Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/14/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz, liebe Kolleginnen und Kollegen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zu erweitern und die Fragestunde hierfür um 14 Uhr zu unterbrechen. Nach der Aussprache zu der Regierungserklärung wird die von der Fraktion Die Linke verlangte Aktuelle Stunde zu steuerpolitischen Vorhaben der Bundesregierung aufgerufen. Nach der Aktuellen Stunde soll dann die Fragestunde fortgesetzt werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Erklärung des Bundes zum Nationalen Aktionsplan Integration. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Frau Staatsministerin Dr. Maria Böhmer. Bitte.

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Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Nationalen Integrationsplan haben wir 2007 erstmals ein Gesamtkonzept für die Integration in Deutschland vorgelegt. Wir sind auf diesem Feld weiter vorangekommen. Das war auch der Grund, weshalb wir gesagt haben, dass wir Integration jetzt noch verbindlicher gestalten wollen. Im November vergangenen Jahres wurde der Startschuss gegeben für die Entwicklung des Nationalen Aktionsplans Integration, der die Weiterentwicklung des ersten Integrationsplans darstellt. Was bedeutet „Weiterentwicklung“ an dieser Stelle? Wir haben jetzt verbindliche Ziele formuliert. Wir haben konkrete Maßnahmen dazu eingeleitet, und wir werden die Zielerreichung kontinuierlich überprüfen. Der Aktionsplan wurde in elf Dialogforen erarbeitet. Ich möchte allen sehr herzlich danken, die daran mitgewirkt haben. Das betrifft den Bereich der Bundesregierung, die Länder, die Zivilgesellschaft, die großen gesellschaftlichen Gruppen, die Migrantenorganisationen und den kommunalen Bereich. Wir sind auch dieses Mal wieder dem Dialogprinzip gefolgt, was sich sehr bewährt hat. Das heißt - gerade mit Blick auf Migranten -: Wir reden miteinander und nicht übereinander. Ich will einige entscheidende Punkte aus der Erklärung des Bundes zum Nationalen Aktionsplan verdeutlichen: Wir fassen Integration als eine große Gemeinschaftsaufgabe auf. Deshalb war es wichtig, alle mit im Boot zu haben. Wir haben dieses Mal zwei neue Themen - zusätzlich zu den schon bekannten - aufgegriffen, nämlich einmal „Gesundheit und Pflege“, weil wir hiermit der Tatsache Rechnung tragen wollen, dass die Migranten immer älter werden. Auch hier hinterlässt die demografische Entwicklung ihre Spuren. Aber wir wenden uns auch an die jüngere Generation, und zwar im Sinne von Prävention. Neu ist auch das Themenfeld „Migranten im öffentlichen Dienst“. Wir sind der Überzeugung, dass dem Bund hier eine große Vorreiterfunktion zukommt, aber auch den Ländern und den Kommunen. Das heißt, die Öffnung des öffentlichen Dienstes ist ein wichtiges Anliegen. Mit der heute beschlossenen Erklärung des Bundes haben wir deutlich gemacht, dass jetzt ein Paradigmenwechsel erfolgt: Integration ist zweifellos eine Daueraufgabe. Wenn man sich dieser Daueraufgabe stellen will, dann kann man nicht immer nur mit Projekten arbeiten, sondern muss alles daransetzen, dass Projekte in Regelangebote überführt werden. Das ist nicht immer einfach; das ist für viele eine große Herausforderung. Aber es bedeutet eine neue Qualität in der Integrationspolitik. Ich will das anhand von zwei Beispielen deutlich machen: Im Bereich der Sportförderung wird das Kriterium der Integration zukünftig eine Rolle spielen, im Bereich der Kulturförderung ebenfalls. Zweitens. Wir haben gesagt - das ist der zweite spannende Punkt bei diesem Paradigmenwechsel -, dass wir Integration zukünftig messen wollen, damit sie steuerbarer wird. Das ist wichtig, um die Fortschritte zu erkennen, aber auch, um zu sehen, welche Maßnahmen wie wirken. Deshalb wird es in Zukunft eine Fortsetzung zu dem Fortschrittsbericht geben, den wir bereits vorgelegt haben, der sich dann aber ganz konkret auf die Ziele und Maßnahmen des Nationalen Aktionsplans Integration beziehen wird. Wenn wir sagen: „Ziel unserer Integration ist die gleichberechtigte Teilhabe aller hier lebenden Menschen“, dann bedeutet das auch, dass wir alles daransetzen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt wird. Ich beziehe hier gerade in dieser schwierigen Zeit, angesichts der grausamen Verbrechen von Rechtsextremisten, den Aspekt ein, dass Integration auch Prävention von Rassismus, Hass und Gewalt bedeutet. Insofern ist es gerade in der jetzigen Zeit so wichtig, mit dem Nationalen Aktionsplan Integration ein solches Zeichen zu setzen. Morgen wird die Ministerpräsidentenkonferenz den Länderteil beschließen. Am 31. Januar nächsten Jahres, beim nächsten Integrationsgipfel, wird der gesamte Nationale Aktionsplan Integration vorgestellt. Wir wollen damit klarmachen: Die wachsende Vielfalt in unserem Land ist eine große Chance; wir wollen sie nutzen und sie zu einem Gewinn für alle machen. Herzlichen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. - Bevor wir mit der Befragung beginnen, erinnere ich an die Ein-Minuten-Regelung: Ich bitte Sie, sich bei Ihren Fragen und Antworten auf jeweils eine Minute zu beschränken. Nach Ablauf der Minute wird ein Signal daran erinnern, zum Schluss zu kommen. Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort hat der Kollege Memet Kilic.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Böhmer, Sie haben mir recht darin gegeben, dass zur Integration die gleichberechtigte Teilhabe aller hier lebenden Menschen gehört. Um diese Teilhabe zu ermöglichen, sind natürlich auch rechtliche und politische Voraussetzungen zu schaffen. Zu diesen Voraussetzungen gehören ohne Zweifel Einbürgerungen, aber auch ein kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige. Hat die Bundesregierung in ihrem Aktionsplan diese Maßnahmen vorgesehen? Wenn ja, wann wollen Sie diese Maßnahmen in die Wege leiten? Wenn nein, warum nicht?

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Herr Kollege Kilic, Sie wissen, dass wir, wie schon beim Nationalen Integrationsplan, auch beim Nationalen Aktionsplan Integration den Schwerpunkt nicht so sehr auf gesetzliche Maßnahmen legen, sondern auf eine große Fülle von Maßnahmen, die uns wichtig erscheinen, gerade wenn es darum geht, die Bereiche Sprache, Bildung, Ausbildung, Arbeitsmarkt und viele andere Felder weiterzuentwickeln, sodass tatsächlich die Voraussetzungen für eine bessere Integration gegeben sind. Die beiden Punkte, die Sie ansprechen, sind im Bereich gesetzlicher Initiativen angesiedelt, der in diesem Sinne nicht Gegenstand des Nationalen Aktionsplans ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Ewa Klamt.

Ewa Klamt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004203, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin Böhmer, ich habe drei kurze Fragen. Zum einen wüsste ich gerne, wer an dem Nationalen Aktionsplan mitgewirkt hat. Die zweite Frage ist: Was ist neu im Vergleich zu dem bereits bestehenden Integrationsplan? Die dritte Frage - ich weiß nicht, ob Sie sie so beantworten können -: Gibt es Zahlen, die belegen, wie viele Migranten schon heute im öffentlichen Dienst beschäftigt sind? Das kann in Kommunen, Ländern oder beim Bund sein. Gibt es vielleicht prozentuale Angaben?

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Ich beginne mit dem letzten Punkt, weil er in der Tat für uns eine besondere Hürde darstellt. Wir haben keine exakten Zahlen darüber, wie viele Migranten im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, sowohl in der Ausbildung als auch in der klassischen Beschäftigungssituation. Trotzdem haben wir gesagt: Wir wollen mehr Migranten im öffentlichen Dienst. Das eint Bund, Länder und Kommunen, weil wir wissen, dass es in diesem Bereich großen Nachholbedarf gibt. Zugleich habe ich mich als Integrationsbeauftragte im Nationalen Aktionsplan dazu verpflichtet, eine Initiative zu entwickeln, mit der wir eine geeignete Datenbasis schaffen. Dabei bestehen rechtliche Schwierigkeiten im öffentlichen Dienst, die Herkunft von Bewerbern und Beschäftigten zu erfassen. Trotzdem bin ich davon überzeugt - auch aufgrund der Erfahrung, die einige Länder gesammelt haben -, dass wir uns diesem Thema nähern können und dass wir mit einer solchen Datenbasis weiter kommen als mit den Daten des Mikrozensus. Zu Ihrem zweiten Punkt. Was unterscheidet den Nationalen Aktionsplan vom vorhergehenden Nationalen Integrationsplan? Zum einen haben wir die Inhalte um zwei neue Dialogfelder ergänzt. Ich halte die beiden neuen Felder für wichtige Weichenstellungen, zum einen das Thema „Migranten im öffentlichen Dienst“, zum anderen den Gesundheits- und Pflegebereich. Dieser betrifft sowohl die älter werdende Gruppe von Migranten, die früher als Gastarbeiter zu uns gekommen sind, als auch, wie ich es eben kurz angesprochen habe, die Kinder. Aus Erhebungen wissen wir, dass viele dieser Kinder nicht in dem Maße an den angebotenen Präventionsmaßnahmen, zum Beispiel Impfungen, teilnehmen wie im Durchschnitt Kinder aus „urdeutschen“ Familien. Deshalb müssen wir den Zugang zu Gesundheitsangeboten, aber auch die interkulturelle Öffnung des Gesundheitsbereichs vorantreiben. Auch hier beschreiten wir - gerade was die Datenlage betrifft - in vielen Bereichen Neuland. Wir stoßen immer wieder auf das Datenproblem. Darüber hinaus ist zu betonen, dass wir auf dem aufbauen, was wir durch den Nationalen Integrationsplan auf den Weg gebracht haben. Es ist mir wichtig, das an zwei inhaltlichen Bereichen deutlich zu machen. Nehmen wir den Bereich Arbeitsmarkt. Wir haben das Anerkennungsgesetz verabschiedet. Im Nationalen Aktionsplan sind begleitende Maßnahmen vorgesehen. Wir wollen nach einer gewissen Zeit natürlich messen, in welchem Umfang diese Maßnahmen greifen. Das wird uns die Möglichkeit geben, die Maßnahmen zu steuern. Ich will einen weiteren Bereich herausgreifen, den wir aufgelöst haben. Der Bereich „Mädchen“ ist jetzt kein eigenes Themenfeld mehr, sondern eine Querschnittsaufgabe. Wir sind darum bemüht, junge Frauen für die MINT-Berufe zu gewinnen. Gerade in Bezug auf junge Migrantinnen wollen wir das verstärkt tun.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es sei mir folgender Hinweis gestattet. Man sollte nicht nur darauf achten, bei der Fragezeit unter einer Minute zu bleiben; man sollte auch darauf achten, die Fragen so zu stellen, dass die Frau Staatsministerin die Chance hat, die erwartete umfängliche Antwort in einer Minute zu geben. Sie können sich für weitere Fragen noch ein zweites oder ein drittes Mal melden. Das Wort hat der Kollege Michael Frieser.

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, genau so wollen wir es machen: Lieber die Fragen kürzer halten, dann sind sie auch zu beantworten. Frau Staatsministerin, vielen herzlichen Dank für Ihren Bericht. Ich möchte darauf hinweisen, dass der Nationale Integrationsplan sehr effektiv und zügig in den Nationalen Aktionsplan weiterentwickelt wurde. Es gab schon die einen oder anderen Unkenrufe, dass das wesentlich länger dauern würde. Ich möchte auf einen Punkt zu sprechen kommen, der in der Kürze der Zeit vielleicht zu kurz kam. Sprache ist nach wie vor der wesentliche Schlüssel zur Integration. Deshalb rückt der Aktionsplan besonders die frühkindliche Bildung in den Fokus. ({0}) Es geht in erster Linie um die Frage: Wie wollen Sie die Kommunen dafür gewinnen, deren Mitarbeit wesentlich ist, um die frühkindliche Bildung zu implementieren? Der Weg vom Bund hin zu den Kommunen ist natürlich etwas weiter. Dazu gibt es eine Reihe von Ansätzen. Können Sie dazu etwas Genaueres sagen? Vielen Dank.

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Herzlichen Dank. - Ich werde mich bemühen, Ihre Frage knapp - innerhalb einer Minute - zu beantworten. Erstens. In der Tat ist der Bereich der frühkindlichen Sprachförderung von entscheidender Bedeutung. Wir sind uns darüber einig, dass hier Bund, Länder und Kommunen Hand in Hand arbeiten müssen und dass die Zuständigkeiten des Bundes an der Stelle überschaubar sind. Es ist aber, finde ich, ein ganz entscheidender Schritt, dass vonseiten der Bundesfamilienministerin die Initiative „Offensive Frühe Chancen“ aufgelegt worden ist. Dabei handelt es sich um ein Programm im Umfang von 400 Millionen Euro, das 4 000 Schwerpunktkitas erreichen soll. Gerade in Bereichen, wo der Anteil der Kinder aus Zuwanderungsfamilien größer ist, soll die Sprachförderung auch durch personelle Verstärkung noch einmal vorangetrieben werden. Zweitens geht es um die Weiterqualifizierung von Erzieherinnen durch ein entsprechendes Fortbildungsangebot, damit sie diese Aufgabe auch wirklich gut leisten können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Aydan Özoğuz.

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, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich melde mich jetzt vorsorglich schon ein zweites Mal, um damit die Chance zu einer kurzen Antwort zu geben. Für uns sind die einzelnen Antworten wichtig; deswegen stelle ich nicht alle Fragen auf einmal. Zunächst einmal möchte ich auf das Zahlenmaterial eingehen. Die Situation ist für uns alle ärgerlich; denn in einigen Bundesländern wird durchaus schon der Migrationshintergrund berücksichtigt, in anderen nicht. Wir wissen, dass das gerade in Sachen Bildung - PISA - gelingt, während es woanders wiederum nicht der Fall ist. Hier vergleichen wir Zahlen, die überhaupt nicht zusammenpassen. Es wäre deshalb eigentlich schön, wenn darauf hingewirkt würde, für ganz Deutschland eine gute Zahlenbasis zu bekommen. Ich wüsste gerne, wie daran gearbeitet wird; denn Sie selbst sagten, es handele sich dabei um eine Zielsetzung. Zweitens komme ich auf die vom Kollegen Kilic erwähnten Punkte zurück. Dabei handelt es sich um wichtige parlamentarische Initiativen, die gerade dieses Themenfeld betreffen. Wenn sie nicht im Aktionsplan vorkommen, wo kommen sie dann vor? Wie werden sie tatsächlich bearbeitet? ({0}) - War das schon ein Gong? ({1})

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Ich gehe zunächst auf die letzte Frage ein: Wo werden solche Dinge wie Einbürgerung behandelt? Sie kennen den Lagebericht, den ich vorgelegt habe. In ihm habe ich mich sehr ausführlich zu dem Fragenkomplex geäußert. Das kommt aber nicht nur im Bericht vor, sondern schlägt sich dann auch in entsprechenden Initiativen nieder. Sie wissen, dass wir in Bezug auf die Frage der Staatsangehörigkeit dabei sind, auch die Optionsregelung zu überprüfen. Das sind Punkte, die parallel zu der Entwicklung des früher aufgestellten Nationalen Integrationsplans oder aktuell des Nationalen Aktionsplans behandelt werden. Zweitens sprachen Sie ein Thema an, das mich umtreibt, nämlich die Datensituation. Es besteht immer wieder die Notwendigkeit, sowohl in der KMK als auch auf Bundesebene, zu drängen: Es reicht im Schulbereich, wie es bisher der Fall war, einfach nicht aus, bei den Daten eine Unterscheidung zwischen Deutschen und Ausländern vorzunehmen. Mit Recht haben Sie auf PISA verwiesen; denn bei PISA wurde der Sprachhintergrund erfasst. Deshalb können wir etwas darüber aussagen, was die Sprachkompetenz und den Zusammenhang mit Bildungserfolg anbetrifft. Ich setze mich seit Jahren nachdrücklich dafür ein und merke, dass das Bohren eines dicken Brettes langsam greift, dass wir zu einer anderen Statistik im Schulbereich kommen. Auch beim Ausbildungspakt ziehen alle Paktmitglieder an einem Strang, um eine bessere Datengrundlage zu erhalten. Ich erinnere daran, dass wir derzeit eine Volkszählung haben. Dank der Unterstützung vieler Kollegen habe ich es in der letzten Legislaturperiode hier im Parlament erreicht, dass endlich einmal der Migrationshintergrund im Rahmen einer solchen Zählung erfasst wird. Das verbessert die Lage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Memet Kilic stellt die nächste Frage.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Böhmer, es ist unstrittig, dass sich die Menschen in einem Land, in dem sie sich sicher fühlen, am besten integrieren können bzw. die besten Integrationsmöglichkeiten haben. Dazu gehört natürlich auch eine aufenthaltsrechtliche Sicherheit. Gibt es in Ihrem Nationalen Aktionsplan Maßnahmen zu aufenthaltsrechtlichen Verbesserungen? Wenn Sie auch diese Frage mit dem Hinweis verneinen, dass das eine gesetzliche Maßnahme ist, frage ich: Glauben Sie daran, dass solche - so sage ich es einmal angenehmen Worte in der Öffentlichkeit eine Wirkung haben können? Warum geht man nicht an die gesetzliche Substanz? Aus unserer Sicht sind solche strukturellen Verbesserungen für viele Migrantinnen und Migranten sehr wichtig.

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Lieber Kollege Kilic, wir stimmen darin überein: Es ist wichtig, dass jemand weiß, dass er eine Perspektive hat; ich nenne das jetzt einmal ganz konkret eine Bleibeperspektive. Dieses Thema bewegt nicht nur uns im Deutschen Bundestag, sondern auch die Innenministerkonferenz. In den letzten sechs Jahren ist hinsichtlich des Bleiberechts so viel geschehen wie nie zuvor. Wir haben erstmals eine gesetzliche Bleiberechtsregelung beschlossen. Im Frühjahr dieses Jahres haben wir im Deutschen Bundestag eine Bleiberechtsregelung für junge Menschen in Ausbildung verabschiedet. Jetzt ist es wichtig, den Blick darauf zu richten, wie diese Regelung weiterwirkt. Wir sind in dieser Frage sehr dicht beieinander: Gerade in diesem Feld besteht Handlungsbedarf. Ich habe diesen Weg sehr bewusst gewählt: Ich unterscheide zwischen Initiativen im Rahmen des Nationalen Integrationsplans bzw. des Nationalen Aktionsplans und dem, was dem Parlament durch Gesetze vorbehalten ist. Die Themen, die im Nationalen Integrationsplan und im Nationalen Aktionsplan aufgegriffen werden, sehe ich als zentral an und nicht als Nebenthemen, was in Ihrer Frage anklang. Wer die Chancen, die Deutschland bietet, voll nutzen möchte, muss die deutsche Sprache beherrschen, muss über eine gute Bildung und Ausbildung verfügen und muss sicher sein, dass es keine Hemmnisse, Hürden und Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt gibt. Das sind Sicherheiten anderer Art, die wir brauchen. Das leisten diese Pläne.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Swen Schulz.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, Sie haben vorhin ausgeführt, wie wichtig frühkindliche Bildung ist und dabei insbesondere der Spracherwerb. Darüber sind wir uns vollkommen einig. Nun gibt es aber eine Diskussion über das sogenannte Betreuungsgeld. In diesem Zusammenhang möchte ich fragen, wie die Bundesregierung sicherstellen möchte, dass das Betreuungsgeld nicht einen Anreiz darstellt, Kinder von Bildungseinrichtungen und damit auch vom Spracherwerb fernzuhalten, was negative Konsequenzen für die Kinder hätte.

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Herr Kollege, es überrascht mich überhaupt nicht, dass Sie diese Frage stellen. Wir hätten darüber auch eine Wette abschließen können. Es ist wichtig, ein genaues Konzept auf dem Tisch zu haben, über das man sprechen kann. Das ist bisher noch nicht der Fall. Es gibt nur eine grundsätzliche Beschlusslage. Sie kennen meine Äußerungen zu diesem Thema. Ich sage: Es dürfen keine Fehlanreize gesetzt werden. Dafür habe ich große Resonanz erhalten. Natürlich muss es unser Ziel sein, dass die Sprachförderung wirklich alle erreicht. Allerdings besuchen gegenwärtig weniger Kinder aus Migrantenfamilien den Kindergarten als Kinder, die nicht aus Migrantenfamilien stammen. Der Unterschied beträgt etwa 10 Prozent. Hier geht es um den Kindergarten und nicht um die unter Dreijährigen; diese Gruppe haben Sie gerade angesprochen. Diesbezüglich müssen wir uns verstärkt an die Eltern wenden. Auch die Bundesländer müssen ihre Möglichkeiten besser ausschöpfen. Ich sehe, dass in den Ländern, in denen der Kindergartenbesuch beitragsfrei ist, bessere Chancen gegeben sind. Damit hat das Saarland angefangen. Andere Länder sind diesem Beispiel gefolgt. Das ist ein vernünftiger Weg.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Özoğuz hat das Wort.

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, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Sie haben eben die Entwicklung des Nationalen Integrationsplans angesprochen. Er wurde 2007 verabschiedet. Jetzt ist Ende 2011, und wir reden über den Nationalen Aktionsplan. Es ist also schon eine Menge Zeit vergangen. Sie haben, wie ich finde, zu Recht gesagt, dass man Fortschritte messen muss und dass es einen Fortschrittsbericht geben wird. Da drängt sich die Frage auf, ob es dabei bleibt, dass alle paar Jahre ein Bericht vorgelegt bzw. etwas aufgeschrieben wird. Wie soll konkret gemessen werden? Was soll sich denn verbessern? Man hat nicht das Gefühl, dass sich in der Zeit, die zwischen dem Nationalen Integrationsplan und dem Nationalen Aktionsplan liegt, gesellschaftlich viel verändert hat.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Özoğuz, das ist genau der Punkt. Wir wollen weg vom gefühlten Fortschritt und von Vermutungen, und wir wollen hin zu harten Facts. Das heißt, wir brauchen Daten. Das hat uns nach der Vorlage des Nationalen Integrationsplans zu dem Ersten Fortschrittsbericht geführt. Dieser hat uns schon Hinweise gegeben, welche Selbstverpflichtungen - das war damals der Ansatzpunkt - eingelöst worden sind. Das war die Frage Nummer eins, die zu klären war. Die Frage Nummer zwei war: Wie wirken die eingelösten Selbstverpflichtungen? Es ist spannend, sich die entsprechenden Berichte oder auch die PISA-Studie, den Bildungsbericht und die Arbeitsmarktstatistiken anzuschauen. Wir haben die Möglichkeit, den Erfolg der Integrationskurse zu messen. Aber damit war ich nicht zufrieden. Deshalb haben wir auf Bundesebene - die Länder haben dies ebenfalls in Angriff genommen - Indikatorensysteme entwickelt; dies wurde wissenschaftlich begleitet. In Kürze kann ich Ihnen einen zweiten Integrationsindikatorenbericht vorlegen; diese Überprüfung anhand der Indikatoren erfolgt also kontinuierlich weiter. Dieses Messinstrument wird uns helfen, einen auf Daten basierenden Fortschrittsbericht vorzulegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Frieser.

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, vielen Dank. - Frau Staatsministerin, ich glaube, dass man vor lauter Sorge, dass man alles gewichten und messen muss, manchmal die konkrete Arbeit vergisst. Im Zusammenhang mit der Umsetzung des Integrationsplans wurde immer wieder angemahnt, dass man Integrationskurse stärken sollte, dass man sie vergleichbarer machen sollte und dass es an keiner Stelle die Gefahr geben sollte, dass jemand sozusagen durch den Rost fällt. Das hat auch damit zu tun, dass Integrationskurse ein Stück weit verbindlicher sein sollten, dass Integrationsbemühungen von beiden Seiten erfolgen müssen. Meine Frage bezieht sich auf das Modellprojekt „Integration verbindlicher machen - Integrationsvereinbarungen erproben“ und auf die Integrationskurse: Glauben Sie, dass Sie bei der Überprüfbarkeit, bei der Evaluierung der Umsetzung durch die Träger ein Stück weiter gekommen sind? Schließlich haben wir am Anfang als Ziel formuliert, dass die Integrationskurse auch qualitativ besser werden müssen.

Not found (Gast)

Wir haben zu diesem Thema wieder ein eigenes Dialogforum eingerichtet, weil Integrationskurse für den Bund das Instrument sind, um den Erwerb der deutschen Sprache zu fördern. Bei der jetzt anstehenden Umsetzung geht es beispielsweise um den Eingangstest zur Einstufung, aber auch um die Frage nach einem erfolgreichen Abschluss des Kurses. Sie wissen, ich war nicht zufrieden, dass die Quote derer, die den Kurs bestehen, nicht im oberen Bereich liegt; hier besteht noch Nachholbedarf. Deshalb ist der enge Schulterschluss mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sehr wichtig. Es gilt, verstärkt bei den Lehrkräften anzusetzen. Diese Themen sind Gegenstand des Nationalen Aktionsplans Integration. Das heißt, wir müssen die Lehrkräfte unterstützen und dafür sorgen, dass diese so gut wie möglich qualifiziert sind. Wenn ich sehe, dass es Anbieter von Sprachkursen gibt, bei denen die Honorierung unter Wert erfolgt, dann muss ich sagen, dass das Auswirkungen auf die Qualität der Kurse hat. Jetzt muss zügig umgesetzt werden, was im Dialogforum erarbeitet wurde und im Nationalen Aktionsplan vorgesehen ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Kilic.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Böhmer, die rot-grüne Regierung hat die Integrationskurse eingeführt. Sie haben in Ihren Ausführungen dargelegt, dass die Integrationskurse eine zentrale Stellung bei der Integration einnehmen. In diesem Bereich arbeiten 17 000 Lehrkräfte. Diese verdienen jedoch im Vergleich mit anderen Lehrkräften am schlechtesten. Nach einer Kleinen Anfrage hat das Bun17676 desministerium des Innern am 18. Oktober 2011 bekannt gegeben: Wenn die Bundesregierung 20 Cent pro Teilnehmer mehr zahlen würde und diese direkt den Lehrkräften zukommen würden, könnte man einen Lohn der Lehrkräfte in Höhe von mindestens 20 Euro pro Stunde sichern. Eine bessere Hebelung kenne ich nicht in dieser Welt. Können Sie sich vorstellen, dass Sie sich dafür einsetzen könnten, dass mehrjährige Zulassungen der Kursträger nur dann erfolgen, wenn sie den Lehrkräften mindestens 20 oder 24 Euro pro Stunde zahlen?

Not found (Gast)

Ich halte es für wichtig, Herr Kilic - ich setze mich seit Jahren dafür ein -, dass die Lehrkräfte entsprechend dem Wert der Arbeit, die sie leisten, honoriert werden. Ich habe das eben, in meiner vorhergehenden Antwort, deutlich gemacht: Das ist ein wichtiger Ansatzpunkt, auch zur Motivation und Wertschätzung der Lehrkräfte. Ich habe auch gegenüber dem Bundesinnenministerium vertreten, dass ich jeden Ansatz unterstütze, der zu einer besseren Bezahlung führt. Das bedeutet aber auch, dass man bei den Kursträgern nachhaken und vergleichen muss, wer wie viel zahlt; das soll jetzt geschehen. Wir müssen dafür sorgen, dass Kursträger, die Dumpinglöhne zahlen, keine Chance mehr haben. Auch das gehört dazu. Im Übrigen darf ich noch eine Anmerkung machen. Wie ich gerade gehört habe, sind Sie für eine Erhöhung des Eigenanteils um 20 Cent. Ich sage Ihnen: Ich bin nicht für diese Erhöhung, sondern nur für eine moderate Erhöhung. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut; diesen Dialog können Sie nachher fortsetzen. Als Nächstes hat der Kollege Swen Schulz das Wort.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, was das Betreuungsgeld angeht, werden wir Sie auch weiterhin nicht enttäuschen. Wir werden nicht lockerlassen und an diesem Thema dranbleiben. Ich möchte jetzt zum Thema Schule kommen. Glauben Sie, dass es für die Gruppe der Migranten - möglicherweise mit bildungsferner Herkunft - wichtig ist, dass es Ganztagsschulangebote gibt, und ist für die Schaffung von Ganztagsschulangeboten nicht auch eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern sinnvoll?

Not found (Gast)

Ich sage ganz klar Ja zu Ganztagsschulen. Der Bund hat die Schaffung von Ganztagsschulen unterstützt. In meinem Bundesland Rheinland-Pfalz - ich könnte auch andere Bundesländer nennen - sind im Hinblick auf Ganztagsschulen erhebliche Anstrengungen unternommen worden. Aber ich sage Ihnen auch: Ich bin mit der Art und Weise, wie dies geschieht, nicht zufrieden. Denn: Nur am Nachmittag ein Betreuungsangebot zu installieren, aber kein pädagogisches Gesamtkonzept zu haben, reicht nicht. Die Forderung nach mehr Ganztagsschulen muss also mit einer inhaltlich und qualitativ anspruchsvollen pädagogischen Arbeit verbunden werden, sodass wirklich eine individuelle Förderung erfolgen kann und nicht nur ein Betreuungsangebot existiert. ({0}) - Sie wissen genau: Es gibt eine klare Kompetenzregelung von Bund und Ländern, die im Rahmen der Föderalismusreform durchgefochten worden ist. Demnach sind dem Bund leider Grenzen gesetzt. Ich hätte es damals gerne anders gehabt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Özoğuz.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Staatsministerin, erstens habe ich eine Frage zu den Trägern. Auch wir sagen: Auf jeden Fall müssen die Träger gestärkt werden, die fair bezahlen und einen guten Unterricht ermöglichen, sodass die Teilnehmer am Ende bestmögliche Ergebnisse erzielen können. Sie sagten eben: Das soll auch geschehen. - Ich wüsste natürlich gerne: Wie genau soll das geschehen? Vielleicht könnten Sie dazu noch drei Worte sagen. Ich glaube nämlich, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Zweitens. Viele Träger haben die Sorge, dass mit Kürzungen zu rechnen ist, gerade bei der Kinderbetreuung oder im Hinblick auf die Fahrzeiten - all diese Themen haben wir hier bereits debattiert - und dass das Angebot aufgrund dessen bei einigen wieder nicht ankommt. Was sieht der Aktionsplan dazu vor?

Not found (Gast)

Wir haben im Aktionsplan sehr klare Regelungen getroffen. Im Rahmen des Dialogforums haben wir uns - nicht nur aus Sicht des Bundes, sondern daran waren auch viele andere beteiligt - gerade mit der Realisierung von Integrationskursen in der Fläche befasst. Im städtischen Bereich ist vieles einfacher. Sie als jemand, der aus Hamburg kommt, weiß das. Auch für jemanden, der aus Nürnberg oder aus einer mittelgroßen Stadt meiner Heimatregion, etwa aus Ludwigshafen, kommt, ist vieles leichter. Aber im ländlichen Bereich gibt es Schwierigkeiten. Damit jeder die Chance hat, an einem Integrationskurs teilzunehmen, müssen wir dafür sorgen, dass das Angebot auch in der Fläche stimmt. Das war bei den Beratungen zum Nationalen Aktionsplan ein wichtiger Punkt. Dazu gehört auch, dass man die Träger besser miteinander vernetzt, sodass sie sich abstimmen können: Wer macht wann welchen Kurs? Sie alle kennen das Spektrum, das dann notwendig ist. Sie wissen auch, dass es bei manchen Kursträgern noch eine gewisse ZurückhalStaatsministerin Dr. Maria Böhmer tung gibt, wenn es darum geht, sich in eine solche Vernetzung zu begeben. Umso wichtiger ist, dass wir auf den Erfahrungen, die an einigen Standorten schon gemacht wurden, aufbauen können. Zweitens haben Sie nach der Honorierung der Lehrkräfte und der Umsetzung im Aktionsplan gefragt. Hierbei geht es um die Zulassung von Kursträgern, bei der dieses Kriterium eine Rolle spielen muss. Zuständig für die Zulassung der Kursträger ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Diejenigen, die Dumpinghonorare zahlen, dürfen nicht mehr zum Zuge kommen. Darauf werde ich, wie beim letzten Lagebericht, auch zukünftig ein Auge haben. Hier ziehen wir an einem Strang.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Frieser.

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, ich habe eine Frage zu einem anderen Thema. Die Dynamik der Integrationspolitik lebt auch von den guten Beispielen. Gerade das bürgerschaftliche Engagement ist meines Erachtens einer der wesentlichen, zentralen Punkte, die man in dem Nationalen Aktionsplan umzusetzen versucht. Wie kann man es erreichen, dass die Tätigkeit von Migranten und Migrantinnen, die sich in diesem Land in vielfältiger Art und Weise bürgerschaftlich engagieren, erkennbar wird und dass sie vor allem weiter in die Gesellschaft hineinwirkt? Im Augenblick geschieht das verstärkt in den Migrantenorganisationen und Beratungsorganisationen. Aber wie können durch bürgerschaftliches Engagement weitere Türen dafür geöffnet werden, dass Menschen mit Migrationshintergrund durch ihre Tätigkeit in erkennbarer Art und Weise ein deutliches Beispiel für die Menschen geben?

Not found (Gast)

Ich beginne mit den Migrantenorganisationen. Viele haben keine hauptamtlichen Strukturen und arbeiten ausschließlich ehrenamtlich. Unser Anliegen ist - das hat auch Niederschlag im Nationalen Aktionsplan gefunden -, dass die Weichen verstärkt so gestellt werden, dass sie eine entsprechende Unterstützung bekommen - auch finanziell; es geht auch um Fördermöglichkeiten - und dass sie Tandempartner haben, wenn bestimmte Projekte auf die Beine gestellt werden sollen; so können sie von dem Know-how und den professionellen Strukturen anderer Organisationen profitieren. Der zweite Bereich sind für mich die großen Hilfsorganisationen. Dieses Feld kann nicht Gegenstand von Initiativen des Bundes im engeren Sinne sein; aber ich mache jetzt ein bisschen Appetit auf das, was Organisationen beabsichtigen, die auch an der Entwicklung des Nationalen Aktionsplans beteiligt waren. Viele haben die Charta der Vielfalt unterschrieben, beispielsweise das THW, die Feuerwehr, das Deutsche Rote Kreuz und andere große Hilfsorganisationen. Sie wollen neben dem hauptamtlichen Bereich eine stärkere Gewinnung von Migranten als bürgerschaftlich engagierte Mitglieder erreichen. Ich sehe das als eine riesige Zukunftschance für die Organisationen selbst, aber auch für die Migranten, die in diesen Organisationen wirken und damit auch in soziale Netzwerke kommen können. Der dritte Bereich ist schon fast klassisch zu nennen, nämlich der Bereich des Sports. Wir wissen: Es gibt durchaus viele Migranten, die in den Sportvereinen sportlich aktiv sind, aber zu wenige in höheren Funktionen und auch zu wenig sportlich aktive Mädchen. Diesem Thema haben wir uns im Dialogforum „Sport“ verschrieben, um nicht nur Anstöße zu geben, sondern auch ganz konkrete Weichenstellungen mit dem Deutschen Fußball-Bund und dem DOSB vorzunehmen, damit, gerade mit Blick auf junge Frauen, die Mitwirkungsmöglichkeiten im Sport, aber auch die Übernahme von Verantwortung steigen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Frage zum Bericht stellt der Kollege Kilic.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Böhmer, ich kann an die Antwort auf die letzte Frage anschließen. Es ist unstrittig, dass durch das bürgerschaftliche Engagement weitere Integrationschancen geschaffen, aber auch Begegnungen ermöglicht werden, bei denen gegenseitige Vorurteile abgebaut werden können. Die Feuerwehr und die Sportvereine haben Sie erwähnt. Ich glaube, der Deutsche Schützenbund ist der viertgrößte Sportverband in Deutschland. Für meine Begriffe sind die Immigranten dort zu wenig organisiert. Ich würde es gut finden, wenn die Immigranten sich verstärkt auch in Schützenvereinen organisieren würden, damit die Begegnungen intensiviert werden. Dort gibt es ein gewisses konservatives Milieu, und man könnte dort Möglichkeiten der Begegnung schaffen. Würden Sie es begrüßen, wenn sich die Migranten verstärkt in den Schützenvereinen organisieren würden?

Not found (Gast)

Sie sprechen hier ja von den Sportschützen. Es ist regional sehr unterschiedlich, wer diesen Sport betreibt. Ich sage es ganz offen: In meiner Heimatregion ist die Zahl der Aktiven überschaubar, in anderen Regionen steht dieser Sport eher im Vordergrund. Das gemeinsame Anliegen ist doch, mehr Migranten in die Organisationen und Vereine zu bringen. Ich füge noch einen Bereich hinzu, über den wir hier kaum sprechen - ich hoffe nicht, dass Sie jetzt darüber schmunzeln, wenn ich ihn erwähne -: die Kleingärtner. Sie haben sich schon vor Jahren der Aufgabe gestellt, mehr Migranten in ihre Kleingartenvereine zu bringen. Das ist ein Wirken in der Nachbarschaft. Auch das ist etwas, was zur Öffnung insgesamt beiträgt. ({0}) - Ich nehme Ihren Appell gerne mit, und ich gebe ihn auch an den DOSB weiter. ({1}) - Ja. Ich habe gehört, es gibt auch Schützenkönige.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut. Ich glaube, die Aufklärung dieser Dinge müssen wir vertagen. Aber es ist sicherlich für alle Kolleginnen und Kollegen sehr interessant. Herzlichen Dank, Frau Staatsministerin. Weitere Fragen zu anderen Themen der Kabinettssitzung liegen mir nicht vor. Ich beende die Befragung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 17/8101 Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie vorhin bereits mitgeteilt, werde ich die Fragestunde um 14 Uhr für die Regierungserklärung mit anschließender Aussprache sowie für eine Aktuelle Stunde unterbrechen. Des Weiteren möchte ich auch hier noch einmal an unsere Ein-Minuten-Regelung für Fragen und Antworten erinnern. Bei der ersten Antwort werden wir das Signal jeweils nicht auslösen. Dennoch bitte ich, auch bei der ersten Antwort die Minute nicht zu überziehen. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Cornelia Behm auf: Wird die Bundesregierung beim EU-Fischereirat am 15./16. Dezember dieses Jahres diesmal für Gesamtfangmengen stimmen, die strikt den wissenschaftlichen Empfehlungen entsprechen, und wenn nein, warum nicht? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Danke, Frau Präsidentin. - Liebe Frau Behm, die Bundesregierung setzt sich generell dafür ein, Entscheidungen über Fangmengen so genau wie möglich an den wissenschaftlichen Empfehlungen zu orientieren. Der Rat entscheidet über die Fangmengen auf Vorschlag der EU-Kommission. Dabei handelt es sich um ein Paket mit einer Vielzahl von Beständen, bei dem die Fangmengen für sämtliche wichtigen Bestände bereits vor dem Dezember-Rat in internationalen Verhandlungen festgelegt oder durch langjährige Wirtschaftspläne vorgegeben sind. Die Kommission orientiert ihre Verhandlungsposition in den internationalen Verhandlungen ebenso strikt an den wissenschaftlichen Empfehlungen durch den Internationalen Rat für Meeresforschung, ICES, bzw. den Wissenschafts-, Technik- und Wirtschaftsausschuss für Fischerei wie bei ihren Fangmengenvorschlägen für die übrigen, nicht von internationalen Verhandlungen oder Mehrjahresplänen betroffenen Bestände.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung. Sie haben gesagt, die Bundesregierung möchte sich so genau wie möglich an den wissenschaftlichen Empfehlungen orientieren. Da gibt es aber einen Pferdefuß; denn auch nach den letztjährigen Quotenbeschlüssen ist behauptet worden, dass diese nahezu vollständig den wissenschaftlichen Empfehlungen entsprochen hätten. Die Kommission hat aber im Mai dieses Jahres in der Konsultation zu den Fangmöglichkeiten 2012 festgestellt, dass bei immer noch 23 Prozent der Bestände im Nordostatlantik und in angrenzenden Gewässern eine zu hohe Fangmenge festgelegt wurde. Im Vorjahr waren es 34 Prozent. Das zeigt immerhin eine abnehmende Tendenz; nichtsdestotrotz ist das eine sehr hohe Zahl. Das hat fatale Folgen für die Fischbestände und die langfristigen wirtschaftlichen Interessen der Fischerei. Ich frage: Welche Sicherheit gibt es, dass sich das morgen ändert und dass man sich wirklich an die wissenschaftlichen Empfehlungen und die Anträge der Kommission dazu hält?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Ja, Frau Kollegin; es gibt aber auch ein Gegenbeispiel: Bei der Festlegung der Quoten für den Nordseehering liegt die wissenschaftliche Empfehlung von ICES bei 478 000 Tonnen im Rahmen des maximal möglichen Dauerertrags. Hier hat man sich bei den Verhandlungen zwischen der Kommission und Norwegen bei 405 000 Tonnen positioniert. Insofern gibt es hier eine Unterschreitung der von wissenschaftlicher Seite empfohlenen Fangmenge.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. Dies ist allerdings ein Beispiel für einen Fall, der außerordentlich selten vorkommt. Sie haben in der Beantwortung der schriftlichen Frage gesagt: Es gibt ein ganzes Paket von Entscheidungen. Jetzt könnte man unterstellen: Es gibt zwar die Empfehlung, an der man sich weitestgehend orientieren will; aber im Rahmen der Verhandlungsführung ist es kaum zu vermeiden, dass man mal über und mal unter diesem Wert bleibt. Wenn das immer politische Entscheidungen sind - es steht auch in unseren Vorlagen, dass es sich um politische Entscheidungen handelt -, möchte ich gerne wissen, ob die Bundesregierung meine Auffassung teilt, dass es notwendig ist, im Rahmen der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik festzulegen, dass der Fischereirat bei seinen Beschlüssen den wissenschaftlichen Empfehlungen ohne Abweichungen folgen muss und dass die Empfehlungen nicht Verhandlungsmasse sein dürfen.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Frau Kollegin, ich habe Ihnen bereits dargestellt, dass die Bundesregierung sich sehr strikt und so weit wie möglich an die wissenschaftlichen Empfehlungen hält. Das gilt auch für den Rat. Insofern kann ich Ihnen im Prinzip zustimmen. Ob die Empfehlungen auch in internationalen Verhandlungen immer eins zu eins umgesetzt werden müssen und ob man auf jedem Punkt und Komma bestehen muss, muss dann jeweils entschieden werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Petra Crone auf: Inwieweit plant die Bundesregierung eine Weiterförderung der Vernetzungsstellen Kita- und Schulverpflegung nach Beendigung der Laufzeit 2014, je nach Start der Projekte teilweise auch schon 2013? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Liebe Frau Kollegin Crone, die Vernetzungsstellen Kita- und Schulverpflegung wurden vom BMELV als eine Initiative von „IN FORM“, was für „Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ steht, gemeinsam mit allen 16 Ländern eingerichtet. Die Förderung der Vernetzungsstellen ist auf insgesamt fünf Jahre angelegt und läuft je nach Land zwischen Juni 2013 und September 2014 aus. Bei dieser Maßnahme handelt es sich um eine klassische Länderaufgabe, die vom Bund in gesamtstaatlicher Prävention lediglich initiiert worden ist. Ob vor diesem Hintergrund dem BMELV eine über die derzeitige Förderungsphase hinausgehende Unterstützung möglich ist, wird zurzeit geprüft.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, wir sind uns alle einig, dass die Schulverpflegung eine ganz wichtige Sache ist; denn die Kinder lernen dadurch nicht nur besser und kraftvoller, sondern sie sind dadurch auch gesünder. Von gesünderen Kindern profitiert auch der Bund; ich erwähne nur die Sozial- und Gesundheitssysteme. Ist der Bund insofern nicht aufgefordert, in dieser Richtung eine Weiterförderung zu ermöglichen?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Frau Kollegin, ich bin mit Ihnen völlig einig, dass eine Fortsetzung dieser Initiative stattfinden sollte. Wir haben dazu im Ernährungsausschuss eine Anhörung durchgeführt, in der darauf hingewiesen wurde, wie hilfreich die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sind. Es ist lediglich die Frage der Finanzierung zu klären. Ich habe bereits angedeutet, dass wir uns in einer Überprüfungsphase befinden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Frage.

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, gibt es Daten darüber, wie hoch die Förderung ausfallen müsste und in welcher Form und mit welcher Laufzeit sie erfolgen würde?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Mir ist nur bekannt, dass wir dafür zurzeit insgesamt 6,5 Millionen Euro aufwenden, wovon die Hälfte von den Ländern finanziert wird. In diesem Rahmen würde sich die Förderung weiterhin bewegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Fragen 3 und 4 des Kollegen Ostendorff werden entsprechend unseren Richtlinien schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Harald Ebner auf: Aufgrund welcher Risikobewertung ({0}) haben die Vertreter der Bundesregierung am 14. November 2011 im Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit der beantragten EU-Zulassung zweier gentechnisch veränderter Sojabohnensorten ({1}) als Futter- und Lebensmittel zugestimmt? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Sehr geehrter Herr Kollege Ebner, am Anfang des Zulassungsprozesses für gentechnisch veränderte Organismen steht eine umfangreiche Risikobewertung. Diese wissenschaftliche Bewertung wird nach Überprüfung der Vollständigkeit der Antragsunterlagen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, durchgeführt. In die Bewertung der EFSA fließen die Kommentare der national zuständigen Behörden ein. Die EFSA ist im Fall der Sojalinie A5547-127 zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Linie so sicher ist wie herkömmliche Sojalinien und dass sie im Rahmen ihres Verwendungszweckes keine nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder Tiergesundheit sowie die Umwelt hat. Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Bewertung der Stellungnahme der EFSA zu dem Ergebnis gekommen, dass ihr gefolgt werden kann, und hat sich damit der Auffassung der EU-Kommission und der Mehrheit der Mitgliedstaaten angeschlossen. Im Fall der Linie 305423x40-3-2 ist die Bewertung der EFSA derzeit noch nicht abgeschlossen. Diese Sojalinie wurde in der Sitzung am 14. November nicht behandelt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Staatssekretär. - Es mehren sich die Berichte und wissenschaftlichen Studien aus Nordund Südamerika, dass seit der Einfuhr entsprechender gentechnisch veränderter Organismen aufgrund zunehmender Resistenzen bei Ackerbeikräutern sowohl glyphosathaltige Totalherbizide als auch weitere Herbizide mit zum Teil älteren und hochtoxischen Stoffen in deutlich steigenden Mengen pro Hektar ausgebracht und eingesetzt werden und die so produzierten Sojapflanzen auch hierher eingeführt werden. Welche Risiken sieht die Bundesregierung im Hinblick auf die Tatsache, dass dadurch mit steigenden Rückstandsbelastungen der Importware zu rechnen ist?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Hier ist grundsätzlich zwischen der Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen und der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zu unterscheiden. Pflanzenschutzmittel unterliegen einem eigenen Überprüfungsverfahren und müssen nicht zwingend beim Anbau entsprechender Pflanzen angewendet werden. Insofern gelten die Sicherheitsbestimmungen und Rückstandsgrenzwerte für unsere Lebensmittel.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Frage, bitte. - Sie verzichten. Dann rufe ich die Frage 6 des Kollegen Ebner auf: Inwiefern ist aus Sicht der Bundesregierung eine Zulassung der Sojabohne A5547-127 bis 2021 verantwortbar, welche gegen den Wirkstoff Glufosinat-Ammonium resistent ist und bei der entsprechende Rückstände bei in die EU importierten Produkten zu erwarten sind, wenn die Anwendung dieses Wirkstoffes in der EU aufgrund seiner fruchtbarkeits- und embryonenschädigenden Wirkung voraussichtlich ab 2017 verboten sein wird?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ebner, die Möglichkeit von Rückständen von Komplementärherbiziden in Lebensmitteln und Futtermitteln ist nicht im Zulassungsverfahren für die gentechnisch veränderten Pflanzen zu bewerten. Das habe ich gerade schon berichtet. Hierfür gelten die pflanzenschutzrechtlichen Regelungen zur Zulassung eines Pflanzenschutzmittelwirkstoffs und die lebensmittelrechtlichen Regelungen zur Festsetzung von Rückstandshöchstgehalten, die jeweils für Kombinationen von Wirkstoffen und Erzeugnissen festgelegt werden. Dies hat die EU-Kommission auf Rückfrage von Mitgliedstaaten ausdrücklich bestätigt. Das Verfahren zur Festsetzung von Rückstandshöchstgehalten ist formal unabhängig vom Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel. Die Höchstgehalte für Pflanzenschutzmittelrückstände in Lebensmitteln und Futtermitteln werden nach der Verordnung ({0}) Nr. 396/ 2005 beantragt und von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, auf die gesundheitliche Unbedenklichkeit überprüft und EU-weit festgesetzt. Falls ein Pflanzenschutzmittelwirkstoff in der EU nicht zugelassen ist, können sogenannte Einfuhr- oder Importtoleranzen EU-weit festgelegt werden. Diese entsprechen den Rückstandshöchstgehalten, beziehen sich aber auf Lebensmittel, die in die Europäische Union eingeführt werden. Importtoleranzen werden für die beantragten Wirkstoff-Lebensmittel-Kombinationen jedoch nur dann erlassen, wenn Rückstände in der beantragten Höhe aus Sicht des gesundheitlichen Verbraucherschutzes keine Gefährdung darstellen. Im Prinzip habe ich das vorhin schon beantwortet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn die Glufosinat-Zulassung auslaufen soll und aufgrund der embryonenschädigenden Wirkung möglicherweise keine weitere Zulassung in Aussicht steht, stellt sich jedoch die Frage, inwieweit sich die Bundesregierung in der Verantwortung sieht, dass es dann Importfuttermittel mit einem nicht mehr zugelassenen Herbizid gibt. Wenn die Bundesregierung der Zulassung dieser Sojabohne jetzt zustimmt, impliziert das gewisse Folgen. Wenn sie jetzt zustimmt, dann stimmt sie auch zu, dass in fünf Jahren Sojabohnen importiert werden, die mit einem dann nicht mehr zugelassenen Herbizid belastet sind.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Ich weise noch einmal auf die Beantwortung der vorherigen Frage hin. Der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, insbesondere von Soja, ist nicht zwingend mit der Anwendung dieses Glyphosates verbunden. ({0}) Das ist eine rein ökonomische Entscheidung, die vom Anbauer selbst zu treffen ist. Ansonsten gelten die Vorschriften der Europäischen Union für die Belastung von Lebensmitteln auch hier.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage? - Sie verzichten. Danke, Herr Staatssekretär. Vizepräsidentin Petra Pau Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung. Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Inwieweit trifft die Meldung von Spiegel Online vom 2. Dezember 2011 zu, dass ab Ende 2011 auf dem von der Bundeswehr betriebenen afghanischen Flughafen in Masar-iScharif vier moderne raketenbestückte US-Drohnen vom Typ Gray Eagle stationiert werden, um auf Befehl der Kabuler NATO-Einsatzzentrale hin vermeintliche Taliban-Führer und andere Terrorgruppen im nördlichen Einsatzgebiet der Bundeswehr unschädlich zu machen, und teilt die Bundesregierung meine Befürchtung, dass eine solche Verschärfung der Kriegsführung zusätzlichen Hass der Bevölkerung schüren, den Aufständischen weitere Kämpfer zutreiben und Verhandlungsbemühungen zur Beendigung des Krieges erschweren oder unmöglich machen kann? Bitte, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage des Kollegen Ströbele beantworte ich wie folgt: Wie wir bereits in einer Unterrichtung des Parlaments in diesem Jahr mitgeteilt haben, beabsichtigt das ISAF Joint Command, vier unbemannte Luftfahrzeuge vom Typ Gray Eagle in Masar-i-Scharif und damit im Verantwortungsbereich des ISAF-Regionalkommandos Nord zu stationieren. Dabei handelt es sich um eine Verlegung von Systemen innerhalb von Afghanistan. Es werden dadurch weder Einsatzregeln noch Einsatzverfahren von ISAF geändert. Diese Systeme sollen ab Mitte Januar vorläufig einsatzbereit sein und werden afghanistanweit vom ISAF Joint Command eingesetzt, also auch diejenigen, die dann in Masar-i-Scharif stationiert sind. Sollte ein Einsatz dieser Systeme im ISAF-Regionalkommando Nord zur Unterstützung unserer Soldatinnen und Soldaten notwendig sein, muss dies wie bisher beim ISAF Joint Command beantragt werden. Insofern teile ich als Vertreter der Bundesregierung Ihre Ansicht nicht, dass sich die in Ihrer Frage geäußerten Befürchtungen realisieren werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass es sich bei diesen Drohnen, die in den Verantwortungsbereich der Bundeswehr in Afghanistan verlegt werden, um sogenannte Killerdrohnen handelt, die die Aufgabe haben, extralegal Menschen nach bestimmten Listen nicht gefangen zu nehmen, sondern zu töten, und ist die Bundesregierung bereit, durch die Stationierung in ihrem Verantwortungsbereich die Verantwortung für solche extralegalen Hinrichtungen zu übernehmen? Wie vereinbart die Bundesregierung dies mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 1?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, ich glaube, wir tun gut daran, zwischen den technischen Fähigkeiten, den Rules of Engagement und den den Zuständigkeiten entsprechenden Nutzungen zu unterscheiden. Die Luftfahrzeuge haben die Fähigkeit, punktgenau mit dem sogenannten Hellfire-Flugkörper, der auch von Hubschraubern verwendet wird, luftnahe Unterstützung zur Wirkung zu bringen; dadurch wird gerade die Gefährdung unbeteiligter Zivilisten minimiert. Das stellt keine neue Qualität dar. Wir werden, wie bereits geäußert, keine Änderungen der Regeln daraus ableiten können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Einen kleinen Moment, Kollege Ströbele. Zunächst ein Hinweis an die Kolleginnen und Kollegen, welche inzwischen so zahlreich an der Fragestunde teilnehmen: Ich bitte Sie, dafür zu sorgen, dass wir sowohl die Frage des Kollegen Ströbele als auch die Antwort des Herrn Staatssekretärs verstehen können. - Bitte, Kollege Ströbele, jetzt Ihre zweite Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, geben Sie mir recht, dass diese sogenannten Killerdrohnen nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Pakistan, und zwar insbesondere im Grenzbereich zu Afghanistan, eingesetzt worden sind, dass beim Einsatz dieser Drohnen gezielt Menschen getötet worden sind und dass bei diesen Tötungsaktionen immer wieder Unschuldige, also Personen, die eigentlich nicht das Ziel waren, getroffen und getötet worden sind? Können Sie bestätigen, dass diese Drohnen seit heute - jedenfalls liest man das derzeit in der Presse - in Pakistan nicht mehr eingesetzt werden dürfen, weil die pakistanische Regierung gegen diese Verletzung ihrer Hoheitsrechte einschreitet? Ist die Verlegung dieser Drohnen in den Verantwortungsbereich der Bundeswehr in Afghanistan praktisch ein Ausweichmanöver, das dazu dient, dass diese Drohnen von nun an von dort aus in ganz Afghanistan eingesetzt werden können?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Vielen Dank, Herr Kollege. - Vorneweg möchte ich meiner Genugtuung Ausdruck verleihen, dass Sie und ich bei diesem interessanten Teil der Fragestunde, den es nicht zum ersten Mal gibt, so viele Zuhörer unter den Kolleginnen und Kollegen finden. Das mag die große Qualität der Fragen, aber auch die der Antworten unterstreichen. Ich kann die Behauptungen und Informationen, die Sie der Presse entnehmen und die die Bundesregierung nicht betreffen, weder kommentieren noch bestätigen. Die Fragen müssen - in einem Punkt hatten wir eine Antwort zu geben - von Stellen außerhalb dieses Landes, die Auskunft geben können, beantwortet werden. Ich will noch einmal festhalten, dass diese Fluggeräte von der US Army betrieben und als sogenanntes Theatre Asset - also Einsatz einer militärischen Fähigkeit in Gesamtafghanistan - von ISAF eingesetzt werden. Das Nutzen solcher Fähigkeiten wird sich unsererseits strikt an den ISAF-Regeln zu orientieren haben; das wird auch der Fall sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt jetzt noch eine Nachfrage der Kollegin Vogler, die ich, weil sie zum gleichen Sachverhalt gehört, noch gerne zulassen möchte. Danach verfahren wir, wie vereinbart.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, kann ich Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Ströbele so deuten, dass Sie uns nicht versichern können, dass die nun in Masar-i-Scharif stationierten Drohnen nicht möglicherweise außerhalb Afghanistans, also in Pakistan, eingesetzt werden und damit zu einer Ausweitung der Kampfhandlungen und zu einer Eskalation des regionalen Konflikts beitragen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich kann Ihnen bestätigen, dass sich der Einsatz dieser Gerätschaften im Rahmen des ISAF-Mandates strikt an den Regeln von ISAF orientieren wird. Das gilt insbesondere für den Fall, dass Luftnahunterstützung seitens der Bundeswehr oder seitens Einheiten anderer Länder angefordert wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir hatten vereinbart, dass wir die Fragestunde um ungefähr 14 Uhr für den Zusatzpunkt 1 unterbrechen, den ich hiermit aufrufe: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zu den Ergebnissen des Europäischen Rates am 8./9. Dezember 2011 in Brüssel Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. - Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, Platz zu nehmen? ({0}) - Ja, einige sitzen schon. Das ist richtig bemerkt, Herr Kollege Brüderle. Aber man hat von hier oben aus einen noch besseren Überblick. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat nun die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. ({1})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In meiner Regierungserklärung am 2. Dezember habe ich unter anderem ausgeführt, dass derjenige, der vor wenigen Monaten gesagt hätte, dass wir Ende des Jahres 2011 sehr ernsthafte und sehr konkrete Schritte für eine europäische Fiskalunion, für Durchgriffsrechte in Europa einleiten, für verrückt erklärt worden wäre. Heute können wir feststellen: Wir reden nicht mehr nur über eine Fiskalunion, sondern wir haben angefangen, sie zu schaffen. ({0}) Das war das Ziel der Bundesregierung für den Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs in der vergangenen Woche. Dieses Ziel haben wir erreicht. Das ist in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen. Die übergroße Mehrheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat sich entschlossen, diese wichtige Weichenstellung auf dem Wege eines zwischenstaatlichen Vertrages vorzunehmen. Wir haben uns entschlossen, mit dieser Weichenstellung die Konstruktionsfehler zu korrigieren, die bei der Schaffung der Wirtschaftsund Währungsunion begangen wurden. Der Weg zu einer Fiskalunion im Sinne einer Stabilitätsunion ist damit natürlich noch lange nicht abgeschlossen, aber er wurde eingeschlagen, und ich glaube: unwiderruflich. Großbritannien wollte den Weg zu einer neuen vertraglichen Grundlage über eine Änderung der europäischen Verträge aller 27 Mitgliedstaaten nicht mitgehen, jedenfalls nicht zu Bedingungen, die die anderen 26 akzeptieren konnten. Die Antwort in dieser Situation konnte nicht Nichtstun und Abwarten sein. Sie konnte auch nicht eine bloße Reparatur mithilfe vorhandener Instrumente sein. Das wäre in dieser Krise nur halbherzig und aus meiner Sicht deshalb unverantwortlich gewesen. Die Antwort musste anders aussehen. Deshalb haben wir uns entschlossen, einen neuen zwischenstaatlichen Vertrag zu erarbeiten, an dem sich die große Mehrheit aller 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in jedem Fall aber die 17 Staaten der Euro-Zone beteiligen. Meine Damen und Herren, auf den Tag genau 20 Jahre nach der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion durch den Vertrag von Maastricht nehmen wir also erneut eine zentrale politische Weichenstellung vor. Wir werden die Wirtschafts- und Währungsunion auf eine gestärkte vertragliche Grundlage stellen. Diese vertragliche Grundlage soll bis März fertig sein und dann so schnell wie möglich durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden und in Kraft treten. ({1}) Eine starke Rolle der Institutionen der Europäischen Union, insbesondere der Kommission und des Europäischen Gerichtshofes, soll für eine enge Verknüpfung mit den 27, mit dem Beitritt Kroatiens bald 28 EU-Mitgliedstaaten sorgen. Auch das Europäische Parlament soll und wird von Anfang an einbezogen werden, zum Beispiel durch Beobachter in dem Erarbeitungsprozess für den Vertrag. ({2}) Jeder EU-Mitgliedstaat, der dies möchte, kann sich dem neuen Vertrag anschließen. Wir wollen uns auf das Ziel verpflichten, den neuen Vertrag in den EU-Rahmen zu überführen, sobald dies möglich ist. Dieser Weg wird Europa die Tür zur Fiskalunion im Sinne einer Stabilitätsunion weit öffnen. Ich sage hier ausdrücklich: Sosehr ich bedaure, dass Großbritannien sich nicht mit uns gemeinsam auf diesen Weg gemacht hat, sosehr ich bedaure, dass Großbritannien sich schon vor 20 Jahren gegen den Euro entschieden hat, so sehr steht für mich außer Zweifel, dass Großbritannien auch in Zukunft ein wichtiger Partner in der Europäischen Union sein wird. ({3}) Großbritannien ist für Europa nicht nur in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik ein verlässlicher Partner; Großbritannien ist dieser Partner auch in vielen anderen Fragen: bei der Wettbewerbsfähigkeit, im Binnenmarkt, für den Handel, für den Klimaschutz. Gerade Letzteres haben wir bei den Klimaverhandlungen in Durban noch einmal ganz deutlich erleben können. Großbritannien hat im Übrigen ein eigenes vitales Interesse daran, dass die Euro-Zone ihre Schuldenkrise überwindet. Das geschieht jedoch nicht über Nacht. Die Bundesregierung hat stets deutlich gemacht, dass die europäische Schuldenkrise nicht mit dem einen Befreiungsschlag zu lösen ist. Es gibt einen solchen Befreiungsschlag nicht; es gibt keine einfachen und schnellen Lösungen. Die Bewältigung der Staatsschuldenkrise ist - ich kann es gar nicht oft genug sagen - ein Prozess. Dieser Prozess dauert nicht Wochen, er dauert nicht Monate; er wird Jahre dauern. Dieser Prozess wird auch in Zukunft von Rückschlägen begleitet werden. Entscheidend aber ist nicht die Dauer des Prozesses; entscheidend ist vielmehr, ob wir uns von Rückschlägen entmutigen und verunsichern lassen oder ob wir genau das nicht tun. Ich bin überzeugt: Wenn wir die nötige Geduld und Ausdauer haben, wenn wir uns von Rückschlägen nicht entmutigen lassen, wenn wir konsequent den Weg in Richtung Fiskal- und Stabilitätsunion gehen, wenn wir tatsächlich die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden und so den Gründungsfehler des Euro beheben, dann wird sich das bewahrheiten, was ich seit Beginn der Krise als das Ziel unseres Handelns formuliert habe: Dann wird Europa diese Krise nicht nur bestehen, sondern dann wird Europa aus dieser Krise stärker hervorgehen, als es in sie hineingegangen ist. ({4}) Dann wird ein neues, ein stabiles Europa entstehen. Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Wochen die Weichen für dieses neue Europa gestellt, für ein Europa der Stabilität, der Solidarität und des Vertrauens. Daran hat die Bundesregierung entscheidend mitgewirkt, indem sie seit Beginn der Krise bei allen Maßnahmen zur akuten Krisenbewältigung ({5}) ein ausgewogenes Verhältnis von nationaler Eigenverantwortung und europäischer Solidarität eingefordert hat. ({6}) Solange die Mitgliedstaaten weitgehend selbst für ihre Wirtschafts- und Haushaltspolitik verantwortlich sind - das ist in den heutigen Verträgen so -, so lange wird es ganz entscheidend darauf ankommen, dass zunächst einmal jeder selbst seine Hausaufgaben macht. Eigenverantwortung ist die erste Säule unserer Stabilitäts- und Fiskalunion. Dass dabei zum Teil schon wichtige Fortschritte gemacht worden sind, das erkennen wir an, und das würdigen wir. Irland arbeitet entschlossen daran, das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen. Wichtige Strukturreformen, insbesondere im Bankensektor, werden durchgesetzt; die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit hilft Exporten und Wachstum. Portugal kann sich auf einen breiten Konsens stützen, um die notwendigen Konsolidierungs- und Reformmaßnahmen weiter konsequent anzugehen. Die letzten Daten, die wir aus Portugal bekommen haben, sind, was die Defizitstruktur anbelangt, sehr ermutigend. Griechenland arbeitet inzwischen parteiübergreifend daran, seine Verpflichtungen für die Konsolidierungsund Reformziele umzusetzen. Italien hat vor wenigen Tagen weitreichende Sparmaßnahmen und Reformen verabschiedet und das Ziel noch einmal bekräftigt, bis 2013 den Haushaltsausgleich zu schaffen und wichtige Strukturreformen durchzuführen. In Gesprächen hat mir der zukünftige spanische Ministerpräsident noch einmal versichert, dass auch Spanien den Reformkurs nach dem Regierungswechsel fortsetzen wird. Auch EU-Mitgliedstaaten, die den Euro noch nicht eingeführt haben, haben ihrerseits zum Teil erhebliche Anstrengungen unternommen, oder sie sind dabei, dies zu tun. Wir dürfen eines nicht vergessen: Den Menschen in den betroffenen Ländern wird viel abverlangt; das stimmt. Sie leisten einen Beitrag dazu, dass ihre Länder und die Euro-Zone insgesamt auf einen dauerhaft stabilen Kurs kommen, und dafür verdienen sie unsere Anerkennung. ({7}) Wir haben immer gesagt: Wer Eigenverantwortung übernimmt, der kann mit der Solidarität der europäischen Partner rechnen. Solidarität ist die zweite Säule der neuen Stabilitäts- und Fiskalunion. Fünf Elemente sind dabei wichtig: Erstens. Mit den Ende November verabschiedeten Leitlinien soll die Wirksamkeit der EFSF deutlich erhöht und sollen Ansteckungsgefahren besser eingedämmt werden. Wichtiger Beschluss bei dem Rat letzte Woche war, dass sich die Europäische Zentralbank bereit erklärt hat, die EFSF mit ihrer Expertise und ihren technischen Möglichkeiten zu unterstützen. Ich glaube, das wird einen sehr positiven Effekt haben. ({8}) - Die Kenner klatschen. ({9}) - Ich würde mich an Ihrer Stelle lieber einmal informieren, welche Möglichkeiten und Chancen darin liegen. Diese Garantien haben wir alle hier in diesem Hohen Hause zur Verfügung gestellt. Wenn davon noch 250 Milliarden Euro übrig sind, hielte ich es nicht für schlecht, sie wirksam einzusetzen. ({10}) Ich bin noch nicht so weit, dass ich sage: Mit 250 Milliarden Euro kann man nichts machen. ({11}) Zweitens. Die Einrichtung des dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus ESM, der die EFSF ablösen soll, wird auf 2012 vorgezogen werden. Wenn es so kommt, werden alle Mitgliedstaaten und damit auch wir schon 2012 Kapital einzahlen müssen. Ich betone aber auch: Dann werden alle Mitgliedstaaten und nicht nur die Triple-A-Länder ihren Beitrag, und zwar einen wirksamen Beitrag, zu dem Solidaritätsmechanismus leisten. Dies sind der wesentliche Unterschied zur EFSF und ein wesentlicher Faktor, nämlich die Tatsache, dass dann Kapital zur Verfügung steht, auch für die zusätzliche Glaubwürdigkeit des ESM. Die konsolidierte Obergrenze von EFSF plus ESM wird bei 500 Milliarden Euro liegen. Drittens. Der IWF soll über eine angemessene finanzielle Ausstattung verfügen. Dazu prüfen die Euro-Länder und weitere EU-Mitgliedstaaten, dem IWF zusätzliche Ressourcen in Form von bilateralen Krediten in Höhe von bis zu 200 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Auch andere Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft sind eingeladen, sich parallel an der Aufstockung der IWF-Ressourcen zu beteiligen. Die Mittel sollen dem allgemeinen Konto des IWF zur Verfügung stehen und im Rahmen der regulären IWF-Geschäftspolitik verwendet werden. Sie unterliegen also strikter Konditionalität. Die Bundesregierung und die Bundesbank haben hierzu die Modalitäten festgelegt; diese sind dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages gestern zugeleitet worden. Viertens. Hinsichtlich der Beteiligung des Privatsektors im Rahmen des ESM werden wir uns an der Praxis des IWF orientieren. Zudem sollen alle neuen Staatsanleihen von Euro-Ländern künftig standardisierte Umschuldungsklauseln, also die sogenannten CACs, enthalten. Damit wird einerseits noch einmal unterstrichen, dass die freiwillige Umschuldung Griechenlands ein besonderer Fall ist, und andererseits größtmögliche Klarheit und Berechenbarkeit für Investoren in europäische Staatsanleihen geschaffen. Fünftens. In Situationen, in denen die Finanzstabilität der Euro-Zone als Ganzes bedroht ist, können dringende Entscheidungen über die Gewährung von Hilfen durch den ESM mit hoher qualifizierter Mehrheit, nämlich 85 Prozent gemäß des Kapitalschlüssels, getroffen werden. Bei Grundsatzentscheidungen, etwa Schaffung neuer Instrumente oder Veränderung des Volumens des ESM, bleibt es selbstverständlich beim Einstimmigkeitsprinzip. Das gilt auch für Hilfsmaßnahmen. Sie werden als letztes Mittel und wiederum nur gegen strenge Auflagen gewährt. Meine Damen und Herren, die gegenwärtige Krise im Euro-Raum ist von der Ursache her eine Staatsschuldenkrise. ({12}) Sie ist aber inzwischen auch eine Vertrauenskrise. Sie ist eine Vertrauenskrise, die die Politik - niemand sonst zu verantworten hat. ({13}) Das begann bei der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion selbst, als Konstruktionsfehler zugelassen wurden, die die Euro-Gruppe inzwischen mit voller Wucht treffen. Das hat sich fortgesetzt, als die Politik nach Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion schon die Prinzipien, die im alten Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehen waren, nicht oder nicht vollständig angewandt oder gar aufgeweicht hat. Es ist deshalb in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen, dass sich die Politik in den vergangenen Monaten bis hin zum Rat am letzten Freitag endlich der Aufgabe gestellt hat, genau diese Vertrauenskrise schonungslos beim Namen zu nennen und die notwendigen Schlussfolgerungen aus ihr zu ziehen. ({14}) Nur so schaffen wir es, neben der akuten Krisenbewältigung auch Vorsorge für die Zukunft zu treffen, damit dieser Krise nicht die nächste - die dann noch schlimmere - folgt. Die Vorsorge für die Zukunft durch neues Vertrauen ist die dritte Säule der neuen Fiskal- und Stabilitätsunion. ({15}) Wir wollen den Weg in eine dauerhafte Stabilitätsunion einschlagen, in der in Zukunft Regeln eingehalten werden, ihre Einhaltung kontrolliert wird und ihre Nichteinhaltung Konsequenzen hat. Dazu sollen Schuldenregeln im nationalen Recht, möglichst in den Verfassungen, verankert werden. Verbindliche Schuldenregeln sollen früh greifen und daher ein wichtiger Beitrag zur Prävention sein. Dazu werden wir auf europäischer Ebene detaillierte und ehrgeizige Vorgaben festschreiben. Ziel ist ein ohne Sondereinflüsse ausgeglichener Haushalt in jedem Mitgliedstaat. Die Umsetzung dieser europäischen Vorgaben in nationales Recht kann in Zukunft - auf Antrag der Kommission oder eines Mitgliedstaates - der Europäische Gerichtshof prüfen. Dies ist umso bedeutsamer, als die Gerichte neben den Notenbanken - der Europäische Gerichtshof neben der Europäischen Zentralbank - im Gegensatz zur Politik die beiden Institutionen sind, deren Glaubwürdigkeit bis jetzt unangetastet und somit unverändert hoch ist. Hinzu kommt eine weitere deutliche Verschärfung des Defizitverfahrens selbst. Wenn die 3-Prozent-DeBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel fizitobergrenze verletzt wird, soll das Defizitverfahren künftig automatisch ausgelöst werden; es sei denn, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten entscheidet dagegen. Das ist genau die umgekehrte qualifizierte Mehrheit, die heute im Lissabon-Vertrag verankert ist. Dieses Prinzip der umgekehrten qualifizierten Mehrheit soll auch bei der Durchführung des Defizitverfahrens gelten. Das heißt, auch die Einleitung der nächsten Schritte soll in der Regel automatisch erfolgen. ({16}) Mitgliedstaaten im Defizitverfahren sollen sich künftig in sogenannten Reformpartnerschaften verbindlich auf detaillierte Konsolidierungs- und Reformschritte verpflichten. Es gibt also nicht mehr die Sanktion, die vor allem im Zahlen von Geld besteht, welches man gemeinhin nicht hat, wenn man schon ein hohes Defizit aufweist, sondern es geht in Zukunft um verbindliche Schritte, die mit der Kommission und dem Mitgliedstaat vereinbart werden. Das ist sozusagen eine Konditionalität, wie wir sie heute von den Rettungsschirmen kennen. Die Einhaltung dieser Vereinbarungen soll von Kommission und Rat überwacht werden. Außerdem haben wir vereinbart, auch das Verfahren zum Schuldenabbau - die sogenannte Ein-Zwanzigstel-Regel - vertraglich zu verankern. Meine Damen und Herren, wir alle spüren: Die Krise hat schon heute die Europäische Union verändert. Die Krise hat uns schonungslos die Rechnung für die Versäumnisse und Fehler der Vergangenheit präsentiert. Der Europäische Rat am letzten Freitag hat darauf nicht mit einem weiteren Fehler geantwortet. Ein solcher Fehler wäre zum Beispiel die Einführung von Euro-Bonds gewesen, ({17}) eine schnelle vermeintliche Lösung, aber nicht an der Wurzel ansetzend. Sie sind als Rettungsmaßnahme nicht geeignet. Bei näherer Nachfrage wird das im Übrigen auch von der Kommission bestätigt. Die Krise hat die enorme Bedeutung der gemeinsamen Währung für das europäische Projekt insgesamt deutlich werden lassen. Der Euro hat sich bewährt. Er ist wertbeständiger, als es die D-Mark je war. Als Exportnation profitiert Deutschland in besonderem Maße vom Euro. Das gilt nicht nur für die großen Unternehmen, sondern gerade auch für die mittelständischen Unternehmen in Deutschland. Das muss immer wieder betont werden. Aber der Euro ist eben auch weit mehr als eine Währung. Er steht symbolhaft für die Tiefe der europäischen Einigung. Die Krise hat die Europäer deshalb auch viel enger, als das jemals der Fall war, zusammenrücken lassen. Dies gilt insbesondere für die deutsch-französische Zusammenarbeit, die sich in dieser Krise in besonderer Weise bewährt hat. ({18}) Dies gilt aber auch weit darüber hinaus. Wir wollen die Wende zum Guten schaffen. Genau das ist die Chance, die in dieser Krise steckt. Der Europäische Rat in der letzten Woche hat deutlich gemacht, dass die Euro-Staaten und fast alle Nicht-Euro-Staaten an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, die Chancen der Krise zu nutzen und die Grundlagen für eine bessere europäische Zukunft zu legen. Diese gemeinsame Entschlossenheit habe ich in meinen Gesprächen mit meinen Kollegen und Kolleginnen deutlich gespürt. Ich bin ganz sicher: Dieses neue Gemeinschaftsgefühl, diese gemeinschaftliche Verantwortung, wird uns weit über die Krise hinaus erhalten bleiben. Das heißt nichts anderes, als dass die Vision einer wirklichen politischen Union beginnt, Konturen anzunehmen. Ich sage ausdrücklich: Zu einer politischen Union gehört mehr, als nur Stabilitätsmechanismen zu schaffen. Zu einer politischen Union gehört auch, gemeinsam Wachstum zu generieren, und zwar nachhaltiges Wachstum, ({19}) Wachstum, das sich nicht auf Pump gründet, Wachstum, das in die Zukunft gerichtet ist und das mit Wohlstand und mehr Arbeitsplätzen in Europa verbunden ist. ({20}) Deshalb wird eine Verabredung, wie wir sie vor einem Jahr im Euro-Plus-Pakt getroffen haben, zusätzlich an Bedeutung gewinnen. Aber ich sage auch: Auf uns alle wird die Aufgabe zukommen, unsere Gesetze enger miteinander abzustimmen, auch wenn das vertraglich noch nicht zwingend notwendig ist. Das ist sicherlich für jedes nationale Parlament ein Moment, in dem man umdenken und sich in die Situation des anderen hineinversetzen muss. Aber ich denke, wir sollten in allen Bereichen von den Besten lernen. Deshalb sage ich: Ja, es ist wahr; wir erleben eine der schwersten Krisen Europas. Aber wahr ist auch: Gemeinsam haben wir schon unendlich viel erreicht. Wir sind uns über die Ursachen der Krise einig. Wir sind uns einig, diese Ursachen bekämpfen zu müssen, um die Krise zu überwinden. Wir sind uns einig, den Weg hin zu einer Fiskalunion zu gehen. Dies wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen. Die Chancen dieser Krise sind - das ist meine Überzeugung - um ein Vielfaches größer als ihre Risiken. Diese Chancen zu ergreifen, das ist der historische Auftrag unserer politischen Generation. Der Weg zur Überwindung der Krise ist lang, er ist beschwerlich; aber am Ende dieses Weges werden eine nachhaltig gestärkte Euro-Zone und eine nachhaltig gestärkte Europäische Union stehen. Das ist das Ziel. Es ist die beste Voraussetzung für eine gute Zukunft, eine gute Zukunft Europas und eine gute Zukunft Deutschlands. Die Bundesregierung arbeitet dafür. Ich lade Sie alle in diesem Parlament ein, daran mitzuwirken. Herzlichen Dank. ({21})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Ulrich Schneider als neuen Kollegen in der Mitte des Bundestages begrüßen, der als Nachfolger des ausgeschiedenen Kollegen Till Seiler von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen heute erstmals an der Plenarsitzung teilnimmt. Alle guten Wünsche! ({0}) Das Wort hat nun der Kollege Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. ({1})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, das war in der Tat ein bemerkenswerter Auftritt. Wenn ich die Nachrichten von heute Morgen richtig bewerte, dann ist Ihre Regierung im Augenblick dabei, Ihnen um die Ohren zu fliegen. Aber Sie verlieren in der Regierungserklärung kein einziges Wort darüber. Das ist erstaunlich. ({0}) Europa ist das zentrale Thema. Aber wir können nicht so tun, als habe die Existenzkrise der FDP nichts mit Europa zu tun. ({1}) Der Rücktritt von Herrn Lindner ist doch nur ein Symptom. Die FDP hat sich mit ihrem Mitgliederentscheid in eine Sackgasse manövriert. Sie ist unfähig, die Entscheidungen mitzutragen, die jetzt in unserem Land und in Europa notwendig sind. ({2}) Frau Bundeskanzlerin, wir streiten nicht im Ernst darüber, ob Europa Stabilität braucht; die braucht Europa mehr denn je. Auch heute streiten wir darüber, ob Ihre Vorschläge und die Beschlüsse des europäischen Gipfels vom vergangenen Wochenende wirklich den Weg zu der Stabilität bereiten, die wir brauchen. Ich sage ausdrücklich: Das glaube ich nicht. ({3}) Das Wundermittel, mit dem Sie die Krise bekämpfen wollten, hieß von Anfang an Vertragsänderung. Lasst uns die Verträge ändern, der Rest wird sich dann schon irgendwie finden - das war die These, mit der Sie landauf, landab durch Europa getourt sind. Sie haben sich entgegen aller Gipfelpropaganda mit dieser Auffassung nicht durchgesetzt. Die von Ihnen geforderte Änderung der Verträge der EU 27 hat allen Heldensagen zum Trotz nicht stattgefunden. Nun sagen Sie - wir haben es eben gehört -: Das mit den 27 hat zwar nicht stattgefunden, aber das ist kein Beinbruch, wir schließen einfach zu 24, 25 oder 26 einen neuen Vertrag, und zwar außerhalb der bestehenden Verträge. Das klingt zunächst harmlos, ist es aber nicht. Damit mag man diejenigen beruhigen, die vom europäischen Recht wenig verstehen, aber viel zu viele hier im Saal wissen ganz genau: Damit begeben wir uns in Europa auf einen politisch und rechtlich völlig unkalkulierbaren Weg. Ich unterstelle, dass es Ihre Absicht war, den Märkten Sicherheit geben zu wollen. Jedoch hat der europäische Gipfel aus meiner Sicht genau das Gegenteil bewirkt. Das rechtliche Gezerre ist schon jetzt, drei Tage nach dem Gipfel, in vollem Gange. Gestern rückte der tschechische Ministerpräsident - wenn ich das richtig gelesen habe - stückweise von der Gipfelerklärung ab. Ungarn macht erkennbar Schwierigkeiten, das können wir jeden Tag in den Zeitungen lesen. Dänemark und Finnland steuern auf eine Regierungskrise zu. Was wir wirklich ernst nehmen müssen, auch die Regierung: Herr Barroso und die EU-Kommission, die wir in der Vergangenheit immer als Hüterin der Verträge bezeichnet haben, lassen durchblicken: Egal was in dem sogenannten Fiskalpaket stehen mag: Alle automatischen Sanktionen - die ich darin nicht so recht finde sind im Ernstfall ein Muster ohne Wert. Wenn sich auch nur ein einziger Staat auf den Vorrang des Europarechts, also auf den Lissabon-Vertrag, beruft, dann gilt der Vorrang des Lissabon-Vertrages. Das ist die Auffassung der Kommission - das steht seit gestern in den Zeitungen, Frau Merkel, das wissen auch Sie -, und deshalb kann ich nicht erkennen, dass das, was auf dem Gipfel stattgefunden hat, der Durchbruch ist. Wenn es einer sein soll, dann müssen wir uns fragen: Durchbruch wohin? Das Fiskalpaket ist bei genauerem Hinsehen - ich habe versucht, das deutlich zu machen - ein Scheinriese. Von weitem sieht es bedeutsam aus, beim Näherkommen erkennt man jedoch auf Anhieb: Es ist in Wirklichkeit ein Zwerg. Deshalb hat die Nachgipfeleuphorie nicht einmal drei Tage angehalten. Schon am Montag waren die Märkte wieder im tiefroten Bereich. Mich hat das an den alten Satz von Wiktor Tschernomyrdin erinnert, der lautete: „Wir wollten es besser machen, aber es ist geworden wie immer.“ ({4}) Was entscheidender ist: Ich glaube, in dieser Stunde rächt sich der Strandspaziergang von Deauville. ({5}) Im September 2010, also vor einem Jahr, hat der Kommissionspräsident Vorschläge vorgelegt, ({6}) die Sie nach dem gemeinsamen Strandspaziergang mit Herrn Sarkozy abgelehnt haben. Das war ein schwerer Fehler. Die Folgen liegen jetzt auf der Hand. Wir müssen doch klar sehen: Wir hatten eine Schuldenkrise, die niemand hier im Hause bestreitet. Nach dem Gipfel ist jetzt eine veritable Verfassungskrise hinzugekommen. Mit Verlaub, das ist aus meiner Sicht kein Durchbruch für mehr Stabilität in Europa. Das ist es wirklich nicht. ({7}) Aus meiner Sicht haben wir ein Stück mehr Rechtsunsicherheit und - was wir gar nicht gebrauchen können weitere verkomplizierte Strukturen innerhalb der EU, Strukturen, die wir auch Menschen außerhalb der Europäischen Union erklären müssen. Wir müssen erklären, dass wir nicht nur die EU 27 und nicht nur die EU 17 haben, sondern etwas, das wir vielleicht - je nachdem, wer dabeibleibt - EU 26 minus x nennen können. Wer außerhalb Europas soll das verstehen? Nach dem Gipfel habe ich mir die entscheidende Frage gestellt: Rechtfertigt dieses Ergebnis eigentlich die faktische Abspaltung Großbritanniens, die jetzt stattgefunden hat? Auch ich habe die Berichterstattung gesehen. Sie ist ein wenig von oberflächlicher Schadenfreude geprägt. Jeder kann sie verstehen, der sich in der Vergangenheit in Europäischen Räten über unsere britischen Freunde geärgert hat; aber ich bin mir sicher, dass wir das in ein paar Monaten neu bewerten werden. Dann werden wir genau sehen: Für Schadenfreude darüber, dass wir die Briten nicht mehr an Bord haben, besteht eigentlich gar kein Anlass; denn der Entfremdungsprozess zwischen Kontinentaleuropa und Großbritannien wird nicht aufzuhalten sein. Am Ende, meine Damen und Herren, wird Schaden bleiben - Freude überhaupt nicht. ({8}) Unklarheit herrscht nach diesem Gipfel - auch das muss gesagt werden - weiterhin über die Rolle der Europäischen Zentralbank. Dazu muss man die unterschiedliche Presse aus unterschiedlichen Ländern lesen. Wir haben hier eine Presse zur Kenntnis genommen, in der Frau Merkel als diejenige bezeichnet wird, die die europäische Willensbildung geprägt hat. Schauen Sie einmal in die französische Presse derselben Tage, dann haben Sie ein völlig anderes Bild. Am Montag gab - vielleicht haben Sie das gesehen - Präsident Sarkozy in Le Monde seine Version des Gipfels zum Besten, und die ist eben eine ganze andere als die, wie wir sie eben hier gehört haben. ({9}) Da feiert sich Sarkozy als der große Sieger dieses europäischen Gipfels. Und wie begründet er das? Er sagt: Wir haben uns durchgesetzt. Warum? Weil in Zukunft die Europäische Zentralbank vorübergehend die operative Führung der EFSF und vor allen Dingen dann des ESM übernehmen wird. ({10}) Das wird in Frankreich als der große Durchbruch gefeiert, weil die Deutschen, Frau Merkel, endlich hätten eingestehen müssen, dass die Beschränkung der EZB auf Fragen der Geldpolitik historisch überholt sei. Das ist die Begründung, die wir in Frankreich dazu hören. ({11}) Deshalb frage ich: Was gilt denn nun? Gilt die Version, die wir hier hören, oder die französische Variante? Es kann doch, Herr Kauder, im Ernst betrachtet, nicht beides gleichzeitig richtig sein. ({12}) Wenn die deutsch-französische Freundschaft so eng ist, Frau Merkel, wie Sie es eben gesagt haben, dann sollten Sie, glaube ich, noch einmal einen Strandspaziergang machen, um die gemeinsame Interpretation der Gipfelergebnisse sicherzustellen. ({13}) Dass die französische Version der Gipfelergebnisse, die ich eben vorgetragen habe, stimmt, würde - jedenfalls für mich - ins Bild passen; denn mit der Unabhängigkeit der Zentralbank bzw. der Notenbanken wird immer gerade so gespielt, wie es passt. Bei Tage werden - auch hier in diesem Hohen Hause - Lippenbekenntnisse zur Unabhängigkeit der Zentralbank abgegeben, während bei Nacht heimlich Kerzen angezündet werden, dass die EZB für die Politik weiterhin die Kastanien aus dem Feuer holt. Das ist die Einigkeit, die hier beschworen wird. ({14}) Es mag gute Gründe dafür geben, dass die Europäische Zentralbank bei den Rettungsbemühungen, die weiter anhalten werden, in Zukunft sogar noch eine wichtigere Rolle als in der Vergangenheit spielen wird. Wenn das aber so ist, Frau Bundeskanzlerin, wenn die Europäische Zentralbank in Zukunft entgegen vieler Kritik, die gerade aus den Reihen der Regierungsfraktionen kommt, eine sehr viel aktivere Rolle spielen soll, dann sagen Sie das bitte Ihrem Koalitionspartner, der FDP, und sagen Sie es in diesem Hohen Hause. So viel Transparenz, so viel Offenheit muss sein. ({15}) Auch in dieser Regierungserklärung haben wir wieder diese Art von verdruckstem Umgang mit dem Thema „Unabhängigkeit der Zentralbank“ festgestellt. Ich glaube, das hat in der Tat nur einen einzigen Grund: Angst um die eigene Mehrheit, Angst vor Abweichlern in den eigenen Reihen und Angst vor Röslers Resterampe FDP. Diese Angst ist doch, meine Damen und Herren, in Wahrheit auch das treibende Motiv hinter der gewagten Konstruktion, über den IWF eine Erhöhung des Kreditrahmens herbeizuführen. Das ist wieder Trickkiste. Statt die Mittel für die EFSF oder den ESM aufzustocken - meine Fraktion war dazu immer bereit; wir haben immer gesagt: Die bisherigen Rettungsschirme sind für die Aufgaben, die wir dem Rettungsschirm zuordnen, zu klein -, ({16}) statt hier, in diesem Hohen Hause, eine politische Entscheidung herbeizuführen, flüchten Sie sich erneut in teure und komplizierte Umgehungskonstruktionen. Da war zunächst der Hebel, den Sie alle hier mit Abscheu und Empörung abgelehnt haben - Sie haben regelrecht dagegen gehetzt -, doch drei Wochen später haben Sie ihn mit großer Selbstverständlichkeit begrüßt. ({17}) Und jetzt wieder etwas Neues: Wieder keine Entscheidung im Parlament, aber deutsches Steuergeld geht jetzt über die Bundesbank an den IWF und fließt von da aus wieder nach Europa zurück. ({18}) Diese Konstruktion hat offensichtlich nur einen einzigen Zweck: diesen Bundestag zu umgehen, und das geht eben nicht - ganz einfach. ({19}) Mit dieser Meinung sind wir in der Opposition nicht ganz alleine. Auch der Bundesbankvorstand fühlt sich offensichtlich missbraucht. Wie wir hören, haben Herr Weidmann und sein Vorstandskollege Dombret einen Brief an den Bundesfinanzminister geschrieben, in dem sie geradezu darum flehen, die Aufstockung der IWFMittel hier im Deutschen Bundestag beschließen zu lassen. Sie sagen: Es ist doch kein Routinevorgang, wenn wir 45 Milliarden Euro nach Washington herüberreichen und die bestehende Kreditlinie auf diese Art und Weise vervierfachen. Herr Kauder und Herr Brüderle, deshalb sage ich: Lassen Sie uns wenigstens die Sorgen und Befürchtungen der Bundesbank ernst nehmen. Lassen Sie uns gemeinsam nach Wegen suchen, um diesen vielleicht wichtigen Schritt hier im Deutschen Bundestag zu diskutieren und zu beschließen. Ich jedenfalls halte das für einen Akt der Selbstachtung dieses Parlaments. ({20}) Wenn man einen Blick auf die Gipfelbeschlüsse wirft, dann fällt einem auf, dass häufig von Defizitabbau und Stabilität die Rede ist. Das ist alles erforderlich. Das sind Ziele, die wir teilen. In diesem Papier findet man aber kein einziges Wort zu der Frage, wie in Europa neues Wachstum entstehen soll. ({21}) Wir spielen gar nicht auf der alten keynesianischen Leier, sondern das ist mittlerweile europaweit landauf, landab eine ökonomische Binsenweisheit: Ohne Wachstum wird Europa aus dieser Krise nicht herauskommen. Deshalb: Sparen ist notwendig, kann aber nicht die einzige Antwort sein. Nur, Antworten sind in diesem Gipfelpapier nicht zu finden. Das ist schlecht. Das ist kein Weg aus der Krise. ({22}) Noch etwas steht damit in engem Zusammenhang: Wenn in 18 Mitgliedstaaten die Jugendarbeitslosigkeit über 20 Prozent beträgt, in 10 Mitgliedstaaten über 25 Prozent, ({23}) in 5 Mitgliedstaaten über 30 Prozent, sie in Süditalien sogar bei über 50 Prozent liegt, dann darf man das auf einem solchen Gipfel nicht übergehen. ({24}) - Wollen Sie Hilfen für Deutschland fordern, oder was bedeutet der Zwischenruf? ({25}) Wenn das die Realität in Teilen Europas ist, dann darf ein europäischer Gipfel diesen Umstand nicht einfach schweigend übergehen. Diese jungen Menschen haben ein Recht auf Zukunft. Es geht um unsere Zukunft! ({26}) Ein letztes Wort zum Stichwort „Gläubigerbeteiligung“. Still und heimlich wurde - auch das zeigt ein Blick in die Gipfelpapiere - die Gläubigerbeteiligung auf dem Gipfel beerdigt. Ich sage ausdrücklich: Auch dafür mag es gute Gründe geben. Aber es kann doch nicht sein, dass das Ergebnis dieser Einsicht ist, dass jetzt alles wieder so ist, wie es vormals war, dass die ganzen Kosten der Krise einfach dem normalen Steuerzahler zur Last gelegt werden. Wenn man die Gläubigerbeteiligung streicht, dann ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, dass man auf der anderen Seite endlich Ernst macht und die Besteuerung der Finanzmärkte einführt. ({27}) - Die Euro-Bonds waren Ihre Erfindung. Die haben Sie jetzt massenhaft in der EZB liegen. An Ihrer Stelle würde ich bei dem Thema ein bisschen ruhiger sein. ({28}) Mit Blick auf die Ergebnisse der zurückliegenden Gipfel, aber auch mit Blick auf das, was vor uns liegt, sage ich abschließend noch ein Wort zu einem Punkt, der mir am Herzen liegt: Ich persönlich glaube, dass wir keinen Ausweg aus dieser Krise finden werden, wenn wir nicht auch bereit sind, eine Lösung für den Umgang mit den Altschulden der am höchsten verschuldeten Länder zu finden. Es gibt ein Beispiel in unserer eigenen Geschichte. Die Wirtschaftsweisen im Sachverständigenrat haben dazu Vorschläge gemacht. Ich habe nicht verstanden, Frau Bundeskanzlerin, warum diese Vorschläge, die ich nicht nur für nützlich, sondern auch für notwendig halte, gleich in der Regierungsschublade versteckt worden sind. ({29}) Von diesem Punkt wird vieles abhängen. Deshalb kann ich nur empfehlen, dass wir dieses Thema im nächsten Quartal im neuen Jahr angehen und auch zu einem Thema in den Europäischen Räten machen. Ich glaube, wir sind mit diesem Gipfel, der hinter uns liegt, nicht über den Berg, sondern es liegt noch viel Arbeit vor uns. Herzlichen Dank. ({30})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Besuchertribüne haben Mitglieder des Europaausschusses der französischen Assemblée nationale Platz genommen, die wir aus Anlass unserer heutigen Debatte besonders gerne im Deutschen Bundestag begrüßen. ({0}) Bonjour, chers collègues, et bienvenue à Berlin. ({1}) Nun hat der Kollege Rainer Brüderle das Wort. ({2})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der europäische Gipfel vom letzten Freitag hat gute Ergebnisse gebracht. ({0}) Ich habe noch die Worte der Opposition im Ohr. Unserer Bundeskanzlerin wurde permanent vorgeworfen, sie würde Deutschland isolieren. Seit Freitag wissen wir: Die Opposition hat wieder einmal völlig danebengelegen. ({1}) Ein anderes Mitgliedsland hat sich isoliert. ({2}) Frankreich und Deutschland haben diesen Gipfel zum Erfolg geführt. ({3}) Unter der christlich-liberalen Koalition ist die Zusammenarbeit mit Frankreich eine Belle Alliance, eine gute Verbindung. ({4}) Unter Rot-Grün war es oft eine Mesalliance, ({5}) etwa bei der Aufweichung des Stabilitätspaktes oder der Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone. Im Vorfeld des Gipfels war von einer 17-plus-Lösung die Rede, also die 17 Euro-Staaten plus einige Nicht-Euro-Staaten. Herausgekommen ist „27 minus 1“. ({6}) Da hat einer mit der Handtasche von Maggie Thatcher kräftig geschwenkt. Momentan haben wir in Europa zwei Geschwindigkeiten. Ich war immer der Meinung, wenn einige Staaten bei der Integration vorangehen wollen, sollten sie das tun. Das hat beim Schengener Abkommen relativ gut geklappt. Ich sage auch: Nachzügler sind willkommen, aber bei europapolitischen Trittbrettfahrern muss man sich etwas überlegen. ({7}) Eines kann nicht sein: Es kann nicht sein, dass einige Europäer mit viel Mühe etwas aufbauen und andere dann, wenn der Aufbau erfolgreich durchgeführt wurde, freien Eintritt oder Rabatt haben wollen. Das kann in Zukunft so nicht weitergehen. Ein Europa der Trittbrettfahrer und Rabattjäger ist nicht zukunftsfähig. ({8}) Jetzt wird der Stabilitätspakt II vorbereitet. Manche Kommentatoren sehen das als zweite Geburtsstunde des Euro. Es ist die Geburtsstunde der politischen Stabilitätsunion. Wir nehmen den Umweg über völkerrechtliche Verträge. Das ist nicht unbedingt die eleganteste Lösung. Es wird gesetzestechnisch nicht einfach, aber es ist machbar. ({9}) Es ist nicht unbedingt etwas für europapolitische Feinschmecker. Aber in der Politik gilt: Lieber mit Hausmannskost an das Ziel kommen als in Schönheit untergehen. ({10}) Oder - für Sie einfach formuliert -: Lieber Brot und Butter als eine Gänseleber-Fata-Morgana. ({11}) Die Stabilitätsunion bzw. der Stabilitätspakt II nimmt konkrete Formen an. Die nationalen Haushalte werden künftig streng überwacht. Das sind quasi automatische Sanktionen. Dafür hat die Koalition immer gekämpft. Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone haben das beschlossen. Herr Steinmeier kritisiert das. Das ist unglaubwürdig. Wenn es in Brüssel zum Schwur kommt, sind es die Genossen, die weichen. Es waren Ihre Genossen in Brüssel, die die Sixpack-Lösung abgelehnt haben. ({12}) Wenn es konkret wird, sind Sie in der Furche und nicht dabei, die Dinge umzusetzen. ({13}) Eine Währung ist Ausdruck dessen, was ein Volk war, ist und sein will. Die D-Mark war Symbol für Wiederaufstieg und Stabilität. Der Euro ist Symbol für Frieden, Wohlstand und ein Europa des Zusammenwachsens. Europa will und wird seinen Platz in einer neuen Weltordnung finden. Es muss Subjekt bleiben und darf nicht Objekt werden. Dazu muss sich Europa noch stärker zusammenfinden. ({14}) Der Binnenmarkt war ein solches Projekt. Eine wirkliche Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik kann ein weiteres solches Projekt sein. Die Nationalstaaten werden an einigen Stellen Souveränität abgeben müssen. Sie werden an anderen Stellen Souveränität zurückholen können. Man kann allerdings die berechtigte Frage stellen, ob die Regionalpolitik oder die Agrarpolitik in der Subsidiarität nicht besser aufgehoben sind als im europäischen Zentralismus. ({15}) Meine Damen und Herren, wir mussten in Brüssel einiges akzeptieren, das unseren Vorstellungen nicht voll entsprochen hat. Politik ist Kompromiss, die Kunst des Möglichen. ({16}) Das gilt auch im Hinblick auf ein geordnetes Insolvenzverfahren. ({17}) - Frau Regierende Bürgermeisterin, hören Sie mir einmal einen Moment zu; ({18}) das wäre vielleicht auch für Sie ganz gut. ({19}) Was ein geordnetes Insolvenzverfahren betrifft, sind wir nicht weiter vorangekommen. Aber die Collective Action Clauses bleiben erhalten. Sie müssen auch die Basis sein, wenn es darum geht, zukünftig private Beteiligungen zu ermöglichen. Die Erhöhung der Zahlung an den IWF ist eine akzeptable Lösung. Der IWF ist viel breiter angelegt, es sind andere Länder dabei, und er hat eine andere Expertise, die mit eingebracht wird. Man muss eines klar auseinanderhalten, Herr Steinmeier: Entweder ist die Bundesbank unabhängig - dann kann sie in ihren Entscheidungen nicht von Beschlüssen des Deutschen Bundestages abhängig sein -, ({20}) oder sie ist es nicht. ({21}) Es gibt keine Teilunabhängigkeit. Entweder ist sie unabhängig oder abhängig. ({22}) Das müssen Sie auseinanderhalten. Das können Sie nicht machen, wie Sie wollen. ({23}) Sie haben immer noch das alte und falsche HelmutSchmidt-Theorem im Kopf: Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit. ({24}) Am Schluss hatte er beides. Die Notenbank muss unabhängig bleiben und ihre eigenen Entscheidungen treffen, statt vom Parlament quasi untergepflügt zu werden. ({25}) Sie können nicht beides haben, wie es Ihnen gerade passt. Sie müssen eine klare Haltung einnehmen. In der Ordnungspolitik muss man Prinzipien haben und kann sich nicht immer aussuchen, was man gerade will. Der ESM kommt früher; das ist gut so. Für mich ist das eine Art europäischer Währungsfonds, ein Instrument der Marktwirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit. ({26}) Dies ist der richtige Weg. ({27}) Jetzt ist er Feuerwehr, später wird er Brandschutzberater sein. ({28}) Erreicht wurde - das ist das Verdienst der Kanzlerin und der Koalition, die sie trägt -: Es kommen keine Euro-Bonds. Die Banklizenz für den Rettungsfonds kommt nicht. Dafür kommen nationale Schuldenbremsen; das ist richtig. Trittin will die Banklizenz und für den Rettungsschirm Geld drucken. Gabriel will EuroBonds. Steinbrück will die Notenpresse aktiv einsetzen. Das ist der falsche Ansatz. Das ist wieder Ihre Lex Helmut Schmidt: Geld drucken! ({29}) Wir haben die Arbeitslosenquote in Deutschland halbiert. ({30}) Ihr Kanzler Schröder wollte die Marke von 3 Millionen Arbeitslosen erreichen. Er hat uns 5 Millionen hinterlassen. Wir haben die Zahl der Arbeitslosen durch unsere Politik halbiert. ({31}) Das war der richtige Ansatz. Die Welt beneidet Deutschland um die richtige Politik, nicht um Ihre Irrtümer. ({32}) Das, was Sie wollen, haben genau die Länder betrieben, die den Karren an die Wand gefahren haben. Glauben Sie, dass deren Rezepte, die für deren Fehlentwicklung ursächlich sind, besser werden, wenn Sie sie übernehmen? ({33}) Sie sollten in Ihrer Politik die Lernfähigkeit ({34}) nicht völlig ausschließen und einfach die Realitäten zur Kenntnis nehmen. ({35}) Deshalb ist es wichtig, dass wir verhindern, dass eine rot-grüne Inflationsunion Realität wird. Sie reden von „sozial“ und schaffen die Voraussetzungen für Geldentwertung, die die Leute mit einem kleinen Einkommen - das sind die mit einem Sparbuch und einem Girokonto - treffen wird. Diese würden durch Ihr Beenden der Stabilitätspolitik zu Opfern. Wir stellen uns davor und wollen, dass auch die Kleinen ihr hart erarbeitetes Einkommen und Vermögen behalten können. ({36}) Sie wollen die Steuereinnahmen um 40 Milliarden Euro bzw. um 30 Milliarden Euro erhöhen. Ihre Politik ist: Stabilität aufgeben, Geld drucken, Steuern erhöhen. Das ist ein Rezessionsprogramm und führt uns nicht nach vorne - weder Deutschland noch Europa -, ({37}) sondern an die Wand. Deshalb ist es so wichtig, dass wir gerade jetzt eine bürgerliche Regierung haben, die Adam Riese nicht vergessen hat, und keine neosozialistische Traumtänzerei betreiben, die Deutschland wieder auf einen Irrweg bringt. Deshalb ist unsere Politik richtig. ({38}) Die Alternative für Deutschland und für Europa ist völlig klar: Rot-Grün bedeutet höhere Steuern, eine Vollkaskoversicherung für Schuldensünder und Geldentwertung. Die christlich-liberale Politik bedeutet Stabilität, Wachstum und Arbeitsplätze. Genau das werden wir weiterhin machen, weil es richtig ist. ({39}) - Sie können hier schreien, solange Sie wollen, Frau Regierender Bürgermeister. Das hilft alles nichts. Wir werden unsere Politik der Erfolge fortsetzen. ({40})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundestagspräsident, ich habe mit Erstaunen und Wohlwollen festgestellt, dass Sie die französischen Gäste auf Französisch begrüßt haben. Ich bin sehr gespannt, wie Sie das beim nächsten Mal bei chinesischen Gästen machen. Wir werden das abwarten. ({0}) Herr Brüderle, eines muss ich Ihnen sagen, wenn ich darf: ({1}) Man kann der SPD und den Grünen ja viel unterstellen, aber ihnen neosozialistische Traumtänzereien zu unterstellen, ist wirklich in jeder Hinsicht abwegig. ({2}) Frau Bundeskanzlerin, ich darf darauf hinweisen: Sie haben erklärt, dass man die Konstruktionsfehler bei der Währungsunion endlich beheben muss. Eigentlich hätten Sie aber sagen müssen, dass die Linke das alles damals schon vorhergesagt hat, Sie aber fälschlicherweise Herrn Kohl und nicht uns zugestimmt haben. ({3}) Kommen wir aber zu einem anderen Thema. Wir haben Ihren EU-Gipfel erlebt, und ich stelle eine ungeheure Veränderung im Tempo fest. Früher dauerte es Monate, bis ein EU-Gipfel Makulatur wurde, dann Wochen und heute nur noch wenige Tage. Ich werde versuchen, Ihnen das zu belegen. Sie wollen zusammen mit Sarkozy allein entscheiden, was in Europa passiert. Sarkozy möchte außerdem, dass die Deutschen die Schulden der französischen Banken mitbezahlen, um es einfach einmal offen zu sagen. Er versucht hier immer, ein Konstrukt dafür zu finden. ({4}) Bisher wehren Sie sich einigermaßen. Ihnen geht es um das Vertrauen der Finanzmärkte. Dabei muss diese Art von Finanzmärkten endlich einmal bekämpft werden. Wir müssen nicht um deren Vertrauen ringen, sondern wir müssen sagen: Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. ({5}) Abgesehen davon schaffen Sie es ja auch gar nicht, Vertrauen herzustellen. Um das zu beurteilen, genügt ein Blick auf die Börsen. Sie beweisen das Gegenteil! Nun haben Sie die Idee bzw. den Trick entwickelt - hier hat Herr Steinmeier recht -, dass der Internationale Währungsfonds zusätzlich Kredite geben soll, weil der Rettungsschirm natürlich nicht ausreicht. Das haben wir Ihnen übrigens schon vorher gesagt. Weil Sie das aber nicht zugeben wollen, gehen Sie nun einen anderen Weg und sagen: Dann stocken wir ihn nicht auf, sondern wir machen das über den Internationalen Währungsfonds. Da sind aber auch die USA beteiligt, und das Erste, was

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Dafür kriegt der IWF von den USA nicht einen einzigen Dollar. Nun sagen Sie, Sie wollen trotzdem diesen Weg gehen. Dabei geht es um einen Betrag von 200 Milliarden Euro für die betroffenen Länder. Das ist deshalb interessant, weil die Euro-Zone davon 150 Milliarden Euro bereitstellen soll und die Bundesbank davon wiederum einen Anteil von 45 Milliarden Euro. Herr Brüderle, was Sie hier zur Unabhängigkeit der Bundesbank gesagt haben, ist wirklich ein starkes Stück. Dieser Bundestag hat mehrfach beschlossen, dass wir maximal für einen Betrag von 211 Milliarden Euro haften. Nun wollen Sie weitere 45 Milliarden hinzufügen. Da sagt der Chef der Bundesbank doch völlig zu Recht: Zuerst muss der Bundestag beschließen, ob eine Haftung in größerem Umfang übernommen wird. Das ist doch wohl das Minimum. ({0}) Das lehnen Sie ab. Sie lehnen das aber nur deshalb ab, weil Sie nicht glauben, das in Ihren Fraktionen, vor allen Dingen in der FDP, durchzubekommen. Aber wir können doch hier nicht bloß wegen des Zustandes der FDP herumkleistern. Ich bitte Sie! Hier sind die Grenzen überschritten. ({1}) Natürlich müssen wir hier darüber einen Beschluss fassen. Dann wollen Sie neben dem vorübergehenden Rettungsschirm auch einen dauerhaften schaffen. Nun hat der Gipfel beschlossen, dessen Einrichtung vorzuziehen. Mit anderen Worten, Frau Bundeskanzlerin, Sie haben sich wieder einmal verrechnet. Das heißt, Sie haben den dauerhaften Schirm für einen bestimmten Zeitpunkt angesetzt und stellen jetzt fest: Es ist zu spät; Sie müssen das Ganze vorziehen. - Okay. Man kann sich ja korrigieren. Das bedeutet aber, dass wir zusätzlich 4,3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen müssen, und zwar im Jahre 2012. Diese stehen aber im Bundeshaushalt nicht drin. Daraufhin haben Sie zunächst gesagt, Sie wollten sie eigentlich gar nicht drin haben. Jetzt sagt Herr Schäuble, doch, Mitte des Jahres 2012 will er die zusätzlichen 4,3 Milliarden Euro in einen Nachtragshaushalt aufnehmen. Ich verstehe das nicht. Wenn wir es jetzt schon wissen, könnten Sie doch eigentlich gleich beantragen, einen Nachtragshaushalt zu beschließen. (

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Aber handeln!) - Natürlich können wir noch warten, Frau Merkel, bis der Vertrag unterschrieben ist. Aber eines darf ich auch sagen: Sie müssen sich beeilen. Sie wissen doch gar nicht, wie viele Tage die Koalition noch hält. ({0}) Wenn Sie den Nachtragshaushalt durchkriegen wollen, sollten Sie das nicht bis zur Mitte des nächsten Jahres verschieben. ({1}) - Wissen Sie, ich mache mir ja nicht Sorgen um die FDP. Aber ich finde, Sie sollten anfangen, sich Sorgen um die FDP zu machen. ({2}) Sie meinten, Frau Merkel, als große Siegerin aus Brüssel zurückzukommen, Sie hätten sich für die Stabilitätsunion entschieden und so viel dabei gewonnen. Die Kommission soll ja nun berechtigt sein, unter bestimmten Bedingungen in das Budget, in den Haushalt der Länder einzugreifen. Da hat doch der BundestagspräsiDr. Gregor Gysi dent recht: Das Grundgesetz regelt eine Hoheit des Bundestages für den Haushalt. ({3}) Es sieht überhaupt nicht vor, dass eine europäische Behörde in den Haushalt der Bundesrepublik Deutschland eingreift. Wenn Sie das beschließen, ist das ganz klar grundgesetzwidrig. ({4}) Das hat auch keinen Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht. Darüber müssen wir doch wenigstens einmal ausführlich diskutieren. Ich verstehe das nicht. Dann gibt es einen zweiten Gesichtspunkt. Sie haben ja automatische Sanktionen vereinbart. Dazu muss ich einmal sagen, Frau Bundeskanzlerin: Es gibt keine automatischen Sanktionen. Vielmehr müssen immer noch Menschen entscheiden, wann sie eingesetzt werden. Sie wollten damit ja auch bloß sagen, dass die Länder dagegen kein Beschwerderecht etc. haben. Es wird über Sanktionen entschieden, wenn eine bestimmte Haushaltsdisziplin verletzt wurde. Weiter sagen Sie, ganz Europa muss die Schuldenbremse übernehmen, die wir in Deutschland schon eingeführt haben. Darf ich wieder einmal versuchen, den Konstruktions- und Denkfehler der Schuldenbremse zu erklären? Es gibt einen Unterschied zwischen dem Bundeshaushalt und dem privaten Haushalt. Im privaten Haushalt herrscht die Regel: Wenn ich mehr Geld habe, gebe ich mehr aus, und wenn ich weniger Geld habe, gebe ich weniger Geld aus. Wenn man den Bundeshaushalt verantwortet, muss man ganz anders entscheiden. Wenn man gute Steuereinnahmen hat, kann man Schulden abbauen und sparen, und wenn man schlechte Steuereinnahmen hat, muss man zusätzlich investieren, damit die Wirtschaft wieder angekurbelt wird. ({5}) Genau das verbietet Ihre Schuldenbremse. Deshalb ist das ganze Konstrukt, gemeinsam gefunden von Union und SPD, falsch. Das jetzt auch noch ganz Europa aufzustülpen, ist sozusagen eine Multiplizierung dieses Fehlers. ({6}) Aber jetzt kommt etwas anderes. Das muss ich Ihnen einmal als Jurist sagen: Beide Regelungen widersprechen natürlich ganz klar dem Vertrag von Lissabon. Da Großbritannien nicht mitspielt, können Sie den Vertrag nicht ändern. Nun gehen Sie folgenden Weg und sagen: Wir machen einfach einen eigenen, neuen Vertrag - das ist so ein typischer Trick -, und es fällt wahrscheinlich gar keinem auf, dass dieser neue Vertrag dem Vertrag von Lissabon widerspricht. Ich sage Ihnen klipp und klar: Wenn man einen völkerrechtlichen Vertrag schließt, der einen bestehenden völkerrechtlichen Vertrag verletzt oder ihm widerspricht, dann ist der neue Vertrag völkerrechtswidrig. Da wir nach dem Grundgesetz an das wirksame, geltende Völkerrecht gebunden sind, kann Ihr Vorgehen niemals vom Bundesverfassungsgericht bestätigt werden. Dieser Trick wird nicht funktionieren. ({7}) Ich muss Ihnen sagen, Frau Bundeskanzlerin: Warum fragen Sie mich eigentlich nicht vorher? Dann könnte man solche eklatanten Fehler einfach vermeiden. Das wäre ein einfacherer Weg, wenn ich das einmal sagen darf. ({8}) Nun spielt Großbritannien da nicht mit. Alle fallen jetzt über Großbritannien her, wobei ich sage: Die Begründung von Großbritannien ist tatsächlich abenteuerlich und nur zurückzuweisen. Aber an sich hat Großbritannien damit recht, dass das Konstrukt so nicht geht, aber es wird die falsche Begründung angeführt. Kommen wir zurück zur europäischen Idee - das ist mir jetzt sehr ernst -: Diese europäische Idee wurde auch von Konservativen vertreten, nicht nur zu Zeiten Kohls, sondern auch vorher und nachher. Diese europäische Idee machen Sie kaputt. ({9}) Ich will Ihnen auch sagen, warum. Sie führen eine Agenda-2010-Union ein, und zwar multipliziert. Agenda 2010 - leider eine Erfindung der Sozialdemokraten - bedeutet Geringverdiener. Jetzt liegt übrigens eine Studie vor, nach der die Geringverdiener immer früher sterben. Wenn Sie jetzt nichts gegen Armut machen, handeln Sie sogar vorsätzlich, weil Sie wissen, dass Arme immer früher sterben. Also muss man etwas dagegen tun. ({10}) Agenda 2010 bedeutet auch Lohnabbau, Rentenkürzung, prekäre Beschäftigung, Outsourcing, das heißt, Teile eines Unternehmens werden aus einem Unternehmen ausgegliedert, damit man schlechtere Löhne bezahlen kann, Teilprivatisierung der Renten und der Gesundheit. All das verordnen Sie in viel schärferer Form Griechenland, Spanien, Portugal und Italien. Was glauben Sie, wie dann die Menschen die EU empfinden? Glauben Sie wirklich, die denken dann: Das ist eine tolle Einrichtung, die zu mehr Wohlstand führt? Die Menschen werden sagen: Die EU baut meinen Lebensstandard ab. Sie baut mein Selbstwertgefühl ab. Sie verhindert meine eigene Würde. All das kommt auch noch nach Deutschland. Das ist nicht nur sozial katastrophal, sondern es zerstört auch die europäische Idee und ist gefährlich. Ich möchte nicht zurück in das Europa des 20. und des 19. Jahrhunderts, das durch Kriege zwischen den heutigen Mitgliedsländern der Europäischen Union gekennzeichnet war. Dahin wollen wir nicht zurück. ({11}) Dieser Sozialabbau ist darüber hinaus völlig falsch, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Län17694 dern. Es ist ebenso falsch, die Investitionen zu streichen; denn das bedeutet doch alles weniger Steuereinnahmen. Das bedeutet, dass das Geld, das wir dorthin geben, verschwindet, und zwar in den Banken. Die Griechinnen und Griechen haben nichts davon, die Italienerinnen und Italiener haben nichts davon, die Spanierinnen und Spanier nichts und auch die Portugiesinnen und Portugiesen nichts. Außer zusätzlichen Schulden kommt auch für Deutschland und seine Bevölkerung nichts dabei heraus. Das ist alles nicht zu machen. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann glauben Sie doch wenigstens Ihrer heiligen amerikanischen Ratingagentur. Jetzt zitiere ich einmal das, was Standard and Poor’s sagen, die nun wirklich auf der anderen Seite stehen: Während sich die europäische Wirtschaft abkühlt, erwarten wir, dass ein Reformprozess, der allein auf der Säule von Sparanstrengungen ruht, zwecklos ist, wenn die Sorgen der Bürger um Jobs und Einkommen wachsen, die Nachfrage schrumpft und die Steuereinnahmen der Staaten erodieren. Das Ergebnis wird dann eine noch schlechtere Bewertung dieser Länder durch die Ratingagenturen sein. Das verschärft die Krise. Weiter stellt die Ratingagentur zutreffend Folgendes fest, Frau Bundeskanzlerin: Die Staatsschulden seien nicht Ursache, sondern Folge der Bankenkrise. ({12}) Weit klügere Leute sagen das auch. Warum reden Sie immer von einer Staatsschuldenkrise? Die USA haben viel höhere Staatsschulden, auch in der Verhältnismäßigkeit. Sie sind aber nicht in derselben Situation. Die Bankenkrise ist das Entscheidende. Diese müssen wir überwinden, wenn wir aus der Krise herauskommen wollen. ({13}) Machen wir uns doch nichts vor: Agenda 2010 mit Lohn- und Rentenabbau führte dazu, dass deutsche Produkte billiger wurden. Deshalb konnten wir immer mehr davon nach Spanien, nach Italien und nach Portugal verkaufen. Deshalb konnten die Firmen in Spanien, Portugal und Italien immer weniger ihre eigenen Produkte im eigenen Land und hierher verkaufen. Das hat Folgen. Deshalb sage ich Ihnen: Wenn wir aus dieser Falle herauswollen, die auch andere Länder belastet, dann müssen wir endlich die Binnenwirtschaft stärken, um nicht zu stark von den Verkäufen in andere Länder abhängig zu sein. ({14}) Wenn wir die Binnenwirtschaft stärken wollen, dann brauchen wir endlich höhere Löhne, höhere Renten und höhere Sozialleistungen, ({15}) und wir müssen die gesamte prekäre Beschäftigung überwinden. Es gibt keinen anderen Weg. ({16}) Das ist nicht nur sozial gerechter und verhindert, dass Menschen wegen ihrer Armut immer früher sterben, sondern es stärkt auch die Binnenwirtschaft und hilft Italien und anderen Ländern. Wir haben es weiter mit einem dramatischen Demokratieabbau zu tun. Was passiert denn in Griechenland und Italien? Da werden auf Wunsch der Jongleure des Finanzmarktes Technokraten als Regierungschefs eingesetzt. Es gibt vorher keine Wahl, und keiner befragt die Bevölkerung. Wenn ein Ministerpräsident seine Bevölkerung befragen will, dann muss er sofort zu Herrn Sarkozy und zu Ihnen, Frau Merkel, zum Strafrapport, und zwei Tage später ist er weg vom Fenster. Was hat denn das noch mit Demokratie zu tun? ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Gysi, es ist Ihnen nicht entgangen, dass Sie schon deutlich über der Zeit liegen.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Bundestagspräsident, das finde ich erstaunlich. Die acht Minuten von Herrn Lindner dauerten so lange. Meine elf vergehen so schnell. Wie kommt das eigentlich? Gut, dann lasse ich das aus und sage nur noch eines: Was wir wirklich brauchen, ist etwas ganz anderes. Wir brauchen erstens eine Regulierung der Finanzmärkte. Soros, der Multimilliardär, hat auf die Frage, ob er mit seinen Spekulationen schuld an der Krise sei, gesagt: Nein, schuld ist die Politik. Ich bin gierig, und wenn die Politik mir das erlaubt, dann mache ich das auch. Wenn sie es mir verboten hätte, hätte ich es nicht machen dürfen. ({0}) Das ist die Logik von Soros. Er gibt Ihnen ironisch die Schuld, und insoweit zu Recht. Wir brauchen zweitens eine Finanztransaktionsteuer. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, Herr Gysi, das geht jetzt leider nicht. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- Das können Sie nicht mehr hören, aber das müssen Sie sich anhören, weil es der einzige Weg ist, der aus der Krise führt. Hören Sie zu! Von den Konservativen verlange ich eines nicht: Ich verlange nicht, dass sie links werden. Das schaffen sie nicht. Aber sie könnten zuminDr. Gregor Gysi dest endlich einmal Vernunft an den Tag legen. Das ist das Minimum. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Gysi, ich bin Ihnen noch eine kurze Antwort auf Ihre Bemerkung zu meiner Begrüßung der französischen Delegation schuldig. Sobald es in China ein Parlament gibt, frei und demokratisch gewählt wie in Frankreich, zu dem der Deutsche Bundestag ähnlich intensive freundschaftliche Beziehungen unterhält wie zur Assemblée nationale, stelle ich für einen Besuch einer chinesischen Delegation eine ähnliche Begrüßung in Aussicht. ({0}) Das Wort hat nun der Kollege Kauder für die CDU/ CSU-Fraktion. ({1})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Erklärungen der Opposition in der heutigen Debatte hört, dann fragt man sich, ob die Opposition wirklich zur Kenntnis genommen hat, was am letzten Wochenende in Brüssel geschehen ist. ({0}) - Herr Kollege Steinmeier, warten Sie nur ab. Die Demut wird gleich kommen. Ich frage mich, ob Sie noch genau wissen, was Sie an diesem Rednerpult schon alles verlangt haben und was wir gemeinsam in Anträge hineingeschrieben haben. Im Ergebnis ist das, was wir in unserer gemeinsamen Erklärung vor einigen Tagen beschlossen haben, im Kern genau das, was die Bundesregierung in Brüssel ausgehandelt hat. ({1}) Wieso distanzieren Sie sich von dem, was wir zur Vorbereitung des Gipfels miteinander besprochen haben? Es ist unglaublich viel erreicht worden. Wir waren uns in diesem Plenarsaal einig, dass wir mit leichten, kleinen Korrekturen nicht mehr vorankommen und dass die Märkte von uns klare Reformen erwarten, die verhindern, dass das, was jetzt mit den hohen Staatsschulden eingetreten ist, wieder eintreten kann. Wir waren uns auch einig, dass diese Reformen nur durch rechtlich verbindliche Vereinbarungen machbar sind. Wir alle hätten uns sehr gewünscht, dass wir im Europa der 27 zu solchen Vereinbarungen gekommen wären. Herr Kollege Steinmeier, Sie haben an diesem Rednerpult mehrfach eine Korrektur der von Ihrer Fraktion durchgeführten Deregulierung der Finanzmärkte verlangt und sagen ständig, es müsse europaweit eine Finanztransaktionsteuer eingeführt werden. Aber wie können Sie sich dann hier hinstellen und sagen, da hätte man den Briten nachgeben können? Das ist eine unfassbare Position, die Sie hier vertreten. ({2}) Ich hätte mir gewünscht, dass die Briten erkannt hätten, dass ein Teil der Probleme auch durch die deregulierten Finanzmärkte entstanden ist und dass wir deswegen mehr machen müssen. Aber sich an dieses Rednerpult zu stellen und darauf hinzuweisen, dass noch nicht genügend Schritte bei der Regulierung gegangen worden sind, und dann zu beklagen, dass man den Briten nicht nachgegeben hat, das ist nicht in Ordnung, um das einmal klar und deutlich zu sagen. ({3}) Jetzt erwarten wir, dass die Briten in diesem Europa mitmachen. ({4}) Herr Kollege Steinmeier, jetzt haben hoffentlich die sozialdemokratisch regierten Länder in Europa mitbekommen, wie sie ihren eigenen Kollegen die Leviten lesen müssen. Österreich, Belgien und Dänemark, das sind Länder, die von Sozialdemokraten regiert werden und die mitgemacht haben. Soll ich Ihnen etwas sagen? Sie stehen als Einziger abseits, nicht wir. Das ist die Erkenntnis nach Ihrer heutigen Rede. ({5}) Natürlich kann man abseitsstehen, wenn man in der Opposition ist; dagegen ist nichts einzuwenden. Aber ich bitte darum, gerade in einer so wichtigen, zentralen nationalen und europäischen Frage zu erklären, was anders hätte gemacht werden sollen. Man muss sich vor allem über eines im Klaren sein - ich war der Meinung, dass wir das in den letzten Beratungen in diesem Parlament erreicht hätten -: Wir müssen in dieser für Europa, aber auch für die Menschen in unserem Land wichtigen Frage gemeinsame Positionen vertreten. Aber was ich jetzt von Ihnen höre, hat noch nicht einmal den Hauch einer sachlichen Auseinandersetzung. Es handelt sich nur um den Versuch, durch Dagegensein irgendwie voranzukommen. Das ist keine ausreichende Position, Herr Kollege Steinmeier. ({6}) Ich hoffe, dass wir bei den anstehenden Fragen, die auf uns zukommen und die Sie angesprochen haben, zum Beispiel beim ESM, wo es auch auf die Beteiligung des Parlaments ankommt ({7}) - Herr Steinmeier, lassen Sie mich den Satz zu Ende sprechen -, zu gemeinsamen Positionen kommen. Ich hatte bisher den Eindruck, dass wir das miteinander schaffen. Ihren Einwand „Da haben Sie doch nicht ein Problem mit der Opposition“ könnte ich fast vollum17696 fänglich unterschreiben. Aber nach dem, was Sie nach diesem Gipfel, in dessen Umfeld und heute abgeliefert haben, müssen wir uns schon fragen, ob Sie noch zu der Aussage stehen, dass wir das miteinander machen. ({8}) Wenn dem so ist, dann ist alles in Ordnung. Dann tun wir dies auch. Der Gipfel in Brüssel hat dazu geführt, dass wir die notwendigen Veränderungen durchführen. Jetzt muss klar sein: Wir kämpfen um die Stabilität des Euro. Das ist nicht etwas Technisches, sondern da geht es um die Zukunftschancen von Hunderten Millionen Menschen in Europa. Wenn wir um die Stabilität des Euro kämpfen, dann müssen diejenigen, die diese Währung haben, nämlich die Euro-Zone-Länder, auch das Notwendige machen können, um Stabilität zu erreichen. Da dürfen sie nicht nachgeben, wenn ein, zwei oder drei sie daran hindern wollen. Das wäre nicht in Ordnung. ({9}) Deswegen sagen wir den Briten: Ihr habt eine wichtige Aufgabe in diesem Europa. Dass der Euro stabil bleibt, ist doch nicht nur eine Frage, die die Euro-Länder betrifft. Vielmehr hat David Cameron doch selbst mehrfach gesagt, dass auch er ein Interesse daran hat, dass dieser Euro stabil bleibt. Da kann man ihm nur sagen: Dann beteilige dich auch an den notwendigen Maßnahmen! Aber die Stabilität des Euro mit einem noch wilder ausufernden Finanzmarkt und mit noch mehr durchgeführten Transaktionen in Europa sichern zu wollen, hieße doch, den Bock zum Gärtner zu machen. Das muss den Leuten in Großbritannien doch klargemacht werden können! Darum werben wir. ({10}) Herr Kollege Steinmeier, ich sage Ihnen: Es ist nicht angebracht, sich an dieses Rednerpult zu stellen und zu beklagen, warum es nicht gelungen ist, die Briten mit ins Boot zu nehmen. Vielmehr wäre es notwendig, den Briten zu sagen: Ihr habt eine Verantwortung für Europa und für den Euro, weil es auch eurer Währung dient. Also berappelt euch und macht mit! Das ist die Botschaft. Dazu fordern wir die Briten in aller Freundschaft auf. ({11}) Deswegen gibt es auch gar keinen Grund, darüber zu reden, ob in diesem Europa nicht mehr alle zusammenhalten. Im Übrigen haben dies alle anderen auch so gesehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den nächsten Monaten werden auf uns die konkreten Beratungen über das, was jetzt im Europäischen Stabilisierungsmechanismus ausgearbeitet wird, zukommen. In diesem Bereich wird es zu völkerrechtlichen Verträgen kommen. Herr Gysi, an dieser Stelle kann ich nur sagen, dass ich die Position, dass 25 oder 26 - wie viel es denn auch sind! - über bestimmte Fragen keine Vereinbarung treffen können, überhaupt nicht teile. Natürlich können sie eine Vereinbarung über die Regulierungen treffen, die notwendig sind und die den Euro betreffen. Ich bin hundertprozentig überzeugt, dass eine solche Vereinbarung auch eingehalten wird und dass wir deswegen mit diesem Vertrag vorankommen. Wir müssen dann aber - weil es nicht um ein Gesetz, sondern um ein Ratifizierungsverfahren zu einem völkerrechtlichen Vertrag geht - überlegen, wie wir im Rahmen dieser Verhandlungen unsere Position einbringen können und wie wir uns als Deutscher Bundestag an diesem Verfahren beteiligen können. Bisher ist es bei Ratifizierungen so, dass ein Vertrag ausgehandelt und vorgelegt wird und dass dann im Bundestag mit Ja oder mit Nein abzustimmen ist. Aber wir wollen an diesen Dingen, weil sie auch haushaltsrechtlich bedeutsam sind, von Anfang an beteiligt werden. Deshalb bitten wir die Bundesregierung darum, mit uns zu überlegen, wie wir dieses Verfahren so gestalten können, dass wir den Deutschen Bundestag auf dem Weg zu den vertraglichen Änderungen und Notwendigkeiten beteiligen können. ({12}) Natürlich ist klar, dass es nicht nur darum geht, zu regulieren und Haushaltsdefizite zurückzuführen, sondern auch darum, Wachstumsperspektiven zu entwickeln. Genau das tun wir. Wir sind jetzt in einer Phase, in der in Deutschland die Wirtschaft gut läuft. Im Übrigen haben wir am Ende dieses Jahres allen Grund, dankbar auf dieses Jahr zu schauen. ({13}) In einer großartigen Gemeinschaftsleistung haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allem mittelständische Unternehmer etwas Großartiges geschaffen, und es ist auch die richtige Politik gemacht worden. Wir haben in diesem Land doch etwas erreicht, indem wir zusammengestanden sind. Diese Botschaft, die den Menschen Mut macht, muss am Ende eines Jahres auch einmal formuliert werden. ({14}) Sie haben sich an vielem nicht beteiligt, obwohl Sie es hätten machen können. Erst unser Erfolg führt doch dazu, dass wir stark genug sind, um in Europa zu helfen. Das Deutschland aus den Jahren der rot-grünen Koalition hätte gar nicht die Kraft gehabt, in Europa die notwendige Hilfe zu geben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({15}) Deswegen sind Konsolidierung und ein Zurückfahren der Schulden notwendig; das ist das beste Wachstumsprogramm in unserer heutigen Zeit - und nicht immer obendrauf noch neue, noch zusätzliche Schulden machen. ({16}) Wir sollten diejenigen nicht vergessen - um es einmal sehr vorsichtig zu formulieren -, die einen gewaltigen Anteil daran haben, dass dieses Wachstum entsteht. Wenn ich mir die Beschlüsse vor allem des SPD-Parteitages anschaue, kann ich nur sagen: Das ist ein Programm zur Vertreibung von Leistungsträgern, aber nicht ein Programm zur Unterstützung von Leistungsträgern. ({17}) Schauen Sie sich doch die Länder Spanien und Griechenland an. Dort sind diejenigen, die Leistung erbringen könnten, sollten und wollten, gar nicht mehr da. ({18}) Wir wollen, dass diejenigen, die Leistung in diesem Land erbringen, sich durch Steuern an der Finanzierung der Staatsaufgaben beteiligen, aber wir wollen sie nicht vertreiben und ihre Leistungsbereitschaft beeinträchtigen. Das ist Politik für Wachstum und Wohlstand, ({19}) aber nicht Ihre von sozialistischen Gedanken geprägte Abkassierpolitik. Herr Gysi, Sie haben Großbritannien angesprochen. Sie können sich doch nicht hier hinstellen und sagen, man müsse auf Großbritannien Rücksicht nehmen, und zur gleichen Zeit von der Verstaatlichung der Banken sprechen. Sie müssen die Gedanken in Ihrem Kopf besser sortieren. Das alles passt nicht zusammen. ({20}) Wenn ich mir das alles anschaue, kann ich nur sagen: Gott sei Dank ist es in dieser schwierigen Situation eine von der Koalition aus CDU/CSU und FDP getragene Bundesregierung, ({21}) die erfolgreich in Europa verhandelt. ({22})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Jürgen Trittin hat das Wort für Bündnis 90/ Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Kauder, bei Ihrem letzten Satz fällt mir ein: Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen. Denken Sie einmal darüber nach. ({0}) Es kann nicht auf der einen Seite - das zeigt doch die europapolitische Geisterfahrt dieser Koalition - der Chef der einen Regierungsfraktion zu Recht dafür werben, dass Großbritannien zu diesem gemeinsamen Europa gehört, während der Vorsitzende der anderen Regierungsfraktion die Briten hier öffentlich als Rabattjäger denunziert. Diese Aussagen zeugen von der europapolitischen Geisterfahrt dieser Koalition. ({1}) Sie tun mir leid, Herr Rösler, und man kann langsam Mitleid mit Ihnen bekommen. Nicht, weil Sie jetzt nicht mehr Christian Lindner, sondern nur noch ButterLindner haben ({2}) - ich wollte mich einmal auf das Niveau von Herrn Brüderle begeben -, sondern weil Sie hier an dieser Stelle erklärt haben, Herr Brüderle dürfe nicht mehr auf Ihrem Dreikönigstreffen reden. Interessant. ({3}) Aber hier darf er reden. Da Sie, Herr Brüderle, hier reden dürfen, hätten wir gerne einmal von Ihnen gehört, was mit den wahrscheinlich 16 000 FDP-Mitgliedern ist, die der Auffassung sind, dass man das, was die Kanzlerin gerade verhandelt hat, nämlich ein frühzeitiges Inkrafttreten des Europäischen Stabilisierungsmechanismus, rundweg ablehnen sollte. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie mit diesen Menschen eine politische Auseinandersetzung geführt hätten, anstatt dass Sie hier regelmäßig solche pfälzischen, genuschelten Büttenreden abliefern. ({4}) Ansonsten war es so wie immer: markige Erklärungen vor dem Gipfel, windelweiche Beschlüsse auf dem Gipfel. Sie lassen schreiben, es werde jetzt gespart, bis es quietsche; das Ergebnis ist aber spätestens seit Montag bekannt. Man könnte böse sein und sagen, das Gipfelergebnis sei Käse. Ich fürchte, es ist nur Analogkäse, also Pflanzenfett und irgendwelche Eiweiße. Die Märkte haben eine Antwort gegeben. Die Zinsen für Italien liegen wieder bei über 7 Prozent. Das Vertrauen, das Sie schaffen wollten, haben Sie mit den Gipfelbeschlüssen gerade einmal für ein Wochenende herstellen können. Seitdem ist der Kater wie nach einer durchzechten Nacht wieder da. Die Wahrheit ist: Die EU-Kommission muss Sie darauf hinweisen, dass Gemeinschaftsrecht Vorrang vor intergouvernementalen Vereinbarungen hat. Sie haben nichts über die Diskussionen in Finnland über den Vertrag der 26 gesagt, wo man erklärt: Dafür gibt es keine Mehrheit. - Ich hätte es sehr interessant gefunden, Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie hier einmal einen Satz zur Ankündigung der französischen Sozialisten gesagt hätten - sie braucht Herr Sarkozy nämlich, um diesen Vertrag, der eine Verfassungsänderung erfordert, durchzubringen -, jenen Sozialisten, die im Senat die Mehrheit haben und die gesagt haben, dass sie dem nicht zustimmen wollen. Wie wollen Sie mit diesem Problem umgehen? Das wäre eine Regierungserklärung wert gewesen, Frau Bundeskanzlerin. ({5}) Aber so bleibt doch nur eine Feststellung. Es ist viel über „Merkozy“ geschrieben worden. Ich will ja gerne konzedieren, dass der Kopf von „Merkozy“ Sie sind. Aber wenn in Frankreich nicht ratifiziert wird, dann ist „Merkozy“ ein Wesen ohne Unterleib. ({6}) Zur Debatte über die Umwegfinanzierung, also darüber, das EZB-Geld über den IWF zu schleusen. Dazu haben die Amerikaner gesagt, sie werden es nicht mitmachen. Ich hätte mir von Ihnen gewünscht, dass Sie hier sagen, was das für uns heißt: dass das Risiko für die EFSF-Anleihen wächst, dass die Hebelung schwieriger wird. Warum? Weil die zusätzlichen IWF-Mittel, wenn sie denn kommen, Vorrang vor unseren Mitteln haben. Damit gibt es ein erhöhtes Risiko für den Bundeshaushalt. Deswegen muss das hier diskutiert, deswegen muss das hier entschieden werden. Denn: Parlamente sind nicht zum Zuschauen da, sondern zum Entscheiden. ({7}) Ich finde, das eigentliche Problem dieses Gipfels ist wahrscheinlich gar nicht einmal, was beschlossen worden ist; denn das ist so zahnlos, dass man sich darüber kaum ereifern kann. Das, was nicht beschlossen worden ist, ist das Entscheidende. Sie haben keine Beschlüsse gefasst, die die aktuelle Krise tatsächlich eindämmen. Sie haben es bis heute nicht geschafft, eine Firewall zu errichten, die nach dem Schuldenschnitt für Griechenland verhindert, dass die Spekulation auf andere Staaten übergreift. Das hat etwas mit ideologischen Scheuklappen zu tun. Die rechte Seite dieses Hauses jubelt immer, wenn man sich gegen Euro-Bonds ausspricht. Sie verschweigen immer, dass schon in der EZB für große Summen gehaftet werden muss. Meine Damen und Herren, vielleicht sollten Sie, also die Bayern unter den Unionisten - die CSU ist ja immer erst bayerisch und dann subsidiär -, einmal darüber nachdenken, dass selbst jemand wie Dr. Edmund Stoiber heute der Auffassung ist: Eine Lösung dieser Krise gibt es nur mit europäischen Staatsanleihen. - Herr Stoiber spricht sich für Euro-Bonds aus. Meine Damen und Herren, Herr Stoiber hat recht. Ich hätte nie geglaubt, dass mir dieser Satz jemals über die Lippen gehen wird. ({8}) Aber das eigentliche Problem sind nicht die ideologischen Scheuklappen, die Sie haben; das eigentliche Problem ist, dass Sie eine falsche Krisenursache identifiziert haben. Dazu setzen Sie Staatsschuldenkrise mit Ausgabenwillkür und unsolider Haushaltspolitik gleich. Genau das ist die falsche Analyse dieser Krise. ({9}) Diese Krise in Griechenland ist durch eine falsche Staatsausgabenpolitik hervorgerufen worden. Richtig; niemand widerspricht dem. Es waren auch Konservative, die das gemacht haben. ({10}) Diese Krise ist ausgelöst worden auch in Staaten wie Irland und Spanien mit einer vorbildlichen Haushaltsführung, einer deutlich besseren Haushaltsführung als zum Beispiel hier in Deutschland. Warum? Weil diese Staaten Schulden von Privaten, Schulden von Banken, Schulden von privaten Haushalten, verstaatlichen mussten, weil sie sonst in eine noch größere Krise geraten wären. Wenn es richtig ist, dass es einen Zusammenhang zwischen der Finanzkrise und der Staatsschuldenkrise gibt, dann werden Sie dieser Krise nicht allein damit beikommen, dass Sie staatliche Ausgaben kürzen. Sie müssen an die Ursachen dieser Krise herangehen; sonst kommen Sie aus ihr nicht heraus. ({11}) Sie haben gesagt, da komme man nicht nur mit Sparen, sondern auch mit Wachstum heraus. Ja, dann schauen Sie sich doch die Zahlen an! Die Prognosen für die Euro-Zone sehen für nächstes Jahr ein Wachstum von minus 1 Prozent vor - so die OECD -, für Italien ein Negativwachstum von 2 Prozent. Das heißt, Italien ist weit davon entfernt, eine Chance zu haben, sich in irgendeiner Weise so zu finanzieren, dass es neue Kredite in Höhe von 300 Milliarden Euro zu erträglichen Konditionen bekommt. Dagegen kann man nicht ansparen. Das wird Ihnen Herr Monti auch nicht anders gesagt haben. Wenn Sie in einer Situation des Negativwachstums zusätzliche Sparauflagen für Staaten verordnen, dann kürzen diese auch in den Bereichen, in denen Investitionen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit heute zwingend erforderlich sind. Anders gesagt: Ihr Kurs, Frau Bundeskanzlerin, führt nicht nur zu nicht mehr Wachstum, Ihr Kurs würgt das Wachstum in Europa ab. Es verlängert die Krise, es verschlimmert die Krise. Das ist das Problem. ({12}) Aus dieser Krise führt kein intergouvernementaler Weg heraus. Wir brauchen gemeinsame starke europäische Institutionen. Wir müssen die Steuer-, die Wirtschafts- und die Fiskalpolitik miteinander verknüpfen. Das geht nicht in einem intergouvernementalen Vertrag. Sie haben dann gesagt, Sie seien dafür, dass das Europaparlament hier eine Rolle spielt und auch Beobachter entsenden darf. ({13}) Frau Bundeskanzlerin, Parlamente, auch das Europaparlament, sind keine Beobachterkommission. Parlamente machen Gesetze, sie sind Ausdruck des Willens des Volkes, und sie kontrollieren die Regierung. Das ist Demokratie, und das brauchen wir in Europa. ({14}) Sie haben sich erlaubt, hier zu sagen, mit dem jetzt Beschlossenen hätten wir einen großen Schritt hin zu einer Stabilitätsunion getan. ({15}) Wer anfängt, aufgrund einer Identifizierung der falschen Krisenursache in Europa das Wachstum kaputtzusparen, der wird Folgendes erleben: ({16}) ein Europa, in dem massenhaft junge Leute arbeitslos sind. Ein Europa der Massenarbeitslosigkeit ist aber keine Stabilitätsunion. Dieses Europa fliegt auseinander. Dagegen haben Sie nichts getan. Deswegen sage ich Ihnen: Jedes Tief hat einen Namen. Das nächste wirtschaftliche Tief, das auf uns zukommt, hat den Namen ({17}) „Angela“. Leider wird es noch über Europa liegen, wenn Sie nicht mehr Kanzlerin sind. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Werner Hoyer hat jetzt das Wort für die Bundesregierung. ({0})

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich beglückwünsche die Bundeskanzlerin zu ihrem Erfolg beim Europäischen Rat. ({0}) Wir haben die Chance, unsere Währung für die schweren Zeiten, die kommen werden, sturmfest zu machen. Wir haben darüber hinaus die Chance, die politische Union voranzutreiben. Es ist ja zu Recht gesagt worden, dass wir hier einen Rückstand aufholen müssen, weil zu Zeiten des Vertrages von Maastricht die politische Union, die wir damals gewollt haben, noch nicht möglich war. Es lag von vornherein in der Logik des Prozesses, zu sagen: Wenn wir mit der Währungs- und Wirtschaftsunion anfangen, dann wird ein Druck aufgebaut werden, die politische Union folgen zu lassen. Genau in der Situation sind wir jetzt. Deswegen müssen wir diese Erwartung bzw. diese Verpflichtung, über die uns Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher, Theo Waigel immer aufgeklärt haben, jetzt auch erfüllen. ({1}) Rainer Brüderle hat für die Fraktion der FDP begründet, warum wir mit dem, was verhandelt worden ist, zufrieden sind. Ich möchte hier einen anderen Akzent setzen. Ich glaube, wir führen endlich eine ehrliche politische Debatte über Europa. Sie hat eigentlich über Jahrzehnte gefehlt. Das war ein Elitenthema. ({2}) Jetzt führen wir diese Debatte. Wir dürfen sie aber nicht nur über Geld, Währung und Wirtschaft führen. Europa ist eben sehr viel mehr. ({3}) Wir haben eine großartige Erbschaft von unseren Vorgängern übernommen. Europa - das steht zunächst einmal für Werte, für Haltungen, für Lebensweise, für Kultur. Dieses Europa manifestiert sich auf unserem Kontinent mittlerweile praktisch überall in einer Priorität für die Würde des einzelnen Menschen, in Toleranz, in Rechtsstaatlichkeit, in Demokratie - im Grunde die Früchte der Aufklärung. Und das müssen wir eben auch leben und verteidigen. Deswegen müssen wir uns auch einmischen. Deswegen sind Fragen der nationalen Souveränität heute doch etwas anders zu bewerten, als das vielleicht vor 50 Jahren noch der Fall war, wenn plötzlich Pressefreiheit gefährdet ist, wenn Reisefreiheit eingeschränkt ist oder wenn wir nicht gemeinsam die Informationen sammeln, die wir brauchen, um Urteile zu fällen über das, was in Europa ökonomisch zu geschehen hat. Die europäische Integrationsgeschichte hat uns ein ungeahntes Maß an Freiheit, an Frieden und an Wohlstand gebracht. Das wird heute alles für selbstverständlich genommen; das wissen wir alle aus unseren politischen Veranstaltungen. Damit lockt man erstaunlicherweise keinen hinter dem Ofen hervor, obwohl es so wichtig und so bewahrenswert ist. Wir brauchen also eine Projektion dieses europäischen Gedankens in die Zukunft. Ich denke, es liegt auf der Hand, wie wir argumentieren müssen: mit der Selbstbehauptung der Europäer in der Globalisierung. Das wird die Herausforderung der nächsten Jahre sein. Das ist dann auch nicht nur ein ökonomisches Thema, sondern auch ein Wertethema, ein Wissensthema, ein Innovationsthema, ein Thema, das am Ende mit Wohlstand zu tun hat, der nämlich akut gefährdet ist, wenn wir dieser Herausforderung nicht gerecht werden. Deswegen wundere ich mich manchmal, dass wir Debatten führen, als könnte man zur Globalisierung Ja oder Nein sagen. Man kann - da sie kommt und schon da ist nur versuchen, sie mitzugestalten. Das wird keines unserer europäischen Partnerländer - nicht unsere französischen Freunde, die ich herzlich begrüße, und auch nicht wir Deutschen - alleine gestalten. Wenn wir in der Gemeinschaft der Völker dieser Welt etwas bewegen wollen, dann müssen wir es gemeinsam anpacken. Dann muss man Mut haben zum politischen Europa; dann muss man auch Mut haben zur Gemeinschaftsmethode. ({4}) Ich glaube, dass es viele Punkte gibt, bei denen man feststellen muss: Europa macht zu viel. All die Fragen von Überbürokratisierung sind mir voll bewusst. Da kann man doch das eine oder andere zurückdrehen. Aber dort, wo im klassischen, im Hallsteinschen Sinne die europäischen Institutionen - zum Beispiel die Kommission als Hüterin der Verträge - gefragt sind, da müssen wir ihnen den entsprechenden Raum geben. ({5}) Sie sind im Zweifel der bessere Hüter des Gemeinschaftsgedankens, als wir es sein können, die wir häufig in nationalen Interessen denken müssen. Deswegen: Mehr Mut zu mehr Europa. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn die Dinge so laufen, wie sich das gegenwärtig abzeichnet, dann könnte das meine letzte Rede im Deutschen Bundestag gewesen sein. ({6}) Ich gehe am Freitagnachmittag mit gemischten Gefühlen durch die Tür dort hinten, aber mit großer Dankbarkeit für das, was war, und mit großer Vorfreude auf das, was sein wird. Ich habe 25 Jahre lang das schönste Amt wahrgenommen, das der Souverän uns gibt: das des freien Abgeordneten. Sie werden es weiter wahrnehmen. Ich wünsche Ihnen dafür Glück, Erfolg und Gottes Segen. Frau Präsidentin, ich melde mich ab. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Lieber Herr Kollege Hoyer, Wenn-dann-Reden soll man in der Politik nicht halten. Nichtsdestotrotz will ich Ihnen - jenseits der Formalien, die sich noch entscheiden müssen - sagen: Wir kennen Sie hier im Bundestag seit 1987. Sie sind ein Herzensparlamentarier; das haben wir, glaube ich, eben noch einmal gehört. Die Kolleginnen und Kollegen, die mit Ihnen zusammenarbeiten, schätzen Sie für Ihre kundige Zusammenarbeit, für die Kompetenz, aber auch die Kollegialität. Ich sage einfach: Bis hierhin herzlichen Dank für all das, und - wenn wir keine weitere Gelegenheit haben, das hier zu tun - schon jetzt: Viel Erfolg und Gottes Segen für Ihren Weg. ({0}) Der Kollege Axel Schäfer hat jetzt für die SPD-Fraktion das Wort. ({1})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Kauder hat empfohlen, man solle auch seinen sozialdemokratischen Parteifreunden in Europa mal die Leviten lesen. ({0}) Kollege Kauder, als Christ wissen Sie doch: Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge? Wann haben Sie an dieser Stelle jemals einer christdemokratischen Regierung in Ungarn die Leviten gelesen, als es um die Beschädigung der Demokratie, die Einschränkung der Meinungsfreiheit ging? ({1}) Wann haben Sie in diesem Hause jemals einer christdemokratischen Regierung in Italien die Leviten gelesen, als es um die Gefährdung des gesamten Rechtsstaates und der politischen Kultur in Europa ging? ({2}) Wann haben Sie hier jemals einem christdemokratischen Regierungschef aus Österreich, den Niederlanden oder von anderswo die Leviten gelesen, der sich mit Koalitionen und Optionen mit Rechtspopulisten an der Macht hält? Wann haben Sie das als Europäer jemals getan? Sie haben es hier in diesem Hause nicht getan. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man ehrlich über Gipfelergebnisse redet, muss man damit anfangen und sagen: Ja, am Anfang des Jahres haben wir über Rettungsschirme mit einem Umfang von 620 Milliarden Euro geredet; jetzt liegen die Schätzungen bei 1,6 Billionen Euro. - Auch das gehört zur Ehrlichkeit. Wenn man hier auf der Regierungsseite einmal ehrlich argumentieren wollte, dann müsste man die Debatte immer mit den Worten beginnen: Ja, wir haben uns seit Mai 2010 geirrt; wir hatten Fehleinschätzungen, und wir haben uns immer und immer wieder korrigieren müssen. - Dies haben Axel Schäfer ({4}) wir von Ihnen an dieser Stelle, hier im Deutschen Bundestag, niemals gehört. ({5}) Wir haben vor diesem Gipfel aber etwas anderes erlebt: Herr Van Rompuy, der den Auftrag hatte, Vorschläge zu machen, wurde aus Kreisen der Bundesregierung, wie es unwidersprochen zitiert worden ist, mit den Worten kritisiert: Wir lassen uns keine Brüsseler Tricksereien bieten. - Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, ist es halt. Wenn man auf der einen Seite sagt: „Wir wollen mehr gemeinsames Europa“, und auf der anderen Seite diejenigen, die auch als Institution für mehr gemeinsames Europa stehen, schon vorher beschämt und beschädigt, kann man nicht damit rechnen, dass man hinterher gemeinsame europäische Überzeugungen in dieser Gemeinschaft erreichen kann. Ich glaube, das, was die Kanzlerin nicht gesagt hat, ist für viele Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsparteien wichtig; aber leider diskutieren Sie das hier nicht, weil Sie manchmal glauben, Ihre europäischen Überzeugungen durch stramme Haltung ersetzen zu müssen. Auch Sie müssten doch eigentlich diskutieren, dass wir viel schärfere Regelungen bei Finanzmarktprodukten brauchen, gerade bei denen, die die Ratingagenturen als etwas Besonderes bewertet haben und die dann - das hat auch ein CDU-Politiker einmal formuliert - zu Massenvernichtungswaffen wurden. An dieser Stelle kommt von Ihnen nichts. Es kommt von Ihnen auch keine kritische Anmerkung, dass die Finanztransaktionsteuer notwendig ist, dass man hier in Europa vorangehen muss - sei es auch nur mit 17 Ländern - und dies auf dem nächsten Gipfel ein wichtiges Thema sein muss. Es kommt auch nichts zu dem Punkt, der für uns alle so wichtig ist: Wir benötigen in Europa unbedingt so etwas wie einen Ausbildungspakt, weil wir uns den Skandal der Jugendarbeitslosigkeit, der nicht nur eine Gefährdung der Zukunftsperspektiven, sondern auch der zukünftigen Demokratie ist, nicht leisten können. ({6}) Wenn man schon einfordert - da sind wir uns im Hause alle einig -, in Europa etwas vertraglich zu regeln, und es Probleme gibt, dann muss man die parlamentarische Beteiligung hier in diesem Haus, in allen nationalen Parlamenten und im Europäischen Parlament ernsthaft und bewusst von Anfang an so gestalten, dass der Bundestag, zum Teil auch der Bundesrat, so einbezogen wird, dass er über alle Regelungen, die getroffen werden und über die am Schluss im Bundestag entschieden wird, wie über ein richtiges europäisches Vorhaben diskutiert, nicht wie bei einem internationalen Vertrag, bei dem es am Ende nur noch heißt: „Friss, Vogel, oder stirb!“, wir aber keinen Einfluss beim Zustandekommen haben. Diesen Einfluss, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierung, werden wir und, ich glaube, auch die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der Linkspartei von jetzt an Tag für Tag einfordern; denn das ist die Demokratie in Europa, die wir hier im Deutschen Bundestag praktizieren. ({7}) Bitte passen Sie auf bei falschen historischen Bildern. Der Vorsitzende der FDP-Fraktion hat das Gipfelergebnis das Ergebnis einer „Belle Alliance“ genannt. „Belle Alliance“ ist seit 1815 die Übersetzung für Waterloo, die historische Niederlage von Napoleon gegen die Verbündeten. Ich glaube, er hat damit unbewusst das ausgedrückt, worum es jetzt geht. ({8}) Wir stehen vor einem Waterloo der FDP in der Europapolitik. - Vielen Dank, Herr Brüderle! ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kauder, bitte, eine Kurzintervention.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schäfer, ich würde Sie bitten, dass Sie das Protokoll vielleicht einmal nachlesen; dort können Sie sich meine Rede genau anschauen. Ich habe das glatte Gegenteil von dem verlangt, was Sie gesagt haben. Ich habe nämlich nicht gesagt, dass Sie Ihren sozialdemokratisch oder sozialistisch geführten Regierungen in Europa die Leviten lesen sollen, sondern dass Sie sich an ihnen orientieren sollen. Genau das habe ich gesagt. ({0}) Das haben Sie glatt missverstanden. Sie müssen die Schranken aus Ihrem Kopf bekommen. Ich habe wörtlich gesagt: Schauen Sie sich Österreich - geführt von Ihrer Parteifamilie -, Dänemark und Belgien - ebenfalls von Ihrer Parteifamilie geführt - an. Die haben dem Ergebnis zugestimmt und es großartig gefunden; Sie haben es kritisiert. Deswegen habe ich gesagt: Orientieren Sie sich einmal an denen. Sie sollten ihnen nicht die Leviten lesen - machen Sie das am besten in Ihrer eigenen Truppe -, sondern sich an ihnen orientieren. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schäfer, bitte.

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Kauder, ich bedauere es sehr, dass Sie nicht einmal heute diese Gelegenheit genutzt haben, zu sagen, dass Sie das, was andere Christdemokraten in Europa - ich hätte noch die griechische Opposition hinzufügen können - in den letzten Jahren an antieuropäischer Politik gemacht haben, als deutscher Christdemokrat nicht teilen. So viel Überzeugung hätte ich Ihnen schon zugetraut, aber leider, leider haben Sie diesen Mut hier nicht gefunden. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Thomas Silberhorn hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von dem letzten europäischen Gipfel gehen einige klare Botschaften aus. ({0}) Die erste Botschaft lautet: Wir machen die Politik. Die Regierungen und die Parlamente setzen die Rahmenbedingungen für das Wirtschaften und nicht Ratingagenturen oder irgendwelche Investoren. Das Heft des Handelns liegt in den Händen der Politik, und das wird auch so bleiben. ({1}) Das sollten sich all diejenigen hinter die Ohren schreiben, die glauben, gegen ganze Staaten oder Volkswirtschaften wetten zu müssen. ({2}) Die zweite Botschaft dieses Gipfels lautet: Die Schuldenparty ist beendet. Es gibt jetzt Haushaltsdisziplin für alle. Deswegen ist es ein Erfolg, dass jetzt überall auf nationaler Ebene Schuldenbremsen eingeführt werden. Es ist ein Erfolg, dass das Defizitverfahren weiter automatisiert wird. Die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist gewissermaßen eine Rückkehr zu den Wurzeln der Wirtschafts- und Währungsunion. Die Verstöße gegen den Stabilitätspakt müssen der Vergangenheit angehören. Deswegen lautet die dritte Botschaft dieses Gipfels: Verträge sind einzuhalten. Vertragstreue ist eine Voraussetzung für unsere Glaubwürdigkeit in der Krise. Nachdem die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft stark geworden ist, geht es jetzt darum, dass wir an diese Stärke anknüpfen, indem wir zur Vertragstreue zurückkehren. Deswegen ist dieses Ergebnis ein „Maastricht plus“ und damit der richtige Kurs zur Stabilisierung unserer gemeinsamen Währung. ({3}) Der europäische Gipfel hat auch mit dem viel erreicht, was nicht beschlossen worden ist. Es sind keine Euro-Bonds beschlossen worden, es gibt keine Banklizenz für den Rettungsschirm, und es gibt keine Lizenz zum Gelddrucken für die Europäische Zentralbank. Nichts von alledem, was SPD und Grüne wollen, hat dieser Gipfel beschlossen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: So offensiv, wie Sie gerade unmittelbar vor dem Gipfel für eine Vergemeinschaftung der Schulden plädiert haben, und so offensiv, wie Sie das Konzept verfolgen, alte Schulden mit immer noch mehr neuen Schulden zu bekämpfen - das kann nicht gelingen. Sie müssen sich die Frage gefallen lassen: Wessen Geschäft besorgen Sie eigentlich? Im Interesse unseres Landes lag diese Position ganz sicher nicht. Im europäischen Interesse lag sie auch nicht; denn die 26 Mitgliedstaaten haben auf diesem Gipfel das glatte Gegenteil von dem beschlossen, was Sie wollen. Das ist eine gute Nachricht für Deutschland und für Europa. ({4}) Die Vergemeinschaftung von Schulden gefährdet das Kreditrating der Euro-Staaten. Das war sicherlich ein Grund, weshalb Frankreich, Italien und andere gar kein Interesse daran haben konnten, durch Euro-Bonds ihre eigene Bonität aufs Spiel zu setzen. Eine Vergemeinschaftung der Schulden verteuert die Kredite für alle, und sie beschädigt das Vertrauen in die Haushaltsdisziplin. Deswegen sagen wir Nein zu einer Schuldenunion und Ja zu Eigenverantwortung, was Haushaltsdisziplin und Wettbewerbsfähigkeit der Länder betrifft. Wenn wir von Eigenverantwortung reden, gehört dazu auch, dass wir die Marktkräfte nutzen und wir die Disziplinierung der Staaten durch die Märkte zulassen. Deswegen ist es so wichtig, dass es risikoadäquate Zinsen gibt. Die einheitlichen Zinsen in der Währungsunion sind doch Gift gewesen. Sie waren eine Ursache für die Staatsschuldenkrise, in der wir heute stecken. Erwiesenermaßen wirken sie destabilisierend. Deswegen müssen wir zur Transparenz zurückkehren und unterschiedliche, nämlich risikoadäquate, Zinssätze zulassen. Das ist der stärkste Anreiz zur Haushaltsdisziplin. ({5}) Wenn heute beispielsweise von Italien über 7 Prozent an Zinsen verlangt werden, muss unsere Antwort sein: Ja, und? So ist es jetzt. Das kostet es jetzt. - Wer diese hohen Zinssätze vermeiden will, darf nicht an Verlagerung der Schulden auf Dritte denken, sondern muss im eigenen Haus für Ordnung sorgen und Haushaltsdisziplin einkehren lassen. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Marktkräfte zu nutzen, bedeutet auch, dass sich die übrigen Marktteilnehmer der Disziplinierung durch die Märkte unterThomas Silberhorn werfen müssen. Dazu gehört nach meiner Auffassung nach wie vor die Gläubigerbeteiligung. Sie ist durch die Gipfelbeschlüsse nicht abgeschafft worden. Es gibt nicht nur weiterhin diese Collective Action Clauses, sondern es soll eine Gläubigerbeteiligung im Rahmen des Internationalen Währungsfonds stattfinden. Der hat dafür keine theoretischen Regeln, aber er wendet praktisch Gläubigerbeteiligung an. Das geht durchaus weit über das hinaus, was in dem bisherigen Vertragsentwurf für den Europäischen Stabilitätsmechanismus steht. Darin ist nur die Rede davon, dass ein Schuldnerland Verhandlungen aufnehmen und aktiv Einsatz zeigen soll. Es muss bei einer Gläubigerbeteiligung in geordnetem Rahmen bleiben. Ein Drittes gehört dazu, Marktkräfte zu nutzen. Wir müssen auch die Regulierung der Finanzmärkte weiter betreiben und die Disziplinierung der Märkte selbst verstärken. Dazu gehören die Finanztransaktionsteuer und eine stärkere Eigenkapitalausstattung der Finanzinstitute, die auf den Weg gebracht ist. Nach meiner Auffassung gehört dazu auch - das möchte ich neu einführen -, dass wir bei den Kreditausfallversicherungen eine Notifizierungspflicht einführen; denn wir wissen nicht, was da weltweit alles unterwegs ist. In diesen Kreditausfallversicherungen liegt im Falle eines Zahlungsausfalles ein enormes Eskalationspotenzial; denn niemand weiß, wer wem in welchem Umfang Geld schuldet. Deshalb halte ich es für notwendig, dass wir hier durch eine Notifizierungspflicht Transparenz schaffen, die zumindest zum Ergebnis haben kann, dass Insidergeschäfte vermieden werden und damit keine weitere Eskalation stattfindet. ({7}) Natürlich ist es richtig, wenn hier immer wieder eingewandt worden ist, dass Haushaltsdisziplin allein noch nicht reicht, die Euro-Zone zu stabilisieren, sondern dass weitere Schritte erforderlich sind. Bisher beschränken sich die Bemühungen zur Stabilisierung der Währung im Wesentlichen auf Finanzhilfen. Wir müssen darauf achten, dass der erkaufte Zeitgewinn auch tatsächlich genutzt wird, um die Haushalte zu konsolidieren und um wettbewerbsfähige Strukturen in Wirtschaft und Verwaltung wiederherzustellen. Wir müssen aber auch darauf achten, dass diese Finanzhilfen niemanden überfordern, weder die Geberländer in finanzieller Hinsicht noch die Empfängerländer in politischer Hinsicht; denn das Ergebnis dieser Finanzhilfen und der damit verbundenen Auflagen ist, dass ein Empfängerland seine politische Handlungsfreiheit weitgehend einbüßt. Wir müssen also auch die Frage beantworten, was passiert, wenn die vereinbarten Sanierungsziele nicht erreicht werden. Was ist, wenn die nächste Tranche nicht ausgezahlt werden kann, was der Bundesfinanzminister für Griechenland schon einmal angedroht hat? Diese Frage dürfen wir nach meiner tiefen Überzeugung nicht unbeantwortet lassen, weil sie eine Ursache für Unsicherheit auf den Märkten ist. Die Antwort kann nur lauten, dass wir die Stabilitätsbemühungen bzw. die Stabilisierungsmechanismen mit einem Sanierungsverfahren verknüpfen. Herr Brüderle, ich habe Verständnis, wenn die FDP in diesem Zusammenhang von geordneter Insolvenz spricht. Ich spreche lieber von Sanierungsverfahren, weil man Staaten nicht abwickeln kann wie ein Unternehmen. Aber wir brauchen natürlich so etwas wie eine Umstrukturierung der Staatsschulden, was bezogen auf Griechenland jetzt vorgenommen worden ist. Nach meiner Überzeugung brauchen wir aber auch einen Weg, um ein Ausscheiden aus der Euro-Zone zu ermöglichen. Wir sagen Ja zu Solidarität, aber auch Ja zu Eigenverantwortung. Wir sagen Ja zu Finanzhilfen; aber sie können nicht grenzenlos gewährt werden, weil wir sonst in einem Finanzausgleich landen, den wir nicht wollen, weil wir sonst in einer Schuldenunion landen, die wir vermeiden müssen. ({8}) Es hat schon seinen Grund, dass nicht nur die CSU, sondern auch die CDU auf ihrem letzten Parteitag in einem Leitantrag deutliche Worte zu dem Weg in Richtung Ausscheiden aus der Euro-Zone gefunden hat. Ich glaube, wir müssen deutlich machen, dass wir die Märkte, auf denen mit sehr viel mehr privatem Kapital gehandelt wird, als die Staaten durch volkswirtschaftliche Leistung generieren können, nicht allein mit Geld beeindrucken können, sondern nur durch konsequentes Handeln. Deutschland und Europa stehen in dieser Krise vor einer Richtungsentscheidung. Die Richtung, die uns die Opposition vorschlägt, führt geradewegs in eine Schuldenunion hinein. ({9}) Eine Sozialisierung und Vergemeinschaftung nationaler Schulden würde die Bonität aller Euro-Mitglieder beschädigen. Die Inflation, die damit einherginge, ginge natürlich zulasten der kleinen Leute. Ich rate Ihnen, einmal einen Blick auf die Sparprogramme zu werfen, ob in Griechenland, Portugal, Irland, Spanien oder jetzt auch in Italien: Die mit solchen Sparprogrammen verbundenen massiven Kürzungen treffen in erster Linie die Löhne, die Renten und die sozialen Leistungen und damit genau die Leute, die Sie eigentlich zu Ihrer Klientel zählen. Deswegen ist klar, dass der Weg in die Schuldenunion nicht der richtige Weg sein kann. Wir brauchen eine Stabilisierung der Euro-Zone, indem wir Haushaltsdisziplin einfordern, indem wir strukturelle Reformen auf den Weg bringen. Das erreichen wir nicht durch neue Ausgabenprogramme, für die das Geld nicht da ist, sondern durch strukturelle Reformen in den Bereichen Wirtschaft und Verwaltung. ({10}) Außerdem müssen wir die Finanzmärkte regulieren. Ich sage es nochmals: Vertrauen ist nicht durch Geld zu erkaufen. Vertrauen lässt sich nur mit einem konsequenten Stabilitätskurs gewinnen. Es geht in dieser Krise nicht nur um die Leistungsfähigkeit unserer Haushalte, unserer Wirtschaft und Verwaltung. Es geht um die Leistungsfähigkeit unserer marktwirtschaftlichen Ordnung, unserer parlamentarischen Demokratien, der europäischen Integration insge17704 samt. So wie im 19. Jahrhundert die Märkte nicht in der Lage waren, die soziale Frage zu beantworten, und wie im 20. Jahrhundert die Märkte keine ausreichenden Lösungen geboten haben, um die ökologische Herausforderung zu bewältigen, so stehen wir im 21. Jahrhundert vor der Frage, wie wir die Finanzmärkte ordnen müssen, um unsere Währung zu stabilisieren. Dazu brauchen wir unsere soziale Marktwirtschaft, dazu brauchen wir unsere freiheitlichen Demokratien, und dazu brauchen wir die europäische Zusammenarbeit. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu den Ergebnissen des Brüsseler Gipfels in der vergangenen Woche drei Anmerkungen machen. Erstens. Beharrlichkeit zahlt sich aus. Die Beharrlichkeit der deutschen Bundesregierung, die Beharrlichkeit der christlich-liberalen Koalition, die diese Bundesregierung trägt, die konsequente Verfolgung eines klaren politischen Ziels durch die Bundeskanzlerin Angela Merkel waren erfolgreich. Das zahlt sich in hervorragenden Ergebnissen aus, die aus meiner Sicht wirklich einen Meilenstein auf dem Weg zu einem künftigen Europa der Stabilität darstellen. Lassen Sie uns noch einmal Revue passieren, worum es in den vielen Verhandlungen der vergangenen Monate ging. Es ging doch immer um die Grundfrage: Soll man zur Bekämpfung dieser Staatsschuldenkrise einfach mehr Geld in die Hand nehmen und aus neuen Finanzquellen schöpfen oder auf einen Kurs hin zu mehr Stabilität und zur Konsolidierung der nationalen Haushalte einschwenken? Ich denke, wir haben heute viel zu wenig über Stabilität, über die Schuldenbremse und über Haushaltsdisziplin gesprochen und viel zu viel über Nebenkriegsschauplätze; denn Kernerfolg dieses Gipfels ist, dass sich ganz Europa - mit Ausnahme der Briten - zu einem Europa der Stabilität mit einer Verschärfung der Haushaltsaufsicht, mit koordinierten Maßnahmen zur Stärkung wirtschaftlicher Reformen, der Wettbewerbsfähigkeit und damit auch des Wachstums bekennt. Lassen Sie mich nochmals Revue passieren: Wo stünden wir heute, wenn wir den Vorschlägen der Opposition in den vergangenen Monaten gefolgt wären? ({0}) Euro-Bonds wären schon längst eingeführt worden. Euro-Bonds bringen aber eine gesamtschuldnerische Haftung mit sich; Euro-Bonds sind nichts anderes als Schuldensozialismus. Ich bin froh, dass es nicht so gekommen ist. ({1}) Wären wir Ihren Vorschlägen gefolgt, dann hätten wir schon längst eine Transferunion mit unkonditionierten Hilfen, dann hätten wir schon längst eine Banklizenz für die EFSF und die Geldschleusen bei der EZB wären weit geöffnet. Zu all dem kam es nicht, und das ist ein Verdienst der Verhandlungsführung unserer Bundesregierung. Dafür kann ich nur noch einmal meine Anerkennung aussprechen. Das ist aller Ehren wert. ({2}) Lassen Sie mich mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, aus dem heutigen Tagesspiegel zitieren, in dem von einer Allensbach-Umfrage unter 500 Führungskräften aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung berichtet wird. Diese Befragung ergab, dass 70 Prozent die Kanzlerin aktuell für eine starke Kanzlerin halten. Das sind, laut Frau Köcher, doppelt so viele wie noch im Sommer dieses Jahres. Da kann ich nur sagen: Chapeau, Frau Bundeskanzlerin! Sie musste leider schon weg, um wichtige Gespräche zu führen. Diese Anerkennung hat sie sich redlich verdient. ({3}) Nun gab es in den vergangenen Monaten in Europa viele Veränderungen. In einigen Staaten wurden die Regierungen abgewählt oder die Regierungsspitze wurde, zum Beispiel in Italien, ausgewechselt. Es gibt in all diesen am meisten gefährdeten Ländern substanzielle Reformen. Sie sind auf dem richtigen Weg. Aber es ist klar erkennbar, dass diese europaweite Staatsschuldenkrise so manche Regierung ihren Sitz gekostet hat. Ich kann natürlich verstehen, Herr Steinmeier, dass die Opposition hierzulande etwas verärgert ist, wenn sie erkennen muss, dass anderswo Regierungen stürzen, während die Regierung in Deutschland im Verlaufe dieser Krise immer größeres Ansehen genießt. ({4}) Für alle wird erkennbar, worum es bei diesen Debatten, auch auf europäischer Ebene, geht. Für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wird erkennbar: Es geht auch immer wieder um grundsätzliche Auseinandersetzungen. Mir fehlt leider die Zeit, alles aufzuführen, was im Entschließungsantrag der SPD, den Sie heute einbringen, falsch ist. Ich greife zwei Punkte heraus. Sie fordern die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass die Leistungsbilanzen stabilisiert werden - das ist noch in Ordnung - und dass die Überschussländer ihre Binnennachfrage über höhere Löhne stärken und so dafür sorgen, dass die Leistungsbilanzen ausgeglichener sind. Das heißt auf gut Deutsch nichts anderes, als dass Sie unsere Wettbewerbsfähigkeit schwächen wollen. Sie wollen, dass deutsche Maschinenbauer, deutsche Automobilbauer weniger exportieren, und dadurch wollen Sie andere stärker machen. Genau das ist die ideologische Auseinandersetzung. Sie wollen die Starken schwächen und meinen, dadurch würden die Schwachen stärker. Das ist grundlegend falsch. Europa wird nicht stärker, indem man die Starken schwächt. Europa wird stärker, indem man die Schwachen stärkt. Das ist der richtige Weg. ({5}) Ich will einen zweiten Punkt herausgreifen. Sie fordern die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass neben Sparprogrammen für überschuldete Mitgliedsländer auch Wachstumsprogramme aufgelegt werden. Liebe Kollegen von der SPD, sollen wir - womöglich auf Pump, mit neuen Schulden - Wachstumsprogramme für überschuldete Länder finanzieren? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. - Allein diese beiden Beispiele zeigen, dass dieser Antrag nicht ernst zu nehmen ist. Lassen Sie mich eine zweite Anmerkung machen, und zwar zum Vorziehen des ESM, des Europäischen Stabilitätsmechanismus, auf Mitte 2012. Ich halte diesen Schritt für wichtig, weil er zu mehr Vertrauen in die europäische Währung, in den Euro, führen wird. Warum? Das liegt an der Konstruktion des ESM. Er ist grundlegend anders konstruiert als die EFSF. Beim ESM gibt es einen Kapitalstock. In diesen Kapitalstock zahlen alle Staaten ein. Das heißt, es entsteht eine andere Form der Bonität. Bei der EFSF wird die Bonität nur durch die Triple-A-Länder gewährleistet. Sie garantieren für die Bonität der EFSF. Am ESM hingegen sind alle Länder beteiligt. Bei diesem Kapitalstock ist also eine ganz andere Bonität und damit auch Unabhängigkeit gegenüber den Urteilen von Ratingagenturen gegeben. Das Vorziehen des ESM ist nicht mit Mehrkosten verbunden. Wir füllen den Kapitalstock lediglich ein Jahr früher auf. Das werden wir aller Voraussicht nach in Form eines Nachtragshaushalts spätestens im Sommer des kommenden Jahres tun. Meine Damen und Herren, diese Koalition aus CDU/CSU und FDP wird alles dafür tun - wir werden uns anstrengen -, die Nettokreditaufnahme nicht oder allenfalls marginal erhöhen zu müssen. Wir werden uns bemühen, für diese zusätzliche Belastung im Haushalt 2012 entsprechende Gegenfinanzierungen zu finden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Einbeziehung bzw. die stärkere Beteiligung des IWF. Lassen Sie mich, da es einige kritische Nachfragen und Unruhe gegeben hat, zunächst einmal klipp und klar sagen: Ich halte es für gut und völlig richtig, dass der IWF stärker beteiligt wird. Warum? Der IWF steht für Expertise, für Erfahrung und für strenge Konditionalität, und zwar bei allen Programmen, die er begleitet. Es geht dabei immer um die Wiederherstellung der Finanzierungsfähigkeit eines Staates. Insofern ist es gut, dass der IWF mit dabei ist. Das unmittelbare Risiko für Deutschland erhöht sich dadurch nicht, allenfalls über Umwege, nämlich im Hinblick auf den First-Creditor-Status. Nur, lieber Herr Kollege Trittin: Den hat der IWF schon, und der IWF war auch bisher an allen Nothilfeprogrammen beteiligt. Das ist also nichts substanziell Neues. Da lohnt es sich nicht, sich hier aufzublasen. Man sollte die Leute nicht verunsichern. Lassen Sie mich abschließend sagen: Mit diesem Gipfel ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger und wesentlicher Schritt hin zu einer Stabilitätsunion gelungen. Jetzt kommt es darauf an, die Beschlüsse möglichst schnell und konsequent umzusetzen, und zwar in allen Ländern. Wir sind gerne bereit, weiterhin voranzugehen. Wir werden die Tür für Großbritannien offen halten. Wir hoffen, dass sich die Briten noch besinnen und irgendwann ebenfalls beitreten; denn das wäre im Sinne Gesamteuropas. Europa hat, wenn alle zusammenhalten, eine gute Zukunft. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Michael Stübgen hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Stübgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die Ehre, als letzter Redner in der heutigen Debatte zu sprechen. Wir befinden uns, was die Europäische Union betrifft, am Ende eines sehr bewegten Jahres. Es gab allein in diesem Jahr, einschließlich heute, sechs Regierungserklärungen nur zur Euro-Krise, zur Euro-Verschuldungs- und zur Euro-Finanzierungskrise. Dies ist die zehnte Bundestagsdebatte in diesem Jahr, die wir nur zu diesen Fragen führen; für dieses Jahr wird es mit Sicherheit die letzte sein. Ich habe nicht den Ehrgeiz, zu versuchen, diese Zahl im nächsten Jahr zu erhöhen. Aber eines ist am Ende dieses Jahres sicher: Wir werden uns mit der Verschuldungs- und der Finanzierungskrise der Europäischen Union auch im nächsten Jahr beschäftigen müssen. Denken Sie nur daran: Griechenland II muss noch umgesetzt werden, und das Stabilitätsmechanismusgesetz können wir immer noch nicht so anwenden, wie wir es im Bundestag beschlossen haben. Hier sei mir allerdings der Hinweis gestattet, dass ich es für absolut notwendig halte, dass das Bundesverfassungsgericht so bald wie möglich entscheidet. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der letzten Woche gab es einen Europäischen Rat und einen Rat der Euro-Gruppe. Beschäftigt hat man sich zum einen mit notwendigen und wichtigen Beschlüssen, was die aktuelle Euro-Krise bzw. die Reaktion auf diese Krise betrifft. Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, dass wir den Europäischen Stabilisierungsmechanismus auf das nächste Jahr vorziehen wollen. Wir haben in diesem Hause schon mehrfach darüber diskutiert; jetzt gibt es Einigkeit darin, das umzusetzen. Es ist auch schon erläutert worden, warum das wichtig ist. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das Hauptproblem der EFSF darin besteht, dass aufgrund der reinen Gewährleistungsstruktur nicht schnell genug agiert werden kann. Dies wird der ESM besser können. Ein anderes wichtiges Ergebnis des Europäischen Rates ist, dass wir es geschafft haben, eine monatelange Hängepartie zu beenden, ob wir in Europa über sogenannte Collective Action Clauses zu einer strukturierten Gläubigerbeteiligung kommen, was in Europa sehr kritisch diskutiert wurde. Jetzt gibt es Klarheit darüber, wie sie umgesetzt werden sollen. Sie sollen sich direkt an den Strukturen des IWF orientieren, die sich in den letzten Jahrzehnten bewährt haben und immer wieder angepasst wurden. Auf dem Europäischen Rat sind aber auch noch verschiedene andere Beschlüsse in Reaktion auf die Krise gefasst worden. Nach meiner Überzeugung ist in der vergangenen Woche auch etwas fundamental Neues beschlossen worden, was wir so in den letzten zwei Jahren noch nicht hatten. Die deutliche Mehrheit der Mitglieder der Europäischen Union - auch wenn es nur die 17 Länder der Euro-Zone gewesen wären, wäre es ein Riesenerfolg gewesen; aber es werden auf jeden Fall deutlich mehr sein - hat sich darauf geeinigt, in ihren Ländern nationale Schuldenbremsen mit Verfassungsrang oder auf vergleichbarer Ebene einzuführen. Das ist ein Aufbruch in eine Stabilitätsunion, den wir bisher nicht hatten. Ich glaube, das ist ein großer Erfolg, der irgendwann einmal als eine historische Wende bezeichnet werden wird. „Aufbruch in eine Stabilitätsunion“ heißt natürlich nicht, dass wir das Ziel damit schon erreicht haben. Es wird noch viele notwendige Entscheidungen geben. Um mit der Schuldenbremse, wie wir sie in Deutschland verankert haben, das Ziel in Bezug auf die Gesamtverschuldung zu erreichen, wird es noch ungefähr 20 Jahre dauern. Auch in Deutschland brauchen wir einen längeren Zeitraum dafür; aber ich glaube, dass dieser Aufbruch absolut entscheidend ist. Als wir in Deutschland - die Initiative dafür ging von der Großen Koalition aus - über die Schuldenbremse diskutiert und ihr dann einen Verfassungsrang eingeräumt haben, sind wir in fast ganz Europa belächelt worden. Viele haben gesagt: Lasst die das mal machen. Die Austeritätspolitik wird nicht funktionieren; sie werden das irgendwann wieder aufheben. - Noch vor wenigen Monaten sind wir in der Europäischen Union zum Teil beschimpft worden, wenn von deutscher Seite der Hinweis gegeben wurde, dass es wichtig wäre, dass alle Euro-Länder - damals waren es immer nur die EuroLänder - eigene Schuldengrenzen mit Verfassungsrang einführen. Jetzt beginnen wir damit, das in fast jedem Mitgliedsland der Europäischen Union umzusetzen. Ich glaube, das ist kein Sieg deutscher Überlegung, sondern das zeigt, dass die Europäische Union lernfähig und in der Lage ist, Fehler der Vergangenheit zu erkennen und zu beheben. ({1}) Ich glaube, das war der entscheidende Beschluss, der am vergangenen Wochenende gefasst worden ist. Er wurde von der deutschen Bundesregierung, von der Bundeskanzlerin und vom Bundesfinanzminister, intensiv vorbereitet und schon im Vorfeld von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP massiv unterstützt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden die Umsetzung dieser Beschlüsse auch in den nächsten Jahren aktiv und intensiv begleiten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe damit die Aussprache. Zu diesem Zusatzpunkt liegt uns eine schriftliche Erklärung des Abgeordneten Andrej Hunko nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8135. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen. Die übrigen Fraktionen haben abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8136. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Die einbringende Fraktion hat dafür gestimmt, alle anderen dagegen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Angekündigte, aber bisher nicht angegangene steuerpolitische Vorhaben der Bundesregierung Als Erster gebe ich der Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weihnachten naht. Viele Kinder hoffen, dass sie das Ihrige getan haben und der Weihnachtsmann sie reich beschenken möge. Die Bundesregierung agiert wie eine Riege Weihnachtsmänner und Weihnachtsfrauen, gestützt von vielen kleinen Wichteln; viele von ihnen verlassen gerade fluchtartig den Saal. Vor der Wahl werden Wünsche einDr. Barbara Höll gesammelt, und im Koalitionsvertrag versprechen der Weihnachtsmann und seine Wichtel, was in den nächsten vier Jahren davon alles in ihrer Werkstatt gefertigt werden soll. Im Bereich der Steuern wurden eine Reform der Mehrwertsteuer, Steuervereinfachungen und natürlich Verbesserungen im Bereich der Unternehmensbesteuerung angekündigt. Die Regierung agiert tatsächlich im Habitus des Weihnachtsmannes und macht Geschenke. Ganz schnell nach der Wahl, ratzfatz, wurde das Hotel- und Gaststättenwesen beschenkt. Dass die Mehrwertsteuer dafür gesenkt wurde, kostet einfach einmal 1 Milliarde. Die Regierung vergisst dabei, dass sie eben nicht der Weihnachtsmann ist, der Geschenke verteilt, sondern dass sie die gewählte Regierung ist, die verwalten soll, was die Bevölkerung in unserem Land erarbeitet, und es so einsetzen soll, dass es tatsächlich gewinnbringend für alle ist, zur Verbesserung des Lebens. ({0}) Wie ging es dann weiter mit der Mehrwertsteuer? Ja, es soll eine große Reform kommen. Nun, ein Jahr nach der einen Senkung, verkündete der für die Finanzen zuständige Weihnachtsmann, Herr Schäuble, dass eine Mehrwertsteuerreform doch nicht kommt. Er hält sie politisch nicht für durchsetzbar. Wieder ein Jahr später, vor zehn Tagen, gab es in der Bild eine Meldung, dass gar keine große Steuerreform mehr kommt. Sofort meldete sich der Sprecher der Weihnachtsbrigade, Herr Seibert, und dementierte umgehend: Natürlich kommt im Bereich der Steuern noch ganz viel. - Aber ich frage Sie: Wo ist denn Ihre Arbeitsgruppe zur Mehrwertsteuerreform? Wurde sie überhaupt schon berufen? Hat sie jemals getagt? Nichts davon ist zu hören. Wir im Ausschuss wissen zumindest nichts davon. Sie knistern mit Geschenkpapier, packen angeblich ein und aus. Niemand weiß, wie groß die Pakete sind und ob überhaupt etwas drin ist. Unternehmensteuerreform, groß angekündigt für diesen Herbst. Wir wollten uns im Ausschuss damit beschäftigen. Nichts passierte. Dabei ist es gerade in diesem Bereich unwahrscheinlich wichtig, dass Sie aktiv werden. Anfang des Jahres habe ich Sie mittels einer Kleinen Anfrage auf das Problem der Verlustverrechnung aufmerksam gemacht. Seit 1991 steigen in Deutschland die Verluste, die in Unternehmen angehäuft werden, jedes Jahr im Schnitt um 35 bis 40 Milliarden Euro. Seit 2004 haben die angehäuften Verluste bei der Körperschaftsteuer und bei der Gewerbesteuer jeweils die 500-Milliarden-Grenze überstiegen. Das letzte Jahr, das von der Statistik erfasst wurde, ist 2006. Aber die OECD hat in diesem Jahr festgestellt, dass das Volumen der Verlustvorträge im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in Deutschland so hoch ist wie in keinem anderen untersuchten Staat, obwohl Verluste in fast allen diesen Staaten zeitlich unbegrenzt vorgetragen werden können. Das heißt, ein Unternehmen, das Verluste macht, vielleicht auch mehrere Jahre, kann diese später steuerlich gegen Gewinne, die das Unternehmen macht, gegenrechnen. Bei einer solch hohen Verlustanhäufung ist natürlich die Frage: Geht es den Unternehmen tatsächlich so schlecht? Sie müssten eigentlich alle schon pleite sein. Das sind sie offenkundig nicht. In der Möglichkeit der Rückstellung der Verluste verbirgt sich aber für uns alle ein enormes steuerliches Risiko; denn wenn alle diese Verluste steuerlich geltend gemacht würden, hätten wir einen Steuerausfall von über 150 Milliarden Euro, und das würde uns tatsächlich bedrohen. Ich darf noch einmal daran erinnern: Der Bundeshaushalt hat einen Umfang von 306 Milliarden Euro; das ist doppelt so viel. Wenn alle Unternehmen in einem Jahr alles geltend machen würden, wären wir ziemlich pleite. ({1}) Sie haben immerhin eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese Arbeitsgruppe „Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung“ hat nun eine ganz interessante Entdeckung gemacht: Es gibt eine sogenannte unerklärliche Lücke bei der Erfassung der Gewinne der Konzerne. Vergleicht man die Gewinne laut Steuerstatistik mit den Gewinnen laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung, dann besteht eine Differenz von sage und schreibe mindestens 230 Milliarden Euro. Das heißt, die Gewinne, die tatsächlich gemacht werden, also die realen Gewinne, betragen das Zweieinhalbfache dessen, was steuerlich geltend gemacht, also angezeigt wird. Das heißt nichts anderes, als dass die genannten weltmeisterlichen Verluste nur gegenüber der Steuer bestehen, aber nicht in der Realität. Das ist politisch verursacht, weil die Gesetze so sind. Das ist schlicht legale Steuervermeidung. Da müssten Sie endlich aktiv werden. ({2}) Interessanterweise sind diese Verluste konzentriert. Nicht der kleine Bäckermeister hat sie - er könnte sich das überhaupt nicht leisten -, sondern sie konzentrieren sich auf 2 Prozent der großen, international agierenden Unternehmen. Ich sage Ihnen: Die Bevölkerung hat die Nase voll davon, dass sie wie ein Weihnachtsmann agieren und an bestimmte Gruppen Geschenke verteilen, bei anderen untätig bleiben, nur mit Geschenkpapier rascheln und ansonsten nichts auf die Reihe bekommen. Im Gegenteil: Sie gefährden das Weihnachtsfest insgesamt; denn wenn Sie so weiteragieren, dann haben wir keine Möglichkeit mehr, überhaupt etwas zu schenken.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Deshalb sagen wir: Legen Sie endlich die Karten auf den Tisch! Agieren Sie wie eine Regierung! An den Weihnachtsmann kann man glauben oder nicht; Regierungen kann man zum Glück abwählen. Danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Hans Michelbach hat das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Aktuelle Stunde ist eine vortreffliche Gelegenheit, unsere zielführenden steuerpolitischen Erfolge darzustellen. ({0}) Darüber hinaus können wir den Unterschied zum Steuererhöhungskartell der Opposition klarstellen. Ihre Weihnachtsgeschichte war doch wirklich voll daneben. Das, was Sie hier in der Weihnachtsgeschichte verpackt haben, kann ich nur ablehnen und infrage stellen. So kann man das sicher nicht sehen. ({1}) Wir betreiben eine Steuerpolitik, die Wachstum fördert und die die Leistungsbereitschaft der Bürger stärkt. Dagegen können Sie immer nur die Steuerschraube weiter anziehen. Das Abkassiermodell heißt in diesem Haus seit jeher: Rot-Rot-Grün. ({2}) Mit dieser Aktuellen Stunde können wir darstellen, was gemacht wurde und was wir noch auf der Agenda haben. ({3}) Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, mit dem Umsatzsteuer-Änderungsgesetz, mit dem Steuervereinfachungsgesetz, mit der Neuordnung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Ausbildungskosten, mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, mit dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen haben wir in den letzten zwei Jahren eine ehrgeizige Steuerpolitik betrieben. Da können wir Erfolge vorweisen. Das sind steuerpolitische Schritte auf dem richtigen Weg, um Wachstum zu erzielen und die Leistungsfähigkeit unserer Bürger weiter zu stärken. Dieser Wachstumsimpuls, insbesondere mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, hat uns letzten Endes ({4}) die Finanz- und Wirtschaftskrise überstehen lassen. Mit dem Gesetz haben wir einen starken Wachstumsimpuls gesetzt, um rasch und gestärkt aus dieser Krise herauszukommen. Deswegen haben wir jetzt die positive Situation auf dem Arbeitsmarkt, einen Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit. Das ist der Erfolg des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, ein wesentliches Steuergesetz unserer Legislaturperiode. ({5}) Wir haben die Bürger und die Unternehmen um 8,5 Milliarden Euro entlastet. Die größte Einzelmaßnahme hat Familien und Kindern geholfen. Allein die Anhebung der Kinderfreibeträge und des Kindergeldes hat Familien mit Kindern um rund 4,6 Milliarden Euro entlastet. Wir haben mit dem Umsatzsteuer-Änderungsgesetz die Istbesteuerung auf eine Jahresumsatzgrenze von 500 000 Euro angehoben, um den kleinen und mittelständischen Unternehmen stabil und dauerhaft zu helfen, Liquiditätsengpässe zu überbrücken und einen Beitrag zu Beschäftigung und Wachstum in diesen Betrieben zu leisten. Das ist ein echter Erfolg. ({6}) Wir haben mit der Steuervereinfachung den Steuerdschungel gelichtet. Die Steuererklärung kann künftig einfacher, schneller und auch papierlos erledigt werden. Damit ist eine steuerliche Entlastung in der Größenordnung von immerhin 590 Millionen Euro verbunden. Ich darf den Arbeitnehmerpauschbetrag in Erinnerung rufen, den wir von 920 Euro auf 1 000 Euro erhöht haben. Insgesamt 21,6 Millionen Arbeitnehmer haben keinen Einzelnachweis mehr zu führen. Das ist ein großer Vereinfachungsbeitrag, den wir geleistet haben. Wir haben die Unternehmen vom Bürokratieaufwand entlastet. Jetzt haben wir das Gesetz zum Abbau der kalten Progression. ({7}) Wir haben das Thema Steuergerechtigkeit angepackt. Es geht um 6 Milliarden Euro Entlastung. Wir machen das Gegenteil von dem, was Sie machen: Sie wollen die Leute immer mehr belasten und immer neue Steuererhöhungen vornehmen. Das ist das Abkassiermodell, das Sie betreiben. Wir haben dagegen eine leistungsfreundliche und absolut arbeitnehmerfreundliche Lösung, insbesondere bei der kalten Progression und bei den heimlichen Steuererhöhungen. ({8}) Deswegen ist es wichtig, dass wir diese steuerliche Maßnahme voranbringen. Ich kann Sie nur bitten: Kommen Sie auf den Weg der steuerpolitischen Vernunft! Nehmen Sie die Blockade in der Steuerpolitik zurück! Was Sie im Bundesrat an Blockade betreiben, insbesondere bei der Gebäudesanierung, ist unsäglich. ({9}) Deswegen können Sie hier nicht mit einer Aktuellen Stunde punkten. Sie sollten vielmehr Vernunft walten lassen und zur Entlastung unserer Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen die Steuerpolitik unterstützen. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Petra Hinz hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Petra Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Frau Präsidentin. - Jedes Mal, wenn es hier um das Thema Steuerpolitik oder, wie heute, um die Ankündigungen der Regierung zu den unterschiedlichen steuerpolitischen Gesetzen geht, habe ich den Eindruck, Sie müssen sich selbst gebetsmühlenartig Zuspruch zureden, damit Sie das, was Sie vortragen, auch wirklich glauben. Glauben Sie in der Tat, einer von uns oder der Sachverständigen glaubt das, was Sie vortragen? ({0}) Sie bringen als Schlagworte, dass wir abkassieren wollen. Dabei bedeuten Ihre Geschenke für Niedrigverdiener 1,41 Euro mehr. Davon können sie sich nicht einmal eine Tasse Kaffee im Monat leisten. Das sind Ihre Steuergeschenke. ({1}) Hören Sie also auf, permanent Ihre platten Sprüche zu klopfen! ({2}) Mehr steckt nicht dahinter. Man kann auch sagen: Es ist heiße Luft, die man sich schenken kann. ({3}) Nach zwei Jahren schwarz-gelber Regierung ist nicht einmal eine Bilanz zu ziehen. Man möchte vielmehr eine Art Moderator vermitteln, damit die ganze krisengeschüttelte Regierung endlich einmal zum Zuge kommt. ({4}) Denn das, was Sie hier darbieten, schadet nicht nur der FDP und der Regierung, sondern der Politik insgesamt. Aber das ist ein anderes Thema. ({5}) Das Schauspiel hat heute mit Herrn Lindner, der zurückgetreten ist, seinen Höhepunkt gefunden. ({6}) Einen Einstieg in den Ausstieg: Das wäre schön für unser Land. Das Einzige, was CDU/CSU und FDP in den zurückliegenden zwei Jahren an einem fulminanten Steuerkonzept umgesetzt haben, ist die Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für die Hotelklientel, die hier beschlossen wurde. Daraus ist kein Wirtschaftswachstum erwachsen, ganz im Gegenteil. Die Kolleginnen und Kollegen haben in den zurückliegenden Debatten bereits deutlich gemacht, wen das etwas kostet, nämlich den Bürger. Gerade nach der zum Thema Europa geführten Debatte gilt für all das, was hier beschlossen worden ist: Wir werden mit Sicherheit einen Nachtragshaushalt einbringen. Sie stellen sich hier breitbrüstig hin und versprechen den Menschen draußen an den Bildschirmen Steuergeschenke. Aber das geht auf Kosten der jungen Menschen - auch derjenigen, die gerade auf der Tribüne sitzen -, die eine Zukunftsperspektive suchen. Investieren Sie doch in Bildung, Ausbildung und Mindestlöhne! Das wäre eine faire und gerechte Politik. Aber das, was Sie hier darbieten, ist es nicht. ({7}) Im Übrigen glaubt keiner mehr, dass Sie Ihr angekündigtes Steuerkonzept umsetzen werden. Das sagen sogar Ihre eigenen Leute, zum Beispiel Petra Roth. ({8}) - Claudia Roth. ({9}) - Ich meine natürlich Petra Roth. Meine Herren, wenn ich zu Ihrer Belustigung beitragen kann, gerne. Aber das zeigt Ihr Niveau. Dass Sie eine Kollegin, die gerade versucht, zum Thema Steuerehrlichkeit zu reden, in die Pfanne hauen, ist großartig. Sie sind wirklich Gentlemen. Sie sind Politiker! Toll, klasse! ({10}) Die Kommunen sind nicht in der Lage, Steuersenkungen zu finanzieren. Selbst der DGB macht deutlich, dass Ihre geplante Steuersenkung zu Gebührenerhöhungen und zur Kürzung öffentlicher Leistungen führt. Leidtragende sind Niedrigverdiener und Familien mit geringem Einkommen. Sie halten im Prinzip Steuergelder - dies macht Petra Roth in ihren Reden immer wieder deutlich; das Thema Betreuungsgeld will ich hier gar nicht ansprechen; darüber wurde schon oft diskutiert - für Familien bereit, die ihre Kinder zu Hause behalten und von Bildung fernhalten wollen, obwohl Sie in Sonntagsreden immer wieder behaupten, alle Familien entlasten zu wollen. Der Finanzminister hat eine Kommission eingesetzt, die eigentlich die Gewerbesteuer abschaffen sollte. Das hat er nicht geschafft. Wir hätten uns anderthalb Jahre sparen können. ({11}) Sie haben zur Verunsicherung der Kommunen beigetragen. Die Kanzlerin hat auch heute noch einmal die Stärkung des Wachstums beschworen. Aber letzten Endes tragen Ihre Steuerpläne - ein entsprechendes Konzept Petra Hinz ({12}) liegt noch nicht einmal vor - nicht zur Stärkung des Wachstums bei, sondern belasten ohne Not zukünftige Generationen weiter. Was ist denn im Übrigen aus den 24 Milliarden Euro geworden, die Sie im Wahlkampf als Steuerentlastung versprochen haben? - Läppische 6 Millionen Euro! Das kann ich Ihnen von der FDP nicht ersparen: Diese 6 Millionen kommen den 6 Prozent, die Sie, wenn überhaupt, noch haben, gleich. Unter dem Strich: Die Sachverständigen sowie die Vertreterinnen und Vertreter des Städtetages und des Gemeindebundes sagen ganz klar Nein zu Ihren Steuergeschenken. ({13}) Die Bürgerinnen und Bürger rufen Ihnen zu, diese Steuergeschenke sein zu lassen, weil alles auf Pump finanziert ist. Der Bürger zahlt letzten Endes die Zeche. So viel zu Ihrem Konzept. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Volker Wissing hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Hinz, Sie sollten Ihr Bild von den Geschenken sein lassen. Wir arbeiten hart daran, ({0}) die kalte Progression abzumildern; denn wir sind nicht damit einverstanden, dass die Menschen, die im Durchschnitt eine Lohnerhöhung von 1,8 Prozent bei einer Inflationsrate von 2,5 Prozent bekommen, nach getaner harter Arbeit leer ausgehen. ({1}) Wir wollen, dass den Menschen etwas von den erhaltenen Lohnerhöhungen bleibt. ({2}) Frau Kollegin Hinz, die Lohnerhöhungen, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für ihre Leistungen bekommen haben, sind keine Geschenke, ({3}) sondern haben sich die Menschen erarbeitet. Deswegen sollten Sie aufhören, von Geschenken zu sprechen. Sie verhöhnen sonst die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland, die sich das redlich verdient haben. ({4}) Sie reden im Zusammenhang mit der kalten Progression immer von Geschenken. ({5}) Damit sagen Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aber nichts anderes als: Wenn ihr Lohnerhöhungen bekommt, dann sind das Geschenke, und die gehören dem Staat und nicht euch. ({6}) Das sehen wir anders. ({7}) Sie wären gut beraten, das auch anders zu sehen und das Bild von den Steuergeschenken beiseitezulegen. Sie liegen da schlicht falsch. ({8}) Sie sagen, dass wir die Kommunen belasten würden. ({9}) - Herr Trittin, Sie klatschen jetzt schön. Auch Sie sollten nicht überheblich werden, sondern darüber nachdenken, wie die Realität aussieht. ({10}) Nun hatten Sozialdemokraten und Grüne den Kommunen ein ordentliches Problem geschaffen. Dieses Problem konnte nicht ungelöst bleiben. Das Bedauerliche ist, dass Sie an der Lösung des Problems nicht mitgewirkt, Ihre Kommunalpolitiker vor Ort aber immer gesagt haben, es sei so schlimm und die Kommunen hätten kein Geld. Die haben nur nicht dazugesagt, dass SPD und Grüne das Problem geschaffen haben. ({11}) Das Problem konnte so nicht bleiben. Deswegen hat diese Koalition gesagt: „Wir machen die kommunalen Finanzen zu einem zentralen Thema“, ({12}) und hat die Kommunen jetzt mit über 4 Milliarden Euro entlastet - um es einmal konkret zu machen, Herr Kollege Scheelen. ({13}) Jetzt wollen wir festhalten: Rot-Grün hat die Kommunen belastet. ({14}) CDU/CSU und FDP haben die Kommunen um 4 Milliarden Euro entlastet. Da sollten Sie sich, Frau Kollegin Hinz, doch nicht hier hinstellen und uns vorwerfen, wir würden Finanzpolitik auf Kosten und auf dem Rücken der Kommunen machen. Das ist schlicht falsch. ({15}) Aber Sie könnten einmal mit Ihren Landesregierungen reden. Wo Sie regieren, schöpfen Sie nämlich den Vorteil, den wir für die Kommunen schaffen, indem wir die Kosten für die Grundsicherung im Alter übernehmen, ab, indem Sie die Zuschüsse des Landes für die Kommunen streichen. ({16}) Es ist schäbig, dass man die Hilfe von Schwarz-Gelb als SPD in die eigenen Taschen steckt, anstatt sie den Kommunen zugutekommen zu lassen. ({17}) Jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen, wir hätten noch viel mehr von dem machen müssen, was wir den Wählern versprochen haben. Nun ist es so, dass wir seit einigen Jahren eine schwere Staatsverschuldungskrise zu bewältigen haben ({18}) und dass wir zu Recht gesagt haben: Wir können nicht kurzfristig überschauen, was wir in dieser Legislaturperiode steuerpolitisch noch machen können. Sie müssen den folgenden Widerspruch einmal aufklären: Einerseits wollen Sie CDU/CSU und FDP vorführen, weil die nicht noch mehr steuerlich entlastet haben, aber andererseits beschließen Sie auf Ihren Parteitagen massive Steuererhöhungen. Was wollen Sie denn jetzt? Wollen Sie uns bei der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger unterstützen, oder gilt das, was Sie auf Ihren Parteitagen beschlossen haben, nämlich Steuererhöhung für jedermann? ({19}) Diese Frage müssen Sie einmal beantworten. ({20}) Frau Kollegin Hinz, als Sie unter Rot-Grün - die Grünen werden ja auch noch das Wort ergreifen - damals eine große Steuersenkung in Deutschland beschlossen haben, haben Sie das auf Pump finanziert. Jetzt schreien Sie durch die ganze Republik: Keine Steuersenkung auf Pump! Was wir machen, ist eine sehr kluge Steuerreform, eine sehr gerechte Steuerreform, ({21}) weil wir das Problem der kalten Progression abmildern. Gleichzeitig konsolidieren wir den Bundeshaushalt. Wir machen also nicht den Fehler von Rot-Grün, Steuersenkungen auf Pump zu finanzieren. Das war Ihre Politik. ({22}) Wir machen eine Steuerreform für mehr Steuergerechtigkeit mit Haushaltskonsolidierung. Deswegen sollten Sie Aktuelle Stunden wie heute besser nicht beantragen, Frau Kollegin. Denn all das, was Rot-Grün und andere früher falsch gemacht haben, wird jetzt unter CDU/CSU und FDP richtig gemacht. Was Sie von grüner Seite anzubieten haben, ist eine Erhöhung der Erbschaftsteuer, die Einführung einer Vermögensteuer und eine höhere Einkommensteuer. Letzteres bedeutet im Übrigen nichts anderes als die Belastung von mittelständischen Betrieben, weil die Einkommensteuer - das wissen Sie genauso gut wie wir - der Unternehmensteuersatz des Mittelstandes ist. Die SPD findet das auch alles toll; Handwerker sollen jetzt zur Kasse gebeten werden, und die Gewerbesteuer für freie Berufe soll eingeführt werden. Das alles kann ja keine gerechte Politik sein. Wir werden auf unserem Weg bleiben: ({23}) so viel Steuergerechtigkeit wie möglich, so viel Entlastung wie möglich, aber Vorrang für die Haushaltskonsolidierung. Dass das beides geht, sehen Sie an dem Entwurf, den das Kabinett jetzt verabschiedet hat. Sie wären gut beraten, wenn Sie uns im Bundesrat dabei unterstützen würden; denn die Menschen warten und hoffen darauf, dass die kalte Progression abgemildert wird. Im Übrigen werden wir einen Paradigmenwechsel erreichen, indem wir die regelmäßige Überprüfung und Anpassung mit in das Gesetz aufnehmen werden. Damit werden wir in Deutschland ein gerechteres Steuersystem haben. Wir gehen genau in die richtige Richtung. ({24}) Weil Sie in die exakt andere Richtung wollen, ({25}) macht es keinen Sinn, uns immer wieder vorzuwerfen, wir sollten noch mehr von dem umsetzen, was wir gesagt haben. Besser wäre es, Sie würden sich an Ihre eigenen Fehler erinnern und uns auf dem Weg der besseren Politik unterstützen. ({26})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Christine Scheel für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin nun seit 25 Jahren in der aktiven Politik, und ich muss sagen: Ich habe noch keine Regierung erlebt, die zu Beginn einer Legislaturperiode in einem Koalitionsvertrag so viele Versprechungen gemacht hat und die derartig die Backen aufgeblasen hat, was sie alles tun will, bei der aber am Ende so gut wie nichts herausgekommen ist. ({0}) Wenn man die Gesamtsituation betrachtet, stellt man fest, dass Sie von der Koalition nicht in der Lage sind, steuerpolitische Maßnahmen in gesamtstaatliche Entwicklungen einzubetten oder zu reflektieren, in welch schwieriger finanzieller Situation wir uns angesichts der Schuldenkrise auch in Deutschland befinden. Die gesamte Staatsverschuldung beträgt 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der zweitgrößte Haushalt des Bundes erfährt wegen der Zinsbelastung einen stetigen Aufwuchs. ({1}) Niemand weiß, wie sich das Zinsniveau in den Jahren 2012 und 2013 entwickeln wird und welche Risiken dieser Haushalt birgt. ({2}) Ferner ignorieren Sie völlig, wie die wirtschaftliche Entwicklung nach den Ankündigungen aller Wirtschaftsforschungsinstitute im nächsten Jahr vermutlich sein wird. Trotzdem sagen Sie von der FDP, wir hätten Spielraum für Steuersenkungen. Herr Wissing sagt, dass die FDP auf diesem Weg bleibt. Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Dieser Weg hat Sie zu einer 3-Prozent-Partei geführt, und dieser Weg wird Sie auch noch zur 1-Prozent-Partei führen. ({3}) Sie betreiben die falsche Politik, weil Sie nicht in der Lage sind, die Gesamtsituation zu betrachten, und weil Sie glauben, mit steuerpolitischen Maßnahmen eine bestimmte Klientel bedienen zu müssen. Sie hoffen, das reicht für die nächste Wahl. ({4}) Das reicht aber nicht für die nächste Wahl; denn die Bürger und Bürgerinnen erwarten, dass das, was Sie versprochen haben, auch umgesetzt wird. Wo sind wir denn heute mit der Umsatzsteuerreform? Wenn die Cateringfirma das Essen in der Kinderkrippe auf einem Porzellanteller serviert, beträgt die Umsatzsteuer 19 Prozent, serviert sie aber auf einem Pappteller, dann beträgt die Umsatzsteuer 7 Prozent. ({5}) Diese Absurditäten, meine lieben Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, sollten wir endlich beenden. ({6}) Dazu braucht es Mut, und dieser Mut ist Ihnen generell abhandengekommen, wenn es um Reformwerke geht. Nicht einmal die Kommission, deren Einrichtung Sie versprochen haben, ist zum Einsatz gekommen. ({7}) Schauen wir uns das nächste Thema an, die Körperschaftsteuer. Wie geht es damit weiter? Wir haben in Deutschland Niederlassungsfreiheit. Sie beklagen dauernd, dass Unternehmen, die hier Gewinne erwirtschaften, aufgrund komplexer Verrechnungsmethoden teilweise im Ausland besteuert werden. Wo sind denn Ihre Vorgaben für eine einheitliche Bemessungsgrundlage in Europa? Welche Prioritäten setzen Sie denn in diesem Kontext? ({8}) Es gibt keine einzige Aussage zu diesem extrem wichtigen Thema einer Unternehmensbesteuerung für die Bundesrepublik Deutschland und Europa. Kommen wir zur Einkommensteuer. Sie feiern, dass Sie den Arbeitnehmerpauschbetrag angehoben haben. Es handelt sich um 80 Euro. Nett, gut, auch wir wollten das schon lange. Das ist auch in Ordnung. ({9}) Aber schauen Sie sich an, wie die großen Unternehmen und wie der Mittelstand steuerlich behandelt werden. ({10}) Sie sprechen von einem Thesaurierungsangebot durch steuerliche Maßnahmen, aber wir sehen, dass dieses Angebot überhaupt nicht in Anspruch genommen wird. 4 Milliarden Euro werden im Haushalt verbucht, aber die Maßnahme wird nicht umgesetzt, weil sie viel zu kompliziert ist. Auch dazu sagen Sie nichts. Das ist aber das, was die Wirtschaft interessiert. Sie verweisen immer nur auf ein paar Regelungen, die Sie in der Vergangenheit gemacht haben und die teilweise auch noch grottenfalsch gewesen sind. ({11}) Wir erwarten schon, dass man sagt, wohin es geht und welche Linie verfolgt wird. Es ist doch von Ihnen konChristine Scheel zeptionell im Zusammenhang mit der Finanzpolitik und der Frage, was der Staat zum Beispiel im Bildungs- und Forschungssektor zu finanzieren hat, kein einziger Vorschlag gekommen. Selbstverständlich brauchen wir - das sage ich für die Besucher und Besucherinnen, für Jung und Alt, die auf der Tribüne sitzen - Steuereinnahmen, mit denen wir die Infrastruktur in der Zukunft finanzieren können. ({12}) Deshalb kann man in der jetzigen Lage keine Steuern senken. Diese Tatsache wird leider ignoriert, und das finden wir sehr bedauerlich. Das, was Sie versprochen haben, erfüllen Sie nicht. Das, was man von Ihnen erwarten müsste, erfüllen Sie ebenfalls nicht. Deswegen brauchen Sie sich auch nicht zu wundern, dass es Ihnen in den Umfragewerten so geht, wie es Ihnen geht. Es sei Ihnen gegönnt. ({13}) Wir sind der Meinung: Wir brauchen ein Gesamtkonzept zur Finanzierung der notwendigen Zukunftsmaßnahmen. Die Grünen haben ein solches Konzept vorgelegt. Es ist solide durchgerechnet. Das Ganze ist gut finanzierbar. Das wird das sein, was wir für die Zukunft dringend brauchen. Vielen Dank. ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist meine letzte Rede, denke ich. ({15}) - Danke schön, Herr Fraktionsvorsitzender Jürgen Trittin. - Ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken, und zwar fraktionsübergreifend. Mein Dank ist in erster Linie natürlich an meine eigene Fraktion gerichtet. Er geht aber auch an die anderen Fraktionen. Es gab in all den Jahren sehr viele gute Gespräche; ich bin mittlerweile 17 Jahre im Bundestag. Es gab auch die eine oder andere Anregung. Ich möchte an dieser Stelle auch einmal betonen - es heißt ja immer: Politik ist total zerstritten -: Wir haben gemeinsam vieles nach vorne gebracht. Es gibt an manchen Stellen auch Gemeinsamkeiten. Wenn etwas vernünftig ist, wird es von den Fraktionen gemeinsam vorangebracht. ({16}) Das ist etwas, was man nie vergessen sollte. Ich werde mich mit Sicherheit an sehr viel erinnern. Wie es immer so ist: Man geht mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich gehe in einer Situation, in der ich sage: Ich bin mit mir völlig im Reinen. Ich freue mich auf meine neue Herausforderung, einem Konzern nachdringlich dabei zu helfen, zu einem Nachhaltigkeitskonzern zu werden. Diese Aufgabe wird eine große sein; aber sie ist wunderbar. Ich danke Ihnen allen noch einmal ganz herzlich. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ich wünsche Ihnen ein Jahr 2012 ohne diese extremen Verwerfungen, die es 2011 gab; das liegt in unser aller Interesse. Ich hoffe natürlich, dass es 2013 eine andere Regierung gibt. Danke schön. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Liebe Frau Scheel, Sie gehören dem Bundestag seit 1994 an und haben Ihre Arbeit hier so kämpferisch wie kenntnisreich gemacht. Sie sind geschätzt für Ihre sachlichen Beiträge, aber auch für Ihre heitere Gelassenheit. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten, fast Jahren viel über Frauen in Führungspositionen in Unternehmen diskutiert. Ich freue mich persönlich sehr, dass Sie eine solche Aufgabe übernehmen werden, und wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses, aber auch ganz persönlich für das, was vor Ihnen steht, viel Erfolg, eine glückliche Hand, natürlich Durchsetzungskraft, auch gedeihliche Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen und Gottes Segen. Alles Gute! ({0}) Der Kollege Dr. Frank Steffel hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dr. Frank Steffel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Scheel, Sie haben zu Recht angemahnt, dass man das Gesamte und das Große betrachten und dass man auch Gemeinsamkeiten betonen soll. Ich will dem einmal insofern folgen, als dass ich den schwierigen Versuch unternehme, Steuerpolitik an ihrem Ergebnis zu messen. Ich definiere dazu drei Ziele, die uns vielleicht Gemeinsamkeit bescheren. Ziel Nummer eins aus meiner Sicht sind Wachstum und Beschäftigung. Ziel Nummer zwei ist die Reduzierung von Schulden, und Ziel Nummer drei sollte Steuergerechtigkeit sein. Jetzt möchte ich mich bemühen, diese drei Ziele an den Ergebnissen der Politik der amtierenden Bundesregierung zu messen. Wachstum und Beschäftigung: Wir können zufrieden feststellen, die Zahl der Arbeitslosen ist von über 5 Millionen auf 2,7 Millionen fast halbiert worden. ({0}) Wir können weiterhin feststellen, dass die Zahl der Arbeitsplätze seit 2005, als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, von 38,7 Millionen auf 41,6 Millionen, also um fast 3 Millionen, gestiegen ist. Das entspricht übrigens fast dreimal der Zahl der Beschäftigten, die die deutsche Hauptstadt Berlin hat, um diese abstrakte Zahl einmal einzuordnen. Wir können feststellen, dass die Wirtschaftsleistung nicht mehr um 4,7 Prozent zurückgeht, sondern wir als Wachstumslokomotive in Europa Gott sei Dank circa 3 Prozent Wachstum haben. Wir können auch feststellen - das freut uns alle gemeinsam sicherlich -, dass der Aufschwung bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und bei den Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland in Form von steigenden Renten und steigenden Einkommen und Löhnen ankommt. ({1}) Wir können uns darüber hinaus freuen, dass bei den Sozialversicherungsbeiträgen der Rentenversicherungsbeitrag zum 1. Januar 2012 von 19,9 Prozent auf 19,6 Prozent gesenkt wird. ({2}) Auch diese Reduzierung an Belastung kommt bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an. Also: Wachstum und Beschäftigung, das erste Ziel, hat die Bundesregierung erreicht. ({3}) Ich komme zum zweiten Ziel. ({4}) Das zweite Ziel von Steuerpolitik sollte Schuldenreduzierung bzw. solide Haushaltsführung sein. Wir können feststellen, dass statt der knapp 40 Milliarden Euro Schulden, die ohne Krise unter Rot-Grün Herr Eichel zwei Jahre nacheinander gemacht hat und die mit Krise Finanzminister Steinbrück zwei Jahre lang gemacht hat, der amtierende Finanzminister Schäuble wahrscheinlich in wenigen Wochen der deutschen Öffentlichkeit eine Nettoverschuldung von unter 20 Milliarden Euro wird vorstellen können. Das heißt, wir haben nicht nur die Schuldenbremse durchgesetzt und werden sie auch einhalten, sondern wir unterbieten sogar die ehrgeizigen Ziele der Schuldenbremse und sorgen dafür, dass steigende Steuereinnahmen auch zu weniger Schulden führen. Und auch das sei erwähnt: Wir werden im Jahr 2012 - das ist ein historisches Novum in der Geschichte der Republik - einen Bundeshaushalt vorlegen, in dem die geplanten Ausgaben unter den geplanten Ausgaben von 2011 liegen. Meine Damen und Herren, das ist die nachhaltige und verantwortungsvolle Steuer- und Haushaltspolitik dieser Bundesregierung. ({5}) Ich will auch etwas zum Thema Steuereinnahmen sagen. Es wurde hier ja der Eindruck erweckt, in diesem Bereich wurde nichts getan. Die Steuereinnahmen sind von 2005 bis 2010 gesamtstaatlich von 452 Milliarden Euro auf 571 Milliarden Euro gestiegen. Das heißt, die deutsche Bevölkerung hat 120 Milliarden Euro mehr Steuern gezahlt, aber im Wesentlichen nicht aufgrund von Steuererhöhungen, sondern aufgrund steigender Einkommen, mehr Konsum und mehr Wohlstand und all den anderen Folgen, die im Zusammenhang mit dem Aufschwung für den Haushalt verbunden sind. Damit können wir feststellen: Auch das zweite Ziel - deutliche Verbesserung des Haushalts - haben wir erreicht. Ich komme zum dritten Ziel: Steuergerechtigkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, drei Zahlen: Das untere Drittel der Lohn- und Einkommensteuerzahler in der Bundesrepublik Deutschland zahlt 0,6 Prozent des Lohn- und Einkommensteueraufkommens. 30 Prozent der Menschen zahlen unter 1 Prozent der Steuern. Die oberen 10 Prozent, die Sie immer weiter belasten wollen, zahlen heute schon über 55 Prozent der Lohn- und Einkommensteuern in Deutschland. ({6}) Eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern zahlt bis knapp 40 000 Euro Einkommen in Deutschland überhaupt keine Steuern. Sozialer geht es nicht. Weniger Steuern als null geht auch nicht. Also ist auch die Steuergerechtigkeit bei dieser Regierung in guten Händen. Darüber hinaus wollen wir die Progression abbauen und dafür sorgen, dass Menschen, die sich mehr Einkommen erarbeiten, wenigstens ein bisschen davon behalten können. Also: Auch das dritte Ziel scheint erreicht zu sein. ({7}) Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, die nächsten Ziele auch zu unterstützen. Blockieren Sie nicht aus ideologischen oder parteitaktischen Gründen notwendige Maßnahmen im Bundesrat, sondern sorgen Sie dafür, dass auch der Aufschwung der nächsten zwei Jahre bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie bei den Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland ankommt! Denn wir sollten Politik in Deutschland an den Ergebnissen messen und nicht an irgendwelchen Ideologien ausrichten. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Das ist denkbar. Ja, ich glaube, der Hans Michelbach hat recht. Jetzt gibt es eine Märchenstunde; denn ich werde sehr viel aus der Koalitionsvereinbarung zitieren. ({1}) Ich möchte dem Kollegen Dr. Steffel noch sagen - denn der hat ja die Parameter, die heute so gut aussehen, zitiert -: ({2}) Sie sollten ergänzend noch einmal über den zeitlichen Wirkungszusammenhang nachdenken, der zwischen einer Gesetzgebung und der wirtschaftlichen Lebenswirklichkeit der Menschen besteht. Denn möglicherweise ist es ja so, dass sich, wenn wir heute ein Gesetz in Kraft setzen, noch nicht morgen die Wirklichkeit für die Menschen ändert. Vielleicht liegt ja dazwischen ein gewisser Zeitraum. Wer darüber nachdenkt, der merkt, wessen Früchte Sie heute ernten und aus wessen Garten. ({3}) Ich will die Steuerpolitik am Ergebnis messen und ein bisschen zitieren: Die Bemühungen im Kampf gegen die internationale Steuerhinterziehung werden wir - also Sie weiter vorantreiben. ({4}) Schauen wir einmal genauer nach! Das ist ein starker Satz. Was machen Sie? Sie beschließen das DeutschSchweizer Steuerabkommen mit der bekannten Zielrichtung. Können Sie mir das erklären? Die Schweizer Banken sollen vorab 1,9 Milliarden Euro überweisen. Das Gesetz tritt aber erst 2013 in Kraft. ({5}) Bis zum Jahr 2013 können alle ihre kriminell erworbenen Gewinne irgendwohin verlagern. Das ist eigentlich ein Schutz von solchen Leuten durch solche Abkommen - Sie wissen das ganz genau -; das ist eine Amnestie für Altfälle. Sie wollen künftig sogar vermeiden, dass man CDs auswertet. Ich glaube, dass Sie dieses Ziel in Ihrer Koalitionsvereinbarung verfehlt haben. Wir fassen zusammen: Fehlanzeige. ({6}) Wir werden insbesondere die unteren und mittleren Einkommen vorrangig entlasten ({7}) und gleichzeitig den Mittelstandsbauch abflachen, indem wir den Einkommensteuertarif zu einem Stufentarif umbauen. Muss ich mehr sagen als „Fehlanzeige“? Fehlanzeige! ({8}) - Gott sei Dank, natürlich. Aber eine Fehlanzeige ist manchmal eben doch eine Fehlanzeige. Martin Gerster hat das schön erklärt. Der hat gesagt: Das Dreistufenmodell funktioniert so: Vor der Wahl wollte man 35 Milliarden Euro Steuersenkung. In der Koalitionsvereinbarung steht: 24 Milliarden Euro Steuerentlastung. Im April 2010 sprachen Sie von 16 Milliarden Euro. Heute sind es noch 6 Milliarden Euro. ({9}) Von wem werden diese 6 Milliarden Euro interessanterweise eigentlich bezahlt? Von denen, die Sie entlasten wollen! Denn das Ganze ist ja auf Pump, mit einer zusätzlichen Belastung im Haushalt von 180 Millionen Euro pro Jahr. Wer muss die aufbringen? Die Steuerzahler, wobei Sie behaupten, dass Sie sie entlasten wollen! Das muss man verstehen. ({10}) Insofern: Steuerentlastung auf Pump - das ist wohl wahr -, die Ziele aus Ihrer Koalitionsvereinbarung werden wieder nicht erreicht. Das ist eine Fehlanzeige. Was ich wenigstens erwartet hätte - da muss ich ein wenig nach rechts schauen -: dass von den 1 000 Anträgen in dem dicken FDP-Haushaltssparbuch wenigstens einige dazu hätten herangezogen werden können, um diese 6 Milliarden Euro zu finanzieren. Kein einziger wurde dazu herangezogen! ({11}) Es wird nur in die Neuverschuldung gegangen. Das müssen Sie natürlich erklären; insbesondere da Sie wissen, dass die reichen Leute von dieser Reform sehr viel haben, die armen Leute relativ wenig und die ganz armen gar nichts. In der Koalitionsvereinbarung steht: Deshalb wollen wir, dass Steuern „einfach, niedrig und gerecht“ sind. Das Gegenteil ist der Fall. Ich würde sagen - bezogen auf Ihre Koalitionsvereinbarung -: Fehlanzeige. Lothar Binding ({12}) Das Steuersystem und das Besteuerungsverfahren werden wir deutlich vereinfachen und für die Anwender freundlicher gestalten. Sie können sich ja einmal mit dem Steuerberaterverband unterhalten: Fehlanzeige. ({13}) Wir werden dafür sorgen, dass sich Arbeit lohnt, dass den Bürgern mehr Netto vom Bruttoeinkommen bleibt. Ich würde zusammenfassend sagen: Fehlanzeige. Die 1 oder 2 Euro, die Sie den Armen pro Monat zurückgeben wollen, nehmen Sie ihnen dann aus der anderen Tasche, bei der Pflege, wieder heraus. Sie müssen sich überlegen, was Sie mit diesem Begriff bezogen auf Ihre Koalitionsvereinbarung anfangen. Wir werden insbesondere … die Besteuerung der Rentnerinnen und Rentner so vereinfachen, dass kein aufwändiges Kontrollmitteilungsverfahren und keine separate Erklärungspflicht für die Rentenbezüge mehr notwendig ist … Unterhalten Sie sich einmal mit Rentnern, die davon betroffen sind! Ich würde zusammenfassend sagen: Fehlanzeige. ({14}) Wir werden … - jetzt wieder ein starkes Wort! grundsätzlich rückwirkend gesetzgeberische Maßnahmen vermeiden, welche die Bürger belasten, dafür sorgen, dass … die Praxis der Nichtanwendungserlasse zurückgeführt wird … Wer sich die Veröffentlichung über die Nichtanwendungserlasse vom 7. Januar 2010 einmal genauer anschaut, der wird sehen, dass drei Monate nachdem die Tinte unter diesem Koalitionsvertrag getrocknet war, genau diese Ankündigung schon wieder gebrochen wurde. Die Zusammenfassung lautet: Fehlanzeige. ({15}) Wir werden eine Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung einsetzen. Diese soll auch den Ersatz der Gewerbesteuer … Den Rest des Zitats spare ich mir jetzt. ({16}) Wir sind froh, dass Sie hier „Fehlanzeige“ sagen müssen; denn das war eine falsche Vorentscheidung in der Menge aller Fehlentscheidungen. Gott sei Dank, dass dieses Desaster abgewendet werden konnte. ({17}) Noch ein letzter Punkt: Sie wollten auch den Holdingstandort Deutschland stärken, und zwar durch die Einführung eines „modernen Gruppenbesteuerungssystems“ anstelle der bisherigen Organschaft. Schauen Sie einmal auf Ihre Gesetzgebung! Die Zusammenfassung all dessen, was ich vorgetragen habe, heißt - Sie werden es kaum glauben -: Fehlanzeige. Damit möchte ich alles zusammenfassen, was wir heute unter diesem Tagesordnungspunkt zu diskutieren hatten. Insofern glaube ich, dass Sie Ihre steuerpolitischen Ankündigungen einmal an der Wirklichkeit messen müssen. Dann sollten Sie selber feststellen: Fehlanzeige. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich mache darauf aufmerksam, dass es bei der Uhr hier vorn keine Fehlanzeige gibt. Ich bitte also, das zu beachten. ({0}) Das Wort hat der Kollege Dr. Daniel Volk für die FDP-Fraktion. ({1})

Dr. Daniel Volk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die doch sehr oft lautsprecherischen Äußerungen der Opposition in der heutigen Aktuellen Stunde zeigen, dass Sie hier offenbar eher mit Lautstärke punkten wollen, weil Sie nämlich selber wissen, dass Sie mit inhaltlicher, sachlicher Kritik nicht weiterkommen. ({0}) Ich glaube, wir sollten uns schon einmal auf die Grundzüge einer soliden, vernünftigen Steuer-, Finanzund Haushaltspolitik berufen ({1}) und uns genau überlegen, wie man denn tatsächlich den Ausgleich zwischen der notwendigen staatlichen Finanzierung, also der Finanzierung der notwendigerweise durch den Staat zu erledigenden Aufgaben, einerseits und der notwendigen finanziellen und wirtschaftlichen Freiheit der einzelnen Bürger andererseits schafft, wie man dies in die Waage bekommt. ({2}) Wir müssen die Waage nämlich immer in einem guten Gleichgewicht halten. Denn ich kann Ihnen eines auf jeden Fall vorhersagen: Wenn politische Kräfte in Deutschland ihr Steuerkonzept im Wesentlichen so gestalten, dass sie massive Steuererhöhungen und im Übrigen erstaunlich viele neue Steuerarten ankündigen, ({3}) so ist dies erstens kein Beitrag zu einer Austarierung der beiden Pole, die ich gerade dargelegt habe, und zweitens ganz sicher kein Beitrag zu der notwendigen Steuervereinfachung, die wir alle im deutschen Steuersystem anstreben sollten. ({4}) Herr Kollege Binding, Sie haben sich mit vielen Einzelpunkten aufgehalten, ({5}) aber haben leider Gottes nicht dargelegt, was die große Linie in den letzten zwei Jahren war: ({6}) Wir haben gleich zu Beginn unserer Regierungsverantwortung in dieser Legislaturperiode mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das zum 1. Januar 2010 in Kraft getreten ist, ({7}) eine deutliche steuerliche Unterstützung insbesondere der Familien in Deutschland erreicht. Wir haben übrigens auch einige Fehler, die zum Beispiel bei der Unternehmensbesteuerung - Substanzbesteuerung bei der Gewerbesteuer - gemacht wurden, zurückgenommen. ({8}) Da wurde uns übrigens von der linken Seite des Hauses gesagt, das werde zu massiven Steuermindereinnahmen führen. ({9}) Die Praxis beweist, dass die Entwicklung genau in die andere Richtung ging: ({10}) Wir haben mittlerweile sprudelnde Steuereinnahmen, die übrigens auch den Kommunen deutlich zugutekommen. ({11}) Insofern ist das eine vernünftige Finanz- und Steuerpolitik. ({12}) Zum 1. Januar 2012 werden die Änderungen, die wir im Steuervereinfachungsgesetz 2011 vorgenommen haben, in Kraft treten. ({13}) Das wird zu deutlichen Verbesserungen beim Bürokratieabbau zugunsten der Steuerpflichtigen führen, seien es die privat Steuerpflichtigen, seien es die Unternehmen. ({14}) Ich möchte zum Beispiel die Vereinfachung bei der Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten anführen. Das wird Familien deutlich entlasten und die Steuererklärung in bürokratischer Hinsicht wesentlich vereinfachen. Wir haben mit der Möglichkeit der elektronischen Rechnungsstellung einen großen Schritt nach vorne gemacht. Wir haben dafür gesorgt, dass Familien, deren Kinder in Ausbildung sind, von einer Vereinfachung der Steuererklärung profitieren. Einige Blätter der Steuererklärungsformulare werden wegfallen. Das ist der richtige Weg. Wir müssen eine gute Austarierung zwischen den einerseits notwendigen Staatseinnahmen und andererseits den finanziellen Freiräumen, die wir den Bürgern gewähren müssen, schaffen. Wir müssen Steuervereinfachungen vornehmen. Wir müssen das Steuersystem den modernen Anforderungen entsprechend gestalten. ({15}) Gleichzeitig sorgen wir, die Koalition aus FDP, CDU und CSU, dafür, dass wir eine deutliche Verringerung der Neuverschuldung haben werden. ({16}) Bei uns ist das Soll in einem Haushaltsplan niemals die Grenze, die in Bezug auf die Neuverschuldung unbedingt erreicht werden muss, ({17}) sondern es ist für uns die absolute Obergrenze. Wir liegen in diesem Jahr deutlich unter der geplanten Neuverschuldung. ({18}) Wir werden auch nächstes Jahr deutlich unter der geplanten Neuverschuldung liegen. ({19}) Wir verfolgen einen vernünftigen Kurs zwischen vernünftiger Steuerpolitik einerseits und einer konsolidierten und soliden Haushaltspolitik andererseits. ({20})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Richard Pitterle hat für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Ankündigungen, die Sie als Bundesregierung in Bezug auf die Steuerpolitik machen, sind wie die ständigen EU-Gipfeltreffen zur Euro-Krise: Eine folgt auf die andere, aber was dabei herauskommt, ist nur heiße Luft. ({0}) Dass bei der Unternehmensbesteuerung und bei der Mehrwertsteuer schon seit Monaten nichts passiert - auf die Kritik von Frau Höll sind Sie überhaupt nicht eingegangen -, haben wir schon zur Genüge gehört. Letzte Woche haben Sie angekündigt, sich der kalten Progression widmen zu wollen. Nach dem vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf soll der Grundfreibetrag für das steuerliche Existenzminimum für Ledige bis 2014 um 350 Euro auf 8 354 Euro ansteigen, und der Tarifverlauf soll um 4,4 Prozent verschoben werden. Die Reichensteuer von 45 Prozent soll nicht erst ab 250 731 Euro gelten, sondern schon ab 250 000 Euro. Für n-tv ist das Steuerpaket eine „Mogelpackung“, das Handelsblatt spricht von einem „Steuerreförmchen von geradezu lächerlichem Ausmaß“. Die Bürgerinnen und Bürger verstehen diese Diskussion nicht. Unsere Schulden steigen, weil Sie die Steuerzahler für die Zockereien der Banken und Spekulanten aufkommen lassen. Viele Menschen machen sich Sorgen, ob das Geld, das sie für den Lebensabend gespart haben, nicht verloren geht. In dieser Situation erwarten die Menschen, dass es bei der Steuer gerecht zugeht, aber dafür ist die Regierungskoalition die vollkommen falsche Adresse. Schwarz-Gelb behauptet immer großmundig, unser Steuersystem sei nicht ungerecht und die reichen Schultern würden so viel tragen. Das haben wir von Herrn Dr. Steffel wieder gehört. Schauen Sie einmal genau auf das, was in diesem Monat die renommierte, international tätige OECD über Deutschland veröffentlicht hat! In ihrem Bericht „Divided We Stand“ steht schwarz auf weiß, dass Ihre Steuerpolitik ungerecht ist und eine Umverteilung von unten nach oben bewirkt. Zum Beispiel konstatiert die OECD, dass - ich zitiere ein wichtiger Teil der steigenden Ungleichheit in Deutschland die Entwicklung von Kapitaleinkommen ist. Der Anteil von Kapitaleinkommen an der gesamten Einkommensungleichheit hat sich von 8 Prozent auf 15,5 Prozent fast verdoppelt. Woran liegt das? Die einfache Antwort: An Ihrer schwarz-gelben Abgeltungsteuer! Sie haben dafür gesorgt, dass jeder 25 Prozent Steuern auf sein Kapitaleinkommen zahlt: sowohl die alleinerziehende Mutter, die das Geld für ihr Kind auf dem Sparbuch anlegt, als auch der reiche Bankmanager, der mit seinen fetten Boni an den Finanzmärkten spekuliert. Beide zahlen auf ihre Zinsen und Dividenden 25 Prozent. Von wegen: Die starken Schultern tragen eine starke Last. ({1}) Statt dem Staat die nötigen Steuereinnahmen zu verschaffen, um seine Schulden zu senken, sorgen Sie dafür, dass der Bankmanager mit seinen Kapitalgewinnen die nächste Finanzblase befeuern kann. Bei den Bürgerinnen und Bürgern gibt es auch kein Verständnis dafür, dass Sie durch das Steuerabkommen mit der Schweiz die Steuerhinterziehung legalisieren wollen. Damit es steuerpolitisch gerecht zugeht, brauchen wir die Anhebung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer und die Anhebung der Körperschaftsteuer. Warum folgen Sie nicht endlich den Aufforderungen der zahlreich sich zu Wort meldenden Vermögenden mit Sinn für das Gemeinwohl, die von sich aus verlangen: „Verhätschelt uns Millionäre nicht länger!“? Diese werben für eine Vermögensteuer. Also tun Sie Ihnen und uns allen den Gefallen und führen Sie endlich die Vermögensteuer als Millionärssteuer ein! ({2}) Die Behauptung, höhere Steuern führten zu weniger Investitionen und weniger Arbeitsplätzen, hat der amerikanische Milliardär Warren Buffett vor kurzem als ein Ammenmärchen zurückgewiesen. Er wies darauf hin, dass in der Zeit der höchsten Unternehmensteuern in den USA die meisten Arbeitsplätze geschaffen wurden. Ich finde: Die Zeit der Bundesregierung ist abgelaufen meine Redezeit zwar auch, aber ich komme wieder. ({3}) Danke. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Norbert Schindler für die Unionsfraktion. ({0})

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen schönen guten Abend, meine Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Liebe Christine Scheel, ich rufe dir zu: Viel Glück in der neuen Verantwortung! Das mache ich wegen der persönlichen Begleitung über all die 17 Jahre im Parlament hinweg; wir sind ja beide zur gleichen Zeit hierhergekommen. Ich habe aber schon noch eine Anmerkung zu deiner Rede zu machen. Sie war am Anfang schrill, aber du bist dann versöhnlich zum Weihnachtsgedanken gekommen. Dazu könnte man sagen: Man muss nicht übertreiben. ({0}) Eindruck in deiner Partei musst du nicht mehr machen. Das war etwas überzogen, und das steht dir eigentlich gar nicht gut zu Gesicht. Den Linken sage ich: Schön, dass ihr diese Aktuelle Stunde beantragt habt; denn nun kann man im Rahmen einer Bilanzdebatte einmal nüchtern über die Leistungen, die Ziele, das Erreichte reden, also darüber, was so in den letzten zwei Jahren passiert ist. Wenn ich diesen Tag, was die Teilnahme an der Debatte heute Nachmittag und auch die Bewertung des europäischen Gipfels angeht, Revue passieren lasse, sage ich: Man muss den Eindruck haben, dass das Abendland untergeht, und Deutschland ist dabei vorneweg. Man redet von einer Regierungskrise, obwohl man sieht, was Frau Merkel bzw. unsere Regierungsspitze geleistet hat. Wer ist denn in puncto Stabilität und Wohlstand in Europa führend? Das sind die Franzosen und die Deutschen. ({1}) Das hätte heute zum Ausdruck gebracht werden müssen, auch in ehrlicher Anerkennung von Leistungen. ({2}) Dabei geht es nicht nur darum, dass in die Nacht hinein verhandelt worden ist, sondern es geht um tatsächliche Ergebnisse. Ich muss Ihnen, liebe Freunde von der Opposition, als Pfälzer sagen: Das hältst du im Kopf nicht aus, was da manchmal abgeht. ({3}) Ich komme zu unserer Gesamtdarstellung der Einnahmen des Staates und aller begleitenden Versicherungsinstitute. Im europäischen Vergleich haben wir eine grundsolide Bilanz. Unsere Sozialsysteme stimmen. Wir reden nicht - wie in all den anderen Staaten - über drastische Erhöhungen: Nein, wir haben unsere Arbeit in der ersten Hälfte unserer Regierungszeit sauber erledigt, ({4}) indem wir dieses Konjunkturprogramm aufgelegt haben. Man will nicht anerkennen, dass die Beschlüsse aus 2009 zum Wohle aller bzw. zur Wohlstandssicherung in der Bundesrepublik Deutschland geführt haben. Es wird euch doch nicht abgenommen, was ihr in euren Reden sagt, weil ihr alles nur schwarzseht und schlechtredet. Wir in Deutschland haben ein Niveau, das wir, international gesehen, mit Stolz darstellen können. ({5}) Man verkündet der Jugend und dem Alter, wie schlimm es in der kommenden Zeit werden wird. Ich kündige hiermit eine Auflistung unserer abgearbeiteten Taten an. ({6}) In der Vorbereitung gebe ich gerne meine Rede mit, weil das die Redezeit eindeutig überschreitet. Noch ein ernstes Wort: Wenn man auch nur im Ansatz über Gewerbesteuer redet, dann tönt ihr sofort: Wir lehnen dieses ab, und wir lehnen jenes ab. Zum Steuerabkommen mit der Schweiz. Wir haben die Schweiz nicht mit der Kavallerie besetzt. Das hat ein Finanzminister der Roten einmal gewollt. ({7}) - Das war eine schöne Androhung. Ziel muss es doch sein, dass man zu einem vernünftigen Ergebnis kommt, auch wenn es nicht alle befriedigt, auch mich nicht. Wenn man aber einem souveränen Staat unsere Vorstellungen aufzwingen will, dann hört die Freundschaft auf. Das erinnert an die Debatten über Griechenland. Auch wenn man Griechenland viel zumutet: Es ist immer noch ein souveräner und selbstständiger Staat. Zurück zum Abkommen mit der Schweiz. Man hat sofort die Blockade im Bundesrat angekündigt. Wenn man in ein Vermögen eingreift - es geht um 19 bis 34 Prozent des dortigen Kapitals, das an den deutschen Staat geht -, dann handelt es sich eigentlich um eine Teilenteignung. ({8}) Das wollen wir, damit wir diese Sünder endlich sauber abstrafen können. Doch es wird sofort eine Neiddebatte aufgemacht und gesagt, man würde Steuerhinterzieher bevorzugen. Ich muss doch aber realistisch sehen - das ist genau wie beim europäischen Gipfel -, was ich mit den Partnern in Europa erreichen kann. ({9}) - Du kannst ja eine Zwischenfrage stellen. ({10}) Liebe Freunde, ihr habt im Bundesrat derzeit die Mehrheit. Die rot-grüne Koalition hatte außerdem lange genug Zeit, zu handeln. Zu allem, was man uns jetzt vorhält, zum Beispiel hinsichtlich der Bereinigung im Mehrwertsteuerbereich, kann ich nur sagen: Chance vertan! ({11}) Das gilt nicht nur für Rot-Grün, sondern auch für die Initiativen über den Bundesrat. Diese Möglichkeit hätte man auch jetzt noch. Ein anderer Punkt sind die Vorschläge zur Gemeindefinanzreform. Wo sind denn die Vorschläge der Grünen dazu? Da putzt ihr die Platte. Da taucht ihr ab. Ich will nur einmal auf die Realität hinweisen. Was wir den Kommunen im Zusammenhang mit Hartz IV an Erleichterungen verschafft haben - Dr. Volker Wissing hat darauf hingewiesen -, wird nicht registriert. ({12}) Man geht einfach zur Tagesordnung über und sagt, da sei eigentlich nichts passiert. Hinsichtlich der vor uns liegenden Aufgaben wie der steuerlichen Förderung von Vorsorgeaufwendungen, gerade im Bereich der Pflege, erwarten wir eigentlich eine konstruktive Mitarbeit seitens der Opposition. All dies haben wir in Vorbereitung. Auch wenn all dies nicht in dieser Legislaturperiode hinzugekommen ist, haben wir einen Haushalt vorgelegt, der von anderen Staaten neidvoll betrachtet wird. ({13}) Als Opposition müsste man doch die Größe besitzen, eine gute Entwicklung der Steuereinnahmen - Dr. Frank Steffel hat mit Recht darauf hingewiesen - positiv zur Kenntnis zu nehmen; denn es läuft gut in Deutschland. Vor Weihnachten solche Horrorszenarien aufzuzeigen, steht euch nicht gut zu Gesicht. Man nimmt euch diese Horrorszenarien draußen auch nicht ab. ({14}) Das erinnert an die Mediendarstellung. Die Medien waren überrascht, dass man sich schon vor Beginn der Tagesschau um 20 Uhr am Sonntagabend über das Thema „kalte Progression“ verständigt hat. Das heutejournal hat irritiert reagiert, weil man dachte, dass das noch die halbe Nacht dauert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schindler, achten Sie bitte auf die Zeit.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön. Ich höre gleich auf. Hier wird für Gerechtigkeit gesorgt, aber man wirft uns vor, wir würden Versprechen nicht einhalten. Das war ein Wahlversprechen. Wir wurden auch gewählt, damit diejenigen, die die Last tragen, die die Steuerlast hauptsächlich tragen, nicht durch die kalte Progression abgestraft werden. Dazu gibt es auch einen Verfassungsauftrag. ({0}) Nehmt das mit zum Bundesrat, in dem es vielleicht eine Ablehnung geben wird! Aber daran werdet ihr gemessen werden. Danke schön. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Nicolette Kressl hat für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst gerne im Namen der SPDBundestagsfraktion Christine Scheel alles Gute für die Zukunft wünschen. Wir haben im steuerpolitischen Bereich viele Jahre gemeinsam gearbeitet. Wir haben gemeinsam, von unterschiedlichen Positionen ausgehend, Kompromisse geschlossen und Initiativen auf den Weg gebracht. Wir haben - das unterscheidet uns von der jetzigen Koalition - nicht nur miteinander um Kompromisse gerungen, sondern auch tatsächlich etwas auf den Weg gebracht. ({0}) Der zweite Unterschied ist, dass es vernünftige Kompromisse waren. Insofern sage ich: Alles Gute und vielen Dank für die Zusammenarbeit! Ich darf das sicher im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen sagen. ({1}) Vonseiten der FDP haben wir in der Debatte gerade einen spannenden Satz gehört. Es wurde gesagt: Wir werden konsequent auf unserem Weg bleiben. ({2}) Dieser ist allerdings sehr schnell begrenzt. Sie könnten einmal überlegen, warum das so ist. Ich komme auf einen Punkt, den Sie uns vorgeworfen haben. Sie haben gesagt, das sei die reine Steuererhöhung. Wir haben heute eine interessante Umfrage zur Kenntnis genommen. Angesichts der Umstände, angesichts der Notwendigkeit, Infrastrukturaufgaben und Bildung zu finanzieren, hat sich eine deutliche Mehrheit in der deutschen Bevölkerung für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes ausgesprochen. ({3}) Manchmal habe ich den Eindruck: Die Menschen in Deutschland sind schon ein Stück weiter als die FDP und wissen, welche Aufgaben vor uns stehen und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. ({4}) - Das finde ich interessant. Herr Volk hat gerade gefragt, ob diese Mehrheit den Spitzensteuersatz zahlt. ({5}) Bedeutet diese Frage, dass die Politik der FDP gar nicht für die Mehrheit ist, sondern nur für diejenigen, die den Spitzensteuersatz zahlen? Das ist die logische Konsequenz aus Ihrem Zwischenruf. Diesen fand ich sehr spannend, Herr Volk. ({6}) Wir sollten einmal schauen, welche Vereinbarungen im Koalitionsvertrag stehen und was daraus geworden ist. Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Sommer ein paar schriftliche Fragen dazu gestellt. Um die Frage dieser Aktuellen Stunde, was aus den steuerpolitischen Vorhaben geworden ist, zu beantworten, möchte ich einige Antworten des Bundesfinanzministeriums zitieren. Auf die Frage, was aus der Ankündigung im Koalitionsvertrag geworden ist, die Mehrwertsteuersätze zu verändern bzw. zu vereinfachen, zusammenzufassen, bekamen wir die Antwort: Der Koalitionsausschuss hat beschlossen, eine Kommission zur Überprüfung des deutschen Katalogs der ermäßigten Mehrwertsteuersätze einzusetzen … Sie tun so, als würde die Einsetzung einer Kommission das Handeln ersetzen. Es geht noch weiter: Diese Kommission zur Überprüfung hat noch nie getagt; Terminschwierigkeiten. Es könnte auch einen anderen Grund haben; denn die Kommission setzt sich zusammen aus dem Finanzminister, dem Wirtschaftsminister, dem Chef des Bundeskanzleramtes und den Generalsekretären der Koalitionsparteien. ({7}) Wahrscheinlich hat man die Probleme vorausgesehen und sich gedacht, dass es hier schnell zu personellen Veränderungen kommen kann und die Kommission deshalb erst einmal nicht tagen sollte. Das Problem ist, dass Sie ständig in allen Bereichen Kommissionen einsetzen. Nach dem Motto „Tarnen und Täuschen“ tun Sie so, als würde man durch das Einsetzen einer Kommission das angehen, was man gemeinsam vereinbart hat. ({8}) In einer weiteren Frage an die Bundesregierung hatten wir uns erkundigt, was sich im Bereich der Unternehmensbesteuerung tut, ob es dort zu Veränderungen kommt. Die Antwort lautete: Der Bundesminister der Finanzen hat zu diesem Zweck eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die voraussichtlich im September 2011 ihre Vorschläge vorlegen wird. Die Vorschläge der Arbeitsgruppe liegen vor, aber dennoch hören wir nicht, dass daraus gesetzgeberische Maßnahmen resultieren. Es gab also zwei Jahre lang eine Arbeitsgruppe, aber eine Gesetzgebung ist noch nicht auf dem Weg. Wir lesen - eine konkrete Antwort bekommen wir nicht -, dass die Arbeitsgruppe festgestellt hat, dass es schwieriger ist, als man sich das gedacht hatte. Das ist das typische Verhalten in einem Bereich, in dem man nicht weiß, wie es weitergeht: Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis. Dieses Verfahren hat bei dieser Koalition bisher ungeahnte Dimensionen angenommen. Ich will ein drittes Beispiel nennen. Wir haben auch gefragt, wie die Koalitionsfraktionen mit der Kfz-Steuer umgehen wollen; die Einnahmen daraus fließen dem Bund zu. In der Antwort stand: „Derzeit laufen notwendige umfangreiche Untersuchungen zur Umstellung.“ Ich könnte noch viele solcher Beispiele nennen; dies erspare ich uns aber. Ich finde, das Gründen eines Arbeitskreises ersetzt nicht das Handeln und schon gar nicht eine logische, vernünftige Steuerpolitik. Deshalb wäre es besser, Sie würden aufhören, Kommissionen einzusetzen, und stattdessen seriöse konkrete Maßnahmen auf den Weg bringen. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Mathias Middelberg hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Hier hat es eine Aneinanderreihung von Fehlanzeigen gegeben. Hier war die Rede davon, junge Menschen hätten in diesem Land keine Perspektive mehr. Hier wurden derartige Krisenszenarien gemalt, dass ich mich während der Debatte manchmal gefragt habe: Wird hier noch über Deutschland gesprochen, oder wo leben Sie? Ich finde, das waren Schilderungen, die an der Wirklichkeit in diesem Lande ziemlich weit vorbeigingen. Das, was zum Schluss vorgetragen wurde, Frau Kollegin Kressl, ({0}) fand ich zum Teil höchst kleinkrämerisch. ({1}) Man könnte es freundlich ausdrücken und „detailverliebt“ sagen. Man könnte es, wenn man es böse formulieren will, aber auch Erbsenzählerei nennen. ({2}) Wir sollten einen Strich darunter machen und uns vor Augen führen, wie Deutschland im Moment dasteht. Der Kollege Steffel und der Kollege Schindler haben eben sehr schön deutlich gemacht: Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit in diesem Land seit über 20 Jahren. Wir haben zwei hervorragende Wachstumsjahre mit deutlich über 3 Prozent Wachstum hinter uns. Wir haben aufgrund der soliden konjunkturellen und wirtschaftlichen Entwicklung - das ist übrigens eine Aussage der Bundesagentur für Arbeit - erstmals seit vielen Jahren, seit der Einführung von Hartz IV - dieses Gesetz haben Sie ja beschlossen -, einen ganz deutlichen Rückgang der Zahl der Langzeitarbeitslosen zu verzeichnen. Um das konkret aufzugreifen, sage ich Ihnen: Junge Leute haben im Moment die wahrscheinlich seit langer, langer Zeit besten Perspektiven in diesem Lande. ({3}) Ich will gar nicht alles, was wir gemacht haben, aufzählen. Im Zusammenhang mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz kann man natürlich sagen, wir hätten unsere Klientel bedient; diese Begriffe sind gefallen. Der Großteil der Maßnahmen bzw. über die Hälfte der Entlastungen, die mit diesem Gesetz in die Wege geleitet wurden, bestanden in der Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages. ({4}) Von diesen Maßnahmen profitieren alle Familien in Deutschland. ({5}) Das ist doch keine Klientelpolitik! Damit haben wir nämlich alle Familien in Deutschland entlastet. ({6}) Über 2,5 Milliarden Euro haben wir für die Entlastung mittelständischer Unternehmen aufgewandt. ({7}) Ich sage Ihnen: Das war in der Krisensituation, in der sich Deutschland vor gut zwei Jahren befunden hat, völlig richtig. Das war genau die richtige Maßnahme zum richtigen Zeitpunkt. Sie stützt noch heute die wirtschaftliche Entwicklung, von der wir jetzt profitieren. ({8}) Der Kollege Volk hat zu Recht gesagt: Diese Maßnahmen bringen uns heute mehr Steuereinnahmen. Es sind nicht weniger Steuereinnahmen, wie Sie es eben fälschlicherweise vorausgesagt haben. Uns kommt es darauf an, nicht blindlings irgendwelche Maßnahmen ins Werk zu setzen, sondern alles in einem ausgewogenen Verhältnis zu halten: auf der einen Seite gezielt zu entlasten, wo es nötig ist, und auf der anderen Seite sorgfältig zu haushalten und vernünftig zu sparen. Wenn ich mir Ihre Parteitagsbeschlüsse, die der Grünen und die der SPD, durchlese, stelle ich fest: All diese Parteitagsbeschlüsse beinhalten keinen einzigen Sparbeitrag. Für Sie heißt „sparen“, Steuern und Beitragssätze zu erhöhen, eine Bürgerversicherung einzuführen, die Beitragsbemessungsgrenze aufzuheben und anderes mehr. Sie wollen nur zusätzliches Geld in die Kasse spülen. Sie machen aber keinen einzigen konkreten Vorschlag, wo Sie einsparen wollen. Wir sind in den letzten zwei Jahren grundlegend anders unterwegs gewesen. Wir haben zum Beispiel ein 80-Milliarden-Euro-Sparpaket auf den Weg gebracht. Natürlich kann man sagen: Die eine oder andere Maßnahme greift nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. - Aber denken Sie nur an den Umbau der Bundeswehr, den Minister de Maizière jetzt durchführt. Das ist doch mehr als vorbildlich. Das ist optimal. ({9}) Dadurch werden wir auf Dauer mehrere Milliarden Euro pro Jahr einsparen. ({10}) Das Gegenbild, das Sie zeichnen - Sie wollen ja in zwei Jahren die Regierungsverantwortung übernehmen -, ({11}) erleben wir im Moment unter rot-grüner Verantwortung in Nordrhein-Westfalen. ({12}) Der neue Haushalt, der aufs Tapet gebracht wurde, wurde - zack! - für verfassungswidrig erklärt. ({13}) Sie schrauben die Neuverschuldung im Vergleich zu Ihrer Vorgängerregierung um 30 Prozent nach oben. ({14}) Das ist doch eine Katastrophe! Das ist überhaupt nicht vertretbar. ({15}) Sie ergreifen in NRW eine Maßnahme nach der anderen. Ich lese sie Ihnen einmal vor ({16}) - über all das kann man ja sprechen -: Sie erlassen die Kindergartenbeiträge komplett; das halte ich für gar nicht schlecht, sogar für diskutabel. Sie erlassen die Studiengebühren komplett; das ist eine ganz andere Frage. Sie stellen 170 Millionen Euro für Solarthermieanlagen auf Dächern zur Verfügung. Aber in Ihrem Haushalt gibt es keine einzige Sparmaßnahme. In Niedersachsen, wo CDU und FDP regieren, sind die Bezirksregierungen komplett gestrichen worden. Es wurden 7 000 Beamtenstellen eingespart. Das Weihnachtsgeld im öffentlichen Dienst wurde auf null gefahren. Dort wird an der richtigen Stelle gespart, damit man die Menschen tatsächlich von Kindergartengebühren befreien, ihnen also auch einmal Geld zurückgeben kann. Das halte ich für eine vernünftige, ausgewogene Politik. Sie empfehlen sich mit Ihrer konkreten Arbeit in Nordrhein-Westfalen für gar nichts - und schon gar nicht für die Übernahme dieser Regierung. Vielen Dank. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir kommen zurück zu Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde - Drucksache 17/8101 Die Frage 8 der Kollegin Caren Marks zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und die Frage 9 des Kollegen Harald Weinberg zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Anton Hofreiter auf: In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung die Öffentlichkeit in die Aufstellung des Bundesverkehrswegeplanes einzubeziehen, wie es der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, bereits in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 22. November 2011 ankündigte, und welche konzeptionellen Vorbereitungen in der aktuellen Legislaturperiode sind dafür angedacht?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter Kollege Hofreiter, wir haben uns im Ausschuss ja schon intensiv mit dem Bericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur Aufstellung des neuen Bundesverkehrswegeplans beschäftigt und darüber diskutiert. Bei der Aufstellung des neuen Bundesverkehrswegeplans werden die Transparenz des Gesamtprozesses und die Beteiligung von Bürgern von großer Bedeutung sein. Nur so können Konfliktpotenziale frühzeitig erkannt und eine Akzeptanz des Bundesverkehrswegeplans in der Bevölkerung erreicht werden. Ein wichtiges Element wird in diesem Zusammenhang die Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der jetzt gesetzlich vorgeschriebenen Strategischen Umweltprüfung sein. Hierzu wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts bereits ein Konzeptvorschlag entwickelt. Weitere Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung im Prozess der Bundesverkehrswegeplanung werden derzeit geprüft. Wir befinden uns ja am Anfang der Neuerstellung der Grundkonzeption des Bundesverkehrswegeplans 2015.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Hofreiter, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Sie haben gesagt, das erste Konzept für die Strategische Umweltprüfung sei bereits erarbeitet. Alles soll wunderschön transparent sein. Wann wird das veröffentlicht, oder ist das schon veröffentlicht worden?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Herr Kollege Hofreiter, Sie als Vorsitzender des zuständigen Fachausschusses haben ja auch an der Ausschusssitzung teilgenommen, in der der neue Bundesverkehrswegeplan Thema war. Dabei wurde auch thematisiert, dass die ersten Lose im Rahmen der Ausschreibung jetzt gerade vergeben wurden. Wir haben das Ziel, Mitte 2012 die ersten Ergebnisse der Voranalysen und Voruntersuchungen vorzulegen. Natürlich gibt es zum Thema Bürgerbeteiligung auch Diskussionen mit den Bundesländern. Ich möchte darauf verweisen, dass es auf der Konferenz in München einen einstimmigen Beschluss der Raumordnungsminister gegeben hat. Alle Bundesländer haben dort gemeinsam mit dem Bund den Beschluss gefasst, dass die Bürgerbeteiligung schon vor den verschiedenen Verfahren - Raumordnungsverfahren und viele andere mehr - stattfinden soll. Es soll eine verbesserte Bürgerbeteiligung bei den Einzelprojekten ermöglicht werden. Das ist ein wirklicher Fortschritt in der ganzen Diskussion. Ihre Fraktion hat das Projekt Stuttgart 21 über lange Zeit kritisch begleitet. An dem positiven Volksentscheid in Baden-Württemberg konnte man sehen, dass eine Bürgerbeteiligung bis hin zur Realisierung von Großprojekten stattfindet. Bei der Neuerstellung der Grundkonzeption des Bundesverkehrswegeplans werden wir dies natürlich noch stärker berücksichtigen, zumal aufgrund der Vorgaben der EU die Strategische Umweltprüfung erforderlich ist. Somit werden wir ziemlich sicher Mitte 2012 über die ersten Ergebnisse der Forschungsprojekte im Fachausschuss diskutieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte sehr.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sind neben der Vergabe der Gutachten bereits erste Stellungnahmen von Verbänden und Planungen der Länder beim Ministerium eingegangen? Man hört, dass zumindest in manchen Landesministerien erste Projektlisten kursieren.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Kollege Hofreiter, zeitlich gesehen gab es im Hinblick auf die Neuerstellung des Bundesverkehrswegeplans 2015 erst Ende 2010 die Bedarfsplananalyse für Straße und Schiene. Jetzt wird anhand dieser Ergebnisse noch einmal an den Grundlagen gearbeitet. Die Überprüfung war ohnehin erforderlich. Es gibt natürlich einen ständigen Dialog mit den Bundesländern. Aber das hat noch nichts mit der Erstellung eines neuen Bundesverkehrswegeplans zu tun; denn im laufenden Verfahren besteht ohnehin ein enger Kontakt mit unseren Auftragsverwaltungen. Wir befinden uns in einem sehr frühen Stadium der Erstellung der Basisdaten und der wissenschaftlichen Grundlagen. Natürlich wird der neue Bundesverkehrswegeplan vom derzeitigen Bundesverkehrswegeplan nicht völlig abgekoppelt sein. Es geht jetzt also um die Grundlagenerarbeitung. Erst danach, wenn man die Ergebnisse hat, wird darüber zu diskutieren sein, welche Ergebnisse man zur Basis für die Erstellung des Bundesverkehrswegeplans macht, welche Parameter man dort einzieht. Auch Ihre Fraktion hat mehrfach angemahnt, verschiedene neue Diskussionsfaktoren mit einzubeziehen. Das können wir in 2012 im offenen Verfahren im Fachausschuss diskutieren. Ich kann Sie also beruhigen: Das Verfahren ist momentan noch in einem sehr frühen Stadium. Das BMVBS arbeitet eher an den wissenschaftlichen und gutachterlichen Grundlagen als an irgendwelchen konkreten Projekten. Die konkreten Projekte sind im geltenden Bundesverkehrswegeplan eingestuft, und an diesen arbeiten wir jetzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Frage 11 des Kollegen Kekeritz wird schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 12 und 13 der Kollegin Burchardt und die Fragen 14 und 15 des Kollegen Herzog. Damit kommen wir nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Frage 16 des Kollegen Schwabe, die Frage 17 des Kollegen Miersch und die Frage 18 des Kollegen Ott werden schriftlich beantwortet. Mündlich beantwortet wird die Frage 19 des Kollegen Ott: Wer hat bislang über die Auswahl von Bewerbern für Stellen beim Sachverständigenrat für Umweltfragen, SRU, entschieden, und soll diese Praxis geändert werden? Zur Beantwortung steht die Staatssekretärin HeinenEsser zur Verfügung.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Die Besetzung der bestehenden Stellen bei den Ratsmitgliedern und in der Geschäftsstelle des Sachverständigenrates für Umweltfragen erfolgt nach dem im Umweltbundesamt üblichen Stellenbesetzungsverfahren. Die Mitarbeiter werden dabei üblicherweise durch die fachlich involvierten Ratsmitglieder und den Generalsekretär ausgewählt. Die Berufung des Generalsekretärs erfolgt durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Vorschlag des Umweltbundesamtes, das das Votum des Sachverständigenrates berücksichtigt. Über die Besetzung der neuen Planstelle kann erst nach Inkrafttreten des Haushalts 2012 entschieden werden. Dabei wird selbstverständlich das für die Besetzung von Planstellen der Geschäftsstelle des Sachverständigenrates für Umweltfragen übliche Verfahren zur Anwendung kommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage, Herr Ott. Bitte sehr.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, vielen Dank. Hat denn die Bundesregierung eine Idee, wie dieser Vorgang zustande gekommen sein könnte? Es ist ja doch nicht ganz gewöhnlich, dass die Einrichtung, die mit einer solchen Stelle beglückt werden soll, gar nichts davon weiß und erst im Nachhinein davon erfährt, dass sie erst recht nicht eine solche Stelle beantragt hat und dass auch die führende nachgeordnete Behörde, nämlich in diesem Fall das Umweltbundesamt, weder einen solchen Bedarf angemeldet hat noch angemessen informiert wurde. Wie erklärt sich denn die Bundesregierung das Zustandekommen dieser Stelle?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Lieber Kollege Dr. Ott, das Thema haben wir ja heute Morgen auch schon im Umweltausschuss ausführlich diskutiert. Ich kann nur noch einmal sagen, dass diese Stelle in der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses entstanden ist, als es auch um den Einzelplan 16 ging. Das war ein Vorschlag der Haushälter, also Ihrer Kolleginnen und Kollegen, und ist nicht vom Bundesumweltministerium eingebracht worden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Ott, haben Sie eine zweite Nachfrage? - Bitte sehr.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nun hat der Präsident des Sachverständigenrates, Professor Faulstich, ein Schreiben an Gisela Piltz und HansPeter Uhl - das sind anscheinend die zuständigen Mitglieder des Bundestages im Haushaltsausschuss - geschickt, in dem er seine Sicht der Dinge darlegt und auch nachfragt, wie das denn sein könne. Haben Sie einmal mit Hans-Peter Uhl, also dem Vertreter der CDU/CSU im Haushaltsausschuss, darüber geredet, wie er sich diesen Vorgang erklärt und warum er diesen Vorschlag eingebracht hat?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Ich glaube, Herr Dr. Ott, das ist wirklich eine Frage an die Mitglieder des Parlaments, die sich über diesen Vorschlag wohl verständigt und ihn eingebracht haben. Der Vorschlag wurde heute, wie ich gehört habe, auch im Innenausschuss beraten. Mein Kollege Uhl ist innenpoliParl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser tischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion und eben Mitglied im Innenausschuss und nicht im Haushaltsausschuss.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage der Kollegin Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie haben eben gesagt, dass dieser Vorschlag von Abgeordneten eingebracht worden ist - offensichtlich von Abgeordneten der beiden Koalitionsfraktionen, nicht von Abgeordneten der Opposition. Hält das Bundesumweltministerium diese Stelle denn für sinnvoll?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Die Parlamentarier haben den Wunsch formuliert und darüber abgestimmt, dass beim Sachverständigenrat eine solche Stelle eingerichtet werden soll. Wir beugen uns natürlich dem Wunsch und dem Willen der Parlamentarier in dieser Frage und werden nach Inkrafttreten des Haushalts das übliche Ausschreibungsverfahren starten. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Nachfrage kommt vom Kollegen Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, wir haben nun auch aufgrund der Sendung Frontal 21 von einem koalitionsinternen Papier Kenntnis erlangt. Darin ist die Rede davon gewesen, dass die Zustimmung des Bundesumweltministers vor Beschlussfassung vorlag. Insofern frage ich Sie hier, ob Sie dazu etwas sagen können. Gab es eine vorherige Kontaktaufnahme mit dem Bundesumweltminister, mit dem Bundesumweltministerium, diese Stelle einzurichten, oder war das tatsächlich ein Hauruck-Verfahren im Haushalt, bei dem es vorher überhaupt keine Kontaktaufnahme zwischen BMU, Bundesumweltminister, und den Koalitionsfraktionen gegeben hat?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Soweit ich weiß, Herr Kollege Dr. Miersch, ist der Bundesumweltminister bzw. das Bundesumweltministerium in der absoluten Schlussphase darüber informiert worden. Das Papier, um das es geht, habe ich mir wahrscheinlich ebenso wie Sie von der Homepage von Frontal 21 heruntergeladen. Es enthält keinen Absender und keine Unterschrift. Wir wissen also nicht, von wem dieses Papier stammt. Das heißt, dass wir die Auffassungen, die dort - auch zu anderen Themen - geäußert werden, nicht teilen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Krischer, bitte.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade von der „Schlussphase“ gesprochen, in der Ihr Haus von der Einrichtung dieser Stelle erfahren hat. Können Sie diese „Schlussphase“ zeitlich genauer definieren: wann genau das war, wann zum ersten Mal Ihr Haus darüber informiert wurde, dass geplant ist, eine solche Stelle einzurichten?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Das kann ich Ihnen exakt mit Datum und Uhrzeit nicht sagen, liefere ich aber gerne nach. Das wird in der oder um die Bereinigungssitzung herum der Fall gewesen sein; denn wie Sie wissen, ist in dem Regierungsentwurf, den wir in den Haushaltsausschuss eingebracht haben, eine solche Stelle nicht enthalten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die letzte Frage dazu ist eine Frage der Kollegin Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Frau Staatssekretärin, ist es denn üblich, dass Gremien oder Ausschüsse Stellen genehmigt bekommen, die sie gar nicht beantragen und deren Vorsitzende davon auch nichts wissen?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Frau Bulling-Schröter, ich kann mir vorstellen, dass das schon einmal vorkommt. ({0}) Ich kann das aus meiner eigenen parlamentarischen Erfahrung nicht nachvollziehen; aber es war explizit der Wunsch des Parlaments, eine solche Stelle einzurichten. Diese Frage müssten Sie also an Ihre Kolleginnen und Kollegen richten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Frage 20 der Kollegin Höhn: Soll die neue B-4-Stelle beim SRU ausgeschrieben werden, oder beabsichtigt die Bundesregierung, die Stelle ohne Ausschreibung zu besetzen? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Frau Kollegin Höhn, ich kann Ihnen sehr klar sagen, dass selbstverständlich beabsichtigt ist, die Funktion öffentlich auszuschreiben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Höhn, Sie haben eine Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, es gibt schon eine Stelle beim Sachverständigenrat für Umweltfragen, nämlich die Stelle des Generalsekretärs, der die notwendigen Arbeiten erledigt. Soll es daneben jetzt eine Direktorenstelle geben? Was ist dann die Aufgabe des Generalsekretärs? Was ist die Aufgabe des Direktors? Ist es angemessen und erforderlich, dafür eine zusätzliche B-4-Stelle einzurichten?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Auch diese Fragen bitte ich an die Kolleginnen und Kollegen zu richten, die die Stelle im Rahmen der Bereinigungssitzung eingeführt haben. ({0}) Ich verweise auf die Begründung zur Einrichtung der Stelle. Darin heißt es, dass umweltpolitische Fragestellungen in den letzten Jahren sowohl national als auch international zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. Um die internationale Zusammenarbeit und Vernetzung auszubauen sowie zur Stärkung der beratenden Funktionen des Sachverständigenrates gegenüber dem Deutschen Bundestag und seinen Gremien werde das Amt eines Direktors beim Sachverständigenrat für Umweltfragen geschaffen. Wir werden uns selbstverständlich, wenn es um die Ausschreibung dieser Stelle geht, sowohl mit dem Sachverständigenrat als auch mit dem Umweltbundesamt, das die Ausschreibung durchführen wird, über all diese Fragen, die Sie gerade aufgeworfen haben, verständigen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte sehr.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich habe eine zweite Nachfrage. Es gibt beim UBA die Stelle des stellvertretenden Leiters. Das ist eine B-4-Stelle. Auch hier reden wir über eine B-4-Stelle. Können Sie sagen, wie viele Mitarbeiter der stellvertretende Leiter des UBA in seinem Bereich hat? Ich glaube, es sind mehrere Hundert. Im SRU gibt es 24 Mitarbeiter. Ist es im Verhältnis zu dem, was andere im Regierungsapparat für B 4 tun müssen, angemessen, beim SRU die Stelle eines Frühstücksdirektors mit 24 Mitarbeitern zu schaffen?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Sehr geehrte Frau Kollegin Höhn, ich bitte Sie, auch diese Frage den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss zu stellen, die der Auffassung waren, dass der Sachverständigenrat auch im wissenschaftlichen Bereich noch Unterstützung bedarf, und sich deshalb dafür ausgesprochen haben, dort eine B-4-Stelle einzurichten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ott.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn es denn nur ein Frühstücksdirektor wäre! ({0}) Unsere Vermutung ist, dass dort erheblich Einfluss genommen werden soll. Meine Frage an Sie, Frau Kollegin Heinen-Esser: Wie viele Fälle sind Ihnen mit Ihrer beträchtlichen Verwaltungserfahrung und Legislativerfahrung bekannt, in denen eine Stelle in einer nachgeordneten Institution am Haus vorbei, am Ministerium vorbei und an der nachgeordneten Behörde vorbei durch den Deutschen Bundestag eingerichtet worden ist?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Das kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten. ({0}) Mir persönlich ist das nicht bekannt. Ich bin allerdings auch nicht Mitglied des Haushaltsausschusses und habe daher keinen Überblick darüber, was in anderen Häusern üblich ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mich interessiert in diesem Zusammenhang noch einmal die Schlussphase, von der Sie gesprochen haben und die wir nicht genau datieren können. Ich habe dem Vermerk von Frontal 21 bzw. der Reaktion des Bundesumweltministers entnommen, dass seine Zustimmung nicht vorgelegen hat. Haben Sie Kenntnis darüber, ob der Bundesumweltminister unter Umständen in der Schlussphase diesem Stellenvorschlag zugestimmt hat oder ob er sogar interveniert und auf andere Stellenpotenziale oder Notwendigkeiten hingewiesen hat bzw. was sich in dieser Schlussphase zwischen Bundesumweltminister und Koalitionsfraktionen ereignet hat?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Ich war in der Schlussphase nicht dabei, habe aber mit dem Minister gesprochen. Es wird keine der in dem Papier, das auf der Homepage von Frontal 21 steht, zitierten Aussagen geteilt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kollegin Steiner, bitte.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, in der Antwort auf die Frage der Kollegin Höhn haben Sie die Begründung angesprochen, die immer irgendwo herumgeistert, und darauf hingewiesen, dass eine stärkere internationale Vernetzung und Ausrichtung ermöglicht werden soll und dass die Stellenbesetzung oder der Wunsch nach einer zusätzlichen Stelle unter Umständen damit zusammenhängen könnte. Würden Sie vor dem Hintergrund, dass der Sachverständigenrat eigentlich das Netzwerk der Europäischen Umwelt- und Nachhaltigkeitsräte mit begründet hat - zurzeit ist sogar ein Ratsmitglied Vorsitzende - und der Meinung ist, dass zusätzliche hochdatierte Stellen nicht notwendig sind, sondern dass eher eine Stelle im Brüsseler Sekretariat fehlt, vermuten, dass man bei der Arbeit des Sachverständigenrates ein Defizit unterstellt?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Kollegin Steiner, ich kann nicht beurteilen, welches die Motivation war, eine solche Begründung zu formulieren, die ich aus einem Beschluss des Innenausschusses vom heutigen Tag zitiert habe. Ich kann Ihnen nur sagen: Aus Sicht des Bundesumweltministeriums gibt es keinerlei Defizite beim Sachverständigenrat. Wir hatten heute Morgen eine exzellente Präsentation des Gutachtens zur Nanotechnologie. Ich glaube, da ist deutlich geworden, welche hervorragende Expertise beim Sachverständigenrat vorhanden ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich interpretiere Ihre letzte Antwort so, dass die besagte Stelle aus Sicht des Bundesumweltministeriums absolut nicht erforderlich ist und nicht eingerichtet werden muss, weil die Arbeit schon hervorragend funktioniert. Aber Sie müssen jetzt das umsetzen, was die Mehrheit des Haushaltsausschusses und heute auch des Innenausschusses beschlossen hat. Meine Frage: Wo in der Hierarchie des Sachverständigenrates soll die Stelle angesiedelt werden? Soll sie oberhalb oder unterhalb des Generalsekretärs angesiedelt werden? Wie genau soll ich mir das zukünftige Organigramm des SRU vorstellen?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Das werden wir zusammen mit dem Umweltbundesamt und dem Sachverständigenrat besprechen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Bulling-Schröter, bitte.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass es in der Vergangenheit teilweise Diskussionen in der Koalition gab, weil man mit Ergebnissen des Sachverständigenrats für Umweltfragen - das gilt auch für den aktuellen Bericht zur Nanotechnik - politisch nicht einverstanden war?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zu Frage 21 der Abgeordneten Bärbel Höhn: Hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit für sich und seine obersten Bundesbehörden im Haushaltsaufstellungsverfahren 2012 Stellenbedarf geltend gemacht, dem im Haushaltsplanentwurf der Bundesregierung nicht entsprochen wurde, und falls ja, welche sind dies genau? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Meine Antwort lautet wie folgt: Im Ergebnis der regierungsinternen Verhandlungen zum Personalhaushalt für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und die drei Behörden unseres Geschäftsbereichs wurden in dem vom Kabinett beschlossenen Regierungsentwurf insgesamt 101 zusätzliche Stellen aufgenommen. Davon sind 52 Stellen nur mit Überhangpersonal des Bundesverteidigungsministeriums besetzbar. 26 Stellen sind durch konkrete Einnahmen refinanziert. 15 Stellen dienen der Umwandlung von bestehenden befristeten Beschäftigungen in Dauerarbeitsverhältnisse und sind insofern ausgabenneutral. Diese Stellen wurden mit dem Bedarf zur Erfüllung der vielfältigen aktuellen Aufgaben des BMU insbesondere in den Bereichen Energiewende, Klimaschutz, Emissionshandel, Naturschutz und Reaktorsicherheit begründet. Die Verhandlungen zwischen den beteiligten Ressorts zur Aufstellung des Regierungsentwurfs zum Haushalt sind allerdings - darauf muss ich aufmerksam machen - eine regierungsinterne Angelegenheit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Höhn, eine Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, in dem Papier, das man von der Homepage von Frontal 21 herunterladen kann, steht zur Aufgabenstellung der besagten Stelle eines Direktors, dass dieser den Rat nach außen vertreten soll. Hierdurch soll der SRU auch in seiner Außendarstellung dem unmittelbaren politischen Einfluss von Rot-Grün entwunden und dauerhaft in den ({0})politischen Einfluss- und Steuerungsbereich der Koalitionsfraktionen gebracht werden. Nun hat der Bundesumweltminister gesagt: Der SRU ist unabhängig, und es ist auch ein hohes Gut, dass der Sachverständigenrat für Umweltfragen unabhängig ist. Wie wollen Sie verhindern, dass diese Stelle die Aufgabe genauso erledigt, wie es in diesem anonymen internen Vermerk beschrieben wird?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Wir wissen nicht, von wem dieser Vermerk stammt, da er anonym ist; ihm fehlen sowohl der Absender als auch die Unterschrift. Der Bundesumweltminister hat dazu gesagt, was dazu zu sagen ist. Er hat die Unabhängigkeit des Sachverständigenrates gewürdigt. Wir kommen dem Wunsch des Parlaments nach, indem wir eine öffentliche Ausschreibung in Abstimmung mit Sachverständigenrat und Umweltbundesamt durchführen werden. Eine solche öffentliche Ausschreibung, bei der sich beispielsweise eine Auswahlkommission, die auch mit Mitgliedern des Sachverständigenrats besetzt ist, dem Auswahlverfahren widmet, sichert sicherlich auch weiterhin die Unabhängigkeit des Rates.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage, Frau Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe in der Tat eine weitere Frage. - Frau Staatssekretärin, die Stelle des Generalsekretärs bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, die im Moment Dr. Fritz Brickwedde bekleidet, wird in absehbarer Zeit frei. Können Sie ausschließen, dass sich die Kollegin Birgit Homburger darauf bewerben wird?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Frau Höhn, ich kann darüber keine Aussage treffen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, Sie haben eben auf die Frage der Kollegin Höhn reagiert, die noch einmal den auf der Homepage von Frontal 21 befindlichen Vermerk zitiert hat. Auch wenn Sie sagen, Sie kennen die Urheberschaft nicht, können wir jetzt feststellen, dass dieser Vermerk zumindest in Bezug auf die Schaffung der Stelle ja recht behalten hat. Gleichzeitig sagen Sie, dass der zuständige Bundesumweltminister den Sachverständigenrat als unabhängiges Gremium anerkennt und diese Stelleneinrichtung eigentlich als überflüssig erachtet. Ist es jetzt nicht Aufgabe des zuständigen Bundesumweltministers, Schaden von dieser Stelle abzuwenden und gegebenenfalls mit den Koalitionsfraktionen - denn hier geht es nicht um eine Kernfrage im Zusammenhang mit dem Parlament, sondern um eine Einrichtung, die die Bundesregierung beraten soll - noch einmal in einen Dialog zu treten?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Ich würde die Kirche im Dorf lassen und sagen, dass es für jede Einrichtung ein Gewinn ist, eine zusätzliche Stelle zu haben. ({0}) Auch für mich ist es ein Novum, erleben zu müssen, dass sich jeder wehrt, eine solche Stelle zu bekommen. Deswegen möchte ich darum bitten, das Ganze sozusagen ein bisschen herunterzuzoomen. Wir garantieren: Wir werden sicherlich mit den Koalitionsfraktionen in einen Dialog treten, und wir werden auch mit Ihnen in einen Dialog treten, um Ihre Befürchtungen auszuräumen. Es wird ein öffentliches Verfahren geben, das sicherstellt, dass der Sachverständigenrat wie bisher unabhängig arbeiten kann.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Wunderlich.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, eine Frage im Zusammenhang mit dem Thema „Unabhängiges Arbeiten“. Gab es den Wunsch eines Koalitionspartners, den Sachverständigenrat aufgrund der Ergebnisse seiner Studien aufzulösen?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Dieser Wunsch ist an mich nicht herangetragen worden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Ott.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Teilt die Bundesregierung unsere Auffassung, dass die Einrichtung dieser Stelle beim Sachverständigenrat für Umweltfragen nicht nur der Gängelung des Rates dienen, sondern auch - geschaffen in einer Art Panikreaktion Ihres Koalitionspartners FDP eine Versorgungsstelle als Ersatz für zukünftig frei werdende Posten der FDP ermöglichen soll?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Herr Dr. Ott, ich teile Ihre Auffassung nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie haben eben erläutert, dass Sie diese Stelle für nicht erforderlich halten, weil die Arbeit des SRU bereits exzellent sei und damit auch keiner weiteren Stellenverstärkung bedürfe. Meine Frage lautet: Gibt es im Bundesumweltministerium selbst oder in den nachgeordneten Behörden Bereiche, von denen Sie sagen, dass dort zur Erfüllung der Aufgaben eine weitere Stellenverstärkung erforderlich sei? Wenn ja, welche sind das? Können Sie mir also Bereiche nennen, wo aus Ihrer Sicht zur Erfüllung der Aufgaben zusätzlicher Personalbedarf besteht?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Ich glaube, ich wäre eine schlechte Staatssekretärin, wenn ich sagen würde, es reiche aus, was wir an Stellen zur Verfügung haben. Natürlich können wir zusätzliche Stellen gut gebrauchen, und zwar an vielen Stellen des Hauses und insbesondere auch in nachgeordneten Behörden und in Gremien, die uns beraten. Die Motive der Koalitionsfraktionen, eine zusätzliche Stelle beim Sachverständigenrat einzurichten, sind vorhin ausführlich erläutert und diskutiert worden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Nestle.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie haben in der Antwort auf eine vorherige Frage auf die Kommission hingewiesen, die die Unabhängigkeit des Sachverständigenrates gewährleisten und die dafür sorgen soll, dass die Stelle unabhängig besetzt wird. Inwieweit ist es innerhalb der Regierung mit allen relevanten Playern abgesprochen, wie diese Kommission zusammengesetzt wird und ob es die Kommission überhaupt gibt? Können Sie genauer erläutern, wie dort die Stimmenverhältnisse sind bzw. wie das Entscheidungsverfahren innerhalb dieser Kommission ist? Wie wirken sich die Mehrheitsverhältnisse bei unterschiedlichen Meinungen aus?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Kollegin Nestle, ich kann Ihnen das zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Ich habe eben nur skizziert, wie ein mögliches Verfahren aussehen könnte. Die Stellenbesetzung erfolgt erst nach Inkrafttreten des Haushaltes. Das heißt, das gesamte Verfahren wird erst dann anrollen. Ich habe vorhin schon gesagt, dass das kein Stellenwunsch des Bundesumweltministeriums ist, sondern ein Wunsch der Abgeordneten im Haushaltsausschuss und heute im Innenausschuss, die die entsprechenden Beschlüsse gefasst haben. Wir werden jetzt Möglichkeiten entwickeln, die Stellenausschreibung und Stellenbesetzung so durchzuführen, dass die Unabhängigkeit des Rates gestärkt wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Frage 22 der Kollege Dorothea Steiner: Ist die Einrichtung einer B-4-Stelle auch für den Wissenschaftlichen Beirat für globale Umweltveränderungen, WBGU, vorgesehen, und, falls nein, sind die Anforderungen an die wissenschaftlich-methodische Qualität von Studien beim WBGU geringer als beim SRU?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Kollegin Steiner, die Einrichtung einer solchen Stelle ist nicht vorgesehen. Die Anforderungen an die wissenschaftlich-methodische Qualität von Studien beim Wissenschaftlichen Beirat für globale Umweltveränderungen sind nicht geringer als beim Sachverständigenrat für Umweltfragen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Steiner, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte sehr.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Ihre Antwort veranlasst mich sofort zu der Frage: Warum wird dann die Fürsorge, die dem Sachverständigenrat für Umweltfragen zuteilwird, angesichts der Anforderungen, die wir an den WBGU haben, nicht auch diesem zuteil?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Kollegin Steiner, diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, da der Wunsch nach einer Stelle beim Sachverständigenrat für Umweltfragen nicht vom Bundesumweltministerium vorgetragen wurde.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Steiner, haben Sie eine zweite Nachfrage? - Das ist nicht der Fall. Dann Herr Ott, bitte.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Der Kollege Kauch hat seine Motivation, eine solche Stelle einrichten zu lassen, auch damit begründet, dass es wissenschaftliche und methodische Mängel in den Gutachten des SRU gegeben habe. Sind Ihnen, Ihrem Hause oder der Bundesregierung solche methodischen und wissenschaftlichen Mängel bekannt?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Nein, uns liegen darüber keine Erkenntnisse vor.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann kommen wir zur Frage 23 der Kollegin Steiner: Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die Einrichtung einer mit B 4 dotierten Stelle beim SRU angemessen und erforderlich ist?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Kollegin Steiner, die Entscheidung über eine Direktorenstelle in der Geschäftsstelle des Sachverständigenrates für Umweltfragen erfolgte im Rahmen der parlamentarischen Beratung des Haushalts 2012, wie ich vorhin schon ausgeführt habe. Zur Begründung seitens der Befürworter aus dem parlamentarischen Raum verweist die Bundesregierung auf die Begründung zum Änderungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und FDP zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Unterstützung der Fachkräftegewinnung im Bund und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften. Darin heißt es, wenn ich es hier noch einmal ganz korrekt zitieren darf: Um die internationale Zusammenarbeit und Vernetzung auszubauen sowie zur Stärkung der beratenden Funktion des Sachverständigenrates gegenüber dem Deutschen Bundestag und seinen Gremien wird das Amt eines Direktors beim Sachverständigenrat für Umweltfragen geschaffen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, wir haben Ihrer Antwort vorhin entnommen, dass Sie eigentlich gar keine Defizite bei der Arbeit des Sachverständigenrates in Bezug auf die angesprochene Richtung sehen. Sie haben sich auch gewundert, dass man plötzlich - wenn es schon einmal eine neue Stelle gibt - so vehement über ihre Notwendigkeit diskutiert. Zusätzlich ist nach der hohen Dotierung bestimmter Stellen beim Sachverständigenrat zu fragen. Beim SRU sind 24 Personen tätig. Um eine Vergleichbarkeit herzustellen: Ebenfalls nach B 4 bezahlt wird der Präsident der Bundespolizeiakademie, der für 2 882 Mitarbeiter verantwortlich ist, oder der Leitende Direktor des Marinearsenals, der für 1 828 Mitarbeiter Verantwortung trägt. Ist es angesichts dessen gerechtfertigt, beim SRU eine B-4-Stelle mit einer so vage definierten Aufgabenbeschreibung einzurichten?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Kollegin Steiner, Referatsleiter erhalten bei uns im Hause und auch in den anderen Bundesministerien unter Umständen eine Besoldung nach B 3, und das, obwohl sie für erheblich weniger Mitarbeiter Verantwortung tragen als der Inhaber der B-4-Stelle im Sachverständigenrat. Ich gebe diese Frage an die Parlamentarier weiter und bitte darum, im Ausschuss zu klären, warum es sich um eine B-4-Stelle handelt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Steiner, eine zweite Nachfrage.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da wir uns hier über die Höhe der Besoldung unterhalten: Können Sie ausschließen, dass die vorgesehene Höhe der Besoldung auch etwas damit zu tun hat, dass es in Teilen der Koalitionsfraktionen tatsächlich Bestrebungen gibt, ihren personalpolitischen Einfluss und ihren Steuerungsbereich insgesamt zu vergrößern? Schließlich handelt es sich um eine hinreichend schwierige Aufgabe.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Das Bundesumweltministerium sieht seine Aufgabe darin, die Unabhängigkeit des Sachverständigenrates zu wahren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Miersch, bitte.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ich möchte gerne genau daran anschließen: die Unabhängigkeit zu wahren. Sie waren heute im Ausschuss anwesend und haben erlebt, dass der FDP-Kollege Knopek den Vertreter des Sachverständigenrates für Umweltfragen massiv angegangen ist, dessen wissenschaftliche Arbeit bezweifelt und eine politische Bewertung in den Raum gestellt hat. Der Kollege Ott hat Ihnen vorhin die Aussage des Kollegen Kauch, ebenfalls FDP, vorgehalten. Wenn Sie diese Hinweise einschließlich des Inhalts des Vermerks, den wir eben angesprochen haben, zusammen betrachten, sehen Sie dann nicht die Notwendigkeit, auch vonseiten des Bundesumweltministeriums hier noch einmal sehr deutlich Position zu beziehen, um den Sachverständigenrat vor derartigen Angriffen der FDPBundestagsfraktion in Schutz zu nehmen und seine Integrität zu wahren?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Sie können sich sicherlich an mein Schlussstatement heute im Ausschuss erinnern. Darin habe ich insbesondere das heute vorgelegte Gutachten noch einmal besonders gewürdigt. Ich habe vorhin ausgeführt, dass es für uns keinerlei Zweifel an der wissenschaftlichen Arbeit des Sachverständigenrates gibt. Das Bundesumweltministerium teilt die in diesem Vermerk gemachten Aussagen definitiv nicht; das habe ich schon mehrfach gesagt. Wir laden Sie herzlich dazu ein, den Prozess der Ausschreibung dieser Stelle parlamentarisch entsprechend zu begleiten; schließlich wurde diese Stelle auf Initiative des Parlamentes geschaffen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Schwabe, bitte.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, können Sie ausschließen, dass es innerhalb der schwarz-gelben Koalition Überlegungen gegeben hat, den Sachverständigenrat für Umweltfragen abzuschaffen, und dass man sich als mögliche Alternative darauf verständigt hat, durch die Schaffung einer solchen Stelle eine Art Gängelung dieses Gremiums vorzunehmen?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Mir persönlich ist das nicht bekannt; das muss ich sagen, Kollege Schwabe. Das Bundesumweltministerium und der Bundesumweltminister stehen für die Unabhängigkeit der Arbeit dieses Sachverständigenrates, den wir, wie wir gerade am heutigen Tag am Beispiel Nanotechnologie gesehen haben, für unsere Regierungsarbeit dringend benötigen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, wer ist für die wissenschaftliche Qualität der SRU-Gutachten verantwortlich? Sind das die Mitglieder des Rates, oder ist das die Geschäftsstelle?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Es sind natürlich in erster Linie die Mitglieder des Sachverständigenrates. Sie werden seitens der Geschäftsstelle durch wissenschaftliche Mitarbeiter unterstützt. Es gibt auch Verwaltungsmitarbeiter in der Geschäftsstelle. Die Mitglieder des Sachverständigenrates haben Mitarbeiter, die halbtags beschäftigt sind. Der Vorsitzende hat einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, der ganztags für ihn arbeitet. Aber die Verantwortung tragen selbstverständlich in allererster Linie die Mitglieder des Sachverständigenrates selbst.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin Nestle.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie betonen sehr, wie wichtig es dem Bundesumweltminister und dem Bundesumweltministerium ist, die Unabhängigkeit des Sachverständigenrates zu wahren. Inwiefern haben Sie dafür die Rückendeckung der anderen Mitglieder der Regierung? Da es ein so wichtiger Themenbereich ist, haben Sie da sicherlich schon eine gemeinsame Absprache getroffen.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Es bedarf insofern keiner Absprache, als der Sachverständigenrat organisatorisch uns zugeordnet ist und explizit unsere Beratungen unabhängig begleitet.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Ott.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, vielleicht abschließend: Ist Ihnen die Bemerkung des Kollegen Kauch im Umweltausschuss am 5. Mai 2010 bekannt? Laut Protokoll hat er da bei Vorstellung des Gutachtens des SRU gesagt, dass der Atomausstieg nicht unbedingt notwendig sei und dass der SRU sich fragen lassen müsse, ob seine Neutralität gewahrt sei oder ob er versuche, eine Kampagne für bestimmte politische Zielrichtungen zu machen. Sind Sie mit mir der Ansicht, dass auch bei abweichenden Gutachten des Sachverständigenrates nicht unbedingt eine politische Zielrichtung angenommen werden muss, da der Sachverständigenrat ja vielmehr eine vernünftige, sachliche und empirisch begründete Arbeit machen soll?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Ich teile ganz klar Ihre zuletzt geäußerte Auffassung, dass der Sachverständigenrat unabhängig arbeiten können muss. Ich kann mich an die von Ihnen wiedergegebene Äußerung selbst nicht erinnern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Ott, trotz Ihres Hinweises, dass es sich bei Ihrer Nachfrage um die abschließende Frage handele, erlaubt sich das Präsidium, darüber selbst zu entscheiden, und gibt Frau Kofler die Möglichkeit zur letzten Nachfrage.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ich habe noch einmal eine Frage hinsichtlich der Begründung für die B-4-Stelle, die Sie am Anfang gebracht haben. Da haben Sie auf Belange der internationalen Vernetzung hingewiesen. Ich gehe davon aus, dass Sie das Schreiben des Vorsitzenden des Sachverständigenrates, Herrn Professor Faulstich, an den Innenausschuss kennen. Er sieht als „limitierende Faktoren“ für internationale Betätigung eben „nicht eine hochdotierte Leitungsstelle beim SRU, sondern im Wesentlichen eine angemessene Sekretariatsunterstützung“ für die Arbeiten auf europäischer Ebene. Wenn das so ist, stellt sich für mich die Frage, ob es nicht erstens wirtschaftlicher und zweitens im Interesse der Fachlichkeit besser wäre, dort anzusetzen, statt eine B-4-Stelle zu schaffen, wie hier angedacht. Professor Faulstich schreibt weiter: Auch in der SRU-Geschäftsstelle wäre die Einrichtung eines Referenten für europäische Angelegenheiten zielführender als die Schaffung einer Direktorenstelle ohne administrativen Unterbau. Mich würde Ihre Stellungnahme zu diesen Ausführungen interessieren.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Ich kann Ihnen dazu keine Stellungnahme abgeben. Sie müssten die Frage bitte an die Kolleginnen und Kollegen richten, die einer definitiv anderen Überzeugung waren und deshalb auch für die Schaffung dieser Stelle plädiert haben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Schriftlich beantwortet werden die Fragen 24 und 25 der Kollegin Kotting-Uhl sowie die Fragen 26 und 27 des Kollegen Fell. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 28 der Kollegin Crone, die Fragen 29 und 30 des Kollegen Gerdes sowie die Fragen 31 und 32 des Kollegen Hagemann werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Peter Hintze steht als Staatssekretär zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Oliver Krischer auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Richtlinie der EU bezüglich des Förderprogramms für fossile Kraftwerke und der damit verbundenen Auflage, dass neue Kraftwerke mit 15 Prozent der Investitionssumme nur gefördert werden, wenn die Kraftwerke vor dem Jahr 2020 die CCS-Technik einsetzen, über die in den vergangenen Tagen in der Presse berichtet wurde, und sieht sie unter diesen Gegebenheiten überhaupt eine Möglichkeit, ihr angekündigtes Förderprogramm für fossile Kraftwerke aufzulegen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Krischer, bislang hat die Europäische Kommission keinen Entwurf für Beihilfeleitlinien - es geht also nicht um eine Richtlinie; das nur zu unserem gegenseitigen Verständnis - zu der von ihr im Jahr 2008 im Zusammenhang mit dem Energie- und Klimapaket zugesagten Möglichkeit der Förderung hocheffizienter Kraftwerke in den Jahren 2013 bis 2016 vorgelegt. Die in der Presse bislang bekannt gewordenen informellen Überlegungen der Europäischen Kommission sind sehr restriktiv ausgestaltet. Insbesondere sind die Anforderungen an die CCS-Fähigkeit der Anlagen sehr hoch. Die Europäische Kommission wird nach eigenen Aussagen noch im Dezember 2011 - also noch in diesem Jahr - den Entwurf vorlegen. Dieser wird sodann mit den Mitgliedstaaten erörtert. Die Kommission wird im Anschluss über die konkreten verbindlichen Regeln entscheiden. Die konkrete Ausgestaltung des geplanten Kraftwerkförderprogramms hängt dann von dieser Rechtsgrundlage ab.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Krischer, eine Nachfrage?

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke für die Ausführungen, Herr Staatssekretär. Habe ich Sie also richtig verstanden, dass Ihnen bislang vonseiten der EU-Kommission keinerlei Dokumente oder schriftliche Aussagen über die inhaltliche Ausgestaltung dieser Guidelines - es ist keine formelle Richtlinie; da haben Sie recht - für ein Kraftwerksförderprogramm vorliegen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Das ist eine Beihilfeleitlinie. Die Kommission entscheidet darüber selbst. Darin besteht der Unterschied zu einer Richtlinie. Ein Dokument dazu gibt es nicht. Es gibt folgende Schritte: Die Kommission muss einen Entwurf beschließen, was sie bisher noch nicht getan hat. Dieser Entwurf wird dann den Mitgliedstaaten zur Erörterung zugeleitet. Die können das Ganze dann kommentieren. Danach entscheidet die Kommission über die eigentlichen Leitlinien. Diese sind dann die Grundlage für die beihilferechtliche Behandlung des Themas. Informell haben wir die Vorüberlegungen, die dazu in der Kommission unternommen wurden, schon mitbekommen. Wir haben erfahren, dass sie sehr restriktiv sein sollen, was für uns natürlich eine echte Herausforderung darstellt; denn wir wollen ja mit unserem Programm flexible Kraftwerke fördern. Die Förderung zielt insbesondere auf Kraftwerke von kleinen Betreibern, die weniger als 5 Prozent Marktanteil haben. Das sind im Wesentlichen Stadtwerke und andere kleine Betreiber. Wir wären hinsichtlich des Kraftwerksförderprogramms sehr stark eingeschränkt, wenn das, was jetzt in der Presse zu lesen war und was wir auch informell auf Beamtenebene gehört haben, tatsächlich in den Entwurf und später in die Leitlinien hineinkäme. Sachstand ist, dass es noch keinen Entwurf im Sinne der Definition der Kommission gibt. Dieser muss von der Kommission beschlossen werden. Dann wird er mit uns erörtert. Danach gibt es die Leitlinien, die dann bindend für die beihilferechtliche Behandlung des Themas sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine zweite Nachfrage, Herr Krischer? Bitte sehr.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn das, was Sie bisher informell erfahren haben, denn tatsächlich so umgesetzt werden sollte - wir gehen einmal davon aus -: Wäre dann ein Kraftwerksförderprogramm, so wie es die Bundesregierung bisher angedacht hat, vorstellbar?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Zunächst ist es klug, den eigentlichen Entwurf abzuwarten. Die Vormeldungen besagen, dass drei Förderstufen vorgesehen sind: 5 Prozent, 10 Prozent und 15 Prozent. Die höheren Förderstufen wären nur schwer zu realisieren. Deswegen wollen wir im Verfahren erreichen - wenn uns der Entwurf vorliegt und wir uns offiziell an die Kommission wenden können -, dass das Ganze noch einmal überdacht wird, damit wir unser Förderprogramm durchführen können. Für sehr effiziente und flexible Kraftwerke wäre nach den jetzigen Überlegungen wahrscheinlich nur eine Förderung in Höhe von 5 Prozent möglich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Nestle.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen von der Förderung, die von der Höhe der Investition für das jeweilige Kraftwerk abhängig ist. Das würde bedeuten, dass pro Megawatt installierter Leistung ein Kohlekraftwerk eine deutlich höhere Förderung erhielte als ein Gaskraftwerk, weil einfach die Investitionskosten in diesem Bereich deutlich höher sind. Finden Sie das richtig? Werden Sie daran festhalten, ein Kohlekraftwerk pro Megawatt installierter Leistung deutlich höher zu fördern als ein Gaskraftwerk? Ich frage dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass Sie gerade betont haben, dass Sie vor allem flexible Kraftwerke fördern wollen. Es ist allgemein bekannt, dass Gaskraftwerke deutlich flexibler sind als Kohlekraftwerke.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Sie haben auf einige sachliche Zusammenhänge zu Recht hingewiesen. Das Kraftwerksförderprogramm liegt noch nicht vor und kann überhaupt erst dann auf den Weg gebracht werden, wenn die Beihilfeleitlinien vorliegen. Deswegen möchte ich jetzt nicht über verschiedene Varianten spekulieren. Sie haben mit Ihrer Frage insofern recht, als die Chancen für eine Berücksichtigung der Gaskraftwerke bei den Ausschreibungen sehr hoch sein dürften. Aber die Grundlagen dafür gibt es jetzt noch nicht. Deswegen kann ich die Frage nicht abschließend beantworten. Bei den Gaskraftwerken stellt sich die gleiche Problematik: Wenn die Förderrichtlinien zu restriktiv ausgelegt werden, kann ihr Bau möglicherweise nur mit dem niedrigsten Satz gefördert werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Schwabe.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, interpretiere ich Sie jetzt richtig, dass Sie vor dem Hintergrund der Informationen, die Sie auf informellem Wege bekommen haben und nach denen man restriktiv vorgehen will, eine Förderung von Gaskraftwerken als hochflexible Kraftwerke mit einem geringeren spezifischen CO2-Ausstoß für eher mit dem vereinbar halten, was sich die Europäische Kommission vorstellt? Kann man Sie so interpretieren?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Nein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann kommen wir zur Frage 34 ebenfalls des Kollegen Krischer: Wird sich die Bundesregierung im Vermittlungsausschuss nach der Absage der Vattenfall Europe AG, das einzige CCSDemonstrations-Kohlekraftwerk in Deutschland zu bauen, neu positionieren - etwa ein CCS-Forschungsgesetz lediglich für prozessbedingte Emissionen aus der Industrie -, und falls nein, mit welchem Erfolg rechnet sie in der CCS-Technologie bei der Kohleverstromung in den kommenden Jahren vor dem Hintergrund, dass kein Unternehmen bereit ist, diese Technologie in Deutschland derzeit anzuwenden, und den offensichtlichen Bedenken und Risiken bezüglich der großtechnischen Verpressung von CO2?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Danke, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Kollege Krischer, die Bundesregierung wird sich für ein Vermittlungsergebnis einsetzen, das die weitere Erprobung und Demonstration der CCS-Technologie in Deutschland ermöglicht. CCS kann einen wichtigen Beitrag zum weltweiten Klimaschutz leisten. Ob CCS bzw. welche Teile der CCS-Prozesskette in Deutschland Anwendung finden werden, ist offen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Krischer, Ihre Nachfrage.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für diese Antwort, obwohl sie keine Antwort auf meine Frage war.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Doch.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir mussten erleben, dass Vattenfall das Projekt abgesagt hat. Damit ist das einzige CCS-Projekt in Deutschland hinfällig geworden. Meine Frage lautet: Welche Konsequenzen hat diese Absage für das laufende Vermittlungsverfahren bezüglich CCS? Wird das die Haltung der Bundesregierung auf irgendeine Weise beeinflussen? Ich frage das vor dem Hintergrund, dass man sich mit den Ländern auf eine gemeinsame Linie verständigen muss, wenn man in diesem Vermittlungsverfahren zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen möchte.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die Absage durch Vattenfall hat keine Konsequenzen für das Verfahren. Ich kann das gerne erläutern - dann wird vielleicht auch die Antwort auf eine vorhin gestellte Frage verständlicher -: Alles, was im Moment in der Kommission im Hinblick auf die Beihilfeleitlinien überlegt wird - das bezieht sich auf Ihre Frage -, deutet darauf hin, dass CCS-Readiness und sogar der tatsächliche Einsatz von CCS vorausgesetzt werden. Das Mindeste, was wir brauchen, um die erste Stufe, CCS-Readiness, zu erreichen, ist ein CCS-Gesetz. Deswegen brauchen wir ein solches Gesetz, unabhängig von der Frage, ob es, was die CO2-Speicherung angeht, tatsächlich zum Bau einer solchen Demonstrationsanlage kommt oder nicht. Insofern beantworte ich Ihre Frage, ob wir unseren politischen Kurs trotz der Absage von Vattenfall beibehalten, mit Ja. ({0}) Der Vermittlungsausschuss hat entschieden, dass wir jetzt in einer Arbeitsgruppe miteinander darüber sprechen und die unterschiedlichen Positionen der Länder und des Bundestages austauschen. Der Versuch einer Einigung wird gemacht; aber die eindeutige Haltung der Bundesregierung ist, dass wir ein solches CCS-Gesetz brauchen; das gilt auch im Hinblick auf die Gaskraftwerke, die der Kollege in der eben behandelten Frage angesprochen hat. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine zweite Nachfrage, Herr Krischer? Bitte.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Tatsache, dass Sie bei Ihrer Haltung bleiben, ist im Hinblick auf das Vermittlungsverfahren natürlich ein großes Problem; denn das führt zu keinem Ergebnis. Mich würde interessieren: In welchen Bereichen des CCS-Gesetzes, das zwar vom Bundestag beschlossen wurde, dem aber die Mehrheit des Bundesrates nicht zugestimmt hat, sehen Sie Bewegungsspielräume, um zu einer Einigung mit den Vertretern der Länder im Vermittlungsausschuss und in der Arbeitsgruppe zu kommen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Den Spielraum sehe ich in der Kraft der Vernunft, die ich allen politischen Kräften zuspreche; ({0}) an dieser Hoffnung halte ich jedenfalls fest. Es gibt zwei wichtige Gründe für das CCS-Gesetz. Der erste Grund ist, dass es bereits ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung der Richtlinie gibt. Der zweite Grund ist: Wir wollen gemeinsam erreichen - das gilt zumindest im Hinblick auf die Gaskraftwerke für sehr viele in diesem Hause -, dass wir ein solches Kraftwerksförderprogramm auflegen können, um hier die Energiewende zu gestalten. Dieses Programm würde gerade den Vorrang für die Stadtwerke und die kleinen Betreiber sicherstellen und damit die Stärkung des Wettbewerbs ermöglichen. Aber das setzt ein CCSGesetz voraus. Wenn man die beiden Dinge betrachtet - das Vertragsverletzungsverfahren, das gegen Deutschland läuft, und das Kraftwerksförderprogramm -, stellt man fest, dass wir die Beihilfefähigkeit eines solchen Kraftwerksförderprogramms brauchen. Ich hoffe auf die Vernunft aller Beteiligten im Vermittlungsausschuss, zu sagen: Wir finden eine Lösung, die der Richtlinie entspricht, die den Beihilfeleitlinien entspricht und die ein Vertragsverletzungsverfahren von der Bundesrepublik Deutschland abwendet.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Nestle hat eine Nachfrage.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, finden Sie, es zeugt von Vernunft, wenn sich die Bundesregierung auf die Position zurückzieht, dass sie in einem Vermittlungsverfahren keinerlei Änderung ihrer Position anbringen muss, sondern lediglich die anderen ihre Meinung zu ändern haben?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ich könnte Ihre Frage mit Ja beantworten. Ich will aber freundlicherweise Folgendes hinzufügen: Es gehört zum Stil des Deutschen Bundestages, dass wir die Sachen, die in den Arbeitsgruppen und im Vermittlungsausschuss besprochen werden, nur dort besprechen und dass wir das nicht vor dem Forum der Fragestunde machen. Ich glaube, es dient dem Vermittlungsergebnis, wenn jeder mit der Kraft der Vernunft, seinen guten politischen Überzeugungen und dem Willen, ein Vertragsverletzungsverfahren abzuwenden und eine Grundlage für eine beihilferechtliche Förderung von flexiblen und effizienten Kraftwerken zu schaffen, in diese Runde hineingeht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Ott.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Hintze, Sie sind zwar nicht der Kollege Otto - wie auf der Medienwand angekündigt -, aber Sie sind sehr sachkundig. Deshalb reicht mir das, was Sie ausgeführt haben, noch lange nicht. Deswegen noch einmal nachgefragt: In welcher Form wollen Sie versuchen, ein CCS-Gesetz in Deutschland durchzubringen? Kann es nicht doch sein, dass Sie sich verrannt haben, in eine Sackgasse geraten sind und nun einfach abspecken müssen, indem Sie ein Gesetz, das nur für Forschungsangelegenheiten gültig wäre, anvisieren?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Präsidentin, ich sehe, dass der Name des Redners an der Medienwand nun geändert worden ist. Schönen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Verwechslung ist sicherlich nicht absichtlich gewesen. Wir sehen es ja auch.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Es ist auch eigentlich nicht möglich. ({0}) Verehrter Herr Kollege Dr. Ott, wenn Sie einen Blick in die Richtlinie werfen, die Grundlage für unser Gesetz ist, dann stellen Sie fest, dass die Richtlinie zwar einen völligen Ausschluss von CCS erlaubt, aber sie erlaubt ausdrücklich kein Gesetz, das nur auf die Forschung bezogen ist. Dafür gibt es eigene Vorschriften. Wir haben in Deutschland bereits eine Forschungsanlage, das heißt, wir könnten es ganz ausschließen, aber dann würden wir auch alles andere ausschließen, was ich eben angesprochen habe. Ich weiß nicht, ob Sie das wollen. Die Bundesregierung möchte jedenfalls die flexiblen und hocheffizienten Kraftwerke fördern, und dazu brauchen wir ein CCS-Gesetz. Wir suchen einen Weg - ich weiß nicht, ob Sie zustimmen können, aber viele andere sollen dann zustimmen können -, die Vorgaben der Richtlinie einzuhalten. Ich habe die Hoffnung, dass uns das gelingt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin Steiner.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund Ihrer Antwort auf die Frage meiner Kollegin Nestle in Bezug auf die Kraftwerksförderung möchte ich es noch einmal genau wissen, weil für mich nicht eindeutig war: Können Sie definitiv ausschließen, dass Sie Kohlekraftwerke stärker fördern als Gaskraftwerke?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Da das Förderprogramm noch nicht vorliegt - wir haben nur die Beihilferichtlinie -, kann ich weder etwas ein- noch etwas ausschließen. Es kommt auch nicht darauf an, sich auf tausend theoretische Formen zu beziehen. Wenn Sie sich das Kraftwerksförderprogramm und die leitenden Ideen betrachten, stellen Sie fest, dass es ausgeschrieben werden muss, es muss Flexibilität haben, das heißt, es muss schnell hoch- und wieder runterfahren können. All das muss gewährleistet sein. Am Ende des Tages werden wir wahrscheinlich zu keinem unterschiedlichen Urteil kommen, wenn es darum geht, wer durch das Kraftwerksförderprogramm gefördert wird. Das Kraftwerksförderprogramm ist technologieoffen angelegt. Mehr kann ich Ihnen zum heutigen Zeitpunkt schlicht nicht sagen, weil es das Programm noch gar nicht gibt. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein, Sie haben keine zweite Frage.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Welche Angaben macht die Bundesregierung über die 2010 bis 2011 genehmigten deutschen Rüstungsexporte nach Griechenland sowie griechische Zahlungen dafür, und welche Bemühungen unternahm die Bundesregierung, um im Rahmen der Verhandlungen über internationale Finanzhilfen entweder Griechenland zum Sparen bei Kriegswaffen- und anderen Rüstungsimporten zu bewegen oder ganz im Gegenteil Rüstungsexporte aus Deutschland und anderen EU-Staaten von den Sparauflagen auszunehmen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Präsidentin! Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung berichtet in dem am 7. Dezember veröffentlichten Rüstungsexportbericht über die im Jahre 2010 erteilten Genehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Griechenland. Im Jahr 2010 wurden 103 Ausfuhrgenehmigungen erteilt, die Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter im Gesamtwert von 35 799 664 Euro betrafen. Diese umfassten die Ausfuhrlistenpositionen A0002, A0003, A0004, A0005, A0006, A0009, A0010, A0011, A0014, A0016, A0017, A0018 und A0021. Angaben für das Jahr 2011 werden im nächsten Rüstungsexportbericht erscheinen. Zu den Zahlungen, die Griechenland an deutsche Unternehmen für in Deutschland gekaufte Rüstungsgüter geleistet hat, liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. Im Rahmen der Verhandlungen über internationale Finanzhilfen an Griechenland wurden keine Beschlüsse zu konkreten Projekten bzw. einzelnen Haushaltspositionen gefasst. Auch zu Fragen der Rüstungspolitik wurden keine konkreten Festlegungen getroffen. Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, dass auch der Rüstungsbereich von den umfassenden Sparmaßnahmen der griechischen Regierung, deren Einhaltung Voraussetzung für die Auszahlung der nächsten Kredittranche ist, betroffen sein wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Ströbele, eine Nachfrage?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, danke. - Sie haben mal wieder die Frage nicht beantwortet, jedenfalls den zweiten Teil nicht: Hat sich die Bundesregierung in den Verhandlungen mit bzw. über Griechenland, an denen sie auch beteiligt war, dafür eingesetzt oder darum bemüht, dass Griechenland im Rahmen der Sparauflagen, die Griechenland gemacht worden sind und wo penibelst - durch immer neue Untersuchungen und Kommissionen - darauf geachtet wird, dass sie auch eingehalten werden, gerade bei Rüstungsimporten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern spart, das heißt, keine Rüstungsgüter mehr einführt, weil es kein Geld dafür hat? Mindestens deshalb.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die sicherheitspolitischen Entscheidungen Griechenlands liegen in der autonomen Entscheidung der griechischen Regierung. Mir ist nicht bekannt, dass im Zusammenhang mit den entsprechenden Beratungen auf diesem speziellen Sektor eine im Sinne Ihrer Frage liegende Vereinbarung getroffen wurde.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben das Wort zu Ihrer zweiten Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben die Fragen wieder nicht beantwortet.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Doch.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hat sich die Bundesregierung bemüht, dass die griechische Regierung veranlasst wird - wie und wo auch immer -, Rüstungsimporte aus Deutschland und anderen europäischen Staaten - jedenfalls solange Griechenland sparen muss - nicht mehr durchzuführen? Das kann man doch - ganz einfach - mit Ja oder Nein beantworten.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ganz so einfach ist es nicht. Ich habe ausgeführt, dass sich die Sparanstrengungen auf den gesamten griechischen Haushalt beziehen. Mir ist nicht bekannt, dass es eine Bemühung speziell zu dem von Ihnen angesprochenen Sektor gibt. Das hatte ich eben schon ausgeführt, aber ich sage es gerne noch einmal.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann sind wir bei Frage 36 des Kollegen Weinberg, die schriftlich beantwortet wird. Das gilt ebenso für die Fragen 37 und 38 des Kollegen Koenigs, die schon den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes betreffen, sowie für die Fragen 39 und 40 des Kollegen van Aken.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Frage 41 des Kollegen Paul Schäfer: Aus welchen Gründen ist die Bundesregierung bzw. das Auswärtige Amt, wie im Rüstungsexportbericht 2010 angeführt, zu der Auffassung gelangt, dass der Export von „Flugkörper({0}) und Teile({1}) für Minenräumsysteme, Flugkörper({2}), Torpedos“ und „Kommunikationsausrüstung“ nach Pakistan vereinbar ist mit dem Kriterium 4 des Gemeinsamen Standpunktes des EU-Rates betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern? Zur Beantwortung steht die Staatssekretärin Cornelia

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Frau Präsidentin! Herr Kollege Schäfer! Gemäß Kriterium 4 des Gemeinsamen Standpunktes verweigern die Mitgliedstaaten „eine Ausfuhrgenehmigung, wenn eindeutig das Risiko besteht, dass der angegebene Empfänger die Militärtechnologie bzw. die Militärgüter, die zur Ausfuhr bestimmt sind, zum Zwecke der Aggression gegen ein anderes Land oder zur gewaltsamen Durchsetzung eines Gebietsanspruchs benutzt“. In keinem dieser Ausfuhrfälle bestand ein derartiges Risiko. Die gelieferten Rüstungsgüter bewirkten keine Aufrüstung Pakistans. Bei allen Genehmigungen wurde darauf geachtet, dass es sich um Systeme handelt, die defensiv wirken und nicht kampfwertsteigernd ausgelegt sind bzw. keinen zahlenmäßigen Aufwuchs beinhalten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schäfer, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Wie Sie zu Recht sagen, Frau Staatsministerin, hebt das Kriterium 4 auf „das Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konflikts zwischen dem Empfängerland und einem anderen Land“ und auf „Ansprüche auf das Hoheitsgebiet eines Nachbarlandes, deren gewaltsame Durchsetzung das Empfängerland in der Vergangenheit versucht bzw. angedroht hat“ ab. Hinzu kommt die Frage der regionalen Stabilität. Das trifft meines Erachtens in einem sehr hohen Maße auf das indisch-pakistanische Verhältnis zu; Stichwort „Kaschmir-Konflikt“. Meine Frage lautet deshalb: Wie kann es passieren, dass dieses Kriterium bei der Genehmigung von Waffenlieferungen an Pakistan ausgeblendet wird?

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Das schätzen wir anders ein. Die Beziehung Indiens zu Pakistan hat sich im Verlauf des Jahres 2011 auf vielen Politikfeldern deutlich verbessert. Es gibt umfassende Entspannungsbemühungen. Nicht nur in außenpolitischer, sondern auch in handelspolitischer Hinsicht sind gemeinsame Maßnahmen festzustellen. Neben den Außenministern und Staatssekretären führen auch die Handelsminister und Staatssekretäre einen vertieften hochrangigen politischen Dialog. Beide Seiten bekennen sich weiterhin zu einer Annäherung. Insofern kann ich Ihre Befürchtungen abmildern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine zweite Nachfrage, Herr Schäfer?

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. Danke. - Nun gehören zu diesen genehmigten Rüstungsgütern auch Kriegswaffen wie Torpedos und Flugkörper. Meine Nachfrage lautet: Können Sie definitiv ausschließen, dass diese Waffen, wenn es zu einer Eskalation zwischen Indien und Pakistan käme, eingesetzt würden? Gibt es mit dem Empfängerland Pakistan entPaul Schäfer ({0}) sprechende Vereinbarungen, dass diese Waffen nicht eingesetzt werden dürfen?

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Erstens. Wir gehen, wie ich schon sagte, nicht von einer Eskalation zwischen Pakistan und Indien aus, sondern eher von einer Deeskalation. Ich bitte Sie zweitens, zur Kenntnis zu nehmen, dass Deutschland eine verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik betreibt und sich natürlich an die festgelegten internationalen Kriterien hält.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Frage 42 des Kollegen Schäfer: Welche Hindernisse sieht das Auswärtige Amt für die Durchführung von Endverbleibskontrollen für aus Deutschland gelieferte Rüstungsgüter im Empfängerland durch Personal aus Deutschland?

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Kollege Schäfer, die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 19. Januar 2000 sehen eine Prüfung des Endverbleibs vor Genehmigungserteilung vor. Durch die Ex-ante-Prüfung wird von vornherein gesichert, dass Rüstungsgüter nicht an Empfänger geliefert werden, bei denen die Gefahr besteht, dass die Güter umgeleitet werden. Wenn Zweifel am gesicherten Endverbleib beim Empfänger bestehen, werden Ausfuhranträge abgelehnt. Nur in wenigen Einzelfällen ist eine Umleitung bekannt geworden. Die Bundesregierung hält das derzeitige Verfahren der Endverbleibskontrolle für ausreichend. Die Durchführung von Endverbleibskontrollen im Empfängerland durch Amtspersonen aus Deutschland - ich bringe das vor dem Hintergrund gemachter Erfahrungen zum Ausdruck - sind aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt und auch problematisch; so wären diese völkerrechtlich überhaupt nur mit Zustimmung des Empfängerlandes möglich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kollege Schäfer, eine Nachfrage? - Bitte.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ob das derzeitige Verfahren der Endverbleibskontrolle wirklich so zuverlässig und wasserdicht ist, mag man mit Blick auf immer wieder verbreitete Meldungen über auftauchende deutsche Waffen in bestimmten Krisengebieten bezweifeln. Das lasse ich jetzt aber erst einmal. Ich habe gefragt: Welche Hindernisse sieht das Auswärtige Amt für die Durchführung von Endverbleibskontrollen … im Empfängerland durch Personal aus Deutschland? Sie wissen wahrscheinlich, dass die USA dies praktizieren. Die USA machen das über Botschaftsangehörige. Es gibt sogar eine eigene Behörde dafür. Warum führt die Bundesrepublik Deutschland solche Inspektionen in den Empfängerländern nicht durch?

Not found (Gast)

In meiner Antwort auf die Frage habe ich bereits gesagt, Herr Abgeordneter Schäfer, dass die Durchführung von Endverbleibskontrollen durch Personal aus Deutschland der Mitwirkung der Behörden des Empfangsstaates bedarf. ({0}) Eine einmalige Kontrolle wäre aus unserer Sicht nicht ausreichend. Hinzu kommt, dass bei Mischempfängern, also Firmen, die sowohl zivile als auch militärische Produkte herstellen, der Nachweis der Nutzung für die Produktion für militärische Zwecke nur schwer zu führen ist. Bei den USA ist es in der Tat so, wie Sie sagen. Die Vereinigten Staaten von Amerika führen teilweise derartige Endverbleibskontrollen durch. Die Bundesregierung verfügt jedoch über keine speziellen Erkenntnisse bezüglich der Effizienz dieser Kontrollen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Bitte sehr.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wäre es denn Ihrer Meinung nach zumindest sinnvoll, eine Art Berichterstattungspflicht des Empfängerlandes über den Verbleib der gelieferten Güter zu verlangen? Ja oder nein? Das wäre ja unterhalb der Schwelle einer Inspektion durch Deutsche im Empfängerland. Es wäre lediglich eine Berichterstattungspflicht, die man abverlangt, wenn man Rüstungsgüter geliefert hat.

Not found (Gast)

Bisherige Erfahrungen im Einzelfall - ich sagte ja, dass versucht wurde, Personal aus Deutschland einzusetzen - haben einen sehr hohen organisatorischen, finanziellen und personellen Aufwand belegt. Dieser ist aus unserer Sicht, aus Sicht der Bundesregierung, nicht gerechtfertigt. Ich will noch einmal deutlich machen, dass jedes Land, in das Rüstungsgüter geliefert werden, eine Erklärung abgeben muss, in der es deutlich macht, welche Bedingungen bestehen und dass es zur Einhaltung dieser verpflichtet ist. Wenn dieser Erklärung zuwider gehandelt wird, ist das natürlich ein konkreter Anlass für die Bundesregierung, zu handeln und die Genehmigung zurückzuziehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Fragen 43 und 44 der Kollegin Vogler werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 45 und 46 des Kollegen Hunko werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Fragen 47 und 48 der Kollegin Buchholz, die Fragen 49 und 50 der Kollegin Dağdelen sowie die Fragen 51 und 52 der Kollegin Beck werden schriftlich beantwortet. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Frage 53 des Kollegen Hofreiter, die Frage 54 der Kollegin Müller-Gemmeke sowie die Fragen 55 und 56 der Kollegin Zimmermann werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 57 des Kollegen Memet Kilic auf: Hat die Bundesregierung Hinweise darauf, dass Beate Zschäpe entweder Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt während ihres Untertauchens geheiratet hat, und wenn ja, ist der Bundesregierung bekannt, wie die beiden Eheleute alle für die Eheschließung notwendigen Dokumente beschafft haben? Zur Beantwortung steht bereit der Kollege Staatssekretär Schröder.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Herr Abgeordneter Kilic, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über eine Heirat von Beate Zschäpe mit Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt vor.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kilic, eine Nachfrage?

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, in der Sitzung des Innenausschusses am 21. November 2011 hat sogar der Bundesinnenminister deutlich gemacht, dass einer der Getöteten des Terrortrios einen gefälschten Ausweis, möglicherweise einen gefälschten Pass, besaß. Das Bild des Terroristen gelangte in einer Behörde in diesen Pass. Wissen Sie, bei welcher Behörde das Bild des Terroristen in den Pass gelangte, der für eine andere Person beantragt war?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Es handelt sich hier um laufende Ermittlungsverfahren. Zu dieser konkreten Frage kann ich Ihnen nichts sagen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kilic, eine weitere Nachfrage?

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn so etwas passiert ist - der Herr Innenminister hat dies ja bestätigt -, muss ja gegen diese Behörde bzw. gegen Angestellte dieser Behörde ermittelt werden. Wird so eine Ermittlung durchgeführt? Ja oder nein?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich kann Ihre Schlussfolgerung nicht nachvollziehen, dass gegen eine Behörde ermittelt werden soll, die getäuscht wurde. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kilic, eine dritte Nachfrage können Sie leider nicht stellen. Wir kommen zur Frage 58, ebenfalls vom Kollegen Kilic: Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Verfassungsschützer gleichzeitig in Schützenvereinen als Mitglieder registriert sind?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, wie viele Verfassungsschützer gleichzeitig in Schützenvereinen als Mitglieder registriert sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kilic, eine Nachfrage?

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz oder die Landesämter für Verfassungsschutz nicht so viele Informationen über Rechtsradikale haben, müssten sie wenigstens Informationen über eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. In Hessen ist jetzt herausgekommen, dass ein Verfassungsschützer an dem Tag im Jahr 2006 anwesend war, als Herr Halit Yozgat in einem Internetcafé getötet wurde. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung hat man rechtsradikale Schriften gefunden. In seinen „fröhlichen“ Jahren wurde er „Kleiner Adolf“ genannt. All diese Dinge waren dem Landesverfassungsschutz in Hessen nicht bekannt. Deshalb die Frage: Wenn die Bundesregierung und die Behörden nicht über genügend Informationen zu Rechtsradikalen verfügen, sollten sie dann nicht wenigstens Informationen über die Mitarbeiter der Landesämter für Verfassungsschutz und des Bundesamtes für Verfassungsschutz haben? Dazu gehören natürlich auch Vereinsmitgliedschaften.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Selbstverständlich überprüft insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz, ob die Mitarbeiter verfassungstreu sind. Aber es ist nicht möglich, aufgrund einer Mitgliedschaft in einem Verein, zum Beispiel in einem Schützenverein, die Schlussfolgerung zu ziehen, dass jemand nicht verfassungstreu ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kilic, eine zweite Nachfrage?

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Das war auch nicht die Frage. Vielmehr geht es darum: Das Bundesamt für Verfassungsschutz oder die Landesämter für Verfassungsschutz müssen wissen, welche eigenen Mitarbeiter bei einem Verein, irgendeinem Verein, Mitglied sind. Da wir diese Frage mehrfach gestellt haben - am 21. November dieses Jahres, am 30. November dieses Jahres im Innenausschuss und dann noch schriftlich -, Sie aber bis heute nicht wissen, wie viele Verfassungsschützer in Schützenvereinen organisiert sind, muss ich sagen: Das ist ein Manko der Bundesregierung. Ist es nicht so?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Sie unterstellen, dass jeder, der Mitglied in einem Schützenverein ist, offensichtlich nicht verfassungstreu ist, ({0}) oder Sie unterstellen, dass die entsprechenden Personen nicht beim Bundesamt für Verfassungsschutz arbeiten sollten. ({1}) Diese Schlussfolgerungen können wir nicht teilen. Entscheidend ist, dass die Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz verfassungstreu sind. Darauf werden sie überprüft.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, die Frage des Kollegen Kilic gibt mir Gelegenheit, zu einem anderen Sachverhalt nachzufragen. Ich frage also nicht nach Verfassungsschützern. Sie haben in den letzten Tagen Anfragen von Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion zum Thema Legaler Waffenbesitz und zum Besitz einer entsprechenden Erlaubniskarte durch Rechtsextreme beantwortet. Zugegebenermaßen: Mich überrascht nicht mehr viel in diesem Bereich. Aber die Anzahl legaler Waffen, die einschlägig bekannte Rechtsextreme, zum Teil sogar als gewaltbereit bekannte Rechtsextreme, besitzen, zum Beispiel im Bundesland Sachsen, hat mich doch überrascht. Deshalb meine Frage: Haben Sie Kenntnis davon, dass Behörden des Bundes oder der Länder in den vergangenen Jahren - auch auf der Grundlage der Veränderungen im Waffenrecht, die wir sowohl im Jahre 2003 als auch in den nachfolgenden Jahren vorgenommen haben - Hinweise zum Beispiel an Schützenvereine bzw. Sportvereine gegeben haben, dass diejenigen, welche eine solche Erlaubnis beantragt haben, nicht den Kriterien der Zuverlässigkeit nach § 5 des Waffengesetzes entsprechen?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Für die Ausführung des Waffengesetzes sind die Länder zuständig. Die Behörden, die dafür zuständig sind, müssen selbstverständlich die Zuverlässigkeit desjenigen, der beantragt, eine Waffe führen zu dürfen, überprüfen. Hierfür sind Erkenntnisse darüber, ob jemand beispielsweise Mitglied einer rechtsextremistischen Vereinigung ist, natürlich dringend notwendig.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Frage 59 des Kollegen Montag: Welche Bedeutung misst die Bundesregierung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, insbesondere der Entscheidung „Partidul Comunitilor ({0}) und Ungureanu gegen Rumänien“ ({1}), bei der Bewertung der Validität der in einem neuen NPD-Verbotsverfahren vorzulegenden Beweise und der Bewertung seiner Erfolgsaussichten bei?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Sehr geehrter Herr Kollege Montag, im Rahmen der Prüfung eines NPD-Verbotsantrags prüft die Bundesregierung alle in diesem Zusammenhang maßgeblichen Aspekte. Hierzu gehören auch die Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention einschließlich der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind diese Anforderungen von allen staatlichen Organen auch bei der verfassungsrechtlichen Würdigung der relevanten Sachverhalte zu berücksichtigen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Montag, eine Nachfrage?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte sehr.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Staatssekretär. Es freut mich, dass die Bundesregierung das so sieht; denn wenn wir uns gemeinsam um einen Verbotsantrag bemühen wollen, dem wir selbst große Erfolgschancen beim Bundesverfassungsgericht einräumen, dann müssen wir uns auch mit dieser Rechtsprechung beschäftigen. In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage an Sie. Mögliche Antragsteller für ein solches Verfahren sind der Bundestag, die Bundesregierung und der Bundesrat. Beim letzten Mal haben diese drei Verfassungsorgane den Antrag gemeinsam gestellt. Der Bundestag verfügt aber über keinerlei Möglichkeiten, das Material zu beschaffen, das zur Untermauerung eines solchen Antrags notwendig ist. Dies ist Aufgabe der Bundesregierung. Wird die Bundesregierung im Falle eines erneuten Anlaufs dem Bundestag, uns Abgeordneten, vor einem Antrag das gesammelte Material zur Verfügung stellen, damit wir eine informierte Entscheidung darüber treffen können,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ob wir uns einem solchen Verfahren anschließen wollen oder nicht?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Zunächst einmal wird ja überprüft, welche genauen Anforderungen aufgrund der neuesten Rechtsprechung, aber auch aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erforderlich sind. Diese Anforderungsliste werden wir selbstverständlich auch dem Bundestag zur Verfügung stellen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Frage 60 der Kollegin Pau: Welche Erkenntnisse wurden in der Datei „Rechtsextremistische Kameradschaften“ erfasst, und aus welchen Gründen wurde die Datei 2010 gelöscht?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Eine Datei mit der nachgefragten Bezeichnung ist der Bundesregierung nicht bekannt. Zum Zwecke einer optimierten Aufklärung und Auswertung von Informationen über neonazistische Gruppierungen, darunter auch Kameradschaften, betreiben das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der Länder seit 2009 ein gemeinsames Auswertungsprojekt, mit dem Ziel, die zunehmende Bedeutung des neonazistischen Spektrums als treibende Kraft im Rechtsextremismus einer verstärkten Aufklärung und Analyse zuzuführen. Die Ergebnisse werden seit 2010 in einer temporären Arbeitsdatei zusammengefasst.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Pau, eine Nachfrage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich wüsste gerne: Erkenntnisse welcher Art werden in dieser temporären Arbeitsdatei zusammengefasst, das heißt, geht es nur um Kameradschaften oder auch um weitere Gruppierungen? Geht es auch um Straftaten, bis hin zu Gewalttaten, die aus diesen Gruppierungen heraus begangen werden? Werden dort beispielsweise auch Erkenntnisse über Waffen und Sprengstoff erfasst?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

In dieser Datei geht es insbesondere um Kameradschaften, um informelle Gruppen und auch um sogenannte autonome Nationalisten sowie darum, inwieweit sie sich organisieren und welche Rolle die Einzelnen spielen. Hierbei werden die Informationen der Landesämter und des Bundesamtes für Verfassungsschutz zusammengeführt, um ein entsprechendes Bild zu erhalten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Pau, Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Ich habe das Programm zur Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalt des Bundesinnenministeriums zur Kenntnis genommen. Dort heißt es unter Punkt 9: „Kameradschaften überprüfen“, und es wird hier in diesem Monat offensichtlich eine neue Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft eingerichtet. Ich wüsste jetzt gerne: In welchem Verhältnis steht dieses neue Gremium mit seinen Möglichkeiten zu der von Ihnen erwähnten Gruppe und der temporären Datei, bzw. ersetzt dieses neue Gremium das Ganze, und werden die Ergebnisse der bisherigen Arbeit dorthin überführt?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Das Letztere ist richtig. Das Auswertungsprojekt wird künftig im gemeinsamen Abwehrzentrum „Rechtsextremismus“ weitergeführt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Frage 61 der Kollegin Pau: Wie viele gewaltbereite Rechtsextremisten, gegen die wegen einschlägiger Straftaten ermittelt wurde, haben sich den Ermittlungen entzogen, und gegen wie viele wurde daraufhin Haftbefehl erlassen?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ein vom Bundeskriminalamt durchgeführter, nur rein automatisierter Abgleich der in der Datei „Gewalttäter rechts“ derzeit gespeicherten 950 Personen mit dem Fahndungsbestand hat ergeben, dass zehn dieser Personen zur Festnahme ausgeschrieben sind. Während in einem Fall die Festnahme zu Ausweisung und Abschiebung erfolgen soll, soll sie in den anderen neun Fällen der Strafvollstreckung dienen. Doch ist auch bei diesen neun Fällen nicht ersichtlich, ob der Haftbefehl wegen einer einschlägigen, das heißt politisch rechts motivierten Straftat oder einer Straftat aus der allgemeinen Kriminalität, zum Beispiel Unterhaltsentziehung, ausgesprochen worden ist. Das Bundeskriminalamt ist bereits an die Länder herangetreten, um die Haftbefehle gegen politisch rechts motivierte Täter zu verifizieren und auf ihre Vollständigkeit hin zu überprüfen sowie die Haftbefehle herauszufiltern, denen eine politisch motivierte Tat zugrunde liegt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Pau, Sie haben eine Nachfrage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie das jetzt mit den Ländern beraten haben bzw. mit ihnen verabredet haben, dass diesen Dingen jetzt nachgegangen wird? Wenn ja, wüsste ich gern, ob dann der Umkehrschluss richtig ist, dass bis zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens dieser Mordserie und unserer entsprechenden innenpolitischen Debatten das Untertauchen und Nichtauffinden solcher gesuchten Straftäter nicht als ernste Gefahr angesehen wurde, das heißt, bis zum Jahre 2011 eine solche Verabredung, dem nachzuspüren, nicht existierte?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Das ist nicht der Fall. Es ist lediglich die Frage, in welcher Datei was abgespeichert wird. Die Frage, ob vollstreckbare Haftbefehle abgespeichert sind, ist ja in der Vergangenheit immer sehr strittig diskutiert worden und wird natürlich auch bei der neuen Verbunddatei strittig sein. Auf der einen Seite wird argumentiert, im Sinne der Sicherheitsbehörden ist diese Information notwendig. Auf der anderen Seite wird argumentiert, Haftbefehl heißt noch lange nicht, dass gegen den Betreffenden etwas aus dem Bereich Rechtsextremismus vorliegt. Deshalb wird zum Teil eben die Auffassung vertreten, dass diese Haftbefehle nicht eingestellt werden sollen.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gut. Ich habe aber nicht nur nach Haftbefehlen gefragt, sondern auch nach Personen, denen entsprechende Dinge vorgeworfen werden, die jedoch aus dem Blickfeld der Behörden verschwunden sind. Da stellt sich für mich jetzt beispielsweise mit Blick auf die drei Herrschaften, über die wir zurzeit so intensiv reden und die seit dem Jahre 2001 aus dem Blickfeld der Behörden verschwunden sein sollen, noch einmal die Frage, ob ein solches Verschwinden in den letzten Jahren nicht als bedrohlich und nachforschenswert empfunden wurde.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Selbstverständlich ist ein Haftbefehl, der nicht vollstreckt werden kann, in vielen Fällen eine Bedrohung für die Sicherheit. Deshalb sind natürlich auch die Sicherheitsbehörden daran interessiert. In der Polizeidatei INPOL sind ja auch solche Dinge abgespeichert, aber eben nicht in der Datei „Gewalttäter rechts“. Wir werden jetzt überlegen, wie das bei der neuen Verbunddatei gehandhabt wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Wunderlich, bitte.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen bei Ihrer ersten Antwort von einem Abschiebehaftbefehl und neun Vollstreckungshaftbefehlen. Das hat ja mit laufenden Ermittlungen und Sich-den-Ermittlungen-Entziehen nichts zu tun. Insofern war die Antwort auf die Frage etwas daneben. Aber wenn Sie jetzt schon mit den Landesbehörden in Kontakt stehen, um zu ermitteln, wie viele Haftbefehle denn erlassen werden, dann möchte ich Sie doch darum bitten, dass in dem Kontext nicht nur festgestellt wird, wie viele Haftbefehle in diesem Bereich erlassen worden sind, sondern auch, wie viele vollstreckt worden sind, um zu wissen, in wie vielen Fällen tatsächlich eine Inhaftierung erfolgte und die Haftbefehle nicht außer Vollzug gesetzt wurden.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich habe die Frage der Abgeordneten Pau so verstanden, dass nach Erkenntnissen über nicht vollstreckte Haftbefehle gefragt und nicht über den Erlass von Haftbefehlen gesprochen wurde. Aber selbstverständlich ist die entscheidende Frage, welche Haftbefehle eben nicht vollstreckt wurden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kilic.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, diese Verbunddatei wird als Maßnahme vorgeführt, mit der man zukünftig solche Fälle besser handhaben kann. Aber in der heutigen Sitzung des Innenausschusses hat der Präsident des Bundesverfassungsschutzes die öffentliche Information bestätigt, dass man bei dem Terrortrio in der Vergangenheit zwischen 1998 und 2001 verschiedentlich kurz davorstand, es festzunehmen, aber die Aktionen unterbrochen wurden. Stimmen Sie mir zu, dass eine Verbunddatei nicht hilft, solange der Wille zur Inhaftnahme nicht vorhanden ist?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Die Sicherheitsbehörden haben mit Hochdruck gefahndet. Es kann überhaupt nicht die Rede davon sein, dass hier nicht der Wille bestand, Kriminelle zu verfolgen und festzunehmen. Aber selbstverständlich ist eine Verbunddatei, in der die Informationen der einzelnen Sicherheitsbehörden zusammengeführt werden, von allergrößter Bedeutung, wie die Frage der Abgeordneten Pau eben gezeigt hat. Gerade wenn man kritisiert, dass unter Umständen Informationen verloren gegangen sind und der Verfassungsschutz nicht über die Informationen verfügte, gegen wen ein vollstreckbarer Haftbefehl vorlag, gerade dann ist die Erkenntnis klar, dass wir eine Verbunddatei brauchen, in der genau solche Informationen eingestellt sind. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Fragen 62 und 63 des Kollegen Lemme werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 64 und 65 der Kollegin Hönlinger sind zurückgezogen worden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Schriftlich beantwortet werden ebenfalls die Fragen 66 und 67 des Kollegen Troost sowie die Fragen 68 und 69 der Kollegin Höll. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 70 und 71 des Kollegen Priesmeier werden schriftlich beantwortet. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen zur Frage 72. Der Kollege Paula ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Frage 73 der Kollegin Tackmann wird schriftlich beantwortet. Auch die Fragen 74 und 75 des Kollegen Seifert und die Frage 76 der Kollegin Marks werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 15. Dezember 2011, 9 Uhr, ein. Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten. Die Sitzung ist geschlossen.