Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zu erweitern und die Fragestunde hierfür um
14 Uhr zu unterbrechen. Nach der Aussprache zu der
Regierungserklärung wird die von der Fraktion Die
Linke verlangte Aktuelle Stunde zu steuerpolitischen
Vorhaben der Bundesregierung aufgerufen. Nach der
Aktuellen Stunde soll dann die Fragestunde fortgesetzt
werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Erklärung des Bundes zum
Nationalen Aktionsplan Integration.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration, Frau Staatsministerin
Dr. Maria Böhmer. Bitte.
Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Nationalen Integrationsplan haben wir 2007 erstmals ein Gesamtkonzept für die
Integration in Deutschland vorgelegt. Wir sind auf diesem Feld weiter vorangekommen. Das war auch der
Grund, weshalb wir gesagt haben, dass wir Integration
jetzt noch verbindlicher gestalten wollen. Im November
vergangenen Jahres wurde der Startschuss gegeben für
die Entwicklung des Nationalen Aktionsplans Integration, der die Weiterentwicklung des ersten Integrationsplans darstellt.
Was bedeutet „Weiterentwicklung“ an dieser Stelle?
Wir haben jetzt verbindliche Ziele formuliert. Wir haben
konkrete Maßnahmen dazu eingeleitet, und wir werden
die Zielerreichung kontinuierlich überprüfen. Der Aktionsplan wurde in elf Dialogforen erarbeitet. Ich möchte
allen sehr herzlich danken, die daran mitgewirkt haben.
Das betrifft den Bereich der Bundesregierung, die Länder, die Zivilgesellschaft, die großen gesellschaftlichen
Gruppen, die Migrantenorganisationen und den kommunalen Bereich. Wir sind auch dieses Mal wieder dem Dialogprinzip gefolgt, was sich sehr bewährt hat. Das heißt
- gerade mit Blick auf Migranten -: Wir reden miteinander und nicht übereinander.
Ich will einige entscheidende Punkte aus der Erklärung des Bundes zum Nationalen Aktionsplan verdeutlichen:
Wir fassen Integration als eine große Gemeinschaftsaufgabe auf. Deshalb war es wichtig, alle mit im Boot zu
haben. Wir haben dieses Mal zwei neue Themen - zusätzlich zu den schon bekannten - aufgegriffen, nämlich
einmal „Gesundheit und Pflege“, weil wir hiermit der
Tatsache Rechnung tragen wollen, dass die Migranten
immer älter werden. Auch hier hinterlässt die demografische Entwicklung ihre Spuren. Aber wir wenden uns
auch an die jüngere Generation, und zwar im Sinne von
Prävention.
Neu ist auch das Themenfeld „Migranten im öffentlichen Dienst“. Wir sind der Überzeugung, dass dem
Bund hier eine große Vorreiterfunktion zukommt, aber
auch den Ländern und den Kommunen. Das heißt, die
Öffnung des öffentlichen Dienstes ist ein wichtiges Anliegen.
Mit der heute beschlossenen Erklärung des Bundes
haben wir deutlich gemacht, dass jetzt ein Paradigmenwechsel erfolgt: Integration ist zweifellos eine Daueraufgabe. Wenn man sich dieser Daueraufgabe stellen will,
dann kann man nicht immer nur mit Projekten arbeiten,
sondern muss alles daransetzen, dass Projekte in Regelangebote überführt werden. Das ist nicht immer einfach;
das ist für viele eine große Herausforderung. Aber es bedeutet eine neue Qualität in der Integrationspolitik. Ich
will das anhand von zwei Beispielen deutlich machen:
Im Bereich der Sportförderung wird das Kriterium der
Integration zukünftig eine Rolle spielen, im Bereich der
Kulturförderung ebenfalls.
Zweitens. Wir haben gesagt - das ist der zweite spannende Punkt bei diesem Paradigmenwechsel -, dass wir
Integration zukünftig messen wollen, damit sie steuerbarer wird. Das ist wichtig, um die Fortschritte zu erkennen, aber auch, um zu sehen, welche Maßnahmen wie
wirken. Deshalb wird es in Zukunft eine Fortsetzung zu
dem Fortschrittsbericht geben, den wir bereits vorgelegt
haben, der sich dann aber ganz konkret auf die Ziele und
Maßnahmen des Nationalen Aktionsplans Integration
beziehen wird.
Wenn wir sagen: „Ziel unserer Integration ist die
gleichberechtigte Teilhabe aller hier lebenden Menschen“, dann bedeutet das auch, dass wir alles daransetzen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt
wird. Ich beziehe hier gerade in dieser schwierigen Zeit,
angesichts der grausamen Verbrechen von Rechtsextremisten, den Aspekt ein, dass Integration auch Prävention
von Rassismus, Hass und Gewalt bedeutet. Insofern ist
es gerade in der jetzigen Zeit so wichtig, mit dem Nationalen Aktionsplan Integration ein solches Zeichen zu
setzen.
Morgen wird die Ministerpräsidentenkonferenz den
Länderteil beschließen. Am 31. Januar nächsten Jahres,
beim nächsten Integrationsgipfel, wird der gesamte Nationale Aktionsplan Integration vorgestellt. Wir wollen
damit klarmachen: Die wachsende Vielfalt in unserem
Land ist eine große Chance; wir wollen sie nutzen und
sie zu einem Gewinn für alle machen.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin. - Bevor wir mit
der Befragung beginnen, erinnere ich an die Ein-Minuten-Regelung: Ich bitte Sie, sich bei Ihren Fragen und
Antworten auf jeweils eine Minute zu beschränken.
Nach Ablauf der Minute wird ein Signal daran erinnern,
zum Schluss zu kommen.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde.
Das Wort hat der Kollege Memet Kilic.
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Böhmer, Sie haben
mir recht darin gegeben, dass zur Integration die gleichberechtigte Teilhabe aller hier lebenden Menschen gehört. Um diese Teilhabe zu ermöglichen, sind natürlich
auch rechtliche und politische Voraussetzungen zu
schaffen. Zu diesen Voraussetzungen gehören ohne
Zweifel Einbürgerungen, aber auch ein kommunales
Wahlrecht für Drittstaatsangehörige. Hat die Bundesregierung in ihrem Aktionsplan diese Maßnahmen vorgesehen? Wenn ja, wann wollen Sie diese Maßnahmen in
die Wege leiten? Wenn nein, warum nicht?
Herr Kollege Kilic, Sie wissen, dass wir, wie schon
beim Nationalen Integrationsplan, auch beim Nationalen
Aktionsplan Integration den Schwerpunkt nicht so sehr
auf gesetzliche Maßnahmen legen, sondern auf eine
große Fülle von Maßnahmen, die uns wichtig erscheinen, gerade wenn es darum geht, die Bereiche Sprache,
Bildung, Ausbildung, Arbeitsmarkt und viele andere
Felder weiterzuentwickeln, sodass tatsächlich die Voraussetzungen für eine bessere Integration gegeben sind.
Die beiden Punkte, die Sie ansprechen, sind im Bereich
gesetzlicher Initiativen angesiedelt, der in diesem Sinne
nicht Gegenstand des Nationalen Aktionsplans ist.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Ewa Klamt.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin Böhmer, ich habe drei kurze Fragen.
Zum einen wüsste ich gerne, wer an dem Nationalen
Aktionsplan mitgewirkt hat. Die zweite Frage ist: Was
ist neu im Vergleich zu dem bereits bestehenden Integrationsplan? Die dritte Frage - ich weiß nicht, ob Sie sie so
beantworten können -: Gibt es Zahlen, die belegen, wie
viele Migranten schon heute im öffentlichen Dienst beschäftigt sind? Das kann in Kommunen, Ländern oder
beim Bund sein. Gibt es vielleicht prozentuale Angaben?
Ich beginne mit dem letzten Punkt, weil er in der Tat
für uns eine besondere Hürde darstellt. Wir haben keine
exakten Zahlen darüber, wie viele Migranten im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, sowohl in der Ausbildung
als auch in der klassischen Beschäftigungssituation.
Trotzdem haben wir gesagt: Wir wollen mehr Migranten
im öffentlichen Dienst. Das eint Bund, Länder und Kommunen, weil wir wissen, dass es in diesem Bereich großen Nachholbedarf gibt. Zugleich habe ich mich als Integrationsbeauftragte im Nationalen Aktionsplan dazu
verpflichtet, eine Initiative zu entwickeln, mit der wir
eine geeignete Datenbasis schaffen. Dabei bestehen
rechtliche Schwierigkeiten im öffentlichen Dienst, die
Herkunft von Bewerbern und Beschäftigten zu erfassen.
Trotzdem bin ich davon überzeugt - auch aufgrund der
Erfahrung, die einige Länder gesammelt haben -, dass
wir uns diesem Thema nähern können und dass wir mit
einer solchen Datenbasis weiter kommen als mit den Daten des Mikrozensus.
Zu Ihrem zweiten Punkt. Was unterscheidet den Nationalen Aktionsplan vom vorhergehenden Nationalen
Integrationsplan? Zum einen haben wir die Inhalte um
zwei neue Dialogfelder ergänzt. Ich halte die beiden
neuen Felder für wichtige Weichenstellungen, zum einen
das Thema „Migranten im öffentlichen Dienst“, zum anderen den Gesundheits- und Pflegebereich. Dieser betrifft sowohl die älter werdende Gruppe von Migranten,
die früher als Gastarbeiter zu uns gekommen sind, als
auch, wie ich es eben kurz angesprochen habe, die Kinder. Aus Erhebungen wissen wir, dass viele dieser Kinder nicht in dem Maße an den angebotenen Präventionsmaßnahmen, zum Beispiel Impfungen, teilnehmen wie
im Durchschnitt Kinder aus „urdeutschen“ Familien.
Deshalb müssen wir den Zugang zu Gesundheitsangeboten, aber auch die interkulturelle Öffnung des Gesundheitsbereichs vorantreiben. Auch hier beschreiten wir
- gerade was die Datenlage betrifft - in vielen Bereichen
Neuland. Wir stoßen immer wieder auf das Datenproblem.
Darüber hinaus ist zu betonen, dass wir auf dem aufbauen, was wir durch den Nationalen Integrationsplan
auf den Weg gebracht haben. Es ist mir wichtig, das an
zwei inhaltlichen Bereichen deutlich zu machen. Nehmen wir den Bereich Arbeitsmarkt. Wir haben das Anerkennungsgesetz verabschiedet. Im Nationalen Aktionsplan sind begleitende Maßnahmen vorgesehen. Wir
wollen nach einer gewissen Zeit natürlich messen, in
welchem Umfang diese Maßnahmen greifen. Das wird
uns die Möglichkeit geben, die Maßnahmen zu steuern.
Ich will einen weiteren Bereich herausgreifen, den
wir aufgelöst haben. Der Bereich „Mädchen“ ist jetzt
kein eigenes Themenfeld mehr, sondern eine Querschnittsaufgabe. Wir sind darum bemüht, junge Frauen
für die MINT-Berufe zu gewinnen. Gerade in Bezug auf
junge Migrantinnen wollen wir das verstärkt tun.
Es sei mir folgender Hinweis gestattet. Man sollte
nicht nur darauf achten, bei der Fragezeit unter einer Minute zu bleiben; man sollte auch darauf achten, die Fragen so zu stellen, dass die Frau Staatsministerin die
Chance hat, die erwartete umfängliche Antwort in einer
Minute zu geben. Sie können sich für weitere Fragen
noch ein zweites oder ein drittes Mal melden.
Das Wort hat der Kollege Michael Frieser.
Frau Präsidentin, genau so wollen wir es machen:
Lieber die Fragen kürzer halten, dann sind sie auch zu
beantworten.
Frau Staatsministerin, vielen herzlichen Dank für Ihren Bericht. Ich möchte darauf hinweisen, dass der Nationale Integrationsplan sehr effektiv und zügig in den
Nationalen Aktionsplan weiterentwickelt wurde. Es gab
schon die einen oder anderen Unkenrufe, dass das wesentlich länger dauern würde.
Ich möchte auf einen Punkt zu sprechen kommen, der
in der Kürze der Zeit vielleicht zu kurz kam. Sprache ist
nach wie vor der wesentliche Schlüssel zur Integration.
Deshalb rückt der Aktionsplan besonders die frühkindliche Bildung in den Fokus.
({0})
Es geht in erster Linie um die Frage: Wie wollen Sie die
Kommunen dafür gewinnen, deren Mitarbeit wesentlich
ist, um die frühkindliche Bildung zu implementieren?
Der Weg vom Bund hin zu den Kommunen ist natürlich
etwas weiter. Dazu gibt es eine Reihe von Ansätzen.
Können Sie dazu etwas Genaueres sagen?
Vielen Dank.
Herzlichen Dank. - Ich werde mich bemühen, Ihre
Frage knapp - innerhalb einer Minute - zu beantworten.
Erstens. In der Tat ist der Bereich der frühkindlichen
Sprachförderung von entscheidender Bedeutung. Wir
sind uns darüber einig, dass hier Bund, Länder und
Kommunen Hand in Hand arbeiten müssen und dass die
Zuständigkeiten des Bundes an der Stelle überschaubar
sind. Es ist aber, finde ich, ein ganz entscheidender
Schritt, dass vonseiten der Bundesfamilienministerin die
Initiative „Offensive Frühe Chancen“ aufgelegt worden
ist. Dabei handelt es sich um ein Programm im Umfang
von 400 Millionen Euro, das 4 000 Schwerpunktkitas erreichen soll. Gerade in Bereichen, wo der Anteil der
Kinder aus Zuwanderungsfamilien größer ist, soll die
Sprachförderung auch durch personelle Verstärkung
noch einmal vorangetrieben werden.
Zweitens geht es um die Weiterqualifizierung von Erzieherinnen durch ein entsprechendes Fortbildungsangebot, damit sie diese Aufgabe auch wirklich gut leisten
können.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Aydan Özoğuz.
Ich melde mich jetzt vorsorglich schon ein zweites
Mal, um damit die Chance zu einer kurzen Antwort zu
geben. Für uns sind die einzelnen Antworten wichtig;
deswegen stelle ich nicht alle Fragen auf einmal.
Zunächst einmal möchte ich auf das Zahlenmaterial
eingehen. Die Situation ist für uns alle ärgerlich; denn in
einigen Bundesländern wird durchaus schon der Migrationshintergrund berücksichtigt, in anderen nicht. Wir
wissen, dass das gerade in Sachen Bildung - PISA - gelingt, während es woanders wiederum nicht der Fall ist.
Hier vergleichen wir Zahlen, die überhaupt nicht zusammenpassen. Es wäre deshalb eigentlich schön, wenn darauf hingewirkt würde, für ganz Deutschland eine gute
Zahlenbasis zu bekommen. Ich wüsste gerne, wie daran
gearbeitet wird; denn Sie selbst sagten, es handele sich
dabei um eine Zielsetzung.
Zweitens komme ich auf die vom Kollegen Kilic erwähnten Punkte zurück. Dabei handelt es sich um wichtige parlamentarische Initiativen, die gerade dieses Themenfeld betreffen. Wenn sie nicht im Aktionsplan
vorkommen, wo kommen sie dann vor? Wie werden sie
tatsächlich bearbeitet?
({0})
- War das schon ein Gong?
({1})
Ich gehe zunächst auf die letzte Frage ein: Wo werden
solche Dinge wie Einbürgerung behandelt? Sie kennen
den Lagebericht, den ich vorgelegt habe. In ihm habe ich
mich sehr ausführlich zu dem Fragenkomplex geäußert.
Das kommt aber nicht nur im Bericht vor, sondern
schlägt sich dann auch in entsprechenden Initiativen nieder. Sie wissen, dass wir in Bezug auf die Frage der
Staatsangehörigkeit dabei sind, auch die Optionsregelung zu überprüfen. Das sind Punkte, die parallel zu der
Entwicklung des früher aufgestellten Nationalen Integrationsplans oder aktuell des Nationalen Aktionsplans behandelt werden.
Zweitens sprachen Sie ein Thema an, das mich umtreibt, nämlich die Datensituation. Es besteht immer wieder die Notwendigkeit, sowohl in der KMK als auch auf
Bundesebene, zu drängen: Es reicht im Schulbereich,
wie es bisher der Fall war, einfach nicht aus, bei den Daten eine Unterscheidung zwischen Deutschen und Ausländern vorzunehmen. Mit Recht haben Sie auf PISA
verwiesen; denn bei PISA wurde der Sprachhintergrund
erfasst. Deshalb können wir etwas darüber aussagen,
was die Sprachkompetenz und den Zusammenhang mit
Bildungserfolg anbetrifft.
Ich setze mich seit Jahren nachdrücklich dafür ein
und merke, dass das Bohren eines dicken Brettes langsam greift, dass wir zu einer anderen Statistik im Schulbereich kommen. Auch beim Ausbildungspakt ziehen
alle Paktmitglieder an einem Strang, um eine bessere
Datengrundlage zu erhalten.
Ich erinnere daran, dass wir derzeit eine Volkszählung
haben. Dank der Unterstützung vieler Kollegen habe ich
es in der letzten Legislaturperiode hier im Parlament erreicht, dass endlich einmal der Migrationshintergrund im
Rahmen einer solchen Zählung erfasst wird. Das verbessert die Lage.
Der Kollege Memet Kilic stellt die nächste Frage.
Sehr geehrte Frau Böhmer, es ist unstrittig, dass sich
die Menschen in einem Land, in dem sie sich sicher fühlen, am besten integrieren können bzw. die besten Integrationsmöglichkeiten haben. Dazu gehört natürlich
auch eine aufenthaltsrechtliche Sicherheit. Gibt es in Ihrem Nationalen Aktionsplan Maßnahmen zu aufenthaltsrechtlichen Verbesserungen?
Wenn Sie auch diese Frage mit dem Hinweis verneinen, dass das eine gesetzliche Maßnahme ist, frage ich:
Glauben Sie daran, dass solche - so sage ich es einmal angenehmen Worte in der Öffentlichkeit eine Wirkung
haben können? Warum geht man nicht an die gesetzliche
Substanz? Aus unserer Sicht sind solche strukturellen
Verbesserungen für viele Migrantinnen und Migranten
sehr wichtig.
Lieber Kollege Kilic, wir stimmen darin überein: Es
ist wichtig, dass jemand weiß, dass er eine Perspektive
hat; ich nenne das jetzt einmal ganz konkret eine Bleibeperspektive. Dieses Thema bewegt nicht nur uns im
Deutschen Bundestag, sondern auch die Innenministerkonferenz. In den letzten sechs Jahren ist hinsichtlich
des Bleiberechts so viel geschehen wie nie zuvor. Wir
haben erstmals eine gesetzliche Bleiberechtsregelung
beschlossen. Im Frühjahr dieses Jahres haben wir im
Deutschen Bundestag eine Bleiberechtsregelung für
junge Menschen in Ausbildung verabschiedet. Jetzt ist
es wichtig, den Blick darauf zu richten, wie diese Regelung weiterwirkt. Wir sind in dieser Frage sehr dicht beieinander: Gerade in diesem Feld besteht Handlungsbedarf.
Ich habe diesen Weg sehr bewusst gewählt: Ich unterscheide zwischen Initiativen im Rahmen des Nationalen
Integrationsplans bzw. des Nationalen Aktionsplans und
dem, was dem Parlament durch Gesetze vorbehalten ist.
Die Themen, die im Nationalen Integrationsplan und im
Nationalen Aktionsplan aufgegriffen werden, sehe ich
als zentral an und nicht als Nebenthemen, was in Ihrer
Frage anklang. Wer die Chancen, die Deutschland bietet,
voll nutzen möchte, muss die deutsche Sprache beherrschen, muss über eine gute Bildung und Ausbildung verfügen und muss sicher sein, dass es keine Hemmnisse,
Hürden und Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt
gibt. Das sind Sicherheiten anderer Art, die wir brauchen. Das leisten diese Pläne.
Die nächste Frage stellt der Kollege Swen Schulz.
Frau Staatsministerin, Sie haben vorhin ausgeführt,
wie wichtig frühkindliche Bildung ist und dabei insbesondere der Spracherwerb. Darüber sind wir uns vollkommen einig. Nun gibt es aber eine Diskussion über
das sogenannte Betreuungsgeld. In diesem Zusammenhang möchte ich fragen, wie die Bundesregierung sicherstellen möchte, dass das Betreuungsgeld nicht einen
Anreiz darstellt, Kinder von Bildungseinrichtungen und
damit auch vom Spracherwerb fernzuhalten, was negative Konsequenzen für die Kinder hätte.
Herr Kollege, es überrascht mich überhaupt nicht,
dass Sie diese Frage stellen. Wir hätten darüber auch
eine Wette abschließen können. Es ist wichtig, ein genaues Konzept auf dem Tisch zu haben, über das man
sprechen kann. Das ist bisher noch nicht der Fall. Es gibt
nur eine grundsätzliche Beschlusslage. Sie kennen
meine Äußerungen zu diesem Thema. Ich sage: Es dürfen keine Fehlanreize gesetzt werden. Dafür habe ich
große Resonanz erhalten. Natürlich muss es unser Ziel
sein, dass die Sprachförderung wirklich alle erreicht.
Allerdings besuchen gegenwärtig weniger Kinder aus
Migrantenfamilien den Kindergarten als Kinder, die
nicht aus Migrantenfamilien stammen. Der Unterschied
beträgt etwa 10 Prozent. Hier geht es um den Kindergarten und nicht um die unter Dreijährigen; diese Gruppe
haben Sie gerade angesprochen. Diesbezüglich müssen
wir uns verstärkt an die Eltern wenden. Auch die Bundesländer müssen ihre Möglichkeiten besser ausschöpfen. Ich sehe, dass in den Ländern, in denen der Kindergartenbesuch beitragsfrei ist, bessere Chancen gegeben
sind. Damit hat das Saarland angefangen. Andere Länder
sind diesem Beispiel gefolgt. Das ist ein vernünftiger
Weg.
Die Kollegin Özoğuz hat das Wort.
Vielen Dank. - Sie haben eben die Entwicklung des
Nationalen Integrationsplans angesprochen. Er wurde
2007 verabschiedet. Jetzt ist Ende 2011, und wir reden
über den Nationalen Aktionsplan. Es ist also schon eine
Menge Zeit vergangen. Sie haben, wie ich finde, zu
Recht gesagt, dass man Fortschritte messen muss und
dass es einen Fortschrittsbericht geben wird. Da drängt
sich die Frage auf, ob es dabei bleibt, dass alle paar Jahre
ein Bericht vorgelegt bzw. etwas aufgeschrieben wird.
Wie soll konkret gemessen werden? Was soll sich denn
verbessern? Man hat nicht das Gefühl, dass sich in der
Zeit, die zwischen dem Nationalen Integrationsplan und
dem Nationalen Aktionsplan liegt, gesellschaftlich viel
verändert hat.
Frau Kollegin Özoğuz, das ist genau der Punkt. Wir
wollen weg vom gefühlten Fortschritt und von Vermutungen, und wir wollen hin zu harten Facts. Das heißt,
wir brauchen Daten. Das hat uns nach der Vorlage des
Nationalen Integrationsplans zu dem Ersten Fortschrittsbericht geführt. Dieser hat uns schon Hinweise gegeben,
welche Selbstverpflichtungen - das war damals der Ansatzpunkt - eingelöst worden sind. Das war die Frage
Nummer eins, die zu klären war. Die Frage Nummer
zwei war: Wie wirken die eingelösten Selbstverpflichtungen?
Es ist spannend, sich die entsprechenden Berichte
oder auch die PISA-Studie, den Bildungsbericht und die
Arbeitsmarktstatistiken anzuschauen. Wir haben die
Möglichkeit, den Erfolg der Integrationskurse zu messen. Aber damit war ich nicht zufrieden. Deshalb haben
wir auf Bundesebene - die Länder haben dies ebenfalls
in Angriff genommen - Indikatorensysteme entwickelt;
dies wurde wissenschaftlich begleitet. In Kürze kann ich
Ihnen einen zweiten Integrationsindikatorenbericht vorlegen; diese Überprüfung anhand der Indikatoren erfolgt
also kontinuierlich weiter. Dieses Messinstrument wird
uns helfen, einen auf Daten basierenden Fortschrittsbericht vorzulegen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Frieser.
Frau Präsidentin, vielen Dank. - Frau Staatsministerin, ich glaube, dass man vor lauter Sorge, dass man alles
gewichten und messen muss, manchmal die konkrete
Arbeit vergisst. Im Zusammenhang mit der Umsetzung
des Integrationsplans wurde immer wieder angemahnt,
dass man Integrationskurse stärken sollte, dass man sie
vergleichbarer machen sollte und dass es an keiner Stelle
die Gefahr geben sollte, dass jemand sozusagen durch
den Rost fällt. Das hat auch damit zu tun, dass Integrationskurse ein Stück weit verbindlicher sein sollten, dass
Integrationsbemühungen von beiden Seiten erfolgen
müssen.
Meine Frage bezieht sich auf das Modellprojekt „Integration verbindlicher machen - Integrationsvereinbarungen erproben“ und auf die Integrationskurse: Glauben Sie, dass Sie bei der Überprüfbarkeit, bei der
Evaluierung der Umsetzung durch die Träger ein Stück
weiter gekommen sind? Schließlich haben wir am Anfang als Ziel formuliert, dass die Integrationskurse auch
qualitativ besser werden müssen.
Wir haben zu diesem Thema wieder ein eigenes Dialogforum eingerichtet, weil Integrationskurse für den
Bund das Instrument sind, um den Erwerb der deutschen
Sprache zu fördern. Bei der jetzt anstehenden Umsetzung geht es beispielsweise um den Eingangstest zur
Einstufung, aber auch um die Frage nach einem erfolgreichen Abschluss des Kurses. Sie wissen, ich war nicht
zufrieden, dass die Quote derer, die den Kurs bestehen,
nicht im oberen Bereich liegt; hier besteht noch Nachholbedarf. Deshalb ist der enge Schulterschluss mit dem
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sehr wichtig.
Es gilt, verstärkt bei den Lehrkräften anzusetzen.
Diese Themen sind Gegenstand des Nationalen Aktionsplans Integration. Das heißt, wir müssen die Lehrkräfte unterstützen und dafür sorgen, dass diese so gut
wie möglich qualifiziert sind. Wenn ich sehe, dass es
Anbieter von Sprachkursen gibt, bei denen die Honorierung unter Wert erfolgt, dann muss ich sagen, dass das
Auswirkungen auf die Qualität der Kurse hat. Jetzt muss
zügig umgesetzt werden, was im Dialogforum erarbeitet
wurde und im Nationalen Aktionsplan vorgesehen ist.
Die nächste Frage stellt der Kollege Kilic.
Sehr geehrte Frau Böhmer, die rot-grüne Regierung
hat die Integrationskurse eingeführt. Sie haben in Ihren
Ausführungen dargelegt, dass die Integrationskurse eine
zentrale Stellung bei der Integration einnehmen. In diesem Bereich arbeiten 17 000 Lehrkräfte. Diese verdienen jedoch im Vergleich mit anderen Lehrkräften am
schlechtesten. Nach einer Kleinen Anfrage hat das Bun17676
desministerium des Innern am 18. Oktober 2011 bekannt
gegeben: Wenn die Bundesregierung 20 Cent pro Teilnehmer mehr zahlen würde und diese direkt den Lehrkräften zukommen würden, könnte man einen Lohn der
Lehrkräfte in Höhe von mindestens 20 Euro pro Stunde
sichern. Eine bessere Hebelung kenne ich nicht in dieser
Welt. Können Sie sich vorstellen, dass Sie sich dafür einsetzen könnten, dass mehrjährige Zulassungen der Kursträger nur dann erfolgen, wenn sie den Lehrkräften mindestens 20 oder 24 Euro pro Stunde zahlen?
Ich halte es für wichtig, Herr Kilic - ich setze mich
seit Jahren dafür ein -, dass die Lehrkräfte entsprechend
dem Wert der Arbeit, die sie leisten, honoriert werden.
Ich habe das eben, in meiner vorhergehenden Antwort,
deutlich gemacht: Das ist ein wichtiger Ansatzpunkt,
auch zur Motivation und Wertschätzung der Lehrkräfte.
Ich habe auch gegenüber dem Bundesinnenministerium
vertreten, dass ich jeden Ansatz unterstütze, der zu einer
besseren Bezahlung führt. Das bedeutet aber auch, dass
man bei den Kursträgern nachhaken und vergleichen
muss, wer wie viel zahlt; das soll jetzt geschehen. Wir
müssen dafür sorgen, dass Kursträger, die Dumpinglöhne zahlen, keine Chance mehr haben. Auch das
gehört dazu.
Im Übrigen darf ich noch eine Anmerkung machen.
Wie ich gerade gehört habe, sind Sie für eine Erhöhung
des Eigenanteils um 20 Cent. Ich sage Ihnen: Ich bin
nicht für diese Erhöhung, sondern nur für eine moderate
Erhöhung.
({0})
Gut; diesen Dialog können Sie nachher fortsetzen.
Als Nächstes hat der Kollege Swen Schulz das Wort.
Frau Staatsministerin, was das Betreuungsgeld angeht, werden wir Sie auch weiterhin nicht enttäuschen.
Wir werden nicht lockerlassen und an diesem Thema
dranbleiben.
Ich möchte jetzt zum Thema Schule kommen. Glauben Sie, dass es für die Gruppe der Migranten - möglicherweise mit bildungsferner Herkunft - wichtig ist,
dass es Ganztagsschulangebote gibt, und ist für die
Schaffung von Ganztagsschulangeboten nicht auch eine
Zusammenarbeit von Bund und Ländern sinnvoll?
Ich sage ganz klar Ja zu Ganztagsschulen. Der Bund
hat die Schaffung von Ganztagsschulen unterstützt. In
meinem Bundesland Rheinland-Pfalz - ich könnte auch
andere Bundesländer nennen - sind im Hinblick auf
Ganztagsschulen erhebliche Anstrengungen unternommen worden. Aber ich sage Ihnen auch: Ich bin mit der
Art und Weise, wie dies geschieht, nicht zufrieden.
Denn: Nur am Nachmittag ein Betreuungsangebot zu installieren, aber kein pädagogisches Gesamtkonzept zu
haben, reicht nicht. Die Forderung nach mehr Ganztagsschulen muss also mit einer inhaltlich und qualitativ anspruchsvollen pädagogischen Arbeit verbunden werden,
sodass wirklich eine individuelle Förderung erfolgen
kann und nicht nur ein Betreuungsangebot existiert.
({0})
- Sie wissen genau: Es gibt eine klare Kompetenzregelung von Bund und Ländern, die im Rahmen der Föderalismusreform durchgefochten worden ist. Demnach sind
dem Bund leider Grenzen gesetzt. Ich hätte es damals
gerne anders gehabt.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Özoğuz.
Sehr geehrte Frau Staatsministerin, erstens habe ich
eine Frage zu den Trägern. Auch wir sagen: Auf jeden
Fall müssen die Träger gestärkt werden, die fair bezahlen und einen guten Unterricht ermöglichen, sodass die
Teilnehmer am Ende bestmögliche Ergebnisse erzielen
können. Sie sagten eben: Das soll auch geschehen. - Ich
wüsste natürlich gerne: Wie genau soll das geschehen?
Vielleicht könnten Sie dazu noch drei Worte sagen. Ich
glaube nämlich, das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Zweitens. Viele Träger haben die Sorge, dass mit
Kürzungen zu rechnen ist, gerade bei der Kinderbetreuung oder im Hinblick auf die Fahrzeiten - all diese Themen haben wir hier bereits debattiert - und dass das Angebot aufgrund dessen bei einigen wieder nicht
ankommt. Was sieht der Aktionsplan dazu vor?
Wir haben im Aktionsplan sehr klare Regelungen getroffen. Im Rahmen des Dialogforums haben wir uns
- nicht nur aus Sicht des Bundes, sondern daran waren
auch viele andere beteiligt - gerade mit der Realisierung
von Integrationskursen in der Fläche befasst. Im städtischen Bereich ist vieles einfacher. Sie als jemand, der
aus Hamburg kommt, weiß das. Auch für jemanden, der
aus Nürnberg oder aus einer mittelgroßen Stadt meiner
Heimatregion, etwa aus Ludwigshafen, kommt, ist vieles
leichter. Aber im ländlichen Bereich gibt es Schwierigkeiten. Damit jeder die Chance hat, an einem Integrationskurs teilzunehmen, müssen wir dafür sorgen, dass
das Angebot auch in der Fläche stimmt. Das war bei den
Beratungen zum Nationalen Aktionsplan ein wichtiger
Punkt.
Dazu gehört auch, dass man die Träger besser miteinander vernetzt, sodass sie sich abstimmen können: Wer
macht wann welchen Kurs? Sie alle kennen das Spektrum, das dann notwendig ist. Sie wissen auch, dass es
bei manchen Kursträgern noch eine gewisse ZurückhalStaatsministerin Dr. Maria Böhmer
tung gibt, wenn es darum geht, sich in eine solche Vernetzung zu begeben. Umso wichtiger ist, dass wir auf
den Erfahrungen, die an einigen Standorten schon gemacht wurden, aufbauen können.
Zweitens haben Sie nach der Honorierung der Lehrkräfte und der Umsetzung im Aktionsplan gefragt. Hierbei geht es um die Zulassung von Kursträgern, bei der
dieses Kriterium eine Rolle spielen muss. Zuständig für
die Zulassung der Kursträger ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Diejenigen, die Dumpinghonorare zahlen, dürfen nicht mehr zum Zuge kommen. Darauf werde ich, wie beim letzten Lagebericht, auch
zukünftig ein Auge haben. Hier ziehen wir an einem
Strang.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Frieser.
Frau Staatsministerin, ich habe eine Frage zu einem
anderen Thema. Die Dynamik der Integrationspolitik
lebt auch von den guten Beispielen. Gerade das bürgerschaftliche Engagement ist meines Erachtens einer der
wesentlichen, zentralen Punkte, die man in dem Nationalen Aktionsplan umzusetzen versucht. Wie kann man es
erreichen, dass die Tätigkeit von Migranten und Migrantinnen, die sich in diesem Land in vielfältiger Art und
Weise bürgerschaftlich engagieren, erkennbar wird und
dass sie vor allem weiter in die Gesellschaft hineinwirkt?
Im Augenblick geschieht das verstärkt in den Migrantenorganisationen und Beratungsorganisationen. Aber wie
können durch bürgerschaftliches Engagement weitere
Türen dafür geöffnet werden, dass Menschen mit Migrationshintergrund durch ihre Tätigkeit in erkennbarer Art
und Weise ein deutliches Beispiel für die Menschen geben?
Ich beginne mit den Migrantenorganisationen. Viele
haben keine hauptamtlichen Strukturen und arbeiten ausschließlich ehrenamtlich. Unser Anliegen ist - das hat
auch Niederschlag im Nationalen Aktionsplan gefunden -, dass die Weichen verstärkt so gestellt werden,
dass sie eine entsprechende Unterstützung bekommen
- auch finanziell; es geht auch um Fördermöglichkeiten - und dass sie Tandempartner haben, wenn bestimmte Projekte auf die Beine gestellt werden sollen; so
können sie von dem Know-how und den professionellen
Strukturen anderer Organisationen profitieren.
Der zweite Bereich sind für mich die großen Hilfsorganisationen. Dieses Feld kann nicht Gegenstand von
Initiativen des Bundes im engeren Sinne sein; aber ich
mache jetzt ein bisschen Appetit auf das, was Organisationen beabsichtigen, die auch an der Entwicklung des
Nationalen Aktionsplans beteiligt waren. Viele haben
die Charta der Vielfalt unterschrieben, beispielsweise
das THW, die Feuerwehr, das Deutsche Rote Kreuz und
andere große Hilfsorganisationen. Sie wollen neben dem
hauptamtlichen Bereich eine stärkere Gewinnung von
Migranten als bürgerschaftlich engagierte Mitglieder erreichen. Ich sehe das als eine riesige Zukunftschance für
die Organisationen selbst, aber auch für die Migranten,
die in diesen Organisationen wirken und damit auch in
soziale Netzwerke kommen können.
Der dritte Bereich ist schon fast klassisch zu nennen,
nämlich der Bereich des Sports. Wir wissen: Es gibt
durchaus viele Migranten, die in den Sportvereinen
sportlich aktiv sind, aber zu wenige in höheren Funktionen und auch zu wenig sportlich aktive Mädchen. Diesem Thema haben wir uns im Dialogforum „Sport“ verschrieben, um nicht nur Anstöße zu geben, sondern auch
ganz konkrete Weichenstellungen mit dem Deutschen
Fußball-Bund und dem DOSB vorzunehmen, damit, gerade mit Blick auf junge Frauen, die Mitwirkungsmöglichkeiten im Sport, aber auch die Übernahme von Verantwortung steigen.
Die letzte Frage zum Bericht stellt der Kollege Kilic.
Sehr geehrte Frau Böhmer, ich kann an die Antwort
auf die letzte Frage anschließen. Es ist unstrittig, dass
durch das bürgerschaftliche Engagement weitere Integrationschancen geschaffen, aber auch Begegnungen ermöglicht werden, bei denen gegenseitige Vorurteile abgebaut werden können. Die Feuerwehr und die
Sportvereine haben Sie erwähnt.
Ich glaube, der Deutsche Schützenbund ist der viertgrößte Sportverband in Deutschland. Für meine Begriffe
sind die Immigranten dort zu wenig organisiert. Ich
würde es gut finden, wenn die Immigranten sich verstärkt auch in Schützenvereinen organisieren würden,
damit die Begegnungen intensiviert werden. Dort gibt es
ein gewisses konservatives Milieu, und man könnte dort
Möglichkeiten der Begegnung schaffen. Würden Sie es
begrüßen, wenn sich die Migranten verstärkt in den
Schützenvereinen organisieren würden?
Sie sprechen hier ja von den Sportschützen. Es ist regional sehr unterschiedlich, wer diesen Sport betreibt.
Ich sage es ganz offen: In meiner Heimatregion ist die
Zahl der Aktiven überschaubar, in anderen Regionen
steht dieser Sport eher im Vordergrund.
Das gemeinsame Anliegen ist doch, mehr Migranten
in die Organisationen und Vereine zu bringen. Ich füge
noch einen Bereich hinzu, über den wir hier kaum sprechen - ich hoffe nicht, dass Sie jetzt darüber schmunzeln, wenn ich ihn erwähne -: die Kleingärtner. Sie haben sich schon vor Jahren der Aufgabe gestellt, mehr
Migranten in ihre Kleingartenvereine zu bringen. Das ist
ein Wirken in der Nachbarschaft. Auch das ist etwas,
was zur Öffnung insgesamt beiträgt.
({0})
- Ich nehme Ihren Appell gerne mit, und ich gebe ihn
auch an den DOSB weiter.
({1})
- Ja. Ich habe gehört, es gibt auch Schützenkönige.
Gut. Ich glaube, die Aufklärung dieser Dinge müssen
wir vertagen. Aber es ist sicherlich für alle Kolleginnen
und Kollegen sehr interessant. Herzlichen Dank, Frau
Staatsministerin.
Weitere Fragen zu anderen Themen der Kabinettssitzung liegen mir nicht vor. Ich beende die Befragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/8101 Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie vorhin bereits
mitgeteilt, werde ich die Fragestunde um 14 Uhr für die
Regierungserklärung mit anschließender Aussprache sowie für eine Aktuelle Stunde unterbrechen.
Des Weiteren möchte ich auch hier noch einmal an
unsere Ein-Minuten-Regelung für Fragen und Antworten erinnern. Bei der ersten Antwort werden wir das Signal jeweils nicht auslösen. Dennoch bitte ich, auch bei
der ersten Antwort die Minute nicht zu überziehen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Cornelia Behm auf:
Wird die Bundesregierung beim EU-Fischereirat am
15./16. Dezember dieses Jahres diesmal für Gesamtfangmengen stimmen, die strikt den wissenschaftlichen Empfehlungen
entsprechen, und wenn nein, warum nicht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Danke, Frau Präsidentin. - Liebe Frau Behm, die
Bundesregierung setzt sich generell dafür ein, Entscheidungen über Fangmengen so genau wie möglich an den
wissenschaftlichen Empfehlungen zu orientieren. Der
Rat entscheidet über die Fangmengen auf Vorschlag der
EU-Kommission. Dabei handelt es sich um ein Paket mit
einer Vielzahl von Beständen, bei dem die Fangmengen
für sämtliche wichtigen Bestände bereits vor dem Dezember-Rat in internationalen Verhandlungen festgelegt
oder durch langjährige Wirtschaftspläne vorgegeben
sind.
Die Kommission orientiert ihre Verhandlungsposition
in den internationalen Verhandlungen ebenso strikt an
den wissenschaftlichen Empfehlungen durch den Internationalen Rat für Meeresforschung, ICES, bzw. den
Wissenschafts-, Technik- und Wirtschaftsausschuss für
Fischerei wie bei ihren Fangmengenvorschlägen für die
übrigen, nicht von internationalen Verhandlungen oder
Mehrjahresplänen betroffenen Bestände.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung. Sie haben gesagt, die Bundesregierung möchte sich
so genau wie möglich an den wissenschaftlichen Empfehlungen orientieren. Da gibt es aber einen Pferdefuß;
denn auch nach den letztjährigen Quotenbeschlüssen ist
behauptet worden, dass diese nahezu vollständig den
wissenschaftlichen Empfehlungen entsprochen hätten.
Die Kommission hat aber im Mai dieses Jahres in der
Konsultation zu den Fangmöglichkeiten 2012 festgestellt, dass bei immer noch 23 Prozent der Bestände im
Nordostatlantik und in angrenzenden Gewässern eine zu
hohe Fangmenge festgelegt wurde. Im Vorjahr waren es
34 Prozent. Das zeigt immerhin eine abnehmende Tendenz; nichtsdestotrotz ist das eine sehr hohe Zahl. Das
hat fatale Folgen für die Fischbestände und die langfristigen wirtschaftlichen Interessen der Fischerei.
Ich frage: Welche Sicherheit gibt es, dass sich das
morgen ändert und dass man sich wirklich an die wissenschaftlichen Empfehlungen und die Anträge der Kommission dazu hält?
Ja, Frau Kollegin; es gibt aber auch ein Gegenbeispiel: Bei der Festlegung der Quoten für den Nordseehering liegt die wissenschaftliche Empfehlung von ICES
bei 478 000 Tonnen im Rahmen des maximal möglichen
Dauerertrags. Hier hat man sich bei den Verhandlungen
zwischen der Kommission und Norwegen bei 405 000
Tonnen positioniert. Insofern gibt es hier eine Unterschreitung der von wissenschaftlicher Seite empfohlenen
Fangmenge.
Ihre zweite Nachfrage.
Vielen Dank. Dies ist allerdings ein Beispiel für einen
Fall, der außerordentlich selten vorkommt.
Sie haben in der Beantwortung der schriftlichen Frage
gesagt: Es gibt ein ganzes Paket von Entscheidungen.
Jetzt könnte man unterstellen: Es gibt zwar die Empfehlung, an der man sich weitestgehend orientieren will;
aber im Rahmen der Verhandlungsführung ist es kaum
zu vermeiden, dass man mal über und mal unter diesem
Wert bleibt.
Wenn das immer politische Entscheidungen sind - es
steht auch in unseren Vorlagen, dass es sich um politische Entscheidungen handelt -, möchte ich gerne wissen, ob die Bundesregierung meine Auffassung teilt,
dass es notwendig ist, im Rahmen der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik festzulegen, dass der Fischereirat bei seinen Beschlüssen den wissenschaftlichen Empfehlungen ohne Abweichungen folgen muss
und dass die Empfehlungen nicht Verhandlungsmasse
sein dürfen.
Frau Kollegin, ich habe Ihnen bereits dargestellt, dass
die Bundesregierung sich sehr strikt und so weit wie
möglich an die wissenschaftlichen Empfehlungen hält.
Das gilt auch für den Rat. Insofern kann ich Ihnen im
Prinzip zustimmen. Ob die Empfehlungen auch in internationalen Verhandlungen immer eins zu eins umgesetzt
werden müssen und ob man auf jedem Punkt und
Komma bestehen muss, muss dann jeweils entschieden
werden.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Petra Crone auf:
Inwieweit plant die Bundesregierung eine Weiterförderung der Vernetzungsstellen Kita- und Schulverpflegung nach
Beendigung der Laufzeit 2014, je nach Start der Projekte teilweise auch schon 2013?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Liebe Frau Kollegin Crone, die Vernetzungsstellen
Kita- und Schulverpflegung wurden vom BMELV als
eine Initiative von „IN FORM“, was für „Deutschlands
Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“
steht, gemeinsam mit allen 16 Ländern eingerichtet. Die
Förderung der Vernetzungsstellen ist auf insgesamt fünf
Jahre angelegt und läuft je nach Land zwischen Juni
2013 und September 2014 aus.
Bei dieser Maßnahme handelt es sich um eine klassische Länderaufgabe, die vom Bund in gesamtstaatlicher
Prävention lediglich initiiert worden ist. Ob vor diesem
Hintergrund dem BMELV eine über die derzeitige Förderungsphase hinausgehende Unterstützung möglich ist,
wird zurzeit geprüft.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
wir sind uns alle einig, dass die Schulverpflegung eine
ganz wichtige Sache ist; denn die Kinder lernen dadurch
nicht nur besser und kraftvoller, sondern sie sind dadurch auch gesünder. Von gesünderen Kindern profitiert
auch der Bund; ich erwähne nur die Sozial- und Gesundheitssysteme. Ist der Bund insofern nicht aufgefordert, in
dieser Richtung eine Weiterförderung zu ermöglichen?
Frau Kollegin, ich bin mit Ihnen völlig einig, dass
eine Fortsetzung dieser Initiative stattfinden sollte. Wir
haben dazu im Ernährungsausschuss eine Anhörung
durchgeführt, in der darauf hingewiesen wurde, wie hilfreich die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für
Ernährung sind. Es ist lediglich die Frage der Finanzierung zu klären. Ich habe bereits angedeutet, dass wir uns
in einer Überprüfungsphase befinden.
Sie haben das Wort zur zweiten Frage.
Herr Staatssekretär, gibt es Daten darüber, wie hoch
die Förderung ausfallen müsste und in welcher Form und
mit welcher Laufzeit sie erfolgen würde?
Mir ist nur bekannt, dass wir dafür zurzeit insgesamt
6,5 Millionen Euro aufwenden, wovon die Hälfte von
den Ländern finanziert wird. In diesem Rahmen würde
sich die Förderung weiterhin bewegen.
Die Fragen 3 und 4 des Kollegen Ostendorff werden
entsprechend unseren Richtlinien schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Harald Ebner auf:
Aufgrund welcher Risikobewertung ({0})
haben die Vertreter der Bundesregierung am 14. November
2011 im Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und
Tiergesundheit der beantragten EU-Zulassung zweier gentechnisch veränderter Sojabohnensorten ({1})
als Futter- und Lebensmittel zugestimmt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrter Herr Kollege Ebner, am Anfang des Zulassungsprozesses für gentechnisch veränderte Organismen steht eine umfangreiche Risikobewertung. Diese
wissenschaftliche Bewertung wird nach Überprüfung
der Vollständigkeit der Antragsunterlagen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA,
durchgeführt. In die Bewertung der EFSA fließen die
Kommentare der national zuständigen Behörden ein.
Die EFSA ist im Fall der Sojalinie A5547-127 zu dem
Ergebnis gekommen, dass diese Linie so sicher ist wie
herkömmliche Sojalinien und dass sie im Rahmen ihres
Verwendungszweckes keine nachteiligen Auswirkungen
auf die menschliche Gesundheit oder Tiergesundheit sowie die Umwelt hat. Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Bewertung der Stellungnahme der EFSA zu dem
Ergebnis gekommen, dass ihr gefolgt werden kann, und
hat sich damit der Auffassung der EU-Kommission und
der Mehrheit der Mitgliedstaaten angeschlossen.
Im Fall der Linie 305423x40-3-2 ist die Bewertung
der EFSA derzeit noch nicht abgeschlossen. Diese Sojalinie wurde in der Sitzung am 14. November nicht behandelt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Herr Staatssekretär. - Es mehren sich
die Berichte und wissenschaftlichen Studien aus Nordund Südamerika, dass seit der Einfuhr entsprechender
gentechnisch veränderter Organismen aufgrund zunehmender Resistenzen bei Ackerbeikräutern sowohl glyphosathaltige Totalherbizide als auch weitere Herbizide
mit zum Teil älteren und hochtoxischen Stoffen in deutlich steigenden Mengen pro Hektar ausgebracht und eingesetzt werden und die so produzierten Sojapflanzen
auch hierher eingeführt werden. Welche Risiken sieht
die Bundesregierung im Hinblick auf die Tatsache, dass
dadurch mit steigenden Rückstandsbelastungen der Importware zu rechnen ist?
Hier ist grundsätzlich zwischen der Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen und der Zulassung von
Pflanzenschutzmitteln zu unterscheiden. Pflanzenschutzmittel unterliegen einem eigenen Überprüfungsverfahren und müssen nicht zwingend beim Anbau entsprechender Pflanzen angewendet werden. Insofern
gelten die Sicherheitsbestimmungen und Rückstandsgrenzwerte für unsere Lebensmittel.
Ihre zweite Frage, bitte. - Sie verzichten.
Dann rufe ich die Frage 6 des Kollegen Ebner auf:
Inwiefern ist aus Sicht der Bundesregierung eine Zulassung der Sojabohne A5547-127 bis 2021 verantwortbar, welche gegen den Wirkstoff Glufosinat-Ammonium resistent ist
und bei der entsprechende Rückstände bei in die EU importierten Produkten zu erwarten sind, wenn die Anwendung dieses Wirkstoffes in der EU aufgrund seiner fruchtbarkeits- und
embryonenschädigenden Wirkung voraussichtlich ab 2017
verboten sein wird?
Herr Kollege Ebner, die Möglichkeit von Rückständen von Komplementärherbiziden in Lebensmitteln und
Futtermitteln ist nicht im Zulassungsverfahren für die
gentechnisch veränderten Pflanzen zu bewerten. Das
habe ich gerade schon berichtet. Hierfür gelten die pflanzenschutzrechtlichen Regelungen zur Zulassung eines
Pflanzenschutzmittelwirkstoffs und die lebensmittelrechtlichen Regelungen zur Festsetzung von Rückstandshöchstgehalten, die jeweils für Kombinationen
von Wirkstoffen und Erzeugnissen festgelegt werden.
Dies hat die EU-Kommission auf Rückfrage von Mitgliedstaaten ausdrücklich bestätigt.
Das Verfahren zur Festsetzung von Rückstandshöchstgehalten ist formal unabhängig vom Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel. Die Höchstgehalte für
Pflanzenschutzmittelrückstände in Lebensmitteln und
Futtermitteln werden nach der Verordnung ({0}) Nr. 396/
2005 beantragt und von der Europäischen Behörde für
Lebensmittelsicherheit, EFSA, auf die gesundheitliche
Unbedenklichkeit überprüft und EU-weit festgesetzt.
Falls ein Pflanzenschutzmittelwirkstoff in der EU
nicht zugelassen ist, können sogenannte Einfuhr- oder
Importtoleranzen EU-weit festgelegt werden. Diese entsprechen den Rückstandshöchstgehalten, beziehen sich
aber auf Lebensmittel, die in die Europäische Union eingeführt werden. Importtoleranzen werden für die beantragten Wirkstoff-Lebensmittel-Kombinationen jedoch
nur dann erlassen, wenn Rückstände in der beantragten
Höhe aus Sicht des gesundheitlichen Verbraucherschutzes keine Gefährdung darstellen. Im Prinzip habe ich das
vorhin schon beantwortet.
Ihre erste Nachfrage.
Wenn die Glufosinat-Zulassung auslaufen soll und
aufgrund der embryonenschädigenden Wirkung möglicherweise keine weitere Zulassung in Aussicht steht,
stellt sich jedoch die Frage, inwieweit sich die Bundesregierung in der Verantwortung sieht, dass es dann Importfuttermittel mit einem nicht mehr zugelassenen Herbizid
gibt. Wenn die Bundesregierung der Zulassung dieser
Sojabohne jetzt zustimmt, impliziert das gewisse Folgen.
Wenn sie jetzt zustimmt, dann stimmt sie auch zu, dass
in fünf Jahren Sojabohnen importiert werden, die mit einem dann nicht mehr zugelassenen Herbizid belastet
sind.
Ich weise noch einmal auf die Beantwortung der vorherigen Frage hin. Der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, insbesondere von Soja, ist nicht zwingend mit der Anwendung dieses Glyphosates verbunden.
({0})
Das ist eine rein ökonomische Entscheidung, die vom
Anbauer selbst zu treffen ist. Ansonsten gelten die Vorschriften der Europäischen Union für die Belastung von
Lebensmitteln auch hier.
Ihre zweite Nachfrage? - Sie verzichten.
Danke, Herr Staatssekretär.
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Inwieweit trifft die Meldung von Spiegel Online vom
2. Dezember 2011 zu, dass ab Ende 2011 auf dem von der
Bundeswehr betriebenen afghanischen Flughafen in Masar-iScharif vier moderne raketenbestückte US-Drohnen vom Typ
Gray Eagle stationiert werden, um auf Befehl der Kabuler
NATO-Einsatzzentrale hin vermeintliche Taliban-Führer und
andere Terrorgruppen im nördlichen Einsatzgebiet der Bundeswehr unschädlich zu machen, und teilt die Bundesregierung meine Befürchtung, dass eine solche Verschärfung der
Kriegsführung zusätzlichen Hass der Bevölkerung schüren,
den Aufständischen weitere Kämpfer zutreiben und Verhandlungsbemühungen zur Beendigung des Krieges erschweren
oder unmöglich machen kann?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage des Kollegen Ströbele beantworte ich wie folgt: Wie wir bereits in
einer Unterrichtung des Parlaments in diesem Jahr mitgeteilt haben, beabsichtigt das ISAF Joint Command,
vier unbemannte Luftfahrzeuge vom Typ Gray Eagle in
Masar-i-Scharif und damit im Verantwortungsbereich
des ISAF-Regionalkommandos Nord zu stationieren.
Dabei handelt es sich um eine Verlegung von Systemen
innerhalb von Afghanistan. Es werden dadurch weder
Einsatzregeln noch Einsatzverfahren von ISAF geändert.
Diese Systeme sollen ab Mitte Januar vorläufig einsatzbereit sein und werden afghanistanweit vom ISAF Joint
Command eingesetzt, also auch diejenigen, die dann in
Masar-i-Scharif stationiert sind.
Sollte ein Einsatz dieser Systeme im ISAF-Regionalkommando Nord zur Unterstützung unserer Soldatinnen
und Soldaten notwendig sein, muss dies wie bisher beim
ISAF Joint Command beantragt werden. Insofern teile
ich als Vertreter der Bundesregierung Ihre Ansicht nicht,
dass sich die in Ihrer Frage geäußerten Befürchtungen
realisieren werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollege
Ströbele.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass es sich bei diesen Drohnen, die in
den Verantwortungsbereich der Bundeswehr in Afghanistan verlegt werden, um sogenannte Killerdrohnen
handelt, die die Aufgabe haben, extralegal Menschen
nach bestimmten Listen nicht gefangen zu nehmen, sondern zu töten, und ist die Bundesregierung bereit, durch
die Stationierung in ihrem Verantwortungsbereich die
Verantwortung für solche extralegalen Hinrichtungen zu
übernehmen? Wie vereinbart die Bundesregierung dies
mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 1?
Herr Kollege, ich glaube, wir tun gut daran, zwischen
den technischen Fähigkeiten, den Rules of Engagement
und den den Zuständigkeiten entsprechenden Nutzungen
zu unterscheiden. Die Luftfahrzeuge haben die Fähigkeit, punktgenau mit dem sogenannten Hellfire-Flugkörper, der auch von Hubschraubern verwendet wird, luftnahe Unterstützung zur Wirkung zu bringen; dadurch
wird gerade die Gefährdung unbeteiligter Zivilisten minimiert. Das stellt keine neue Qualität dar. Wir werden,
wie bereits geäußert, keine Änderungen der Regeln daraus ableiten können.
Einen kleinen Moment, Kollege Ströbele. Zunächst
ein Hinweis an die Kolleginnen und Kollegen, welche
inzwischen so zahlreich an der Fragestunde teilnehmen:
Ich bitte Sie, dafür zu sorgen, dass wir sowohl die Frage
des Kollegen Ströbele als auch die Antwort des Herrn
Staatssekretärs verstehen können. - Bitte, Kollege
Ströbele, jetzt Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, geben Sie mir recht, dass diese
sogenannten Killerdrohnen nicht nur in Afghanistan,
sondern auch in Pakistan, und zwar insbesondere im
Grenzbereich zu Afghanistan, eingesetzt worden sind,
dass beim Einsatz dieser Drohnen gezielt Menschen getötet worden sind und dass bei diesen Tötungsaktionen
immer wieder Unschuldige, also Personen, die eigentlich
nicht das Ziel waren, getroffen und getötet worden sind?
Können Sie bestätigen, dass diese Drohnen seit heute
- jedenfalls liest man das derzeit in der Presse - in Pakistan nicht mehr eingesetzt werden dürfen, weil die
pakistanische Regierung gegen diese Verletzung ihrer
Hoheitsrechte einschreitet? Ist die Verlegung dieser
Drohnen in den Verantwortungsbereich der Bundeswehr
in Afghanistan praktisch ein Ausweichmanöver, das
dazu dient, dass diese Drohnen von nun an von dort aus
in ganz Afghanistan eingesetzt werden können?
Vielen Dank, Herr Kollege. - Vorneweg möchte ich
meiner Genugtuung Ausdruck verleihen, dass Sie und
ich bei diesem interessanten Teil der Fragestunde, den es
nicht zum ersten Mal gibt, so viele Zuhörer unter den
Kolleginnen und Kollegen finden. Das mag die große
Qualität der Fragen, aber auch die der Antworten unterstreichen.
Ich kann die Behauptungen und Informationen, die
Sie der Presse entnehmen und die die Bundesregierung
nicht betreffen, weder kommentieren noch bestätigen.
Die Fragen müssen - in einem Punkt hatten wir eine
Antwort zu geben - von Stellen außerhalb dieses Landes, die Auskunft geben können, beantwortet werden.
Ich will noch einmal festhalten, dass diese Fluggeräte
von der US Army betrieben und als sogenanntes Theatre
Asset - also Einsatz einer militärischen Fähigkeit in Gesamtafghanistan - von ISAF eingesetzt werden. Das
Nutzen solcher Fähigkeiten wird sich unsererseits strikt
an den ISAF-Regeln zu orientieren haben; das wird auch
der Fall sein.
Es gibt jetzt noch eine Nachfrage der Kollegin Vogler,
die ich, weil sie zum gleichen Sachverhalt gehört, noch
gerne zulassen möchte. Danach verfahren wir, wie vereinbart.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
kann ich Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen
Ströbele so deuten, dass Sie uns nicht versichern können,
dass die nun in Masar-i-Scharif stationierten Drohnen
nicht möglicherweise außerhalb Afghanistans, also in
Pakistan, eingesetzt werden und damit zu einer Ausweitung der Kampfhandlungen und zu einer Eskalation des
regionalen Konflikts beitragen?
Ich kann Ihnen bestätigen, dass sich der Einsatz dieser
Gerätschaften im Rahmen des ISAF-Mandates strikt an
den Regeln von ISAF orientieren wird. Das gilt insbesondere für den Fall, dass Luftnahunterstützung seitens
der Bundeswehr oder seitens Einheiten anderer Länder
angefordert wird.
Wir hatten vereinbart, dass wir die Fragestunde um
ungefähr 14 Uhr für den Zusatzpunkt 1 unterbrechen,
den ich hiermit aufrufe:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zu den Ergebnissen des Europäischen Rates
am 8./9. Dezember 2011 in Brüssel
Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der
SPD und der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. - Darf ich die
Kolleginnen und Kollegen bitten, Platz zu nehmen?
({0})
- Ja, einige sitzen schon. Das ist richtig bemerkt, Herr
Kollege Brüderle. Aber man hat von hier oben aus einen
noch besseren Überblick.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
nun die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! In meiner Regierungserklärung am 2. Dezember habe ich unter anderem
ausgeführt, dass derjenige, der vor wenigen Monaten gesagt hätte, dass wir Ende des Jahres 2011 sehr ernsthafte
und sehr konkrete Schritte für eine europäische Fiskalunion, für Durchgriffsrechte in Europa einleiten, für verrückt erklärt worden wäre. Heute können wir feststellen:
Wir reden nicht mehr nur über eine Fiskalunion, sondern
wir haben angefangen, sie zu schaffen.
({0})
Das war das Ziel der Bundesregierung für den Rat der
europäischen Staats- und Regierungschefs in der vergangenen Woche. Dieses Ziel haben wir erreicht. Das ist in
seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Die übergroße Mehrheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat sich entschlossen, diese wichtige
Weichenstellung auf dem Wege eines zwischenstaatlichen Vertrages vorzunehmen. Wir haben uns entschlossen, mit dieser Weichenstellung die Konstruktionsfehler
zu korrigieren, die bei der Schaffung der Wirtschaftsund Währungsunion begangen wurden. Der Weg zu einer Fiskalunion im Sinne einer Stabilitätsunion ist damit
natürlich noch lange nicht abgeschlossen, aber er wurde
eingeschlagen, und ich glaube: unwiderruflich.
Großbritannien wollte den Weg zu einer neuen vertraglichen Grundlage über eine Änderung der europäischen Verträge aller 27 Mitgliedstaaten nicht mitgehen,
jedenfalls nicht zu Bedingungen, die die anderen 26 akzeptieren konnten. Die Antwort in dieser Situation
konnte nicht Nichtstun und Abwarten sein. Sie konnte
auch nicht eine bloße Reparatur mithilfe vorhandener Instrumente sein. Das wäre in dieser Krise nur halbherzig
und aus meiner Sicht deshalb unverantwortlich gewesen.
Die Antwort musste anders aussehen. Deshalb haben wir
uns entschlossen, einen neuen zwischenstaatlichen Vertrag zu erarbeiten, an dem sich die große Mehrheit aller
27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in jedem
Fall aber die 17 Staaten der Euro-Zone beteiligen.
Meine Damen und Herren, auf den Tag genau
20 Jahre nach der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion durch den Vertrag von Maastricht nehmen
wir also erneut eine zentrale politische Weichenstellung
vor. Wir werden die Wirtschafts- und Währungsunion
auf eine gestärkte vertragliche Grundlage stellen. Diese
vertragliche Grundlage soll bis März fertig sein und
dann so schnell wie möglich durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden und in Kraft treten.
({1})
Eine starke Rolle der Institutionen der Europäischen
Union, insbesondere der Kommission und des Europäischen Gerichtshofes, soll für eine enge Verknüpfung mit
den 27, mit dem Beitritt Kroatiens bald 28 EU-Mitgliedstaaten sorgen. Auch das Europäische Parlament soll
und wird von Anfang an einbezogen werden, zum Beispiel durch Beobachter in dem Erarbeitungsprozess für
den Vertrag.
({2})
Jeder EU-Mitgliedstaat, der dies möchte, kann sich
dem neuen Vertrag anschließen. Wir wollen uns auf das
Ziel verpflichten, den neuen Vertrag in den EU-Rahmen
zu überführen, sobald dies möglich ist. Dieser Weg wird
Europa die Tür zur Fiskalunion im Sinne einer Stabilitätsunion weit öffnen.
Ich sage hier ausdrücklich: Sosehr ich bedaure, dass
Großbritannien sich nicht mit uns gemeinsam auf diesen
Weg gemacht hat, sosehr ich bedaure, dass Großbritannien sich schon vor 20 Jahren gegen den Euro entschieden hat, so sehr steht für mich außer Zweifel, dass Großbritannien auch in Zukunft ein wichtiger Partner in der
Europäischen Union sein wird.
({3})
Großbritannien ist für Europa nicht nur in Fragen der
Außen- und Sicherheitspolitik ein verlässlicher Partner;
Großbritannien ist dieser Partner auch in vielen anderen
Fragen: bei der Wettbewerbsfähigkeit, im Binnenmarkt,
für den Handel, für den Klimaschutz. Gerade Letzteres
haben wir bei den Klimaverhandlungen in Durban noch
einmal ganz deutlich erleben können. Großbritannien hat
im Übrigen ein eigenes vitales Interesse daran, dass die
Euro-Zone ihre Schuldenkrise überwindet. Das geschieht jedoch nicht über Nacht. Die Bundesregierung
hat stets deutlich gemacht, dass die europäische Schuldenkrise nicht mit dem einen Befreiungsschlag zu lösen
ist. Es gibt einen solchen Befreiungsschlag nicht; es gibt
keine einfachen und schnellen Lösungen.
Die Bewältigung der Staatsschuldenkrise ist - ich
kann es gar nicht oft genug sagen - ein Prozess. Dieser
Prozess dauert nicht Wochen, er dauert nicht Monate; er
wird Jahre dauern. Dieser Prozess wird auch in Zukunft
von Rückschlägen begleitet werden. Entscheidend aber
ist nicht die Dauer des Prozesses; entscheidend ist vielmehr, ob wir uns von Rückschlägen entmutigen und verunsichern lassen oder ob wir genau das nicht tun.
Ich bin überzeugt: Wenn wir die nötige Geduld und
Ausdauer haben, wenn wir uns von Rückschlägen nicht
entmutigen lassen, wenn wir konsequent den Weg in
Richtung Fiskal- und Stabilitätsunion gehen, wenn wir
tatsächlich die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden und so den Gründungsfehler des Euro beheben, dann
wird sich das bewahrheiten, was ich seit Beginn der
Krise als das Ziel unseres Handelns formuliert habe:
Dann wird Europa diese Krise nicht nur bestehen, sondern dann wird Europa aus dieser Krise stärker hervorgehen, als es in sie hineingegangen ist.
({4})
Dann wird ein neues, ein stabiles Europa entstehen.
Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten
Wochen die Weichen für dieses neue Europa gestellt, für
ein Europa der Stabilität, der Solidarität und des Vertrauens. Daran hat die Bundesregierung entscheidend mitgewirkt, indem sie seit Beginn der Krise bei allen Maßnahmen zur akuten Krisenbewältigung
({5})
ein ausgewogenes Verhältnis von nationaler Eigenverantwortung und europäischer Solidarität eingefordert
hat.
({6})
Solange die Mitgliedstaaten weitgehend selbst für
ihre Wirtschafts- und Haushaltspolitik verantwortlich
sind - das ist in den heutigen Verträgen so -, so lange
wird es ganz entscheidend darauf ankommen, dass zunächst einmal jeder selbst seine Hausaufgaben macht.
Eigenverantwortung ist die erste Säule unserer Stabilitäts- und Fiskalunion. Dass dabei zum Teil schon wichtige Fortschritte gemacht worden sind, das erkennen wir
an, und das würdigen wir.
Irland arbeitet entschlossen daran, das Vertrauen der
Märkte zurückzugewinnen. Wichtige Strukturreformen,
insbesondere im Bankensektor, werden durchgesetzt; die
gestiegene Wettbewerbsfähigkeit hilft Exporten und
Wachstum. Portugal kann sich auf einen breiten Konsens
stützen, um die notwendigen Konsolidierungs- und Reformmaßnahmen weiter konsequent anzugehen. Die letzten Daten, die wir aus Portugal bekommen haben, sind,
was die Defizitstruktur anbelangt, sehr ermutigend.
Griechenland arbeitet inzwischen parteiübergreifend
daran, seine Verpflichtungen für die Konsolidierungsund Reformziele umzusetzen. Italien hat vor wenigen
Tagen weitreichende Sparmaßnahmen und Reformen
verabschiedet und das Ziel noch einmal bekräftigt, bis
2013 den Haushaltsausgleich zu schaffen und wichtige
Strukturreformen durchzuführen. In Gesprächen hat mir
der zukünftige spanische Ministerpräsident noch einmal
versichert, dass auch Spanien den Reformkurs nach dem
Regierungswechsel fortsetzen wird.
Auch EU-Mitgliedstaaten, die den Euro noch nicht
eingeführt haben, haben ihrerseits zum Teil erhebliche
Anstrengungen unternommen, oder sie sind dabei, dies
zu tun. Wir dürfen eines nicht vergessen: Den Menschen
in den betroffenen Ländern wird viel abverlangt; das
stimmt. Sie leisten einen Beitrag dazu, dass ihre Länder
und die Euro-Zone insgesamt auf einen dauerhaft stabilen Kurs kommen, und dafür verdienen sie unsere Anerkennung.
({7})
Wir haben immer gesagt: Wer Eigenverantwortung
übernimmt, der kann mit der Solidarität der europäischen Partner rechnen. Solidarität ist die zweite Säule
der neuen Stabilitäts- und Fiskalunion. Fünf Elemente
sind dabei wichtig:
Erstens. Mit den Ende November verabschiedeten
Leitlinien soll die Wirksamkeit der EFSF deutlich erhöht
und sollen Ansteckungsgefahren besser eingedämmt
werden. Wichtiger Beschluss bei dem Rat letzte Woche
war, dass sich die Europäische Zentralbank bereit erklärt
hat, die EFSF mit ihrer Expertise und ihren technischen
Möglichkeiten zu unterstützen. Ich glaube, das wird einen sehr positiven Effekt haben.
({8})
- Die Kenner klatschen.
({9})
- Ich würde mich an Ihrer Stelle lieber einmal informieren, welche Möglichkeiten und Chancen darin liegen. Diese Garantien haben wir alle hier in diesem
Hohen Hause zur Verfügung gestellt. Wenn davon noch
250 Milliarden Euro übrig sind, hielte ich es nicht für
schlecht, sie wirksam einzusetzen.
({10})
Ich bin noch nicht so weit, dass ich sage: Mit 250 Milliarden Euro kann man nichts machen.
({11})
Zweitens. Die Einrichtung des dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus ESM, der die EFSF ablösen
soll, wird auf 2012 vorgezogen werden. Wenn es so
kommt, werden alle Mitgliedstaaten und damit auch wir
schon 2012 Kapital einzahlen müssen. Ich betone aber
auch: Dann werden alle Mitgliedstaaten und nicht nur
die Triple-A-Länder ihren Beitrag, und zwar einen wirksamen Beitrag, zu dem Solidaritätsmechanismus leisten.
Dies sind der wesentliche Unterschied zur EFSF und ein
wesentlicher Faktor, nämlich die Tatsache, dass dann
Kapital zur Verfügung steht, auch für die zusätzliche
Glaubwürdigkeit des ESM. Die konsolidierte Obergrenze von EFSF plus ESM wird bei 500 Milliarden
Euro liegen.
Drittens. Der IWF soll über eine angemessene finanzielle Ausstattung verfügen. Dazu prüfen die Euro-Länder und weitere EU-Mitgliedstaaten, dem IWF zusätzliche Ressourcen in Form von bilateralen Krediten in
Höhe von bis zu 200 Milliarden Euro zur Verfügung zu
stellen. Auch andere Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft sind eingeladen, sich parallel an der
Aufstockung der IWF-Ressourcen zu beteiligen. Die
Mittel sollen dem allgemeinen Konto des IWF zur Verfügung stehen und im Rahmen der regulären IWF-Geschäftspolitik verwendet werden. Sie unterliegen also
strikter Konditionalität. Die Bundesregierung und die
Bundesbank haben hierzu die Modalitäten festgelegt;
diese sind dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages gestern zugeleitet worden.
Viertens. Hinsichtlich der Beteiligung des Privatsektors im Rahmen des ESM werden wir uns an der Praxis
des IWF orientieren. Zudem sollen alle neuen Staatsanleihen von Euro-Ländern künftig standardisierte Umschuldungsklauseln, also die sogenannten CACs, enthalten. Damit wird einerseits noch einmal unterstrichen,
dass die freiwillige Umschuldung Griechenlands ein besonderer Fall ist, und andererseits größtmögliche Klarheit und Berechenbarkeit für Investoren in europäische
Staatsanleihen geschaffen.
Fünftens. In Situationen, in denen die Finanzstabilität
der Euro-Zone als Ganzes bedroht ist, können dringende
Entscheidungen über die Gewährung von Hilfen durch
den ESM mit hoher qualifizierter Mehrheit, nämlich
85 Prozent gemäß des Kapitalschlüssels, getroffen werden. Bei Grundsatzentscheidungen, etwa Schaffung
neuer Instrumente oder Veränderung des Volumens des
ESM, bleibt es selbstverständlich beim Einstimmigkeitsprinzip. Das gilt auch für Hilfsmaßnahmen. Sie werden
als letztes Mittel und wiederum nur gegen strenge Auflagen gewährt.
Meine Damen und Herren, die gegenwärtige Krise im
Euro-Raum ist von der Ursache her eine Staatsschuldenkrise.
({12})
Sie ist aber inzwischen auch eine Vertrauenskrise. Sie ist
eine Vertrauenskrise, die die Politik - niemand sonst zu verantworten hat.
({13})
Das begann bei der Gründung der Wirtschafts- und
Währungsunion selbst, als Konstruktionsfehler zugelassen wurden, die die Euro-Gruppe inzwischen mit voller
Wucht treffen. Das hat sich fortgesetzt, als die Politik
nach Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion
schon die Prinzipien, die im alten Stabilitäts- und
Wachstumspakt vorgesehen waren, nicht oder nicht vollständig angewandt oder gar aufgeweicht hat.
Es ist deshalb in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen, dass sich die Politik in den vergangenen Monaten bis hin zum Rat am letzten Freitag endlich
der Aufgabe gestellt hat, genau diese Vertrauenskrise
schonungslos beim Namen zu nennen und die notwendigen Schlussfolgerungen aus ihr zu ziehen.
({14})
Nur so schaffen wir es, neben der akuten Krisenbewältigung auch Vorsorge für die Zukunft zu treffen, damit
dieser Krise nicht die nächste - die dann noch schlimmere - folgt. Die Vorsorge für die Zukunft durch neues
Vertrauen ist die dritte Säule der neuen Fiskal- und Stabilitätsunion.
({15})
Wir wollen den Weg in eine dauerhafte Stabilitätsunion einschlagen, in der in Zukunft Regeln eingehalten
werden, ihre Einhaltung kontrolliert wird und ihre Nichteinhaltung Konsequenzen hat. Dazu sollen Schuldenregeln im nationalen Recht, möglichst in den Verfassungen, verankert werden. Verbindliche Schuldenregeln
sollen früh greifen und daher ein wichtiger Beitrag zur
Prävention sein.
Dazu werden wir auf europäischer Ebene detaillierte
und ehrgeizige Vorgaben festschreiben. Ziel ist ein ohne
Sondereinflüsse ausgeglichener Haushalt in jedem Mitgliedstaat. Die Umsetzung dieser europäischen Vorgaben
in nationales Recht kann in Zukunft - auf Antrag der
Kommission oder eines Mitgliedstaates - der Europäische Gerichtshof prüfen. Dies ist umso bedeutsamer, als
die Gerichte neben den Notenbanken - der Europäische
Gerichtshof neben der Europäischen Zentralbank - im
Gegensatz zur Politik die beiden Institutionen sind, deren Glaubwürdigkeit bis jetzt unangetastet und somit unverändert hoch ist.
Hinzu kommt eine weitere deutliche Verschärfung
des Defizitverfahrens selbst. Wenn die 3-Prozent-DeBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
fizitobergrenze verletzt wird, soll das Defizitverfahren
künftig automatisch ausgelöst werden; es sei denn, eine
qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten entscheidet
dagegen. Das ist genau die umgekehrte qualifizierte
Mehrheit, die heute im Lissabon-Vertrag verankert ist.
Dieses Prinzip der umgekehrten qualifizierten Mehrheit
soll auch bei der Durchführung des Defizitverfahrens
gelten. Das heißt, auch die Einleitung der nächsten
Schritte soll in der Regel automatisch erfolgen.
({16})
Mitgliedstaaten im Defizitverfahren sollen sich künftig in sogenannten Reformpartnerschaften verbindlich
auf detaillierte Konsolidierungs- und Reformschritte
verpflichten. Es gibt also nicht mehr die Sanktion, die
vor allem im Zahlen von Geld besteht, welches man gemeinhin nicht hat, wenn man schon ein hohes Defizit
aufweist, sondern es geht in Zukunft um verbindliche
Schritte, die mit der Kommission und dem Mitgliedstaat
vereinbart werden. Das ist sozusagen eine Konditionalität, wie wir sie heute von den Rettungsschirmen kennen.
Die Einhaltung dieser Vereinbarungen soll von Kommission und Rat überwacht werden. Außerdem haben wir
vereinbart, auch das Verfahren zum Schuldenabbau - die
sogenannte Ein-Zwanzigstel-Regel - vertraglich zu verankern.
Meine Damen und Herren, wir alle spüren: Die Krise
hat schon heute die Europäische Union verändert. Die
Krise hat uns schonungslos die Rechnung für die Versäumnisse und Fehler der Vergangenheit präsentiert. Der
Europäische Rat am letzten Freitag hat darauf nicht mit
einem weiteren Fehler geantwortet. Ein solcher Fehler
wäre zum Beispiel die Einführung von Euro-Bonds gewesen,
({17})
eine schnelle vermeintliche Lösung, aber nicht an der
Wurzel ansetzend. Sie sind als Rettungsmaßnahme nicht
geeignet. Bei näherer Nachfrage wird das im Übrigen
auch von der Kommission bestätigt.
Die Krise hat die enorme Bedeutung der gemeinsamen Währung für das europäische Projekt insgesamt
deutlich werden lassen. Der Euro hat sich bewährt. Er ist
wertbeständiger, als es die D-Mark je war. Als Exportnation profitiert Deutschland in besonderem Maße vom
Euro. Das gilt nicht nur für die großen Unternehmen,
sondern gerade auch für die mittelständischen Unternehmen in Deutschland. Das muss immer wieder betont
werden.
Aber der Euro ist eben auch weit mehr als eine Währung. Er steht symbolhaft für die Tiefe der europäischen
Einigung. Die Krise hat die Europäer deshalb auch viel
enger, als das jemals der Fall war, zusammenrücken lassen. Dies gilt insbesondere für die deutsch-französische
Zusammenarbeit, die sich in dieser Krise in besonderer
Weise bewährt hat.
({18})
Dies gilt aber auch weit darüber hinaus.
Wir wollen die Wende zum Guten schaffen. Genau
das ist die Chance, die in dieser Krise steckt. Der Europäische Rat in der letzten Woche hat deutlich gemacht,
dass die Euro-Staaten und fast alle Nicht-Euro-Staaten
an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, die
Chancen der Krise zu nutzen und die Grundlagen für
eine bessere europäische Zukunft zu legen.
Diese gemeinsame Entschlossenheit habe ich in meinen Gesprächen mit meinen Kollegen und Kolleginnen
deutlich gespürt. Ich bin ganz sicher: Dieses neue Gemeinschaftsgefühl, diese gemeinschaftliche Verantwortung, wird uns weit über die Krise hinaus erhalten bleiben. Das heißt nichts anderes, als dass die Vision einer
wirklichen politischen Union beginnt, Konturen anzunehmen.
Ich sage ausdrücklich: Zu einer politischen Union gehört mehr, als nur Stabilitätsmechanismen zu schaffen.
Zu einer politischen Union gehört auch, gemeinsam
Wachstum zu generieren, und zwar nachhaltiges Wachstum,
({19})
Wachstum, das sich nicht auf Pump gründet, Wachstum,
das in die Zukunft gerichtet ist und das mit Wohlstand
und mehr Arbeitsplätzen in Europa verbunden ist.
({20})
Deshalb wird eine Verabredung, wie wir sie vor einem
Jahr im Euro-Plus-Pakt getroffen haben, zusätzlich an
Bedeutung gewinnen.
Aber ich sage auch: Auf uns alle wird die Aufgabe
zukommen, unsere Gesetze enger miteinander abzustimmen, auch wenn das vertraglich noch nicht zwingend
notwendig ist. Das ist sicherlich für jedes nationale Parlament ein Moment, in dem man umdenken und sich in
die Situation des anderen hineinversetzen muss. Aber
ich denke, wir sollten in allen Bereichen von den Besten
lernen.
Deshalb sage ich: Ja, es ist wahr; wir erleben eine der
schwersten Krisen Europas. Aber wahr ist auch: Gemeinsam haben wir schon unendlich viel erreicht. Wir
sind uns über die Ursachen der Krise einig. Wir sind uns
einig, diese Ursachen bekämpfen zu müssen, um die
Krise zu überwinden. Wir sind uns einig, den Weg hin zu
einer Fiskalunion zu gehen. Dies wäre noch vor wenigen
Monaten undenkbar gewesen. Die Chancen dieser Krise
sind - das ist meine Überzeugung - um ein Vielfaches
größer als ihre Risiken. Diese Chancen zu ergreifen, das
ist der historische Auftrag unserer politischen Generation.
Der Weg zur Überwindung der Krise ist lang, er ist
beschwerlich; aber am Ende dieses Weges werden eine
nachhaltig gestärkte Euro-Zone und eine nachhaltig gestärkte Europäische Union stehen. Das ist das Ziel. Es ist
die beste Voraussetzung für eine gute Zukunft, eine gute
Zukunft Europas und eine gute Zukunft Deutschlands.
Die Bundesregierung arbeitet dafür. Ich lade Sie alle in
diesem Parlament ein, daran mitzuwirken.
Herzlichen Dank.
({21})
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Ulrich
Schneider als neuen Kollegen in der Mitte des Bundestages begrüßen, der als Nachfolger des ausgeschiedenen
Kollegen Till Seiler von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen heute erstmals an der Plenarsitzung teilnimmt.
Alle guten Wünsche!
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Frank-Walter
Steinmeier für die SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Frau Bundeskanzlerin, das war in der Tat ein bemerkenswerter Auftritt. Wenn ich die Nachrichten von heute
Morgen richtig bewerte, dann ist Ihre Regierung im Augenblick dabei, Ihnen um die Ohren zu fliegen. Aber Sie
verlieren in der Regierungserklärung kein einziges Wort
darüber. Das ist erstaunlich.
({0})
Europa ist das zentrale Thema. Aber wir können nicht
so tun, als habe die Existenzkrise der FDP nichts mit
Europa zu tun.
({1})
Der Rücktritt von Herrn Lindner ist doch nur ein Symptom. Die FDP hat sich mit ihrem Mitgliederentscheid in
eine Sackgasse manövriert. Sie ist unfähig, die Entscheidungen mitzutragen, die jetzt in unserem Land und in
Europa notwendig sind.
({2})
Frau Bundeskanzlerin, wir streiten nicht im Ernst darüber, ob Europa Stabilität braucht; die braucht Europa
mehr denn je. Auch heute streiten wir darüber, ob Ihre
Vorschläge und die Beschlüsse des europäischen Gipfels
vom vergangenen Wochenende wirklich den Weg zu der
Stabilität bereiten, die wir brauchen. Ich sage ausdrücklich: Das glaube ich nicht.
({3})
Das Wundermittel, mit dem Sie die Krise bekämpfen
wollten, hieß von Anfang an Vertragsänderung. Lasst
uns die Verträge ändern, der Rest wird sich dann schon
irgendwie finden - das war die These, mit der Sie landauf, landab durch Europa getourt sind. Sie haben sich
entgegen aller Gipfelpropaganda mit dieser Auffassung
nicht durchgesetzt. Die von Ihnen geforderte Änderung
der Verträge der EU 27 hat allen Heldensagen zum Trotz
nicht stattgefunden.
Nun sagen Sie - wir haben es eben gehört -: Das mit
den 27 hat zwar nicht stattgefunden, aber das ist kein
Beinbruch, wir schließen einfach zu 24, 25 oder 26 einen
neuen Vertrag, und zwar außerhalb der bestehenden Verträge. Das klingt zunächst harmlos, ist es aber nicht. Damit mag man diejenigen beruhigen, die vom europäischen Recht wenig verstehen, aber viel zu viele hier im
Saal wissen ganz genau: Damit begeben wir uns in Europa auf einen politisch und rechtlich völlig unkalkulierbaren Weg. Ich unterstelle, dass es Ihre Absicht war, den
Märkten Sicherheit geben zu wollen. Jedoch hat der europäische Gipfel aus meiner Sicht genau das Gegenteil
bewirkt. Das rechtliche Gezerre ist schon jetzt, drei Tage
nach dem Gipfel, in vollem Gange.
Gestern rückte der tschechische Ministerpräsident
- wenn ich das richtig gelesen habe - stückweise von der
Gipfelerklärung ab. Ungarn macht erkennbar Schwierigkeiten, das können wir jeden Tag in den Zeitungen lesen.
Dänemark und Finnland steuern auf eine Regierungskrise zu. Was wir wirklich ernst nehmen müssen, auch
die Regierung: Herr Barroso und die EU-Kommission,
die wir in der Vergangenheit immer als Hüterin der Verträge bezeichnet haben, lassen durchblicken: Egal was in
dem sogenannten Fiskalpaket stehen mag: Alle automatischen Sanktionen - die ich darin nicht so recht finde sind im Ernstfall ein Muster ohne Wert. Wenn sich auch
nur ein einziger Staat auf den Vorrang des Europarechts,
also auf den Lissabon-Vertrag, beruft, dann gilt der Vorrang des Lissabon-Vertrages. Das ist die Auffassung der
Kommission - das steht seit gestern in den Zeitungen,
Frau Merkel, das wissen auch Sie -, und deshalb kann
ich nicht erkennen, dass das, was auf dem Gipfel stattgefunden hat, der Durchbruch ist. Wenn es einer sein soll,
dann müssen wir uns fragen: Durchbruch wohin?
Das Fiskalpaket ist bei genauerem Hinsehen - ich
habe versucht, das deutlich zu machen - ein Scheinriese.
Von weitem sieht es bedeutsam aus, beim Näherkommen
erkennt man jedoch auf Anhieb: Es ist in Wirklichkeit
ein Zwerg. Deshalb hat die Nachgipfeleuphorie nicht
einmal drei Tage angehalten. Schon am Montag waren
die Märkte wieder im tiefroten Bereich. Mich hat das an
den alten Satz von Wiktor Tschernomyrdin erinnert, der
lautete: „Wir wollten es besser machen, aber es ist geworden wie immer.“
({4})
Was entscheidender ist: Ich glaube, in dieser Stunde
rächt sich der Strandspaziergang von Deauville.
({5})
Im September 2010, also vor einem Jahr, hat der Kommissionspräsident Vorschläge vorgelegt,
({6})
die Sie nach dem gemeinsamen Strandspaziergang mit
Herrn Sarkozy abgelehnt haben. Das war ein schwerer
Fehler. Die Folgen liegen jetzt auf der Hand. Wir müssen
doch klar sehen: Wir hatten eine Schuldenkrise, die niemand hier im Hause bestreitet. Nach dem Gipfel ist jetzt
eine veritable Verfassungskrise hinzugekommen. Mit
Verlaub, das ist aus meiner Sicht kein Durchbruch für
mehr Stabilität in Europa. Das ist es wirklich nicht.
({7})
Aus meiner Sicht haben wir ein Stück mehr Rechtsunsicherheit und - was wir gar nicht gebrauchen können weitere verkomplizierte Strukturen innerhalb der EU,
Strukturen, die wir auch Menschen außerhalb der Europäischen Union erklären müssen. Wir müssen erklären,
dass wir nicht nur die EU 27 und nicht nur die EU 17 haben, sondern etwas, das wir vielleicht - je nachdem, wer
dabeibleibt - EU 26 minus x nennen können.
Wer außerhalb Europas soll das verstehen? Nach dem
Gipfel habe ich mir die entscheidende Frage gestellt:
Rechtfertigt dieses Ergebnis eigentlich die faktische Abspaltung Großbritanniens, die jetzt stattgefunden hat?
Auch ich habe die Berichterstattung gesehen. Sie ist ein
wenig von oberflächlicher Schadenfreude geprägt. Jeder
kann sie verstehen, der sich in der Vergangenheit in Europäischen Räten über unsere britischen Freunde geärgert hat; aber ich bin mir sicher, dass wir das in ein paar
Monaten neu bewerten werden. Dann werden wir genau
sehen: Für Schadenfreude darüber, dass wir die Briten
nicht mehr an Bord haben, besteht eigentlich gar kein
Anlass; denn der Entfremdungsprozess zwischen Kontinentaleuropa und Großbritannien wird nicht aufzuhalten
sein. Am Ende, meine Damen und Herren, wird Schaden
bleiben - Freude überhaupt nicht.
({8})
Unklarheit herrscht nach diesem Gipfel - auch das
muss gesagt werden - weiterhin über die Rolle der Europäischen Zentralbank. Dazu muss man die unterschiedliche Presse aus unterschiedlichen Ländern lesen. Wir haben hier eine Presse zur Kenntnis genommen, in der
Frau Merkel als diejenige bezeichnet wird, die die europäische Willensbildung geprägt hat. Schauen Sie einmal
in die französische Presse derselben Tage, dann haben
Sie ein völlig anderes Bild. Am Montag gab - vielleicht
haben Sie das gesehen - Präsident Sarkozy in Le Monde
seine Version des Gipfels zum Besten, und die ist eben
eine ganze andere als die, wie wir sie eben hier gehört
haben.
({9})
Da feiert sich Sarkozy als der große Sieger dieses europäischen Gipfels. Und wie begründet er das? Er sagt:
Wir haben uns durchgesetzt. Warum? Weil in Zukunft
die Europäische Zentralbank vorübergehend die operative Führung der EFSF und vor allen Dingen dann des
ESM übernehmen wird.
({10})
Das wird in Frankreich als der große Durchbruch gefeiert, weil die Deutschen, Frau Merkel, endlich hätten eingestehen müssen, dass die Beschränkung der EZB auf
Fragen der Geldpolitik historisch überholt sei. Das ist
die Begründung, die wir in Frankreich dazu hören.
({11})
Deshalb frage ich: Was gilt denn nun? Gilt die Version, die wir hier hören, oder die französische Variante?
Es kann doch, Herr Kauder, im Ernst betrachtet, nicht
beides gleichzeitig richtig sein.
({12})
Wenn die deutsch-französische Freundschaft so eng ist,
Frau Merkel, wie Sie es eben gesagt haben, dann sollten
Sie, glaube ich, noch einmal einen Strandspaziergang
machen, um die gemeinsame Interpretation der Gipfelergebnisse sicherzustellen.
({13})
Dass die französische Version der Gipfelergebnisse,
die ich eben vorgetragen habe, stimmt, würde - jedenfalls für mich - ins Bild passen; denn mit der Unabhängigkeit der Zentralbank bzw. der Notenbanken wird immer gerade so gespielt, wie es passt. Bei Tage werden
- auch hier in diesem Hohen Hause - Lippenbekenntnisse zur Unabhängigkeit der Zentralbank abgegeben,
während bei Nacht heimlich Kerzen angezündet werden,
dass die EZB für die Politik weiterhin die Kastanien aus
dem Feuer holt. Das ist die Einigkeit, die hier beschworen wird.
({14})
Es mag gute Gründe dafür geben, dass die Europäische Zentralbank bei den Rettungsbemühungen, die weiter anhalten werden, in Zukunft sogar noch eine wichtigere Rolle als in der Vergangenheit spielen wird. Wenn
das aber so ist, Frau Bundeskanzlerin, wenn die Europäische Zentralbank in Zukunft entgegen vieler Kritik, die
gerade aus den Reihen der Regierungsfraktionen kommt,
eine sehr viel aktivere Rolle spielen soll, dann sagen Sie
das bitte Ihrem Koalitionspartner, der FDP, und sagen
Sie es in diesem Hohen Hause. So viel Transparenz, so
viel Offenheit muss sein.
({15})
Auch in dieser Regierungserklärung haben wir wieder
diese Art von verdruckstem Umgang mit dem Thema
„Unabhängigkeit der Zentralbank“ festgestellt. Ich
glaube, das hat in der Tat nur einen einzigen Grund:
Angst um die eigene Mehrheit, Angst vor Abweichlern
in den eigenen Reihen und Angst vor Röslers Resterampe FDP. Diese Angst ist doch, meine Damen und
Herren, in Wahrheit auch das treibende Motiv hinter der
gewagten Konstruktion, über den IWF eine Erhöhung
des Kreditrahmens herbeizuführen. Das ist wieder Trickkiste. Statt die Mittel für die EFSF oder den ESM aufzustocken - meine Fraktion war dazu immer bereit; wir haben immer gesagt: Die bisherigen Rettungsschirme sind
für die Aufgaben, die wir dem Rettungsschirm zuordnen,
zu klein -,
({16})
statt hier, in diesem Hohen Hause, eine politische Entscheidung herbeizuführen, flüchten Sie sich erneut in
teure und komplizierte Umgehungskonstruktionen. Da
war zunächst der Hebel, den Sie alle hier mit Abscheu
und Empörung abgelehnt haben - Sie haben regelrecht
dagegen gehetzt -, doch drei Wochen später haben Sie
ihn mit großer Selbstverständlichkeit begrüßt.
({17})
Und jetzt wieder etwas Neues: Wieder keine Entscheidung im Parlament, aber deutsches Steuergeld geht jetzt
über die Bundesbank an den IWF und fließt von da aus
wieder nach Europa zurück.
({18})
Diese Konstruktion hat offensichtlich nur einen einzigen
Zweck: diesen Bundestag zu umgehen, und das geht
eben nicht - ganz einfach.
({19})
Mit dieser Meinung sind wir in der Opposition nicht
ganz alleine. Auch der Bundesbankvorstand fühlt sich
offensichtlich missbraucht. Wie wir hören, haben Herr
Weidmann und sein Vorstandskollege Dombret einen
Brief an den Bundesfinanzminister geschrieben, in dem
sie geradezu darum flehen, die Aufstockung der IWFMittel hier im Deutschen Bundestag beschließen zu lassen. Sie sagen: Es ist doch kein Routinevorgang, wenn
wir 45 Milliarden Euro nach Washington herüberreichen
und die bestehende Kreditlinie auf diese Art und Weise
vervierfachen. Herr Kauder und Herr Brüderle, deshalb
sage ich: Lassen Sie uns wenigstens die Sorgen und Befürchtungen der Bundesbank ernst nehmen. Lassen Sie
uns gemeinsam nach Wegen suchen, um diesen vielleicht wichtigen Schritt hier im Deutschen Bundestag zu
diskutieren und zu beschließen. Ich jedenfalls halte das
für einen Akt der Selbstachtung dieses Parlaments.
({20})
Wenn man einen Blick auf die Gipfelbeschlüsse wirft,
dann fällt einem auf, dass häufig von Defizitabbau und
Stabilität die Rede ist. Das ist alles erforderlich. Das sind
Ziele, die wir teilen. In diesem Papier findet man aber
kein einziges Wort zu der Frage, wie in Europa neues
Wachstum entstehen soll.
({21})
Wir spielen gar nicht auf der alten keynesianischen
Leier, sondern das ist mittlerweile europaweit landauf,
landab eine ökonomische Binsenweisheit: Ohne Wachstum wird Europa aus dieser Krise nicht herauskommen.
Deshalb: Sparen ist notwendig, kann aber nicht die einzige Antwort sein. Nur, Antworten sind in diesem Gipfelpapier nicht zu finden. Das ist schlecht. Das ist kein
Weg aus der Krise.
({22})
Noch etwas steht damit in engem Zusammenhang:
Wenn in 18 Mitgliedstaaten die Jugendarbeitslosigkeit
über 20 Prozent beträgt, in 10 Mitgliedstaaten über
25 Prozent,
({23})
in 5 Mitgliedstaaten über 30 Prozent, sie in Süditalien
sogar bei über 50 Prozent liegt, dann darf man das auf einem solchen Gipfel nicht übergehen.
({24})
- Wollen Sie Hilfen für Deutschland fordern, oder was
bedeutet der Zwischenruf?
({25})
Wenn das die Realität in Teilen Europas ist, dann darf
ein europäischer Gipfel diesen Umstand nicht einfach
schweigend übergehen. Diese jungen Menschen haben
ein Recht auf Zukunft. Es geht um unsere Zukunft!
({26})
Ein letztes Wort zum Stichwort „Gläubigerbeteiligung“. Still und heimlich wurde - auch das zeigt ein
Blick in die Gipfelpapiere - die Gläubigerbeteiligung
auf dem Gipfel beerdigt. Ich sage ausdrücklich: Auch
dafür mag es gute Gründe geben. Aber es kann doch
nicht sein, dass das Ergebnis dieser Einsicht ist, dass
jetzt alles wieder so ist, wie es vormals war, dass die
ganzen Kosten der Krise einfach dem normalen Steuerzahler zur Last gelegt werden. Wenn man die Gläubigerbeteiligung streicht, dann ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, dass man auf der anderen Seite endlich Ernst macht
und die Besteuerung der Finanzmärkte einführt.
({27})
- Die Euro-Bonds waren Ihre Erfindung. Die haben Sie
jetzt massenhaft in der EZB liegen. An Ihrer Stelle
würde ich bei dem Thema ein bisschen ruhiger sein.
({28})
Mit Blick auf die Ergebnisse der zurückliegenden
Gipfel, aber auch mit Blick auf das, was vor uns liegt,
sage ich abschließend noch ein Wort zu einem Punkt, der
mir am Herzen liegt: Ich persönlich glaube, dass wir keinen Ausweg aus dieser Krise finden werden, wenn wir
nicht auch bereit sind, eine Lösung für den Umgang mit
den Altschulden der am höchsten verschuldeten Länder
zu finden. Es gibt ein Beispiel in unserer eigenen Geschichte. Die Wirtschaftsweisen im Sachverständigenrat
haben dazu Vorschläge gemacht. Ich habe nicht verstanden, Frau Bundeskanzlerin, warum diese Vorschläge, die
ich nicht nur für nützlich, sondern auch für notwendig
halte, gleich in der Regierungsschublade versteckt worden sind.
({29})
Von diesem Punkt wird vieles abhängen. Deshalb
kann ich nur empfehlen, dass wir dieses Thema im
nächsten Quartal im neuen Jahr angehen und auch zu einem Thema in den Europäischen Räten machen. Ich
glaube, wir sind mit diesem Gipfel, der hinter uns liegt,
nicht über den Berg, sondern es liegt noch viel Arbeit
vor uns.
Herzlichen Dank.
({30})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Besuchertribüne haben Mitglieder des Europaausschusses der
französischen Assemblée nationale Platz genommen,
die wir aus Anlass unserer heutigen Debatte besonders
gerne im Deutschen Bundestag begrüßen.
({0})
Bonjour, chers collègues, et bienvenue à Berlin.
({1})
Nun hat der Kollege Rainer Brüderle das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der europäische Gipfel vom letzten Freitag hat gute Ergebnisse
gebracht.
({0})
Ich habe noch die Worte der Opposition im Ohr. Unserer
Bundeskanzlerin wurde permanent vorgeworfen, sie
würde Deutschland isolieren. Seit Freitag wissen wir:
Die Opposition hat wieder einmal völlig danebengelegen.
({1})
Ein anderes Mitgliedsland hat sich isoliert.
({2})
Frankreich und Deutschland haben diesen Gipfel zum
Erfolg geführt.
({3})
Unter der christlich-liberalen Koalition ist die Zusammenarbeit mit Frankreich eine Belle Alliance, eine gute
Verbindung.
({4})
Unter Rot-Grün war es oft eine Mesalliance,
({5})
etwa bei der Aufweichung des Stabilitätspaktes oder der
Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone. Im Vorfeld
des Gipfels war von einer 17-plus-Lösung die Rede, also
die 17 Euro-Staaten plus einige Nicht-Euro-Staaten. Herausgekommen ist „27 minus 1“.
({6})
Da hat einer mit der Handtasche von Maggie Thatcher
kräftig geschwenkt.
Momentan haben wir in Europa zwei Geschwindigkeiten. Ich war immer der Meinung, wenn einige Staaten
bei der Integration vorangehen wollen, sollten sie das
tun. Das hat beim Schengener Abkommen relativ gut geklappt. Ich sage auch: Nachzügler sind willkommen,
aber bei europapolitischen Trittbrettfahrern muss man
sich etwas überlegen.
({7})
Eines kann nicht sein: Es kann nicht sein, dass einige
Europäer mit viel Mühe etwas aufbauen und andere
dann, wenn der Aufbau erfolgreich durchgeführt wurde,
freien Eintritt oder Rabatt haben wollen. Das kann in Zukunft so nicht weitergehen. Ein Europa der Trittbrettfahrer und Rabattjäger ist nicht zukunftsfähig.
({8})
Jetzt wird der Stabilitätspakt II vorbereitet. Manche
Kommentatoren sehen das als zweite Geburtsstunde des
Euro. Es ist die Geburtsstunde der politischen Stabilitätsunion. Wir nehmen den Umweg über völkerrechtliche Verträge. Das ist nicht unbedingt die eleganteste Lösung. Es wird gesetzestechnisch nicht einfach, aber es ist
machbar.
({9})
Es ist nicht unbedingt etwas für europapolitische Feinschmecker. Aber in der Politik gilt: Lieber mit Hausmannskost an das Ziel kommen als in Schönheit untergehen.
({10})
Oder - für Sie einfach formuliert -: Lieber Brot und Butter als eine Gänseleber-Fata-Morgana.
({11})
Die Stabilitätsunion bzw. der Stabilitätspakt II nimmt
konkrete Formen an. Die nationalen Haushalte werden
künftig streng überwacht. Das sind quasi automatische
Sanktionen. Dafür hat die Koalition immer gekämpft.
Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone haben
das beschlossen. Herr Steinmeier kritisiert das. Das ist
unglaubwürdig. Wenn es in Brüssel zum Schwur kommt,
sind es die Genossen, die weichen. Es waren Ihre Genossen in Brüssel, die die Sixpack-Lösung abgelehnt haben.
({12})
Wenn es konkret wird, sind Sie in der Furche und nicht
dabei, die Dinge umzusetzen.
({13})
Eine Währung ist Ausdruck dessen, was ein Volk war,
ist und sein will. Die D-Mark war Symbol für Wiederaufstieg und Stabilität. Der Euro ist Symbol für Frieden,
Wohlstand und ein Europa des Zusammenwachsens. Europa will und wird seinen Platz in einer neuen Weltordnung finden. Es muss Subjekt bleiben und darf nicht Objekt werden. Dazu muss sich Europa noch stärker
zusammenfinden.
({14})
Der Binnenmarkt war ein solches Projekt. Eine wirkliche Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik kann
ein weiteres solches Projekt sein. Die Nationalstaaten
werden an einigen Stellen Souveränität abgeben müssen.
Sie werden an anderen Stellen Souveränität zurückholen
können. Man kann allerdings die berechtigte Frage stellen, ob die Regionalpolitik oder die Agrarpolitik in der
Subsidiarität nicht besser aufgehoben sind als im europäischen Zentralismus.
({15})
Meine Damen und Herren, wir mussten in Brüssel einiges akzeptieren, das unseren Vorstellungen nicht voll
entsprochen hat. Politik ist Kompromiss, die Kunst des
Möglichen.
({16})
Das gilt auch im Hinblick auf ein geordnetes Insolvenzverfahren.
({17})
- Frau Regierende Bürgermeisterin, hören Sie mir einmal einen Moment zu;
({18})
das wäre vielleicht auch für Sie ganz gut.
({19})
Was ein geordnetes Insolvenzverfahren betrifft, sind wir
nicht weiter vorangekommen. Aber die Collective Action Clauses bleiben erhalten. Sie müssen auch die Basis
sein, wenn es darum geht, zukünftig private Beteiligungen zu ermöglichen. Die Erhöhung der Zahlung an den
IWF ist eine akzeptable Lösung. Der IWF ist viel breiter
angelegt, es sind andere Länder dabei, und er hat eine
andere Expertise, die mit eingebracht wird.
Man muss eines klar auseinanderhalten, Herr
Steinmeier: Entweder ist die Bundesbank unabhängig
- dann kann sie in ihren Entscheidungen nicht von Beschlüssen des Deutschen Bundestages abhängig sein -,
({20})
oder sie ist es nicht.
({21})
Es gibt keine Teilunabhängigkeit. Entweder ist sie unabhängig oder abhängig.
({22})
Das müssen Sie auseinanderhalten. Das können Sie nicht
machen, wie Sie wollen.
({23})
Sie haben immer noch das alte und falsche HelmutSchmidt-Theorem im Kopf: Lieber 5 Prozent Inflation
als 5 Prozent Arbeitslosigkeit.
({24})
Am Schluss hatte er beides. Die Notenbank muss unabhängig bleiben und ihre eigenen Entscheidungen treffen,
statt vom Parlament quasi untergepflügt zu werden.
({25})
Sie können nicht beides haben, wie es Ihnen gerade
passt. Sie müssen eine klare Haltung einnehmen. In der
Ordnungspolitik muss man Prinzipien haben und kann
sich nicht immer aussuchen, was man gerade will.
Der ESM kommt früher; das ist gut so. Für mich ist
das eine Art europäischer Währungsfonds, ein Instrument der Marktwirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit.
({26})
Dies ist der richtige Weg.
({27})
Jetzt ist er Feuerwehr, später wird er Brandschutzberater
sein.
({28})
Erreicht wurde - das ist das Verdienst der Kanzlerin
und der Koalition, die sie trägt -: Es kommen keine
Euro-Bonds. Die Banklizenz für den Rettungsfonds
kommt nicht. Dafür kommen nationale Schuldenbremsen; das ist richtig. Trittin will die Banklizenz und für
den Rettungsschirm Geld drucken. Gabriel will EuroBonds. Steinbrück will die Notenpresse aktiv einsetzen.
Das ist der falsche Ansatz. Das ist wieder Ihre Lex
Helmut Schmidt: Geld drucken!
({29})
Wir haben die Arbeitslosenquote in Deutschland halbiert.
({30})
Ihr Kanzler Schröder wollte die Marke von 3 Millionen
Arbeitslosen erreichen. Er hat uns 5 Millionen hinterlassen. Wir haben die Zahl der Arbeitslosen durch unsere
Politik halbiert.
({31})
Das war der richtige Ansatz. Die Welt beneidet Deutschland um die richtige Politik, nicht um Ihre Irrtümer.
({32})
Das, was Sie wollen, haben genau die Länder betrieben, die den Karren an die Wand gefahren haben. Glauben Sie, dass deren Rezepte, die für deren Fehlentwicklung ursächlich sind, besser werden, wenn Sie sie
übernehmen?
({33})
Sie sollten in Ihrer Politik die Lernfähigkeit
({34})
nicht völlig ausschließen und einfach die Realitäten zur
Kenntnis nehmen.
({35})
Deshalb ist es wichtig, dass wir verhindern, dass eine
rot-grüne Inflationsunion Realität wird. Sie reden von
„sozial“ und schaffen die Voraussetzungen für Geldentwertung, die die Leute mit einem kleinen Einkommen
- das sind die mit einem Sparbuch und einem Girokonto - treffen wird. Diese würden durch Ihr Beenden
der Stabilitätspolitik zu Opfern. Wir stellen uns davor
und wollen, dass auch die Kleinen ihr hart erarbeitetes
Einkommen und Vermögen behalten können.
({36})
Sie wollen die Steuereinnahmen um 40 Milliarden
Euro bzw. um 30 Milliarden Euro erhöhen. Ihre Politik
ist: Stabilität aufgeben, Geld drucken, Steuern erhöhen.
Das ist ein Rezessionsprogramm und führt uns nicht
nach vorne - weder Deutschland noch Europa -,
({37})
sondern an die Wand. Deshalb ist es so wichtig, dass wir
gerade jetzt eine bürgerliche Regierung haben, die Adam
Riese nicht vergessen hat, und keine neosozialistische
Traumtänzerei betreiben, die Deutschland wieder auf einen Irrweg bringt. Deshalb ist unsere Politik richtig.
({38})
Die Alternative für Deutschland und für Europa ist
völlig klar: Rot-Grün bedeutet höhere Steuern, eine Vollkaskoversicherung für Schuldensünder und Geldentwertung. Die christlich-liberale Politik bedeutet Stabilität,
Wachstum und Arbeitsplätze. Genau das werden wir
weiterhin machen, weil es richtig ist.
({39})
- Sie können hier schreien, solange Sie wollen, Frau Regierender Bürgermeister. Das hilft alles nichts. Wir werden unsere Politik der Erfolge fortsetzen.
({40})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Gregor Gysi für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundestagspräsident, ich habe mit Erstaunen und Wohlwollen festgestellt, dass Sie die französischen Gäste auf
Französisch begrüßt haben. Ich bin sehr gespannt, wie
Sie das beim nächsten Mal bei chinesischen Gästen machen. Wir werden das abwarten.
({0})
Herr Brüderle, eines muss ich Ihnen sagen, wenn ich
darf:
({1})
Man kann der SPD und den Grünen ja viel unterstellen,
aber ihnen neosozialistische Traumtänzereien zu unterstellen, ist wirklich in jeder Hinsicht abwegig.
({2})
Frau Bundeskanzlerin, ich darf darauf hinweisen: Sie
haben erklärt, dass man die Konstruktionsfehler bei der
Währungsunion endlich beheben muss. Eigentlich hätten
Sie aber sagen müssen, dass die Linke das alles damals
schon vorhergesagt hat, Sie aber fälschlicherweise Herrn
Kohl und nicht uns zugestimmt haben.
({3})
Kommen wir aber zu einem anderen Thema. Wir haben Ihren EU-Gipfel erlebt, und ich stelle eine ungeheure Veränderung im Tempo fest. Früher dauerte es
Monate, bis ein EU-Gipfel Makulatur wurde, dann Wochen und heute nur noch wenige Tage. Ich werde versuchen, Ihnen das zu belegen.
Sie wollen zusammen mit Sarkozy allein entscheiden,
was in Europa passiert. Sarkozy möchte außerdem, dass
die Deutschen die Schulden der französischen Banken
mitbezahlen, um es einfach einmal offen zu sagen. Er
versucht hier immer, ein Konstrukt dafür zu finden.
({4})
Bisher wehren Sie sich einigermaßen.
Ihnen geht es um das Vertrauen der Finanzmärkte.
Dabei muss diese Art von Finanzmärkten endlich einmal
bekämpft werden. Wir müssen nicht um deren Vertrauen
ringen, sondern wir müssen sagen: Das Ende der Fahnenstange ist erreicht.
({5})
Abgesehen davon schaffen Sie es ja auch gar nicht, Vertrauen herzustellen. Um das zu beurteilen, genügt ein
Blick auf die Börsen. Sie beweisen das Gegenteil!
Nun haben Sie die Idee bzw. den Trick entwickelt
- hier hat Herr Steinmeier recht -, dass der Internationale Währungsfonds zusätzlich Kredite geben soll, weil
der Rettungsschirm natürlich nicht ausreicht. Das haben
wir Ihnen übrigens schon vorher gesagt. Weil Sie das
aber nicht zugeben wollen, gehen Sie nun einen anderen
Weg und sagen: Dann stocken wir ihn nicht auf, sondern
wir machen das über den Internationalen Währungsfonds. Da sind aber auch die USA beteiligt, und das
Erste, was
Dafür
kriegt der IWF von den USA nicht einen einzigen Dollar.
Nun sagen Sie, Sie wollen trotzdem diesen Weg gehen. Dabei geht es um einen Betrag von 200 Milliarden
Euro für die betroffenen Länder. Das ist deshalb interessant, weil die Euro-Zone davon 150 Milliarden Euro bereitstellen soll und die Bundesbank davon wiederum einen Anteil von 45 Milliarden Euro.
Herr Brüderle, was Sie hier zur Unabhängigkeit der
Bundesbank gesagt haben, ist wirklich ein starkes Stück.
Dieser Bundestag hat mehrfach beschlossen, dass wir
maximal für einen Betrag von 211 Milliarden Euro haften. Nun wollen Sie weitere 45 Milliarden hinzufügen.
Da sagt der Chef der Bundesbank doch völlig zu Recht:
Zuerst muss der Bundestag beschließen, ob eine Haftung
in größerem Umfang übernommen wird. Das ist doch
wohl das Minimum.
({0})
Das lehnen Sie ab. Sie lehnen das aber nur deshalb ab,
weil Sie nicht glauben, das in Ihren Fraktionen, vor allen
Dingen in der FDP, durchzubekommen. Aber wir können doch hier nicht bloß wegen des Zustandes der FDP
herumkleistern. Ich bitte Sie! Hier sind die Grenzen
überschritten.
({1})
Natürlich müssen wir hier darüber einen Beschluss fassen.
Dann wollen Sie neben dem vorübergehenden Rettungsschirm auch einen dauerhaften schaffen. Nun hat
der Gipfel beschlossen, dessen Einrichtung vorzuziehen.
Mit anderen Worten, Frau Bundeskanzlerin, Sie haben
sich wieder einmal verrechnet. Das heißt, Sie haben den
dauerhaften Schirm für einen bestimmten Zeitpunkt angesetzt und stellen jetzt fest: Es ist zu spät; Sie müssen
das Ganze vorziehen. - Okay. Man kann sich ja korrigieren.
Das bedeutet aber, dass wir zusätzlich 4,3 Milliarden
Euro zur Verfügung stellen müssen, und zwar im Jahre
2012. Diese stehen aber im Bundeshaushalt nicht drin.
Daraufhin haben Sie zunächst gesagt, Sie wollten sie eigentlich gar nicht drin haben. Jetzt sagt Herr Schäuble,
doch, Mitte des Jahres 2012 will er die zusätzlichen
4,3 Milliarden Euro in einen Nachtragshaushalt aufnehmen. Ich verstehe das nicht. Wenn wir es jetzt schon wissen, könnten Sie doch eigentlich gleich beantragen, einen Nachtragshaushalt zu beschließen.
(
Aber handeln!)
- Natürlich können wir noch warten, Frau Merkel, bis
der Vertrag unterschrieben ist. Aber eines darf ich auch
sagen: Sie müssen sich beeilen. Sie wissen doch gar
nicht, wie viele Tage die Koalition noch hält.
({0})
Wenn Sie den Nachtragshaushalt durchkriegen wollen,
sollten Sie das nicht bis zur Mitte des nächsten Jahres
verschieben.
({1})
- Wissen Sie, ich mache mir ja nicht Sorgen um die FDP.
Aber ich finde, Sie sollten anfangen, sich Sorgen um die
FDP zu machen.
({2})
Sie meinten, Frau Merkel, als große Siegerin aus
Brüssel zurückzukommen, Sie hätten sich für die Stabilitätsunion entschieden und so viel dabei gewonnen. Die
Kommission soll ja nun berechtigt sein, unter bestimmten Bedingungen in das Budget, in den Haushalt der
Länder einzugreifen. Da hat doch der BundestagspräsiDr. Gregor Gysi
dent recht: Das Grundgesetz regelt eine Hoheit des Bundestages für den Haushalt.
({3})
Es sieht überhaupt nicht vor, dass eine europäische
Behörde in den Haushalt der Bundesrepublik Deutschland eingreift. Wenn Sie das beschließen, ist das ganz
klar grundgesetzwidrig.
({4})
Das hat auch keinen Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht. Darüber müssen wir doch wenigstens einmal ausführlich diskutieren. Ich verstehe das nicht.
Dann gibt es einen zweiten Gesichtspunkt. Sie haben
ja automatische Sanktionen vereinbart. Dazu muss ich
einmal sagen, Frau Bundeskanzlerin: Es gibt keine automatischen Sanktionen. Vielmehr müssen immer noch
Menschen entscheiden, wann sie eingesetzt werden. Sie
wollten damit ja auch bloß sagen, dass die Länder dagegen kein Beschwerderecht etc. haben. Es wird über
Sanktionen entschieden, wenn eine bestimmte Haushaltsdisziplin verletzt wurde.
Weiter sagen Sie, ganz Europa muss die Schuldenbremse übernehmen, die wir in Deutschland schon eingeführt haben. Darf ich wieder einmal versuchen, den
Konstruktions- und Denkfehler der Schuldenbremse zu
erklären? Es gibt einen Unterschied zwischen dem Bundeshaushalt und dem privaten Haushalt. Im privaten
Haushalt herrscht die Regel: Wenn ich mehr Geld habe,
gebe ich mehr aus, und wenn ich weniger Geld habe,
gebe ich weniger Geld aus.
Wenn man den Bundeshaushalt verantwortet, muss
man ganz anders entscheiden. Wenn man gute Steuereinnahmen hat, kann man Schulden abbauen und sparen,
und wenn man schlechte Steuereinnahmen hat, muss
man zusätzlich investieren, damit die Wirtschaft wieder
angekurbelt wird.
({5})
Genau das verbietet Ihre Schuldenbremse. Deshalb ist
das ganze Konstrukt, gemeinsam gefunden von Union
und SPD, falsch. Das jetzt auch noch ganz Europa aufzustülpen, ist sozusagen eine Multiplizierung dieses Fehlers.
({6})
Aber jetzt kommt etwas anderes. Das muss ich Ihnen
einmal als Jurist sagen: Beide Regelungen widersprechen natürlich ganz klar dem Vertrag von Lissabon. Da
Großbritannien nicht mitspielt, können Sie den Vertrag
nicht ändern. Nun gehen Sie folgenden Weg und sagen:
Wir machen einfach einen eigenen, neuen Vertrag - das
ist so ein typischer Trick -, und es fällt wahrscheinlich
gar keinem auf, dass dieser neue Vertrag dem Vertrag
von Lissabon widerspricht.
Ich sage Ihnen klipp und klar: Wenn man einen völkerrechtlichen Vertrag schließt, der einen bestehenden
völkerrechtlichen Vertrag verletzt oder ihm widerspricht,
dann ist der neue Vertrag völkerrechtswidrig. Da wir
nach dem Grundgesetz an das wirksame, geltende Völkerrecht gebunden sind, kann Ihr Vorgehen niemals vom
Bundesverfassungsgericht bestätigt werden. Dieser
Trick wird nicht funktionieren.
({7})
Ich muss Ihnen sagen, Frau Bundeskanzlerin: Warum
fragen Sie mich eigentlich nicht vorher? Dann könnte
man solche eklatanten Fehler einfach vermeiden. Das
wäre ein einfacherer Weg, wenn ich das einmal sagen
darf.
({8})
Nun spielt Großbritannien da nicht mit. Alle fallen
jetzt über Großbritannien her, wobei ich sage: Die Begründung von Großbritannien ist tatsächlich abenteuerlich und nur zurückzuweisen. Aber an sich hat Großbritannien damit recht, dass das Konstrukt so nicht geht,
aber es wird die falsche Begründung angeführt. Kommen wir zurück zur europäischen Idee - das ist mir jetzt
sehr ernst -: Diese europäische Idee wurde auch von
Konservativen vertreten, nicht nur zu Zeiten Kohls, sondern auch vorher und nachher. Diese europäische Idee
machen Sie kaputt.
({9})
Ich will Ihnen auch sagen, warum. Sie führen eine
Agenda-2010-Union ein, und zwar multipliziert. Agenda
2010 - leider eine Erfindung der Sozialdemokraten - bedeutet Geringverdiener. Jetzt liegt übrigens eine Studie
vor, nach der die Geringverdiener immer früher sterben.
Wenn Sie jetzt nichts gegen Armut machen, handeln Sie
sogar vorsätzlich, weil Sie wissen, dass Arme immer früher sterben. Also muss man etwas dagegen tun.
({10})
Agenda 2010 bedeutet auch Lohnabbau, Rentenkürzung, prekäre Beschäftigung, Outsourcing, das heißt,
Teile eines Unternehmens werden aus einem Unternehmen ausgegliedert, damit man schlechtere Löhne bezahlen kann, Teilprivatisierung der Renten und der Gesundheit. All das verordnen Sie in viel schärferer Form
Griechenland, Spanien, Portugal und Italien.
Was glauben Sie, wie dann die Menschen die EU
empfinden? Glauben Sie wirklich, die denken dann: Das
ist eine tolle Einrichtung, die zu mehr Wohlstand führt?
Die Menschen werden sagen: Die EU baut meinen Lebensstandard ab. Sie baut mein Selbstwertgefühl ab. Sie
verhindert meine eigene Würde. All das kommt auch
noch nach Deutschland. Das ist nicht nur sozial katastrophal, sondern es zerstört auch die europäische Idee und
ist gefährlich. Ich möchte nicht zurück in das Europa des
20. und des 19. Jahrhunderts, das durch Kriege zwischen
den heutigen Mitgliedsländern der Europäischen Union
gekennzeichnet war. Dahin wollen wir nicht zurück.
({11})
Dieser Sozialabbau ist darüber hinaus völlig falsch,
nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Län17694
dern. Es ist ebenso falsch, die Investitionen zu streichen;
denn das bedeutet doch alles weniger Steuereinnahmen.
Das bedeutet, dass das Geld, das wir dorthin geben, verschwindet, und zwar in den Banken. Die Griechinnen
und Griechen haben nichts davon, die Italienerinnen und
Italiener haben nichts davon, die Spanierinnen und
Spanier nichts und auch die Portugiesinnen und Portugiesen nichts. Außer zusätzlichen Schulden kommt auch
für Deutschland und seine Bevölkerung nichts dabei heraus. Das ist alles nicht zu machen.
Wenn Sie mir das nicht glauben, dann glauben Sie
doch wenigstens Ihrer heiligen amerikanischen Ratingagentur. Jetzt zitiere ich einmal das, was Standard and
Poor’s sagen, die nun wirklich auf der anderen Seite stehen:
Während sich die europäische Wirtschaft abkühlt,
erwarten wir, dass ein Reformprozess, der allein auf
der Säule von Sparanstrengungen ruht, zwecklos
ist, wenn die Sorgen der Bürger um Jobs und Einkommen wachsen, die Nachfrage schrumpft und
die Steuereinnahmen der Staaten erodieren.
Das Ergebnis wird dann eine noch schlechtere Bewertung dieser Länder durch die Ratingagenturen sein. Das
verschärft die Krise.
Weiter stellt die Ratingagentur zutreffend Folgendes
fest, Frau Bundeskanzlerin: Die Staatsschulden seien
nicht Ursache, sondern Folge der Bankenkrise.
({12})
Weit klügere Leute sagen das auch. Warum reden Sie
immer von einer Staatsschuldenkrise? Die USA haben
viel höhere Staatsschulden, auch in der Verhältnismäßigkeit. Sie sind aber nicht in derselben Situation. Die Bankenkrise ist das Entscheidende. Diese müssen wir überwinden, wenn wir aus der Krise herauskommen wollen.
({13})
Machen wir uns doch nichts vor: Agenda 2010 mit
Lohn- und Rentenabbau führte dazu, dass deutsche Produkte billiger wurden. Deshalb konnten wir immer mehr
davon nach Spanien, nach Italien und nach Portugal verkaufen. Deshalb konnten die Firmen in Spanien, Portugal und Italien immer weniger ihre eigenen Produkte im
eigenen Land und hierher verkaufen. Das hat Folgen.
Deshalb sage ich Ihnen: Wenn wir aus dieser Falle herauswollen, die auch andere Länder belastet, dann müssen wir endlich die Binnenwirtschaft stärken, um nicht
zu stark von den Verkäufen in andere Länder abhängig
zu sein.
({14})
Wenn wir die Binnenwirtschaft stärken wollen, dann
brauchen wir endlich höhere Löhne, höhere Renten und
höhere Sozialleistungen,
({15})
und wir müssen die gesamte prekäre Beschäftigung
überwinden. Es gibt keinen anderen Weg.
({16})
Das ist nicht nur sozial gerechter und verhindert, dass
Menschen wegen ihrer Armut immer früher sterben,
sondern es stärkt auch die Binnenwirtschaft und hilft Italien und anderen Ländern.
Wir haben es weiter mit einem dramatischen Demokratieabbau zu tun. Was passiert denn in Griechenland
und Italien? Da werden auf Wunsch der Jongleure des
Finanzmarktes Technokraten als Regierungschefs eingesetzt. Es gibt vorher keine Wahl, und keiner befragt die
Bevölkerung. Wenn ein Ministerpräsident seine Bevölkerung befragen will, dann muss er sofort zu Herrn
Sarkozy und zu Ihnen, Frau Merkel, zum Strafrapport,
und zwei Tage später ist er weg vom Fenster. Was hat
denn das noch mit Demokratie zu tun?
({17})
Herr Kollege Gysi, es ist Ihnen nicht entgangen, dass
Sie schon deutlich über der Zeit liegen.
Herr Bundestagspräsident, das finde ich erstaunlich.
Die acht Minuten von Herrn Lindner dauerten so lange.
Meine elf vergehen so schnell. Wie kommt das eigentlich?
Gut, dann lasse ich das aus und sage nur noch eines:
Was wir wirklich brauchen, ist etwas ganz anderes. Wir
brauchen erstens eine Regulierung der Finanzmärkte.
Soros, der Multimilliardär, hat auf die Frage, ob er mit
seinen Spekulationen schuld an der Krise sei, gesagt:
Nein, schuld ist die Politik. Ich bin gierig, und wenn die
Politik mir das erlaubt, dann mache ich das auch. Wenn
sie es mir verboten hätte, hätte ich es nicht machen dürfen.
({0})
Das ist die Logik von Soros. Er gibt Ihnen ironisch die
Schuld, und insoweit zu Recht.
Wir brauchen zweitens eine Finanztransaktionsteuer.
({1})
Nein, Herr Gysi, das geht jetzt leider nicht.
({0})
- Das können Sie nicht mehr hören, aber das müssen
Sie sich anhören, weil es der einzige Weg ist, der aus der
Krise führt. Hören Sie zu! Von den Konservativen verlange ich eines nicht: Ich verlange nicht, dass sie links
werden. Das schaffen sie nicht. Aber sie könnten zuminDr. Gregor Gysi
dest endlich einmal Vernunft an den Tag legen. Das ist
das Minimum.
({0})
Herr Kollege Gysi, ich bin Ihnen noch eine kurze
Antwort auf Ihre Bemerkung zu meiner Begrüßung der
französischen Delegation schuldig. Sobald es in China
ein Parlament gibt, frei und demokratisch gewählt wie in
Frankreich, zu dem der Deutsche Bundestag ähnlich intensive freundschaftliche Beziehungen unterhält wie zur
Assemblée nationale, stelle ich für einen Besuch einer
chinesischen Delegation eine ähnliche Begrüßung in
Aussicht.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Kauder für die CDU/
CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man die Erklärungen der Opposition in der heutigen Debatte hört, dann fragt man sich, ob die Opposition
wirklich zur Kenntnis genommen hat, was am letzten
Wochenende in Brüssel geschehen ist.
({0})
- Herr Kollege Steinmeier, warten Sie nur ab. Die Demut wird gleich kommen. Ich frage mich, ob Sie noch
genau wissen, was Sie an diesem Rednerpult schon alles
verlangt haben und was wir gemeinsam in Anträge hineingeschrieben haben. Im Ergebnis ist das, was wir in
unserer gemeinsamen Erklärung vor einigen Tagen beschlossen haben, im Kern genau das, was die Bundesregierung in Brüssel ausgehandelt hat.
({1})
Wieso distanzieren Sie sich von dem, was wir zur Vorbereitung des Gipfels miteinander besprochen haben?
Es ist unglaublich viel erreicht worden. Wir waren
uns in diesem Plenarsaal einig, dass wir mit leichten,
kleinen Korrekturen nicht mehr vorankommen und dass
die Märkte von uns klare Reformen erwarten, die verhindern, dass das, was jetzt mit den hohen Staatsschulden
eingetreten ist, wieder eintreten kann. Wir waren uns
auch einig, dass diese Reformen nur durch rechtlich verbindliche Vereinbarungen machbar sind. Wir alle hätten
uns sehr gewünscht, dass wir im Europa der 27 zu solchen Vereinbarungen gekommen wären. Herr Kollege
Steinmeier, Sie haben an diesem Rednerpult mehrfach
eine Korrektur der von Ihrer Fraktion durchgeführten
Deregulierung der Finanzmärkte verlangt und sagen
ständig, es müsse europaweit eine Finanztransaktionsteuer eingeführt werden. Aber wie können Sie sich
dann hier hinstellen und sagen, da hätte man den Briten
nachgeben können? Das ist eine unfassbare Position, die
Sie hier vertreten.
({2})
Ich hätte mir gewünscht, dass die Briten erkannt hätten, dass ein Teil der Probleme auch durch die deregulierten Finanzmärkte entstanden ist und dass wir
deswegen mehr machen müssen. Aber sich an dieses
Rednerpult zu stellen und darauf hinzuweisen, dass noch
nicht genügend Schritte bei der Regulierung gegangen
worden sind, und dann zu beklagen, dass man den Briten
nicht nachgegeben hat, das ist nicht in Ordnung, um das
einmal klar und deutlich zu sagen.
({3})
Jetzt erwarten wir, dass die Briten in diesem Europa mitmachen.
({4})
Herr Kollege Steinmeier, jetzt haben hoffentlich die
sozialdemokratisch regierten Länder in Europa mitbekommen, wie sie ihren eigenen Kollegen die Leviten lesen müssen. Österreich, Belgien und Dänemark, das sind
Länder, die von Sozialdemokraten regiert werden und
die mitgemacht haben. Soll ich Ihnen etwas sagen? Sie
stehen als Einziger abseits, nicht wir. Das ist die Erkenntnis nach Ihrer heutigen Rede.
({5})
Natürlich kann man abseitsstehen, wenn man in der Opposition ist; dagegen ist nichts einzuwenden. Aber ich
bitte darum, gerade in einer so wichtigen, zentralen nationalen und europäischen Frage zu erklären, was anders
hätte gemacht werden sollen. Man muss sich vor allem
über eines im Klaren sein - ich war der Meinung, dass
wir das in den letzten Beratungen in diesem Parlament
erreicht hätten -: Wir müssen in dieser für Europa, aber
auch für die Menschen in unserem Land wichtigen Frage
gemeinsame Positionen vertreten. Aber was ich jetzt von
Ihnen höre, hat noch nicht einmal den Hauch einer sachlichen Auseinandersetzung. Es handelt sich nur um den
Versuch, durch Dagegensein irgendwie voranzukommen. Das ist keine ausreichende Position, Herr Kollege
Steinmeier.
({6})
Ich hoffe, dass wir bei den anstehenden Fragen, die
auf uns zukommen und die Sie angesprochen haben,
zum Beispiel beim ESM, wo es auch auf die Beteiligung
des Parlaments ankommt ({7})
- Herr Steinmeier, lassen Sie mich den Satz zu Ende
sprechen -, zu gemeinsamen Positionen kommen. Ich
hatte bisher den Eindruck, dass wir das miteinander
schaffen. Ihren Einwand „Da haben Sie doch nicht ein
Problem mit der Opposition“ könnte ich fast vollum17696
fänglich unterschreiben. Aber nach dem, was Sie nach
diesem Gipfel, in dessen Umfeld und heute abgeliefert
haben, müssen wir uns schon fragen, ob Sie noch zu der
Aussage stehen, dass wir das miteinander machen.
({8})
Wenn dem so ist, dann ist alles in Ordnung. Dann tun wir
dies auch.
Der Gipfel in Brüssel hat dazu geführt, dass wir die
notwendigen Veränderungen durchführen. Jetzt muss
klar sein: Wir kämpfen um die Stabilität des Euro. Das
ist nicht etwas Technisches, sondern da geht es um die
Zukunftschancen von Hunderten Millionen Menschen in
Europa. Wenn wir um die Stabilität des Euro kämpfen,
dann müssen diejenigen, die diese Währung haben, nämlich die Euro-Zone-Länder, auch das Notwendige machen können, um Stabilität zu erreichen. Da dürfen sie
nicht nachgeben, wenn ein, zwei oder drei sie daran hindern wollen. Das wäre nicht in Ordnung.
({9})
Deswegen sagen wir den Briten: Ihr habt eine wichtige
Aufgabe in diesem Europa. Dass der Euro stabil bleibt,
ist doch nicht nur eine Frage, die die Euro-Länder betrifft. Vielmehr hat David Cameron doch selbst mehrfach
gesagt, dass auch er ein Interesse daran hat, dass dieser
Euro stabil bleibt. Da kann man ihm nur sagen: Dann beteilige dich auch an den notwendigen Maßnahmen! Aber
die Stabilität des Euro mit einem noch wilder ausufernden Finanzmarkt und mit noch mehr durchgeführten
Transaktionen in Europa sichern zu wollen, hieße doch,
den Bock zum Gärtner zu machen. Das muss den Leuten
in Großbritannien doch klargemacht werden können!
Darum werben wir.
({10})
Herr Kollege Steinmeier, ich sage Ihnen: Es ist nicht
angebracht, sich an dieses Rednerpult zu stellen und zu
beklagen, warum es nicht gelungen ist, die Briten mit ins
Boot zu nehmen. Vielmehr wäre es notwendig, den Briten zu sagen: Ihr habt eine Verantwortung für Europa
und für den Euro, weil es auch eurer Währung dient.
Also berappelt euch und macht mit! Das ist die Botschaft. Dazu fordern wir die Briten in aller Freundschaft
auf.
({11})
Deswegen gibt es auch gar keinen Grund, darüber zu
reden, ob in diesem Europa nicht mehr alle zusammenhalten. Im Übrigen haben dies alle anderen auch so gesehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den
nächsten Monaten werden auf uns die konkreten Beratungen über das, was jetzt im Europäischen Stabilisierungsmechanismus ausgearbeitet wird, zukommen. In
diesem Bereich wird es zu völkerrechtlichen Verträgen
kommen.
Herr Gysi, an dieser Stelle kann ich nur sagen, dass
ich die Position, dass 25 oder 26 - wie viel es denn auch
sind! - über bestimmte Fragen keine Vereinbarung treffen können, überhaupt nicht teile. Natürlich können sie
eine Vereinbarung über die Regulierungen treffen, die
notwendig sind und die den Euro betreffen. Ich bin hundertprozentig überzeugt, dass eine solche Vereinbarung
auch eingehalten wird und dass wir deswegen mit diesem Vertrag vorankommen.
Wir müssen dann aber - weil es nicht um ein Gesetz,
sondern um ein Ratifizierungsverfahren zu einem völkerrechtlichen Vertrag geht - überlegen, wie wir im Rahmen dieser Verhandlungen unsere Position einbringen
können und wie wir uns als Deutscher Bundestag an diesem Verfahren beteiligen können. Bisher ist es bei Ratifizierungen so, dass ein Vertrag ausgehandelt und vorgelegt wird und dass dann im Bundestag mit Ja oder mit
Nein abzustimmen ist. Aber wir wollen an diesen Dingen, weil sie auch haushaltsrechtlich bedeutsam sind,
von Anfang an beteiligt werden. Deshalb bitten wir die
Bundesregierung darum, mit uns zu überlegen, wie wir
dieses Verfahren so gestalten können, dass wir den Deutschen Bundestag auf dem Weg zu den vertraglichen Änderungen und Notwendigkeiten beteiligen können.
({12})
Natürlich ist klar, dass es nicht nur darum geht, zu regulieren und Haushaltsdefizite zurückzuführen, sondern
auch darum, Wachstumsperspektiven zu entwickeln. Genau das tun wir. Wir sind jetzt in einer Phase, in der in
Deutschland die Wirtschaft gut läuft. Im Übrigen haben
wir am Ende dieses Jahres allen Grund, dankbar auf dieses Jahr zu schauen.
({13})
In einer großartigen Gemeinschaftsleistung haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allem mittelständische Unternehmer etwas Großartiges geschaffen, und es ist auch die richtige Politik gemacht worden.
Wir haben in diesem Land doch etwas erreicht, indem
wir zusammengestanden sind. Diese Botschaft, die den
Menschen Mut macht, muss am Ende eines Jahres auch
einmal formuliert werden.
({14})
Sie haben sich an vielem nicht beteiligt, obwohl Sie es
hätten machen können. Erst unser Erfolg führt doch
dazu, dass wir stark genug sind, um in Europa zu helfen.
Das Deutschland aus den Jahren der rot-grünen Koalition hätte gar nicht die Kraft gehabt, in Europa die notwendige Hilfe zu geben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({15})
Deswegen sind Konsolidierung und ein Zurückfahren
der Schulden notwendig; das ist das beste Wachstumsprogramm in unserer heutigen Zeit - und nicht immer
obendrauf noch neue, noch zusätzliche Schulden machen.
({16})
Wir sollten diejenigen nicht vergessen - um es einmal
sehr vorsichtig zu formulieren -, die einen gewaltigen
Anteil daran haben, dass dieses Wachstum entsteht.
Wenn ich mir die Beschlüsse vor allem des SPD-Parteitages anschaue, kann ich nur sagen: Das ist ein Programm zur Vertreibung von Leistungsträgern, aber nicht
ein Programm zur Unterstützung von Leistungsträgern.
({17})
Schauen Sie sich doch die Länder Spanien und Griechenland an. Dort sind diejenigen, die Leistung erbringen könnten, sollten und wollten, gar nicht mehr da.
({18})
Wir wollen, dass diejenigen, die Leistung in diesem
Land erbringen, sich durch Steuern an der Finanzierung
der Staatsaufgaben beteiligen, aber wir wollen sie nicht
vertreiben und ihre Leistungsbereitschaft beeinträchtigen. Das ist Politik für Wachstum und Wohlstand,
({19})
aber nicht Ihre von sozialistischen Gedanken geprägte
Abkassierpolitik. Herr Gysi, Sie haben Großbritannien
angesprochen. Sie können sich doch nicht hier hinstellen
und sagen, man müsse auf Großbritannien Rücksicht
nehmen, und zur gleichen Zeit von der Verstaatlichung
der Banken sprechen. Sie müssen die Gedanken in Ihrem
Kopf besser sortieren. Das alles passt nicht zusammen.
({20})
Wenn ich mir das alles anschaue, kann ich nur sagen:
Gott sei Dank ist es in dieser schwierigen Situation eine
von der Koalition aus CDU/CSU und FDP getragene
Bundesregierung,
({21})
die erfolgreich in Europa verhandelt.
({22})
Der Kollege Jürgen Trittin hat das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Kauder, bei Ihrem letzten Satz fällt mir ein: Du
sollst nicht falsch Zeugnis ablegen. Denken Sie einmal
darüber nach.
({0})
Es kann nicht auf der einen Seite - das zeigt doch die
europapolitische Geisterfahrt dieser Koalition - der Chef
der einen Regierungsfraktion zu Recht dafür werben,
dass Großbritannien zu diesem gemeinsamen Europa gehört, während der Vorsitzende der anderen Regierungsfraktion die Briten hier öffentlich als Rabattjäger denunziert. Diese Aussagen zeugen von der europapolitischen
Geisterfahrt dieser Koalition.
({1})
Sie tun mir leid, Herr Rösler, und man kann langsam
Mitleid mit Ihnen bekommen. Nicht, weil Sie jetzt nicht
mehr Christian Lindner, sondern nur noch ButterLindner haben
({2})
- ich wollte mich einmal auf das Niveau von Herrn
Brüderle begeben -, sondern weil Sie hier an dieser
Stelle erklärt haben, Herr Brüderle dürfe nicht mehr auf
Ihrem Dreikönigstreffen reden. Interessant.
({3})
Aber hier darf er reden. Da Sie, Herr Brüderle, hier reden dürfen, hätten wir gerne einmal von Ihnen gehört,
was mit den wahrscheinlich 16 000 FDP-Mitgliedern ist,
die der Auffassung sind, dass man das, was die Kanzlerin gerade verhandelt hat, nämlich ein frühzeitiges Inkrafttreten des Europäischen Stabilisierungsmechanismus, rundweg ablehnen sollte. Ich hätte mir gewünscht,
dass Sie mit diesen Menschen eine politische Auseinandersetzung geführt hätten, anstatt dass Sie hier regelmäßig solche pfälzischen, genuschelten Büttenreden abliefern.
({4})
Ansonsten war es so wie immer: markige Erklärungen vor dem Gipfel, windelweiche Beschlüsse auf dem
Gipfel. Sie lassen schreiben, es werde jetzt gespart, bis
es quietsche; das Ergebnis ist aber spätestens seit
Montag bekannt. Man könnte böse sein und sagen, das
Gipfelergebnis sei Käse. Ich fürchte, es ist nur Analogkäse, also Pflanzenfett und irgendwelche Eiweiße. Die
Märkte haben eine Antwort gegeben. Die Zinsen für Italien liegen wieder bei über 7 Prozent. Das Vertrauen, das
Sie schaffen wollten, haben Sie mit den Gipfelbeschlüssen gerade einmal für ein Wochenende herstellen können. Seitdem ist der Kater wie nach einer durchzechten
Nacht wieder da. Die Wahrheit ist: Die EU-Kommission
muss Sie darauf hinweisen, dass Gemeinschaftsrecht
Vorrang vor intergouvernementalen Vereinbarungen hat.
Sie haben nichts über die Diskussionen in Finnland
über den Vertrag der 26 gesagt, wo man erklärt: Dafür
gibt es keine Mehrheit. - Ich hätte es sehr interessant gefunden, Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie hier einmal einen Satz zur Ankündigung der französischen Sozialisten
gesagt hätten - sie braucht Herr Sarkozy nämlich, um
diesen Vertrag, der eine Verfassungsänderung erfordert,
durchzubringen -, jenen Sozialisten, die im Senat die
Mehrheit haben und die gesagt haben, dass sie dem nicht
zustimmen wollen. Wie wollen Sie mit diesem Problem
umgehen? Das wäre eine Regierungserklärung wert gewesen, Frau Bundeskanzlerin.
({5})
Aber so bleibt doch nur eine Feststellung. Es ist viel
über „Merkozy“ geschrieben worden. Ich will ja gerne
konzedieren, dass der Kopf von „Merkozy“ Sie sind.
Aber wenn in Frankreich nicht ratifiziert wird, dann ist
„Merkozy“ ein Wesen ohne Unterleib.
({6})
Zur Debatte über die Umwegfinanzierung, also darüber, das EZB-Geld über den IWF zu schleusen. Dazu
haben die Amerikaner gesagt, sie werden es nicht mitmachen. Ich hätte mir von Ihnen gewünscht, dass Sie
hier sagen, was das für uns heißt: dass das Risiko für die
EFSF-Anleihen wächst, dass die Hebelung schwieriger
wird. Warum? Weil die zusätzlichen IWF-Mittel, wenn
sie denn kommen, Vorrang vor unseren Mitteln haben.
Damit gibt es ein erhöhtes Risiko für den Bundeshaushalt. Deswegen muss das hier diskutiert, deswegen muss
das hier entschieden werden. Denn: Parlamente sind
nicht zum Zuschauen da, sondern zum Entscheiden.
({7})
Ich finde, das eigentliche Problem dieses Gipfels ist
wahrscheinlich gar nicht einmal, was beschlossen worden ist; denn das ist so zahnlos, dass man sich darüber
kaum ereifern kann. Das, was nicht beschlossen worden
ist, ist das Entscheidende. Sie haben keine Beschlüsse
gefasst, die die aktuelle Krise tatsächlich eindämmen.
Sie haben es bis heute nicht geschafft, eine Firewall zu
errichten, die nach dem Schuldenschnitt für Griechenland verhindert, dass die Spekulation auf andere Staaten
übergreift. Das hat etwas mit ideologischen Scheuklappen zu tun. Die rechte Seite dieses Hauses jubelt immer,
wenn man sich gegen Euro-Bonds ausspricht. Sie verschweigen immer, dass schon in der EZB für große Summen gehaftet werden muss. Meine Damen und Herren,
vielleicht sollten Sie, also die Bayern unter den Unionisten - die CSU ist ja immer erst bayerisch und dann subsidiär -, einmal darüber nachdenken, dass selbst jemand
wie Dr. Edmund Stoiber heute der Auffassung ist: Eine
Lösung dieser Krise gibt es nur mit europäischen Staatsanleihen. - Herr Stoiber spricht sich für Euro-Bonds aus.
Meine Damen und Herren, Herr Stoiber hat recht. Ich
hätte nie geglaubt, dass mir dieser Satz jemals über die
Lippen gehen wird.
({8})
Aber das eigentliche Problem sind nicht die ideologischen Scheuklappen, die Sie haben; das eigentliche Problem ist, dass Sie eine falsche Krisenursache identifiziert
haben. Dazu setzen Sie Staatsschuldenkrise mit Ausgabenwillkür und unsolider Haushaltspolitik gleich. Genau
das ist die falsche Analyse dieser Krise.
({9})
Diese Krise in Griechenland ist durch eine falsche
Staatsausgabenpolitik hervorgerufen worden. Richtig;
niemand widerspricht dem. Es waren auch Konservative,
die das gemacht haben.
({10})
Diese Krise ist ausgelöst worden auch in Staaten wie Irland und Spanien mit einer vorbildlichen Haushaltsführung, einer deutlich besseren Haushaltsführung als zum
Beispiel hier in Deutschland. Warum? Weil diese Staaten
Schulden von Privaten, Schulden von Banken, Schulden
von privaten Haushalten, verstaatlichen mussten, weil
sie sonst in eine noch größere Krise geraten wären.
Wenn es richtig ist, dass es einen Zusammenhang zwischen der Finanzkrise und der Staatsschuldenkrise gibt,
dann werden Sie dieser Krise nicht allein damit beikommen, dass Sie staatliche Ausgaben kürzen. Sie müssen
an die Ursachen dieser Krise herangehen; sonst kommen
Sie aus ihr nicht heraus.
({11})
Sie haben gesagt, da komme man nicht nur mit Sparen, sondern auch mit Wachstum heraus. Ja, dann
schauen Sie sich doch die Zahlen an! Die Prognosen für
die Euro-Zone sehen für nächstes Jahr ein Wachstum
von minus 1 Prozent vor - so die OECD -, für Italien ein
Negativwachstum von 2 Prozent. Das heißt, Italien ist
weit davon entfernt, eine Chance zu haben, sich in irgendeiner Weise so zu finanzieren, dass es neue Kredite
in Höhe von 300 Milliarden Euro zu erträglichen Konditionen bekommt. Dagegen kann man nicht ansparen. Das
wird Ihnen Herr Monti auch nicht anders gesagt haben.
Wenn Sie in einer Situation des Negativwachstums
zusätzliche Sparauflagen für Staaten verordnen, dann
kürzen diese auch in den Bereichen, in denen Investitionen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit heute
zwingend erforderlich sind. Anders gesagt: Ihr Kurs,
Frau Bundeskanzlerin, führt nicht nur zu nicht mehr
Wachstum, Ihr Kurs würgt das Wachstum in Europa ab.
Es verlängert die Krise, es verschlimmert die Krise. Das
ist das Problem.
({12})
Aus dieser Krise führt kein intergouvernementaler
Weg heraus. Wir brauchen gemeinsame starke europäische Institutionen. Wir müssen die Steuer-, die Wirtschafts- und die Fiskalpolitik miteinander verknüpfen.
Das geht nicht in einem intergouvernementalen Vertrag.
Sie haben dann gesagt, Sie seien dafür, dass das Europaparlament hier eine Rolle spielt und auch Beobachter
entsenden darf.
({13})
Frau Bundeskanzlerin, Parlamente, auch das Europaparlament, sind keine Beobachterkommission. Parlamente
machen Gesetze, sie sind Ausdruck des Willens des Volkes, und sie kontrollieren die Regierung. Das ist Demokratie, und das brauchen wir in Europa.
({14})
Sie haben sich erlaubt, hier zu sagen, mit dem jetzt
Beschlossenen hätten wir einen großen Schritt hin zu einer Stabilitätsunion getan.
({15})
Wer anfängt, aufgrund einer Identifizierung der falschen
Krisenursache in Europa das Wachstum kaputtzusparen,
der wird Folgendes erleben:
({16})
ein Europa, in dem massenhaft junge Leute arbeitslos
sind. Ein Europa der Massenarbeitslosigkeit ist aber
keine Stabilitätsunion. Dieses Europa fliegt auseinander.
Dagegen haben Sie nichts getan.
Deswegen sage ich Ihnen: Jedes Tief hat einen Namen. Das nächste wirtschaftliche Tief, das auf uns zukommt, hat den Namen
({17})
„Angela“. Leider wird es noch über Europa liegen, wenn
Sie nicht mehr Kanzlerin sind.
({18})
Der Kollege Dr. Werner Hoyer hat jetzt das Wort für
die Bundesregierung.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich beglückwünsche die Bundeskanzlerin zu ihrem
Erfolg beim Europäischen Rat.
({0})
Wir haben die Chance, unsere Währung für die
schweren Zeiten, die kommen werden, sturmfest zu machen. Wir haben darüber hinaus die Chance, die politische Union voranzutreiben. Es ist ja zu Recht gesagt
worden, dass wir hier einen Rückstand aufholen müssen,
weil zu Zeiten des Vertrages von Maastricht die politische Union, die wir damals gewollt haben, noch nicht
möglich war. Es lag von vornherein in der Logik des
Prozesses, zu sagen: Wenn wir mit der Währungs- und
Wirtschaftsunion anfangen, dann wird ein Druck aufgebaut werden, die politische Union folgen zu lassen. Genau in der Situation sind wir jetzt. Deswegen müssen
wir diese Erwartung bzw. diese Verpflichtung, über die
uns Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher, Theo Waigel
immer aufgeklärt haben, jetzt auch erfüllen.
({1})
Rainer Brüderle hat für die Fraktion der FDP begründet, warum wir mit dem, was verhandelt worden ist,
zufrieden sind. Ich möchte hier einen anderen Akzent
setzen. Ich glaube, wir führen endlich eine ehrliche politische Debatte über Europa. Sie hat eigentlich über Jahrzehnte gefehlt. Das war ein Elitenthema.
({2})
Jetzt führen wir diese Debatte. Wir dürfen sie aber nicht
nur über Geld, Währung und Wirtschaft führen. Europa
ist eben sehr viel mehr.
({3})
Wir haben eine großartige Erbschaft von unseren Vorgängern übernommen. Europa - das steht zunächst einmal für Werte, für Haltungen, für Lebensweise, für Kultur. Dieses Europa manifestiert sich auf unserem
Kontinent mittlerweile praktisch überall in einer Priorität
für die Würde des einzelnen Menschen, in Toleranz, in
Rechtsstaatlichkeit, in Demokratie - im Grunde die
Früchte der Aufklärung. Und das müssen wir eben auch
leben und verteidigen.
Deswegen müssen wir uns auch einmischen. Deswegen sind Fragen der nationalen Souveränität heute doch
etwas anders zu bewerten, als das vielleicht vor 50 Jahren noch der Fall war, wenn plötzlich Pressefreiheit gefährdet ist, wenn Reisefreiheit eingeschränkt ist oder
wenn wir nicht gemeinsam die Informationen sammeln,
die wir brauchen, um Urteile zu fällen über das, was in
Europa ökonomisch zu geschehen hat.
Die europäische Integrationsgeschichte hat uns ein ungeahntes Maß an Freiheit, an Frieden und an Wohlstand
gebracht. Das wird heute alles für selbstverständlich genommen; das wissen wir alle aus unseren politischen Veranstaltungen. Damit lockt man erstaunlicherweise keinen
hinter dem Ofen hervor, obwohl es so wichtig und so bewahrenswert ist.
Wir brauchen also eine Projektion dieses europäischen Gedankens in die Zukunft. Ich denke, es liegt auf
der Hand, wie wir argumentieren müssen: mit der
Selbstbehauptung der Europäer in der Globalisierung.
Das wird die Herausforderung der nächsten Jahre sein.
Das ist dann auch nicht nur ein ökonomisches Thema,
sondern auch ein Wertethema, ein Wissensthema, ein Innovationsthema, ein Thema, das am Ende mit Wohlstand
zu tun hat, der nämlich akut gefährdet ist, wenn wir dieser Herausforderung nicht gerecht werden.
Deswegen wundere ich mich manchmal, dass wir Debatten führen, als könnte man zur Globalisierung Ja oder
Nein sagen. Man kann - da sie kommt und schon da ist nur versuchen, sie mitzugestalten. Das wird keines unserer europäischen Partnerländer - nicht unsere französischen Freunde, die ich herzlich begrüße, und auch nicht
wir Deutschen - alleine gestalten.
Wenn wir in der Gemeinschaft der Völker dieser Welt
etwas bewegen wollen, dann müssen wir es gemeinsam
anpacken. Dann muss man Mut haben zum politischen
Europa; dann muss man auch Mut haben zur Gemeinschaftsmethode.
({4})
Ich glaube, dass es viele Punkte gibt, bei denen man
feststellen muss: Europa macht zu viel. All die Fragen
von Überbürokratisierung sind mir voll bewusst. Da
kann man doch das eine oder andere zurückdrehen. Aber
dort, wo im klassischen, im Hallsteinschen Sinne die europäischen Institutionen - zum Beispiel die Kommission
als Hüterin der Verträge - gefragt sind, da müssen wir
ihnen den entsprechenden Raum geben.
({5})
Sie sind im Zweifel der bessere Hüter des Gemeinschaftsgedankens, als wir es sein können, die wir häufig
in nationalen Interessen denken müssen. Deswegen:
Mehr Mut zu mehr Europa.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
wenn die Dinge so laufen, wie sich das gegenwärtig abzeichnet, dann könnte das meine letzte Rede im Deutschen Bundestag gewesen sein.
({6})
Ich gehe am Freitagnachmittag mit gemischten Gefühlen
durch die Tür dort hinten, aber mit großer Dankbarkeit
für das, was war, und mit großer Vorfreude auf das, was
sein wird. Ich habe 25 Jahre lang das schönste Amt
wahrgenommen, das der Souverän uns gibt: das des
freien Abgeordneten. Sie werden es weiter wahrnehmen.
Ich wünsche Ihnen dafür Glück, Erfolg und Gottes Segen.
Frau Präsidentin, ich melde mich ab.
({7})
Lieber Herr Kollege Hoyer, Wenn-dann-Reden soll
man in der Politik nicht halten. Nichtsdestotrotz will ich
Ihnen - jenseits der Formalien, die sich noch entscheiden müssen - sagen: Wir kennen Sie hier im Bundestag
seit 1987. Sie sind ein Herzensparlamentarier; das haben
wir, glaube ich, eben noch einmal gehört.
Die Kolleginnen und Kollegen, die mit Ihnen zusammenarbeiten, schätzen Sie für Ihre kundige Zusammenarbeit, für die Kompetenz, aber auch die Kollegialität.
Ich sage einfach: Bis hierhin herzlichen Dank für all das,
und - wenn wir keine weitere Gelegenheit haben, das
hier zu tun - schon jetzt: Viel Erfolg und Gottes Segen
für Ihren Weg.
({0})
Der Kollege Axel Schäfer hat jetzt für die SPD-Fraktion das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Kauder hat empfohlen, man solle auch seinen sozialdemokratischen Parteifreunden in Europa mal
die Leviten lesen.
({0})
Kollege Kauder, als Christ wissen Sie doch:
Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders
Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?
Wann haben Sie an dieser Stelle jemals einer christdemokratischen Regierung in Ungarn die Leviten gelesen,
als es um die Beschädigung der Demokratie, die Einschränkung der Meinungsfreiheit ging?
({1})
Wann haben Sie in diesem Hause jemals einer christdemokratischen Regierung in Italien die Leviten gelesen,
als es um die Gefährdung des gesamten Rechtsstaates
und der politischen Kultur in Europa ging?
({2})
Wann haben Sie hier jemals einem christdemokratischen
Regierungschef aus Österreich, den Niederlanden oder
von anderswo die Leviten gelesen, der sich mit Koalitionen und Optionen mit Rechtspopulisten an der Macht
hält? Wann haben Sie das als Europäer jemals getan? Sie
haben es hier in diesem Hause nicht getan.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man ehrlich
über Gipfelergebnisse redet, muss man damit anfangen
und sagen: Ja, am Anfang des Jahres haben wir über Rettungsschirme mit einem Umfang von 620 Milliarden
Euro geredet; jetzt liegen die Schätzungen bei 1,6 Billionen Euro. - Auch das gehört zur Ehrlichkeit. Wenn man
hier auf der Regierungsseite einmal ehrlich argumentieren wollte, dann müsste man die Debatte immer mit den
Worten beginnen: Ja, wir haben uns seit Mai 2010 geirrt;
wir hatten Fehleinschätzungen, und wir haben uns immer und immer wieder korrigieren müssen. - Dies haben
Axel Schäfer ({4})
wir von Ihnen an dieser Stelle, hier im Deutschen Bundestag, niemals gehört.
({5})
Wir haben vor diesem Gipfel aber etwas anderes erlebt: Herr Van Rompuy, der den Auftrag hatte, Vorschläge zu machen, wurde aus Kreisen der Bundesregierung, wie es unwidersprochen zitiert worden ist, mit den
Worten kritisiert: Wir lassen uns keine Brüsseler Tricksereien bieten. - Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, ist es halt. Wenn man auf
der einen Seite sagt: „Wir wollen mehr gemeinsames
Europa“, und auf der anderen Seite diejenigen, die auch
als Institution für mehr gemeinsames Europa stehen,
schon vorher beschämt und beschädigt, kann man nicht
damit rechnen, dass man hinterher gemeinsame europäische Überzeugungen in dieser Gemeinschaft erreichen
kann.
Ich glaube, das, was die Kanzlerin nicht gesagt hat, ist
für viele Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsparteien wichtig; aber leider diskutieren Sie das hier
nicht, weil Sie manchmal glauben, Ihre europäischen
Überzeugungen durch stramme Haltung ersetzen zu
müssen. Auch Sie müssten doch eigentlich diskutieren,
dass wir viel schärfere Regelungen bei Finanzmarktprodukten brauchen, gerade bei denen, die die Ratingagenturen als etwas Besonderes bewertet haben und die dann
- das hat auch ein CDU-Politiker einmal formuliert - zu
Massenvernichtungswaffen wurden. An dieser Stelle
kommt von Ihnen nichts.
Es kommt von Ihnen auch keine kritische Anmerkung,
dass die Finanztransaktionsteuer notwendig ist, dass man
hier in Europa vorangehen muss - sei es auch nur mit
17 Ländern - und dies auf dem nächsten Gipfel ein wichtiges Thema sein muss. Es kommt auch nichts zu dem
Punkt, der für uns alle so wichtig ist: Wir benötigen in Europa unbedingt so etwas wie einen Ausbildungspakt, weil
wir uns den Skandal der Jugendarbeitslosigkeit, der nicht
nur eine Gefährdung der Zukunftsperspektiven, sondern
auch der zukünftigen Demokratie ist, nicht leisten können.
({6})
Wenn man schon einfordert - da sind wir uns im
Hause alle einig -, in Europa etwas vertraglich zu regeln,
und es Probleme gibt, dann muss man die parlamentarische Beteiligung hier in diesem Haus, in allen nationalen
Parlamenten und im Europäischen Parlament ernsthaft
und bewusst von Anfang an so gestalten, dass der Bundestag, zum Teil auch der Bundesrat, so einbezogen
wird, dass er über alle Regelungen, die getroffen werden
und über die am Schluss im Bundestag entschieden wird,
wie über ein richtiges europäisches Vorhaben diskutiert,
nicht wie bei einem internationalen Vertrag, bei dem es
am Ende nur noch heißt: „Friss, Vogel, oder stirb!“, wir
aber keinen Einfluss beim Zustandekommen haben. Diesen Einfluss, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Regierung, werden wir und, ich glaube, auch die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der Linkspartei von jetzt an Tag für Tag einfordern; denn das ist die
Demokratie in Europa, die wir hier im Deutschen Bundestag praktizieren.
({7})
Bitte passen Sie auf bei falschen historischen Bildern.
Der Vorsitzende der FDP-Fraktion hat das Gipfelergebnis das Ergebnis einer „Belle Alliance“ genannt. „Belle
Alliance“ ist seit 1815 die Übersetzung für Waterloo, die
historische Niederlage von Napoleon gegen die Verbündeten. Ich glaube, er hat damit unbewusst das ausgedrückt, worum es jetzt geht.
({8})
Wir stehen vor einem Waterloo der FDP in der Europapolitik. - Vielen Dank, Herr Brüderle!
({9})
Herr Kauder, bitte, eine Kurzintervention.
Herr Kollege Schäfer, ich würde Sie bitten, dass Sie
das Protokoll vielleicht einmal nachlesen; dort können
Sie sich meine Rede genau anschauen. Ich habe das
glatte Gegenteil von dem verlangt, was Sie gesagt haben.
Ich habe nämlich nicht gesagt, dass Sie Ihren sozialdemokratisch oder sozialistisch geführten Regierungen in
Europa die Leviten lesen sollen, sondern dass Sie sich an
ihnen orientieren sollen. Genau das habe ich gesagt.
({0})
Das haben Sie glatt missverstanden. Sie müssen die
Schranken aus Ihrem Kopf bekommen. Ich habe wörtlich gesagt: Schauen Sie sich Österreich - geführt von
Ihrer Parteifamilie -, Dänemark und Belgien - ebenfalls
von Ihrer Parteifamilie geführt - an. Die haben dem Ergebnis zugestimmt und es großartig gefunden; Sie haben
es kritisiert. Deswegen habe ich gesagt: Orientieren Sie
sich einmal an denen. Sie sollten ihnen nicht die Leviten
lesen - machen Sie das am besten in Ihrer eigenen
Truppe -, sondern sich an ihnen orientieren.
({1})
Herr Schäfer, bitte.
Kollege Kauder, ich bedauere es sehr, dass Sie nicht
einmal heute diese Gelegenheit genutzt haben, zu sagen,
dass Sie das, was andere Christdemokraten in Europa
- ich hätte noch die griechische Opposition hinzufügen
können - in den letzten Jahren an antieuropäischer Politik gemacht haben, als deutscher Christdemokrat nicht
teilen. So viel Überzeugung hätte ich Ihnen schon zugetraut, aber leider, leider haben Sie diesen Mut hier nicht
gefunden.
({0})
Der Kollege Thomas Silberhorn hat das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Von dem letzten europäischen Gipfel gehen einige klare
Botschaften aus.
({0})
Die erste Botschaft lautet: Wir machen die Politik. Die
Regierungen und die Parlamente setzen die Rahmenbedingungen für das Wirtschaften und nicht Ratingagenturen oder irgendwelche Investoren. Das Heft des Handelns liegt in den Händen der Politik, und das wird auch
so bleiben.
({1})
Das sollten sich all diejenigen hinter die Ohren schreiben, die glauben, gegen ganze Staaten oder Volkswirtschaften wetten zu müssen.
({2})
Die zweite Botschaft dieses Gipfels lautet: Die Schuldenparty ist beendet. Es gibt jetzt Haushaltsdisziplin für
alle. Deswegen ist es ein Erfolg, dass jetzt überall auf nationaler Ebene Schuldenbremsen eingeführt werden. Es
ist ein Erfolg, dass das Defizitverfahren weiter automatisiert wird. Die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist gewissermaßen eine Rückkehr zu den
Wurzeln der Wirtschafts- und Währungsunion. Die Verstöße gegen den Stabilitätspakt müssen der Vergangenheit angehören.
Deswegen lautet die dritte Botschaft dieses Gipfels:
Verträge sind einzuhalten. Vertragstreue ist eine Voraussetzung für unsere Glaubwürdigkeit in der Krise. Nachdem die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft
stark geworden ist, geht es jetzt darum, dass wir an diese
Stärke anknüpfen, indem wir zur Vertragstreue zurückkehren. Deswegen ist dieses Ergebnis ein „Maastricht
plus“ und damit der richtige Kurs zur Stabilisierung unserer gemeinsamen Währung.
({3})
Der europäische Gipfel hat auch mit dem viel erreicht, was nicht beschlossen worden ist. Es sind keine
Euro-Bonds beschlossen worden, es gibt keine Banklizenz für den Rettungsschirm, und es gibt keine Lizenz
zum Gelddrucken für die Europäische Zentralbank.
Nichts von alledem, was SPD und Grüne wollen, hat dieser Gipfel beschlossen. Man muss sich das auf der
Zunge zergehen lassen: So offensiv, wie Sie gerade unmittelbar vor dem Gipfel für eine Vergemeinschaftung
der Schulden plädiert haben, und so offensiv, wie Sie das
Konzept verfolgen, alte Schulden mit immer noch mehr
neuen Schulden zu bekämpfen - das kann nicht gelingen.
Sie müssen sich die Frage gefallen lassen: Wessen
Geschäft besorgen Sie eigentlich? Im Interesse unseres
Landes lag diese Position ganz sicher nicht. Im europäischen Interesse lag sie auch nicht; denn die 26 Mitgliedstaaten haben auf diesem Gipfel das glatte Gegenteil von
dem beschlossen, was Sie wollen. Das ist eine gute
Nachricht für Deutschland und für Europa.
({4})
Die Vergemeinschaftung von Schulden gefährdet das
Kreditrating der Euro-Staaten. Das war sicherlich ein
Grund, weshalb Frankreich, Italien und andere gar kein
Interesse daran haben konnten, durch Euro-Bonds ihre
eigene Bonität aufs Spiel zu setzen. Eine Vergemeinschaftung der Schulden verteuert die Kredite für alle,
und sie beschädigt das Vertrauen in die Haushaltsdisziplin. Deswegen sagen wir Nein zu einer Schuldenunion
und Ja zu Eigenverantwortung, was Haushaltsdisziplin
und Wettbewerbsfähigkeit der Länder betrifft.
Wenn wir von Eigenverantwortung reden, gehört
dazu auch, dass wir die Marktkräfte nutzen und wir die
Disziplinierung der Staaten durch die Märkte zulassen.
Deswegen ist es so wichtig, dass es risikoadäquate Zinsen gibt. Die einheitlichen Zinsen in der Währungsunion
sind doch Gift gewesen. Sie waren eine Ursache für die
Staatsschuldenkrise, in der wir heute stecken. Erwiesenermaßen wirken sie destabilisierend. Deswegen müssen
wir zur Transparenz zurückkehren und unterschiedliche,
nämlich risikoadäquate, Zinssätze zulassen. Das ist der
stärkste Anreiz zur Haushaltsdisziplin.
({5})
Wenn heute beispielsweise von Italien über 7 Prozent
an Zinsen verlangt werden, muss unsere Antwort sein:
Ja, und? So ist es jetzt. Das kostet es jetzt. - Wer diese
hohen Zinssätze vermeiden will, darf nicht an Verlagerung der Schulden auf Dritte denken, sondern muss im
eigenen Haus für Ordnung sorgen und Haushaltsdisziplin einkehren lassen.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Marktkräfte
zu nutzen, bedeutet auch, dass sich die übrigen Marktteilnehmer der Disziplinierung durch die Märkte unterThomas Silberhorn
werfen müssen. Dazu gehört nach meiner Auffassung
nach wie vor die Gläubigerbeteiligung. Sie ist durch die
Gipfelbeschlüsse nicht abgeschafft worden. Es gibt nicht
nur weiterhin diese Collective Action Clauses, sondern
es soll eine Gläubigerbeteiligung im Rahmen des Internationalen Währungsfonds stattfinden. Der hat dafür
keine theoretischen Regeln, aber er wendet praktisch
Gläubigerbeteiligung an. Das geht durchaus weit über
das hinaus, was in dem bisherigen Vertragsentwurf für
den Europäischen Stabilitätsmechanismus steht. Darin
ist nur die Rede davon, dass ein Schuldnerland Verhandlungen aufnehmen und aktiv Einsatz zeigen soll. Es
muss bei einer Gläubigerbeteiligung in geordnetem Rahmen bleiben.
Ein Drittes gehört dazu, Marktkräfte zu nutzen. Wir
müssen auch die Regulierung der Finanzmärkte weiter
betreiben und die Disziplinierung der Märkte selbst verstärken. Dazu gehören die Finanztransaktionsteuer und
eine stärkere Eigenkapitalausstattung der Finanzinstitute, die auf den Weg gebracht ist. Nach meiner Auffassung gehört dazu auch - das möchte ich neu einführen -,
dass wir bei den Kreditausfallversicherungen eine Notifizierungspflicht einführen; denn wir wissen nicht, was
da weltweit alles unterwegs ist. In diesen Kreditausfallversicherungen liegt im Falle eines Zahlungsausfalles
ein enormes Eskalationspotenzial; denn niemand weiß,
wer wem in welchem Umfang Geld schuldet. Deshalb
halte ich es für notwendig, dass wir hier durch eine Notifizierungspflicht Transparenz schaffen, die zumindest
zum Ergebnis haben kann, dass Insidergeschäfte vermieden werden und damit keine weitere Eskalation stattfindet.
({7})
Natürlich ist es richtig, wenn hier immer wieder eingewandt worden ist, dass Haushaltsdisziplin allein noch
nicht reicht, die Euro-Zone zu stabilisieren, sondern dass
weitere Schritte erforderlich sind. Bisher beschränken
sich die Bemühungen zur Stabilisierung der Währung im
Wesentlichen auf Finanzhilfen. Wir müssen darauf achten, dass der erkaufte Zeitgewinn auch tatsächlich genutzt wird, um die Haushalte zu konsolidieren und um
wettbewerbsfähige Strukturen in Wirtschaft und Verwaltung wiederherzustellen. Wir müssen aber auch darauf
achten, dass diese Finanzhilfen niemanden überfordern,
weder die Geberländer in finanzieller Hinsicht noch die
Empfängerländer in politischer Hinsicht; denn das Ergebnis dieser Finanzhilfen und der damit verbundenen
Auflagen ist, dass ein Empfängerland seine politische
Handlungsfreiheit weitgehend einbüßt. Wir müssen also
auch die Frage beantworten, was passiert, wenn die vereinbarten Sanierungsziele nicht erreicht werden. Was ist,
wenn die nächste Tranche nicht ausgezahlt werden kann,
was der Bundesfinanzminister für Griechenland schon
einmal angedroht hat? Diese Frage dürfen wir nach meiner tiefen Überzeugung nicht unbeantwortet lassen, weil
sie eine Ursache für Unsicherheit auf den Märkten ist.
Die Antwort kann nur lauten, dass wir die Stabilitätsbemühungen bzw. die Stabilisierungsmechanismen mit
einem Sanierungsverfahren verknüpfen. Herr Brüderle,
ich habe Verständnis, wenn die FDP in diesem Zusammenhang von geordneter Insolvenz spricht. Ich spreche
lieber von Sanierungsverfahren, weil man Staaten nicht
abwickeln kann wie ein Unternehmen. Aber wir brauchen natürlich so etwas wie eine Umstrukturierung der
Staatsschulden, was bezogen auf Griechenland jetzt vorgenommen worden ist. Nach meiner Überzeugung brauchen wir aber auch einen Weg, um ein Ausscheiden aus
der Euro-Zone zu ermöglichen. Wir sagen Ja zu Solidarität, aber auch Ja zu Eigenverantwortung. Wir sagen Ja zu
Finanzhilfen; aber sie können nicht grenzenlos gewährt
werden, weil wir sonst in einem Finanzausgleich landen,
den wir nicht wollen, weil wir sonst in einer Schuldenunion landen, die wir vermeiden müssen.
({8})
Es hat schon seinen Grund, dass nicht nur die CSU,
sondern auch die CDU auf ihrem letzten Parteitag in einem Leitantrag deutliche Worte zu dem Weg in Richtung
Ausscheiden aus der Euro-Zone gefunden hat. Ich
glaube, wir müssen deutlich machen, dass wir die
Märkte, auf denen mit sehr viel mehr privatem Kapital
gehandelt wird, als die Staaten durch volkswirtschaftliche Leistung generieren können, nicht allein mit Geld
beeindrucken können, sondern nur durch konsequentes
Handeln.
Deutschland und Europa stehen in dieser Krise vor einer Richtungsentscheidung. Die Richtung, die uns die
Opposition vorschlägt, führt geradewegs in eine Schuldenunion hinein.
({9})
Eine Sozialisierung und Vergemeinschaftung nationaler
Schulden würde die Bonität aller Euro-Mitglieder beschädigen. Die Inflation, die damit einherginge, ginge
natürlich zulasten der kleinen Leute. Ich rate Ihnen, einmal einen Blick auf die Sparprogramme zu werfen, ob in
Griechenland, Portugal, Irland, Spanien oder jetzt auch
in Italien: Die mit solchen Sparprogrammen verbundenen massiven Kürzungen treffen in erster Linie die
Löhne, die Renten und die sozialen Leistungen und damit genau die Leute, die Sie eigentlich zu Ihrer Klientel
zählen. Deswegen ist klar, dass der Weg in die Schuldenunion nicht der richtige Weg sein kann.
Wir brauchen eine Stabilisierung der Euro-Zone, indem wir Haushaltsdisziplin einfordern, indem wir strukturelle Reformen auf den Weg bringen. Das erreichen
wir nicht durch neue Ausgabenprogramme, für die das
Geld nicht da ist, sondern durch strukturelle Reformen in
den Bereichen Wirtschaft und Verwaltung.
({10})
Außerdem müssen wir die Finanzmärkte regulieren. Ich
sage es nochmals: Vertrauen ist nicht durch Geld zu erkaufen. Vertrauen lässt sich nur mit einem konsequenten
Stabilitätskurs gewinnen.
Es geht in dieser Krise nicht nur um die Leistungsfähigkeit unserer Haushalte, unserer Wirtschaft und Verwaltung. Es geht um die Leistungsfähigkeit unserer
marktwirtschaftlichen Ordnung, unserer parlamentarischen Demokratien, der europäischen Integration insge17704
samt. So wie im 19. Jahrhundert die Märkte nicht in der
Lage waren, die soziale Frage zu beantworten, und wie
im 20. Jahrhundert die Märkte keine ausreichenden Lösungen geboten haben, um die ökologische Herausforderung zu bewältigen, so stehen wir im 21. Jahrhundert vor
der Frage, wie wir die Finanzmärkte ordnen müssen, um
unsere Währung zu stabilisieren. Dazu brauchen wir unsere soziale Marktwirtschaft, dazu brauchen wir unsere
freiheitlichen Demokratien, und dazu brauchen wir die
europäische Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Norbert Barthle für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Lassen Sie mich zu den Ergebnissen
des Brüsseler Gipfels in der vergangenen Woche drei
Anmerkungen machen.
Erstens. Beharrlichkeit zahlt sich aus. Die Beharrlichkeit der deutschen Bundesregierung, die Beharrlichkeit
der christlich-liberalen Koalition, die diese Bundesregierung trägt, die konsequente Verfolgung eines klaren politischen Ziels durch die Bundeskanzlerin Angela Merkel
waren erfolgreich. Das zahlt sich in hervorragenden Ergebnissen aus, die aus meiner Sicht wirklich einen Meilenstein auf dem Weg zu einem künftigen Europa der
Stabilität darstellen.
Lassen Sie uns noch einmal Revue passieren, worum
es in den vielen Verhandlungen der vergangenen Monate
ging. Es ging doch immer um die Grundfrage: Soll man
zur Bekämpfung dieser Staatsschuldenkrise einfach
mehr Geld in die Hand nehmen und aus neuen Finanzquellen schöpfen oder auf einen Kurs hin zu mehr Stabilität und zur Konsolidierung der nationalen Haushalte
einschwenken? Ich denke, wir haben heute viel zu wenig
über Stabilität, über die Schuldenbremse und über Haushaltsdisziplin gesprochen und viel zu viel über Nebenkriegsschauplätze; denn Kernerfolg dieses Gipfels ist,
dass sich ganz Europa - mit Ausnahme der Briten - zu
einem Europa der Stabilität mit einer Verschärfung der
Haushaltsaufsicht, mit koordinierten Maßnahmen zur
Stärkung wirtschaftlicher Reformen, der Wettbewerbsfähigkeit und damit auch des Wachstums bekennt.
Lassen Sie mich nochmals Revue passieren: Wo stünden wir heute, wenn wir den Vorschlägen der Opposition
in den vergangenen Monaten gefolgt wären?
({0})
Euro-Bonds wären schon längst eingeführt worden.
Euro-Bonds bringen aber eine gesamtschuldnerische
Haftung mit sich; Euro-Bonds sind nichts anderes als
Schuldensozialismus. Ich bin froh, dass es nicht so gekommen ist.
({1})
Wären wir Ihren Vorschlägen gefolgt, dann hätten wir
schon längst eine Transferunion mit unkonditionierten
Hilfen, dann hätten wir schon längst eine Banklizenz für
die EFSF und die Geldschleusen bei der EZB wären weit
geöffnet. Zu all dem kam es nicht, und das ist ein Verdienst der Verhandlungsführung unserer Bundesregierung. Dafür kann ich nur noch einmal meine Anerkennung aussprechen. Das ist aller Ehren wert.
({2})
Lassen Sie mich mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, aus dem heutigen Tagesspiegel zitieren, in dem von
einer Allensbach-Umfrage unter 500 Führungskräften
aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung berichtet wird.
Diese Befragung ergab, dass 70 Prozent die Kanzlerin
aktuell für eine starke Kanzlerin halten. Das sind, laut
Frau Köcher, doppelt so viele wie noch im Sommer dieses Jahres. Da kann ich nur sagen: Chapeau, Frau Bundeskanzlerin! Sie musste leider schon weg, um wichtige
Gespräche zu führen. Diese Anerkennung hat sie sich
redlich verdient.
({3})
Nun gab es in den vergangenen Monaten in Europa
viele Veränderungen. In einigen Staaten wurden die Regierungen abgewählt oder die Regierungsspitze wurde,
zum Beispiel in Italien, ausgewechselt. Es gibt in all diesen am meisten gefährdeten Ländern substanzielle Reformen. Sie sind auf dem richtigen Weg. Aber es ist klar
erkennbar, dass diese europaweite Staatsschuldenkrise
so manche Regierung ihren Sitz gekostet hat. Ich kann
natürlich verstehen, Herr Steinmeier, dass die Opposition hierzulande etwas verärgert ist, wenn sie erkennen
muss, dass anderswo Regierungen stürzen, während die
Regierung in Deutschland im Verlaufe dieser Krise immer größeres Ansehen genießt.
({4})
Für alle wird erkennbar, worum es bei diesen Debatten, auch auf europäischer Ebene, geht. Für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wird erkennbar: Es
geht auch immer wieder um grundsätzliche Auseinandersetzungen. Mir fehlt leider die Zeit, alles aufzuführen, was im Entschließungsantrag der SPD, den Sie
heute einbringen, falsch ist. Ich greife zwei Punkte heraus.
Sie fordern die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass die Leistungsbilanzen stabilisiert werden
- das ist noch in Ordnung - und dass die Überschussländer ihre Binnennachfrage über höhere Löhne stärken und
so dafür sorgen, dass die Leistungsbilanzen ausgeglichener sind. Das heißt auf gut Deutsch nichts anderes, als
dass Sie unsere Wettbewerbsfähigkeit schwächen wollen. Sie wollen, dass deutsche Maschinenbauer, deutsche
Automobilbauer weniger exportieren, und dadurch wollen Sie andere stärker machen. Genau das ist die ideologische Auseinandersetzung. Sie wollen die Starken
schwächen und meinen, dadurch würden die Schwachen
stärker. Das ist grundlegend falsch. Europa wird nicht
stärker, indem man die Starken schwächt. Europa wird
stärker, indem man die Schwachen stärkt. Das ist der
richtige Weg.
({5})
Ich will einen zweiten Punkt herausgreifen. Sie fordern
die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass neben Sparprogrammen für überschuldete Mitgliedsländer
auch Wachstumsprogramme aufgelegt werden. Liebe
Kollegen von der SPD, sollen wir - womöglich auf
Pump, mit neuen Schulden - Wachstumsprogramme für
überschuldete Länder finanzieren? Das kann doch nicht
Ihr Ernst sein. - Allein diese beiden Beispiele zeigen,
dass dieser Antrag nicht ernst zu nehmen ist.
Lassen Sie mich eine zweite Anmerkung machen, und
zwar zum Vorziehen des ESM, des Europäischen Stabilitätsmechanismus, auf Mitte 2012. Ich halte diesen
Schritt für wichtig, weil er zu mehr Vertrauen in die
europäische Währung, in den Euro, führen wird. Warum? Das liegt an der Konstruktion des ESM. Er ist
grundlegend anders konstruiert als die EFSF. Beim ESM
gibt es einen Kapitalstock. In diesen Kapitalstock zahlen
alle Staaten ein. Das heißt, es entsteht eine andere Form
der Bonität. Bei der EFSF wird die Bonität nur durch die
Triple-A-Länder gewährleistet. Sie garantieren für die
Bonität der EFSF. Am ESM hingegen sind alle Länder
beteiligt. Bei diesem Kapitalstock ist also eine ganz andere Bonität und damit auch Unabhängigkeit gegenüber
den Urteilen von Ratingagenturen gegeben.
Das Vorziehen des ESM ist nicht mit Mehrkosten verbunden. Wir füllen den Kapitalstock lediglich ein Jahr
früher auf. Das werden wir aller Voraussicht nach in
Form eines Nachtragshaushalts spätestens im Sommer
des kommenden Jahres tun. Meine Damen und Herren,
diese Koalition aus CDU/CSU und FDP wird alles dafür
tun - wir werden uns anstrengen -, die Nettokreditaufnahme nicht oder allenfalls marginal erhöhen zu müssen.
Wir werden uns bemühen, für diese zusätzliche Belastung im Haushalt 2012 entsprechende Gegenfinanzierungen zu finden.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Einbeziehung
bzw. die stärkere Beteiligung des IWF. Lassen Sie mich,
da es einige kritische Nachfragen und Unruhe gegeben
hat, zunächst einmal klipp und klar sagen: Ich halte es
für gut und völlig richtig, dass der IWF stärker beteiligt
wird. Warum? Der IWF steht für Expertise, für Erfahrung und für strenge Konditionalität, und zwar bei allen
Programmen, die er begleitet. Es geht dabei immer um
die Wiederherstellung der Finanzierungsfähigkeit eines
Staates. Insofern ist es gut, dass der IWF mit dabei ist.
Das unmittelbare Risiko für Deutschland erhöht sich
dadurch nicht, allenfalls über Umwege, nämlich im Hinblick auf den First-Creditor-Status. Nur, lieber Herr Kollege Trittin: Den hat der IWF schon, und der IWF war
auch bisher an allen Nothilfeprogrammen beteiligt. Das
ist also nichts substanziell Neues. Da lohnt es sich nicht,
sich hier aufzublasen. Man sollte die Leute nicht verunsichern.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Mit diesem Gipfel ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger und wesentlicher Schritt hin zu einer Stabilitätsunion gelungen. Jetzt
kommt es darauf an, die Beschlüsse möglichst schnell
und konsequent umzusetzen, und zwar in allen Ländern.
Wir sind gerne bereit, weiterhin voranzugehen. Wir werden die Tür für Großbritannien offen halten. Wir hoffen,
dass sich die Briten noch besinnen und irgendwann
ebenfalls beitreten; denn das wäre im Sinne Gesamteuropas. Europa hat, wenn alle zusammenhalten, eine gute
Zukunft.
Herzlichen Dank.
({6})
Der Kollege Michael Stübgen hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die
Ehre, als letzter Redner in der heutigen Debatte zu sprechen. Wir befinden uns, was die Europäische Union betrifft, am Ende eines sehr bewegten Jahres. Es gab allein
in diesem Jahr, einschließlich heute, sechs Regierungserklärungen nur zur Euro-Krise, zur Euro-Verschuldungs- und zur Euro-Finanzierungskrise. Dies ist die
zehnte Bundestagsdebatte in diesem Jahr, die wir nur zu
diesen Fragen führen; für dieses Jahr wird es mit Sicherheit die letzte sein. Ich habe nicht den Ehrgeiz, zu versuchen, diese Zahl im nächsten Jahr zu erhöhen. Aber eines ist am Ende dieses Jahres sicher: Wir werden uns mit
der Verschuldungs- und der Finanzierungskrise der
Europäischen Union auch im nächsten Jahr beschäftigen
müssen. Denken Sie nur daran: Griechenland II muss
noch umgesetzt werden, und das Stabilitätsmechanismusgesetz können wir immer noch nicht so anwenden,
wie wir es im Bundestag beschlossen haben. Hier sei mir
allerdings der Hinweis gestattet, dass ich es für absolut
notwendig halte, dass das Bundesverfassungsgericht so
bald wie möglich entscheidet.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der letzten Woche gab es einen Europäischen Rat und einen Rat
der Euro-Gruppe. Beschäftigt hat man sich zum einen
mit notwendigen und wichtigen Beschlüssen, was die
aktuelle Euro-Krise bzw. die Reaktion auf diese Krise
betrifft.
Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden,
dass wir den Europäischen Stabilisierungsmechanismus
auf das nächste Jahr vorziehen wollen. Wir haben in diesem Hause schon mehrfach darüber diskutiert; jetzt gibt
es Einigkeit darin, das umzusetzen. Es ist auch schon
erläutert worden, warum das wichtig ist. Wir haben die
Erfahrung gemacht, dass das Hauptproblem der EFSF
darin besteht, dass aufgrund der reinen Gewährleistungsstruktur nicht schnell genug agiert werden kann. Dies
wird der ESM besser können.
Ein anderes wichtiges Ergebnis des Europäischen Rates ist, dass wir es geschafft haben, eine monatelange
Hängepartie zu beenden, ob wir in Europa über sogenannte Collective Action Clauses zu einer strukturierten
Gläubigerbeteiligung kommen, was in Europa sehr kritisch diskutiert wurde. Jetzt gibt es Klarheit darüber, wie
sie umgesetzt werden sollen. Sie sollen sich direkt an
den Strukturen des IWF orientieren, die sich in den letzten Jahrzehnten bewährt haben und immer wieder angepasst wurden.
Auf dem Europäischen Rat sind aber auch noch verschiedene andere Beschlüsse in Reaktion auf die Krise
gefasst worden. Nach meiner Überzeugung ist in der
vergangenen Woche auch etwas fundamental Neues beschlossen worden, was wir so in den letzten zwei Jahren
noch nicht hatten. Die deutliche Mehrheit der Mitglieder
der Europäischen Union - auch wenn es nur die 17 Länder der Euro-Zone gewesen wären, wäre es ein Riesenerfolg gewesen; aber es werden auf jeden Fall deutlich
mehr sein - hat sich darauf geeinigt, in ihren Ländern
nationale Schuldenbremsen mit Verfassungsrang oder
auf vergleichbarer Ebene einzuführen. Das ist ein Aufbruch in eine Stabilitätsunion, den wir bisher nicht hatten. Ich glaube, das ist ein großer Erfolg, der irgendwann
einmal als eine historische Wende bezeichnet werden
wird. „Aufbruch in eine Stabilitätsunion“ heißt natürlich
nicht, dass wir das Ziel damit schon erreicht haben. Es
wird noch viele notwendige Entscheidungen geben. Um
mit der Schuldenbremse, wie wir sie in Deutschland verankert haben, das Ziel in Bezug auf die Gesamtverschuldung zu erreichen, wird es noch ungefähr 20 Jahre dauern. Auch in Deutschland brauchen wir einen längeren
Zeitraum dafür; aber ich glaube, dass dieser Aufbruch
absolut entscheidend ist.
Als wir in Deutschland - die Initiative dafür ging von
der Großen Koalition aus - über die Schuldenbremse
diskutiert und ihr dann einen Verfassungsrang eingeräumt haben, sind wir in fast ganz Europa belächelt worden. Viele haben gesagt: Lasst die das mal machen. Die
Austeritätspolitik wird nicht funktionieren; sie werden
das irgendwann wieder aufheben. - Noch vor wenigen
Monaten sind wir in der Europäischen Union zum Teil
beschimpft worden, wenn von deutscher Seite der Hinweis gegeben wurde, dass es wichtig wäre, dass alle
Euro-Länder - damals waren es immer nur die EuroLänder - eigene Schuldengrenzen mit Verfassungsrang
einführen. Jetzt beginnen wir damit, das in fast jedem
Mitgliedsland der Europäischen Union umzusetzen. Ich
glaube, das ist kein Sieg deutscher Überlegung, sondern
das zeigt, dass die Europäische Union lernfähig und in
der Lage ist, Fehler der Vergangenheit zu erkennen und
zu beheben.
({1})
Ich glaube, das war der entscheidende Beschluss, der am
vergangenen Wochenende gefasst worden ist. Er wurde
von der deutschen Bundesregierung, von der Bundeskanzlerin und vom Bundesfinanzminister, intensiv vorbereitet und schon im Vorfeld von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP massiv unterstützt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden
die Umsetzung dieser Beschlüsse auch in den nächsten
Jahren aktiv und intensiv begleiten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Ich schließe damit die Aussprache.
Zu diesem Zusatzpunkt liegt uns eine schriftliche Erklärung des Abgeordneten Andrej Hunko nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/8135. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch
die einbringende Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen. Die übrigen Fraktionen haben abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/8136. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Die einbringende Fraktion hat dafür gestimmt, alle anderen dagegen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Angekündigte, aber bisher nicht angegangene
steuerpolitische Vorhaben der Bundesregierung
Als Erster gebe ich der Kollegin Dr. Barbara Höll für
die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Weihnachten naht. Viele Kinder hoffen, dass sie das Ihrige getan haben und der Weihnachtsmann sie reich beschenken möge.
Die Bundesregierung agiert wie eine Riege Weihnachtsmänner und Weihnachtsfrauen, gestützt von vielen
kleinen Wichteln; viele von ihnen verlassen gerade
fluchtartig den Saal. Vor der Wahl werden Wünsche einDr. Barbara Höll
gesammelt, und im Koalitionsvertrag versprechen der
Weihnachtsmann und seine Wichtel, was in den nächsten
vier Jahren davon alles in ihrer Werkstatt gefertigt werden soll. Im Bereich der Steuern wurden eine Reform
der Mehrwertsteuer, Steuervereinfachungen und natürlich Verbesserungen im Bereich der Unternehmensbesteuerung angekündigt.
Die Regierung agiert tatsächlich im Habitus des
Weihnachtsmannes und macht Geschenke. Ganz schnell
nach der Wahl, ratzfatz, wurde das Hotel- und Gaststättenwesen beschenkt. Dass die Mehrwertsteuer dafür
gesenkt wurde, kostet einfach einmal 1 Milliarde. Die
Regierung vergisst dabei, dass sie eben nicht der Weihnachtsmann ist, der Geschenke verteilt, sondern dass sie
die gewählte Regierung ist, die verwalten soll, was die
Bevölkerung in unserem Land erarbeitet, und es so einsetzen soll, dass es tatsächlich gewinnbringend für alle
ist, zur Verbesserung des Lebens.
({0})
Wie ging es dann weiter mit der Mehrwertsteuer? Ja,
es soll eine große Reform kommen. Nun, ein Jahr nach
der einen Senkung, verkündete der für die Finanzen zuständige Weihnachtsmann, Herr Schäuble, dass eine
Mehrwertsteuerreform doch nicht kommt. Er hält sie
politisch nicht für durchsetzbar.
Wieder ein Jahr später, vor zehn Tagen, gab es in der
Bild eine Meldung, dass gar keine große Steuerreform
mehr kommt. Sofort meldete sich der Sprecher der
Weihnachtsbrigade, Herr Seibert, und dementierte umgehend: Natürlich kommt im Bereich der Steuern noch
ganz viel. - Aber ich frage Sie: Wo ist denn Ihre Arbeitsgruppe zur Mehrwertsteuerreform? Wurde sie überhaupt
schon berufen? Hat sie jemals getagt? Nichts davon ist
zu hören. Wir im Ausschuss wissen zumindest nichts davon. Sie knistern mit Geschenkpapier, packen angeblich
ein und aus. Niemand weiß, wie groß die Pakete sind
und ob überhaupt etwas drin ist.
Unternehmensteuerreform, groß angekündigt für diesen Herbst. Wir wollten uns im Ausschuss damit beschäftigen. Nichts passierte. Dabei ist es gerade in diesem Bereich unwahrscheinlich wichtig, dass Sie aktiv
werden. Anfang des Jahres habe ich Sie mittels einer
Kleinen Anfrage auf das Problem der Verlustverrechnung aufmerksam gemacht. Seit 1991 steigen in
Deutschland die Verluste, die in Unternehmen angehäuft
werden, jedes Jahr im Schnitt um 35 bis 40 Milliarden
Euro. Seit 2004 haben die angehäuften Verluste bei der
Körperschaftsteuer und bei der Gewerbesteuer jeweils
die 500-Milliarden-Grenze überstiegen.
Das letzte Jahr, das von der Statistik erfasst wurde, ist
2006. Aber die OECD hat in diesem Jahr festgestellt,
dass das Volumen der Verlustvorträge im Verhältnis zum
Bruttoinlandsprodukt in Deutschland so hoch ist wie in
keinem anderen untersuchten Staat, obwohl Verluste in
fast allen diesen Staaten zeitlich unbegrenzt vorgetragen
werden können. Das heißt, ein Unternehmen, das Verluste macht, vielleicht auch mehrere Jahre, kann diese
später steuerlich gegen Gewinne, die das Unternehmen
macht, gegenrechnen. Bei einer solch hohen Verlustanhäufung ist natürlich die Frage: Geht es den Unternehmen tatsächlich so schlecht? Sie müssten eigentlich alle
schon pleite sein. Das sind sie offenkundig nicht.
In der Möglichkeit der Rückstellung der Verluste verbirgt sich aber für uns alle ein enormes steuerliches Risiko; denn wenn alle diese Verluste steuerlich geltend
gemacht würden, hätten wir einen Steuerausfall von über
150 Milliarden Euro, und das würde uns tatsächlich bedrohen. Ich darf noch einmal daran erinnern: Der Bundeshaushalt hat einen Umfang von 306 Milliarden Euro;
das ist doppelt so viel. Wenn alle Unternehmen in einem
Jahr alles geltend machen würden, wären wir ziemlich
pleite.
({1})
Sie haben immerhin eine Arbeitsgruppe eingerichtet.
Diese Arbeitsgruppe „Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung“ hat nun eine ganz interessante Entdeckung
gemacht: Es gibt eine sogenannte unerklärliche Lücke
bei der Erfassung der Gewinne der Konzerne. Vergleicht
man die Gewinne laut Steuerstatistik mit den Gewinnen
laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung, dann besteht eine Differenz von sage und schreibe mindestens
230 Milliarden Euro. Das heißt, die Gewinne, die tatsächlich gemacht werden, also die realen Gewinne, betragen das Zweieinhalbfache dessen, was steuerlich geltend gemacht, also angezeigt wird. Das heißt nichts
anderes, als dass die genannten weltmeisterlichen Verluste nur gegenüber der Steuer bestehen, aber nicht in
der Realität. Das ist politisch verursacht, weil die Gesetze so sind. Das ist schlicht legale Steuervermeidung.
Da müssten Sie endlich aktiv werden.
({2})
Interessanterweise sind diese Verluste konzentriert.
Nicht der kleine Bäckermeister hat sie - er könnte sich
das überhaupt nicht leisten -, sondern sie konzentrieren
sich auf 2 Prozent der großen, international agierenden
Unternehmen.
Ich sage Ihnen: Die Bevölkerung hat die Nase voll davon, dass sie wie ein Weihnachtsmann agieren und an
bestimmte Gruppen Geschenke verteilen, bei anderen
untätig bleiben, nur mit Geschenkpapier rascheln und
ansonsten nichts auf die Reihe bekommen. Im Gegenteil: Sie gefährden das Weihnachtsfest insgesamt; denn
wenn Sie so weiteragieren, dann haben wir keine Möglichkeit mehr, überhaupt etwas zu schenken.
Frau Kollegin.
Deshalb sagen wir: Legen Sie endlich die Karten auf
den Tisch! Agieren Sie wie eine Regierung! An den
Weihnachtsmann kann man glauben oder nicht; Regierungen kann man zum Glück abwählen.
Danke.
({0})
Hans Michelbach hat das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die
heutige Aktuelle Stunde ist eine vortreffliche Gelegenheit, unsere zielführenden steuerpolitischen Erfolge darzustellen.
({0})
Darüber hinaus können wir den Unterschied zum Steuererhöhungskartell der Opposition klarstellen. Ihre Weihnachtsgeschichte war doch wirklich voll daneben. Das,
was Sie hier in der Weihnachtsgeschichte verpackt haben, kann ich nur ablehnen und infrage stellen. So kann
man das sicher nicht sehen.
({1})
Wir betreiben eine Steuerpolitik, die Wachstum fördert und die die Leistungsbereitschaft der Bürger stärkt.
Dagegen können Sie immer nur die Steuerschraube weiter anziehen. Das Abkassiermodell heißt in diesem Haus
seit jeher: Rot-Rot-Grün.
({2})
Mit dieser Aktuellen Stunde können wir darstellen,
was gemacht wurde und was wir noch auf der Agenda
haben.
({3})
Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, mit dem
Umsatzsteuer-Änderungsgesetz, mit dem Steuervereinfachungsgesetz, mit der Neuordnung der steuerlichen
Abzugsfähigkeit von Ausbildungskosten, mit dem
Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, mit dem Gesetz zur
steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen haben wir in den letzten zwei Jahren eine
ehrgeizige Steuerpolitik betrieben. Da können wir Erfolge vorweisen. Das sind steuerpolitische Schritte auf
dem richtigen Weg, um Wachstum zu erzielen und die
Leistungsfähigkeit unserer Bürger weiter zu stärken.
Dieser Wachstumsimpuls, insbesondere mit dem
Wachstumsbeschleunigungsgesetz, hat uns letzten Endes
({4})
die Finanz- und Wirtschaftskrise überstehen lassen. Mit
dem Gesetz haben wir einen starken Wachstumsimpuls
gesetzt, um rasch und gestärkt aus dieser Krise herauszukommen. Deswegen haben wir jetzt die positive Situation auf dem Arbeitsmarkt, einen Rückgang der
Jugendarbeitslosigkeit. Das ist der Erfolg des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, ein wesentliches Steuergesetz unserer Legislaturperiode.
({5})
Wir haben die Bürger und die Unternehmen um
8,5 Milliarden Euro entlastet. Die größte Einzelmaßnahme hat Familien und Kindern geholfen. Allein die
Anhebung der Kinderfreibeträge und des Kindergeldes
hat Familien mit Kindern um rund 4,6 Milliarden Euro
entlastet.
Wir haben mit dem Umsatzsteuer-Änderungsgesetz
die Istbesteuerung auf eine Jahresumsatzgrenze von
500 000 Euro angehoben, um den kleinen und mittelständischen Unternehmen stabil und dauerhaft zu helfen,
Liquiditätsengpässe zu überbrücken und einen Beitrag
zu Beschäftigung und Wachstum in diesen Betrieben zu
leisten. Das ist ein echter Erfolg.
({6})
Wir haben mit der Steuervereinfachung den Steuerdschungel gelichtet. Die Steuererklärung kann künftig
einfacher, schneller und auch papierlos erledigt werden.
Damit ist eine steuerliche Entlastung in der Größenordnung von immerhin 590 Millionen Euro verbunden.
Ich darf den Arbeitnehmerpauschbetrag in Erinnerung rufen, den wir von 920 Euro auf 1 000 Euro erhöht
haben. Insgesamt 21,6 Millionen Arbeitnehmer haben
keinen Einzelnachweis mehr zu führen. Das ist ein großer Vereinfachungsbeitrag, den wir geleistet haben. Wir
haben die Unternehmen vom Bürokratieaufwand entlastet.
Jetzt haben wir das Gesetz zum Abbau der kalten Progression.
({7})
Wir haben das Thema Steuergerechtigkeit angepackt. Es
geht um 6 Milliarden Euro Entlastung. Wir machen das
Gegenteil von dem, was Sie machen: Sie wollen die
Leute immer mehr belasten und immer neue Steuererhöhungen vornehmen. Das ist das Abkassiermodell, das
Sie betreiben. Wir haben dagegen eine leistungsfreundliche und absolut arbeitnehmerfreundliche Lösung, insbesondere bei der kalten Progression und bei den heimlichen Steuererhöhungen.
({8})
Deswegen ist es wichtig, dass wir diese steuerliche Maßnahme voranbringen.
Ich kann Sie nur bitten: Kommen Sie auf den Weg der
steuerpolitischen Vernunft! Nehmen Sie die Blockade in
der Steuerpolitik zurück! Was Sie im Bundesrat an Blockade betreiben, insbesondere bei der Gebäudesanierung, ist unsäglich.
({9})
Deswegen können Sie hier nicht mit einer Aktuellen
Stunde punkten. Sie sollten vielmehr Vernunft walten
lassen und zur Entlastung unserer Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen die Steuerpolitik unterstützen.
({10})
Petra Hinz hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Danke, Frau Präsidentin. - Jedes Mal, wenn es hier
um das Thema Steuerpolitik oder, wie heute, um die Ankündigungen der Regierung zu den unterschiedlichen
steuerpolitischen Gesetzen geht, habe ich den Eindruck,
Sie müssen sich selbst gebetsmühlenartig Zuspruch zureden, damit Sie das, was Sie vortragen, auch wirklich
glauben. Glauben Sie in der Tat, einer von uns oder der
Sachverständigen glaubt das, was Sie vortragen?
({0})
Sie bringen als Schlagworte, dass wir abkassieren
wollen. Dabei bedeuten Ihre Geschenke für Niedrigverdiener 1,41 Euro mehr. Davon können sie sich nicht einmal eine Tasse Kaffee im Monat leisten. Das sind Ihre
Steuergeschenke.
({1})
Hören Sie also auf, permanent Ihre platten Sprüche zu
klopfen!
({2})
Mehr steckt nicht dahinter. Man kann auch sagen: Es ist
heiße Luft, die man sich schenken kann.
({3})
Nach zwei Jahren schwarz-gelber Regierung ist nicht
einmal eine Bilanz zu ziehen. Man möchte vielmehr eine
Art Moderator vermitteln, damit die ganze krisengeschüttelte Regierung endlich einmal zum Zuge kommt.
({4})
Denn das, was Sie hier darbieten, schadet nicht nur der
FDP und der Regierung, sondern der Politik insgesamt.
Aber das ist ein anderes Thema.
({5})
Das Schauspiel hat heute mit Herrn Lindner, der zurückgetreten ist, seinen Höhepunkt gefunden.
({6})
Einen Einstieg in den Ausstieg: Das wäre schön für unser Land.
Das Einzige, was CDU/CSU und FDP in den zurückliegenden zwei Jahren an einem fulminanten Steuerkonzept umgesetzt haben, ist die Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für die Hotelklientel, die hier beschlossen
wurde. Daraus ist kein Wirtschaftswachstum erwachsen,
ganz im Gegenteil. Die Kolleginnen und Kollegen haben
in den zurückliegenden Debatten bereits deutlich gemacht, wen das etwas kostet, nämlich den Bürger.
Gerade nach der zum Thema Europa geführten Debatte gilt für all das, was hier beschlossen worden ist:
Wir werden mit Sicherheit einen Nachtragshaushalt einbringen. Sie stellen sich hier breitbrüstig hin und versprechen den Menschen draußen an den Bildschirmen
Steuergeschenke. Aber das geht auf Kosten der jungen
Menschen - auch derjenigen, die gerade auf der Tribüne
sitzen -, die eine Zukunftsperspektive suchen. Investieren Sie doch in Bildung, Ausbildung und Mindestlöhne!
Das wäre eine faire und gerechte Politik. Aber das, was
Sie hier darbieten, ist es nicht.
({7})
Im Übrigen glaubt keiner mehr, dass Sie Ihr angekündigtes Steuerkonzept umsetzen werden. Das sagen sogar
Ihre eigenen Leute, zum Beispiel Petra Roth.
({8})
- Claudia Roth.
({9})
- Ich meine natürlich Petra Roth. Meine Herren, wenn
ich zu Ihrer Belustigung beitragen kann, gerne. Aber das
zeigt Ihr Niveau. Dass Sie eine Kollegin, die gerade versucht, zum Thema Steuerehrlichkeit zu reden, in die
Pfanne hauen, ist großartig. Sie sind wirklich Gentlemen. Sie sind Politiker! Toll, klasse!
({10})
Die Kommunen sind nicht in der Lage, Steuersenkungen zu finanzieren. Selbst der DGB macht deutlich, dass
Ihre geplante Steuersenkung zu Gebührenerhöhungen
und zur Kürzung öffentlicher Leistungen führt. Leidtragende sind Niedrigverdiener und Familien mit geringem
Einkommen. Sie halten im Prinzip Steuergelder - dies
macht Petra Roth in ihren Reden immer wieder deutlich;
das Thema Betreuungsgeld will ich hier gar nicht ansprechen; darüber wurde schon oft diskutiert - für Familien bereit, die ihre Kinder zu Hause behalten und von
Bildung fernhalten wollen, obwohl Sie in Sonntagsreden
immer wieder behaupten, alle Familien entlasten zu wollen.
Der Finanzminister hat eine Kommission eingesetzt,
die eigentlich die Gewerbesteuer abschaffen sollte. Das
hat er nicht geschafft. Wir hätten uns anderthalb Jahre
sparen können.
({11})
Sie haben zur Verunsicherung der Kommunen beigetragen. Die Kanzlerin hat auch heute noch einmal die Stärkung des Wachstums beschworen. Aber letzten Endes
tragen Ihre Steuerpläne - ein entsprechendes Konzept
Petra Hinz ({12})
liegt noch nicht einmal vor - nicht zur Stärkung des
Wachstums bei, sondern belasten ohne Not zukünftige
Generationen weiter. Was ist denn im Übrigen aus den
24 Milliarden Euro geworden, die Sie im Wahlkampf als
Steuerentlastung versprochen haben? - Läppische 6 Millionen Euro! Das kann ich Ihnen von der FDP nicht ersparen: Diese 6 Millionen kommen den 6 Prozent, die
Sie, wenn überhaupt, noch haben, gleich.
Unter dem Strich: Die Sachverständigen sowie die
Vertreterinnen und Vertreter des Städtetages und des Gemeindebundes sagen ganz klar Nein zu Ihren Steuergeschenken.
({13})
Die Bürgerinnen und Bürger rufen Ihnen zu, diese Steuergeschenke sein zu lassen, weil alles auf Pump finanziert ist. Der Bürger zahlt letzten Endes die Zeche. So
viel zu Ihrem Konzept.
({14})
Der Kollege Dr. Volker Wissing hat das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Hinz, Sie sollten Ihr Bild von den Geschenken sein lassen. Wir arbeiten hart daran,
({0})
die kalte Progression abzumildern; denn wir sind nicht
damit einverstanden, dass die Menschen, die im Durchschnitt eine Lohnerhöhung von 1,8 Prozent bei einer Inflationsrate von 2,5 Prozent bekommen, nach getaner
harter Arbeit leer ausgehen.
({1})
Wir wollen, dass den Menschen etwas von den erhaltenen Lohnerhöhungen bleibt.
({2})
Frau Kollegin Hinz, die Lohnerhöhungen, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ihre Leistungen
bekommen haben, sind keine Geschenke,
({3})
sondern haben sich die Menschen erarbeitet. Deswegen
sollten Sie aufhören, von Geschenken zu sprechen. Sie
verhöhnen sonst die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland, die sich das redlich verdient haben.
({4})
Sie reden im Zusammenhang mit der kalten Progression immer von Geschenken.
({5})
Damit sagen Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aber nichts anderes als: Wenn ihr Lohnerhöhungen
bekommt, dann sind das Geschenke, und die gehören
dem Staat und nicht euch.
({6})
Das sehen wir anders.
({7})
Sie wären gut beraten, das auch anders zu sehen und das
Bild von den Steuergeschenken beiseitezulegen. Sie liegen da schlicht falsch.
({8})
Sie sagen, dass wir die Kommunen belasten würden.
({9})
- Herr Trittin, Sie klatschen jetzt schön. Auch Sie sollten
nicht überheblich werden, sondern darüber nachdenken,
wie die Realität aussieht.
({10})
Nun hatten Sozialdemokraten und Grüne den Kommunen ein ordentliches Problem geschaffen. Dieses Problem konnte nicht ungelöst bleiben. Das Bedauerliche
ist, dass Sie an der Lösung des Problems nicht mitgewirkt, Ihre Kommunalpolitiker vor Ort aber immer gesagt haben, es sei so schlimm und die Kommunen hätten
kein Geld. Die haben nur nicht dazugesagt, dass SPD
und Grüne das Problem geschaffen haben.
({11})
Das Problem konnte so nicht bleiben. Deswegen hat
diese Koalition gesagt: „Wir machen die kommunalen
Finanzen zu einem zentralen Thema“,
({12})
und hat die Kommunen jetzt mit über 4 Milliarden Euro
entlastet - um es einmal konkret zu machen, Herr Kollege Scheelen.
({13})
Jetzt wollen wir festhalten: Rot-Grün hat die Kommunen belastet.
({14})
CDU/CSU und FDP haben die Kommunen um 4 Milliarden Euro entlastet. Da sollten Sie sich, Frau Kollegin
Hinz, doch nicht hier hinstellen und uns vorwerfen, wir
würden Finanzpolitik auf Kosten und auf dem Rücken
der Kommunen machen. Das ist schlicht falsch.
({15})
Aber Sie könnten einmal mit Ihren Landesregierungen
reden. Wo Sie regieren, schöpfen Sie nämlich den Vorteil, den wir für die Kommunen schaffen, indem wir die
Kosten für die Grundsicherung im Alter übernehmen,
ab, indem Sie die Zuschüsse des Landes für die Kommunen streichen.
({16})
Es ist schäbig, dass man die Hilfe von Schwarz-Gelb als
SPD in die eigenen Taschen steckt, anstatt sie den Kommunen zugutekommen zu lassen.
({17})
Jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen, wir hätten
noch viel mehr von dem machen müssen, was wir den
Wählern versprochen haben. Nun ist es so, dass wir seit
einigen Jahren eine schwere Staatsverschuldungskrise zu
bewältigen haben
({18})
und dass wir zu Recht gesagt haben: Wir können nicht
kurzfristig überschauen, was wir in dieser Legislaturperiode steuerpolitisch noch machen können.
Sie müssen den folgenden Widerspruch einmal aufklären: Einerseits wollen Sie CDU/CSU und FDP vorführen, weil die nicht noch mehr steuerlich entlastet haben, aber andererseits beschließen Sie auf Ihren
Parteitagen massive Steuererhöhungen. Was wollen Sie
denn jetzt? Wollen Sie uns bei der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger unterstützen, oder gilt das, was Sie
auf Ihren Parteitagen beschlossen haben, nämlich Steuererhöhung für jedermann?
({19})
Diese Frage müssen Sie einmal beantworten.
({20})
Frau Kollegin Hinz, als Sie unter Rot-Grün - die Grünen werden ja auch noch das Wort ergreifen - damals
eine große Steuersenkung in Deutschland beschlossen
haben, haben Sie das auf Pump finanziert. Jetzt schreien
Sie durch die ganze Republik: Keine Steuersenkung auf
Pump! Was wir machen, ist eine sehr kluge Steuerreform, eine sehr gerechte Steuerreform,
({21})
weil wir das Problem der kalten Progression abmildern.
Gleichzeitig konsolidieren wir den Bundeshaushalt. Wir
machen also nicht den Fehler von Rot-Grün, Steuersenkungen auf Pump zu finanzieren. Das war Ihre Politik.
({22})
Wir machen eine Steuerreform für mehr Steuergerechtigkeit mit Haushaltskonsolidierung. Deswegen sollten
Sie Aktuelle Stunden wie heute besser nicht beantragen,
Frau Kollegin. Denn all das, was Rot-Grün und andere
früher falsch gemacht haben, wird jetzt unter CDU/CSU
und FDP richtig gemacht.
Was Sie von grüner Seite anzubieten haben, ist eine
Erhöhung der Erbschaftsteuer, die Einführung einer Vermögensteuer und eine höhere Einkommensteuer. Letzteres bedeutet im Übrigen nichts anderes als die Belastung
von mittelständischen Betrieben, weil die Einkommensteuer - das wissen Sie genauso gut wie wir - der Unternehmensteuersatz des Mittelstandes ist. Die SPD findet
das auch alles toll; Handwerker sollen jetzt zur Kasse gebeten werden, und die Gewerbesteuer für freie Berufe
soll eingeführt werden.
Das alles kann ja keine gerechte Politik sein. Wir werden auf unserem Weg bleiben:
({23})
so viel Steuergerechtigkeit wie möglich, so viel Entlastung wie möglich, aber Vorrang für die Haushaltskonsolidierung. Dass das beides geht, sehen Sie an dem Entwurf, den das Kabinett jetzt verabschiedet hat. Sie wären
gut beraten, wenn Sie uns im Bundesrat dabei unterstützen würden; denn die Menschen warten und hoffen darauf, dass die kalte Progression abgemildert wird. Im
Übrigen werden wir einen Paradigmenwechsel erreichen, indem wir die regelmäßige Überprüfung und Anpassung mit in das Gesetz aufnehmen werden. Damit
werden wir in Deutschland ein gerechteres Steuersystem
haben. Wir gehen genau in die richtige Richtung.
({24})
Weil Sie in die exakt andere Richtung wollen,
({25})
macht es keinen Sinn, uns immer wieder vorzuwerfen,
wir sollten noch mehr von dem umsetzen, was wir gesagt haben. Besser wäre es, Sie würden sich an Ihre eigenen Fehler erinnern und uns auf dem Weg der besseren
Politik unterstützen.
({26})
Jetzt hat Christine Scheel für Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin nun seit 25 Jahren in der aktiven Politik, und ich
muss sagen: Ich habe noch keine Regierung erlebt, die
zu Beginn einer Legislaturperiode in einem Koalitionsvertrag so viele Versprechungen gemacht hat und die
derartig die Backen aufgeblasen hat, was sie alles tun
will, bei der aber am Ende so gut wie nichts herausgekommen ist.
({0})
Wenn man die Gesamtsituation betrachtet, stellt man
fest, dass Sie von der Koalition nicht in der Lage sind,
steuerpolitische Maßnahmen in gesamtstaatliche Entwicklungen einzubetten oder zu reflektieren, in welch
schwieriger finanzieller Situation wir uns angesichts der
Schuldenkrise auch in Deutschland befinden. Die gesamte Staatsverschuldung beträgt 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der zweitgrößte Haushalt des Bundes
erfährt wegen der Zinsbelastung einen stetigen Aufwuchs.
({1})
Niemand weiß, wie sich das Zinsniveau in den Jahren
2012 und 2013 entwickeln wird und welche Risiken dieser Haushalt birgt.
({2})
Ferner ignorieren Sie völlig, wie die wirtschaftliche Entwicklung nach den Ankündigungen aller Wirtschaftsforschungsinstitute im nächsten Jahr vermutlich sein wird.
Trotzdem sagen Sie von der FDP, wir hätten Spielraum
für Steuersenkungen. Herr Wissing sagt, dass die FDP
auf diesem Weg bleibt. Ich kann Ihnen dazu nur sagen:
Dieser Weg hat Sie zu einer 3-Prozent-Partei geführt,
und dieser Weg wird Sie auch noch zur 1-Prozent-Partei
führen.
({3})
Sie betreiben die falsche Politik, weil Sie nicht in der
Lage sind, die Gesamtsituation zu betrachten, und weil
Sie glauben, mit steuerpolitischen Maßnahmen eine bestimmte Klientel bedienen zu müssen. Sie hoffen, das
reicht für die nächste Wahl.
({4})
Das reicht aber nicht für die nächste Wahl; denn die Bürger und Bürgerinnen erwarten, dass das, was Sie versprochen haben, auch umgesetzt wird. Wo sind wir denn
heute mit der Umsatzsteuerreform? Wenn die Cateringfirma das Essen in der Kinderkrippe auf einem Porzellanteller serviert, beträgt die Umsatzsteuer 19 Prozent,
serviert sie aber auf einem Pappteller, dann beträgt die
Umsatzsteuer 7 Prozent.
({5})
Diese Absurditäten, meine lieben Damen und Herren
von den Regierungsfraktionen, sollten wir endlich beenden.
({6})
Dazu braucht es Mut, und dieser Mut ist Ihnen generell
abhandengekommen, wenn es um Reformwerke geht.
Nicht einmal die Kommission, deren Einrichtung Sie
versprochen haben, ist zum Einsatz gekommen.
({7})
Schauen wir uns das nächste Thema an, die Körperschaftsteuer. Wie geht es damit weiter? Wir haben in
Deutschland Niederlassungsfreiheit. Sie beklagen dauernd, dass Unternehmen, die hier Gewinne erwirtschaften, aufgrund komplexer Verrechnungsmethoden teilweise im Ausland besteuert werden. Wo sind denn Ihre
Vorgaben für eine einheitliche Bemessungsgrundlage in
Europa? Welche Prioritäten setzen Sie denn in diesem
Kontext?
({8})
Es gibt keine einzige Aussage zu diesem extrem wichtigen Thema einer Unternehmensbesteuerung für die Bundesrepublik Deutschland und Europa.
Kommen wir zur Einkommensteuer. Sie feiern, dass
Sie den Arbeitnehmerpauschbetrag angehoben haben. Es
handelt sich um 80 Euro. Nett, gut, auch wir wollten das
schon lange. Das ist auch in Ordnung.
({9})
Aber schauen Sie sich an, wie die großen Unternehmen
und wie der Mittelstand steuerlich behandelt werden.
({10})
Sie sprechen von einem Thesaurierungsangebot durch
steuerliche Maßnahmen, aber wir sehen, dass dieses Angebot überhaupt nicht in Anspruch genommen wird.
4 Milliarden Euro werden im Haushalt verbucht, aber
die Maßnahme wird nicht umgesetzt, weil sie viel zu
kompliziert ist. Auch dazu sagen Sie nichts. Das ist aber
das, was die Wirtschaft interessiert. Sie verweisen immer nur auf ein paar Regelungen, die Sie in der Vergangenheit gemacht haben und die teilweise auch noch grottenfalsch gewesen sind.
({11})
Wir erwarten schon, dass man sagt, wohin es geht und
welche Linie verfolgt wird. Es ist doch von Ihnen konChristine Scheel
zeptionell im Zusammenhang mit der Finanzpolitik und
der Frage, was der Staat zum Beispiel im Bildungs- und
Forschungssektor zu finanzieren hat, kein einziger Vorschlag gekommen. Selbstverständlich brauchen wir
- das sage ich für die Besucher und Besucherinnen, für
Jung und Alt, die auf der Tribüne sitzen - Steuereinnahmen, mit denen wir die Infrastruktur in der Zukunft
finanzieren können.
({12})
Deshalb kann man in der jetzigen Lage keine Steuern
senken. Diese Tatsache wird leider ignoriert, und das finden wir sehr bedauerlich. Das, was Sie versprochen haben, erfüllen Sie nicht. Das, was man von Ihnen erwarten müsste, erfüllen Sie ebenfalls nicht. Deswegen
brauchen Sie sich auch nicht zu wundern, dass es Ihnen
in den Umfragewerten so geht, wie es Ihnen geht. Es sei
Ihnen gegönnt.
({13})
Wir sind der Meinung: Wir brauchen ein Gesamtkonzept zur Finanzierung der notwendigen Zukunftsmaßnahmen. Die Grünen haben ein solches Konzept vorgelegt. Es ist solide durchgerechnet. Das Ganze ist gut
finanzierbar. Das wird das sein, was wir für die Zukunft
dringend brauchen.
Vielen Dank.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist meine letzte
Rede, denke ich.
({15})
- Danke schön, Herr Fraktionsvorsitzender Jürgen
Trittin. - Ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken, und zwar fraktionsübergreifend. Mein Dank ist
in erster Linie natürlich an meine eigene Fraktion gerichtet. Er geht aber auch an die anderen Fraktionen. Es gab
in all den Jahren sehr viele gute Gespräche; ich bin mittlerweile 17 Jahre im Bundestag. Es gab auch die eine
oder andere Anregung. Ich möchte an dieser Stelle auch
einmal betonen - es heißt ja immer: Politik ist total zerstritten -: Wir haben gemeinsam vieles nach vorne
gebracht. Es gibt an manchen Stellen auch Gemeinsamkeiten. Wenn etwas vernünftig ist, wird es von den Fraktionen gemeinsam vorangebracht.
({16})
Das ist etwas, was man nie vergessen sollte. Ich
werde mich mit Sicherheit an sehr viel erinnern. Wie es
immer so ist: Man geht mit einem lachenden und einem
weinenden Auge. Ich gehe in einer Situation, in der ich
sage: Ich bin mit mir völlig im Reinen. Ich freue mich
auf meine neue Herausforderung, einem Konzern nachdringlich dabei zu helfen, zu einem Nachhaltigkeitskonzern zu werden. Diese Aufgabe wird eine große sein;
aber sie ist wunderbar.
Ich danke Ihnen allen noch einmal ganz herzlich. Ich
wünsche Ihnen alles Gute. Ich wünsche Ihnen ein Jahr
2012 ohne diese extremen Verwerfungen, die es 2011
gab; das liegt in unser aller Interesse. Ich hoffe natürlich,
dass es 2013 eine andere Regierung gibt.
Danke schön.
({17})
Liebe Frau Scheel, Sie gehören dem Bundestag seit
1994 an und haben Ihre Arbeit hier so kämpferisch wie
kenntnisreich gemacht. Sie sind geschätzt für Ihre sachlichen Beiträge, aber auch für Ihre heitere Gelassenheit.
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten, fast Jahren viel über Frauen in Führungspositionen in Unternehmen diskutiert. Ich freue mich persönlich sehr, dass Sie
eine solche Aufgabe übernehmen werden, und wünsche
Ihnen im Namen des gesamten Hauses, aber auch ganz
persönlich für das, was vor Ihnen steht, viel Erfolg, eine
glückliche Hand, natürlich Durchsetzungskraft, auch gedeihliche Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen und
Gottes Segen. Alles Gute!
({0})
Der Kollege Dr. Frank Steffel hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Scheel, Sie haben zu Recht angemahnt, dass man
das Gesamte und das Große betrachten und dass man
auch Gemeinsamkeiten betonen soll. Ich will dem einmal insofern folgen, als dass ich den schwierigen Versuch unternehme, Steuerpolitik an ihrem Ergebnis zu
messen. Ich definiere dazu drei Ziele, die uns vielleicht
Gemeinsamkeit bescheren.
Ziel Nummer eins aus meiner Sicht sind Wachstum
und Beschäftigung. Ziel Nummer zwei ist die Reduzierung von Schulden, und Ziel Nummer drei sollte Steuergerechtigkeit sein. Jetzt möchte ich mich bemühen, diese
drei Ziele an den Ergebnissen der Politik der amtierenden Bundesregierung zu messen.
Wachstum und Beschäftigung: Wir können zufrieden
feststellen, die Zahl der Arbeitslosen ist von über 5 Millionen auf 2,7 Millionen fast halbiert worden.
({0})
Wir können weiterhin feststellen, dass die Zahl der
Arbeitsplätze seit 2005, als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, von 38,7 Millionen auf 41,6 Millionen, also
um fast 3 Millionen, gestiegen ist. Das entspricht übrigens fast dreimal der Zahl der Beschäftigten, die die
deutsche Hauptstadt Berlin hat, um diese abstrakte Zahl
einmal einzuordnen.
Wir können feststellen, dass die Wirtschaftsleistung
nicht mehr um 4,7 Prozent zurückgeht, sondern wir als
Wachstumslokomotive in Europa Gott sei Dank circa
3 Prozent Wachstum haben.
Wir können auch feststellen - das freut uns alle gemeinsam sicherlich -, dass der Aufschwung bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und bei den Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland in Form von
steigenden Renten und steigenden Einkommen und Löhnen ankommt.
({1})
Wir können uns darüber hinaus freuen, dass bei den
Sozialversicherungsbeiträgen der Rentenversicherungsbeitrag zum 1. Januar 2012 von 19,9 Prozent auf
19,6 Prozent gesenkt wird.
({2})
Auch diese Reduzierung an Belastung kommt bei den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an.
Also: Wachstum und Beschäftigung, das erste Ziel,
hat die Bundesregierung erreicht.
({3})
Ich komme zum zweiten Ziel.
({4})
Das zweite Ziel von Steuerpolitik sollte Schuldenreduzierung bzw. solide Haushaltsführung sein.
Wir können feststellen, dass statt der knapp 40 Milliarden Euro Schulden, die ohne Krise unter Rot-Grün
Herr Eichel zwei Jahre nacheinander gemacht hat und
die mit Krise Finanzminister Steinbrück zwei Jahre lang
gemacht hat, der amtierende Finanzminister Schäuble
wahrscheinlich in wenigen Wochen der deutschen Öffentlichkeit eine Nettoverschuldung von unter 20 Milliarden Euro wird vorstellen können. Das heißt, wir haben nicht nur die Schuldenbremse durchgesetzt und
werden sie auch einhalten, sondern wir unterbieten sogar
die ehrgeizigen Ziele der Schuldenbremse und sorgen
dafür, dass steigende Steuereinnahmen auch zu weniger
Schulden führen.
Und auch das sei erwähnt: Wir werden im Jahr 2012
- das ist ein historisches Novum in der Geschichte der
Republik - einen Bundeshaushalt vorlegen, in dem die
geplanten Ausgaben unter den geplanten Ausgaben von
2011 liegen. Meine Damen und Herren, das ist die nachhaltige und verantwortungsvolle Steuer- und Haushaltspolitik dieser Bundesregierung.
({5})
Ich will auch etwas zum Thema Steuereinnahmen sagen. Es wurde hier ja der Eindruck erweckt, in diesem
Bereich wurde nichts getan. Die Steuereinnahmen sind
von 2005 bis 2010 gesamtstaatlich von 452 Milliarden
Euro auf 571 Milliarden Euro gestiegen. Das heißt, die
deutsche Bevölkerung hat 120 Milliarden Euro mehr
Steuern gezahlt, aber im Wesentlichen nicht aufgrund
von Steuererhöhungen, sondern aufgrund steigender
Einkommen, mehr Konsum und mehr Wohlstand und all
den anderen Folgen, die im Zusammenhang mit dem
Aufschwung für den Haushalt verbunden sind.
Damit können wir feststellen: Auch das zweite Ziel
- deutliche Verbesserung des Haushalts - haben wir erreicht.
Ich komme zum dritten Ziel: Steuergerechtigkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, drei Zahlen: Das untere Drittel der Lohn- und Einkommensteuerzahler in der
Bundesrepublik Deutschland zahlt 0,6 Prozent des
Lohn- und Einkommensteueraufkommens. 30 Prozent
der Menschen zahlen unter 1 Prozent der Steuern. Die
oberen 10 Prozent, die Sie immer weiter belasten wollen,
zahlen heute schon über 55 Prozent der Lohn- und Einkommensteuern in Deutschland.
({6})
Eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern
zahlt bis knapp 40 000 Euro Einkommen in Deutschland
überhaupt keine Steuern. Sozialer geht es nicht. Weniger
Steuern als null geht auch nicht. Also ist auch die Steuergerechtigkeit bei dieser Regierung in guten Händen.
Darüber hinaus wollen wir die Progression abbauen
und dafür sorgen, dass Menschen, die sich mehr Einkommen erarbeiten, wenigstens ein bisschen davon behalten können.
Also: Auch das dritte Ziel scheint erreicht zu sein.
({7})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, die nächsten
Ziele auch zu unterstützen. Blockieren Sie nicht aus
ideologischen oder parteitaktischen Gründen notwendige Maßnahmen im Bundesrat, sondern sorgen Sie dafür, dass auch der Aufschwung der nächsten zwei Jahre
bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie
bei den Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland ankommt! Denn wir sollten Politik in Deutschland an den
Ergebnissen messen und nicht an irgendwelchen Ideologien ausrichten.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Das ist denkbar. Ja, ich glaube, der Hans Michelbach
hat recht. Jetzt gibt es eine Märchenstunde; denn ich
werde sehr viel aus der Koalitionsvereinbarung zitieren.
({1})
Ich möchte dem Kollegen Dr. Steffel noch sagen
- denn der hat ja die Parameter, die heute so gut aussehen, zitiert -:
({2})
Sie sollten ergänzend noch einmal über den zeitlichen
Wirkungszusammenhang nachdenken, der zwischen einer Gesetzgebung und der wirtschaftlichen Lebenswirklichkeit der Menschen besteht. Denn möglicherweise ist
es ja so, dass sich, wenn wir heute ein Gesetz in Kraft
setzen, noch nicht morgen die Wirklichkeit für die Menschen ändert. Vielleicht liegt ja dazwischen ein gewisser
Zeitraum. Wer darüber nachdenkt, der merkt, wessen
Früchte Sie heute ernten und aus wessen Garten.
({3})
Ich will die Steuerpolitik am Ergebnis messen und ein
bisschen zitieren:
Die Bemühungen im Kampf gegen die internationale Steuerhinterziehung werden wir
- also Sie weiter vorantreiben.
({4})
Schauen wir einmal genauer nach! Das ist ein starker
Satz. Was machen Sie? Sie beschließen das DeutschSchweizer Steuerabkommen mit der bekannten Zielrichtung. Können Sie mir das erklären? Die Schweizer Banken sollen vorab 1,9 Milliarden Euro überweisen. Das
Gesetz tritt aber erst 2013 in Kraft.
({5})
Bis zum Jahr 2013 können alle ihre kriminell erworbenen Gewinne irgendwohin verlagern. Das ist eigentlich
ein Schutz von solchen Leuten durch solche Abkommen
- Sie wissen das ganz genau -; das ist eine Amnestie für
Altfälle. Sie wollen künftig sogar vermeiden, dass man
CDs auswertet. Ich glaube, dass Sie dieses Ziel in Ihrer
Koalitionsvereinbarung verfehlt haben. Wir fassen zusammen: Fehlanzeige.
({6})
Wir werden insbesondere die unteren und mittleren
Einkommen vorrangig entlasten
({7})
und gleichzeitig den Mittelstandsbauch abflachen,
indem wir den Einkommensteuertarif zu einem
Stufentarif umbauen.
Muss ich mehr sagen als „Fehlanzeige“? Fehlanzeige!
({8})
- Gott sei Dank, natürlich. Aber eine Fehlanzeige ist
manchmal eben doch eine Fehlanzeige.
Martin Gerster hat das schön erklärt. Der hat gesagt:
Das Dreistufenmodell funktioniert so: Vor der Wahl
wollte man 35 Milliarden Euro Steuersenkung. In der
Koalitionsvereinbarung steht: 24 Milliarden Euro Steuerentlastung. Im April 2010 sprachen Sie von 16 Milliarden Euro. Heute sind es noch 6 Milliarden Euro.
({9})
Von wem werden diese 6 Milliarden Euro interessanterweise eigentlich bezahlt? Von denen, die Sie entlasten
wollen! Denn das Ganze ist ja auf Pump, mit einer zusätzlichen Belastung im Haushalt von 180 Millionen
Euro pro Jahr. Wer muss die aufbringen? Die Steuerzahler, wobei Sie behaupten, dass Sie sie entlasten wollen!
Das muss man verstehen.
({10})
Insofern: Steuerentlastung auf Pump - das ist wohl
wahr -, die Ziele aus Ihrer Koalitionsvereinbarung werden wieder nicht erreicht. Das ist eine Fehlanzeige. Was
ich wenigstens erwartet hätte - da muss ich ein wenig
nach rechts schauen -: dass von den 1 000 Anträgen in
dem dicken FDP-Haushaltssparbuch wenigstens einige
dazu hätten herangezogen werden können, um diese
6 Milliarden Euro zu finanzieren. Kein einziger wurde
dazu herangezogen!
({11})
Es wird nur in die Neuverschuldung gegangen. Das müssen Sie natürlich erklären; insbesondere da Sie wissen,
dass die reichen Leute von dieser Reform sehr viel haben, die armen Leute relativ wenig und die ganz armen
gar nichts.
In der Koalitionsvereinbarung steht:
Deshalb wollen wir, dass Steuern „einfach, niedrig
und gerecht“ sind.
Das Gegenteil ist der Fall. Ich würde sagen - bezogen
auf Ihre Koalitionsvereinbarung -: Fehlanzeige.
Lothar Binding ({12})
Das Steuersystem und das Besteuerungsverfahren
werden wir deutlich vereinfachen und für die Anwender freundlicher gestalten.
Sie können sich ja einmal mit dem Steuerberaterverband unterhalten: Fehlanzeige.
({13})
Wir werden dafür sorgen, dass sich Arbeit lohnt,
dass den Bürgern mehr Netto vom Bruttoeinkommen bleibt.
Ich würde zusammenfassend sagen: Fehlanzeige. Die
1 oder 2 Euro, die Sie den Armen pro Monat zurückgeben wollen, nehmen Sie ihnen dann aus der anderen Tasche, bei der Pflege, wieder heraus. Sie müssen sich
überlegen, was Sie mit diesem Begriff bezogen auf Ihre
Koalitionsvereinbarung anfangen.
Wir werden insbesondere … die Besteuerung der
Rentnerinnen und Rentner so vereinfachen, dass
kein aufwändiges Kontrollmitteilungsverfahren und
keine separate Erklärungspflicht für die Rentenbezüge mehr notwendig ist …
Unterhalten Sie sich einmal mit Rentnern, die davon
betroffen sind! Ich würde zusammenfassend sagen:
Fehlanzeige.
({14})
Wir werden …
- jetzt wieder ein starkes Wort! grundsätzlich rückwirkend gesetzgeberische Maßnahmen vermeiden, welche die Bürger belasten, dafür sorgen, dass … die Praxis der Nichtanwendungserlasse zurückgeführt wird …
Wer sich die Veröffentlichung über die Nichtanwendungserlasse vom 7. Januar 2010 einmal genauer anschaut, der wird sehen, dass drei Monate nachdem die
Tinte unter diesem Koalitionsvertrag getrocknet war, genau diese Ankündigung schon wieder gebrochen wurde.
Die Zusammenfassung lautet: Fehlanzeige.
({15})
Wir werden eine Kommission zur Erarbeitung von
Vorschlägen zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung einsetzen. Diese soll auch den Ersatz der
Gewerbesteuer …
Den Rest des Zitats spare ich mir jetzt.
({16})
Wir sind froh, dass Sie hier „Fehlanzeige“ sagen müssen; denn das war eine falsche Vorentscheidung in der
Menge aller Fehlentscheidungen. Gott sei Dank, dass
dieses Desaster abgewendet werden konnte.
({17})
Noch ein letzter Punkt: Sie wollten auch den Holdingstandort Deutschland stärken, und zwar durch die Einführung eines „modernen Gruppenbesteuerungssystems“
anstelle der bisherigen Organschaft. Schauen Sie einmal
auf Ihre Gesetzgebung!
Die Zusammenfassung all dessen, was ich vorgetragen habe, heißt - Sie werden es kaum glauben -: Fehlanzeige. Damit möchte ich alles zusammenfassen, was wir
heute unter diesem Tagesordnungspunkt zu diskutieren
hatten. Insofern glaube ich, dass Sie Ihre steuerpolitischen Ankündigungen einmal an der Wirklichkeit messen müssen. Dann sollten Sie selber feststellen: Fehlanzeige.
({18})
Ich mache darauf aufmerksam, dass es bei der Uhr
hier vorn keine Fehlanzeige gibt. Ich bitte also, das zu
beachten.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Daniel Volk für die
FDP-Fraktion.
({1})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die doch sehr oft lautsprecherischen
Äußerungen der Opposition in der heutigen Aktuellen
Stunde zeigen, dass Sie hier offenbar eher mit Lautstärke
punkten wollen, weil Sie nämlich selber wissen, dass Sie
mit inhaltlicher, sachlicher Kritik nicht weiterkommen.
({0})
Ich glaube, wir sollten uns schon einmal auf die
Grundzüge einer soliden, vernünftigen Steuer-, Finanzund Haushaltspolitik berufen
({1})
und uns genau überlegen, wie man denn tatsächlich den
Ausgleich zwischen der notwendigen staatlichen Finanzierung, also der Finanzierung der notwendigerweise
durch den Staat zu erledigenden Aufgaben, einerseits
und der notwendigen finanziellen und wirtschaftlichen
Freiheit der einzelnen Bürger andererseits schafft, wie
man dies in die Waage bekommt.
({2})
Wir müssen die Waage nämlich immer in einem guten
Gleichgewicht halten. Denn ich kann Ihnen eines auf jeden Fall vorhersagen: Wenn politische Kräfte in
Deutschland ihr Steuerkonzept im Wesentlichen so gestalten, dass sie massive Steuererhöhungen und im Übrigen erstaunlich viele neue Steuerarten ankündigen,
({3})
so ist dies erstens kein Beitrag zu einer Austarierung der
beiden Pole, die ich gerade dargelegt habe, und zweitens
ganz sicher kein Beitrag zu der notwendigen Steuervereinfachung, die wir alle im deutschen Steuersystem anstreben sollten.
({4})
Herr Kollege Binding, Sie haben sich mit vielen Einzelpunkten aufgehalten,
({5})
aber haben leider Gottes nicht dargelegt, was die große
Linie in den letzten zwei Jahren war:
({6})
Wir haben gleich zu Beginn unserer Regierungsverantwortung in dieser Legislaturperiode mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das zum 1. Januar 2010 in
Kraft getreten ist,
({7})
eine deutliche steuerliche Unterstützung insbesondere
der Familien in Deutschland erreicht. Wir haben übrigens auch einige Fehler, die zum Beispiel bei der Unternehmensbesteuerung - Substanzbesteuerung bei der Gewerbesteuer - gemacht wurden, zurückgenommen.
({8})
Da wurde uns übrigens von der linken Seite des Hauses
gesagt, das werde zu massiven Steuermindereinnahmen
führen.
({9})
Die Praxis beweist, dass die Entwicklung genau in die
andere Richtung ging:
({10})
Wir haben mittlerweile sprudelnde Steuereinnahmen, die
übrigens auch den Kommunen deutlich zugutekommen.
({11})
Insofern ist das eine vernünftige Finanz- und Steuerpolitik.
({12})
Zum 1. Januar 2012 werden die Änderungen, die wir
im Steuervereinfachungsgesetz 2011 vorgenommen haben, in Kraft treten.
({13})
Das wird zu deutlichen Verbesserungen beim Bürokratieabbau zugunsten der Steuerpflichtigen führen, seien es
die privat Steuerpflichtigen, seien es die Unternehmen.
({14})
Ich möchte zum Beispiel die Vereinfachung bei der
Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten anführen.
Das wird Familien deutlich entlasten und die Steuererklärung in bürokratischer Hinsicht wesentlich vereinfachen. Wir haben mit der Möglichkeit der elektronischen
Rechnungsstellung einen großen Schritt nach vorne gemacht. Wir haben dafür gesorgt, dass Familien, deren
Kinder in Ausbildung sind, von einer Vereinfachung der
Steuererklärung profitieren. Einige Blätter der Steuererklärungsformulare werden wegfallen.
Das ist der richtige Weg. Wir müssen eine gute Austarierung zwischen den einerseits notwendigen Staatseinnahmen und andererseits den finanziellen Freiräumen,
die wir den Bürgern gewähren müssen, schaffen. Wir
müssen Steuervereinfachungen vornehmen. Wir müssen
das Steuersystem den modernen Anforderungen entsprechend gestalten.
({15})
Gleichzeitig sorgen wir, die Koalition aus FDP, CDU
und CSU, dafür, dass wir eine deutliche Verringerung
der Neuverschuldung haben werden.
({16})
Bei uns ist das Soll in einem Haushaltsplan niemals die
Grenze, die in Bezug auf die Neuverschuldung unbedingt erreicht werden muss,
({17})
sondern es ist für uns die absolute Obergrenze. Wir liegen in diesem Jahr deutlich unter der geplanten Neuverschuldung.
({18})
Wir werden auch nächstes Jahr deutlich unter der geplanten Neuverschuldung liegen.
({19})
Wir verfolgen einen vernünftigen Kurs zwischen vernünftiger Steuerpolitik einerseits und einer konsolidierten und soliden Haushaltspolitik andererseits.
({20})
Der Kollege Richard Pitterle hat für die Fraktion Die
Linke das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Die Ankündigungen, die Sie als Bundesregierung in Bezug auf die Steuerpolitik machen, sind
wie die ständigen EU-Gipfeltreffen zur Euro-Krise: Eine
folgt auf die andere, aber was dabei herauskommt, ist
nur heiße Luft.
({0})
Dass bei der Unternehmensbesteuerung und bei der
Mehrwertsteuer schon seit Monaten nichts passiert - auf
die Kritik von Frau Höll sind Sie überhaupt nicht eingegangen -, haben wir schon zur Genüge gehört.
Letzte Woche haben Sie angekündigt, sich der kalten
Progression widmen zu wollen. Nach dem vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf soll der Grundfreibetrag für das steuerliche Existenzminimum für Ledige bis 2014 um 350 Euro auf 8 354 Euro ansteigen,
und der Tarifverlauf soll um 4,4 Prozent verschoben
werden. Die Reichensteuer von 45 Prozent soll nicht erst
ab 250 731 Euro gelten, sondern schon ab 250 000 Euro.
Für n-tv ist das Steuerpaket eine „Mogelpackung“, das
Handelsblatt spricht von einem „Steuerreförmchen von
geradezu lächerlichem Ausmaß“.
Die Bürgerinnen und Bürger verstehen diese Diskussion nicht. Unsere Schulden steigen, weil Sie die Steuerzahler für die Zockereien der Banken und Spekulanten
aufkommen lassen. Viele Menschen machen sich Sorgen, ob das Geld, das sie für den Lebensabend gespart
haben, nicht verloren geht. In dieser Situation erwarten
die Menschen, dass es bei der Steuer gerecht zugeht,
aber dafür ist die Regierungskoalition die vollkommen
falsche Adresse.
Schwarz-Gelb behauptet immer großmundig, unser
Steuersystem sei nicht ungerecht und die reichen Schultern würden so viel tragen. Das haben wir von Herrn
Dr. Steffel wieder gehört. Schauen Sie einmal genau auf
das, was in diesem Monat die renommierte, international
tätige OECD über Deutschland veröffentlicht hat! In ihrem Bericht „Divided We Stand“ steht schwarz auf weiß,
dass Ihre Steuerpolitik ungerecht ist und eine Umverteilung von unten nach oben bewirkt. Zum Beispiel konstatiert die OECD, dass - ich zitiere ein wichtiger Teil der steigenden Ungleichheit in
Deutschland die Entwicklung von Kapitaleinkommen ist. Der Anteil von Kapitaleinkommen an der
gesamten Einkommensungleichheit hat sich von
8 Prozent auf 15,5 Prozent fast verdoppelt.
Woran liegt das? Die einfache Antwort: An Ihrer
schwarz-gelben Abgeltungsteuer! Sie haben dafür gesorgt, dass jeder 25 Prozent Steuern auf sein Kapitaleinkommen zahlt: sowohl die alleinerziehende Mutter, die
das Geld für ihr Kind auf dem Sparbuch anlegt, als auch
der reiche Bankmanager, der mit seinen fetten Boni an
den Finanzmärkten spekuliert. Beide zahlen auf ihre
Zinsen und Dividenden 25 Prozent. Von wegen: Die
starken Schultern tragen eine starke Last.
({1})
Statt dem Staat die nötigen Steuereinnahmen zu verschaffen, um seine Schulden zu senken, sorgen Sie dafür, dass der Bankmanager mit seinen Kapitalgewinnen
die nächste Finanzblase befeuern kann. Bei den Bürgerinnen und Bürgern gibt es auch kein Verständnis dafür,
dass Sie durch das Steuerabkommen mit der Schweiz die
Steuerhinterziehung legalisieren wollen.
Damit es steuerpolitisch gerecht zugeht, brauchen wir
die Anhebung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer und die Anhebung der Körperschaftsteuer.
Warum folgen Sie nicht endlich den Aufforderungen der
zahlreich sich zu Wort meldenden Vermögenden mit
Sinn für das Gemeinwohl, die von sich aus verlangen:
„Verhätschelt uns Millionäre nicht länger!“? Diese werben für eine Vermögensteuer. Also tun Sie Ihnen und uns
allen den Gefallen und führen Sie endlich die Vermögensteuer als Millionärssteuer ein!
({2})
Die Behauptung, höhere Steuern führten zu weniger
Investitionen und weniger Arbeitsplätzen, hat der amerikanische Milliardär Warren Buffett vor kurzem als ein
Ammenmärchen zurückgewiesen. Er wies darauf hin,
dass in der Zeit der höchsten Unternehmensteuern in den
USA die meisten Arbeitsplätze geschaffen wurden. Ich
finde: Die Zeit der Bundesregierung ist abgelaufen meine Redezeit zwar auch, aber ich komme wieder.
({3})
Danke.
({4})
Das Wort hat der Kollege Norbert Schindler für die
Unionsfraktion.
({0})
Einen schönen guten Abend, meine Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Liebe Christine
Scheel, ich rufe dir zu: Viel Glück in der neuen Verantwortung! Das mache ich wegen der persönlichen Begleitung über all die 17 Jahre im Parlament hinweg; wir sind
ja beide zur gleichen Zeit hierhergekommen.
Ich habe aber schon noch eine Anmerkung zu deiner
Rede zu machen. Sie war am Anfang schrill, aber du bist
dann versöhnlich zum Weihnachtsgedanken gekommen.
Dazu könnte man sagen: Man muss nicht übertreiben.
({0})
Eindruck in deiner Partei musst du nicht mehr machen.
Das war etwas überzogen, und das steht dir eigentlich
gar nicht gut zu Gesicht.
Den Linken sage ich: Schön, dass ihr diese Aktuelle
Stunde beantragt habt; denn nun kann man im Rahmen
einer Bilanzdebatte einmal nüchtern über die Leistungen, die Ziele, das Erreichte reden, also darüber, was so
in den letzten zwei Jahren passiert ist.
Wenn ich diesen Tag, was die Teilnahme an der Debatte heute Nachmittag und auch die Bewertung des europäischen Gipfels angeht, Revue passieren lasse, sage
ich: Man muss den Eindruck haben, dass das Abendland
untergeht, und Deutschland ist dabei vorneweg. Man redet von einer Regierungskrise, obwohl man sieht, was
Frau Merkel bzw. unsere Regierungsspitze geleistet hat.
Wer ist denn in puncto Stabilität und Wohlstand in Europa führend? Das sind die Franzosen und die Deutschen.
({1})
Das hätte heute zum Ausdruck gebracht werden müssen,
auch in ehrlicher Anerkennung von Leistungen.
({2})
Dabei geht es nicht nur darum, dass in die Nacht hinein
verhandelt worden ist, sondern es geht um tatsächliche
Ergebnisse. Ich muss Ihnen, liebe Freunde von der Opposition, als Pfälzer sagen: Das hältst du im Kopf nicht
aus, was da manchmal abgeht.
({3})
Ich komme zu unserer Gesamtdarstellung der Einnahmen des Staates und aller begleitenden Versicherungsinstitute. Im europäischen Vergleich haben wir eine
grundsolide Bilanz. Unsere Sozialsysteme stimmen. Wir
reden nicht - wie in all den anderen Staaten - über drastische Erhöhungen: Nein, wir haben unsere Arbeit in der
ersten Hälfte unserer Regierungszeit sauber erledigt,
({4})
indem wir dieses Konjunkturprogramm aufgelegt haben.
Man will nicht anerkennen, dass die Beschlüsse aus
2009 zum Wohle aller bzw. zur Wohlstandssicherung in
der Bundesrepublik Deutschland geführt haben. Es wird
euch doch nicht abgenommen, was ihr in euren Reden
sagt, weil ihr alles nur schwarzseht und schlechtredet.
Wir in Deutschland haben ein Niveau, das wir, international gesehen, mit Stolz darstellen können.
({5})
Man verkündet der Jugend und dem Alter, wie
schlimm es in der kommenden Zeit werden wird. Ich
kündige hiermit eine Auflistung unserer abgearbeiteten
Taten an.
({6})
In der Vorbereitung gebe ich gerne meine Rede mit, weil
das die Redezeit eindeutig überschreitet.
Noch ein ernstes Wort: Wenn man auch nur im Ansatz
über Gewerbesteuer redet, dann tönt ihr sofort: Wir lehnen dieses ab, und wir lehnen jenes ab.
Zum Steuerabkommen mit der Schweiz. Wir haben
die Schweiz nicht mit der Kavallerie besetzt. Das hat ein
Finanzminister der Roten einmal gewollt.
({7})
- Das war eine schöne Androhung.
Ziel muss es doch sein, dass man zu einem vernünftigen Ergebnis kommt, auch wenn es nicht alle befriedigt,
auch mich nicht. Wenn man aber einem souveränen Staat
unsere Vorstellungen aufzwingen will, dann hört die
Freundschaft auf. Das erinnert an die Debatten über
Griechenland. Auch wenn man Griechenland viel zumutet: Es ist immer noch ein souveräner und selbstständiger
Staat.
Zurück zum Abkommen mit der Schweiz. Man hat
sofort die Blockade im Bundesrat angekündigt. Wenn
man in ein Vermögen eingreift - es geht um 19 bis
34 Prozent des dortigen Kapitals, das an den deutschen
Staat geht -, dann handelt es sich eigentlich um eine Teilenteignung.
({8})
Das wollen wir, damit wir diese Sünder endlich sauber
abstrafen können. Doch es wird sofort eine Neiddebatte
aufgemacht und gesagt, man würde Steuerhinterzieher
bevorzugen. Ich muss doch aber realistisch sehen - das
ist genau wie beim europäischen Gipfel -, was ich mit
den Partnern in Europa erreichen kann.
({9})
- Du kannst ja eine Zwischenfrage stellen.
({10})
Liebe Freunde, ihr habt im Bundesrat derzeit die
Mehrheit. Die rot-grüne Koalition hatte außerdem lange
genug Zeit, zu handeln. Zu allem, was man uns jetzt vorhält, zum Beispiel hinsichtlich der Bereinigung im
Mehrwertsteuerbereich, kann ich nur sagen: Chance vertan!
({11})
Das gilt nicht nur für Rot-Grün, sondern auch für die Initiativen über den Bundesrat. Diese Möglichkeit hätte
man auch jetzt noch.
Ein anderer Punkt sind die Vorschläge zur Gemeindefinanzreform. Wo sind denn die Vorschläge der Grünen
dazu? Da putzt ihr die Platte. Da taucht ihr ab. Ich will
nur einmal auf die Realität hinweisen.
Was wir den Kommunen im Zusammenhang mit
Hartz IV an Erleichterungen verschafft haben - Dr. Volker
Wissing hat darauf hingewiesen -, wird nicht registriert.
({12})
Man geht einfach zur Tagesordnung über und sagt, da sei
eigentlich nichts passiert. Hinsichtlich der vor uns liegenden Aufgaben wie der steuerlichen Förderung von
Vorsorgeaufwendungen, gerade im Bereich der Pflege,
erwarten wir eigentlich eine konstruktive Mitarbeit seitens der Opposition. All dies haben wir in Vorbereitung.
Auch wenn all dies nicht in dieser Legislaturperiode
hinzugekommen ist, haben wir einen Haushalt vorgelegt,
der von anderen Staaten neidvoll betrachtet wird.
({13})
Als Opposition müsste man doch die Größe besitzen,
eine gute Entwicklung der Steuereinnahmen - Dr. Frank
Steffel hat mit Recht darauf hingewiesen - positiv zur
Kenntnis zu nehmen; denn es läuft gut in Deutschland.
Vor Weihnachten solche Horrorszenarien aufzuzeigen,
steht euch nicht gut zu Gesicht. Man nimmt euch diese
Horrorszenarien draußen auch nicht ab.
({14})
Das erinnert an die Mediendarstellung. Die Medien
waren überrascht, dass man sich schon vor Beginn der
Tagesschau um 20 Uhr am Sonntagabend über das
Thema „kalte Progression“ verständigt hat. Das heutejournal hat irritiert reagiert, weil man dachte, dass das
noch die halbe Nacht dauert.
Kollege Schindler, achten Sie bitte auf die Zeit.
Danke schön. Ich höre gleich auf.
Hier wird für Gerechtigkeit gesorgt, aber man wirft
uns vor, wir würden Versprechen nicht einhalten. Das
war ein Wahlversprechen. Wir wurden auch gewählt, damit diejenigen, die die Last tragen, die die Steuerlast
hauptsächlich tragen, nicht durch die kalte Progression
abgestraft werden. Dazu gibt es auch einen Verfassungsauftrag.
({0})
Nehmt das mit zum Bundesrat, in dem es vielleicht eine
Ablehnung geben wird! Aber daran werdet ihr gemessen
werden.
Danke schön.
({1})
Die Kollegin Nicolette Kressl hat für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte zuerst gerne im Namen der SPDBundestagsfraktion Christine Scheel alles Gute für die
Zukunft wünschen. Wir haben im steuerpolitischen Bereich viele Jahre gemeinsam gearbeitet. Wir haben gemeinsam, von unterschiedlichen Positionen ausgehend,
Kompromisse geschlossen und Initiativen auf den Weg
gebracht. Wir haben - das unterscheidet uns von der jetzigen Koalition - nicht nur miteinander um Kompromisse gerungen, sondern auch tatsächlich etwas auf den
Weg gebracht.
({0})
Der zweite Unterschied ist, dass es vernünftige Kompromisse waren. Insofern sage ich: Alles Gute und vielen
Dank für die Zusammenarbeit! Ich darf das sicher im
Namen meiner Kolleginnen und Kollegen sagen.
({1})
Vonseiten der FDP haben wir in der Debatte gerade
einen spannenden Satz gehört. Es wurde gesagt: Wir
werden konsequent auf unserem Weg bleiben.
({2})
Dieser ist allerdings sehr schnell begrenzt. Sie könnten
einmal überlegen, warum das so ist.
Ich komme auf einen Punkt, den Sie uns vorgeworfen
haben. Sie haben gesagt, das sei die reine Steuererhöhung. Wir haben heute eine interessante Umfrage zur
Kenntnis genommen. Angesichts der Umstände, angesichts der Notwendigkeit, Infrastrukturaufgaben und Bildung zu finanzieren, hat sich eine deutliche Mehrheit in
der deutschen Bevölkerung für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes ausgesprochen.
({3})
Manchmal habe ich den Eindruck: Die Menschen in
Deutschland sind schon ein Stück weiter als die FDP und
wissen, welche Aufgaben vor uns stehen und welche
Konsequenzen daraus zu ziehen sind.
({4})
- Das finde ich interessant. Herr Volk hat gerade gefragt,
ob diese Mehrheit den Spitzensteuersatz zahlt.
({5})
Bedeutet diese Frage, dass die Politik der FDP gar nicht
für die Mehrheit ist, sondern nur für diejenigen, die den
Spitzensteuersatz zahlen? Das ist die logische Konsequenz aus Ihrem Zwischenruf. Diesen fand ich sehr
spannend, Herr Volk.
({6})
Wir sollten einmal schauen, welche Vereinbarungen
im Koalitionsvertrag stehen und was daraus geworden
ist. Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Sommer ein
paar schriftliche Fragen dazu gestellt. Um die Frage dieser Aktuellen Stunde, was aus den steuerpolitischen Vorhaben geworden ist, zu beantworten, möchte ich einige
Antworten des Bundesfinanzministeriums zitieren.
Auf die Frage, was aus der Ankündigung im Koalitionsvertrag geworden ist, die Mehrwertsteuersätze zu
verändern bzw. zu vereinfachen, zusammenzufassen, bekamen wir die Antwort:
Der Koalitionsausschuss hat beschlossen, eine
Kommission zur Überprüfung des deutschen Katalogs der ermäßigten Mehrwertsteuersätze einzusetzen …
Sie tun so, als würde die Einsetzung einer Kommission das Handeln ersetzen.
Es geht noch weiter: Diese Kommission zur Überprüfung hat noch nie getagt; Terminschwierigkeiten. Es
könnte auch einen anderen Grund haben; denn die Kommission setzt sich zusammen aus dem Finanzminister,
dem Wirtschaftsminister, dem Chef des Bundeskanzleramtes und den Generalsekretären der Koalitionsparteien.
({7})
Wahrscheinlich hat man die Probleme vorausgesehen
und sich gedacht, dass es hier schnell zu personellen
Veränderungen kommen kann und die Kommission deshalb erst einmal nicht tagen sollte. Das Problem ist, dass
Sie ständig in allen Bereichen Kommissionen einsetzen.
Nach dem Motto „Tarnen und Täuschen“ tun Sie so, als
würde man durch das Einsetzen einer Kommission das
angehen, was man gemeinsam vereinbart hat.
({8})
In einer weiteren Frage an die Bundesregierung hatten wir uns erkundigt, was sich im Bereich der Unternehmensbesteuerung tut, ob es dort zu Veränderungen
kommt. Die Antwort lautete:
Der Bundesminister der Finanzen hat zu diesem
Zweck eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die voraussichtlich im September 2011 ihre Vorschläge vorlegen wird.
Die Vorschläge der Arbeitsgruppe liegen vor, aber
dennoch hören wir nicht, dass daraus gesetzgeberische
Maßnahmen resultieren. Es gab also zwei Jahre lang
eine Arbeitsgruppe, aber eine Gesetzgebung ist noch
nicht auf dem Weg. Wir lesen - eine konkrete Antwort
bekommen wir nicht -, dass die Arbeitsgruppe festgestellt hat, dass es schwieriger ist, als man sich das gedacht hatte. Das ist das typische Verhalten in einem Bereich, in dem man nicht weiß, wie es weitergeht: Wenn
du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis.
Dieses Verfahren hat bei dieser Koalition bisher ungeahnte Dimensionen angenommen.
Ich will ein drittes Beispiel nennen. Wir haben auch
gefragt, wie die Koalitionsfraktionen mit der Kfz-Steuer
umgehen wollen; die Einnahmen daraus fließen dem
Bund zu. In der Antwort stand: „Derzeit laufen notwendige umfangreiche Untersuchungen zur Umstellung.“
Ich könnte noch viele solcher Beispiele nennen; dies
erspare ich uns aber. Ich finde, das Gründen eines Arbeitskreises ersetzt nicht das Handeln und schon gar
nicht eine logische, vernünftige Steuerpolitik. Deshalb
wäre es besser, Sie würden aufhören, Kommissionen
einzusetzen, und stattdessen seriöse konkrete Maßnahmen auf den Weg bringen.
Vielen Dank.
({9})
Der Kollege Dr. Mathias Middelberg hat jetzt das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Hier hat es eine Aneinanderreihung von Fehlanzeigen gegeben. Hier war die
Rede davon, junge Menschen hätten in diesem Land
keine Perspektive mehr. Hier wurden derartige Krisenszenarien gemalt, dass ich mich während der Debatte
manchmal gefragt habe: Wird hier noch über Deutschland gesprochen, oder wo leben Sie? Ich finde, das waren Schilderungen, die an der Wirklichkeit in diesem
Lande ziemlich weit vorbeigingen. Das, was zum
Schluss vorgetragen wurde, Frau Kollegin Kressl,
({0})
fand ich zum Teil höchst kleinkrämerisch.
({1})
Man könnte es freundlich ausdrücken und „detailverliebt“ sagen. Man könnte es, wenn man es böse formulieren will, aber auch Erbsenzählerei nennen.
({2})
Wir sollten einen Strich darunter machen und uns vor
Augen führen, wie Deutschland im Moment dasteht. Der
Kollege Steffel und der Kollege Schindler haben eben
sehr schön deutlich gemacht: Wir haben die niedrigste
Arbeitslosigkeit in diesem Land seit über 20 Jahren. Wir
haben zwei hervorragende Wachstumsjahre mit deutlich
über 3 Prozent Wachstum hinter uns. Wir haben aufgrund der soliden konjunkturellen und wirtschaftlichen
Entwicklung - das ist übrigens eine Aussage der Bundesagentur für Arbeit - erstmals seit vielen Jahren, seit
der Einführung von Hartz IV - dieses Gesetz haben Sie
ja beschlossen -, einen ganz deutlichen Rückgang der
Zahl der Langzeitarbeitslosen zu verzeichnen. Um das
konkret aufzugreifen, sage ich Ihnen: Junge Leute haben
im Moment die wahrscheinlich seit langer, langer Zeit
besten Perspektiven in diesem Lande.
({3})
Ich will gar nicht alles, was wir gemacht haben, aufzählen. Im Zusammenhang mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz kann man natürlich sagen, wir hätten unsere Klientel bedient; diese Begriffe sind gefallen.
Der Großteil der Maßnahmen bzw. über die Hälfte der
Entlastungen, die mit diesem Gesetz in die Wege geleitet
wurden, bestanden in der Erhöhung des Kindergeldes
und des Kinderfreibetrages.
({4})
Von diesen Maßnahmen profitieren alle Familien in
Deutschland.
({5})
Das ist doch keine Klientelpolitik! Damit haben wir
nämlich alle Familien in Deutschland entlastet.
({6})
Über 2,5 Milliarden Euro haben wir für die Entlastung mittelständischer Unternehmen aufgewandt.
({7})
Ich sage Ihnen: Das war in der Krisensituation, in der
sich Deutschland vor gut zwei Jahren befunden hat, völlig richtig. Das war genau die richtige Maßnahme zum
richtigen Zeitpunkt. Sie stützt noch heute die wirtschaftliche Entwicklung, von der wir jetzt profitieren.
({8})
Der Kollege Volk hat zu Recht gesagt: Diese Maßnahmen bringen uns heute mehr Steuereinnahmen. Es sind
nicht weniger Steuereinnahmen, wie Sie es eben fälschlicherweise vorausgesagt haben. Uns kommt es darauf
an, nicht blindlings irgendwelche Maßnahmen ins Werk
zu setzen, sondern alles in einem ausgewogenen Verhältnis zu halten: auf der einen Seite gezielt zu entlasten, wo
es nötig ist, und auf der anderen Seite sorgfältig zu haushalten und vernünftig zu sparen.
Wenn ich mir Ihre Parteitagsbeschlüsse, die der Grünen und die der SPD, durchlese, stelle ich fest: All diese
Parteitagsbeschlüsse beinhalten keinen einzigen Sparbeitrag. Für Sie heißt „sparen“, Steuern und Beitragssätze zu erhöhen, eine Bürgerversicherung einzuführen,
die Beitragsbemessungsgrenze aufzuheben und anderes
mehr. Sie wollen nur zusätzliches Geld in die Kasse spülen. Sie machen aber keinen einzigen konkreten Vorschlag, wo Sie einsparen wollen.
Wir sind in den letzten zwei Jahren grundlegend anders unterwegs gewesen. Wir haben zum Beispiel ein
80-Milliarden-Euro-Sparpaket auf den Weg gebracht. Natürlich kann man sagen: Die eine oder andere Maßnahme
greift nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. - Aber
denken Sie nur an den Umbau der Bundeswehr, den
Minister de Maizière jetzt durchführt. Das ist doch mehr
als vorbildlich. Das ist optimal.
({9})
Dadurch werden wir auf Dauer mehrere Milliarden Euro
pro Jahr einsparen.
({10})
Das Gegenbild, das Sie zeichnen - Sie wollen ja in
zwei Jahren die Regierungsverantwortung übernehmen -,
({11})
erleben wir im Moment unter rot-grüner Verantwortung
in Nordrhein-Westfalen.
({12})
Der neue Haushalt, der aufs Tapet gebracht wurde,
wurde - zack! - für verfassungswidrig erklärt.
({13})
Sie schrauben die Neuverschuldung im Vergleich zu Ihrer Vorgängerregierung um 30 Prozent nach oben.
({14})
Das ist doch eine Katastrophe! Das ist überhaupt nicht
vertretbar.
({15})
Sie ergreifen in NRW eine Maßnahme nach der anderen. Ich lese sie Ihnen einmal vor
({16})
- über all das kann man ja sprechen -: Sie erlassen die
Kindergartenbeiträge komplett; das halte ich für gar
nicht schlecht, sogar für diskutabel. Sie erlassen die Studiengebühren komplett; das ist eine ganz andere Frage.
Sie stellen 170 Millionen Euro für Solarthermieanlagen
auf Dächern zur Verfügung. Aber in Ihrem Haushalt gibt
es keine einzige Sparmaßnahme.
In Niedersachsen, wo CDU und FDP regieren, sind
die Bezirksregierungen komplett gestrichen worden. Es
wurden 7 000 Beamtenstellen eingespart. Das Weihnachtsgeld im öffentlichen Dienst wurde auf null gefahren. Dort wird an der richtigen Stelle gespart, damit man
die Menschen tatsächlich von Kindergartengebühren befreien, ihnen also auch einmal Geld zurückgeben kann.
Das halte ich für eine vernünftige, ausgewogene Politik.
Sie empfehlen sich mit Ihrer konkreten Arbeit in
Nordrhein-Westfalen für gar nichts - und schon gar nicht
für die Übernahme dieser Regierung.
Vielen Dank.
({17})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir kommen zurück zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksache 17/8101 Die Frage 8 der Kollegin Caren Marks zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und die Frage 9 des Kollegen
Harald Weinberg zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Anton Hofreiter
auf:
In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung die
Öffentlichkeit in die Aufstellung des Bundesverkehrswegeplanes einzubeziehen, wie es der Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, bereits in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 22. November 2011 ankündigte, und welche konzeptionellen Vorbereitungen in der aktuellen Legislaturperiode sind dafür
angedacht?
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter Kollege Hofreiter, wir haben uns im
Ausschuss ja schon intensiv mit dem Bericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
zur Aufstellung des neuen Bundesverkehrswegeplans
beschäftigt und darüber diskutiert. Bei der Aufstellung
des neuen Bundesverkehrswegeplans werden die Transparenz des Gesamtprozesses und die Beteiligung von
Bürgern von großer Bedeutung sein. Nur so können
Konfliktpotenziale frühzeitig erkannt und eine Akzeptanz des Bundesverkehrswegeplans in der Bevölkerung
erreicht werden.
Ein wichtiges Element wird in diesem Zusammenhang die Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der jetzt
gesetzlich vorgeschriebenen Strategischen Umweltprüfung sein. Hierzu wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts bereits ein Konzeptvorschlag entwickelt. Weitere Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung im Prozess der
Bundesverkehrswegeplanung werden derzeit geprüft.
Wir befinden uns ja am Anfang der Neuerstellung der
Grundkonzeption des Bundesverkehrswegeplans 2015.
Herr Hofreiter, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr.
Vielen Dank. - Sie haben gesagt, das erste Konzept
für die Strategische Umweltprüfung sei bereits erarbeitet. Alles soll wunderschön transparent sein. Wann wird
das veröffentlicht, oder ist das schon veröffentlicht worden?
Herr Kollege Hofreiter, Sie als Vorsitzender des zuständigen Fachausschusses haben ja auch an der Ausschusssitzung teilgenommen, in der der neue Bundesverkehrswegeplan Thema war. Dabei wurde auch thematisiert, dass
die ersten Lose im Rahmen der Ausschreibung jetzt gerade vergeben wurden. Wir haben das Ziel, Mitte 2012
die ersten Ergebnisse der Voranalysen und Voruntersuchungen vorzulegen.
Natürlich gibt es zum Thema Bürgerbeteiligung auch
Diskussionen mit den Bundesländern. Ich möchte darauf
verweisen, dass es auf der Konferenz in München einen
einstimmigen Beschluss der Raumordnungsminister gegeben hat. Alle Bundesländer haben dort gemeinsam mit
dem Bund den Beschluss gefasst, dass die Bürgerbeteiligung schon vor den verschiedenen Verfahren - Raumordnungsverfahren und viele andere mehr - stattfinden
soll. Es soll eine verbesserte Bürgerbeteiligung bei den
Einzelprojekten ermöglicht werden. Das ist ein wirklicher Fortschritt in der ganzen Diskussion.
Ihre Fraktion hat das Projekt Stuttgart 21 über lange
Zeit kritisch begleitet. An dem positiven Volksentscheid
in Baden-Württemberg konnte man sehen, dass eine
Bürgerbeteiligung bis hin zur Realisierung von Großprojekten stattfindet. Bei der Neuerstellung der Grundkonzeption des Bundesverkehrswegeplans werden wir dies
natürlich noch stärker berücksichtigen, zumal aufgrund
der Vorgaben der EU die Strategische Umweltprüfung
erforderlich ist. Somit werden wir ziemlich sicher Mitte
2012 über die ersten Ergebnisse der Forschungsprojekte
im Fachausschuss diskutieren.
Herr Kollege, Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte
sehr.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sind neben der Vergabe der Gutachten bereits erste Stellungnahmen von
Verbänden und Planungen der Länder beim Ministerium
eingegangen? Man hört, dass zumindest in manchen
Landesministerien erste Projektlisten kursieren.
Kollege Hofreiter, zeitlich gesehen gab es im Hinblick auf die Neuerstellung des Bundesverkehrswegeplans 2015 erst Ende 2010 die Bedarfsplananalyse für
Straße und Schiene. Jetzt wird anhand dieser Ergebnisse
noch einmal an den Grundlagen gearbeitet. Die Überprüfung war ohnehin erforderlich.
Es gibt natürlich einen ständigen Dialog mit den Bundesländern. Aber das hat noch nichts mit der Erstellung
eines neuen Bundesverkehrswegeplans zu tun; denn im
laufenden Verfahren besteht ohnehin ein enger Kontakt
mit unseren Auftragsverwaltungen.
Wir befinden uns in einem sehr frühen Stadium der
Erstellung der Basisdaten und der wissenschaftlichen
Grundlagen. Natürlich wird der neue Bundesverkehrswegeplan vom derzeitigen Bundesverkehrswegeplan
nicht völlig abgekoppelt sein. Es geht jetzt also um die
Grundlagenerarbeitung. Erst danach, wenn man die Ergebnisse hat, wird darüber zu diskutieren sein, welche
Ergebnisse man zur Basis für die Erstellung des Bundesverkehrswegeplans macht, welche Parameter man dort
einzieht. Auch Ihre Fraktion hat mehrfach angemahnt,
verschiedene neue Diskussionsfaktoren mit einzubeziehen. Das können wir in 2012 im offenen Verfahren im
Fachausschuss diskutieren. Ich kann Sie also beruhigen:
Das Verfahren ist momentan noch in einem sehr frühen
Stadium. Das BMVBS arbeitet eher an den wissenschaftlichen und gutachterlichen Grundlagen als an irgendwelchen konkreten Projekten. Die konkreten Projekte sind im geltenden Bundesverkehrswegeplan
eingestuft, und an diesen arbeiten wir jetzt.
Die Frage 11 des Kollegen Kekeritz wird schriftlich
beantwortet, ebenso die Fragen 12 und 13 der Kollegin
Burchardt und die Fragen 14 und 15 des Kollegen
Herzog.
Damit kommen wir nun zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Frage 16 des Kollegen Schwabe, die
Frage 17 des Kollegen Miersch und die Frage 18 des
Kollegen Ott werden schriftlich beantwortet.
Mündlich beantwortet wird die Frage 19 des Kollegen
Ott:
Wer hat bislang über die Auswahl von Bewerbern für Stellen beim Sachverständigenrat für Umweltfragen, SRU, entschieden, und soll diese Praxis geändert werden?
Zur Beantwortung steht die Staatssekretärin HeinenEsser zur Verfügung.
Die Besetzung der bestehenden Stellen bei den Ratsmitgliedern und in der Geschäftsstelle des Sachverständigenrates für Umweltfragen erfolgt nach dem im Umweltbundesamt üblichen Stellenbesetzungsverfahren.
Die Mitarbeiter werden dabei üblicherweise durch die
fachlich involvierten Ratsmitglieder und den Generalsekretär ausgewählt. Die Berufung des Generalsekretärs
erfolgt durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Vorschlag des Umweltbundesamtes, das das Votum des Sachverständigenrates berücksichtigt. Über die Besetzung der neuen
Planstelle kann erst nach Inkrafttreten des Haushalts
2012 entschieden werden. Dabei wird selbstverständlich
das für die Besetzung von Planstellen der Geschäftsstelle
des Sachverständigenrates für Umweltfragen übliche
Verfahren zur Anwendung kommen.
Sie haben eine Nachfrage, Herr Ott. Bitte sehr.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, vielen Dank. Hat denn die Bundesregierung eine Idee, wie
dieser Vorgang zustande gekommen sein könnte? Es ist
ja doch nicht ganz gewöhnlich, dass die Einrichtung, die
mit einer solchen Stelle beglückt werden soll, gar nichts
davon weiß und erst im Nachhinein davon erfährt, dass
sie erst recht nicht eine solche Stelle beantragt hat und
dass auch die führende nachgeordnete Behörde, nämlich
in diesem Fall das Umweltbundesamt, weder einen solchen Bedarf angemeldet hat noch angemessen informiert
wurde. Wie erklärt sich denn die Bundesregierung das
Zustandekommen dieser Stelle?
Lieber Kollege Dr. Ott, das Thema haben wir ja heute
Morgen auch schon im Umweltausschuss ausführlich
diskutiert. Ich kann nur noch einmal sagen, dass diese
Stelle in der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses
entstanden ist, als es auch um den Einzelplan 16 ging.
Das war ein Vorschlag der Haushälter, also Ihrer Kolleginnen und Kollegen, und ist nicht vom Bundesumweltministerium eingebracht worden.
Herr Ott, haben Sie eine zweite Nachfrage? - Bitte
sehr.
Nun hat der Präsident des Sachverständigenrates, Professor Faulstich, ein Schreiben an Gisela Piltz und HansPeter Uhl - das sind anscheinend die zuständigen Mitglieder des Bundestages im Haushaltsausschuss - geschickt, in dem er seine Sicht der Dinge darlegt und auch
nachfragt, wie das denn sein könne. Haben Sie einmal
mit Hans-Peter Uhl, also dem Vertreter der CDU/CSU
im Haushaltsausschuss, darüber geredet, wie er sich diesen Vorgang erklärt und warum er diesen Vorschlag eingebracht hat?
Ich glaube, Herr Dr. Ott, das ist wirklich eine Frage an
die Mitglieder des Parlaments, die sich über diesen Vorschlag wohl verständigt und ihn eingebracht haben. Der
Vorschlag wurde heute, wie ich gehört habe, auch im
Innenausschuss beraten. Mein Kollege Uhl ist innenpoliParl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser
tischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion und eben
Mitglied im Innenausschuss und nicht im Haushaltsausschuss.
Eine Nachfrage der Kollegin Höhn.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben gesagt, dass
dieser Vorschlag von Abgeordneten eingebracht worden
ist - offensichtlich von Abgeordneten der beiden Koalitionsfraktionen, nicht von Abgeordneten der Opposition.
Hält das Bundesumweltministerium diese Stelle denn für
sinnvoll?
Die Parlamentarier haben den Wunsch formuliert und
darüber abgestimmt, dass beim Sachverständigenrat eine
solche Stelle eingerichtet werden soll. Wir beugen uns
natürlich dem Wunsch und dem Willen der Parlamentarier in dieser Frage und werden nach Inkrafttreten des
Haushalts das übliche Ausschreibungsverfahren starten.
({0})
Die nächste Nachfrage kommt vom Kollegen
Miersch.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, wir haben nun
auch aufgrund der Sendung Frontal 21 von einem koalitionsinternen Papier Kenntnis erlangt. Darin ist die Rede
davon gewesen, dass die Zustimmung des Bundesumweltministers vor Beschlussfassung vorlag.
Insofern frage ich Sie hier, ob Sie dazu etwas sagen
können. Gab es eine vorherige Kontaktaufnahme mit
dem Bundesumweltminister, mit dem Bundesumweltministerium, diese Stelle einzurichten, oder war das tatsächlich ein Hauruck-Verfahren im Haushalt, bei dem es
vorher überhaupt keine Kontaktaufnahme zwischen
BMU, Bundesumweltminister, und den Koalitionsfraktionen gegeben hat?
Soweit ich weiß, Herr Kollege Dr. Miersch, ist der
Bundesumweltminister bzw. das Bundesumweltministerium in der absoluten Schlussphase darüber informiert
worden. Das Papier, um das es geht, habe ich mir wahrscheinlich ebenso wie Sie von der Homepage von Frontal 21 heruntergeladen. Es enthält keinen Absender und
keine Unterschrift. Wir wissen also nicht, von wem dieses Papier stammt. Das heißt, dass wir die Auffassungen,
die dort - auch zu anderen Themen - geäußert werden,
nicht teilen.
Herr Kollege Krischer, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade von der
„Schlussphase“ gesprochen, in der Ihr Haus von der Einrichtung dieser Stelle erfahren hat. Können Sie diese
„Schlussphase“ zeitlich genauer definieren: wann genau
das war, wann zum ersten Mal Ihr Haus darüber informiert wurde, dass geplant ist, eine solche Stelle einzurichten?
Das kann ich Ihnen exakt mit Datum und Uhrzeit
nicht sagen, liefere ich aber gerne nach. Das wird in der
oder um die Bereinigungssitzung herum der Fall gewesen sein; denn wie Sie wissen, ist in dem Regierungsentwurf, den wir in den Haushaltsausschuss eingebracht haben, eine solche Stelle nicht enthalten.
Die letzte Frage dazu ist eine Frage der Kollegin
Bulling-Schröter.
Danke schön. - Frau Staatssekretärin, ist es denn üblich, dass Gremien oder Ausschüsse Stellen genehmigt
bekommen, die sie gar nicht beantragen und deren Vorsitzende davon auch nichts wissen?
Frau Bulling-Schröter, ich kann mir vorstellen, dass
das schon einmal vorkommt.
({0})
Ich kann das aus meiner eigenen parlamentarischen Erfahrung nicht nachvollziehen; aber es war explizit der
Wunsch des Parlaments, eine solche Stelle einzurichten.
Diese Frage müssten Sie also an Ihre Kolleginnen und
Kollegen richten.
Wir kommen zur Frage 20 der Kollegin Höhn:
Soll die neue B-4-Stelle beim SRU ausgeschrieben werden, oder beabsichtigt die Bundesregierung, die Stelle ohne
Ausschreibung zu besetzen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Höhn, ich kann Ihnen sehr klar sagen,
dass selbstverständlich beabsichtigt ist, die Funktion öffentlich auszuschreiben.
Frau Höhn, Sie haben eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, es gibt schon eine Stelle beim
Sachverständigenrat für Umweltfragen, nämlich die
Stelle des Generalsekretärs, der die notwendigen Arbeiten erledigt. Soll es daneben jetzt eine Direktorenstelle
geben? Was ist dann die Aufgabe des Generalsekretärs?
Was ist die Aufgabe des Direktors? Ist es angemessen
und erforderlich, dafür eine zusätzliche B-4-Stelle einzurichten?
Auch diese Fragen bitte ich an die Kolleginnen und
Kollegen zu richten, die die Stelle im Rahmen der Bereinigungssitzung eingeführt haben.
({0})
Ich verweise auf die Begründung zur Einrichtung der
Stelle. Darin heißt es, dass umweltpolitische Fragestellungen in den letzten Jahren sowohl national als auch international zunehmend an Bedeutung gewonnen haben.
Um die internationale Zusammenarbeit und Vernetzung
auszubauen sowie zur Stärkung der beratenden Funktionen des Sachverständigenrates gegenüber dem Deutschen Bundestag und seinen Gremien werde das Amt
eines Direktors beim Sachverständigenrat für Umweltfragen geschaffen.
Wir werden uns selbstverständlich, wenn es um die
Ausschreibung dieser Stelle geht, sowohl mit dem Sachverständigenrat als auch mit dem Umweltbundesamt,
das die Ausschreibung durchführen wird, über all diese
Fragen, die Sie gerade aufgeworfen haben, verständigen.
Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte sehr.
Ja, ich habe eine zweite Nachfrage. Es gibt beim
UBA die Stelle des stellvertretenden Leiters. Das ist eine
B-4-Stelle. Auch hier reden wir über eine B-4-Stelle.
Können Sie sagen, wie viele Mitarbeiter der stellvertretende Leiter des UBA in seinem Bereich hat? Ich glaube,
es sind mehrere Hundert. Im SRU gibt es 24 Mitarbeiter.
Ist es im Verhältnis zu dem, was andere im Regierungsapparat für B 4 tun müssen, angemessen, beim SRU die
Stelle eines Frühstücksdirektors mit 24 Mitarbeitern zu
schaffen?
Sehr geehrte Frau Kollegin Höhn, ich bitte Sie, auch
diese Frage den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss zu stellen, die der Auffassung waren, dass der
Sachverständigenrat auch im wissenschaftlichen Bereich
noch Unterstützung bedarf, und sich deshalb dafür ausgesprochen haben, dort eine B-4-Stelle einzurichten.
Der Kollege Ott.
Wenn es denn nur ein Frühstücksdirektor wäre!
({0})
Unsere Vermutung ist, dass dort erheblich Einfluss genommen werden soll.
Meine Frage an Sie, Frau Kollegin Heinen-Esser: Wie
viele Fälle sind Ihnen mit Ihrer beträchtlichen Verwaltungserfahrung und Legislativerfahrung bekannt, in denen eine Stelle in einer nachgeordneten Institution am
Haus vorbei, am Ministerium vorbei und an der nachgeordneten Behörde vorbei durch den Deutschen Bundestag eingerichtet worden ist?
Das kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten.
({0})
Mir persönlich ist das nicht bekannt. Ich bin allerdings
auch nicht Mitglied des Haushaltsausschusses und habe
daher keinen Überblick darüber, was in anderen Häusern
üblich ist.
Herr Kollege Miersch.
Mich interessiert in diesem Zusammenhang noch einmal die Schlussphase, von der Sie gesprochen haben und
die wir nicht genau datieren können. Ich habe dem Vermerk von Frontal 21 bzw. der Reaktion des Bundesumweltministers entnommen, dass seine Zustimmung nicht
vorgelegen hat. Haben Sie Kenntnis darüber, ob der
Bundesumweltminister unter Umständen in der Schlussphase diesem Stellenvorschlag zugestimmt hat oder ob
er sogar interveniert und auf andere Stellenpotenziale
oder Notwendigkeiten hingewiesen hat bzw. was sich in
dieser Schlussphase zwischen Bundesumweltminister
und Koalitionsfraktionen ereignet hat?
Ich war in der Schlussphase nicht dabei, habe aber mit
dem Minister gesprochen. Es wird keine der in dem Papier, das auf der Homepage von Frontal 21 steht, zitierten Aussagen geteilt.
Kollegin Steiner, bitte.
Frau Staatssekretärin, in der Antwort auf die Frage
der Kollegin Höhn haben Sie die Begründung angesprochen, die immer irgendwo herumgeistert, und darauf
hingewiesen, dass eine stärkere internationale Vernetzung und Ausrichtung ermöglicht werden soll und dass
die Stellenbesetzung oder der Wunsch nach einer zusätzlichen Stelle unter Umständen damit zusammenhängen
könnte. Würden Sie vor dem Hintergrund, dass der Sachverständigenrat eigentlich das Netzwerk der Europäischen
Umwelt- und Nachhaltigkeitsräte mit begründet hat - zurzeit ist sogar ein Ratsmitglied Vorsitzende - und der Meinung ist, dass zusätzliche hochdatierte Stellen nicht notwendig sind, sondern dass eher eine Stelle im Brüsseler
Sekretariat fehlt, vermuten, dass man bei der Arbeit des
Sachverständigenrates ein Defizit unterstellt?
Kollegin Steiner, ich kann nicht beurteilen, welches
die Motivation war, eine solche Begründung zu formulieren, die ich aus einem Beschluss des Innenausschusses vom heutigen Tag zitiert habe. Ich kann Ihnen nur sagen: Aus Sicht des Bundesumweltministeriums gibt es
keinerlei Defizite beim Sachverständigenrat. Wir hatten
heute Morgen eine exzellente Präsentation des Gutachtens zur Nanotechnologie. Ich glaube, da ist deutlich geworden, welche hervorragende Expertise beim Sachverständigenrat vorhanden ist.
Herr Krischer.
Ich interpretiere Ihre letzte Antwort so, dass die besagte Stelle aus Sicht des Bundesumweltministeriums
absolut nicht erforderlich ist und nicht eingerichtet werden muss, weil die Arbeit schon hervorragend funktioniert. Aber Sie müssen jetzt das umsetzen, was die
Mehrheit des Haushaltsausschusses und heute auch des
Innenausschusses beschlossen hat. Meine Frage: Wo in
der Hierarchie des Sachverständigenrates soll die Stelle
angesiedelt werden? Soll sie oberhalb oder unterhalb des
Generalsekretärs angesiedelt werden? Wie genau soll ich
mir das zukünftige Organigramm des SRU vorstellen?
Das werden wir zusammen mit dem Umweltbundesamt und dem Sachverständigenrat besprechen.
({0})
Frau Bulling-Schröter, bitte.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass es in der
Vergangenheit teilweise Diskussionen in der Koalition
gab, weil man mit Ergebnissen des Sachverständigenrats
für Umweltfragen - das gilt auch für den aktuellen Bericht zur Nanotechnik - politisch nicht einverstanden
war?
Ja.
Wir kommen zu Frage 21 der Abgeordneten Bärbel
Höhn:
Hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit für sich und seine obersten Bundesbehörden im Haushaltsaufstellungsverfahren 2012 Stellenbedarf
geltend gemacht, dem im Haushaltsplanentwurf der Bundesregierung nicht entsprochen wurde, und falls ja, welche sind
dies genau?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Meine Antwort lautet wie folgt: Im Ergebnis der regierungsinternen Verhandlungen zum Personalhaushalt
für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit und die drei Behörden unseres Geschäftsbereichs wurden in dem vom Kabinett beschlossenen Regierungsentwurf insgesamt 101 zusätzliche
Stellen aufgenommen. Davon sind 52 Stellen nur mit
Überhangpersonal des Bundesverteidigungsministeriums besetzbar. 26 Stellen sind durch konkrete Einnahmen refinanziert. 15 Stellen dienen der Umwandlung
von bestehenden befristeten Beschäftigungen in Dauerarbeitsverhältnisse und sind insofern ausgabenneutral.
Diese Stellen wurden mit dem Bedarf zur Erfüllung der
vielfältigen aktuellen Aufgaben des BMU insbesondere
in den Bereichen Energiewende, Klimaschutz, Emissionshandel, Naturschutz und Reaktorsicherheit begründet. Die Verhandlungen zwischen den beteiligten Ressorts zur Aufstellung des Regierungsentwurfs zum
Haushalt sind allerdings - darauf muss ich aufmerksam
machen - eine regierungsinterne Angelegenheit.
Frau Höhn, eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, in dem Papier, das man von der
Homepage von Frontal 21 herunterladen kann, steht zur
Aufgabenstellung der besagten Stelle eines Direktors,
dass dieser den Rat nach außen vertreten soll.
Hierdurch soll der SRU auch in seiner Außendarstellung dem unmittelbaren politischen Einfluss
von Rot-Grün entwunden und dauerhaft in den
({0})politischen Einfluss- und Steuerungsbereich der Koalitionsfraktionen gebracht werden.
Nun hat der Bundesumweltminister gesagt: Der SRU
ist unabhängig, und es ist auch ein hohes Gut, dass der
Sachverständigenrat für Umweltfragen unabhängig ist. Wie wollen Sie verhindern, dass diese Stelle die Aufgabe genauso erledigt, wie es in diesem anonymen internen Vermerk beschrieben wird?
Wir wissen nicht, von wem dieser Vermerk stammt,
da er anonym ist; ihm fehlen sowohl der Absender als
auch die Unterschrift. Der Bundesumweltminister hat
dazu gesagt, was dazu zu sagen ist. Er hat die Unabhängigkeit des Sachverständigenrates gewürdigt.
Wir kommen dem Wunsch des Parlaments nach, indem wir eine öffentliche Ausschreibung in Abstimmung
mit Sachverständigenrat und Umweltbundesamt durchführen werden. Eine solche öffentliche Ausschreibung,
bei der sich beispielsweise eine Auswahlkommission,
die auch mit Mitgliedern des Sachverständigenrats besetzt ist, dem Auswahlverfahren widmet, sichert sicherlich auch weiterhin die Unabhängigkeit des Rates.
Sie haben eine weitere Nachfrage, Frau Höhn.
Ich habe in der Tat eine weitere Frage. - Frau Staatssekretärin, die Stelle des Generalsekretärs bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, die im Moment Dr. Fritz
Brickwedde bekleidet, wird in absehbarer Zeit frei. Können Sie ausschließen, dass sich die Kollegin Birgit
Homburger darauf bewerben wird?
Frau Höhn, ich kann darüber keine Aussage treffen.
Herr Miersch.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben auf die Frage
der Kollegin Höhn reagiert, die noch einmal den auf der
Homepage von Frontal 21 befindlichen Vermerk zitiert
hat. Auch wenn Sie sagen, Sie kennen die Urheberschaft
nicht, können wir jetzt feststellen, dass dieser Vermerk
zumindest in Bezug auf die Schaffung der Stelle ja recht
behalten hat. Gleichzeitig sagen Sie, dass der zuständige
Bundesumweltminister den Sachverständigenrat als unabhängiges Gremium anerkennt und diese Stelleneinrichtung eigentlich als überflüssig erachtet.
Ist es jetzt nicht Aufgabe des zuständigen Bundesumweltministers, Schaden von dieser Stelle abzuwenden
und gegebenenfalls mit den Koalitionsfraktionen - denn
hier geht es nicht um eine Kernfrage im Zusammenhang
mit dem Parlament, sondern um eine Einrichtung, die die
Bundesregierung beraten soll - noch einmal in einen
Dialog zu treten?
Ich würde die Kirche im Dorf lassen und sagen, dass
es für jede Einrichtung ein Gewinn ist, eine zusätzliche
Stelle zu haben.
({0})
Auch für mich ist es ein Novum, erleben zu müssen,
dass sich jeder wehrt, eine solche Stelle zu bekommen.
Deswegen möchte ich darum bitten, das Ganze sozusagen ein bisschen herunterzuzoomen. Wir garantieren:
Wir werden sicherlich mit den Koalitionsfraktionen in
einen Dialog treten, und wir werden auch mit Ihnen in
einen Dialog treten, um Ihre Befürchtungen auszuräumen. Es wird ein öffentliches Verfahren geben, das sicherstellt, dass der Sachverständigenrat wie bisher unabhängig arbeiten kann.
Der Kollege Wunderlich.
Frau Staatssekretärin, eine Frage im Zusammenhang
mit dem Thema „Unabhängiges Arbeiten“. Gab es den
Wunsch eines Koalitionspartners, den Sachverständigenrat aufgrund der Ergebnisse seiner Studien aufzulösen?
Dieser Wunsch ist an mich nicht herangetragen worden.
Herr Ott.
Vielen Dank. - Teilt die Bundesregierung unsere Auffassung, dass die Einrichtung dieser Stelle beim Sachverständigenrat für Umweltfragen nicht nur der Gängelung des Rates dienen, sondern auch - geschaffen in
einer Art Panikreaktion Ihres Koalitionspartners FDP eine Versorgungsstelle als Ersatz für zukünftig frei werdende Posten der FDP ermöglichen soll?
Herr Dr. Ott, ich teile Ihre Auffassung nicht.
Herr Krischer.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben erläutert, dass
Sie diese Stelle für nicht erforderlich halten, weil die Arbeit des SRU bereits exzellent sei und damit auch keiner
weiteren Stellenverstärkung bedürfe. Meine Frage lautet:
Gibt es im Bundesumweltministerium selbst oder in den
nachgeordneten Behörden Bereiche, von denen Sie sagen, dass dort zur Erfüllung der Aufgaben eine weitere
Stellenverstärkung erforderlich sei? Wenn ja, welche
sind das? Können Sie mir also Bereiche nennen, wo aus
Ihrer Sicht zur Erfüllung der Aufgaben zusätzlicher Personalbedarf besteht?
Ich glaube, ich wäre eine schlechte Staatssekretärin,
wenn ich sagen würde, es reiche aus, was wir an Stellen
zur Verfügung haben. Natürlich können wir zusätzliche
Stellen gut gebrauchen, und zwar an vielen Stellen des
Hauses und insbesondere auch in nachgeordneten Behörden und in Gremien, die uns beraten. Die Motive der
Koalitionsfraktionen, eine zusätzliche Stelle beim Sachverständigenrat einzurichten, sind vorhin ausführlich erläutert und diskutiert worden.
Frau Nestle.
Frau Staatssekretärin, Sie haben in der Antwort auf
eine vorherige Frage auf die Kommission hingewiesen,
die die Unabhängigkeit des Sachverständigenrates gewährleisten und die dafür sorgen soll, dass die Stelle unabhängig besetzt wird. Inwieweit ist es innerhalb der Regierung mit allen relevanten Playern abgesprochen, wie
diese Kommission zusammengesetzt wird und ob es die
Kommission überhaupt gibt? Können Sie genauer erläutern, wie dort die Stimmenverhältnisse sind bzw. wie das
Entscheidungsverfahren innerhalb dieser Kommission
ist? Wie wirken sich die Mehrheitsverhältnisse bei unterschiedlichen Meinungen aus?
Kollegin Nestle, ich kann Ihnen das zum jetzigen
Zeitpunkt noch nicht sagen. Ich habe eben nur skizziert,
wie ein mögliches Verfahren aussehen könnte. Die Stellenbesetzung erfolgt erst nach Inkrafttreten des Haushaltes. Das heißt, das gesamte Verfahren wird erst dann anrollen. Ich habe vorhin schon gesagt, dass das kein
Stellenwunsch des Bundesumweltministeriums ist, sondern ein Wunsch der Abgeordneten im Haushaltsausschuss und heute im Innenausschuss, die die entsprechenden Beschlüsse gefasst haben. Wir werden jetzt
Möglichkeiten entwickeln, die Stellenausschreibung und
Stellenbesetzung so durchzuführen, dass die Unabhängigkeit des Rates gestärkt wird.
Wir kommen zur Frage 22 der Kollege Dorothea
Steiner:
Ist die Einrichtung einer B-4-Stelle auch für den Wissenschaftlichen Beirat für globale Umweltveränderungen, WBGU,
vorgesehen, und, falls nein, sind die Anforderungen an die
wissenschaftlich-methodische Qualität von Studien beim
WBGU geringer als beim SRU?
Kollegin Steiner, die Einrichtung einer solchen Stelle
ist nicht vorgesehen. Die Anforderungen an die wissenschaftlich-methodische Qualität von Studien beim Wissenschaftlichen Beirat für globale Umweltveränderungen sind nicht geringer als beim Sachverständigenrat für
Umweltfragen.
Frau Steiner, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, Ihre Antwort veranlasst mich
sofort zu der Frage: Warum wird dann die Fürsorge, die
dem Sachverständigenrat für Umweltfragen zuteilwird,
angesichts der Anforderungen, die wir an den WBGU
haben, nicht auch diesem zuteil?
Kollegin Steiner, diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, da der Wunsch nach einer Stelle beim Sachverständigenrat für Umweltfragen nicht vom Bundesumweltministerium vorgetragen wurde.
Frau Steiner, haben Sie eine zweite Nachfrage? - Das
ist nicht der Fall. Dann Herr Ott, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Der Kollege Kauch
hat seine Motivation, eine solche Stelle einrichten zu lassen, auch damit begründet, dass es wissenschaftliche und
methodische Mängel in den Gutachten des SRU gegeben
habe. Sind Ihnen, Ihrem Hause oder der Bundesregierung solche methodischen und wissenschaftlichen Mängel bekannt?
Nein, uns liegen darüber keine Erkenntnisse vor.
Dann kommen wir zur Frage 23 der Kollegin Steiner:
Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die Einrichtung einer mit B 4 dotierten Stelle beim SRU angemessen und
erforderlich ist?
Kollegin Steiner, die Entscheidung über eine Direktorenstelle in der Geschäftsstelle des Sachverständigenrates für Umweltfragen erfolgte im Rahmen der parlamentarischen Beratung des Haushalts 2012, wie ich
vorhin schon ausgeführt habe. Zur Begründung seitens
der Befürworter aus dem parlamentarischen Raum verweist die Bundesregierung auf die Begründung zum Änderungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und FDP zum
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Unterstützung
der Fachkräftegewinnung im Bund und zur Änderung
weiterer dienstrechtlicher Vorschriften. Darin heißt es,
wenn ich es hier noch einmal ganz korrekt zitieren darf:
Um die internationale Zusammenarbeit und Vernetzung auszubauen sowie zur Stärkung der beratenden Funktion des Sachverständigenrates gegenüber
dem Deutschen Bundestag und seinen Gremien
wird das Amt eines Direktors beim Sachverständigenrat für Umweltfragen geschaffen.
Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, wir haben Ihrer Antwort vorhin
entnommen, dass Sie eigentlich gar keine Defizite bei
der Arbeit des Sachverständigenrates in Bezug auf die
angesprochene Richtung sehen. Sie haben sich auch gewundert, dass man plötzlich - wenn es schon einmal
eine neue Stelle gibt - so vehement über ihre Notwendigkeit diskutiert.
Zusätzlich ist nach der hohen Dotierung bestimmter
Stellen beim Sachverständigenrat zu fragen. Beim SRU
sind 24 Personen tätig. Um eine Vergleichbarkeit herzustellen: Ebenfalls nach B 4 bezahlt wird der Präsident
der Bundespolizeiakademie, der für 2 882 Mitarbeiter
verantwortlich ist, oder der Leitende Direktor des Marinearsenals, der für 1 828 Mitarbeiter Verantwortung
trägt. Ist es angesichts dessen gerechtfertigt, beim SRU
eine B-4-Stelle mit einer so vage definierten Aufgabenbeschreibung einzurichten?
Kollegin Steiner, Referatsleiter erhalten bei uns im
Hause und auch in den anderen Bundesministerien unter
Umständen eine Besoldung nach B 3, und das, obwohl
sie für erheblich weniger Mitarbeiter Verantwortung tragen als der Inhaber der B-4-Stelle im Sachverständigenrat. Ich gebe diese Frage an die Parlamentarier weiter
und bitte darum, im Ausschuss zu klären, warum es sich
um eine B-4-Stelle handelt.
Frau Steiner, eine zweite Nachfrage.
Da wir uns hier über die Höhe der Besoldung unterhalten: Können Sie ausschließen, dass die vorgesehene
Höhe der Besoldung auch etwas damit zu tun hat, dass es
in Teilen der Koalitionsfraktionen tatsächlich Bestrebungen gibt, ihren personalpolitischen Einfluss und ihren
Steuerungsbereich insgesamt zu vergrößern? Schließlich
handelt es sich um eine hinreichend schwierige Aufgabe.
Das Bundesumweltministerium sieht seine Aufgabe
darin, die Unabhängigkeit des Sachverständigenrates zu
wahren.
Herr Miersch, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich möchte gerne genau daran
anschließen: die Unabhängigkeit zu wahren. Sie waren
heute im Ausschuss anwesend und haben erlebt, dass der
FDP-Kollege Knopek den Vertreter des Sachverständigenrates für Umweltfragen massiv angegangen ist, dessen wissenschaftliche Arbeit bezweifelt und eine politische Bewertung in den Raum gestellt hat. Der Kollege
Ott hat Ihnen vorhin die Aussage des Kollegen Kauch,
ebenfalls FDP, vorgehalten.
Wenn Sie diese Hinweise einschließlich des Inhalts
des Vermerks, den wir eben angesprochen haben, zusammen betrachten, sehen Sie dann nicht die Notwendigkeit,
auch vonseiten des Bundesumweltministeriums hier
noch einmal sehr deutlich Position zu beziehen, um den
Sachverständigenrat vor derartigen Angriffen der FDPBundestagsfraktion in Schutz zu nehmen und seine Integrität zu wahren?
Sie können sich sicherlich an mein Schlussstatement
heute im Ausschuss erinnern. Darin habe ich insbesondere das heute vorgelegte Gutachten noch einmal besonders gewürdigt.
Ich habe vorhin ausgeführt, dass es für uns keinerlei
Zweifel an der wissenschaftlichen Arbeit des Sachverständigenrates gibt. Das Bundesumweltministerium teilt
die in diesem Vermerk gemachten Aussagen definitiv
nicht; das habe ich schon mehrfach gesagt. Wir laden Sie
herzlich dazu ein, den Prozess der Ausschreibung dieser
Stelle parlamentarisch entsprechend zu begleiten;
schließlich wurde diese Stelle auf Initiative des Parlamentes geschaffen.
Herr Kollege Schwabe, bitte.
Frau Staatssekretärin, können Sie ausschließen, dass
es innerhalb der schwarz-gelben Koalition Überlegungen gegeben hat, den Sachverständigenrat für Umweltfragen abzuschaffen, und dass man sich als mögliche Alternative darauf verständigt hat, durch die Schaffung
einer solchen Stelle eine Art Gängelung dieses Gremiums vorzunehmen?
Mir persönlich ist das nicht bekannt; das muss ich sagen, Kollege Schwabe. Das Bundesumweltministerium
und der Bundesumweltminister stehen für die Unabhängigkeit der Arbeit dieses Sachverständigenrates, den wir,
wie wir gerade am heutigen Tag am Beispiel Nanotechnologie gesehen haben, für unsere Regierungsarbeit
dringend benötigen.
Frau Höhn.
Frau Staatssekretärin, wer ist für die wissenschaftliche Qualität der SRU-Gutachten verantwortlich? Sind
das die Mitglieder des Rates, oder ist das die Geschäftsstelle?
Es sind natürlich in erster Linie die Mitglieder des
Sachverständigenrates. Sie werden seitens der Geschäftsstelle durch wissenschaftliche Mitarbeiter unterstützt. Es gibt auch Verwaltungsmitarbeiter in der Geschäftsstelle. Die Mitglieder des Sachverständigenrates
haben Mitarbeiter, die halbtags beschäftigt sind. Der
Vorsitzende hat einen wissenschaftlichen Mitarbeiter,
der ganztags für ihn arbeitet. Aber die Verantwortung
tragen selbstverständlich in allererster Linie die Mitglieder des Sachverständigenrates selbst.
Frau Kollegin Nestle.
Frau Staatssekretärin, Sie betonen sehr, wie wichtig
es dem Bundesumweltminister und dem Bundesumweltministerium ist, die Unabhängigkeit des Sachverständigenrates zu wahren. Inwiefern haben Sie dafür die Rückendeckung der anderen Mitglieder der Regierung? Da
es ein so wichtiger Themenbereich ist, haben Sie da sicherlich schon eine gemeinsame Absprache getroffen.
Es bedarf insofern keiner Absprache, als der Sachverständigenrat organisatorisch uns zugeordnet ist und explizit unsere Beratungen unabhängig begleitet.
Herr Kollege Ott.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, vielleicht abschließend: Ist Ihnen die Bemerkung des Kollegen
Kauch im Umweltausschuss am 5. Mai 2010 bekannt?
Laut Protokoll hat er da bei Vorstellung des Gutachtens
des SRU gesagt, dass der Atomausstieg nicht unbedingt
notwendig sei und dass der SRU sich fragen lassen
müsse,
ob seine Neutralität gewahrt sei oder ob er versuche, eine Kampagne für bestimmte politische Zielrichtungen zu machen.
Sind Sie mit mir der Ansicht, dass auch bei abweichenden Gutachten des Sachverständigenrates nicht unbedingt eine politische Zielrichtung angenommen werden muss, da der Sachverständigenrat ja vielmehr eine
vernünftige, sachliche und empirisch begründete Arbeit
machen soll?
Ich teile ganz klar Ihre zuletzt geäußerte Auffassung,
dass der Sachverständigenrat unabhängig arbeiten können muss. Ich kann mich an die von Ihnen wiedergegebene Äußerung selbst nicht erinnern.
Herr Kollege Ott, trotz Ihres Hinweises, dass es sich
bei Ihrer Nachfrage um die abschließende Frage handele, erlaubt sich das Präsidium, darüber selbst zu entscheiden, und gibt Frau Kofler die Möglichkeit zur letzten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich habe noch einmal eine
Frage hinsichtlich der Begründung für die B-4-Stelle,
die Sie am Anfang gebracht haben. Da haben Sie auf Belange der internationalen Vernetzung hingewiesen. Ich
gehe davon aus, dass Sie das Schreiben des Vorsitzenden
des Sachverständigenrates, Herrn Professor Faulstich, an
den Innenausschuss kennen. Er sieht als „limitierende
Faktoren“ für internationale Betätigung eben „nicht eine
hochdotierte Leitungsstelle beim SRU, sondern im Wesentlichen eine angemessene Sekretariatsunterstützung“
für die Arbeiten auf europäischer Ebene. Wenn das so
ist, stellt sich für mich die Frage, ob es nicht erstens
wirtschaftlicher und zweitens im Interesse der Fachlichkeit besser wäre, dort anzusetzen, statt eine B-4-Stelle zu
schaffen, wie hier angedacht.
Professor Faulstich schreibt weiter:
Auch in der SRU-Geschäftsstelle wäre die Einrichtung eines Referenten für europäische Angelegenheiten zielführender als die Schaffung einer Direktorenstelle ohne administrativen Unterbau.
Mich würde Ihre Stellungnahme zu diesen Ausführungen interessieren.
Ich kann Ihnen dazu keine Stellungnahme abgeben.
Sie müssten die Frage bitte an die Kolleginnen und Kollegen richten, die einer definitiv anderen Überzeugung
waren und deshalb auch für die Schaffung dieser Stelle
plädiert haben.
Schriftlich beantwortet werden die Fragen 24 und 25
der Kollegin Kotting-Uhl sowie die Fragen 26 und 27
des Kollegen Fell.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Die Frage 28 der Kollegin Crone, die Fragen 29
und 30 des Kollegen Gerdes sowie die Fragen 31 und 32
des Kollegen Hagemann werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Peter
Hintze steht als Staatssekretär zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Oliver Krischer
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Richtlinie der EU
bezüglich des Förderprogramms für fossile Kraftwerke und
der damit verbundenen Auflage, dass neue Kraftwerke mit
15 Prozent der Investitionssumme nur gefördert werden,
wenn die Kraftwerke vor dem Jahr 2020 die CCS-Technik
einsetzen, über die in den vergangenen Tagen in der Presse
berichtet wurde, und sieht sie unter diesen Gegebenheiten
überhaupt eine Möglichkeit, ihr angekündigtes Förderprogramm für fossile Kraftwerke aufzulegen?
Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Krischer, bislang hat die Europäische Kommission keinen Entwurf
für Beihilfeleitlinien - es geht also nicht um eine Richtlinie; das nur zu unserem gegenseitigen Verständnis - zu
der von ihr im Jahr 2008 im Zusammenhang mit dem
Energie- und Klimapaket zugesagten Möglichkeit der
Förderung hocheffizienter Kraftwerke in den Jahren
2013 bis 2016 vorgelegt.
Die in der Presse bislang bekannt gewordenen informellen Überlegungen der Europäischen Kommission
sind sehr restriktiv ausgestaltet. Insbesondere sind die
Anforderungen an die CCS-Fähigkeit der Anlagen sehr
hoch. Die Europäische Kommission wird nach eigenen
Aussagen noch im Dezember 2011 - also noch in diesem
Jahr - den Entwurf vorlegen. Dieser wird sodann mit
den Mitgliedstaaten erörtert.
Die Kommission wird im Anschluss über die konkreten verbindlichen Regeln entscheiden. Die konkrete
Ausgestaltung des geplanten Kraftwerkförderprogramms
hängt dann von dieser Rechtsgrundlage ab.
Herr Krischer, eine Nachfrage?
Danke für die Ausführungen, Herr Staatssekretär. Habe ich Sie also richtig verstanden, dass Ihnen bislang
vonseiten der EU-Kommission keinerlei Dokumente
oder schriftliche Aussagen über die inhaltliche Ausgestaltung dieser Guidelines - es ist keine formelle Richtlinie; da haben Sie recht - für ein Kraftwerksförderprogramm vorliegen?
Das ist eine Beihilfeleitlinie. Die Kommission entscheidet darüber selbst. Darin besteht der Unterschied zu
einer Richtlinie. Ein Dokument dazu gibt es nicht.
Es gibt folgende Schritte: Die Kommission muss einen Entwurf beschließen, was sie bisher noch nicht getan hat. Dieser Entwurf wird dann den Mitgliedstaaten
zur Erörterung zugeleitet. Die können das Ganze dann
kommentieren. Danach entscheidet die Kommission
über die eigentlichen Leitlinien. Diese sind dann die
Grundlage für die beihilferechtliche Behandlung des
Themas.
Informell haben wir die Vorüberlegungen, die dazu in
der Kommission unternommen wurden, schon mitbekommen. Wir haben erfahren, dass sie sehr restriktiv
sein sollen, was für uns natürlich eine echte Herausforderung darstellt; denn wir wollen ja mit unserem Programm flexible Kraftwerke fördern. Die Förderung zielt
insbesondere auf Kraftwerke von kleinen Betreibern, die
weniger als 5 Prozent Marktanteil haben. Das sind im
Wesentlichen Stadtwerke und andere kleine Betreiber.
Wir wären hinsichtlich des Kraftwerksförderprogramms
sehr stark eingeschränkt, wenn das, was jetzt in der
Presse zu lesen war und was wir auch informell auf Beamtenebene gehört haben, tatsächlich in den Entwurf
und später in die Leitlinien hineinkäme.
Sachstand ist, dass es noch keinen Entwurf im Sinne
der Definition der Kommission gibt. Dieser muss von
der Kommission beschlossen werden. Dann wird er mit
uns erörtert. Danach gibt es die Leitlinien, die dann bindend für die beihilferechtliche Behandlung des Themas
sind.
Sie haben eine zweite Nachfrage, Herr Krischer? Bitte sehr.
Wenn das, was Sie bisher informell erfahren haben,
denn tatsächlich so umgesetzt werden sollte - wir gehen
einmal davon aus -: Wäre dann ein Kraftwerksförderprogramm, so wie es die Bundesregierung bisher angedacht hat, vorstellbar?
Zunächst ist es klug, den eigentlichen Entwurf abzuwarten. Die Vormeldungen besagen, dass drei Förderstufen vorgesehen sind: 5 Prozent, 10 Prozent und 15 Prozent. Die höheren Förderstufen wären nur schwer zu
realisieren. Deswegen wollen wir im Verfahren erreichen - wenn uns der Entwurf vorliegt und wir uns offiziell an die Kommission wenden können -, dass das
Ganze noch einmal überdacht wird, damit wir unser Förderprogramm durchführen können. Für sehr effiziente
und flexible Kraftwerke wäre nach den jetzigen Überlegungen wahrscheinlich nur eine Förderung in Höhe von
5 Prozent möglich.
Frau Nestle.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von der Förderung,
die von der Höhe der Investition für das jeweilige Kraftwerk abhängig ist. Das würde bedeuten, dass pro Megawatt installierter Leistung ein Kohlekraftwerk eine deutlich höhere Förderung erhielte als ein Gaskraftwerk,
weil einfach die Investitionskosten in diesem Bereich
deutlich höher sind.
Finden Sie das richtig? Werden Sie daran festhalten,
ein Kohlekraftwerk pro Megawatt installierter Leistung
deutlich höher zu fördern als ein Gaskraftwerk? Ich
frage dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass Sie
gerade betont haben, dass Sie vor allem flexible Kraftwerke fördern wollen. Es ist allgemein bekannt, dass
Gaskraftwerke deutlich flexibler sind als Kohlekraftwerke.
Sie haben auf einige sachliche Zusammenhänge zu
Recht hingewiesen. Das Kraftwerksförderprogramm
liegt noch nicht vor und kann überhaupt erst dann auf
den Weg gebracht werden, wenn die Beihilfeleitlinien
vorliegen. Deswegen möchte ich jetzt nicht über verschiedene Varianten spekulieren.
Sie haben mit Ihrer Frage insofern recht, als die Chancen für eine Berücksichtigung der Gaskraftwerke bei den
Ausschreibungen sehr hoch sein dürften. Aber die
Grundlagen dafür gibt es jetzt noch nicht. Deswegen
kann ich die Frage nicht abschließend beantworten. Bei
den Gaskraftwerken stellt sich die gleiche Problematik:
Wenn die Förderrichtlinien zu restriktiv ausgelegt werden, kann ihr Bau möglicherweise nur mit dem niedrigsten Satz gefördert werden.
Herr Kollege Schwabe.
Herr Staatssekretär, interpretiere ich Sie jetzt richtig,
dass Sie vor dem Hintergrund der Informationen, die Sie
auf informellem Wege bekommen haben und nach denen
man restriktiv vorgehen will, eine Förderung von Gaskraftwerken als hochflexible Kraftwerke mit einem geringeren spezifischen CO2-Ausstoß für eher mit dem
vereinbar halten, was sich die Europäische Kommission
vorstellt? Kann man Sie so interpretieren?
Nein.
Dann kommen wir zur Frage 34 ebenfalls des Kollegen Krischer:
Wird sich die Bundesregierung im Vermittlungsausschuss
nach der Absage der Vattenfall Europe AG, das einzige CCSDemonstrations-Kohlekraftwerk in Deutschland zu bauen,
neu positionieren - etwa ein CCS-Forschungsgesetz lediglich
für prozessbedingte Emissionen aus der Industrie -, und falls
nein, mit welchem Erfolg rechnet sie in der CCS-Technologie
bei der Kohleverstromung in den kommenden Jahren vor dem
Hintergrund, dass kein Unternehmen bereit ist, diese Technologie in Deutschland derzeit anzuwenden, und den offensichtlichen Bedenken und Risiken bezüglich der großtechnischen
Verpressung von CO2?
Danke, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Kollege
Krischer, die Bundesregierung wird sich für ein Vermittlungsergebnis einsetzen, das die weitere Erprobung und
Demonstration der CCS-Technologie in Deutschland ermöglicht. CCS kann einen wichtigen Beitrag zum weltweiten Klimaschutz leisten. Ob CCS bzw. welche Teile
der CCS-Prozesskette in Deutschland Anwendung finden werden, ist offen.
Herr Krischer, Ihre Nachfrage.
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für diese Antwort, obwohl sie keine Antwort auf meine Frage war.
Doch.
Wir mussten erleben, dass Vattenfall das Projekt abgesagt hat. Damit ist das einzige CCS-Projekt in Deutschland hinfällig geworden. Meine Frage lautet: Welche
Konsequenzen hat diese Absage für das laufende Vermittlungsverfahren bezüglich CCS? Wird das die Haltung der
Bundesregierung auf irgendeine Weise beeinflussen? Ich
frage das vor dem Hintergrund, dass man sich mit den
Ländern auf eine gemeinsame Linie verständigen muss,
wenn man in diesem Vermittlungsverfahren zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen möchte.
Die Absage durch Vattenfall hat keine Konsequenzen
für das Verfahren. Ich kann das gerne erläutern - dann
wird vielleicht auch die Antwort auf eine vorhin gestellte
Frage verständlicher -: Alles, was im Moment in der
Kommission im Hinblick auf die Beihilfeleitlinien überlegt wird - das bezieht sich auf Ihre Frage -, deutet darauf hin, dass CCS-Readiness und sogar der tatsächliche
Einsatz von CCS vorausgesetzt werden. Das Mindeste,
was wir brauchen, um die erste Stufe, CCS-Readiness,
zu erreichen, ist ein CCS-Gesetz. Deswegen brauchen
wir ein solches Gesetz, unabhängig von der Frage, ob es,
was die CO2-Speicherung angeht, tatsächlich zum Bau
einer solchen Demonstrationsanlage kommt oder nicht.
Insofern beantworte ich Ihre Frage, ob wir unseren politischen Kurs trotz der Absage von Vattenfall beibehalten, mit Ja.
({0})
Der Vermittlungsausschuss hat entschieden, dass wir
jetzt in einer Arbeitsgruppe miteinander darüber sprechen und die unterschiedlichen Positionen der Länder
und des Bundestages austauschen. Der Versuch einer Einigung wird gemacht; aber die eindeutige Haltung der
Bundesregierung ist, dass wir ein solches CCS-Gesetz
brauchen; das gilt auch im Hinblick auf die Gaskraftwerke, die der Kollege in der eben behandelten Frage
angesprochen hat.
({1})
Haben Sie eine zweite Nachfrage, Herr Krischer? Bitte.
Die Tatsache, dass Sie bei Ihrer Haltung bleiben, ist
im Hinblick auf das Vermittlungsverfahren natürlich ein
großes Problem; denn das führt zu keinem Ergebnis.
Mich würde interessieren: In welchen Bereichen des
CCS-Gesetzes, das zwar vom Bundestag beschlossen
wurde, dem aber die Mehrheit des Bundesrates nicht zugestimmt hat, sehen Sie Bewegungsspielräume, um zu
einer Einigung mit den Vertretern der Länder im Vermittlungsausschuss und in der Arbeitsgruppe zu kommen?
Den Spielraum sehe ich in der Kraft der Vernunft, die
ich allen politischen Kräften zuspreche;
({0})
an dieser Hoffnung halte ich jedenfalls fest.
Es gibt zwei wichtige Gründe für das CCS-Gesetz.
Der erste Grund ist, dass es bereits ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung der Richtlinie
gibt. Der zweite Grund ist: Wir wollen gemeinsam erreichen - das gilt zumindest im Hinblick auf die Gaskraftwerke für sehr viele in diesem Hause -, dass wir ein solches Kraftwerksförderprogramm auflegen können, um
hier die Energiewende zu gestalten. Dieses Programm
würde gerade den Vorrang für die Stadtwerke und die
kleinen Betreiber sicherstellen und damit die Stärkung
des Wettbewerbs ermöglichen. Aber das setzt ein CCSGesetz voraus.
Wenn man die beiden Dinge betrachtet - das Vertragsverletzungsverfahren, das gegen Deutschland läuft,
und das Kraftwerksförderprogramm -, stellt man fest,
dass wir die Beihilfefähigkeit eines solchen Kraftwerksförderprogramms brauchen. Ich hoffe auf die Vernunft
aller Beteiligten im Vermittlungsausschuss, zu sagen:
Wir finden eine Lösung, die der Richtlinie entspricht, die
den Beihilfeleitlinien entspricht und die ein Vertragsverletzungsverfahren von der Bundesrepublik Deutschland
abwendet.
Die Kollegin Nestle hat eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, finden Sie, es zeugt von Vernunft,
wenn sich die Bundesregierung auf die Position zurückzieht, dass sie in einem Vermittlungsverfahren keinerlei
Änderung ihrer Position anbringen muss, sondern lediglich die anderen ihre Meinung zu ändern haben?
Ich könnte Ihre Frage mit Ja beantworten. Ich will
aber freundlicherweise Folgendes hinzufügen: Es gehört
zum Stil des Deutschen Bundestages, dass wir die Sachen, die in den Arbeitsgruppen und im Vermittlungsausschuss besprochen werden, nur dort besprechen und
dass wir das nicht vor dem Forum der Fragestunde machen. Ich glaube, es dient dem Vermittlungsergebnis,
wenn jeder mit der Kraft der Vernunft, seinen guten politischen Überzeugungen und dem Willen, ein Vertragsverletzungsverfahren abzuwenden und eine Grundlage
für eine beihilferechtliche Förderung von flexiblen und
effizienten Kraftwerken zu schaffen, in diese Runde hineingeht.
Herr Ott.
Herr Kollege Hintze, Sie sind zwar nicht der Kollege
Otto - wie auf der Medienwand angekündigt -, aber Sie
sind sehr sachkundig. Deshalb reicht mir das, was Sie
ausgeführt haben, noch lange nicht. Deswegen noch einmal nachgefragt: In welcher Form wollen Sie versuchen,
ein CCS-Gesetz in Deutschland durchzubringen? Kann
es nicht doch sein, dass Sie sich verrannt haben, in eine
Sackgasse geraten sind und nun einfach abspecken müssen, indem Sie ein Gesetz, das nur für Forschungsangelegenheiten gültig wäre, anvisieren?
Frau Präsidentin, ich sehe, dass der Name des Redners an der Medienwand nun geändert worden ist. Schönen Dank.
Die Verwechslung ist sicherlich nicht absichtlich gewesen. Wir sehen es ja auch.
Es ist auch eigentlich nicht möglich.
({0})
Verehrter Herr Kollege Dr. Ott, wenn Sie einen Blick
in die Richtlinie werfen, die Grundlage für unser Gesetz
ist, dann stellen Sie fest, dass die Richtlinie zwar einen
völligen Ausschluss von CCS erlaubt, aber sie erlaubt
ausdrücklich kein Gesetz, das nur auf die Forschung bezogen ist. Dafür gibt es eigene Vorschriften. Wir haben
in Deutschland bereits eine Forschungsanlage, das heißt,
wir könnten es ganz ausschließen, aber dann würden wir
auch alles andere ausschließen, was ich eben angesprochen habe. Ich weiß nicht, ob Sie das wollen. Die Bundesregierung möchte jedenfalls die flexiblen und hocheffizienten Kraftwerke fördern, und dazu brauchen wir
ein CCS-Gesetz. Wir suchen einen Weg - ich weiß nicht,
ob Sie zustimmen können, aber viele andere sollen dann
zustimmen können -, die Vorgaben der Richtlinie einzuhalten. Ich habe die Hoffnung, dass uns das gelingt.
Frau Kollegin Steiner.
Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund Ihrer Antwort auf die Frage meiner Kollegin Nestle in Bezug auf
die Kraftwerksförderung möchte ich es noch einmal genau wissen, weil für mich nicht eindeutig war: Können
Sie definitiv ausschließen, dass Sie Kohlekraftwerke
stärker fördern als Gaskraftwerke?
Da das Förderprogramm noch nicht vorliegt - wir haben nur die Beihilferichtlinie -, kann ich weder etwas
ein- noch etwas ausschließen. Es kommt auch nicht darauf an, sich auf tausend theoretische Formen zu beziehen. Wenn Sie sich das Kraftwerksförderprogramm und
die leitenden Ideen betrachten, stellen Sie fest, dass es
ausgeschrieben werden muss, es muss Flexibilität haben,
das heißt, es muss schnell hoch- und wieder runterfahren
können. All das muss gewährleistet sein. Am Ende des
Tages werden wir wahrscheinlich zu keinem unterschiedlichen Urteil kommen, wenn es darum geht, wer
durch das Kraftwerksförderprogramm gefördert wird.
Das Kraftwerksförderprogramm ist technologieoffen angelegt. Mehr kann ich Ihnen zum heutigen Zeitpunkt
schlicht nicht sagen, weil es das Programm noch gar
nicht gibt.
({0})
Nein, Sie haben keine zweite Frage.
Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Welche Angaben macht die Bundesregierung über die
2010 bis 2011 genehmigten deutschen Rüstungsexporte nach
Griechenland sowie griechische Zahlungen dafür, und welche
Bemühungen unternahm die Bundesregierung, um im Rahmen der Verhandlungen über internationale Finanzhilfen entweder Griechenland zum Sparen bei Kriegswaffen- und anderen Rüstungsimporten zu bewegen oder ganz im Gegenteil
Rüstungsexporte aus Deutschland und anderen EU-Staaten
von den Sparauflagen auszunehmen?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung berichtet in dem am 7. Dezember veröffentlichten Rüstungsexportbericht über die im Jahre 2010
erteilten Genehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Griechenland.
Im Jahr 2010 wurden 103 Ausfuhrgenehmigungen erteilt, die Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter im
Gesamtwert von 35 799 664 Euro betrafen. Diese umfassten die Ausfuhrlistenpositionen A0002, A0003,
A0004, A0005, A0006, A0009, A0010, A0011, A0014,
A0016, A0017, A0018 und A0021. Angaben für das
Jahr 2011 werden im nächsten Rüstungsexportbericht erscheinen.
Zu den Zahlungen, die Griechenland an deutsche Unternehmen für in Deutschland gekaufte Rüstungsgüter
geleistet hat, liegen der Bundesregierung keine Informationen vor.
Im Rahmen der Verhandlungen über internationale
Finanzhilfen an Griechenland wurden keine Beschlüsse
zu konkreten Projekten bzw. einzelnen Haushaltspositionen gefasst. Auch zu Fragen der Rüstungspolitik wurden
keine konkreten Festlegungen getroffen. Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, dass auch der Rüstungsbereich von den umfassenden Sparmaßnahmen der griechischen Regierung, deren Einhaltung Voraussetzung für
die Auszahlung der nächsten Kredittranche ist, betroffen
sein wird.
Herr Ströbele, eine Nachfrage?
Ja, danke. - Sie haben mal wieder die Frage nicht beantwortet, jedenfalls den zweiten Teil nicht: Hat sich die
Bundesregierung in den Verhandlungen mit bzw. über
Griechenland, an denen sie auch beteiligt war, dafür eingesetzt oder darum bemüht, dass Griechenland im Rahmen der Sparauflagen, die Griechenland gemacht worden sind und wo penibelst - durch immer neue
Untersuchungen und Kommissionen - darauf geachtet
wird, dass sie auch eingehalten werden, gerade bei Rüstungsimporten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern spart, das heißt, keine Rüstungsgüter
mehr einführt, weil es kein Geld dafür hat? Mindestens
deshalb.
Die sicherheitspolitischen Entscheidungen Griechenlands liegen in der autonomen Entscheidung der griechischen Regierung. Mir ist nicht bekannt, dass im Zusammenhang mit den entsprechenden Beratungen auf
diesem speziellen Sektor eine im Sinne Ihrer Frage liegende Vereinbarung getroffen wurde.
Sie haben das Wort zu Ihrer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Fragen wieder nicht
beantwortet.
Doch.
Hat sich die Bundesregierung bemüht, dass die griechische Regierung veranlasst wird - wie und wo auch
immer -, Rüstungsimporte aus Deutschland und anderen
europäischen Staaten - jedenfalls solange Griechenland
sparen muss - nicht mehr durchzuführen? Das kann man
doch - ganz einfach - mit Ja oder Nein beantworten.
Ganz so einfach ist es nicht. Ich habe ausgeführt, dass
sich die Sparanstrengungen auf den gesamten griechischen Haushalt beziehen. Mir ist nicht bekannt, dass es
eine Bemühung speziell zu dem von Ihnen angesprochenen Sektor gibt. Das hatte ich eben schon ausgeführt,
aber ich sage es gerne noch einmal.
Dann sind wir bei Frage 36 des Kollegen Weinberg,
die schriftlich beantwortet wird.
Das gilt ebenso für die Fragen 37 und 38 des Kollegen Koenigs, die schon den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes betreffen, sowie für die Fragen 39 und
40 des Kollegen van Aken.
Wir kommen zur Frage 41 des Kollegen Paul Schäfer:
Aus welchen Gründen ist die Bundesregierung bzw. das
Auswärtige Amt, wie im Rüstungsexportbericht 2010 angeführt, zu der Auffassung gelangt, dass der Export von „Flugkörper({0}) und Teile({1}) für Minenräumsysteme, Flugkörper({2}),
Torpedos“ und „Kommunikationsausrüstung“ nach Pakistan
vereinbar ist mit dem Kriterium 4 des Gemeinsamen Standpunktes des EU-Rates betreffend gemeinsame Regeln für die
Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern?
Zur Beantwortung steht die Staatssekretärin Cornelia
Frau Präsidentin! Herr Kollege Schäfer! Gemäß Kriterium 4 des Gemeinsamen Standpunktes verweigern die
Mitgliedstaaten „eine Ausfuhrgenehmigung, wenn eindeutig das Risiko besteht, dass der angegebene Empfänger die Militärtechnologie bzw. die Militärgüter, die zur
Ausfuhr bestimmt sind, zum Zwecke der Aggression gegen ein anderes Land oder zur gewaltsamen Durchsetzung eines Gebietsanspruchs benutzt“. In keinem dieser
Ausfuhrfälle bestand ein derartiges Risiko. Die gelieferten Rüstungsgüter bewirkten keine Aufrüstung Pakistans. Bei allen Genehmigungen wurde darauf geachtet,
dass es sich um Systeme handelt, die defensiv wirken
und nicht kampfwertsteigernd ausgelegt sind bzw. keinen zahlenmäßigen Aufwuchs beinhalten.
Herr Schäfer, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Wie Sie zu Recht sagen,
Frau Staatsministerin, hebt das Kriterium 4 auf „das Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten
Konflikts zwischen dem Empfängerland und einem anderen Land“ und auf „Ansprüche auf das Hoheitsgebiet
eines Nachbarlandes, deren gewaltsame Durchsetzung
das Empfängerland in der Vergangenheit versucht bzw.
angedroht hat“ ab. Hinzu kommt die Frage der regionalen Stabilität. Das trifft meines Erachtens in einem sehr
hohen Maße auf das indisch-pakistanische Verhältnis zu;
Stichwort „Kaschmir-Konflikt“. Meine Frage lautet deshalb: Wie kann es passieren, dass dieses Kriterium bei
der Genehmigung von Waffenlieferungen an Pakistan
ausgeblendet wird?
Das schätzen wir anders ein. Die Beziehung Indiens
zu Pakistan hat sich im Verlauf des Jahres 2011 auf vielen Politikfeldern deutlich verbessert. Es gibt umfassende Entspannungsbemühungen. Nicht nur in außenpolitischer, sondern auch in handelspolitischer Hinsicht
sind gemeinsame Maßnahmen festzustellen. Neben den
Außenministern und Staatssekretären führen auch die
Handelsminister und Staatssekretäre einen vertieften
hochrangigen politischen Dialog. Beide Seiten bekennen
sich weiterhin zu einer Annäherung. Insofern kann ich
Ihre Befürchtungen abmildern.
Eine zweite Nachfrage, Herr Schäfer?
Ja. Danke. - Nun gehören zu diesen genehmigten
Rüstungsgütern auch Kriegswaffen wie Torpedos und
Flugkörper. Meine Nachfrage lautet: Können Sie definitiv ausschließen, dass diese Waffen, wenn es zu einer Eskalation zwischen Indien und Pakistan käme, eingesetzt
würden? Gibt es mit dem Empfängerland Pakistan entPaul Schäfer ({0})
sprechende Vereinbarungen, dass diese Waffen nicht eingesetzt werden dürfen?
Erstens. Wir gehen, wie ich schon sagte, nicht von einer Eskalation zwischen Pakistan und Indien aus, sondern eher von einer Deeskalation. Ich bitte Sie zweitens,
zur Kenntnis zu nehmen, dass Deutschland eine verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik betreibt und sich
natürlich an die festgelegten internationalen Kriterien
hält.
Wir kommen zur Frage 42 des Kollegen Schäfer:
Welche Hindernisse sieht das Auswärtige Amt für die
Durchführung von Endverbleibskontrollen für aus Deutschland gelieferte Rüstungsgüter im Empfängerland durch Personal aus Deutschland?
Kollege Schäfer, die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 19. Januar 2000 sehen eine
Prüfung des Endverbleibs vor Genehmigungserteilung
vor. Durch die Ex-ante-Prüfung wird von vornherein gesichert, dass Rüstungsgüter nicht an Empfänger geliefert
werden, bei denen die Gefahr besteht, dass die Güter
umgeleitet werden. Wenn Zweifel am gesicherten Endverbleib beim Empfänger bestehen, werden Ausfuhranträge abgelehnt. Nur in wenigen Einzelfällen ist eine
Umleitung bekannt geworden.
Die Bundesregierung hält das derzeitige Verfahren
der Endverbleibskontrolle für ausreichend. Die Durchführung von Endverbleibskontrollen im Empfängerland
durch Amtspersonen aus Deutschland - ich bringe das
vor dem Hintergrund gemachter Erfahrungen zum Ausdruck - sind aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt und
auch problematisch; so wären diese völkerrechtlich
überhaupt nur mit Zustimmung des Empfängerlandes
möglich.
Kollege Schäfer, eine Nachfrage? - Bitte.
Ob das derzeitige Verfahren der Endverbleibskontrolle wirklich so zuverlässig und wasserdicht ist, mag
man mit Blick auf immer wieder verbreitete Meldungen
über auftauchende deutsche Waffen in bestimmten Krisengebieten bezweifeln. Das lasse ich jetzt aber erst einmal. Ich habe gefragt:
Welche Hindernisse sieht das Auswärtige Amt für
die Durchführung von Endverbleibskontrollen …
im Empfängerland durch Personal aus Deutschland?
Sie wissen wahrscheinlich, dass die USA dies praktizieren. Die USA machen das über Botschaftsangehörige.
Es gibt sogar eine eigene Behörde dafür. Warum führt
die Bundesrepublik Deutschland solche Inspektionen in
den Empfängerländern nicht durch?
In meiner Antwort auf die Frage habe ich bereits gesagt, Herr Abgeordneter Schäfer, dass die Durchführung
von Endverbleibskontrollen durch Personal aus Deutschland der Mitwirkung der Behörden des Empfangsstaates
bedarf.
({0})
Eine einmalige Kontrolle wäre aus unserer Sicht nicht
ausreichend. Hinzu kommt, dass bei Mischempfängern,
also Firmen, die sowohl zivile als auch militärische Produkte herstellen, der Nachweis der Nutzung für die Produktion für militärische Zwecke nur schwer zu führen
ist.
Bei den USA ist es in der Tat so, wie Sie sagen. Die
Vereinigten Staaten von Amerika führen teilweise derartige Endverbleibskontrollen durch. Die Bundesregierung
verfügt jedoch über keine speziellen Erkenntnisse bezüglich der Effizienz dieser Kontrollen.
Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Bitte sehr.
Wäre es denn Ihrer Meinung nach zumindest sinnvoll,
eine Art Berichterstattungspflicht des Empfängerlandes
über den Verbleib der gelieferten Güter zu verlangen? Ja
oder nein? Das wäre ja unterhalb der Schwelle einer Inspektion durch Deutsche im Empfängerland. Es wäre lediglich eine Berichterstattungspflicht, die man abverlangt, wenn man Rüstungsgüter geliefert hat.
Bisherige Erfahrungen im Einzelfall - ich sagte ja,
dass versucht wurde, Personal aus Deutschland einzusetzen - haben einen sehr hohen organisatorischen, finanziellen und personellen Aufwand belegt. Dieser ist aus
unserer Sicht, aus Sicht der Bundesregierung, nicht gerechtfertigt.
Ich will noch einmal deutlich machen, dass jedes
Land, in das Rüstungsgüter geliefert werden, eine Erklärung abgeben muss, in der es deutlich macht, welche Bedingungen bestehen und dass es zur Einhaltung dieser
verpflichtet ist. Wenn dieser Erklärung zuwider gehandelt wird, ist das natürlich ein konkreter Anlass für die
Bundesregierung, zu handeln und die Genehmigung zurückzuziehen.
Die Fragen 43 und 44 der Kollegin Vogler werden
schriftlich beantwortet. Die Fragen 45 und 46 des Kollegen Hunko werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die
Fragen 47 und 48 der Kollegin Buchholz, die Fragen 49
und 50 der Kollegin Dağdelen sowie die Fragen 51 und
52 der Kollegin Beck werden schriftlich beantwortet.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Frage 53 des Kollegen
Hofreiter, die Frage 54 der Kollegin Müller-Gemmeke
sowie die Fragen 55 und 56 der Kollegin Zimmermann
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 57 des Kollegen Memet Kilic auf:
Hat die Bundesregierung Hinweise darauf, dass Beate
Zschäpe entweder Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt während ihres Untertauchens geheiratet hat, und wenn ja, ist der
Bundesregierung bekannt, wie die beiden Eheleute alle für die
Eheschließung notwendigen Dokumente beschafft haben?
Zur Beantwortung steht bereit der Kollege Staatssekretär Schröder.
Herr Abgeordneter Kilic, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über eine Heirat von Beate Zschäpe mit Uwe
Mundlos oder Uwe Böhnhardt vor.
Herr Kilic, eine Nachfrage?
Herr Staatssekretär, in der Sitzung des Innenausschusses am 21. November 2011 hat sogar der Bundesinnenminister deutlich gemacht, dass einer der Getöteten des
Terrortrios einen gefälschten Ausweis, möglicherweise
einen gefälschten Pass, besaß. Das Bild des Terroristen
gelangte in einer Behörde in diesen Pass. Wissen Sie, bei
welcher Behörde das Bild des Terroristen in den Pass gelangte, der für eine andere Person beantragt war?
Es handelt sich hier um laufende Ermittlungsverfahren. Zu dieser konkreten Frage kann ich Ihnen nichts sagen.
Herr Kilic, eine weitere Nachfrage?
Wenn so etwas passiert ist - der Herr Innenminister
hat dies ja bestätigt -, muss ja gegen diese Behörde bzw.
gegen Angestellte dieser Behörde ermittelt werden. Wird
so eine Ermittlung durchgeführt? Ja oder nein?
Ich kann Ihre Schlussfolgerung nicht nachvollziehen,
dass gegen eine Behörde ermittelt werden soll, die getäuscht wurde.
({0})
Herr Kilic, eine dritte Nachfrage können Sie leider
nicht stellen.
Wir kommen zur Frage 58, ebenfalls vom Kollegen
Kilic:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Verfassungsschützer gleichzeitig in Schützenvereinen als Mitglieder registriert sind?
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, wie viele Verfassungsschützer
gleichzeitig in Schützenvereinen als Mitglieder registriert sind.
Herr Kilic, eine Nachfrage?
Ja. - Wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz
oder die Landesämter für Verfassungsschutz nicht so
viele Informationen über Rechtsradikale haben, müssten
sie wenigstens Informationen über eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. In Hessen ist jetzt herausgekommen, dass ein Verfassungsschützer an dem Tag im
Jahr 2006 anwesend war, als Herr Halit Yozgat in einem
Internetcafé getötet wurde. Bei der Durchsuchung seiner
Wohnung hat man rechtsradikale Schriften gefunden. In
seinen „fröhlichen“ Jahren wurde er „Kleiner Adolf“ genannt. All diese Dinge waren dem Landesverfassungsschutz in Hessen nicht bekannt. Deshalb die Frage:
Wenn die Bundesregierung und die Behörden nicht über
genügend Informationen zu Rechtsradikalen verfügen,
sollten sie dann nicht wenigstens Informationen über die
Mitarbeiter der Landesämter für Verfassungsschutz und
des Bundesamtes für Verfassungsschutz haben? Dazu
gehören natürlich auch Vereinsmitgliedschaften.
Selbstverständlich überprüft insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz, ob die Mitarbeiter verfassungstreu sind. Aber es ist nicht möglich, aufgrund einer
Mitgliedschaft in einem Verein, zum Beispiel in einem
Schützenverein, die Schlussfolgerung zu ziehen, dass jemand nicht verfassungstreu ist.
Herr Kilic, eine zweite Nachfrage?
Ja. - Das war auch nicht die Frage. Vielmehr geht es
darum: Das Bundesamt für Verfassungsschutz oder die
Landesämter für Verfassungsschutz müssen wissen, welche eigenen Mitarbeiter bei einem Verein, irgendeinem
Verein, Mitglied sind. Da wir diese Frage mehrfach gestellt haben - am 21. November dieses Jahres, am
30. November dieses Jahres im Innenausschuss und
dann noch schriftlich -, Sie aber bis heute nicht wissen,
wie viele Verfassungsschützer in Schützenvereinen organisiert sind, muss ich sagen: Das ist ein Manko der Bundesregierung. Ist es nicht so?
Sie unterstellen, dass jeder, der Mitglied in einem
Schützenverein ist, offensichtlich nicht verfassungstreu
ist,
({0})
oder Sie unterstellen, dass die entsprechenden Personen
nicht beim Bundesamt für Verfassungsschutz arbeiten
sollten.
({1})
Diese Schlussfolgerungen können wir nicht teilen. Entscheidend ist, dass die Mitarbeiter des Bundesamtes für
Verfassungsschutz verfassungstreu sind. Darauf werden
sie überprüft.
Frau Kollegin Pau.
Herr Staatssekretär, die Frage des Kollegen Kilic gibt
mir Gelegenheit, zu einem anderen Sachverhalt nachzufragen. Ich frage also nicht nach Verfassungsschützern.
Sie haben in den letzten Tagen Anfragen von Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion zum Thema
Legaler Waffenbesitz und zum Besitz einer entsprechenden Erlaubniskarte durch Rechtsextreme beantwortet.
Zugegebenermaßen: Mich überrascht nicht mehr viel in
diesem Bereich. Aber die Anzahl legaler Waffen, die
einschlägig bekannte Rechtsextreme, zum Teil sogar als
gewaltbereit bekannte Rechtsextreme, besitzen, zum
Beispiel im Bundesland Sachsen, hat mich doch überrascht. Deshalb meine Frage: Haben Sie Kenntnis davon,
dass Behörden des Bundes oder der Länder in den vergangenen Jahren - auch auf der Grundlage der Veränderungen im Waffenrecht, die wir sowohl im Jahre 2003
als auch in den nachfolgenden Jahren vorgenommen haben - Hinweise zum Beispiel an Schützenvereine bzw.
Sportvereine gegeben haben, dass diejenigen, welche
eine solche Erlaubnis beantragt haben, nicht den Kriterien der Zuverlässigkeit nach § 5 des Waffengesetzes
entsprechen?
Für die Ausführung des Waffengesetzes sind die Länder zuständig. Die Behörden, die dafür zuständig sind,
müssen selbstverständlich die Zuverlässigkeit desjenigen, der beantragt, eine Waffe führen zu dürfen, überprüfen. Hierfür sind Erkenntnisse darüber, ob jemand
beispielsweise Mitglied einer rechtsextremistischen Vereinigung ist, natürlich dringend notwendig.
Wir kommen zur Frage 59 des Kollegen Montag:
Welche Bedeutung misst die Bundesregierung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, insbesondere der Entscheidung „Partidul Comunitilor
({0}) und Ungureanu gegen Rumänien“ ({1}),
bei der Bewertung der Validität der in einem neuen NPD-Verbotsverfahren vorzulegenden Beweise und der Bewertung seiner Erfolgsaussichten bei?
Sehr geehrter Herr Kollege Montag, im Rahmen der
Prüfung eines NPD-Verbotsantrags prüft die Bundesregierung alle in diesem Zusammenhang maßgeblichen
Aspekte. Hierzu gehören auch die Anforderungen der
Europäischen Menschenrechtskonvention einschließlich
der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
sind diese Anforderungen von allen staatlichen Organen
auch bei der verfassungsrechtlichen Würdigung der relevanten Sachverhalte zu berücksichtigen.
Herr Montag, eine Nachfrage?
Ja, gerne.
Bitte sehr.
Danke, Herr Staatssekretär. Es freut mich, dass die
Bundesregierung das so sieht; denn wenn wir uns gemeinsam um einen Verbotsantrag bemühen wollen, dem
wir selbst große Erfolgschancen beim Bundesverfassungsgericht einräumen, dann müssen wir uns auch mit
dieser Rechtsprechung beschäftigen. In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage an Sie.
Mögliche Antragsteller für ein solches Verfahren sind
der Bundestag, die Bundesregierung und der Bundesrat.
Beim letzten Mal haben diese drei Verfassungsorgane
den Antrag gemeinsam gestellt. Der Bundestag verfügt
aber über keinerlei Möglichkeiten, das Material zu beschaffen, das zur Untermauerung eines solchen Antrags
notwendig ist. Dies ist Aufgabe der Bundesregierung.
Wird die Bundesregierung im Falle eines erneuten Anlaufs dem Bundestag, uns Abgeordneten, vor einem Antrag das gesammelte Material zur Verfügung stellen, damit wir eine informierte Entscheidung darüber treffen
können,
Herr Kollege.
- ob wir uns einem solchen Verfahren anschließen
wollen oder nicht?
Zunächst einmal wird ja überprüft, welche genauen
Anforderungen aufgrund der neuesten Rechtsprechung,
aber auch aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erforderlich
sind. Diese Anforderungsliste werden wir selbstverständlich auch dem Bundestag zur Verfügung stellen.
({0})
Wir kommen zur Frage 60 der Kollegin Pau:
Welche Erkenntnisse wurden in der Datei „Rechtsextremistische Kameradschaften“ erfasst, und aus welchen Gründen wurde die Datei 2010 gelöscht?
Eine Datei mit der nachgefragten Bezeichnung ist der
Bundesregierung nicht bekannt. Zum Zwecke einer optimierten Aufklärung und Auswertung von Informationen
über neonazistische Gruppierungen, darunter auch Kameradschaften, betreiben das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der
Länder seit 2009 ein gemeinsames Auswertungsprojekt,
mit dem Ziel, die zunehmende Bedeutung des neonazistischen Spektrums als treibende Kraft im Rechtsextremismus einer verstärkten Aufklärung und Analyse zuzuführen. Die Ergebnisse werden seit 2010 in einer temporären
Arbeitsdatei zusammengefasst.
Frau Pau, eine Nachfrage.
Ich wüsste gerne: Erkenntnisse welcher Art werden in
dieser temporären Arbeitsdatei zusammengefasst, das
heißt, geht es nur um Kameradschaften oder auch um
weitere Gruppierungen? Geht es auch um Straftaten, bis
hin zu Gewalttaten, die aus diesen Gruppierungen heraus
begangen werden? Werden dort beispielsweise auch Erkenntnisse über Waffen und Sprengstoff erfasst?
In dieser Datei geht es insbesondere um Kameradschaften, um informelle Gruppen und auch um sogenannte autonome Nationalisten sowie darum, inwieweit
sie sich organisieren und welche Rolle die Einzelnen
spielen. Hierbei werden die Informationen der Landesämter und des Bundesamtes für Verfassungsschutz zusammengeführt, um ein entsprechendes Bild zu erhalten.
Frau Pau, Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte.
Ja. - Ich habe das Programm zur Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalt des Bundesinnenministeriums
zur Kenntnis genommen. Dort heißt es unter Punkt 9:
„Kameradschaften überprüfen“, und es wird hier in diesem Monat offensichtlich eine neue Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft eingerichtet. Ich wüsste jetzt gerne: In
welchem Verhältnis steht dieses neue Gremium mit seinen Möglichkeiten zu der von Ihnen erwähnten Gruppe
und der temporären Datei, bzw. ersetzt dieses neue Gremium das Ganze, und werden die Ergebnisse der bisherigen Arbeit dorthin überführt?
Das Letztere ist richtig. Das Auswertungsprojekt wird
künftig im gemeinsamen Abwehrzentrum „Rechtsextremismus“ weitergeführt.
Wir kommen zur Frage 61 der Kollegin Pau:
Wie viele gewaltbereite Rechtsextremisten, gegen die wegen einschlägiger Straftaten ermittelt wurde, haben sich den
Ermittlungen entzogen, und gegen wie viele wurde daraufhin
Haftbefehl erlassen?
Ein vom Bundeskriminalamt durchgeführter, nur rein
automatisierter Abgleich der in der Datei „Gewalttäter
rechts“ derzeit gespeicherten 950 Personen mit dem
Fahndungsbestand hat ergeben, dass zehn dieser Personen zur Festnahme ausgeschrieben sind. Während in
einem Fall die Festnahme zu Ausweisung und Abschiebung erfolgen soll, soll sie in den anderen neun Fällen
der Strafvollstreckung dienen. Doch ist auch bei diesen
neun Fällen nicht ersichtlich, ob der Haftbefehl wegen
einer einschlägigen, das heißt politisch rechts motivierten Straftat oder einer Straftat aus der allgemeinen Kriminalität, zum Beispiel Unterhaltsentziehung, ausgesprochen worden ist. Das Bundeskriminalamt ist bereits
an die Länder herangetreten, um die Haftbefehle gegen
politisch rechts motivierte Täter zu verifizieren und auf
ihre Vollständigkeit hin zu überprüfen sowie die Haftbefehle herauszufiltern, denen eine politisch motivierte Tat
zugrunde liegt.
Frau Pau, Sie haben eine Nachfrage.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie das jetzt mit
den Ländern beraten haben bzw. mit ihnen verabredet
haben, dass diesen Dingen jetzt nachgegangen wird?
Wenn ja, wüsste ich gern, ob dann der Umkehrschluss
richtig ist, dass bis zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens
dieser Mordserie und unserer entsprechenden innenpolitischen Debatten das Untertauchen und Nichtauffinden
solcher gesuchten Straftäter nicht als ernste Gefahr angesehen wurde, das heißt, bis zum Jahre 2011 eine solche
Verabredung, dem nachzuspüren, nicht existierte?
Das ist nicht der Fall. Es ist lediglich die Frage, in
welcher Datei was abgespeichert wird. Die Frage, ob
vollstreckbare Haftbefehle abgespeichert sind, ist ja in
der Vergangenheit immer sehr strittig diskutiert worden
und wird natürlich auch bei der neuen Verbunddatei strittig sein. Auf der einen Seite wird argumentiert, im Sinne
der Sicherheitsbehörden ist diese Information notwendig. Auf der anderen Seite wird argumentiert, Haftbefehl
heißt noch lange nicht, dass gegen den Betreffenden etwas aus dem Bereich Rechtsextremismus vorliegt. Deshalb wird zum Teil eben die Auffassung vertreten, dass
diese Haftbefehle nicht eingestellt werden sollen.
Gut. Ich habe aber nicht nur nach Haftbefehlen gefragt, sondern auch nach Personen, denen entsprechende
Dinge vorgeworfen werden, die jedoch aus dem Blickfeld der Behörden verschwunden sind. Da stellt sich für
mich jetzt beispielsweise mit Blick auf die drei Herrschaften, über die wir zurzeit so intensiv reden und die
seit dem Jahre 2001 aus dem Blickfeld der Behörden
verschwunden sein sollen, noch einmal die Frage, ob ein
solches Verschwinden in den letzten Jahren nicht als bedrohlich und nachforschenswert empfunden wurde.
Selbstverständlich ist ein Haftbefehl, der nicht vollstreckt werden kann, in vielen Fällen eine Bedrohung für
die Sicherheit. Deshalb sind natürlich auch die Sicherheitsbehörden daran interessiert. In der Polizeidatei
INPOL sind ja auch solche Dinge abgespeichert, aber
eben nicht in der Datei „Gewalttäter rechts“. Wir werden
jetzt überlegen, wie das bei der neuen Verbunddatei gehandhabt wird.
Herr Wunderlich, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen bei Ihrer ersten Antwort von einem Abschiebehaftbefehl und neun Vollstreckungshaftbefehlen. Das hat ja mit laufenden Ermittlungen und Sich-den-Ermittlungen-Entziehen nichts zu
tun. Insofern war die Antwort auf die Frage etwas daneben.
Aber wenn Sie jetzt schon mit den Landesbehörden in
Kontakt stehen, um zu ermitteln, wie viele Haftbefehle
denn erlassen werden, dann möchte ich Sie doch darum
bitten, dass in dem Kontext nicht nur festgestellt wird,
wie viele Haftbefehle in diesem Bereich erlassen worden
sind, sondern auch, wie viele vollstreckt worden sind,
um zu wissen, in wie vielen Fällen tatsächlich eine Inhaftierung erfolgte und die Haftbefehle nicht außer Vollzug gesetzt wurden.
Ich habe die Frage der Abgeordneten Pau so verstanden, dass nach Erkenntnissen über nicht vollstreckte
Haftbefehle gefragt und nicht über den Erlass von Haftbefehlen gesprochen wurde. Aber selbstverständlich ist
die entscheidende Frage, welche Haftbefehle eben nicht
vollstreckt wurden.
Herr Kilic.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, diese Verbunddatei
wird als Maßnahme vorgeführt, mit der man zukünftig
solche Fälle besser handhaben kann. Aber in der heutigen Sitzung des Innenausschusses hat der Präsident des
Bundesverfassungsschutzes die öffentliche Information
bestätigt, dass man bei dem Terrortrio in der Vergangenheit zwischen 1998 und 2001 verschiedentlich kurz
davorstand, es festzunehmen, aber die Aktionen unterbrochen wurden. Stimmen Sie mir zu, dass eine Verbunddatei nicht hilft, solange der Wille zur Inhaftnahme
nicht vorhanden ist?
Die Sicherheitsbehörden haben mit Hochdruck gefahndet. Es kann überhaupt nicht die Rede davon sein,
dass hier nicht der Wille bestand, Kriminelle zu verfolgen und festzunehmen. Aber selbstverständlich ist eine
Verbunddatei, in der die Informationen der einzelnen Sicherheitsbehörden zusammengeführt werden, von allergrößter Bedeutung, wie die Frage der Abgeordneten Pau
eben gezeigt hat.
Gerade wenn man kritisiert, dass unter Umständen Informationen verloren gegangen sind und der Verfassungsschutz nicht über die Informationen verfügte, gegen wen ein vollstreckbarer Haftbefehl vorlag, gerade
dann ist die Erkenntnis klar, dass wir eine Verbunddatei
brauchen, in der genau solche Informationen eingestellt
sind.
({0})
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Fragen 62 und 63 des
Kollegen Lemme werden schriftlich beantwortet. Die
Fragen 64 und 65 der Kollegin Hönlinger sind zurückgezogen worden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Schriftlich beantwortet werden ebenfalls die Fragen 66 und 67 des Kollegen Troost
sowie die Fragen 68 und 69 der Kollegin Höll.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 70 und 71
des Kollegen Priesmeier werden schriftlich beantwortet.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zur Frage 72. Der Kollege Paula ist
nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Frage 73 der Kollegin Tackmann wird schriftlich
beantwortet. Auch die Fragen 74 und 75 des Kollegen
Seifert und die Frage 76 der Kollegin Marks werden
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 15. Dezember 2011,
9 Uhr, ein.
Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.