellt. Wenn Sie nämlich von Grenzen des Wachstums
sprechen, dann ist damit impliziert: Sie kommen an die
Grenzen des Wachstums Ihres eigenen falschen agrarpolitischen Systems. Sie haben die ganzen Jahre wie
auch Ihr Vorgänger Seehofer darauf gesetzt: Fleischproduktion, Fleischproduktion, Fleischproduktion! In nur
fünf Jahren ist die Geflügelmastproduktion um 39 Prozent gestiegen, in nur fünf Jahren die Schweinefleischproduktion um 13 Prozent. Mittlerweile haben wir einen
Selbstversorgungsgrad von 113 Prozent.
Diese Agrarpolitik hat Folgen. Eine der Folgen ist
dieser starke Antibiotikaeinsatz in der Tiermast. Dass
das so weitergeht, müssen wir verhindern. Darüber müssen wir auch diskutieren.
({5})
Das ist doch ein Symptom einer Agrarindustrie, die auf
Masse und nicht auf Qualität setzt. Das ist doch ein
Symptom einer Agrarindustrie, die auf Preisdumping
statt auf Verbraucherschutz setzt, die möglichst billig
Fleisch produziert will. Aber genau das befördern Sie.
Deshalb reicht es nicht aus, dieses Symptom zu beklagen, Frau Ministerin, sondern man muss an die Krankheit herangehen. Das tun Sie nicht. Sie gehen nicht an
Ihre falsche Agrarpolitik heran. Deshalb werden Sie
auch keine Lösung für das Problem finden.
({6})
Im Gegenteil: Sie treiben die Massenproduktion und die
Exportorientierung noch voran.
Wenn wir uns nun Ihre Lösungen anschauen, stellen
wir fest: Sie funktionieren nicht. Sie spielen auch heute
in Ihrer Rede wieder die Betroffene, sagen aber, Sie
seien leider nicht zuständig. Sie wären aber in vielen
Punkten zuständig. Warum richten Sie nicht eine zentrale Datei ein, so wie es Dänemark macht, in die sofort
die Daten kommen und die Länder diese sofort einsehen
können? Wie soll der Vollzug gemacht werden, wenn sie
die Daten erst ein Jahr später bekommen? Dann ist das
Huhn doch schon lange geschlachtet und verzehrt. So
kann man den Vollzug nicht machen. Dann bitte eine andere Transparenz.
({7})
Wie ist das denn? Wir könnten doch viel tun, auch bei
den Arzneimitteln. Sie müssen doch damit umgehen,
dass es ein Missstand ist, dass jemand, der sehr viele
Arzneimittel kauft, Billigpreise bekommt gegenüber jemandem, der wenige kauft. Warum machen Sie keine
Festpreise? Wir haben heute den Staatssekretär gefragt,
und er hat gesagt: Nein, das wolle er nicht.
({8})
Wenn Sie wirklich etwas gegen diesen massiven Einsatz
tun wollen, dann machen Sie Festpreise bei den Medikamenten, damit nicht jemand bevorzugt wird, weil er viel
mehr kauft als der andere. Das wäre ein gutes Instrument, und das könnten Sie auf Bundesebene tun.
({9})
Außerdem sollten Sie auch noch den letzten Punkt ansprechen, der sehr wichtig ist: das Dispensierrecht der
Tierärzte. Es kann doch nicht sein, dass ein Arzt sowohl
die Medikamente herstellen, lagern, mischen und verkaufen darf und dann auch noch die Diagnose stellen
darf. Das ist ein Interessenkonflikt, und das darf nicht
sein.
({10})
Von daher sagen wir sehr eindeutig und klar: Sie haben erkannt, das System ist krank; aber dann ändern Sie
es! Wenn Sie heute schon so auf die Demo schimpfen,
dann muss ich sagen: Ich finde es gut, dass es Menschen
in diesem Lande gibt, die aufstehen und sagen: Wir wollen eine andere Art der Herstellung von Lebensmitteln.
Wir haben es satt, in einem System zu leben, in dem es
gegen den Tierschutz und den Verbraucherschutz geht,
einfach nur, um billig Fleisch zu produzieren. Das muss
ein Ende haben.
Danke.
({11})
Vielen Dank, Frau Kollegin Bärbel Höhn. - Nächste
Rednerin unserer Aktuellen Stunde für die Fraktion der
CDU/CSU ist unsere Kollegin Marlene Mortler. Bitte
schön, Frau Kollegin Marlene Mortler.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gleich an die Opposition: Angst ist Ihr Geschäft, Angst
ist Ihr Programm.
({0})
Unser Programm ist Aufklärung und Verbesserung,
und es ist unglaublich, welche Kampfthemen Sie sich jedes Jahr kurz vor der Grünen Woche in Berlin überlegen.
Es ist von Lebensmittelkrise und Skandalen die Rede.
Ich sage Ihnen etwas:
({1})
Ich habe Ihre Pseudokampagnen satt,
({2})
und ich habe vor allem Ihre Pseudowissenschaftler satt.
Dr. Lauterbach ist schon entschwunden, sonst hätte ich
ihm jetzt ins Stammbuch geschrieben, Stichwort „Antibiogramme“. Wir sind in der Tiermedizin schon viel
weiter als in der Humanmedizin, weil wir gezielt nachschauen, welches Antibiotikum auf welchen Krankheitserreger passt und damit am besten wirkt. Davon sind wir
in der Humanmedizin noch weit entfernt. Lieber
Friedrich Ostendorff, du bist heute deiner Rolle als Nestbeschmutzer
({3})
deiner Kolleginnen und Kollegen in der Landwirtschaft
wieder voll gerecht geworden.
({4})
- Ich weiß, Wahrheit tut weh. Frau Künast, voll ins
Schwarze getroffen, in dem Fall ins Grüne!
({5})
Der Rolle voll gerecht geworden.
({6})
Noch eins: Hier Reden zu schwingen und in der Opposition so zu tun,
({7})
als ob wir in Deutschland die schlechtesten Lebensmittel
hätten und der Verbraucher jeden Tag sterben müsste
- so stellen Sie es dar -, das ist der Skandal.
Ja, es stimmt, unseren Heim- und Nutztieren in
Deutschland werden, wenn nötig, Antibiotika verabreicht. Wenn ein Tier oder eine Herde erkrankt ist, dann
ist es oberste Pflicht der Bäuerinnen und Bauern, aber
auch des Tierbesitzers sowie des Tierarztes, die Tiere zu
behandeln, damit sie wieder gesund werden.
({8})
Es wäre mit unserem christlichen Verständnis und mit
dem Gedanken eines verantwortungsvollen Umgangs
mit unseren Mitgeschöpfen nicht vereinbar,
({9})
wenn wir im Falle von Krankheiten nicht so handeln
würden.
({10})
Ich betone ausdrücklich: Auch mit dem deutschen Tierschutzgesetz wäre das nicht vereinbar.
({11})
Es stimmt, dass wir Probleme haben. Aber diese lösen
Sie nicht - ich sage es noch einmal - mit einfachen Antworten und plakativen Schuldzuweisungen. Die Bäuerinnen und Bauern, die ich kenne, leiden darunter, wenn
ihre Tiere krank sind. Sie sorgen dafür, dass sie jeden
Tag gesund im Stall stehen, und behandeln sie entsprechend, wenn das nicht der Fall ist.
Meine Damen und Herren, antimikrobielle Substanzen werden in der Umwelt seit Millionen von Jahren vor
allem durch Pilze gebildet. Sie verursachen seitdem antimikrobielle Resistenzen und üben einen Selektionsdruck
in der Evolution von Mikroben aus. Das geschieht nicht
erst seit der Anwendung von Antibiotika in der Medizin.
So wurde zum Beispiel vor kurzem bei Erregern aus einer ägyptischen Mumie Resistenz gegen Vancomycin
nachgewiesen, lange vor der medizinischen Anwendung
dieser Substanz.
Wir von der Union möchten nichts kleinreden. Wir
sagen aber deutlich, dass seit 2006 der vorbeugende Einsatz von Antibiotika EU-weit verboten ist.
({12})
Deshalb begrüßen wir, dass die Bundesregierung schneller ist als das in erster Linie angesprochene Bundesland
Nordrhein-Westfalen und sagt: Wenn ihr nicht handelt,
dann handeln wir. - Wir begrüßen den Gesetzentwurf.
Wir begrüßen es, dass die Datengrundlage verbessert
wird und dass die Tierärzte in Zukunft eine lückenlose
Einsicht in Daten zur Abgabe und Anwendung von Antibiotika gewähren müssen. So können wir in Zukunft eindeutig feststellen, in welchen Regionen, in welchen
Betrieben besondere Probleme mit der Tiergesundheit
bestehen.
({13})
Lebensmittel sind natürliche Produkte. Ehrlich gesagt, möchte ich selber in Zukunft keine sterile Fleischfaser essen. Ein Naturprodukt ist nun einmal immer mit
Keimen behaftet.
({14})
So ist auf der Oberfläche von Geflügelfleisch oft der
Keim E. coli zu finden. Dies ist seit Jahrhunderten bekannt, und darum essen wir kein rohes Geflügelfleisch,
sozusagen Carpaccio vom Huhn.
An dieser Stelle eines zur Verdeutlichung: Ich bin
Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft. Ich weiß noch,
wie man mit Rohstoffen, vor allem mit Geflügelfleisch,
umgeht.
Sie kommen bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Wenn man vermeiden will, dass Probleme in der eigenen Küche, auf dem eigenen Teller und in der Folge im
Körper auftreten, dann ist die Hygiene in der Küche das
A und O. Insofern ist die Studie des BUND ein alter Hut.
Der Keim MRSA muss nicht nur in der Tiermedizin,
sondern vor allem in der Humanmedizin ernsthaft bekämpft werden,
Jetzt Ihr Schlusssatz bitte.
- aber nicht mit Kampagnen, sondern mit politischem
Handeln.
Danke schön. Ich bin fertig.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner in unserer Debatte ist unser Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier
für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Herr
Kollege.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Antibiotika sind ein
emotionalisierendes Thema. Ich habe selten eine Debatte
erlebt, in der hinsichtlich der Bewertung mit so vielen
Unterstellungen diskutiert worden ist. Ich glaube, es ist
an der Zeit, die Emotionen ein bisschen zu zügeln. Das
ist der Ernsthaftigkeit des Themas wahrlich angemessen.
Der Anlass zu unserer heutigen Debatte ist wahrlich
ernst, auch im Hinblick auf das Vertrauen der Verbraucher. Denn die Diskussion, die wir hier führen, wird
letztendlich nicht dazu führen, das Vertrauen der Verbraucher in unsere Landwirtschaft zu erhalten, sondern
sie wird eher das Gegenteil bewirken. Man muss die
Probleme, was ihre Dimensionen angeht, richtig beurteilen. Das ist, so glaube ich, heute nicht in Gänze der Fall
gewesen.
Es geht natürlich nicht an, dass wir in dieser Aktuellen Stunde die Systemfrage stellen.
({0})
Ich erkenne sehr wohl, dass bestimmte Formen der landwirtschaftlichen Produktion an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen sind. Es geht um die Frage von
Nährstoffkreisläufen in bestimmten Regionen, um die
Frage von Betriebsgrößen, aber auch um die Frage von
ökonomischen Möglichkeiten und von gesellschaftlicher
Akzeptanz solcher Systeme. Produktionssysteme, die
von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden, haben
langfristig keine Chancen und keine Existenzberechtigung mehr. Das sollte jedem klar sein.
({1})
Ich verstehe daher den Ausbruch der Kollegin
Mortler nicht. Aber so sei es denn.
({2})
- Ich meine die Formulierung gegenüber dem Kollegen
Ostendorff. Bei aller Emotion muss ich sagen, dass dies
der Diskussion heute nicht angemessen ist.
({3})
Wir brauchen das, was wir heute Morgen in unserer
Diskussion über unseren Antrag erörtert haben, nämlich
ein ganzheitliches System, das nicht nur Teile - der Einsatz von Antibiotika ist ein Teil -, sondern das System in
Gänze berücksichtigt. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als wir hier über Schweinehaltungsverordnungen, Nutztierhaltungsverordnungen und Flächenzumessungen diskutiert haben. Da hat man gesagt, dass es das
Ende der Betriebe ist, wenn man die Flächenzumessung
um 30 Prozent erhöht. Dem war aber nicht so.
Unsere Betriebe sind wettbewerbsfähig und durchaus
in der Lage, Verbesserungen bei Standards, vor allen
Dingen bei Hygienestandards, zu erreichen. Hoffentlich
sind sie auch dazu bereit. Wenn wir für das ganze System entsprechende Regelungen einführen und Vorgaben
machen, wird das dafür sorgen, dass wir in Zukunft nicht
mehr in dieser Weise über dieses Thema diskutieren
müssen.
Es muss natürlich die Bereitschaft gegeben sein,
rechtliche Vorgaben zu schaffen. Die Bundesländer beklagen sich darüber, dass es keinen einheitlichen Überwachungsansatz gibt. Darauf kann man eingehen und
entsprechende Maßnahmen umsetzen. Über einen Teil
des Überwachungsansatzes, der sich in unserem Antrag
findet, haben wir heute Morgen im Ausschuss diskutiert.
Er ist aber von Ihnen leider niedergestimmt worden. Ich
bedaure das. Aber ich erkenne sehr wohl eine Gesprächsbereitschaft.
Uns muss es gelingen, nicht immer wieder an die
Grenzen dieses Systems zu stoßen und uns nicht gegenseitig Schuldzuweisungen - hier Bund und da Bundesländer - zu machen. Wir wissen doch, dass entlang der
Lebensmittelkette Schwächen in der Überwachung existieren, die wir bislang nicht ausräumen konnten und über
die wir seit zehn Jahren diskutieren. Wir sind aber nicht
in der Lage - dafür gibt es die verschiedensten Begründungen -, dieses Problem zu lösen. Dies ist ein Punkt, an
dem wir ansetzen sollten. Dies sollten wir in dem Bemühen tun, dem Verbraucher mehr Sicherheit zu garantieren.
({4})
Entscheidend ist nicht so sehr der Streit um das Wie,
sondern die Frage, wie man die Maßnahmen vor Ort umsetzt. Sie alle sind über die aktuellen Verhältnisse in Ihren Wahlkreisen informiert. Die Kommunen haben kein
Geld und stellen keine Leute ein. Es gibt Haushaltssperren, und damit kann keine Überwachung stattfinden. Der
Bund sagt, die Länder seien zuständig. Es wird erwartet,
dass der Tierarzt zu einem Betrieb hinfährt und kontrolliert. Voraussetzung dafür, dass auf Verdacht überprüft
werden kann, ist aber, dass der Veterinär von einem Verdacht erfährt. So etwas ist in dem vorhandenen System
und auch nach dem, was in Ihrem Gesetzentwurf skizziert ist, nicht möglich.
Wir müssen an die Betriebe heran. Wir müssen die
Probleme der Betriebe lösen, die wirklich betroffen sind.
Wir dürfen nicht verschweigen, dass viele Betriebe überhaupt keine Antibiotika einsetzen. Im Geflügelbereich
trifft diese Aussage nicht zu; da ist die Situation sehr kritisch. Aber im Schweinebereich ist das durchaus der
Fall. Die Betriebe, die ein massives Problem haben,
müssen wir erstens identifizieren, und wir müssen ihnen
zweitens die entsprechende Hilfe angedeihen lassen.
Und wenn alles nicht funktioniert, müssen wir ihnen
Vorgaben machen mit dem Ziel, dass sie sich in Richtung hin zu besseren Standards bewegen. Nicht eingehaltene Standards sind die Ursache für negative Auswüchse und Erkrankungen.
Es ist also vernünftig, gemeinsam an dem Problem zu
arbeiten und sich für eine Lösung einzusetzen. Es sollte
ein vernünftiger Gesetzentwurf vorgelegt werden, der
über das hinausgeht, was Sie skizziert haben. Sorgen Sie
dafür, dass sich Ihre Kollegin Frau LeutheusserSchnarrenberger bewegt und dass sie nicht ganz so wiDr. Wilhelm Priesmeier
derspenstig ist, was die Erfassung von Daten angeht. Ich
glaube, dann wären wir ein ganzes Stück weiter.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Kollege Dr. Priesmeier. - Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege
Josef Rief. Bitte schön, Kollege Josef Rief.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich sehe an der Diskussion, wenn ich die
Werbeblöcke für die Demo am Samstag ausblende: Wir
sind uns eigentlich weitgehend einig. Antibiotika in der
Tierhaltung müssen auf das notwendige Minimum begrenzt sein. Jede Verwendung von Antibiotika bei
Mensch und Tier kann Resistenzen fördern und so Arzneimittel unwirksam machen. Den Landwirten die
Schuld zuzuschieben, ist hier nicht dienlich. Antibiotika
werden in der Regel von Tierärzten verschrieben, und
zwar nach der Diagnose. Es ist wichtig, dies den Bürgerinnen und Bürgern noch einmal klarzumachen. Schon
der hohe Preis macht einen unberechtigten Einsatz von
Medikamenten unwahrscheinlich und einen illegalen
Einsatz als Mastunterstützung in der Regel unrentabel.
Das war vor zwei Jahren so, als ich noch aktiver Landwirt war, und ich glaube, da hat sich nicht viel geändert.
Die Debatte muss sachlich geführt werden. Der
BUND kauft 20 beliebige Hähnchen und findet bei einem Test multiresistente Keime, geht dann an die Presse
und vermeldet, in jeder zweiten Stichprobe bedenkliche
Ergebnisse gefunden zu haben. Es wird schnell klar, dass
dies nicht verallgemeinert werden kann. Bei über 1 Million Tonnen Hähnchenfleisch, die jährlich in Deutschland gegessen werden, drängt sich mir schon der Verdacht auf, dass hier nur ein Skandal unmittelbar vor der
Grünen Woche das Ziel gewesen sein kann, wie schon
mehrere Kolleginnen und Kollegen vor mir dies vermutet haben.
Sicher darf man diesen Befund auch nicht verharmlosen. Sicher ist aber auch, dass das bloße Vorhandensein nichts über die tatsächliche gesundheitliche Gefährdung der Verbraucher aussagt.
({0})
Es kommt auf die Anzahl der Keime ebenso an wie auf
den genauen Typ. Das Bundesinstitut für Risikobewertung bestätigt, dass die Bedeutung von Fleisch in diesem
Zusammenhang sehr gering ist.
Jeder weiß auch, dass Hähnchenfleisch immer durchgegart werden muss - Frau Mortler hat es vorhin gesagt und die Arbeitsgeräte nach der Zubereitung gründlich zu
reinigen sind.
({1})
Das sind die wichtigsten und besten Maßnahmen gegen
schädliche Keime und Krankheiten.
Der Gebrauch von Antibiotika kann und muss sicher
weiter reduziert werden. Gemeinsam mit den Ländern
sollen die Regelungen noch besser überwacht und bei
Verstößen auch konsequent geahndet werden. Trotz aller
Probleme sind Antibiotika, sinnvoll und treffsicher eingesetzt, äußerst wichtig für die menschliche Gesundheit
und die Gesundheit von Tieren.
({2})
Der Großteil der Antibiotika wird ohnehin nach wie
vor von uns Menschen eingenommen. Wie schnell fordern wir bei Krankheit ein Breitbandantibiotikum, setzen es dann aber bei Besserung oft zu früh ab, was Resistenzen fördert.
({3})
Ein Vergleich mit den Niederlanden zeigt, dass dort
die Verbreitung der Keime bei Tieren und Tierhaltern
sehr viel höher ist als in Deutschland. Die konkreten Erkrankungen bei Menschen sind in den Niederlanden aber
durch verbesserte Krankenhaushygiene sehr viel geringer. Man kann davon ausgehen, dass die Fälle von Infektionen mit multiresistenten Keimen beim Menschen zu
mindestens 98 Prozent auf Krankenhauskeime zurückzuführen sind. Infektionswege über die Landwirtschaft
spielen hier so gut wie keine Rolle. Trotzdem müssen
wir die Medikamentenabgabe über Forschung, Impfungen und Haltungsverfahren weiter zurückdrängen. Moderne Haltungsbedingungen mit höchsten Hygienestandards sind heute gerade in der Hühnermast Alltag,
ebenso die Abtrennung von einzelnen Stallabteilen, damit im Krankheitsfall das Ansteckungsrisiko auf eine
Herde beschränkt bleibt.
Frühere Haltungsbedingungen werden häufig idealisiert und romantisiert beschrieben. Die Ställe der 50erJahre wären heute nicht genehmigungsfähig und würden
ein sehr viel höheres Ansteckungsrisiko bei Krankheiten
bergen. Bei dieser Haltungsform wäre auch der Medikamenteneinsatz um ein Vielfaches höher als heute.
({4})
Letzten Endes ist es auch eine Frage des Tierschutzes,
kranke Tiere überhaupt behandeln zu können. Was wäre
denn die Alternative? Etwa die Tiere qualvoll zugrunde
gehen zu lassen? Wohl nicht.
Ich begrüße das entschlossene Handeln unserer
Ministerin - bitte richten Sie ihr das aus ({5})
und bin davon überzeugt, dass wir auf jeden Fall vorankommen werden, wenn wir alle am gleichen Ende des
Stranges ziehen. Tiergesundheit, Tierschutz und gesunde
Lebensmittel gehören einfach zusammen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Der letzte Redner in unserer Aktuellen Stunde ist unser Kollege Franz-Josef
Holzenkamp für die Fraktion der CDU/CSU. Bitte
schön, Kollege Holzenkamp.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor vielen Jahren hat man mir einmal beigebracht:
Wer am lautesten schreit, hat nicht unbedingt recht. Vielleicht sollte man darüber einmal nachdenken.
({0})
Die Art, wie die Diskussion hier teilweise gelaufen
ist, hat mich sehr verwundert, vor allem im Vergleich zur
Diskussion heute Morgen im Ausschuss, die sehr sachlich und zielführend war. Ich habe mir die Frage gestellt:
Wer hat eigentlich die Aktuelle Stunde beantragt? Offensichtlich geht es mehr um Klamauk als um das Interesse
an der eigentlichen Sache.
Das finde ich sehr schade. In diesem Zusammenhang
will ich einen Abschnitt aus einer Pressemitteilung zitieren:
So stammt das multiresistente ESBL-Bakterium,
das für den Tod der drei Säuglinge in einer Bremer
Klinik verantwortlich ist, vermutlich aus der Tierhaltung.
So etwas sollten wir nicht tun; ich erinnere nur an Ehec.
Das führt zu nichts. Das ist nur eine pauschale Verunglimpfung und hilft in der Sache nicht weiter. Das sollten wir bleiben lassen.
({1})
In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich
Frau Tackmann und Herrn Priesmeier von der Opposition Dankeschön für ihre sachlichen Einlassungen in ihren Reden sagen. Nur das hilft uns weiter.
({2})
Auf noch auf einen Punkt möchte ich zu sprechen
kommen: Wir können meinetwegen über Massentierhaltung reden. Aber legen Sie doch endlich einmal eine Definition vor, und zwar eine Definition für alle Bereiche,
sowohl für den ökologischen als auch den konventionellen.
({3})
Ich komme zu den Gemeinsamkeiten. Wir haben
heute Morgen miteinander festgestellt: Es werden offensichtlich - das belegen die Studien - zu viele Antibiotika
eingesetzt, auch unsachgerecht. Hier gibt es Handlungsbedarf. Frau Aigner hat in diesem Zusammenhang einige
Punkte vorgestellt, die ich nicht alle wiederholen will,
unter anderem, dass Missbrauch verboten ist und einen
Verstoß gegen das geltende Recht bedeutet.
Immerhin verfolgen wir seit dem Jahr 2008 eine Reduktionsstrategie, wohingegen Sie die Grüne Woche einfach nur für Klamauk nutzen. Das führt uns nicht weiter.
({4}) Friedrich Ostendorff ({5}): Der Antibiotikaeinsatz ist gestie-
gen, Herr Holzenkamp!)
In der Vorbereitung zu dieser Auseinandersetzung
habe ich mir die europäischen Vergleichszahlen angeschaut. Auch das gehört zur gesamten Wahrheit: Wir
sind uns darüber einig, dass wir immer weniger Tierarzneimittel einsetzen müssen. Deutschland liegt im Mittelfeld, hinter der Schweiz. Das ist nicht genug. Wir wollen
mehr. Es gibt aber auch Länder, die einen exorbitanten
Mehrverbrauch haben.
In diesem Zusammenhang ein Hinweis: In den letzten
Tagen wurde verschiedentlich formuliert, dass wir uns
Ziele setzen müssen, wie beispielsweise die Holländer,
die öffentlich verkünden: Wir reduzieren um 50 Prozent. Wenn die Holländer das machen, dann kommen sie vielleicht allmählich auf unseren Stand. Das Nennen von
Prozentsatzzielen alleine hilft nichts. Wir müssen an der
Sache arbeiten. Alles andere hilft uns nicht weiter.
({6})
Wir müssen zu schnellen, nachhaltigen und wirksamen
Ansätzen kommen. Einfache Lösungen - darauf wurde
schon hingewiesen - haben wir leider Gottes nicht.
Ein weiterer Hinweis zu den Datenbanken: Heute
Morgen haben wir sachlich miteinander besprochen,
dass Datenbanken - auch nach Einschätzung des
BMELV - rechtsstaatlich fragwürdig sind, Stichwort
Generalverdacht. Das will ich jetzt nicht alles wiederholen. Wir haben gesagt, dass wir über die Angelegenheit
diskutieren wollen. Das Ganze werden wir im Laufe des
Gesetzgebungsverfahrens prüfen.
Im Kern kommt es aber darauf an, dass wir tatsächlich vor Ort Prüfungen durchführen und nicht irgendwo
Daten sammeln. Im Kern kommt es auf die Prüfung vor
Ort an, nicht darauf, große Sprüche zu klopfen.
({7})
Frau Aigner hat die Maßnahmen angekündigt, die mit
der Gesetzesnovelle umgesetzt werden. Das sind ganz
konkrete Maßnahmen, die sehr schnell zum Erfolg führen werden.
Ich will an dieser Stelle einen Punkt unterstreichen;
denn Herr Lauterbach hat vorhin in seiner Rede etwas
komplett Falsches gesagt. Meine Damen und Herren,
wer von uns weiß denn nicht, dass erst einmal ein Antibiogramm erstellt wird, wenn man zum Arzt geht? Da
wird in der Regel einfach ausprobiert. Da entstehen die
meisten Resistenzen, nicht in der Tiermedizin. Das ist
doch die Wahrheit. Das muss man benennen und sagen
dürfen; das muss man irgendwann auch einmal erkennen.
Wir nehmen uns ganz bewusst vor, dass Wirkstoffwechsel
zukünftig nur noch auf Basis eines Antibiogramms durchgeführt werden. Das ist, was die Prophylaxe bei Resistenzen angeht, ein guter, zielführender Weg.
({8})
Es wurde infrage gestellt, dass wir überhaupt an das
Dispensierrecht herangehen wollen, obwohl Frau Aigner
es eindeutig gesagt hat: Wir überprüfen das Dispensierrecht.
({9})
- Ja, das ist richtig. Frau Höhn, es gibt keine einfachen
Lösungen. Das ist nun einmal so in der Welt. - Es
kommt zum Schluss doch darauf an, dass der Einsatz
von Tierarzneimitteln wirklich reduziert wird, also nicht
nur von einer Ebene auf die andere verlagert wird.
({10})
Wir wollen wirksame Lösungen finden und nicht nur
Sprüche klopfen.
Ich will darauf hinweisen, dass auch die Wirtschaft
Anstrengungen unternimmt. Ich begrüße, dass sich auch
die QS bemüht. Auf Grundlage der Erfahrungen aus dem
Salmonellenmonitoring sind betriebsbezogene Erkenntnisse zum jeweiligen Status gesammelt und danach
Maßnahmen getroffen worden. Das ist wirklich zielführend; das wirkt. Da kann man Dinge wie Tierbewegungen, Mortalitätsrate und anderes mit einbeziehen. Das
bringt wirklich etwas und sorgt für eine Reduzierung des
Einsatzes von Tierarzneimitteln.
({11})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr verehrte Kollegen und Kolleginnen von der Opposition, ich
möchte Sie ganz herzlich dazu einladen, dass wir weiterhin so sachlich vorgehen wie heute Morgen im Ausschuss. Bringen Sie sich sachlich und ehrlich ein und
klopfen Sie weniger Sprüche. Dann erreichen wir auch
ein gutes Ergebnis.
Herzlichen Dank.
({12})
Vielen Dank, Kollege Franz-Josef Holzenkamp.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 19. Januar 2012,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Vielen herzlichen Dank.