Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/30/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ich begrüße Sie sehr herzlich. Die Sitzung ist eröffnet. ({0}) - Ich freue mich über den sympathischen und herzlichen Gruß. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Das Alter hat Zukunft - Forschungsagenda der Bundesregierung für den demografischen Wandel. ({1}) - Für meine Jahrgänge ist es wichtig, dies festzustellen. ({2}) Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Herr Thomas Rachel. Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages! Das Bundeskabinett hat heute die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung - es ist hier federführend tätig - vorgelegte Forschungsagenda der Bundesregierung für den demografischen Wandel „Das Alter hat Zukunft“ - der Herr Präsident hat das bereits zitiert - verabschiedet. Diese Forschungsagenda schließt an den Demografiebericht der Bundesregierung an, der am 26. Oktober im Kabinett beschlossen wurde, und markiert einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Demografiestrategie der Bundesregierung, die voraussichtlich im Frühjahr 2012 vorgestellt wird. Es ist das erste ressortübergreifende Forschungskonzept einer deutschen Bundesregierung zu diesem Thema. Alle bei diesem Thema betroffenen Ressorts waren hier einbezogen. Wir wissen, dass nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts die Bevölkerung in Deutschland, die heute rund 81 Millionen Menschen umfasst, bis zum Jahr 2060 auf 65 Millionen oder 70 Millionen sinken wird. Zugleich wird allerdings das Durchschnittsalter der Bevölkerung zunehmen. Beträgt heute der Anteil der über 65-Jährigen rund 21 Prozent, so wird der Anteil der 65-Jährigen und Älteren im Jahr 2060 bereits bei 34 Prozent liegen. Der Bevölkerungsrückgang auf der einen Seite und die Änderung der Altersstruktur auf der anderen Seite lassen sich natürlich nur wenig beeinflussen. Wir müssen jedoch die Umstände der demografischen Veränderungen aktiv gestalten. Die Politik kann gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft die Bedingungen dafür schaffen, dass sich Wohlstand und gesellschaftlicher Zusammenhalt auch unter sich verändernden demografischen Bedingungen positiv entwickeln. Wir bündeln die Aktivitäten in den Ressorts und wollen die Potenziale einer Gesellschaft des längeren Lebens nutzen. Ziel ist es, durch Forschung und Entwicklung neue Lösungen, Produkte und Dienstleistungen voranzutreiben, die die Lebensqualität der Menschen, aber auch die gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen verbessern. Auf diese Weise sollen zum Wohle aller Generationen wertvolle und bislang nur unzureichend genutzte Potenziale gehoben werden, die bisher noch verborgen geblieben sind. Im Mittelpunkt der Forschungsagenda stehen die Handlungsfelder, die für ältere Menschen von besonderer Bedeutung sind und von denen wir glauben, dass Forschung und Innovation hier einen wichtigen Beitrag leisten können: Mobilität und Kommunikation, längere Beschäftigungsfähigkeit, Wohnen, Gesundheit und Pflege, aber auch gesellschaftliches und kulturelles Engagement. Was sind die Kernpunkte? Wir haben bereits im „Rahmenprogramm Gesundheitsforschung“ einen Schwerpunkt auf die Verbesserung der Prävention, der Diagnose und der Therapie von Krankheiten gelegt, gerade wenn diese Krankheiten im Zusammenhang mit dem Alter auftreten. Diesen Weg werden wir weiter verfolgen. Darüber hinaus richten wir unser Augenmerk besonders auf demenzielle Erkrankungen sowie auf die Unterstützung von Pflegebedürftigen und die Entlastung von Pflegenden, zum Beispiel mit der Zukunftswerkstatt Demenz und dem Modellprogramm zur Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger. Wir richten auch das Programm „Informations- und Kommunikationstechnologie 2020“ entsprechend aus: Wir wollen diese Techniken nutzen, um die gesellschaftliche Teilhabe gerade älterer Menschen zu unterstützen und die Wohn- und Lebensräume altersgerecht zu gestalten. Schließlich fördern wir die Entwicklung neuartiger Lösungen zur Anpassung kommunaler und sozialer Infrastrukturen. In Forschungsprojekten und Modellversuchen werden Themen wie „öffentlicher Personenverkehr“, „Verkehrsinfrastruktur“ und „Mobilität im Alter“ adressiert. Schließlich werden die Forschungsprogramme zum lebenslangen Lernen, zur Arbeitsplatzgestaltung, zur Produktionstechnologie und zu innovativen Dienstleistungen so weiterentwickelt, dass ältere Menschen künftig ihr Wissen und auch ihre Lebenserfahrung noch besser und länger in die Gesellschaft einbringen können, sei es nun beruflich, privat oder im Ehrenamt. Wir werden das Rahmenprogramm „Geistes- und Sozialwissenschaften“ verstärken und hier auch Grundsatzfragen einer älter werdenden Gesellschaft integrieren. Meine Damen und Herren, mit den genannten Maßnahmen will die Bundesregierung einen Impuls für Forschung und Entwicklung, für eine Gesellschaft des längeren Lebens setzen. Dabei spielen technologische Entwicklungen eine Rolle, aber nicht die alleinige: Soziale, ethische, rechtliche und andere gesellschaftliche Aspekte müssen in die Umsetzung innovativer Lösungen eingebettet werden. Wir haben es so vorgesehen, dass die Forschungsagenda zunächst auf einen Zeitraum von fünf Jahren - bis zum Jahr 2016 - ausgerichtet ist. Sie soll am Ende der Förderperiode evaluiert werden. Dann ist zu entscheiden, ob es eine Anpassung der operativen Ziele geben soll und ob die Forschungsagenda über das Jahr 2016 hinaus fortgesetzt werden soll. Herzlichen Dank.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Bevor wir nun mit der Befragung beginnen, erinnere ich an die berühmte Ein-Minuten-Regelung: Ich bitte Sie, sich bei den Fragen und Antworten auf jeweils eine Minute zu beschränken. Nach Ablauf der Minute wird ein Signal daran erinnern, zum Schluss zu kommen. Ich bitte, zunächst die Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. - Ich beginne mit Ihnen, Frau Kollegin Petra Sitte. Bitte schön.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, ich bin natürlich bestens vorbereitet. Insofern schaffe ich das in einer Minute. - Herr Staatssekretär, danke für den Vortrag. Ich beziehe mich auf den gesamten Bereich der pflegebedürftigen Menschen in diesem Land. Sie haben unter der Überschrift „Demografischer Wandel“ vor allem Technologien gefördert, insbesondere technische Unterstützungssysteme. Das ist das eine. Das andere ist aber, dass wir im Alltag einen Pflegenotstand erleben. Wir wissen, dass Fachkräfte fehlen. Wir wissen aber auch, insbesondere aus unserer kommunalpolitischen Arbeit, dass moderne Wohnverhältnisse für ältere Bürgerinnen und Bürger, vor allem für ältere Menschen mit Behinderung oder Handicap, fehlen. Wir wissen ferner, dass es einen großen Bedarf gibt, gute Arbeitsbedingungen für Pflegende im Bereich der Altenpflege zu schaffen. Deshalb halten wir es für notwendig, dass sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung auch der Erforschung sozialer Innovationen widmet. Deshalb frage ich Sie, ({0}) ob Sie in diesem Bereich investieren und bei den Forschungsaktivitäten auch neue Dienstleistungen in den Blick nehmen wollen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Staatssekretär.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Danke, Herr Präsident. - Liebe Frau Kollegin Dr. Sitte, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie die Bandbreite der Themen - von Wohnen über Arbeit bis zur Pflege - unterstrichen haben, die wir letztlich gemeinschaftlich adressieren wollen. Wir haben sehr wohl im Blick, dass technologische Assistenzsysteme selbstverständlich Pflegenden und zu Pflegenden helfen können, ihre Situation zu verbessern. Aber es werden auch soziale Gesichtspunkt in unsere Forschungsagenda aufgenommen. Ich darf hier beispielhaft unsere Förderlinie „Forschung an Fachhochschulen“ nennen, bei der es insgesamt um Pflegeforschung geht und wir ausdrücklich das Thema „Soziale Innovationen für Lebensqualität im Alter“ haben.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Nächster für die Unionsfraktion, Dr. Thomas Feist.

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen, dass in der Forschungsagenda auch soziale und ethische Komponenten eine wichtige Rolle spielen und dass bei sozialer Teilhabe vor allen Dingen auf Kommunikation abgehoben wird. Nun haben wir in diesem Jahr das Jahr der Gesundheitsforschung. Wo gibt es besondere Schwerpunkte, die sich mit diesem Themenbereich überschneiden?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Kollege Dr. Feist, das gesamte Themenfeld der Gesundheitsforschung ist eine der ganz großen Säulen der Forschungsagenda. Sie wissen, dass wir ein großes Gesundheitsforschungsprogramm auf den Weg gebracht haben, das unter der Federführung des BMBF läuft und bei dem wir in sachlicher und kollegialer Kooperation mit dem BMG zusammenarbeiten. Die Themenvielfalt ist riesig. Ich will deshalb mit Ihrem Einverständnis ein Beispiel herausgreifen, nämlich die Frage, wie wir Gesundheitsversorgung auch im ländlichen Raum gewährleisten können. Hier haben wir ein Forschungsprojekt, das in Nordbrandenburg, also in den neuen Ländern - Sie kommen aus den neuen Ländern -, im Rahmen der Aktion „Gesundheitsregionen der Zukunft“ durchgeführt wird. Anhand der kardiologischen Versorgung im strukturschwachen ländlichen Raum Nordbrandenburgs wird ein neues Betreuungsmodell für Gebiete ohne dort ansässige Fachärzte entwickelt und anschließend wissenschaftlich evaluiert. Ziel ist es natürlich, aus solchen Projekten Erfahrungen zu sammeln, die auch auf andere ländliche Regionen übertragen werden können.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Nächster Fragesteller, Kollege Franz Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, dass das, was in den einzelnen Ministerien bisher zu Senioren, AuS, Wohnen und Stadtentwicklung, Gesundheit und Pflege, Verbraucherschutz und Verkehrssicherheit unter dem Gesichtspunkt der Interessenlage der Älteren erforscht worden ist, nicht mehr in den einzelnen Ministerien erforscht wird, sondern im Wissenschaftsministerium zusammengefasst wird. Sie sagen, das solle in den nächsten fünf Jahren zu Ergebnissen führen. Sie kündigen für das nächste Frühjahr eine Demografiestrategie an. Daraus ergibt sich für mich die Frage: In welchem Verhältnis steht sie zur Forschungsagenda, die Sie beschrieben haben? Besteht die Agenda der Bundesregierung darin, dass sie in den nächsten fünf Jahren forscht oder forschen will? Falls die Ergebnisse davon noch nicht vorliegen: Wie belastbar und wie aussagestark wird dann die Strategie sein, die im Frühjahr nächsten Jahres auf den Tisch gelegt wird?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Bundestagsabgeordneter Müntefering - ({0}) - Darf ich noch antworten? Gut.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir machen jetzt die Maschine aus. ({0})

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Kollege Müntefering, die Demografiestrategie, die die Bundesregierung ausgehend von ihrem Bericht, der im Oktober im Kabinett behandelt worden ist, im Frühjahr beraten wird, ist sehr viel breiter angelegt. Sie wird sozialpolitische Themen aufgreifen, was Sie in Ihrem federführenden Ausschuss sicherlich intensiv diskutieren werden. Sie wird sicherlich rechtliche Aspekte sehr viel stärker in den Mittelpunkt rücken. Ich nenne zum Beispiel das Thema Altersdiskriminierung. Was kann bzw. was muss eine Gesellschaft tun, um Altersdiskriminierung zu verhindern? Wo liegen gegebenenfalls Aufgaben des Gesetzgebers? Das Thema unserer Forschungsagenda ist insofern ein wichtiger Baustein, aber wahrlich nicht die gesamte Demografiestrategie. Vielmehr fragen wir, was neben sozialpolitischen und zivilgesellschaftlichen Aktivitäten aus der Forschung an Lösungsansätzen angeboten werden kann, um beispielsweise die Mobilität von Älteren in unserer Gesellschaft zu erhalten. Welche Möglichkeiten können wir für Ältere schaffen, damit sie in ihren vertrauten Wohnräumen bleiben können und trotzdem die Sicherheit haben, dass sie beispielsweise über ein Notrufsystem ärztliche Unterstützung bekommen, falls ihnen etwas passieren sollte? Das sind Fragen, die wir in den Forschungsprojekten untersuchen werden.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Fragestellerin, Frau Kollegin Tabea Rößner.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, es gibt die EU-Initiative zu Forschungsprogrammen im Bereich „Länger und besser leben - Möglichkeiten und Probleme des demografischen Wandels“. Meine Frage bezieht sich darauf: Wie ist es eingebettet, und wie erfolgt die Abstimmung mit den Forschungsergebnissen aus anderen Ländern, um die Fragmentierung der Forschungsanstrengungen der Mitgliedstaaten, wie es dort formuliert ist, zu verhindern? Darüber hinausgehend stellt sich mir die Frage, wie bisherige Erkenntnisse einfließen können. Beispielsweise im Bereich der Gesundheitsprävention muss man Langzeitstudien heranziehen. Wie betten Sie diese ein? Als Letztes noch eine Frage zu dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. Auch auf diesem Gebiet wollen Sie Forschungsprojekte vorantreiben. Ich nenne die Stichworte „50 plus“ und „IT-basierte Dienstleistungskonzepte“. Wie soll das erfolgen? Wie sollen sich diese Konzepte angesichts der Tatsache durchsetzen, dass der demografische Wandel sich gerade im ländlichen Raum auswirkt und eine BreitbandGrundversorgung dort nicht gegeben ist?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin, Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich Ihre Fragen - es waren mindestens vier - nicht in einer Minute beantworten kann. Ich werde mir aber redlich Mühe geben, zumindest einen Teil abzuarbeiten. Sie haben recht: Das, was wir national tun, sollten wir auf internationaler Ebene abgleichen und in die internationale Diskussion einbringen, zumal die Bundesrepublik Deutschland nicht isoliert von den Veränderungen in der Altersstruktur betroffen ist. Ich nenne in diesem Zusammenhang Japan, Kanada und Korea. Das sind drei Länder, die von den demografischen Veränderungen schon sehr viel stärker betroffen sind. Natürlich nehmen wir auf, was in diesen Ländern in diesem Bereich unternommen wird. Konkret heißt das, dass wir in den europäischen Prozess der Fortentwicklung des europäischen Forschungsrahmenprogramms - das 8. EU-Forschungsrahmenprogramm wird „Horizon 2020“ heißen - unsere Vorstellungen im Bereich der Forschung für die älter werdende Bevölkerung einbringen werden. Wir werden dafür kämpfen - so steht es auch in einem Papier der Bundesregierung für die EU -, dass dies ein wichtiges Thema wird. ({0}) - Wenn der Präsident es mir erlaubt, greife ich zumindest noch eine weitere Frage kurz auf. Sie haben gefragt, wie Aspekte wie Prävention aufgenommen werden können. Prävention ist im Rahmen der Gesundheitsforschungsaktivitäten ein eigenes Thema. Wenn ich darf, werde ich ein bisschen konkreter: Wir müssen natürlich Langzeituntersuchungen durchführen, und das tun wir auch. Wir analysieren die biologischen Vorgänge des Alterns und versuchen, die Erkenntnisse mit der Frage in Verbindung zu bringen, ob auch sozioökonomische Faktoren einen Einfluss auf den Alterungsprozess haben. Ganz konkret: Hier in Berlin haben wir die Berliner Altersstudien - „BASE“ genannt - auf den Weg gebracht. In dem Rahmen werden sowohl genetische als auch medizinische, aber auch immunologische Fragestellungen untersucht und mit psychologischen und sozioökonomischen Faktoren kombiniert. Daran erkennen Sie, dass wir uns disziplinübergreifend um ein Gesamtbild der Prozesse des Alterns bemühen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Nächster Fragesteller, Kollege Tankred Schipanski. Bitte schön, Kollege Tankred Schipanski.

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin zum einen angedeutet, dass das Programm evaluiert werden soll. Ich möchte gerne wissen, wer diese Evaluierung vornehmen wird. Zum anderen haben Sie uns die Themenfelder vorgestellt, mit denen sich die Forschungsagenda beschäftigt. Mich würde interessieren: Von wem hat sich die Bundesregierung beraten lassen, als es darum ging, die Themenfelder herauszufiltern? Wie ist man auf diese konkreten Themenfelder gekommen? - Vielen Dank.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Kollege Schipanski, wir haben erst einmal den Sachverstand aus allen Ressorts der Bundesregierung zusammengebracht, die ja ganz unterschiedliche Forschungsaktivitäten betreiben. Wenn ich die Frage von Herrn Müntefering noch einmal aufgreifen darf: Das wird eingebettet, miteinander besprochen und entwickelt. Das jeweilige Forschungsprogramm oder -projekt wird aber selbstverständlich in der Verantwortung des jeweiligen Ministeriums - ich nenne jetzt einmal das BMAS oder das Bundesministerium für Gesundheit durchgeführt, es sei denn, es findet in unserem Haus, im BMBF, statt. Darüber hinaus haben wir selbstverständlich die wissenschaftliche Community eingebunden. Das Thema war auch Gesprächs- und Diskussionsgegenstand in der sogenannten Forschungsunion, die, wie Sie als Forschungspolitiker wissen, aus Wissenschafts- und Wirtschaftsvertretern zusammengesetzt ist und die Bundesregierung bei der Weiterentwicklung der HightechStrategie insgesamt berät. Wir haben uns vorgenommen, den Prozess zu begleiten. Es wird ja auch nicht alles gleich am ersten Tag gestartet. Am Ende der fünfjährigen Forschungsförderungsphase wird es eine Evaluation geben. Natürlich ist heute noch nicht endgültig entschieden, welche Organisationen mit der Evaluation beauftragt werden. Es entspricht aber unserem Grundverständnis, dass betrachtet wird: Welche Schwerpunkte sind gesetzt worden? Waren sie richtig? Müssen Veränderungen für die Zukunft vorgenommen werden?

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin, Frau Kollegin Sabine Bätzing-Lichtenthäler. Bitte schön.

Sabine Bätzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz herzlichen Dank. - Herr Staatssekretär, meine Frage bezieht sich auf die Bauforschung. Hier stellt sich mir die Frage: In welcher Form soll die Bauforschung im Bereich der Gestaltung altersgerechter Wohnräume verstärkt gefördert werden? Dies frage ich vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass es bereits sehr gute Programme für den altersgerechten Umbau gab, die aber von der Bundesregierung eingestellt wurden. Das heißt, hier besteht ein Widerspruch: neue Förderung auf der einen Seite, Einstellung gut laufender Programme auf der anderen Seite. Dazu hätte ich gern eine Stellungnahme von Ihnen, und ich wüsste gern, ob so etwas durch die künftige Forschung und Förderung ausgeschlossen werden kann.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Ich würde sagen, dass dem Thema „Sicher und unabhängig wohnen“ als eigenem Schwerpunkt in der Forschungsagenda ein neues Gewicht gegeben wird. Ich glaube, dass das wichtig ist, weil sich die Menschen fragen, was die Gesellschaft und was der Staat tun können. Wir fragen auch: Was können die Tüftler, die Erfinder, die Wissenschaftler dazu beitragen, dass Menschen, die in ihrer angestammten Wohnung bleiben wollen, tatsächlich möglichst lange dort bleiben können? Um es Ihnen bildhaft und konkret darzustellen: Wir fördern beispielsweise das Projekt „AlterLeben“, die „Mitalternde Wohnung“. Das sind neue Aktivitäten, aber es ist nicht so, dass deswegen die Förderung für alle anderen Aktivitäten eingestellt wird; das will ich an dieser Stelle sagen. Bei diesem Projekt werden Lösungen für selbstbestimmtes Wohnen in den eigenen vier Wänden im Alter entwickelt. Dazu gehören nicht nur technische Assistenzsysteme, sondern auch bautechnische Maßnahmen. Die Wohnung für Ältere in fünf, sechs oder sieben Jahren wird anders aussehen als heute. Dazu gehören auch Dienstleistungskonzepte. Denn meine grundsätzliche Auffassung ist: Technik kann immer nur unterstützend sein. Die menschliche Zuwendung muss weiterhin im Mittelpunkt stehen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin, Frau Kollegin Elisabeth Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, in der Forschungsagenda wird ressortübergreifendes Arbeiten angekündigt. Ich deute das so, dass es unter anderem eine ressortübergreifende Arbeit zwischen dem Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Ministerium für Gesundheit geben soll. Wie wird sich denn da die Zusammenarbeit gestalten, und wer wird sie koordinieren? Wer wird zuständig sein? Wir erleben ja die Arbeit der Ministerien, die ich gerade genannt habe, als sehr konkurrenzbehaftet. Ich denke, ein ressortübergreifendes Vorgehen ist da dringend geboten.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Ihr Erleben deckt sich in dem Fall nicht mit meinem, jedenfalls nicht beim Thema Forschungsagenda. Ich stelle ein sehr gutes Miteinander unserer Ministerien fest. Dies liegt vielleicht auch daran, dass wir bei der Entwicklung der Forschungsagenda - hier hatten wir als BMBF die Federführung - nichts von dem, was in den anderen Ressorts an Sinnvollem verantwortlich gemacht wird, infrage gestellt haben. Vielmehr haben wir die Dinge inhaltlich und konzeptionell verknüpft. Es ging uns dabei auch darum, Doppelförderungen möglichst zu verhindern und insofern einen insgesamt größeren Mehrwert zu erreichen. Ich darf Ihnen beispielhaft aus der Verantwortung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zwei Schwerpunkte nennen, bei denen sich die Kollegen aus dem Ministerium besonders engagieren. Das sind die Bereiche „Zuhause im Alter - Wohnen im Alter“ und „Demenz: Lebensqualität verbessern und Pflegende unterstützen“. Hier wird sich das Familienministerium auch in Zukunft mit einbringen. Wir begrüßen das.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Fragesteller Kollege Dr. Stefan Kaufmann.

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, können Sie schon eine Aussage darüber treffen, wie sich im Rahmen der Forschungsagenda die Verteilung der Fördergelder auf die technologiebezogene Forschung und die sozialwissenschaftliche Forschung gestaltet? Vielleicht können Sie auch ein Wort dazu sagen, inwieweit die Forschungsagenda mit dem EU-Forschungsrahmenprogramm bzw. mit dem geplanten Folgeprogramm „Horizon 2020“ abgestimmt ist?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Eine - ich sage einmal - kleinteilige Aufteilung auf die verschiedenen Felder - ob technologie- oder nicht technologieorientiert - ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich und wäre auch nicht sinnvoll. Aber ich kann Ihnen sagen, dass es nach unserer Auffassung ein ausgewogenes Verhältnis geben muss. Der erste Bereich, den wir mit der Forschungsagenda überhaupt adressieren, das Forschungsfeld 1, heißt deshalb „Grundsatzfragen einer Gesellschaft des längeren Lebens“. Dabei geht es um ganz grundsätzliche Fragen. Erst einmal geht es darum, dass wir wissen, wie die weitere demografische Entwicklung verlaufen wird. Das Bild von den Älteren hat sich gewandelt. Auch das Selbstbild der Älteren hat sich gegenüber früheren Jahrzehnten deutlich verändert: Sie sind selbstbewusst und wollen Verantwortung wahrnehmen. Daran können Sie schon erkennen, dass wir uns auch sehr stark auf sozialwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Fragestellungen einlassen werden; das ist das ausdrückliche Bekenntnis der Bundesregierung. Daraus abgeleitet ist dann zu klären, welche technologischen Gesichtspunkte von Bedeutung sein könnten, um die aufgeworfenen Fragen zu beantworten.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Petra Crone.

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie sagten, im Rahmen dieser Forschungsagenda solle auch die Demenzforschung vorangetrieben werden. Ich frage Sie: Ist es nicht viel wichtiger, jetzt erst einmal ein Pflegekonzept vorzulegen und endlich einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, an dem ja nun schon lange gearbeitet wird, auf den Weg zu bringen?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin, ich möchte Sie gerne dazu ermuntern: Lassen Sie uns das eine debattieren und das andere trotz17250 dem tun! Ohne Zweifel: Die größte Herausforderung, die wir alle, auch persönlich in unseren Familien, erleben werden, ist, dass das Thema Demenz keine Frage sein wird, die nur wenige Menschen betrifft. Vielmehr sind davon bereits heute 1,1 Millionen Menschen in unserem Lande betroffen. Wir wissen, dass wir bis zum Jahr 2050 eine Steigerung auf 2 bis 3,5 Millionen Menschen, die an Demenz erkrankt sind, zu verzeichnen haben werden. Jeder kann sich vorstellen - auch die Zuschauer auf der Tribüne -: Dazu werden auch einige von uns, die wir heute hier im Plenarsaal sind, gehören. Insofern ist es von zentraler Bedeutung - sowohl für die Menschen, die an Demenz erkranken, als auch für ihre Familienangehörigen, die eine erhebliche Aufgabe, nämlich die pflegerische Betreuung, zu bewältigen haben, als auch für die Gesellschaft und die Volkswirtschaft insgesamt, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitskosten, die damit verbunden sind -, die Demenzforschung in den Mittelpunkt zu stellen. Die Bundesregierung hat das gemacht, indem sie erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik ein nationales Demenzzentrum in Bonn gegründet hat. Damit rücken wir dieses Thema - von der Ursachenerforschung bis zur Frage, wie wir pflegerisch und betreuerisch korrekt mit an Demenz Erkrankten umgehen - in den Mittelpunkt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Katharina Landgraf.

Katharina Landgraf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001278, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, berücksichtigt Ihre Forschungsagenda auch die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere den Fachkräftemangel? Werden die Kompetenzen des Alters wie Erfahrung und Fachkompetenz, die jetzt womöglich brachliegen, der Kreativität und dem Innovationsdrang junger Menschen gegenübergestellt? Kann man das überhaupt gegeneinander abwägen? Könnte man die Älteren nicht motivieren, länger als bisher im Arbeitsleben zu bleiben?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Vielen Dank, Frau Bundestagskollegin. - Ich glaube, wir alle spüren in Gesprächen, auch in unseren Wahlkreisen, dass sich sehr viele Ältere gerne weiter einbringen wollen, sei es am Arbeitsplatz oder in die Gesellschaft insgesamt. Insofern sprechen Sie ein ganz zentrales Anliegen an: Wir müssen den Erfahrungsschatz und die Bereitschaft der älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger, mitzutun, aufnehmen und ihnen entsprechende Möglichkeiten verschaffen. Das betrifft die Zivilgesellschaft, die Art und Weise, wie wir Diskussionsprozesse in der Gesellschaft insgesamt organisieren, aber natürlich auch die Frage, wie wir Älteren mehr Hilfen und Unterstützung auf dem Weg in den Arbeitsmarkt geben. Wir haben das fest im Blick. Dabei spielt auch eine Rolle, dass wir in Zeiten des Fachkräftebedarfs leben. Wir tun dies aber nicht nur deshalb, sondern auch deshalb, weil wir wissen, dass Ältere aufgrund ihres Tuns über Jahre und Jahrzehnte natürlich Erfahrungen haben, die die Jüngeren noch nicht haben können, und dass das Matching, das Zusammenführen beider Gruppen, einem Unternehmen wie einer Institution einen deutlichen Vorsprung und Vorteil bringt. Ich will abschließend ein Beispiel dafür nennen: Wir führen das Projekt „Personalarbeit im demografischen Wandel“ durch, in dem wir mit zwei Branchen, der Gesundheitswirtschaft und der maritimen Wirtschaft, an betriebsspezifischen Weiterbildungskonzepten und Qualifizierungsangeboten für Mitarbeiter in KMU arbeiten wollen, um beispielhaft zu zeigen, dass dies zum Erfolg des Betriebs und der beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beiträgt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin unsere Kollegin Frau Mechthild Rawert.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben dargestellt, wie breit die Forschungsagenda aufgestellt ist und dass das gesamte Spektrum auch unter sozialen, ethischen und rechtlichen Aspekten zu erforschen ist. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Inwieweit stellen Sie mit diesen Forschungsaktivitäten sicher, dass in allen Projekten - auch in speziellen Projekten - der Aspekt der Vielfalt in Deutschland aufgegriffen wird, und wie kann die Forschung dazu beitragen, dass es rechtliche Rahmenbedingungen gibt, die ein würdiges Altern für alle, unabhängig von ihrer Herkunft, gewährleisten?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Sehr geehrte Frau Kollegin, die rechtlichen Rahmenbedingungen werden ein Thema von Ihnen sein; denn der Deutsche Bundestag muss sich fragen, ob er rechtliche Veränderungen als notwendig erachtet. Das Grundanliegen, das Sie ansprechen - wir haben in der Bundesrepublik Deutschland des 21. Jahrhunderts eine sehr viel heterogenere Gesellschaft mit vielen Tausenden, ja Millionen Menschen, die aufgrund ihrer Migrationsgeschichte andere kulturelle Erfahrungswerte haben und insofern auch in schwieriger Lebensphase, bei schwerster Krankheit oder auch im letzten Lebensjahr, in der Sterbephase, unter Umständen anders betreut und behandelt werden müssen -, ist, wie ich finde, berechtigterweise thematisiert worden. Damit meine ich natürlich nicht die medizinische Behandlung als solche, sondern den kulturellen Umgang und das Eingehen auf diese Menschen. Wir wissen ja, dass es bis hin zur unterschiedlichen Bestattungskultur ganz unterschiedliche Anforderungen in unseren Kommunen gibt. Natürlich muss und wird auch dies immer Teil der Pflegeforschung sein. Hier wird natürlich eine Rolle spielen, dass wir als Gesellschaft ein großes Interesse daran haben müssen, Pflegekräfte zu haben, die sich beispielsweise auch in den Ursprungssprachen derjenigen Menschen verständigen können, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind; denn wir wissen, dass gerade für Ältere, insbesondere wenn sie auf ihre eigenen Ursprünge zurückblicken, die türkische, die italienische oder die griechische Sprache unter Umständen eine größere Rolle spielt als in den 20 Jahren zuvor.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Fragestellerin unsere Kollegin Frau Ewa Klamt.

Ewa Klamt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004203, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, meine erste Frage geht in folgende Richtung: Kann man schon sagen, welches Finanzvolumen für diesen Fünfjahreszeitraum vorgesehen ist? Sie sagten, man gehe ressortübergreifend vor. Werden sich auch andere Ressorts an der Finanzierung beteiligen? Meine letzte Frage interessiert bestimmt all jene, die heute davon gehört haben, dass die Forschungsagenda auf den Weg gebracht worden ist: Wer ist dann antragsberechtigt? ({0})

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Das waren mehrere Fragen, Frau Kollegin Klamt. Wir haben im Haushalt des BMBF für das Jahr 2012, unter der Voraussetzung, dass der Deutsche Bundestag als Haushaltsgesetzgeber unserem Vorschlag zustimmt, 84 Millionen Euro vorgesehen. Dies wollen wir mit Unterstützung der Abgeordneten in den Folgejahren fortschreiben, sodass sich unser Ressort mit rund 415 Millionen Euro an der Umsetzung der Forschungsagenda beteiligen wird. Zur Frage, wer antragsberechtigt ist. Sie müssen sich vor Augen führen: Die Forschungsagenda an sich ist kein eigenes Programm, sondern es werden Programme, Aktivitäten und auch Rahmenprogramme der verschiedenen Ressorts und der unterschiedlichen Häuser zusammengeführt. Insofern sind die verschiedenen Ministerien natürlich erst einmal die Adressaten. Antragsberechtigt sind, da es sich um eine Forschungsagenda handelt, selbstverständlich die Hochschuleinrichtungen und -institutionen, die Vertreter von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, aber auch Unternehmen. Uns liegt sehr daran, dass wir auch spätere Nutzer und Anwender, wie etwa karitative Einrichtungen, einbeziehen, um anwendungsnahe Lösungen zu finden, beispielsweise die evangelische Diakonie oder die katholische Caritas. Das sind wichtige Kompetenzeinrichtungen, die sich aufgrund ihrer Pflegeerfahrungen mit einbringen können.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Fragesteller unser Kollege Oliver Kaczmarek.

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich möchte auf das Gesundheitsforschungsprogramm zurückkommen, das vorhin schon einmal eine Rolle gespielt hat, und möchte Sie fragen, inwiefern das, was Sie als Forschungsagenda im Kabinett beschlossen haben, konkret über das Gesundheitsforschungsprogramm hinausgeht und ob es nicht auch angezeigt gewesen wäre, ein eigenes Aktionsfeld im Gesundheitsforschungsprogramm zu diesem Themenkomplex anzulegen.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Ich glaube, dass Sie an dieser Stelle in gewisser Weise einem Missverständnis unterliegen; denn das Thema Gesundheitsforschung wird in einem breiten, mehrere 100 Millionen Euro umfassenden Rahmenprogramm vonseiten der Bundesregierung adressiert und angesprochen, federführend vonseiten des BMBF. Worum es uns gehen muss, ist nicht die Strukturfrage, sondern die Frage, welche Themen dort behandelt werden. Wir sind sehr froh darüber, dass gerade die Aspekte einer älter werdenden Gesellschaft und die Fragen der großen Volkskrankheiten - um zwei Beispiele zu nennen - zentrale Bausteine dieses Gesundheitsforschungsprogramms sind. Wir haben hier eine Reihe von Projekten, mit denen wir ganz zielgerichtet Gesundheitsfragen, auch Fragen von Mehrfacherkrankungen, die für Ältere hochrelevant sind, als besondere Herausforderung adressieren. Ich will auf Folgendes hinweisen: Wir wissen, dass Ältere auf Medikamente anders reagieren als Jüngere und dass insofern ein Medikament, das ein Jüngerer einnimmt, sehr wohl hilfreich sein kann, aber bei einem Älteren Gefahren mit sich bringen kann. Auch diese Frage wird intensiv behandelt werden.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Wir haben jetzt noch drei Fragesteller zu diesem Themenkomplex und eine Frage zu einem anderen Thema der heutigen Kabinettssitzung. Zunächst Frau Kollegin Elisabeth Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, zu den Handlungsfeldern der Forschungsagenda zählt unter anderem die Verbesserung des Pflege- und Betreuungsangebots. Mich würde im Speziellen interessieren, wie die Bemühungen in diesem Rahmen, konkret auf dieses Thema bezogen, ressortübergreifend gebündelt werden sollen und welche Maßnahmen sich daraus genau entwickeln sollen. Ich bin der Auffassung, dass nur technikgestützte Assistenzsysteme nicht ausreichend sind.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Sie haben natürlich vollkommen recht: Technik ist eine Antwort und nicht die Antwort alleine. Deswegen wird das Thema Pflegeforschung als solches inhaltlichkonzeptionell eine ganz wichtige Rolle spielen. Ich habe schon auf das sozialwissenschaftlich ausgerichtete Pflegeprogramm in Zusammenarbeit mit den Fachhochschulen hingewiesen. Die verschiedenen Ressorts nehmen hier ihre ganz unterschiedlichen Verantwortungen wahr. Ich denke an die Aktivitäten im Familienministerium. Ich habe die Themen Demenz und Wohnen im Alter bereits angesprochen, aber auch die Aktivitäten des Gesundheitsministeriums im Bereich der Gesundheitsforschung. Das Bundesministerium für Gesundheit hat darüber hinaus vor, ein Modellprojekt zur Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger auf den Weg zu bringen. Ich bin mir sicher, dass sich die Kollegen des federführenden Fachausschusses in die Entwicklung und Fortentwicklung dieses Modellprojekts einschalten werden.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Als nächster Kollege Franz Müntefering und dann Frau Kollegin Petra Sitte. Zunächst Franz Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist in Ihrem Forschungspaket auch die Situation älterer Menschen in Dörfern, Kreisen und Regionen mit abnehmender Einwohnerzahl berücksichtigt, in denen es große Probleme mit der ärztlichen und medizinischen Versorgung sowie der Daseinsvorsorge überhaupt gibt? Wollen Sie auf dieses akute Problem im Frühjahr nächsten Jahres mit der Strategie zum demografischen Wandel antworten oder wollen Sie jetzt eine Forschung beginnen, die in einigen Jahren zu Ergebnissen führt?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Kollege Müntefering, die Frage der Versorgung des ländlichen Raumes geht offensichtlich weit über den Aspekt der Wissenschaftler und Forscher hinaus; sie betrifft auch Fragen der Gesundheitspolitik, die kommunale Verantwortung und die ortsnahe Zurverfügungstellung entsprechender Aktivitäten. Das muss in den Bereichen verantwortet und diskutiert werden, die dafür zuständig sind. Wir versuchen, Lösungswege mit auf den Weg zu bringen, die Antworten aus der Forschung entwickeln können. Ich habe das Forschungsprojekt „Gesundheitsregionen der Zukunft“ angesprochen. Hier spielt der ländliche Raum eine Rolle, der es - im Gegensatz zur Hauptstadt mit der Charité - strukturell sehr schwer hat, ein allumfassendes medizinisches Versorgungsnetz zur Verfügung zu stellen. Ich erinnere an das Projekt, das ich vorhin erläutert habe. Dabei geht es um die kardiologische Versorgung im strukturschwachen ländlichen Raum Nordbrandenburg, wo ganz neue Betreuungsmodelle entwickelt werden. Das ist aber nur ein Projekt. Die Programme haben das Ziel, dass auf der Wegstrecke auch neue, weitergehende Projekte entwickelt werden können.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin Petra Sitte.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Ihre Forschungsagenda trägt den Titel „Das Alter hat Zukunft“ - da fällt einem ein Stein vom Herzen -; dazu gehört auch Bildung. Sie haben 2001 eine Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ eingesetzt. 2004 hat diese Expertenkommission ihren Bericht vorgelegt. Man sollte annehmen, dass es seitdem mit der Finanzierung des lebenslangen Lernens aufwärtsgeht. Wir stellen aber fest, dass der Titel seitdem jedes Jahr im Haushalt gekürzt wurde, für 2012 beispielsweise um 40 Millionen Euro. Wäre es nicht notwendig, wenn Sie mit Ihrer Agenda neu ansetzen, dass man gerade in diesem Bereich wissenschaftliche Begleitforschung finanziert und inhaltlich gestaltet?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin Dr. Sitte, selbstverständlich spielt das Thema „lebenslanges Lernen“ auch weiterhin für die Bundesregierung eine wichtige Rolle. Insofern kann ich Ihrer Bewertung an dieser Stelle keineswegs zustimmen, zumal wir wissen, dass gerade auch die Weiterbildung eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft ist. Dabei ist noch keineswegs alles optimal, aber die Weiterbildung und auch die Unterstützung der Weiterbildung spielen eine große Rolle. Ich nenne beispielhaft die von Bildungsministerin Annette Schavan eingeführte Bildungsprämie, mit der ein sehr niedrigschwelliges, unkompliziertes und unbürokratisches Instrument geschaffen worden ist, durch das Menschen gerade aus sozial und finanziell eher schwachen Verhältnissen, Frauen, aber auch Migranten die Möglichkeit haben, sich weiterzuqualifizieren und dafür eine klare, eindeutige, auf die Hand gelegte finanzielle Unterstützung des Staates bzw. der Bundesrepublik Deutschland bekommen. Ich finde, dies ist ein qualitativer Sprung in der Unterstützung der Qualifizierung von Menschen jüngerer, mittlerer, aber auch älterer Altersgruppen in unserer Gesellschaft.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Damit haben wir diesen Themenbereich abgeschlossen. Jetzt gibt es noch eine Frage zur heutigen Kabinettssitzung, gestellt von Frau Kollegin Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Die Zukunft des Alters ist sicherlich ein wichtiges Thema für uns alle. Aber das Kabinett hat sich heute offenkundig auch mit dem Rüstungsexportbericht beschäftigt. Wie man hört, verzeichnet dieser Bericht eine dramatische Zunahme der deutschen Rüstungsexporte. Ich frage Sie, welche Gründe die Bundesregierung dafür sieht und welche Konsequenzen sie aus dieser Zunahme zieht.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Für die Bundesregierung, bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Dr. Enkelmann, der Rüstungsexportbericht stand nicht auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung vom heutigen Tage.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Gibt es darüber hinaus weitere Fragen an die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall. So rufe ich den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 17/7901, 17/7922 Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in dieser Fragestunde gilt die Ein-Minuten-Regelung für Fragen und Antworten. Bei der ersten Antwort werden wir das Signal jedoch jeweils nicht auslösen. Dennoch bitte ich darum, auch bei der ersten Antwort die Minute nicht zu überziehen. Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage auf Drucksache 17/7922 auf: Waren deutsche Kommandostäbe an dem NATO-Angriff auf pakistanische Stellungen in der Nacht zu Samstag, dem 26. November 2011, beteiligt, bzw. hatten Deutsche Kenntnis davon, und welche Auswirkungen haben die Vorkommnisse auf die Sicherheitslage in Deutschland, besonders angesichts der nächsten Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember 2011 in Bonn, an der Pakistan seine Teilnahme infrage gestellt hat? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich antworte auf Teil eins der dringlichen Frage der Kollegin Dağdelen, inwieweit deutsche Kommandostäbe an dem NATO-Angriff auf pakistanische Stellungen in der Nacht zum Samstag, dem 26. November 2011, beteiligt waren bzw. ob Deutsche Kenntnis davon hatten. An der Operation vom 26. November 2011 waren weder deutsche Stäbe beteiligt, noch hatten deutsche Soldaten Kenntnis davon. Herr Präsident, Teil zwei der Frage beantworte ich mit dem Hinweis, dass dieser Teil in die Zuständigkeit des Bundesministeriums des Innern fällt. Der Kollege Dr. Schröder wird die Antwort darauf übernehmen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Jetzt zunächst einmal der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schröder. - Bitte schön.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Auf der Grundlage polizeilicher und nachrichtendienstlicher Erkenntnisse muss auch weiterhin von einer intensivierten Gefährdung durch den internationalen islamistischen Terrorismus ausgegangen werden, die sich jederzeit in Form von Anschlägen bzw. Anschlagsversuchen jeglicher Intensität gegen Ziele sowohl mit geringem als auch mit hohem Symbolwert realisieren kann. Aufgrund ihres Symbolcharakters und der hochrangigen Teilnehmer dürfte die Afghanistan-Konferenz ein solches Anschlagsziel darstellen. Hinweise auf eine konkrete Gefährdung der Veranstaltung liegen den Bundessicherheitsbehörden gleichwohl aktuell nicht vor.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich nehme zur Kenntnis, dass die Bundesregierung hier behauptet, keine Kenntnis von einer deutschen Beteiligung an dem völkerrechtswidrigen NATO-Angriff gehabt zu haben. Das klingt, angesichts der deutschen Präsenz in den NATOStäben wohlgemerkt, höchst unglaubwürdig. Offensichtlich hat aber Pakistan hierzu andere Informationen und hat seine Teilnahme an der Petersberg-II-Konferenz, bei der es auch um die dauerhafte Stationierung von NATOSoldaten in Afghanistan bis 2024 und darüber hinaus gehen soll, abgesagt. Die Absage der Teilnahme an dieser Konferenz durch Pakistan, zu der auch etliche Kriegsverbrecher nach Bonn eingeladen worden sind, ist offensichtlich durch den Angriff der NATO auf die Stellungen in Pakistan bedingt. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass die Absage Pakistans auch mit diesem NATO-Angriff zu tun hat? Ist der Bundesregierung irgendetwas von pakistanischer Seite bekannt, dass dieser Angriff in Pakistan irgendwie zum Thema gemacht worden ist?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin, nicht ohne vorher Ihre diversen rechtsbewertenden Unterstellungen in Ihrer Frage zurückgewiesen zu haben, darf ich Ihnen versichern, dass sich natürlich die gesamte Bundesregierung um Ihre Frage bemühen und Antworten geben wird. Was die Zuständigkeit der Ressorts angeht, ist für die Frage der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg das Auswärtige Amt federführend. Herr Präsident, ich würde deswegen gerne an Herrn Staatsminister Hoyer zur Beantwortung dieser Zusatzfrage weitergeben.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön, Herr Kollege Hoyer.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Frau Kollegin Dağdelen, es ist in der Tat so, dass wir mit Bedauern Medienberichte zur Kenntnis genommen haben, die zum Inhalt haben, dass Pakistan der Afghanistan-Konferenz fernbleibt. Nach diesem Vorgang hat es eine Sitzung sowohl des Defense Committee of the Cabinet als auch der Regierung selbst gegeben, in der diese Frage wie auch andere Konsequenzen, die Pakistan zunächst einmal gezogen hat, eine Rolle gespielt haben. Allerdings haben wir nach intensiven Bemühungen ausdrücklich keine offizielle Absage der pakistanischen Regierung. Solange wir noch einen Hoffnungsschimmer sehen, dass sich Pakistan beteiligen könnte, werden wir auf allen Ebenen der Bundesregierung und auch mit unseren Partnern daran arbeiten, zu versuchen, die Pakistani davon zu überzeugen, dass es Sinn macht, an dieser Konferenz teilzunehmen, welche wiederum selber auf jeden Fall ihren Sinn nicht dadurch verliert, dass Pakistan möglicherweise nicht kommt. Denn Pakistan hat sich ausgesprochen konstruktiv an dem einen großen Bereich, nämlich der Istanbul-Konferenz, bei der es um die regionale Zusammenarbeit geht, beteiligt und wünscht ausdrücklich - auch in der Kommunikation der Regierung, auf die ich eben Bezug genommen hatte - den Erfolg dieser Konferenz in Bonn.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Herr Hoyer, Sie wünschen den Erfolg dieser Konferenz. Die Friedensbewegung und auch die Linke wünschen eigentlich keine Konferenz kolonialistischer Manier, die Tausende Kilometer von Afghanistan entfernt über die Menschen und auch die Zukunft dieses Landes nach zehn Jahren noch einmal entscheidet. Die Bilanz nach zehn Jahren ist katastrophal; das sehen wir. Insoweit werden wir natürlich gegen diese Konferenz demonstrieren. Ich komme zu meiner zweiten Frage - Sie selbst haben es schon angesprochen -: Rupert Neudeck und viele andere sprechen nach der Absage Pakistans - Sie sagen, offiziell gebe es noch keine Absage; in Pakistan selber wird verlautbart, dass es eine Absage gibt - davon, dass es nur noch - ich zitiere - eine „halbe Konferenz“ ist, da die Hälfte der Akteure, die wichtig sind, überhaupt nicht anreisen wird. ({0}) Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund das Ziel, dauerhaft Soldaten in Afghanistan mithilfe Pakistans zu stationieren, das mit der Konferenz verbunden war, und auf der Konferenz Einigung herzustellen, wenn Pakistan nicht anwesend sein wird? ({1}) Glauben Sie, dass es vor diesem Hintergrund nicht richtig wäre, von dieser Konferenz abzusehen und sie abzusagen? ({2})

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich beziehe mich zunächst einmal auf die wunderschöne Formulierung des Kollegen Schmidt zu Beginn seiner Beantwortung Ihrer ersten Nachfrage und distanziere mich von Ihren bewertenden Bemerkungen bezüglich der Konferenz. Wir halten diese Konferenz für ausgesprochen sinnvoll. Deutschland leistet einen großen Beitrag zur Zukunft Afghanistans, und wir tun das mit großem Engagement und mit großem Stolz. ({0}) Es ist die größte Veranstaltung dieser Art, die in Deutschland jemals organisiert und geschultert worden ist, und die lassen wir uns nicht zerreden. ({1}) Wir würden uns freuen, wenn die Pakistani kämen. Ich sage ausdrücklich, dass ich dem von mir sehr geschätzten Rupert Neudeck widersprechen muss, wenn er von einer „halben Konferenz“ spricht. Auch die Beteiligung Pakistans an der langfristigen Problemlösung in Afghanistan ist nach dem, was wir bisher wissen, gewährleistet. Nach dem ausdrücklichen Wunsch, den die Pakistanis uns übermittelt haben, nämlich dass sie dieser Konferenz einen großen Erfolg wünschen, gehe ich davon aus, dass wir weiterhin auf die Zusammenarbeit mit Pakistan setzen können.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nachfragen? - Jetzt Kollegin Katja Dörner, bitte schön.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte wissen, welche Informationen die Bundesregierung zu welchem Zeitpunkt und von wem über den genannten Vorfall erhalten hat. Ich möchte auch wissen, ob die Bundesregierung die Entschuldigung der USA für angemessen und ausreichend erachtet.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Vielen Dank. - Ich betrachte diese Zusatzfrage als von mir zu beantworten. Die Angaben darüber, wann und woher die Informationen über den Vorfall von offizieller Stelle zu uns gekommen sind, möchte ich schriftlich nachreichen. Es gab natürlich Informationen; die ganze Öffentlichkeit war darüber informiert. Ich will aber sagen, dass die weitere Befassung mit dieser Angelegenheit, bei der 25 Menschen ums Leben gekommen sind, was man nur bedauern kann, nicht in der Verantwortung unseres Landes liegt. Ich denke, dass es richtig ist, dass wir alle unser Bedauern ausdrücken. Dass wir das Ganze - ohne die Hintergründe im Einzelnen recherchieren zu können - im Zusammenhang mit der Einladung an Pakistan, sich an der Afghanistan-Konferenz zu beteiligen, betrachten, wie Kollege Hoyer es dargestellt hat, darin liegt ein Angebot zu einer weiter gehenden Zusammenarbeit.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Frage: unsere Kollegin Frau Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann kommen wir zum Beitrag der deutschen Regierung. Die pakistanische Regierung hat gefordert, dass der Vorfall im UN-Sicherheitsrat verhandelt wird. Deutschland ist Mitglied des Sicherheitsrats. Wird Deutschland dieses Ansinnen unterstützen, und mit welchen Initiativen wird Deutschland in den Sicherheitsrat gehen?

Not found (Gast)

Im Hinblick auf eine Befassung des Weltsicherheitsrates, gegebenenfalls aufgrund einer Initiative Deutschlands, gibt es noch keine Beschlusslage; deshalb kann ich Ihnen davon nicht berichten. Deutschland hat gegenüber den pakistanischen Kollegen in aller Form deutlich gemacht - jenseits des Bedauerns usw.; das versteht sich von selbst -, dass es darauf drängen wird, im Rahmen der NATO für eine vollständige Aufklärung dieser Angelegenheit zu sorgen; denn wir sind zutiefst betroffen. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin Heidrun Bluhm.

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Pakistan hat die USA bereits im Juni 2011 aufgefordert, den Luftwaffenstützpunkt Shamsi zu räumen. Shamsi dient den USA für Starts und Landungen sowie für die Wartung der US-Drohnen. Bisher ist diese Räumung aber offensichtlich nicht vollzogen worden. Mittlerweile wurden die USA ein weiteres Mal aufgefordert, binnen 15 Tagen den Stützpunkt zu räumen. Welche Aktivitäten gibt es seitens der Bundesregierung, über die ISAF-Kommandostäbe dahin gehend Druck auf die USA auszuüben, dass sie die Forderungen Pakistans erfüllen?

Not found (Gast)

Keine. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Fragesteller Kollege Harald Weinberg.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, Sie haben gerade ausgeführt, dass die Bundesregierung auf jeden Fall darauf drängt, dass es eine vollständige Aufklärung dieses Vorfalls, des Angriffs auf pakistanische Stellungen, gibt. Was mir nicht ganz klar wurde - Deutschland ist ja Mitglied des UN-Sicherheitsrates -, ist, ob es in irgendeiner Form Initiativen geben soll - das habe ich nicht heraushören können -, die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat dazu zu nutzen, diesen Vorfall dort zum Thema zu machen. Können Sie dazu bitte noch einmal ganz klar Stellung nehmen? Danke.

Not found (Gast)

Eine Entscheidung über eine solche theoretisch denkbare Initiative gibt es im Rahmen der Bundesregierung nicht.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nachfrage, Frau Kollegin Katja Keul.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Schmidt, nachdem Pakistan die USA aufgefordert hat, einen Luftwaffenstützpunkt zu schließen, und bereits zwei Grenzübergänge zwischen Pakistan und Afghanistan geschlossen worden sind: Wie schätzen Sie das im Hinblick auf die Versorgung der ISAF-Truppen ein, und welche Schritte übernimmt die Bundesregierung, um gegebenenfalls Gefährdungen von Bundeswehrsoldaten auszuschließen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin Keul, um noch einmal die kurze und knappe Antwort meines Kollegen Hoyer zu interpretieren: Wir verstehen das so, dass das eine bilaterale Angelegenheit zwischen Pakistan und den Vereinigten Staaten von Amerika ist und dass wir das dort auch belassen sollten. Zu Ihrer Frage hinsichtlich der Beeinträchtigung der Nachschubmöglichkeiten für ISAF durch die Sperrung des Khaiberpasses und einer anderen Zufahrt: Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre war dies eine aus der Situation heraus zu erwartende Reaktion der pakistanischen Seite, die sich bisher nach einer gewissen Zeit immer wieder in eine Normalität der Abfertigung von Lkws und Fuhrwerken entwickelt hat. Eine solche Entwicklung erhoffen auch wir. Eine Gefährdung der Versorgungslage ist nicht gegeben. Ich darf außerdem ergänzen, dass zwischenzeitlich ISAF dazu eingeladen hat, gemeinsam mit Repräsentanten von Pakistan und afghanischen Behörden die Untersuchung des Vorfalls vorzunehmen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nachfrage unserer Kollegin Frau Ulla Jelpke.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Mit welchen Auswirkungen auf den Afghanistankrieg rechnen Sie, da der Nachschub über Pakistan organisiert wird bzw. - er wird ja zurzeit boykottiert - organisiert wurde?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin, Militär und Ziviles ist immer auf Nachschub angewiesen. Das ist natürlich eine Grunderkenntnis. Wie dieser Nachschub zu organisieren ist und organisiert wird, muss dann anhand der örtlichen Gegebenheiten entschieden werden. Sie haben sicherlich auch zur Kenntnis nehmen können, dass ISAF gerade unter dem Eindruck der einen oder anderen Unsicherheit in Afghanistan erhebliche Fortschritte bei der Diversifizierung der Nachschubmöglichkeiten erzielt hat.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Nachfrage unseres Kollegen Dr. Rolf Mützenich. Bitte schön, Kollege Dr. Rolf Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte kurz nachfragen: Auch wenn noch keine offizielle Absage der pakistanischen Regierung im Hinblick auf die Bonner Konferenz vorliegt, so habe ich doch zur Kenntnis genommen, dass die afghanische Regierung weiterhin großen Wert darauf legt, dass die pakistanische Regierung daran teilnimmt, weil auch für Afghanistan Pakistan offensichtlich ein entscheidendes Land ist. Vielleicht könnte die Bundesregierung hier auch darüber Auskunft geben, dass viele wichtige andere Nachbarländer ihre Bereitschaft signalisiert haben, an dem Gelingen der Konferenz mitzuwirken. Wie bewertet die Bundesregierung diese Aussagen?

Not found (Gast)

Vielen Dank, Herr Kollege Mützenich. - Wir sind ausgesprochen erfreut, dass diese Konferenz in der Nachbarschaft Afghanistans auf eine so große, positive Resonanz stößt. Wir haben schon in Istanbul sehen können, mit welch konstruktivem Geist die Nachbarn Afghanistans sich an diesem Prozess beteiligen möchten. Deswegen sind wir erfreut, dass sie kommen werden. Wir geben Pakistan auch nicht auf. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass die Pakistani in ihrer unmittelbaren Reaktion anlässlich der Kabinettssitzung gesagt haben: Pakistan looks forward to the success of this conference, but in view of the developments and prevailing circumstances, it has decided not to participate … Sie sind selber also stark an dem Erfolg dieses Prozesses interessiert. Wir alle sehen doch die Problemlösung für Afghanistan nur im regionalen Kontext. Deswegen ist es wichtig, dass alle Nachbarn Afghanistans an dieser Konferenz teilnehmen; darunter dann am Ende hoffentlich auch Pakistan. Aber das werden wir sehen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Nachfrage durch unseren Kollegen Andrej Hunko.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Ich habe eine Frage zum Vorfall selbst. Inwieweit hat die Bundesregierung der NATO bzw. den USA für die Kampfhandlung in dem besagten Zeitraum Satellitenaufklärungskapazitäten überlassen, etwa den GeoInformationsDienst der Bundeswehr mit ihrem hochauflösenden Radarsatelliten SAR-Lupe? Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, haben Sie gesagt: Deutschland war operativ nicht beteiligt. - Können Sie auch ausschließen, dass hier eine Beteiligung über Satellitenaufklärung stattgefunden hat?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Nachdem ich nicht davon ausgehe, aber darüber, Herr Kollege, keine definitiv positive Kenntnis habe, würde ich Ihnen diese Antwort gerne schriftlich nachreichen. Ich will in dem Zusammenhang darauf hinweisen, dass der Einsatz von Close Air Support, also Luftnahunterstützung, wie das in diesem Fall wohl gewesen ist, nicht auf Ebene der betroffenen Einsatzverbände entschieden wird, sondern zentral auf Ebene COMISAF. Das fällt ausschließlich in die Zuständigkeit des COMISAF, also des Kommandeurs der Streitkräfte insgesamt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Eine Nachfrage unseres Kollegen Uwe Kekeritz.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich möchte kurz auf die Versorgung und Ihre Aussage, dass das eine rein bilaterale Angelegenheit zwischen Pakistan und den USA sein soll, zurückkommen. Ich stelle mir vor: Die Grenze ist dicht, die Versorgung funktioniert nicht mehr. Kann es tatsächlich sein, dass Sie nie mit den Amerikanern oder anderen Verbündeten darüber gesprochen haben und dass dies wirklich eine bilaterale Angelegenheit ist? Wie funktioniert die Versorgung? Sie sagten, die Diversifizierung habe große Fortschritte gemacht; darunter kann ich mir aber relativ wenig vorstellen. Wie also ist das als bilaterale Angelegenheit zu erklären?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege Kekeritz, ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Der Begriff „bilateral“ bezog sich auf die genannten Intentionen und Diskussionen seitens Pakistans, einen Stützpunkt der Amerikaner in Pakistan zu schließen. Der Nachschub liegt natürlich im Interesse alParl. Staatssekretär Christian Schmidt ler Staaten, die an ISAF beteiligt sind. Der Begriff „Diversifizierung“ hat sich auch nicht auf die Länder, sondern allein auf die Zufahrts- und Transportwege und die Formen des Transports bezogen. Sie wissen ja, dass wir, gerade was den Norden und den Weg über andere Landesteile angeht, durch Abkommen mit benachbarten Staaten im Norden und Nordwesten Afghanistans und durch andere Transportmöglichkeiten die schiere Abhängigkeit vom Khaiberpass reduziert haben. Das ist das, was ich mit „Diversifizierung“ gemeint habe.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem die dringliche Frage aufgerufen und beantwortet worden ist, ({0}) rufe ich jetzt die mündlichen Fragen auf Drucksache 17/7901 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Werner Hoyer zur Verfügung. Frage 1 des Kollegen Volker Beck wird schriftlich beantwortet. Ich rufe Frage 2 des Kollegen Günter Gloser auf: Was hat die Bundesregierung unternommen und was plant die Bundesregierung weiterhin zu unternehmen, um die russische Regierung zur Unterstützung von weiteren Sanktionen gegen Syrien im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu bewegen? Bitte sehr, Herr Staatsminister.

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Herr Präsident! Herr Kollege Gloser, die Bundesregierung nutzt alle Kontakte mit der russischen Regierung, um diese von der Notwendigkeit einer klaren Stellungnahme des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zur Lage in Syrien zu überzeugen. Wir werden vor dem Hintergrund des menschlichen Leids der Zivilbevölkerung auch weiter intensiv um die russische Unterstützung werben und dabei insbesondere auch auf die entschiedene Haltung der Arabischen Liga hinweisen. Insoweit hat sich eine qualitative Veränderung der Situation ergeben, die wir sehr ernst nehmen und sehr begrüßen. Die Arabische Liga hat ihrerseits weitere harte Sanktionen angedroht. Von daher ist, denke ich, ein wichtiges Argument weggefallen, das uns immer vorgetragen worden ist, wenn es darum ging, eine Resolution des Sicherheitsrats zu vermeiden. Bundesminister Westerwelle hat zuletzt am 16. November mit seinem russischen Amtskollegen zum Thema Syrien telefoniert. Bundeskanzlerin Merkel hat - ich war selber dabei - beim Besuch des Präsidenten Medwedew das Thema angesprochen und für eine schnelle Verabschiedung einer Syrien-Resolution des Weltsicherheitsrats geworben. Die Haltung Russlands in den Gremien der Vereinten Nationen hat sich auch etwas verändert. Der dritte Ausschuss der Generalversammlung hat sich in der letzten Woche mit einer Syrien-Resolution befasst. Russland hat sich enthalten und nicht mehr dagegen gestimmt. Ich glaube, hier ist etwas in Bewegung gekommen, das wir sowohl im Hinblick auf Russland als auch im Hinblick auf China nachhaltig unterstützen sollten.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Gloser, Ihre erste Nachfrage.

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, ich darf nachfragen? - Welche Schritte unternimmt die russische Regierung selbst, um die Zustände in Syrien positiv zu verändern? Ist das der Bundesregierung bekannt?

Not found (Gast)

Sicherlich nicht umfassend und im Detail. Die russischen Partner haben in den Gesprächen mit uns zum Ausdruck gebracht, dass sie mit dem, was in Syrien passiert, nicht gerade zufrieden sind. Sie haben nur bisher die Hoffnung gehabt, das Regime Assad von seinem verwerflichen Tun abzubringen. Ich glaube, diese Illusion löst sich langsam auf. Von daher glaube ich, dass wir auch mit unseren russischen Partnern ein konstruktives Gespräch hierüber führen können.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege Gloser.

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Sie haben schon die verschiedenen Initiativen angesprochen. Auch die Volksrepublik China hat ein sehr starkes Gewicht. Ist der Bundesregierung bekannt, was die Volksrepublik China daran hindert, im Sicherheitsrat weitere Schritte gegenüber Syrien mitzutragen?

Not found (Gast)

Die Überlegungen Chinas sind den Überlegungen Russlands ähnlich gewesen. Deswegen begrüße ich, dass China sich, was seine Position angeht, geöffnet hat. Ich will aber nicht zu weit gehen; denn ich sehe die Resolution des UN-Sicherheitsrates leider noch nicht. Bis dahin ist es noch ein hartes Stück Arbeit. Wir sehen, dass sich die Situation dramatisch verschärft. Es ist ein gewaltiger Schritt nach vorne, dass sich die Arabische Liga so klar positioniert und nicht nur redet, sondern auch handelt. Ich glaube, das wird seine Wirkung in Beijing und in Moskau nicht verfehlen. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nachfrage unseres Kollegen Dr. Rolf Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Herr Präsident. Dank auch an den Staatsminister für die Beantwortung. - Ich möchte konkret nachfragen. Offensichtlich werden innerhalb der Europäischen Union Überlegungen über eine weitere Runde bei den Sanktionen angestellt. Es ist berichtet worden, dass in diesem Zusammenhang offensichtlich auch eine Einladung gegenüber der Arabischen Liga ausgesprochen worden ist, was ich insbesondere mit Blick auf die Zusammenarbeit sehr begrüßen würde. Können Sie das bestätigen, und können Sie bereits jetzt mitteilen, in welchem Zusammenhang diese Erörterungen stehen werden?

Not found (Gast)

Vielen Dank. - Der Rat für Auswärtige Angelegenheiten der Europäischen Union wird morgen zusammentreten. Die Bundesregierung hat angeregt, den Generalsekretär der Arabischen Liga zu diesen Beratungen hinzuzubitten. Nach meinem gegenwärtigen Kenntnisstand - das muss ich aber mit Vorbehalt sagen - wird das stattfinden. Wir begrüßen es außerordentlich. Es erhöht unsere Glaubwürdigkeit und wahrscheinlich auch die Effektivität unserer Bemühungen, wenn wir uns mit den Vertretern der Arabischen Liga hier auf das Engste abstimmen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. Die Fragen 3 und 4 der Kollegin Dr. Eva Högl werden schriftlich beantwortet. Ich rufe nun die Frage 5 unseres Kollegen Johannes Pflug auf: Welche konkreten Ergebnisse hat die Afghanistan-Konferenz in Istanbul Anfang November 2011 erbracht, die eine konstruktive Einbindung der Nachbarstaaten Afghanistans in den afghanischen Stabilisierungsprozess begünstigen sollen, und wie werden sich die Ergebnisse der Konferenz, nach Einschätzung der Bundesregierung, auf das zukünftige deutsche Engagement in Afghanistan auswirken? Bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Pflug, zum Teil bin ich schon auf Einzelaspekte des Themas eingegangen, das Sie mit Ihrer Frage angesprochen haben. Die Regionalkonferenz „Security and Cooperation in the Heart of Asia“ am 2. November in Istanbul hat einen regionalen Annährungsprozess, den sogenannten Istanbul-Prozess, zwischen Afghanistan und seinen unmittelbaren und weiteren Nachbarn in Gang gesetzt. Ziel ist es, die regionalen Kooperationen bei Sicherheits-, Wirtschafts- und Entwicklungsfragen langfristig zu vertiefen und zu systematisieren. Das Fundament bildet eine Reihe von Prinzipien - unter anderem Gewaltverzicht, territoriale Integrität und Nichteinmischung -, die für die Sicherheit und Stabilität der Region als grundlegend angesehen werden und die für die Staaten der Region verpflichtend werden sollen. Dazu zählt auch die Unterstützung des innerafghanischen Versöhnungsprozesses. Als Grundlage für den nunmehr beginnenden Prozess dient ein Katalog von vertrauensbildenden Maßnahmen. Als weiterer Schritt ist ein Treffen auf Ebene der Außenminister im Juni 2012 in Kabul vereinbart worden. Das wird zuvor auf Arbeitsebene vorbereitet, und es werden voraussichtlich vertrauensbildende Maßnahmen im Bereich Sicherheit beraten. Die Einbettung Afghanistans als selbstständiger und souveräner Partner in der Region ist ein wichtiger Bestandteil der deutschen Afghanistan-Politik und ist für die langfristige Stabilisierung des Landes unverzichtbar. Sie ist natürlich auch integraler Bestandteil unseres Konzeptes für die Afghanistan-Konferenz Anfang der nächsten Woche in Bonn.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Kollege Johannes Pflug.

Johannes Pflug (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank, Herr Staatsminister. - Sind auf der Konferenz in Istanbul irgendwelche Verifizierungsgespräche, Nachfolgekonferenzen oder Institutionalisierungen von Gesprächsformaten vereinbart worden, die von uns auch im Hinblick auf die in Bonn anstehende Konferenz genutzt werden könnten?

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Ja und nein. Der Prozess soll eine Fortsetzung in der Konferenz von Kabul finden, die aber erst nach der Bonner Konferenz stattfindet. Es macht Sinn, das, was in Istanbul beschlossen worden ist, in die Bonner Konferenz einfließen zu lassen und dann weitere Schlussfolgerungen zu ziehen. Um es etwas flapsig auszudrücken: Die Istanbul-Konferenz ist keine Eintagsfliege.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage.

Johannes Pflug (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, an dieser Konferenz hat Pakistan noch teilgenommen. Wie würden Sie die Rolle Pakistans auf dieser Konferenz charakterisieren?

Not found (Gast)

Unter dem Vorbehalt, dass ich selbst nicht dabei war und ich mich auf die Berichte von Bundesminister Westerwelle, der an dieser Konferenz teilgenommen hat, beziehen muss, will ich sagen: Ich fand die Teilnahme und die Art der Teilnahme Pakistans an dieser Konferenz hoffnungsspendend. Deswegen halten wir ja so an dem Wunsch fest, mit Pakistan weiterhin zusammenzuarbeiten. In der Pakistan-Politik gibt es im globalen Maßstab große Fragezeichen und große Probleme. Pakistan ist ein wichtiges Land in der Region und in der Welt. Es ist auch ein Land, das Probleme hat, die im Nuklearzeitalter für uns alle releStaatsminister Dr. Werner Hoyer vant sind. Deswegen müssen wir uns intensiv darum kümmern und müssen sagen, was geht und was nicht geht. Ich warne vor der Dämonisierung eines solchen Partners, der für die Stabilisierung dieser Region und der Welt von herausragender Bedeutung ist. Deswegen sollten wir uns um einen konstruktiven Umgang bemühen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. Wir kommen zur Frage 6 des Abgeordneten Johannes Pflug: Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherigen Ergebnisse der Loya Jirga vom November 2011 mit Blick auf die stagnierenden Gespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Aufständischen, und welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen und geplant, um diesen abgebrochenen Gesprächsprozess wieder in Gang zu bringen? Bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Die Bundesregierung begrüßt es, dass die Delegierten der Loya Jirga den Prozess einer politischen Einbindung der Aufständischen ausdrücklich unterstützt haben. Nach der Ermordung des Vorsitzenden des Hohen Friedensrates Burhanuddin Rabbani und der aufgeheizten Stimmungslage in den Folgewochen setzten die Delegierten mit ihrer Resolution ein klares Zeichen der Fortsetzung der Friedenspolitik. Die Bundesregierung teilt die Auffassung der afghanischen Regierung, dass eine Lösung letztlich nur politisch gelingen kann. Zwischen der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft besteht Einigkeit, dass der Versöhnungsprozess unter afghanischer Führung stehen muss. Die Bundesregierung ist auf Wunsch der afghanischen Regierung bereit, diesen Prozess im Rahmen des ihr Möglichen zu unterstützen. So wurde unter deutschem Vorsitz im Sanktionsausschuss der Vereinten Nationen die Trennung in ein Al-Qaidaund ein Afghanistan-Taliban-Sanktionsregime bewirkt. Nach ersten bereits erfolgten Entlistungen - also die Streichung von den Listen, wie man das so schön nennt - im Sommer 2011 werden zurzeit weitere Anträge im Sinne von vertrauensbildenden Maßnahmen zur Unterstützung des politischen Prozesses bearbeitet. Wir sind insofern bei diesem überaus komplexen Thema verhalten optimistisch.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Kollege Pflug.

Johannes Pflug (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön, Herr Staatsminister. - Ein wichtiges Ergebnis dieser Loya Jirga ist wohl die Akzeptanz einer dauerhaften amerikanischen Truppenpräsenz in Afghanistan auch nach dem Jahr 2014. Angesichts des dramatisch verschlechterten Verhältnisses zwischen den USA und Pakistan stellt sich natürlich die Frage, wie die Auswirkungen einer dauerhaften Truppenpräsenz in Afghanistan beurteilt werden. Halten Sie es für denkbar, dass die Deutschen bzw. die Europäer gemeinsam mit den Amerikanern versuchen, ihre Interessen in dieser Region Südasiens zu definieren, um vielleicht doch noch zu einer ansatzweisen Stabilisierung zu kommen?

Not found (Gast)

Es ist völlig klar, dass wir mit unseren amerikanischen Freunden in einem sehr engen Dialog stehen und dass wir die Sensibilitäten im Hinblick auf die verschiedenen Truppensteller in der Region - Afghanistan selber, aber auch Pakistan und andere Länder - kennen. Deswegen ist es logisch, dass sich die NATO mit diesen Fragen befasst und wir direkt mit unseren amerikanischen Freunden kommunizieren. Jetzt aber - unmittelbar vor der Bonn-Konferenz und unmittelbar nach diesem furchtbaren Ereignis, das uns vorhin beschäftigt hat - wäre es falsch, einen Schnellschuss zu machen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre nächste Nachfrage, Herr Kollege Pflug.

Johannes Pflug (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, können Sie die Hoffnung bestätigen, dass es auch auf der Seite der Aufständischen Gesprächspartner gibt, mit deren Hilfe man vielleicht doch noch zu positiven Ergebnissen in diesem Verhandlungsund Friedensprozess kommen kann?

Not found (Gast)

Das ist einer der brisantesten Komplexe, die es hier zu bearbeiten gilt. Ich möchte nicht einer Illusionspolitik geziehen werden. Wenn Sie mich aber so persönlich fragen, würde ich sagen: Bei mir ist ein Funken Hoffnung da.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. Die Frage 7 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele sowie die Fragen 8 und 9 des Abgeordneten Dr. h. c. Gernot Erler werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich: Welche gemeinsamen Kriterien legt die Bundesregierung dem Begriff der Gestaltungsmächte zugrunde, und welche Länder zählt sie im Einzelnen dazu? Bitte schön, Herr Staatsminister.

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Die Bundesregierung erstellt derzeit unter Federführung des Auswärtigen Amts ein ressortabgestimmtes Konzept zur Zusammenarbeit mit aufstrebenden Mächten zur Gestaltung deutscher Globalisierungspolitik. Wir befinden uns in einem intellektuellen Findungsprozess, der von einem Abschluss noch weit entfernt ist. Insofern kann ich Ihnen über Ergebnisse noch keinen Bericht er17260 statten. Ziel des Konzeptes ist es, das Zeitalter der globalen Interdependenzen mit aufstrebenden Mächten durch eine kohärente Globalisierungspolitik aktiv mitzugestalten. Aber wir befinden uns hier in einer relativ frühen Phase. Da das Thema eine solche Dimension hat, muss ich sagen: Man muss etwas wachsen lassen, und die politische Führung muss sich intensiv damit beschäftigen. Da würde ich nicht gleich jeden Referentenentwurf für bare Münze nehmen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Kollege Dr. Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Ich gehe davon aus, dass die Bundeskanzlerin keine Referentenentwürfe in die Kabinettsberatungen einbringt. Es war aber die Bundeskanzlerin, die im Zusammenhang mit der Diskussion über Panzerlieferungen an Saudi-Arabien sehr konkret von der Gestaltungsmacht Saudi-Arabiens gesprochen hat. Deswegen verwundert es mich jetzt schon, dass Sie auf der einen Seite noch in einem offenen intellektuellen Findungsprozess mit aufstrebenden Mächten zur Gestaltung deutscher Globalisierungspolitik sind und auf der anderen Seite bereits Waffenlieferungen in den Nahen Osten genehmigt haben. Wie passt das zusammen? Wie bewerten Sie, wenn Saudi-Arabien zu den Gestaltungsmächten gehört, mit Blick auf die Waffenlieferungen an dieses Land eine Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik - die Stiftung arbeitet sowohl der Bundesregierung als auch dem Bundestag zu; die Studie ist im Netz abrufbar -, in der insbesondere steht, dass Saudi-Arabien unruhigen Zeiten entgegengeht?

Not found (Gast)

Das geht weit über den Scope Ihrer ursprünglichen Fragestellung hinaus; aber das ist völlig legitim. - Ich bleibe dabei, dass wir in dem Moment, in dem wir das zu einem in der Regierung abgestimmten Konzept erklären, eine Vorlage präsentieren müssen, die weit über die Definition des Begriffs „neue Gestaltungsmacht“ hinausgeht. Ein solches globalisierungspolitisches Konzept gibt es aber noch nicht. Ich wäre da sehr vorsichtig. Deswegen würde ich den Begriff nicht auf einen Kontext reduzieren, der ausgesprochen streitig ist und differenziert zu betrachten ist. Der von Ihnen hergestellte Zusammenhang mit Rüstungsexporten führt von vornherein auf eine falsche Spur. Wenn man ein umfassendes Konzept einer aktiveren Globalisierungspolitik erstellen möchte, dann muss man sich mit dieser Frage umfassender beschäftigen. Ansonsten bleibt es dabei, dass es hier um Staaten geht, die im regionalen oder internationalen Bereich eine besondere Wirtschaftskraft aufweisen, einen starken Gestaltungswillen in verschiedenen Politikbereichen haben und denen eine zentrale Bedeutung bei der Gestaltung globaler Ordnungspolitik zukommt. Das wäre der Versuch einer Definition; aber er reicht nicht aus, um ein globalisierungspolitisches Konzept zu entwickeln.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Kollege Dr. Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, trotz der großen Sympathie sowohl für Ihre Antwort als auch für Ihre Person muss ich noch einmal nachfragen. Sie sagen, es gebe zurzeit einen Abstimmungsprozess im Hinblick auf die Rolle der Gestaltungsmächte in der deutschen Außenpolitik. Wie lange muss der Bundestag nach Ihrer Einschätzung auf die abschließende Bewertung der Rolle der Gestaltungsmächte in der internationalen Politik durch die Bundesregierung warten? Wird eine solche Bewertung bis zum Ende der Legislaturperiode, egal wie lange sie dauert, vorliegen?

Not found (Gast)

Da kann ich Sie beruhigen: Unsere Fachleute sind bei der Behandlung dieser Frage sehr ambitioniert und möchten bald etwas beschlossen sehen. Ich halte die Frage aber für so brisant, dass wir in der politischen Führung sehr genau darüber diskutieren müssen und dass wir unsere, wie ich finde, immer sehr anregenden Begegnungen im Auswärtigen Ausschuss dazu nutzen sollten, einen intellektuellen Diskurs darüber zu führen und dann hoffentlich gemeinsam etwas zustande bringen. Denn das ist die Frage, mit der wir uns in den nächsten Jahren prioritär befassen werden: Wie werden wir die Selbstbehauptung Deutschlands im europäischen Kontext und in der Globalisierung organisieren? Dies ist eine ganz entscheidende Frage.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen zur Frage 11 unseres Kollegen Dr. Rolf Mützenich: Warum beurteilt die Bundesregierung die Umbrüche in Nordafrika als „Gefahr für die Sicherheit“ ({0}), anstatt die ihnen innewohnenden politischen Chancen dieser gesellschaftspolitischen Entwicklungen für die Nachbarregion Europas aktiv politisch zu nutzen? Bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Hier ist, glaube ich, ein begriffliches Problem entstanden, und zwar dadurch, dass der negativ konnotierte Ausdruck „Gefahr für die Sicherheit“ in Zusammenhang mit den Entwicklungen in Nordafrika verwendet worden ist. Es ist natürlich völlig klar, dass die Bundesregierung den Entwicklungen der vergangenen Monate in nordafrikanischen Ländern in Richtung Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit, politischer Teilhabe und Menschenwürde mit großer Sympathie begegnet und sie begrüßt. Die Bundesregierung sieht diese Entwicklungen zunächst einmal als eine große Chance für diese Länder selber, aber eben auch als eine Chance für die Vertiefung der bilateralen und der interregionalen Zusammenarbeit, insbesondere der Zusammenarbeit Nordafrikas mit der Europäischen Union. Die Bundesregierung unterstützt diese Entwicklungen durch konkrete Vorhaben in der Zusammenarbeit, wie sie in den Transformationspartnerschaften, zunächst mit Ländern wie Tunesien und Ägypten, zum Ausdruck kommen. Auch in der Europäischen Union setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass durch eine Neuausrichtung der europäischen Nachbarschaftspolitik insbesondere die reformorientierten Staaten Nordafrikas unterstützt werden und wir somit die Chancen dieser Entwicklungen fördern.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Dr. Mützenich. Bitte schön.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich bin dankbar, dass wir uns darauf verständigen können, dass es ein gewisses - wie Sie es formuliert haben - begriffliches Problem gibt, was die Stellungnahme der Bundesregierung an die Europäischen Kommission betrifft. In der Tat bergen solche Umbruchsituationen auf der einen Seite Risiken, aber sie bieten auf der anderen Seite durchaus auch Chancen für Europa. Das haben Sie eben ausgeführt. Kann es dennoch sein, dass nicht ein begriffliches Problem besteht - diese Stellungnahme wurde unter Federführung des Wirtschaftsministeriums erarbeitet -, sondern dass damit die Begründung für eine Lieferung sowohl von Dual-Use-Gütern als auch möglicherweise von Rüstungsgütern erleichtert wurde?

Not found (Gast)

Ich will das nicht auf die Federführung des Wirtschaftsministeriums reduziert wissen. Das ist ein umfassenderes Problem; denn die Entwicklungen in den einzelnen Ländern Nordafrikas sind sehr unterschiedlich. Risiken durch die Umleitung von problematischen Gütern an Dritte sind angesichts teilweise längst noch nicht hinreichend ausgeprägter staatlicher - auch rechtsstaatlich kontrollierter - Strukturen nicht ganz auszuschließen. Deswegen müssen wir uns offenen Auges mit diesem Problem befassen. Auf die möglichen Risiken und Gefahren besonders vor dem Hintergrund der Ausfuhrkontrolle weist die Formulierung der Bundesregierung in der Stellungnahme zum Grünbuch der EU-Kommission hin, ohne einen falschen Verdacht produzieren zu wollen; das wäre sicherlich unangemessen. Nehmen Sie als Beispiel die Risiken im Verhältnis zu anderen fragilen Sahel-Staaten, in denen al-Qaida im islamischen Maghreb seine Aktivitäten ausdehnt. Neulich wurde uns über massive Zuflüsse von Waffen aus libyschen Beständen an al-Qaida in der Region berichtet. Das ist ein Problem, das man nicht einfach wegdiskutieren kann. Ich möchte aber um Himmels willen nicht die demokratischen, rechtsstaatlichen Kräfte, die sich in Nordafrika auf einen großartigen Reformweg begeben, unter Generalverdacht stellen. Das wäre völlig unangemessen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Kollege Dr. Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, da wir von Ihnen gerade gehört haben, dass es sich um ein begriffliches Problem bzw. um eine unzutreffende Zuschreibung handelt, gehe ich davon aus, dass die Bundesregierung in Zukunft vorsichtiger bei der Verwendung solcher Formulierungen sein wird. Ich hoffe, dass das Auswärtige Amt seinen Beitrag dazu leisten wird. Unabhängig davon: Sind Sie mit mir der Meinung, dass - wie es auch in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Grünbuch der Europäischen Kommission heißt - eine Harmonisierung bei EU-Ausfuhren von Dual-Use-Gütern oder Rüstungsgütern nicht mehr beabsichtigt ist? Gibt es in der Bundesregierung einen Paradigmenwechsel, was die Harmonisierung bei der Ausfuhr solcher Güter innerhalb der Europäischen Union betrifft?

Not found (Gast)

Dieser Zusammenhang geht mir jetzt zu weit. Das wäre eine Frage der grundsätzlichen Orientierung, der Neuorientierung der Rüstungsexportpolitik bzw. der Dual-Use-Exportpolitik. Das lässt sich anhand dieses einen Beispiels nicht beantworten. Das wäre leichtfertig.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nachdem der Kollege Dr. Mützenich seine zwei Nachfragen gestellt hat, hat jetzt Frau Kollegin Katja Keul das Wort.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Nachdem Sie uns erklärt haben, dass die Formulierung „Gefahr für die Sicherheit“ eine begriffliche Verwirrung ist, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen klar ist, dass nicht nur im Wirtschaftsministerium, sondern auch im Verteidigungsministerium offensichtlich solche Verwirrungen herrschen. Wir haben in der Debatte über eine Verlängerung des Militäreinsatzes Operation Active Endeavour im Mittelmeer das seltsam anmutende Argument gehört, dass es zwar schwierig sei, diesen Einsatz angesichts seiner bisherigen Legitimation zu rechtfertigen, dass aber durch die Umbrüche in Nordafrika jetzt alles so gefährlich sei, dass man die Begründung dieses Militäreinsatz darauf stützen könne. Das scheint mir doch über eine begriffliche Verwirrung hinauszugehen. Wie stehen Sie zu dieser Einschätzung des Verteidigungsministeriums?

Not found (Gast)

Ich glaube, wir sprechen hier ein Stück weit unterschiedliche Sprachen. Ich habe gesagt: Dieser Begriff ist problematisch, wenn er mit den gegenwärtigen Reformprozessen in Nordafrika in Zusammenhang gebracht wird. Diese Reformprozesse sind großartig. Sie verdie17262 nen unsere Unterstützung, nicht unsere Verdächtigungen. Trotzdem haben wir objektiv betrachtet Probleme mit dem Nachweis des Verbleibs von bestimmten Gütern. Deswegen müssen wir der Sache genau auf den Grund gehen. Wenn Probleme im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit und die Belastbarkeit staatlicher Institutionen bestehen, auch im Kontrollbereich - auf der Konferenz der Körber-Stiftung, die gestern in Berlin stattfand, haben die Menschen aus der Region das nachhaltig unterstrichen -, dann müssen wir diese ernst nehmen, auch mit Blick auf die Gefahren, die aus den Exportaktivitäten resultieren können. Das ist überhaupt keine diskriminierende Äußerung gegenüber den Ländern in der Region. Man muss bei der Formulierung aufpassen. Dass das Wirtschaftsministerium, welches diese Vorlage, wie ich glaube, gemacht hat, darauf hinweist, dass es ein Problem gibt, finde ich vollkommen realistisch. Ich glaube, Sie würden uns als Erste vorwerfen, nicht hinreichend aufgepasst zu haben, wenn ein Rüstungsgut in einem Land auftauchen würde, in das es nicht gehört.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. Wir bleiben in diesem Geschäftsbereich. Ich rufe die Frage 12, gestellt von unserem Kollegen Niema Movassat, auf: Was hat der deutsche Botschafter in Namibia, Egon Kochanke, am 16. November 2011 in Windhuk gemeint, als er anlässlich der Unterzeichnung der bilateralen Vereinbarungen der Entwicklungszusammenarbeit gegenüber der Presse Bezug auf die namibische Delegation in Berlin anlässlich der Rückführung von Gebeinen von Opfern des deutschen Vernichtungsfeldzugs nach Namibia nahm und davon sprach, dass diese „aufgrund ihrer versteckten Agenda“ einen „negativen Eindruck“ hinterlassen habe ({0})? Herr Staatsminister, bitte.

Not found (Gast)

Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Republik Namibia hat gegenüber der namibischen Presse anlässlich der Unterzeichnung eines Abkommens über die Entwicklungszusammenarbeit zwischen Deutschland und Namibia seine Hoffnung ausgedrückt, dass die bilateralen Beziehungen davon bestimmt sein mögen, zukunftsgerichtet die Entwicklungschancen Namibias zu erkennen und zu fördern, ohne - das möchte ich betonen - die historischen Belastungen aus der gemeinsamen Geschichte zu vernachlässigen. Botschafter Kochanke verwies mit seiner Äußerung darüber hinaus auf den Umstand, dass die namibische Delegation, die zur Entgegennahme von Schädeln von Herero und Nama nach Berlin gereist war, wenn auch nur teilweise, Wiedergutmachungsforderungen erhoben hatte. Der Bundesregierung wurde im Vorfeld des Delegationsbesuchs von der namibischen Regierung wiederholt versichert, dass alleiniger Besuchszweck die Rückführung der Schädel sein sollte.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Staatsminister, es geht letztlich um die Äußerung des deutschen Botschafters in Namibia, dass die namibische Delegation „aufgrund ihrer versteckten Agenda“ einen „negativen Eindruck“ hinterlassen habe. Das ist mit Blick auf die diplomatischen Beziehungen eine sehr drastische Äußerung. Insofern stellt sich sehr konkret die Frage - das ist meine Nachfrage -: Welche konkreten Absprachen gab es, die die namibische Delegation angeblich nicht eingehalten hat? Welche Absprachen gab es zwischen dem Auswärtigen Amt, der Botschaft der Republik Namibia und der Charité? Welche davon soll die namibische Delegation verletzt haben, weil sie eine „versteckte Agenda“ verfolgt hat?

Not found (Gast)

Die namibische Delegation bzw. die namibische Regierung hatte vorher klargestellt - das war Konsens mit der deutschen Regierung -, dass die Frage der möglichen Wiedergutmachungsleistungen nicht Gegenstand dieses Besuchs sein würden. Ich bin sehr vorsichtig damit, den namibischen Partnern hier Vorwürfe zu machen; denn sie sind von Organisationen in Deutschland geradezu aufgestachelt worden. ({0}) Diese Organisationen haben diesen Besuch genutzt, um richtig zuzulangen und um zu erzwingen, dass dieses Thema auf die Tagesordnung kommt. Ich glaube fast, es wäre von den namibischen Partnern zu viel verlangt, wenn man verlangen würde, darauf überhaupt nicht einzugehen. Deswegen sollten wir uns einmal selbst fragen, ob dieser Besuch nicht möglicherweise doch in unangemessener Weise in eine falsche Richtung gelenkt worden ist, nicht von den Namibiern, sondern von denen, die hier als Kogastgeber aufgetreten sind. Im Übrigen waren die Absprachen mit der Bundesregierung in diesem Zusammenhang ausgesprochen schwierig. Der Termin ist mehrfach verschoben bzw. abgesagt worden. Auch die Delegationszusammensetzung ist immer wieder verändert worden. Zum Schluss wurden der Termin und der Ablauf der Veranstaltung von der namibischen Seite einseitig festgelegt. Dennoch hat sich die Bundesregierung eingebracht, auch durch die persönliche Teilnahme und den Redebeitrag der Kollegin Staatsministerin Pieper.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Herr Staatsminister, wenn Sie die Kritik nicht an der namibischen Delegation festmachen, sondern an der deutschen Zivilgesellschaft, die in diesem Bereich aktiv ist, dann frage ich mich - das frage ich Sie -: Warum hat die Bundesregierung nicht zumindest die Chance zum Dialog genutzt? Es gab eine konkrete Einladung zu einer Podiumsdiskussion am 28. September 2011. Dort hätte man in einen offenen, transparenten Dialog mit der namibischen Delegation eintreten können. Man hätte auch über die Fragen „Völkermord“ und „Wiedergutmachung“ in einer transparenten Art und Weise reden und seine Position deutlich machen können. Das wurde versäumt. Warum?

Not found (Gast)

So laufen internationale Verhandlungen und Gespräche über so komplexe Angelegenheiten nicht. Man begibt sich nicht auf eine Initiativveranstaltung, um dort mit den ausländischen Partnern Verhandlungen zu führen; so läuft das nicht. Vielmehr verabredet man vorher, welche Themen bei einer solchen Reise behandelt werden sollen, welche Abläufe es geben soll und in welchen Formaten diskutiert werden soll. Das wird dann abgearbeitet. Wie gesagt: Den Vorwurf richte ich nicht in erster Linie an die namibischen Freunde, sondern wir müssen selbstkritisch fragen, ob das alles in Deutschland gut gelaufen ist. Wir können eine solche Veranstaltung nicht in einer solch chaotischen Weise durchführen. Es wäre besser gewesen, wenn es über Zeit, Ablauf und Zusammensetzung dieser Besuchsreise eine präzise Absprache mit der Bundesregierung gegeben hätte. Das ist leider nicht der Fall gewesen. Da wir es in der Tat mit einem ganz komplexen und belastenden historischen Thema zu tun haben, sollten wir aufpassen, dass dies in der Zukunft nicht zu weiteren Belastungen des namibisch-deutschen Verhältnisses führt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Wir kommen nun zu Frage 13, ebenfalls gestellt vom Kollegen Niema Movassat: Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass sie dem wiederholt und mit Nachdruck vorgetragenen Bekenntnis zum schweren historischen Erbe, zu der daraus resultierenden moralischen und historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia und der Sonderbeziehung zwischen den beiden Staaten gerecht wird, wie es die Staatsministerin Cornelia Pieper am 30. September 2011 in ihrer Rede in der Berliner Charité betonte, wenn der deutsche Botschafter in Namibia das durch die skandalöse Abfertigung der namibischen Delegation durch die Bundesregierung ohnehin strapazierte Verhältnis zu Namibia durch derartige Aussagen zusätzlich belastet? Bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Wir sind nicht der Auffassung, dass Botschafter Kochanke, der durchaus zu handfesten Äußerungen in der Lage ist und diese auch immer gut begründen kann, die namibische Delegation in irgendeiner Weise beleidigt oder das Verhältnis zu Namibia belastet hätte; das sehe ich nicht. Im Übrigen weise ich auch deutlich den Vorwurf zurück - dies wird in Ihrer Frage insinuiert -, dass die namibische Delegation skandalös abgefertigt worden wäre. Das sind Bewertungen, die ich mir ganz gewiss nicht zu eigen mache.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Kollege.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Herr Staatsminister, bei der Beantwortung der Frage einer unangemessenen Abfertigung der namibischen Delegation ist natürlich ein ganz entscheidender Punkt, wie bei der Übergabe der Schädel mit der Delegation umgegangen worden ist. Bei dieser Veranstaltung hat Frau Staatsministerin Pieper nicht die Rede des namibischen Ministers abgewartet, sondern ist nach ihrer Rede sofort gegangen, was, soweit ich weiß, auch unter diplomatischen Gesichtspunkten äußerst problematisch ist; man sollte sich zumindest die Rede des Gastes anhören.

Not found (Gast)

Ich muss Ihnen sagen, dass diese Veranstaltung - der Vorwurf wird in diesem Zusammenhang manchmal geäußert - nicht in der Zuständigkeit des Bundes lag, sondern dass es sich um eine Veranstaltung der Charité handelte. Frau Kollegin Pieper ist während der exzellenten Rede, die sie bei dieser Gelegenheit gehalten hat, auf unglaubliche Weise gestört worden, und ihr ist das Wort abgeschnitten worden. Daher hielten es die Sicherheitskräfte der Charité für richtig, sie anschließend aus dieser Veranstaltung herauszubringen. Ich mache da - das sage ich erneut - den namibischen Kollegen keinen Vorwurf, sondern weise darauf hin: Deutsche Teilnehmer dieser Veranstaltung haben dafür gesorgt, dass die Vertreterin der Bundesregierung nicht richtig zu Wort kommen konnte. Bevor wir hier ein internationales Problem produzieren, sollten wir uns an die eigene Nase fassen und darüber nachdenken, dass diese sehr kritische Situation unter Umständen missbraucht wurde, um billiges innenpolitisches Kapital daraus zu schlagen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Sie haben Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, es ist aber auch so - das muss man zur Kenntnis nehmen -, dass in der namibischen Presse und in der namibischen Gesellschaft das Vorgehen der Bundesregierung kritisiert worden ist. Es gibt den Vorwurf, dass die Äußerungen des Botschafters dazu geeignet sind, die innere Stabilität und den nationalen Versöhnungsprozess in Namibia zwischen den schwarzen Volksgruppen und den Nachfahren der weißen Siedler aus der Kolonialzeit zu gefährden. Wie stehen Sie zu diesem Vorwurf?

Not found (Gast)

Ich halte davon nichts. Ich glaube, dass wir uns hier einen Schuh anziehen, der nicht passt. Richtig ist, dass die politische Situation in Namibia kompliziert ist und dass es innerhalb der politischen Kräfte in Namibia in der Frage der Wiedergutmachung und der Frage der Rückführung der Schädel sehr unterschiedliche Positionen gibt. Das hat ja auch die Vorbereitung dieser Übergabe so kompliziert gemacht. Deswegen sind immer wieder Termine abgesagt worden, neu angesetzt worden, und zum Schluss ist diese Angelegenheit, wie ich finde, auf eine unglückliche Art und Weise abgewickelt worden. Das hat die ganze Angelegenheit nicht erleichtert. Aber wir sollten uns nicht einreden, Deutschland, das sich ernsthaft bemüht, mit einer historischen Belastung angemessen umzugehen, würde die Schuld auf sich laden, wenn es darum geht, dass der innenpolitische Prozess in Namibia schwierig ist.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Eine weitere Frage hierzu stellt unser Kollege Hartwig Fischer.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Herr Staatsminister, ist es nicht vielmehr so, dass dieses Thema in den vergangenen Jahren bei Besuchen aller Delegationen angesprochen wurde, dass es mit der Regierung in Namibia Einigkeit in Bezug auf die Auseinandersetzung - ich meine das im positiven Sinne - mit den Herero gegeben hat und dass mit der Rede und der Entschuldigung von Frau Wieczorek-Zeul in Namibia ein Grundkonsens auch mit den damals anwesenden Herero geschaffen wurde?

Not found (Gast)

In der Tat, Herr Kollege Fischer: Das Problem ist damals in einer würdigen Form erledigt worden. Das heißt nicht, dass wir uns unserer historischen Belastung nicht immer bewusst sein werden und dies auch gegenüber den namibischen Freunden zum Ausdruck bringen sollten. Aber das Thema Wiedergutmachung war damit durch. Man muss schon feststellen, dass es ständig von Kräften innerhalb der Bundesrepublik Deutschland neu aufgemischt wird. Das ist nicht hilfreich für den weiteren Prozess in Namibia selber, und es ist mit Sicherheit nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Die Frage 14 der Kollegin Kotting-Uhl wird schriftlich beantwortet. Die Frage 15 der Kollegin Dağdelen wurde zurückgezogen. Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder zur Verfügung. Ich rufe Frage 16 der Kollegin Dağdelen auf: Wieso sieht die Bundesregierung keinen Anlass, sich mit der niederländischen Regierung über die Frage der Anwendung und Auslegung des Verschlechterungsverbots des EWGTürkei-Assoziationsrechts auszutauschen ({0}), obwohl diese ganz im Gegensatz zur Bundesregierung das für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen gültige Assoziationsrecht so auslegt, dass von türkischen Staatsangehörigen zum Beispiel keine Sprachnachweise im Ausland als Voraussetzung für den Ehegattennachzug verlangt werden dürfen, und inwieweit hält die Bundesregierung einen Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2010 noch für tragfähig, nachdem dieses vom Gericht selbst in einer anderen europarechtlichen Frage als überholt bezeichnet wurde ({1}) und nach diesem Urteil weitere maßgebliche Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs ergangen sind, die damals noch nicht berücksichtigt werden konnten? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 30. März 2010 die Rechtsauffassung der Bundesregierung bestätigt, dass die Regelungen zum Sprachnachweiserfordernis mit europäischem Recht, insbesondere mit Art. 7 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie und dem Assoziationsrecht EU-Türkei, vereinbar sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem von der Fragestellerin zitierten Kostenbeschluss vom 28. Oktober 2011 im Verfahren lediglich darauf hingewiesen, dass die Europäische Kommission im Mai 2011 in einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof eine veränderte Rechtsauffassung vertreten hat. Entgegen der Darstellung der Fragestellerin hat sich das Bundesverwaltungsgericht dabei weder auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs berufen, noch kann man dem Kostenbeschluss entnehmen, dass das Bundesverwaltungsgericht von seiner Auffassung, wonach das deutsche Sprachnachweiserfordernis mit Grundgesetz und europäischem Recht vereinbar ist, abweichen wollte. Die Bundesregierung hält ebenfalls an dieser Rechtsauffassung fest. Unbeschadet der Tatsache, dass die Europäische Kommission in der Frage der Vereinbarkeit der Sprachnachweisregelung mit der Familienzusammenführungsrichtlinie eine andere Rechtsauffassung als die Bundesregierung vertritt, bleibt der EuGH zur abschließenden Auslegung des Gemeinschaftsrechts berufen. Der EuGH hat sich zu dieser Rechtsfrage noch nicht geäußert. Vor diesem Hintergrund besteht aus Sicht der Bundesregierung kein Anlass für Gespräche mit der niederländischen Regierung über die Vereinbarkeit nationaler Sprachnachweisregelungen mit dem europäischen Recht.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, man kann es sich natürlich einfach machen, indem man nur das wiederholt, was man bis vor kurzem auch immer behauptet hat: dass das Gericht in seiner Entscheidung vom März 2010 nicht von seiner Auffassung abgerückt ist. Fast alle Expertinnen und Experten in der Fachwelt sagen aber genau das Gegenteil von dem, was Sie hier behaupten. Natürlich ist mir die Rechtsauffassung der Bundesregierung aufgrund der Antworten auf die vielen Kleinen Anfragen, die wir in dieser Sache gestellt haben, seit längerem bekannt. Eines verstehe ich aber nicht: Das Assoziationsabkommen gilt doch für alle EU-Mitgliedstaaten gleichermaßen und mit gleichem Inhalt. Wenn man nun sieht, dass die Niederlande, die, wenn ich das so sagen darf, nicht unbedingt eine migrantenfreundliche Regierung haben - schließlich wird sie vom Rechtspopulisten Wilders gestützt -, zu dem Schluss gekommen sind, dass Gesetzesverschärfungen durch die Einführung von Regelungen bezüglich der Sprachanforderungen mit dem Verschlechterungsverbot des Assoziationsrechts unvereinbar sind, dann darf das der Bundesregierung nicht egal sein. Irgendein Land - entweder Deutschland oder die Niederlande - muss ja bei der Umsetzung dieses Assoziationsrechts im Unrecht sein. Insofern möchte ich gerne wissen: Warum wird seitens der Bundesregierung nicht der Versuch unternommen, sich hier auszutauschen, um eine EU-einheitliche Umsetzung des Assoziationsrechts zu erreichen, bzw. sich wenigstens über die unterschiedlichen Anwendungspraxen und juristischen Argumente auszutauschen?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Für uns ist nicht entscheidend, was ein niederländisches Gericht gesagt hat, sondern für uns ist erstens entscheidend, welche Gesetze der Deutsche Bundestag gemacht hat. Die Rechtslage in Deutschland ist so, dass ein Sprachnachweis erforderlich ist. Das halten wir als Bundesregierung auch für richtig und notwendig, weil das eine wichtige Maßnahme für eine bessere Integration ist. Für die Bundesregierung ist zweitens maßgeblich, was deutsche Gerichte sagen. Das Bundesverwaltungsgericht hat ein entsprechendes Urteil gesprochen, und eine Verfassungsbeschwerde wurde nicht angenommen. Das ist für uns entscheidend.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie irren schon, wenn Sie von einem niederländischen Gericht ausgehen. Es ging nicht um ein niederländisches Gericht, sondern es ging um den EuGH, der einen Einzelfall aus den Niederlanden betrachtet hat und kurz vor der Entscheidung stand. Daraufhin haben die Niederlande die Regelung zurückgezogen und ein Visum erteilt, ohne die Sprachkenntnisse verpflichtend zu machen und festzustellen. Die Regierung hat also sozusagen unter Vorwegnahme eines Entscheides des EuGH gehandelt, weil sie wusste, dass das, was in den Niederlanden geschehen und in Deutschland heute noch immer gültig ist, einfach Unrecht und mit dem Assoziationsrecht unvereinbar ist. Ich frage mich, warum Sie noch immer mit diesem Verweis auf das Bundesverwaltungsgericht agieren, obwohl es von seiner Meinung vom März 2010 ziemlich abgerückt ist, dass diese Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug mit dem EU-Recht vereinbar sind. Da das Bundesverwaltungsgericht von seiner Entscheidung vom März 2010 abgerückt ist, kann sich die Bundesregierung heute doch nicht hier hinstellen und weiterhin genau auf dieses Urteil verweisen. Deshalb noch einmal meine Frage - es geht nicht um die politische Entscheidung -: Inwiefern überprüft die Bundesregierung überhaupt die Einheitlichkeit und die Vereinbarkeit mit dem Assoziationsrecht und dem Verschlechterungsverbot?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Das niederländische Zentrale Berufungsgericht hat mit Urteil vom 16. August 2011 entschieden, dass es mit dem Assoziationsrecht EU - Türkei nicht vereinbar ist, von türkischen Staatsangehörigen in den Niederlanden einen Integrationstest zu verlangen. Die niederländische Regierung hat dieses Urteil dann so interpretiert, dass von türkischen Staatsangehörigen auch kein Sprachtest vor dem Ehegattennachzug verlangt werden kann, und die Rechtsanwendung entsprechend angepasst. Der EuGH hat bislang keine Entscheidung zur Vereinbarkeit von Sprachnachweiserfordernissen mit europäischem Recht gefällt. Darauf möchte ich noch einmal hinweisen. Letztendlich ist das auch eine politische Frage. Solange es rechtlich möglich ist, einen solchen Sprachnachweis zu verlangen, werden wir das auch tun, weil wir der Meinung sind, dass es für diejenigen, die nach Deutschland kommen, um sich hier zu integrieren, von großem Vorteil ist, wenn sie wenigstens ein paar Worte Deutsch sprechen können. Das ist eine wichtige vorgelagerte Integrationsmaßnahme.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Die Frage 17 des Abgeordneten HansChristian Ströbele und die Frage 18 des Abgeordneten Andrej Hunko werden schriftlich beantwortet. Ich rufe Frage 19 der Kollegin Stüber auf: Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass kommunale Feuerwehren im Zuständigkeitsgebiet von Bundesautobahnen auch in Zukunft Spezialeinsätze in Unfall- und Katastrophenfällen auf Bundesautobahnen sicherstellen können? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich beantworte die Frage wie folgt: Das kommunale Feuerwehrwesen sowie die Organisation des Rettungsdienstes sind ausschließlich Sache der Länder. Den Ländern und Kommunen obliegt die Sicherstellung einer einsatzfähigen Feuerwehr. Der Bund hat diesbezüglich keine Zuständigkeit. Aber ich möchte hinzufügen, dass wir als Bundesregierung natürlich alles dafür tun, damit die Kommunen handlungsfähig sind. Deswegen haben Sevim DaðdelenSevim Dağdelen wir sie mit der Übernahme von großen Teilen der Sozialkosten entlastet, nämlich der Grundsicherung.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.

Sabine Stüber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004171, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, meiner Kenntnis nach ist die Verantwortung für Rettungsdienste erst Ende der 90er-Jahre an die Länder übertragen worden. Meine Frage ist jetzt: Wenn sich eine Kommune oder ein Land außerstande sieht, für die Anschaffung von Spezialtechnik aufzukommen, gibt es dann Möglichkeiten, dass der Bund dafür Mittel zur Verfügung stellt?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Was wir machen, ist, die Länder im Bereich des Katastrophenschutzes zu unterstützen. Mit der Neukonzeption aus dem Jahr 2008 hat man sich darauf verständigt, dass der Bund insgesamt 5 046 Einsatzfahrzeuge zur Verfügung stellt. Von denen haben wir bisher 3 651 ausgeliefert. Daran sehen Sie schon, dass der Bund seiner Verantwortung gerecht wird.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage.

Sabine Stüber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004171, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich darf noch einmal nachfragen. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie der Meinung sind, dass der Bund seiner Verantwortung gerecht wird? Korrekt?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich fasse zusammen, dass das kommunale Feuerwehrwesen sowie die Organisation des Rettungsdienstes ausschließlich Sache der Länder sind. Nichtsdestotrotz unterstützen wir. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Wir kommen nun zu Frage 20 der Kollegin Jelpke: Wie viele V-Leute sind vom Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV, durchschnittlich in den letzten fünf Jahren in der extrem rechten Szene geführt worden ({0})? Ursprünglich war hier schriftliche Beantwortung erbeten worden. Jetzt aber ist die Fragestellerin anwesend. Ist die Bundesregierung sprechbereit? ({1}) - „Immer“ wird mir signalisiert. - Bitte schön, Herr

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Wir sind davon ausgegangen, dass diese Frage schriftlich beantwortet wird. Deshalb mussten mir erst die Unterlagen gereicht werden. - Ich beantworte die Frage wie folgt: Die Antwort auf die Frage ließe Rückschlüsse auf den operativen Kernbereich der Nachrichtendienste zu. Die Bundesregierung äußert sich zu solchen Fragen ausschließlich im dafür zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre Nachfrage.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Das ist sehr bedauerlich, zumal im Rahmen des Verbotsverfahren bekannt geworden ist, dass mindestens 30 V-Leute in der Führung der NPD tätig gewesen sind. Ich frage Sie: Stimmen denn die Nachrichten in den Medien, dass gegenwärtig mehr V-Leute in den NaziStrukturen und in der NPD tätig sind als vor dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich kann nur noch einmal sagen, dass wir dazu in der Öffentlichkeit keine Auskünfte geben, sondern dass dafür das Parlamentarische Kontrollgremium da ist.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Jelpke.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsekretär, sind Sie nicht angesichts der Sicherheitslage vor dem Hintergrund der skandalösen Nazi-Anschläge der Meinung, dass die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf hat, zu erfahren, nicht wie die Sicherheitsbehörden arbeiten, sondern wie viele V-Leute dort im Einsatz sind? ({0})

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Die Zahl selbst gibt überhaupt keine Auskunft darüber, inwieweit die Sicherheitsbehörden involviert sind. Ich möchte noch einmal betonen, dass es sich bei V-Leuten nicht um verdeckte Ermittler handelt, sondern um Leute aus der Szene, die Informationen liefern. Das sind wichtige nachrichtendienstliche Quellen der Verfassungsschutzbehörden. Ich bitte noch einmal um Verständnis dafür, dass ich dazu hier in der Öffentlichkeit keine Auskunft geben kann.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Zu dieser Frage eine Nachfrage der Frau Kollegin Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die ganze Öffentlichkeit spricht inzwischen darüber. Es gibt Zeitungsartikel. Es ist vieles an die Öffentlichkeit gedrungen. Aber hier soll es nicht möglich sein, wenigstens diese Fragen zu beantworten? Das ist schon sehr eigenartig. Meine Frage betrifft Brandenburg. Der dortige Verfassungsschutz hat bereits 1998 Hinweise auf das Trio gegeben, um das es unter anderem geht. Warum sind diese Hinweise vom Bundesamt für Verfassungsschutz damals nicht so bearbeitet worden, dass es nicht noch weiterer 13 Jahre bis zur Aufklärung bedurfte? Das ist auch inzwischen vom Verfassungsschutz Brandenburg öffentlich bestätigt.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Sie können es weiter versuchen, aber ich werde keine Details zur Arbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz preisgeben.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir kommen damit zur Frage 21: Wie viel Geld wird vonseiten des BfV für den Einsatz von V-Leuten in der Szene der extremen Rechten jährlich ausgegeben ({0})? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich hatte bereits beide Fragen beantwortet, indem ich darauf hingewiesen habe, dass ich darauf keine Hinweise geben kann.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Jelpke will es trotzdem nicht unversucht lassen und hat ihre erste Nachfrage.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, genau. Ich meine, dass die Öffentlichkeit ein Recht hat, zu erfahren, wie viel Geld vom Verfassungsschutz gezahlt wird. Es sind schließlich Steuergelder, die dafür ausgegeben werden. ({0}) Meine Nachfrage bezieht sich darauf, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz verhindern will, dass VLeute vom Staat Gelder bekommen, die sie dann wieder in die Nazi-Szene investieren.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Der Verfassungsschutz hat hierfür Mechanismen, indem jede einzelne Aussage selbstverständlich kontrolliert und evaluiert wird. Mehr kann ich hierzu aber nicht sagen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Sie haben eine zweite Nachfrage.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie können sich vorstellen, Herr Präsident, dass ich mit diesen Antworten nicht einverstanden bin, weil ich meine, dass es gerade in dieser Situation ein öffentliches Interesse besonderer Art gibt. Es gibt Fälle aus der gesamten Republik, in denen sich V-Leute offen dazu bekannt haben, dass sie den Verfassungsschutz ausgespäht und die Gelder, die sie erhalten haben, wieder in die Szene investiert haben, um entsprechende Nazi-Strukturen aufzubauen. Sind Sie bereit, uns darüber Auskunft zu geben?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Was Sie beschreiben, muss unbedingt verhindert werden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat entsprechende Instrumentarien. Ich kann hier aber keine weiteren Auskünfte darüber geben, weil wir in der Öffentlichkeit nicht über die Arbeitsweise der Nachrichtendienste reden. Dafür gibt es das Parlamentarische Kontrollgremium.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Jetzt gibt es Nachfragen. Zunächst der Kollege Uwe Kekeritz.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich habe eine Frage zum September 1980. Sie erinnern sich: Das Oktoberfestattentat wurde zuerst als die Tat eines Einzeltäters niedergebügelt. Meine Frage ist: Kommt es jetzt zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens, und wird der Generalbundesanwalt die Ermittlungen führen?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Das ist Sache des Generalbundesanwalts. Dazu kann ich keine Auskünfte geben. Denn solche Verfahren werden in einem Rechtsstaat nicht von den Polizeien, sondern von den Staatsanwaltschaften geführt.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin Enkelmann, Sie haben die nächste Nachfrage.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich frage mich langsam, wozu wir hier sind. ({0}) Wir befinden uns in der Fragestunde. Wir befragen die Bundesregierung und gehen davon aus, dass die Bundesregierung antwortet. Es gibt so etwas wie eine Auskunftspflicht der Bundesregierung. Daran möchte ich Sie erinnern. Herr Präsident, Sie werden es schon vermuten: Das wird wieder Thema im Ältestenrat sein. Dennoch stelle ich meine Frage. Sie haben gerade festgestellt: Der Verfassungsschutz bekommt Geld. Das wissen wir alle; denn wir haben gerade in der vergangenen Woche den Haushalt beschlossen. Deshalb wissen wir, dass es dafür Gelder gibt. Können Sie wenigstens sagen, wie hoch der Prozentsatz dessen ist, was von diesen Mitteln an V-Leute gezahlt wird?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Die Fragen 22 und 23 der Kollegin Aydan Özoğuz, die Fragen 24 und 25 der Kollegin Sabine Zimmermann, die Fragen 26 und 27 des Kollegen Frank Tempel und die Fragen 28 und 29 des Kollegen Jan Korte werden schriftlich beantwortet. Wir sind immer noch im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Ich rufe die Frage 30 der Kollegin Wawzyniak auf: Wie viele der 10 000 Personen, die sich auf der zweiten Namensliste der Gruppierung Nationalsozialistischer Untergrund, NSU, befinden, wurden über ihre Erfassung durch die Terrorzelle informiert, und wie wurden die Betroffenen unterrichtet? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Lassen Sie mich eingangs deutlich machen, dass wir es mit mehreren Listen des Nationalsozialistischen Untergrunds, NSU, zu tun haben, die sich auf verschiedenen, in der ausgebrannten Wohnung des Zwickauer Trios sichergestellten Datenträgern befinden. Das Bundeskriminalamt hat aus diesen Listen zur Vereinfachung der weiteren Bearbeitung eine umfangreiche Liste mit circa 10 000 Personen und Institutionen erstellt. Alle Daten auf diesen NSU-Listen stammen offenbar aus der Zeit vor dem Jahr 2006 und wurden nach bisherigen Erkenntnissen aus öffentlich zugänglichen Quellen im Internet erhoben. Die Ermittlungsbehörden gehen aktuell nicht davon aus, dass diese Liste einen größeren Verteilerkreis erfahren hat. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags sowie ehemalige Abgeordnete, deren Namen sich in diesen Listen befinden, wurden vom BKA angeschrieben. Ihnen wurde ein Beratungsgespräch angeboten. Nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die in der Liste aufgeführten Personen und Objekte Opfer einer Straftat werden sollten oder in anderer Weise gefährdet sind. Im Übrigen haben BKA und Landeskriminalämter vereinbart, dass sie bzw. die örtlich zuständigen Polizeibehörden in eigener präventivpolizeilicher Zuständigkeit mit den im jeweiligen Zuständigkeitsbereich lebenden Personen, sofern es sich nicht um Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes handelt, schriftlich Kontakt aufnehmen. Das ist aber auch schon bereits angelaufen. Dabei wird zugleich darauf hingewiesen, dass Anhaltspunkte für eine Gefährdung dieser Personen und Institutionen nicht festgestellt werden konnten und die Möglichkeit besteht, sich bei gleichwohl bestehenden Bedenken mit der nächsten Polizeibehörde oder dem zuständigen Landeskriminalamt in Verbindung zu setzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort zu einer Nachfrage hat die Frau Kollegin Wawzyniak.

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In der Erwartung, dass Sie jetzt sagen, dass Sie diese Fragen nicht beantworten werden bzw. können, frage ich nach, ob Ihnen Erkenntnisse vorliegen, nach welchen Kriterien die NSU diese Personen ausgewählt hat.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Da es sich hierbei nicht um den Bereich der Nachrichtendienste handelt, kann ich Ihnen hierüber Auskunft geben. Es ist so, dass es sich hierbei offensichtlich um eine Materialsammlung und nicht um eine Liste derjenigen handelt, die im Visier dieser Terroristen standen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es weitere Nachfragen? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen dann zur Frage 31: Welche weiteren Zusammenstellungen von politischen Gegnern, die durch Rechtsextreme erstellt wurden, sind der Bundesregierung bekannt?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Auf der Grundlage der Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden des Bundes sind in Bezug auf Ihre Frage im Wesentlichen folgende Initiativen der rechtsextremen Szene, was Zusammenstellungen von Namen der jeweiligen politischen Gegner angeht, zu nennen: Outing-Aktionen, Anti-Antifa-Kampf und die Internetseite Projekt Nürnberg 2.0. Outing-Aktionen stellen im rechten wie übrigens auch im linken Spektrum kein Novum dar. Sie werden seit Jahren genutzt, um Angehörige der anderen Szene als Anhänger des gegnerischen politischen Lagers öffentlich im Internet oder in Szenepublikationen bloßzustellen. Dabei werden in der Regel die politischen Aktivitäten der Personen, ihre Personalien sowie ihre Wohnund Arbeitsadressen offengelegt. In diesem Zusammenhang wird versucht, die vom Outing betroffenen Personen sozial zu isolieren, indem das soziale Umfeld der Personen - zum Beispiel Arbeitgeber, Familie usw. über die politische Ausrichtung derselben aufgeklärt wird. Zum Anti-Antifa-Kampf: Bekanntermaßen bezeichnet die linke Szene die Aktivitäten gegen rechtsextremistische, sogenannte faschistische Bestrebungen als Antifa-Kampf. In Reaktion darauf betrachtet die rechte Szene ihre gegenläufigen Aktivitäten als Anti-AntifaKampf. Den Bundessicherheitsbehörden liegen hierzu seit Anfang der 90er-Jahre entsprechende Erkenntnisse vor. Seither haben Rechtsextremisten - in der Regel ausgehend von regionalen Konflikten -, Namenslisten, Adressen, Kfz-Daten und Einrichtungen der politischen Gegner veröffentlicht und zum Teil indirekt zu Gewaltaktionen aufParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder gerufen. Seit einigen Jahren propagieren regional aktive Kameradschaften den Kampf gegen die jeweils örtliche Antifa. Schließlich ist in diesem Zusammenhang die den Bundessicherheitsbehörden im Juli dieses Jahres bekannt gewordene Internetseite Projekt Nürnberg 2.0 zu nennen. Auf dieser Webseite wird mit Bezug auf die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse als Ziel angekündigt - ich zitiere -: Aufbau einer Erfassungsstelle zur Dokumentation der systematischen und rechtswidrigen Islamisierung Deutschlands und der Straftaten linker Faschisten zur Unterdrückung des deutschen Volkes. Weiter heißt es wörtlich - ich zitiere -: Aufgabe des Projektes Nürnberg 2.0 ist es, diese Rechtsverstöße zu erfassen, die Verantwortlichen zu benennen und sie zu einem geeigneten Zeitpunkt öffentlich dafür, nach dem Muster des Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunals von 1945, zur Verantwortung zu ziehen. Auf der Unterseite „Verantwortliche“ sind nach Erkenntnissen der Bundessicherheitsbehörden Namen von rund 20 Politikern eingestellt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Kollegin Wawzyniak.

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Liegen Ihnen Anhaltspunkte vor, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus ebenfalls besonders bedroht werden?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Darüber habe ich keine Erkenntnisse. All diejenigen, die auf der 10 000er-Liste stehen, werden benachrichtigt. Diese werden selbst Kenntnis davon haben und können sich dann wiederum an die Sicherheitsbehörden wenden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Eine Nachfrage habe ich noch. Wie unterstützt die Bundesregierung diese zivilgesellschaftlichen Projekte in ihrem Kampf gegen Rechtsextremismus?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Das machen wir. Diese Bundesregierung gibt so viel Geld für Projekte gegen Rechtsextremismus aus wie keine Bundesregierung zuvor.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Jens Petermann werden schriftlich beantwortet. Dann kommen wir zur Frage 34 der Kollegin Daniela Kolbe: Wie begründet es die Bundesregierung, an den gravierenden Kürzungen bei den Sachmitteln der Bundeszentrale für politische Bildung im Haushalt des Bundesministeriums des Innern festzuhalten, während im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Kürzungen bei Projekten gegen Rechtsextremismus teilweise zurückgenommen wurden, und mit welchen Einschränkungen in der Arbeit der Bundeszentrale ist deshalb zu rechnen? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Um die haushaltskonsolidierenden Maßnahmen bei der Bundeszentrale für politische Bildung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern verantwortungsbewusst umzusetzen, wurde in der Bundeszentrale für politische Bildung ein Prozess der Aufgabenkritik initiiert, der in einem ersten Schritt vollzogen ist und fortlaufend erörtert und gegebenenfalls modifiziert werden wird. Es werden alle erforderlichen Anstrengungen unternommen, um die Auswirkungen, insbesondere für das Feld der Bildungsarbeit und der Präventionsmaßnahmen beim Thema Rechtsextremismus, zu neutralisieren bzw. durch andere Maßnahmen aufzufangen. Unter Einbeziehung der seit 2010 von der Bundeszentrale für politische Bildung wahrgenommenen Aufgaben der Regiestelle des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ und der zum 1. April 2011 eingegliederten Geschäftsstelle des Bündnisses für Demokratie und Toleranz werden insgesamt seit 2011 die Maßnahmen gegen Rechtsextremismus verstärkt. Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend waren und sind keine Kürzungen bei Projekten gegen Rechtsextremismus vorgesehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Kolbe?

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Vielen Dank für die Antwort. Sie haben gerade die Höhe der Förderung im Kampf gegen Rechtsextremismus bzw. für Demokratie erwähnt. Stimmen Sie mir zu, dass wir aufgrund der Kürzungen bei der Bundeszentrale für politische Bildung in Höhe von 3,5 Millionen Euro im Haushalt 2012 trotz der Geschehnisse von einem Schrumpfen der Mittel, die für den Kampf gegen Rechtsextremismus und für Demokratie bereitstehen, sprechen müssen?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Davon ist nicht auszugehen, weil es immer darauf ankommt, wie die Mittel innerhalb der Bundeszentrale für politische Bildung ausgegeben werden. Die Haushaltsmittel für politische Bildung wurden nur leicht abgesenkt. Das Gleiche gilt für Zuschüsse auf diesem Gebiet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zunächst einmal will ich vehement widersprechen, dass es sich um eine leichte Absenkung handelt. In Bezug auf die Haushaltsjahre 2011/2012 handelt es sich um Kürzungen von insgesamt 5 Millionen Euro. Dieses Geld wäre nur in Sachmittel geflossen, mit denen nur politische Bildung finanziert worden wäre. Mit diesen Kürzungen begeben wir uns auf das Niveau von vor der Wiedervereinigung zurück. Da von geringen Kürzungen zu sprechen, halte ich schon für eine gewagte Aussage. Ich möchte auf einen Brief des Bundesministers des Innern, Herrn Friedrich, zu sprechen kommen. Er hat auf die Frage des Kuratoriums der Bundeszentrale für politische Bildung, das einen einstimmigen Beschluss gegen diese Kürzungen gefasst hat, geantwortet, dass diese Leistung eine freiwillige Leistung sei und man sie deshalb kürzen müsse, weil sonst die innere Sicherheit in diesem Land gefährdet sei; sonst müsse man nämlich Geld aus genau diesem Bereich nehmen. Entspricht es dem Sicherheitsbild der Bundesregierung, dass Prävention nicht dazugehört?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich kann nur noch einmal betonen, dass keine Bundesregierung zuvor so viel Geld für Programme gegen Rechtsextremismus ausgegeben hat wie diese. Wenn man sich einmal die einzelnen Ansätze des Haushalts der Bundeszentrale für politische Bildung anschaut und vergleicht, wie es vor 2005 aussah, dann hat man festzustellen, dass im Jahr 2004 der Sollansatz bei 18 313 000 Euro lag, während er im Jahr 2011 bei 18 686 000 Euro liegt. Insofern, glaube ich, muss man das, was Sie gesagt haben, etwas relativieren. Sie sehen natürlich nur den Gesamtansatz „Bundeszentrale für politische Bildung“ und nicht, wofür die Gelder innerhalb der Bundeszentrale für politische Bildung verwandt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 35 der Abgeordneten Daniela Kolbe: Wie begründet die Bundesregierung die Kürzungen bei den freien Trägern der politischen Bildung vor den aktuellen Geschehnissen um das sogenannte Nazi-Trio, und welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung im Kontext der Bekämpfung des Rechtsextremismus in der Arbeit der Bundeszentrale?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Die haushalterischen Maßnahmen im Bereich der Trägerförderung der Bundeszentrale für politische Bildung beziehen sich nicht auf einzelne Arbeitsbereiche der Träger. Die freien Träger der politischen Bildung bestimmen ihre Arbeitsschwerpunkte in eigener Verantwortung. Da die Jahresanträge der Träger für 2012 erst im Dezember 2011 gestellt und die Mittelvergabe durch die Bundeszentrale für politische Bildung erst im Januar 2012 abgeschlossen werden, sind gegenwärtig keine entsprechenden Auswirkungen auf einzelne Themenfelder absehbar. Die Bundeszentrale für politische Bildung wird unter Berücksichtigung qualitativer und quantitativer Kriterien über die Förderung entscheiden und wie in den vergangenen Jahren über Schwerpunktthemen Anreize setzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Kollegin Kolbe.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben in der ersten Antwort selber gesagt, dass Sie darauf hinwirken wollen, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus durch die Bundeszentrale für politische Bildung fortgesetzt wird. Kann ich das so verstehen, dass Sie in der Trägerförderung darauf hinwirken, dass für den Kampf gegen Rechtsextremismus und für Demokratie gleichbleibend Geld zur Verfügung steht und dass dies zulasten anderer Bereiche der politischen Bildung gehen wird?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Sicherlich werden in diesem Bereich Schwerpunkte gesetzt werden. Aber die Träger sind ja sehr frei in dem, was sie dann letztendlich anbieten. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir gerade im Bereich der politischen Bildung - in der Zusammenarbeit mit den freien Trägern - immer einen Schwerpunkt auf den Kampf gegen Rechtsextremismus, aber natürlich auch gegen andere Extremismusformen setzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage, bitte.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine letzte Frage. Sie antworten hier als Mitglied der Bundesregierung. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie sich in der Unionsfraktion dafür verwandt haben, die Kürzungen der Mittel im Haushalt der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder, für den Kampf gegen Rechtsextremismus zurückzunehmen. Haben Sie sich auch für die Rücknahme der Kürzungen der Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung, die in Ihrem eigenen Ressort beheimatet ist, verwandt?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Auch im Etat des Familienministeriums war nie eine Kürzung der Mittel für Maßnahmen gegen Rechtsextremismus vorgesehen. Das heißt, die 2 Millionen Euro, die im Haushaltsaufstellungsverfahren jetzt zusätzlich zur Verfügung gestellt wurden, stellen eine Steigerung um 2 Millionen Euro dar. Wir sind damit jetzt bei 24 Millionen Euro. Wir haben nämlich erreicht, dass die Administrierung und Verwaltung der Programme nicht mehr wie bisher extern durchgeführt wird, sondern vom Bundesamt für den Zivildienst. Von daher geben wir jetzt noch mehr Geld für den Kampf gegen Rechtsextremismus aus als zunächst vorgesehen. Noch einmal: Es gab keine Kürzung. Diese Bundesregierung gibt mehr Geld für den Kampf gegen RechtsParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder extremismus aus als beispielsweise Rot-Grün. Das bitte ich zur Kenntnis zu nehmen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur Verfügung. Die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Strässer sowie die Fragen 38 und 39 des Abgeordneten Dr. Franke sollen schriftlich beantwortet werden. Damit kommen wir zur Frage 40 der Kollegin Sonja Steffen: Hat sich, und wenn ja, wie, die Bundesregierung in Bezug auf die Neuregelung des Sorgerechts nichtehelicher Väter geeinigt, bzw. ist eine Einigung absehbar? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Die Kollegin Steffen fragt nach der Neuregelung des Sorgerechts nichtehelicher Väter. Auf eine schriftliche Frage ihrer Kollegin Ingrid Hönlinger vom 24. Oktober 2011 nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung habe ich eine Antwort gegeben und Folgendes ausgeführt - ich zitiere -: Es trifft zu, dass sich die Koalitionsfraktionen derzeit intensiv im Gespräch befinden, um sich auf einen gemeinsamen Regelungsvorschlag zur Neuregelung der gemeinsamen Sorge bei nicht miteinander verheirateten Eltern zu verständigen. Ein konkreter Termin der Vorlage eines Gesetzentwurfs an das Kabinett ist noch nicht geplant. Diese Darstellung stellt weiterhin den aktuellen Sachverhalt dar.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Steffen, haben Sie eine Nachfrage?

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie Auskunft geben über den Stand der Diskussion. Wir wissen ja, dass es zwei Grundmodelle gibt: ein Antragsmodell und ein Widerspruchsmodell. Können Sie vielleicht etwas genauer erklären, wie der derzeitige Diskussionsstand ist?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Frau Kollegin Steffen, Sie benennen richtig den zentralen Streitpunkt. Es ist ja so, dass wir keinerlei Probleme haben, wenn nicht miteinander verheiratete Elternteile sich auf eine gemeinsame Sorge für das Kind einigen. Es ist ebenfalls klar, dass im Streitfall am Ende eine gerichtliche Entscheidung zu treffen ist und dass diese gerichtliche Entscheidung sich am Kindeswohl zu orientieren hat. Die Diskussion dreht sich, verkürzt dargestellt, hauptsächlich um die Frage, wer eigentlich diesen Streit gegebenenfalls zu Gericht bringen soll, ob die Väter dort einen Antrag stellen sollen oder ob es Sache der Mütter ist, auf eine Sorgerechtserklärung der Väter mit einem Widerspruch zu antworten. Darüber, um nur diesen Hauptpunkt zu nennen, konnte bisher keine Einigung erzielt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage?

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht können Sie uns einmal ganz grob sagen, in welchem zeitlichen Rahmen wir damit rechnen können, dass wir uns zusammensetzen, wobei wir darauf hoffen, dass wir dann eine gute Lösung finden werden.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Das Bundesministerium der Justiz begleitet die Gespräche der Fraktionen natürlich aktiv. Wir sind selber an einer Lösung interessiert. Derzeit muss sich ja die Praxis auf eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts stützen. Damit kommt die Praxis zwar einigermaßen zurecht, aber trotzdem ist eine gesetzliche Neuregelung wünschenswert. Wir arbeiten daran. Ich kann leider nicht präzise vorhersagen, zu welchem Zeitpunkt eine Einigung erzielt wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Dann kommen wir zur Frage 41 der Kollegin Sonja Steffen: Plant die Bundesregierung, weiterhin die von der Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in ihrer Rede zum Insolvenzrechtstag angekündigte Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens umzusetzen, oder hat es in Bezug auf die damals vorgestellten Eckpunkte Positionsänderungen der Bundesregierung gegeben?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Ich darf Ihnen folgende Antwort mitteilen: Frau Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich zuletzt am 28. Oktober 2011 auf dem Insolvenzverwalterkongress in Berlin umfassend zur Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens geäußert. Sie hat dort die wesentlichen Eckpunkte für eine künftige Reform dargestellt. Ein Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz wird in Kürze der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Frau Kollegin Steffen.

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie ganz kurz schildern, ob eine Verkürzung der Wohlverhaltensphase vorgesehen ist, und, wenn ja, mit welchen Bedingungen diese verbunden sein wird?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Nach unseren Vorstellungen ist vorgesehen, dass die Wohlverhaltensphase von sechs auf drei Jahre verkürzt werden soll, falls der Schuldner innerhalb dieses Zeitraums eine Mindestbefriedigungsquote von 25 Prozent erfüllt. Eine weitere Verkürzung - von sechs auf fünf Jahre - ist vorgesehen, wenn der Schuldner innerhalb dieses Zeitraums zumindest die Verfahrenskosten begleicht. Wenn keine der beiden Voraussetzungen erfüllt wird, soll die Wohlverhaltensperiode sechs Jahre betragen und dann die Restschuldbefreiung erteilt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zu Frage 42 des Kollegen Burkhard Lischka. Wie erklärt es die Bundesregierung, dass angesichts von 762 rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten im Jahr 2010 - darunter 638 Körperverletzungen - lediglich 68 Anträge auf Gewährung von „Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ positiv beschieden worden sind und im Jahr 2010 aus dem mit 1 Million Euro ausgestatteten Haushaltstitel 681 01 des Bundesamtes für Justiz insgesamt nur 8 160 Euro für Opfer extremistischer Übergriffe ausbezahlt wurden?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Zu dieser Frage darf ich mitteilen, dass im Jahr 2010 bei dem für die Bearbeitung dieser Anträge zuständigen Bundesamt für Justiz von Opfern rechtsextremistischer Übergriffe insgesamt 97 Anträge auf Bewilligung von Härteleistungen gestellt worden sind. Davon sind 67 Anträge positiv beschieden worden, 22 Anträge abgelehnt worden, und über acht Anträge ist noch nicht entschieden. Die Diskrepanz zwischen der Zahl der erfassten rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten, die ja höher liegt, und der relativ geringen Zahl der gestellten Anträge lässt sich vielleicht teilweise dadurch erklären, dass die jährlichen polizeilichen Statistiken über politisch motivierte Kriminalität weitaus mehr Taten erfassen als jene, bei denen die Opfer Härtefallleistungen erhalten können. Ein weiterer Grund dürfte darin liegen, dass in den Bundesländern ein sehr unterschiedliches Netz von Opferberatungsstellen existiert. In manchen Ländern wird sehr intensiv beraten, in anderen weniger. Gleichwohl sind diese Erklärungen auch für uns nicht völlig ausreichend. Insgesamt sind die Gründe für die geringe Zahl der Antragsstellungen daher nicht genau zu benennen. Wir bemühen uns, die Opfer verstärkt zu informieren. Dafür gibt es verschiedene Maßnahmen, die ich wegen der Ein-Minuten-Regel jetzt nicht im Detail aufzählen kann. Aber das Bundesministerium der Justiz ist mit allen Stellen, die für die Opfer in Betracht kommen, in Kontakt und informiert über die Möglichkeit der Antragstellungen, mehrmals jährlich auch mit Rundschreiben. Es bleibt zu hoffen, dass damit diese Möglichkeit der Ersatzleistungen besser bekannt wird und die Zahl der Anträge, für die ja Mittel zur Verfügung stehen, zunehmen wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage, Herr Kollege Lischka? - Bitte sehr.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Stadler, könnten Sie mir mitteilen, wie viel Gelder im vergangenen Jahr zum einen an die Opfer rechtsextremistischer Gewalttaten und zum anderen an die Opfer linksextremistischer Gewalttaten ausgezahlt wurden? Können Sie vielleicht auch etwas zu der Spannbreite der ausgezahlten Einzelbeträge sagen?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Ich habe, da Sie ja insbesondere nach der Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten gefragt und die Frage gestellt haben, wieso nur ein Teil der Opfer Anträge gestellt hat, in Vorbereitung meiner Antwort auch die Summe, die an Opfer rechtsextremistischer Gewalt ausgezahlt worden ist, notiert. Diese Summe betrug im Jahr 2010 etwa 63 000 Euro. Im Jahr 2011 sind bisher 67 800 Euro zugesprochen worden. Die Summen variieren natürlich im Einzelfall. Sie werden sich erinnern, weil es ja auch veröffentlicht worden ist, dass jetzt für die Angehörigen der Opfer der Nazi-Mordserie Beträge von 10 000 Euro vorgesehen sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Stadler, ich darf den letzten Aspekt, den Sie genannt haben, direkt aufgreifen. Es ist durch die Bundesjustizministerin angekündigt worden, dass die Angehörigen der durch die Zwickauer Terrorzelle Ermordeten eine Pauschalentschädigung in Höhe von 10 000 Euro erhalten sollen. Nun habe ich dem Merkblatt des Bundesamtes der Justiz entnommen, dass darüber hinaus beispielsweise auch Unterhaltsschäden ersetzt werden können, die im Einzelfall natürlich weitaus höher sein können als der Betrag von 10 000 Euro, der jetzt pauschal ausgezahlt werden soll. Haben die Angehörigen - neben dieser Pauschalentschädigung - die Möglichkeit, noch weitere Schäden geltend zu machen, oder sollen diese mit der Pauschalentschädigung abgegolten sein?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Im streng juristischen Sinn kann man bei diesen Leistungen nicht von Entschädigung sprechen. Sie sind vielmehr als eine Art Soforthilfe und als Anerkennung des erlittenen Unrechts gedacht. Daher wird dieses Geld auch pauschal ausgereicht. In jedem Einzelfall wird geprüft, ob besondere Umstände hinzukommen, was zu einer zusätzlichen Entscheidung führen kann. Das kann ich aber nur anhand des Einzelfalls bewerten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich rufe nun die Frage 43 des Kollegen Lischka auf: Wie begründet die Bundesregierung ihre in der Pressemitteilung vom 9. November 2011 vertretene Position, die EinVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms führung einer nachträglichen Therapieunterbringung würde „vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht bestehen“?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Ich darf dazu aus der Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 9. November 2011 die Passage, auf die Sie sich beziehen, wörtlich zitieren, sonst kann man den Zusammenhang nicht verstehen. Dort heißt es: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, deren Wiedereinführung nun einige Bundesländer fordern, war wenig praxisrelevant, rechtlich kaum handhabbar und hatte negative Auswirkungen auf den Vollzug insgesamt. Ihre Wiedereinführung birgt das Risiko, dass das deutsche Recht vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abermals nicht besteht. Das kann dazu führen, dass erneut Sicherungsverwahrte entlassen werden müssten. Dieses Risiko sollte gerade angesichts des äußerst geringen Anwendungsbereichs der nachträglichen Sicherungsverwahrung unbedingt vermieden werden. Um Ihre Frage mit der hier gebotenen Kürze zu beantworten: Wir haben auf bestehende Risiken hingewiesen. Es kann keine sichere Prognose gestellt werden, wie das von einigen Ländern vorgeschlagene Institut bei den beiden genannten Gerichten letztendlich bewertet würde. Aber wenn man die bisherige Rechtsprechung betrachtet, sehen wir da jedenfalls ein erhebliches Risiko. Darauf haben wir hingewiesen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Herr Kollege Lischka?

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Stadler, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, dass Sie es für unmöglich halten, eine verfassungskonforme Regelung im Hinblick auf eine nachträgliche Therapieunterbringung zu entwickeln?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Das habe ich nicht gesagt. Ich darf auf Folgendes hinweisen: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung - selbst wenn man jetzt eine andere Bezeichnung wählt, handelt es sich unserer Meinung nach in der Sache um eine nachträgliche Sicherungsverwahrung, die in die Debatte gebracht wird - ist mit der Reform zum 1. Januar 2011 vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der SPD zugunsten eines neuen Konzepts abgeschafft worden. Das neue Konzept sieht den Ausbau der sogenannten primären Sicherungsverwahrung und der im Urteil vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vor. Auch die Fraktion der Grünen hat diesen Teil der Reform für richtig gehalten. ({0}) Wir sind der Meinung, dass man bei der vor etwa einem Jahr politisch getroffenen Entscheidung bleiben sollte, und weisen darauf hin, dass ein hohes Risiko im Hinblick darauf besteht, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom Mai 2011 den Vertrauensgrundsatz bemüht hat. Man sollte daher jetzt hinter die damals gemeinsam getroffene Entscheidung nicht zurückgehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zu einer zweiten Nachfrage des Kollegen Lischka.

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, vielen Dank. Eine kurze Nachfrage: Zu welchem Ergebnis kommt denn ein Gutachten, das im Bundesjustizministerium zur Frage der Verfassungsmäßigkeit einer nachträglichen Therapieunterbringung gefertigt wurde?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege Lischka, ich weiß jetzt offen gestanden nicht ganz genau, worauf Sie sich beziehen. Ich kann nur die Position unseres Hauses vortragen; denn das ist das Entscheidende und nicht die Frage, was in einer Meinungsäußerung dargelegt worden ist. Dazu darf ich Folgendes ausführen: Die Bundesministerin der Justiz hat jetzt einen Entwurf zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung an die Bundesländer versandt; denn im Mai 2011 sind die bisherigen Regelungen hauptsächlich wegen eines Verstoßes gegen das Abstandsgebot zum Strafvollzug aufgehoben worden. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei keineswegs die Konzeption des Reformgesetzes infrage gestellt, das wir im Bundestag gemeinsam mit Ihnen zum 1. Januar 2011 beschlossen haben. Wir haben daher in dem Entwurf, den wir versandt haben, die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht aufgeführt. ({0}) Wir werden jetzt die Antworten und Stellungnahmen der Bundesländer bekommen und dann darüber diskutieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich darf noch einmal auf die Neuregelung mit dem Signalton hinweisen. Den jeweiligen Staatssekretären ist für die Antwort auf die schriftliche Frage etwas mehr Zeit gegeben; Nachfragen und Antworten aber sollen jeweils nur eine Minute dauern. - Ich hätte dem Kollegen Stadler gerne mehr Zeit eingeräumt, weil er regelmäßig so druckreif zu antworten versteht. Ich muss aber alle Staatssekretäre gleich behandeln. Deshalb kann ich keine Ausnahme machen.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Das ist ein alter Rechtsgrundsatz, Herr Präsident.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen dann zur Frage 44 des Kollegen Stefan Rebmann: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wie verhält sich die Anzahl der Anordnungen des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung im Erwachsenenstrafrecht in den ersten zehn Monaten dieses Jahres im Vergleich zu den ersten zehn Monaten letzten Jahres?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege Rebmann, Sie fragen nach den Zahlen der sogenannten vorbehaltenen Sicherungsverwahrung. Darunter versteht man, dass in einem Strafurteil noch nicht die Entscheidung getroffen wird, ob der Verurteilte nach Verbüßung der Strafe in Sicherungsverwahrung kommen wird, dass aber diese Möglichkeit vorbehalten wird und eine Entscheidung darüber später ergeht. Diese im Urteil vorbehaltene Sicherungsverwahrung wird in den Statistiken der Strafrechtspflege nicht erfasst. Wir werten aber die Einträge im Bundeszentralregister aus, weil sich daraus ein - wenngleich nicht vollständig präzises - Bild ergibt. Dem Register haben wir folgende Zahlen entnehmen können: Im Jahr 2009 sind bisher neun Urteile rechtskräftig geworden, in denen die Sicherungsverwahrung im Urteil vorbehalten worden ist. Im Jahr 2010 war dies erst in einem einzigen Urteil der Fall.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Herr Kollege Rebmann?

Stefan Rebmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank. - Herr Staatsekretär Stadler, ich habe eine Nachfrage: Wie beurteilen Sie und die Bundesregierung die Prognose, dass aufgrund des Wegfalls der nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung die Anzahl der Anordnungen der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung ansteigen wird?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege Rebmann, ich habe darauf hingewiesen, dass die jetzt genannten Zahlen noch kein vollständiges Bild ergeben. In das Bundeszentralregister werden nur rechtskräftige Verurteilungen eingetragen. Das heißt, Urteile aus dem Jahr 2011, nach denen Sie gefragt haben, werden erst nach und nach in dieses Register Eingang finden, nämlich dann, wenn sie rechtskräftig geworden sind. Außerdem gibt es bestimmte Fristen für den Eintrag, sodass das Ganze nur eine Momentaufnahme ist. Ich rechne damit, dass der Anstieg der Zahlen, bei denen von der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung Gebrauch gemacht wird, erst noch bevorsteht. Wir haben jetzt den Vergleich von einem Fall in 2010 zu neun Fällen in 2009. Das ist noch nicht aussagekräftig genug. Ich rechne durchaus noch mit höheren Zahlen von vorbehaltener Sicherungsverwahrung im Urteil, so wie es der Konzeption des von uns gemeinsam verabschiedeten Reformprojekts entspricht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage? - Nein. Danke schön. Dann kommen wir zur Frage 45 des Kollegen Rebmann: Will die Bundesregierung entsprechend ihrem Koalitionsvertrag vom Oktober 2009 und entsprechend der Forderung der Justizministerinnen und Justizminister der Länder auf ihrer Herbstkonferenz vom 9. November 2011 in Berlin den Ländern die Möglichkeit geben, ihre Verwaltungs- und Sozialgerichte zu einheitlichen Fachgerichten zusammenzuführen, und falls ja, wie weit sind die Pläne fortgeschritten?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege, ich darf Ihnen mitteilen: Das Bundesministerium der Justiz prüft derzeit die Möglichkeit einer gesetzlichen Umsetzung. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass jede Form der Zusammenlegung dieser Gerichte einer Grundgesetzänderung bedarf. Davon wären auch die Bundesratsinitiativen zur Einführung bloß einer Länderöffnungsklausel aus der 15. und 16. Legislaturperiode betroffen gewesen; davon ist der Bundesrat selber ausgegangen. Somit liegt hier eine sehr hohe Hürde für eine Zusammenlegung der Verwaltungsund Sozialgerichte vor.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Kollege Rebmann? - Keine Nachfrage. Die Frage 46 des Kollegen Volker Beck wird schriftlich beantwortet. Vielen Dank, Herr Staatssekretär Stadler. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Frage 47 des Kollegen Dr. Gerhard Schick, die Frage 48 der Kollegin Lisa Paus sowie die Fragen 49 und 50 der Kollegin Dr. Barbara Höll sollen schriftlich beantwortet werden. Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 51 des Kollegen Uwe Kekeritz: Mit welcher Begründung stellt sich die Bundesregierung gegen die von der Europäischen Union am 25. Oktober 2011 veröffentlichte Corporate-Social-ResponsibilityStrategie ({0}), und wie wird sich die Bundesregierung bei der Überarbeitung der Rechnungslegungsrichtlinien ({1}) im Ministerrat verhalten?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Kekeritz, die Bundesregierung begrüßt grundsätzlich die Bemühungen der Europäischen Kommission, ihre eigene CSR-Strategie fortzuentwickeln und Entwicklungen im internationalen Bereich zu reflektieren. Aus Sicht der Bundesregierung sollte dabei jedoch an einem Verständnis von CSR als freiwillige, über gesetzliche Vorgaben hinausgehende Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung im Kerngeschäft eines Unternehmens festgehalten werden. Die Bundesregierung hat am 6. Oktober 2010 eine Nationale Strategie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschlossen, um CSR in Unternehmen und öffentlicher Verwaltung besser zu verankern. Der Aktionsplan CSR der Bundesregierung basiert auf einer breiten Diskussion und Akzeptanz im deutschen Multi-Stakeholder-Gremium „Nationales CSRForum“. Gerade der Grundsatz der Freiwilligkeit ist im gemeinsamen Verständnis des Nationalen CSR-Forums deutlich zum Ausdruck gebracht und von der Bundesregierung bei Verabschiedung des Aktionsplans CSR übernommen worden. Die Bundesregierung hat dies in ihren Stellungnahmen gegenüber der Kommission wiederholt betont und darauf hingewiesen, dass eine strategische Abkehr vom Prinzip der Freiwilligkeit mit dem in Deutschland praktizierten Verständnis von CSR nicht vereinbar ist. Die Bundesregierung spricht sich ausdrücklich gegen neue gesetzliche Berichtspflichten zur Offenlegung sozialer und ökologischer Informationen, wie von der Kommission in ihrer CSR-Mitteilung angekündigt, aus. Solche gesetzlichen Berichtspflichten würden eine Abkehr vom Prinzip der Freiwilligkeit bedeuten und wären mit erheblichem Bürokratieaufwand insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland, aber auch für alle anderen Unternehmensgruppen verbunden. Der Vollständigkeit halber sei auf Folgendes hingewiesen: Soweit es um die Erweiterung bereits bestehender Berichtspflichten im Bereich der handelsrechtlichen Rechnungslegung gehen könnte, führt die Kommission derzeit nach eigenen Angaben eine Folgenabschätzung durch, die Grundlage eines entsprechenden Regelungsvorschlags im kommenden Jahr werden könnte. Daher sind die ebenfalls am 25. Oktober 2011 vorgelegten Vorschläge der Kommission zur Überarbeitung der zitierten gesellschaftsrechtlichen Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG von einem entsprechenden neuen Vorschlag zu unterscheiden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Kollege Kekeritz, Ihre Nachfrage, bitte.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum die Bun- desregierung auf das Instrument der freiwilligen Selbst- verpflichtung pocht, nachdem wir jetzt seit 30 Jahren Er- fahrung mit dem Instrument haben. Ich kann mich an kein Beispiel erinnern, bei dem dieses Instrument tat- sächlich die Wirkung erzielt hat, die man sich von ihm erhoffte. Außerdem isoliert sich die Bundesregierung da- mit wieder im europäischen Kontext; viele andere euro- päische Länder verabschieden sich inzwischen von der Freiwilligkeit und halten eine verpflichtende Maßnahme für sinnvoll. Mein Thema ist aber Steuerhinterziehung in Steuer- oasen. Dieses Thema wurde 2008 auf der G-8-Konfe- renz in London sehr intensiv diskutiert. Damals veröf- fentlichte die OECD eine Liste der Steueroasen, die nicht bereit waren, mit den internationalen Gremien zu- sammenzuarbeiten. Seitdem ist leider kaum etwas pas- siert. Länderbezogene Rechnungspflichten wären ein wichtiges Instrument, um die Verschiebung von Gewin- nen transnationaler Unternehmen in Steueroasen zu ver- hindern. Was gedenken die Bundesregierung, das Fi- nanzministerium, das Wirtschaftsministerium und das BMZ diesbezüglich zu unternehmen?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege, da ich in keinem der von Ihnen genann- ten Ministerien arbeite und sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nicht täglich mit Steueroasen be- schäftigt, muss ich Ihnen mitteilen, dass ich Ihnen diese Frage nicht beantworten kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 52 und 53 der Kollegin Dr. Martina Bunge sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 54 des Kollegen Markus Kurth auf: Wann wird die Bundesregierung die vom sogenannten Runden Tisch zur Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepa- ketes in seiner Sitzung am 2. November 2011 beschlossenen Verfahrensvereinfachungen umsetzen, und welche weiteren Informations- und Kommunikationsmaßnahmen sind ge- plant, um den Anspruch auf Bildung und Teilhabe bekannter zu machen? Bitte schön.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes obliegt nicht der Bundesregierung; denn Träger des Bil- dungs- und Teilhabepaketes sind die Kreise und kreis- freien Städte. Die Länder üben die Rechts- und gegebe- nenfalls auch die Fachaufsicht aus. Der Bund hat hierbei keine Regelungs- und Entscheidungskompetenz. Die hohe Nachfrage nach den bereits bestehenden vielfältigen Informationsangeboten bestärkt die Bundes- regierung darin, auch im nächsten Jahr weitere Kommu- nikationsmaßnahmen durchzuführen. So sind für das erste Quartal 2012 Motivationsanzeigen in Verbands- und Vereinszeitschriften der Bereiche Sport, Musik und Kultur geplant. Ziel ist es, die Vereine auf die neuen Möglichkeiten des Bildungspakets hinzuweisen und sie zu motivieren, entsprechende Angebote für diese Ziel- gruppe zu machen. Im direkten Umfeld von Discount- Supermärkten soll mit Plakaten für das Bildungs- und Teilhabepaket geworben werden. Auf diesen Plakaten wird auf weiterführende Informationsangebote hinge- wiesen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor wir zur Nachfrage kommen, will ich bekannt geben, dass weitere Geschäftsbereiche nicht mehr aufge- rufen werden, weil dann die Zeit für die Fragestunde ab- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms gelaufen sein wird.1) Deswegen sind diese Kollegen Staatssekretäre, wenn sie nicht an der Aktuellen Stunde teilnehmen wollen, entlassen. Herr Kurth, Ihre Nachfrage.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Brauksiepe, auch wenn Sie sagen, dass die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes nicht in der Verantwortung der Bundesregierung liegt, so werden Sie mir doch zustimmen, dass die Bundesregierung dafür zu sorgen hat, dass der verfassungsrechtlich garantierte, individuelle Rechtsanspruch auf Bildung und Teilhabe sichergestellt ist. Bei einer Inanspruchnahme von derzeit unter 50 Prozent und einer noch niedrigeren Inanspruchnahme speziell der Bildungs- und Teilhabeleistungen, die über die Pauschale von 10 Euro im Monat gewährt werden, kann man nicht sagen, dass das flächendeckend gewährleistet ist. Ab welchem Prozentsatz der Inanspruchnahme sehen Sie denn den individuell und verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Bildung und Teilhabe sichergestellt?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Kurth, der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts richtete sich zunächst an den Gesetzgeber; das sind Sie. Bundestag und Bundesrat sind, wie Sie wissen, für die gesetzgeberischen Maßnahmen zuständig, um Bildung und Teilhabe und damit ein menschenwürdiges Leben für jedes einzelne Kind zu garantieren. Die gesetzgebenden Organe der Bundesrepublik Deutschland sind diesem Auftrag, der sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergeben hat, gerecht geworden. Selbstverständlich beteiligt sich die Bundesregierung bzw. das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am gesamten Prozess und moderiert ihn. Selbstverständlich sind mit einer solchen Umstellung auf Sach- und Dienstleistungen auch Probleme in der Übergangszeit verbunden. Wir stellen fest, dass die Leistungen des Bildungsund Teilhabepaketes mehr und mehr nachgefragt und in Anspruch genommen werden. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wenn Sie auf eine weitere Nachfrage verzichten, können wir Ihre zweite Frage auch noch abwickeln; sonst ist die Zeit abgelaufen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann bitte noch die nächste Frage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich rufe die Frage 55 des Kollegen Markus Kurth auf: Wie erklärt die Bundesregierung den offensichtlichen Wi- derspruch, wonach das Bundesministerium für Arbeit und So- 1) Die Antwort auf Frage 98 lag bei Redaktionsschluss nicht vor und wird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt. ziales einerseits behauptet, eine „KinderBildungsStiftung“ sei dem Bundesministerium nicht bekannt ({0}), andererseits aber genau dieses Bundesministerium sowohl ein Rechtsgutachten zur Bewertung der rechtlichen Möglichkeiten für eine „KinderBildungsStiftung“ als auch eine Prüfung der Praktikabilität einer solchen Stiftung in Auftrag gegeben hat?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Kurth, es ist richtig, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 zu den Regelleistungen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende, auf die ich in der vorherigen Frage schon Bezug genommen habe, hatte prüfen lassen, inwieweit die Möglichkeit besteht, eine bundesunmittelbare Stiftung des öffentlichen Rechts mit der Sicherung des spezifischen soziokulturellen Existenzminimums von Kindern und Jugendlichen zu betrauen. Zu einer entsprechenden Stiftungsgründung ist es aber nicht gekommen. Entsprechende Vorüberlegungen sind bereits im Juni 2010 nicht weiter verfolgt worden, nachdem im Rahmen gutachtlicher Prüfungen erhebliche Gegengründe offenbar geworden waren. Die Überlegungen sind auch später nicht wieder aufgenommen worden. Ob es anderweitig eine Stiftung namens KinderBildungsStiftung gibt, ist der Bundesregierung nicht bekannt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Keine. Vielen Dank. Damit beende ich die Fragestunde. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Standort Deutschland sichern - Stuttgart 21 zügig umsetzen und geplante Mehrbelastung für den Mittelstand durch grüne Steuerpolitik verhindern Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Thomas Strobl von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs haben am vergangenen Sonntag bei der Volksabstimmung über den Bahnhof Stuttgart 21 eine sehr klare Entscheidung getroffen. ({0}) 59 Prozent stimmten mit Nein. Sie stimmten gegen den Ausstieg Baden-Württembergs aus diesem Bahnhofsprojekt. Nur 41 Prozent waren für einen solchen Ausstieg, und das bei einer für Volksabstimmungen sehr, sehr hoThomas Strobl ({1}) hen Wahlbeteiligung von nahezu 50 Prozent. Das ist eine sehr klare Entscheidung für den Bahnhof Stuttgart 21 und damit auch eine sehr klare Entscheidung für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg und für den Wirtschaftsstandort Deutschland. ({2}) Hier ist auch klar zu sagen, dass diese Entscheidung in Baden-Württemberg sehr konsistent gewesen ist. Die große Mehrheit der Menschen im ländlichen Raum in Baden-Württemberg hat sich für diesen Bahnhof ausgesprochen. Auf der Alb, an der Donau, aber auch am Neckar, im Hochverdichtungsraum und in der Stadt Stuttgart selbst, in der dieses Thema ({3}) - von Ihnen, Herr Kollege Kuhn, immer wieder befeuert - über viele Monate hinweg eine große Rolle gespielt hat, haben die Bürgerinnen und Bürger entschieden, dass sie diesen Bahnhof wollen. In der Region Stuttgart war die Mehrheit sogar noch größer. Das ist eine klare Entscheidung. Jetzt haben wir klare Verhältnisse. ({4}) Ich bin sehr froh darüber, dass dieses ökologisch und ökonomisch wichtige Schienenprojekt ({5}) für Baden-Württemberg, aber auch für ganz Deutschland, jetzt realisiert werden kann, und es sollte schnell realisiert werden. Herr Kollege Kuhn, damit sollten auch die Querschüsse - nicht die Zwischenrufe, aber die Querschüsse - ein Ende haben. ({6}) Das gilt beispielsweise für Querschüsse aus der Landesregierung Baden-Württembergs. Das gilt für die Querschüsse aus den Reihen der Grünen, und das gilt für weitere Querschüsse. Deswegen fordere ich den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg und seinen Verkehrsminister nachdrücklich dazu auf, zum Stuttgarter Bahnhof zu gehen und mit den Menschen dort zu sprechen, um ihnen das Abstimmungsergebnis zu erklären, um zu erklären, dass der Bahnhof gebaut wird. Die Grünen haben die Menschen dort über Jahre hinweg auf die Bäume gebracht. ({7}) Sie haben die Stimmung angeheizt. Jetzt holen Sie die Menschen bitte wieder von den Bäumen herunter, und erklären Sie, dass der Bahnhof gebaut wird. ({8}) Diese Entscheidung in Baden-Württemberg ist, so meine ich, auch ein gutes Signal für Deutschland. Warum ist das so? Wir hätten ansonsten in Zukunft bei Projekten in Deutschland ein Problem gehabt, egal ob es sich um einen Kindergarten oder ein Großprojekt gehandelt hätte, weil mit dem Hinweis auf Stuttgart 21 eine Minderheit von Gegnern gesagt hätte: Wenn wir nur laut genug sind und wenn wir nur lange genug dagegen sind, werden wir es verhindern können. - Jetzt kommt von den Bürgerinnen und Bürgern Baden-Württembergs ein klares Signal für die Zukunft. Es wird in Deutschland auch in Zukunft möglich sein, wichtige Infrastrukturprojekte zu planen und durchzusetzen. Das gilt für Straßenprojekte, das gilt für Schienenprojekte, das gilt für Stromtrassen - und das ist wichtig für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für die Arbeitsplätze in der Zukunft und für unseren Wohlstand. Deutschland hat Zukunft. ({9}) Ich möchte eine letzte Bemerkung machen. Ich glaube, dass dieses Abstimmungsergebnis in BadenWürttemberg auch eine Bestätigung unserer parlamentarischen Demokratie gewesen ist. ({10}) - Jetzt hören Sie doch einmal zu; das gehört ebenfalls zur parlamentarischen Demokratie, auch wenn es schwerfällt. - Mit großer Mehrheit hat die Bevölkerung in Baden-Württemberg, das Volk, bestätigt, was in jahrelangen parlamentarischen Prozessen - im Gemeinderat der Stadt Stuttgart, in der Verbandsversammlung der Region Stuttgart, im Landtag von Baden-Württemberg, im Deutschen Bundestag und im Europäischen Parlament beraten und entschieden worden ist. Ich finde, das ist eine Bestätigung unserer parlamentarischen Demokratie. Auch deswegen dürfen wir uns über diese klare Entscheidung der Baden-Württemberger Bürgerinnen und Bürger freuen. Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Lange von der SPD-Fraktion. ({0})

Christian Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im September letzten Jahres hat die Bundeskanzlerin von diesem Pult aus erklärt - ich zitiere -: Bei völlig rechtmäßig getroffenen Entscheidungen braucht man keine Bürgerbefragung in Stuttgart. ({0}) Vielmehr wird genau die Landtagswahl im nächsten Jahr die Befragung der Bürger über die Zukunft Baden-Württembergs, über Stuttgart 21 und viele an17278 Christian Lange ({1}) dere Projekte sein, die für die Zukunft dieses Landes wichtig sind. Meine Damen und Herren von der CDU, Sie haben in Baden-Württemberg alles auf eine Karte gesetzt, und Sie haben alles verloren. ({2}) Ich sage Ihnen: Stellen Sie sich nur eine Sekunde vor, Sie wären im September letzten Jahres auf den Vorschlag der SPD in Baden-Württemberg, auf den Vorschlag von Nils Schmid eingegangen! ({3}) Sie haben die Landtagswahl verloren, und die Bürgerinnen und Bürger haben jetzt mit 58,8 Prozent für Stuttgart 21 gestimmt. Sie müssen sich doch angesichts dieser Bilanz der CDU-Politik in Baden-Württemberg schwarzärgern. ({4}) Was zeigt uns Stuttgart 21? Erstens. Die Stuttgarter Bürger haben uns darauf hingewiesen, dass die Legitimität eines Verwaltungsverfahrens nicht mehr genügt. Die Konsequenz kann nicht sein, Bürgerproteste mit Wasserwerfern zu stoppen, sondern die Konsequenz muss sein, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu verkürzen, die Menschen in Baden-Württemberg zu beteiligen. Das ist das Ergebnis des Prozesses von Stuttgart 21. ({5}) Zweitens. Was zeigt uns Stuttgart 21 darüber hinaus? Wenn es die Menschen umtreibt, dann beteiligen sie sich auch. Das ist das Gegenteil von Politikverdruss. Die Wahlbeteiligung von 48,3 Prozent zeigt dies eindrucksvoll. Das ist ein Beweis, dass direkte Demokratie funktioniert. Das sollte uns ermutigen. Wir sollten dies nicht abstreiten oder relativieren. Drittens. Meine Damen und Herren von der CDU, haben Sie keine Angst! Den Dagegen-Parteien fällt die Mobilisierung nicht zwangsläufig leichter. Im Gegenteil: In Stuttgart bekam das Dagegen-Lager zwar mehr Menschen auf die Straße als das Dafür-Lager, ({6}) aber am Tag der Abstimmung war es genau umgekehrt. Genau deshalb sollten wir ermutigt aus der Abstimmung über Stuttgart 21 gehen. ({7}) Viertens. Wer von der schweigenden Mehrheit spricht, wer davon spricht, dass nicht diejenigen die Mehrheit sind, die am lautesten schreien, wer also der Straße sein Misstrauen ausspricht, der muss Volksentscheide befürworten. ({8}) Deshalb ist es gut und richtig, dass die Landesregierung angekündigt hat, dass die Quoren in Baden-Württemberg abgesenkt werden, dass Bürgerbeteiligung in BadenWürttemberg möglich und üblich wird und dass die so getroffenen Entscheidungen dann auch gelten. ({9}) Ich will für uns auf Bundesebene sagen: Mut zu mehr Beteiligung heißt auch Mut zu mehr Beteiligung, wenn es darum geht, das Recht auf Volksbegehren und Volksabstimmungen im Grundgesetz zu verankern. ({10}) Fünftens. Natürlich ist die Landesregierung in der Pflicht. Ministerpräsident Kretschmann hat noch am Sonntagabend unzweifelhaft klargestellt: Stuttgart 21 wird mit der Unterstützung der Landesregierung gebaut. Landesverkehrsminister Hermann wird sich an seinem Umgang mit Stuttgart 21 messen lassen müssen. Kritisch-konstruktiv zu begleiten, reicht nicht. ({11}) Projektförderpflicht ist angesagt. Insofern steht er unter unserer verschärften Beobachtung. Sechstens. Ja, direkte Demokratie ist anstrengend; aber sie ist auch ein Beitrag zu politischer Kultur. Pround Kontrastände in bunter parteipolitischer Färbung konnten wir in den letzten Wochen und Monaten in Baden-Württemberg erleben. ({12}) Mancher Passant war verdutzt und irritiert. Die üblichen Schubladen passten nicht mehr. So zeigt sich Demokratie von ihrer besten Seite, wie ich finde. ({13}) Deshalb gibt es auch keine Verliererinnen und Verlierer bei der Stuttgart-21-Debatte, sondern die Sache hat gewonnen. Stuttgart 21 wird gebaut. Schließlich: Ja, die Volksabstimmung verlangt auch von den Bürgern, das Ergebnis zu akzeptieren. Das Stuttgarter Ergebnis mit 52,9 Prozent für Stuttgart 21 hilft dabei - davon bin ich fest überzeugt -, eine befriedende Wirkung zu entfalten. Gerade die Projektgegner haben jetzt aber eine große Verantwortung. Trauern - ja. Doch es waren keine Verschwörungen und auch keine finsteren Mächte, die das Ergebnis herbeigeführt haben. ({14}) Christian Lange ({15}) Wer so argumentiert, der kann der direkten Demokratie nichts Richtiges abgewinnen. Auch das gehört zur ganzen Wahrheit. Schließen will ich mit einem Zitat von Tissy Bruns. Sie hat gestern im Tagesspiegel geschrieben: In der Volksabstimmung zeigt sich ein erfreulicher Common sense, den öffentliche Debatten in den letzten Jahren so oft vermissen ließen. Das Ergebnis hat nicht nur aufgeräumt mit der Vorstellung einer allmächtigen Bürgerwut. Es entmystifiziert auch die überzogenen Befürchtungen und Beschwörungen einer „Dagegen“-Republik, in der jeder und jede nur noch an den eigenen Vorgarten denkt. Die Energiewende wird schwierig; dass sie aber an den Widerständen doppelmoralischer Bürger scheitert, die keine Atomkraft wollen, aber den Netzausbau blockieren, ist sehr unwahrscheinlich. Die Bürger, hat sich in Stuttgart gezeigt, wollen mitreden, und sie lassen mit sich reden. Das finde ich ermutigend. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Patrick Döring das Wort. ({0})

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst erlaube ich mir, weil man das der Rede des geschätzten Kollegen Lange nicht so sehr anmerkte, die Bemerkung, dass die Mehrheit der Bevölkerung von Baden-Württemberg bereits bei der vergangenen Landtagswahl überwiegend für die Parteien, die für Stuttgart 21 waren, gestimmt hat; denn die SPD konnte man ja eindeutig dazuzählen. Deshalb war die Wahl als solche keine Abstimmung über dieses Projekt. Aber ich sage auch: Die Mehrheit vom vergangenen Sonntag bestätigt das, was der Kollege Strobl gesagt hat: Stadtrat, Landtag und Bundestag haben in ihren zahlreichen Entscheidungen für Stuttgart 21 nicht gegen den Willen des Volkes agiert, sondern den Geist und den Mut der Menschen ganz offensichtlich getroffen. ({0}) Die deutsche Bevölkerung ist demnach zukunftsfähiger, aufgeschlossener gegenüber Neuem und aufgeschlossener gegenüber Innovationen, als von einigen in diesem Hause gelegentlich der Eindruck erweckt wird. Die deutsche Bevölkerung ist offenbar auch viel mehr bereit, Opfer auf sich zu nehmen - in Stuttgart selbst durch jahrelange Bautätigkeit -, als hier gelegentlich geglaubt wird. Ja, die repräsentative Demokratie hatte bei diesem Thema in den vergangenen 15 Jahren offenbar den richtigen Riecher. Dafür dürfen wir all denjenigen, die daran über Jahrzehnte parlamentarisch beteiligt waren, durchaus auch einmal ein Kompliment machen. Demokratie funktioniert in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Ich bin sehr dankbar, dass der Kollege Lange auf die Rolle der Landesregierung hingewiesen hat. Es gehört eben mehr zur Projektbeförderung durch einen Vertragspartner als konstruktiv-kritische Begleitung. Der Finanzierungsvertrag gilt. ({2}) Deshalb erwarte ich, dass auch die Landesregierung ihren Teil dazu beiträgt, die jetzt entstandene zwölfmonatige Verzögerung bei der Realisierung des Projekts durch schnelles Verwaltungshandeln ein Stück weit aufzuholen. Es muss aufhören, dass die von Herrn Minister Hermann in Dienst gestellten früheren Demonstranten in seinem Ministerium Häcksel in die Wurst schneiden. Sie müssen endlich damit anfangen, das Projekt wirklich zu befördern, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Am letzten für die Grünen in diesem Hause so schmerzlichen Sonntag hat auch ein Bundesparteitag der Grünen stattgefunden. ({4}) Ich will mir, weil wir über Mobilität und Verkehr sprechen, bei dieser Gelegenheit erlauben, dieses Hohe Haus, aber auch die Zuhörerinnen und Zuhörer auf die verkehrspolitisch und mobilitätspolitisch relevanten Entscheidungen hinzuweisen, die dort getroffen wurden. ({5}) Sie haben sich in Ihrem Beschluss dazu bekannt, dass Sie mit Steuern steuern wollen. Sie wollen nicht nur in eine ganz andere Richtung steuern, nein, Sie wollen den Menschen in Wahrheit ihr Lebensgefühl und ihre Lebensart diktieren. Dazu sagen wir: Das ist der falsche Weg, um die Menschen mitzunehmen - auch in der politischen Debatte. ({6}) Sie haben entschieden, die Pendlerpauschale zu streichen und damit den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte für Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jeden Morgen viele Kilometer auf sich nehmen, um ihrer Arbeit nachzugehen, ihr Leben schwerer zu machen, deren Steuerlast zu erhöhen und damit leistungsfeindliche Anreize zu setzen. ({7}) Das ist falsch. ({8}) Sie haben sich dafür entschieden, die Lkw-Maut zu einer Schwerverkehrsabgabe umzubauen und damit auf allen Straßen in Deutschland für alle Fahrzeuge schwerer als 3,5 Tonnen Gebühren zu erheben. Das ist leistungsfeindlich für die vielen Handwerkerinnen und Handwerker in Deutschland, die Arbeitsplätze schaffen, für den Mittelstand und für das örtliche Gewerbe. Das ist falsch in der sozialen Marktwirtschaft. ({9}) Obwohl Deutschland als eines der wenigen Länder auf der Erde bereits eine Luftverkehrsabgabe erhebt, haben Sie sich entschieden, zusätzlich als einziges Land auf der Welt Kerosin zu besteuern. Das ist falsch in einem Land, das vom Export lebt, das international denkt und handelt und das vor allen Dingen ohne Luftfracht nicht existieren könnte. Auch das eine falsche Entscheidung. ({10}) Noch viel besser finde ich, dass Sie die tolle Idee geboren haben, die Besteuerung von Mineralöl zukünftig an einen Verbraucherpreisindex zu koppeln. Man muss dazu wissen, dass die Inflation in diesem Bereich seit 1999 etwas höher als insgesamt war. Das würde dazu führen - ich habe das heute einmal ausgerechnet -, dass die Mineralölsteuer für 1 Liter Diesel um etwa 5 Cent und danach jedes Jahr um die Teuerungsrate des Energiepreises steigen würde. Es gibt dann also noch extra einen Anreiz dafür, dass der Staat nicht preismildernd eingreift, zum Beispiel durch die Zerschlagung von Kartellen, sondern preistreibend. ({11}) Wer das in der Steuerpolitik tatsächlich realisieren will, ist auf dem falschen Dampfer und handelt wieder leistungsfeindlich und entgegen den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. ({12}) Ein Letztes. Sie haben den schönen Satz beschlossen - ich will ihn deshalb hier vorlesen, weil er so unfassbar ist -: Die Bundesregierung muss endlich ihre Blockadepolitik gegen Möglichkeiten aufgeben, Sanktionen nicht nur bei übermäßigen Defiziten, sondern auch bei übermäßigen Leistungsbilanzüberschüssen verhängen zu können, um makroökonomische Ungleichgewichte abzubauen. ({13}) Das ist eine Verelendungsstrategie für das Exportland Deutschland. Wir müssen uns für die Leistung unserer Wirtschaft nicht entschuldigen - nicht bei Ihnen und bei niemand anderem in Europa. Vielen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine Leidig von der Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir haben in der vergangenen Woche erlebt, wie die Projektbetreiber einen Machtkampf um Stuttgart 21 organisiert haben - Goliath gegen David, sozusagen. ({0}) Die Freundinnen und Freunde des Kopfbahnhofes sind unterlegen. So ist es. Es würde sich lohnen, sich die Bedingungen, die Irreführungen und die konkreten Ergebnisse dieser Volksabstimmung im Detail anzuschauen. Aber das würde meine Redezeit hier sprengen. Nur so viel: In der Stadt Stuttgart haben über 47 Prozent für den Ausstieg gestimmt. Die Bevölkerung ist tief gespalten. Daran sind die Grünen in der Landesregierung mit schuld, weil sie die offensichtlichen Fehler dieses Projektes nicht zum Ausstieg genutzt haben, sondern auf Koalitionsfrieden mit der SPD setzen. Damit bin ich bei dem Thema, das tatsächlich auf die Tagesordnung des Bundestages gehört: Stuttgart 21 ist zum Scheitern verurteilt, so oder so, weil eine Reihe ganz gravierender Probleme überhaupt nicht gelöst ist. Davon will ich hier nur zwei herausgreifen: Erstens: die Kostenfrage. Bereits am Tag nach der Volksabstimmung hat Bahnchef Grube angedeutet, was alle schon längst wissen: Bereits vor Baubeginn ist die Kostenobergrenze von 4,5 Milliarden Euro überschritten. ({1}) Jeder hier im Plenarsaal weiß, dass bis ins nächste Jahrzehnt hinein 7 Milliarden Euro und mehr für dieses Projekt fällig werden, aber Bund, Land und Stadt haben erklärt, keine Mehrkosten zu tragen, und die DB AG weigert sich, die Kostenübernahme zuzusichern. Was bedeutet das? Wenn angefangen wird, zu graben, könnten Bauruinen entstehen. Die Anlagen können nämlich erst dann in Betrieb genommen werden, wenn sie vollständig fertiggestellt sind. Wir werden etwas Ähnliches erleben wie bei der Hochgeschwindigkeitsstrecke Nürnberg-Erfurt, wo seit Jahren So-da-Brücken in der Landschaft stehen, Brücken, die einfach so da stehen, weil das Bauprojekt nicht fertiggestellt wird. Der Unterschied ist, dass die gigantische Bauruine inmitten der Landeshauptstadt liegen wird. ({2}) - Nein, das liegt daran, dass das Geld nicht reicht. ({3}) Als zweiten Punkt nenne ich den Schaden für die Schiene. Dieser Punkt ist der allergravierendste. Die Argumente dafür, dass dieses Projekt der Schiene schadet, waren von Anfang an der wichtigste Einwand gegen den Tunnelbahnhof. Das hat auch in der Faktenschlichtung eine zentrale Rolle gespielt. Ich erinnere an den Schlichterspruch von Heiner Geißler vor etwa einem Jahr, an den sich alle Projektbeteiligten quasi wie an einen Urteilsspruch gehalten haben. Dort heißt es: Die Deutsche Bahn AG muss dabei den Nachweis führen, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität möglich ist. Im Sommer dieses Jahres hat die Bahn verkündet: Unsere Überprüfung der Simulationsergebnisse hat gezeigt, dass die geforderten 49 Ankünfte im Hauptbahnhof Stuttgart in der am meisten belasteten Stunde … abgewickelt werden können. Auch dazu haben Sie hier in einer Aktuellen Stunde triumphiert, während das Aktionsbündnis aus guten Gründen gezweifelt hat. Nun ist vergangene Woche bekannt geworden, dass die Ergebnisse dieses Stresstests falsch sind. Die Fakten über die Fälschung sind auf der Internetplattform WikiReal nachzulesen. Sie wurden von Dr. Engelhardt zusammengetragen, der als Sachverständiger an der Stresstestpräsentation teilgenommen hat. Das ist unter anderem im ZDF-Magazin Frontal 21 dokumentiert und durch einen der bekanntesten Verkehrswissenschaftler im deutschsprachigen Raum bestätigt worden, Professor Knoflacher. Demnach hat die Bahn systematisch gegen die Richtlinie verstoßen, die für eine solche Simulation maßgebend ist, nämlich die Richtlinie mit der Bezeichnung „Fahrwegkapazität R 405“. Tatsächlich können in der Spitzenstunde nämlich nicht 49, sondern maximal 38 Züge abgefertigt werden. Was bedeutet das? Das sind weniger Züge als im heutigen vernachlässigten Kopfbahnhof und nur 60 Prozent von dem, was ein ertüchtigter Kopfbahnhof leisten könnte. ({4}) Das ist der Punkt, an dem die Bundesregierung eingreifen muss, Herr Ramsauer. Die Untersuchung zeigt, dass mit Stuttgart 21 faktisch ein Rückbau der Eisenbahninfrastruktur des Bundes geplant ist. ({5}) Da können Sie sich nicht einfach zurücklehnen und sich damit herausreden, dass es sich um ein eigenwirtschaftliches Projekt der Bahn handelt. ({6}) Mit Stuttgart 21 wird der entscheidende Bahnknoten in Südwestdeutschland enger gezogen. Es wird ein Nadelöhr geschaffen. Dafür sollen Milliarden Euro an Steuergeldern fließen. Wenn Sie es mit dem Standort Deutschland gut meinen, dann dürfen Sie nicht zulassen, dass die Eisenbahn in ihrer zukünftigen Entwicklung behindert wird. ({7}) Wir werden nicht nachlassen, die Fakten auf den Tisch zu bringen. Die Linke will dazu beitragen, dass Stuttgart 21 aus vernünftigen Gründen scheitert und nicht im Desaster endet. ({8}) Ich fordere Sie auf, Herr Ramsauer: Übernehmen Sie die Verantwortung, und wenden Sie Schaden von der Bahninfrastruktur in diesem Land ab! Danke. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Stunde heißt: Standort Deutschland sichern S 21 zügig umsetzen und grüne Pläne zur Belastung des Mittelstands stoppen. - Ich kann nur sagen: Jedem Zehntklässler in Deutschland würde man diese Formulierung um die Ohren hauen. ({0}) Wenn Sie in Zukunft einmal Formulierungshilfen brauchen, können Sie sich gerne an meine Fraktion wenden. Wir beherrschen so etwas, Herr Kauder. Ich kann zur Abstimmung über Stuttgart 21 nur sagen, Herr Kauder: Damit hat die grün-rote Regierung dem Land und der Demokratie einen großen Gefallen getan. ({1}) Was ihr in 17 Jahren nicht geschafft habt - so lange läuft das Ganze schon -, ist jetzt durch einen Volksentscheid entschieden worden. Selbstverständlich werden wir als Grüne - das hat die Landesregierung immer zum Ausdruck gebracht - uns an dieses Votum halten und Stuttgart 21 jetzt umsetzen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP Dr. Martin Lindner ({2}) ({3}): Sie sehen das jetzt demokratieexperimentell! konstruktiv-kritisch, Herr Kauder. Das bedeutet: Es gibt einen vereinbarten Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro. Vor dem Entscheid hat Herr Grube noch gesagt: Es ist kein Problem, ihn einzuhalten. - Seit Montag ist ihm der Kupferpreis eingefallen, wodurch es eventuell doch teurer wird. Aber wir werden auf den Kostendeckel achten: 4,5 Milliarden Euro. Der Landesanteil kann nicht zunehmen; die Bahn muss sich eben darum kümmern, wie sie das finanziert. ({4}) Wichtig ist, dass Ihre These „Das ist jetzt gut für den Standort Deutschland“ ein bisschen überhöht ist, Herr Strobl. ({5}) Wir werden weiter die Frage stellen: Was ist gut für den Standort Deutschland? Es könnte sein, dass die Milliarden, die jetzt für den unterirdischen Bahnhof verwendet werden - wie gesagt, wir akzeptieren die Entscheidung -, an anderen Stellen auch in Baden-Württemberg fehlen und Schieneninfrastruktur dann nicht mehr gebaut werden wird. ({6}) Wir sind sehr gespannt, ob Herr Ramsauer die Rheintaltrasse oder die Strecke Frankfurt-Mannheim in den Investitionsplan aufnehmen wird oder ob die Mittel dafür fehlen. ({7}) Das werden wir genau verfolgen. ({8}) Interessant ist jedenfalls, dass Sie auf einmal, obwohl Sie die Volksabstimmung im Landtag immer abgelehnt haben, dies alles toll finden. Wir sind sehr gespannt darauf, ob für CDU/CSU und FDP daraus folgt, Volksbegehren in Zukunft zu erleichtern, und wie Sie dieses Thema auf der Bundesebene verorten wollen. ({9}) Sonst wird Ihre Begeisterung nämlich als taktische Begeisterung in die Geschichte eingehen, die keine fünf Tage lang anhält. ({10}) Ich rate Ihnen, Herr Strobl: Wenn man gewonnen hat, dann muss man souverän sein und sich freuen, statt zu brüllen wie von der Tarantel gestochen. ({11}) Seien Sie doch einfach souverän und freuen Sie sich, dass Sie nach der verlorenen Landtagswahl jetzt eine Volksabstimmung gewonnen haben! In dieser Debatte soll es angeblich auch um Wirtschaftspolitik, Belastung des Mittelstands und was auch immer gehen. ({12}) Dazu will ich noch wenige Punkte ansprechen. Herr Döring, Sie haben gesagt, wir würden das Fliegen verteuern. Ich kann Ihnen ehrlich sagen: In dem Beschluss, den wir gefasst haben, haben wir in der Tat die Frage gestellt: Wie kann es mit der ökologischen Steuerreform weitergehen? Ich sage Ihnen, warum: Wir finden, dass eine Marktwirtschaft heute eine ökologische Marktwirtschaft sein muss, in der die Preise die ökologische Wahrheit sagen. ({13}) Wir machen uns Gedanken, während von Ihnen nur „Blockade“, „Nein“, „Nichts“, „Wollen wir nicht“, „Geht nicht“, „Stillstand“ usw. kommt. ({14}) Sie haben noch gar nicht begriffen - deswegen stehen Sie in Umfragen in Baden-Württemberg und im Bund jetzt bei 3 Prozent -, ({15}) dass die Menschen in Deutschland eine ökologische Politik wollen, aber nicht den Murks, den Sie veranstalten. ({16}) Herr Strobl, dass hohe Leistungsbilanzüberschüsse ebenso wie hohe Leistungsbilanzdefizite in einem Gemeinschaftsmarkt mit einer gemeinsamen Währung schwierig sind und ein Problem darstellen, können Sie in jedem Volkswirtschaftshandbuch nachlesen. Ich finde es erstaunlich, wie wenig Ahnung die FDP inzwischen bei solchen Fragen an den Tag legt. ({17}) Wir haben uns auf dem Parteitag eine Frage gestellt, die bei Ihnen bisher noch fehlt, nämlich: Wie kann man die 40 Milliarden Euro, um die sich Bund, Länder und Gemeinden heute noch verschulden, bewältigen? Wir haben Vorschläge gemacht, zum Beispiel eine einmalige Vermögensabgabe, ({18}) mit der wir 100 Milliarden Euro Schulden, durch die Finanzkrise und die Konjunkturprogramme verursacht, tilgen wollen. Wir sind die erste Partei, die sagt, wie man Schulden tilgen kann. Sie sagen nur immer, wie man sie erhöhen kann. ({19}) Der Haushalt, den Sie vorgelegt haben, hat dies entsprechend dargestellt. Deswegen rate ich Ihnen: Wenn Sie wieder solche depperten Titel für eine Aktuelle Stunde auswählen, denken Sie besser vorher nach. Das hätte sicherlich geholfen. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Stefan Kaufmann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zunächst noch etwas zurechtrücken, lieber Kollege Kuhn. Sie, die Grünen, haben im Herbst 2010 im Landtag die Absenkung des Quorums auf 25 Prozent verhindert. Das muss hier einfach einmal klargestellt werden. ({0}) Seit Sonntag haben wir Gewissheit: Stuttgart 21 ist nicht nur von den Parlamenten mehrfach demokratisch legitimiert worden, nein, es entspricht auch dem klaren Willen der deutlichen Mehrheit der Bevölkerung. ({1}) Die Bürgerinnen und Bürger haben der grün-roten Regierung gezeigt, dass sie ihre Steuergelder lieber in die Zukunftsfähigkeit von Stadt, Region und Land investiert haben wollen als in die Finanzierung von Nostalgie oder die Erfüllung hoher Schadensersatzforderungen. Nun wissen wir auch, dass die Grünen und Teile der Medien Augenwischerei betrieben haben, als sie immer so taten, als ob ganz selbstverständlich eine Mehrheit im Land gegen das Projekt sei. Die sogenannten Wutbürger wurden schlichtweg von der bisher schweigenden Mehrheit überstimmt. Dies scheint der Münchner SPD-Oberbürgermeister Ude genauso zu sehen: Er plant einen Volksentscheid für die dritte Startbahn des dortigen Flughafens mit der Begründung - ich zitiere -: Es soll den Grünen nicht gelingen, wie bei Olympia in Garmisch oder bei Stuttgart 21 viele Monate zu behaupten, sie würden im Namen der Bürger sprechen, und erst am Ende zeigt sich: Es gibt keine Mehrheit! ({2}) Er fährt fort: Der Glaubenskrieg um Verkehrsprojekte kann die Grünen die Politikfähigkeit kosten. ({3}) Für uns Projektbefürworter gilt es nun, den Kritikern die Hand zu reichen und alle einzuladen, sich konstruktiv einzubringen und das Projekt zu begleiten. Nutzen wir die Chance, in Stuttgart die Spaltung der Stadtgesellschaft zu überwinden und den Konflikt zu befrieden! Möglichkeiten gibt es genug: Auf Initiative von Oberbürgermeister Schuster wird noch im Dezember das erste Bürgerforum starten. Auch die Bahn hat mehrfach erklärt, dass sie den Austausch mit den Bürgern intensivieren wird. Insbesondere bei den anstehenden Planfeststellungsbeschlüssen für die Anbindung des Flughafens muss es einen echten Dialog geben. Ich begrüße es zudem ausdrücklich, dass Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer an einem Gesetz arbeitet, das Verwaltungsverfahren bei Infrastrukturprojekten übersichtlicher gestalten und Bürger noch vor Beginn des Planfeststellungsverfahrens einbinden soll. ({4}) Klar ist: Wir müssen Lehren aus den jahrelangen heftigen Diskussionen ziehen und über neue Formen der Bürgerinformation und -beteiligung nachdenken. Aber zur Beteiligung gehört auch, dass sich die Betroffenen selbst frühzeitig einbringen - und nicht erst, wenn die Bagger rollen und die Bäume gefällt werden. Ich selbst habe diese Rede übrigens dazu genutzt, die Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis im Vorfeld über Facebook zu beteiligen, indem ich um Vorschläge zum Inhalt dieser Rede gebeten habe. Die Resonanz auf dieses Demokratie-Experiment war grandios. ({5}) So einfach, meine Damen und Herren und meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, kann eine Politik des Gehörtwerdens sein. Was Stuttgart 21 angeht, so steht fest: Querschüsse aus der Landesregierung und Irreführungen der Bürger durch den grünen Teil der Regierung sind nicht mehr länger hinnehmbar. ({6}) Sie schaden dem Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg und dem Vertrauen in Deutschland als Rechtsstaat. ({7}) Schädlich ist auch, Frau Kollegin Leidig, wenn man nach der verlorenen Volksabstimmung nun fortlaufend monothematisch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit erklärt, man wolle nicht mehr bezahlen als ursprünglich vereinbart. Im Finanzierungsvertrag ist klar geregelt, dass bei etwaigen Mehrkosten „Gespräche zwischen den Projektpartnern aufzunehmen sind“. Nun kann man Verträge gut finden oder schlecht, sie als Vertragspartner zu ignorieren, ist unseriös. ({8}) Das Projekt wird bis Ende 2019 gebaut werden. Heute über Kostensteigerungen zu streiten, die vielleicht oder vielleicht auch nicht in einem halben Jahrzehnt auftreten, ist einfach nicht produktiv. Überdies scheint den Herren Kretschmann und Hermann nicht ganz klar zu sein, dass Wirtschaftsunternehmen wie die Deutsche Bahn allein schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen ein originäres Interesse daran haben, dass die Kosten im Rahmen bleiben. ({9}) Ich will mit einigen Forderungen schließen: Ich rufe die Bahn auf, den Bau nunmehr, wie angekündigt, zügig fortzusetzen und Stuttgart 21 im geplanten Zeitrahmen ({10}) abzuschließen. Die Projektpartner rufe ich auf, sich zum Finanzierungsvertrag zu bekennen und die Bahn zu unterstützen. Das heißt auch: Wer Stuttgart 21 plus will, muss auch Stuttgart 21 plus bezahlen. Ich rufe die Grünen auf, ihre Beteiligung am Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 umgehend zu beenden. ({11}) Eine Gruppierung, die das Ergebnis der Volksabstimmung - jedenfalls in Teilen - nicht akzeptiert, kann nicht mehr Dach für Handlungen einer Regierungspartei sein. Ich rufe die Grünen des Weiteren auf, nicht mehr alle Infrastrukturprojekte in der Bundesrepublik grundsätzlich abzulehnen, ({12}) sondern im Interesse des Landes auch einmal Ja zum Fortschritt zu sagen. Ich rufe das Aktionsbündnis auf, seine Demonstrationen zum Zwecke der Deeskalation vom Bahnhof weg zu verlagern ({13}) und unseren Polizei- und Ordnungskräften, die in den letzten Wochen und Monaten viel gelitten haben, wieder mit Respekt zu begegnen. Rücken Sie von Ihren Verschwörungstheorien ab und gestalten Sie die Zukunft von Stadt und Land mit! ({14}) Vielen Dank. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Pronold von der SPD-Fraktion. ({0})

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kaufmann, wer Fortschritt organisieren und den Standort sichern will, der, glaube ich, muss für einen neuen Konsens bei Infrastrukturprojekten sorgen. Das bedeutet eine ganze Menge mehr als das, was wir heute in der Debatte bisher gehört haben. Ich freue mich, dass die Begeisterung für direkte Demokratie in der Union und in der FDP nach dem letzten Sonntag auf einmal so gewachsen ist. ({0}) Aber vor diesem Sonntag schaute das ganz anders aus. ({1}) Sie, die CDU, haben eine Landtagswahl in BadenWürttemberg verloren, ({2}) weil Sie Angst vor dem Votum der Bürgerinnen und Bürger hatten. Sie haben ihnen misstraut und nicht geglaubt, dass sie zu vernünftigen Entscheidungen fähig sind. Das ist die Wahrheit. Sie hätten das alles ja nicht zu blockieren brauchen. ({3}) Auch die Grünen hatten große Bedenken bei dem Volksentscheid. Sie sind aber das Risiko wenigstens eingegangen. Das ist, so finde ich, lobenswert. Sie stehen auch in einer anderen Tradition. Sie hatten vielleicht geahnt, dass es keine Mehrheit für die Ablehnung von Stuttgart 21 gibt, und waren deswegen ein bisschen vorsichtiger. Aber die Schlussfolgerung, die wir daraus ziehen müssen, ist doch: Wie stellen wir einen neuen Konsens bei Infrastrukturprojekten her? Da hilft es nicht, im Nachhinein Volksentscheide zu loben, sondern man muss sagen, was man in Zukunft tun will, um Bürgerinnen und Bürger besser beim Ob und Wie einer Infrastrukturplanung zu beteiligen. Sie selber haben das Planungsbeschleunigungsgesetz, das im Innenministerium erarbeitet wird - jetzt habe ich gehört, es werde neuerdings im Verkehrsministerium weiter bearbeitet; das weiß ich aber nicht -, gestoppt. ({4}) Es wäre übrigens ein Fehler, wenn dieses Gesetz diesen Titel behalten würde. Wenn es nämlich nur um Planungsbeschleunigung geht - ich halte es übrigens für wichtig, dass das geschieht -, ({5}) aber das Gesetz keine echte Bürgerbeteiligung, und zwar eine neue Form der Bürgerbeteiligung, beinhaltet, dann werden wir die Planungsbeschleunigung, die wir vielleicht erreichen, zum Schluss wieder verlieren, weil es eine ganze Menge Klagen geben wird. Es braucht einen neuen Konsens für Infrastrukturprojekte, und das heißt echte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern. ({6}) Wir in Bayern haben die Debatte - Herr Kaufmann, Sie haben es angesprochen - über die dritte Startbahn. Da ist es ähnlich wie bei Stuttgart 21. Christian Ude und ich, wir haben bereits im Sommer den Vorschlag gemacht, die bayerische Verfassung zu ändern, um bayernweite Volksentscheide zu ermöglichen. ({7}) Das hat die CSU abgelehnt. ({8}) Gestern höre ich, dass auch Horst Seehofer auf einmal dafür ist, aber nach dem Motto „Copy and paste“ und ohne Quellenangabe. Guttenberg lässt grüßen. ({9}) - Das kennen wir. - Eine echte Kultur der Bürgerbeteiligung heißt aber, dass man tatsächlich über das Ob reden können muss. Wenn Sie nämlich nur über bessere Information reden, was auch wichtig wäre - in diesem Zusammenhang muss man die Möglichkeiten des Internets nutzen -, es aber keine Möglichkeit gibt, über das Ob zu reden, dann handelt es sich um keine echte Bürgerbeteiligung. Dann fühlen sich die Menschen zu Recht hinter die Fichte geführt. Das darf nicht sein. Wir haben in der SPD-Bundestagsfraktion einen Infrastrukturkonsens auf den Weg gebracht. Wir werden das Planungsbeschleunigungsgesetz begleiten. Aber ich sage Ihnen ganz deutlich: Da muss eine Menge mehr als das passieren, was bisher bekannt ist. Das ist das Entscheidende. Lassen Sie uns doch nicht nach der Entscheidung zu Stuttgart 21 im Nachhinein ein Hickhack veranstalten. Die CDU erweckt allein durch den Titel der Aktuellen Stunde den Eindruck, dass es jetzt darum geht, die letzte Wahlniederlage psychologisch aufzuarbeiten. ({10}) Lassen Sie uns die Aktuelle Stunde vielmehr dafür nutzen, zu überlegen, wie wir die Bürgerinnen und Bürger besser beteiligen können. Dazu gehört die Frage des Monitorings, die Frage der Information und die Frage, wie Bürgerinnen und Bürger auf Augenhöhe mit der Verwaltung beteiligt werden können. Dazu gehört auch die Beantwortung der Fragen: Wie beschleunigen wir das Ganze? Wie können wir dafür sorgen, dass die Prozesse schneller ablaufen? Ich glaube, dass es dann, wenn man die Bürgerinnen und Bürger früher an den Entscheidungen, auch über das Ob, beteiligt, gelingen kann und gelingen muss, im Gegenzug die Verfahren zu beschleunigen. ({11}) Das, was wir in Stuttgart erlebt haben, kann ja nicht richtig sein: dass 17 Jahre, nachdem das Verfahren gestartet worden ist, ({12}) Baubeginn ist. Bürgerfeindlich ist übrigens auch, wenn Verfahren so lange dauern. Es wäre eine wichtige Aufgabe für dieses Haus, jetzt, kurz nach diesem - aus Sicht der Mehrheit gut ausgegangenen - Volksentscheid, nicht nur Lippenbekenntnisse zu äußern und auf einmal das Hohelied der Demokratie zu singen, sondern dafür zu sorgen, dass in einem Bereich, in dem „mehr Demokratie“ normalerweise nicht stattfindet, nämlich bei der Planung von Infrastrukturprojekten, künftig mehr Demokratie praktiziert wird. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Daniel Volk. ({0})

Dr. Daniel Volk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Pronold, Sie haben mit der Forderung, wir müssten jetzt einen neuen Konsens für Infrastrukturprojekte schaffen, eigentlich unterstellt, dass es zuvor keinen Konsens gegeben habe. ({0}) Ich möchte dem ganz deutlich widersprechen. Ich glaube, wir haben über die mehr als 15 Jahre Planung des Projekts Stuttgart 21 durchgehend einen Konsens gehabt. ({1}) Es gab auch eine Bürgerbeteiligung: mehr als 3 000 Eingaben. In der Volksabstimmung am letzten Sonntag hat sich dieser Konsens noch einmal deutlich abgebildet. ({2}) Insofern sehe ich nicht, dass hier ein neuer Konsens herbeigeführt werden muss, sondern es muss der Konsens, den wir über Jahre hatten, beibehalten werden. ({3}) Ich halte es für vollkommen sinnvoll, dass hier eine Aktuelle Stunde angesetzt wird, in der die beiden Themen, nämlich die Verhinderung von wichtigen Infrastrukturmaßnahmen durch die Grünen und die von den Grünen beabsichtigte Steuerpolitik, behandelt werden. Eines wird klar: Durch die Verhinderung von wichtigen Infrastrukturprojekten einerseits, durch massive, geradezu unverschämte Steuererhöhungen andererseits, die die Grünen für den Fall einer Regierungsbeteiligung ankündigen, wird ein Frontalangriff seitens der Grünen gegen den deutschen Mittelstand, gegen die deutsche Mittelschicht, gegen die Zukunft unseres Landes gefahren. ({4}) Ich möchte Ihnen nur ein paar Punkte aus dem fantastischen Steuerbeschluss der Grünen vom Wochenende darlegen. Sie sagen, der Staat müsse mehr Steuern einnehmen, damit er Schulden abbauen kann. In den Bundesländern, in denen Sie Regierungsverantwortung tragen, fällt auf, dass Sie zusätzliche Steuereinnahmen nicht zum Schuldenabbau verwenden. ({5}) Vielmehr stellen Sie in Baden-Württemberg großzügig neue Stellen für Demonstranten gegen Stuttgart 21 zur Verfügung. ({6}) In Nordrhein-Westfalen müssen Sie sich vom Verfassungsgerichtshof schwarz auf weiß erklären lassen, dass Sie einen verfassungswidrigen Haushalt aufstellen. ({7}) Ich kann Ihnen nur eines sagen: Mehr Steuereinnahmen werden von den Grünen niemals in den Abbau von Staatsverschuldung gesteckt, sondern immer für eine Ausgabenerhöhung verwendet. Das Schlimmste an dieser Sache ist: Dieses Geld wird in sinnlose Ausgaben gesteckt. ({8}) Ich möchte Ihnen hier einfach einmal einen Schlüsselsatz aus Ihrem Beschluss vorlesen: ({9}) … Finanz- und Haushaltspolitik … darf nicht im engen Gewand des strengen Kassenwarts daherkommen. So Ihr O-Ton. ({10}) Das ist genau der Schlüsselsatz, der zeigt: Sie wollen den Bürgern nur noch mehr Geld wegnehmen, damit Sie noch mehr Geld für sinnlose Dinge ausgeben können. ({11}) Wenn man sich dann einmal direkt die steuerpolitischen Vorschläge anschaut, so stellt man fest, dass die Grünen die Linkspartei mittlerweile links überholen. Da wird eine Vermögensabgabe und in der Ferne eine Vermögensteuer vorgeschlagen, die allerdings nicht nur private Vermögen, sondern auch betriebliche Vermögen belasten soll. ({12}) Interessant, dass Sie dies fordern. Die Linkspartei fordert ja mit der Vermögensteuer „nur“ die Belastung des privaten Vermögens. Erklären Sie doch bitte einmal dem Mittelstand oder kleinen Handwerksbetrieben, dass sie auf Betriebsfahrzeuge Vermögensteuer zahlen sollen. Das ist doch insgesamt ein Angriff auf die Kapitalbasis des Mittelstandes. Das kann diesem Lande nicht guttun. ({13}) In der Überschrift wird von einem „solidarischen Finanzkonzept“ gesprochen, im Text ist dann aber die Rede von einer „massiven Erhöhung der Grundsteuer“. Sie wollen die Grundsteuer massiv erhöhen, indem Sie als Bemessungsgrundlage den Verkehrswert der jeweiligen Immobilie ansetzen. ({14}) Das wird zwangsläufig dazu führen, dass sich die Grundsteuer massiv erhöht. Jetzt frage ich mich nur, wie solidarisch es ist, dass der Vermieter, ({15}) der möglicherweise mehrere Wohnungen hat, also ein Vermögender, diese massiv erhöhte Grundsteuer als umlagefähige Nebenkosten seinem Mieter, der sich gerade einmal eine Wohnung zur Miete leisten kann, in Rechnung stellt. Wie solidarisch ist eigentlich Ihr Finanzkonzept? ({16}) Ich kann nur eines sagen: Das Finanzkonzept der Grünen ist weder solidarisch noch solide. Das Einzige, was es ist: Es ist grün und damit auf jeden Fall zu verhindern. Vielen Dank. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ute Kumpf von der SPD-Fraktion. ({0})

Ute Kumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003166, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Kollege Dr. Volk, ich glaube, Sie haben am Sonntag gepennt. Wir hatten am Sonntag einen Volksentscheid, und Baden-Württemberg hat entschieden. Erst durch diesen Volksentscheid ist für das Projekt Stuttgart 21 Klarheit geschaffen worden. Das müssten Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen. ({0}) Ich kann mich gut erinnern: Wie wurden wir hier vor 15 Monaten mit Häme überschüttet, wie sehr wurden wir als dumm und dusselig dargestellt, als wir diesen Volksentscheid ins Spiel gebracht haben! ({1}) Der Kollege Kauder und der Kollege Strobl, auch der Kollege Pfeiffer, auch der Kollege Kaufmann, auch die Frau Maag, Sie alle waren dagegen. ({2}) Wer war denn noch dagegen? Auch der Kollege Kuhn und die Grünen im Landtag waren dagegen. ({3}) Auch die FDP war dagegen. ({4}) Jetzt lassen Sie sich auf einmal feiern, als wären Sie der Urheber des Ganzen und hätten es zum Erfolg geführt. Bitte bleiben Sie einmal bei der Wahrheit! ({5}) Es zeigt sich, dass dieser Vorschlag, eine Volksabstimmung durchzuführen, richtig war und dazu beigetragen hat, dass es zu einer Versöhnung der widerstreitenden Parteien gekommen ist, zumindest im Hinblick auf die Frage, die jetzt am Sonntag geklärt wurde. ({6}) Lieber Kollege Strobl, es ist keine Zeit für Triumphgeheul. Sie müssten schon ein bisschen im eigenen Hause kehren und nachschauen, welchen Anteil die CDU an dem Konflikt um Stuttgart 21 hat. Insbesondere Ihr OB hat für Verwirrung gesorgt: Er hat 2004 einen Bürgerentscheid in Aussicht gestellt und ihn dann doch nicht stattfinden lassen, er hat nicht informiert und die Leute nicht, wie es so schön heißt, mitgenommen, und, und, und. ({7}) Bleiben Sie auf dem Teppich! Ich glaube, es tut uns allen hier gut, aus der Auseinandersetzung um dieses Projekt zu lernen und unsere Lehren daraus zu ziehen. ({8}) Ich denke, es ist eher Demut angesagt, schlichtweg Demut. Auch die CDU sollte sich an die Nase fassen. Es wurde uns nämlich mit dieser Entscheidung am Sonntag Verantwortung übertragen und auch Vertrauen geschenkt, dass das, was wir zur Entscheidung vorgelegt haben, auch richtig ist, dass wir das, was wir in der Auseinandersetzung besprochen haben, auch einhalten. Dieses Vertrauen, das uns geschenkt wurde, gilt für uns alle hier im Parlament. Es gilt aber auch für das Verkehrs17288 ministerium und für die Bahn. Dieses Vertrauen darf nicht wieder enttäuscht werden, sonst kann dieses Projekt nicht zügig und auch nicht sinnvoll zu Ende geführt werden. ({9}) Es hat sich auch gezeigt, dass direkte Demokratie nicht zwangsläufig eine Dagegen-Bewegung ist. ({10}) Sie stellt eine große Chance dar, dass Projekte zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern endgültig zu einem guten Abschluss gebracht werden. Ich will gern Tissy Bruns, eine sehr kluge Journalistin, zitieren, die geschrieben hat: Der Wutbürger ist im Licht der Abstimmung klein geworden, viel kleiner als er im Scheinwerferlicht der Medien vor einem Jahr schien. ({11}) Das heißt, Verantwortung haben auch die Medien, und zwar dafür, wie sie solche Projekte begleiten, wie sie für Transparenz und Information sorgen und auch die Kommunikation organisieren. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass man auch dies einmal untersucht und beleuchtet. ({12}) Das heißt, Kollege Strobl, die CDU wird ja nicht so dumm sein, sich einzuigeln und jetzt so zu tun, als hätte sie alles schon vorher gewusst. ({13}) Ich hoffe, die CDU lernt dazu, nicht zu viel, damit sie in Baden-Württemberg nicht so erfolgreich wird. ({14}) - Das hat immer Kollege Rommel zu mir gesagt. Er hat gesagt: Frau Kumpf, ich wünsche Ihnen viel Erfolg, aber nicht zu viel. Es hat sich gezeigt, dass die Wirtschaftsbürger keinen Polizeieinsatz im Schlossgarten wollen; denn es könnten ihre Kinder oder ihre Enkel dabei sein. ({15}) Solche Projekte können also nicht mit der Polizei und mit Knüppeln durchgedrückt werden. ({16}) - Klatschen, genau. Jetzt kommen die Grünen an die Reihe ({17}) und auch die Linken. Viele von uns haben so wie ich maßlos darunter gelitten, wie mit uns Abgeordneten umgegangen worden ist, dass die Grünen und die Linken nicht dagegengehalten haben, als Parlamentarier diffamiert und als Lügenpack und alles Mögliche verschrien wurden. ({18}) Das heißt, es muss auch wieder eine politische Kultur Einzug halten, sodass man unterschiedliche Positionen sachlich und sauber miteinander diskutiert. Es steht uns an, aus diesem Projekt auch zu lernen. ({19}) Stuttgart hat gezeigt, dass die bisherigen Beteiligungsverfahren nicht ausreichen. Vor 17 Jahren wurde das eben nicht zur Abstimmung gestellt. Wir müssen uns hier weiterentwickeln. Nicht nur das Planungsbeschleunigungsgesetz ist nötig; Beteiligungsformen, ein Pflichtenheft für Beteiligung und vor allem für Information und Kommunikation müssen bei großen Infrastrukturprojekten vorgeschrieben und Standard werden. Alle müssen qualifiziert werden, betroffene Bürger nicht als Gegner, sondern als Zuspieler und Mitspieler zu begreifen, damit wir Infrastrukturprojekte wirklich in eine gute Zukunft führen. Ich will mit einem guten Spruch von Robert Bosch schließen, der gesagt hat: „Lieber Geld verlieren als Vertrauen“. Es ist ganz wichtig, dass wir nicht weiter das Vertrauen in dieses Projekt verspielen und dass wir darangehen, es zügig umzusetzen. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Ulrich Lange von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In Baden-Württemberg wurden die schreienden Wutbürger auf der Straße von der schweigenden Mehrheit, nämlich, wenn man es richtig rechnet, von 80 Prozent, einfach überrollt. ({0}) Oder wie die FAZ sagt: Das Volk hat der Straße gezeigt, wo es langgeht. ({1}) Jetzt, lieber Kollege Kuhn, beginnt für die grüne Regierung in Baden-Württemberg der echte Stresstest, und den werden wir auch entsprechend begleiten. ({2}) Der vergangene Sonntag hat aber auch gezeigt: Die Bürgerinnen und Bürger sind bei weitem klüger, als wir denUlrich Lange ken oder als wir es hier manchmal diskutieren. Sie wissen nämlich, wie man mit langfristig notwendigen Investitionsentscheidungen umgehen muss ({3}) und dass Zukunftsprojekte, die Generationenprojekte sind, umgesetzt werden müssen. Schienenausbauprojekte waren immer schon langfristige Projekte und Projekte für gesamte Regionen. Ich darf aus bayerischer Sicht sagen, dass wir uns im bayerisch-schwäbischen Raum über die Entscheidung besonders freuen. ({4}) Lieber Kollege Pronold, Sie haben bei der dritten Startbahn des Münchener Flughafens die erste Pirouette gerade hinter sich. Auch Ihnen sei es vergönnt, jeden Tag ein bisschen mehr Einsicht zu gewinnen. Aber wenn ich den Beschluss der bayerischen SPD aus dem Jahr 2009 richtig im Kopf habe, dann waren Sie bis zur „Krönung“ von Ude der Meinung, die dritte Startbahn verhindern zu müssen. Jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen, dass Sie sich gemeinsam mit uns und mit der Bayerischen Staatsregierung für diese dritte Startbahn einsetzen und sogar ein Ratsbegehren beantragen wollen. ({5}) Lieber Herr Pronold, ich sage Ihnen: Die CSU im Münchener Stadtrat hat bereits ein Ratsbegehren für diese dritte Startbahn beantragt. Sie kommen wieder hinterher. ({6}) Auf den Krach in der Koalition im Münchener Rathaus können wir uns heute schon einstellen. Ich verweise nur auf die gescheiterten Koalitionsverhandlungen in Berlin. Die A 100 lässt grüßen. ({7}) An die Adresse der Grünen muss ich sagen: Toni Hofreiter hat gestern in der Welt auf die Frage, ob Stuttgart 21 gebaut wird, gesagt: Das ist offen. - Ich kann dem Vorsitzenden des Infrastrukturausschusses, des Verkehrsausschusses, nur raten, er möge jetzt nicht als Trotzkopf durch die Gegend laufen, ({8}) sondern mit dem Verkehrsausschuss gemeinsam dieses Projekt entsprechend unterstützen. Das hat der Souverän am Sonntag so entschieden. Diese Entscheidung gilt auch für die Mitglieder unseres Ausschusses. ({9}) Ein herzliches Dankeschön gilt dem Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, der als Infrastrukturminister standhaft war. Ja, Herr Kuhn, auch in der Zeit, als Sie so gekübelt haben, haben wir zu diesem Projekt gestanden. Wir tun dies auch weiterhin. Da können Sie noch so viel den Kopf schütteln: Wir haben bei der A 100, bei der Waldschlösschenbrücke und bei Stuttgart 21 gestanden, und wir stehen bei der dritten Startbahn. ({10}) Da können Sie sich winden, wie Sie wollen: Infrastruktur ist unser Markenzeichen. Anders verhält es sich bei den Grünen, wie auf ihrem Parteitag deutlich wurde: ({11}) für mehr Bahnverkehr, aber gegen den Ausbau von Bahntrassen; für regenerative Energien, aber gegen den Ausbau der Stromnetze. ({12}) Herr Kuhn, ich sage Ihnen noch eines: Sie haben beschlossen, die Schulden tilgen zu wollen. Die Koalition in Bayern tilgt bereits Schulden. Sie kommen wieder hinterher. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sonntag war ein Glück für unsere Infrastruktur, aber auch ein Glück für die Demokratie. Die Demokratie braucht nämlich keine Neinsager, die Demokratie braucht keine Wutbürger oder Berufsverweigerer. Was wir brauchen, sind Bürgerinnen und Bürger, die mit einem vernünftigen, transparenten und mutigen Dafür für unseren Wirtschaftsstandort und für unser Land stehen und arbeiten. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Volk hat in der Tat am vergangenen Sonntag nicht nur der Straße gezeigt, wo es langgeht. Die übergroße Mehrheit der Baden-Württemberger hat am Sonntag auch all jenen eine Lektion erteilt, die sich angemaßt haben, sie seien das Volk und sie seien im Besitz der alleinigen Wahrheit und Deutungshoheit. ({0}) Egal ob drittklassige Schauspieler, Berufsquerulanten oder grüne Verkehrsminister: Das Volk hat klar gegen deren Position entschieden, und das ist auch gut so. ({1}) Ich darf jetzt, wo alles klar ist, Winfried Hermann, der in diesem Hause kein Unbekannter ist, zitieren. In den letzten Monaten war ihm als Minister, aber auch schon in der Zeit davor keine Lüge zu dreist und keine Halbwahrheit zu dumm, um gegen Stuttgart 21 vorzugehen und dagegen zu kämpfen. ({2}) Nach dem Ergebnis vom Sonntag hat er gesagt ({3}) - wer gelogen hat, ist im Landtag von Baden-Württemberg festgestellt worden; da hat er nämlich eindeutig die Unwahrheit gesagt -: Die Volksabstimmung gibt keine Legitimation mehr, gegen das Projekt zu kämpfen. Und wo er recht hat, hat er recht. Da kann ich ihm nur vorbehaltlos zustimmen. Ich erwarte jetzt von den Grünen - denen kommt eine besondere Aufgabe zu -, dass sie dafür sorgen, dass sich nicht weiterhin die Straße gegen das Volk stellt, sondern dass jetzt Einsicht waltet und das Ergebnis akzeptiert wird. ({4}) Da steht Ihnen eine Aufgabe bevor. Der Herr Lösch - auch so ein Aktivist -, ein Regisseur, ich glaube, sogar der Mann von der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag, ({5}) sprach noch am Montag von einer sogenannten Volksabstimmung, die als scheindemokratisch zu verwerfen und nicht anzuerkennen sei. ({6}) So viel zu dem, was die unter Demokratie verstehen. ({7}) Das Ergebnis stimmt mich aber froh, weil ganz offensichtlich der Wutbürger zwar medial präsent ist, er oft sogar überhöht wird - das sind ja auch viele, kein Zweifel -, er aber Gott sei Dank in diesem Lande nicht die Mehrheit ist. ({8}) Das ist, so glaube ich, die wichtigste Botschaft vom vergangen Sonntag, insbesondere für den Ausbau der Infrastruktur, egal ob im Verkehr, auf der Schiene oder auf der Straße, ob bei Flughäfen oder bei der Energieinfrastruktur. ({9}) Aber in der Tat - ich freue mich, dass das schon angeklungen ist -: Wir können jetzt nicht zum „Weiter so!“ übergehen, sondern müssen uns genau überlegen, welche Lehren und Schlussfolgerungen wir daraus ziehen, auch im Hinblick auf Planungsrecht und Planungsverfahren. Ganz offensichtlich liegt es doch schon dort im Argen. Stuttgart 21 beschäftigt mich persönlich - weil ich bei Professor Heimerl studiert habe - seit 1988. Dort wurde vor 23 Jahren die Ursprungsidee entwickelt. ({10}) 1994 ist das Projekt daraus entstanden. Ein solches zeitliches Auseinanderfallen von Planung und Umsetzung - es vergehen ja noch einmal zehn Jahre, bis das Ganze fertig ist - können wir uns nicht leisten. ({11}) Warum brauchen wir eine solch lange Zeit? Diese Zeit brauchen wir, weil wir immer mehr Bürgerbeteiligungen, immer mehr demokratische Rechtsmittel und was auch immer eingebaut haben. ({12}) Dazu gehören auch Umweltverträglichkeitsprüfungen usw. Aber ganz offensichtlich kommen die bei den Menschen gar nicht an; denn all die Auslegungen in Rathäusern, die Erörterungstermine zu den Einwendungen in Turnhallen oder wo auch immer sie stattfinden, erreichen ganz offensichtlich die Menschen nicht oder erreichen sie dann, wenn es sie nicht interessiert. Fünf oder zehn Jahre später, wenn es dann an den Bau gehen soll, will oder kann sich keiner mehr daran erinnern. Deshalb müssen wir in der Tat etwas ändern. Es genügt nicht, dass wir die bestehenden Prozesse so lassen, wie sie sind, und um eine wie auch immer geartete bessere Beteiligung der Bürger ergänzen. Vielmehr müssen wir die Projektzeiten insgesamt kräftig verkürzen und Mittel und Wege finden, die Bürger direkt am Anfang eines Vorhabens bei der grundsätzlichen Frage nach dem Ob einzubeziehen und sie bei der Frage nach dem Wie in anderer Form zu beteiligen. Das Ganze muss aber auf jeden Fall schneller gehen. Deshalb müssen wir die bestehenden Planungs- und Genehmigungsverfahren umstellen. Lassen Sie mich aber - weil wir ja zwei Teile haben, wie der Kollege Kuhn sehr klug festgestellt hat - abschließend noch etwas zu dem direkten Angriff auf diejenigen, die im Lande den Wohlstand erwirtschaften, sagen. Die Grünen wollen nicht nur Politik gegen Familien machen, das Ehegattensplitting und anderes mehr abschaffen und eine Steuerorgie veranstalten, ({13}) sondern - das will ich noch einmal betonen - auch den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent erhöhen. ({14}) Das trifft aber nicht nur den normalen Bürger, das trifft vor allem die Unternehmen. 76 Prozent der Unternehmen in diesem Land mit rund 80 Prozent der Beschäftigten sind Personengesellschaften und Einzelunternehmen, und die wollen Sie in dieser Krise mit Ihren Steuererhöhungsorgien überziehen. ({15}) Auch das muss man, glaube ich, den Menschen draußen sagen. Dann wird es gar nicht erst zu Fragen wie bei Stuttgart 21 kommen, denn dann werden Sie, die Grünen, von vornherein überhaupt nicht gewählt. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner in dieser Aktuellen Stunde erteile ich dem Kollegen Steffen Bilger von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangen Monaten haben wir im Bundestag uns schon vielfach mit dem Projekt Stuttgart 21 beschäftigen müssen. Ich hoffe doch sehr, dass wir uns nach dem Votum der Bürger in Stuttgart und ganz Baden-Württemberg nun auf die positive Begleitung dieses Projekts, vor allem im Verkehrsausschuss, konzentrieren können. Um es einmal deutlich zu sagen: Eine konstruktiv-kritische Begleitung, wie sie Winfried Hermann angekündigt hat, wäre, so wie wir ihn kennen, nach diesem Votum zu wenig. ({0}) Ich halte die aktuelle Diskussion über mögliche Kostensteigerungen bei Stuttgart 21 für unangemessen. Das wirkt für mich wie das Nachkarten schlechter Verlierer. ({1}) Es drängt sich doch der Eindruck auf, die Grünen würden höhere Kosten geradezu herbeisehnen. ({2}) Das ist für mich nicht kritisch-konstruktiv; das ist schlicht destruktiv. ({3}) Einige von Ihnen scheinen die Grundeinstellung zu haben, immer nur das Negative zu erwarten oder zu erhoffen. ({4}) Aber das ist keine Einstellung, mit der wir die Herausforderungen der Zukunft meistern können. Ja, die Volksabstimmung hat Klarheit gebracht; ({5}) aber sie hat auch viel Zeit und Geld gekostet, ({6}) um letztendlich doch die demokratischen Mehrheitsbeschlüsse aller Gremien, von Gemeinderat bis Bundestag, zu bestätigen. ({7}) Ich kann Sie von den Grünen nur auffordern, endlich damit aufzuhören, Stuttgart 21 teurer machen zu wollen, um so doch noch irgendwie das klare Bürgervotum umgehen zu können. ({8}) Wer jetzt sagt, bei der Volksabstimmung sei es doch nur um ein Ja oder Nein zum Finanzierungsanteil des Landes gegangen, wie es einige Vertreter der Stuttgart-21-Gegner getan haben, der nimmt den Bürger nicht ernst. Denn das Votum ist ganz klar: Ja zu Stuttgart 21. ({9}) Wir alle können sicherlich aus den ganzen Entwicklungen bei Stuttgart 21 lernen. Dazu gehört für mich auch, dass wir von der Union durchaus Versäumnisse im Prozess der Planung von Stuttgart 21 eingestehen und daraus Lehren für die Zukunft ziehen. ({10}) Es ist gut, wenn sich Bürger mittlerweile mehr für sie betreffende Projekte interessieren. Es sollte sich aber nicht wiederholen, dass ein solches Interesse auf die Art und Weise politisch instrumentalisiert wird, wie es die Grünen in Baden-Württemberg getan haben. ({11}) Meine Damen und Herren, bei allem Protest und der Berichterstattung darüber wurde lange kaum zur Kenntnis genommen, wie viele Befürworter von Stuttgart 21 es gab und gibt. Umso mehr will ich all den Bürgern, die sich zum Teil trotz Beleidigungen und harter Auseinandersetzungen für Stuttgart 21 einsetzen, an dieser Stelle für ihr Engagement danken. ({12}) Mein Dank gilt auch den Polizisten, die seit Jahren am Stuttgarter Hauptbahnhof sehr viel hinnehmen müssen, obwohl sie nur ihren Dienst tun. ({13}) Dasselbe gilt im Übrigen für die Polizeibeamten, die beim Castortransport im Einsatz waren. Herr Kretschmann sagt: … Protest macht jetzt eigentlich keinen Sinn mehr. Recht hat er. Aber was fällt Frau Roth dazu ein? Sie sagt: Der Polizeieinsatz … ist ein Anschlag auf die Demokratie. Eine solche Aussage ist unglaublich. ({14}) Meine Damen und Herren, die Bahnhofsgegner in Stuttgart wurden von unserem früheren Verkehrsausschussvorsitzenden Winfried Hermann massiv unterstützt. Ich muss ehrlich sagen, dass es mich beim Ergebnis der Volksabstimmung mit am meisten gefreut hat, dass die Verunsicherungstaktik von Herrn Hermann nicht aufgegangen ist: ({15}) Weder hat das Sichten alter Ministeriumsakten durch seine zahlreichen neuen Mitarbeiter und die gezielte Weitergabe an Journalisten zur Aufbauschung vermeintlicher Skandale etwas bewirkt, noch hat es funktioniert, die Regionen Baden-Württembergs gegeneinander auszuspielen. ({16}) Die Bürger waren zu schlau, um auf all das hereinzufallen. ({17}) Es war gut, dass Minister Ramsauer sich am vergangenen Freitag noch einmal deutlich zu den anderen Schienenprojekten in Baden-Württemberg bekannt hat: Lärmschutz an der Rheintalbahn, Elektrifizierung der Südbahn und Ausbau der Gäubahn. ({18}) Alle diese Projekte verdienen Unterstützung, aber nicht nur hier von uns, sondern endlich auch von der Landesregierung in Stuttgart. ({19}) Ich erwarte endlich Einsatz für die berechtigten Anliegen der Menschen, sei es bei den genannten Bahnprojekten oder bei notwendigen Straßenbaumaßnahmen. Nach einem halben Jahr Kampf gegen Stuttgart 21 wird es endlich Zeit, dass sich Winfried Hermann, wenn er denn im Amt bleiben will, endlich um die eigentliche Arbeit eines Verkehrsministers kümmert. Ich weiß nur nicht, ob der Wille dazu vorhanden ist. ({20}) Zwei Tage nach der Volksabstimmung gab es bei den Beratungen zwischen Rheinland-Pfalz und BadenWürttemberg zur zweiten Rheinbrücke die Gelegenheit dazu. Man hätte darauf wetten können - das Ergebnis war vorhersehbar -: ({21}) Nichts ist passiert. Die Grünen wollen auch hier keine Infrastrukturinvestitionen. Dabei ist das Signal vom Sonntag klar: Die Menschen wollen eine Zukunft, in der wir weiterhin eine führende Wirtschaftsnation mit Innovationsgeist und dem Mut zur Veränderung sind. Dazu sollten wir alle unseren Beitrag leisten. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 1. Dezember 2011, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.