Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zur 150. Plenarsitzung in der
laufenden Legislaturperiode, die hoffentlich die letzte in
diesem Jahr sein wird.
Wir beginnen mit dem vereinbarten Zusatzpunkt 9:
Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
zu den Ergebnissen des Klimagipfels in Durban
Hierzu liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag
der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Dr. Norbert Röttgen.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In den Morgenstunden des vergangenen Sonntags,
des dritten Advents, ist die bislang längste Klimakonferenz nach nächtelangen Verhandlungen zu Ende gegangen. Circa 20 000 Personen waren akkreditiert. Über
zwei Wochen wurde verhandelt. Gerade wegen der Aufmerksamkeit, die diese Konferenz weltweit bekommen
hat, möchte ich betonen, dass die Konferenz nicht die eigentliche Sache ist und dass man die Konferenz nicht
nur aus sich heraus bewerten darf, wenn man dem
Thema gerecht werden möchte.
Die Konferenz ist nicht die Sache selbst. Die Sache
selbst ist der Klimaschutz. Auch mit den Ergebnissen
dieser Konferenz - im Abschlussdokument ist es ausdrücklich festgehalten - hinken wir dem Problem hinterher. Klimaschutz findet statt, er entwickelt sich dynamisch. Aber die Maßnahmen, die einzelne Staaten
getroffen haben, die Maßnahmen, die die Staatengemeinschaft getroffen hat, sind in der Summe nicht ausreichend. Wir tun immer noch zu wenig. Es gibt immer
noch eine erschreckende Lücke, die auch auf der Konferenz von denen glaubwürdig dargestellt wurde, die
schon heute die Opfer sind. Wir haben dies auch hier in
der Debatte vor der Konferenz ausgeführt.
Es ist kein Pathos, es ist keine rhetorische Übertreibung, sondern für die Menschen aus Grenada und aus
anderen kleinen Inselstaaten, die abzusaufen drohen, deren Land, deren Heimat, deren Lebensgrundlage überschwemmt und zerstört zu werden droht, für die Menschen in den am wenigsten entwickelten Ländern, die
unter mehr Dürre, weniger Wasser und daraus resultierenden Konflikten zu leiden haben, ist Klimawandel eine
Frage von Leben und Tod. Klimawandel ist eine Frage
der Zerstörung von Heimat, der Zerstörung von Lebensgrundlagen. Klimawandel ist zunehmend eine Quelle
von Konflikten und eine wesentliche Ursache von
Flüchtlingsströmen.
Es gibt Solidarität, da jeder Mensch die gleiche
Würde hat. Das ist unser Bild vom Menschen, das dem
Grundgesetz zugrunde liegt. Darum ist uns das Schicksal
der Menschen an anderen Orten dieses Planeten nicht
egal. Es ist eine Frage von humanitärer Solidarität, dass
wir uns gerade als Industrieland für den Klimaschutz
einsetzen.
({0})
Aber es gibt auch keine Insel der Glückseligen bei der
Globalisierung. Vielmehr kommen die Probleme alle zu
uns. Die klimatischen Folgen kommen zu uns und erreichen uns. Auch die Flüchtlingsströme erreichen uns. Das
ist eine elementare Frage der Gerechtigkeit in unserer
Zeit, in doppelter Hinsicht. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, weil die Menschen auf dem Planeten, die am wenigsten - im Grunde nichts - zum Problem des Klimawandels beitragen, am stärksten betroffen sind. Die, von
denen ich eben gesprochen habe, sind keine Verursacher
- so gut wie nicht -, aber sie sind die Betroffenen.
Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit in der Perspektive, die die Menschen und die Menschheit haben.
Ich glaube, dass die Vorstellung realistisch ist, dass die
Atmosphäre ein begrenzter Deponieraum für die Aufnahme von Treibhausgasen wie CO2 ist. Wenn wenige
Länder durch ihre Entwicklung, durch ihre Art des Lebens und Wirtschaftens diesen Deponieraum auffüllen,
dann schneiden wir Milliarden Menschen von der Perspektive einer persönlich, wirtschaftlich und individuell
guten Entwicklung ab.
Es geht um die Frage nach globaler Gerechtigkeit, die
aber immer ein menschliches Gesicht hat. Es geht also
um die Abwehr einer fundamentalen Bedrohung für die
Menschen und die Menschheit. Parallel dazu geht es um
die enormen wirtschaftlichen Chancen.
Das ist nicht nur ein defensiver Ansatz, etwas zu verhindern, sondern wenn man die Begrenzung der natürlichen Lebensgrundlagen und des Deponieraumes in ein
intelligentes, zukunftsfähiges, nachhaltiges System des
Wirtschaftens einführt, dann entsteht dort auch ein ganz
neuer Wettbewerb, und dann werden diejenigen, die sich
kulturell und technologisch darauf einstellen, die wirtschaftlichen Gewinner dieses Jahrhunderts werden. Es
geht um enorme wirtschaftliche Chancen. Man darf sagen, dass wir diese wirtschaftlichen Chancen nutzen
wollen. Das ist ausdrückliches Ziel unserer Politik, für
Deutschland und für Europa in ganz besonderer Weise.
({1})
Weil die fundamentale Bedrohung wie die fundamentale Chance und die neue Orientierung von Wirtschaft,
Wettbewerb und Modernisierung so bestehen, haben wir,
die Deutschen und die Europäer, hart verhandelt. Wir haben uns den Forderungen, Europa solle in jedem Falle
eine zweite Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls
eingehen - sie sind auch in diesem Haus gestellt worden -,
nicht angeschlossen, mit einem Risiko.
({2})
- Herr Trittin sagt: „Das war ein Fehler.“ Nein, es war
kein Fehler. Es war ein Risiko, und zwar das Risiko, dass
die Region Europa, die als einzige Region weltweit
wirklich entschlossen und bereit ist, Verpflichtungen
einzugehen, am Ende noch den Schwarzen Peter bekommt, wenn man sich nicht einigt. Dieses diplomatische, außenpolitische Risiko sind wir eingegangen. Wir
sind es übrigens mit großer Unterstützung auch der nationalen und internationalen Umwelt- und Klimaschutzverbände eingegangen, weil es ein Scheitern gewesen
wäre, wenn wir uns damit zufriedengegeben hätten, dass
sich nur einige wenige Länder, dass sich nur Europa verpflichtet.
Die Europäische Union und einige zusätzliche Länder
wie Norwegen und die Schweiz decken circa 15 Prozent
der globalen Treibhausgasemissionen ab. Mit einem Regelungsregime, das nur 15 Prozent der Verursacher und
der Verursachung erfasst, können wir nicht 100 Prozent
des Problems lösen. Es ist, wie ich gerade ausgeführt
habe: Wir müssen 100 Prozent lösen. Mali, Grenada und
andere haben nichts davon, wenn wir 15 Prozent lösen.
Darum waren sie bei diesem Ansatz an unserer Seite. Es
war genau richtig, diesen Ansatz zu wählen und dieses
Risiko einzugehen: um der Sache willen.
({3})
Im Nachhinein können wir erleichtert - manche
glücklich - sagen: Es hat sich ausgezahlt. Wenn wir
nicht so hart verhandelt hätten, wenn wir weich gewesen
wären und gesagt hätten: „Wir haben mehr Angst um unser internationales Standing als um die Sache“, dann hätten wir niemals das erreicht, was erreicht worden ist. Darum ist es schon ein bisschen bizarr, dass diejenigen, die
uns eine weiche Verhandlungsposition empfohlen haben,
jetzt die Ergebnisse als unzureichend kritisieren. Das ist
eine besondere Form von Unglaubwürdigkeit, die man
einmal ansprechen muss.
({4})
Das haben die Bundesregierung und die Europäische
Union gemeinsam so verhandelt und auch aufrechterhalten.
Ich komme damit zu der Rolle, die Europa auf dieser
Konferenz gespielt hat und die ich hervorheben möchte.
Wir debattieren in unserer Zeit fast nur über Europa. Europa hat auf dieser Konferenz etwas gezeigt, was aus
meiner Sicht, nebenbei bemerkt, der tiefste Grund für all
unsere Euro-politischen und europapolitischen Debatten
ist: Wir haben zusammengehalten. Europa agierte geschlossen. Europa hat mit einer Stimme gesprochen.
Weil das so war, war Europa der prägende, konstruktive
Part auf dieser Konferenz. Ich glaube, diesen Erfolg
kann man mit großem Glück feststellen.
Europa hat diese Konferenz positiv, konstruktiv geprägt, weil wir unter polnischer Ratspräsidentschaft zusammen mit der Kommission und den Mitgliedsländern
geschlossen agiert haben, weil wir glaubwürdig sind
- Europa hat nicht in erster Linie von anderen etwas verlangt, sondern Europa hat gesagt, andere Länder, insbesondere die Schwellenländer, müssen zu dem bereit sein,
zu dem wir selbstverständlich auch bereit sind - und
weil wir entschieden waren, nicht alles mitzumachen,
und eine klare Position vertreten haben.
Ich habe die polnische Ratspräsidentschaft und die
Kommission erwähnt, Dänemark, das die kommende
Ratspräsidentschaft innehat, und Frankreich: Das alles
sind unsere engsten Partner neben anderen Ländern, aber
ich möchte auch hier betonen, dass es auf dem Gebiet
der Klimapolitik eine engste, vertrauensvollste und
fruchtbarste Zusammenarbeit insbesondere auch mit
dem Vereinigten Königreich gibt. Auf diesem Gebiet haben wir eine besonders enge und wirkungsvolle Partnerschaft.
Ein Teil und ein wesentliches Element dieser europäischen Strategie, die wir hatten und die funktioniert hat,
neben der Geschlossenheit war, dass wir erstmalig eine
strategische Partnerschaft Europas mit den am wenigsten
entwickelten Ländern dieser Welt und mit den sogenannten kleinen Inselstaaten, AOSIS, entwickelt haben, eingegangen sind und auch zur Geltung gebracht haben.
Ohne diese Partnerschaft, ohne das politische und moralische Gewicht dieser Länder und Europas wäre der Erfolg nicht erreicht worden.
({5})
Wir hätten es alleine nicht geschafft. Nur zusammen
mit so kleinen und unter machtpolitischen Gesichtspunkten bedeutungslosen Ländern, die aber eine authentische
Stimme der Betroffenheit und des ehrlichen Engagements haben, wurde dieser Erfolg erreicht, weil die sogenannten BASIC-Staaten China, Indien, Brasilien und
auch Südafrika, das die Präsidentschaft innehatte, von
deren Stimme und von deren Anklage - „Ihr lasst uns im
Stich“ - beeindruckt waren.
Darum möchte ich hier sagen - ich glaube, dass wir
darin übereinstimmen; es war ja auch eine Delegation
des Bundestages dort -: Diese strategische Partnerschaft
wird über den Tag dieser Konferenz hinaus Bedeutung
haben. Sie muss sie haben; denn sie ist ein ganz wesentlicher Ertrag, den wir mit unserer internationalen Klimadiplomatie erreicht haben. Wir werden diese Partnerschaft weiter pflegen und einsetzen, weil sie weiterhin
erfolgreich und notwendig sein wird.
({6})
Ich möchte auf die einzelnen wichtigsten Ergebnisse
der Konferenz eingehen, sie darstellen und natürlich
auch bewerten. Das, was aus meiner Sicht, aus deutscher
Sicht, aus europäischer Sicht den Erfolg schlechthin ausmacht, ist, dass es nunmehr ein globales Klimaschutzabkommen für alle Länder geben wird. Es war das zentrale
Ziel unserer Verhandlungen, dass es ein Regelungssystem gibt, ein - wir kennen die Redewendung aus den
Kopenhagener Vorverhandlungen und Verhandlungen bindendes Rechtsinstrument für alle. Das ist eine fundamentale Neuordnung der internationalen Klimapolitik.
Sie war bislang davon geprägt, dass es die Verpflichtungen einiger weniger Industrieländer gibt, aus denen
sich immer mehr Industrieländer zurückgezogen haben.
Wir alle haben das inakzeptable Verhalten von Kanada
jetzt zur Kenntnis nehmen müssen, nicht nur die Ankündigung wahrzumachen, an einer zweiten Periode nicht
teilzunehmen, sondern auch aus der bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtung der laufenden Verpflichtungsperiode auszusteigen. Das heißt, es gibt immer weniger
Industrieländer, die tatsächlich zu etwas bereit sind, und
immer mehr Länder, die als Maximum freiwillige Maßnahmen ergreifen, aber nicht bereit sind, sich vertraglich
zu verpflichten.
Mit diesem Ordnungsrahmen, mit dieser Rechtsordnung aus einer vergangenen Zeit werden und würden wir
das Problem nicht in den Griff bekommen, sondern wir
brauchen diejenigen, die schon heute und immer mehr
große Emittenten von CO2 sind. Das sind die Schwellenländer. China mit einer Bevölkerung von 1 200 Millionen Menschen hat schon heute eine Pro-Kopf-Emission
an Treibhausgasen von annähernd 7 Tonnen, wir liegen
bei knapp 10 Tonnen. Das zeigt die Dynamik der Entwicklung bei den CO2- und anderen Treibhausgasemissionen. Wenn es nicht gelungen wäre, etwa ein Land wie
China in diesen Prozess, in diesen Rechtsrahmen einzubinden, dann hätten wir keine Chance auf eine wirklich
wirksame Klimaschutzpolitik gehabt.
China hat sich dagegen gewehrt, in ein Regime von
Verpflichtungen hineingenommen zu werden. Sie haben
sich dagegen gewehrt, gemeinsam mit anderen Staaten
in das Boot einzusteigen. Ich habe auf der Versammlung
appelliert: Kommen Sie mit in das Boot! Wir müssen
alle in das eine gemeinsame Boot einsteigen. Genau das
ist das Ergebnis, das wir am Sonntag früh um 4 Uhr erreicht haben. Ein Riesenerfolg für die internationale
Klimadiplomatie! Ein einziges globales Klimaschutzabkommen wird kommen. 2015 wird es angenommen werden. Das ist der große Erfolg dieser Konferenz.
({7})
Daneben wird es die zweite Verpflichtungsperiode im
Kioto-Protokoll geben. Auch das ist gut. Wir wollten sie
immer und ausdrücklich. Das ist das Vorbildsystem mit
klaren Verpflichtungen, mit Verfahren, mit Transparenz,
mit Institutionen. Das durfte nicht untergehen. Das haben wir gerettet. Es wird die zweite Verpflichtungsperiode geben.
Es gibt den Ansatz „Verhandeln und Handeln“. Wir
werden über dieses Abkommen bis 2015 verhandeln
müssen. Es wird dann die Umsetzungsphase und die Ratifikationsphase geben. Das dauert; das ist keine Frage,
das kann man nicht bestreiten. Darum haben wir darauf
bestanden - das wurde in letzten Stunden noch in den
Verhandlungstext aufgenommen -, dass es neben dem
Verhandlungsstrang auch Handeln geben muss, und
zwar sofort. Darum wird es einen Arbeitsplan dafür geben, dass das Ambitionsniveau gesteigert wird, dass es
mehr nationale Maßnahmen für Klimaschutzpolitik geben soll. Verhandeln und Handeln zugleich, das war immer die deutsche und europäische Position. Wir haben
sie durchgesetzt, weil sie notwendig ist.
Die Klimafinanzierung ist ein ganz wichtiger Bereich; denn die armen Länder, von denen ich gesprochen
habe, sind auf Unterstützung angewiesen. Etwa bei Anpassungsmaßnahmen, bei Technologiemaßnahmen, bei
dem, was man Kapazitätsbildung nennt, brauchen sie unsere Unterstützung. Dafür wird - das ist nunmehr klar,
das war vor der Konferenz nicht klar - der Globale Klimafonds ab 2012 arbeitsfähig sein. Er ist in Cancún beschlossen worden. Er wird nunmehr nach Durban ab
dem nächsten Jahr arbeitsfähig sein.
Die deutsche Bundesregierung konnte in Abstimmung mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Bundesumweltministerium ankündigen, dass die Arbeitsfähigkeit
jetzt tatsächlich zum Ausdruck kommt. Darum konnten
wir 40 Millionen Euro für Startmaßnahmen und Sofortmaßnahmen in Aussicht stellen.
({8})
Wir wollen, dass dieser Fonds sofort mit Leben gefüllt
wird, damit er wirksam werden kann.
({9})
Diese Zusage hat jedenfalls auf dieser Versammlung
starken Widerhall, insbesondere bei Entwicklungsländern, gefunden. Es war eine gute Nachricht, dass jetzt
nicht nur etwas auf dem Papier steht, sondern dies auch
mit Leben gefüllt wird. Das ist ganz wichtig.
({10})
Deutschland hat auf dieser Konferenz angekündigt,
sich als Sitzstaat für diesen Fonds zu bewerben. Das
drückt unser weiteres Engagement in diesem Bereich
und den Wunsch aus, dabei zu sein, führend zu sein, eine
Gastgeberrolle, eine Förderrolle einzunehmen. Wir werden starke Konkurrenz um diesen Sitz haben, aber wir
sind auch eine starke Bewerbung. Ich weiß nicht, wie es
ausgeht. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass sich
Deutschland mit einem guten Angebot bewirbt. Auch
die Resonanz ist ermutigend.
Auch Klimafinanzierung, Anpassungsfinanzierung
und Klimaschutzmaßnahmen sind elementar. Es geht um
eine elementare Frage der Glaubwürdigkeit der Industrieländer: Wenn Industrieländer Versprechungen machen
und sie nicht einhalten, gefährden sie die eigene Glaubwürdigkeit, gefährden wir, dass sich andere Länder auf
diesen Entwicklungspfad begeben.
({11})
Darum ist es selbstverständlich, dass die Bundesregierung ihre Verpflichtungen erfüllt. Die Fast-Start-Finanzierung, die wir in Kopenhagen verabredet haben, macht
für Deutschland bis 2012 1,26 Milliarden Euro aus.
({12})
- Genauso ist es: neue und zusätzliche Mittel. Es gibt
bislang neue und zusätzliche Mittel in Höhe von knapp
800 Millionen Euro. Wir werden auf Heller und Pfennig
- bislang haben wir etwas übererfüllt - 1,26 Milliarden
Euro neue, zusätzliche Mittel bereitstellen.
({13})
Wir erfüllen unsere Versprechungen. Das gehört zum
Selbstverständnis der Bundesregierung und Deutschlands.
({14})
- Das mag Ihnen nicht gefallen. Ich verstehe das nicht;
denn es geht darum, dass Deutschland seine Verpflichtungen erfüllt.
({15})
- Mit der Unwahrheit sollten Sie vorsichtig sein.
({16})
Ich sage Ihnen: 1,26 Milliarden Euro neue, zusätzliche
Mittel. Bitte überlegen Sie, wann Sie einem Kollegen
dieses Hauses Unwahrheit vorwerfen. Prüfen Sie diesen
Vorwurf bitte nach!
({17})
Dann erwarte ich eine Stellungnahme von Ihnen, ob das
unwahr ist oder wahr.
1,2 Milliarden Euro für Fast Start: Das ist nicht alles,
was wir tun. Darin erschöpfen sich unsere Maßnahmen
nicht. Im vergangenen Jahr waren es 1,2 Milliarden
Euro. In diesem Jahr werden es 1,8 Milliarden Euro für
die Klimafinanzierung sein. Wir reden nicht nur, wir
handeln. Es gibt keinen Grund, das in Zweifel zu ziehen.
Wir können sagen: Wir sind dabei, auch wenn es darum
geht, arme Länder zu unterstützen. Das ist ein gemeinsames Engagement der Bundesregierung, insbesondere des
Entwicklungshilfeministeriums und des Umweltministeriums. Das sind in aller Regel gemeinsam finanzierte
Maßnahmen.
Von dem einen Rechtsregime über die Klimafinanzierung bis zum sofortigen Handeln, dieses Ergebnis ist
wegweisend. Es ist substanziell. Es ist nicht ausreichend.
Es schließt die Lücke nicht. Es ist zu wenig. Aber es
wäre unvertretbar gewesen, es links liegen zu lassen,
statt es anzunehmen. Wir müssen schrittweise vorangehen. Darum ist es ein Erfolg im Schrittweisevorangehen.
Deutschland ist in diesem Prozess führend, ohne bevormundend zu sein. Wir wissen auch, dass wir nicht allein auf der Welt sind. Bei manchen Ratschlägen, die
man jetzt erhält, habe ich den Eindruck, dass das nicht
allen klar ist. Deutschland ist nicht allein auf der Welt,
und wir sollten uns nicht so aufführen, als gäbe es nur
Deutschland auf diesem Planeten. Wir sind Partner, und
wir wirken mit in internationalen Systemen: der Europäischen Union und den Vereinten Nationen. Mit diesem
Selbstverständnis sollten wir auch nach außen auftreten.
Wir können nach außen mit dem Selbstverständnis
auftreten, dass wir auch zu Hause etwas tun, dass wir zu
Hause die Chancen, die in der wirtschaftlich-technologischen Entwicklung liegen, wahrnehmen. Wir haben die
Gelegenheit genutzt, in Durban über die Energiewende
in Deutschland zu reden, mit höchster internationaler
Aufmerksamkeit und Interesse, mit Respekt dafür, was
ein führendes Industrieland auf diesem Gebiet tut, sich
nämlich selber für eine Transformation der Energieversorgung zu entscheiden, weg von der großen zentralen
Versorgung mit wenig Wettbewerb und konventionellen
Technologien hin zu einem dezentralen Wettbewerb und
neuen Technologien mit erneuerbaren Energien und
Energieeffizienz. Mit höchster Aufmerksamkeit und hoher Kooperationsbereitschaft anderer europäischer Länder haben wir zum Beispiel das Projekt SARI beschlossen, ein Unterstützungsprojekt für die Entwicklung von
erneuerbaren Energien in Südafrika mit Norwegen, Dänemark, dem Vereinigten Königreich und anderen Ländern, weil auch andere Länder zunehmend sehen, dass
dies der richtige Weg der Entwicklung ist. Industriepolitisch, innovationspolitisch und ökologisch ist das der
Zukunftsweg. Dafür stehen wir, und darum wollen wir
diesen Weg. Wir werden diesen Weg zum Erfolg führen,
mit allen Akteuren in Deutschland und darüber hinaus.
Wir wollen diesen Dialog der Akteure. Wir wollen das
Handeln der Akteure.
({18})
Ich möchte abschließend betonen, dass Klimaschutzpolitik ein Gesamtansatz der Bundesregierung ist.
({19})
- Es mag Ihnen nicht gefallen, es ist aber gut für
Deutschland, dass dies gemeinsam vertreten wird und
sich auch darstellen lässt. Im Entwicklungshilfeministerium sind Umwelt und Entwicklung gewissermaßen das
Leitmotiv.
({20})
- Ja, so ist es. Das mag Ihnen aus oppositionellen Gründen nicht gefallen. Das ist aber so. Das ist auch die
Wahrnehmung von Deutschland in der Welt. Ich habe
sowieso den Eindruck, dass bei Ihnen die provinzielle
Wahrnehmung der Dinge immer weiter zunimmt.
({21})
Sie sollten einmal von außen auf Deutschland schauen.
Dann erhalten Sie ein etwas realistischeres Bild. Sie sollten nicht immer nur in Ihrer kleinkarierten Oppositionsrhetorik verharren und so über die Welt reden, wie sie in
Ihren Vorstellungen existiert.
({22})
Ich finde, man sollte sich auch als Opposition ein bisschen über deutsche Erfolge freuen können.
({23})
Wir sollten uns darüber freuen, dass wir mit Grenada
und Mali zusammengewirkt und auf dieser Konferenz
neue Programme zur Klimaanpassung in Höhe von
15 Millionen Euro ins Leben gerufen haben.
Der Bundesaußenminister hat im Sommer dieses Jahres das Thema Klimawandel und internationale Sicherheit in den Weltsicherheitsrat unter deutschem Vorsitz
eingeführt. Erstmalig hat der Weltsicherheitsrat anerkannt, dass der Klimawandel die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität gefährden kann.
Klimawandel ist auch eine Frage der internationalen Sicherheit, der Energiesicherheit, der Wassersicherheit, der
Versorgungssicherheit und der Ernährungssicherheit.
Diesen Konnex hergestellt und in die UN-Politik eingebracht zu haben, ist ein ausdrückliches Verdienst des Außenministers. Er war damit erfolgreich, weil anerkannt
worden ist, dass es diesen Zusammenhang gibt. Diesen
Zusammenhang müssen wir sehen, weil der Klimawandel die Stabilität vieler Länder bedroht.
({24})
Klimapolitik ist Weltordnungspolitik. Daran werden
wir in Europa geschlossen weiterarbeiten. Dazu sind wir
eine strategische Partnerschaft eingegangen. Wir werden
den Rio-Gipfel im Frühjahr nächsten Jahres gestalten,
und zwar wieder in der Weise, die ich eben geschildert
habe. Wir werden die Petersberg-Konferenz wieder
durchführen, eine international anerkannte Konferenz,
zu der die Bundeskanzlerin nach der Kopenhagener
Konferenz eingeladen hat. Daran werden die Länder teilnehmen, die für diesen Prozess wichtig sind.
Deutschland ist Partner auf diesem Gebiet, und
Deutschland ist Vorreiter auf diesem Gebiet, um die Lebensgrundlagen von uns, der Menschheit zu erhalten,
aus Solidarität mit denjenigen, die Opfer sind. Das ist
verbunden mit der Wahrnehmung enormer wirtschaftlicher Chancen. In diesem Zusammenwirken unterschiedlicher Ziele und Güter liegt die Motivation und die Strategie unserer Klimapolitik; denn wir wissen, dass alle
- zuerst die Armen und dann die noch Reichen - viel zu
verlieren haben, aber wir wissen auch, dass wir viel zu
gewinnen haben. Ich glaube, das verdient die Anstrengung aller.
Vielen Dank.
({25})
Ich eröffne die Aussprache.
Matthias Miersch ist der erste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nicht nur weil Weihnachten ist, sondern auch weil ich
fest davon überzeugt bin, Herr Bundesminister, richte
ich am Anfang ein Dankeschön an das Verhandlungsteam, an all die Beamtinnen und Beamten, die seit
Monaten für die Bundesrepublik Deutschland an dem internationalen Prozess beteiligt gewesen sind. Ich glaube,
diese müssen in den Mittelpunkt gerückt werden. Sie haben die Kleinarbeit gemacht. Insofern vielen Dank für
diese Arbeit.
({0})
Auch an dieser Stelle Dank an alle Kollegen, die den
Deutschen Bundestag in Durban repräsentiert haben.
Deswegen, Herr Bundestagspräsident, ein Appell von
dieser Seite. Sie haben beschlossen, zukünftig nur noch
Fraktionsreisen, aber keine offiziellen Delegationsreisen
zu internationalen Regierungskonferenzen zuzulassen.
Ich glaube, das Präsidium ist gut beraten, diesen Beschluss zu überdenken; denn es sind letztlich Parlamente, die über Beschlüsse der Regierungen abzustimmen haben, es sind Parlamente, die für einen guten Weg
werben müssen.
({1})
Damit ist es mit der Gemeinsamkeit, Herr Bundesumweltminister, aber auch schon vorbei. Wenn Sie von
einem großen, wegweisenden Erfolg dieser Klimakonferenz sprechen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Groß sind
die Herausforderungen, aber klein sind die Antworten,
die dort gegeben worden sind.
({2})
Im Gegenteil: Ich glaube, Schönrederei hilft hier
überhaupt nicht weiter. Sie verdunkelt und sie verkleistert die eigentlichen Herausforderungen, die die Staatengemeinschaft und auch die Bundesrepublik Deutschland
zu bestehen haben. Was ist das für ein Ergebnis, dass
man sich darauf verständigt, bis 2015 zu verhandeln,
dann möglicherweise eine Vereinbarung zu erzielen, wobei man nicht weiß, welche Rechtsverbindlichkeit sie eigentlich haben soll, nach der die ausgehandelten Beschlüsse dann 2020 in Kraft treten sollen? Das ist kein
großer Erfolg. Das ist nichts, was sich angesichts der
großen Herausforderungen als solcher darstellen lässt.
({3})
Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: „Der grüne
Klimafonds ist beschlossen worden, und er ist arbeitsfähig“, dann sollten Sie auch sagen - das gehört zur Wahrheit dazu -, über welche Mittel dieser Klimafonds bislang verfügt: über keinen einzigen Dollar, über keinen
einzigen Euro!
({4})
Sie sagen: Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre
Verpflichtungen erfüllt. Allerdings erleben wir seit Kopenhagen einen Glaubwürdigkeitsverlust: Uns wird,
auch auf internationaler Ebene, vorgeworfen, dass die
Fast-Start-Zusagen nicht eingehalten worden sind; denn
es sind keine zusätzlichen Gelder geflossen, sondern
man hat das Ganze über Verschiebebahnhöfe zustande
gebracht. Lieber Herr Röttgen, Sie haben meine Anfrage
von Mittwoch dieser Woche hinsichtlich der 40 Millionen Euro noch nicht beantwortet, auch heute nicht. Ich
hoffe sehr, dass die Zusage, die Sie dort gemacht haben,
bedeutet, dass tatsächlich zusätzliches, neues Geld bereitgestellt wird. Wir werden da genau hinschauen, lieber Herr Röttgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus Durban
kann man eine große Schlussfolgerung ziehen: nicht
mehr auf Konferenzen dieser Art zu setzen. Sie sind
wichtig, weil sie eine Plattform bieten, auf der alle Länder auf Augenhöhe verhandeln können. Aber von diesen
Konferenzen wird - da bin ich sicher - nie die Dynamik
ausgehen, die wir brauchen, um die Herausforderungen
des Klimawandels tatsächlich bewältigen zu können.
Was wir brauchen, ist eine Mehrwegestrategie, eine Strategie, die genau diejenigen einlädt, die mit uns voranschreiten wollen. Insofern lautet unser Vorschlag, zu einer weiteren Konferenz einzuladen mit den Staaten der
Europäischen Union, Patenschaften mit anderen Staaten
dieser Welt einzugehen, etwa mit Inselstaaten, aber auch
mit Schwellenländern wie Brasilien oder Südafrika. Dabei sollte vereinbart werden, wie man vorangehen kann,
welche Vorteile man aus solchen Patenschaften ziehen
kann.
Ein weiterer Weg ist das Setzen auf die Europäische
Union. An dieser Stelle ein Appell: Es ist dringend notwendig, dass wir in den nächsten Monaten zusammen
mit der dänischen Ratspräsidentschaft das unkonditionierte 30-Prozent-Minderungsziel ganz unmissverständlich festschreiben.
({5})
Ansonsten fällt uns der Emissionshandel auf die Füße.
Zu der Mehrwegestrategie gehört auch - da ist der
Umweltminister wieder der Norbert Röttgen: das Pathos,
die großen Worte und die Taten -, national Vorbild zu
sein. Die Bundeskanzlerin ist im Moment nicht anwesend.
({6})
- Sie sitzt auf einem anderen Platz.
({7})
Frau Bundeskanzlerin, wenn der Bundesumweltminister sagt, die Bundesregierung verfolge eine Gesamtstrategie, dann kann ich dem nur entgegnen: Beenden Sie
das Trauerspiel der Auseinandersetzung zwischen Wirtschaftsministerium und Umweltministerium hinsichtlich der Effizienzrichtlinie, das wir in den letzten Wochen hier verfolgen konnten!
({8})
Nutzen Sie Ihre Richtlinienkompetenz! Machen Sie hier
wirklich die Tür auf! Es ist die Effizienz, die Vorbild geben kann. Es ist die Effizienz, die gerade die deutsche
Wirtschaft beflügeln kann; denn es werden die Maschinen der Zukunft sein, die weniger Energie verbrauchen.
Insofern ist es umso unverständlicher, dass sich ein Bundeswirtschaftsminister hinstellt und gegen verbindliche
Effizienzziele votiert. Herr Bundeswirtschaftsminister,
beenden Sie diese Blockadehaltung!
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
eins muss uns klar sein: Wir haben die Finanzkrise, und
wir haben die Klimakrise. Beide Krisen müssen gemeinsam betrachtet werden. Denn diejenigen, die in Wirtschaft von morgen investieren, werden auch den Anforderungen in Sachen Energie und Klima gerecht.
Deswegen sind wir als Bundesrepublik Deutschland gut
beraten, einen Schritt weiter zu sein und uns weder auf
die Bremser bei Schwarz-Gelb noch auf die Bremser auf
dem internationalen Parkett zu berufen. Wir haben seit
1998 das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das eine Erfolgsgeschichte ist. Wir haben bei den CO2-Emissionen
mächtige Fortschritte gemacht. Wir können daran anknüpfen. Aber dazu braucht man eine Bundesregierung,
die sich nicht blockiert, sondern handelt.
Deswegen: Dieses Zukunftsfeld muss jetzt beackert
werden. Fangen Sie an! Geben Sie ein Vorbild! Dann
werden auf internationaler Ebene die Staaten auf die
Bundesrepublik Deutschland schauen. Dann wollen sie
nicht in der Ecke stehen und werden dem Erfolg, den wir
in diesem Bereich erzielen können, auch nacheifern. In
diesem Sinne lade ich Sie herzlich dazu ein, mit uns zusammen eine zukunftsgerechte Wirtschafts- und Energiepolitik zu denken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Kauch für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die UNKonferenz von Durban hat die Erwartungen klar übertroffen.
({0})
- Liebe Frau Künast, Sie sollten ruhig sein.
({1})
Anders als die Sozialdemokraten, die sich bei diesen
Verhandlungen verantwortungsvoll verhalten haben, haben die Grünen in Interviews hier in Deutschland und
auf der Konferenz die deutsche Verhandlungsposition
permanent hintertrieben. Das hat nichts mit Solidarität
bei einer nationalen Aufgabe in solchen Verhandlungen
zu tun. Sie sind dem Bundesumweltminister bei den Verhandlungen auf der Konferenz permanent in den Rücken
gefallen. Das war nicht in Ordnung. Deshalb sollten Sie,
liebe Frau Künast, und Ihre Fraktion hier ganz ruhig
sein.
({2})
Wir haben es geschafft, dass ein einheitlicher Rechtsrahmen für alle Länder vereinbart wurde. Die SchwarzWeiß-Unterscheidung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern entfällt. Alle werden sich gemäß ihrer historischen und zukünftigen Verantwortung sowie ihren
Fähigkeiten an dem entsprechenden Abkommen beteiligen. Hieraus ergibt sich der Vorteil, dass Länder, deren
Wirtschaft sich dynamisch entwickelt wie die Volksrepublik China, die inzwischen 7 Tonnen CO2 pro Kopf emittiert, anders behandelt werden als Länder wie Indien, das
nur 1,5 Tonnen CO2 pro Kopf emittiert, aber eben auch
anders als beispielsweise die Länder der Europäischen
Union. Jedes Land wird sich an diesem Abkommen gemäß seiner historischen und zukünftigen Verantwortung
sowie seinen Fähigkeiten beteiligen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass durch ein solches Klimaabkommen, das nicht mehr auf irgendwelche
Blockzugehörigkeit setzt, Wettbewerbsgleichheit zwischen Industriestandorten hergestellt wird, wenn jeder
nach seiner Verantwortung und seinen Fähigkeiten verpflichtend einbezogen wird. Das spiegelt auch die neue
Weltordnung wider, in der wir uns bewegen. Wir haben
viele Zentren statt wenige Blöcke. Es gibt neue Spieler
auf der internationalen Bühne - das hat man in Durban
ganz klar gesehen -: Die großen Schwellenländer Brasilien, Südafrika, Indien und China spielen zunehmend
eine größere Rolle in den Verhandlungen.
({3})
Das spiegelt auch die wirtschaftliche Dynamik wider,
die es in Teilen der ehemaligen Dritten Welt inzwischen
gibt.
Deshalb war die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung absolut richtig: hart zu sein und zu sagen, dass
wir nicht alles mitmachen. Die Grünen haben uns ja im
Gegensatz dazu aufgefordert, auf jeden Fall irgendein
Abkommen abzuschließen und unbedingt an Kioto festzuhalten, egal was die anderen tun. Genau das haben wir
nicht getan, und deshalb sind wir erfolgreich gewesen.
Nur mit dieser harten Linie konnten wir uns in den Verhandlungen durchsetzen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir müssen aber auch diejenigen benennen, die nicht mitmachen. Japan, Russland
und zuletzt Kanada haben schon vor der Konferenz erklärt: Egal was ihr hier verhandelt - wir machen bis
2020, wenn ein neues globales Abkommen in Kraft tritt,
nicht mit. Dazu muss man ganz deutlich sagen: Das
müssen wir als Europäer benennen und deutlich machen.
Man kann nicht in anderen Verhandlungen Interessen
wahrnehmen und sich dann wegducken, wenn man selber vor Aufgaben steht und Verantwortung übernehmen
muss. Das müssen wir uns im Hinblick auf andere internationale Prozesse merken. Wenn Kanada sich aus der
Verantwortung stiehlt und sagt „Es ist uns völlig egal,
was mit dieser Welt passiert, Hauptsache, unserer Ölschieferindustrie geht es gut“, müssen wir den Kanadiern deutlich machen, dass sie mit Konsequenzen an
anderer Stelle rechnen müssen.
({5})
Das Bedeutsamste in Durban war die neue Allianz der
EU mit Afrika, mit den ärmsten Staaten und den Inselstaaten. Die Gruppe der G 77 mit China ist erstmals offen aufgebrochen. Das gibt neue Chancen und hat eine
Strahlkraft über die Klimaverhandlungen hinaus. Auch
in anderen außenpolitischen Prozessen können wir nutzen, dass es neue Allianzen mit Brasilien, Mexiko und
Südafrika gibt. Deshalb ist Durban ein gutes Zeichen für
die Klimapolitik, aber eben auch für eine neue starke
Rolle der EU in der jetzt bestehenden außenpolitischen
Welt.
Wie haben wir es geschafft, diese Allianz zu bilden?
Die Grünen haben uns gesagt: Wir müssen nur auf das
30-Prozent-EU-Klimaziel gehen, und alles wird gut. Nein, wir als deutsche Abgeordnete haben mit der Verhandlungsführerin der Gruppe der 77, also mit den Entwicklungsländern, gesprochen. Die Aussage der Verhandlungsführerin - Originalton - war: „Das spielt
überhaupt keine Rolle.“ Denn wir sind hier momentan in
einer Debatte um ein Fundament der Klimapolitik. Wir
können uns dann über die Zahlen unterhalten, wenn wir
uns auf 2015 zubewegen. - Oder wir diskutieren über
die Zahlen aus innereuropäischen Gründen. Es gibt viele
gute Gründe, das Klimaziel aus diesen Gründen anzuheben. Aber so zu tun, als sei dies das entscheidende
Moment bei den Verhandlungen gewesen, ist völlig abwegig. Das entscheidende Moment für diese Klimaverhandlungen war, dass Europa Vertrauen vermittelt hat,
dass wir es mit der Klimafinanzierung ernst meinen. Das
ist die Botschaft von Durban: Klimafinanzierung ist das
Moment für Kooperationsbereitschaft unserer Allianzpartner.
({6})
Deshalb war es absolut richtig, was die Bundesregierung gemacht hat. Bundesminister Niebel hat während
der Konferenz 120 Millionen Euro für die Energiekooperation mit dem südlichen Afrika zugesagt. Bundesminister Röttgen hat 40 Millionen Euro für den Green Climate Fund zugesagt. Das hat Vertrauen geschaffen. Die
Entwicklungsländer hat an unsere Seite gebracht, dass
man sich auf Europa und auf Deutschland verlassen
kann. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Klimazusammenarbeit mit den Entwicklungsländern in Zukunft stärken. Jeder Euro, den wir hier investieren, bringt nicht
nur für das Klima viel mehr als jede letzte Maßnahme in
Deutschland selbst, sondern hat den Zusatzeffekt, dass
wir Kooperationsbereitschaft in der Welt bekommen.
Deshalb ist die internationale Klimafinanzierung im Interesse des Klimas und auch der Arbeitsplätze der deutschen Industrie.
({7})
Meine Damen und Herren, deshalb hat die FDP den
Wunsch von Bundesminister Niebel unterstützt, zusätzlich 100 Millionen Euro aus Haushaltsresten an den
Clean Technology Fund der Weltbank zu überweisen.
Wir wollten damit insbesondere Indien stärken, das in
diesen Verhandlungen eine ausgesprochen wichtige
Rolle spielt. Ich bedauere es sehr, dass der Bundesminister der Finanzen nicht zu überzeugen war, dies bis zum
heutigen Kassenschluss zu tun.
({8})
Umso wichtiger ist es, dass wir in den nächsten Runden,
wenn wir uns über die Zukunft des Energie- und Klimafonds unterhalten, eine absolute Priorität auf die internationale Klimafinanzierung legen. Wenn die Einnahmen
im Energie- und Klimafonds geringer ausfallen und wir
deshalb die Ausgaben kürzen müssen, dann müssen wir
eine klare Priorität auf die internationalen Mittel setzen.
Das muss gegebenenfalls zulasten nationaler Programme
gehen. Es ist aber im Interesse des internationalen Klimaprozesses, dass Deutschland hier einen klaren
Schwerpunkt setzt.
({9})
Abschließend: Wir dürfen uns nicht nur auf den UNProzess verlassen. Wir müssen auch darauf achten, dass
wir Bottom-up-Klimaschutz betreiben. Mexiko, China,
Brasilien und Südafrika haben zunehmend fortschrittliche nationale Gesetzgebungen im Bereich Klimaschutz.
Das müssen wir unterstützen. Deswegen wird diese Bundesregierung auf dem Weg voranschreiten, hier mit den
Schwellenländern zusammenzuarbeiten, insbesondere
dann, wenn die Vereinigten Staaten sich weiterhin einem
solchen Prozess verweigern.
Vielen Dank.
({10})
Für die Fraktion Die Linke erhält nun Gesine Lötzsch
das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Der renommierte Kieler Klimaforscher Mojib Latif stellt zu den Ergebnissen von Durban
fest: Der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen hat sich
seit 1990 nicht verringert, sondern er ist um 40 Prozent
gestiegen. Sein Fazit - Zitat -:
… es gab Klimaschutz nur auf dem Papier, aber
nicht real.
Der Mann hat recht.
({0})
Minister Röttgen, Sie sind stolz auf einen angekündigten Vertrag, der erst 2020 in Kraft treten soll. Was
aber beschlossene Verträge wert sind, haben wir leider
nur einen Tag nach der Klimakonferenz in Durban erleben müssen: Kanada hat sich aus dem Kioto-Protokoll
verabschiedet. Kanada hatte - ebenso wie Russland und
Japan - schon im vergangenen Jahr angekündigt, an der
Verlängerung des Abkommens nicht mitwirken und sie
auch nicht unterzeichnen zu wollen.
Die Kioto-Restgruppe besteht nun im Wesentlichen
aus den EU-Ländern, Norwegen, der Ukraine, der
Schweiz, Australien und Neuseeland. Diese Länder verursachen aber nur 15 Prozent der globalen Emissionen.
Allein China und die USA erzeugen ein Vielfaches.
Mit dem Ausstieg vor dem Jahresende drückt sich
Kanada davor, hohe Geldstrafen zahlen zu müssen. Und
was sagt die Bundesregierung zum skandalösen Ausstieg
Kanadas? Von Gelassenheit war die Rede. Ich frage
mich: Woher kommt diese Gelassenheit? Es wäre doch
zumindest angebracht gewesen, dass der Außenminister
den kanadischen Botschafter in das Auswärtige Amt einbestellt und die Entscheidung kritisiert.
({1})
Ich frage mich, Herr Westerwelle: Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?
Viele Menschen in unserem Land finden die Entscheidung Kanadas empörend - und die Bundesregierung reagiert gelassen. Man kann es auch Gleichgültigkeit nennen. Das geht nicht, Herr Röttgen! Sie haben es
doch selbst in Ihrer Rede gesagt: Es geht um das Leben
von Millionen Menschen auf der ganzen Welt, die von
der Klimakatastrophe schon jetzt direkt betroffen sind.
Da ist Gelassenheit wirklich völlig fehl am Platze.
({2})
Ab 2020 soll es nun einen Green Climate Fund geben.
Das ist eine richtige, längst überfällige Initiative. Doch
noch ist völlig unklar, woher das Geld kommen soll. Zusagen von Ministern, die dem Haushaltsausschuss, dem
ich angehöre, nichts vorgelegt haben, sind - wie Sie alle
wissen - völlig wertlos. Herr Kauch, ich habe keinen
Antrag Ihrer Fraktion - wie Sie hier versucht haben, der
Öffentlichkeit weiszumachen - im Haushaltsausschuss
gesehen. Bleiben Sie bitte bei der Wahrheit!
({3})
Im Entschließungsantrag von SPD und Grünen wird
nun gefordert, dass der Fonds zum größten Teil aus öffentlichen Mitteln finanziert werden solle, dass aber
auch der internationale Schiffs- und Flugverkehr einen
Beitrag leisten solle. Ich frage mich: Warum sollen in
den Fonds nicht hauptsächlich diejenigen einzahlen, die
die Hauptverursacher der Klimakrise sind - die Ölkonzerne, die Stromkonzerne und die Rüstungskonzerne?
({4})
Ja, Kriege sind die größten von Menschen verursachten
Umweltkatastrophen überhaupt. Da ist es doch nur angemessen, die Rüstungsindustrie wirklich einmal zur
Kasse zu bitten.
({5})
Die Beschlüsse seien „ein löchriger Rettungsschirm
fürs Klima. Damit kann das 2-Grad-Ziel nicht erreicht
werden“, sagte der Vorsitzende des BUND.
Das Klimaproblem scheint unlösbar, weil sich Regierungen gegenseitig blockieren. Aber für meinen Geschmack wird viel zu wenig über die Konzerne gesprochen, die ohne Rücksicht auf das Klima ihre Profite
sichern wollen und dafür ihre Regierungen einspannen,
wie es offensichtlich gerade bei Kanada geschehen ist.
Das zeigt das eigentliche Problem: Das kapitalistische
Wirtschaftsmodell lebt doch davon, dass es Luft, Wasser,
Rohstoffe exzessiv verbraucht, ohne Rücksicht auf Verluste.
({6})
Kapitalismus und Klimaschutz sind offensichtlich nicht
miteinander vereinbar.
({7})
Darum brauchen wir andere Gesellschaftskonzepte,
({8})
Konzepte, die nicht auf Massenverbrauch und Umweltzerstörung programmiert sind.
Herr Röttgen, je langsamer der internationale Prozess
verläuft, desto wichtiger ist die Rolle Deutschlands. Um
eine wirkliche Vorbildrolle übernehmen zu können,
muss bei uns in der Bundesrepublik wesentlich mehr
geschehen. Die Halbierung des CO2-Ausstoßes und ein
50-prozentiger Anteil erneuerbarer Energien beim
Stromverbrauch bis 2020 müssen das Ziel sein.
Meine Damen und Herren, das Energiesystem in der
Bundesrepublik braucht eine neue Grundlage: erneuerbar, demokratisch und sozial. Ich möchte mich dabei allerdings nicht nur auf die Aktivitäten der Bundesregierung verlassen. Meine feste Überzeugung ist: Die soziale
Energiewende braucht mindestens so viel außerparlamentarische Bewegung und Energie wie der Kampf gegen die Nutzung der Atomkraft. Die Linke ist dabei. Packen wir es an!
Vielen Dank.
({9})
Christian Ruck ist der nächste Redner für die CDU/
CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
alle waren vor der Klimakonferenz von Durban vor dem
klimapolitischen Abgrund. Es gab wenig Aussicht auf
einen verlässlichen Prozess für ein globales Klimaschutzabkommen. Der Fortgang des Kioto-Protokolls
war unklar. Es gab verhärtete Fronten im internationalen
Dialog zwischen Industrieländern und Schwellen- und
Entwicklungsländern. Durban drohte auf ganzer Linie zu
scheitern. Damit drohte auch ein Abriss des globalen
Klimaschutzprozesses. Vor diesem Hintergrund kann
man wirklich nur feststellen, dass Durban trotz aller Unkenrufe ein Erfolg war.
({0})
Der Klimaschutz bleibt auf Kurs, wenngleich auf einem
beschwerlichen. Wir haben weiterhin die Chance, die
globale Klimakatastrophe abzuwenden, und der Klimaschutz bleibt auf der Agenda der Völkergemeinschaft.
Das, was in Durban erreicht wurde, ist jedenfalls viel
mehr als von uns allen befürchtet. Das war auch - wenn
die Mitglieder der Opposition ehrlich sind - der Tenor
unserer Ausschussberatungen: International wurde das
erreicht, was international derzeit möglich ist.
Mich freuen vor allem drei Punkte, die auf der Konferenz in Durban eine Rolle gespielt haben:
Erstens. Es freut mich in der Tat, dass die Trennungslinie zwischen Industrieländern auf der einen Seite und
Entwicklungs- und Schwellenländern auf der anderen
Seite - sie lehnten bisher jegliche verbindliche Minderungsverpflichtungen ab - nicht mehr existiert. In der
FAZ wurde davon gesprochen, dass sich die Weltkarte
des Klimaschutzes verändert hat. Die Schwellenländer,
vor allem auch China, haben verstanden, dass sie Verantwortung für das Klima haben.
Das wirklich Neue an dieser Konferenz ist, dass alle
Konferenzteilnehmer bis 2015 eine Vereinbarung mit
Rechtskraft beschließen wollen. Das heißt, wir haben
zum ersten Mal alle Emittenten in einem Boot. Nur so
macht es Sinn, dass wir an eine zweite Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls herangehen. Ansonsten wäre
dauerhaft festgeschrieben worden, dass Klimaschutz nur
eine Sache der wenigen ist und die anderen aus der Verantwortung entlassen sind.
Der zweite Punkt - auch das wurde schon angesprochen - ist die konstruktive Rolle Deutschlands und der
EU, von Kommissarin Hedegaard sowie Bundesminister
Röttgen und seinem Team. Sie haben die entscheidende
Führungsrolle in Durban übernommen. Deswegen ist
Durban auch ein Erfolg für die europäische und die deutsche Klimaschutzpolitik. Allen Skeptikern zum Trotz hat
sich die EU als handlungsfähig erwiesen, sie hat sogar
die Koalition des Verantwortungsbewusstseins angeführt. Sie war der Motor einer neuen Dynamik, und zwar
deshalb, weil Europa mit einer Stimme gesprochen hat.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dem Bundesumweltminister Norbert Röttgen und seinem Team für seinen persönlichen, hartnäckigen Einsatz für realistische,
aber auch verbindliche Ziele zu danken. Deutschland
bleibt im internationalen Klimaschutz die treibende und
führende Kraft. Dafür von meiner Seite, von unserer
Seite vielen Dank an die Verhandlungsdelegation!
({1})
Herr Miersch, ich möchte ausdrücklich auch denen in
der Delegation der Parlamentarier danken, die sich ebenfalls in vielen Gesprächen mit großem Aufwand und
großem Engagement um einen Erfolg in Durban gekümmert haben. Es ist wichtig, dass parlamentarische Delegationen auf diesen Konferenzen vertreten sind. Deswegen habe ich die Bitte an den Präsidenten des Deutschen
Bundestages, dass solche Konferenzen permanent von
deutschen Abgeordneten aus diesem Hause besucht werden können. Diese Delegationen spielen bei der Überzeugungsarbeit gerade im Verhältnis zu den Schwellenund Entwicklungsländern eine ganz wichtige Rolle.
({2})
Der dritte Punkt. Es freut mich persönlich, dass es gelungen ist, eine neue Allianz mit den Entwicklungsländern zu schließen. Die Entwicklungsländer sind natürlich Opfer, aber sie sind teilweise auch Täter. Die neue
Koalition aus EU, kleinen Inselstaaten und progressiven
Entwicklungsländern hat für einen neuen Schwung in
Durban gesorgt. Sie war letztendlich der Schlüssel zum
Erfolg der Verhandlungen; denn durch sie wurde ein moralischer Druck auf die Bremserstaaten aufgebaut, der
dringend notwendig war.
Die Allianz ist nicht vom Himmel gefallen. Sie war
das Ergebnis einer langwierigen und intensiven vertrauensbildenden Vorarbeit vor allem der EU und Deutschlands. Diese Allianz gilt es zu halten und auszubauen.
Wir gelten als ehrliche Makler, als nicht kolonialbehaftet, mit einem ehrlichen Interesse an den Menschen, ihrer Zukunft und an der Umwelt. Wir gelten auch als
langjährig verlässliche Partner.
Ich möchte auf die Zahlenspielereien eingehen, die
Sie, Herr Kelber - und auch Herr Miersch -, immer bis
zum Exzess betreiben.
({3})
An Ihnen stelle ich auch den Unterschied zwischen einem Politiker und einem Buchhalter fest, und Sie sind
noch dazu ein schlechter Buchhalter. Ich habe Ihnen
schon beim letzten Mal vorgerechnet, wie die Gelder für
Fast Start zustande kommen, aber Sie glauben es einfach
nicht. Deswegen sage ich es Ihnen noch einmal;
({4})
vielleicht glauben Sie mir mehr als dem BMZ. 894 Millionen Euro war der Sockelbetrag; dazu kommen
895 Millionen Euro vonseiten des BMZ zusätzlich
({5})
und 365 Millionen vom BMU zusätzlich. Das macht zusammen mehr als 1,6 Milliarden Euro.
({6})
Ich bitte Sie: Nehmen Sie es einmal zur Kenntnis, oder
gehen Sie selber ins BMZ, suchen die Zahlen und rechnen nach. Dann müssten auch Sie auf diese Zahlen kommen.
Dieser Aufwuchs der ODA-Mittel und auch die Mittel für Umwelt- und Klimaschutz müssen steigen. Dafür
kämpfen wir Entwicklungspolitiker. Der Aufwuchs der
ODA-Mittel muss vor allem auch in den Klima- und
Umweltschutz gehen: für Technologietransfer, für den
Schutz von Wäldern und Sumpfgebieten, für Agrarmaßnahmen, zum Beispiel für eine robustere Landwirtschaft,
für den Schutz der Korallenriffe und vieles andere mehr.
Herr Kollege Ruck, darf der Kollege Kelber eine Zwischenbemerkung machen?
Herr Kelber, das wird auch nichts bringen, aber ich
lasse Ihre Zwischenfrage zu, sonst sagen Sie wieder, ich
hätte Angst vor Ihrem Zahlenwerk. - Bitte.
Sie sagen ja immer, die Tatsache, dass ich nicht rechnen könne, hätte ich wahrscheinlich meinem Mathematikstudium zu verdanken. Würden Sie aber folgende
Zahlen akzeptieren, vorgelegt von Brot für die Welt und
Germanwatch? Überschrift: „Der deutsche Beitrag zur
Fast-Start-Zusage von Kopenhagen: Alter Wein in neuen
Schläuchen“. Weiter heißt es: Demnach kommen über
den Zeitraum 2010 bis 2012 nur 152 Millionen Euro
- das entspricht 12 Prozent der genannten Zahlen - an
„frischem“ Geld zusammen. Eklatantestes Beispiel:
500 Millionen Euro, die die Bundesregierung bereits für
den Waldschutz zugesagt hat, werden bei Fast Start erneut verrechnet.
({0})
Ich akzeptiere die Zahlen nicht. Herr Kelber, ich sage
es Ihnen noch einmal: 894 Millionen Euro beträgt der Sockelbetrag; das ist hoffentlich einvernehmlich. 895 Millionen Euro beträgt der Beitrag des BMZ; das sind sowohl
Mittel für internationale als auch für bilaterale Projekte.
Hinzu kommen 365 Millionen Euro des BMU.
Es ist so, dass manche Mittel, zum Beispiel für den
Waldschutz, gleichzeitig Mittel zum Schutz der Biodiversität sind. Das können Sie dem BMZ und uns aber
nicht vorwerfen.
({0})
- Ja, das sind neue und zusätzliche Mittel.
({1})
Herr Kelber, tun Sie mir einfach einen Gefallen: Gehen
Sie zum BMZ, und machen Sie genau das Gleiche, was
ich gemacht habe: Zählen Sie die Mittel für die einzelnen Projekte zusammen. Wenn Sie Mathematiker sind,
dann kann es ja nicht am Zusammenzählen liegen.
({2})
Dann werden auch Sie sehen, dass unsere Zahlen stimmen.
({3})
Ich sprach über die Partnerschaft mit Entwicklungsund Schwellenländern. Diese Partnerschaft ist keine Einbahnstraße. Ich komme auf den Fall Brasilien zurück,
weil das ein wirklich starkes Stück ist. Mit Brasilien
pflegen wir eine jahrzehntelange und kostspielige Zusammenarbeit im Tropenwaldbereich. Die geplante Entwaldungsgesetzgebung wäre im schlechtesten Fall mit
einer Freisetzung von 28 Milliarden Tonnen CO2 verbunden. Das ist das Dreißigfache dessen, was die Bundesrepublik Deutschland im Jahr ausstößt. 28 Milliarden
Tonnen CO2, das wäre ein Schlag ins Gesicht - für uns
und für den internationalen Klimaschutz. Wir müssen im
Deutschen Bundestag natürlich über Kanada sprechen,
wir müssen aber auch über Brasilien sprechen; denn mit
einer solchen Gesetzgebung macht Brasilien die Rioplus-20-Konferenz zu einer Farce. Deshalb müssen auch
wir Bundestagsabgeordnete mit den Brasilianern ein
ernstes Wort sprechen.
Auf der Konferenz in Durban wurde Arbeit eingefordert und Arbeit verteilt: für ein zweites Kioto-Protokoll,
für das beschlossene Aktionsprogramm, für einen verbesserten Waldschutz und für den sofortigen Beginn der
Arbeit an einem globalen Klimaschutzabkommen. Wir
als Abgeordnete müssen uns dabei dauerhaft und aktiv
einbringen und dürfen auch eine kritische Auseinandersetzung mit Bremserstaaten nicht scheuen. Auch ich
halte das Verhalten der Kanadier für einen Skandal.
Wenn man zuerst die Klimaschutzziele dermaßen eklatant verfehlt - statt minus 6 plus 35 Prozent - und dann
noch sagt: „Bevor ich Strafe zahlen muss, mache ich
mich vom Acker“, dann passt das nicht zu einer Nation,
die mit den Entwicklungsländern Geschäfte mit den natürlichen Ressourcen macht, und es passt nicht in diese
Zeit, in der Kanada den Anspruch erhebt, eine Führungsnation zu sein.
Herr Kollege Ruck, darf die Kollegin BullingSchröter eine Zwischenfrage stellen?
Nein, jetzt nicht mehr. Ich bin nämlich bei meinem
letzten Punkt angelangt.
Klimaverhandlungen sind wichtig. Wir wissen, dass
sie zäh sind, langsam vorangehen, vor allem im UNOKontext, und dass wir deswegen selber handeln müssen,
um andere mitziehen zu können. Genau das tun wir. Unsere Energiewende und der damit verbundene gesellschaftliche Kraftakt finden vor den Augen der Weltöffentlichkeit statt. Er entscheidet über den Erfolg der
Klimawende, auch international. Alle schauen darauf,
wie wir diese Energiewende gestalten und in welcher Art
und Weise wir wirtschaften.
Dass Deutschland mit seiner Energiepolitik internationalen Vorbildcharakter hat, hat Durban eindrucksvoll
gezeigt. Das globale Interesse ist groß in Bezug auf unsere Energiepolitik und unsere Energietechnologie gerade in den Bereichen der dezentralen Energieversorgung, der Wasserversorgung, der Elektromobilität, der
Gebäude- und der Effizienztechnologien, aber auch in
Bezug auf neue Werkstoffe und die Art und Weise, wie
wir diese Energiewende juristisch und administrativ organisieren. Wir werden zeigen, dass unsere Energiewende kein bloßer Versuch und kein Experimentierfeld mit offenem Ausgang ist, sondern ein Erfolgsmodell
und damit Deutschlands Exportschlager des 21. Jahrhunderts. Wir müssen zeigen, dass diese Energiewende versorgungssicher und bezahlbar ist, dass sie neue Impulse
für Wachstum und Arbeitsplätze gibt, ja dass es sogar
ein großer Wettbewerbsnachteil für die Konkurrenzfähigkeit anderer Länder ist, wenn sie sich dieser Energiewende nicht anschließen. Dieser Dominoeffekt ist genau das, was wir erreichen wollen, und ist vielleicht
noch viel wertvoller als mühsame und zähe UN-Verhandlungen.
({0})
Daran, dass diese Energiewende gelingt, arbeitet die
christlich-liberale Koalition mit vollem Einsatz. Wir
kämpfen für den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien, und dies mit großem Erfolg. 20 Prozent unserer
Stromproduktion erfolgt auf der Basis erneuerbarer
Energien. Wir kämpfen um einen zügigen Netzausbau
und die Gewährleistung der Netzstabilität. Wir kämpfen
um ein Lastmanagement, um den Ausbau der Stromspeicherung sowie um Forschung und Entwicklung im Bereich der Energiepolitik.
Natürlich müssen wir auch auf die Bezahlbarkeit der
Energiewende achten. Es wäre ein Schuss ins eigene
Knie, wenn wir eine Energiewende machten, die außer
uns keiner bezahlen könnte. Deswegen geht es auch und
vor allem um Energieeffizienz.
({1})
Ich bin durchaus bereit, meine Damen und Herren von
der Opposition, über Energieeffizienz im europäischen
Kontext zu reden. Wir brauchen im europäischen Kontext mehr Energieeffizienz. Wir haben wichtige Gesetze
vor uns, die uns mehr Energieeffizienz bescheren können, zum Beispiel im KWK-Bereich und im Mietrechtsbereich.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt bitte zum Schluss
kommen.
Jawohl. - Entscheidend ist, dass die Welt auf
Deutschland schaut. Wir müssen beweisen, dass Klimaschutz Zukunftspolitik und Wachstumslokomotive ist,
und zwar nicht nur für das Industrieland Deutschland,
sondern auch für die globale Wirtschaft. Wenn uns dies
gelingt, dann gibt es vor allem einen Gewinner: das
Klima dieser Welt.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Renate Künast für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der
Regierungserklärung bin ich etwas ratlos und frage: Was
sollte das eigentlich, Herr Röttgen?
({0})
Ist es sozusagen eine moderne Art des Debriefings, dass
man sich eine Woche danach in Ermangelung anderer
Themen, auf die sich diese Koalition einigen könnte,
schlicht und einfach selber lobt, obwohl es inhaltlich
nicht angebracht ist?
({1})
Also, ich bin ratlos an dieser Stelle.
({2})
Es ist bemerkenswert, Herr Röttgen, wie Sie sich selber
gelobt haben. Dabei gehört zur Wahrheit auch: Die Bundeskanzlerin hatte den ganzen Verhandlungsprozess
schon aufgegeben, bevor das Verhandeln überhaupt begonnen wurde. Sie sind hingefahren und haben als Erstes
- eine ganz moderne Verhandlungsstrategie und eine interessante Variante, um jemanden zu gewinnen - China
in den Hintern getreten
({3})
und haben sich am Ende dies als erfolgreiche Verhandlungsstrategie ans Revers geheftet und behauptet, Sie hätten quasi dieses große internationale Bündnis geschmiedet. Wahr ist: Man hat erstens zu spät angefangen, und
zweitens hieß der Schmied nicht Röttgen, sondern die
Schmiedin war die EU-Kommissarin Hedegaard.
({4})
Es ist sicherlich eine gute Strategie, sich gemeinsam
mit den Schwellenländern und den am wenigsten entwickelten Staaten dieser Welt gegen diejenigen zu stellen,
die nicht willens sind, sich zu bewegen. Aber dann frage
ich einmal: Wo war eigentlich - außer der Beschreibung,
was für tolle Hechte Sie alle in Durban waren - der Satz
über das, was man zu tun gedenkt? Dazu hat keiner etwas gesagt. Von den Koalitionsrednern höre ich nur: Wir
waren ganz toll! Aber wie will man das Eisen mit diesen
ganzen Staaten denn jetzt weiter schmieden? Was sind
denn die Angebote?
Wir haben - Herr Kelber hat es gerade noch einmal
gesagt - durch die heutigen Redebeiträge eins gelernt,
nämlich dass die Gelder dreifach oder doch mindestens
zweifach angeboten werden. So kann man natürlich eine
wundersame Geldmehrung machen - einmal ganz abgesehen davon, dass vieles von dem, was Sie anbieten,
noch lange nicht im Haushalt steht.
({5})
Wenn es aber ans Eingemachte geht, höre ich hier keinen
einzigen Satz, wie Sie denn das Eisen schmieden wollen.
Die am wenigsten entwickelten Länder, viele afrikanische
Länder könnten Sie beglücken, indem Sie keine Rechentricks machen, sondern deutlich machen: Deutschland
sagt Ja zu einer Agrarreform. Weg mit den Exportsubventionen! Wir werden nicht mehr auf Kosten anderer wirtschaften.
({6})
Doch dazu habe ich von Ihnen an dieser Stelle kein Wort
gehört.
Die richtige Antwort könnte auch sein, jetzt das ambitionierte europäische Klimaschutzziel auf minus 30 Prozent bis 2020 zu setzen. Die richtige Antwort könnte
auch sein, den Green Climate Fund jetzt mit Geld auszustatten, anstatt mit Rechentricks zu arbeiten.
({7})
Die richtige Antwort könnte auch sein, Klimaschutzinitiativen mit anderen zusammen zu starten. Die richtige
Antwort könnte auch sein, zu überlegen, wie und an welchen Stellen wir mit China zusammenarbeiten können.
({8})
Herr Ruck, es war ein toller Satz,
({9})
dass man mit Brasilien ein ernstes Wort reden müsse,
weil sie die Wälder dort roden. Ich sage Ihnen eins: Mit
dieser Großmannssucht des reichen weißen Mannes
kommen Sie in Brasilien bestimmt ganz weit.
({10})
- Welche Kinderstube haben Sie denn?
({11})
Wenn Sie mit den Brasilianern ernsthaft reden wollen,
dann müssen Sie auch etwas bringen. Ja, wir wollen,
dass Brasilien den Amazonas-Wald nicht rodet. Aber Sie
müssen an dieser Stelle endlich einmal aufhören, der
Waldwirtschaft in den Hintern zu kriechen.
({12})
Sagen Sie doch: Wir sorgen dafür, dass in Deutschland
und in Europa nur noch FSC-zertifiziertes Holz verbaut
wird. Dann können Sie denen erklären, was sie mit ihrem Wald machen sollen.
({13})
Sagen Sie doch: Wir machen eine Agrarreform und
treiben sie in Europa an.
({14})
Wir wollen nicht mehr, dass da unten Wälder für den
Anbau von Soja gerodet werden, den wir dann hier verfüttern. Ich weiß, warum Sie so reagieren: Sie merken
nämlich, dass man nicht nur das allgemeine Wortgeklingel machen kann, sondern dass man zu Hause auch liefern muss. Man muss zu Hause den Mut haben, Verhaltens- und Politikänderungen durchzusetzen.
({15})
Ich will gerne noch hinterherschicken: Herr Röttgen
hat hier ja eine warme Rede gehalten.
({16})
Sie können, ohne Zweifel, immer schön reden, Herr
Röttgen. Sie haben gesagt, man müsse zu Hause die
Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung nutzen.
Das haben Sie sicherlich nicht in unsere Richtung gesagt, denn wir wussten das schon; wir sagen ja ständig,
dass Klimaschutz auch eine wirtschaftliche Chance und
eine Chance für Arbeitsplätze ist. Sie haben es in Richtung Ihrer Koalitionsfraktionen gesagt. Wenn Sie das
aber in diese Richtung sagen, dann muss ich hinterherschicken: Unterhalten Sie uns endlich nicht mehr mit
dem Spiel von Röttgen und Rösler: Der eine so herum,
der andere so herum.
({17})
Jeden Tag trifft man sich mit Energiekonzernen - einmal
Sie, einmal Sie. Man ist nicht einmal in der Lage, sich
gemeinsam mit denen zu treffen, weil Sie nicht den
Hauch einer gemeinsamen Position haben.
Sie reden im Spiegel über die Vision eines Pro-KopfBudgets an CO2. Wenn wir dann aber beim BMU nachfragen, erfahren wir dort, das sei eher hypothetisch gemeint. Hypothesen haben wir auch, säckeweise.
({18})
Wir brauchen aber Taten an dieser Stelle.
({19})
- Sie sind eh schon am Ende; Sie existieren gar nicht
mehr.
({20})
- Weil ich höflich bin, Herr Fricke.
({21})
Sie müssen zu Hause Ihre Hausaufgaben machen und
vorangehen, wenn Sie die wirtschaftlichen Chancen
wirklich nutzen und den anderen zeigen wollen, dass
sich technologische Entwicklung lohnt.
Zum Beispiel Energieeffizienz. Herr Röttgen, Sie sagen dazu, das sei die intelligenteste Form der Energiepolitik. Dann dürfen Sie nicht mehr zulassen, dass Herr
Rösler die EU-Effizienzrichtlinie blockiert. Wir brauchen sie.
({22})
Durch ihre Umsetzung könnten bis zu 120 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Ich komme zum Schluss. - Energetische Gebäudesanierung: So, wie Sie dieses Thema angehen, schaffen wir
es nicht einmal in 100 Jahren. Wann einigen Sie sich
endlich? Wann schafft es die Kanzlerin, die Ausnahmen
im Emissionshandel, auch im europäischen Emissionshandel, zu eliminieren? Darüber könnten wir Geld bekommen. Warum schicken wir die Gigaliner auf die
Straße statt den Güterverkehr auf die Schiene? Warum
blockiert Deutschland das Weißbuch Verkehr?
({23})
Warum bauen wir mithilfe der Gelder aus dem Emissionshandel neue Kohlekraftwerke? Ich sage eines ganz klar:
Klimaverhandlungen werden in potenziell guten neuen
Bündnissen fortgeführt, wenn Deutschland selber einen
Innovationsschub hat. Aber das kann Schwarz-Gelb
nicht, zumindest nicht der gelbe Teil, und der schwarze
hat auch keinen Mut.
({24})
Birgit Homburger ist die nächste Rednerin für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben heute Morgen die Möglichkeit, hier über die Ergebnisse von Durban zu diskutieren. Liebe Frau Künast,
mich wundert nichts mehr. Ihnen kann man nichts recht
machen. Sie sind immer unzufrieden. Es ist egal, was
wir machen, es passt Ihnen nicht.
({0})
Setzt man das Thema auf die Tagesordnung, dann reklamieren Sie, dass es auf die Tagesordnung gesetzt wurde.
Sie wären die Erste gewesen, die uns kritisiert hätte, hätten wir heute Morgen nicht darüber diskutiert. Ich sage
Ihnen: Das Thema ist wichtig genug, um es im Deutschen Bundestag zu behandeln.
({1})
Natürlich war Durban ein Erfolg; denn es wurde ein
Fahrplan zu einem Rechtsabkommen mit allen Ländern
vereinbart. Die Grundlage dieses Erfolgs war eine
schlagkräftige Allianz zwischen der EU, den kleinen Inselstaaten, den ärmsten Ländern und progressiven afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern. Der Redner der SPD hat hier heute Morgen erklärt, das sei
schlicht nichts. Dann erklären Sie uns doch bitte einmal,
was Ihre Alternative gewesen wäre. Glauben Sie, Sie
hätten die anderen Länder dazu gebracht, auf dieser Klimakonferenz mehr zu vereinbaren als das, was jetzt vereinbart wurde? Das glauben Sie doch selber nicht.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Sie können nicht
permanent alles, was erreicht wird, konterkarieren und
ablehnen und dann sagen, dass wir das Weltklima mit
Maßnahmen allein in Deutschland retten. Das wird nicht
funktionieren. Deswegen ist es richtig, dass diese Bundesregierung so agiert hat, wie sie agiert hat.
({2})
Wir wollen, dass es nicht bei Klimadiplomatie bleibt.
Das Wichtigste ist, dass jetzt etwas passiert. Das haben
mehrere Redner gesagt; da sind wir uns vollkommen einig. Deshalb ist es wichtig, dass die Bereitschaft von
Ländern wie Mexiko, Brasilien oder auch China, sich
klimapolitisch zu engagieren, jetzt von uns unterstützt
wird. Sie muss unbedingt aufrechterhalten werden.
Liebe Frau Künast, Sie werden diese Bereitschaft sicherlich nicht aufrechterhalten, indem Sie Länder wie Brasilien, die sich wirklich anstrengen, hier im Deutschen
Bundestag verbal verhauen. So werden Sie nicht weiterkommen.
({3})
Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir die Gespräche bilateral weiterführen, nicht nur zwischen der
EU und diesen Ländern, sondern auch zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und diesen Ländern. Wir
wollen, dass es mit diesen Ländern bilaterale Kooperationen insbesondere in projektbezogenen technischen
Fragen gibt. Das wird dazu führen, dass dort das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Klimaschutz gestärkt wird. Es zeigt aber auch die Ernsthaftigkeit, mit
der wir uns um die Zusammenarbeit mit diesen Ländern
bemühen. Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal, das
diese Bundesregierung aussendet.
({4})
Wir haben in Durban Zeit gewonnen. Wir wollen,
dass durch pragmatische, projektbezogene und dezentrale Schritte zur Emissionsreduktion jetzt etwas passiert. Ich möchte deutlich sagen: Ich finde es sehr erfreulich, dass die Bundesregierung nicht nur geredet,
sondern auch gehandelt hat. Der Bundesminister für
wirtschaftliche Zusammenarbeit hat während der Konferenz in Durban 120 Millionen Euro für Solarprojekte im
südlichen Afrika zugesagt. Er hat eine weitere Zusage
für Förderung durch das BMZ für ein solarthermisches
Kraftwerk in Marokko gemacht.
({5})
Das zeigt, dass diese Bundesregierung handelt, dass sie
die Sache ernst nimmt und dass sie diesen Prozess weiter
intensiviert und unterstützt.
({6})
Frau Kollegin Homburger, darf die Kollegin Höhn
eine Zwischenfrage stellen?
Bitte sehr.
Frau Kollegin Homburger, Sie sind in den letzten Monaten ja nicht mehr in Erscheinung getreten, wenn es um
Umwelt- und Klimathemen ging. Heute reden Sie dazu.
Könnte ein Grund dafür sein, dass Sie sich um die Nachfolge von Herrn Brickwedde bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt in Osnabrück bewerben wollen?
({0})
Sehr geehrte Frau Höhn, das ist eine peinliche Frage,
die Ihre Denke vollkommen offenlegt.
({0})
Sie sind offensichtlich der Meinung, dass hinter jedem
politischen Engagement ein persönlicher Vorteil stecken
muss.
({1})
Das trifft auf mich nicht zu. Das trifft auch auf die FDP
nicht zu. Ich kann Sie beruhigen: Das interessiert mich
nicht. Dies ist keine Bewerbungsrede. Dass ich hier und
heute zu diesem Thema spreche, ist der Tatsache geschuldet, dass wir in der FDP-Bundestagsfraktion
({2})
der Auffassung sind, dass klimapolitische Fragestellungen nicht nur im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages zu behandeln sind, sondern dass es auch eine
gemeinsame Strategie der auswärtigen Politik, der Wirtschaftspolitik, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und
der Umweltpolitik geben muss. Das kommt hier zum
Ausdruck.
({3})
Zur Erreichung der Klimaschutzziele kann aus unserer Sicht auch der Mittelmeer-Solarplan einen Beitrag
leisten. Es handelt sich hierbei um ein Kernprojekt der
EU, mit dem potenzielle erneuerbare Energien rund um
das Mittelmeer erschlossen werden sollen. Dieses Projekt dient nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch der
Diversifizierung der Energiequellen und der Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen.
In diesem Zusammenhang sind wir der Auffassung,
dass dem Desertec-Projekt eine zentrale Bedeutung zukommt. Wir sind froh, dass die Bundesregierung dieses
Projekt durch Gespräche in den entsprechenden Ländern
flankiert. Mit diesem Projekt können nämlich nicht nur
klima- und energiepolitische Ziele erreicht werden, sondern das Projekt hat auch eine wirtschaftspolitische Bedeutung, nicht nur für die Länder in Nordafrika, die daran teilnehmen, sondern auch für die Solarwirtschaft in
Deutschland.
({4})
An dieser Stelle, meine sehr verehrten Damen und
Herren, eine Bemerkung zur Kollegin Lötzsch.
({5})
Ich bin der tiefen Überzeugung: Nur wenn wir es schaffen, umweltpolitische Zielsetzungen und wirtschaftspolitische Zielsetzungen in Übereinstimmung zu bringen, und zwar so, dass es beiden Seiten hilft,
({6})
werden wir bei der Klimaschutzstrategie Erfolg haben.
Vor diesem Hintergrund ist die Rede, die Sie heute Morgen unter der Überschrift „Wege zum Kommunismus“
gehalten haben, mit Sicherheit nicht hilfreich gewesen.
({7})
Um die neue Energiepolitik, die wir im Deutschen
Bundestag beschlossen haben, umzusetzen, braucht es
eine Beschleunigung des Netzausbaus in Deutschland. Es
braucht einen Zubau neuer und effizienter fossiler Kraftwerke. Es braucht den weiteren Ausbau der erneuerbaren
Energien, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern, in denen bessere Bedingungen vorherrschen. Es braucht eine Verknüpfung von Umweltpolitik,
Wirtschaftspolitik, Entwicklungszusammenarbeit und
auswärtiger Politik. Diese Verknüpfung werden wir herstellen, um die Klimaschutzziele zu erreichen, gleichzei18006
tig aber auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein und weiterhin zu bleiben.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort erhält jetzt der Kollege Frank Schwabe für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, man kann feststellen - das können wir, glaube
ich, übereinstimmend tun, auch diejenigen Mitglieder
des Deutschen Bundestages, die in Durban waren -: Es
hat durchaus Bewegung gegeben, und wir haben eine andere Weltlage, auch im Bereich der Klimapolitik.
Enorme Bewegung gibt es bei vielen kleineren Ländern,
aber auch bei vielen Schwellenländern wie Brasilien,
Mexiko, China und Indien. Angesichts ihrer sehr
schwierigen Rolle finde ich, dass sogar die USA versucht haben, sich relativ konstruktiv zu verhalten. Ich
will ausdrücklich sagen: Ich sehe durchaus Hoffnungen
und Chancen in diesem Prozess.
Trotzdem müssen wir festhalten, dass der UN-Prozess
nicht ausreichend ist. Er ist aber notwendig. Deswegen
muss er erhalten bleiben. Da der UN-Prozess notwendig
ist, muss man gemeinschaftlich ein klares Wort zu Kanada sagen. Ich verstehe in der Tat nicht, warum der
Bundesumweltminister, aber auch die Bundeskanzlerin
an der Stelle so leisetreterisch und windelweich sind. Bei
aller diplomatischen Zurückhaltung: Das, was Kanada
hier tut, ist ein starkes Stück, und ich finde, dass es wichtig wäre, die richtigen Reaktionen in Richtung Kanada
zu senden.
({0})
Die Europäische Kommission legt gerade eine neue
Kraftstoffqualitätsrichtlinie vor, weil die Kanadier ihr
schmutziges Öl, aus Teersand und Ölschiefer gewonnen,
nach Europa entsenden wollen. Es ist wichtig, dass wir
als Bundesrepublik Deutschland hier eine klare Haltung
einnehmen. Deswegen habe ich die Haltung der Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich abgefragt. Die Antwort habe ich ganz frisch auf den Tisch bekommen. Sie
lautet:
Zum vorgelegten Entwurf der Europäischen Kommission … gibt es noch keine abgestimmte Haltung
der Bundesregierung.
({1})
Das ist also die Reaktion Deutschlands auf die Politik,
die Kanada betreibt. Ich glaube, es wäre dringend notwendig, dass sich die Bundesrepublik Deutschland klar
auf die Seite der Europäischen Kommission stellt.
({2})
Es gab in Durban ganz zweifellos zaghafte Fortschritte. Das bewerte ich durchaus so. Es war allerdings
keine Heldensaga, wie der Bundesumweltminister sie
aufführt. Ich weiß nicht, ob Sie etwas übernächtigt waren, als Sie von einem großen, wegweisenden Erfolg gesprochen haben. Sie haben aber auch heute wieder von
einem Riesenerfolg geredet. Ich glaube, es könnte auch
etwas kleiner gehen.
Es ist nichts anderes gelungen, als dass wir vereinbart
haben, möglicherweise im Jahre 2015 ein internationales
Abkommen zu haben, das wir eigentlich schon sechs
Jahre vorher in Kopenhagen haben wollten. Wir werden
bis zum Jahr 2020 ein jahrelanges Nichtstun der großen
Schwellenländer und der USA erleben. Die rechtliche
Verpflichtung ist vollkommen unklar. Wir haben kein
Geld im Klimafonds und sind auch beim Waldschutz
keinen Schritt weitergekommen. Das ist leider die Bilanz von Durban.
Herr Minister, eine solche Regierungserklärung, wie
Sie sie heute abgegeben haben, hat Vor- und Nachteile.
Der Vorteil ist, dass man viel Zeit bekommt - über
20 Minuten - und viel erzählen kann. Man muss allerdings innerhalb der Bundesregierung immer alles abstimmen, was man hier sagen will. Am Ende wird deutlich, dass man nichts zu sagen hat, weil man in dieser
Regierung eben nichts abgestimmt bekommt. Ich glaube,
das ist auch bei Ihrer wieder einmal sehr philosophischen, letztlich aber inhaltsleeren Rede deutlich geworden.
({3})
Der UN-Prozess ist notwendig, aber er reicht nicht
aus; darin sind wir uns einig. Wir brauchen jetzt eine entschiedene Rolle der Europäischen Union und der einzelnen Staaten der Europäischen Union. Wir brauchen
Bündnisse mit anderen Ländern auf der Welt. Dazu, wie
das gelingen soll, haben Sie keinen Satz gesagt.
Vor zwei Wochen haben wir hier im Rahmen einer
Aktuellen Stunde eine Debatte über die Weltklimakonferenz geführt. Ich habe damals auf die Debatte über eine
Verschärfung des Reduktionsziels auf 30 Prozent innerhalb der Europäischen Union Bezug genommen. Sie haben heute keinen Satz zum 30-Prozent-Ziel gesagt, Herr
Umweltminister.
({4})
Dabei wissen Sie doch ganz genau, dass wir als Europäische Union bis zum 1. Mai des Jahres 2012 ein Ziel
adressieren müssen.
({5})
Was ist denn die Haltung des Ministers und der Bundesregierung dazu? Welches Ziel soll die Europäische
Union bis zum 1. Mai des nächsten Jahres adressieren?
Wir erleben einen Preisverfall innerhalb der Europäischen Union. Der CO2-Preis liegt gerade einmal bei
6,50 Euro. Vor zwei Wochen lag er noch bei etwas über
8 Euro, jetzt sind wir bei 6,50 Euro angelangt. Das heißt,
wir werden in der Europäischen Union in den nächsten
Jahren und Jahrzehnten keine ambitionierte Klimaschutzpolitik sehen. Wir werden kein Geld im Haushalt
haben. Ich weiß gar nicht, was der Finanzminister dazu
sagt. Sie gehen in Ihren Finanzplanungen von einem
Preis von 17 Euro aus, momentan liegt er bei 6,50 Euro.
Was heißt das denn eigentlich für den Bundeshaushalt?
Herr Umweltminister, Sie haben von einer fruchtbaren, engen Zusammenarbeit mit Großbritannien, Dänemark und anderen geredet. Chris Huhne, der Minister für
Energie und Klimawandel in Großbritannien, will sich
dafür einsetzen, dass sich die Europäische Union sehr
schnell auf ein 30-Prozent-Ziel festlegt, möglichst während der Ratspräsidentschaft Dänemarks im ersten Halbjahr des nächsten Jahres. Was ist denn die Haltung des
Bundesumweltministers und der Regierung dazu? Es
wäre doch wichtig gewesen, das hier heute anzusprechen.
Es gibt jetzt eine Initiative von Unternehmen innerhalb der Europäischen Union, von Shell, Alstom, Philips
und anderen, die einen Brief an Barroso geschrieben haben, in dem sie dringend anmahnen, das europäische Reduktionsziel anzuheben. Auch dazu gibt es keine Haltung des Bundesumweltministers. Heute hätten Sie in
über 20 Minuten die Zeit gehabt, dazu klare Aussagen zu
treffen.
Ich will Ihnen zum Abschluss ein Zitat vorlesen. Es
lautet:
Als nächsten Schritt schlagen wir vor, dass die EU
ihre Emissionen bis 2020 um 30 % gegenüber 1990
reduziert. … Wir können es uns nicht leisten zu
warten, bis andere sich bewegen.
Was glauben Sie, von wem dieses Zitat war? Es war ein
Zitat von Sigmar Gabriel, damals Bundesumweltminister. Er hat es vor fünf Jahren bei der Weltklimakonferenz
in Nairobi gesagt, als er sich für das 30-Prozent-Ziel in
der EU eingesetzt hat. Sie, Herr Bundesumweltminister,
schaffen es nicht einmal, dieses Ziel vor dem Plenum
des Deutschen Bundestages zu erwähnen und seine Erreichung zu fordern. Das ist zu wenig.
Philosophisch über Dinge zu reden, ist gut; das kann
man machen. Am Ende geht es aber um Taten statt
Worte. Daran werden wir Sie messen. Solange es diese
Taten nicht gibt, werden wir Sie entsprechend kritisieren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Thomas Gebhart ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt in diesen Tagen unterschiedliche Bewertungen des Ergebnisses der Klimakonferenz in Durban.
Dies mag bei dem einen oder anderen mit der Absicht
zusammenhängen, die dahintersteckt. Es hängt aber sicherlich vor allem mit dem Maßstab zusammen, anhand
dessen diese Ergebnisse von jemandem bewertet werden.
Aber eines ist doch völlig klar: Wenn man dieses Ergebnis sieht und es an den Erwartungen, die wir vor der
Konferenz hatten, und an dem, was realistischerweise
machbar war, misst - wir müssen sehen, es sind über
190 Länder am Verhandlungstisch, und es gilt das Einstimmigkeitsprinzip -, kann man sagen, dass dieses Ergebnis definitiv ein Fortschritt ist. Es ist ein Erfolg.
({0})
Es ist vor allem deswegen ein Fortschritt, weil neben einer Reihe von Beschlüssen, die gefasst worden sind, die
Grundlage für weltweite Vereinbarungen über die Mengenbegrenzungen der Treibhausgasemissionen geschaffen wurde. Es ist ein Fahrplan vereinbart worden, ein
Fahrplan hin zu einem weltweiten Abkommen.
Warum ist genau dieser Punkt, also das weltweite Abkommen, am Ende so entscheidend und so wichtig? Es
ist deswegen so wichtig, weil der Klimaschutz ein klassisches globales Problem ist. Ein einzelnes Land wie
Deutschland, Frankreich, Italien und selbst die Europäische Union insgesamt können dieses Problem alleine
nicht lösen. Was wir brauchen, sind weltweite Antworten. Die Staaten müssen miteinander kooperieren. Wir
brauchen weltweite Lösungen und ein weltweites Abkommen.
Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass dieses Abkommen früher als 2020 in Kraft treten kann; das ist
doch klar.
({1})
Aber entscheidend ist, dass es eine Perspektive gibt und
dass der Prozess weitergeht und eben nicht abbricht.
Entscheidend ist, dass alle im Boot sind. Genau deswegen sollten wir dieses Ergebnis von Durban jetzt nicht
kleinreden, sondern wir sollten es anerkennen als das,
was es tatsächlich ist, nämlich einen maßgeblichen Fortschritt.
({2})
Wir haben mit anderen Delegationen viele Gespräche
geführt. Es ist in allen Gesprächen deutlich geworden,
dass das Ansehen Deutschlands in diesen internationalen
Klimaschutzverhandlungen enorm hoch ist. Die Rolle
Deutschlands wird positiv gesehen. Ich denke, das wird
hier auch parteiübergreifend niemand bestreiten wollen.
Deutschland und die Europäische Union haben zu
diesem Ergebnis maßgeblich beigetragen. Es war vor allem die Strategie, eine Allianz mit den afrikanischen
Staaten und mit den kleinen Inselstaaten zu bilden, die
Bewegung in die Verhandlungen gebracht hat, die auch
weit über diese Konferenz hinaus positive Auswirkungen haben und neue Möglichkeiten und Optionen schaffen wird. Daran hat auch unser Umweltminister Norbert
Röttgen einen maßgeblichen Anteil. Ich denke, es ist an
dieser Stelle mehr als gerechtfertigt, ihm für seinen Einsatz vor und während der Konferenz wie auch all denjenigen, die in der Delegation mitgewirkt haben, Danke
schön zu sagen.
({3})
Meine Damen und Herren, so unverzichtbar diese
Verhandlungen und Konferenzen unter dem Dach der
Vereinten Nationen sind, so klar ist auch: Wir werden
auf diesem Weg alleine die Probleme nicht lösen. Vielmehr muss ein zweiter Punkt hinzukommen: technologische Innovationen.
Warum ist dieser Punkt so wichtig? Er ist deswegen
so wichtig, weil wir Klimaschutz letzten Endes nur dann
erfolgreich schaffen können, wenn wir ihn mit Wohlstand, Wachstum und Entwicklung in Einklang bringen.
({4})
Der Schlüssel, um beides miteinander zu verbinden, liegt
in technologischen Innovationen, neuen Technologien
wie Effizienztechnologien und erneuerbaren Energien
und vielem mehr.
({5})
An dieser Stelle hat Deutschland eine besondere
Rolle. Wir bauen unsere Energieversorgung um, und
zwar hin zu einer stärker nachhaltigen Energieversorgung. Viele in der Welt beobachten zurzeit sehr genau,
was in Deutschland geschieht. Sie beobachten, wie wir
diesen Umbau organisieren und die neuen Technologien
voranbringen.
In allen Gesprächen mit anderen Delegationen ist
auch deutlich geworden, dass das Interesse anderer Länder an dem, was wir im Moment in Deutschland machen,
riesig ist. Vor dem Hintergrund dieser Gespräche mit anderen Delegationen bin ich mehr denn je überzeugt: Je
besser uns in Deutschland dieser Umbau jetzt gelingt,
desto attraktiver wird dieser Weg auch für andere Länder. Je besser wir bei uns im eigenen Land zeigen, dass
Klimaschutz und eine starke Wirtschaft keine Gegensätze sind, sondern dass mithilfe neuer Technologien das
eine das andere unterstützt und mitunter sogar bedingt,
desto mehr tragen wir zum Klimaschutz bei, und zwar
am Ende weltweit.
Für Deutschland als Vorreiter liegen in diesem Bereich und in diesen Fragen gewaltige Herausforderungen. Aber die Chancen sind mindestens genauso groß.
Ich will noch einen Punkt aufgreifen. Der Klimaschutz ist ohne jeden Zweifel sehr wichtig. Aber wer in
den Gesprächen mit Delegationen anderer Länder erfahren hat, dass heute schon viele Länder mitunter stark von
den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, für
den ist klar, dass der Klimaschutz zwar wichtig ist, dass
aber die Anpassung an die Folgen des Klimawandels genauso wichtig ist.
({6})
Vertreter aus Bangladesch haben uns geschildert, dass
die Menschen heute schon von der Küste ins Landesinnere umziehen müssen, weil die Folgen des Klimawandels den Menschen dort große Probleme bereiten. Auf
Fidschi ist es genauso. In afrikanischen Ländern machen
den Menschen zunehmend Dürre und Hitze zu schaffen.
Es wurde uns berichtet, was es bedeutet, wenn im
Sommer Rekordtemperaturen von 50 Grad Celsius herrschen. Es wurde uns berichtet, was dies für das alltägliche Leben bedeutet.
Dies ist bereits Realität. Deswegen gilt: Klimaschutz
ist wichtig und notwendig, aber genauso notwendig ist
an vielen Stellen die Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Deswegen sollten wir am Ende beide Wege
gehen und beides konsequent voranbringen.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter für die
Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
Durban wurde wieder einmal ein Fahrplan verabschiedet, aber - wie die Zeitung Die Welt schrieb - losgefahren ist niemand. Ich möchte der Bundesregierung
nicht die gute Laune verderben; aber was ist eigentlich
20 Jahre nach der Klimarahmenkonvention die Bilanz
internationaler Klimapolitik? Für fünf Jahre gab es mit
dem Kioto-Abkommen ein Einsparziel, aber diese Vereinbarung wurde gleich nach der Verabschiedung durchlöchert. So gab es Zugeständnisse an Russland bezüglich
der Anrechnung der Wälder, und es waren die USA, die
sich ganz aus dem Klimaschutz verabschiedet haben.
Wenn das Ziel des Kioto-Protokolls 2012 erreicht
wird, dann wird der Minderungsbeitrag gerade einmal
1 Prozent der weltweiten Emissionen ausmachen. Ich
rede noch nicht einmal über die Schlupflöcher, zum Beispiel über CDM, also die anrechenbaren Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern. Diese sind noch gar
nicht berücksichtigt. Im selben Zeitraum, also seit 1990,
sind die globalen Emissionen um fast 40 Prozent gestiegen. Ich wiederhole es, damit auch alle es mitbekommen: Das Ergebnis aller UN-Klimaverhandlungen besteht darin, global einen Beitrag von maximal 1 Prozent
Minderung in 20 Jahren zu leisten. Gleichzeitig beträgt
die reale Steigerung 40 Prozent. Der internationale Klimaprozess ist gescheitert. Das Ergebnis von Durban ändert daran nichts.
({0})
Ich möchte aber den Sinn von UN-Klimagipfeln explizit nicht infrage stellen. Wir brauchen diese Beratungen. Im Detail haben die Verhandlerinnen und Verhandler der EU und auch Deutschlands gute Arbeit geleistet.
Aber die Formel „mehr war nicht drin“ zeigt doch, dass
Klimaschutz offensichtlich an die Grenzen des Gesellschaftssystems stößt. Es ist tatsächlich so, wie Herr
Minister Röttgen neulich formuliert hat: Die Klimaverhandlungen sind im Kern Wirtschaftsverhandlungen. Ich
sage: Sie sind ein Ringen um die globale Verteilung von
Wachstumschancen. Aber nicht nur das: Sie sind auch
ein Ringen darum, in welcher Weltregion von welchen
Konzernen und mit welchen Schranken zukünftig Profit
gemacht werden kann.
Es nützt nichts, wenn wir nur auf China oder die USA
schauen. Wir müssen vor der eigenen Haustüre kehren;
({1})
denn Unternehmen aus Deutschland verlagern seit Jahrzehnten ihre Industrie in Entwicklungs- und Schwellenländer. Diese Länder produzieren nun für unsere Märkte.
Zudem haben die Industrieländer seit der Industriealisierung die Atmosphäre mit Klimakillern aufgefüllt: für
den Wohlstand eines Teils der Bevölkerung, für Firmenkassen, für einen zweifelhaften Konsum, für irrwitzige
Verkehrskonzepte und für größenwahnsinnige Infrastrukturprojekte. Dafür wurde der globale Süden ausgebeutet, und er wird es noch: für Rohstoffe - dafür werden Kriege geführt - und billige Arbeitskräfte.
Es ist doch kein Wunder, dass sich die Schwellenländer nicht vorschreiben lassen, wie sie sich entwickeln
sollen. Auch sie wollen Chancen, und das ist verständlich. Ich halte es für ziemlich verlogen, wenn Luxuskarossen und Panzer in alle Welt exportiert werden und
man dann den Leuten sagt: Wir wollen, dass ihr euch
nachhaltig entwickelt.
({2})
Das ist vor allem dann unglaubwürdig, wenn gleichzeitig Palmöl, Agrosprit, Unmengen von Soja oder Seltene
Erden aus Konfliktgebieten importiert werden, um so
weitermachen zu können wie bisher. Der brasilianische
Regenwald wird abgeholzt, weil es bei uns eine Beimischungspflicht gibt. Meine Frage ist: Wie gedenken wir
damit weiter umzugehen? Ich meine, diese Beimischungspflicht muss abgeschafft werden.
({3})
Ich frage mich: Ist dieses globalisierte profit- und
wachstumsorientierte System jemals in der Lage, sich zu
mäßigen? Es klappt ja nicht einmal bei den Finanzmärkten. Welche Hoffnung soll ich da haben? Das auszubaden haben - Kollegen haben es geschildert - Menschen
in Afrika, im Tschad, auf den Fidschi-Inseln. Es gibt
viele Menschen, deren Land demnächst unter Wasser
steht. Sie werden verhungern; auch Tiere werden verhungern. Das alles, was hier passiert, kann uns nicht egal
sein.
({4})
Wir sind verantwortlich, und wir haben diese Verantwortung zu tragen.
Wir haben mit betroffenen Menschen gesprochen.
Meine Kollegin Gesine Lötzsch hat gesagt: In Durban
wurde allenfalls der Verhandlungsprozess gerettet, nicht
aber das Klima. - Da hat sie recht. Wir müssen den Zusammenhang der verschiedenen globalen Krisen sehen;
denn sie haben dieselbe Ursache.
Frau Kollegin.
Ich sage: Es ist der ungezügelte Kapitalismus; wir
müssen da etwas tun.
({0})
- Natürlich kann an dieser Stelle niemand außer der Linken klatschen; das ist für Sie ein Reizwort.
Aber ich bin ein optimistischer Mensch und habe
nach wie vor die Hoffnung, dass diese Welt zu retten ist,
dass sie eben nicht untergeht und dass wir das 2-GradZiel noch erreichen. Dafür müssen wir gemeinsam etwas
tun, und zwar jetzt. Ich sage immer: Es gibt stets Alternativen. Diese Alternativen müssen wir angehen - im Interesse der Menschen auf anderen Kontinenten.
({1})
Hermann Ott ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist gut, dass in Durban doch noch ein Ergebnis zustande
kam, dazu noch, wie es der Zufall wollte, am 11. Dezember, also genau an dem Tag, an dem 14 Jahre zuvor das
Kioto-Protokoll angenommen worden ist. Ich kann mich
noch gut daran erinnern und auch daran, wie ich die
Kanzlerin, damals noch Umweltministerin, wissenschaftlich beraten durfte. Was damals in Kioto galt, das
gilt heute immer noch.
Wenn man in 100 Jahren auf unser Jahrzehnt zurückblickt, dann werden viele der Krisen, die uns heute in
Atem halten, nicht viel mehr als eine Fußnote der Geschichte sein. Aber was die Menschen in 100 Jahren
brennend interessieren wird, das ist die Frage, ob wir es
geschafft haben, die menschheitsgefährdende Aufheizung unseres Planeten zu verhindern. Das ist der Maßstab, an dem unsere Politik gemessen werden wird.
({0})
Ich bin davon überzeugt, dass wir es schaffen können,
eine gefährliche Störung unseres Klimasystems zu verhindern. Doch wir brauchen dazu den festen politischen
Willen und die nötige Klugheit. Diese Klugheit ist in
Durban etwas aufgeblitzt: Es war gut, den Schulterschluss mit den Ärmsten der Welt zu suchen, um die
USA, Indien und China in die Enge zu treiben. Es wäre
klug, diese Lektion nicht zu vergessen.
Nicht vergessen sollte man auch, dass die Europäische Union nur im Zusammengehen mit den Ärmsten,
mit den Gefährdetsten dieser Welt etwas bewegen kann.
Da reicht es nicht, auf den Klimafonds zu verweisen, der
zwar eingerichtet worden ist, aber bisher ohne Geld dasteht. Die Deutsche Bank Research hat ihren Bericht
über Durban mit dem Titel überschrieben: „Die Welt entscheidet sich für Anpassung“. Das ist die fatale Logik
seit Kopenhagen: keine Minderung, aber dafür das Inaussichtstellen von Finanzierung. Geld gegen Leben, das
darf es nicht geben.
({1})
Vor allem dürfen wir nicht vergessen, dass das Einzige, was am Ende zählt, die Taten sind, nicht die Worte.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Energiewende in
Deutschland und in Europa richtig gestalten. Herr
Röttgen - ich beziehe mich auf das, was Sie eben gesagt
haben -, kein einziger der Umweltverbände hat die Bundesregierung dafür gelobt, dass sie nicht für eine
CO2-Reduktion um 30 Prozent, sondern nur um 20 Prozent eingetreten ist. Das Gegenteil ist der Fall: Alle Umweltverbände haben 30 Prozent gefordert. Es ist eine
Schande, dass die Bundesregierung das nicht getan hat.
Wenn Sie Härte beweisen wollen, Herr Röttgen, dann
tun Sie das bitte gegenüber Ihrem Kollegen Herrn Rösler
oder wer auch immer ab morgen Wirtschaftsminister in
diesem Lande ist.
({2})
Meine Damen und Herren, die Klimakonferenz in
Durban hat auch gezeigt, dass die Strategie der unterschiedlichen Geschwindigkeiten die richtige ist. Daran
muss jetzt angeknüpft werden. Nach den Erfahrungen
von Kopenhagen, Cancún und jetzt Durban scheint es
mir sinnvoll zu sein, einen Prozess parallel zu den Verhandlungen im Rahmen der Vereinten Nationen einzuleiten, eine Allianz der Ambitionierten zu gründen, wenn
man so will. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist allerdings, dass diese Gruppe nicht versucht, Unwillige ins
Boot zu ziehen, nicht die ewigen Zweifler, Nörgler und
Bremser. Es müssen zwar alle irgendwann ins Boot, aber
eben nicht alle zur gleichen Zeit. Wenn diese Bedingung
missachtet wird, muss diese Gruppe ebenso scheitern
wie alle anderen Bemühungen zuvor.
Herr Röttgen, wenn ich das, was Sie eben sagten,
noch einmal zuspitzen darf: Wer verlangt, dass 2015 alle
großen Verschmutzer wieder mit im Boot sind, wer die
Zustimmung der anderen zur Bedingung des eigenen
Handelns macht, der will in Wirklichkeit nicht, dass
2015 ein Abkommen geschlossen wird.
({3})
Sie werden dann wahrscheinlich nicht mehr im Amt
sein. Ich bitte Sie aber darum: Leiten Sie jetzt die entsprechenden Prozesse ein, damit wir dann vernünftig die
Verhandlungen weiterführen können!
({4})
Meine Damen und Herren, die Klimakonferenz in
Durban hat ein Fundament gelegt, das nur tragfähig sein
kann, wenn wir es konsequent ausbauen. Lassen Sie uns,
um ein Bild der Vorweihnachtszeit zu gebrauchen, nicht
nur schöne Adventslieder singen - so schön das gestern
auch im Paul-Löbe-Haus war -, sondern lassen Sie auch
Taten folgen! Lassen Sie uns die Apfelbäumchen pflanzen! Lassen Sie uns alles dafür tun, dass der Klimawandel in 100 Jahren nur als ehemalige Bedrohung in den
Geschichtsbüchern auftaucht und nicht das Leben unserer Enkel und Urenkel zur Hölle macht!
Ich danke Ihnen.
({5})
Josef Göppel ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Reden derer, die in Durban dabei waren, unterschieden
sich doch etwas von den Reden derer, die nicht in Durban waren. Wer den Verhandlungsprozess verfolgt hat,
der hat die existenzielle Not gespürt, die viele Länder
bewegte und die letztlich auch zum Aufbrechen der alten
Blöcke geführt hat. Der alte Block der G 77 ist von der
Realität überholt werden. Die afrikanischen Länder und
die Inselstaaten haben sich daraus gelöst, weil sie gemerkt haben, dass ein Land wie China ihre Interessen
nicht mehr vertritt.
In meinen Augen ist der größte Erfolg der Konferenz
in Durban, dass es eine neue Allianz zwischen den afrikanischen Ländern, den Inselstaaten und Europa gibt.
Das ist vorbereitet worden. Hier hat die deutsche Verhandlungsführung eine gute Rolle gespielt.
In meinen Augen hat sich in Durban noch ein Zweites
gezeigt: Die Nichtregierungsorganisationen sind zu einem echten Faktor in den Verhandlungen geworden. Man
kann geradezu von einem Dreieck aus offiziellen DelegaJosef Göppel
tionen, Nichtregierungsorganisationen und Medien sprechen. Dieses Dreieck hat im Zusammenspiel eine Verhandlungsdynamik entwickelt, die letztlich das Scheitern
verhindert hat. Das ist ein Erfolg für sich. Gleichwohl
heißt das noch lange nicht, dass wir uns damit jetzt zufriedengeben können.
Ich habe jetzt zum achten Mal eine Klimakonferenz
miterlebt, am Anfang unter Umweltminister Trittin,
dann unter Sigmar Gabriel und jetzt eben unter Norbert
Röttgen. Jeder Minister hat auf seine Weise in seiner jeweiligen Amtszeit dafür gesorgt, dass Deutschland eine
drängende Rolle einnimmt. Ich finde, es ist wichtig, dass
wir als deutsches Parlament über Partei- und Koalitionsgrenzen hinweg in dieser Frage einheitlich in eine Richtung arbeiten.
In diesem Zusammenhang, Herr Bundestagspräsident, habe ich eine Bitte: Ich finde es nicht gut, dass der
Ältestenrat gesagt hat, dass die Genehmigung für die
Teilnahme einer begleitenden Parlamentarierdelegation
an einer Klimakonferenz zum letzten Mal ausgesprochen
wurde. Gerade die Beteiligung der Abgeordneten neben
dem Verhandlungsapparat der Beamten ist eine wichtige
Hilfe und Ergänzung für die Positionierung unserer Bundesregierung. Das hat man in Durban ganz besonders gespürt. Deswegen sollten wir diese gute Tradition auch
fortsetzen.
({0})
Guter Klimaschutz stärkt unser Land. Wir hatten zum
Beispiel ein Gespräch mit der Delegation von Uruguay.
Auf die Frage an den Umweltminister von Uruguay, was
ihm und seinem Land am meisten nützen würde, kam
prompt die Antwort: Geben Sie uns deutsche Technik. Das ist das Entscheidende.
Die Frage von Oppositionskollegen, wie es weitergeht, ist die richtige Frage. Ich möchte Sie in dem Zusammenhang aber auf den vor wenigen Tagen erfolgten
Beitrag von Minister Röttgen aufmerksam machen. Darin legt er dar, wie er sich den Masterplan zur weiteren
Umsetzung der Energiewende in Deutschland vorstellt.
Dabei geht es darum, dass die erneuerbaren Energien
eine Größenordnung erreichen, die auch eine Qualitätsveränderung bedeutet. Wenn die Erneuerbaren einen Anteil von über 20 Prozent an der Stromversorgung haben,
kommt diesem Bereich mehr Verantwortung zu. Ich erwähne in dem Zusammenhang ein flexibles und nachfrageorientiertes Angebot sowie die Entwicklung von Speichertechnologien.
Ich finde, es ist wichtig, dass wir Deutsche die technologische Herausforderung annehmen. Meine Kollegen
Thomas Gebhart und Christian Ruck haben hier schon
gesagt, dass die anderen Länder das deutsche Experiment beobachten und mit einer gewissen Faszination darauf schauen, dass sich ein so starkes Industrieland wie
Deutschland vollkommen auf den Pfad hin zu einer kohlenstofffreien Energieversorgung begibt. Das ist eine Herausforderung für unser Land, zugleich aber auch eine
Riesenchance für die wirtschaftliche Entwicklung
Deutschlands im Hinblick auf seine Stärke auf den Weltmärkten.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Minister Röttgen
hat in diesem Konzept für einen Masterplan ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er für die Anhebung
des europäischen Reduktionszieles auf 30 Prozent sowie
für die rasche Zustimmung Deutschlands zur Energieeffizienzrichtlinie eintritt. Genau diese beiden Dinge brauchen wir auch.
({2})
Die Redner der Opposition haben recht, wenn sie sagen,
dass unser Energie- und Klimafonds bei einem Preis von
6,50 Euro für ein Emissionszertifikat in sich zusammenfällt.
({3})
Es kommt entscheidend darauf an, wo die Europäische
Union die Grenze ansetzt.
Wir haben in Durban sicher eine Atempause bekommen und haben die Weichen in die richtige Richtung gestellt. Aber wir müssen jetzt innerhalb unseres Landes
und innerhalb der Europäischen Union unter Beweis
stellen, dass wir diesen Weg entschlossen weitergehen.
Ich durfte, wie gesagt, zum achten Mal bei einer derartigen Konferenz dabei sein und möchte meinen persönlichen Eindruck wiedergeben. Zum ersten Mal habe
ich gespürt, dass die Europäische Union bei einer solchen Weltkonferenz das Gesetz des Handelns befolgte
und die Entwicklung bestimmte. Das wünsche ich mir
auch im nächsten Jahr in Katar. Die Entschlossenheit unseres Bundesumweltministers lässt daran keinen Zweifel.
Ich möchte auch den Oppositionskollegen, die eben
hier gesprochen haben und in Durban dabei waren, dafür
danken, dass sie die persönliche Leistung des deutschen
Bundesumweltministers und seinen Anteil am Verhandlungserfolg anerkannt haben. Diese Einigkeit stärkt insgesamt den Klimaschutz - und damit auch unser Land.
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Ulrich Kelber für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Debatte vor der UN-Klimaschutzkonferenz in
Durban hat die SPD die schwarz-gelbe Klima-, Energieund Umweltpolitik heftig kritisiert, namentlich die Rolle
der Bundeskanzlerin, des Bundeswirtschaftsministers
und auch des Bundesumweltministers.
Wir haben damals angesprochen, dass es falsch ist,
ohne Position zu den Klimaschutzzielen der Europäischen Union dorthin zu fahren. Und in der Tat: Bis Mai
wird der Deutsche Bundestag jetzt entscheiden müssen.
Das heißt, das Drücken vor einer Antwort auf die Frage,
ob die Europäische Union die Emission von Treibhausgasen um 30 Prozent reduzieren soll oder nicht, wird bei
Schwarz-Gelb nicht mehr durchgehen können.
Wir haben uns darüber beschwert, dass die nationalen
Fördermittel für erneuerbare Energien im Wärmebereich, für Energieeffizienz und für neue Technologien
erst heruntergefahren und jetzt teilweise wieder hochgefahren worden sind. Dieses Hü und Hott hat natürlich
zur Folge gehabt, dass niemand investiert hat, weil sich
niemand darauf verlassen konnte, ob die Zuschüsse
kommen. Hier brauchen wir eine verlässlichere Politik.
Unser Hauptkritikpunkt - der vorhin bereits zu einer
Auseinandersetzung zwischen uns geführt hat, Herr
Bundesumweltminister - betrifft die Nichteinhaltung
von Zusagen. Dies ist mir so wichtig, dass ich es - neben
der Zwischenfrage von vorhin an Sie, Herr Dr. Ruck noch einmal erwähnen will: Die Bundesrepublik
Deutschland hat eine Zusage gemacht, 0,7 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe und insbesondere die Armutsbekämpfung dort auszugeben.
({0})
- Unter unserer Regierung; und Sie haben es mit übernommen und bekräftigt.
Wenn wir dann im Jahr 2009 auf einer Konferenz als
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch
„Wir werden zusätzliches, frisches, neues Geld einsetzen zur Bekämpfung des Klimawandels“, dann ist es unmoralisch, das mit dem Geld zu
verrechnen, das man für die Armutsbekämpfung bereits
zugesagt hatte. Das ist unsere Kritik.
({0})
Es ist auch nicht in Ordnung, wenn die Bundeskanzlerin im Jahr 2008 auf einer Konferenz sagt: „Ich gebe für
die Erhaltung der Artenvielfalt, der Biodiversität eine
Zusage von 500 Millionen Euro“, und ein Jahr später auf
einer Konferenz sagt: „Ich werde zusätzliches frisches
Geld geben“, und dann diese 500 Millionen Euro mit der
neuen Zusage verrechnet. Auch das ist unredlich. Das ist
unwahrhaftig. Deswegen werden wir das auch in Zukunft eine Lüge nennen.
({1})
Anders bewerten wir das Verhalten und die Rolle der
Bundesregierung in Durban. Sie haben eine Unterstützung der dänisch-deutschen Initiative durch die SPD erhalten. Wir haben es auch unterstützt, eine harte Linie
gegenüber den Verweigererstaaten wie USA, Kanada
und China zu fahren. Wir haben uns insbesondere gefreut, dass der Vorschlag, den wir als SPD in der Debatte
vor Durban gemacht haben - das Thema „Allianzen bilden“ -, dort in hervorragender und vorbildlicher Weise
aufgenommen wurde. Darin war Gemeinsamkeit enthalten.
Wir unterscheiden uns etwas in der Bewertung. Ja,
Durban ist ein Fortschritt gegenüber Kopenhagen und
auch ein kleiner Fortschritt gegenüber Mexiko. Herr
Bundesumweltminister, es ist aber keineswegs ein großer, wegweisender Durchbruch; es ist kein historischer
Durchbruch, und es ist kein fundamentaler Wechsel in
der Klimaschutzpolitik.
Das alles waren Ihre Worte. Verdammt noch mal, geht
es einmal eine Nummer kleiner? Nicht immer das eigene
Handeln so überhöhen! Nicht alles, was aus dem Bundesumweltministerium kommt, ist ein Jahrtausendwerk.
({2})
Es handelt sich nach wie vor nur um die vage Absicht,
ein Weltklimaabkommen zu beschließen. Es ist eine
fragwürdige Verbindlichkeit. Auch haben wir das Ganze
mit dem hohen Preis erkauft, dass in Zukunft die wissenschaftliche Basis gefiltert wird, die in der Vergangenheit
eins zu eins an die Öffentlichkeit gegangen ist. Deswegen ist es so wichtig, bei dem zu bleiben, was tatsächlich
passiert ist, und nicht bei den Leuten den Eindruck zu erwecken, es sei mehr passiert. Schüler, die auf der Tribüne sitzen, hören jetzt seit zehn Jahren - seit sie in
ihrem Leben vielleicht manchmal Nachrichten hören immer: Das war der Durchbruch bei den internationalen
Klimaverhandlungen.
({3})
Tatsache ist aber, dass wir nicht vorankommen. Man
macht die Leute mürbe, wenn man ihnen zu viel verspricht.
Ich glaube, der erfolgversprechendste Ansatz - das
haben wir in Durban gesehen - ist die Frage der Allianzen; das hatten wir vor wenigen Wochen hier in der Debatte bereits erwähnt. Diese Allianzen müssen wir vorantreiben. Sie müssen allerdings zu dauerhaften und
tiefergehenden Allianzen werden; eine einmalige Allianz auf einer Klimakonferenz reicht nicht aus.
Deswegen machen wir den Vorschlag, den Dialog der
120 Staaten fortzusetzen, ihn allerdings zu ergänzen, und
zwar um eine Klimaschutzallianz der 64 Staaten. Die
bald 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union plus Island, Norwegen, Schweiz und Türkei holen sich 32 Partnerstaaten unter den Entwicklungs- und Schwellenländern Afrikas und Lateinamerikas ins Boot. Das
geschieht mit einer klaren Finanzierung von Fast-StartInitiativen - also Anpassung an den Klimaschutz -, mit
einem Emissionshandel innerhalb dieser Initiative, der
den Finanztransfer regelt, und mit einem tiefgehenden
Wissens- und Technologietransfer. Gleichzeitig verpflichten sich alle auf Begrenzung oder Senkung der
Emissionen. Damit hätten wir ein echtes Vorbild, wie es
funktionieren kann.
Wir müssen uns tatsächlich überlegen, den Grenzausgleich als Druckmittel zu nutzen. Ich glaube, die Formel
„Klimaschutz gleich Innovation gleich wirtschaftlicher
Erfolg“ stimmt; aber sie stimmt nicht immer gleichzeitig
in allen Branchen. Wir erleben, dass insbesondere in
Nordamerika in manchen Branchen versucht wird, mit
Ökodumping Wettbewerb zu machen. Da müssen wir sagen: Wer 2015 nicht Unterzeichner einer international
verpflichtenden Vereinbarung werden will, wird damit
rechnen müssen, dass er dadurch auch im internationalen
Handel wirtschaftliche Nachteile hat.
({4})
Deswegen brauchen wir einen Grenzausgleich, also
Importzölle auf Waren aus solchen Ländern und einen
Grenzausgleich für Exporte in solche Länder, damit wir
2015 nicht noch einmal ein Weiter-so auf einer internationalen Klimaschutzkonferenz akzeptieren müssen,
damit wir uns nicht nur auf den UN-Prozess verlassen
müssen, sondern die mutigen, weitsichtigen Staaten vorangehen und damit neuen Druck in die internationalen
Klimaschutzverhandlungen bringen können. Dann können die nächsten Verhandlungen ein größerer Erfolg
werden, als es die Konferenz in Durban war.
Vielen Dank.
({5})
Der Kollege Andreas Jung hat das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zunächst einmal einen Dank an die Bundesregierung aussprechen: Die Bundesregierung, insbesondere Bundesumweltminister Norbert Röttgen als Leiter
der Verhandlungen in Durban,
({0})
hat deutlich gemacht: Auch wenn es derzeit große Herausforderungen innerhalb der Europäischen Union zu
bewältigen gibt und wir den Kampf um den Euro zu führen haben, hat der Klimaschutz nicht an Bedeutung verloren. Im Gegenteil: Der Klimaschutz bleibt wichtig; er
ist eine entscheidende Frage und hat in der Politik der
Bundesregierung und der Koalition Priorität, weil es hier
um Lebensgrundlagen, aber auch um wirtschaftliche
Fragen geht. Deshalb ist es richtig, dass unterstrichen
wurde: Für uns hat die Klimapolitik einen hohen Stellenwert. Dafür hat man sich vor der Konferenz in Durban
eingesetzt; es wurde in Durban deutlich gemacht. Dafür
ein herzliches Dankeschön.
({1})
Es ist im Rahmen der Debatte gesagt worden: Schönfärberei hilft uns nicht weiter. - Dem stimme ich zu; aber
ich will hier eindeutig sagen: In dieser Debatte und in
Durban ist in keiner Weise Schönfärberei betrieben worden. Die Einschätzungen von Minister Röttgen sowie
der Vertreter der Bundesregierung und der Koalition waren doch realistisch. Einerseits sagt man: Das, was erreicht wurde, ist nicht das, was notwendig gewesen
wäre; es ist nicht die Antwort auf die Herausforderungen, nicht das, was wir erreichen wollen, nämlich dass
alle Partner - die USA, China, die großen Schwellenländer und die Industriestaaten - sagen: Wir stehen in der
Verantwortung, bekennen uns zu den Minderungszielen
und sind bereit, sie schon jetzt umzusetzen. Dafür hat die
Bundesregierung mit der Europäischen Union gekämpft
und geworben, aber es konnte jetzt noch nicht erreicht
werden; das ist wahr. Es war realistisch, vorher zu sagen:
Wir werden es in Durban nicht erreichen. Das ist das
eine.
Andererseits freuen wir uns darüber, dass festgestellt
werden kann: Das, was auf dieser Konferenz erreicht
werden konnte, was möglich war, ist erreicht worden.
Das Scheitern lag vor und während der Konferenz in
Durban buchstäblich in der Luft; aber es konnte abgewendet werden. Es ist erreicht worden, dass wichtige
Schritte vereinbart wurden und man zum ersten Mal gesagt hat: Wir alle - auch die USA und China - kommen
unter einem Dach zusammen und wollen bis 2015 dieses
Abkommen aushandeln. Das ist erst die halbe Miete
- das wissen wir -, aber es ist ein entscheidender Schritt.
Insofern geht von diesem Gipfel in Durban ein wichtiges
Signal aus.
({2})
Es wird immer wieder die Koalition der Willigen angemahnt. Das Neue an dieser Konferenz ist doch, dass es
in der Tat gelungen ist, eine Koalition aus der Europäischen Union und den wenigen engagierten Partnern in
den Industriestaaten sowie denjenigen, die besonders unter dem Klimawandel leiden - die Staaten in Afrika und
die Inselstaaten, bei denen es buchstäblich um die Frage
des Überlebens geht -, zu schmieden. Man hat gemeinsam gesagt: Wir nehmen euch - die Amerikaner, die
Chinesen, diejenigen, die bremsen und nicht mitmachen
wollen - in die Pflicht. Erst das hat den moralischen
Druck erzeugt, der es ermöglicht hat, dass es am Ende
tatsächlich zu diesem Schritt kam.
Manchmal werden diese Gipfel, die Verhandlungen
unter dem Dach der UN, infrage gestellt: Ist das überhaupt das richtige Format? Kommen wir da überhaupt
weiter? Wahr ist: Wir kommen auch hier zu langsam voran. Aber alle anderen Alternativen wären nicht besser.
Gerade diejenigen innerhalb der G 20, die geholfen haben, den Druck zu erzeugen, waren nicht dabei. Es ist
unsere gemeinsame Überzeugung, dass es zu diesem
schwierigen Weg unter dem Dach der UN keine Alternative gibt. Deshalb müssen wir ihn weitergehen.
Schönfärberei hilft nicht weiter - das behauptet hier
auch keiner -, schlechtreden hilft noch weniger weiter,
schlechtreden schadet. Deswegen habe ich mich über
den einen oder anderen Beitrag gewundert. Einerseits
wurde gesagt, ihr wart zu denen, die nicht mitmachen
wollten, zu nett, andererseits wurde gesagt, zu denen, die
Andreas Jung ({3})
nicht mitmachen wollten, wart ihr zu hart. Frau Künast
hat das mit Blick auf China gesagt. Nein, der richtige
Weg ist, dass wir nach Durban den Partnern in allen
Staaten, die mitmachen müssen, sagen: Wir brauchen
euch, wir wollen Verantwortung übernehmen, ohne euch
geht es nicht. Das werden wir zu einem wichtigen Punkt
in der Klimapolitik im Verhältnis zu den anderen Staaten
machen; denn niemand, bei dem der Klimaschutz außen
vor bleibt, kann eine Führungsrolle beanspruchen.
({4})
Ich möchte an dieser Stelle speziell zu Frau Künast
eine Bemerkung machen. Sie hat das Plenum offensichtlich leider schon verlassen.
({5})
So ausdauernd ist also ihr angemahntes Engagement für
den Klimaschutz. Frau Künast hat sich, was ich bemerkenswert fand, gleich zweimal mit einem „Hintern“ auseinandergesetzt. Das zeigt, dass sie offensichtlich eher
nach hinten schaut.
({6})
Wir schauen aber eher nach vorne. Deshalb unterstreichen wir unsere Vorreiterrolle auch in Zukunft.
({7})
Dazu gehört, die Glaubwürdigkeit durch Erreichen unserer Minderungsziele zu erhalten.
Es wird eine Klimapolitik mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten angemahnt. Die machen wir in Deutschland bereits, egal was die anderen Partner machen. Wir
bekennen uns zu den unbedingten Klimazielen. Wir haben unser Minderungsziel auf 40 Prozent aufgestockt.
Das ist mehr - der Vergleich wurde gemacht -, als wir in
der Großen Koalition durchsetzen konnten.
({8})
Die Große Koalition hatte sich auf 40 Prozent verständigt, aber bedingt, dass heißt, nur wenn die anderen mitmachen. Wir setzen uns ein unbedingtes Ziel. Aus meiner Sicht ist es jetzt notwendig, dass wir gerade nach
diesem Gipfel für ein 30-Prozent-Ziel werben, um einen
zusätzlichen Impuls zu geben. Wir Deutschen sind Vorreiter. Wir sind nicht zögerlich - das muss man in dieser
Debatte klar feststellen -, und so werden wir international wahrgenommen.
({9})
Mein letzter Punkt betrifft die Finanzierung des Klimaschutzes. Es ist wahr, dass sich unsere Glaubwürdigkeit daran misst, dass die Zusagen eingehalten werden.
Es war richtig, dass die Bundeskanzlerin in Kopenhagen
diese Zusage gemacht hat. Es ist dort definiert worden,
was „zusätzlich“ heißt, nämlich Mittel für den Klimaschutz über das bisherige Niveau hinaus bereitzustellen.
Diese Zusage wird eingehalten.
({10})
Darauf wird der Bundestag drängen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Einnahmen aus dem Emissionshandel in
vollem Umfang in den Energie- und Klimafonds fließen.
Damit haben wir im Übrigen die Möglichkeit, den Fonds
mit Mitteln auszustatten, die nicht der Steuerzahler zahlt,
sondern die Industrie, die CO2 ausstößt.
({11})
Diesen Weg müssen wir weitergehen.
Es gilt, den Emissionshandel weiterzuentwickeln. Wir
müssen auch den Flug- und den Schiffsverkehr in den
Emissionshandel einbeziehen, damit diejenigen, die CO2
ausstoßen, auch tatsächlich bezahlen. Ich finde, dass wir
mit unserer Klimapolitik den richtigen Weg beschreiten,
auch die Bundesregierung wird diesen Weg weiter beschreiten. Dabei hat sie die volle Unterstützung der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Herzlichen Dank.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8154. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? ({0})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch Bünd-
nis 90/Die Grünen, SPD und Linke. Dagegen haben ge-
stimmt CDU/CSU- und FDP-Fraktion.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 a bis d auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Silvia Schmidt ({1}), Anette Kramme,
Gabriele Hiller-Ohm, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Zwanzig Jahre Rentenüberleitung - Perspek-
tiven für die Schaffung eines einheitlichen
Rentenrechts in Deutschland
- Drucksachen 17/5540, 17/7393 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Iris
Gleicke, Anette Kramme, Silvia Schmidt ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines „RentenüberVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
leitungsabschlussgesetzes“ und zur Einrichtung eines „Härtefallfonds“
- Drucksache 17/6486 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Iris
Gleicke, Anette Kramme, Silvia Schmidt ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Sofortige Ost-West-Angleichung von pauschal
bewerteten Versicherungszeiten beim Erwerb
von Entgeltpunkten für die Rentenversicherung vornehmen
- Drucksache 17/6487 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({5})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Matthias W. Birkwald,
Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Korrektur
der Überleitung von DDR-Alterssicherungen
in bundesdeutsches Recht
- Drucksache 17/7034 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({6})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Verabredet ist es, hierzu eineinhalb Stunden zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Fraktion der SPD die Kollegin Iris Gleicke.
({7})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Renten-Überleitungsgesetz ist eine Erfolgsgeschichte.
({0})
Es hatte für die ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner
eine positive Wirkung, und das wirkt bis heute fort.
Wenn man sich anschaut, dass das Rentenniveau in Ostdeutschland bei immerhin 88 Prozent des Westniveaus
liegt, während die Löhne und Einkommen in Ostdeutschland noch deutlich hinterherhinken - da sind wir
gerade einmal bei knapp 83 Prozent -, dann kann man
diese positive Wirkung feststellen.
({1})
Das Renten-Überleitungsgesetz war eine große solidarische Leistung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in Ost und in West. Auch das muss an diesem heutigen Morgen so gesagt werden.
({2})
Die Unterschiede des Rentensystems Ost zum Rentensystem West werden in Ostdeutschland nach 21 Jahren aber zunehmend als ungerecht empfunden. Dass wir
alle das als Problem ansehen, wird dadurch deutlich,
dass in den Wahlprogrammen aller im Bundestag vertretenen Parteien die Angleichung der Rentensysteme Ost
und West als Aufgabe für diese Legislaturperiode benannt wird. Man könnte meinen, wir seien uns einig.
Jetzt, kurz vor Weihnachten, nach der Hälfte dieser Legislatur, diskutieren wir mal wieder darüber. Aber, eine
schöne Bescherung wird es auch heute nicht geben; denn
diese Bundesregierung ist ganz offenkundig keinen
Schritt weiter. Sie schreibt in ihrem Jahresbericht zum
Stand der deutschen Einheit 2011: Die Vereinheitlichung
ist eine komplexe Aufgabe. Wir prüfen unter verschiedenen Gesichtspunkten, wie die rechtlichen Regelungen
für eine noch festzulegende Methode der Vereinheitlichung der Rentensysteme konkret ausgestaltet werden
können. Ein konsensfähiger Vorschlag muss die unterschiedlichen Interessenlagen aller Beteiligten berücksichtigen.
({3})
Na klasse. Der Befund ist ja nicht falsch. Das sagen auch
wir schon seit Jahren.
({4})
Ich frage Sie nun: Wie lange wollen Sie denn eigentlich
noch prüfen? Sie sind meilenweit davon entfernt, in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in
Ost und West einzuführen, wie es in Ihrem eigenen Koalitionsvertrag steht.
({5})
Nun, wir wissen ja, dass das nicht die einzige Aufgabe
ist, die für diese Bundesregierung zu komplex ist.
({6})
Für mich ist die Überwindung der unterschiedlichen
Rentensysteme eine der zentralen Fragen, die in unserem
Land einer politischen Lösung bedürfen. Die Rufe nach
einer schnellen Angleichung sind sehr verständlich, man
darf es sich aber nicht zu einfach machen; denn - das
wissen wir alle - der Teufel steckt im Detail.
({7})
Eine Haurucklösung würde sehr schnell auf eine reale
Benachteiligung der Ostdeutschen hinauslaufen. Ich
sage heute Morgen hier ganz klar: Wer fordert, den Rentenwert Ost sofort auf das Westniveau anzuheben,
schafft eben auch sofort den Ausgleich für das Lohngefälle zwischen Ost und West, den sogenannten Hochwertungsfaktor, ab, und das wäre eine Rentenkürzung für
die kommenden ostdeutschen Rentnergenerationen. Wir
wollen das nicht.
({8})
Solange im Osten - je nach Branche - zwischen
15 und 30 Prozent weniger verdient wird als im Westen,
muss am rentenrechtlichen Hochwertungsfaktor bei den
Ostgehältern festgehalten werden; denn sonst hieße es
nichts anderes, als dass die heutige Benachteiligung bei
den Einkommen auch in 20, 30 oder 40 Jahren, wenn die
Menschen in Rente gehen, fortwirken würde. Wir brauchen hier eine sachgerechte Lösung. Deshalb orientieren
wir uns bei der Rentenangleichung am Zeitpunkt des
Auslaufens des Solidarpakts II; das ist im Jahr 2019. Bis
zu diesem Zeitpunkt aber müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um gemeinsam mit Arbeitgebern und
Gewerkschaften endlich die Einkommensunterschiede
zwischen Ost und West zu beseitigen.
({9})
Dazu brauchen wir - ich glaube, darüber sind wir uns einig - auch Maßnahmen für eine größere Tarifbindung
der Unternehmen. Dann bedürfte es nämlich nicht mehr
der Aufwertung der Ostlöhne, und es würden keine
neuen Ungerechtigkeiten geschaffen. Keine neuen Ungerechtigkeiten zu schaffen, muss das Ziel sein.
({10})
Das wäre übrigens auch ein ganz wichtiger Beitrag,
um das Problem der drohenden Altersarmut im Osten
einzudämmen. Ich weiß, dass Altersarmut nicht allein
ein ostdeutsches Problem ist; das ist ganz klar. Aber
durch die nach wie vor bestehenden Lohnunterschiede
ist Ostdeutschland nun einmal besonders betroffen. Aber
auch bei diesem Thema finden sich nur ablehnende Formulierungen in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage.
Das ist unerträglich.
({11})
Die Bundesregierung hat sich in der langen Beantwortungszeit nicht einmal die Mühe gemacht, die auch
in Fachkreisen diskutierten Modelle zur Beseitigung der
Altersarmut wie das Hauser-Konzept wenigstens einer
Kosten-Nutzen-Analyse zu unterziehen. Nicht einmal
dazu sind Sie in der Lage! Wir müssen uns heute hinsetzen und das Thema Altersarmut besprechen. Wir haben
gestern über die Rente mit 67 geredet. Auch da ist dieses
Thema aufgekommen. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Aber diese Bundesregierung macht einfach
gar nichts. Wir wollen, dass Menschen, die lange gearbeitet haben - ob in Ost- oder in Westdeutschland -, im
Alter eben nicht in die Grundsicherung fallen, sondern
eine vernünftige Rente bekommen.
({12})
Jenseits der Frage der Angleichung der Rentensysteme und der Bekämpfung von Altersarmut gibt es aber
noch offene Rentenüberleitungsfragen. Dabei geht es um
verschiedene Betroffenengruppen, von Diplomchemikern bis zu Krankenschwestern, von DDR-Geschiedenen - meistens Frauen - bis zu Eisenbahnern und etlichen anderen. Nachdem all diese Fragen zum Teil
höchstrichterlich ausgeurteilt sind, kommen wir zu der
Überzeugung, dass diese Fälle rentenrechtlich nicht
mehr gelöst werden können. Deshalb schlagen wir Ihnen
eine sozialpolitische Lösung vor. Wir fordern ein Rentenüberleitungsabschlussgesetz, dessen Grundlage ein
Härtefallfonds ist. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll
Vorschläge zur Ausgestaltung dieses Härtefallfonds - zu
seiner finanziellen Ausstattung und zum Umfang der
Transferleistungen - formulieren, aber auch die Härten
definieren. Damit kann jenen ostdeutschen Rentnerinnen
und Rentnern geholfen werden, die auf Grundsicherung
im Alter angewiesen sind und bis heute nicht umfassend
von der Rentenüberleitung erfasst werden. Wir sind der
Meinung, dass das eine sachgerechte Lösung wäre.
({13})
Es gibt aber eine Gerechtigkeitslücke, die wir sofort
schließen können. Wir wollen, dass ab sofort pauschal
bewertete Versicherungszeiten beim Rentenanspruch in
Ost und West gleich berücksichtigt sind. Das können
Zeiten der Kindererziehung, Zeiten der Pflege von Angehörigen oder Zeiten des Zivil- und Wehrdienstes sein.
Es ist durch nichts zu rechtfertigen, dass die Mutter eines
heute in Erfurt geborenen Babys eine geringere Anerkennung ihrer Kindererziehungszeiten erfährt als die
Mutter eines heute in Köln geborenen Babys, wenn die
beiden Frauen in 30 Jahren in Rente gehen.
({14})
Es ist ebenso wenig zu rechtfertigen, dass die Pflege eines Angehörigen im Osten weniger wert sein soll als die
Pflege eines Angehörigen im Westen.
Meine Damen und Herren, es geht um die Anerkennung von Lebensleistungen der Ostdeutschen, bei denen
es zwei Jahrzehnte nach der deutschen Einheit keinen
Unterschied mehr geben darf. Unsere Vorschläge liegen
auf dem Tisch.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Für die Bundesregierung ergreift der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei der SPD für die positive
Einschätzung der Wirkungen des Renten-Überleitungsgesetzes bedanken. In aller Höflichkeit darf ich als Regierungsmitglied aber darauf hinweisen, dass in zehn der
letzten zwölf Jahre die SPD den Arbeits-, den Sozialund damit den Rentenminister - das waren vier Minister,
wenn ich mich richtig erinnere - gestellt hat
({0})
und dass wir jetzt zwei Jahre in der Regierung sind. Sie
hätten also zehn Jahre Zeit gehabt, die entsprechenden
Weichenstellungen vorzunehmen. Das ist aber nicht geschehen.
Sie sind um den heißen Brei herumgeschlichen wie
eine Katze, die sich nicht herantraut. Daraus ergibt sich,
dass die Materie offensichtlich schwieriger ist, als es oft
dargestellt wird. Sie haben es heute recht differenziert
dargestellt. Aber zu glauben, dass durch einen Arbeitskreis alles gelöst werden kann, klingt doch nach dem
Motto: Und weil ich nicht mehr weiterweiß, gründe ich
einen Bundes-Arbeitskreis. - Nützlicher wäre es, wenn
Sie auch Ihre Ministerpräsidenten an den Tisch bekommen würden, um zu einer vernünftigen, gemeinsamen
Lösung zu kommen.
({1})
Es war in den 90er-Jahren die christlich-liberale Koalition, die die fundamentale Weichenstellung vorgenommen hat,
({2})
und es ist eine christlich-liberale Koalition, die in der jetzigen Zeit diese rentenpolitische Entwicklung mit Augenmaß und Vernunft begleitet.
({3})
Was damals auf den Weg gebracht wurde, war - Sie
haben es freundlicherweise ja auch angedeutet - ein genialer Weg.
({4})
Sicher sind heute Zuschauerinnen und Zuschauer am
Fernseher, die selber die ganze Situation erlebt haben.
({5})
Ich weiß von vielen, wie sie es empfunden haben. Damals wurde es als eine Steigerung der Lebensqualität
über Nacht empfunden. Ich war dabei, als Helmut Kohl
zur CDU/CSU-Bundestagsfraktion kam und diesen Vorschlag gemacht hat. Damals gab es auch einige Kritiker.
Diesen Kritikern hat der Kanzler frank und frei gesagt:
Die älteren Menschen in der DDR haben so lange in Unfreiheit gelebt. Die Zeit, die sie noch leben, sollen sie etwas besser leben können.
({6})
Dahinter hat sich die christlich-liberale Koalition der damaligen Zeit gestellt, und das hat sich als richtig erwiesen.
Damals waren bei weitem nicht alle an Bord, die
heute so positiv über diesen Weg reden. Ich erinnere
mich an einen gewissen Lafontaine, der damals im Vorfeld in unerträglicher Weise gegen all dies angekämpft
hat. Damals war er noch in führender Position bei der
SPD. Sie von der Linken werden ja gleich nach mir reden. Ihr „Vorzeigeexemplar“ ist wahrscheinlich aus diesen Gründen - weil man ihm das sonst vielleicht einmal
gesagt hätte - heute nicht hier erschienen.
({7})
Wenn ich mich richtig erinnere, dann sind die Linken
die Nachfolgepartei der PDS, deren Vorgänger die SED
gewesen ist. Heute kann man nur noch einmal sagen
- und auch das muss in die Annalen der Rentenpolitik
eingefügt werden -: Wenn in der DDR die Rentnerinnen
und Rentner besser behandelt worden wären, dann hätten wir viele der Probleme, die wir heute haben, nicht.
({8})
Man hört es mir vielleicht nicht an, aber meine Mutter
ist eine Sächsin.
({9})
Ich habe in der Verwandtschaft mitbekommen, wie bescheiden die Rentnerinnen und Rentner in der DDR leben mussten. Wenn sie nicht einem bestimmten Sonderversorgungssystem angehört haben, haben sie in äußerst
bescheidenen Verhältnissen gelebt. Wenn jemand mehr
bekommen hat, wusste man, aus welchen Gründen das
so war. Es ist auch bekannt, dass viele Rentnerinnen und
Rentner in der DDR nach Renteneintritt noch gearbeitet
haben.
Sie sollten sich mit Ihren Forderungen etwas zurückhalten. Wenn ich höre, was alles geschehen soll, wenn
ich höre, dass die Umsetzung Ihrer Forderungen 6 Milliarden Euro kosten würde, dann muss ich sagen, dass
dies nicht im Interesse der Staatsfinanzen, nicht im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung wäre und nicht
zu einer weiteren Senkung der Arbeitslosigkeit führen
würde.
({10})
Es wäre auch nicht im Interesse der Rentnerinnen und
Rentner und der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler
in diesem Land.
({11})
Wir haben 25 Millionen Renten, über 20 Millionen
Rentnerinnen und Rentner und 29 Millionen Sozialversicherungspflichtige. Daher bedarf es einer sehr sorgfältigen Abwägung jedes einzelnen Schrittes. Dies ist nicht
einfach. Es geht nicht nur um das Gefälle zwischen den
Renten in Ost und West, sondern auch um das Gefälle
zwischen Nord und Süd. Es geht um den Unterschied
zwischen Ballungsraum und ländlichem Raum. All das
spielt eine Rolle. Wenn man sich auf den Weg macht,
diese Probleme zu lösen, sollen keine neuen Ungerechtigkeiten entstehen. Deswegen ist die Aufgabe nicht so
leicht zu bewältigen, wie manche in der Opposition behaupten.
({12})
Der gegenwärtige Stand der Bearbeitung der Bundesregierung fußt auf verschiedenen Prüfungen, zum Beispiel auf der Prüfung der Fragen, welche Auswirkungen
der demografische Wandel auf den Arbeitsmarkt hat und
wie sich das Lohngefüge entwickeln wird. All das muss
bei einer Lösung berücksichtigt werden und darf nicht
vernachlässigt werden.
({13})
Ich bezweifle, dass Sie in diesem Bereich viel bessere
Informationen haben als die Bundesregierung. Wir alle
sind noch dabei, uns zu sortieren; dies dauert eine gewisse Zeit.
Unser Ziel ist es, eine Lösung zu finden, die den unterschiedlichen Erwartungen und Interessen in Ost und
West bei Jung und Alt gleichermaßen gerecht wird. Ich
appelliere daher an die Bereitschaft, in nächster Zeit
noch stärker einen Konsens zu suchen, der den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung trägt.
({14})
- Ich lasse heute keine Zwischenfrage zu; denn die meisten, die Zwischenfragen stellen - das ist meine Erfahrung als langjähriger Abgeordneter -, sind dann freitags
um 14 Uhr nicht mehr im Plenum, wenn die Kollegen
hier noch sitzen müssen.
({15})
Ich bitte daher um Verständnis, dass ich heute keine
Zwischenfragen zulasse.
Ich möchte nochmals an Sie appellieren, dass wir versuchen, mit allen Ministerpräsidenten eine Lösung zu
finden. Wenn wir das erreichen, brauchen wir höchstwahrscheinlich keinen Arbeitskreis.
({16})
Anfang der 90er-Jahre und zu Beginn des neuen Jahrhunderts hat das Vertrauen in die Rente sehr gelitten. Wir
haben in den letzten Jahren erreicht, dass das Vertrauen
wieder aufgebaut wurde. Wir müssen alles tun, dass dieses Vertrauen erhalten bleibt und nicht wieder Probleme
aufkommen. Das haben die Rentnerinnen und Rentner
nicht verdient, das haben die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer nicht verdient. Deswegen ist unser Ziel,
diese Frage im Konsens zu lösen.
Die Perspektiven hinsichtlich der Rente sind sehr gut.
Die aktuelle Rücklage ermöglicht eine Beitragssenkung.
In den nächsten Jahren wird es eine Rentenerhöhung geben, die im Osten höher ausfallen wird als im Westen.
Wir sind also in einer guten Situation. Der Arbeitsmarkt
ist in guter Verfassung und bietet die Chance, dass auch
in Ostdeutschland die Löhne steigen.
Vor diesem Hintergrund gibt es keinen juristischen
oder sachlichen Zwang, der uns vom bisherigen Weg abbringen müsste. Wichtig ist, dass wir diesen Weg im Interesse der Erledigung dieser Sache gemeinsam und konsequent beschreiten. Das ist mein Appell am heutigen
Tag und wohl auch der Sinn der Debatte.
({17})
Dann für den Freitagnachmittag eine Kurzintervention. - Bitte schön.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Fuchtel, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede über die Katze
gesprochen, die um den heißen Brei schleicht. Ich
glaube, wir haben in Ihrer Rede ein bildhaftes Beispiel
erlebt,
({0})
wie eine Katze bzw. - genauer gesagt - ein Kater um den
heißen Brei schleichen kann.
({1})
Ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen. In Ihrem
Koalitionsvertrag steht ganz klar, dass Sie in dieser Legislaturperiode eine Lösung dieses Problems finden wollen. Das nehmen wir positiv zur Kenntnis, weil wir das
genauso sehen. Wir wissen auch - das hat Frau Gleicke
geschildert -, wie schwierig der Weg war und dass wir in
den ersten Jahren große Fortschritte erreicht haben.
Aber: Wenn Sie sagen, dass es in Deutschland unterschiedliche Lohnniveaus gibt, dass das so ist und auch so
bleiben wird und dass man die Situation in Ost und West
deswegen nicht schablonenhaft darstellen kann - es gibt
nämlich auch im Osten starke Lohndifferenzierungen -,
({2})
dann müssen Sie den Betroffenen und uns hier und heute
erklären, ob es noch zu rechtfertigen ist, dass der Rentenwert eines Entgeltpunktes im alten Bundesgebiet einheitlich ungefähr 27 Euro beträgt ({3})
- ja, Herr Rehberg, die will ich nicht vergessen; ich habe
ja gesagt: ungefähr 27 Euro - und dass es im Osten, bei
allen Unterschieden bei Tarifen und Löhnen, einen abgewerteten Rentenwert eines Entgeltpunktes gibt.
({4})
Durch die Rentenpolitik, die Sie betreiben, würden
diese Unterschiede verewigt werden, weil im Osten wegen der dortigen Strukturschwäche auf lange Zeit im
Durchschnitt geringere Löhne als im Durchschnitt des
Bundesgebietes gezahlt werden.
({5})
Ich möchte Sie fragen - darauf hätte ich gerne eine Antwort von Ihnen -, wie Sie die Unterschiede beim Rentenwert eines Entgeltpunktes noch rechtfertigen können.
({6})
Zur Erwiderung, Herr Staatssekretär.
Fast wäre ich geneigt, Wilhelm Busch zu zitieren, der
einmal gesagt hat:
Wer durch des Argwohns Brille schaut,
sieht Raupen selbst im Sauerkraut.
({0})
Meine Damen und Herren, die Koalition hat den Mut
gehabt, die Zusammenführung der Rentensysteme in den
Koalitionsvertrag hineinzuschreiben. Dieser Mut hat
vorhergehenden Koalitionen gefehlt.
({1})
Darauf können wir aufbauen. Natürlich ist es unser Ziel,
in dieser Frage eine Lösung zu finden, sobald wir einen
Konsens erzielt haben. Diesen Konsens kann aber nicht
allein die Koalition herstellen, sondern er muss darüber
hinausreichen. Ich kann den Ball nur an Sie zurückspielen: Wenn Sie all das, was Sie gerade angesprochen haben, wollen, dann arbeiten Sie mit uns zusammen an diesem Konsens.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Koalitionsvertrag dieser Bundesregierung sieht in
Punkt 8 eindeutig vor, „in dieser Legislaturperiode ein
einheitliches Rentensystem in Ost und West“ einzuführen.
({0})
Bis heute liegt nichts vor.
({1})
Werter Herr Staatssekretär Fuchtel, so werden Sie keine
Ministerpräsidenten an den Tisch bekommen, die mit Ihnen beraten.
Wenn man den Medien glauben kann, soll heute noch
etwas verkündet werden. Aber ich bin doch sehr überrascht, Herr Fuchtel, dass Sie darauf abgestellt haben,
dass Sie bisher nur zwei Jahre Zeit hatten. Sie tun ja so,
als ob Sie neu in der Politik sind.
({2})
Sie haben das Renten-Überleitungsgesetz mit auf den
Weg gebracht. In der letzten Legislaturperiode haben Sie
vier Jahre Zeit gehabt, sich damit zu beschäftigen. Also
ganz so neu, wie Sie jetzt tun, starten Sie ja nicht.
({3})
Wenn man den Medienberichten glauben kann, dann
wird Herr Staatssekretär Bergner heute noch etwas verkünden - wahrscheinlich in der nächsten Debatte als
Ostbeauftragter der Bundesregierung.
({4})
Wenn das, was bisher schon durchgesickert ist, wahr ist,
dass nämlich in Sachen Rentenüberleitung nichts vorgelegt wird, sondern nur irgendeine unlogische Lösung für
die Rentenangleichung gefunden wurde,
({5})
dann ist das eine Unverfrorenheit und eine Ignoranz der
Probleme, die mich fast sprachlos macht.
({6})
Wenn ich die Betroffenen sehe, die älter und älter werden, kann ich nur wütend werden, verehrter Herr Kollege Rehberg.
({7})
Dass nichts zur Korrektur der Rentenüberleitung Ost getan werden soll, empfinden wir als einen Skandal.
({8})
Die Kanzlerin hat von einer Liste geredet, auf der all
die Probleme stehen, die zu lösen sind. Damit sind bei
den Betroffenen natürlich Hoffnungen geschürt worden.
({9})
- Sie vor allen Dingen auch, Frau Michalk. - Einige
Unionsabgeordnete und die FDP-Abgeordneten haben
einen Handlungsbedarf konstatiert.
({10})
Die heutige Absage ist in diesem Sinne schäbig und eine
tolle Bescherung; das ist ja die letzte Debatte zu diesem
Thema vor dem Weihnachtsfest.
Lassen Sie mich kurz begründen, weshalb ich die Idee
zur Angleichung der Rentenwerte, die herumgeistert, für
völlig unlogisch halte:
Zwischen einer Höherbewertung und einer Angleichung besteht unseres Erachtens überhaupt kein direkter
Zusammenhang.
({11})
Die Höherbewertung ist ein Mittel, um die niedrigen
Osteinkommen wenigstens für die Rentenberechnung
anzugleichen und im Prinzip eine gleiche Tätigkeit mit
gleichem Lohn zu bewerten.
({12})
Erst wenn die Rente berechnet wird, kommt der Rentenwert ins Spiel. Das ist unter Umständen erst zehn, zwanzig Jahre später der Fall.
({13})
Nun frage ich mich: Wieso soll es gerecht sein,
gleichbewertete Arbeit - die niedrigen Osteinkommen
werden für die Entgeltpunkte theoretisch höher bewertet unterschiedlich zu bewerten, wenn die Rente berechnet
wird, indem der Rentenwert eines Entgeltpunktes im Osten nur 24,37 Euro und im Westen 27,47 Euro beträgt?
Wo, bitte schön, ist hier die Logik?
({14})
Aber man kann ja hoffen, dass die Zeit dieser Regierung
nicht mehr lange währt und sich neue Chancen eröffnen.
Es ist gut, dass durch die Große Anfrage der SPD
heute, nach knapp 20 Jahren Renten-Überleitungsgesetz,
eine Bestandsaufnahme vorliegt.
({15})
Sie haben zwei Anträge und die Fraktion Die Linke hat
einen Antrag vorgelegt, in denen eine gewisse Positionsbestimmung vorgenommen und gesagt wird, wer was
wie lösen will.
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
haben in Ihrem ersten Antrag von einem Rentenüberleitungsabschlussgesetz und einem Härtefallfonds gesprochen. Damit soll erreicht werden, dass die Menschen, die
durch die Rentenüberleitung dazu genötigt wären, zum
Grundsicherungsamt zu gehen, das nicht tun müssen.
Das ist eine noble Geste.
Liebe Kollegin Gleicke, zu all den weiteren Problemen, die es noch gibt und die Sie vorhin erwähnt haben,
findet sich dort aber nichts. Wo bleibt zum Beispiel die
Gerechtigkeit für die Beschäftigten des Gesundheitsund Sozialwesens, für die in der DDR Geschiedenen, für
die Ballettmitglieder, für die in der Braunkohleveredelung Tätigen, für diejenigen, die Familienangehörige
pflegen, für Handwerker und ihre mithelfenden Familienangehörigen, für diejenigen, die einen zweiten Bildungsweg einschlugen, und für ins Ausland mitgereiste
Ehegatten? Wo bleibt die Anerkennung freiwilliger Beiträge? Dazu steht nichts in Ihrem Antrag.
Gucken Sie sich bitte einmal Ihre Begründung an. Sie
stellen nur auf den Ersatz der Grundsicherung und den
Härtefallfonds ab. Ich finde, das ist missdeutbar. Wenn
es so ist, wie Sie heute gesagt haben, dann würde ich
mich freuen, wenn Sie einer Arbeitsgruppe einen solch
umfassenden Auftrag geben würden. Aber der müsste
erst einmal formuliert werden.
({16})
Ich denke, wir können all die Probleme, die zum Beispiel auch die wissenschaftliche, die medizinische, die
pädagogische, die künstlerische und die technische Intelligenz hat, nicht auf Ewigkeit ungelöst lassen. Sie haben
das Nachsehen gegenüber Ihren Berufskolleginnen und kollegen West, wenn sie nur etwa die Hälfte an Alterseinkünften erhalten.
Genauso problematisch ist es bei den Eisenbahnern
und den Postlern. Hier ist die historisch begründete VerDr. Martina Bunge
sorgung verlustig gegangen. Wir müssen uns diese Komplexe insgesamt ansehen; denn es gibt auch neue Probleme, sogenannte Mix-Biografien: 20 Jahre in der
DDR, 20 Jahre in Gesamtdeutschland. Damit stehen
neuartige Probleme der Nichtanerkennung ins Haus. Ich
finde, es ist legitim, dass sich die Betroffenen nicht damit abfinden, dass ihr gelebtes Leben nicht anerkannt
wird. Wir von den Linken finden, Biografien müssen akzeptiert werden. Deshalb brauchen wir eine umfassende
Korrektur der Rentenüberleitung Ost. Das ist in unserem
Antrag als Arbeitsauftrag an eine Arbeitsgruppe formuliert.
({17})
Ich würde mich freuen, wenn viele, die so denken wie
wir, daran mitwirken könnten. Das wird garantiert nicht
in dieser Legislaturperiode sein. Aber angesichts der Ereignisse der letzten Tage mit ihren Offenbarungen können wir auf das Jahr 2012 gespannt sein. Vielleicht dauert das alles nicht mehr so lange, und es gibt neue
Chancen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute.
({18})
Der Kollege Dr. Heinrich Kolb hat jetzt für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Bunge, mit Blick auf das Jahr 2011 bietet
es sich an, Erich Kästner zu zitieren.
({0})
Er hat gesagt:
„Wird’s besser? Wird’s schlimmer?“ fragt man alljährlich.
Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich.
({1})
Deswegen möchte ich Ihnen zu Optimismus raten. Richten Sie den Blick nach vorne. Ich kann Ihnen, insbesondere was die Zukunft der schwarz-gelben Bundesregierung anbelangt, sagen: Machen Sie sich da keine
falschen Hoffnungen! Wir arbeiten gut zusammen und
werden das bis zum Ende der Legislaturperiode in 2013
weiter tun.
({2})
Interessierte Beobachter wissen, dass die FDP die Angleichung des Rentenrechts in Ost und West seit Jahren
für überfällig hält. Ich sage hier ganz deutlich: Ich kann
nur schwer nachvollziehen, dass sich manche so schwertun, diese offene Frage der deutschen Teilung jetzt zu beantworten. Eine fundierte und sachliche Begründung,
wen das interessiert, hat der Sachverständigenrat schon
in seinem Gutachten 2008/2009, Frau Kollegin Gleicke,
geliefert.
Darin wurde darauf hingewiesen, dass sich die Angleichung der Löhne zunehmend verlangsamt und dass
es eine zunehmende Heterogenität der regionalen Entlohnungsstrukturen in beiden Gebietsständen Ost und
West gleichermaßen gibt und dass die verteilungspolitischen Effekte, die daraus resultieren, nur schwer zu vermitteln sind. Der Vorschlag, den der Sachverständigenrat
damals gemacht hat, ist mit dem FDP-Antrag identisch,
den unsere Fraktion wenige Monate zuvor in den Deutschen Bundestag eingebracht hatte.
Ich glaube, dass weiterhin Druck besteht und dass der
Druck mit Blick auf das Gutachten des Bundesrechnungshofes vom April 2010 ständig größer wird. Darin
heißt es: Es besteht die Gefahr, dass die Gruppe der Beschäftigten, die in den neuen Bundesländern auf Westniveau bezahlt wird, so groß ist, dass die unterschiedlichen
Regelungen im Rentenrecht mit dem ursprünglichen
Zweck, dass Durchschnittsverdiener Ost und Durchschnittsverdiener West einen ähnlich oder gleich hohen
Rentenertrag erhalten sollen, nicht mehr vereinbar sind.
Aber - das will ich hier sehr deutlich sagen - die Angleichung, die wir wollen, als stichtagsbezogene, besitzstandswahrende Umstellung, darf - das muss ich an die
Adresse der Kollegen der Linken sagen - keine Rosinenpickerei sein, Frau Kollegin Bunge.
({3})
Sie haben gesagt: Eine Höherbewertung wollen wir
nicht, sondern nur der Rentenwert soll angepasst werden. - Das wird so nicht funktionieren.
({4})
- Nein, das wird es nicht. Das wäre weder gerecht noch
würde es funktionieren. Sie wissen auch, dass die daraus
folgende Belastung der Rentenkasse, die man auch nicht
übersehen darf, mit 6 Milliarden Euro pro Jahr eine Dimension hat, die den vorhandenen Rahmen deutlich
sprengt.
Nein, es ist so: Es gibt diese Unzufriedenheit in unserem Land. Die Rentner in den neuen Bundesländern verstehen nicht, warum der Rentenwert Ost niedriger ist.
Die Versicherten in den alten Bundesländern verstehen
dagegen nicht das Prinzip der Lohnhochwertung 20 Jahre
nach der deutschen Wiedervereinigung. Deswegen gibt
es Notwendigkeiten anzupassen und Unterschiede in der
Entlohnung zu beseitigen. Hoch- und Niedriglohngebiete gibt es, wie gesagt, sowohl im Osten als auch im
Westen. Wir stehen zu unseren Initiativen aus der letzten
Legislaturperiode, und wir stehen auch zu den Aussagen
des Koalitionsvertrages.
Das will ich aber an die Adresse der Linken richten,
weil sie sich ständig als Rächer und Retter der Entrechteten und Enterbten aufspielen: Ohne die deutsche Einheit
und die Anpassung des Rentenrechts hätte kein Rentner
in den neuen Bundesländern auch nur annähernd den Lebensstandard erreichen können, den er heute hat. Auch
das muss man bei aller Kritik deutlich feststellen.
({5})
Ich weise es auch genauso entschieden zurück, dass
Sie immer wieder unsere Rentenüberleitung als Rentenstrafrecht brandmarken. Nein, es ist angemessen und
richtig, dass Privilegien für SED- und Stasiangehörige
beschränkt werden, weil es zu unerträglichen Ergebnissen geführt hätte, wenn wir auf entsprechende Maßnahmen in der Gesetzgebung verzichtet hätten.
({6})
Ich will jetzt nicht die Redezeit überziehen. Es hat auch
niemand eine Zwischenfrage gestellt, was schade ist.
({7})
Deswegen will ich die verbleibenden 15 Sekunden nutzen, Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einem
arbeitsmarkt- und sozialpolitisch anstrengenden und arbeitsreichen Jahr eine ruhige Zeit und gute Erholung
zwischen den Jahren zu wünschen.
({8})
- Nutzen Sie die Zeit. Wir werden sie auch nutzen, Frau
Kollegin Lötzsch. Machen Sie sich darüber keine Gedanken. - Dann werden wir uns hoffentlich bei bester
Gesundheit im Jahr 2012 erneut an die Arbeit machen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang StrengmannKuhn für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es wird jetzt, mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung, Zeit, endlich einen rentenpolitischen Schlussstrich
zu ziehen. Deswegen habe ich durchaus große Sympathie für die Vorschläge der SPD,
({0})
ein Rentenüberleitungsabschlussgesetz - das könnte
man vielleicht noch ein bisschen knackiger fassen - zu
verabschieden.
({1})
Auch der Härtefallfonds ist keine schlechte Idee.
Wir Grünen sind bekanntlich nicht der Meinung, dass
es umfassende Änderungen beim Rentenüberleitungsgesetz geben sollte. Aber es gibt einige wenige Gruppen,
bei denen immer noch Handlungsbedarf besteht. Darüber hinaus sollte nach Wegen gesucht werden, um in
Einzelfällen gezielt helfen zu können. Dabei könnte ein
solcher Härtefallfonds tatsächlich sinnvoll sein.
Ein bisschen skeptisch bin ich allerdings, was die Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe angeht. Das
erinnert mich ein bisschen an das Motto „Wenn ich nicht
mehr weiterweiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis“.
Herr Fuchtel ist nicht der Einzige, der gleich diese Assoziation hatte. So etwas verzögert möglicherweise eine
abschließende Lösung. Aber das ist nur ein Detail für die
Umsetzung. Im Grundsatz ist die Idee der SPD durchaus
gut.
Aus den Gruppen, bei denen wir Handlungsbedarf sehen, möchte ich zwei herausgreifen. Bei beiden verweigert die Bundesregierung bisher eine Lösung. Die eine
Gruppe sind Geschiedene, die vor 1992 geschieden worden sind. Bei dieser Gruppe gibt es eine Ungerechtigkeit
gegenüber der Situation im Westen. Zu dieser Gruppe,
die sehr geringe Rentenansprüche hat, gehören insbesondere Frauen. Hier muss unbedingt geholfen werden.
({2})
Wir haben dazu einen konkreten Vorschlag vorgelegt
- es muss aber nicht unbedingt dieser sein -, den wir
über Steuern finanzieren wollen, weil es rentenrechtlich
nicht mehr möglich ist, fiktiv einen Versorgungsausgleich durchzuführen. Machen Sie gegebenenfalls bitte
einen anderen Vorschlag.
Die zweite wichtige Gruppe sind die Flüchtlinge aus
der DDR, die auch, zumindest zu einem großen Teil,
durch die Wiedervereinigung benachteiligt sind. Das
halte ich für einen Skandal. Es gab eine lange und breite
Debatte darüber, dass man dieser Gruppe unbedingt helfen sollte. Auch dazu gab es einen gemeinsamen Vorschlag von SPD und Grünen, der bei der Bundesregierung nicht auf Wohlgefallen gestoßen ist. Auch an dieser
Stelle möchte ich sagen: Machen Sie bitte einen eigenen
Vorschlag.
({3})
Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Herr Kollege Vaatz
würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. - Bitte
schön, Herr Vaatz.
Herr Dr. Strengmann-Kuhn, ich habe eine Frage, und
zwar: Würden Sie es auch für notwendig erachten, einen
gleichen rentenmäßigen Ausgleich an Frauen in der
Bundesrepublik Deutschland zu zahlen, die vor 1974 geschieden worden sind?
Man müsste genauer schauen, an welchen Stellen die
Ungleichbehandlung erfolgt.
({0})
Das müsste man im Einzelnen nachprüfen.
({1})
Ich habe Sie aufgefordert, einen Vorschlag vorzulegen.
Sie regieren im Moment. Der Bundesrat hat gefordert,
dass für diese Gruppe ein Vorschlag vorgelegt werden
soll.
({2})
Dem haben Sie sich bisher verweigert. Sie sagen, dann
müsste man auch für die Leute, die vor 1974 geschieden
worden sind, eine Regelung treffen. Wenn Sie dieser
Meinung sind, dann machen Sie es, wenn nicht, dann
treffen Sie wenigstens eine Regelung für die zwischen
1974 und 1992 Geschiedenen. Wir haben einen Vorschlag vorgelegt. Den können Sie gerne ablehnen, aber
dann machen Sie einen eigenen Vorschlag. Helfen Sie
dieser Gruppe, solange sie noch lebt.
({3})
Das Gleiche gilt für die Flüchtlinge. Auch dazu sage ich:
Sie müssen unsere Vorschläge nicht eins zu eins übernehmen. Wichtig ist, dass diesen Menschen endlich geholfen wird. Tun Sie bitte irgendetwas, um den Flüchtlingen und Geschiedenen zu helfen.
({4})
Ein weiterer Bereich, in dem die Regierung bisher
nichts tut, obwohl es im Koalitionsvertrag steht, ist die
Schaffung eines einheitlichen Rentenwerts in Ost und
West. Das war in der Tat ein ziemliches Rumgeeiere gerade eben. Allerdings muss ich sagen: Bei der SPD ist
das nicht viel anders. Auch von der SPD gibt es keinen
konkreten Vorschlag, wie ein einheitliches Rentenrecht
in Ost und West hergestellt werden kann. Es gibt einen
Vorschlag der Linken, einen der FDP und einen von uns.
Bei den beiden großen Parteien heißt es immer nur: Es
ist kompliziert, und es muss alles abgewogen werden. Unsere Position ist klar. Wir wollen möglichst schnell
die Ungleichbehandlung abschaffen. Wir wollen gleiches Recht für alle in Ost und West.
({5})
Das heißt vor allen Dingen, den Rentenwert Ost auf das
Niveau des Rentenwerts West anzuheben, und zwar
nicht schrittweise bis 2016, wie es die Linke will, oder
bis 2019, wie es die SPD wohl beabsichtigt, sondern in
einem Schritt und möglichst schnell.
({6})
Gleiches Rentenrecht für alle heißt aber auch, dass es
in Zukunft keine Aufwertung der Ostentgeltpunkte mehr
gibt. Wer im Osten 3 000 Euro verdient, erwirbt dann
denselben Rentenanspruch wie jemand, der im Westen
3 000 Euro verdient. Das halten wir für gerecht.
({7})
Der Einwand, dass die Löhne im Durchschnitt im Osten
geringer sind, zieht meines Erachtens nicht mehr. Wenn
man sich die Zahlen des Tarifarchivs des WSI anschaut
- es ist gewerkschaftsnah, wie man weiß -, dann stellt
man fest, dass das Tarifniveau im Osten mittlerweile bei
96,6 Prozent des Tarifniveaus im Westen liegt. In vielen
Tarifverträgen ist mittlerweile eine gleiche Bezahlung in
Ost und West vereinbart. Das ist also in großen Teilen
gar nicht mehr das Problem. Wenn man sich die Ursachen genauer anschaut, warum der Durchschnitt geringer ist - dabei hilft die Tabelle, die in der Antwort auf
die Große Anfrage enthalten ist -, dann sieht man, dass
das unter anderem daran liegt, dass es im Westen mehr
Reiche gibt, was das Niveau im Westen erhöht. Das ist
kein Grund für Handlungsbedarf. Auf der anderen Seite
gibt es einen größeren Niedriglohnbereich in Ostdeutschland. Das ist richtig. Aber einen Niedriglohnbereich gibt
es auch im Westen. Wer dort 1 000 Euro verdient, sollte
denselben Rentenanspruch erwerben. Ich weiß nicht,
warum jemand, der in Frankfurt am Main 1 000 Euro
verdient, einen geringeren Rentenanspruch erwerben
soll als jemand, der in Ostdeutschland lebt.
({8})
Was man tun muss, ist, an die Ursachen heranzugehen. Wir brauchen endlich einen flächendeckenden einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn in Ost und West.
({9})
Wir brauchen darüber hinaus mehr branchenspezifische
Mindestlöhne. Ein Grund für die geringeren Löhne im
Osten ist, dass sich die Arbeitgeber vom Acker machen.
Die Tarifflucht muss beendet werden,
({10})
zum Beispiel dadurch, dass man es erleichtert, Tarifabschlüsse für allgemeinverbindlich zu erklären, und durch
andere Maßnahmen. Es ist ein Fehler, dass es immer
noch Tarifverträge gibt, in denen Ost und West unterschiedlich behandelt werden.
({11})
Auch da wäre ein Aufruf der Politik an die Gewerkschaften und die Arbeitgeber notwendig. Man sollte auf
gleiche Abschlüsse in Ost und West dringen, trotz der
Tarifautonomie.
Eine wichtige Frage ist: Was ist mit den Rentnerinnen
und Rentnern, die jetzt Rente beziehen? Wir sind der
Meinung, dass es weder eine Abschaffung der Aufwertung für die Vergangenheit geben sollte noch einen Aufschlag, wie ihn die Linke fordert. Ein solcher Aufschlag
würde nämlich neue Ungerechtigkeiten verursachen,
und das Ganze würde 6 Milliarden Euro kosten - 6 Milliarden Euro, die unseres Erachtens besser und sozialer
verwendet werden könnten, zum Beispiel für eine Garantierente, die gezielt im unteren Einkommensbereich
stützt. Das ist etwas anderes als das, was die Linken fordern, die auch den Besserverdienenden zusätzlich etwas
geben wollen. Wir wollen gezielt im unteren Einkommensbereich für bessere Renten in Ost und West sorgen.
({12})
Damit bin ich bei dem zentralen Problem im Osten,
nämlich der drohenden Altersarmutswelle. Hier zeigt die
Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der
SPD und auch auf unsere im Sommer gestellte Anfrage
zur Altersarmut, dass Altersarmut im Osten zwar noch
geringer ist als im Westen, die Betonung liegt aber auf
„noch“. Die Entwicklung sieht so aus, dass sich der Anstieg der Altersarmut im Osten jetzt schon beschleunigt.
Bald ist der Zeitpunkt erreicht - vielleicht ist er jetzt
schon gekommen; die Zahlen sind ja von 2009/2010 -,
dass die Altersarmut im Osten größer als die im Westen
ist. Die Zahl der von Altersarmut Betroffenen im Osten
wird massiv ansteigen, weil immer mehr Menschen in
Rente gehen, die lange Arbeitslosigkeitskarrieren hinter
sich haben.
Ich möchte noch etwas zur Zuschussrente sagen, weil
das ganz wichtig ist und dabei auch ostdeutsche Aspekte
eine Rolle spielen. Der Grundgedanke der Zuschussrente
ist gar nicht so schlecht - es gibt durchaus Ähnlichkeiten
mit der grünen Garantierente -: Ein Mindestniveau für
alle, die lange eingezahlt haben, zu schaffen, ist sicherlich richtig, und die Integration in die gesetzliche Rentenversicherung ist ebenfalls richtig. Da darf man durchaus sagen: Der Grundgedanke ist richtig.
Es gibt in einem weiteren Punkt eine Übereinstimmung mit der Bundesregierung; ich meine die Rente
nach Mindesteinkommen. Dazu hat sich die Regierung
kritisch geäußert. Das sehen wir genauso. Die Rente
nach Mindesteinkommen, wie sie die SPD vorschlägt
und die Linke bis vor kurzem vorgeschlagen hat, ist
nicht tauglich. Sie ist nicht zielgenau, nicht effektiv, weil
eine Aufstockung im Wesentlichen unterhalb des Existenzminimums stattfindet. Sie ist völlig intransparent.
Weil sie nicht zielgenau ist, ist sie auch noch relativ
teuer - bei schwachen Wirkungen. Diese „Rente nach
Murks“ gehört in die Mottenkiste. Da ist sogar die Zuschussrente von von der Leyen besser.
Bei der Zuschussrente ist zwar der Grundgedanke
richtig, aber es ist eine ganz schwache Kopie der grünen
Garantierente. Ich will das in der verbleibenden Zeit beispielhaft an drei Punkten erläutern:
Erstens. Die Hürde von 45 Versicherungsjahren ist
viel zu hoch. Damit erreicht man keinen Menschen, der
von Altersarmut bedroht ist.
({13})
Mit der von Ihnen vorgenommenen Aufteilung in
35 Jahre und 45 Jahre Beitragszahlung sagen Sie: Kindererziehung ist gut; Bildung und Langzeitarbeitslosigkeit
sind schlecht. - Bei der Arbeitslosigkeit unterteilen Sie in
gute Arbeitslosigkeit und schlechte Arbeitslosigkeit. Das
ist eine weitere Stigmatisierung der Langzeitarbeitslosen
und bedeutet eine Spaltung der Gesellschaft. Insbesondere die Menschen im Osten werden nicht verstehen, dass
sie diese Zuschussrente wegen Langzeitarbeitslosigkeit
möglicherweise nicht erhalten. Da muss dringend nachgebessert werden.
({14})
Zweitens. Ein weiterer Punkt, der im Rentendialog
eine wichtige Rolle gespielt hat, ist, dass die Zuschussrente das Äquivalenzprinzip aufhebt. Es wäre wichtig,
dafür zu sorgen, dass jemand, der mehr Beiträge zahlt,
insgesamt eine höhere Rente bekommt. Man kann sich
an Vorbildern im Ausland orientieren, etwa an der Garantierente in Schweden, man kann aber auch nach
Deutschland selber schauen: Bei Hartz IV gibt es mit
dem Erwerbstätigenfreibetrag eine ähnliche Lösung.
Derartiges könnte man bei der Zuschussrente - bei der
grünen Garantierente ist es bereits mit enthalten - berücksichtigen.
Drittens. Insbesondere für den Osten ist wichtig, dass
eine Neuregelung auch für die jetzigen Rentnerinnen
und Rentner gilt und nicht erst für die zukünftigen. Es
gilt, einen Zusammenhang zu dem Renten-Überleitungsgesetz zu sehen. Für uns ist die Garantierente ein Mittel,
um zumindest den Ärmsten im Osten zu helfen. Wir sagen: Wir können nicht in jedem Einzelfall Ungerechtigkeiten abbauen. Aber uns ist wichtig, dass diejenigen,
die eine geringe Rente haben, durch die grüne Garantierente geschützt werden.
Herr Strengmann-Kuhn.
Wir Grünen werden nicht nachlassen und werden
weiter Druck machen für ein einheitliches Rentenrecht
in Ost und West und für einen besseren Schutz vor Altersarmut, der in Ostdeutschland besonders wichtig ist.
Ich hoffe, dass Sie von den Koalitionsfraktionen und
der Regierung unsere Vorschläge mit in die nächsten
Wochen nehmen, noch einmal darüber nachdenken und
vielleicht im nächsten Jahr aktiv werden. Die Hoffnung
stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Vielen Dank.
({0})
Die Kollegin Maria Michalk hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es geht in dieser Debatte um ein geschichtsträchtiges
Thema, ein Thema, das die Menschen immer wieder beMaria Michalk
rührt. Dass es ein sehr, sehr komplexes Thema ist, hat
die bisherige Debatte schon gezeigt. Das belegen auch
die vier Vorlagen, die Grundlage der heutigen Debatte
sind und die quasi wie vier Adventskerzen auf dem Adventskranz stehen, der für mich symbolisch für den Rentenangleichungsprozess der letzten 20 Jahre steht.
Unsere heutige Aussprache über die Antwort der
Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zu
„Zwanzig Jahre Rentenüberleitung“ bietet eine gute Gelegenheit - dafür bin ich auch dankbar -, sich zu fragen,
ob das Ziel der Rentenüberleitung erreicht wurde, ob
hier alles gelungen ist und ob das auf dem richtigen
Wege ist.
Zum einen haben wir damals uns alle, übrigens fraktionsübergreifend, das politische Ziel gesetzt, einen
nachvollziehbaren und verlässlichen Rahmen für die
Überführung der DDR-Renten in ein total anderes System zu schaffen und diesen Prozess so zu gestalten, dass
es denjenigen, die damals schon Rente bezogen, also den
sogenannten Bestandsrentnern, besser geht. Dieses Ziel
ist erreicht.
({0})
Zum anderen musste ein völlig unterschiedliches
Lohnniveau in Ost und West bei der gesetzlichen Alterssicherung ausgeglichen werden.
Heute reflektieren wir die Frage, ob die Zusammenführung von zwei unterschiedlichen Rentensystemen in
Ost und West richtig angegangen wurde und ob sich der
eingeschlagene Weg bewährt hat.
Werfen wir doch einmal ganz nüchtern einen Blick in
die Geschichte. Als wir am 1. Juli 1990 die Wirtschafts-,
Währungs- und Sozialunion einführten, lagen die Renten
im Osten bei 672 D-Mark. Einen Tag zuvor, am 30. Juni,
lagen sie knapp über 400 D-Mark. Es fand also schon da
eine Angleichung statt. Eine Meisterleistung! In den alten Bundesländern hingegen lag die monatliche Eckrente
bei 1 667 D-Mark. Die Ostrenten hatten also zum 1. Juli
1990 ein Niveau von 40,3 Prozent des Rentenwertes in
der gesetzlichen Rentenversicherung.
In der heutigen Debatte wurde vergessen, zu erwähnen - jedenfalls hat es bis jetzt noch niemand gesagt -,
dass wir vereinbart hatten, bis zum 1. Juli 1993 jeweils
halbjährlich Anpassungen vorzunehmen:
({1})
zweimal um 15 Prozent, dann um 11,65 Prozent, um
12,73 Prozent, um 6,1 Prozent und um 14,12 Prozent.
Das sind enorme Steigerungsraten gewesen. Es reichte ja
nicht, das nur politisch zu beschließen, sondern das
musste auch ausfinanziert werden. Nach all diesen Anpassungsschritten hatte die Eckrente am 1. Juli 1993 im
Osten einen Verhältniswert von 72,3 Prozent gegenüber
den Westrenten erreicht. Ist das nicht eine Meisterleistung?!
({2})
2008 lag das Rentenniveau Ost bei 88,1 Prozent, aktuell liegt es bei 88,7 Prozent. Wir wissen, dass prognostiziert wird, dass nach den aktuellen Rentenanpassungen
fast 90 Prozent erreicht werden - wenn die 90-ProzentMarke nicht sogar ganz erreicht wird. Niemand kommt
an der positiven Feststellung vorbei: Einen deutlicheren
Beweis für die gemeinsame innere Solidarität hat es
noch nie in unserem Land gegeben.
({3})
Vergessen wir nicht: Diese rasche Angleichung in den
ersten Jahren nach der deutschen Einheit ist auch Ausdruck wirtschaftlicher Stärke unseres Landes, damals wie
heute. Sonst wäre das finanziell gar nicht möglich gewesen. Eine ganze Monatsrente ist aus der Rentenreserve für
die Finanzierung dieser Angleichungen im Zuge der deutschen Einheit genommen worden. Hätte die Reserve damals nicht 3,5 Monatsraten betragen, wäre das gar nicht
möglich gewesen. Auch das ist Ausdruck einer ausgezeichneten politischen Entscheidung der Regierung
Helmut Kohl. Für diese Entscheidung sind wir noch heute
sehr, sehr dankbar.
({4})
Aufgrund der schwächeren Lohnentwicklung im Osten - da sind wir uns einig - hat sich dieser Prozess in
den Folgejahren tatsächlich verlangsamt, und die Menschen fragen sich: Wann kommt denn nun endlich die
absolute Angleichung? Sie von der Opposition haben
- vielleicht sind wir daran auch selber ein wenig schuld;
auf alle Fälle hat die Linke es immer forciert - immer
den Eindruck bundesweit verstärkt, dass jede Angleichung für jeden persönlich automatisch mit einer höheren Rentenauszahlung verbunden sein muss. Die heutigen Redebeiträge haben aber gezeigt, wie differenziert
das zu sehen ist und dass das in der Tat niemals so eintreten kann.
Wir haben die politische Prämisse gesetzt: Wie auch
immer in Zukunft gerechnet, verändert und entschieden
wird, es darf zu keiner Verschlechterung der Situation
für die Bestandsrentner in den neuen Bundesländern
kommen. Dafür setzen wir uns ein.
({5})
Die jetzige Regelung - so wie sie angelegt ist - sichert zwar einen langsamen, aber kontinuierlichen Angleichungsprozess. Das ist nicht von der Hand zu weisen.
({6})
Jedenfalls ist das nicht schlecht.
Wir müssen außerdem im Hinblick auf die Zukunft
dafür sorgen, dass die Angehörigen der heutigen rentennahen Jahrgänge - da sind wir uns total einig -, die unverschuldet viele Jahre lang arbeitslos waren und damit
ein niedrigeres Rentenniveau zu erwarten haben, in jedem Fall besser als diejenigen Schwestern und Brüder
gestellt werden, die freiwillig und ganz bewusst keine
Arbeit aufgenommen haben. Geleistete Arbeit muss sich
auch in Zukunft beim persönlichen Rentenniveau auszahlen. Das ist - auch in der aktuellen Diskussion zum
Rentendialog - die Herausforderung.
Vergessen wir nicht: Nach wie vor ist es so, dass die
Beitragseinnahmen in den neuen Bundesländern nicht
die Rentenausgaben decken. Es gibt also nach wie vor
einen enormen Leistungstransfer. Das ist ein weiterer
Beweis für die anhaltende Solidarität in unserem Land.
({7})
Es liegen viele Veränderungsvorschläge vor, die sehr
differenziert und widersprüchlich sind - sie werden von
den Fraktionen unterschiedlich bewertet -, von Sachverständigen, Kommissionen, Parteien und Gewerkschaften. In der Antwort der Bundesregierung auf die Große
Anfrage der SPD ist darauf auch eingegangen worden.
Bisher hat jede Regierung bekräftigt, dass es keine kurzfristige Lösung geben kann, die nicht neue Ungerechtigkeiten schafft.
Letztendlich ist festzustellen, dass dem 1992 gewählten Weg eine ausgewogene, optimal-solidarische, zukunftsgerechte Programmatik zugrunde liegt, die nicht
ohne Not - jedenfalls so lange nicht, bis man auch mit
den Ländern einen einvernehmlichen und besseren Weg
gefunden hat - aufgegeben werden sollte. Diesen Weg
gibt es bisher noch nicht.
Man muss sich zum Beispiel, wenn man optimiert
- das ist heute schon gesagt worden -, auch fragen:
Wann soll die Hochwertung der Löhne aufhören? Soll
das geschehen, wenn die Branchen für den Osten im
Rahmen ihrer Tarifabschlüsse eine vollständige Angleichung erreicht haben? Wann soll der Stichtag sein? Und
so weiter.
Ich will ganz genau erklären - das ist heute noch nicht
gesagt worden -, warum ich das nicht ohne Not aufgeben möchte: In unserer Formel gibt es eine Schutzklausel, nach der in den Jahren, in denen die Lohnentwicklung nicht so erfreulich ist - das gab es in den letzten
Jahren -, die Renten im Osten mindestens so steigen wie
im Westen. Diesen Schutzmechanismus können Sie doch
nicht ernsthaft gefährden wollen. Das kann nicht sein.
Ich finde, dass das System, ehrlich gesagt, wirklich genial ist. Die Lohnbezogenheit ist gerecht und systemimmanent.
Ich weise auch darauf hin, dass wir die Meisterleistung
hinbekommen haben, 27 Zusatzversorgungssysteme, 5 Sonderversorgungssysteme und die lohnbezogene bzw. beitragsbezogene gesetzliche Rentenversicherung der DDR
in ein Rentensystem zu überführen.
Es gab außerdem die Auffüllbeträge; auch das gehört
zur Geschichte. Für die Stasibeschäftigten, die in den
Sondersystemen waren und privilegierte Einkommen
hatten - sie haben sich hier und da eingeklagt -, hat das
Bundessozialgericht in dieser Woche Gott sei Dank noch
einmal bestätigt,
Frau Kollegin!
- dass die Deckelung der Renten nach dem Durchschnittsverdienst eines DDR-Bürgers nicht zu beanstanden ist.
Es gibt also viele Punkte, die wir noch weiter diskutieren werden. Viel ist bereits getan worden. Wir nehmen
aber die Aufgabe mit ins neue Jahr.
({0})
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest.
({1})
Die Kollegin Silvia Schmidt hat jetzt das Wort für die
Fraktion der SPD.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Frau Michalk, Sie haben völlig recht: Es
ist eine großartige Leistung gewesen - eine historische
Leistung -, die wir da vollbracht haben. Zur Tatsache,
dass dieser Solidartransfer immer noch stattfindet: Ich
glaube, dass das die Rentner in den neuen Bundesländern durchaus wissen und dafür dankbar sind.
({0})
Auf der anderen Seite - das haben wir ja in unseren
Anträgen geschrieben - gibt es durch das Renten-Überleitungsgesetz durchaus neue Ungerechtigkeiten, auf die
ich eingehen möchte.
Sehr geehrter Herr Fuchtel, Sie haben vorhin gesagt:
Wir sind jetzt zwei Jahre an der Regierung. - Wir haben
einmal gemeinsam regiert. Olaf Scholz hat damals den
Ländern - sprich: den CDU-Ländern ({1})
einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet. Der wurde
damals von den CDU-Ländern einfach abgelehnt. Das
muss man auch zur Kenntnis nehmen.
({2})
Der Minister Sellering und der Minister Böhmer haben ebenfalls Anträge in den Bundesrat eingebracht;
auch das muss man zur Kenntnis nehmen. Das waren
gute Anträge. Auch diese Anträge wurden dort abgelehnt.
Zur Großen Anfrage will ich weiter nichts sagen. Wir
kennen die Antworten im Grunde alle; das wissen wir
Silvia Schmidt ({3})
schon seit mehreren Jahren. Das Ganze ist eine Zusammenfassung - aber das war es dann auch.
Herr Strengmann-Kuhn, Sie haben gefragt, wieso die
Länder mit ins Boot sollen. Darauf werde ich später kurz
eingehen. Ich zum Beispiel war Mitarbeiterin im medizinischen Bereich, das heißt, ich war Angehörige des öffentlichen Dienstes. Mit Blick auf den öffentlichen
Dienst sind die Länder verpflichtet, ihren Anteil zu leisten, unter anderem für das mittlere medizinische Personal.
Eine weitere Anmerkung. Es wurden bereits die
Flüchtlinge aus der DDR bzw. die Altübersiedler angesprochen. Ich möchte daran erinnern, dass wir im Ausschuss - ich habe die Drucksache jetzt nicht im Kopf;
Ottmar Schreiner hat das vorgetragen - dazu einen Antrag mit vorbereitet haben. Dieser Antrag wurde von den
Regierungsfraktionen abgelehnt. Auch da haben wir
schon Vorschläge gemacht.
({4})
Sie kritisieren, dass die Tarife in Ost und West unterschiedlich sind; hier möchte ich nur die Pflegeberufe ansprechen: 8,50 Euro und dagegen 7,50 Euro. Sie haben
aber dabei einen Punkt außer Acht gelassen: Selbst wenn
man im Osten dasselbe verdient wie im Westen, muss
man in den neuen Bundesländern dafür länger arbeiten.
Das ist ein weiterer wesentlicher Punkt.
Der Kollege Strengmann-Kuhn hat gestern in der
Debatte über die Rente mit 67 richtig gesagt: Es muss
mehr Ehrlichkeit in die Politik hinein. Vor allem brauchen die Menschen ein langfristiges Vertrauen. Dafür
müssen wir sorgen. - Das ist richtig.
Das erwarten auch die Rentnerinnen und Rentner in
den neuen Bundesländern. Diese Ehrlichkeit gehört einfach dazu. Das ist für uns alle eine ernsthafte und sehr
schwierige Aufgabe - das ist uns durchaus bewusst. Wir
von der SPD-Fraktion wollen uns dieser Aufgabe stellen
und die ersten Schritte in diese Richtung gehen.
({5})
Ich erinnere noch einmal daran: Das Angleichungsgebot von Art. 30 Abs. 5 Satz 3 des Einigungsvertrages gilt
für uns alle. Es ist schon von mehreren Rednern erwähnt
worden: Gerade in den letzten Jahren ist die Angleichung der Löhne und Gehälter zum Stillstand gekommen. Das sind die neuen Grundlagen, mit denen wir es
zu tun haben. Wir wissen das alle. Wir wissen auch, dass
das Lohnniveau im Osten und im Westen immer noch
unterschiedlich ist. Wir wissen auch, dass im Osten immer noch 40 Prozent im Niedriglohnbereich tätig sind
und sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen befinden. Das heißt, die fehlende Tarifanbindung in den
neuen Bundesländern ist immer noch ein schweres Problem. Wir müssen jetzt weitere Schritte tun, um die Erreichung des Ziels der Angleichung zwischen Ost und
West voranzutreiben und den Einigungsvertrag zu erfüllen.
({6})
Darauf warten die Menschen jetzt bereits seit über
20 Jahren. Wir führen nachher die Debatte zum Stand
der deutschen Einheit. Ich glaube, da wird noch einmal
darauf eingegangen.
Wie gesagt: Wir haben für die Rentenüberleitung das
Beste getan - darauf können alle in diesem Haus stolz
sein -, aber es sind durchaus soziale Härten entstanden.
Es geht uns, den Sozialdemokraten, nicht darum, die Privilegien des ehemaligen staats- und parteinahen Personals wieder einzuführen. Es geht um die sozialen Härten,
die es abzufedern gilt.
Lassen Sie mich in dieser vorweihnachtlichen Runde
ein paar Beispiele nennen; ich weiß, dass viele Abgeordnete manchmal nicht die Zeit haben, sich damit auseinanderzusetzen:
Da gibt es die 77-jährige ehemalige Krankenschwester mit einer Rente von 700 Euro, am Rande der Grundsicherung. Sie hat ihr ganzes Leben hart gearbeitet und
ist von den Folgen der deutschen Einheit enttäuscht. Wir
wissen, dass der Steigerungssatz von 1,5 Prozent hier
nicht berücksichtigt ist. Wir alle wissen auch: Es gibt
ausreichend Urteile dazu; das ist uns bewusst.
Zudem gibt es den Wissenschaftler. Im Vergleich zu
denen, die sofort nach der Einheit pensioniert wurden,
und denen, die in den alten Bundesländern einen ähnlichen Karriereverlauf hatten, hat er heute monatlich bis
zu 500 Euro weniger Rente. Ist das gerecht? Ich denke:
Nein, das ist nicht gerecht. Hier geht es um eine Gerechtigkeitsfrage.
({7})
Man kann sie nur außerhalb des Rentenrechts lösen.
Auch die Beschäftigten der Braunkohlenveredlung
Espenhain - bei Halle - sind zu nennen.
({8})
Sie hatten großes Vertrauen in die Fürsorge des Staates.
Sie mussten unter unglaublichen Arbeitsbedingungen arbeiten und große Gesundheitsschädigungen in Kauf nehmen. Eine abschlagsfreie Bergmannsrente ist seit 1996
nicht mehr möglich. Immerhin werden den ehemaligen
Beschäftigten der stillgelegten Betriebsteile der DDRCarbochemie nun von der Bundesknappschaft Bergmannrenten mit geringem Abschlag gezahlt. Es bleibt
weiter die Frage, warum es keine Gleichstellung der
Bergleute unter Tage gegeben hat oder geben kann.
Meine Kollegen Anton Schaaf und Wolfgang Tiefensee
führen mit den Betroffenen und der Bundesknappschaft
gute Gespräche. Auch hier steht die Politik in der Pflicht,
zu handeln.
Ferner gibt es die Diplomchemiker und -physiker. Sie
wurden einfach aus dem Geltungsbereich der Altersversorgung für die technische Intelligenz herausgehalten, weil man die Bestimmungen dem Wortlaut nach
ausgelegt hat, ohne die Praxis in den Betrieben zu berücksichtigen.
Silvia Schmidt ({9})
Und da gibt es den ehemaligen Abteilungsleiter der
DDR-Chemiebetriebe aus Halle, der in seiner Abteilung
mit Ingenieuren zusammengearbeitet hat. Die Ingenieure
hatten keine Versorgungszusage, aber erhalten heute
trotzdem die Rente für die technische Intelligenz. Der
ehemalige Abteilungsleiter - schon zu DDR-Zeiten ein
Sozialdemokrat, der sich gegen die Diktatur gewehrt hat erhält diese Rente nicht. Ich muss sagen: Seine Rente ist
für einen Akademiker mit 835 Euro netto relativ gering;
die Ingenieure mit Fachschulabschluss erhalten deutlich
mehr. Das kann es nicht sein. Der ehemalige Abteilungsleiter erwartet keinen Revolutionsbonus; er erwartet Gerechtigkeit. Das ist ein Punkt, mit dem wir uns beschäftigen müssen.
({10})
Vielleicht noch ein Beispiel: die mithelfenden Familienangehörigen in den landwirtschaftlichen Betrieben;
das sind die Unternehmen, die noch ziemlich lange
selbstständig waren. Da gibt es die unterschiedlichsten
Fälle. So erhält eine ältere Frau, die einen schweren Diabetes hat und deren Bein amputiert worden ist, 100 Euro
Rente. Sie hat keinen Anspruch auf Grundsicherung, da
sie ein Eigenheim hat. Leider steht das Eigenheim im
Osten, in einer ländlichen Region; die Frau wird es nicht
los. Sie lebt vom Pflegegeld und von diesen 100 Euro.
Das kann es nicht sein; das nenne ich soziale Härte. Hier
sollen und müssen wir reagieren. Das ist keine Anerkennung der Lebensleistung; eine Anerkennung sähe anders
aus. Die Betroffenen erwarten jedoch eine Anerkennung.
({11})
Leider kann ich aus zeitlichen Gründen nicht darauf
eingehen, was der Bundesrechnungshof gesagt hat. Ich
warne davor, die Diskussion nach dem Motto zu führen:
Später gibt es mal höhere Renten. Die Menschen im Osten erleben die Diskussion hier im Deutschen Bundestag
und auch in der Presse als Hohn; denn die Rente ist das
einzige Einkommen der Rentnerinnen und Rentner in
den neuen Bundesländern. Sie haben keine zusätzlichen
Einkommen.
({12})
Ich bitte Sie, das immer wieder zu bedenken.
Es ist das Ziel der SPD, die Situation zu verbessern.
Deswegen haben wir unsere Anträge eingebracht, etwa
den, in dem wir die Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe fordern. Denn auch die Länder müssen einbezogen werden; nur so können Kriterien entwickelt
werden. Wir brauchen eine konkrete Datenlage. Das ist
eine Grundvoraussetzung. In unserer Großen Anfrage
haben wir bereits nachgefragt. Antworten gab es keine,
Zahlen auch nicht. Da muss man also noch einmal ganz
genau hinschauen.
Ich komme zu meiner letzten Anmerkung. Die Zuschussrente wurde immer wieder angesprochen. Ich
kann nur sagen: Das wollen wir mit unserem Härtefallfonds natürlich nicht. Eine Zuschussrente bei 35 Beitragsjahren bzw. 45 Pflichtversicherungsjahren und einer
privaten Vorsorge - ich kann mir nicht vorstellen, dass
jemand so lange gearbeitet hat und keine ausreichende
Rente hat.
Frau Kollegin Schmidt.
Ja, einen kleinen Moment. - Wer eine ausreichende
Rente hat, braucht nicht unbedingt eine Zuschussrente.
Das sind Almosen. Das finde ich generell unanständig.
Ich bedanke mich, wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und vor allen Dingen einen guten Rutsch in
das neue Jahr. Ich freue mich auf Sie.
Danke.
({0})
Miriam Gruß hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es ist mehrfach schon gesagt worden: Es besteht
Handlungsbedarf, und es ist 20 Jahre nach der Wiedervereinigung an der Zeit, die deutsche Einheit nun auch
im Rentenrecht zu vollziehen. Die jetzige Situation ist
ein Überbleibsel im Sozialrecht, das noch an die Teilung
Deutschlands erinnert. Aber wir leben in einer Gesellschaft. Es ist deswegen notwendig, dass Ungerechtigkeiten beseitigt werden und gleiches Recht für alle gilt, unabhängig davon, in welchem Teil des Landes man lebt.
({0})
Die Unterschiede in der Rentenberechnung stoßen bei
den Menschen - in Ost wie in West - immer häufiger auf
Unverständnis. Nach der gegenwärtigen Rechtslage
würden noch auf unabsehbare Zeit unterschiedliche Rentensysteme in Ost und West bestehen. Das war aber nie
das Ziel, das kann es auch heute nicht sein; denn diese
Trennung ist mittlerweile willkürlich, da es sowohl in
den neuen als auch in den alten Bundesländern Hochund Niedriglohngebiete gibt. Es stößt bei den Bürgerinnen und Bürgern auf Unverständnis, wenn aus demselben in einem Erwerbsleben erzielten Einkommen unterschiedlich hohe Renten resultieren, je nachdem, ob man
im Osten oder im Westen Deutschlands lebt.
Die Förderung eines bestimmten Gebiets innerhalb
unseres Landes ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Für
uns ist die Frage einer Rentenangleichung deshalb nicht
in allererster Linie die Frage von Ost und West, sondern
eine Frage der Gerechtigkeit insgesamt. Hier gilt es, die
Ost-West-Brille abzusetzen und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu einem neuen, gemeinsamen Ansatz
zu kommen.
({1})
Dazu haben wir Liberale einen konkreten Vorschlag, den
auch der Sachverständigenrat unterstützt.
({2})
Ziel eines einheitlichen Rentenrechts muss sein, dass
die Renten auf vergleichbaren Werten beruhen. Wir wollen eine Vereinheitlichung des Rentenrechts in Deutschland mit einem einheitlichen Rentenwert, einheitlichen
Entgeltpunkten und einheitlicher Beitragsbemessungsgrenze.
({3})
Zu einem bestimmten Stichtag würden sich nach unserem Vorschlag alle Renten entsprechend der Entwicklung eines einheitlichen Rentenwertes anpassen. Alle zu
diesem Stichtag der Umstellung bestehenden Rentenansprüche bzw. Anwartschaften in Ost und West bleiben in
ihrem Wert erhalten.
({4})
Jeder Euro Rentenbeitrag bringt dann ab dem Stichtag
im gesamten Bundesgebiet den gleichen Rechtsanspruch.
Die jährlichen Rentenanpassungen fallen dann in Ost
wie in West gleich hoch aus. Gleiches Rentenrecht für
alle ist ein wesentlicher Beitrag zur Überwindung noch
bestehender trennender Elemente zwischen den Bürgerinnen und Bürgern im Osten und Westen unseres Landes.
({5})
Mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung ist es nun
höchste Zeit, uns für die wirkliche Vollendung der deutschen Einheit einzusetzen. Wir als FDP-Fraktion bleiben
am Ball.
Vielen Dank.
({6})
Jetzt spricht Matthias Birkwald für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der
Angleichung der ostdeutschen Renten auf das Westniveau folgt die Linke zwei Grundsätzen:
Erstens. Gleiche Rente für gleiche Lebensleistung.
Zweitens. Bei der Angleichung der ostdeutschen Renten auf das Westniveau geht es um Leistungsgerechtigkeit und nicht um Almosen.
({0})
Von Gerechtigkeit kann bisher keine Rede sein. Auch
21 Jahre nach der Einheit erhalten Ostdeutsche nach
45 Jahren Arbeit mit einem durchschnittlichen Verdienst
knapp 140 Euro weniger Rente als Westdeutsche. Das
darf nicht so bleiben. Damit muss endlich Schluss sein.
({1})
Nicht nur diese Bundesregierung, sondern alle Bundesregierungen in den vergangenen 20 Jahren haben nur
eine Hinhaltepolitik gegenüber den ostdeutschen Rentnerinnen und Rentnern betrieben. CDU, CSU und FDP
haben in ihrem Koalitionsvertrag eine Regelung noch in
dieser Wahlperiode versprochen. Das steht auf Seite 84.
Im März des vergangenen Jahres hat der CDU-Bundesausschuss dieses Versprechen wieder einkassiert. Weitere eineinhalb Jahre später, im Oktober dieses Jahres,
erdreistete sich die Bundesregierung, auf die Große Anfrage der SPD zu antworten - ich zitiere -:
Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.
Mit vermeintlicher Gründlichkeit können Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, das
nicht mehr erklären.
In der Sächsischen Zeitung von heute steht:
Ostbeauftragter will Rentenangleichung verschieben.
Ich zitiere:
Die Bundesregierung will offenbar ihr Vorhaben
aus dem Koalitionsvertrag aufgeben, noch bis 2013
ein einheitliches Rentensystem in Ost und West einzuführen.
({2})
Ihr Ostbeauftragter, Christoph Bergner ({3}), will
nach SZ-Informationen heute im Bundestag dafür
plädieren, in dieser Wahlperiode keine Eingriffe in
das Rentenrecht vorzunehmen.
Das jetzige System habe sich bewährt, kein Alternativmodell sei überzeugend, heißt es in Bergners
Umgebung.
Herr Staatssekretär, sagen Sie doch bitte einmal in
dieser Debatte und nicht in der folgenden etwas zu diesem Thema.
({4})
Sie können es auch gleich zugeben: In dieser Wahlperiode wird es nichts mehr mit der Rentenangleichung.
({5})
Sie wollen die Menschen in Ostdeutschland schlicht und
einfach für dumm verkaufen. Das ist nicht nur arrogant,
das ist ein vereinigungspolitischer Skandal.
({6})
Meine Damen und Herren von Union und FDP, es ist
keineswegs so, dass sich die rentenpolitische Ungerechtigkeit von allein verflüchtigte, weil sich, wie von unsichtbarer Hand geleitet, die Löhne und Gehälter im
Osten an die im Westen anglichen. Das gibt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage selbst
unumwunden zu. Ich zitiere:
In welchem zeitlichen Rahmen sich die Einkommensverhältnisse in den neuen Ländern an die Einkommensverhältnisse in den alten Ländern angleichen, kann heute nicht verlässlich bestimmt werden.
Sie wissen also, was Sache ist.
({7})
Trotzdem tun Sie nichts. Sie setzen faktisch auf eine biologische Lösung und darauf, dass sich die Betroffenen in
Ostdeutschland aufgrund ihres hohen Alters bald nicht
mehr werden wehren können.
({8})
Mit Verlaub, meine Damen und Herren von CDU und
CSU, das ist alles, nur nicht christlich.
({9})
Sie missachten damit die Würde der Ostdeutschen. Hören Sie endlich auf, Ihre anhaltende Feindseligkeit gegenüber der verblichenen DDR an den heutigen Rentnerinnen und Rentnern auszulassen. Das ist doch schäbig.
({10})
Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten,
Sie fordern mit Ihrem Antrag für einige wenige versicherungsrechtliche Zeiten eine Angleichung an das Westniveau. Sicher, Kindererziehungszeiten, die Pflege von
Angehörigen, Wehr- und Zivildienst und die Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung
in Ost und West im Rentensystem einheitlich zu behandeln, ist völlig richtig; aber es ist alles andere als ausreichend. Die Verkäuferin, der Fließbandarbeiter oder Köchinnen und Köche zum Beispiel haben für ihre Arbeit
in Halle, Suhl und Dresden dieselbe Gleichbehandlung
verdient.
({11})
Darum will die Linke eine Angleichung für alle. Deshalb
muss die Angleichung der Ostrenten aus Sicht der Linken ein zentrales Thema einer entsprechenden BundLänder-Arbeitsgruppe zur Rentenüberleitung sein.
Meine Damen und Herren, aus Sicht der Linken muss
eine Ost-West-Angleichung bei den Renten drei zentrale
Bedingungen erfüllen:
Erstens. Sie muss eine deutliche materielle Verbesserung für alle heutigen Rentnerinnen und Rentner zwischen Rügen und dem Vogtland bringen.
Zweitens. Die Umrechnung und die Hochwertung der
Ostlöhne und -gehälter auf das Westniveau müssen beibehalten werden; das ist sehr wichtig.
Drittens brauchen wir die Angleichung möglichst
schnell. Wir Linke wollen gemeinsam mit Verdi, der
Volkssolidarität, dem Sozialverband Deutschland sowie
weiteren Verbänden und Gewerkschaften,
Herr Kollege!
- dass die Angleichung bis 2016 abgeschlossen wird.
Herr Kollege!
Das erreichen wir mit einem steuerfinanzierten und
stufenweise steigenden Zuschlag.
({0})
Es hilft nichts, Herr Kollege. Ihre Redezeit ist zu
Ende.
Denn es gilt: Der Rentner in Magdeburg ist nicht weniger wert als die Rentnerin im westfälischen Münster.
Herzlichen Dank.
({0})
Eckhardt Rehberg hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Herr Birkwald, Sie haben sich schon gestern
disqualifiziert, als Sie suggeriert haben - leider sind
Journalisten darauf hereingefallen -, dass eine Tabelle
für über 65-jährige Männer mit 35 Versicherungsjahren wenn Sie sich alle Tabellen für Ost und West anschauen,
dann stellen Sie fest, dass es immer Sprünge beim RenEckhardt Rehberg
tenwegfallalter gegeben hat - etwas mit der Lebenserwartung zu tun hat. Dies hat nichts, aber auch gar nichts
mit der Lebenserwartung zu tun.
({0})
Einer der großen Erfolge der deutschen Einheit ist, dass
in zwei Jahrzehnten die Lebenserwartung von Männern
und Frauen im Osten um sechs Jahre gestiegen ist.
({1})
Einige haben hier gesagt, die Rentner im Osten müssten genau so viel wert sein wie die Rentner im Westen.
Aber das Entscheidende ist nicht die Eckrente, sondern,
was bei den Rentnerinnen und Rentnern im Portemonnaie ankommt. Seite 18 der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD ist zu entnehmen,
dass 80 Prozent der Ehepaare aus den alten Ländern und
78 Prozent der Ehepaare in den neuen Ländern eine
Rente von 1 500 bis 3 000 Euro beziehen. Das heißt, das,
was wir seit 1990 machen und vereinbart haben, trägt
und kommt im Portemonnaie der Rentnerinnen und
Rentner an. Das ist das Entscheidende.
({2})
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Birkwald zulassen?
Nein.
({0})
Herr Kollege Birkwald, ich habe heute viel Zeit. Wenn
Sie heute auch um 15 bzw. 16 Uhr noch hier im Plenum
sitzen, dann herzlich gerne, aber sonst nicht.
Eine weitere Anmerkung zu Ihren Ausführungen,
Herr Birkwald. Ich habe eben die Durchschnittsbeträge
genannt, die fast 80 Prozent der Ehepaare erhalten. Bei
den Renten für alleinstehende Männer und Frauen im
unteren Bereich gibt es übrigens keine Kluft zwischen
Ost und West. Meine Großmutter hat 1983 in der DDR
eine Mindestrente in Höhe von 270 DDR-Mark bekommen. Herr Birkwald, Sie haben offenbar nicht erlebt, wie
auf irgendwelchen Parteitagen in der DDR Almosen verteilt wurden. Heute können die Rentnerinnen und Rentner sicher sein, am Wohlstand und am wirtschaftlichen
Erfolg zu partizipieren. Zu DDR-Zeiten waren sie auf
Almosen der SED angewiesen.
({1})
Ich finde es sehr erfreulich, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, dass wir uns in einem Punkt einig
sind. Frau Gleicke, wenn ich Sie richtig verstanden habe,
dann sind Sie der Meinung, dass die Höherbewertung
wegfallen muss, wenn es einen einheitlichen Rechtskreis
Rente Ost/West gibt. Sie haben aber nicht die Frage beantwortet, wie man zu einem gesamtdeutschen Rentenwert kommt. Wenn man die vier Grundrechenarten der
Mathematik anwendet und aus dem Rentenwert Ost und
dem Rentenwert West einen einheitlichen Wert macht,
dann stellt man fest, dass der Rentenwert West sinken
müsste. Das kann nicht sein. Gerade wir, die beiden großen Volksparteien, können uns das politisch nicht leisten.
Ein neuer gesamtdeutscher Rentenwert muss dem aktuellen Rentenwert West entsprechen. Eine andere politische
Lösung wird es nicht geben. Man darf diese Debatte
nicht separatistisch führen und nur Ostdeutschland im
Blick haben. Man muss es gesamtdeutsch lösen.
({2})
Ein nächstes Thema. Die Ministerpräsidenten der Länder und einige Sozialministerinnen wie Frau Schwesig
sind an dieser Stelle schon wichtig. Sie aber kommen daher, schlaumeiern herum und suggerieren den Leuten, die
Rentenangleichung könne kommen, obwohl im Koalitionsvertrag von Schwerin steht, dass die ganze Operation vollzogen werden müsse, ohne dass einer benachteiligt wird.
Bei den Kautelen Rentenangleichung Ost/West, derselbe Rentenwert und Höherbewertung vergessen viele
Folgendes - das muss man einmal sagen -: Die heutigen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Osten werden
bevorteilt. Betrachten Sie zum Beispiel den branchenbezogenen Mindestlohn in der Zeitarbeit, der im Augenblick bei 7,01 Euro liegt. Wenn der mit 14,7 Prozent höhergewertet wird, dann kommt man auf 8,04 Euro und
damit über den branchenbezogenen Mindestlohn West
von 7,89 Euro, zahlt aber nur auf 7,01 Euro den Rentenbeitrag, obwohl man später eine höhere Leistung erhält.
In dieser gesamtdeutschen Rentendebatte muss man
fairerweise auch noch sagen, dass aktuell 14 Milliarden
Euro an Beiträgen von West nach Ost transferiert werden. All dies muss ich gemeinsam betrachten, wenn ich
mich diesem Problem nähern will und nicht nur im Osten - zwischen Rostock und Aue -, sondern auch im
Westen - zwischen Flensburg und München - keinen benachteiligen will.
({3})
Diese Operation ist nicht so einfach, wie manche meinen. Kollege Strengmann-Kuhn, man kann über Ihren
Ansatz durchaus diskutieren.
({4})
- Natürlich, das ist richtig. Es gibt aber auch einen anderen Ansatz, den man zum Beispiel nehmen könnte. Wir
sehen, dass das System mit der Höherbewertung der
Löhne von 1990 nicht nur in den 90er-Jahren sehr erfolgreich war. Wir sind im Augenblick bei 14,7 Prozent; wir
waren letztes Jahr bei fast 19 Prozent. Wir werden mit der
erwarteten Rentenanpassung zum 1. Juli des nächsten
Jahres - West: 2,3 Prozent, Ost: 3,2 Prozent - wahrscheinlich auf einen Unterschiedsbetrag von 89,5 Prozent
zwischen Ost und West kommen und also um 0,8 Prozentpunkte abbauen.
Ich will damit Folgendes sagen: Das, was wir in den
90er-Jahren gemeinsam vereinbart haben, ist - ich habe
das am Anfang anhand der Renteneinkommen, die wir
dadurch erreicht haben, bewiesen - ein sehr tragfähiges
System. Ich bin der Kollegin der SPD, Frau Gleicke,
durchaus dankbar, dass sie 2019 als eine Zielzahl genannt hat. Man kann möglicherweise den Weg gehen,
den Höherbewertungsbetrag von 14,7 Prozent in gleiche
Jahresscheiben bis 2019 aufzuteilen, auf 0 Prozent abzuwerten und gleichzeitig in den gleichen Jahresscheiben
die 89,5 Prozent, die wir im nächsten Jahr erwarten, bis
2019 aufzuwerten. Auch das wäre eine Möglichkeit.
({5})
Aber ich füge hinzu: Es wird auch dann nicht so sein,
dass es keine Benachteiligten geben würde. Jede Lösung, die wir haben könnten, wird - jedenfalls aus meiner Sicht - an der einen oder anderen Stelle Benachteiligungen hervorrufen.
Insofern kommt es schon darauf an, dass wir die vorhandenen gemeinsamen Ansätze, dieses Ziel zu erreichen - ich bin an dieser Stelle erfreut, was CDU/CSU,
FDP, Grüne und SPD betrifft -, auch gemeinsam verfolgen. Ich möchte aber gleichzeitig deutlich machen: Wer
eine Lösung finden will, der darf nicht nur Ost-West
oder nur Nord-Süd betrachten. Vielmehr reicht Deutschland aus meiner Sicht von der Ost- und Nordsee bis zu
den Alpen und von der französischen bis zur polnischen
Grenze. Wer das bei diesem Thema außer Betracht lässt
und in Berlin anders redet als in Düsseldorf, der wird
dieses Problem nicht lösen.
Herzlichen Dank.
({6})
Zu einer Kurzintervention der Kollege Birkwald.
Herr Kollege Rehberg, Sie haben ja eben wieder die
falsche Behauptung aufgestellt, dass ich mit Zahlen arbeite, die nicht korrekt seien.
({0})
Diese Zahlen - das sage ich gerne noch einmal - hat die
Bundesregierung geliefert. Sollten sie nicht korrekt sein,
richtet sich das gegen die Bundesregierung.
({1})
Ich trage sie Ihnen noch einmal vor, damit Sie jetzt
- ich hatte gedacht, dass Sie vielleicht schon gestern
Abend einmal die Gelegenheit genutzt hätten -, eine
Chance haben, auf Seite 53 des Anhangs der Antwort
der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Linken
zu blicken. Weil wir uns jetzt um Ostrenten kümmern,
geht es jetzt um die langjährig versicherten geringverdienenden Männer in den neuen Ländern, deren Lebenszeit
seit 2001 gesunken ist. Diejenigen, die zwischen der
Hälfte und drei Viertel des Durchschnittes verdient haben, haben nach dem 65. Lebensjahr im Jahr 2001 noch
12,9 Jahre Rente bezogen, 2002 waren es 13,2 Jahre,
2003 waren es 13,5 Jahre, 2004 waren es 12,8 Jahre,
2005 waren es 12,7 Jahre, 2006 waren es 12,1 Jahre,
2007 waren es 11,5 Jahre, 2008 waren es 9,8 Jahre, 2009
waren es 9,5 Jahre und 2010 waren es 9,1 Jahre. Das
sind reale Zahlen. Es geht um geringverdienende Männer im Osten, die gearbeitet haben, die gelebt haben,
({2})
die Rente bezogen haben, die verstorben sind. Diese
Zahlen stehen hier schwarz auf weiß. Die einfache Leistung, 65 dazu zu addieren, weil es sich ausschließlich um
die handelt, die nach dem 65. Geburtstag noch Rente bezogen haben, werden Sie wohl schaffen.
({3})
Ich halte fest: Bei denjenigen Männern in den neuen
Ländern, die zwischen der Hälfte und drei Viertel des
Durchschnittsverdienstes erhalten haben, also bei Niedrigverdienern, ist die Lebenszeit von 77,9 auf 74,1 Jahre
gesunken; das sind 3,8 Jahre bzw. 4,9 Prozent.
({4})
Bei denen, die weniger als die Hälfte des Durchschnittsverdiensts hatten, sind es 2,6 Jahre; das sind 3,2 Prozent.
Die Lebenszeit dieser Gruppe ist von 82,5 auf 79,9 Jahre
gesunken.
Jetzt frage ich Sie, ob Sie dies endlich zur Kenntnis
nehmen - dann könnte die Debatte hier vor Weihnachten
versöhnlich enden - oder ob Sie die Zahlen der Bundesregierung anzweifeln. Dann kritisieren Sie bitte die Bundesregierung.
Herzlichen Dank.
({5})
Herr Rehberg zur Antwort, bitte.
Herr Kollege Birkwald, ich lese Ihnen noch einmal
die Überschrift vor. Es geht um Tabelle 11-01: Rentenbezugsdauern und -höhen von Altersrentenwegfällen mit
mindestens 36 Versicherungsjahren.
({0})
- 35. - Das heißt, Sie nehmen eine ganz kleine Gruppe
heraus, die über 65-Jährigen, die mindestens 35 Versicherungsjahre haben, die also sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Sie berücksichtigen damit zum
Beispiel nicht den öffentlichen Dienst, keine Personen,
die in Versorgungswerken bei der Post, der Bahn oder
wo auch immer waren. Ich will Ihnen entgegenhalten,
dass diese Statistik zwar richtig ist, aber nichts mit der
Lebenserwartung zu tun hat. Zur Berechnung der LeEckhardt Rehberg
benserwartung benötigt man die Daten einer gesamten
Bevölkerungsgruppe. Ihnen sind da leider Journalisten
auf den Leim gegangen.
({1})
Ich möchte Ihnen zum Abschluss eine Frage stellen.
Es ist übrigens komisch, dass die Lebenserwartung bei
Frauen nicht gesunken ist. Dazu gibt es einen interessanten Kommentar in der Leipziger Volkszeitung; ich rate
Ihnen, diesen zu lesen. Sie als Linke, die die Interessen
im Osten angeblich so stark vertreten, müssen sich eine
andere Frage stellen: Wo haben diejenigen, die mit 65,
70 oder 75 sterben, den Großteil ihres Arbeitslebens verbracht? Sie haben in der Braunkohle bei der Wismut und
bei der Chemie in Bitterfeld unter unzumutbaren Bedingungen gearbeitet. Diese Frage müssen Sie sich stellen.
({2})
Patrick Kurth hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Genau auf das Beispiel Bitterfeld wollte ich eingehen. Auch ich wollte einen Beitrag zum Zahlenspiel
hier leisten. Der Durchschnittsmann hatte in den 80erJahren in Bitterfeld-Wolfen eine Lebenserwartung von
weniger als 60 Jahren.
({0})
Wir sprechen jetzt hier über Rentner. Ich kann Ihnen
sagen: Es gibt aktuelle Umfragen, bei denen die Menschen in Deutschland nach ihren Befürchtungen gefragt
werden. Sehr weit oben bei den Antworten steht Furcht
vor einer Ideologisierung der Gesellschaft. Eine Ideologisierung der Debatte haben wir gerade erlebt. Herr
Birkwald, Sie haben einen hervorragenden Beitrag dazu
geleistet, dass die Furcht davor sich vermehrt. Sie ideologisieren hier ein sehr kompliziertes Thema. Die Zusammenführung von zwei völlig unterschiedlichen Sozialsystemen nach der Wiedervereinigung war und ist
eine der größten Herausforderungen bei der Gestaltung
des Einigungsprozesses.
({1})
Sie ist einer der größten Erfolge der letzten 20 Jahre; das
muss man festhalten. Hier wird dieses Thema missbraucht und suggeriert, die Renten hätte sich im Osten
sogar verringert. Eine Partei, die im Wahlkampf im östlichen Gebiet unseres schönen Landes erklärt, dass die
Rente zu niedrig sei, und im Westen unseres Landes erklärt, dass die Ossis durch die Höherwertung bevorteilt
würden, braucht über Gesamtdeutschland überhaupt
nicht zu reden.
({2})
Herr Birkwald, Sie haben einen fürchterlichen Beitrag
geleistet, indem Sie einer großen Mehrheit in diesem
Hause vorgeworfen haben, es gebe hier eine Feindschaft
zur DDR. Wo leben wir denn? Sie sind ein ehemaliges
Mitglied der DKP. Es sagt etwas über Ihren Charakter
aus, wenn Sie so über uns reden, und nicht über die Koalition.
({3})
Die Situation der Rentnerinnen und Rentner in der
ehemaligen DDR hat sich so sehr verbessert wie bei fast
keiner anderen Bevölkerungsgruppe. Von den erbärmlichen Rentenhöhen in der DDR sind wir weit, weit entfernt. Das war eine herausragende Kraftanstrengung aller Menschen in diesem Land. Auch darauf können wir
stolz sein.
Richtig ist natürlich, dass wir in Sachen Rente noch
nicht am Ende des Weges sind, sondern das Ziel der
Rentenangleichung verfolgen. Die Mammutaufgabe, die
vielen Interessen unter einen Hut zu bringen, betrifft
nicht allein die Rentnerinnen und Rentner, sondern alle
Versicherten und Steuerzahler. Bei manchen Vorschlägen - das gilt auch für den Schaufensterbeitrag, den wir
eben gehört haben - muss man sich allerdings fragen, ob
sie, wenn wir sie umsetzen würden, tatsächlich den ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner zugutekommen
würden.
({4})
Die Frage, was als erster Schritt zu tun ist, versuchen Sie
zu beantworten. Die Frage, was als zweiter Schritt zu tun
ist, vernachlässigen Sie aber, nämlich die Höherwertung.
In einer Debatte zum Thema Rente muss auch angesprochen werden: Die Ungleichheiten, die heute bestehen, beruhen nicht nur auf dem Rentensystem an sich,
sondern natürlich auch auf der unterschiedlichen Lohnentwicklung. Wenn wir nur auf das Thema Rentenrecht
fokussieren und dort die Stellschraube justieren, dann
packen wir das Problem nicht an der Wurzel. Sie wollen
nur an der Rentenschraube drehen. Wir gehen das Problem an der Wurzel an.
Wir wollen und müssen dafür sorgen, dass sich die
wirtschaftliche Entwicklung im Osten weiter verstetigt.
Wir wollen die Unterschiede zwischen Ost und West auf
wirtschaftlicher Ebene ausgleichen. Das ist nach 40 Jahren Misswirtschaft sehr, sehr schwierig. Vor allen Dingen in den letzten Jahren sind wir aber vorangekommen.
Ich will sagen: Wir sind auf einem sehr, sehr guten Weg.
Die Arbeitslosenzahlen sind so niedrig wie noch nie seit
der Wende.
({5})
Die Wirtschaftsleistung holt weiter auf. Die Innovationsfähigkeit ist sehr hoch. Genau das sind doch die Vo18034
Patrick Kurth ({6})
raussetzungen, die wir brauchen, wenn die Löhne steigen und die Renten, natürlich auf wirtschaftlichem
Wege, angeglichen werden.
({7})
Am Ende will ich sagen: Wenn wir dafür sorgen wollen, dass die Menschen mehr Geld in der Tasche haben,
indem wir die kalte Progression abbauen, sodass sie zum
Beispiel privat vorsorgen können, dann kann es nicht
richtig sein, eine kleine steuerpolitische Maßnahme zum
Abbau der kalten Progression im Bundesrat zu blockieren oder in Karlsruhe dagegen zu klagen. Das geht nicht.
Herr Kollege.
Leisten Sie hier einen Beitrag!
Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön.
({0})
Der Kollege Peter Weiß hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Soeben hat zwischen dem Kollegen Rehberg und
dem Kollegen Birkwald eine Diskussion stattgefunden,
die hier schon gestern stattgefunden hat. Es ist unglaublich, dass es Herr Birkwald, nachdem ihm gestern mehrere Kollegen angeraten haben, die entsprechenden Untersuchungen noch einmal nachzulesen, bis zum
heutigen Tag immer noch nicht geschafft hat, dies zu
tun, und er immer noch seine falschen Behauptungen
aufrechterhält.
({0})
Um das noch einmal klar zu sagen: Die Statistik, die
Herr Birkwald zitiert, ist eine Aufstellung der Rentenbezugsdauer bereits verstorbener Rentnerinnen und Rentner;
({1})
„Rentenwegfälle“ heißt, diese Damen und Herren sind
verstorben. Sie sagt nichts über die Rentnerinnen und
Rentner aus, die immer noch munter leben und in
Deutschland Rente beziehen.
Ich zitiere aus einer Untersuchung der Deutschen
Rentenversicherung Bund zur Lebenserwartung aus dem
Jahr 2008. Zusammenfassend kommen die Forscher zu
dem Ergebnis:
Die Mortalitätsanalyse für Männer auf Grundlage
der Daten des Forschungsdatenzentrums der Rentenversicherung … zeigt, dass die Lebenserwartung
im Alter 65 und älter in allen Entgeltgruppen
- also in allen Verdienstgruppen zunimmt und sich die Sterblichkeit im Zeitraum
von 1994 bis 2006 um über 26 % verringert.
({2})
Das heißt, in allen Entgeltgruppen steigt die Lebenserwartung. Das ist eine erfreuliche Nachricht. Was Herr
Birkwald erzählt, ist schlichtweg die Unwahrheit.
({3})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss dieser Debatte will ich noch einmal das festhalten, was Frau
Kollegin Gleicke zu Beginn der Debatte gesagt hat. Die
Rentenüberleitung im Zusammenhang mit der Verwirklichung der deutschen Einheit war und ist die größte sozialpolitische Leistung Deutschlands in seiner jüngeren
Geschichte, auf die wir gemeinsam stolz sein können.
({4})
Hätten wir die Rentnerinnen und Rentner in der ehemaligen DDR nur mit den Ansprüchen, die sie erworben haben, in das vereinte Deutschland übernommen, dann
würden sie alle heute am Hungertuch nagen und könnten
von ihrer Rente nie und nimmer leben.
Deswegen ist es eine großartige Leistung, dass wir es
mit der Vereinheitlichung des Rentenrechts geschafft haben, dass die Rentnerinnen und Rentner, die in der ehemaligen DDR gerade einmal 30 bis 40 Prozent ihres
durchschnittlichen Arbeitseinkommens als Rente erhalten haben, also eine Minirente, im ersten Jahr nach der
Vereinigung bereits auf 35 Prozent einer Westrente
hochgewertet wurden und heute rund 89 Prozent einer
Westrente erhalten. Diese Steigerung der Rentenansprüche in den neuen Bundesländern ist eine der großen Solidarleistungen der Deutschen, die wir an diesem Tag, an
dem wir auf 20 Jahre Rentenüberleitung zurückschauen,
würdigen und anerkennen sollten.
({5})
Es ist ja nicht so, dass sich die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer und die Rentnerinnen und Rentner im
Westen jeden Tag erfreut darüber geäußert hätten, dass
sie diese Solidarleistung erbringen, aber sie haben sie erbracht. Ich glaube, deswegen ist der heutige Tag ein Tag,
an dem wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
in Deutschland, die mit ihren Beiträgen zu dieser großartigen Solidarleistung beigetragen haben, ein herzliches
Dankeschön sagen sollten. Danke, deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für diese großartige Solidarleistung in den letzten 20 Jahren.
({6})
Peter Weiß ({7})
Nun muss man in dieser Debatte noch einmal sagen:
In der Tat behandeln wir Arbeitnehmer Ost und Arbeitnehmer West - das ist die Methodik des Renten-Überleitungsgesetzes - nicht gleich. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wenn im Westen jemand einen Jahresverdienst
von 34 000 Euro hat, dann erwirbt er mit seinen Beiträgen einen Entgeltpunkt in der Rentenversicherung. Im
Osten reichen bereits 26 900 Euro Jahresverdienst, um
einen Entgeltpunkt in der Rentenversicherung zu bekommen.
({8})
Das ist eine Höherwertung. Das heißt, wir stellen ihn
rentenrechtlich besser, und zwar gerade deswegen, weil
er in einer Region lebt, in der durchschnittlich weniger
als im Westen verdient wird. Das wird leider von vielen
verschwiegen.
Beim Rentenwert, das heißt beim Zahlbetrag, mit
dem diese Entgeltpunkte multipliziert werden, gibt es allerdings noch einen Unterschied, der aber mittlerweile
zusammengeschmolzen ist. Der Rentenwert Ost beträgt
fast 90 Prozent vom Rentenwert West. Die Methodik des
Renten-Überleitungsgesetzes war: Wenn sich die Löhne
angleichen, dann entfällt die Höherwertung und dann
werden auch die Rentenwerte Ost und West gleich. Das
war die Idee.
({9})
Das heißt, unser gemeinsames Ziel war von Anfang
an und ist auch heute - wir sollten das hier nicht auseinanderdiskutieren -: Wir wollen ein gleiches Rentenrecht in Ost und West. Gleiche Entgelte bewirken die
gleiche Rente in Ost und West: Das ist unser gemeinsames Ziel.
({10})
- Frau Kollegin Gleicke, wir haben uns das schon in der
Großen Koalition - das ist gerade zwei Jahre her - vorgenommen. Wir haben festgestellt, dass der Anpassungsprozess zwischen Ost und West ins Stocken geraten ist
({11})
und das eigentliche Ziel des Renten-Überleitungsgesetzes, dass beide Werte gleich sind, möglicherweise nicht
erreicht werden kann.
({12})
Der Kollege Rehberg hat vorhin ausgeführt: Gott sei
Dank ist der Angleichungsprozess zwischen Ost und
West wieder in Gang gekommen. Die Rentenwerte gleichen sich wieder an. Nächstes Jahr sind wir wieder einen
Schritt weiter.
({13})
- Nein. - Deswegen muss man sich sehr genau überlegen, ob man die Höherwertung der Entgeltpunkte Ost
abschafft, aber für alle in Deutschland den gleichen Rentenwert anwendet, weil sich nämlich diejenigen, die bei
dieser Operation etwas dazugewinnen, nicht bedanken
werden, aber diejenigen, die dabei etwas verlieren werden, sehr wohl zu Protesten aufrufen werden.
({14})
Wir sollten eine Lösung finden, bei der möglichst viele
- ich sage: möglichst alle - mit der Rentenangleichung
zwischen Ost und West gut fahren und mit uns als Gesetzgeber zufrieden sein werden. Das muss unser Ziel
sein.
({15})
Wenn man heute Knall auf Fall sofort gleiche Entgeltpunkte Ost und West einführen würde, würden sich viele
Rentnerinnen und Rentner wundern, dass dabei nicht
mehr, sondern weniger für sie herauskommt. Das wollen
wir nicht. Eckhardt Rehberg hat deutlich gesagt: Wir
wollen nicht, dass Rentnerinnen und Rentner im Osten
oder im Westen Deutschlands durch die Angleichung einen Verlust erleiden.
({16})
Wenn wir das machen, was die Linken wollen, dann
würde jemand, der im Osten das Gleiche verdient wie jemand im Westen, automatisch eine höhere Rente als jemand im Westen bekommen. „Vielen Dank“, sagen dann
die Rentnerinnen und Rentner im Westen, und sie fragen: Wenn ich mit dem gleichen Verdienst im Osten eine
höhere Rente bekomme, wo ist dann die Gerechtigkeit?
({17})
Deswegen ist der Prozess der Angleichung, den wir
durchführen müssen, so schwierig.
Herr Kollege, wollen Sie Ihre Redezeit verlängern?
Der Kollege Birkwald will Sie etwas fragen.
Gut. Wenn er es immer noch nicht verstanden hat,
dann lese ich es ihm gerne noch einmal vor.
Gut. Wiederholung ist die Mutter der Weisheit.
Herr Kollege Weiß, wir machen das jetzt an einer anderen Stelle fest. Sie haben eben behauptet, dass das
durchschnittliche Jahresarbeitsentgelt 34 000 Euro be18036
trüge und jemand dafür in der Rentenversicherung einen
Entgeltpunkt bekäme.
Ich habe jetzt bei der Rentenversicherung nachgeschaut. Da steht: Durchschnittliches Jahresarbeitsentgelt
2010: 31 144 Euro, 2011: 30 268 Euro und 2012 - das ist
natürlich wie für 2011 geschätzt, weil die Daten noch
nicht vorliegen können -: 32 446 Euro. Sie haben die
Zahl von 34 000 Euro genannt. Deswegen bitte ich Sie,
zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie das mit den Zahlen
nicht so richtig gut können.
({0})
Herr Kollege, bitte.
Also, damit der Kollege Birkwald zufrieden ist, Herr
Präsident, erlaube ich mir, ihm jetzt mit den Zahlen zu
antworten, die wir aus dem letzten Jahr, 2010, haben.
({0})
2010 hat ein Versicherter im Westen mit einem Jahresverdienst von 32 000 Euro einen Entgeltpunkt im Westen erworben.
({1})
Ein Versicherter im Osten mit einem Jahresgehalt von
26 900 Euro hat einen Entgeltpunkt im Osten erworben.
({2})
Das heißt, sein Verdienst ist höher gewertet worden als
der im Westen, damit die Differenz der Löhne zwischen
Ost und West ausgeglichen wird. Das ist das, was ich gesagt habe, zu dem ich stehe, was auch richtig ist.
({3})
Wenn es ein echtes Problem gibt, dann ist es die Tatsache in Ost und West, dass jemand mit geringen Verdiensten trotz eines langen Arbeitslebens möglicherweise keine auskömmliche Rente erhält. Genau deswegen
haben wir uns in der Koalition zu einem Regierungsdialog entschlossen, um ein Modell zu entwickeln, mit dem
wir Geringverdienern, die lange gearbeitet und in die
Rentenversicherung eingezahlt haben, ein Rentenniveau
sichern wollen, das es möglich macht, seinen Lebensabend ohne einen Antrag beim Grundsicherungsamt zu
verbringen. Diese Problemstellung will die Koalition in
der Tat angehen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir
können stolz sein auf das Erreichte, was die Rentenangleichung anbelangt. Wir haben noch einen Weg vor uns.
Wir sollten ihn so gestalten, dass es keine Verlierer - weder im Osten noch im Westen - gibt, sondern dass wir allen Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland eine
wirklich gute Zukunft garantieren können.
Ich wünsche den Rentnerinnen und Rentnern und Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein gesegnetes
Weihnachtsfest und Gottes Segen für das neue Jahr.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/6486, 17/6487 und 17/7034 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offen-
sichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 30 a und b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand
der Deutschen Einheit 2011
- Drucksache 17/7711 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Staatsminister für Ostdeutschland bestellen
- Drucksachen 17/5522, 17/6242 Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Behrens ({2})
Daniela Kolbe ({3})
Patrick Kurth ({4})
Frank Tempel
Wolfgang Wieland
Zum Jahresbericht der Bundesregierung liegen ein
Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Auch
hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir
so.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Christoph Bergner.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir im vergangenen Jahr anlässlich des 20. Jahrestages der deutschen
Einheit einen umfänglichen Jubiläumsbericht, wie ich
ihn fast nennen möchte, vorgelegt haben, haben wir uns
nach Gesprächen mit Parlamentariern unterschiedlicher
Fraktionen entschlossen, in diesem Jahr den Bericht
straffer zu fassen und uns im Rahmen der Berichterstattung auf aktuelle Handlungsnotwendigkeiten bzw. auf
notwendige Handlungsstrategien zu konzentrieren.
Dabei ist klar, dass das, was mit Blick auf die Zukunft
gesagt werden muss, vor dem Hintergrund einer außerordentlich erfolgreichen Entwicklung erfolgt. Die Transformation Ostdeutschlands in eine Marktwirtschaft ist
abgeschlossen. Die Unternehmen in Ostdeutschland sind
heute wettbewerbsfähig. Die allgemeinen Lebensbedingungen gleichen denen in Westdeutschland weitgehend.
In einer gutachterlichen Stellungnahme von Professor
Rüdiger Pohl heißt es: Die wirtschaftlichen Lebensbedingungen der Menschen in Ostdeutschland entsprechen heute weitgehend denen in Westdeutschland. Das
betrifft die Verfügbarkeit und Qualität von Produkten,
die Infrastruktur, den Umweltschutz, Wohnraum, medizinische Versorgung, Alterssicherung und Bildungsangebote.
Diese Feststellung ist in einem Gutachten enthalten,
das vorgelegt wurde, als wir uns auf Einladung der koreanischen Regierung in Seoul befanden. Es ist der dringende Wunsch der koreanischen Regierung gewesen,
von der deutschen Einheit zu lernen und deshalb ein
deutsch-koreanisches Konsultationsgremium zu Fragen
der deutschen Einheit zu gründen. Ich sage das nur deshalb, weil das deutsche Erfolgsmodell offenbar so interessant ist, dass man es von außen durchaus als ein Beispiel für die Lösung ähnlicher Probleme betrachtet.
({0})
So viel gewissermaßen als Hintergrund der Erfolge,
auf die wir verweisen können und auf die wir auch stolz
sein sollten.
Nun komme ich zu den aktuellen Handlungserfordernissen, die noch vorhanden sind, und den Handlungsstrategien, die damit verbunden sind. Die vollständige Konvergenz, insbesondere die des Produktionsniveaus, ist
noch nicht erreicht. Wir haben viele infrastrukturelle und
andere Projekte abgeschlossen. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der ostdeutschen Bevölkerung liegt noch
immer circa 25 Prozent unter dem der westdeutschen. In
einigen Anträgen, die von den Oppositionsfraktionen
eingebracht wurden, wird zu Recht darauf verwiesen,
dass sich diese Quote über einen relativ langen Zeitraum
kaum verändert hat. Die entscheidende und wichtige
Frage, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben, lautet: Wie interpretieren wir diese Lücke von 25 Prozent,
und wie gehen wir mit ihr um? Diese Frage hat eine
grundsätzliche Bedeutung, die bis hin zur Rentendiskussion, die beim vorherigen Tagesordnungspunkt geführt
wurde, reicht. Ist diese Produktivitätslücke zwischen Ost
und West vergleichbar mit den Unterschieden zwischen
den westlichen Bundesländern, beispielsweise zwischen
Hamburg und Schleswig-Holstein - der Wert von Hamburg liegt deutlich über dem von Schleswig-Holstein -,
oder ist diese Lücke Ausdruck eines Aufholbedarfes,
den wir immer noch haben?
Ich glaube, wir sind uns hier im Hause einig, dass
diese Lücke immer noch Ausdruck eines Aufholbedarfes
ist, den wir managen wollen. Wenn dem so ist - jetzt
komme ich zur Rentendiskussion -, dann müssen wir
feststellen, dass die Rentenentwicklung an die Lohnund Gehaltsentwicklung gekoppelt ist. Es gilt immer
noch Art. 30 des Einigungsvertrages, in dem es heißt,
dass mit der Angleichung der Löhne und Gehälter die
Renten angeglichen werden sollen.
({1})
- Moment! - Deswegen habe ich eine große Skepsis gegenüber den Empfehlungen des Sachverständigenrates,
die aus meiner Sicht - übrigens auch ein Vorschlag der
Grünen - den Eindruck erwecken, als ob der Unterschied von 25 Prozent ein sozusagen natürlicher Unterschied wäre, wie wir ihn auch zwischen den westdeutschen Ländern finden. Insofern hat mich die Sächsische
Zeitung durchaus richtig zitiert. Ich sehe den Hauptschwerpunkt der Arbeit darin, die Angleichung der
Löhne und Gehälter zu erreichen, damit wir auf diesem
Wege die Angleichung auch der Renten erhalten.
({2})
Das ist für mich der zentrale Ansatzpunkt.
Ich will noch einmal sagen, dass sich bei manch einem, der beim einheitlichen Rentenwert das Pathos der
deutschen Einheit bemüht - das trifft keinen hier im
Hause -, feststellen lässt, dass sein Problem nicht der
niedrigere Rentenwert, sondern die Höherbewertung der
ostdeutschen Einkommen ist. Wegen dieser Diskussion
bestehe ich darauf, dass in der Frage des Vorrangs im
Sinne des Einigungsvertrages zu handeln ist. Wie immer
wir Termine in der Zukunft, wie sie Frau Gleicke genannt hat, festlegen, ist eine ganz andere Frage. Dies ist
ein wichtiger Aspekt, der aus meiner Sicht Beachtung
verdient.
Damit ist eine andere Frage verbunden.
Herr Kollege, Sie müssen allmählich zum Ende kommen.
Das ist bei der Komplexität der Fragestellung außerordentlich misslich. Ich habe gehofft, dass mir Fragen
gestellt werden; dann hätte ich auf diese Weise mehr darstellen können. Herr Präsident, ich will bloß noch stich18038
punktartig vortragen, damit wenigstens die Logik meiner
Gedanken zum Ausdruck kommt.
Wenn es noch immer eine Produktivitätslücke von
25 Prozent gibt, dann müssen wir analysieren, welche
Ursachen diese Produktivitätslücke hat. An dieser Stelle
müssen wir mit unserer Förderpolitik ansetzen.
({0})
Die Treiber der Entwicklung sind andere als in den 90erJahren; damals lag das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf
im Osten Deutschlands bei 43 Prozent des westdeutschen Werts. Ich nenne als Stichwort die Kleinteiligkeit
der ostdeutschen Wirtschaft und die gesamten damit verbundenen Besonderheiten.
Meine Damen und Herren, da ich mich genötigt gesehen habe, auf die Rentendiskussion einzugehen, habe ich
leider nicht die Gelegenheit, die Dinge im Gesamtzusammenhang darzustellen; aber ich will wenigstens noch
an meine Eingangsworte anknüpfen. Ich habe deutlich
gemacht, dass wir es mit einer Erfolgsgeschichte zu tun
haben, um deren Vollendung es uns jetzt im Einzelnen
geht.
Ich vergleiche diese Vorweihnachtstage mit der Situation in der Vorweihnachtszeit des Jahres 1988, die ich
mit meiner Familie in der ehemaligen DDR erlebt habe.
Da fällt es mir nicht schwer, davon zu reden, dass die
letzten 20 Jahre ein gewaltiger Erfolg waren, und Ihnen
allen aus voller Überzeugung eine gesegnete Weihnacht
zu wünschen.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat nun Iris Gleicke für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Euro-Krise und die Debatte darüber, was die Politik gegen die Finanzmärkte ausrichten kann, überschatten so
gut wie alles. Da kommt der Aufbau Ost fast etwas verschämt und so gut wie unbemerkt daher. Dazu passt,
dass der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand
der Deutschen Einheit 2011 am letzten Sitzungstag in
der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten quasi abgefrühstückt wird. Die Rede, die wir gerade gehört haben,
verstärkt diesen Eindruck bei mir noch.
({0})
Bloß nicht zu viel Aufmerksamkeit, nicht zu viel Öffentlichkeit; es gibt schließlich immer weniger zu verteilen. Das ist das stille Eingeständnis dieser Bundesregierung, sich vom Aufbau Ost längst verabschiedet zu
haben.
({1})
Meine Damen und Herren, wer Ihr Märchenbuch aufschlägt, findet dort romantische Lyrik von einzigartiger
Bedeutungslosigkeit. Da ist der Aufbau Ost nunmehr an
einer besonderen Wegmarke angekommen und ist die
Vervollkommnung der deutschen Einheit auf bestem
Wege.
({2})
Ich finde es ja in Ordnung, die Erfolge zu würdigen; aber
man muss schon bei der Wahrheit bleiben, und damit
meine ich die ganze Wahrheit. Zu dieser Wahrheit gehört, dass die ostdeutsche Wirtschaftskraft seit Jahren
bei 73 Prozent des Westniveaus stagniert. Zur Wahrheit
gehört auch, dass das Produktivitätsniveau ebenfalls seit
Jahren bei 80 Prozent des Westniveaus verharrt. Im Vergleich zu den strukturell schwächeren westdeutschen
Ländern, zu denen der Osten nach Ihrer Lesart längst
aufgeschlossen hat, ist der Produktivitätsabstand sogar
noch größer geworden.
Dabei ist ganz zu schweigen vom ostdeutschen Arbeitsmarkt, der dem in den westdeutschen Ländern nach
wie vor hinterherhinkt. Natürlich sind die Aussichten auf
dem Arbeitsmarkt besser geworden. Natürlich ist die Arbeitslosenquote zurückgegangen; aber man ist eben noch
längst nicht auf Augenhöhe mit dem Westen. Die Arbeitslosigkeit im Osten ist fast doppelt so hoch, und die
Langzeitarbeitslosigkeit dort ist verfestigt. Dazu findet
sich in Ihrem Bericht kein einziges Wort.
({3})
Sie setzen offenbar darauf, dass die demografische Entwicklung den weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit
bewerkstelligen wird. Ich finde das zynisch.
({4})
Im Osten müssen die Menschen nach wie vor ungleich höhere Hürden für den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt überwinden, weil sie zum Teil schon 10, 15,
20 Jahre lang arbeitslos sind. Statt zu handeln, kürzen
Sie eiskalt die Eingliederungshilfen für Langzeitarbeitslose: im kommenden Jahr um 600 Millionen Euro, und
im Jahr 2013 werden es 800 Millionen Euro sein.
Reden wir einmal über die Angleichung der Löhne;
sie hat auch in der vorherigen Debatte eine Rolle gespielt.
({5})
Die Ostdeutschen können auch davon ein Lied singen. Je
nach Branche sind die Löhne um 15 bis 30 Prozent unter
Westniveau. Das ist eben kein Standortvorteil Ost, sondern die Hauptursache für die Abwanderung aus Ostdeutschland, und das führt mittlerweile zu einem dramaIris Gleicke
tischen Fachkräftemangel. Wann kapieren Sie das
eigentlich?
({6})
Sie spielen nach wie vor das alte Lied von der Bescheidenheit und der Zurückhaltung auf der Arbeitnehmerseite; dann werde schon irgendwie alles gut werden.
Wir haben aber keine Lust mehr auf dieses Lied. So
geht’s nicht weiter. Wo bleibt Ihr Einsatz für eine höhere
Tarifbindung? Wo bleibt Ihr Einsatz für anständige
Löhne in Ostdeutschland?
({7})
Jetzt wollen Sie von der CDU ja so eine Art Mindestlohn light erfinden. Sie nennen das „Einführung von
Lohnuntergrenzen“.
({8})
Diese sollen aber nach Branchen und Regionen unterschiedlich gestaltet werden. Wenn das wirklich so kommen würde, was der liebe Gott und die Opposition in
diesem Hause verhindern mögen, dann würden die Ostdeutschen wieder in die Röhre gucken, dann würden die
Unterschiede zwischen Ost und West selbst bei Mindestlöhnen zementiert. Das ist definitiv nicht hinzunehmen.
({9})
Wo bleibt hier eigentlich, Herr Lindner, der Wert der
Arbeit? Entscheidet allein der Ort in unserem Land über
den Preis, über den Wert, über Gewinner oder Verlierer?
Bedeutet Regensburg oben und Finsterwalde unten? Ist
der ostdeutsche Zeitarbeiter, die ostdeutsche Pflegekraft
oder der ostdeutsche Ingenieur auch 21 Jahre nach der
deutschen Einheit immer noch nicht ganz so viel wert in
diesem Land? Es ist doch unser gemeinsames Land.
({10})
Das ist nicht das Land, das Sie in Ihrem Bericht beschreiben. Ich hätte mir eher eine ehrliche Bestandsaufnahme gewünscht. Ich hätte ein paar Hinweise zur Entwicklung der Einkommen und der Renten wirklich gut
gefunden, stattdessen Vertröstungen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, stattdessen viel heiße Luft und Zuckerguss.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage zur
Verlängerung Ihrer Redezeit?
Aber gerne.
Bitte.
Frau Kollegin, Sie sind ja eine große Verfechterin der
deutschen Einheit, wie ich gerade festgestellt habe. Wie
beurteilen Sie es denn - dazu hätte ich gerne eine Meinung von Ihnen -, dass der Mann, der aus Leipzig kommend die deutsche Einheit im Herzen getragen hat, nämlich unser ehemaliger Bundesverkehrsminister
Tiefensee, heute an dieser Debatte nicht teilnimmt, was
ich sehr schade finde? Ist das nur Zeitmangel, oder ist
das Desinteresse? Und: Was sind die herausragenden
Leistungen von Wolfgang Tiefensee für die deutsche
Einheit gewesen?
({0})
Herr Kollege, Ihre Zwischenfrage macht eigentlich
deutlich, auf welchem Niveau Sie dieses Thema diskutieren.
({0})
Auch die Zwischenrufe von Herrn Lindner machen das
übrigens sehr deutlich. Meine Großmutter hat immer gesagt: Getroffene Hunde bellen.
({1})
Ich sehe in Ihren Reihen sehr viele Lücken. Auch viele
der ehemals ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen auf
Ihrer Seite sind nicht hier.
({2})
Insofern ist es so: Wer mit dem Finger auf andere zeigt,
auf den zeigen vier Finger zurück. Insofern sollten Sie
sich ganz einfach schämen,
({3})
dass Sie offensichtlich nicht in der Lage sind, eine vernünftige Debatte zu führen, sondern hier nur Klamauk
veranstalten und solche Zwischenfragen stellen.
({4})
Für den Ausblick - jetzt kommen wir noch einmal zu
dem Bericht zum Stand der Deutschen Einheit - bzw. für
die Antwort auf die Frage, wie es weitergehen soll mit
dem Aufbau Ost, ist auf den insgesamt 110 Seiten gerade
einmal eine halbe Seite Platz. Ich kann ja verstehen, dass
Ihnen das peinlich ist. Niemand erwartet Wunder von Ihnen. Niemand erwartet Patentrezepte und niemand ein in
allen Regionen wirksames Allheilmittel. Gerade für die
Entwicklung Ostdeutschlands gilt das gute Wort Willy
Brandts: Lieber kleine Schritte als große Sprünge. - Sie
machen aber einfach gar nichts. Sie haben den Aufbau
Ost von der Tagesordnung genommen. Der Osten ist Ihnen egal.
({5})
Das zeigt sich an einer nur noch mühsamen und wenig verlässlichen Förderpolitik. Das zeigt sich an den
brutalen und unverschämten Kürzungen auch beim Stadtumbau Ost und beim Programm „Soziale Stadt“, übrigens von besagtem Minister Tiefensee mit eingeführt
und viele Jahre gefördert. Sie kürzen all das zusammen.
So jedenfalls geht Aufbau Ost nicht. So wird das nichts
mit der Vollendung der deutschen Einheit.
Die Ostdeutschen können auf das Erreichte stolz sein.
Von einer wirklichen Angleichung der Lebensverhältnisse sind wir aber nach wie vor entfernt. Diese Bundesregierung hat sich von diesem Ziel verabschiedet. Sie
setzen die gesamtdeutsche Solidarität zugunsten partikularer Interessen wissentlich aufs Spiel. Das ist eine
Schande.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat nun Patrick Kurth für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Gleicke, Sie können das wirklich deutlich konstruktiver. Das war kein Beitrag, der uns weitergebracht hat.
({0})
- Nein, das ging am Thema vorbei.
In diesem Jahr wurde der alljährliche Bericht zur
Deutschen Einheit an einem ganz besonderen Tag herausgebracht, am 9. November, also genau 22 Jahre nach
dem Mauerbau.
({1})
- Entschuldigung! Nach dem Mauerfall natürlich. - In
diesen 22 Jahren hat der Osten enorm aufgeholt: Die Infrastruktur ist auf dem neuesten Stand, bei der Wirtschaftskraft wurde enorm aufgeholt, die Lebenserwartung und der Wohlstand sind gestiegen.
Die Arbeitslosigkeit - lange das größte Sorgenkind
und zeitweise doppelt so hoch wie im Westen - ist stark
zurückgegangen, insbesondere in den letzten zwei Jahren. Mein Heimatland Thüringen hat kürzlich das größte
Bundesland überhaupt - Nordrhein-Westfalen - bei der
Arbeitslosigkeit eingeholt bzw. überholt. Auch so etwas
muss man als Thüringer hier einmal sagen dürfen.
({2})
Was nicht so oft ausdrücklich genannt wird, ist die
ungeheure Flexibilität, die den Osten auszeichnet. Die
Menschen haben sich in kürzester Zeit einem völlig
neuen System angepasst, neue Berufe erlernt, neue Sprachen gelernt und Umzüge in Kauf genommen. Eine moderne Gesellschaft verändert sich. Darin unterscheidet
sich der Osten vielleicht ein wenig von manchen Regionen im Westen, wo wir mit grüner Besitzstandswahrung,
mit, na ja, einer gewissen Wohlstandsdestruktivität und
zum Teil mit einer erheblichen Fortschrittsverweigerung
nicht richtig vorankommen.
Gerade bei den baulichen Gegebenheiten im Osten
- das gilt für den Autobahnbau, Bahnhofsbauten usw. ist es so, dass die Planungs- und Verwaltungsvorgänge
sowie Ähnliches sehr schnell vonstattengingen. Peter
Röhlinger zum Beispiel hat in Jena gemeinsam mit
Lothar Späth den Grundstein für die Goethe-Galerie gelegt, ohne dass der Bauantrag von der eigenen Verwaltung bestätigt worden war. Auch das zeigt Flexibilität;
da ist man nach vorne gegangen.
({3})
Diese Flexibilität und dieser Einfallsreichtum sind
heute gefragt, gerade in Zeiten der Krise. Da kann man
vom Osten lernen und profitieren.
Trotzdem haben wir noch große Herausforderungen
zu bewältigen. Die Wirtschaftskraft muss weiterhin in
den Fokus genommen werden. Wir haben eine kleinteilige Wirtschaftsstruktur. Richtig ist, dass der Osten von
kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt ist.
Die Konzernzentralen - damit oftmals übrigens die Forschungsabteilungen und die sehr guten Arbeitsplätze für
Hochqualifizierte - befinden sich im Westen. Das ist
schwierig. Ich finde, da muss der Staat auch eine gewisse Verantwortung übernehmen, wenn die Konzerne
das an der Stelle so nicht leisten können. Natürlich ist es,
insgesamt gesehen, auch kein großer Beitrag, dass sich
die Deutsche Bahn als einziger DAX-Konzern im Osten
befindet. Sie ist nämlich hier in Berlin vom Potsdamer
Platz an den Nordbahnhof gezogen. Das ist schwierig
und nicht hinzunehmen.
Darin liegt aber auch eine Chance. Die kleinen Unternehmen sind beispielsweise viel flexibler als große. Sie
haben ihre Strukturen sehr schnell modernisiert, sind sehr
wendig und auch innovativ. Überhaupt ist das Netzwerk
von außeruniversitären Forschungseinrichtungen gerade
im Osten sehr stark. Die Ingenieure aus aufgelösten ehemaligen Kombinaten haben sich in wirtschaftsnahen Forschungsinstitutionen etabliert. Das sind kleine, sehr
schnelle „Kampfeinheiten“ - wenn man so möchte -, die
den Mittelständlern, die keine Forschungsleistung erbringen können, unwahrscheinlich viel helfen.
Auf einer Konferenz des Verbandes Innovativer Unternehmen wurde kürzlich gesagt - ich wusste das gar
nicht; vielleicht wissen Sie es auch nicht -: Kleine UnPatrick Kurth ({4})
ternehmen im Osten mit weniger als 50 Mitarbeitern haben deutschlandweit die größte Innovationskraft bei
Marktneuheiten. - Marktneuheiten kommen also zum
überwiegenden Teil von kleinen Unternehmen im Osten
mit weniger als 50 Mitarbeitern. Das fand ich außerordentlich erstaunlich. Ich wusste das nicht; dazu sage ich
aber: Herzlichen Glückwunsch!
({5})
Meine Damen und Herren, ich fand sehr wichtig, was
diese Bundesregierung umgestellt hat. Sie stellte von einem reinen Ressortdenken „Aufbau Ost“ - dabei ging es
vor allen Dingen um Bauen, nur im Osten - auf ein Denken in Richtung einer gesamtdeutschen Herausforderung
um. Das ist es ja auch. Wir haben ein demografisches
Problem in Gesamtdeutschland. Das wird zuerst den Osten betreffen, und zwar viel stärker und intensiver als
Westdeutschland. Insofern muss die Bundespolitik natürlich darauf reagieren.
Wir haben in diesem Zusammenhang mehrere Konzepte vorgelegt: So wurden gemeinsam mit den ostdeutschen Ländern Handlungskonzepte erarbeitet und in
diesem Herbst herausgebracht. Wir haben den Demografiebericht vorgelegt. Das ist ein sehr wichtiger Bericht, an dem alle Ressorts mitgearbeitet haben. Anfang
nächsten Jahres wird die Demografiestrategie der Bundesregierung herauskommen.
Damit haben wir - was ich sehr wichtig finde - Folgendes erreicht: erstens eine Abkehr von der bisherigen
staatlichen Reaktion auf die Folgen der älter werdenden
Gesellschaft, zweitens die Einbeziehung aller Fachbereiche und drittens eine Betrachtung der Problematik im
gesamtdeutschen Kontext. Das ist eine ganz erheblich
andere Weichenstellung, als sie in den Jahren zuvor unter den mittlerweile unbekannten Ostministern Tiefensee
und Schwanitz erfolgt ist.
({6})
Meine Damen und Herren, wir setzen nicht auf Rückbau, sondern wir setzen jetzt auf Modernisierung. Wir
setzen darauf, dass das verkehrliche Leben auch in ausgedünnten und überalterten Regionen aufrechterhalten
wird. Wir setzen insbesondere darauf, dass die Dezentralität der Energieversorgung gewährleistet werden kann
und entsprechend aufgebaut wird. Mit diesem Konzept
wird die Sicherung der privaten und öffentlichen Infrastruktur in allen Regionen gelingen. Das ist eine riesige
Herausforderung. Wir stellen uns dieser Herausforderung.
Vorhin haben wir über das Lohnniveau gesprochen.
Ich möchte es noch einmal deutlich machen: Der Osten
hat ein erheblich niedrigeres Lohnniveau als der Westen.
In Thüringen verdient man am wenigsten, muss dafür
aber statistisch gesehen am längsten arbeiten. Das verstehen wir nicht. Auf der anderen Seite sind wir in Thüringen sehr arbeitsfreudige Menschen.
Eines ist aber außerordentlich wichtig: Wenn wir als
Koalition beispielsweise einen Plan zur Entlastung ebendieser kleinen und mittleren Einkommen vorlegen und
sagen: „Wir wollen den Mittelstandsbauch und die kalte
Progression eingrenzen und bekämpfen,
({7})
wir wollen das umsetzen, was in Ihrem Wahlprogramm
zur kalten Progression steht“, und das im Bundestag beschließen, dann freuen wir uns darauf, beim Aufbau Ost
gemeinsam voranzugehen und auch im Bundesrat in Bezug auf die Steuersenkung im nächsten Jahr eine überwiegende Mehrheit zu erzielen.
({8})
Der BKM ist gerade da, darum will ich ganz schnell
sagen - auch wenn ich eigentlich keine Zeit mehr habe -:
Auch dem BKM sei gedankt für die Aufbau- und Aufarbeitungsleistung. Wir geben erhebliche Summen für die
Aufarbeitung aus.
Der Bundesrat hat ein ganz schwieriges Signal an den
Westen ausgesendet. Als wir das Stasi-Unterlagengesetz
verlängert haben, haben die Ostländer auf Drängen der
SPD dagegen gestimmt.
({9})
Im Westen haben das SPD-regierte Hamburg und das
SPD-mitregierte Baden-Württemberg dafür gestimmt.
Ich sage Ihnen: Das ist ein sehr schwieriges Signal. Wollen wir einen Schlussstrich ziehen unter die DDR-Folgen?
({10})
Dann reden wir nämlich ganz schnell auch über den Solidarpakt.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Davor will ich warnen. Überlegen Sie wirklich, wie
Sie politisch wo handeln und wo nicht. An dieser Stelle
haben Sie falsch gehandelt.
Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten. Auf eine gute
Zusammenarbeit im nächsten Jahr!
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Dietmar Bartsch für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Woche - kurz vor Weihnachten sehr spannende Debatten zur Europapolitik und zur Finanzpolitik gehabt. Wir haben alle gemeinsam feststellen können, dass die Bundesregierung all diese Dinge
nicht im Griff hat und dass sie nicht weiß, welchen Kurs
sie einschlagen soll.
Heute, beim Bericht zum Stand der deutschen Einheit
2011, ist zu konstatieren: Diese Bundesregierung kann
auch deutsche Einheit nicht.
({0})
Was Herr Bergner hier geboten hat, war wirklich eine
Luschenrede. Damit repräsentiert er die Ostdeutschen
keinesfalls.
Der Jahresbericht, den Sie vorlegen, ist immer noch
sehr umfangreich. Er ist sehr spät eingereicht worden,
und er ist vor allen Dingen ausgesprochen einseitig. Die
Defizite werden entweder überhaupt nicht benannt, oder
sie werden so dargestellt, als wenn das Ganze trotz einer
sehr weisen Politik der Bundesregierung so sein müsste.
Ich kann nur eines ganz klar sagen: Das erinnert mich
fatal an Erfolgsbilanzen und Erfolgsgeschichten, die ich
mir vor 1989 hin und wieder anhören musste.
({1})
Die Linke widerspricht dieser selbstgefälligen Darstellung entschieden. Ich will Ihnen auch ganz klar ohne
Wenn und Aber sagen: Wir ignorieren überhaupt nicht
die positiven Entwicklungen. Davon gibt es eine ganze
Menge. Das ist auch die Gelegenheit, den Ostdeutschen
und den Westdeutschen Danke zu sagen für den solidarischen Beitrag, den sie geleistet haben.
Ein Blick auf die Infrastruktur in Ostdeutschland
zeigt, dass sie sich wirklich sehen lassen kann. Wir können alle gemeinsam stolz sein auf das Erreichte;
({2})
aber es ist - das ist klar und eindeutig - kein Verdienst
der Bundesregierung.
({3})
Um Ihnen ein anderes Beispiel zu nennen: In dem Bericht steht, dass die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder
in den neuen Ländern besser sind. Das ist doch wunderbar. Warum können wir nicht den Westdeutschen einmal
die Gelegenheit geben, auf Ostniveau gehoben zu werden?
({4})
Warum schaffen wir es nicht, dass das auch in den alten
Ländern durchgesetzt wird? Da können Sie doch nicht
das Gegenteil machen, also die ostdeutschen Länder finanziell strangulieren und ihnen so die Möglichkeit nehmen, das zu finanzieren. Entscheidend ist: Die Defizite,
die es gibt, existieren auch wegen der Politik dieser Bundesregierung und ihrer Vorgängerin. Die Menschen in
den neuen Ländern werden auch nach gut 20 Jahren
deutscher Einheit bei vielen Fragen hingehalten. Sie haben natürlich das Gefühl, dass dies die klassische CDUPolitik des Aussitzens ist.
Wir können doch klar und deutlich feststellen: Die Lücke zwischen Ost und West bei der ökonomischen Leistungskraft und bei den Lebensverhältnissen ist weiterhin
erheblich. Ich will Ihnen einige Fakten nennen - darauf
wurde eingegangen -: Die Erwerbslosenquote betrug im
November 2011 in den alten Ländern 5,5 Prozent, in den
neuen Ländern 10,2 Prozent; das ist immer noch nahezu
das Doppelte. Wenn man zudem feststellt, dass der Anteil
des Niedriglohnsektors in den neuen Ländern doppelt so
groß ist wie in den alten Ländern, dann wird der Skandal
deutlich. Das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“
muss doch wenigstens in Deutschland gelten, aber es gilt
nicht; das ist die Realität.
({5})
Sie schreiben in dem Bericht, dass die Arbeitslosenzahl in den neuen Ländern unter 1 Million liegt. Wenn
Sie sich das Ausmaß der Abwanderung aus dem Osten
und die Zahl der Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich
vor Augen führen, dann erkennen Sie, dass man auf dieses Ergebnis wirklich nicht stolz sein kann. Es ist in der
Realität so, dass das Lohnniveau in den neuen Ländern
immer noch bei 80 Prozent des Niveaus in den alten
Ländern liegt. Das ist nicht zu akzeptieren. Es bleibt dabei - ich habe es eben gesagt -: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.
({6})
Wir hatten gerade die große Debatte zu den Renten.
Herr Bergner, das, was Sie hier gesagt haben, heißt im
Klartext: Sie wollen keine Veränderung. Sie sagen: Die
Lohnentwicklung ist nun einmal so; wir machen nichts. Ich kann Ihnen nur sagen: In Ihrem Koalitionsvertrag
steht, dass die Angleichung der Renten in dieser Legislatur vollzogen werden soll. Nichts dergleichen passiert.
Es ist immer noch so, dass es ungleiche Renten bei gleicher Lebensleistung gibt. Es kann nicht sein, dass die
Höhe der Rente vom Geburtsort abhängig ist. Das werden wir nicht akzeptieren. Sie werden von uns immer
wieder Anträge dazu im Bundestag vorgelegt bekommen, damit diese Ungerechtigkeit zwischen Ost und
West endlich aufhört.
({7})
Auf der Besuchertribüne sitzen ein paar Gäste aus
Vorpommern. Sie könnten ganz viel darüber erzählen,
wie es dort aussieht: Viele Menschen wandern ab, weil
sie keine Chance erhalten. Das würde jetzt aber zu weit
führen.
Die Linke fordert einen Mentalitätswechsel und einen
Kurswechsel in der Politik für Ostdeutschland.
({8})
Machen Sie endlich Ihre Wahlversprechen von 2009
wahr! Sie müssen den Osten zur Chefsache machen. Sie
können hier nicht mit irgendeinem Staatssekretär agieren,
der lediglich hin und wieder luschig vorträgt. Stattdessen
brauchen wir einen Staatsminister für Ostdeutschland.
Wenn Sie dafür keinen Kompetenten von der Linken nehmen, dann nehmen Sie zumindest einen Kompetenten aus
Ihren Reihen, damit hier endlich etwas passiert.
({9})
Sie müssen erkennen, dass der Aufbau Ost als Nachbau West gescheitert ist. Wir brauchen einen Wechsel in
der Politik. Ein selbsttragender Aufschwung ist möglich;
eine nachhaltige Entwicklung Ostdeutschlands ist möglich. Wir haben doch in den neuen Ländern auf vielen
Feldern wirklich einen Erfahrungsvorsprung. Sogar Sie,
Herr Kurth, haben den einen oder anderen Vorsprung genannt, zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien oder
im Gesundheitswesen. Der Begriff „Poliklinik“ ist inzwischen auch vielen Westdeutschen bekannt; da kann
man einiges lernen. Auch im Bereich der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf und nicht zuletzt bei der Modernisierung von schrumpfenden Städten kann man im Osten einiges lernen. Mit einem zwinkernden Auge kann
ich auch sagen - die Bundeskanzlerin würde das sofort
bestätigen -: Wir haben einen kleinen Vorsprung, was
Sprachkompetenz in Russisch und Polnisch betrifft.
({10})
Wir sollten ihn wirklich einmal nutzen, gerade auch für
den Aufbau in den neuen Ländern.
({11})
Ich kann die Bundesregierung nur auffordern, zielorientierter etwas für den Osten zu tun und den grundgesetzlichen Auftrag, gleichwertige Lebensverhältnisse zu
schaffen, endlich umzusetzen. Denn wir können mit sehr
großem Selbstbewusstsein sagen: Wenn man etwas für
den Osten tut, dann tut man auch etwas für den Westen
und für unser gesamtes Land.
Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat nun Stephan Kühn für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht zum Stand der deutschen Einheit ist ein Bericht
ohne Neuigkeiten und Ideen, der uns jedes Jahr routinemäßig vorgelegt wird. Auf vielen Seiten werden die
Zahlen einfach nur aktualisiert. Mit vorweihnachtlicher
Stimmung wird der Bericht dann noch schnell im Plenum abgearbeitet.
Routine können wir uns angesichts der Herausforderungen und der Probleme, die im Osten Deutschlands
weiterhin bestehen, einfach nicht leisten.
({0})
Wir brauchen einen Minister, der sich sichtbar und hörbar
für das Thema Aufbau Ost engagiert und Ideen einbringt.
Das setzt übrigens seine Teilnahme an solchen Debatten
voraus. Stattdessen legt er uns einen Bericht vor, in dem
versucht wird, den Aufbau Ost als reine Erfolgsgeschichte darzustellen und Probleme einfach zu glätten. In
der Pressemitteilung zum Bericht heißt es zum Beispiel:
Der Bericht belegt, dass das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt weiterhin ansteigt und sich dem
BIP-Niveau im Westen annähert.
Wenn man sich die entsprechende Grafik zur Pressekonferenz anschaut, dann wird deutlich: Seit 1996 gibt es
bei der Annäherung eine Stagnation. Das muss man ehrlich benennen.
({1})
Es gibt zweifelsfrei wirtschaftliche Erfolgsgeschichten; der Wachstums- und Jobmotor erneuerbare Energien
ist zum Beispiel eine. Diese werden aber durch die Politik der Bundesregierung gefährdet. In der Pressemitteilung zum Bericht werden die erneuerbaren Energien lobend erwähnt:
Es gilt, die Chance aus der Energiewende für den
ostdeutschen Arbeitsmarkt zu ergreifen und die
Vorreiterrolle der Neuen Länder bei Umwelttechnologien weiter auszubauen.
Was hören wir aber von Wirtschaftsminister Rösler? Er
will die Solarförderung massiv kürzen
({2})
und den Zubau von erneuerbaren PV-Anlagen im nächsten Jahr bei 1 Gigawatt deckeln. Letztes Jahr gab es einen Zubau von 7 Gigawatt, dieses Jahr sind es 6,5 Gigawatt. Wenn die Deckelung kommt, bedeutet das: Die
ostdeutsche Solarindustrie wird in die Knie gezwungen,
und Arbeitsplätze werden massiv gefährdet.
({3})
Im Bericht lobt man sich dafür, dass diese Branche insgesamt 85 000 Arbeitsplätze sichert.
({4})
Zwischen Tun und Handeln gibt es eine riesige Differenz. Das wird hier deutlich.
Die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft wird durch falsche Prioritäten beim Infrastrukturausbau behindert.
({5})
Eine Studie der TU Dresden hat sich mit der Anbindung
der deutschen Städte an den Schienenpersonenfernverkehr beschäftigt. 80 Städte wurden untersucht. Schaut
man sich an, wie es bei den ostdeutschen Städten aussieht, dann stellt man fest, dass Magdeburg als erste ostdeutsche Stadt auf Platz 53 liegt und auf den letzten zehn
Plätzen - also 70 bis 80 - viele ostdeutsche Städte: Jena,
Dresden, Rostock, Chemnitz und Cottbus.
An dem neuen Investitionsrahmenplan, den uns Herr
Ramsauer in den letzten Tagen vorgelegt hat, wird deutlich: Daran wird sich in den nächsten Jahren nichts ändern. Das Geld geht nach Bayern. Regionen, die wirtschaftlich stark sind und aus Gründen des Wettbewerbs
auf den Fernverkehr und einen funktionierenden Güterverkehr angewiesen sind, bleiben weiter abgeschlagen.
In der Region Chemnitz leben 1 Million Menschen.
Seit fünf Jahren haben wir die Situation, dass dort kein
einziger Fernverkehrszug mehr hält, weil die Infrastruktur nicht ausgebaut ist: keine durchgehende Elektrifizierung der Sachsen-Franken-Magistrale, der Mitteldeutschland-Verbindung. Auch auf der Strecke Dresden-Berlin
ist der Ausbau auf durchgehend Tempo 200 km/h nicht
gesichert. All das wird auf die lange Bank geschoben. Das
verhindert, dass die Regionen wettbewerbsfähig sind.
Aus den richtigen Erkenntnissen, die im Bericht dargestellt werden, folgen keine politischen Schlussfolgerungen; denn wenn man die Bedeutung der Städtebauförderung lobt, dann müsste man die erfolgte Kürzung
zurücknehmen. Das tut man aber nicht.
({6})
In anderen Redebeiträgen wurde im Zusammenhang
mit dem Thema Forschung und Entwicklung auf die Unternehmensstruktur hingewiesen, die dafür sorgt, dass
nur 5 Prozent der Forschung in Industrieunternehmen im
Osten Deutschlands stattfinden. Diese Erkenntnis ist
nicht neu. Da stellt sich die Frage: Wie bekommen wir
Innovations-, Wissens- und Technologietransfer beispielsweise von den Hochschulen in die kleinen und mittelständischen Unternehmen und schaffen so regionale
Wertschöpfung und sichern damit den Mittelstand?
({7})
Gerade die Fachhochschulen sind ein „schlafender
Riese“. Ich will das in Zahlen verdeutlichen. Während
ostdeutsche Universitäten pro Professor 80 000 Euro
Drittmittel einwerben, sind es bei den Fachhochschulen
nur 12 000 Euro. Wenn man überlegen würde, wie man
Fachkräfte in der Region halten will und wie man richtig
in die Infrastruktur investiert, dann müsste man dieses
Potenzial erkennen und bei den ostdeutschen Fachhochschulen etwas tun. Das tun Sie aber nicht.
Sie legen uns regelmäßig Berichte vor. Angesprochen
wurde das Handlungskonzept „Daseinsvorsorge im demografischen Wandel zukunftsfähig gestalten“, in dem
viel versprochen wurde. Die fünf ostdeutschen Länder
und die Bundesregierung waren daran beteiligt. Bei diesem Konzept ist es genau so wie bei dem Bericht, über
den wir jetzt reden: Die Situation wird beschrieben, und
wenn man schaut, ob Lösungen präsentiert werden, stellt
man fest, dass man über den Status von Modellprojekten
nicht hinausgeht. Die Frage, wie die soziale und technische Infrastruktur künftig an den demografischen Wandel angepasst und umgebaut werden soll und wie das zu
finanzieren ist, lässt dieser Bericht offen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - So ist es auch mit dem Bericht zum Stand der Deutschen Einheit.
Legen Sie uns endlich einen Bericht vor, in dem die
Probleme ehrlich benannt werden, in dem sie nicht ausgespart werden. Bringen Sie konkrete Lösungsvorschläge, und ruhen Sie sich nicht auf Erfolgen aus.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Manfred Behrens für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Die deutsch-deutsche Wiedervereinigung
liegt nunmehr 21 Jahre zurück. Die Bilanz, die anlässlich
des 20. Jubiläums im vergangenen Jahr gezogen wurde,
ist mir noch sehr gut in Erinnerung.
Der Einigungsprozess ist gekennzeichnet durch viele
Meilensteine auf unterschiedlichen Gebieten. Ein sehr
wichtiges und viel diskutiertes Teilgebiet ist die Wirtschaft. Hier muss man ganz deutlich anmerken, dass die
Finanzkrise seit 2008 die Angleichung von Ost und West
eben nicht unterbrochen hat. Im vergangenen Jahr berichtete ich an dieser Stelle davon, dass die Wirtschaftsleistung der neuen Bundesländer seit der Wiedervereinigung von 43 auf 73 Prozent des Westniveaus gestiegen
ist. Inzwischen hat sich die Wirtschaftsleistung weiter
angeglichen: Inzwischen kann ein Wert von nahezu
80 Prozent verzeichnet werden. Das kontinuierliche
Wirtschaftswachstum ist sehr erfreulich. Noch erfreulicher ist die Tatsache, dass das Wachstum krisensicher
und krisenresistent ist.
Die positiven Entwicklungen in Deutschland lassen
sich aber nicht nur auf den Wirtschaftssektor begrenzen.
Auch der wichtige Bereich des Arbeitsmarktes kann mit
sehr guten Werten glänzen. Nach der Wiedervereinigung
im Jahr 1990 waren 30 Prozent der Menschen in den
neuen Ländern ohne Arbeit. Inzwischen sank der Wert
auf 10 Prozent in den neuen Ländern und auf 6,5 Prozent
deutschlandweit.
({0})
Manfred Behrens ({1})
In meinem Wahlkreis, in der Börde und im Jerichower
Land, liegt die Quote aktuell bei 7 bzw. 9 Prozent.
({2})
Die Tendenz ist erfreulicherweise weiter sinkend; denn
der deutsche Arbeitsmarkt hat sich als robust gegen Krisen erwiesen.
Sachsen-Anhalt betreffend wird aktuell die Infrastruktur stark verbessert. Die Bundesautobahn A 2 vom
Ruhrgebiet über Magdeburg nach Berlin gilt als bedeutende Ost-West-Achse.
({3})
Diese sogenannten autobahnnahen Gewerbeflächen
({4})
erhöhen nicht nur das Warenangebot für Bewohner in
der Region, sondern bieten den Menschen auch Arbeit
und Zukunft. Ich freue mich ganz besonders darüber,
dass die Nordverlängerung der Bundesautobahn A 14
von Magdeburg nach Schwerin nunmehr realisiert wird.
({5})
Der Ausbau der A 14 ist für die Menschen in der Börde
und im angrenzenden Jerichower Land und auch in der
Altmark von größter Bedeutung; denn die Verkehrsprognose, die vom Bundesministerium in Auftrag gegeben
wurde, besagt, dass auf der A 14 abschnittsweise bis zu
39 000 Fahrzeuge täglich fahren werden.
({6})
Diese Tatsache wird den Menschen zugutekommen.
({7})
Denn der enge Zusammenhang zwischen Infrastrukturausstattung und regional-wirtschaftlicher Entwicklung
ist bekannt. Die sogenannten autobahnnahen Gewerbeflächen werden das Beschäftigungswachstum in den
Branchen Logistik, Verkehr und Großhandel deutlich ankurbeln.
({8})
Im Ergebnis dürfte damit die Arbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt nachhaltig sinken.
({9})
- Stimmt, auch in den anderen neuen Ländern. Aber wir
reden hier von der A 14.
({10})
Zudem können neue Wirtschaftsstandorte entstehen
und potenzielle Investoren angelockt werden. Seitens
der Politik wurde an dieser Stelle ein wichtiger Beitrag
geleistet, um durch eine verbesserte Infrastruktur neue
Zukunftsmöglichkeiten entstehen zu lassen.
Die deutsche Einheit wurde 1990 vollzogen. Seither
wächst die Bevölkerung in Ost und West zusammen. Das
geschieht keinesfalls immer geräusch- oder problemlos,
aber es geschieht, und die Politik hilft, unterstützt und
gestaltet.
({11})
Wir sind auch 21 Jahre nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung an einem geeinten, wirtschaftlich stabilen und lebenswerten Deutschland interessiert.
Ich wünsche Ihnen frohe Festtage und ein erfolgreiches 2012.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat nun Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Alle Jahre wieder, das ist nicht nur der Titel
eines schönen Weihnachtsliedes, sondern beschreibt
auch ein bisschen die Haltung, mit der diese Bundesregierung den Bericht zum Stand der deutschen Einheit
formuliert hat. Ich habe ihn mehrfach gelesen. Es handelt sich um uninspiriertes und weitestgehend oberflächliches Geschreibe auf über 100 Seiten. Wenn man zum
Ausblick in dem Bericht kommt und hofft, dass es nun
interessant wird, findet man eine Dreiviertelseite; das ist
nicht wirklich viel. Ich lese ein Viertel des Ausblicks aus
dem Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit vor:
Die in Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes erwähnte Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland bleibt das Ziel. Gleichwertigkeit bedeutet aber gerade nicht Gleichheit: Trotz
weit fortgeschrittener Einheit werden und dürfen
regionale Unterschiede in Wirtschaft und Gesellschaft bestehen bleiben.
Das ist also der Ausblick der Bundesregierung.
({0})
- Sie sagen „richtig“. - Ich interpretiere das Grundgesetz
anders. Nach meiner Auffassung muss die Politik mit aller Kraft daran arbeiten, gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen.
({1})
Daniela Kolbe ({2})
Das, was Sie den Ostdeutschen präsentieren, ist schon
ein merkwürdiger Ausblick. Im Bericht spiegelt sich
Ihre Haltung generell wider. Die Quintessenz lautet: Im
Osten ist alles super. Wo es nicht super ist, hat die Bundesregierung eine einfache Lösung, oder sie findet sich
mit der Ungleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ab. Dieser Bericht ist aus meiner Sicht nichts anderes als die
Verabschiedung von jeglicher Kraftanstrengung für den
Aufbau Ost. Das ist keine frohe Botschaft, sondern eine
verheerende Nachricht für die Menschen im Osten.
({3})
Auch eine merkwürdige Haltung zur Realität zeichnet
den gesamten Bericht aus. Alles ist gut. Die Langzeitarbeitslosigkeit und das Lohnniveau kommen gar nicht
bzw. nur ganz knäpplich vor, genauso wie viele andere
große Probleme in den neuen Ländern. Ob Altersarmut
in Ostdeutschland zum Problem werden könne, könne
man nicht sagen. Ich habe folgende Rückfrage an Sie,
Herr Bergner, und auch an den Minister: Wollen Sie die
Ostdeutschen veralbern?
({4})
Ich jedenfalls habe mich nach dem Lesen dieses Berichts
veralbert gefühlt. Es war kein Problem, auf fünf Seiten
unseres Entschließungsantrags mehr Substanz hinzubekommen als auf den über 100 Seiten Ihres Berichts.
Wir müssen weiterhin Kraftanstrengungen unternehmen, um die kniffligen Probleme zu lösen, die sich stellen. Die Lösung des kniffligen Rentenproblems haben
Sie offensichtlich komplett aufgegeben. Aber auch im
Bereich des Arbeitsmarkts sehe ich schwarz. Dabei haben wir es im Osten mit einem wirklich kniffligen Problem zu tun.
Einerseits sind wir konfrontiert mit einer verfestigten
Langzeitarbeitslosigkeit und mit Menschen, die Brüche
in ihren Biografien haben und nicht ohne Weiteres wieder in Erwerbstätigkeit kommen können; darunter sind
viele Ingenieure, teilweise mit gebrochenem Selbstwertgefühl. Andererseits sehen wir uns mit einem Fachkräftemangel ohnegleichen konfrontiert. Er wird schon jetzt
sichtbar, und er wird noch deutlich gravierender werden.
Dieses Thema wird auch für die Wirtschaft zu einer Zukunftsfrage werden; es wird zu einer Existenzfrage für
zahlreiche ostdeutsche Betriebe werden.
Ja, dieses Thema findet sich auch im Bericht wieder,
allerdings nur unter dem Aspekt der Kooperationsförderung und der Nutzung von ausländischen Fachkräften.
Natürlich sind beides wichtige Aspekte, und es gibt auch
gute Ansätze, zum Beispiel in der Lausitz, wo kleine und
mittlere Betriebe explizit zum Beispiel in der Frage des
Altersdurchschnitts ihrer Beschäftigten beraten werden
und wo es Kooperationen gibt, damit Betriebe gemeinsam Fachkräfte weiterbilden und in der Region halten
können. Aber glauben Sie wirklich, dass bei dem gegenwärtigen Lohnniveau in den neuen Ländern Fachkräfte
und junge Leute gehalten werden können? Glauben Sie
wirklich, dass man bei diesem Lohnniveau Menschen
aus dem Ausland anwerben kann, die dann im Osten
Deutschlands bleiben? Das habe ich auch Minister
Friedrich gefragt; denn das Thema Lohnniveau wird bei
der Fachkräftedebatte überhaupt nicht erwähnt. Einen
Zusammenhang zwischen Lohnniveau und Fachkräftemangel im Osten Deutschlands hat der Minister jedoch
verneint. Er hat gesagt, ein solcher bestünde in diesem
Fall nicht. Das ist wirklich ein ganz toller Aufbau-OstMinister!
Aus meiner Sicht brauchen wir Kreativität, Kraft, Engagement und pfiffige Ideen.
({5})
- Wir brauchen jedenfalls nicht einen Minister Friedrich,
der uns erzählt, dass das Lohnniveau im Osten überhaupt
kein Problem darstelle. Er ist eine absolute Fehlbesetzung.
({6})
- Doch, aus meiner Sicht ist er eine absolute Fehlbesetzung.
({7})
Man sollte die Ostdeutschen einmal fragen, was sie von
Herrn Friedrich als Aufbau-Ost-Minister halten.
Kreativität, Kraft und Engagement wären nötig, damit
die neuen Länder ein Vorbild für die alten Länder werden können. Denn Fachkräftemangel und demografischer Wandel sind ja auch schon dort in Ansätzen sichtbar. Doch bei dieser Regierung: komplette Fehlanzeige!
Ich kann nur noch einmal sagen, dass dieser Bericht über
den Stand der Deutschen Einheit ein Bericht über den
Totalausfall dieser Regierung beim Thema Aufbau Ost
ist.
Vielen Dank.
({8})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Entwicklung in Ostdeutschland kann nur
dann als mangelhaft betrachtet werden, wenn man zwei
wesentliche Vergleichsebenen außer Acht lässt. Die erste
Ebene ist die des Vergleichs mit unseren früheren sozialistischen Brüdern und Schwestern in Osteuropa, mit der
dortigen sozialen Differenzierung, den dortigen Wachstumszahlen, den dortigen Löhnen und den dortigen PerArnold Vaatz
spektiven. Die zweite Ebene ist die des Vergleichs mit
der Situation, in der wir 1990 gestartet sind.
({0})
Ohne Berücksichtigung dieser beiden Vergleichsebenen
bleibt alles, was wir hier besprechen, Makulatur.
Meine Damen und Herren, es ist uns unterstellt worden, der Osten sei uns egal. Ich spreche für meine Kollegen, die auf der rechten Seite des Parlaments sitzen: Sofern sie aus Ostdeutschland kommen, haben sie ihren
Entschluss, in die Politik zu gehen, gefällt, weil sie leidenschaftlich daran interessiert waren, dass die deutsche
Einheit glückt. Und dabei bleiben wir auch.
({1})
- Ich unterstelle auch Ihnen nicht, dass Sie ohne diese
Emotion gekommen sind.
Was uns aber möglicherweise unterscheidet, ist unser
Staatsverständnis. Für uns als christliche Demokraten ist
Ostdeutschland eben nicht ein im Wald verirrtes Kind,
das durch einen allwissenden Staatsminister in die richtige Richtung geführt werden muss.
({2})
Vielmehr besteht Ostdeutschland aus Menschen, die
Kraft, Initiative, Selbstbewusstsein und Perspektiven haben. Diese Perspektiven wollen wir freilegen, und zwar
nicht, indem wir an die Stelle der Menschen treten, sondern indem wir dem menschlichen Handeln in Ostdeutschland Rahmenbedingungen geben, durch die sich
eine menschliche Perspektive entfalten kann. Das ist in
den letzten Jahren hervorragend gelungen.
({3})
Noch eine kurze Bemerkung zum Ton
({4})
und zur Atmosphäre dieser Auseinandersetzung über
den Bericht zum Stand der Deutschen Einheit. Die Menschen in Ostdeutschland erwarten aus diesem Haus ein
Signal, dass man ihre enormen Anstrengungen, ihre Flexibilität und ihre teilweise vorhandene Verzichtsbereitschaft anerkennt, dass man also sagt: Das, was ihr in den
letzten Jahren geleistet habt, ist außergewöhnlich und
verdient höchste Anerkennung.
({5})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
brauchen die Regierung ja nicht zu loben, aber dieser
Zungenschlag muss eine solche Debatte dominieren und
darf keine Randerscheinung sein.
({6})
Das ist doch der Punkt: Wenn wir die Entwicklung in
Ostdeutschland vorantreiben wollen, dann müssen wir in
erster Linie den Willen der Ostdeutschen anerkennen, an
der Gestaltung einer vernünftigen Zukunft mitzuwirken,
an dem eigenen Lebensstandard und an der eigenen Infrastruktur zu arbeiten und für die eigenen Kinder zu sorgen. Wenn uns das nicht gelingt, wenn wir hier immer in
einer Nabelschau verharren und in Larmoyanz versinken
und uns gegenseitig Fehler vorwerfen, die bisher keine
Seite vollständig ausmerzen konnte - jeder, der an diesem Pult steht, muss zugeben, dass wir eine Reihe von
Fehlern gemacht haben -, dann werden wir das Ziel,
Ostdeutschland für sich selbst zu interessieren und die
Menschen dort zu motivieren, so viele der Probleme wie
möglich mit eigener Kreativität selbst zu lösen, nicht erreichen. So ist die Situation.
({7})
Leider ist meine Redezeit fast abgelaufen. Im Laufe
der Debatte habe ich einige Minuten meiner Redezeit
verloren, sodass ich jetzt nicht alle Punkte behandeln
kann wie geplant.
Ich möchte Ihnen aber - mit Ihrer Genehmigung, Herr
Präsident - noch einen letzten Satz sagen. Es ist unredlich, wenn Sie sagen, dass in den letzten Jahren, besonders im letzten Jahr, in Ostdeutschland eine Stagnation
eingetreten ist und in Westdeutschland alles besser gelaufen ist.
({8})
Es ist im Gegenteil so: Ostdeutschland ist aus der Krise,
die seit 2008 im Gange ist, im Großen und Ganzen besser hervorgegangen
({9})
als die Regionen in Westdeutschland. Im Übrigen ist es
inzwischen in vielen Bereichen auch so,
({10})
dass die Situation in Ostdeutschland, zum Beispiel hinsichtlich Langzeitarbeitslosigkeit, Löhne usw., der in
Westdeutschland entspricht. Wir haben nicht nur in Ostdeutschland, sondern mittlerweile auch in Westdeutschland strukturell schwache Gebiete.
({11})
Daher wird diese Differenzierung zwischen Ost und
West in der Tat zunehmend der Vergangenheit angehören. Wir sollten uns überlegen, wie wir unsere gesamte
Förderpolitik und Gesellschaftspolitik auf den Umstand
einstellen, dass wir inzwischen zusammengewachsen
sind.
({12})
Ich wünsche Ihnen, meine sehr verehrten Damen und
Herren, ein schönes Weihnachtsfest und einen guten
Rutsch ins neue Jahr.
({13})
Kollege Vaatz, jetzt könnten Sie sich aber bei mir für
meine außerordentliche Nachsicht bedanken.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7711 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen der
Fraktionen der SPD und der Linken. Interfraktionell ist
vereinbart, über die Entschließungsanträge auf Wunsch
der einbringenden Fraktionen abweichend von der Ge-
schäftsordnung sofort abzustimmen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Zunächst zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8152.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt.
Nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8153.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen der vier Fraktionen gegen die
Stimmen der Linken abgelehnt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 30 b. Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Innenausschus-
ses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Staatsminister für Ostdeutschland bestellen“. Der Aus-
schuss empfiehlt im seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/6242, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/5522 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von vier Fraktionen gegen die Stimmen der
Linken angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 31 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Halina Wawzyniak, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Mietrecht sozial gerecht weiterentwickeln
- Drucksache 17/4837 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})
Federführung strittig
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Katja Kipping, Dr. Kirsten Tackmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Mindeststandards bei der Angemessenheit der
Kosten der Unterkunft und Heizung
- Drucksache 17/7847 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Innenausschuss
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann haben wir das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke das Wort.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland ist überwiegend ein Mieterland. Von den insgesamt
über 40 Millionen Wohnungen hierzulande sind derzeit
24 Millionen Mietwohnungen. Der größte Teil der Bevölkerung - nach meiner Überzeugung wird dieser Anteil weiter wachsen - realisiert sein Wohnbedürfnis nicht
als selbstnutzender Eigentümer, sondern als Mieter.
Vermieter und Mieter müssen sich nicht immer mögen. Aber sie sind keine natürlichen Gegner.
({0})
Sie sind wirtschaftlich und rechtlich aufeinander angewiesen. Deshalb sollten sie auch durch das Gesetz
gleichgestellte Vertragspartner sein.
({1})
Das bestehende Mietrecht war dazu bisher durchaus
zweckmäßig. Nun ist es allerdings ein wenig in die Jahre
gekommen.
Nicht nur vor der Wohnungswirtschaft, sondern auch
vor der Gesellschaft als Gesamtheit stehen die Aufgaben, flächendeckend, das heißt in Ballungsräumen und
in schrumpfenden Regionen, eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit angemessenem Wohnraum
sozialverträglich sicherzustellen, die notwendige energetische Sanierung des Wohnungsbestandes unverzüglich
und konsequent in Angriff zu nehmen und Wohnungsneubau und -bestand auf ein Niveau zu bringen, das den
Erfordernissen der demografischen Entwicklung gerecht
wird.
Dazu ist eine Weiterentwicklung des Mietrechts erforderlich, die auf der Erkenntnis basiert, dass nicht die
Mieter allein diese großen gesellschaftlichen Herausforderungen meistern können, sondern dass, gerade weil es
sich um gesellschaftliche Herausforderungen handelt,
die Gesellschaft als Ganzes und damit auch Vermieter
und Staat stärker in die Verantwortung genommen werHeidrun Bluhm
den müssen. Die Zeiten, in denen sich Politiker auf die
bequeme Position „Der Wohnungsmarkt in Deutschland
ist gut, und den Rest regelt der Markt“ zurückziehen
konnten, sind definitiv vorbei.
({2})
Wir haben deshalb Anträge zur Weiterentwicklung
des Mietrechts und zu Mindeststandards bei der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung vorgelegt, mit denen einerseits vermieden werden soll, dass
die zunehmenden finanziellen Belastungen einseitig an
das Ende der Verbraucherkette verlagert, also eins zu
eins an die Mieterinnen und Mieter durchgereicht werden, und mit denen andererseits auch Vermieter und
Staat entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft
angemessen beteiligt werden können.
Unsere Forderungen, die im vorgelegten Antrag zur
Weiterentwicklung des Mietrechts enthalten sind, zielen
darauf ab, dass erstens Mieterinnen und Mieter über die
Qualifizierung der Mietspiegel die Mietentwicklung in
ihrer Region wirklich nachvollziehen können, also auch
Bestandsmieten zukünftig in den Mietspiegel einbezogen werden, dass zweitens speziell in nachgefragten Regionen keine Mietsteigerungen ohne entsprechende
Wohnwertsteigerung hingenommen werden müssen,
dass drittens Wohnen rechtlich gesichert und nicht zu einem Armutsrisiko wird und dass viertens die Lasten aus
der notwendigen energetischen Sanierung über die Modernisierungsumlage gerecht und wirtschaftlich angemessen verteilt werden.
({3})
Dazu reichen im Übrigen 5 Prozent Umlage, gemessen an den Abschreibungs- und Lebenszyklen der Modernisierungsgüter, vollkommen aus, zumal die Modernisierungskosten nach etwa neun Jahren durch die
Mieterinnen und Mieter bezahlt sind. Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Vermieter nach dieser Zeit die Miete in
Höhe dieser Modernisierungsumlage gemindert hätte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Antrag
zu den Kosten der Unterkunft wollen wir sicherstellen,
dass alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrem
sozialen Status menschwürdig wohnen können und nicht
aus ihren Wohnungen bzw. Quartieren verdrängt werden, nur weil sie Hartz IV beziehen. Bezieherinnen und
Bezieher von Sozialleistungen dürfen nicht wegen zu geringer Transferleistungen zum Umzug gezwungen werden oder schlechtere Wohnbedingungen hinnehmen
müssen. In Report Mainz wurde am vergangenen Dienstag ja darüber berichtet.
Wir wollen verhindern, dass Hartz-IV-Beziehende nur
in ganz bestimmten Wohnvierteln wohnen und dadurch
vielleicht eine Gettoisierung entsteht. Daher schlagen
wir in unserem Antrag unter anderem ein Verfahren vor,
das bundesweit Anwendung finden sollte und durch das
nicht von Kommune zu Kommune je nach Kassenlage
unterschiedliche Regelungen getroffen werden.
Weil das Wohnen ein Existenzrecht ist, ist es ein so
hohes gesellschaftliches Gut, dass es in die Verantwortung der öffentlichen Daseinsvorsorge gehört
({4})
und entsprechend geschützt und geregelt werden muss.
({5})
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen auch im Sinne dieses Themas ein besinnliches Weihnachtsfest.
({6})
Das Wort hat nun Jan-Marco Luczak für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Frau Bluhm, ich dachte zuerst, Sie kommen gar nicht mehr zu Ihrem Antrag, nachdem Sie mit
lauter Allgemeinplätzen in das Thema eingeführt haben.
Zum Schluss haben Sie wenigstens noch ein paar Worte
dazu verloren. Das ist an dieser Stelle aller Ehren wert.
Die Linke konfrontiert uns in dieser Legislaturperiode
des Öfteren mit Anträgen zum Mietrecht. Im Prinzip
geht es dabei immer um das Gleiche, nämlich darum, das
Mietrecht sozial gerecht auszugestalten. Das ist ohne
Frage ein absolut anerkennenswertes Ziel. Auch und gerade die christlich-liberale Koalition hat sich diesem Ziel
verschrieben; denn in unserem Land gibt es in der Tat
24 Millionen Mietwohnungen, und für viele Mieter hat
das Thema wirklich eine existenzielle Bedeutung. Deswegen ist der Erhalt eines ausgewogenen und sozialen
Mietrechts für uns, die Union, eine bare Selbstverständlichkeit, und ich sage auch: Wir brauchen die Linke
nicht, um uns daran zu erinnern.
({0})
Wenn wir uns den Antrag der Linken einmal genau
anschauen, dann stellen wir sehr schnell fest, dass hier
von einer sozial gerechten oder gar ausgewogenen Regelung in keiner Weise gesprochen werden kann. Es
kommt sogar noch schlimmer: Wirtschaftlicher Unverstand kommt noch obendrauf.
Ich nenne zum Beispiel die qualifizierten Mietspiegel,
die Sie hier flächendeckend einführen wollen. Ich habe
überhaupt nichts dagegen. Sie können durchaus ein
wichtiger Beitrag dazu sein, dass die Mieterinnen und
Mieter ein Bewusstsein etwa für die energetische Beschaffenheit ihres Wohnraums entwickeln. Qualifizierte
Mietspiegel sind aber bereits nach geltendem Recht
- nach § 558 d Bürgerliches Gesetzbuch - ohnehin möglich. Sie haben in Ihrem Antrag in keiner Weise dargelegt, wieso die gesetzliche Regelung, die wir schon jetzt
haben, hier nicht ausreichen soll.
({1})
Deswegen muss man einmal feststellen: Ihrem Antrag
fehlt es insoweit völlig an Substanz.
({2})
Viel wichtiger ist aber: Ich frage mich bei dieser Forderung nach flächendeckenden Mietspiegeln in Ihrem
Antrag, ob Sie das System der Mieterhöhungsmöglichkeiten im BGB überhaupt verstanden haben;
({3})
denn Mietspiegel dienen dazu, eine ortsübliche Vergleichsmiete festzustellen. Bis zu dieser ortsüblichen
Vergleichsmiete kann ein Vermieter die Miete unter bestimmten Voraussetzungen erhöhen. Das heißt, Mietspiegel sind gewissermaßen ein Begründungsmittel für
Mieterhöhungen.
Sie wollen die Mietspiegel nun flächendeckend einführen. Das ist so weit auch in Ordnung. Gleichzeitig
wollen Sie aber, dass die Nettokaltmiete nur bei einer
Wohnwertverbesserung erhöht werden kann, also unabhängig vom Mietspiegel.
({4})
Wozu brauchen wir dann eigentlich noch Mietspiegel?
Sie wollen sie einerseits flächendeckend einführen, andererseits beseitigen Sie aber den Anwendungsbereich.
Hier kann ich nur feststellen: Offenbar wissen Sie nicht
so recht, wovon Sie hier reden.
Mit diesen nicht zu Ende gedachten Forderungen geht
es noch weiter: Die Linke will gesetzlich festschreiben,
dass die Höhe der Wohnkosten für angemessenen Wohnraum höchstens 30 Prozent des Nettoeinkommens eines
Mieterhaushalts betragen darf.
({5})
Offensichtlich ist die Linke noch immer nicht in unserer
sozialen Marktwirtschaft angekommen, sonst würden
Sie nämlich wissen, dass die Preise hier nicht staatlich
dekretiert, sondern vom Markt im Wege von Angebot
und Nachfrage gebildet werden, und das soll bei uns
auch so bleiben.
({6})
Neben dieser grundsätzlichen Kritik: Was passiert eigentlich, wenn ein Mieter plötzlich weniger Nettoeinkommen hat, weil er zum Beispiel freiwillig Teilzeit arbeiten möchte oder weil die Steuern erhöht werden?
Wird die Miete dann automatisch qua Gesetz nach unten
angepasst? Das kann ja wohl kaum Ihr Ernst sein. Damit
würden Sie das vertragliche Gleichgewicht völlig aus
den Fugen bringen und letztlich das Prinzip der Privatautonomie aushebeln. Das wird es mit der Union an dieser
Stelle nicht geben; das kann ich Ihnen sagen.
({7})
Aber es geht noch weiter. Neben dieser konkreten
Grenze wollen Sie auch eine generelle Obergrenze von
30 Prozent des bundesdurchschnittlichen Nettohaushaltseinkommens einführen. Das Nettohaushaltseinkommen beträgt im Bundesdurchschnitt etwa 2 900 Euro,
30 Prozent davon sind 870 Euro. Nach Ihrem Antrag
wäre es so, dass eine 250 Quadratmeter große, luxuriös
ausgestattete Wohnung in bester Innenstadtlage maximal
870 Euro kosten dürfte. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen
geht, aber ich glaube, jeder merkt, dass das völlig an der
Realität vorbeigeht.
Die Höhe einer Miete hängt selbstverständlich von
ganz unterschiedlichen Faktoren ab: von der Lage, der
Größe, der Ausstattung und von vielem mehr. Das alles
zu negieren, das alles gleichzumachen, ist Sozialismus
pur. Das ist die kalte Enteignung von Vermietern und bedeutet die Verletzung ihres verfassungsrechtlich geschützten Eigentums. Dieses sozialistische Weltbild lehnen wir ab!
({8})
Ein weiterer Punkt - auch das muss man einmal sehen -:
Sie wollen mit Ihrem Antrag letztlich Mieter schützen.
Tatsächlich erreichen Sie aber genau das Gegenteil. Sie
schreiben in Ihrem Antrag, dass Sie es zulassen wollen,
dass Vermieter die Miete entsprechend der Inflation erhöhen dürfen, und zwar unbegrenzt. Das verwundert
mich schon etwas. Ich weiß nicht, ob Sie Folgendes zur
Kenntnis genommen haben: Tatsächlich ist es so, dass
die Mietsteigerungen in den letzten 15 Jahren unterhalb
der Inflationsrate lagen. Das bedeutet, mit dem von
Ihnen geforderten Inflationsausgleich begrenzen Sie
Mietsteigerungen nicht. Im Gegenteil: Mieten werden
stärker steigen als bisher.
({9})
Die Mieterinnen und Mieter in Deutschland werden sich
bei solchen Fürsprechern bedanken.
Zur Umlage der Modernisierungskosten. Sie schlagen
vor, dass diese Umlage auf 5 Prozent begrenzt werden
soll. Momentan liegt die Grenze bei 11 Prozent. Zur
Wahrheit gehört - auch das muss man zur Kenntnis nehmen -, dass 11 Prozent am Markt häufig überhaupt nicht
durchsetzbar sind. Das mag in Berlin und in den Innenstadtlagen von München funktionieren, aber zum Beispiel in weiten Teilen der neuen Bundesländer können
Sie das am Markt gar nicht durchsetzen. Dort sind die
Vermieter froh, dass die Wohnungen überhaupt vermietet sind. An eine Erhöhung der Miete ist hier in keiner
Weise zu denken.
Was würde denn passieren, wenn wir die Umlage
weiter begrenzen würden? Tatsächlich würde es weniger
Investitionen in privaten Wohnraum geben. Wir würden
den privaten Wohnraum dem Verfall aussetzen. Die Folgen einer solchen Mietpolitik konnte man 1990 in den
neuen Bundesländern beobachten. Ich weiß nicht, wie es
Ihnen geht: Ich jedenfalls will zu diesem Zustand nicht
zurück.
({10})
Ich könnte jetzt noch - damit komme ich zum Schluss viele Punkte ansprechen. Da gibt es noch so manchen
Unsinn: die Zumutbarkeit von Modernisierungsmaßnahmen oder die Vermeidung von Obdachlosigkeit nach einer Kündigung. Wenn Sie einmal ins Gesetz geschaut hätten - das soll bekanntlich die Rechtsfindung fördern -,
dann hätten Sie festgestellt, dass das bereits geltendes
Recht ist. Insofern sind das populistische Forderungen,
oder Sie wissen es einfach nicht besser. Wenn Sie mich
fragen, so ist beides ziemlich peinlich.
({11})
Zum Schluss. Die christlich-liberale Koalition hat einen in seinen wirtschaftlichen Konsequenzen durchdachten Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem genau das erreicht wird, was Sie mit Ihrem Antrag verfehlen: Er ist
sozial ausgewogen, er befördert energetische Sanierungen und dient daher dem Klimaschutz, und er führt nicht
zu einer einseitigen Benachteiligung. Wir haben einen
guten Gesetzentwurf und Sie einen schlechten Antrag.
Deswegen lehnen wir ihn ab.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Ingo Egloff für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist bereits das zweite Mal, dass wir uns über
die Frage der Mietrechtsänderung vor dem Hintergrund
der energetischen Gebäudesanierung unterhalten, ohne
dass das Gesetzgebungsverfahren der Bundesregierung
weiter vorangekommen ist. Ich wünsche mir, dass der
Gesetzentwurf endlich in den Ausschüssen vorliegt und
wir dann im Rahmen von Anhörungen klären können,
wie die Sachlage am Markt insgesamt ist und wie wir einen Ausgleich zwischen den Rechten von Mietern und
Vermietern erreichen können.
Die Ausgangslage ist klar: Wenn wir die Klimaziele
erreichen wollen, kommen wir in Deutschland ohne
energetische Gebäudesanierung nicht aus. Darum gilt es,
hier die Balance zwischen den Klimazielen einerseits
und der Frage sozial angemessener Mieten andererseits
zu halten. Das wird die Aufgabe der vor uns liegenden
Gesetzesänderung sein.
Der vorliegende Antrag der Linken versucht nun,
diese Frage aufzugreifen, wenn auch meiner Meinung
nach mit untauglichen Mitteln. Hier gilt einmal mehr der
Grundsatz: Gut gedacht ist noch nicht gut gemacht!
({0})
Sie schießen mit Ihren Forderungen deutlich über das
Ziel hinaus und würden, wenn das umgesetzt würde, eines nicht erreichen, dass nämlich die energetische Gebäudesanierung überhaupt noch stattfindet.
Selbstverständlich muss man über die Frage nachdenken, ob angesichts der gegenüber bisheriger Modernisierung deutlich teureren energetischen Gebäudesanierung
die Umlegung von 11 Prozent pro Jahr noch angemessen
ist oder ob man nicht auf 9 Prozent heruntergehen
müsste. Die in Ihrem Antrag vorgeschlagene Grenze von
5 Prozent erscheint mir am Ende nicht praktikabel und
würde auch nicht zum Ziel führen.
({1})
Sie fordern weiter, dass die Miete für angemessenen
Wohnraum höchstens 30 Prozent des Nettoeinkommens
betragen darf. Eine generelle Obergrenze soll durch das
bundesdurchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen bestimmt werden. Bei allem Verständnis dafür, dass man
den Anteil des Einkommens, der für die Miete verwendet wird, begrenzen sollte, halte ich die Regelung, die
Sie vorgeschlagen haben, schlicht und ergreifend für
nicht praktikabel. Wer überprüft das denn für die jeweilige Wohnlage? Welche Bürokratie muss man dafür aufbauen? Was ist angemessener Wohnraum? Das alles ist
nicht geklärt, und der von Ihnen vorgelegte Vorschlag ist
nicht realisierbar.
Zu der Frage, wie das Ganze bei teuren Innenstadtlagen aussieht, hat der Kollege von der CDU/CSU zu
Recht ausgeführt, dass das, was man mit der generellen
Begrenzung der Höhe der Wohnkosten auf 30 Prozent
des Durchschnittseinkommens erreicht, alles andere als
sozial gerecht ist. Wenn man schon über Mietobergrenzen nachdenkt, dann sollte man vielleicht die Idee des
Deutschen Mieterbundes überdenken, der bei Neuvermietungen fordert, dass die Neuvertragsmiete maximal
10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen
darf und Mieterhöhungen auf maximal 15 Prozent in vier
Jahren statt wie bisher auf 20 Prozent in drei Jahren begrenzt werden sollten. Das erscheint mir viel praktikabler als die von den Linken aufgestellte Forderung.
Im Übrigen gilt: Nur wenn wir mehr Wohnungen
bauen und mehr Wohnungen auf dem Markt haben, wird
sich der Markt auch bei den Mietkosten entspannen. Das
haben wir in Hamburg von 1991 bis 2001 festgestellt, als
75 000 Wohnungen gebaut worden sind, mit dem Erfolg,
dass die Mieten gesunken sind. Die nachfolgende CDURegierung hat diese Wohnungsbaupolitik leider eingestellt. Daraufhin sind die Mieten wieder entsprechend
gestiegen.
Insgesamt scheinen Sie zu ahnen, dass die Maßnahmen wahrscheinlich nicht fruchten würden und kein Vermieter mehr bereit wäre, etwas zu tun. Daher bekommt
er nach Ihrem Antrag einmal eben schnell einen Rechtsanspruch auf öffentliche Förderung. Weil man es sich
einfach machen will, wird verlangt, dass es auskömmli18052
che öffentliche Förderprogramme geben soll. Man muss
aber dann auch sagen, wie das zu finanzieren ist.
Ich finde, dieser Antrag ist ein Schnellschuss.
({2})
Er wird dem Problem nicht gerecht. Wir werden im Rahmen der Diskussion über den hoffentlich bald vorliegenden Gesetzentwurf der Regierung diese Fragen zu klären
haben und dann versuchen, einen sozialen Ausgleich
hinzubekommen.
Der zweite Antrag findet auch nicht unsere Zustimmung. Die SPD-Fraktion will keine Pauschalierung der
Kosten für Unterkunft und Heizung. Das haben wir in einem Antrag vom 1. Dezember 2010 sehr deutlich zum
Ausdruck gebracht. Wir wollen nicht an dieser Regelung
herumschrauben, sondern wir wollen, dass die Pauschalierung verschwindet. Deswegen findet auch das nicht
unsere Zustimmung.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun Stephan Thomae für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Egloff, ich kann Ihnen mitteilen,
dass der Referentenentwurf für die Mietrechtsnovelle
der Regierung vorliegt. Er ist zurzeit in der Verbändeabstimmung. Wie Sie wissen, wird sich Ende des ersten
Quartals 2012 das Kabinett damit befassen, und dann
werden wir den Entwurf im Ausschuss beraten können.
Haben Sie also noch ein klein wenig Geduld: noch ein
paarmal schlafen, dann werden wir ihn auch im Ausschuss beraten können.
Einstweilen müssen wir uns heute mit den Vorschlägen der Linken und Grünen zum Thema beschäftigen.
Ich kann erahnen, dass die Grünen vielleicht für vieles,
was wir im Referentenentwurf vorgesehen haben, Sympathie haben werden.
({0})
Denn einige Punkte, die Sie vorgeschlagen haben, werden Sie auch bei uns finden.
Erstens geht es zum Beispiel darum, dass energetische Sanierungsmaßnahmen vom Mieter grundsätzlich
zu dulden sind, weil wir die energetischen Sanierungen
erleichtern wollen.
Zweitens werden wir regeln, dass Mieter Modernisierungsmaßnahmen künftig nicht mehr mit dem Einwand
einer finanziellen Härte aufhalten können. Die finanzielle Härte muss vielmehr im Wege der Kostenumlage
nach § 559 BGB geltend gemacht werden.
Wir werden drittens regeln, dass der Klimaschutz in
der Interessenabwägung zwischen Vermieter und Mieter
bei der Duldung von Modernisierungsmaßnahmen eine
Rolle spielen wird.
Da Sie den Referentenentwurf schon kennen, werden
Sie also eine ganze Reihe von Punkten in unserem Entwurf wiederfinden.
Über einen Punkt aber besteht Dissens. Den möchte
ich jetzt ansprechen. Die Absenkung der Modernisierungsumlage von 11 auf 9 Prozent werden Sie bei uns
nicht finden. Ich will Ihnen auch sagen, weshalb. Aus
unserer Sicht hat sich diese 11-Prozent-Regelung bewährt. Sie stellt einen angemessenen Ausgleich zwischen Mieter- und Vermieterinteressen dar. Eine Absenkung - das hat der Kollege Egloff gerade angesprochen ist in unseren Augen und sollte auch in Ihren Augen das
falsche Signal zur falschen Zeit sein, weil der Anreiz
sänke, solche Modernisierungsmaßnahmen durchzuführen, wenn der Vermieter mehr Zeit für die Refinanzierung der Maßnahme in Kauf nehmen müsste.
Ich komme zum Antrag der Linken. Sie schlagen sogar eine 5-Prozent-Regelung vor. Schon Kollege Egloff
hat Ihnen erklärt, dass Sie wohl selber nicht daran glauben, dass das praktikabel und vorstellbar ist.
In Ihrem Antrag bin ich noch über einen anderen
Punkt gestolpert. Sie fordern, die ersatzlose Räumung
der Wohnung solle nicht zulässig sein, wenn dem gekündigten Mieter die Obdachlosigkeit drohe. Das klingt zunächst einmal ganz sozial. Aber wie viel Zeit soll der
Mieter eigentlich haben, eine neue Wohnung zu suchen
und dann auch zu finden? Das ist eine Steilvorlage dafür,
dass der Mieter einfach behaupten kann, er könne keine
Wohnung finden und deshalb könne ihm nicht gekündigt
werden. Deswegen werden wir Ihrem Antrag leider nicht
zustimmen können.
Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest und alles Gute
zum neuen Jahr.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Daniela Wagner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Thomae, Duldung von Modernisierungsmaßnahmen ja, aber nicht die Mitfinanzierung um jeden
Preis. Wir legen schon Wert darauf, dass das nicht immer
möglich sein wird.
Lassen Sie mich gleich zum Antrag der Linken kommen. Wir begrüßen grundsätzlich die Zielsetzungen dieses Antrages, weil auch wir die Gefahr sehen, dass unter
dem durchaus ehrenwerten Ziel der energetischen Gebäudesanierung und des altersgerechten Umbaus einDaniela Wagner
kommensschwache Haushalte verdrängt werden und soziale Entmischung in vielen Stadtteilen zunehmend die
Folge ist. Aber, liebe Kollegin Bluhm, wenn die Regelungen dazu führen, dass Vermieterinnen und Vermieter
am Ende des Tages sogar noch draufzahlen müssen,
dann führt das zu einem Sanierungs- und Neubaustopp
und verschärft sogar die Situation. Sie wissen so gut wie
ich: Wohnungsmangel treibt die Mietpreise in die Höhe.
({0})
Ich finde, Sie ignorieren bei Ihren Vorschlägen auch,
dass das Mietrecht bundesweite Geltung hat und keineswegs nur auf den beliebten Wohnungsmärkten im Großraum München oder im Rhein-Main-Gebiet Anwendung
findet. Angesichts schrumpfender Wohnungsmärkte in
einigen Regionen sind viele Vermieter froh, wenn sie
überhaupt noch Mieterinnen und Mieter finden und ihre
Investitionen kostendeckend finanzieren können. Dort
wird zum Großteil schon gar nicht mehr saniert.
Sie schreiben auch, dass Sie „eine ausreichende Investitionsmotivation für die Vermieter“ schaffen wollen.
Genau das kann ich bei Ihren Forderungspunkten nicht
erkennen. Außerdem genügen uns die Vorschläge für die
energetische Gebäudesanierung inhaltlich nicht. Wir finden es gerade bei diesem Thema wichtig, dass die soziale und die ökologische Frage zusammengedacht werden.
({1})
Die Mieten an Einkommen zu knüpfen, ist meiner
Meinung nach unmöglich. Wer vermietet dann an wirklich arme Leute? Arme Leute fallen komplett hinten runter.
Sie fordern die flächendeckende Einführung eines
qualifizierten Mietspiegels. Das kann man machen.
Wichtiger finde ich aber, dass man einen ökologischen
Mietspiegel hat und dass die energetische Gebäudebeschaffenheit mindestens als Vergleichsvariable in die
ortsübliche Vergleichsmiete aufgenommen wird. Das ist
wichtiger als die Frage, ob es sich um einen qualifizierten Mietspiegel handelt, den viele Kommunen zudem
gar nicht werden bezahlen können, weil er zu teuer ist.
Dann müssten wir uns überlegen, wie wir den Kommunen helfen.
Lassen Sie mich noch einen Satz zu dem Thema der
Übertragung der Zuständigkeiten auf die Bundesländer
sagen. Das ist keine Angelegenheit der Bundesländer.
Die ortsübliche Vergleichsmiete zu ermitteln, ist Aufgabe der Kommunen. Wir sind der Meinung, man sollte
dafür nicht mehr die letzten vier, wie es im Moment der
Fall ist, sondern die letzten sechs Jahre heranziehen. Das
wirkt auch dämpfend auf die Mietpreisspirale.
Wir sind der Meinung, die Kappungsgrenze sollte von
20 Prozent auf 15 Prozent gesenkt werden. Bei der Modernisierungsumlage habe ich mich ein bisschen über
Sie gewundert: Sie haben noch im Sommer in der Mietrechtsdebatte gefordert, diese Umlage von 11 Prozent
auf 9 Prozent abzusenken: Vielleicht erinnern Sie sich;
das war in der Zeit des Berliner Wahlkampfs.
({2})
Jetzt fordern Sie eine Absenkung auf 5 Prozent. Man hat
den Eindruck, dass sie an Ostern ganz abgeschafft werden soll.
({3})
Das wird so nicht funktionieren. Deswegen sagen wir:
gezielte Absenkung auf 9 Prozent - die 11 Prozent sind
in der Tat nicht mehr angemessen -, dafür Konzentration
auf energetische Gebäudesanierung und altersgerechten
Umbau.
Staatliche Förderung als verbindlicher Rechtsanspruch würde ich so nie befürworten. Staatliche Förderung muss vor allen Dingen an Bedingungen geknüpft
sein. Je mehr Steuergelder in einem Gebäude stecken,
desto besser muss der energetische Standard und desto
niedriger müssen die Mietnebenkosten sein. Ein verbindlicher Rechtsanspruch für alle führt jedenfalls aus
meiner Sicht nicht zu diesem Ziel.
Ich finde, Sie haben ansonsten ganz interessante Vorschläge unterbreitet, die man durchaus diskutieren kann.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu den KdU sagen.
Aber bitte kurz.
Sehr kurz. - Man sollte sich durchaus einmal das Bielefelder Modell anschauen. Danach trägt die Stadt als
Klimabonus in Stufen die höhere Nettokaltmiete mit und
refinanziert diese Mehrausgaben über Einsparungen bei
Ausgaben für Mietnebenkosten. Damit werden Wohnungswechsel wegen der KdU zwar nicht gänzlich vermieden, aber in ihrer Anzahl zumindest deutlich reduziert. Das könnte ein Schritt in die richtige Richtung
sein.
Auch ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest, hoffentlich ohne vorweihnachtliche Mieterhöhungsbegehren.
({0})
Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Liebe Frau Bluhm, ich muss die Linkspartei schon einmal darauf hinweisen, dass die Zeiten
der Zuweisung von Wohnraum vorbei sind - seit 21 Jahren.
({0})
Früher wurden Ein- oder Zweiraumwohnungen - der
eine oder andere weiß es noch - zugewiesen. Da war der
Staat der Allmächtige und hat bestimmt, wer wann wo
zu welchen Konditionen wohnen darf. Das hat nicht
funktioniert. Wir sind froh, dass wir einen freien Mietmarkt haben - natürlich müssen wir auch hier soziale
Aspekte zur Geltung bringen -, auf dem privates Kapital
Wohnungen schafft und die energetische Sanierung finanziert, um diese Wohnungen aufzuwerten. Das ließe
sich staatlicherseits überhaupt nicht machen.
Ihre Anträge gehen leider in die völlig falsche Richtung. Mit dem Antrag „Mindeststandards bei der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung“ und
Ihren damit verbundenen Forderungen zur Änderung der
Regelungen zu den Kosten der Unterkunft und Heizung
im SGB II verblüffen Sie einmal mehr mit mangelnden
Rechtskenntnissen. Ihrer Ansicht nach sollen der Umfang der Kosten der Unterkunft und Heizung sowie die
Anforderungen an kommunale Satzungen festgelegt
werden und zudem Maßnahmen zur Vermeidung von
Zwangsumzügen gesetzlich geregelt werden.
Meine Damen und Herren von den Linken, Sie verkennen schlichtweg, dass die meisten Ihrer Anliegen im
neuen Recht der Kosten der Unterkunft und Heizung bereits berücksichtigt worden sind, guter kommunaler Praxis entsprechen oder bereits Teil der Überlegungen im
Gesetzgebungsverfahren waren und aus guten Gründen
abgelehnt worden sind.
Die Satzungslösung nach § 22 Abs. 2 SGB II, um die
es heute geht, wurde in das Gesetzespaket zur Neuermittlung der Regelsätze aufgenommen und verabschiedet. Dies war aufgrund der enormen Belastung der
Sozialgerichte und der extrem hohen Zahl an Widerspruchsverfahren auch dringend erforderlich. Allein
2010 gab es 900 000 Widerspruchsverfahren zu Hartz-IVBescheiden, wovon sich etwa ein Viertel mit der Thematik der Kosten der Unterkunft beschäftigte. So befasst
sich das Bundessozialgericht in jedem dritten Fall mit
den Kosten der Unterkunft. Dieser Anteil dürfte in den
unteren Instanzen sogar noch darüberliegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Vergangenheit wurden die Kosten der Unterkunft in ihrer tatsächlichen Höhe getragen, solange sie angemessen waren. Allerdings gab es hierzu bis dato keine gesetzliche
Definition. Die Beurteilung der Angemessenheit war
von einer Vielzahl von Faktoren, zum Beispiel der Anzahl der Haushaltsangehörigen, ihrem Gesundheitszustand oder dem örtlichen Mietniveau abhängig.
Ein weiteres Problem resultierte aus dem Anspruch
auf Einzelfallgerechtigkeit, die für jede der knapp
3,5 Millionen Bedarfsgemeinschaften in Deutschland
eine Einzelfallprüfung erforderlich machte. Dieses System krankt an seiner Bürokratie. Im Steuerrecht ist es
doch seit Jahrzehnten anerkanntes Recht und völlig unstrittig, mit Pauschalen zu arbeiten. Dies machen wir
dort nicht nur bei den Werbungskosten, sondern auch in
dem äußerst sensiblen Bereich des Existenzminimums,
dem Grundfreibetrag.
Beobachten wir doch beispielsweise die absurden
Auswüchse für den Fall, dass eine Familie mit Gas sowohl heizt als auch kocht: Dann muss das Kochgas als
Bestandteil des Regelsatzes beim Heizgas als Teil der
Heizkosten angerechnet werden. Gar nicht mehr vermittelbar wird es jedoch, wenn die Leistungsbezieher mit
Strom heizen. Läuft der Verbrauch über einen Zähler,
dann muss im Zweifel eine Erstattung zu viel geleisteter
Vorauszahlungen in Heizkosten und allgemeine Stromkosten umgerechnet werden. Im Zweifel muss dann eine
Nachzahlung in Höhe von 10 Euro vom Sachbearbeiter
sachgerecht zwischen der Behörde und dem Leistungsempfänger aufgeteilt werden.
Um diesen Problemen zu entgehen, haben wir uns
entschieden, den Ländern, Kreisen und kreisfreien Städten durch § 22 a SGB II die Möglichkeit zu geben, durch
ihre Kommunalvertretungen für ihr Gebiet eine Satzung
zu erlassen, in der Grenzwerte für die regional angemessenen Unterkunfts- und Heizkosten festgelegt werden.
Hierdurch überlassen wir die Entscheidung denjenigen
Entscheidungsträgern, die ganz nah am Bürger sind und
eine sachgerechte und ortsspezifische Lösung aufgrund
ihres Wissens über die Wohnsituation und über die Leistungsempfänger finden können.
Gleichzeitig schaffen wir einen Paradigmenwechsel
vom Richterrecht zum materiellen Recht und entlasten
die zuständigen Richter, indem wir sie mit den Einzelfallentscheidungen über die Angemessenheit nicht mehr alleinlassen. Überdies werden die erlassenen Satzungen
von den zuständigen Landessozialgerichten überprüft.
Damit stellen wir sicher, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere im Urteil vom 9. Februar 2010, hinsichtlich des Existenzminimums eingehalten werden.
Frau Bluhm, Sie müssen mir schon zuhören, wenn Sie
Anträge stellen. Lassen Sie sich nicht ablenken!
({1})
- Vielleicht ersparen wir uns den einen oder anderen
ähnlichen Antrag von Ihrer Seite in Zukunft, wenn Sie
jetzt aufpassen.
Das Ziel dieser Pauschalisierung ist eben nicht eine
Leistungskürzung, sondern die Einsparung von Verfahrens- und Verwaltungskosten und damit ein höheres Maß
an Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Im Übrigen
bleibt die individuelle Härtefallregelung durch die Satzungslösung unberührt, sodass im Einzelfall auch Kosten über die Pauschale hinaus gewährt werden können.
Nur nebenbei bemerkt: Eine bundeseinheitliche
Rechtsverordnungsermächtigung gab es bereits früher
im § 27 Nr. 1 SGB II. Jedoch ist der Erlass einer solchen
Rechtsverordnung einvernehmlich von den Bundesländern vor dem Hintergrund der regionalen Vielfalt des
Wohnungsmarktes als nicht zweckmäßig abgelehnt worden. Nehmen Sie als Beispiel die Stadt Regen im Bayerischen Wald. Da sind das Mietniveau und die Mietkonditionen ganz andere als in München. Es ist auch in Berlin
ein bisschen anders als in Frankfurt/Oder oder in Görlitz.
Da müssen wir schon ein bisschen aufpassen, damit wir
hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Linken, ich bitte Sie, zu bedenken, dass es aufgrund der Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundesrat im April
noch keinerlei Erfahrungswerte mit der Satzungslösung
gibt. Wenn Sie also heute diese Regelungen bereits kritisieren, dann ist das so, als ob Sie ein Buch kommentieren, bevor Sie es überhaupt einmal gelesen haben. Wir
sollten den Kommunen also Zeit lassen, dass sie von der
Möglichkeit Gebrauch machen, die Kosten der Unterkunft und Heizung durch Satzungsregelungen zu bestimmen.
Ich wünsche Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest,
den Freundinnen und Freunden von der Linkspartei auch
ein paar schöne - wie heißt das so schön? - geflügelte
Jahresendfiguren. Alles Gute! Viel Spaß unterm Weihnachtsbaum und ein gutes Jahr 2012!
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Michael Groß für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Egloff ist ja schon auf die Anträge der Linken eingegangen. Ich möchte mich ein bisschen auf das konzentrieren, was die Koalition macht. Eine Mietrechtsreform
ist sicherlich nicht unbedingt das Weihnachtsgeschenk,
auf das wir warten, jedenfalls nicht Ihre Mietrechtsreform.
Es ist heute schon mehrfach festgestellt worden, dass
Wohnen mehr ist, als nur eine Unterkunft zu haben, und
es hier auch um die Fragen von Chancengleichheit
und -gerechtigkeit geht. Ich möchte gerne noch einmal
darstellen, was das bedeutet.
Wir haben einen Brief einer Rentnerin aus einer Stadt
in Nordrhein-Westfalen bekommen - das ist kein Einzelfall -, in dem sie berichtet, dass sie nach einer Modernisierungsmaßnahme statt 360 Euro 520 Euro zahlen soll.
Das ist eine Steigerung um fast 50 Prozent, die ihr durch
den Vermieter angedroht werden. Dabei hat sie nur eine
Rente von 1 000 Euro. Sie können sich vorstellen, was
dann zum Leben übrig bleibt. Es stellt sich schon die
Frage, ob nicht die Politik in der Verantwortung steht,
dies zu regulieren. Aus meiner Sicht ist klar, wer hier des
Schutzes bedarf. Es handelt sich, wie gesagt, auch nicht
um einen Einzelfall.
Die Argumentation „Sparen durch Sanieren“ kann
auch ein Trugschluss sein. Berechnungen besagen, dass
eine Modernisierung, also zum Beispiel eine energetische Sanierung, um die 2,50 Euro pro Quadratmeter an
Mietsteigerung nach sich ziehen kann, aber durch die
Sanierung vielleicht nur 50 Cent kompensiert werden.
Das heißt, es werden immer mehr Anteile des Einkommens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgezehrt. Die Kosten von 2 Euro pro Quadratmeter, die er
eigentlich zum Leben braucht, verbleiben beim Mieter.
Im Schnitt werden 30 Prozent des Einkommens für das
Wohnen und 15 Prozent für die Mobilität ausgegeben.
Ich glaube, es ist an der Zeit, deutlich zu sagen: Wenn
wir Mieter und Arbeitnehmer schützen wollen, müssen
wir dafür sorgen, dass dieser Anteil nicht steigt.
({0})
Zwischen Ordnungsrecht und Anreizen muss ein vernünftiges Verhältnis geschaffen werden. Im Bereich
Wohnen werden 80 Prozent der Investitionen von Privaten vorgenommen. Deshalb kommt es darauf an, gute
Rahmenbedingungen für private Investitionen zu schaffen, aber eben auch - das ist uns wichtig - die soziale Sicherung des Wohnens zu garantieren. Der Vorschlag der
SPD-Fraktion, die Quote, inwieweit die Kosten für die
energetische Gebäudesanierung auf die Mieten umgelegt
werden können, von 11 auf 9 Prozent zu senken, ist ein
guter Kompromiss.
Wir können heute feststellen: Mit den Plänen der
schwarz-gelben Koalition kommen zukünftig vermehrt
Kosten auf die Mieter zu. Das schwarz-gelbe Motto für
die energetische Sanierung lautet: Je teurer die Modernisierung, desto höher die Miete, umso mehr kostet das
Wohnen. - Eine Mieterhöhung darf aber nicht rein von
den Kosten der Sanierung abhängen. Sie sollte stattdessen davon abhängig sein, wie viel Energie- und Heizkosten eingespart werden können.
Die klimapolitischen Ziele sind klar. Wir müssen die
Sanierungsquote erhöhen. Wir wollen insbesondere viele
energieeffiziente und kostengünstige Maßnahmen in der
Breite umsetzen - und das am Einsparpotenzial orientieren. Unser Ziel ist annähernde Warmmietenneutralität.
Hier müssen die staatlichen Förderprogramme greifen.
Unsere Forderung an die Bundesregierung - das zuständige Ministerium ist nicht mehr vertreten - ist ganz klar:
Stellen Sie mehr Geld für die energetische Gebäudesanierung zur Verfügung und beenden Sie die Blockadehaltung gegenüber den Bundesländern im Vermittlungsausschuss.
Bei der energetischen Sanierung von Wohngebäuden
wollen wir für Mieterschutz sorgen. Dazu gehören erschwingliche Wohnungen und ein sozialökologischer
Lastenausgleich zum Beispiel durch Einführung einer
entsprechenden Komponente beim Wohngeld, mit der
aber insbesondere Energieeinsparung belohnt werden
muss.
Klimaschutz ist wichtig. Die Lasten müssen fair verteilt werden. Das ist und bleibt eine Frage der Gerechtigkeit.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Pascal Kober für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke,
in Ihrem Antrag, in dem es um die Kosten der Unterkunft und Heizung geht, fordern Sie umfangreiche Verbesserungen für die Bezieher der Grundsicherung für
Arbeitsuchende im Bereich des Wohnens. Ich möchte
das eine oder andere herausgreifen.
Sie fordern beispielsweise:
Bei unvermeidbarem Wohnungswechsel sind den
Leistungsbeziehenden die doppelten Mietzahlungen im Umzugsmonat und die mittelbaren und unmittelbaren Umzugskosten zu erstatten sowie Beihilfen für Erstausstattungen der Wohnungen
einschließlich der Haushaltsgeräte zu gewähren.
({0})
Bei unvermeidbarem Wohnungswechsel sind den
Leistungsbeziehenden die Kosten für die Schönheitsreparaturen bzw. Renovierungsmaßnahmen für
die zu räumende Wohnung zu erstatten.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, in Ihrem
gesamten Antrag geht es um höhere Leistungen für diese
Menschen.
({2})
Sie beantworten sogar ausnahmsweise, wer das alles bezahlen soll. Sie sagen nämlich: Die Bundesbeteiligung
muss entsprechend erhöht werden. Ich möchte Sie an der
Stelle einmal fragen, wie Sie eigentlich insgesamt Ihren
gedachten bzw. gewünschten Sozialstaat finanzieren
wollen. Schon heute ist der Bund an der Gesamtverschuldung der Bundesrepublik anteilig mit 64 Prozent
beteiligt. Bei den Ländern sind es 30 Prozent, bei den
Kommunen 6 Prozent.
Irgendwann müssen Sie die Frage beantworten, wie
hoch nach Ihren Vorstellungen die Staatsquote in unserem Land und der Anteil der Sozialausgaben am Gesamthaushalt des Bundes sein sollen.
({3})
Vor kurzem haben wir den Bundeshaushalt für das
kommende Jahr beschlossen. Allein für die drei Haushalte Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesfamilienministerium und Bundesgesundheitsministerium werden wir 147,8 Milliarden Euro ausgeben. Wir
geben über 48 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes
für Soziales aus. Dabei ist noch nicht einmal eingerechnet, was die Länder und die Kommunen zusätzlich in
diesem Bereich aufbringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich kann
mir sehr viele Fälle - ich kenne auch einzelne Fälle vorstellen, wo es tatsächlich im Bereich des Wohnens zu
Härten kommt, die wir alle bedauern.
({4})
Allerdings müssen Sie die Frage beantworten, wie Sie
diesen Einzelfällen begegnen wollen,
({5})
ohne dass die Leistungen des Sozialstaates ins Unendliche explodieren. Die Antwort auf diese Frage sind Sie
bisher in Ihrer gesamten Sozialpolitik schuldig geblieben. Ich bitte Sie, darüber einmal nachzudenken. In einer
sozialen Marktwirtschaft muss das Soziale eben auch erwirtschaftet werden.
({6})
Dieses Verhältnis sollten Sie einmal bedenken.
Insgesamt möchte ich an dieser Stelle aber auch einmal all jenen in unserem Land danken, die all diese Leistungen mit ihren Steuergeldern erwirtschaften.
({7})
Denn in diesem Land ist es in der Tat so, dass wir Solidarität üben mit den Menschen, die auf Hilfe angewiesen
sind. Da ist es gerade vonseiten der Politik einmal angebracht, diesen Menschen einen herzlichen Dank auszurichten.
Vielen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 17/4837 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP wünschen Federführung beim Rechtsausschuss, die
Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke, also Federführung
beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
FDP gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der
Grünen abgelehnt.
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, also Federführung beim Rechtsausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen. Damit liegt die Federführung also beim Rechtsausschuss.
Die Vorlage auf Drucksache 17/7847 soll an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen
werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Nicole Maisch, Tabea
Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Grundrechte schützen - Datenschutz und Verbraucherschutz in sozialen Netzwerken stärken
- Drucksache 17/8161 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann haben wir das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der letzte Tagesordnungspunkt in diesem Jahr: der Datenschutz.
Uns war es wichtig, eines der drängendsten Themen
unserer Zeit noch in diesem Jahr zu behandeln. Es ist ein
Thema, von dem heute praktisch jeder und jede betroffen ist. Wer in diesen Tagen über den Datenschutz
spricht, der sollte auch einen Ausgangsbefund offenlegen. Unser Befund deckt sich dabei weitgehend mit dem
der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder: Es gibt eine anhaltende, teilweise geradezu revolutionäre Durchtechnisierung unseres Alltags. Die Technik
hält viele Vorteile und Annehmlichkeiten bereit, die
auch wir, die wir hier sitzen, alle nutzen. Die vermehrte
Nutzung schafft aber eben auch eine stark zunehmende
Abbildbarkeit und Interpretation der Menschen und ihres
Verhaltens.
Das geschieht aus zwei Richtungen. Die Menschen
werden im Hinblick auf ihre Privatsphäre geradezu in
die Zange genommen. Neben dem Staat, der aus Sicherheitsinteressen das Netz der Überwachbarkeit immer enger zieht, wollen große Konzerne den gläsernen Konsumenten. Wer Persönlichkeit, Vorlieben, Verhalten und
Ähnliches einschätzen kann, der kann eben auch Kaufentscheidungen, Konsummotivation und Bedürfnisse gezielter beeinflussen. Genau das ist das Geschäftsmodell
vieler sozialer Netzwerke. Deswegen ist die Politik hier
einfach in der Pflicht, etwas zu tun.
({0})
Die Nutzung dieser Informationen und deren Offenlegung durch Dritte sind massive Eingriffe in das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung und das Persönlichkeitsrecht der Menschen. Deswegen steht es in der
Verantwortung des Gesetzgebers - in unserer Verantwortung -, hier steuernd einzugreifen. Ziel muss dabei die
Sicherung von Freiheitsräumen, die gleichberechtigte
Marktteilnahme, das selbstbestimmte Handeln der Nutzerinnen und Nutzer und die freie Kommunikation der
Menschen sein.
Gesetzlicher Datenschutz ist angesichts dieser Entwicklungen unsere verfassungsrechtlich vorgegebene
Daueraufgabe. Sie, meine Damen und Herren der Koalition, verschweigen gerne die ständige Rechtsprechung
aus Karlsruhe im Hinblick auf die Drittwirkung der
Grundrechte und unsere gesetzlichen Schutzpflichten,
vom Lüth-Urteil von 1958 bis zum Versicherungsurteil
von 2006.
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts,
Andreas Voßkuhle, hat ausdrücklich vor den Risiken der
Benutzung von sozialen Netzwerken gewarnt. Ich zitiere:
Es spricht jedenfalls einiges dafür, dass das Bundesverfassungsgericht in den nächsten Jahren gefordert sein wird, die Bedeutung und Reichweite
der Grundrechte in einer Welt der digitalen Vernetzung neu zu bestimmen.
Wenn er das so konstatiert, ist das doch für uns als
Gesetzgeber ein Alarmsignal.
({1})
Da ist es ein Armutszeugnis, wenn ein Bundesinnenminister kürzlich in einem Kommentar im Handelsblatt
zu Protokoll gibt, es gebe keinerlei Handlungsbedarf,
und die Verbraucherschutzministerin durch das Öffentlichmachen privater Handlungen in Form ihres einsamen
Austritts bei Facebook nur ihre Untätigkeit dokumentiert.
Datenschutz ist auch keineswegs ein Innovationshindernis, obwohl das häufig auf der rechten Seite des Hauses behauptet wird. Das Gegenteil ist der Fall: Datenschutz wird zum zentralen Vertrauensfaktor der IT-Wirtschaft, wie es zum Beispiel der ehemalige BITKOMPräsident, Herr Professor Scheer, klar festgestellt hat.
Die Rechtssicherheit kommt eben auch den Unternehmen zugute.
Das alles ignorieren Sie von der Koalition seit Jahren.
Es reicht eben nicht, wohlklingende Sätze in einen Koalitionsvertrag zu schreiben. Man muss es auch umsetzen. Das tun Sie aber nicht.
({2})
Ich kann Ihnen schon sagen, was jetzt in dieser Debatte kommen wird: Sie werden selbst keine inhaltlichen
Antworten haben und keinen Gestaltungsanspruch zeigen.
({3})
- Darauf freue ich mich schon. - Stattdessen werden Sie
auf die europäische Debatte verweisen, an der Sie aber
auch nicht aktiv teilnehmen, obwohl wir Sie seit Jahren
dazu auffordern.
Wir legen hier heute ganz konkret drei zentrale Elemente unseres Konzepts vor: Pseudonyme Nutzungsmöglichkeiten müssen erhalten bleiben. Wir brauchen
die Vorabinformation und -einwilligung. Wir brauchen
den Datenschutz ab Werk.
Die Reform des Datenschutzes muss jetzt gestaltet
werden. Sie haben dafür weder ein Konzept noch einen
Kompass, weder auf der deutschen noch auf europäischer Ebene.
Ganz herzlichen Dank und ein frohes Weihnachtsfest.
({4})
Das Wort hat nun Stephan Mayer für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen!
Sehr geehrte Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege von
Notz, nachdem Sie vermeintlich schon wissen, was vonseiten der Regierungskoalition kommt, werden Sie jetzt
etwas verblüfft sein,
({0})
wenn ich zunächst einmal feststelle, dass Sie mit dem
Antrag, den Sie heute vorlegen, teilweise durchaus richtig liegen, was die Analyse der Problemstellungen und
Herausforderungen anbelangt. Ich möchte Ihnen durchaus zugestehen, dass Sie den Finger bei den Themen in
die Wunde legen, die derzeit den Datenschutz nicht nur
in Deutschland, sondern auch in Europa und der Welt
betreffen.
Sie stellen die Frage, wie verhindert werden kann,
dass Daten in die Hände von Unbefugten gelangen.
Auch die Gefahr der Profilbildung sprechen Sie durchaus zu Recht an. Es ist eine Aufgabe dieses Hauses, uns
damit zu beschäftigen, wie wirklich effektiv kontrolliert
werden kann, dass Daten, die der Nutzer löschen will,
wirklich gelöscht werden. Wir müssen uns auch mit der
Frage beschäftigen, inwiefern das deutsche Datenschutzrecht zum Beispiel auf soziale Netzwerke, die ihren Sitz
nicht in Deutschland, sondern im Ausland haben, anwendbar ist; hier geht es um das Problem der Durchsetzbarkeit.
Herr Kollege von Notz, jetzt komme ich zu dem Bereich, in dem ich Ihnen nicht zustimmen kann: Sie machen meines Erachtens den großen Fehler, zu glauben
- diesem Glauben hängen Sie wohl an -, man könne
diese Probleme und Herausforderungen nur mit gesetzgeberischem Handeln in den Griff bekommen; darauf
konzentrieren Sie sich einseitig.
({1})
Wir sollten hier den Grundsatz der Subsidiarität beachten und uns darauf verständigen, dass es in allererster Linie die Aufgabe sein muss, Regelungen zu schaffen oder
Vorgaben zu machen, die niedrigschwelliger als gesetzgeberische Vorgaben sind.
Herr Kollege von Notz, Sie machen meines Erachtens
auch einen gravierenden Fehler, wenn Sie sich in Ihrem
Antrag ausschließlich auf die Gewährleistung des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung konzentrieren und dabei vollkommen außer Acht lassen, dass es
beim Umgang im Internet auch um andere Grundrechte
geht. Es geht um Kommunikationsfreiheit, Meinungsfreiheit, um Berufsfreiheit und auch um das Grundrecht der
allgemeinen Handlungsfreiheit.
Das Bundesverfassungsgericht hat sehr gut daran getan, den Grundsatz der praktischen Konkordanz aufzustellen. Der Grundsatz der praktischen Konkordanz gibt
uns vor, dass wir unser gesetzgeberisches Handeln so
vornehmen sollen, dass man möglichst allen Grundrechten, auch wenn sie teilweise divergierend sind, zu einer
größtmöglichen Ausbreitung verhilft. Mit den Forderungen in Ihrem Antrag werden Sie dem Anspruch auf einen
möglichst schonenden Ausgleich aller möglichen
Grundrechte nicht gerecht.
Wir sollten uns nicht einseitig auf gesetzgeberisches
Handeln verlegen. Sie haben den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts zitiert. Ich möchte Ihnen den
Hinweis geben, dass Sie ihn in Ihrem Antrag falsch zitiert haben. Herr Professor Voßkuhle hat nicht die Nutzung von Facebook mit einer gefahrgeneigten Tätigkeit
gleichgestellt. Er spricht in dem erwähnten Interview im
Focus von einer risikogeneigten Tätigkeit, aber nur insoweit, als dass gewährleistet sein muss, dass Daten von
Nutzern gelöscht werden, wenn die Nutzer dies wollen.
Er stellt also nicht die Nutzung von Facebook mit einer
risiko- oder gefahrgeneigten Tätigkeit gleich, sondern
nur den speziellen Bereich der Kontrolle über das Löschen entsprechender Daten.
Es wäre meines Erachtens zu einfach und zu antiquiert, wenn man der Denkweise nachhängen würde,
dass man den zugegebenermaßen vorhandenen Herausforderungen, die bei der Nutzung des Internets auftreten,
nur mit Verboten und Einschränkungen begegnen kann.
Vielmehr erfordert moderner Datenschutz aus meiner
Sicht eine flexible und anpassungsfähige Strategie.
Die Antworten können in Abhängigkeit von den konkreten Angeboten der Unternehmen durchaus variieren.
Das ist abhängig davon, ob es sich um VZ-Netzwerke
Stephan Mayer ({2})
oder um Facebook handelt. Für die christlich-liberale
Koalition bedarf es deshalb eines Dreiklangs, um in Zukunft effektiven Datenschutz zu sichern, wobei ich betonen möchte, dass für mich der Subsidiaritätsgedanke innerhalb des Dreiklangs ganz entscheidend ist; sprich:
Man sollte eine Vorgabe der zweiten oder dritten Stufe
erst dann vornehmen, wenn die auf der ersten Stufe nicht
tauglich ist.
Das erste Element dieses Dreiklangs ist eine Stärkung
der Eigenverantwortung und der Sensibilisierung der
Nutzer für personenbezogene Daten. Es muss unser Ziel
sein, dazu beizutragen, dass die Medienkompetenz der
Bevölkerung gesteigert wird.
({3})
Die Bürger müssen informiert sein und selbstbestimmt
handeln können, wenn es darum geht, wem sie ihre Daten anvertrauen. Die Vermittlung der Medienkompetenz
kann dabei durch Schulen erfolgen. Deswegen sind die
Länder einzubeziehen. Das kann auch durch Volkshochschulen und andere Bildungsträger erfolgen.
Ich möchte sehr lobend hervorheben, dass die Europäische Union im Februar jedes Jahres Aktionstage
durchführt, zum Beispiel den „Safer Internet Day“. Damit werden eine bewusste Auseinandersetzung mit den
Chancen und Herausforderungen des Internets und ein
bewusster Umgang mit den eigenen Daten gefördert.
({4})
Ein ganz wesentlicher Bestandteil des Paketes im ersten Element muss die Stiftung Datenschutz sein.
({5})
Anders als in Ihrem Antrag formuliert, Herr Kollege von
Notz, sind wir in der christlich-liberalen Koalition auf
einem ausgesprochen positiven und guten Weg.
({6})
Wir befinden uns in sehr konstruktiven Gesprächen. Ich
darf Ihnen an dieser Stelle auch zusagen: Die Stiftung
Datenschutz wird kommen,
({7})
und zwar im Jahr 2012. Es wird eine gute Stiftung sein,
schon allein deshalb, weil zwei ihrer Hauptziele sein
werden, dass zum einen der Selbstdatenschutz der Bürgerinnen und Bürger verbessert wird und dass zum anderen die Bildung der Bevölkerung im Bereich des Datenschutzes gestärkt wird.
Aber es reicht nicht aus, sich nur auf den Bereich der
Steigerung des Bildungsniveaus und des Selbstdatenschutzes zu konzentrieren, sondern es bedarf als zweites
Element einer stärkeren Betonung von freiwilligen
Selbstverpflichtungen.
({8})
Wir brauchen freiwillige Selbstverpflichtungen, weil sie
aus meiner Sicht eine schnellere Reaktion auf neue technische Entwicklungen gewährleisten und wesentlich
schneller und flexibler sein können als die Gesetzgebung.
({9})
Grundsatz freiwilliger Selbstverpflichtungen muss immer sein, dass zunächst einmal die Datenvermeidung
und die Datensparsamkeit im Vordergrund stehen. Hier
ist lobend hervorzuheben, dass es seit dem 10. Februar
2009 Grundsätze für sichere soziale Netze in der Europäischen Union gibt. Man muss erwähnen, dass VZNetzwerke - entgegen dem Duktus, der Ihren Antrag
prägt - diese Selbstverpflichtung unterzeichnet haben,
({10})
aber auch Facebook, das Sie immer angreifen und in die
Defensive drängen wollen, und Google.
({11})
In dieser Selbstverpflichtung werden zum Beispiel
Vorgaben für altersangemessene Angebote gemacht,
aber auch für eine selbstbestimmte Nutzung durch zielgerichtete Information der Nutzer über den Schutz ihrer
Daten und die Warnung vor möglichen Konsequenzen
ihres Verhaltens. Diese Selbstverpflichtung wird in regelmäßigen Abständen durch die EU-Kommission evaluiert und fortentwickelt. Die Ergebnisse der letzten
Evaluation wurden am 30. September dieses Jahres vorgestellt. Man hat sich sehr stark darauf kapriziert, dass
die getesteten Websites durchaus auch altersgerechte Informationen für Kinder und Jugendliche zur Verfügung
stellen. Ich glaube, gerade die Minderjährigen müssen
im Fokus stehen. Ihnen müssen altersangemessene Anleitungen und Lernmaterialien an die Hand gegeben werden, und es muss eine schnelle Beantwortung der eingereichten Fragen gewährleistet sein. Die durchgeführte
Evaluation hat aber durchaus auch Defizite zum Vorschein gebracht, insbesondere bei Voreinstellungen zum
Datenschutz. Auch der altersgerechte Schutz von Jugendlichen ist verbesserungsbedürftig. Deswegen ist es
richtig, dass diese Selbstverpflichtung fortgeschrieben
wird.
Eine solche Selbstverpflichtung gibt es nicht nur auf
europäischer Ebene, sondern auch auf deutscher Ebene:
den Verhaltenskodex für Betreiber von Social Communities bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Multimedia
Diensteanbieter e. V. Diese stammt vom 11. März 2009.
Hier werden umfangreich Fragen des Datenschutzes, des
Jugendschutzes und Konsequenzen, die sich aus der
Nichteinhaltung von Verhaltensregeln in den sozialen
Netzwerken ergeben, geregelt. Bedauerlicherweise - das
Stephan Mayer ({12})
möchte ich durchaus konstatieren - ist Facebook dieser
Selbstverpflichtung bisher noch nicht beigetreten.
({13})
Ich bin aber erfreut darüber, dass seit wenigen Monaten
im Bundesinnenministerium intensive und konkrete Gespräche über einen nachträglichen Beitritt von Facebook
zu dieser Selbstverpflichtung und über eine Fortschreibung dieses Verhaltenskodexes laufen.
({14})
Es ist das erklärte Ziel, dass die Gespräche bis zum Start
der CeBIT im März des kommenden Jahres abgeschlossen sind und Facebook diesem Verhaltenskodex und dieser Selbstverpflichtung dann hoffentlich beitritt.
Die beiden von mir jetzt aufgeführten Selbstverpflichtungen zeigen exemplarisch, in welcher Form sie
ein wesentlicher und wichtiger Baustein bzw. ein geeignetes Instrument für einen effektiven Datenschutz sein
können. Ich möchte aber auch nicht verhehlen, dass insbesondere die Evaluation der Grundsätze für sichere soziale Netze in der EU ergeben hat, dass der Schutz durch
Selbstverpflichtungen und durch eine Steigerung der
Selbstverantwortung der Nutzer im Netz allein nicht erreicht werden kann, sondern es selektiv durchaus auch
einer stärkeren europäischen und vielleicht auch nationalen Gesetzgebung im Bereich des Datenschutzes bedarf.
Das ist das dritte Element unseres Dreiklangs. Man muss
durchaus auch gesetzgeberische Veränderungen vornehmen. Ich möchte aber in aller Deutlichkeit betonen, dass
das deutsche Datenschutzrecht im europäischen Vergleich mit Sicherheit höchsten Ansprüchen genügt. Vielleicht weist es sogar weltweit neben dem Datenschutzrecht von Spanien die höchste Qualität auf.
({15})
Wichtig ist, dass gesetzliche Regelungen nicht einseitig sind, sondern auch andere Rechtspositionen berücksichtigt und gewürdigt werden. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass im Rahmen des 6. IT-Gipfels
der Bundesregierung am Montag der vergangenen Woche in München viele Fragen des Datenschutzes diskutiert wurden. Im Rahmen dieses IT-Gipfels ist deutlich
zum Ausdruck gebracht worden, dass der Datenschutz
und die Datensicherheit in Deutschland gut aufgehoben
sind und Deutschland in diesen Bereichen, was das technische Know-how anbelangt, mit Sicherheit Vorreiter ist.
Vor diesem Hintergrund halte ich zahlreiche Forderungen in Ihrem Antrag für vollkommen überzogen und für
unverhältnismäßig. Das betrifft zum Beispiel die von Ihnen vorgeschlagene Verschärfung des § 28 Abs. 3 b des
Bundesdatenschutzgesetzes. Sie sprechen sich gegen das
Kopplungsverbot aus. Ein komplettes Verbot der Kopplung würde mit Sicherheit einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12
Abs. 1 des Grundgesetzes zur Folge haben.
Auch die von Ihnen angemahnte Erarbeitung eines
allgemeinen Güte- und Auditierungsgesetzes ist mit Sicherheit sehr fragwürdig. Ich muss ehrlich konstatieren:
Ausgerechnet die Grünen, die den Gesetzgeber sonst immer mit Argusaugen betrachten, insbesondere wenn er
regulierend in die Rechte der Bürger eingreift, hängen
dem Grundgedanken nach, dass man hier nur mit gesetzgeberischen Änderungen zum Durchbruch und zu Ergebnissen kommen kann. Das ist der grundsätzliche Fehler Ihres Antrags.
({16})
Wir hingegen setzen auf den bereits erwähnten Dreiklang: erstens die Selbstverantwortung der Nutzer sowie
die Bildung und Ausbildung der Bevölkerung im Sinne
eines sinnvollen und vernünftigen Umgangs im und mit
dem Internet stärken, zweitens Selbstverpflichtungen
zwischen dem Staat und der Wirtschaft eingehen und
erst drittens, wenn es gar nicht mehr anders geht, sowohl
auf europäischer als auch auf nationaler Ebene gesetzgeberisch tätig werden. Das ist ein wesentlich angemessenerer, modernerer und flexiblerer Ansatz, den wir Ihrem
Antrag entgegensetzen. Ich kann nur appellieren, Ihrem
Antrag die Zustimmung zu verweigern.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({17})
Das Wort hat nun Gerold Reichenbach für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Koalition, seit zwei Jahren hören wir, dass die Verbraucherschutzministerin und der Innenminister - genauso
wie sein Vorgänger - gute Gespräche führen, mit deren
erfolgreichem Abschluss sie demnächst rechnen. Seit
zwei Jahren hören wir, dass Sie auf einem guten Weg
sind. Ich sage Ihnen als jemand, der selber wandert:
({0})
Wenn ich mich auf einem Weg so verirrt hätte, dass ich
nach zwei Jahren noch immer nicht am Ziel bin, dann
würde ich mir Gedanken machen, das aber nicht als guten Weg bezeichnen.
({1})
Schauen Sie sich doch einmal die Realität an. Vor wenigen Tagen hat die unabhängige Bewertungsgesellschaft Xamit in einer Studie festgestellt: 2011 haben
durchschnittlich 82 von 100 deutschsprachigen Webauftritten gegen das Datenschutzrecht verstoßen. Allein
beim nichtdatenschutzkonformen Einsatz von Webstatistiken haben wir einen Zuwachs von 12 Prozent zu verzeichnen. Gerade vor diesem Hintergrund enthält der
Antrag der Grünen einige wichtige Forderungen zum
Datenschutz im Internet, insbesondere zum Datenschutz
in sozialen Netzwerken, wichtige Forderungen, die im
Übrigen auch die SPD seit langem erhebt und die gerade
letzte Woche durch die Kampagne des Bundesverbandes
der Verbraucherzentralen erneut proklamiert wurde.
Fast jeder kennt die Situation im Internet: Man
möchte einen Dienst - zum Beispiel für Internetshopping - nutzen, muss aber erst einmal seine persönlichen
Daten angeben. Teilweise muss man sogar viele persönliche Daten angeben, um überhaupt das komplette Angebot einer Seite einsehen zu können. Wenn man aber den
Dienst nur einmal nutzen oder sich nur einen Überblick
verschaffen will und danach den Nutzeraccount löschen
möchte, wird es schwierig. Automatische Löschfunktionen sind oft nicht vorgesehen. Den Diensteanbieter zu
kontaktieren, ist schwierig und oft mit dem mehrfachen
Schreiben von E-Mails verbunden. Aber auch nach der
vermeintlich erfolgten Löschung kann man sich nicht sicher sein - das wissen wir inzwischen -, dass alle Daten
wirklich unwiderruflich gelöscht sind. Oft wird bloß das
Konto deaktiviert. Daten einzugeben, ist also leicht, die
Herrschaft über die Daten zu behalten, dafür umso
schwieriger.
Auch wenn man selbst aktiv keine Daten eingibt, werden das Surfverhalten, die Seiten und die Inhalte, die
man besucht, mittels Cookies, also kleiner Textdateien,
die auf der Festplatte gespeichert werden, aufgezeichnet
und ausgewertet. Kaum jemand ließe sich gefallen, all
seine Daten angeben zu müssen, wenn er sich in einem
realen Klamottenladen nur einen Überblick über das Angebot verschaffen will. Niemand ließe sich gefallen, dass
der Ladenbesitzer heimlich notiert, wie lange der einzelne Kunde in seinem Laden bleibt und welche Sachen
er sich ansieht, oder gar eine biometrische Gesichtserkennung durchführt, um weitere Daten über seinen Kunden erheben zu können. Wir wären zu Recht empört,
wenn dies automatisch ohne unser Wissen und ausdrückliches Einverständnis geschehen würde. Aber genau das
ist im Internet gang und gäbe; das ist Alltag.
Deshalb fordern wir: Auch beim Surfen und Bestellen
im Internet und bei der Nutzung von sozialen Netzwerken muss der Nutzer, ohne dass er Computer-Freak ist
oder Chat-technische Spezialkenntnisse hat, Herr über
seine Daten bleiben und über deren Preisgabe selber entscheiden können.
({2})
Es geht bei alldem nicht nur um das Löschen von Accounts. Es geht generell um datenschutzfreundliche Privatsphärenvoreinstellungen bei Produkten und Diensten.
Insbesondere bei sozialen Netzwerken besteht ein erhebliches Risiko bei der Preisgabe persönlicher Daten. In
sozialen Netzwerken werden Kommentare gepostet, Fotos hochgeladen, Freunde getaggt, also mit Namen markiert, und vieles mehr, ohne dass man genau weiß, was
damit im Hintergrund geschieht. Das ist ein Risiko für
die eigenen Daten, aber auch für die Daten Dritter.
Voraussetzung für selbstbestimmtes und verantwortliches Verhalten im Internet, gerade in sozialen Netzwerken, sind daher Transparenz und das Wissen darum, was
mit den Daten geschieht. Deswegen müssen die Informationspflichten der Diensteanbieter verschärft werden.
Es darf nicht erst durch Skandale herauskommen, was
im Hintergrund mit Daten passiert. Ich denke an das Beispiel Facebook, und es waren doch nicht die Grünen, die
gegen Facebook hetzten, es ist doch Ihre eigene CSUMinisterin, die ständig Facebook auf den Lippen führt
und fast jeden Tag in der Zeitung anklagt.
Ein weiterer wichtiger Schritt zu mehr Datenschutz
ist - das haben die Verbraucherzentralen deutlich gemacht - die gesetzliche Festschreibung der Prinzipien
„privacy by default“ und „privacy by design“. Es geht
also um Voreinstellungen oder um ein Design, bei dem
der persönliche Datenschutz von vornherein, ohne kompliziertes Häkchen-Setzen oder -Verändern, garantiert
wird.
Bei all diesen Punkten ist die Regierungskoalition
bisher nicht willens oder nicht in der Lage, Schritte für
den Verbraucherschutz im Internet zu unternehmen. Sie
beschränkt sich auf nebulöse Ankündigungen
({3})
und Drei-Säulen-Theorien. Jüngster Beleg, Herr Kollege,
war Ihr Abstimmungsverhalten in der Sitzung der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“
am Montag, in der Sie alle konkreten Vorschläge zum Daten- und Verbraucherschutz im Internet abgelehnt haben.
({4})
Die SPD unterstützt darum die Forderungen des vorliegenden Antrags der Grünen. Aber leider, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dieser Antrag in einigen Punkten noch ein wenig unausgereift und widersprüchlich.
Zum einen stellen Sie fest, dass der europäische Rechtsrahmen nicht ausreiche, zum anderen fordern Sie aber,
dass sofort etwas zu tun sei. Das ist ungefähr so, wie
schon einmal in ein leeres Schwimmbecken zu springen,
nur weil man den Hausmeister vorher aufgefordert hat,
Wasser einzulassen.
Viel wichtiger ist es, der Bundesregierung bei den laufenden Verhandlungen zur europäischen Datenschutzrichtlinie genau auf die Finger zu schauen. Die Bundesregierung hat bereits zugestanden, dass das eine bindende
Verordnung werden soll. Deswegen ist es schon interessant, zu sehen, ob die Bundesregierung in den Verhandlungen darauf dringt, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch auf europäischer Ebene Geltung
erlangen, oder ob sie auch jetzt wieder - wie schon früher
an anderer Stelle - eher willfährig den Interessen der
Wirtschaft folgt.
Darum lassen Sie uns die Bundesregierung bei ihrem
Versuch, die europäische Datenschutzrichtlinie auf deutsche Standards zu bringen - wenn sie diesen Versuch
denn unternimmt -, unterstützen und sie dabei vorantreiben, und lassen Sie uns national dort tätig werden, wo
das europäische Recht längst weiter als das nationale
Recht ist, nämlich bei der seit einiger Zeit überfälligen
Umsetzung der E-Privacy-Richtlinie. Dabei geht es
darum, dass die eben beschriebenen „VerfolgungsCookies“ nicht ohne ausdrückliches Wissen des jeweiligen Surfers darüber, was mit seinen Daten passiert, und
ohne sein Einverständnis gesetzt werden können.
Der Bundesrat hat - übrigens unter Beteiligung einer
ganzen Reihe von CDU-geführten Bundesländern - einen vernünftigen Vorschlag dafür vorgelegt. Die Bundesregierung hat diesen abgelehnt und angekündigt, dass
sie im Rahmen des Telekommunikationsgesetzes - also
dort, wo es zu regeln ist - einen Vorschlag machen
würde. Was ist passiert? Nichts. Sie sind ja auf einem
guten Weg und haben sich verirrt. Deswegen werden wir
als SPD-Fraktion Ihnen bei diesem konkreten Punkt Gelegenheit geben, diesen guten Weg zu Ende zu gehen. Insofern brauchen wir nicht auf Europa zu warten. Wir
werden Ihnen einen Gesetzesvorschlag unterbreiten, wie
diese europäische Richtlinie ganz konkret umgesetzt
werden kann. Dann haben Sie einen Regelungsteil, bei
dem Sie nicht mit Ihrer Drei-Säulen-Theorie kommen
müssen, sondern ganz konkret handeln können. Dazu
gibt es Vorschläge, Vorschläge des Bundesrates und eine
Richtlinie auf europäischer Ebene, die Sie seit über einem Dreivierteljahr nicht umgesetzt haben. Eigentlich
hätten Sie schon im Mai dieses Jahres zu Potte kommen
müssen. Nun werden wir Ihnen dabei helfen. Dann werden wir sehen, ob diese Regierung Datenschutz im Internet wirklich ernst nimmt oder ob es bei dieser Nebulosität bleibt.
Ich freue mich auf ein schönes neues Jahr, in dem wir
dieses Thema weiter diskutieren werden. Ihnen und all
denen, die jetzt noch am Fernseher zuschauen, frohe
Weihnachten und ein gutes neues Jahr!
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat nun Erik Schweickert für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte heute mit
einem Zitat beginnen:
Das Internet ist das erste von Menschenhand erschaffene Ding, das der Mensch nicht versteht. Es
ist das größte Experiment in Anarchie, das es jemals gab.
Dieses Zitat stammt nicht von einem betagten Panikmacher, sondern von Ex-Google-Chef Dr. Eric Schmidt.
Im Internet sind die sozialen Netzwerke, die Social Networks, für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu einer wichtigen Kommunikationsplattform geworden. Insbesondere in diesem Bereich hat die Digitalisierung dazu
geführt, dass das Verhalten von Internetnutzern registriert und diese Daten - auch für längere Zeiträume - gespeichert werden können. Den damit verbundenen Risiken wie dem Missbrauch der Daten gilt es zu begegnen
und den Datenschutz entsprechend effizient zu gestalten,
damit es in diesem Bereich nicht zu einem großen Experiment kommt.
({0})
Auf der einen Seite müssen wir zur Kenntnis nehmen
und akzeptieren - auch als Verbraucherschützer -, dass
manch mündiger Verbraucher sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bewusst so auslebt, dass
es eher einem Akt der Entäußerung entspricht; einige geben ihre eigenen Daten freimütig preis. Beispielsweise
werden bei YouTube jede Minute Videos mit einer
Länge von insgesamt 48 Stunden hochgeladen, jeden
Tag werden mehr als 200 Millionen Fotos bei Facebook
eingestellt. Auf der anderen Seite beobachten wir, dass
es viele User von Social Networks gibt, die eine hohe
Kompetenz in dem Bereich haben. Die Studie der
BITKOM vom November dieses Jahres zeigt: 77 Prozent der User passen aktiv die Grundeinstellungen ihrer
Benutzerkonten an, 9 Prozent entscheiden sich bewusst,
die Voreinstellungen der Netzwerke zu übernehmen.
Wir als Politiker müssen dieses informationelle Selbstbestimmungsrecht akzeptieren, auch bei denen, die es
eher exhibitionistisch ausleben, und wir müssen uns um
die kümmern, denen die entsprechende Kompetenz fehlt,
beispielsweise Kinder und Personen, die nicht besonders
internetaffin sind.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag Dinge, die es bereits gibt und die daher obsolet sind. Sie wollen etwas regeln, das heute geltendes Recht ist. Das Erheben und
Nutzen personenbezogener Daten nichtregistrierter Nutzer ist schon heute rechtswidrig. Ich bin auch der Meinung, dass die Differenzierung zwischen privat und geschäftlich genutzten Netzwerken völlig an der Realität
vorbeigeht.
Wir müssen den Verbraucher für das Thema Datenschutz sensibilisieren. Das trägt zur Effizienzsteigerung
des Datenschutzes bei. Wenn die Verbraucher über die
möglichen Gefahren Bescheid wissen, wissen sie auch,
welche Folgen mit der unbedarften Weitergabe von
Daten verbunden sind. Wir müssen unser Augenmerk
auf Datensparsamkeit richten. Wir können nicht davon
ausgehen, dass jeder Nutzer gleich gut informiert ist.
Wir Liberale setzen in diesem Bereich mehr auf die
Selbstregulierung.
({1})
- Ja, Herr von Notz.
({2})
- Ganz ruhig bleiben. - Für einen effizienten Datenschutz ist es wichtig, dass die Verpflichtung zu regulatorischen Eingriffen im privatrechtlichen Bereich nur bei
fühlbar gestörten Ungleichgewichten zwischen den Unternehmen und den Verbrauchern erfolgen darf. Deshalb
steht die FDP für die Stiftung Datenschutz.
({3})
Wir als christlich-liberale Koalition gehen dieses Problem an und warten nicht wie Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sieben Jahre. Wir tragen es nicht wie eine Monstranz vor uns her und machen
dann nichts. Das von Ihnen geforderte Gütesiegel ist eine
gute Idee; das haben Sie bei uns abgeschrieben.
({4})
Sie haben die Möglichkeit, es über die Einrichtung einer
Stiftung Datenschutz zu unterstützen. Die Stiftung Datenschutz könnte dieses Gütesiegel in Zukunft vergeben.
Was müssen wir tun? Wir müssen den Betreibern umfassende Transparenz- und Informationspflichten auferlegen und das Ganze mit klarem Menschenverstand tun;
denn Eingriffe in die Privatautonomie bedürfen unseres
Erachtens immer einer erhöhten Rechtfertigung. Wir
müssen auch gesetzliche Vorgaben machen, wenn erhebliche Verletzungen des Persönlichkeitsrechtes festzustellen oder zu befürchten sind, also zum Beispiel in Bezug
auf die Wirksamkeit der Einwilligung der Betroffenen
hinsichtlich der Tragweite, der Freiwilligkeit und der Informiertheit. Außerdem spielen Themen wie Profilbildung und Data-Mining eine Rolle; hier müssen wir tätig
werden.
({5})
Aber, Herr von Notz: In Zeiten des Cloud Computing,
der Virtualisierung, des grenzüberschreitendem Datenverkehrs und der Digitalisierung werden uns nationale
Alleingänge nicht viel helfen; denn der Großteil dieser
Server steht nicht bei uns.
({6})
Vor ein paar Wochen war zu hören - Sie haben es angesprochen -, dass eine neue Datenschutzverordnung
die Datenschutzrichtlinie ablösen soll. Das hätte für unser nationales Bundesdatenschutzgesetz zur Folge, dass
dieses dann keine Anwendung mehr finden würde. Hier
geht es darum - das ist die Aufgabe, die die Bundesregierung zu erledigen hat -, darauf zu drängen, dass unser gutes Datenschutzniveau auch auf europäischer
Ebene Eingang findet, sodass es nicht zu einem Absinken des guten Niveaus des Verbraucherschutzes und des
Datenschutzes in Deutschland kommt.
({7})
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren,
regen wir eine Verbesserung des Sanktionsregimes der
Aufsichtsbehörden an. Wer sich nicht an die datenschutzrechtlichen Vorgaben hält und daraus einen wirtschaftlichen Vorteil generiert, der muss zur Kasse gebeten werden.
In diesem Sinne: Lassen Sie uns im nächsten Jahr gemeinsam über diesen Antrag diskutieren und dafür sorgen, dass wir auf europäischer Ebene zu einer guten Regelung kommen. Ich darf Ihnen heute als letzter Redner
für die FDP-Bundestagsfraktion schöne Weihnachten
und einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen.
Herzlichen Dank.
({8})
Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun Kollegin
Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über einen gelungenen Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema Datenschutz in sozialen Netzwerken. Dieser Antrag wird unsere Zustimmung finden.
({0})
Er spiegelt in vielen Punkten die Positionen wider, die
die Vertreterinnen und Vertreter von SPD, Grünen und
Linken auch in der Projektgruppe „Datenschutz“ der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“
vertreten haben. Insofern hätten wir uns sogar einen gemeinsamen Antrag vorstellen können; denn wir sind an
der Sache orientiert. Der Netzpolitik hätte das sicherlich
gutgetan.
({1})
Eine Studie des Branchenverbandes BITKOM belegt,
dass sich 48 Prozent der Deutschen in sozialen Netzwerken befinden. 65 Prozent von ihnen fehlen Informationen zum persönlichen Datenschutz. Das heißt, es gibt bei
den Bürgerinnen und Bürgern ein Problembewusstsein.
Dem müssen wir uns stellen.
Ich nehme noch einmal Bezug auf die Projektgruppe
„Datenschutz“ der Enquete-Kommission „Internet und
digitale Gesellschaft“. Es hat sich gezeigt - das ist hier
schon erwähnt worden -: Die Koalition will dieses
Thema nicht angehen. Sie sieht keinen Handlungsbedarf.
Das groß angekündigte Rote-Linien-Gesetz ist verschoben worden.
({2})
Sie berufen sich stattdessen auf halbgare Selbstverpflichtungen. Das Dilemma mit den Selbstverpflichtungen hat Markus Beckedahl vor einiger Zeit auf netzpolitik.org schön zusammengefasst:
Aus Sicht von Facebook und Google sind solche
Vereinbarungen praktisch: Die Politik ist auf lange
Zeit in der Illusion verfangen, etwas getan zu haben, die Unternehmen müssen sich nicht wirklich
bewegen und die Durchsetzbarkeit ist gleich null.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Tatsächlich besteht Handlungsbedarf. Das zeigt dieser
Antrag sehr deutlich. Sie können sich auch nicht hinter
der Behauptung verstecken, das deutsche Datenschutzrecht sei gar nicht anwendbar. Ich sage Ihnen: Wo ein
Wille ist, ist auch ein Weg. Das kann auch ein kurzer
Weg sein, auf dem man sich nicht verirrt.
({3})
Trotz der existierenden Datenschutzgesetze ist den
Nutzerinnen und Nutzern unklar, was mit ihren Daten
passiert, wo sie verarbeitet werden und an welche Firmen sie weitergegeben werden. Die Erstellung von Nutzerprofilen durch die Anbieter von sozialen Netzwerken
ist völlig intransparent. Wie solche Personenprofile erstellt werden und wozu sie verwendet werden, ist völlig
unklar. Klar ist einzig und allein: Es geht um zielgerichtete Werbung. Ich sage Ihnen: In einem Vertragsverhältnis, in dem die Nutzerinnen und Nutzer zwar nicht mit
Geld, aber quasi mit ihren persönlichen Informationen
bezahlen, ist es unzumutbar, dass die Nutzerinnen und
Nutzer nicht wissen, was mit ihren Daten passiert.
({4})
Wir als Linke - das gilt auch für mich persönlich möchten die sozialen Netzwerke nicht mehr missen. Wir
wollen die Nutzerinnen und Nutzer der sozialen Netzwerke auch überhaupt nicht einschränken. Wir sagen
sehr deutlich: Wer möchte, soll Bikini- und Sauffotos bei
Facebook hochladen, wie er lustig ist. Aber der Nutzer
und die Nutzerin müssen vorher darüber informiert werden, dass beispielsweise Facebook diese Bilder im Zweifel für Werbezwecke verwendet. Die Nutzerinnen und
Nutzer müssen wissen, was in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen steht, und diese müssen in verständlicher Sprache formuliert sein. Sie müssen auch wissen,
dass sie, selbst wenn sie ihren Account löschen, gegebenenfalls gar nicht mehr alles löschen können und ihre
Rechte an den Bildern abtreten.
Betrachten wir jetzt einmal Facebook. Die Nutzungsbedingungen von Facebook haben einen Umfang von
4 300 Wörtern. Das sind zwölf Textseiten. Die Datenschutzbestimmungen sind darin noch nicht einmal enthalten. Ich bitte Sie: Wer soll das wirklich vorher lesen?
Ich will kurz einen letzten Punkt ansprechen. Auch im
Hinblick auf den Arbeitnehmerdatenschutz ergeben sich
erhebliche Probleme. Die Grünen haben es in ihrem Antrag aufgeschrieben: 50 Prozent der Personalverantwortlichen recherchieren in sozialen Netzwerken. 23 Millionen Menschen sind auf Facebook aktiv, 10 Prozent davon
mit komplett öffentlichen Profilen; das sind 2,3 Millionen Menschen. Ich sage Ihnen: Arbeitgeber geht es überhaupt nichts an, wie ich ein Fußballergebnis kommentiere, welche Weihnachtsgeschenke ich mir wünsche,
mit wem ich befreundet bin und welche Lieblingsserien
ich habe. Auch deshalb sind Regelungen nötig.
({5})
Ich empfehle noch einmal den Bericht der Projektgruppe „Datenschutz und Persönlichkeitsrechte“ der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“
und vor allen Dingen die Sondervoten der drei Fraktionen.
Weil Weihnachten ist, wünsche ich Ihnen einen guten
Rutsch, frohe Weihnachten und Frieden.
({6})
Ich schließe die letzte Aussprache dieses Jahres.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8161 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann haben wir das auch so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18. Januar 2012, 13 Uhr, ein.
Nachdem ich so viele Weihnachts- und Jahreswünsche gehört habe, will ich mich dem besonders herzlich
anschließen. Ich wünsche Ihnen allen fröhliche Weihnachten, einen heiteren Jahreswechsel und dass wir uns
gesund und munter und in bester Laune im neuen Jahr
wiedersehen. Alles Gute für Sie!
Die Sitzung ist geschlossen.