Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich zu unserer Sitzung. Ich freue mich, dass Sie alle
heute Morgen so früh erschienen sind, nicht nur, um die
Haushaltsberatungen fortzusetzen, sondern insbesondere
auch, um unserem Vizepräsidenten Dr. Hermann Otto
Solms zu seinem heutigen Geburtstag zu gratulieren.
({0})
Lieber Kollege Solms, herzlichen Glückwunsch und alle
guten Wünsche für das neue Lebensjahr.
Vor Eintritt in unsere Tagesordnung müssen wir eine
Nachwahl durchführen. Die SPD-Fraktion hat mitgeteilt,
dass die Kollegin Sonja Steffen für den Kollegen
Michael Hartmann neues Mitglied im Wahlprüfungsausschuss werden soll. Können Sie sich damit anfreunden? - Das sieht so aus. Dann nehme ich Ihre Zustimmung zur Kenntnis. Damit ist die Kollegin in den
Wahlprüfungsausschuss gewählt.
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Verbesserung
der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt
- Drucksachen 17/6277, 17/6853, 17/7065,
17/7330, 17/7775 Berichterstattung:
Abgeordneter Stefan Müller ({2})
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Für einen progressiven europäischen Haushalt Der Mehrjährige Finanzrahmen der EU
2014-2020
- Drucksache 17/7808 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der am 9. Juni 2011 überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie ({4}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst
Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus
Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Alphabetisierung und Grundbildung in
Deutschland fördern
- Drucksache 17/5914 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({5})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Präsident Dr. Norbert Lammert
Sind Sie auch mit diesen Vereinbarungen einverstan-
den? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
Wir setzen nun unsere Haushaltsberatungen - Tages-
ordnungspunkt II - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2012 ({6})
- Drucksachen 17/6600, 17/6602 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2011 bis 2015
- Drucksachen 17/6601, 17/6602, 17/7126 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({8})
Otto Fricke
Priska Hinz ({9})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.1.4 auf:
Einzelplan 09
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
- Drucksachen 17/7109, 17/7123 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Florian Toncar
Dr. Tobias Lindner
Zu diesem Einzelplan liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Auch dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.
({10})
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich heute zum
Haushalt des Ministeriums für Wirtschaft komme,
möchte ich mich ganz herzlich bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern des Haushaltsreferats des Ministeriums
- an der Spitze die Herren Forwick und Pons - bedanken, die uns - das darf ich sehr klar sagen - konstruktiv,
informativ und zielführend durch die Haushaltsberatungen geführt haben. Mein Dank gilt aber auch dem Kollegen Toncar, den ich noch gar nicht sehe und der in diesem Bereich der Hauptberichterstatter ist.
({0})
- Er sitzt normalerweise bei Ihnen. Sie werden ihm ausrichten, was ich jetzt über ihn erzähle.
({1})
Er hat als Hauptberichterstatter eine sehr kollegiale und
kooperative Arbeitsweise an den Tag gelegt. Ich schätze
das und will das hier zum Ausdruck bringen.
Meine Damen und Herren, nun zum Haushalt. Wenn
wir uns den Etat des Bundeswirtschaftsministeriums anschauen, wird einiges deutlich: Der Minister befindet sich
in einer äußerst komfortablen Situation. Sein Haushalt
wird noch immer maßgeblich von einer Kernaufgabe geprägt, nämlich dem Auslaufen der Kohleförderung. Damit
sieht es immer so aus, als sei der Wirtschaftsetat beim
Sparen ganz vorne mit dabei. In Wirklichkeit spart es
sich aber - bedingt durch die Entwicklung der Weltmarktpreise für Kohle und den sozialverträglichen Ausstieg aus der Kohleförderung - von allein. Aus dieser
komfortablen Situation heraus könnte man von Ihnen,
Herr Minister, sichtbarere und klarere wirtschaftliche
Impulse erwarten als die, die Sie in Ihrem Haushalt setzen. Es mag vielleicht auch an Ihrer kurzen Amtszeit liegen, dass Ihre Handschrift noch nicht zu erkennen ist.
Warten wir mal ab.
Stattdessen muss ich feststellen, dass im Haushalt
überall nur ein bisschen passiert. Es gibt ein bisschen
drauf, ein bisschen mehr: zum Beispiel bei der Bundesnetzagentur, aber nicht so viel, wie tatsächlich gebraucht
wird. Auch für die GRW - das ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ gibt es ein bisschen mehr. Ursprünglich wollten Sie die
Mittel dafür ganz zurückfahren. Glücklicherweise haben
die vielen Proteste - insbesondere auch die meiner Partei, der SPD - dazu geführt, dass das verhindert werden
konnte. Allerdings wurden die im Regierungsentwurf
vorgesehenen Kürzungen nicht völlig zurückgenommen.
Und insgesamt reicht der Aufwuchs bei weitem nicht aus
- das möchte ich deutlich sagen -, um die Mittel zu ersetzen, die durch das Auslaufen der europäischen Förderung für infrastrukturschwache Gebiete wegfallen.
Ein bisschen soll auch für Entschädigungszahlungen
verwandt werden, die aufgrund der Frequenzversteigerungen - Stichwort digitale Dividende - fällig werden.
Die vorgesehenen Beträge machen aber nur einen
Bruchteil dessen aus, was wirklich benötigt würde, um
eine faire und sozialverträgliche Entschädigungsregelung anbieten zu können.
({2})
Ein bisschen gibt es auch für die Fachkräftesicherung.
Das ist aber so wenig, dass man damit kaum ein sinnvolles Projekt, geschweige denn längerfristige, nachhaltige
Maßnahmen in Angriff nehmen könnte.
Sehr geehrter Minister Rösler, ein bisschen bleibt ein
bisschen. Das reicht bei weitem nicht aus. Dazu will ich
zwei konkrete Beispiele anführen.
Erstes Beispiel: Fachkräftemangel. Ihnen allen sind
die Zahlen bekannt. Sofern sich nichts ändert, wird die
Bevölkerung in Deutschland in den nächsten 40 Jahren
auf insgesamt 75 Millionen Menschen schrumpfen. Das
sind 7 Millionen weniger als bisher. Dabei wird die Bevölkerung im Durchschnitt älter. Die Zahl der Menschen
im erwerbstätigen Alter wird im gleichen Zeitraum um
mehr als ein Fünftel zurückgehen. Laut OECD wird die
Zahl der Menschen im erwerbstätigen Alter in den kommenden zehn Jahren so stark sinken wie in keinem anderen Industrieland. Ich freue mich deshalb sehr, dass Sie
jetzt gegensteuern wollen - zumindest ein bisschen. Sie
wollen für die Fachkräftesicherung in kleinen und mittleren Unternehmen 4 Millionen Euro zusätzlich ausgeben. Dieses Geld wollen Sie verwenden, um Fachkräfte
im Ausland anzuwerben. Das ist natürlich der leichteste
Weg; denn wer die Hände nach Fachkräften im Ausland
ausstreckt, muss im Inland nicht die Ärmel hochkrempeln. Doch genau hier liegen die strukturellen Probleme.
Ich nenne vier Bereiche, wo Sie zusätzliche Mittel
sinnvoller einsetzen können, um den hier lebenden Menschen Perspektiven zu verschaffen:
Erstens. Die Erwerbstätigenquote von Frauen liegt
nicht nur deutlich unter der der Männer, sondern auch
noch unter der vieler europäischer Länder. Darüber hinaus wird es endlich Zeit, die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf für Frauen und Männer deutlich zu erleichtern, damit die mitunter hochqualifizierten Frauen nicht
länger unfreiwillig in Teilzeit- oder Minijobverhältnissen festgehalten werden.
({3})
Zweitens: ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Durch die konsequente Förderung des lebenslangen
Lernens könnten die Potenziale älterer Arbeitnehmer
deutlich besser genutzt werden.
Drittens: Jugendliche. Diejenigen Jugendlichen, die
erst auf eine Ausbildung vorbereitet werden müssen,
dürfen nicht einfach am Straßenrand zurückgelassen
werden, zum einen aus menschlichen Gründen und zum
anderen aufgrund der sich zuspitzenden demografischen
Lage.
Viertens: Langzeitarbeitslose. Diese Bundesregierung
streicht die Mittel für die Wiedereingliederung von
Langzeitarbeitslosen ja ständig zusammen. Gerade hier
wären zusätzliche Mittel angebracht, allerdings nicht nur
ein bisschen. Hier darf es ruhig ein bisschen mehr sein,
wie wir das von einem guten Kaufmann kennen.
({4})
Jetzt, meine Damen und Herren, können Sie natürlich
sagen: Das sind Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit des Ministeriums für Arbeit und Soziales, des Familienministeriums, des Finanzministeriums oder des Bildungsministeriums fallen. Das stimmt, mal mehr, mal
weniger. Aber es betrifft immer und vielleicht am deutlichsten die Wirtschaft, und das vor allem vor dem Hintergrund des drohenden Fachkräftemangels. Selbstverständlich erwarte ich von Ihnen, Herr Minister, sowohl
als Bundeswirtschaftsminister als auch als Vizekanzler
der Bundesrepublik Deutschland, dass Sie Ihre Kabinettskollegen an einen Tisch holen und Initiativen starten, um Lösungen für diese Herausforderungen zu finden. Hier ist Führung gefragt. Sie wollten doch liefern,
wie Sie bei Ihrem Amtsantritt gesagt haben. Wenn Aufträge nicht angenommen werden können, weil Fachkräfte fehlen und Potenziale nicht genutzt werden, dann
lässt das die Wachstumschancen in unserem Lande
brachliegen, und es werden wichtige Potenziale vergeudet. Hier sind Sie gefragt. Ich fordere Sie von dieser
Stelle aus ausdrücklich auf, zu handeln.
({5})
Ein zweites Beispiel für Ihre Ein-bisschen-Politik ist
die zweite Energiewende, insbesondere der Netzausbau.
Er verlangt neue Hoch- und Höchstspannungsleitungen
in Deutschland. Das ist weitgehend unumstritten. Sie haben folgerichtig gleich mehrere Gesetze und Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht. Ob diese immer zielführend waren oder nicht, ob sie optimal waren oder
nicht, sei dahingestellt. Ich hätte mir jedenfalls von einem liberalen Minister gewünscht, dass die Bürgerinnen
und Bürger in diesem Prozess ernster genommen und
besser beteiligt werden.
Abgesehen davon steht fest: Sie haben die Gesetze
auf den Weg gebracht, jetzt müssen sie durchgeführt
werden, damit Ihre Energiewende gelingt. Stattdessen
torpedieren Sie die Bundesnetzagentur, wo es nur geht.
({6})
Gerade jetzt, wo sie besonders schlagkräftig sein müsste,
liefern Sie sich einen offenen und peinlichen Machtkampf um eine mögliche Nachfolge von Präsident
Kurth. Man kann schon fast nicht zählen, wie viele Personen im Gespräch waren. Selbst politisch völlig unverdächtige Zeitungen wie das Handelsblatt oder die FAZ
bescheinigen Ihnen „gefährliches Postengeschacher“,
Handelsblatt, oder eine „Hängepartie“, FAZ. Die
Financial Times wirft Ihnen vor, Sie würden schlingern
und bei der Bundesnetzagentur für Chaos sorgen.
({7})
Das ist in doppelter Hinsicht schlecht: zum einen, weil
Sie offenbar keinen würdigen Nachfolger für den angesehenen Präsidenten Kurth parat haben,
({8})
und zum anderen, weil die Bundesnetzagentur weiter
verunsichert zurückgelassen wird, und das, obwohl sie
gerade jetzt dringende Aufgaben erledigen muss und vor
großen Veränderungen steht.
Allein zur Umsetzung des Netzausbaugesetzes wird
ein Personalmehrbedarf von 254 Stellen bescheinigt. Sogar das Bundesministerium der Finanzen erkennt bei der
Agentur einen Personalmehrbedarf von 794 Stellen. Mit
einigen Kniffen und unter expliziter Inkaufnahme von
gravierenden Verzögerungen bei der Umsetzung der
Energiewende bekommt die Bundesnetzagentur gegenüber dem Jahr 2011 238 Stellen. 238 Stellen! Allein für
das Netzausbaugesetz werden aber 254 Stellen gebraucht. Wer sich diese Zahlen ansieht, der kann nur zu
dem Schluss kommen, dass es Ihnen mit der Energiewende oder mit einer zuverlässigen Energieversorgung nicht ganz so ernst ist.
Man sollte von einem Bundeswirtschaftsminister erwarten können, dass er die Bedeutung einer verlässlichen Stromversorgung für die Wirtschaft kennt.
({9})
Wenn dem so ist, dann erwarte ich, dass er die personellen und materiellen Vorkehrungen trifft, die notwendig
sind, um den Netzausbau und damit die Energiewende
so schnell wie möglich voranzutreiben. Herr Minister,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der schwarz-gelben
Koalition, ein bisschen mehr reicht da nicht aus.
Wir brauchen im Bereich Wirtschaft gerade angesichts des Fachkräftemangels, angesichts der Energiewende und angesichts der Weltwirtschaftslage keine
Ein-bisschen-Regierung. Wir brauchen eine Regierung
mit Biss, die bei gravierenden Problemen nicht nur irgendwelche kleinen Programme auflegt, sondern an die
Wurzel des Problems geht.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Michael Luther
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Deutschland geht es gut. Wir können stolz
sein auf die Situation in unserem Land. Unsere Nachbarn beneiden uns um unser Wirtschaftswachstum. Die
Arbeitslosenquote sinkt. Sie ist so niedrig wie seit
20 Jahren nicht mehr. Die Beschäftigungsquote steigt.
Sie liegt auf einem Rekordniveau. Wenn man fragt, welche Probleme wir in Deutschland haben, dann hört man
im wirtschaftlichen Bereich zum Beispiel: „Fachkräftemangel“,
({0})
oder man hört von den Leuten, es sei schwer, Handwerker zu bekommen. Das sind Probleme, um die uns unsere europäischen Nachbarn beneiden.
Die Lage ist gut. Sie ist gut für Deutschland, allerdings, Herr Brandner, offensichtlich schlecht für die Opposition.
({1})
Sie sind hier heute als Oppositionspolitiker angetreten,
um, wie ich denke, die Regierung zu kritisieren.
({2})
Sie haben sie kritisiert, aber nur ein bisschen; denn mehr
ist Ihnen nicht eingefallen.
({3})
Ich will versuchen, Ihnen zu erklären, was in unserem
Haushalt steht, da Sie das offensichtlich nicht verstanden
haben. Wir lehnen uns nicht entspannt zurück, sondern
wir tun etwas. Wir sagen heute nicht einfach: „Es ist alles wunderbar; wir können uns also ausruhen“, sondern
wir fragen: Was brauchen wir für morgen? Was müssen
wir tun, damit der Zug Deutschland auch morgen noch
auf dem richtigen Gleis ist? - Dazu müssen wir heute die
Weichen richtig stellen.
({4})
Die Themen liegen auf der Hand. Ich will sie auch benennen. Zunächst möchte ich aber feststellen: Wir leben
in einer globalen Welt. Deswegen dürfen wir uns auf unseren Erfolgen nicht ausruhen. Länder wie China und
Brasilien - ich nenne nur diese zwei Länder - sind im
Kommen. Sie wollen mehr. Andere werden ihnen folgen. Deutschland ist geografisch gesehen ein kleines
Land, aufgrund seiner Wirtschaftskraft ist es aber ziemlich bedeutend. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Dafür müssen wir etwas tun:
Erstens: Auf dem Gebiet der Technologie müssen wir
vorne bleiben. Deshalb ist es richtig, dass wir zum Beispiel im Bereich Luft- und Raumfahrt im kommenden
Jahr immerhin 50 Millionen Euro mehr ausgeben. Ich
weiß, dass Teile der Opposition das anders sehen. Sie
wollen an dieser Stelle die Mittel kürzen. Die Grünen
und die Linken haben ja entsprechende Anträge gestellt.
Ich denke, sie haben nicht verstanden, was es heißt, auch
morgen noch spitze in der Welt zu sein.
({5})
Man muss genau in diesem Bereich heute investieren.
Zweitens: der Mittelstand. Wir haben in Deutschland
einen innovativen Mittelstand, und wir brauchen weiterhin einen innovativen Mittelstand. Deshalb ist ein weiterer zentraler Aspekt in unserem Haushalt die Förderung
des Mittelstandes. Allein für Forschung und Entwicklung
im Bereich der Innovationsförderung, für das Zentrale
Innovationsprogramm Mittelstand, sind knapp 500 Millionen Euro vorgesehen. Das sind immerhin 100 Millionen Euro mehr als im letzten Jahr.
Drittens: Außenhandel. Als größte europäische Wirtschaftsmacht sind wir in hohem Maße vom Export abDr. Michael Luther
hängig. Wir müssen unsere Produkte nicht nur im Inland,
sondern eben auch im Ausland verkaufen. Nur so wird es
gelingen, dass wir unsere Position halten. Deshalb ist es
sehr wichtig, dass sich das Ministerium gerade auf internationalen Fach- und Industriemessen engagiert. Solche
Plattformen braucht der Mittelstand, um international repräsentieren zu können.
Viertens: Fachkräftemangel. Ich denke, man kann
dem Fachkräftemangel zunächst einmal begegnen, indem man versucht, seine eigenen Leute zu qualifizieren.
Das tun wir. Im Bereich Bildung geben wir über den
ganzen Haushalt verteilt deutlich mehr Geld als in den
letzten Jahren aus, um genau diesem Anspruch gerecht
zu werden, unsere eigenen Leute zu qualifizieren. Aber
das wird nicht reichen. Wir werden Deutschland auch für
qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland interessant machen müssen.
({6})
Deshalb sind die Mittel im Titel „Fachkräftesicherung
für kleine und mittlere Unternehmen“ von uns im parlamentarischen Verfahren aufgestockt worden.
Fünftens: Energiewende. Wir haben die Energiewende beschlossen. Wir werden aus der Kernenergie
aussteigen und in Zukunft auf erneuerbare Energien setzen. Die dafür notwendigen Gesetze sind bereits verabschiedet. An dieser Stelle möchte ich nur das Netzausbaubeschleunigungsgesetz und die Gesetze gegen
Wettbewerbsbeschränkungen und zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften nennen. Damit man die
Maßnahmen umsetzen kann, haben wir in den Haushaltsberatungen die nötigen Voraussetzungen im personalwirtschaftlichen Bereich getroffen. Hier sind insbesondere die Bundesnetzagentur und das BAFA gefragt.
Dort haben wir das Personal entsprechend aufgestockt.
({7})
- Natürlich könnte man mehr aufstocken, aber das ist
schon einmal ein guter Schritt, und wir werden das weiter begleiten. Wenn diese Personalaufstockungen im
nächsten Jahr umgesetzt werden, dann haben die Behörden genügend zu tun. Dann müssen wir sehen, wie die
ganze Sache weitergeht. Wir machen so viel wie nötig.
Das ist ein Schritt in der richtigen Größenordnung in die
richtige Richtung.
Sechstens: GRW. Seit 1990 haben wir in Bezug auf
den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern viel erreicht. Heute hat Sachsen eine Arbeitslosenquote von 9,4 Prozent. 2005 betrug diese über 18 Prozent. Die Halbierung der Arbeitslosigkeit in sechs Jahren
Kanzlerschaft Merkel ist eine tolle Wegmarke.
({8})
Aber wir sind noch nicht am Ziel. Wir müssen weiterarbeiten. Deswegen haben wir uns dafür eingesetzt, dass
die Mittel für die GRW wieder aufgestockt werden, auch
wenn es im Regierungsentwurf ursprünglich anders vorgesehen war. Ich sage ganz klar: Mein Ziel, unser Ziel
ist, in Sachsen die Arbeitslosenzahlen von BadenWürttemberg zu erreichen, nämlich 3,7 Prozent. Diese
sind deshalb so niedrig, weil Baden-Württemberg über
60 Jahre lang gut regiert wurde. Ich setze mich also immer wieder für die GRW ein. Wir haben die Mittel für
die GRW in großem Einvernehmen um 40 Millionen
aufgestockt. An dieser Stelle bitte ich das Ministerium,
unseren politischen Willen als Haushaltsausschuss aufzunehmen und den Mittelansatz in Zukunft auf diesem
Niveau fortzuschreiben.
Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle
die Gelegenheit nutzen, noch einmal Danke zu sagen für
das große Engagement des Bundes bei der Sanierung der
Wismut-Altlasten. Anfang September konnte zu diesem
Thema ein Folgeabkommen paraphiert werden. Damit
wird die Sanierung der Wismut über das Jahr 2022 hinaus gesichert sein. Wir geben viel Geld für die Fortsetzung der Sanierung und Rekultivierung des ehemaligen
Uranbergbaus in Sachsen und Thüringen aus. Dafür stehen im Haushalt die erforderlichen Mittel bereit. Die
Wismut-Sanierung ist eine echte Erfolgsgeschichte, auf
die wir stolz sein können. Es geht hier darum, eine Hinterlassenschaft des real existierenden Sozialismus in unserem Land Stück für Stück zu beseitigen; und langsam
verschwinden die Spuren. Dafür recht herzlichen Dank.
An dieser Stelle möchte ich noch einen weiteren
Punkt erwähnen, nämlich die Umstrukturierung, die der
Einzelplan in diesem Jahr erfahren hat. Er ist jetzt übersichtlicher und klarer. Der viel geschmähte Bauchladen
des Bundeswirtschaftsministeriums ist Geschichte. Die
Förderprogramme wurden gestrafft und neu ausgerichtet. Unrentable Programme wurden gestrichen. Die Ausrichtung auf einzelne Zielgruppen wie den Mittelstand
wurde gestärkt. Der neue Aufbau macht das Ministerium
bereit für die Herausforderungen der Zukunft. Das war
keine leichte Aufgabe. Es hat mich und auch meine Kollegen Berichterstatter sehr gefreut, dass es uns gelungen
ist, gemeinsam diese Herausforderung zu bewältigen.
Ich hoffe, dass diese Neustrukturierung des Haushaltes
vielleicht auch als Vorbild für andere Haushalte dienen
könnte.
Ich komme zum Schluss. Ich will an dieser Stelle den
Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums recht
herzlich Dank sagen. Sie haben uns in den Haushaltsberatungen verlässlich begleitet und gut informiert. Die
Zusammenarbeit ist wirklich gut. Dafür recht herzlichen
Dank. Ich möchte natürlich auch den Mitberichterstattern danken. Ich denke, wir sind ein gutes Team und haben insgesamt gute Arbeit geleistet. Ich sage auch dem
Hauptberichterstatter, Herrn Toncar, recht herzlichen
Dank.
Zum Schluss noch die überraschende Bemerkung:
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem Haushalt
zustimmen.
({9})
Nun sind wir gespannt, ob der Kollege Roland Claus
sich für die Fraktion der Linken dieser Empfehlung anschließt. Bitte schön, Sie haben das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Bundestagspräsident, die Werbung war
freundlich, aber vergeblich. - Auf dem Weg vom Bahnhof Friedrichstraße zum Bundestag kommt man am Bundespresseamt vorbei, vor dem die Bundesregierung stets
die Losung der Woche auf Großplakaten veröffentlicht.
({0})
- Na klar. - Die Losung dieser Woche lautet - jetzt hören Sie gut zu -: Der Aufschwung ist bei den Menschen
angekommen.
Meine Damen und Herren, ich führe seit sehr vielen
Jahren meine Sprechstunden als Abgeordneter auch im
öffentlichen Raum durch, im Sommer auf Marktplätzen
und im Winter in Verkaufseinrichtungen. In Verkaufseinrichtungen kommt man sich noch ein bisschen näher als
auf Marktplätzen. Man erlebt dann, dass Bürgerinnen
und Bürger - völlig unabhängig von der parteipolitischen Ausrichtung - ihre Wut und ihren Frust ausbreiten. Ich werde insbesondere gefragt: Herr Claus, ich
habe in großen Annoncen gelesen, dass der Aufschwung
bei den Menschen angekommen ist, aber bei mir kommt
nichts an. - Ich sage Ihnen: Mit einem solchen Zynismus
erzeugen Sie noch mehr Politikverdrossenheit und Frust.
Dem wollten wir doch eigentlich gemeinsam entgegenwirken.
({1})
Ein reales Ergebnis Ihrer Wirtschaftspolitik ist ein inzwischen fest etablierter Niedriglohnsektor. Sie haben
gemerkt, dass dieser Weg in die falsche Richtung führt.
Sie haben aber den Zug so fest auf die Gleise gesetzt,
dass Sie jetzt nicht mehr in der Lage sind, ihn umzulenken. Wir haben im Osten Deutschlands einen doppelt so
hohen Anteil an Leiharbeit und Niedriglohn. Insbesondere junge Menschen werden beim Eintritt in ihr Berufsleben dadurch verunsichert, dass sie in aller Regel nur
Zeitverträge bekommen. Sie werden zehn Monate von
ihrem Arbeitgeber entlohnt und dann zur Arbeitsagentur
geschickt. Dadurch sind sie nicht wirklich in der Lage,
eine Lebensplanung vorzunehmen. Bei der Familienplanung steht nämlich immer im Raum, dass Kinder mit Armutsrisiko verbunden sind.
Wir haben eine hohe Erwerbsmigration - das ist Ihnen bekannt -, und die Situation bei der Kinderbetreuung ist im Westen der Republik miserabel. Wir haben
eine zwischen Ost und West gespaltene Wirtschaftspolitik; ich will erinnern: Nicht eine einzige Firmenzentrale
ist im Osten anzutreffen.
({2})
Zudem haben wir auch eine gespaltene Arbeitsmarktpolitik.
Nun haben Sie, Herr Bundesminister Rösler, bei der
Einbringung dieses Etats die Tatsache gefeiert, dass immerhin 50 Prozent der neu geschaffenen Jobs Vollzeitjobs sind. Ich muss Ihnen sagen: Das ist kein Erfolg,
sondern ein Skandal. Denn das bedeutet auf der anderen
Seite, dass über die Hälfte der Jobs keine Vollzeitjobs
sind, und auch die befristeten Jobs sind in diesen 50 Prozent ja noch enthalten.
Sie können mit diesem bescheidenen Etat natürlich
keine Wunder vollbringen. Der Etat des Bundeswirtschaftsministers macht gerade einmal 1 Prozent des Gesamthaushaltes aus, wenn man die Subventionen für
Steinkohle und Luftfahrt abzieht. Wirkliche Industriepolitik kann man damit nicht machen.
Da Sie sich so sehr für das Programm der Linken interessieren,
({3})
verweise ich darauf: Die Linke will eine Wirtschaftspolitik, die dem Mittelstand und Existenzgründern Zukunftschancen eröffnet und nicht verbaut, die Arbeit schafft,
von der Beschäftigte sorgenfrei leben können, und die so
zu mehr wirtschaftlicher Stabilität und sozialer Gerechtigkeit gleichermaßen beiträgt.
({4})
Die Linke hat im Zuge dieser Haushaltsberatungen
eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht; über einige
werden wir heute auch abstimmen. Entgegen der landläufigen und von Ihnen verbreiteten Meinung kann man
sagen: Die Linke wirkt. Öffentlich lehnen Sie zwar fast
alle unsere Anträge ab, aber intern kommen Sie an vielen unserer Vorschläge einfach nicht vorbei. Ich will Ihnen dafür zwei Beispiele nennen.
Für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, die hier schon angesprochen worden ist und die zu einem ganz überwiegenden
Teil den ostdeutschen Bundesländern zugutekommt, wofür wir werben, hat die Linke eine Erhöhung um 54 Millionen Euro beantragt.
({5})
Den Antrag der Linken haben Sie abgelehnt. Sie haben
aber jetzt eine Erhöhung um 39 Millionen Euro beschlossen. Das ist insgesamt immer noch weniger als unsere Forderung, aber es beweist: Links wirkt. In kleinen
Schritten bewegen Sie sich in die richtige Richtung.
({6})
Es gibt ein zweites Beispiel: das Bundeskartellamt,
das wir jetzt an vielen Stellen tatsächlich brauchen.
({7})
Hier hat die Linke einen Aufwuchs von 20 Millionen
Euro vorgeschlagen. Das hat die Koalition abgelehnt. In
dem jetzt vorliegenden Entwurf haben Sie aber 12 Millionen Euro draufgepackt. Das ist deshalb gut und richtig, weil sich eine Ausgabenerhöhung beim Bundeskartellamt allemal rechnet. Denn die zu erwartenden
Einnahmen durch die Strafen, die das Bundeskartellamt
verhängen kann, sind wesentlich höher als die Ausgaben, die dort anfallen. Den gleichen Vorschlag haben wir
Ihnen schon vor Jahren auch im Hinblick auf das Bundespatentamt gemacht. Da sind Sie unserem Weg gefolgt. Jetzt haben Sie es auch beim Bundeskartellamt getan. Sie merken: Links wirkt.
({8})
Ich will auf eines Ihrer gepflegten Lieblingskinder
eingehen: auf die Raum- und Luftfahrt. Hier haben wir
es - das ist angesichts eines FDP-Ministers besonders erwähnenswert - mit der Subventionierung staatsnaher
Monopolisten zu tun.
({9})
Diese staatsnahen Monopolisten haben eine wirklich
nette Angewohnheit. Sie kassieren nämlich zweimal. Sie
kassieren am Anfang bei den Zuwendungen durch den
Bundeshaushalt, und sie kassieren zum zweiten Mal
- nachdem der Staat ihnen einen Auftrag erteilt, den sie,
in aller Regel verspätet, erfüllen - durch überzogene und
überteuerte Leistungsabrechnungen. Meine Damen und
Herren, dazu sagen wir Ihnen: Das kann so nicht weitergehen.
({10})
Leider geht es aber so weiter, Stichwort EADS-Konzern. Bekanntlich wird Daimler aus dem Konzern aussteigen. Daimler hält im Moment 7,5 Prozent der EADSAktien. Nun höre und staune man, was unter der Federführung eines liberalen Wirtschaftsministers geschieht:
Dieser von Daimler abgestoßene Aktienteil wird von der
staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau übernommen,
ohne dass - nun kommt es noch dicker - der Staat damit
die Stimmrechte übernimmt; denn die sollen bei Daimler
verbleiben. Meine Damen und Herren, das, was Sie hier
tun, schlägt wirklich dem Fass den Boden aus.
({11})
Ich lerne daraus: Liberale Wirtschaftspolitik bedeutet,
dass ein staatsnaher Monopolist unter Führung eines
FDP-Ministers weiter verstaatlicht wird und der Staat danach nichts mehr zu sagen hat. Dazu, Herr Minister, passt
nur noch Ihre Aussage in der Süddeutschen Zeitung, wo
Sie meinten, mitteilen zu müssen, dass Sie bei Wirtschaftsministertreffen auf internationaler Ebene der einzige Wirtschaftsminister seien, der sich über Außenhandelsüberschüsse freue. Herr Minister, wer globalisierte
Ökonomie so denkt und wer Europa nur als Konkurrenzhandelsraum versteht, der hat von zukunftsfähiger Ökonomie nichts verstanden.
({12})
Nun meinen Sie, im Haushalt Rösler alles neu regeln
zu müssen. Bisher, um auf meinen Vorredner einzugehen, gibt es nur frische Überschriften. Alles ist neu sortiert. Jetzt wird uns versprochen: Bei der Wirtschaftsförderung kehrt viel mehr Ordnung ein. Wenn ich in meiner
Funktion als Berichterstatter nicht schon drei Ihrer Vorgänger, Herr Bundesminister Rösler, erlebt hätte, die mir
genau das Gleiche versprochen, es aber niemals eingehalten haben, dann würde ich auf diese Aussage vielleicht etwas geben. Aber das ist nicht der Fall.
Einer der Knüller, den Sie jetzt anbieten, ist Ihr Programm zur Fachkräftesicherung.
Das können Sie nun leider nicht mehr erläutern, Herr
Kollege Claus.
Es ist auch nicht wirklich wert, erläutert zu werden,
Herr Präsident. Das ist ein solches Pillepalle-Programm,
dass es keinen Sinn macht, dafür Redezeit zu verschwenden.
({0})
Sie werden gemerkt haben, dass ich Ihrer gefälligen
Werbung, dem Etat zuzustimmen und es damit meinem
Vorredner gleichzutun, nicht folgen kann.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Nun hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Philipp Rösler, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Der deutschen Wirtschaft geht es
gut. Ihr verdanken wir ein enormes Wachstum im Jahre
2010 von 3,6 Prozent und ein gutes Wachstum für 2011
von 2,9 Prozent. Selbst in dem schwieriger werdenden
Jahr 2012 erwarten wir ein positives Wachstum von
1 Prozent. Eines ist ebenso klar: Deutschland bleibt
Wachstumslokomotive in Europa. Diese Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP wird dafür sorgen, dass
dies auch in Zukunft so bleibt.
({0})
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Claus, ich werde
mich als deutscher Wirtschaftsminister niemals dafür entschuldigen, dass wir Außenhandelsbilanzüberschüsse haben, weder bei Ihnen im Ausschuss noch auf europäischer
Ebene; denn diese Überschüsse sind keine Schwäche,
sondern sie sind Ausdruck der Stärke und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unserer deutschen Volkswirtschaft.
({1})
Diese gilt es zu stärken: durch Fachkräftesicherung,
kluge Energiepolitik, ein klares Bekenntnis zur sozialen
Marktwirtschaft und Stabilisierung unserer gemeinsamen Währung, des Euro. Sie sind leider nicht mehr zum
Thema Fachkräftesicherung gekommen. Es ist eine
großartige Leistung aller beteiligten Partner in der sozialen Marktwirtschaft, der Sozialpartner und auch der
Politik, dass durch kluge Politik in diesem Jahr und auch
in den Folgejahren gerade junge ausbildungsschwache
Menschen eine deutlich größere Chance auf einen Ausbildungsplatz und in der Folge auf einen Arbeitsplatz haben als zu Ihren Regierungszeiten. Von Ihnen von der
Linksfraktion wollen wir erst gar nicht sprechen.
({2})
Europaweit haben wir die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit. Schauen Sie einmal nach Frankreich, Italien oder
nach Spanien mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 46 Prozent. Hier in Deutschland ist es zum Glück anders. Ich
sage Ihnen ausdrücklich: ohne einen flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohn.
({3})
Wenn wir bei den jungen Menschen erfolgreich sein
können, dann - da gebe ich Ihnen recht - müssen wir genauso erfolgreich sein, wenn es darum geht, junge Eltern
oder auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das wird aber
nicht durch Quoten oder durch gesetzliche Vorgaben
funktionieren, sondern nur, indem wir die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf verbessern, indem wir auch an
dieser Stelle nochmals einen klaren Appell an die deutsche Wirtschaft senden, dass sie sich nicht über Fachkräftemangel beklagen darf, wenn sie gleichzeitig darauf
verzichtet, jungen und gut ausgebildeten Menschen eine
Perspektive, eine Chance durch bessere Vereinbarkeit
von Familie und Beruf zu geben, und wenn sie bei Kündigungen zuallererst an die älteren Menschen denkt. Wir
halten das für falsch. Wer den Fachkräftemangel sieht,
der muss etwas dagegen unternehmen. Er kann es tun,
indem er jungen Menschen und älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland eine Chance
gibt.
({4})
Erstmalig schaffen wir ein System der gesteuerten
Zuwanderung in den ersten Arbeitsmarkt in Deutschland. Wir setzen die Blue-Card-Richtlinie der EU um.
Sie enthält klare Regeln für die Zuwanderung, gestaffelt
nach Gehalt, Beruf und jeweiliger Qualifikation. Ich
sage Ihnen: Wir haben jahrelang darum gestritten und
jahrelang dafür gekämpft. Jetzt ist es endlich gelungen.
Das ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel in der deutschen Zuwanderungspolitik.
({5})
Herr Minister, darf Ihnen der Kollege Seifert eine
Zwischenfrage stellen?
Nein, vielen Dank. - Wirtschaftspolitik heißt auch Industriepolitik. Industriepolitik heißt auch Energiepolitik.
Das bedeutet: Wir müssen die Energieversorgung eines
Industrielandes wie Deutschland sichern. Das wird nicht
mit naiv-romantischen energiepolitischen Vorstellungen
funktionieren. Wenn wir die Energiewende in Deutschland erfolgreich umsetzen wollen, dann müssen wir mit
grünen Träumereien Schluss machen.
({0})
Die Bundesnetzagentur, die Sie eben so gescholten
haben, arbeitet mit Hochdruck an einem deutschen Netzausbauplan. Wir arbeiten an einem Förderprogramm für
hocheffiziente neue Kraftwerke und bauen KraftWärme-Kopplung aus. Wir wollen Forschung und Innovationen gerade im Energiebereich: neue Netze, Speichertechnologien und Elektromobilität.
Ich erwarte von all denjenigen, die in den letzten 20,
30 Jahren gegen Kernenergie demonstriert haben, dass
sie jetzt fest an meiner Seite stehen, wenn wir neue Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke und 4 500 Kilometer neue
Netze bauen. Wer aus der Kernenergie aussteigen will,
der muss in fossile Kraftwerke einsteigen. Alles andere
wäre unehrlich.
({1})
Ich bin sehr gespannt. Ich habe die Umweltverbände
angeschrieben, mich beim Bau von Kohlekraftwerken
und Gaskraftwerken zu unterstützen. Da scheint es bei
den Umweltverbänden noch Nachholbedarf zu geben.
Auf die Antworten bin ich sehr gespannt.
({2})
Mit Ihrer Politik jedenfalls wird es nicht weitergehen.
Wir brauchen endlich wieder eine realistische Energiepolitik, eine gute Industriepolitik und eine starke Wirtschaftspolitik in Deutschland.
({3})
Wir brauchen auch Vertrauen in unsere Wirtschaft
und unser Wirtschaftssystem, also in das System der sozialen Marktwirtschaft. Wir alle sehen, dass dieses Vertrauen zunehmend schwindet.
({4})
Das zeigen nicht nur die Demonstrationen, sondern auch
Gespräche mit Unternehmerinnen und Unternehmern.
Sie stellen uns immer wieder eine Frage: Was macht
Politik tatsächlich für die Regulierung der Finanzmärkte
in Deutschland, in Europa und weltweit?
({5})
- Ich will es Ihnen sagen. - Die Finanzmärkte werden
gebraucht. Sie müssen Liquidität für die Unternehmen
zur Verfügung stellen. Sie haben eine dienende Funktion.
({6})
Aber auch wir sehen selbstverständlich, dass sich die Finanzmärkte mit vielen ihrer Produkte und Verfahren
längst von dieser dienenden Funktion entfernt haben. Sie
haben sich verselbstständigt. Genau das müssen wir gemeinsam stoppen.
({7})
Ich habe null Verständnis, wenn Sie mit fallenden Aktien, die Ihnen nicht einmal gehören und die Sie sich
noch nicht einmal geliehen haben, Gewinne machen
können.
({8})
Deswegen ist es klug, ungedeckte Leerverkäufe zu verbieten. Genau das hat die Bundesregierung getan. Wir
setzen uns dafür ein, dieses Verbot von ungedeckten
Leerverkäufen nicht national, sondern international, also
europaweit und weltweit, durchzusetzen.
({9})
Wir hoffen sehr, dass Sie auch an dieser Stelle an unserer
Seite stehen. Denn wir brauchen noch weitere Regulierungen auf dem Finanzmarkt.
Ihre Antwort auf die Frage der Regulierung ist eine
Finanztransaktionsteuer.
({10})
Das ist mir zu wenig. Das ist nur Abkassieren und kein
Regulieren. Wir brauchen mehr, wenn wir die Finanzmärkte weltweit in den Griff bekommen wollen.
({11})
Wir brauchen mehr Transparenz im Derivatehandel.
Wieso gibt es eigentlich keine Anrechnung von Staatsanleihen auf das Eigenkapital von Banken? Jeder Mittelstandskredit muss angerechnet werden. Damit werden
geradezu Anreize gesetzt, unsolide Staatsanleihen zu
kaufen. Ich will, dass es künftig wieder attraktiv wird, an
den Mittelstand Kredite zu vergeben, statt unsolide,
faule Staatsanleihen zu kaufen. Daran müssen wir etwas
ändern, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({12})
Wenn wir Vertrauen schaffen wollen, dann ist das die
Aufgabe für die Vertreter der sozialen Marktwirtschaft.
So wie Ludwig Erhard damals mit dem Kartellrecht einen wesentlichen Baustein in das Fundamt der sozialen
Marktwirtschaft eingefügt hat, muss die jetzige Politikergeneration, die sich der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlt, eine kluge Finanzmarktregulierung in das
System der sozialen Marktwirtschaft mit einfügen.
({13})
Das ist eine Aufgabe für die Vertreter der sozialen
Marktwirtschaft, also für uns.
Genauso müssen wir um Vertrauen werben, wenn es
um die Stabilisierung unserer Währung geht. Ich habe
gestern Ihre Reden genau verfolgt: nicht ein Wort der
Entschuldigung und des Bedauerns, dass Sie mit dem
Aufweichen der Maastricht-Kriterien das Vertrauen der
Menschen in unsere Währung massiv enttäuscht haben.
({14})
Das war die Ursache für die aktuelle Krise. Dagegen haben Sie nichts getan. Stattdessen kommen von Ihnen
jetzt gute Ratschläge, wie die Haushalte in den Griff zu
bekommen sind. Ausgerechnet von Rot und von Grün
brauchen wir solche Ratschläge nicht.
({15})
Jeder weiß: Da, wo Sie regieren, werden Schulden gemacht, bis es kracht. Ich glaube, Sie sollten sich etwas
zurückhalten, wenn es darum geht, mit uns gemeinsam
über Haushaltskonsolidierung zu reden.
({16})
Wir brauchen von Ihnen keine Ratschläge. Aber ich
glaube, wir sollten alle zusammenstehen, wenn es darum
geht, für eine Stabilitätsunion zu kämpfen:
({17})
mit einem Schuldenverbot für alle Staaten und einem
Wettbewerbstest. Alle diejenigen, die bei einem solchen
Test durchfallen - das kennen Sie, Frau Künast -, müssen
mit harten, automatischen Sanktionsmaßnahmen rechnen. Dafür brauchen wir Vertragsänderungen. Wir brauchen, nachdem Sie den Stabilitätspakt I kaputtgemacht
haben, einen neuen Stabilitätspakt. Wir brauchen Vertragsänderungen, wir brauchen einen Stabilitätspakt II in
Europa zur Stabilisierung unserer gemeinsamen Währung.
({18})
Sie wollen das Gegenteil. Sie wollen eine Transferunion, Sie wollen Euro-Bonds, und Ihr Kollege, Frau
Künast, möchte ja sogar Finanzminister werden. Wir
halten alles drei für falsch.
Eine Transferunion wäre falsch, weil wir nicht wollen, dass der deutsche Steuerzahler für die Schulden in
anderen europäischen Staaten aufkommt.
({19})
Wir wollen keine Euro-Bonds, weil wir nicht wollen,
dass die Zinsen in Deutschland dramatisch steigen. Das
wäre zum Nachteil für das Wachstum in Deutschland.
Deswegen sage ich Ihnen: Die Menschen können auf
diese Regierungskoalition zählen. Wir werden alles drei
verhindern: die Transferunion, Euro-Bonds und Jürgen
Trittin als Bundesfinanzminister.
({20})
Anstatt sich hier aufzuregen, sollte sich der gesamte
Deutsche Bundestag jetzt gemeinsam gegen die Vorschläge des EU-Kommissars Herrn Barroso stellen.
({21})
Er schlägt Euro-Bonds vor und fordert sie. Es wäre nicht
nur zum Schaden für unser Land, wenn die Zinsen steigen würden, sondern das wäre auch zum Schaden von
Europa, weil das Vertrauen in die Europäische Union
und in die Stabilität der Europäischen Union verloren
gehen würde.
({22})
Wir sagen Nein zu Euro-Bonds. Das sollte hier als Signal vom gesamten Deutschen Bundestag gesendet werden.
({23})
Das ist unsere Aufgabe: Wachstum verstetigen, Fachkräftesicherung, kluge Energiepolitik, klares Bekenntnis
zur sozialen Marktwirtschaft und Stabilisierung der
Währung. Das sind die richtigen Schritte für die Verstetigung des Wachstums auch im Jahre 2012.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({24})
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Seifert. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das
Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie und
Ihre Koalition loben die Umstrukturierung Ihres Haushaltes sehr. Außerdem haben Sie gerade mehrfach große
Bekenntnisse zur sozialen Marktwirtschaft abgegeben
und gesagt, was Sie so alles erreichen wollen.
Mir fehlt in Ihrem Haushalt aber eine Aussage zur
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Ich
kann sie zumindest nicht erkennen. Vielleicht können
Sie mich da aufklären? Der Deutsche Bundestag bekannte sich dazu. Wie wollen Sie das umsetzen? Sie ist
immerhin seit zweieinhalb Jahren geltendes Recht in
Deutschland. Für diese Querschnittsaufgabe, die jedes
Ressort betrifft - auch Ihres -, müsste es doch in jedem
Haushalt ein eigenes Kapitel geben. Bei Ihnen steht kein
Wort davon. Ich kann leider auch keine Zahl finden.
Vielleicht können Sie mir sagen, wo ich sie finden kann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Wir haben ja schon mehrfach über genau
diesen Punkt diskutiert.
({0})
Ich kann mich daran erinnern, dass ich im Tourismusausschuss gewesen bin. Dort haben wir Ihnen Antworten
auf die Frage gegeben, was wir gerade in diesem Bereich
tun. Tourismus gehört unzweifelhaft mit zur Wirtschaftspolitik. Gerade wenn es darum geht, barrierefreies Reisen möglich zu machen, ist dieses Haus mit federführend. Das wissen Sie genauso gut wie alle hier in diesem
Hause.
Sie sind nicht mit jeder Maßnahme meines Ministeriums zufrieden. Aber das, was in unseren Möglichkeiten steht - bezogen auf die Querschnittsaufgabe, Gleichberechtigung für alle Menschen in unserem Lande zu
erreichen - und wofür das Wirtschaftsministerium die
Verantwortung hat, beispielsweise auch im Bereich der
Tourismuswirtschaft, werden wir tun. Das wissen Sie,
und ich finde es schade, dass Sie das hier nicht anerkannt
haben; denn das haben Sie gemeinsam mit allen Kollegen im Tourismusausschuss unter Mitwirkung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschlossen. Ich würde mich
freuen, wenn Sie diese Leistung für alle Menschen in
Deutschland anerkennen würden.
Vielen Dank.
({1})
Nun hat der Kollege Tobias Lindner das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man Ihnen heute Morgen zugehört hat, Herr
Minister, dann konnte man feststellen, dass Sie eine
durchaus bemerkenswerte Rede gehalten haben.
({0})
Wenn man Ihnen zuhört, dann muss man nämlich den
Eindruck haben, hier in diesem Plenarsaal tue sich ein
Paralleluniversum auf.
({1})
Auf der einen Seite erzählen Sie und die Koalition
uns, wie gut es uns in diesem Land geht, wie toll Sie
sind,
({2})
wie erfolgreich Ihre Politik ist und dass Rot-Grün an allem schuld ist - am Ende auch noch am schlechten Wetter.
({3})
Auf der anderen Seite haben dies die Menschen, wenn
man sich Ihre Umfragewerte anschaut, anscheinend
noch nicht bemerkt.
({4})
Der zweite bemerkenswerte Umstand heute Morgen
war: Herr Rösler, Sie haben von Euro-Bonds gesprochen, Sie haben von einem Mindestlohn gesprochen, Sie
haben von einer Finanzmarkttransaktionsteuer gesprochen. Sie haben dabei immer in unsere Reihen geblickt.
Ich rate Ihnen, einmal in die Reihen der CDU/CSU zu
schauen. Schauen Sie auf das Gesicht des Bundesfinanzministers. Das würde Ihnen Aufschluss über die Einigkeit in Ihrer Koalition geben.
({5})
Ein weiterer Punkt. Ich weiß nicht, wie es um die
Kochkünste des Bundeswirtschaftsministers bestellt ist.
({6})
Ich kann Ihnen aber eines sagen: Wäre die FDP ein
Pizzabringdienst, dann befänden Sie sich schon längst in
geordneter Insolvenz,
({7})
aber nicht deswegen, weil das Produkt nicht schmecken
würde, sondern weil die Menschen in diesem Land bis
heute auf diese Lieferung warten, die Sie im Mai versprochen haben.
({8})
Das sieht man auch, wenn man in den Etat des Wirtschaftsministeriums schaut. Die Kollegen vor mir haben
es schon erwähnt: Der Etat ist neu strukturiert worden.
Es wurden vier neue Kapitel geschaffen. Aber was ist
passiert? Die alten Förderprogramme von gestern und
vorgestern sind ohne kritische Prüfung in diese Kapitel
einfach neu einsortiert worden. Viele neue Rezepte findet man in diesem Etat allerdings nicht. Was man findet,
sind neue Stellen in Ihrem Ministerium, bedingt durch
den Wechsel an der Spitze.
Eines servieren Sie hingegen, und das ist, um in der
Sprache zu bleiben, kalter Kaffee, nämlich die x-te Ankündigung von Steuersenkungen quasi als Rettungsschirm für die FDP. Es sind Steuersenkungen auf Pump
in Zeiten, in denen die Konjunktur abflacht. Das ist das
falsche Signal aus unserer Sicht.
({9})
Trotz mehr als 1 Billion Euro Schulden in Deutschland,
trotz historisch niedriger Zinsen und großer Risiken in
diesem Haushalt investieren Sie 6 Milliarden Euro in
Steuersenkungen, die bei der Hälfte der Menschen in
diesem Land gar nicht ankommen, statt den Haushalt zu
konsolidieren oder dieses Geld dafür einzusetzen, um
unsere Wirtschaft zukunftsfähig zu machen und auf die
Energiewende vorzubereiten.
({10})
Kommen wir zur Energiewende. Herr Kauder, Sie sagen, die Energiewende werde durchgeführt.
({11})
Ist das die Energiewende, wenn Sie auf der einen Seite
damit drohen, die Mittel für den Ausbau der Solarenergie in Deutschland zu deckeln, aber gleichzeitig neue
Kohlekraftwerke fordern? Ist das die Energiewende,
wenn Sie im Etat des Wirtschaftsministeriums viel zu
wenig Geld für den Ausbau der Energienetze, für Systemsicherheit und neue Speichertechnologien einstellen?
Sie sind es doch, die uns vorwerfen, gegen neue Netze
zu sein, aber Sie selbst stellen viel zu wenig Geld dafür
im Etat bereit.
({12})
- Jetzt kommen wir zum Thema Klientelpolitik.
Sie schaffen ein Sondervermögen für die erneuerbaren Energien, den Energie- und Klimafonds. Das ist ein
Schattenhaushalt, außerhalb des normalen Haushaltsplans, der mit großen Risiken verbunden ist. Es stellt
sich die Frage, ob sich das überhaupt finanzieren lässt.
Was Sie stattdessen gut absichern, ist die Luft- und
Raumfahrt. Sie geben nicht nur 1,3 Milliarden Euro mit
dem Argument aus, das sei Grundlagenforschung - bei
der Energiepolitik zählt dieses Argument offenbar nicht -,
nein, Sie führen jetzt auch die Teilverstaatlichung der
EADS fort. Sie haben in den Haushalt über 1 Milliarde
Euro eingestellt, damit der Bund weitere Anteile von
EADS übernehmen kann. Das wird übrigens begleitet
von Kopfschütteln vieler Vertreter der deutschen Wirtschaft, insbesondere von EADS selbst, die sich einen
privaten Investor hätte vorstellen können. Nicht nur das:
Auf der einen Seite übernehmen Sie Eigentum an diesem
Unternehmen und damit Risiko, auf der anderen Seite
nehmen Sie aber Ihre Kontrollrechte und Ihre Verantwortung nicht wahr. Diese Regierung verzichtet auf
Kontrollrechte im Aufsichtsrat.
({13})
Sie investieren hier riesige Summen. Sie sollten sich
lieber peu à peu aus der Subvention solcher Unternehmen zurückziehen, wirkliche Grundlagenforschung und
Zukunftstechnologien fördern und sich einer Rohstoffstrategie zuwenden, die nicht nur auf die Ausbeutung ausländischer Minen setzt, sondern sich vor allen
Dingen auf Rohstoffeffizienz, alternative Rohstoffe und
mehr Recycling konzentriert.
({14})
Herr Rösler, mit diesen Entscheidungen - mit einer
Teilverstaatlichung der EADS, mit einem mangelnden
Subventionsabbau, mit Schwerpunkten in einem Etat,
die aus dem Umsortieren von Förderprogrammen bestehen - befinden Sie sich auf einer ordnungspolitischen
Geisterfahrt. Wie es mit Geisterfahrern nun einmal so
ist: Entweder bauen sie früher oder später einen Totalschaden, oder sie werden aus dem Verkehr gezogen. Den
Menschen in diesem Land und der deutschen Wirtschaft
ist Letzteres zu wünschen.
Ich danke Ihnen.
({15})
Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herr Kollege Lindner, Sie sind grün, ein Grüner, und
auch im Haushalt noch grün. Denn allzu viel Ahnung haben Sie mit Ihrer Rede heute nicht bewiesen.
({0})
Lassen Sie mich nur einen Satz zur Solarförderung
sagen: Die Solarförderung in Deutschland liegt mittlerweile bei 7,1 Milliarden Euro pro Jahr. Für Kohle geben
wir noch 1,42 Milliarden Euro aus. Das zeigt ja wohl,
dass andere Schwerpunkte gesetzt worden sind.
({1})
Da diese Schwerpunkte mittlerweile überzogen sind,
werden wir das korrigieren; daran werden wir gehen.
Das hat eine mehr als große Berechtigung.
Dass diese Koalition in der Lage ist, den Haushalt zu
sanieren, möchte ich Ihnen an drei Zahlen klarmachen.
Der Kollege Steinbrück hat im Jahr 2009 noch einen
Haushalt und auch eine mittelfristige Finanzplanung aufgestellt, wie sich das gehört. Das ist in Ordnung. Diese
mittelfristige Finanzplanung sah folgendermaßen aus:
Im Haushalt 2010 war eine Nettokreditaufnahme von
86,1 Milliarden Euro geplant. Der Kollege Schäuble
- vielen Dank! - hat das mit 44 Milliarden Euro hinbekommen, also mit lediglich 51 Prozent des von Herrn
Steinbrück, dem Reserveweltökonomen, geplanten Volumens. 2011 war eine Neuverschuldung von 71,7 Milliarden Euro geplant. Der Kollege Schäuble wird das
dieses Jahr mit 22 Milliarden Euro hinbekommen; vielleicht wird es sogar noch ein bisschen weniger. Für 2012
hat der Weltökonom 58,7 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme eingeplant. Wir werden den Haushalt mit maximal 26,1 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme abschließen. Ich gehe davon aus, dass auch das noch
weniger wird, wie Sie es in jedem Haushalt hinbekommen haben, Herr Finanzminister. Ich gratuliere Ihnen
dazu. Das ist eine solide Haushaltspolitik.
({2})
Diese ist auch notwendig; denn die zusätzlichen Verschuldungen, die Rot-Grün ganz besonders intensiv betrieben hat, helfen uns nicht weiter.
Sie waren es auch - das gehört immer wieder zur
Wahrheit dazu; ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören -,
die 2003 und 2004 als Allererste zusammen mit den Franzosen, mit Chirac, die Maastricht-Kriterien gebrochen
haben. Sie waren es, die nach Brüssel gefahren sind und
verhindert haben, dass der berühmte blaue Brief verschickt wurde. Es war Herr Eichel, der das zusammen mit
Herrn Chirac und Herrn Schröder gemacht hat.
({3})
Genau das war der Weg in die Verschuldung Europas.
({4})
Das war die Tür, die geöffnet wurde.
({5})
Deswegen können Sie von anderen Ländern nicht erwarten, dass sie sich an die Planungen halten und die
Maastricht-Kriterien einhalten. Ich empfinde es als eine
ziemlich schändliche Sache, einfach darüber hinwegzugehen und zu sagen: Wir haben damit eigentlich gar
nichts zu tun. - Sie haben!
({6})
Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister dankbar dafür, dass er einen sehr seriösen Haushalt aufgestellt hat.
Im Bundesministerium sind über 700 Millionen Euro für
Forschung und Entwicklung vorgesehen. Herr Minister,
das ist gut. Vor allen Dingen freut mich das ZIM-Programm, das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand,
dessen Mittel bei 389 Millionen Euro angekommen sind.
Das dient einer gezielten Förderung des Mittelstands,
des Rückgrats unserer Wirtschaft. Das ist notwendig.
Deswegen befindet sich die deutsche Wirtschaft in einer
solch guten Verfassung.
({7})
Die Wirtschaft ist im letzten Jahr um 3,6 Prozent gewachsen. Sie wird dieses Jahr um rund 3 Prozent wachsen. Sie, Herr Minister, haben gerade 1 Prozent für das
nächste Jahr angedeutet. Ich sage, dass das vielleicht
noch ein bisschen mehr wird.
Was mich allerdings besorgt, ist, dass das Modell
Deutschland zwar von anderen kopiert wird, aber dass
wir uns und unsere soziale Marktwirtschaft ständig infrage stellen. Warum eigentlich? Es ist schon bedenklich, wenn laut einer Emnid-Umfrage mittlerweile
40 Prozent der Menschen im Osten Deutschlands dem
Sozialismus noch einmal eine Chance geben würden. Ich
verstehe nicht, warum das so ist. Offensichtlich nehmen
die Menschen die gute wirtschaftliche Entwicklung gewissermaßen als Naturereignis wahr. Dass dahinter aber
Unternehmertum sowie qualifizierte und motivierte Arbeitnehmer stecken, dass diese Entwicklung darauf zurückzuführen ist, dass die richtigen politischen Entscheidungen getroffen wurden, wird anscheinend nicht mehr
wahrgenommen. Anders kann ich mir nicht erklären,
dass in den Augen vieler die Märkte die Schuldigen an
der aktuellen Staatsschuldenkrise sind. Es sind nicht die
Märkte, sondern die Länder, die über ihre Verhältnisse
gelebt haben.
({8})
Es handelt sich auch nicht um eine Euro-Krise, sondern
um eine Schuldenkrise in den Euro-Ländern, die einfach
zu viele Schulden gemacht haben. Das muss sich jetzt
ändern.
({9})
Ich bin der Bundeskanzlerin für ihre gestrige Rede
extrem dankbar, in der sie deutlich gemacht hat, dass
Euro-Bonds der falsche Weg sind,
({10})
dass Money Printing der EZB nicht geht und dass das,
was die Amerikaner und auch die Engländer machen,
nicht der richtige Weg sein kann, nämlich Geld drucken
und glauben, damit die Situation zu entschärfen. Wir
Deutsche haben in unseren Genen, dass alles, was die Inflation ansteigen lässt, der falsche Weg ist. Ein Anstieg
der Inflation muss verhindert werden. Ich bin froh, dass
unsere Politik, die Politik der Bundesregierung, die Politik der Bundeskanzlerin, das aufzeigt.
({11})
Marktwirtschaft hat uns auf allen Feldern weitergeholfen und zu dem gemacht, was wir heute sind. Der Staat
hat nie bewiesen, dass er der bessere Banker - Stichwort
„Landesbanken“ - oder der bessere Unternehmer ist.
({12})
Er sollte es auch sein lassen, als Unternehmer aufzutreten. Manche Bereiche bereiten mir in dieser Hinsicht besondere Sorgen, zum Beispiel der Energiemarkt. 1997/98
wurde unter dem damaligen Bundeswirtschaftsminister
Günter Rexrodt der Energiemarkt liberalisiert. Ordnungspolitisch war das sicher eine richtige Entscheidung. Heute ist es so, dass die staatlich bestimmten Lasten beim Strompreis bei 42 Prozent angekommen sind.
Hinzu kommen 24 Prozent durch regulierte Netzentgelte. Damit sind nur noch 34 Prozent des gesamten
Strommarkts im Wettbewerb und marktbestimmend.
({13})
Das ist viel zu wenig. Das muss sich ändern. Wir müssen
das, was der Staat bestimmt, zurückdrängen.
({14})
Das ist schon fast Planwirtschaft.
Die Strommengen werden dem Markt entzogen und
in ein geregeltes System überführt, nach dem Motto
„produce and forget“. Wir stellen Strom her, aber was
damit passiert, ob ihn einer braucht, interessiert uns
überhaupt nicht mehr. Das ist eine falsche Anreizsetzung. Es kann nicht sein, dass jemand, der heutzutage
eine Windkraftanlage aufstellen lässt, sich um den Absatz des Stroms überhaupt nicht kümmern muss.
({15})
Wenn die Anlage erst einmal installiert ist, bekommt er
Geld, ob der Strom gebraucht wird oder nicht. Als Unternehmer hätte auch ich mir gewünscht, meine Produkte
einfach auf den Hof stellen zu können, ohne mich darum
kümmern zu müssen, was mit meinen Produkten passiert. Das ist jedenfalls nicht der richtige Weg. Wir müssen Anreize in die richtige Richtung setzen. Es darf nicht
jeder so viel produzieren, wie er will, egal ob Strom gebraucht wird oder nicht.
({16})
Zwei Zahlen dazu. In Schleswig-Holstein sind bereits
Windkraftanlagen onshore mit einer Leistung von insgesamt 3 800 Megawatt installiert. Bis Ende 2015 werden
wir wahrscheinlich bei 12 200 Megawatt onshore und
offshore angekommen sein. Aber gebraucht werden in
Schleswig-Holstein im Durchschnitt 2 000 Megawatt am
Tag. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir dringend
dafür sorgen müssen, dass der Strom dorthin transpor17040
tiert wird, wo er gebraucht wird. Anderenfalls werden
Windkraftanlagen permanent abgeschaltet werden müssen, und die Betreffenden bekommen Geld, obwohl der
Strom nicht gebraucht wird. Dieser Weg ist falsch. Zuerst müssen die Netze ausgebaut werden, damit der
Strom dorthin transportiert werden kann, wo er gebraucht wird.
({17})
Ich habe erhebliche Befürchtungen, dass wir in die
falsche Richtung laufen. Wir alle sind gefordert, gegenzusteuern und den Netzausbau gemeinsam durchzusetzen.
({18})
Es kann nicht sein, dass wir hier im heiligen Föderalismus schwelgen und jedes Land dort baut, wo es will, obwohl Kupplungsstellen zwischen den Bundesländern
nicht funktionieren. Das funktioniert eher in Richtung
Ausland als bei uns.
({19})
- Daran sind doch die von Ihnen geführten Länder, Herr
Kollege Heil, genauso beteiligt wie die von uns regierten.
({20})
Das muss sich ändern, und zwar ganz schnell. Es kann
nicht sein, dass wir am Markt vorbei Strom produzieren
und die Verbraucher und die Unternehmen das anschließend bezahlen dürfen.
({21})
Wir haben das lange genug falsch gemacht. Ich wünsche mir, dass wir so schnell wie möglich gemeinsam an
den Start gehen. Da sind die Grünen gefordert; denn sie
machen das nicht in den Ländern, wo sie mit in der Regierung sind, und sie machen schon gar nichts für Speicheranlagen. Ich sage nur: Gucken Sie sich Ihre grünen
Kollegen in Baden-Württemberg an! Die blockieren
Atdorf nach wie vor.
({22})
Da haben Sie eine große Aufgabe, gemeinsam etwas zu
tun. Ich würde mir wünschen, das ginge wesentlich
schneller nach vorn. Frau Künast, bringen Sie Ihre Leute
in Schwung!
({23})
Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! In diesen Tagen, Herr Minister
Rösler, wird deutlich, dass diese Bundesregierung sich
seit zwei Jahren viel zu sehr auf einer durchaus erfreulichen wirtschaftspolitischen Entwicklung ausgeruht hat,
die vor allen Dingen darauf basiert, dass die Vorgängerregierung
({0})
Entscheidungen getroffen hat,
({1})
mit denen sie Deutschland gut durch die Krise geführt
hat, und Sie haben davon profitiert. Das neiden wir Ihnen nicht. Das war eine schöne Entwicklung; das war
gut für Deutschland.
Aber Sie haben jetzt seit zwei Jahren das Ruder in der
Hand - oder: Sie sollten es zumindest haben. Wir erleben jetzt, dass dunkle Wolken am Konjunkturhimmel für
das kommende Jahr aufziehen.
({2})
Wir müssen feststellen: Sie haben keine Zukunftsvorsorge für das getroffen, was jetzt an Unwetter auf uns zukommt, und das wird sich leider Gottes auch in der Realwirtschaft in Deutschland niederschlagen.
({3})
Ich sage Ihnen eines, Herr Kauder: Ich bin kein
Schwarzmaler.
({4})
Ich wünsche mir, dass wir besser durch die Entwicklung
kommen, als manche befürchten. Das ist eine Hoffnung,
die wir auch als Opposition haben, weil es uns um das
Land geht, Herr Kauder, nicht um eine kleinkarierte Beurteilung der Situation.
Sie können überhaupt nicht ignorieren, dass die Krise,
die wir im Moment erleben, eine Dimension hat, die inzwischen auch wieder negative Folgen für die Realwirtschaft in Deutschland hat. Gerade als ein Land mit
hohem Exportanteil - 60 Prozent dessen, was wir in
Deutschland produzieren, exportieren wir in den EURaum - sind wir darauf angewiesen, dass wir in Europa
eine gemeinsame Entwicklung haben, die nach vorne
geht.
Deshalb, Herr Rösler, kann ich Ihnen nicht ersparen,
Ihnen eines zu sagen: Sie versuchen hier, Pappkameraden aufzubauen, und sind als Wirtschaftsminister bei der
Bewältigung dessen, was in Europa notwendig ist, praktisch ein Totalausfall. Sie spielen keine Rolle in dieser
ganzen Debatte.
({5})
Das ist vielleicht deshalb kein Wunder, weil Sie so
sehr damit zu tun haben, die Debatte mit den NationalHubertus Heil ({6})
konservativen in der FDP zu führen, die sich jeglicher
Verantwortung entziehen. Um das zu tun, bauen Sie an
dieser Stelle Pappkameraden auf, die Sie dann selbst
wieder einsammeln müssen. Das baut kein Vertrauen
auf.
Ich finde auch Ihre etwas dünne Analyse der Verhältnisse sehr problematisch; das gilt auch für Sie, Herr
Fuchs. Wenn wir auf die Ursachen dessen gucken, was
wir im Moment erleben, dann erkennen wir: Es gibt
nicht nur die eine Ursache. Man kann nicht einfach sagen: Die Staaten sind schuld. Sie alle haben über ihre
Verhältnisse gelebt.
({7})
Richtig, das gab es. Für Griechenland beispielsweise gilt
das. Aber Spanien hat bis zum Ausbruch der Krise nicht
über seine Verhältnisse gelebt; das zeigt auch die haushalterische Entwicklung. Irland hatte ebenfalls keine
Entwicklung, in der man im Haushalt kurzfristig über
die Verhältnisse gelebt hat. Das kann es doch wohl nicht
gewesen sein.
Wir haben vielmehr erlebt, dass Länder aus sehr unterschiedlichen Gründen zu Defizitländern geworden
sind:
In Irland ist eine Bankenblase geplatzt, weil man
Wachstum einseitig auf Finanzdienstleistungen abgestützt hat. Sie als FDP haben uns früher die irische
Volkswirtschaft geradezu als leuchtendes Beispiel vorgehalten. „Der keltische Tiger“, das war Ihr Wort.
({8})
Die hohen Wachstumsraten sind damals spekulationsbegründet gewesen. Man hat uns in Deutschland seinerzeit
als kranken Mann Europas bezeichnet, weil wir so altmodisch waren, auf die industrielle Basis dieses Landes
zu setzen, diese zu erneuern, uns aber nicht von ihr zu
verabschieden. Sie ignorieren vollständig, dass diese falsche Form der einseitigen Orientierung auf Finanzdienstleistungen die Ursache für die Krise in Irland ist.
In Spanien sind es andere Krisenursachen. Da ist,
auch durch die Finanzmärkte getrieben, eine Riesenimmobilienblase geplatzt.
Dann gab es haushalterische Misswirtschaft wie in
Griechenland.
Alles drei hat es gegeben. Deshalb ist es ziemlich
ideologisch, die Schuld an dieser Stelle auf den Staat zu
schieben, nur deshalb, weil es in Ihr Feindbild passt. Sie
müssen akzeptieren, dass die Politik, die Demokratie,
die Staaten in der Krise es waren, die den Schlamassel
aufzuräumen hatten, und dass sich viele aus der Finanzwirtschaft von der Verantwortung verabschiedet haben
und inzwischen gegen Staaten, die sie selbst aus dem
Mist gezogen haben, zu spekulieren anfangen.
({9})
Herr Minister, Sie reden von Finanzmarktregulierung. Aber wo sind Ihre Taten? Reden wir doch darüber,
wie wir mehr Wettbewerb und mehr Transparenz bei
den Ratingagenturen hinbekommen. Wo sind Ihre Initiativen im Bereich der Risikobewertung? Zum Thema
Finanztransaktionsteuer habe ich eben nur mitbekommen, dass Sie irgendwie dagegen sind. Während inzwischen fast ganz Europa der Überzeugung ist, dass wir
diese Antispekulationsteuer brauchen, weil wir auch das
Geld brauchen, um die Defizite zu minimieren, ist die
FDP der letzte Bremsklotz bei der Finanztransaktionsteuer. Merkel sagt in Brüssel das eine, Sie sagen hier
das andere.
({10})
Herr Rösler, ich kann Ihnen das nicht ersparen: Wenn
Sie als Totalausfall in diesen Fragen und bestenfalls aus
FDP-internen Gründen als Bremsklotz in dieser Bundesregierung so weitermachen, dann versündigen Sie sich
an dem, was auf uns zukommt.
Jetzt sage ich etwas zu Ihrem neuen Pappkameraden
Euro-Bonds. Wir haben mittlerweile eine Situation, in
der Sie feststellen müssen, dass all das, was wir in den
letzten anderthalb Jahren zum Beispiel durch Rettungsschirme für Griechenland an Notmaßnahmen ergreifen
mussten, offensichtlich - das wird Tag für Tag deutlicher - nicht ausreichen wird. Die Frage ist: Was passiert jetzt? Es gibt drei mögliche Szenarien:
Erstens kann man so weitermachen wie bisher. Man
kann hoffen und bangen und dann erleben, dass die
Euro-Zone auseinanderbricht. Die reale Gefahr ist da;
das können Sie nicht ignorieren.
Zweitens kann man sagen, man tut nichts, weil man
sich die Hände nicht schmutzig machen will. Dann jagt
man durch das Nichthandeln, für das Sie Verantwortung
tragen, die Europäische Zentralbank immer weiter in den
Aufkauf von Staatsanleihen. Das ist das, was Sie im
Moment machen. Sie beschimpfen die EZB zwar hinterher für den Aufkauf von Staatsanleihen, aber Sie drängen sie geradezu in diese Rolle und nehmen damit billigend in Kauf, dass die EZB irgendwann die Notenpresse
anwerfen muss. Dann kommt es zu der Inflation, die
viele Menschen befürchten.
Die dritte Möglichkeit ist, zu akzeptieren, dass Dinge
auf uns zukommen, die wir uns nicht wünschen, für die
man aber Vorsorge treffen muss. Ich habe heute gelesen,
Herr Barthle, dass die Front in Sachen Euro-Bonds in
Ihrer Fraktion offensichtlich bröckelt.
({11})
Man sagt ganz deutlich: Es geht nicht darum, diese zu
fordern, aber man muss sich Gedanken darüber machen,
ob man sie ausschließen kann oder ob es nicht sinnvoller
ist, eine Konstruktion zu entwerfen, nach der diejenigen,
die solche Anleihen in Anspruch nehmen, sich harten
Auflagen aussetzen müssen.
({12})
Hubertus Heil ({13})
Sie werden Ihre Worte wieder einmal fressen müssen.
Sie brauchen diesen Pappkameraden doch nur für die
Urabstimmung in der FDP.
({14})
Sie sind getrieben, und Sie werden im Frühjahr erleben,
dass Sie das einholt. Nach all dem, was uns die Fachleute sagen, gibt es nur diese drei Szenarien.
Sie treiben im Moment durch Nichthandeln, Wackeln
und einen Zickzackkurs die Europäische Zentralbank in
die Rolle der größten Bad Bank in Europa. Das ist die
Gefahr, die wir im Moment sehen.
({15})
Sie haben keine Initiativen zur wirksamen Regulierung
des Finanzmarktes auf den Tisch gelegt. Sie sind sich
nicht einmal innerhalb der Koalition einig, ob Sie eine
Finanztransaktionsteuer wollen.
({16})
- Wollen Sie eine Frage stellen, Herr Brüderle?
({17})
- Bitte schön.
Vielleicht darf ich mich an der Vermittlung dieses
Fragewunsches auch noch beteiligen. Ich stelle Ihre Bereitschaft mit Respekt fest. - Bitte schön, Herr Kollege
Brüderle.
Das war ein basisdemokratischer Kontakt zwischen
Herrn Heil und mir, Herr Präsident. Das ist parlamentarisch unüblich, aber erfolgreich.
Herr Heil, ist Ihnen bekannt, dass Ihr Fachmann, Ihr
haushaltspolitischer Sprecher Carsten Schneider, gestern
im Morgenmagazin sehr deutlich gemacht hat, dass
Euro-Bonds weder verfassungsrechtlich noch ökonomisch vertretbar sind? Meines Wissens ist er unverändert Sozialdemokrat.
Herzlichen Dank für die Frage, Herr Brüderle. So
kann ich Sie an dieser Stelle aufklären.
Carsten Schneider ist ein hervorragender Fachmann.
Deshalb zitieren Sie ihn bitte vollständig. Er hat darauf
hingewiesen, dass es rechtlich sehr schwierig sein wird,
sich auf diesen Weg zu machen. Es ist nicht einfach,
auch nicht die Diskussion darüber. Sie tun ja immer so,
als würden wir täglich Euro-Bonds fordern. Was ich
eben gesagt habe, ist etwas anderes: Sie können zu diesem Zeitpunkt ein solches Instrument, das im Übrigen
der Sachverständigenrat als Schuldentilgungsfonds, also
unter einem anderen Namen, aber mit derselben Zielrichtung, vorgeschlagen hat, überhaupt nicht ausschließen.
({0})
Wir sagen ganz deutlich: Wir schließen kein Instrument
aus, das hilft, die Euro-Zone zusammenzuhalten; denn
der Zusammenhalt in der Euro-Zone ist im wohlverstandenen deutschen wirtschaftlichen Interesse. Sie schließen in unverantwortlicher Art und Weise alle möglichen
Maßnahmen aus und erleben dann Monate später, dass
Sie es doch in dieser Richtung machen müssen.
Wir sagen: Euro-Bonds sind kein Allheilmittel und
auch kein Selbstzweck. Sie werden kein Mittel sein, das
per se funktioniert, sondern sie funktionieren nur, wenn
man eine Vorstellung davon hat, wie sie konstruiert sind.
Dazu zählt, dass Länder, die die damit verbundenen
Zinsvorteile in Anspruch nehmen, sich unterwerfen
müssen und an dieser Stelle auch ein Stück nationale
Souveränität abgeben müssen, Herr Brüderle. Denn es
ist ganz klar, dass es einen Zusammenhang zwischen
Haftung und Risiko geben muss. Länder können nicht
Hilfen in Anspruch nehmen und einfach weiterwurschteln.
Herr Brüderle, Sie sagen, was Sie nicht wollen. Sie
schließen Dinge aus und erleben dann Monat für Monat,
dass Sie das auffrisst. So hat das Ganze angefangen. Ich
kann mich noch erinnern, dass der Kollege Otto Fricke
- auch ein Haushälter, wenn ich mich richtig erinnere sich hier im Parlament hingestellt und mit dem schönen
Satz begonnen hat: Keinen Cent für Griechenland! - Auf
irgendeine Art und Weise hat er sogar Wort gehalten;
denn es war dann kein Cent, sondern es waren Milliarden. Wir reden inzwischen über Dimensionen, die sich
kein Mensch mehr richtig vorstellen mag und kann.
Die Situation ist zu ernst, als dass Sie hier FDP-Pappkameraden aufbauen könnten, nur um Herrn Schäffler
im Griff zu behalten.
({1})
Sie werden sich der Verantwortung stellen müssen. Deshalb sage ich Ihnen: Machen Sie sich einen Kopf darüber, was wir im Frühjahr erleben werden, wenn das so
weitergeht. Ihre Krisenpolitik, Ihr Zickzackkurs, Ihr Herumgeeiere sind gescheitert.
({2})
Herr Brüderle, Sie können sich wieder setzen. Herzlichen Dank! - Oder wollen Sie noch eine Frage stellen?
Herr Kollege Heil, darf ich den Vorschlag machen
- denn der Kollege Barthle möchte dazu offenkundig
auch eine ergänzende Bemerkung machen -, dass wir
die beiden Wortmeldungen vielleicht zusammen aufrufen und Sie dazu dann Stellung nehmen?
({0})
Gern. - Aber habe ich noch genug Redezeit?
Sie bekommen auf diese Weise ungeahnte zusätzliche
Redezeiten, völlig richtig.
Danke. - Dann dürfen Sie stehen bleiben, Herr
Brüderle. Bitte schön.
Kollege Brüderle, dann Herr Barthle.
Herr Kollege Heil, damit Sie den Originaltext von
Guter Mann.
- lese ich Ihnen die Agenturmeldung vor. Er sagte:
Aufgrund der rechtlichen Situation in Deutschland und
der ökonomischen Faktoren ist derzeit eine Einführung
nicht machbar.
({0})
Herr Brüderle, ich unterstreiche diesen Satz. Ich sage
Ihnen aber auch: Es kann eine Situation eintreten, in der
wir trotzdem zu einer solchen Lösung kommen müssen.
Darauf müssen Sie sich vorbereiten. Carsten Schneider
hat ja gesagt, dass es im Moment die rechtlichen Möglichkeiten dazu noch nicht gibt. Es kann aber sein, dass
ein solches Instrument wirtschaftspolitisch und ökonomisch in Zukunft notwendig sein wird. Deshalb müssen
wir dafür die Voraussetzungen schaffen.
Herr Brüderle, Sie denken nicht nach. Das ist der Vorwurf, den wir Ihnen machen.
({0})
Sie denken einzig und allein an die Frage, wie Sie Ihre
2-Prozent-Partei wieder aufpäppeln können. Aber das ist
unverantwortlich. Es geht nicht um die FDP, sondern es
geht um Europa und die wirtschaftliche Zukunft
Deutschlands, Herr Brüderle. Das ist der Unterschied.
({1})
So, jetzt Kollege Barthle.
Herr Kollege Heil, da Sie mich persönlich angesprochen haben, möchte ich das Ganze in einen richtigeren
Zusammenhang rücken. Es gibt heute eine Nachricht in
der FTD. Darin wird gemeldet, die Front gegen die
Euro-Bonds bröckele. In dieser Meldung werde ich mit
der Aussage zitiert:
Wir sagen nicht nie. Wir sagen nur: keine EuroBonds unter den gegebenen Voraussetzungen.
Das ist genau die Position, die die Koalition und die
Bundeskanzlerin vertreten.
({0})
Die Bundeskanzlerin sagt klipp und klar:
({1})
Solange die Voraussetzungen nicht gegeben sind, solange es die notwendigen vertraglichen Änderungen
nicht gibt, braucht man über Euro-Bonds mit uns nicht
zu diskutieren. Man muss zunächst den ersten Schritt
und dann den zweiten machen - und nicht umgekehrt.
Genau dies kommt in dem Zitat zum Ausdruck. Das
wollte ich noch einmal klargestellt haben.
Danke.
Herr Barthle, bleiben Sie bitte stehen, damit ich Ihnen
antworten kann. - Ich muss Ihnen ein Kompliment machen. Das klärt dann auch ein bisschen die Frage von
Herrn Brüderle. Herr Schneider, Sie und ich - wir drei
zumindest - scheinen in dieser Frage einer Meinung zu
sein. Der Punkt ist nur: Dann muss man die Voraussetzungen dafür auch schaffen.
Herr Barthle, Sie haben den Mut, das in einer Zeit
auszusprechen, in der die FDP „nie“ sagt. Herr Rösler
hat vorhin gesagt: Euro-Bonds sind am Ende des Tages
Schuldensozialismus.
({0})
Sie sind in dieser Situation verantwortungsbewusster,
weil Sie ahnen, dass die Situation eintreten kann, dass
wir ein solches Instrument brauchen. Wir beide sind uns
einig: Dafür muss man Voraussetzungen schaffen. Es
gibt keine voraussetzungslosen Regelungen - weder
rechtlich noch ökonomisch. Man muss dafür sorgen,
dass das Risiko auch von den Defizitländern getragen
wird, dass sie ihren Anteil übernehmen.
Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Barthle: Herzlichen
Glückwunsch, dass Sie den Mut und den Verstand haben, einzuräumen, dass wir in eine Situation kommen
können, in der man den Einsatz eines solchen Instruments nicht ausschließen kann, dass man deshalb jetzt
die Voraussetzungen schaffen und dazu Vorschläge vorlegen muss. Das ist nicht nur ein Beleg für einen weiteren Unterschied in dieser Koalition, sondern leider Gottes auch dafür, dass sich Schwarz-Gelb in solchen
Fragen, die von national und international wichtiger Bedeutung sind, wieder einmal nicht einig ist. Das muss ich
feststellen. - Herzlichen Dank, Herr Barthle.
({1})
Also, dass sich Abgeordnete in laufenden Debatten
wechselseitig Mut und Verstand attestieren, halte ich für
einen der eigentlichen Höhepunkte dieser Haushaltsdebatte, den ich ausdrücklich im Protokoll festhalten
möchte.
({0})
Herzlichen Dank. - Herr Präsident, dann darf ich
noch etwas hinzufügen.
({0})
- Na ja, das muss man doch an dieser Stelle sagen. - Die
Eigenschaften guter Politik sind nach Max Weber - das
ist gar kein schlechter Anhaltspunkt in Krisenzeiten Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß. Genau darum geht es: um die Bereitschaft, Verantwortung zu
übernehmen in einer Zeit, in der es nicht populär ist, für
Lösungen einzustehen, die aber notwendig sind, um das
gemeinsame Europa auch wirtschaftlich zusammenzuhalten. Deshalb darf man nicht unverantwortlich Pappkameraden aufbauen und schwadronieren, wie das Herr
Brüderle tut. Da finde ich Herrn Barthle verantwortungsvoller, weil er bereit ist, auszusprechen, dass so etwas
auf uns zukommen kann.
Herr Präsident, Max Weber hat zweitens die Leidenschaft angeführt. Das bedeutet für uns die Überzeugung,
leidenschaftlich für dieses gemeinsame Europa einzutreten. Dazu will ich sagen: Herr Schäuble, Ihnen nehme
ich das ab, aber vielen Ihrer Kollegen - vor allen Dingen
dem Bundeswirtschaftsminister - nicht, weil er zu leidenschaftlich mit der Frage beschäftigt ist, wie er die
FDP zusammenhält.
({1})
Ihm fehlt die leidenschaftliche Überzeugung, in Europa
voranzukommen und es stärker zu integrieren. Er lernt in
diesem Zusammenhang nicht, dass die Währungsunion
nicht funktioniert, wenn man einen Währungsraum hat,
in dem die Wirtschafts- und Fiskalpolitik nicht stärker
zusammenwächst. Herr Schäuble, Ihnen nehme ich ab,
dass Sie in diesen schwierigen Zeiten ein leidenschaftlicher Europäer sind. Das nehme ich dem Bundeswirtschaftsminister nicht ab.
({2})
Nach Leidenschaft und Verantwortung nennt Weber
drittens das Augenmaß. Ich erkenne in den Worten der
FDP und des Herrn Brüderle keinerlei Augenmaß. Herr
Rösler, wenn in Wahlkämpfen wie in Berlin so unverantwortlich versucht wurde - Gott sei Dank ist es ja gescheitert -, die FDP mit antieuropäischen Ressentiments
über die Fünfprozenthürde zu katapultieren - zu dieser
Zeit waren Sie schon Vorsitzender und haben nichts dazu
gesagt -, dann zeugt das nicht von Augenmaß.
Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß sind
Werte, die eine vernünftige Wirtschafts- und Haushaltspolitik braucht. Genau das vermissen wir. Deshalb, Herr
Rösler - das kann ich Ihnen nicht ersparen -: Die Lage
ist viel zu ernst, als dass man Ihre aus der Zeit gefallenen
FDP-Parolen noch ertragen mag. Wir werden eine aktive
Wirtschaftspolitik brauchen, um die Scherben aufzusammeln, die Sie uns hier hinterlassen. Je eher diese Regierung beendet ist, desto besser für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa.
Herzlichen Dank.
({3})
Florian Toncar ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Vielen Dank. Herr Präsident! - Lieber Kollege Heil,
man wird Ihrer Rede manches attestieren können, aber
auf die Leidenschaft musste ich eine ganze Zeit lang
warten. Dennoch: Es ist gut, dass Sie so eindeutig gesagt
haben, was die SPD will, weil es noch einmal deutlich
macht, wie die politischen Alternativen in Deutschland
aufgestellt sind und dass es sehr unterschiedliche Konzepte gibt, wie man solche Krisen bewältigt.
Ich will noch einmal daran erinnern, dass Rot-Grün
den Stabilitätspakt kaputtgemacht hat. Ebenso will ich
daran erinnern, dass Rot-Grün vier Jahre hintereinander
für einen Haushalt mit einer Verschuldung oberhalb der
Maastricht-Kriterien verantwortlich war.
({0})
Das waren Sie. Jetzt stellen Sie fest, dass wir uns in ganz
Europa in einer Situation befinden - weil andere das
nachgemacht haben -, in der wir an Grenzen stoßen.
({1})
Es gibt unterschiedliche Gründe, Herr Kollege Heil, warum sich Länder in einer Situation befinden, in der sie
kein Geld mehr bekommen. Gemeinsam haben sie jedoch eines: Es gibt nicht mehr genügend Geldgeber, die
ihr privates Geld noch freiwillig diesen Ländern geben
wollen.
({2})
Wer Demokratien nur mit Schulden finanzieren kann,
der verletzt am Ende die Regeln der Demokratie und gefährdet sie obendrein.
({3})
Deswegen sind die Euro-Bonds auch keine Antwort. Sie
können Schulden nicht mit noch mehr Schulden bekämpfen. Euro-Bonds bedeuten nichts anderes, als das,
was ohnehin zur Krise geführt hat, zur Dauereinrichtung
zu machen, und das Ganze dann auch noch auf alle anderen zu verteilen. Das kann dann jahrelang so weitergehen.
Wenn Sie so vorgehen, ist das einerseits ein Verstoß
gegen die Gerechtigkeitsvorstellungen unserer Bevölkerung, auch gegen meine eigenen. Die Menschen, die sich
an neue Situationen anpassen und vielleicht auch mit
Einschnitten in ihrem Staat leben müssen, dürfen nicht
zusätzlich dadurch bestraft werden, dass sie die Rechnung für diejenigen bezahlen müssen, die das nicht in
Kauf genommen haben.
Das Ganze verstößt andererseits auch gegen ökonomische Gesetze. Sie werden mit Ihren Vorschlägen - sie
führen zu mehr Schulden; es ist eine Steigerung des gleichen Problems - am Ende zu keiner Lösung kommen.
Das ist das Gefährliche an der Idee, die Sie da vorschlagen. Das sind keine Pappkameraden; das ist letzten Endes ein untauglicher Vorschlag zur Lösung dieser Krise.
({4})
Kann der Kollege Heil eine Zwischenfrage stellen?
Bitte schön.
Herr Kollege Toncar, ich stelle fest, dass es zwischen
der Auffassung von Herrn Barthle und Ihnen einen Unterschied gibt;
({0})
das will ich an dieser Stelle festhalten. Er sagt: Wir können Euro-Bonds in letzter Konsequenz nicht ausschließen; aber die Voraussetzungen fehlen.
({1})
Sie sagen: Das ist Teufelszeug. - Das ist ein Unterschied
in der Argumentation; das will ich festhalten.
Zweitens. Herr Toncar, ich will Ihnen sagen: Wir sind
alle miteinander der festen Überzeugung, dass man öffentliche Haushalte in Ordnung bringen muss, dass man
sie konsolidieren muss; wir streiten uns über den Weg.
Deshalb dürfen wir uns nicht gegenseitig unterstellen,
dass es uns darum geht, auf Teufel komm raus den Staat
zu verschulden. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.
Wenn Sie so sehr dafür sind, dass man die Staatsfinanzen vor allen Dingen in guten Zeiten in Ordnung
bringt, dann frage ich Sie an dieser Stelle, warum Sie
nach zwei Jahren positiver wirtschaftlicher Entwicklung
und Steuermehreinnahmen in diesem Land im nächsten
Jahr noch mehr neue Schulden machen, als es notwendig
wäre.
({2})
Tun Sie nicht so, als seien Sie jemand, der in Europa
andere belehren könnte, wenn Sie in der nationalen Politik nicht in der Lage sind, in guten Zeiten mehr zu konsolidieren, sondern das Geld für so etwas Unsinniges
wie das Betreuungsgeld und Ihre Steuergeschenke für
Ihre Klientel verpulvern, Herr Toncar.
({3})
Lieber Kollege Heil, zum einen will ich festhalten,
dass sich der Kollege Barthle jetzt von Ihnen zu Unrecht
vereinnahmt fühlt; man sollte da dem Kollegen Barthle
folgen. Übrigens hat der Sachverständigenrat, auf den
Sie sich berufen haben, ausdrücklich Wert darauf gelegt,
dass er keine Euro-Bonds vorgeschlagen hat.
({0})
Ich will Ihnen aber, nachdem Sie nicht meiner Aussage widersprochen haben, dass Rot-Grün viermal gegen
den Maastricht-Vertrag verstoßen hat - es stimmt ja
auch; man wird dagegen wenig anführen können -,
({1})
etwas zur aktuellen Haushaltssituation sagen. Sie kennen
die Finanzplanung von Peer Steinbrück, die er vorgelegt
hat, bevor er das Amt des Finanzministers aufgeben
musste. Sie wissen, dass nach der Finanzplanung, die
Peer Steinbrück damals vorgelegt hat, in diesem Jahr
eine weitaus höhere Neuverschuldung zu erwarten gewesen ist.
({2})
Sie wissen auch - dafür rühmen Sie sich -, dass Sie in
der Großen Koalition - Sie haben eben in Ihrer Rede
nostalgisch daran zurückgedacht; das muss eine unheimlich schöne Zeit gewesen sein - zur Zeit der Krise zwei
Konjunkturprogramme aufgelegt haben, beide über
Schulden finanziert, komplett kreditfinanziert.
({3})
- Die Programme waren im Prinzip nötig,
({4})
aber nicht jede einzelne Maßnahme.
({5})
- Zum Beispiel die Abwrackprämie.
({6})
Für die Abwrackprämie bezahlt der deutsche Steuerzahler - - Bleiben Sie bitte stehen. Das hat der Kollege
Brüderle eben auch getan.
({7})
- Ich gehe jetzt auf den Punkt ein. - Ihre politische Leistung in Zeiten der Großen Koalition, an die Sie immer
noch gerne denken, bestand im Grunde darin, dass Sie
sich innerhalb kurzer Zeit darauf geeinigt haben, 80 Milliarden Euro neue Schulden zu machen und dann das
entsprechende Geld zu verteilen.
({8})
Was diese Koalition machen musste und auch gemacht hat, ist das komplette Gegenteil: Wir mussten
nicht neue Schuldenprogramme im Umfang von 80 Milliarden Euro zusammenstricken, sondern haben Konsolidierungsmaßnahmen im Umfang von 80 Milliarden Euro
in vier Jahren beschlossen.
({9})
Jetzt frage ich Sie einmal, was denn die größere Leistung
ist: 80 Milliarden Euro ausgeben oder um 80 Milliarden
Euro konsolidieren?
({10})
Letzteres hat diese Koalition gemacht. Das hätte keine
andere Koalition in dieser Form geschafft, Herr Kollege
Heil.
Wir bewegen uns deswegen mit einem hohen Tempo
in Richtung Einhaltung der Schuldenbremse. Wir kommen in diesem Jahr einer Neuverschuldung von 20 Milliarden Euro nahe. Wir werden im nächsten Jahr einen
weiteren deutlichen Abbauschritt machen. Wenn Sie mir
vor zwei Jahren gesagt hätten, wie schnell es uns gelingt,
den Haushalt zu konsolidieren, dann hätte ich das selbst
kaum geglaubt. Wir sind doch weit besser im Zeitplan,
als das noch vor zwei Jahren zu erwarten gewesen ist.
({11})
Ich möchte die Gelegenheit nicht versäumen, etwas
zu dem zu sagen, was wir beim Einzelplan 09 alles beschlossen haben. In dem Einzelplan sind wichtige Dinge
enthalten, mit denen wir in Deutschland dazu beitragen
können, dass sich die Wirtschaft stabilisiert und sie weiter wachsen kann:
Zum einen nenne ich das Thema Fachkräftesicherung.
Das ist natürlich ein ganz wichtiges Thema. Im Haushalt
des Wirtschaftsministers ist schon seit längerer Zeit ein
entsprechender Haushaltstitel enthalten. Es geht hier darum, dass man gerade für die mittelständischen Unternehmen entsprechende Fachkräfte gewinnt, dass man
dem Mittelstand, weil er nicht immer überall präsent
sein kann, dabei hilft, an Fachkräfte zu kommen.
Herr Kollege Toncar, darf die Kollegin Paus Ihnen
noch eine Zwischenfrage stellen?
Gern, wenn sie möchte, ob nun zum Thema Fachkräfte oder zu anderen Themen. Jederzeit.
Es wäre schon gut, wenn es mit der Haushaltsdebatte
zusammenhängen würde.
({0})
Genau. - Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr
Toncar, ich habe eine kurze Frage. Sie haben gesagt, Sie
würden beim Konsolidierungspfad weitermachen und
nächstes Jahr weniger Schulden als dieses Jahr aufnehmen. Das passt nicht zu dem, was ich in Mathematik gelernt habe: Wenn Sie in diesem Jahr 22 Milliarden Euro
Nettoneuverschuldung haben und morgen mit der Verabschiedung des Gesamthaushalts 26 Milliarden Euro Neuverschuldung planen, wie kommen Sie darauf, dass es
im nächsten Jahr weniger Verschuldung geben wird und
nicht mehr?
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin, für diese Frage, weil sie
mir Gelegenheit gibt, auf einige Grundlagen des Haushaltsrechts hinzuweisen.
({0})
Es gibt im Bundeshaushalt immer ein Soll und ein Ist. In
Bezug auf das Soll sagen wir am Anfang eines Haushaltsjahres: Das ist das Maximum dessen, was die Regierung ausgeben darf, und es ist das Maximum dessen,
was sie an Schulden aufnehmen darf. Das Ist bezieht
sich auf das - das stellen Sie dann nach zwölf Monaten
fest -, was wirklich ausgegeben oder an Schulden aufgenommen wurde. Sie können sich vorstellen, dass es
meistens so ist, dass bei einem Haushalt von 300 Milliarden Euro Soll und Ist nicht gleich groß sind;
({1})
denn es gibt immer etwas, was vorher geschätzt werden
muss. Da können Sie - das ist auch im privaten Haushalt
so - nicht jeden Euro vorhersagen.
({2})
Schauen Sie sich die Sollzahlen einmal an: In der Tat
hat Herr Steinbrück seinerzeit vorgeschlagen, für 2010
86 Milliarden Euro neue Schulden zu machen. Wir haben dann im Parlament beschlossen, dass es maximal
80 Milliarden Euro sein sollen. Für 2011 sollen es maximal 48 Milliarden Euro sein, für 2012 maximal 26 MilFlorian Toncar
liarden Euro. Wenn Sie mir zustimmen würden, dass
48 weniger als 80 sind und 26 weniger als 48, hätten wir
schon ein erstaunliches Maß an Gemeinsamkeit.
({3})
Die Istzahlen für 2010 kennen wir schon: Es sind
44 Milliarden Euro geworden. Für 2011 erwarten wir
eine Istzahl von ungefähr 20 bis 25 Milliarden Euro.
Auch 20 bzw. 25 dürfte - das ist einfach zu erkennen kleiner sein als 44. Ich kann daher überhaupt nicht erkennen, dass irgendeine Verschuldung im Vergleich zum
Vorjahr nach oben geht. Sie werden beim Haushalt 2012
- da wir sehr vorsichtig gerechnet haben - sehen, dass es
auch da keine unangenehmen Überraschungen gibt.
Wenn es nicht zu externen Ereignissen bzw. Schocks
kommt - die Krise in Europa kann natürlich großen Einfluss auf den Haushalt haben -, werden wir die 26 Milliarden Euro, die im Ansatz stehen, für das kommende
Jahr nicht brauchen, sondern nochmals deutlich niedriger liegen. Aber wir rechnen vorsichtig, weil wir die
Bürger vor unangenehmen Überraschungen schützen
wollen.
({4})
Ich komme zurück zu meinem Thema. Für die Fachkräftesicherung haben wir einen weiteren Schwerpunkt
im Haushalt gesetzt. Einen anderen Schwerpunkt haben
wir beim Bundeskartellamt. Herr Claus hat gesagt, das
sei toll, weil es Einnahmen bringt. Uns geht es eher darum, dass das Bundeskartellamt dafür sorgt, dass der
Wettbewerb fair abläuft, dass es in unserer Volkswirtschaft keine wettbewerbsfreien Zonen gibt und dass die
Verbraucher von einem schärferen Wettbewerb profitieren. Ansonsten haben wir beide offenbar ein Faible für
das Bundeskartellamt.
Ich möchte zuletzt noch ein Thema ansprechen, das
auch der Kollege Brandner in seiner Rede erwähnt hat,
nämlich den Netzausbau und die damit zusammenhängende Frage, ob die Bundesnetzagentur genug Personal
bekommen hat. Wir haben die Bundesnetzagentur um
weitere 220 Stellen verstärkt. All diese Mitarbeiter müssen erst einmal im Laufe des Jahres eingestellt werden.
An Ihrer Kritik kann man, glaube ich, sehr gut sehen,
was der Unterschied zwischen einem reinen Atomausstieg, den Rot-Grün beschlossen hat, und einer Energiewende ist, die wir beschlossen haben. Herr Kollege
Brandner, die Laufzeiten der Kernkraftwerke, die Sie
vorgeschlagen hatten, waren ungefähr die, die jetzt im
Atomgesetz stehen.
({5})
Offenbar ist beim Netzausbau gar nichts passiert; denn
sonst hätten wir die erforderlichen Leute bei der Bundesnetzagentur. Ich frage Sie: Wo sind die denn eigentlich?
Wenn Sie das kritisieren, müssen Sie sich doch erst einmal an die eigene Nase fassen. All das haben Sie nicht
gemacht, sondern Sie haben damals einen isolierten
Atomausstieg, ohne auf die Vernetzung mit den übrigen
Energieversorgungssystemen Rücksicht zu nehmen, geplant. Das war sicherlich nicht richtig.
Herr Kollege.
Als Hauptberichterstatter möchte ich - damit der Kollege Brandner zum Abschluss meiner Rede klatschen
muss, weil er gar nicht anders kann - nicht nur dem
Minister und dem Haus, sondern all meinen Kollegen für
die ausgesprochen kollegiale Zusammenarbeit danken.
Es war schön mit euch. Wir machen das nächstes Jahr
wieder.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Jetzt klatscht der Kollege Brandner trotz ausdrücklicher Aufforderung nicht, was aber - das will ich festhalten - durch das freie Mandat gedeckt ist.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Lötzer für die
Fraktion Die Linke.
({1})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Herr Rösler, auch ich sehe das so, dass
sich Ihre Wirtschaftspolitik daran messen lassen muss,
ob sie einem wirtschaftlichen Abschwung entgegenwirkt. Stattdessen stelle ich heute ebenso wie gestern
fest, dass Sie Schönfärberei betreiben. Sie behaupten,
Sie machten wachstumsfördernde Konsolidierungspolitik. Aber niemand merkt es.
Lassen Sie mich weitere Aspekte anfügen. Die G 20
- damit auch Sie - haben kürzlich in Cannes vereinbart:
Die wenigen Länder, die noch über finanziellen Spielraum verfügten, sollten für Wachstumsimpulse und eine
Stärkung der Binnenkonjunktur sorgen. Was bleibt davon in Ihrer Wirtschaftspolitik? Eine Steuersenkung von
6 Milliarden Euro. Das ist angesichts der Herausforderung und der Lage auf dem Binnenmarkt lächerlich und
wird dem überhaupt nicht gerecht.
({0})
Wir Linke sind immer für Steuergerechtigkeit eingetreten und haben die Abschaffung der kalten Progression
gefordert. Im Gegensatz zu Ihnen sind wir aber auch immer für eine Gegenfinanzierung eingetreten. Sie wollen
die Vermögenden weiter schonen. Wir fordern, dass eine
Gegenfinanzierung über Vermögensabgabe und Vermögensteuer durchgeführt wird. Damit könnten Sie übrigens locker einen Schritt zur Konsolidierung des Haushalts gehen, Herr Toncar.
({1})
Nicht nur, dass die Vermögenden inzwischen selber
darum betteln, nicht nur Warren Buffett und auf internationaler Ebene, auch auf nationaler Ebene gibt es inzwischen viele. Auch das DIW hat dazu festgestellt:
Mögliche Anpassungs- und Ausweichreaktionen
auf höhere Spitzensteuersätze werden häufig überbewertet.
Vermögende zu belasten, hat nicht die von Ihnen immer
behaupteten negativen Auswirkungen auf die Binnenkonjunktur. Die einzige Folge wäre, dass den Finanzmärkten Geld zur Spekulation entzogen würde. Auch
das wäre neben der geforderten Transaktionsteuer ein
Schritt zur Bereinigung der Finanzmarktkrise.
({2})
Es muss für viele Beschäftigte wie Hohn klingen,
dass Sie permanent über die hohen Beschäftigungszahlen jubeln. Ja, viel mehr Menschen haben Arbeit, aber
viele können davon nicht ohne Zuschuss leben. Oft war
vom Aufschwung der Niedriglöhne und der prekären
Beschäftigung etc. die Rede. Lassen Sie mich ergänzen:
Frauen müssen neben einem Vollzeitjob noch im Minijob putzen oder kellnern oder sich und die Kinder mit
zwei, drei oder vier Minijobs über Wasser halten. Das ist
Ihr Familienprogramm für Arme. Es gibt so viele Millionäre wie nie zuvor, gleichzeitig müssen immer mehr
Menschen an der Suppenküche anstehen.
Diese Entwicklung bleibt nicht beim Niedriglohnsektor stehen. Wiederum das DIW hat in seiner Studie zur
Arbeitsmarktentwicklung nachgewiesen, dass seit 2005
die Zuwächse bei mittleren und höheren Lohngruppen
längst durch Kaufkraftschwund aufgefressen werden.
Der gesetzliche Mindestlohn, die Zurückdrängung von
Leiharbeit, die Sozialversicherungspflicht von Minijobs
ab der ersten Stunde und der Grundsatz „Gleicher Lohn
für gleichwertige Arbeit“ sind nicht nur eine Frage der
Würde, sondern auch wirtschaftlich dringend notwendig.
({3})
Auf europäischer Ebene gießen Sie Öl ins Krisenfeuer, statt zu löschen. Die Binnenmarktschwäche hat
auch zur Folge, dass Deutsche nicht mehr Waren aus
dem europäischen Ausland importieren, insbesondere
aus den Krisenländern. Das wäre unter anderem aber
notwendig, um deren Wachstum zu stärken. Stattdessen
sind EU-weit insbesondere auf Ihre Initiative hin Kürzungsprogramme im Umfang von 400 Milliarden Euro
aufgelegt worden. Mit dem Handelsblatt stellt die Linke
fest:
Die Frage, woher denn noch Wachstum kommen
soll, wenn die gesamte Euro-Zone die Ausgaben
senkt, ist mit Blick auf die Konjunkturprognosen
für die Euro-Zone mehr als berechtigt. Doch die
Antwort, die Merkel auf diese Frage gibt, ist nicht
überzeugend. Sie lautet: Wer ohnehin tief in der Rezession steckt, soll noch weniger ausgeben.
Ich füge hinzu: und damit noch tiefer in der Rezession
versinken.
Wenn Sie die Binnennachfrage der Euro-Zone auf
Jahre hinaus ersticken, kehrt das wie ein Bumerang nach
Deutschland zurück; denn 60 Prozent der deutschen Exporte gehen nach wie vor in die Länder der Euro-Zone.
Die anderen Staaten beneiden Deutschland nicht um seine
Exportstärke. Es geht auch nicht um eine Entschuldigung
für die Exportstärke, Herr Rösler. Im Gegenteil: Die G 20
- deren Teil Sie ohne Zweifel sind -, das Europaparlament, der Europäische Rat und die EU-Kommission haben sich darauf geeinigt, Länder mit starken Leistungsbilanzüberschüssen wie Deutschland müssten Maßnahmen
zur Stärkung des Binnenmarktes vorlegen. So massiv Sie
Krisenländern Sparprogramme aufzwingen, so entschieden blockieren Sie diese Regelung auf europäischer
Ebene. Die Bundesregierung will jetzt den Schwellenwert
dafür auf 7 Prozent setzen lassen. Damit wird dieses Vorhaben zur Farce. Das ist Ihr wirtschaftspolitisches Armutszeugnis in Europa.
({4})
Eine Orientierung auf eine sozial-ökologische Erneuerung fehlt im Haushalt. Herr Rösler, Ihr Streit mit Umweltminister Röttgen ist dafür symptomatisch. Verbindliche Vorgaben für Energieeffizienz soll es nach Ihrem
Willen nicht geben. Verbindliche Schritte zur Erhöhung
der Ressourceneffizienz und der massive Ausbau der erneuerbaren Energien fehlen auch in diesem Haushalt.
Wenn sich herausstellt, dass die Klima- und die Effizienzziele für 2020 aufgrund Ihrer Verweigerungshaltung nicht erreicht werden können, zucken Sie mit den
Schultern.
Die FDP würgt die Erfolgsgeschichte der Unternehmen im ökologischen Sektor ab. Diese Erfolgsgeschichte
wurde geprägt von kommunalen, kleinen und mittleren
Unternehmen und Genossenschaften und nicht von den
großen Vier. Diese haben die Entwicklung verschlafen.
Jetzt versuchen Sie, ihnen dadurch, dass Sie Hochleistungsnetze etc. in den Mittelpunkt der Energiewende stellen, wieder auf die Sprünge zu helfen. Ihre Wirtschaftspolitik - Herr Brüderle, wenn Sie schon da sind, spreche
ich auch Sie an ({5})
ist nicht der Dreiklang von Investieren, Stabilisieren und
Entlasten.
({6})
Im Gegenteil: Das ist ein Haushalt zur Förderung des
wirtschaftlichen Abschwungs, der Verarmung vieler und
des Blindflugs im Bereich der sozial-ökologischen Erneuerung.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat nun die Kollegin Ingrid Nestle für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe aus den Reihen der Koalition heute
früh einen klugen Satz gehört.
({0})
Herr Luther, Sie haben nämlich gesagt: Wir müssen dafür sorgen, dass Deutschland auch morgen noch gut dasteht. - Vor diesem Hintergrund fand ich Ihre Rede,
Minister Rösler - das muss ich sagen -, wirklich gruselig.
({1})
In Europa brennt die Luft. Alle seriösen Politiker arbeiten auf Hochtouren, um in Zeiten der Finanzkrise
eine Perspektive für die europäische Wirtschaft aufzuzeigen. Und was tun Sie? Sie äußern einige fromme
Wünsche:
({2})
Ich möchte, dass wir immer weiter viel mehr exportieren
als importieren. Dafür müssen andere Länder natürlich
Schulden aufbauen, und es sollen keinerlei Transfergelder fließen. - Ich glaube Ihnen, dass das Ihre frommen
Wünsche sind. Ich frage Sie aber: Haben Sie überhaupt
nicht den Ernst der Lage verstanden? Haben Sie überhaupt nicht begriffen, worum es hier gerade geht? Sie
leugnen einfach die Realität. Sie nennen Zahlen aus diesem und dem letzten Jahr und sagen fröhlich: Ich hoffe,
es geht alles immer so weiter. - Bestimmt geht alles immer so weiter, wenn wir nichts tun. Nein, Herr Rösler,
Sie tragen Verantwortung; wirklich Verantwortung. An
dieser Stelle geht es nicht um Polemik, sondern darum,
die Lage zu erkennen und dementsprechend zu handeln.
({3})
Sie haben auch die Energiewende angesprochen. In
letzter Zeit wurde ich öfter von Journalisten gefragt: Was
ist eigentlich aus der Energiewende geworden? Man hört
ja gar nichts mehr. Was macht denn die Regierung?
Habe ich es nur nicht mitbekommen, oder macht sie
wirklich nichts?
({4})
Sie hatten die Chance, mit diesem Haushaltsplan zu zeigen: Ja, wir machen etwas für die Energiewende. Aber
was passiert tatsächlich? Der Mittelansatz für die Energieforschung wird im Wirtschaftshaushalt sogar leicht
gesenkt. Die Mittel für die Förderung der erneuerbaren
Energien werden gekürzt. Mittel für die Stellen für die
BNetzA sind erst nach deutlichem Protest eingestellt
worden, obwohl Sie ohne diese Stellen Ihre Gesetze, die
Sie vor ein paar Monaten, im Sommer, beschlossen haben, gar nicht umsetzen können.
Dann sagen Sie: Wir haben den Energie- und Klimafonds. - Die Höhe der Einnahmen aus dem Energie- und
Klimafonds steht in den Sternen. Die Einnahmen aus
dem Emissionshandel sind deutlich zurückgegangen; die
sogenannte Brennelementesteuer wurde schon teilweise
zurückgezahlt.
({5})
Mit diesem Energie- und Klimafonds schaffen Sie erstens keine Investitionssicherheit für die Energiewende.
Zweitens: Selbst wenn die Gelder so fließen, wie Sie
sich das erträumen, haben wir weniger Geld für die Gebäudesanierung zur Verfügung als 2009. Dazu kommt:
Sie fördern mit diesen Geldern energieintensive Unternehmen. Sie fördern damit den Stromverbrauch. Welch
zynische Verwendung der Mittel aus dem Klimafonds!
Außerdem fordern Sie, mehr Geld aus diesem Fonds für
den Neubau von Kohlekraftwerken auszugeben als für
die Förderung des effizienten Verbrauchs von Strom.
Das ist das ewiggestrige Denken: Immer mehr fossile
Produktion, aber nicht effizient und zukunftsgewandt.
Das ist wirklich zynisch. Das sind die völlig falschen
Prioritäten.
({6})
Minister Rösler, Sie haben von Ihrem Brief und Ihrer
Bitte an die Umweltverbände berichtet, sich für Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke und Stromnetze einzusetzen.
Sie sollten nicht nur Briefe verschicken, sondern auch
zuhören, welche Reaktionen Sie bekommen. Es gibt
nämlich aus der Umweltbranche durchaus schon Reaktionen. Ich möchte einen sehr treffenden Satz von
Greenpeace zitieren: Offensichtlich hat Minister Rösler
den Sinn der Energiewende nicht verstanden.
({7})
Der Sinn der Energiewende ist tatsächlich nicht, neue
Kohlekraftwerke zu bauen und damit die Klimaziele in
unerreichbare Ferne zu rücken. Noch nicht einmal die
Energiebranche sagt, dass wir neue Kohlekraftwerke
brauchen.
({8})
Auch die Energieversorger in Deutschland haben sich
schon dahin gehend geäußert: Wir haben genug Kapazitäten. Man braucht für die nächsten Jahre keine weiteren
Kapazitäten. - Sie haben an keiner Stelle aufgezeigt, wie
Sie zu der absurden Vermutung kommen, wir bräuchten
neue Kohlekraftwerke. Ganz im Gegenteil: Alle Studien
zeigen, neue Kohlekraftwerke, inflexible Kohlekraftwerke, die zu den flexiblen erneuerbaren Energien nicht
passen, sind eine massive Bremse im Energiesystem.
Wir brauchen sie nicht. Wir haben ausreichende Kapazitäten. Sie machen die Klimaziele vollkommen unerreichbar. Deswegen ist es klar, dass wir uns genauso wie
die Umweltverbände strikt gegen den Neubau von Kohlekraftwerken einsetzen.
({9})
- Jetzt kommt natürlich die alte Leier von der rechten
Seite des Hauses: Es ist klar, Sie sind immer dagegen. Das ist auch Teil Ihres Briefes und Ihres Statements,
Herr Fuchs, nämlich so zu tun, als würden wir, wenn wir
uns gegen Kohlekraftwerke aussprechen, alles blockieren, auch Gaskraftwerke und Stromnetze. Ich kann Ihnen
sagen, dass die Umweltverbände schon geantwortet haben. Sie haben genauso wie wir gesagt: Für einen sinnvollen Netzausbau setzen wir uns natürlich ein. Voraussetzung ist jedoch, dass man ein Gaskraftwerk braucht
und den Beweis hat, wo man es braucht. Eine blinde
Förderung wie bei Ihnen im Kraftwerksförderprogramm
kommt nicht infrage. Sie unterstützen jedes Kraftwerk,
ob es nun an der Küste steht, wo kein Mensch es
braucht, oder im Süden Deutschlands, wo es gebraucht
wird. Wenn ein Gaskraftwerk gebraucht wird, dann unterstützen wir natürlich den Bau dieses Gaskraftwerks.
Sie können sich nicht damit abfinden, dass die Energiewende funktioniert. Sie können sich nicht damit
abfinden, dass wir ein schlüssiges Konzept vorgelegt
haben,
({10})
dass wir uns für Netzausbau, für Gaskraftwerke aussprechen.
Herr Fuchs, Sie haben gesagt, man muss dann auch
zum Netzausbau stehen.
({11})
- Das tue ich. Ich bin ständig in Deutschland unterwegs.
Ich war bei vielen Bürgerinitiativen vor Ort.
({12})
Ich werbe vor Ort für einen sinnvollen, menschenfreundlichen Ausbau der Netze. Ich habe von keiner einzigen
Bürgerinitiative gehört, dass Sie auch nur einmal vor Ort
gewesen wären und geworben hätten. Es ist nicht die
feine Art, mit Fingern auf andere zu zeigen, die sich sehr
viel mehr einsetzen.
({13})
Diese Realitätsverweigerung finde ich sehr interessant. Seit zwei Jahren betone ich hier immer wieder, dass
wir natürlich zu einem sinnvollen Netzausbau stehen.
Trotzdem kommen Sie weiterhin mit dieser Andeutung:
Na, Sie sind ja dagegen. - Sie können sich nicht damit
abfinden, dass wir einen schlüssigen, sinnvollen Vorschlag gemacht haben. Sie können das offensichtlich
nicht akzeptieren und mit uns auf einer sachlichen Ebene
diskutieren, sondern müssen die Generalanschuldigungen vorbringen, weil Sie es einfach nicht glauben wollen, dass die Energiewende funktioniert. Deshalb
schwenken Sie immer auf den ewiggestrigen Kurs ein.
Immerhin haben Sie es jetzt deutlich und offen gesagt
- bisher haben Sie sich immer hinter dem Begriff „fossil“ versteckt -, dass Sie neue Kohlekraftwerke wollen.
Das ist keine Energiewende! Das ist Rückschritt! Das ist
die Vergangenheit; das ist nicht die Zukunft! Und dagegen werden wir uns wehren!
({14})
Das Wort erhält der Kollege Joachim Pfeiffer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist doch unstrittig - darauf sollten wir stolz sein -,
dass Deutschland gut dasteht.
({0})
Deutschland steht deshalb gut da, weil wir im letzten
Jahrzehnt unsere Hausaufgaben gemacht haben. Dass
wir heute gut dastehen, ist ein Ergebnis der Politik von
Konsolidieren und Wachsen. In den letzten zwei Jahren
- Herr Heil, da hat mit Sicherheit nicht die SPD regiert,
die Grünen erst recht nicht; von den Linken wollen wir
gar nicht sprechen - haben wir das historisch höchste
Wachstum seit der Wiedervereinigung erreicht: 3,6 Prozent im letzten Jahr und 3 Prozent in diesem Jahr. Das ist
das Ergebnis guter wachstumsorientierter Politik.
({1})
Deutschland ist wettbewerbsfähig. Wir sollten das
nicht verstecken. Wir können vielmehr auf unsere Exportüberschüsse stolz sein. Das gilt nicht nur für
Deutschland, sondern für ganz Europa. Ohne die deutschen Exportüberschüsse hätte die Euro-Zone insgesamt
ein Handelsbilanzdefizit. Dann wären wir in der gleichen Situation, in der sich jetzt die USA befinden. Das
will ich nicht. Ich will, dass - auch was Güter und
Dienstleistungen anbelangt - die Euro-Zone wettbewerbsfähig ist.
({2})
Deutschland steht insbesondere am Arbeitsmarkt gut
da. Das, was Kollege Claus und manch andere hier vortragen, ist schon abwegig. Heute sind 2 Millionen Menschen mehr in Arbeit als 2005. Es gibt 41,5 Millionen
Erwerbstätige; das ist die höchste Zahl der Erwerbstätigen, die wir jemals in Deutschland hatten. Dies spart uns
auch Geld. 100 000 Arbeitslose, die Arbeitslosengeld
bekommen, kosten den Bund etwa 1,6 Milliarden Euro.
100 000 Hartz-IV-Empfänger kosten den Bund etwa
0,5 Milliarden Euro. Durch 100 000 Arbeitnehmer mehr
sind rund 2 Milliarden Euro Mehreinnahmen zu verzeichnen, weil es mehr Steuereinnahmen gibt und mehr
Sozialversicherungsbeiträge an die Arbeitslosen- und
Rentenversicherung gezahlt werden. Heute haben wir
insgesamt mehr als 40 Milliarden Euro mehr zur VerfüDr. Joachim Pfeiffer
gung, weil die Situation auf dem Arbeitsmarkt besser ist.
Auch das ist das Ergebnis wachstumsorientierter Politik.
Das kommt beim Bürger an. Wir entlasten diejenigen,
die etwas leisten, die arbeiten. Deshalb wollen wir die
kalte Progression abmildern. Deshalb wollen wir den
Grundfreibetrag erhöhen.
({3})
Deshalb werden wir die Abgaben senken. Wir sind im
nächsten Jahr in der Lage, die Rentenversicherungsbeiträge, wenn auch nur leicht, zu senken. Unter Rot-Grün
wurden die Abgaben immer erhöht, bei uns bleiben sie
stabil oder werden sogar gesenkt. Das kommt beim Arbeitnehmer, beim Bürger an.
({4})
Schauen Sie sich die Situation der Bundesagentur für
Arbeit an. Ursprünglich rechnete man in diesem Jahr mit
einem Defizit in Höhe von 5,4 Milliarden Euro. Jetzt beträgt es 500 Millionen Euro. Diese Gelder fallen nicht
vom Himmel, sondern müssen entweder von den Beitragszahlern durch Abgaben aufgebracht werden - sie
stehen den Beitragszahlern dann nicht zur Verfügung oder kommen aus dem Haushalt, also aus Steuern, die
auch vom Bürger aufgebracht werden; denn auch die
Steuern fallen nicht vom Himmel.
In diesem Jahr - auch das ist eine Mär, wenn Sie sagen, es wäre nicht so - ist die Binnennachfrage der Träger des Wachstums. Die Binnennachfrage leistet dieses
Jahr einen größeren Beitrag zum Wachstum als der Export. Insofern stimmt es nicht, dass der Aufschwung
nicht bei den Bürgern ankommt; das Gegenteil ist der
Fall. Dies ist das Ergebnis. In diesem und im nächsten
Jahr gibt es Reallohnzuwächse. Auch die Rentner profitieren. Das ist das Ergebnis unserer wachstumsorientierten Politik.
({5})
Wir machen Politik nicht zur Alimentierung von
Hartz-IV-Empfängern - das machen Sie -,
({6})
sondern wir betreiben Politik so, dass es weniger HartzIV-Empfänger gibt, dass die Menschen eine Perspektive
haben, dass sie über Zeitarbeit, über Flexibilität eine
Brücke in den Arbeitsmarkt bekommen. Dann wird ein
Schuh daraus.
({7})
Es gibt keinen Anstieg der Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse. Wir sind nicht das Land der Lohndrücker.
Ganz im Gegenteil: Wir haben den höchsten Anteil der
sozialversicherungspflichtigen Vollzeiterwerbstätigkeit,
den es jemals in dieser Republik gab. Also behaupten
Sie hier nicht ständig wider besseres Wissen das Gegenteil!
({8})
Wir bleiben aber nicht stehen, wir ruhen uns nicht
aus, sondern wir arbeiten weiter, beispielsweise am Arbeitsmarkt. Das Thema Fachkräfte ist vorhin schon angesprochen worden. Wir unterlassen auch nichts, das Potenzial, das sich aus der demografischen Entwicklung
ergibt, weiter auszuschöpfen. Hinzu kommen die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie,
({9})
die Förderung qualifizierter Frauen am Arbeitsmarkt,
({10})
die Förderung von Schulabbrechern, Migranten und
Menschen mit geringerem Qualifizierungsniveau. Wir
können es uns nicht mehr leisten, Menschen zurückzulassen.
({11})
Vor allem ist es gelungen - diese Zahlen werden wir
weiter steigern -, die Erwerbstätigkeit der Älteren zu erhöhen. Während noch im Jahr 2000 gerade einmal
28 Prozent der Männer und 12 Prozent der Frauen in der
Gruppe der 60- bis 64-Jährigen erwerbstätig waren, waren es im Jahr 2010 49 Prozent der Männer, also über
20 Prozentpunkte mehr, und 33 Prozent der Frauen; das
entspricht fast einer Verdreifachung. Das heißt, die Menschen gehen später in Rente,
({12})
die Männer im Schnitt eineinhalb Jahre später und die
Frauen über ein Jahr später. Auch dies trägt zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes bei, schafft Wirtschaftswachstum und sorgt dafür, dass wir auch in Zukunft die
notwendigen Arbeitskräfte für unsere Wirtschaft haben
und die Sozialversicherungsbeiträge stabil halten können.
Bevor ich zu Bildung und Forschung komme, möchte
ich noch in aller Deutlichkeit ein Wort zu Euro-Bonds
sagen.
({13})
Euro-Bonds sind definitiv kein Kriseninstrument.
({14})
Ich wiederhole: Sie sind definitiv kein Kriseninstrument.
({15})
Euro-Bonds sind süßes Gift, Sozialismus und Teufelszeug,
({16})
weil sie in der Tat Anreize setzen, sich nicht anzustrengen, um besser zu werden. Vielmehr tragen sie dazu bei,
diejenigen, die es haben schleifen lassen, in ihrer Situation zu belassen.
({17})
Der Druck muss im Kessel gehalten werden. EuroBonds sind mit Sicherheit kein Kriseninstrument.
({18})
Euro-Bonds wird es mit uns als CDU/CSU und in dieser
Regierung auch mit der FDP nicht geben.
({19})
Euro-Bonds können maximal der Schlussstein einer
erfolgreichen europäischen Integration
({20})
in der Finanz-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik sein,
aber kein Kriseninstrument. Ein solcher Schlussstein
kann vielleicht in 10, 15 Jahren gesetzt werden, wenn
wir all unsere Vorhaben erreicht haben, aber sicher nicht
jetzt und sicher nicht in den nächsten Jahren. Das ist für
mich eine absolute Selbstverständlichkeit.
({21})
Wo kommt das Wachstum von morgen her? Wer
heute nicht sät, kann morgen und übermorgen nicht ernten. Deshalb steigern wir die Forschungsausgaben beträchtlich. Es wurde gerade von Frau Nestle behauptet,
die Mittel für die Energieforschung gingen zurück. Ich
weiß ja nicht, ob Sie den rot-grünen Haushalt von 2005
gelesen haben. Bei unserem Haushalt jedenfalls ist das
Gegenteil der Fall: Wir steigern die Ausgaben für die
Energieforschung von 2011 bis 2014 auf 3,5 Milliarden
Euro. Das entspricht, verglichen mit der entsprechenden
Periode unter Rot-Grün, einer Steigerung um 75 Prozent.
Dennoch stellen Sie sich hier hin und sagen, wir würden
weniger Geld für die Energieforschung ausgeben. Also,
entweder behaupten Sie das wider besseres Wissen, oder
Sie versuchen, die Leute in die Irre zu führen.
Von Bedeutung sind auch weitere Technologien, im
Energiebereich, aber auch in anderen Bereichen. Ich
kann nur die Überschriften nennen: Weltraumforschung,
Weltraumtechnik, Energieforschung, Biotechnologie,
Forschung und Technologie im Mobilitätsbereich - ein
weiterer Schwerpunkt, für den wir über 1 Milliarde Euro
zusätzlich bereitstellen -, Geowissenschaften und Bildungsforschung. Insgesamt stellen wir hierfür 16 Milliarden Euro zur Verfügung. Wir geben fast 50 Prozent
mehr für den Forschungsbereich aus, als Sie es 2002 getan haben. Damit sind wir schon fast dort, wo wir hinwollen. Im nächsten Jahr geben wir 9,3 bis 9,4 Prozent
des Bruttosozialprodukts für Bildung und Forschung
aus; 10 Prozent haben wir uns zum Ziel gesetzt.
Das heißt, die Richtung und der Weg stimmen, nicht
nur was die Haushaltskonsolidierung und die heutigen
Wachstumszahlen angeht, sondern auch mit Blick auf
die Zukunft. Wir legen die Grundlagen dafür, dass
Deutschland auch weiterhin erfolgreich ist und wachsen
kann und wir in diesem Land eine Perspektive für
Wachstum und Beschäftigung haben. Deshalb stimmen
wir diesem Haushalt mit großer Freude zu.
Vielen Dank.
({22})
Der Kollege Duin hat nun das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister
Rösler, als ich Ihrer Rede zugehört habe, habe ich mich
wie auch andere Kolleginnen und Kollegen gefragt, in
welcher Welt Sie eigentlich leben. Sich hier hinzustellen
und ein Bild zu malen, das sich mit den Worten zusammenfassen lässt: „Alles ist wunderbar“, das wird Ihrem
Amt und der Verantwortung, die Sie damit übernommen
haben, nicht gerecht. Ob Sie in der FDP erfolgreich sind
oder nicht, kann uns allen in Deutschland komplett egal
sein. Aber ob Sie als Wirtschaftsminister Ihrer Verantwortung gerecht werden, das darf diesem Land nicht
egal sein. Durch Ihre Rede haben Sie deutlich gemacht,
dass Sie dieser Verantwortung nicht gerecht werden.
({0})
Sie haben offensichtlich überhaupt nicht zur Kenntnis
genommen, was zum Beispiel die Wirtschaftsweisen erst
vor wenigen Wochen uns allen ins Stammbuch geschrieben haben. Sie haben überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, wie die reale Lage in ganz vielen Branchen ist.
Nehmen Sie nur einmal - sie ist für Deutschland nicht
ganz unwichtig - die Automobilbranche. Sie hat in
Deutschland und in Europa die geringste Nachfrage seit
16 Jahren. So ist es auch in vielen anderen Branchen. Wir
sind in einer konjunkturellen Phase, die mit Verlangsamung noch schön umschrieben ist. Nach den erfolgreichen Zeiten kommen wir jetzt in eine Lage, in der prävenGarrelt Duin
tives Handeln erforderlich ist. Sie sind doch ausgebildeter
Mediziner. Sie wissen doch, wie wichtig Prävention ist.
Warum spielt das in Ihrer Politik überhaupt keine Rolle?
Sie wollen immer erst handeln, wenn das Kind in den
Brunnen gefallen ist.
({1})
Sie machen auch eine Politik - Sie haben das heute
noch einmal verteidigt -, die wirklich überhaupt nicht
mehr in die Zeit passt. Nehmen wir nur das Beispiel der
sogenannten Steuersenkung mit einem geplanten Volumen von 6 Milliarden Euro. Dadurch wollen Sie auch
Wachstumsimpulse setzen. Wenn bei den Menschen, um
die Herr Pfeiffer, wie er gerade hier gesagt hat, ringen will,
also den Menschen, die jeden Tag hart arbeiten, 4, 5 oder
6 Euro ankommen, dann wird dadurch überhaupt nichts
ausgelöst. Wenn man dieses Geld in der gesamten
Summe in den Ausbau der Infrastruktur in Deutschland
investieren würde, für Straße, Schiene, Wasserstraße, für
den Ausbau der Energienetze - darauf komme ich gleich
noch zu sprechen -, oder für den Breitbandausbau, dann
wäre für die Zukunft in Deutschland etwas getan. Das
wäre besser, als das Geld durch Steuersenkungen zu verpulvern.
({2})
Ich darf an noch etwas erinnern, was Sie selbst oft eingefordert haben und was auch in der Koalitionsvereinbarung steht - Herr Professor Riesenhuber streitet immer
wieder für dieses Thema -, nämlich die steuerliche Forschungsförderung. Dadurch würden in Deutschland Investitionen ausgelöst. Durch Ihre Steuersenkung auf
Pump passiert gar nichts. Deswegen ist das ein solcher
Irrweg.
({3})
Ich fand in Ihrer Rede auch sehr bemerkenswert, was
Sie zu der europäischen Ebene gesagt haben. Man kann
auf Dauer als Bundesregierung, als Koalition so nicht
agieren, wenn man diese Ebene ernst nimmt, und dass
wir das tun sollten, ist offensichtlich. Man kann sich als
Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion nicht auf einem
Parteitag hinstellen und in unglaublich arroganter Weise
darüber schwadronieren, dass man in Europa jetzt
Deutsch spreche, während der Wirtschaftsminister in der
europäischen Szene überhaupt nicht vorkommt.
Man kann als Bundesregierung vor allen Dingen nicht
mit so gespaltener Zunge reden, wie Sie das tun. Herr
Schäuble kämpft in Europa - nach einem gewissen Lernprozess, er hat diese Steuer nicht erfunden, aber er
kämpft inzwischen absolut glaubwürdig; das nehme ich
ihm wirklich ab - für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Die gleiche Bundesregierung, vertreten
durch den Bundeswirtschaftsminister - das bezieht sich
aber auch auf viele andere in der FDP; Herr Solms macht
das im Ausschuss jedes Mal -, stellt sich hier hin und erzählt im Kern genau das Gegenteil. So werden Sie auf
der europäischen Ebene keinen Erfolg haben. Das schadet uns. So kann man nicht agieren.
({4})
Lieber Herr Rösler, Sie haben über ein paar Monate
als Wirtschaftsminister in Niedersachsen ein bisschen
Erfahrung sammeln können. Deswegen wissen Sie - das
haben wir in der Großen Koalition damals gemeinsam
auf den Weg gebracht -, welch große Bedeutung das
VW-Gesetz hat. Mit dem heutigen Tage legt die EUKommission wieder die Axt an dieses Gesetz. Ich erwarte von einem Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland, dass er sich zu Wort meldet - nicht nur
vom niedersächsischen Ministerpräsidenten; der hat das
bereits getan -, dass er sich hier hinstellt und sagt:
Hände weg vom VW-Gesetz! Das, was die Kommission
vorhat, wollen wir nicht.
({5})
Lassen Sie mich, weil Sie das in Ihrer Rede aufgegriffen haben, das Thema Energiepolitik streifen. Wir sind
uns völlig einig, dass der Umbau des Energiesystems ein
wesentlicher Bestandteil moderner Industriepolitik ist.
Das haben Sie sinngemäß gerade gesagt. Wenn das so
ist, dann duldet vieles im Bereich der Energiepolitik keinen Aufschub. Die Energiewende mit den Beschlüssen
vom Sommer löst die Probleme nicht. Wir müssen jetzt
möglichst schnell und kraftvoll weitere Schritte gehen.
Nicht ich, sondern Kurt Lauk - er ist, wie Sie wissen,
kein Sozialdemokrat, sondern ein führender Vertreter
von Wirtschaftsinteressen innerhalb der CDU - hat am
14. November im Handelsblatt festgestellt:
Noch immer fehlen klare Antworten: Was ist technisch machbar? Wie wird die Energiewende finanziert? Wie schaffen wir die notwendige Akzeptanz
in der Bevölkerung? Wann ist die neue Infrastruktur
fertig erstellt und leistungsfähig? Wie gehen wir mit
den Bürgerprotesten bei den Infrastrukturprojekten
um?
Das sind Fragen, die sich die ganze Gesellschaft stellt:
die Bürgerinnen und Bürger, die Industrie und die Wirtschaft in diesem Land. Sie aber bleiben jede Antwort
schuldig, Herr Minister. Das ist keine verantwortungsvolle Politik.
({6})
Wir brauchen - das wird von verschiedener Stelle eingefordert, aber von Ihnen kommt nichts - einen Masterplan mit einer konkreten Zeitachse, aus dem hervorgeht,
welche Schritte wir in den nächsten Jahren gehen wollen. Es geht um Versorgungssicherheit in der Übergangszeit bis zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien.
Dafür braucht man aber eine Strategie. Das kann man als
Minister nicht nur am Pult einfordern, sondern man
muss es auch konkret unterlegen.
Sie kennen doch den Brandbrief des Netzbetreibers
TenneT, in dem es heißt, dass wir den notwendigen
Netzausbau für Offshorewindenergie, den wir nach meiner Überzeugung dringend brauchen, nicht hinbekommen werden, weil bestimmte Voraussetzungen dafür
nicht vorliegen. Ein Achselzucken reicht nicht aus. Man
muss einen konkreten Plan vorlegen, wie der Netzausbau gestaltet werden soll.
({7})
Dasselbe ist bei der Speicherstrategie, der Energieforschung und dem KWK-Ausbau festzustellen: überall
Leerstellen in Ihrer Politik.
Ich will abschließend auf das Thema Akzeptanz zu
sprechen kommen. Ich habe eine Reihe von Bürgermeistern aus meinem Wahlkreis zu Gast. Letzten Freitag haben Sie selbst diesen Wahlkreis besucht. Deswegen darf
ich darauf Bezug nehmen. In fast jeder dieser Gemeinden gibt es eine Bürgerinitiative, mal gegen die Biogasanlage, die dort errichtet werden soll, mal gegen den
Windpark, mal gegen den Netzausbau.
({8})
- Nein, das hat mit den Grünen nichts zu tun. Auch die
Bürgermeister können nichts dafür. - Das hat etwas damit zu tun, dass durch Ihren Zickzackkurs das Vertrauen
der Bevölkerung in eine verlässliche Energiewende verloren gegangen ist. Das ist der Punkt.
({9})
Die Menschen sind nicht bereit, die Belastungen - die
durchaus vorhanden sind, wenn in ihrer Nachbarschaft
ein Windpark errichtet oder das Netz ausgebaut wird;
das wollen wir gar nicht in Abrede stellen - zu akzeptieren, wenn ihnen wie heute der Wirtschaftsminister mitteilt, dass nebenan auch noch ein Kohlekraftwerk gebaut
werden soll. Dann geht die Akzeptanz in der Bevölkerung verloren. Dafür tragen Sie die Verantwortung, nicht
die Sozis, die Grünen oder irgendjemand anders.
({10})
Lieber Herr Rösler, nach den paar Monaten, die Sie
im Amt sind, haben wir uns gefragt, was von der Politik,
die Sie machen, in Erinnerung bleiben wird. Auch in
Niedersachsen - ich habe es bereits erwähnt - waren Sie
Wirtschaftsminister. Wenn man dort nachfragt, erinnern
sich die Menschen an Sie, insbesondere deswegen, weil
Sie auf vielen Volksfesten bei Ihren Reden als Handpuppenspieler aufgetreten sind. Sie haben die Handpuppe
Willi - so hieß sie, glaube ich - weggelegt, als Sie aus
Niedersachsen weggegangen sind und auf Bundesebene
Ihr Amt angetreten haben. Sie treten nicht mehr damit
auf. Lieber Herr Rösler, an Herrn Brüderle können wir
uns genau erinnern. Wir wussten, wofür er steht und was
er macht, auch wenn wir seine Position, ob bei Opel,
Karstadt oder in anderen Fällen, nicht immer geteilt haben. Ich kann Ihnen nur empfehlen, Herr Rösler: Holen
Sie die Handpuppe wieder heraus, damit wir uns wenigstens an etwas erinnern, das mit Ihrer Amtszeit zu tun hat.
({11})
Herr Kollege Duin, Sie haben die Zwischenfrage versäumt, die der Kollege Ernst Hinsken stellen wollte.
Aber es war zu spät, Kollege Hinsken.
Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Martin Lindner
für die Fraktion der FDP.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Die
Bundesregierung steht zur Energiewende. Die Energiewende findet nicht etwa wegen eines angeblichen
Zickzackkurses bei Teilen der Bevölkerung keinen Widerhall, Herr Duin,
({0})
sondern wegen Ihres Populismus, den Sie vor Ort in den
Ländern und Gemeinden, die Sie angesprochen haben,
pflegen.
({1})
Sie postulieren hier groß die Energiewende, aber dort,
wo Sie in der Verantwortung stehen, beispielsweise als
Juniorpartner in Baden-Württemberg, eiern Sie herum.
Hier erzeugen Sie ein Gefühl von Unsicherheit, statt gemeinsam zum Netzausbau und auch zum Ausbau fossiler
Energie zu stehen. Das ist für eine Partei, die sich selbst
rühmt, noch Reste von Industriepolitik zu machen, wirklich eine Schande. Das kann ich Ihnen an dieser Stelle
nur sagen.
({2})
Wir werden die Energiewende mutig und kraftvoll
vertreten, aber wir werden nicht zulassen - das sage ich
vor allen Dingen in Richtung der Grünen -, dass die
Energiewende zu einer Deindustrialisierung dieses Landes genutzt wird.
({3})
Man muss sich einmal die Preise anschauen und sich fragen, in welcher Verantwortung wir hier stehen. Wenn Sie
die internationalen Strompreise vergleichen, dann stellen
Sie fest, dass der Strompreis für die Industrie in Nachbarländern wie Frankreich 7,5 Eurocent pro Kilowattstunde
beträgt, während wir hier bei 11,8 Eurocent liegen. Wir
sind deswegen gefordert, uns dafür einzusetzen, dass
auch wir bezahlbare Energiepreise haben und keine Fantasiepreise, wie es Ihnen vorschwebt.
Dr. Martin Lindner ({4})
({5})
Deswegen setzt sich diese Koalition für eine Begrenzung
der EEG-Umlage auf 3,5 Cent pro Kilowattstunde ein.
Wir setzen uns auch dafür ein, die Subventionen zu
überprüfen, sehr geehrter Herr Namenskollege. Das war
doch ein Kabinettstückchen besonderer Art: Sie stellen
sich hier hin und werfen dieser Bundesregierung vor, zu
wenig für den Subventionsabbau zu tun.
({6})
Wenn wir aber an die Subventionen für die Photovoltaikindustrie herangehen wollen, dann ist bei Ihnen Schluss,
weil Sie ein Klientelpolitiker sind.
({7})
Die Solarenergieindustrie kassiert jedes Jahr 7 Milliarden Euro an Förderung, obwohl der Anteil der Solarenergie an der Stromversorgung gerade einmal 3 Prozent
beträgt. Sie aber stehen wie die Löwen davor, weil es um
Ihre Klientel, Ihre Spender und um Versorgungsposten
für Ihre Kollegen geht. Da machen wir aber nicht mit;
das kann ich Ihnen an dieser Stelle sagen.
({8})
Es wäre interessant, zu sehen, ob Sie auch hier so mutig
sind, wenn es um Subventionskürzungen geht.
Ich finde auch immer spannend, wenn vor allen Dingen die Linke, teilweise aber auch Sie von den Grünen
die hohen Exporte Deutschlands kritisieren, aber auf der
anderen Seite Zeter und Mordio schreien, wenn wir die
Binnennachfrage stärken wollen, indem wir etwas für
die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen tun, wie
durch die vorgeschlagene Steuerreform. Das ist doch
Klientelpolitik, was Sie hier machen. Ich bin einmal gespannt, ob Sie uns auch vorhalten, im Haushalt sei kein
Geld dafür da, wenn wir an eine Hartz-IV-Erhöhung
denken. So sieht es doch aus: Für die Bezieher kleiner
und mittlerer Einkommen ist bei Ihnen nichts zu holen.
Wir als Koalition stehen dafür, auch für die Menschen
etwas tun, die täglich aufstehen und arbeiten und nicht
im Bett liegen bleiben.
({9})
Ich komme zum letzten Punkt, zu den Euro-Bonds.
Jenseits der Frage, welche Belastung das für uns bedeuten würde, würde doch genau diese Maßnahme andere
Länder mit weniger soliden Haushalten dazu einladen,
wegen der gesunkenen Zinssätze genau das zu tun, was
schon schädlich war, nämlich noch mehr Schulden aufzunehmen. Euro-Bonds würden auf der einen Seite Zinsmehrbelastungen für unser Land bedeuten; auf der anderen Seite stünde eine Zinsvergünstigung für die Länder,
die gefordert sind, ihre Haushalte zu sanieren. Das wäre
Gift für die weitere Entwicklung. Deswegen lehnen wir
das ab.
Wir können hier natürlich gerne über die Voraussetzungen für Euro-Bonds diskutieren; aber das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden.
({10})
Eine ungedeckelte, nicht bestimmbare Übernahme von
Schulden anderer Länder verbietet uns das Bundesverfassungsgericht.
({11})
Euro-Bonds kommen also auch aus rechtlichen Gründen
nicht in Betracht für Deutschland, nicht in Betracht für
diese Bundesregierung und nicht in Betracht für diese
Koalition.
({12})
Daran gibt es auch gar nichts zu rütteln. Gestern hat die
Bundeskanzlerin in ihrer bemerkenswerten Rede klargemacht, dass es Euro-Bonds mit dieser Bundesregierung
nicht gibt. Wir werden weiter dem Pfad folgen,
({13})
andere zu ermuntern und Anreize dafür zu setzen, ihre
Haushalte in Ordnung zu bringen, und gleichzeitig Rettungsmaßnahmen auflegen, die ausreichen, um die Unwägbarkeiten abzufedern. Aber das, was die Opposition
machen will, nämlich den kompletten Zugriff anderer
Länder auf unsere Kasse zu ermöglichen, wird diese Regierung auf keinen Fall mitmachen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({14})
Vielen Dank. - Nächster Redner für die Fraktion der
CDU/CSU ist unser Kollege Dr. Georg Nüßlein. Bitte
schön, Kollege Dr. Georg Nüßlein.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Es
ist immer noch besser, die Wirtschaft gesundzubeten, als
sie totzureden. - Das hat Ludwig Erhard einmal in einer
vermutlich ähnlich gelagerten Debatte gesagt. Erstens.
Er hat recht. Zweitens. Ich bin aber auch der Überzeugung, wir sollten beides nicht tun. Die Lage ist zwar gut,
aber auch ernst zugleich. Die Menschen haben Sorge um
ihr Geld und um unsere Währung - und das aus einer
historischen deutschen Erfahrung heraus, die tief sitzt.
Deshalb müssen wir dem klar und unmissverständlich
eines entgegenhalten, nämlich Stabilität, Stabilität in
Deutschland, aber auch Stabilität in Europa.
Ich meine, dass die Bundeskanzlerin die Führungsverantwortung, die ihr zukommt, auf der europäischen
Bühne hervorragend wahrnimmt. Ich bin auch der Überzeugung, dass man Stabilität nicht nur einfordern, sondern auch vorleben muss. Dieser Haushalt ist eine gute
Etappe auf einem richtigen Weg. Das Ziel ist und bleibt
ein ausgeglichener Haushalt, so wie wir ihn in Bayern
bereits erreicht haben.
({0})
- Und in Sachsen, sehr gut. Das zeigt: Es geht. - Ich
weiß aber auch, dass es demokratisch schwierig ist, diesen Weg zu gehen. Die Rede von SPD-Berichterstatter
Brandner hat das heute wieder gezeigt. Sie haben allgemein Impulse zum Sparen eingefordert, sind aber dann
in einem langen Katalog auf die Bereiche eingegangen,
für die Sie persönlich am liebsten noch mehr Geld ausgeben wollen. Das passt nicht zusammen, lieber Kollege
Brandner.
({1})
Im Übrigen: Was die SPD angeht, so meine ich, dass
die Einführung der Schuldenbremse die große Leistung
der Großen Koalition war. Die war vollständig richtig.
Mich erschüttert schon, zu erleben, wie immer mehr
Kollegen von der SPD jetzt mit dieser Großtat hadern.
({2})
- Kommen Sie zum Beispiel in die Enquete-Kommission Wirtschaftswachstum. Da können Sie erleben, was
dazu von SPD-Kollegen gesagt wird.
({3})
Die haben Angst, dass eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik, also staatlich angestoßene Nachfrage, so
nicht mehr funktioniert. Ich kann Ihnen zu Ihrer Beruhigung sagen: Die hat auch vorher schon nicht funktioniert, alldieweil die Staaten dann nicht in der Lage sind,
in guten Zeiten ordentlich zu sparen.
({4})
Dazu muss man sagen: Sie, meine Damen und Herren,
bereuen Dinge, die Sie richtig gemacht haben: die
Agenda 2010, Hartz IV, Rente mit 67 und die Schuldenbremse. Ich als Katholik kann Ihnen sagen: Sie sollten
Sünden bereuen, nicht lichte Momente.
({5})
Doch zurück zur Schuldenkrise. Damals, als Deutschland den Euro eingeführt hat, haben wir unseren Realzinsvorteil - das war ein klarer Wettbewerbsvorteil aufgegeben. Wir haben geglaubt, dass andere Staaten
dann, wenn wir diesen Wettbewerbsvorteil nicht mehr
haben und wenn sie sich günstig finanzieren können,
dieses Geld in Investitionen stecken würden. Die Realität war eine andere. Sie haben Schulden gemacht und
konsumiert. Unsere Hoffnung wurde also nicht erfüllt.
Jetzt schöpfen wir schon wieder neue Hoffnung - Sie jedenfalls. Diesmal soll alles anders laufen, wenn wir gesamtschuldnerisch die Haftung für alle europäischen
Schulden übernehmen und den anderen europäischen
Ländern zulasten der deutschen Bonität niedrige Zinsen
garantieren. Dann soll alles besser werden, die Länder
sollen nicht mehr Schulden machen, und sie sollen nicht
mehr auf Pump konsumieren. Ich habe diese Hoffnung
nicht. Ich meine, dass das anders laufen muss. Wir müssen das Verhältnis von Solidarität und Eigenverantwortung in der Europapolitik neu überdenken, nicht nur,
aber auch im Zusammenhang mit der Euro-Krise. Es
darf nicht, wie Sie sich das vorstellen, entweder Solidarität oder Eigenverantwortung geben; es muss beides geben. Das ist das, was wir von der Union durchsetzen
wollen.
Stabilität hat eine Vorbildfunktion; aber das muss sich
auch auf die Wettbewerbsfähigkeit beziehen. Wir müssen zeigen, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit vorbildhaft stärken. Wir tun das auch mit dem Haushalt des
Wirtschaftsministeriums. Die Gemeinschaftsaufgabe ist
ebenso angesprochen worden wie die vielen Impulse im
Bereich von Forschung und Entwicklung.
Ich glaube, dass ein Thema besonders unterschätzt
wird, nämlich die Energiepolitik.
({6})
Die Energie - insbesondere die Kosten für Energie - ist
unstrittig ein Standortfaktor. Deshalb haben wir bei der
Novellierung des EEG die Entlastung der energieintensiven Industrie ganz nach vorne gestellt.
({7})
Der Kollege Lindner von der FDP hat vorhin deutlich
gemacht, wie die Situation hinsichtlich der Industriepreise aussieht: 7,5 Cent im europäischen Ausland, in
den USA gar 4 Cent und in Deutschland annähernd
12 Cent. Das ist die Realität. Deshalb müssen wir dafür
Sorge tragen, dass die Belastungen, die unstrittig aus der
Energiewende kommen, nicht zulasten der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie gehen.
({8})
- Subventionieren ist eine komplett andere Diskussion.
Wenn Ihr Anliegen eine Deindustrialisierung ist, ein Vertreiben der Industrie aus Deutschland, nur damit das
Klimaschutzziel unter statistischen Gesichtspunkten erreicht wird, dann sind wir an der Stelle auf einem falschen Weg. Ich halte es für richtig, dass wir sagen: Wir
machen die Energiewende. Wir unterhalten uns aber
auch verantwortungsvoll über die Frage, wer welche
Lasten tragen muss und tragen kann. Aus meiner Sicht
gehört die energieintensive Industrie nicht dazu.
Vielfach andiskutiert wurde die Frage, wie sich die
Einspeisung bei Photovoltaik entwickelt hat. Die ProbleDr. Georg Nüßlein
matik, die das EEG kostenseitig bringt, ist im rot-grünen
Ausgangsgesetz angelegt. Sie sind mit der Photovoltaik
zu früh an den Markt gegangen, als das noch ein Thema
von Forschung und Entwicklung war.
({9})
Sie waren im Jahr 2004 bei einer 30-kW-Dachanlage bei
einer Einspeisevergütung von 57,4 Cent. Wir sind im
ersten Halbjahr des Jahres 2011 bei 28,74 Cent gewesen,
Tendenz sinkend. Das, was Sie gemacht haben, ist
falsch. Es wäre aber auch falsch, in einer Phase, in der
sich die Preise massiv nach unten entwickeln - wir haben ein Instrument eingefügt, das als atmender Deckel
dafür sorgt, dass die Belastungen aus dem EEG von Jahr
zu Jahr drastisch sinken -, mit Schwung auf die Bremse
zu treten.
Wir sollten uns vielmehr anderen Themen widmen,
nämlich insbesondere der Frage: Wie kann man aus dem
bloßen Aufbau von Kapazitäten - das haben Sie mit dem
EEG angestoßen - eine Versorgung entwickeln?
({10})
Die Vorschläge, die heute hier beispielsweise von der
Kollegin Nestle nicht zitiert, sondern nur behauptet wurden, sind für mich nicht erkennbar. Ich erkenne nur, wo
Sie überall sagen, dass es sinnlose und sinnvolle Infrastruktur gibt; sinnlos ist es dann, wenn Sie dagegen sind.
Das ist ein Zusammenhang, der sich mir nicht erschließt.
Die Aufteilung zwischen einer guten grünen und einer
schlechten anderen Technologie ist überhaupt etwas,
was nicht in ein technologiefreundliches Deutschland
passt.
({11})
Ich bin auch erschüttert über das, was beispielsweise
zum Thema Luft- und Raumfahrttechnologie, zu EADS
gesagt worden ist; denn das macht wieder einmal deutlich, dass Sie sehr einseitig, geradezu mit einem Tunnelblick auf die sogenannten grünen Technologien fixiert
sind. Sie erkennen nicht, dass das zwar ein wichtiger
Beitrag für das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist
- das ist unstrittig -, aber dass es drum herum noch viele
andere Felder gibt, die wir alle miteinander bearbeiten
müssen und bei denen auch das Wirtschaftsministerium
Verantwortung trägt. Ich meine, dass der Wirtschaftsminister in dieser Hinsicht seiner Verantwortung gerecht
wird und einen guten Job macht.
Vielen herzlichen Dank.
({12})
Vielen Dank, Kollege Dr. Nüßlein. - Nächster Redner
für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege
Andreas Lämmel. Bitte schön, Kollege Andreas
Lämmel.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition! Sie haben natürlich ein schweres Amt; das kann ich verstehen. Ihr Kollege
Müntefering hat es einmal klar gesagt: Opposition ist
Mist. - Nun müssen Sie mit finsterem Blick hier am
Rednerpult stehen und alles hervorziehen, was auch nur
im Entferntesten negativ ist. Nicht ein einziges positives
Wort habe ich von Ihnen gehört.
({0})
Bei Ihnen geht es immer nur um dunkle Wolken und die
schlechte Zukunft, die uns bevorsteht.
Herr Heil, Sie verfügen doch sicherlich über moderne
Technologien und werden wahrscheinlich heute die
Tickermeldung gelesen haben, dass der Ifo-Geschäftsklimaindex überraschend gestiegen ist.
({1})
Das heißt, dass sich das Geschäftsklima nach Einschätzung der deutschen Wirtschaft verbessert hat.
({2})
Es wäre gut gewesen, wenn Sie hier am Rednerpult darauf hingewiesen hätten, um etwas Positives in die Diskussion einzubringen.
({3})
Blicken wir in die Zukunft. Die perspektivische wirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung im EuroRaum hängen sicherlich zusammen. Der Wirtschaftsminister und die christlich-liberale Koalition tun genau
das Richtige. Sie haben vier Schwerpunkte im vorliegenden Haushalt verankert. Meine Damen und Herren von
der Opposition, Sie sind auf alle möglichen Themen ausgewichen, um nur nicht über den Haushalt sprechen zu
müssen. Im Haushalt lassen sich jedenfalls vier Themenblöcke finden.
Erster Punkt: Unterstützung von Forschung und Technologie.
({4})
Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil in diesen Bereichen und insbesondere in der Grundlagenforschung genau das geschaffen wird, was der deutschen Wirtschaft
in den nächsten Jahren helfen wird, konkurrenzfähig zu
bleiben und noch bessere Produkte herzustellen. Sie unterschlagen einfach dieses extrem wichtige Kapitel im
Geschäftsbereich des Wirtschaftsministeriums.
Zweiter Punkt: Innovationsförderung. Ich muss Ihnen
den Unterschied zwischen Grundlagenforschung und
Innovation nicht darlegen; den kennen Sie sicherlich. Sie
hätten doch einen Satz über die Bedeutung des ZIM-Programms für den deutschen Mittelstand verlieren können.
Gerade in den wirtschaftlich schwierigen Jahren 2008,
2009 und 2010 sind die Mittel für dieses Programm aufgestockt worden und konnten Unternehmen in Gesamtdeutschland von diesem Programm profitieren. Das ist
konkrete Politik, die den Unternehmen den Weg in die
Zukunft erleichtert.
Man muss leider feststellen, dass die Innovationskraft
im Moment etwas abnimmt; denn die abgerufenen Mittel
aus dem ZIM-Programm sind gesunken. Mehr Geld
- danach rufen Sie ständig - ist also kein Wert an sich.
Vielmehr ist entscheidend, ob das Geld, das der Staat
ausgibt, sinnvoll angelegt wird.
({5})
Es ist nicht entscheidend, wie hoch ein Etat ist, sondern
ob die eingestellten Mittel sinnvoll genutzt werden. Wir
sind der Meinung, dass ausreichend Mittel für das ZIMProgramm eingestellt sind, um der deutschen Wirtschaft
zu helfen.
({6})
Dritter Punkt: Investitionsförderung. Hier geht es um
die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“, GRW. Das, was die Linke heute
wieder abgeliefert hat, ist ziemlich erbärmlich. Frau
Lötzer, angesichts Ihres Gesellschaftsmodells kann ich
nur sagen: Sie reden manchmal wie ein Blinder von der
Farbe.
({7})
Sie saßen vor 1990 gut situiert im Westen, während sich
Ihre Brüder und Schwestern im Osten in volkseigenen
Betrieben abstrampeln mussten und dort zu nichts gekommen sind. Diese hatten nach 1990 kein Geld, um zu
investieren, und haben heute noch lange nicht so viel
Geld wie ihre Brüder und Schwestern im Westen. Nun
jammern Sie herum und beklagen, dass die Wirtschaftsentwicklung im Osten noch nicht das Niveau der Entwicklung in Westdeutschland erreicht hat.
In diesem Zusammenhang komme ich auf Herrn
Claus zu sprechen. Er war zu DDR-Zeiten Großfunktionär. Er war an vorderster Stelle in SED und FDJ - er war
überall dabei - und hat das System im Osten Deutschlands mitentwickelt.
({8})
Diese Mitleidsarie Ostdeutschland, Herr Claus,
({9})
ignoriert ganz einfach die gewaltige Aufbauleistung, die
nach 1990 erbracht wurde.
({10})
Alles hat eine Ursache. 1990 war der Kapitalstock in
Ostdeutschland völlig zerstört. Sie haben die Unternehmer aus dem Land gejagt oder enteignet.
({11})
Es war überhaupt niemand da,
({12})
der den Ruin der Wirtschaft hätte auffangen können.
({13})
Sie sollten dankbar sein, dass Tausende ostdeutsche Bürger ihr Geschick in die eigenen Hände genommen haben, ein Geschäft eröffnet haben und Unternehmer wurden.
({14})
Sie sind für die Vermögenslage in Ostdeutschland
verantwortlich.
({15})
Da können Sie hier doch nicht scheinheilig erklären: Wir
haben leider keine Konzernzentralen im Osten. „Warum
haben wir denn keine Konzernzentralen, Herr Claus?“,
frage ich Sie!
({16})
Weil Sie die Unternehmer enteignet haben und weil Sie
die Unternehmer aus dem Land gejagt haben! Das sind
doch die Ursachen!
({17})
Man braucht bloß einmal den Blick nach Zwickau zu
richten. Ich erinnere an die hervorragende deutsche
Automobilindustrie. Audi ist ein sächsisches Unternehmen; es ist vom Ursprung her kein bayerisches Unternehmen. Sie und Ihre Genossen haben es aus dem Land
gejagt. Deswegen wurde der Trabant gebaut. Das muss
man einfach immer mal wieder sagen, wenn man Ihr
ständiges Geleier hört. Das ist ja unerträglich.
({18})
Das respektiert einfach die Leistung nicht, die in Gesamtdeutschland erbracht worden ist.
({19})
Dafür steht die Investitionsförderung, über 5 Milliarden Euro Investitionsförderung. Damit sind betriebliche
Investitionen im Umfang von über 30 Milliarden Euro
angereizt worden. Es ist doch eine gewaltige Leistung,
die da erbracht worden ist.
({20})
Wir brauchen die Investitionsförderung noch, weil der
Kapitalstock Ost eben nicht dem Kapitalstock West entspricht. Über die Ursachen habe ich geredet. Also, es ist
unerträglich, was Sie hier bieten.
({21})
Wir können nur hoffen, dass das Gesellschaftsmodell,
das Sie wollen, in Deutschland keine Chance mehr hat,
verwirklicht zu werden.
({22})
Der vierte Punkt beim Haushalt des Wirtschaftsministers ist das Thema Fachkräfte. Hier haben wir das gleiche Problem. Warum hat sich denn in Ostdeutschland
1990 die Geburtenrate sozusagen halbiert? Warum
denn? Weil Sie ein ruiniertes Land hinterlassen haben,
das wieder aufgebaut werden musste! Dafür, dass da die
Leute erst einmal anderes zu tun hatten, als die Geburtenrate hochzuhalten - sie mussten ihre eigene wirtschaftliche Existenz sichern -, hat man Verständnis.
Herr Claus, noch eines: Schon zu sozialistischen Zeiten war in Ostdeutschland, in der DDR, die Sterberate
höher als die Geburtenrate.
({23})
Diese demografische Entwicklung hat also schon lange
vorher angefangen. Deswegen stecken wir jetzt natürlich
in der Kalamität, dass sich die demografische Entwicklung zuerst in Ostdeutschland bemerkbar macht. Das
Thema Fachkräfteentwicklung ist daher gerade in Ostdeutschland ein sehr wichtiges.
Abschließend zu Ihnen, Herr Duin, weil Sie heute
eine so schwache Rede abgeliefert haben, wie ich das
von Ihnen noch nie erlebt habe. Eine Sache fiel mir auf.
Ich komme nicht aus Niedersachsen - zum Glück -; ich
komme aus Sachsen,
({24})
das einen ausgeglichenen Haushalt hat. Das müssen Sie
erst einmal nachmachen: ein ausgeglichener Haushalt in
Ostdeutschland, Herr Duin!
({25})
Eine Sache müssen Sie mir gelegentlich einmal erklären. Da gibt es den großen Weltkonzern Volkswagen, der
auch in Sachsen stark verankert ist; darüber sind wir
auch sehr froh. Sie sagen jetzt: Wir brauchen das VWGesetz noch. - Volkswagen will der weltgrößte Autobauer werden. Volkswagen verdient Milliarden, hat Porsche, Audi, ganz viele Marken integriert. Ein weltweiter
Konzern soll mit dieser Beteiligung von Niedersachsen
in der Zukunft existieren. Ich denke, Volkswagen ist
stark genug, auch weiterhin -
Wollen Sie noch Zwischenfragen zulassen, zunächst
die des Kollegen Garrelt Duin?
Nein, meine Redezeit ist abgelaufen, Herr Präsident.
Vielen Dank.
({0})
Er hat die Zwischenfragen - auch der Kollege
Hubertus Heil wollte noch eine Zwischenfrage stellen nicht mehr akzeptiert.
({0})
- Dann eine Kurzintervention.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält unser Kollege Hubertus Heil. Bitte schön, Kollege Heil.
({1})
Herr Kollege Lämmel, ich habe mich wegen Ihrer
letzten Bemerkung zum VW-Gesetz zu Wort gemeldet.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie das VW-Gesetz
für aus der Zeit gefallen und für etwas halten, wofür man
nicht mehr kämpfen sollte? Dann will ich Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Das ist eine ganz wichtige
Nachricht für die Menschen bei mir in Niedersachsen in
einer Zeit, in der wir - Gott sei Dank gemeinsam mit dem
CDU-Ministerpräsidenten McAllister, mit dem Betriebsrat von Volkswagen, mit dem Unternehmen an sich - uns
für dieses historisch, aber auch praktisch bewährte VWGesetz einsetzen, das den Einfluss von Kleinaktionären
und der Belegschaft auf Standortfragen regelt.
({0})
Wir haben Ihnen in der Großen Koalition abgerungen,
nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs einen
Anlauf zu nehmen, dieses bewährte, richtige und notwendige VW-Gesetz hinzubekommen. Wir erleben jetzt,
dass das Gesetz von Wirtschaftsradikalen in der Europäischen Kommission, die nichts gelernt haben, erneut
attackiert wird. Sie fallen nicht nur der niedersächsischen Landesregierung, sondern vor allen Dingen den
Menschen in meiner Heimatregion und den bei Volkswagen Beschäftigten in den Rücken, indem Sie hier solche
Reden halten.
Herr Lämmel, entweder haben Sie vom VW-Gesetz
keine Ahnung, oder, was schlimmer wäre, Sie sind wirklich der Meinung, die Sie eben geäußert haben. Ich
wollte Ihnen die Gelegenheit geben, mir bei diesem
Thema eine einfache Frage zu beantworten - vielleicht
können Sie das ja richtigstellen; das würde uns helfen -:
Sind Sie für oder gegen das VW-Gesetz? Meine Bitte
ist: Versuchen Sie, mit Ja oder Nein darauf zu antworten. Dass der Wirtschaftsminister dazu geschwiegen hat,
ist - das hat mein Kollege Garrelt Duin vorhin gesagt an sich schon eine Frechheit, weil wir Druck in Brüssel
brauchen, um dieses wichtige Gesetz durchzubekommen
und nicht Gefahr zu laufen, dass es gekippt wird. Aber
da Sie den Eindruck erweckt haben, dass Sie uns, den
Menschen in Niedersachsen und an anderen Standorten
in Deutschland, den bei Volkswagen Beschäftigten, in
den Rücken fallen, sollten Sie das jetzt klarstellen.
Meine Frage lautet also: Sind Sie für oder gegen das
VW-Gesetz? Stellen Sie das bitte klar.
Hubertus Heil ({1})
({2})
Das Wort zur Entgegnung hat Kollege Andreas
Lämmel.
Wir brauchen keinen Druck, wir brauchen gute Argumente, wenn wir über dieses Thema diskutieren. Sie diskutieren darüber auf eine Art und Weise, als wenn sozusagen das Wohl und Wehe der Menschen in
Niedersachsen vom VW-Gesetz abhinge. Diese Verbindung, die Sie immer wieder versuchen unterschwellig
herzustellen, wird der Diskussion überhaupt nicht zuträglich sein. Im Gegenteil: Sie findet auf einer Ebene
statt, die mit dem Gesetz eigentlich nichts zu tun hat.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09
- Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7829 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? - Das ist die Fraktion Die Linke. Wer
stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen.
Enthaltungen? - Fraktionen der Sozialdemokraten und
Bündnis 90/Die Grünen. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 09 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Der Einzelplan 09 ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun Tagesordnungspunkt II.15 auf:
Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- Drucksachen 17/7111, 17/7123 Berichterstattung:
Abgeordnete Axel E. Fischer ({0})
Dr. Claudia Winterstein
Priska Hinz ({1})
Zum Einzelplan 11 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion der SPD, zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist dies so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, die Plätze einzunehmen.
({2})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat in unserer
Debatte als Erste für die Fraktion der Sozialdemokraten
unsere Kollegin Bettina Hagedorn. - Bitte, Frau Kollegin Bettina Hagedorn.
({3})
Frau Ministerin! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wer schon länger hier im Plenum sitzt
und gerade die Aussprache zum Bereich Wirtschaft verfolgt hat, konnte wieder hören, wie nicht nur der Kollege
Toncar erneut der SPD unterstellen wollte, dass wir auf
der einen Seite immer mehr Ausgaben fordern und auf
der anderen Seite keine Vorschläge zur Konsolidierung
machen.
({0})
Weil die Menschen oben auf der Tribüne und vor dem
Fernseher das, im Gegensatz zu Ihnen, nicht wissen können, will ich eingangs darauf hinweisen, dass es hier zu
den Beratungen des Bundeshaushaltes einen Antrag der
SPD mit der Überschrift „Pakt für Bildung und Entschuldung“ gibt, den Sie möglicherweise noch nicht gelesen haben. Er beinhaltet, dass wir für 2012 Vorschläge
in den Haushaltsausschuss eingebracht haben, die solide
gegenfinanziert sind und mit denen wir etwa 5 Milliarden Euro unter Ihrer Nettokreditaufnahme bleiben. Auch
für die vorgesehenen Mehrausgaben haben wir eine Gegenfinanzierung.
Der Präsident hat schon auf unseren Änderungsantrag
hingewiesen. Er sieht im Bereich Arbeit und Soziales
Mehrausgaben in Höhe von 1,5 Milliarden Euro für aktive Arbeitsmarktpolitik vor, die wir im Chor nicht nur
mit den anderen Oppositionsparteien, sondern auch mit
den Kirchen, den Wohlfahrtsverbänden und den Gewerkschaften fordern.
({1})
Es ist also sehr wohl möglich, mehr auszugeben,
wenn man intelligent gegenfinanziert. Ich möchte Ihnen
dazu nur ein Beispiel nennen. Vielleicht haben Sie von
der CDU sich in das Thema auf Ihrem Leipziger Parteitag ein bisschen eingearbeitet. Wenn man in Deutschland
einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro einführen
würde, würde das zu Minderausgaben und zu Mehreinnahmen in der Summe von über 3,25 Milliarden Euro
führen. Das wäre ein vernünftiger Haushaltsbeitrag,
({2})
der nicht auf dem Rücken von Menschen ausgetragen,
sondern sich zu ihren Gunsten auswirken würde.
({3})
Liebe Frau Ministerin, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Wir sprechen hier seit über einem Jahr über das sogenannte Sparpaket der Regierung. Das hat auch viel mit
dem Haushalt zu tun. Der Kollege Toncar hat noch einmal gesagt, Sie als Regierung würden angeblich 80 Milliarden Euro bis 2014 kürzen, um die Schuldenbremse
einzuhalten. Das ist natürlich ein absoluter Fake - wie
wir inzwischen alle wissen -,
({4})
weil der größte Teil des Beitrags von 51 Milliarden
Euro, den Sie in den Bereichen Verwaltung, also durch
Entbürokratisierung, und Wirtschaft erbringen wollen,
nicht kommen wird. Mit diesem sogenannten Sparpaket,
das von vornherein unsozial und ungerechtfertigt hoch
angesetzt war, kürzen Sie zulasten der Menschen, die in
diesem Land arbeitslos sind, der Langzeitarbeitslosen,
aber auch der Bundesagentur für Arbeit und ihrer Bemühungen um eine aktive Arbeitsmarktpolitik.
Ich möchte allen Kollegen noch einmal zeigen, was
das, was Sie vor einem Jahr mit Ihrem Haushaltsbegleitgesetz beschlossen haben, bedeutet.
({5})
Knapp 40 Prozent Ihrer - in Tüddelchen - Einsparsumme soll sich in dem Bereich Arbeit und Soziales abspielen.
Die Kollegen aus der Koalition haben immer so getan
und tun immer noch so, als ob es bei Ihrem Etat in Höhe
von 126,5 Milliarden Euro, der ungefähr 41 Prozent des
Gesamtetats ausmacht, super gerecht sei, wenn er auch
40 Prozent der Kürzungen schultere. Mit dieser Mär will
ich einmal aufräumen.
Sie vernebeln bei Ihren Kürzungen natürlich, dass allein zwei Drittel Ihres Etats - das ist 2012 die stolze
Summe von 84 Milliarden Euro - durch den Zuschuss
zur Rente und Grundsicherung gesetzlich gebunden
sind. Damit können Sie - dabei ist es übrigens egal, wer
gerade Deutschland regiert - in diesem Bereich in keinster Weise kürzen, sparen und konsolidieren. Damit konzentrieren sich die Kürzungen ausschließlich auf die
40 Milliarden Euro, die für die aktive Arbeitsmarktpolitik vorgesehen sind, und das macht die soziale Schieflage in diesem Bereich aus.
({6})
Frau Ministerin, es ist schon ganz erstaunlich, dass
Sie noch vor wenigen Wochen im Berichterstattergespräch diese Kürzungen, auf die ich Sie angesprochen
habe, als „notwendig, verständlich und akzeptabel“
bezeichnet haben. Das Lob der FDP, dass Sie als
Arbeitsministerin dieses Sparpaket in Ihrem Bereich
brav und widerstandslos exekutieren, sollte Sie stutzig
machen. Die FDP nennt das „eine erfreulich schmerzlose Umsetzung“. Das ist ein vergiftetes Lob.
Die Kanzlerin hat noch vor einem Jahr gesagt, das
große Sparpaket sei ein einmaliger Kraftakt. Herr
Westerwelle hat ihr damals sekundiert, es sei ein ausgewogenes, faires und gerechtes Sparpaket. Nun wollen
wir einmal schauen, was daraus geworden ist.
Wahr ist, dass Sie im Bereich der Rentenversicherung
kürzen. Darauf will ich zunächst eingehen. Zum 1. Januar nächsten Jahres senken Sie ja den Rentenversicherungsbeitrag um 0,3 Prozentpunkte auf 19,6 Prozent.
Wahrscheinlich werden Sie gleich verkünden, dass das
eine gute Nachricht ist. Aus Sicht der Beitragszahler ist
das natürlich eine gute Nachricht, gar keine Frage.
({7})
Sie werden wahrscheinlich so tun, als sei das der Erfolg
von Schwarz-Gelb. Das ist aber nicht wahr. Wahr ist,
dass diese Absenkung des Rentenbeitrags laut Gesetzeslage automatisch erfolgt und auf das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz vom Juli 2004 unter RotGrün zurückgeht.
({8})
Richtig ist auch, dass die Rentenkasse in Wahrheit
sehr viel praller gefüllt sein könnte,
({9})
wenn Sie nämlich nicht mit diesem Sparpaket zulasten
der Langzeitarbeitslosen einen schamlosen Griff in die
Rentenkasse getan hätten. Bis Ende 2012 werden der
Rentenkasse alleine aus diesem Grund 4,2 Milliarden
Euro fehlen.
({10})
Das ist kein Sparen, sondern das ist ein Verschieben zulasten der Beitragszahler.
({11})
Aktive Arbeitsmarktpolitik, bei der Sie so starke Kürzungen vornehmen, ist aus Sicht der SPD Bildungspolitik. Angeblich nehmen Sie die Bildungspolitik ja so
ernst. In Wahrheit versagt Ihre Bildungspolitik aber deshalb, weil sie auf dem volkswirtschaftlich zentralen Feld
der Arbeitsmarktpolitik mit null ankommt.
Sie machen diesen Bereich wieder zum zentralen
Steinbruch. Die brachialen Kürzungen lassen den Mitarbeitern in der Bundesagentur für Arbeit und in den Jobcentern keine Chance zur erfolgreichen Vermittlung und
Qualifizierung, weil Sie das Budget - den Eingliederungstitel - ausquetschen wie eine Zitrone.
({12})
Die Wahrheit ist doch: Im Jahr 2011 gab es bereits ein
Minus von 2 Milliarden Euro. Das war aber nur die
Spitze des Eisbergs. Im Jahr 2012 kürzen Sie in diesem
Bereich das Doppelte, nämlich 4 Milliarden Euro, und
das wollen Sie laut Sparpaket sogar noch steigern, und
zwar auf 5 Milliarden Euro pro Jahr ab 2013.
Was heißt das? Das bedeutet für die Langzeitarbeitslosen und ihre Familien ein Minus von 2,3 Milliarden
Euro in 2012; denn Sie kürzen nicht nur bei der Qualifizierung, sondern Sie haben 2011 bereits das Elterngeld,
den Heizkostenzuschuss und das Übergangsgeld gestrichen, und zwar komplett. Diese Kürzungen werden sich
im Jahr 2013 auf 4,3 Milliarden Euro erhöhen und 2014
sogar auf 5,8 Milliarden Euro.
Was geschieht parallel bei der Bundesagentur für Arbeit? In die Finanzkasse der Bundesagentur für Arbeit
greifen Sie 2012 mit einem Minus von 3,7 Milliarden
Euro ein. 2014 wird dieses Minus sogar 7 Milliarden
Euro pro Jahr ausmachen. Wie soll denn dann bei den
Jobcentern und bei der Bundesagentur für Arbeit überhaupt noch vernünftige Arbeit geleistet werden?
Wie soll die Bundesagentur wieder eine Rücklage
aufbauen, wenn das nicht jetzt, in konjunkturell besseren
Zeiten, geschieht? Die Bundesagentur für Arbeit hatte
eine Rücklage von 18 Milliarden Euro, als wir im Jahr
2008 in die Krise gerieten. Dieser Rücklage haben wir es
zu verdanken, dass Deutschland unter der Großen Koalition so erfolgreiche Arbeitsmarktinstrumente umsetzen
und finanzieren konnte wie das Kurzarbeitergeld,
({13})
von dem Ihre Regierung jetzt profitiert, an das Sie aber
gleichzeitig die Axt anlegen.
({14})
Die Bundesagentur setzt zum einen die sogenannte
Instrumentenreform um, mit der in Wahrheit der Kahlschlag nur gesetzlich unterlegt wird. Zusätzlich können
- Herr Weise hat das schon vor einem halben Jahr angekündigt - 8 000 bis 10 000 Mitarbeiter der Bundesagentur nicht weiterbeschäftigt werden; Herr Brüderle hat
sich sogar darauf verstiegen, zu sagen, es müssten
10 000 bis 15 000 Mitarbeiter sein. Es ist ein Rätsel, wie
die Menschen in Deutschland, die arbeitslos sind - es
gibt einen Fachkräftemangel, aber auch über 2 Millionen
Langzeitarbeitslose -, eigentlich erfolgreich vermittelt
werden sollen, wenn kein Geld mehr in der Kasse ist und
die Mitarbeiter, die das umsetzen sollen, nicht mehr da
sind.
({15})
Vor diesem Hintergrund spreche ich das Thema Bildung an. 900 000 Langzeitarbeitslose haben verschiedene Vermittlungshemmnisse: kein Schulabschluss,
keine abgeschlossene Berufsausbildung, teilweise weitere Vermittlungshemmnisse. Wenn man diese Menschen nicht auf Dauer abschreiben will, ist dort nicht weniger, sondern mehr Geld erforderlich. Es ist
volkswirtschaftlich nicht sinnvoll, zu sagen: Diese Menschen schreiben wir ab. - Wir wollen sie auf Dauer nicht
mit Transferleistungen abfertigen. Das ist doch wohl logisch und erschließt sich eigentlich jedem sofort.
({16})
Ich will darauf eingehen, dass sich das sogenannte
Sparpaket inzwischen komplett verändert hat. Es sieht
nämlich folgendermaßen aus.
({17})
Das ist ein Jahr nach Ihrem Sparpaket:
({18})
Alles, was hier gelb ist, ist der Konsolidierungsbeitrag,
der eigentlich von Wirtschaft und Verwaltung kommen
sollte und nicht kommt. - Ich will erläutern, was sich
verändert hat:
({19})
Schon heute, nach einem Jahr, sehen wir, dass es definitiv nicht zu diesem Konsolidierungsbeitrag kommen
wird. - Sie haben bisher keine Vorschläge gemacht, welchen Beitrag Wirtschaft und Verwaltung stattdessen leisten sollen. In Wahrheit ist es so: Die Gewichtung der
Anteile des Sparpakets hat sich verschoben. Von Ihren
Einsparungen sind nur noch 51 Milliarden Euro übrig
geblieben. Dadurch hat sich natürlich der Anteil des
Konsolidierungsbeitrags des Bereichs Arbeit und Soziales enorm vergrößert, nämlich auf aktuell 56,5 Prozent.
Frau von der Leyen, ich will Ihnen sagen: Sie konnten
sich als Arbeits- und Sozialministerin - Sie sind für ein
zentrales Politikfeld zuständig - in diesem Kabinett
nicht durchsetzen; da hatten Sie keinen Erfolg. Das ist
für die Menschen, die auf Ihre Unterstützung und Ihr Engagement angewiesen gewesen sind, dramatisch. An dieser Stelle hätten wir alle uns Ihren Erfolg innerhalb des
Kabinetts gewünscht. Sie sehen, wie viel schlimmer es
nach einem Jahr geworden ist. Sie haben noch ein wenig
Zeit, das Lenkrad herumzureißen. Allerdings sehen wir
im Moment nicht, dass Sie einen anderen Weg einschlagen wollen.
Vor diesem Hintergrund sage ich: Dieser Haushalt ist
ein schlechter Haushalt für die Arbeitslosen in Deutschland und für die Bundesagentur für Arbeit. Wir werden
ihn ablehnen.
({20})
Vielen Dank, Frau Kollegin Hagedorn. - Jetzt spricht
für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Axel
Fischer. Bitte schön, Kollege Axel Fischer.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Bundeshaushalt 2012, über den wir heute debattieren, ist
Axel E. Fischer ({0})
nach überwundener Wirtschafts- und Finanzkrise ein
weiterer Schritt zurück auf den Konsolidierungspfad.
({1})
Mit dem frischen Wind der wirtschaftlichen Gesundung
im Rücken, befreit von bremsendem Ballast und mit
neuen Segeln im arbeitsmarktpolitischen Bereich, sind
wir auf dem besten Weg, die krisenhaften Untiefen des
Jahres 2009 hinter uns zu lassen. Bevor wir jedoch freies
Fahrwasser erreichen, müssen wir noch gefährliche
Klippen umschiffen, an denen andere Schiffe in Europa
derzeit zu zerschellen drohen.
({2})
Um Schiffbruch zu vermeiden und um unser Staatsschiff
zu stabilisieren, nehmen wir daher gemäß der Schuldenbremse Fahrt weg.
({3})
Damit bringen wir perspektivisch auch unseren Arbeitsund Sozialhaushalt ins Lot, in ein nachhaltiges Gleichgewicht.
Wir wollen 2012 im Einzelplan 11 - Bundesministerium für Arbeit und Soziales - knapp 126,5 Milliarden
Euro ausgeben. Das sind gut 41 Prozent des Bundeshaushaltes. Es sind aber auch rund 5 Milliarden Euro
weniger als dieses Jahr. Diese Einsparungen von knapp
4 Prozent sind möglich trotz des geplanten Anstiegs der
Hartz-IV-Regelsätze und trotz der 3,3 Milliarden Euro
mehr für Zuschüsse für die Grundsicherung im Alter,
Leistungen an die Künstlersozialkassen und die Rentenversicherungen. Die Ausgaben für die Rente und die
Grundsicherung im Alter wachsen damit von 80,7 auf
knapp 84 Milliarden Euro und machen zwei Drittel des
Arbeits- und Sozialhaushaltes aus. Das zeigt, wie wichtig uns das Wohlergehen auch unserer älteren Generation
ist.
({4})
Weniger Ausgaben und mehr Leistungen für die Menschen - das hört sich für manche nach der Quadratur des
Kreises an. Das ist es aber mitnichten. Es ist vielmehr
das Resultat der intelligenten, wachstumsorientierten
Politik der christlich-liberalen Regierungskoalition und
der von ihr angestoßenen positiven Entwicklung, insbesondere auch auf dem Arbeitsmarkt.
Das Erfolgsrezept ist einfach. Unsere christlich-liberale Koalition orientiert sich weniger an der Maximierung staatlicher Umverteilung. Es geht uns schlicht und
einfach um konkrete Hilfe für die Betroffenen.
({5})
Der Bund übernimmt zum Beispiel mit der Bereitstellung von Kosten für Unterkunft und Heizung im Bundeshaushalt Leistungen in Höhe von 5 Milliarden Euro.
Er entlastet so Länder und Kommunen nachhaltig. Das
ist gegenüber 2011 ein Zuwachs von 1,4 Milliarden
Euro, der den Städten und Gemeinden wieder Luft zum
Atmen gibt. Damit haben sie Spielräume für eigene Initiativen.
({6})
Wir decken nicht mit viel Geld und in der Folge mit
noch mehr Schulden strukturelle Probleme zu, sondern
wir haben einerseits die der Wirtschafts- und Finanzkrise
geschuldeten akuten Missstände und Ungleichgewichte
am Arbeitsmarkt beseitigt und andererseits - darauf
kommt es an - die drängenden Probleme in unserer Gesellschaft - dazu zählen insbesondere der demografische
Wandel und die langjährig erfolgte überzogene staatliche
Ausgabenpolitik - beherzt und tatkräftig angepackt. Im
Ergebnis ist die Zahl der Arbeitslosen auf deutlich unter
3 Millionen gesunken. Wir feiern mit weit mehr als
40 Millionen Beschäftigten neue Beschäftigungsrekorde, und das Wirtschaftswachstum hat in diesem Jahr
3 Prozent erreicht. Das sind Erfolge, die wir zu Recht auf
unsere Fahnen schreiben.
({7})
Angesichts dieser Entwicklungen wäre es wenig sinnvoll gewesen, Frau Kollegin Hagedorn, das Niveau des
noch teilweise von der Krise geprägten Haushaltes 2011
festzuschreiben. Es wäre insbesondere auch deshalb
nicht sinnvoll gewesen, weil ein beachtlicher Teil der für
2011 vorgesehenen Mittel aufgrund der guten Entwicklung nicht abgerufen werden musste. Das Jahr 2011 ist
viel erfreulicher gelaufen, als viele es erhofft hatten und
andere es heute darstellen.
Im Lichte einer erheblich verbesserten Arbeitsmarktlage mit immer weniger Langzeitarbeitslosen können
zum Beispiel die für das kommende Jahr geplanten Ausgaben für Hartz IV gegenüber dem Ansatz für das laufende Jahr um 800 Millionen Euro auf nunmehr
19,6 Milliarden Euro gesenkt werden. Wenn die Bundesagentur für Arbeit mit ein bisschen Glück dieses Jahr
ohne Bundeszuschuss auskommt und mit einer schwarzen Null schließen kann, ist das nicht der Beleg für die
positive Wirkung des wirtschaftlichen Aufschwungs auf
die Entwicklung des Arbeitsmarktes, nein, es ist ein Verdienst der Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit unter Führung von Herrn Weise und der kommunalen Mitarbeiter in Bereichen der Arbeitsvermittlung.
Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage unserer Kollegin Mast?
Nein, das gestatte ich nicht.
Frau Kollegin, Sie haben es gehört. - Herr Kollege,
Sie haben wieder das Wort.
Die Bundesagentur und ihre Mitarbeiter haben in einem jahrelang andauernden wechselhaften und vielfach
unbequemen Erprobungsprozess an der Optimierung der
Strukturen zur Vermittlung von Arbeitslosen mitgewirkt.
Axel E. Fischer ({0})
Sie nutzen die entscheidenden Freiräume im Interesse
der Arbeitssuchenden. Sie haben erheblichen Anteil daran, dass die Zahl der Arbeitslosen heute so niedrig ist
wie zuletzt in den 90er-Jahren und dass die Vermittlung
von Langzeitarbeitslosen immer besser wird. Wenn die
Krise am Arbeitsmarkt überwunden ist, wenn die BA im
kommenden Jahr keine Schulden machen muss, dann
entlastet das auch den Bundeshaushalt. Wir können dann
weiter weg von den Schuldenklippen navigieren und erfolgreich dem von Finanzminister Schäuble beschriebenen Sparkurs hin zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt folgen. Sie sehen: Eines greift bei uns ins andere,
und alles zusammen wirkt zum Wohle der Menschen.
({1})
Wir haben viele Langzeitarbeitslose in den letzten
Jahren in Arbeit gebracht. Was uns dabei geholfen hat
und was wir deshalb weiter ausbauen wollen, ist eine
nach vorne gerichtete Arbeitsmarktpolitik, weg vom
Versorgungsgedanken hin zum Aktivierungsgedanken,
weg von Standardisierung hin zur Differenzierung, weg
von anonymer Zentralverwaltung hin zu konkreter Hilfe
vor Ort. Darauf kommt es an.
({2})
Wir reagieren in vielen Bereichen nicht mehr auf
Drängen spürbarer Notstände, sondern wir agieren.
Durch das Rating bei den Jobcentern, durch Jobmonitoring, durch die Arbeitskräfteallianz, durch „Das Demographie Netzwerk“ und digitale Wegweiser bis hin zur
Lösung des berühmten Themas „Dachdecker mit 67“
schaffen wir Strukturen für morgen, um die Probleme
anzugehen und zu lösen.
({3})
Es geht uns um gute Arbeit. Wir wissen um die Belange unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die
es verdient haben, dass wir die Rahmenbedingungen für
eine Begleitung durch ihr Berufsleben gestalten. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden künftig
nicht mehr vom Einstieg in den Beruf bis zum Ausstieg
in der gleichen Tätigkeit bleiben. Dazu sind die Entwicklungen viel zu rasant. Aber wir wollen ihnen durch
mehr Sorge für den Einzelnen und bessere Instrumente
Sicherheit bieten. Das hilft konkret, während völlig aus
der Luft gegriffene Formulierungen wie „Kahlschlag in
der Arbeitsmarktpolitik“ an der Lebenswirklichkeit vollständig vorbeigehen.
({4})
Der vorgelegte Haushalt ist ausgewogen und entspricht den Erfordernissen der von der christlich-liberalen Koalition eingeleiteten Modernisierung am Arbeitsmarkt und im Bereich der sozialen Sicherung. Es ist ein
in die Zukunft gerichteter Haushalt, der deutliche Ansatzpunkte für die Bewältigung der großen Herausforderungen durch die Schuldenbremse, den demografischen
Wandel und den Übergang in eine digitale Gesellschaft
aufweist.
Ich danke an dieser Stelle unseren Kolleginnen und
Kollegen, besonders der Hauptberichterstatterin Bettina
Hagedorn, wie auch der Bundesregierung, namentlich
Frau Ministerin Dr. von der Leyen und Staatssekretär
Fuchtel, herzlich für die gute Zusammenarbeit. So ist es
in den parlamentarischen Beratungen in den vergangenen Monaten möglich geworden, den ohnehin schon guten Haushaltsentwurf zu einem durch und durch zukunftsfähigen Werk zu formen. Er bildet den Erfolg
unserer wachstumsorientierten Politik ab und ist eine solide Grundlage für neue Reformschritte.
Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass die
christlich-liberale Koalition mit Frau Bundesministerin
Dr. von der Leyen weiterhin als Modernisierer an der
Spitze der zukunftsfähigen Entwicklung unseres Arbeits- und Sozialwesens steht, und wir mit Fug und
Recht behaupten können: Wo wir sind, ist vorne.
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank, Kollege Fischer. - Zu einer Kurzintervention hat sich unsere Kollegin Katja Mast gemeldet.
Bitte schön, Frau Kollegin Katja Mast.
Herr Kollege Fischer, die Kollegin Hagedorn hat vorhin klargemacht, dass die vorgesehenen Kürzungen von
26,5 Milliarden Euro bei der Bundesagentur für Arbeit
keine konjunkturellen - zum Beispiel, weil wir jetzt
weniger Arbeitslose haben -, sondern strukturelle Kürzungen sind. Das heißt, die Kürzungen werden vorgenommen, ganz egal, wie sich die Arbeitslosenzahl entwickelt. Das ist der Skandal dieser Politik: Sie orientieren
sich nicht an der Konjunktur, sondern Sie kürzen strukturell. Diese strukturellen Kürzungen bedeuten für die
Menschen: weniger Ausbildungshilfen für Jugendliche,
weniger dauerhafte Weiterbildung, weniger Bildungspolitik in der Arbeitsmarktpolitik.
Ich will Sie sehr konkret fragen, weil unsere Wahlkreise nebeneinanderliegen, Herr Kollege Fischer:
({0})
Was sagen Sie den Menschen, wenn Ihnen in BadenWürttemberg die Frage gestellt wird, warum dem Land
3,5 Milliarden Euro für eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik, für eine fördernde Arbeitsmarktpolitik fehlen?
Ihre Antwort darauf möchte ich gern einmal hören. Ich
möchte auch wissen, was Sie den Jugendlichen sagen,
die in Ihre Bürgersprechstunde kommen und sagen: Ich
bekomme keine ausbildungsbegleitende Hilfe, keine
Ausbildungsförderung mehr von der Bundesagentur für
Arbeit.
({1})
Kollege Fischer, Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung. Bitte schön.
Frau Kollegin Mast, zum Eingliederungstitel: Die
Tatsache, dass wir weniger ausgeben, hat natürlich damit
zu tun, dass es weniger Arbeitslose gibt. Zum anderen
sind strukturelle Veränderungen natürlich notwendig;
das ist völlig richtig. Ich habe vorhin von einem Optimierungsprozess gesprochen, den die BA in den letzten
Jahren durchlaufen hat. Der Erfolg, der aus einer besseren Arbeit vor Ort resultiert, zeigt sich auch darin, dass
wir in struktureller Hinsicht Einsparungen vornehmen
können, ohne dass die Leistungen an speziellen Stellen
vor Ort dadurch schlechter werden. Wir haben für Optimierungseffekte gesorgt. Das ist der große Vorteil.
({0})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin auf unserer Rednerliste ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Dr.
Gesine Lötzsch. Bitte schön, Frau Dr. Lötzsch.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich möchte mich mit der Frage auseinandersetzen, ob dieser Haushalt gerecht, ob er sozial
oder ob er christlich ist.
({0})
Die Bundesregierung und die Koalition wollen uns einreden, der Haushalt würde alle in der Gesellschaft gleich
belasten und wäre sozial ausgewogen. Doch jeder, der
die Zahlen kennt, weiß, dass das gelogen ist,
({1})
denn die größten Kürzungen im Bundeshaushalt wurden
dort vorgenommen, wo die Menschen, die am wenigsten
haben, am härtesten getroffen werden, und Menschen,
die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, werden von den
Kürzungen vollständig verschont. Sie werden eben nicht
zur Kasse gebeten, was richtig wäre.
({2})
Im Etat „Arbeit und Soziales“ sind 4,7 Milliarden
Euro gestrichen worden. Gleichzeitig bekommt der Verteidigungsminister - bei Beachtung von Haushaltswahrheit und -klarheit - 1,6 Milliarden Euro mehr. An dieser
Stelle muss man wirklich ganz deutlich sagen: Hier stimmen die Verhältnisse wirklich nicht mehr.
({3})
Ein gerechter Haushalt sieht anders aus: Steuererhöhungen für diejenigen, die die Krise verursacht haben
und immer noch an ihr verdienen. Ein gerechter Haushalt, Frau von der Leyen, würde nicht die Menschen bestrafen, die ihre Arbeit verloren haben und unverschuldet in Armut geraten sind. Vor allem würde ein gerechter
Haushalt, der auch nur einen Hauch von christlichem
Anspruch widerspiegelt, nicht zulassen, dass immer
mehr Kinder in unserem Land in Armut leben müssen.
({4})
Sie versuchen - das haben Sie in den Beratungen getan; Sie werden das in Ihrer Rede gleich wiederholen -,
die Kürzungen im Haushalt schönzureden. Ihr Argument, dass Sie uns häufig vorgetragen haben, lautet: In
konjunkturell guten Zeiten geht die Arbeitslosigkeit zurück; deshalb brauchen wir weniger Geld für Arbeitslose. Aber wie sieht diese Arbeit aus? Sie haben das in
Ihrer Antwort auf die schriftlichen Fragen meiner Kolleginnen Jutta Krellmann und Sabine Zimmermann selbst
gesagt: Diese neue Arbeit stellt eine dramatische Zunahme von Leiharbeit und Niedriglöhnen dar. Das hat
mit Gerechtigkeit wirklich nichts zu tun, Frau Ministerin.
({5})
Schauen wir einmal genau hin: Im Oktober ist die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr um 3,7 Prozent gesunken. Das ist gut. Im gleichen Zeitraum sank aber die
Zahl der Teilnehmer an Maßnahmen zur beruflichen
Weiterbildung um 21 Prozent. Wie erklären Sie eigentlich Menschen, die endlich aus der Arbeitslosigkeit herauskommen wollen, die bereit sind, sich immer wieder
zu qualifizieren, dass Sie kein Geld mehr für Qualifikation ausgeben wollen? Ich glaube, das können Sie niemandem mit gutem Gewissen erklären.
({6})
Wir lesen ja jeden Tag in den Zeitungen - es hat auch
schon in der Debatte eine Rolle gespielt -, dass in
Deutschland Fachkräfte fehlen. Wir lesen aber viel zu
selten, dass es diese Bundesregierung und diese Ministerin ist, die Menschen die Chance verbaut, wieder in Arbeit zu kommen. Das ist nicht gerecht! Das ist nicht
christlich, Frau Ministerin!
({7})
Frau von der Leyen, Sie haben Ihre Partei, die CDU,
aufgefordert, endlich einen gesetzlichen Mindestlohn in
Deutschland einzuführen. Das war eine richtige und
längst überfällige Forderung.
({8})
Alle Vorurteile, die von der CDU - von der FDP will ich
jetzt gar nicht reden - gegen einen gesetzlichen Mindestlohn vorgebracht wurden, sind wissenschaftlich widerlegt worden. Der Mindestlohn vernichtet keine Arbeitsplätze. Das wissen wir aus den Erfahrungen fast aller
anderen Länder der Europäischen Union. Ich finde, es ist
moralisch wirklich verwerflich, wenn ein Arbeitgeber
meint, einen Menschen für sich arbeiten lassen zu können, ohne ihn so zu bezahlen, dass er davon leben kann.
Wie kann eine christliche Partei solche Arbeitgeber nur
unterstützen, meine Damen und Herren?
({9})
Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern einen unwürdigen
Lohn bezahlen, werden von der Bundesregierung dafür
sogar noch belohnt, weil sie mit Steuergeldern subventioniert werden. Das muss endlich ein Ende haben!
({10})
Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter gerecht entlohnen wollen, werden von der Bundesregierung bestraft, denn sie
müssen sich gegen unlautere Konkurrenz wehren.
Ihr Parteitag hat nun keine Mindestlöhne beschlossen.
Sie konnten sich mit dieser Idee nicht durchsetzen. Die
radikalen Marktideologen haben sich in der CDU wiederum durchgesetzt. Wir haben bereits bei der Debatte
um den Einzelplan Wirtschaft gesehen, dass das die dominierende Haltung in Ihrer Partei ist. Das hat mit christlich-sozial nichts zu tun. Wenn Sie an Ihre Wurzeln, an
Ihre Werte knüpfen wollen, dann müssen Sie endlich
umsteuern. Ansonsten wird man Ihnen den Titel „christlich“ nicht mehr verleihen können.
({11})
Das ewige Mantra der christlich-liberalen Koalition
lautet ja: Leistung muss sich wieder lohnen. - Wenn wir
uns aber die Politik dieser Bundesregierung anschauen,
dann sehen wir, dass sich Leistung eben nicht lohnt. Im
Gegenteil: 10 Prozent der Gesellschaft, die 60 Prozent
des Vermögens haben, können ihr Geld im Schlaf verdienen. Sie lassen das Geld an den Börsen der Welt für
sich arbeiten. Menschen, die für ihre Arbeitsleistung
nicht einmal einen würdigen Lohn bekommen, werden
jedoch Ihren Spruch „Leistung muss sich wieder lohnen“
nur als zynisch empfinden können.
({12})
Wer will, dass sich Leistung wieder lohnt, der muss
wirklich um gesetzliche Mindestlöhne kämpfen und leistungslose Spekulationsgewinne kräftig besteuern. Anders ist Gerechtigkeit nicht zu haben.
({13})
Dieser Haushalt ist ungerecht, weil er Armut schafft.
Sie bekämpfen nicht die Armut, sondern Sie schaffen
neue Armut. Es ist doch ein unglaublicher Vorgang, dass
die Bundesregierung bis heute nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen, was Hartz IV
betrifft, umgesetzt hat.
({14})
Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, des Deutschen
Gewerkschaftsbundes und der Friedrich-Ebert-Stiftung
kommt zu dem Ergebnis, dass die Ermittlung der HartzIV-Regelsätze verfassungswidrig ist. Unsere Fraktion
hat der SPD und den Grünen angeboten, gemeinsam gegen diesen Verfassungsverstoß zu klagen. Leider haben
diese Fraktionen das abgelehnt. Das ist schade, aber man
kann ja einen zweiten Anlauf nehmen.
({15})
Das sogenannte Bildungspaket kommt nicht einmal
bei der Hälfte der Menschen an, die darauf einen Anspruch haben. Der Mehrheit wird also ein Teil des Existenzminimums vorenthalten. Besonders bedrückend
finde ich aber, dass dieses sogenannte Teilhabe- und Bildungspaket in vielen Fällen sogar eine gegenteilige Wirkung hat. Bedürftige Kinder bekommen in vielen Kommunen kein kostenloses Mittagessen mehr. Die Eltern
müssen jetzt, egal ob sie die bürokratischen Hürden dieses Pakets überwunden haben oder nicht, einen Zuschuss
bezahlen, weil es ja das Bildungspaket gibt. Damit verschlechtert sich in der Realität die Situation armer Kinder. Das ist nicht gerecht! Das ist nicht christlich! Das ist
einfach nur beschämend, Frau von der Leyen!
({16})
- Der Zwischenruf zur Verantwortung ist sehr schön.
Den nehme ich gerne auf. Sie und Frau von der Leyen an
der Spitze entwickeln geradezu einen missionarischen
Eifer, arme Menschen erziehen zu wollen, anstatt ihnen
zu helfen.
Ich frage Sie: Warum sind Sie eigentlich so gleichgültig und nachsichtig gegenüber dem gierigen Verhalten
von einigen wenigen Spekulanten? Warum kommt da Ihr
missionarischer Eifer nicht durch, Frau von der Leyen?
({17})
- Auch diesen Zwischenruf nehme ich gerne auf, Herr
Kollege. Als Volksvertreter, auch Sie, Herr Abgeordneter, sind wir für die gesamte Politik zuständig. Ich
glaube, vielen in der CDU ist schon aufgefallen, dass
sich Frau von der Leyen für vieles in der Politik, für die
gesamte Politik zuständig fühlt, was nicht jedem in ihrer
Partei gut gefällt. Auch das ist uns aufgefallen.
({18})
Kommen wir zurück zum Teilhabe- und Bildungspaket. Eine Mutter muss alle möglichen bürokratischen
Nachweise erbringen, um einen 10-Euro-Gutschein für
ihr Kind zu bekommen. Dagegen ist es nach Auffassung
des Finanzministers gar kein Problem, wenn sich Banker
einmal um 55,5 Milliarden Euro verrechnen.
({19})
Frau von der Leyen, unter Ihrer Herrschaft sind die
Sanktionen gegen Arbeitslose sprunghaft angestiegen.
Warum kämpfen Sie in Ihrer Regierung nicht lieber einmal dafür, dass Herr Schäuble endlich gegen diejenigen
Sanktionen verhängt, die Schulden in Höhe von 335 Milliarden Euro zu verantworten haben? So viel hat die
Finanzkrise laut Berechnung der Bundesbank die deutschen Steuerzahler seit 2008 gekostet. Ich glaube, die
Verhältnisse müssen endlich in Ordnung gebracht werden. Wir brauchen keine verschärften Sanktionen gegen
Hartz-IV-Empfänger, sondern endlich verschärfte Sanktionen gegen diejenigen, die unseren volkswirtschaftlichen Reichtum verspekulieren.
({20})
Abschließend möchte ich einige Anmerkungen zur
wachsenden Altersarmut in unserem Land machen. Frau
Kollegin Hagedorn ist schon darauf eingegangen.
14 Prozent aller Menschen ab 65 gelten als arm. Wir
wollen endlich wieder Renten, die vor Armut schützen.
Wir brauchen heute gute Löhne, damit die zukünftigen
Rentner einmal eine gute Rente bekommen. Aber was
wir jetzt schon brauchen, sind klare Entscheidungen für
eine solidarische Mindestrente, die diesen Namen wirklich verdient, damit Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, im Alter nicht arm sind.
({21})
Ich habe anfangs die Frage aufgeworfen, ob dieser
Haushalt gerecht ist, ob er sozial ist und ob er christlich
ist. Ich komme zu dem Schluss: Dieser Haushalt ist ungerecht, er ist unsolidarisch, und christlich ist er schon
gar nicht.
Wir lehnen ihn ab.
({22})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Lötzsch. - Jetzt für
die Fraktion der FDP unsere Kollegin Frau Dr. Claudia
Winterstein. Bitte schön, Frau Kollegin Winterstein.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Bettina Hagedorn, keine Sorge, der Einzelplan 11 ist mit seinem Ausgabeniveau von 126,5 Milliarden Euro sehr wohl solide aufgestellt.
({0})
Dass die Ausgaben rund 4,8 Milliarden Euro unter dem
Plan für 2011 liegen, ist nicht die Folge von tiefen Einschnitten. Vielmehr liegt es vor allem daran, dass der
Bund der Bundesagentur für Arbeit im kommenden Jahr
kein Darlehen mehr gewähren muss. Dieses Darlehen ist
im Haushalt 2011 noch mit 5,4 Milliarden Euro angesetzt. 2012 entfällt dieser Haushaltsposten vollständig.
({1})
Die BA wird sogar bereits im Jahr 2012 wieder im Plus
sein und damit beginnen, Rücklagen aufzubauen. Das
sollte uns alle freuen, vor allen Dingen dich, liebe
Bettina; denn auch das hast du gefordert.
({2})
Aufgrund der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt steht
nicht nur die Bundesagentur besser da als erwartet, sondern auch der Bund muss weniger Geld ausgeben, zum
Beispiel für das Arbeitslosengeld II. Neben diesen konjunkturellen Effekten setzen wir bei den Arbeitsmarktmitteln die Einsparungen um,
({3})
die wir im Jahr 2010 beschlossen haben. Dem stehen allerdings Mehrausgaben von 2,8 Milliarden Euro für das
Bildungspaket und für die Grundsicherung im Alter gegenüber. Das ist eine ganz erhebliche Entlastung für die
Kommunen.
({4})
Das sind die wesentlichen Faktoren für die Haushaltsentwicklung im Vergleich zu 2011, und das ist kein Kahlschlag.
Sehen wir uns den Bereich Arbeitsmarkt etwas genauer an. In diesem Haushalt sind dafür 40,3 Milliarden
Euro angesetzt. Im Eingliederungsbudget - auch das ist
vorhin angesprochen worden - stehen 8,45 Milliarden
Euro zur Verfügung, also rund 1 Milliarde Euro weniger
als 2011. Das hat die Opposition heute und auch sonst in
den vergangenen Tagen immer wieder als unzumutbare
Kürzung kritisiert. Aber diese Kritik ist völlig unberechtigt. Denn wir geben zwar weniger aus als im Vorjahr;
aber gemessen an der deutlich niedrigeren Arbeitslosenzahl ist es so, dass wir pro Person mehr ausgeben als in
den früheren Jahren.
({5})
Das will ich mit Zahlen unterlegen. 2006 wurden für
2,8 Millionen Arbeitslose im SGB II 8,2 Milliarden Euro
ausgegeben. 2012 stehen im Eingliederungsbudget für
nur 1,8 Millionen Arbeitslose im SGB II, also für 1 Million weniger, rund 8,5 Milliarden Euro zur Verfügung;
das sind über 250 Millionen Euro mehr. Also: Jeder kann
sehen, dass es sich hier nicht um eine Kürzung handelt,
wie das von der Opposition behauptet wird, sondern dass
es pro Kopf eine Erhöhung darstellt. Auch das sollten
Sie eher freudig zur Kenntnis nehmen.
({6})
- Ja. Haushälter sollten eigentlich rechnen können. Aber
manchmal hapert es.
Die Lage am Arbeitsmarkt ist gut, und sie wird sich
nach allen Prognosen auch 2012 so halten. Man kann es
eigentlich gar nicht häufig genug sagen: Mehr als
41 Millionen Beschäftigte, das ist ein Rekord. Weniger
als 3 Millionen Arbeitslose im Durchschnitt der Jahre
2011 und 2012, das ist ein großer Erfolg. Die Zahl der
Arbeitslosen im SGB II ist mit unter 2 Millionen so
niedrig wie überhaupt noch nie. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich seit dem Höchststand im Jahr 2006
von damals 1,7 Millionen fast halbiert. Das ist doch hervorragend.
({7})
- Da könnten eigentlich auch Sie von der Opposition applaudieren.
({8})
Das sind nämlich hervorragende Zahlen.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
ignorieren das alles. Sie fordern mehr Geld für Arbeitsmarktmaßnahmen, und das, egal ob die Arbeitslosigkeit
steigt oder sinkt.
({9})
So kann man keine vernünftige Politik machen. Vernünftige Politik ist es hingegen, wenn eine Konzentration auf
die wirksamen arbeitsmarktpolitischen Instrumente erfolgt. Das bildet sich in unserem Haushalt ab. Unser
Schwerpunkt ist nämlich klar: Wir wollen vorrangig die
Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt fördern.
({10})
Für Qualifizierung und Integration steht auch weiterhin
genügend Geld zur Verfügung.
Ich will noch auf einen Antrag eingehen, der von der
SPD im Haushaltsausschuss eingebracht wurde - da hat
sich die SPD nämlich mit einer Milchmädchenrechnung
ziemlich blamiert -: Sie meinen, mit einem Mindestlohn
von 8,50 Euro könnte man 1,1 Milliarden Euro im Haushalt einsparen.
({11})
Dabei verschließen Sie allerdings die Augen davor, dass
dadurch natürlich auch Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor verloren gehen würden,
({12})
mehr Menschen arbeitslos würden und weniger Menschen etwas dazuverdienen könnten und damit letztendlich mehr und nicht weniger Kosten für den Bundeshaushalt entstehen würden.
({13})
Bei dieser Gelegenheit noch ein Wort zu den Aufstockern; auch das ist immer ein beliebtes Thema. Nach
dem Bericht der BA vom Oktober 2011 gibt es aktuell
1,37 Millionen Menschen, die zusätzlich zu einem Erwerbseinkommen Hartz IV beziehen. Davon arbeiteten
aber nur 320 000 in Vollzeit. Das sind 1,4 Prozent aller
Vollzeitbeschäftigten.
({14})
Diese sind überwiegend deshalb auf eine Ergänzung
durch Hartz IV angewiesen, weil es sich hier um Familien mit Kindern handelt.
({15})
Nehmen wir die Singles, so sind es nur 0,3 Prozent aller
Vollzeitbeschäftigten, die zusätzlich auf Hartz IV angewiesen sind. Denen ist mit einem Mindestlohn garantiert
nicht geholfen, wenn sie als Konsequenz womöglich ihren Arbeitsplatz verlieren.
({16})
Die Vorschläge der SPD sind untauglich. Das zeigt
sich auch an Ihren Anträgen. Sie haben Mehrausgaben in
Höhe von 5 Milliarden Euro vorgeschlagen, verbunden
mit Steuererhöhungen in Höhe von 10,5 Milliarden
Euro. Wo sind eigentlich die Einsparungen, die Carsten
Schneider und Herr Gabriel gefordert haben?
({17})
Ich höre immer nur: Wir erhöhen die Steuern.
({18})
Nein danke, das gibt es mit uns ganz sicher nicht. Wenn
Sie sagen, Sie könnten die Dinge intelligent gegenfinanzieren, dann, finde ich, ist es aber nicht sonderlich intelligent, einfach die Steuern zu erhöhen.
({19})
Zum Schluss noch ein Wort zu den Vorschlägen zur
Erhöhung des Eingliederungstitels, die heute als Antrag
vorliegen. Ich halte diese Vorschläge für völlig unverantwortlich. Hier gibt es bei der Opposition den reinsten,
ich sage einmal: Überbietungswettbewerb. Die Begründung, die ich dafür im Berichterstattergespräch von der
SPD gehört habe, ist geradezu abenteuerlich. Man müsse
das Sparpaket, soweit es den Sozialbereich betrifft, deshalb zurücknehmen, weil andere Elemente des Sparpaketes nicht voll wirksam würden. Nein, auch wenn beim
Sparpaket nicht alle Elemente so schnell zum Tragen
kommen wie eigentlich geplant,
({20})
so ist das kein Grund, auch alle anderen Elemente über
Bord zu werfen, die wir als sinnvolle Beiträge im Sparpaket vereinbart haben.
Dieser Einzelplan ist damit ein gutes Beispiel für das
Haushaltsprinzip der Koalition, nämlich Konsolidieren
durch Disziplin auf der Ausgabenseite.
Vielen Dank.
({21})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Winterstein. - Jetzt
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin
Brigitte Pothmer. Bitte schön, Frau Kollegin Pothmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushaltsentwurf, der uns heute hier vorliegt, ist ein Dokument der sozialen Schieflage der Politik dieser Bundesregierung.
({0})
Jeder andere Einzelhaushalt weist ein Plus auf. Die
einzige Ausnahme von dieser Regel ist der Haushalt des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Gekürzt
wird von dieser Bundesregierung also nur bei den Arbeitslosen und bei den sozial Schwachen. Ich finde, das
wirft ein bezeichnendes Licht auf das soziale Profil dieser Bundesregierung.
({1})
Es wirft ein bezeichnendes Licht auch auf das Engagement und die Durchsetzungsfähigkeit der Bundesarbeitsministerin. Frau von der Leyen, seitdem Sie im Amt
sind, sind die Mittel des Eingliederungstitels um 30 Prozent gekürzt worden. Jetzt begründen Sie den Rückgang
der Mittel immer mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit. Aber die Langzeitarbeitslosigkeit ist um maximal
5,4 Prozent zurückgegangen. Sie kürzen aber um das
Sechsfache.
({2})
Damit ruinieren Sie nicht nur die Chancen der Betroffenen, wieder in Arbeit zu kommen. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels richten Sie einen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden an. Allein der
Mittelstand rechnet durch den Fachkräftemangel mit
Umsatzeinbußen von 30 Milliarden Euro jährlich. Und
Sie vertiefen damit die soziale Spaltung auf dem Arbeitsmarkt: Gut ausgebildete, gesunde, fitte Menschen
gegen gering qualifizierte, kranke und gehandicapte das gefährdet auf Dauer den sozialen Zusammenhalt in
der Gesellschaft insgesamt.
({3})
Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt sich. Leiharbeit
nimmt zu. Befristete Beschäftigung und Minijobs sind
auf dem Vormarsch. Der Niedriglohnsektor hat wieder
einen neuen Rekord erreicht. Daher ist es kein Wunder,
dass eine Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung
zu dem Ergebnis kommt, dass kaum jemand in Deutschland mehr an Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt
glaubt.
Ich will Ihnen aber sagen: Wenn wir einen Zustand erreicht haben, dass die Menschen nicht mehr daran glauben, dass sie durch ihre eigene Anstrengung ihre soziale
Lage verbessern können, dann gefährdet das auf Dauer
die Demokratie und unterstützt den Extremismus in diesem Land. Wohin das führt, haben wir vor zwei Tagen
debattiert.
({4})
Jetzt will ich noch einmal etwas zu dem Revolutionstheater auf dem CDU-Parteitag sagen. Herausgekommen
ist dabei
({5})
leider noch nicht einmal eine Dreigroschenoper. Frau
von der Leyen, ich habe Ihre Rolle genau beobachtet. Ich
war enttäuscht: Ich finde, Sie haben bei dieser Debatte
eher am Rande gestanden. Die Vorkämpferrolle für den
Mindestlohn haben Sie Herrn Laumann überlassen. Das
muss man sich einmal vorstellen. Da geht es wirklich
einmal um die Wurst - es geht um die Frage, ob der Mindestlohn in diesem Land eine Chance hat -, und die Bundesarbeitsministerin nimmt als zuständige Ministerin
bestenfalls eine kommentierende Nebenrolle ein. Das
reicht nicht.
({6})
Der Parteitagsbeschluss ist dann auch entsprechend ausgefallen.
Sie stehen nach diesem Parteitag in der Frage Mindestlohn wieder mit leeren Händen da. Auch wenn ich es
nicht gerne sage: In dieser Frage hat Herr Rösler ausnahmsweise recht. Denn das, was Sie beschlossen haben, ist Status quo; es ist Gesetzeslage.
({7})
Im Mindestarbeitsbedingungengesetz steht genau das
drin. Wir wissen: Nach diesem Gesetz ist kein einziger
Mindestlohn erlassen worden, meine Damen und Herren.
Wenn Sie wirklich einen Mindestlohn wollen, Frau
von der Leyen, dann legen Sie dem Parlament einen Gesetzentwurf vor.
({8})
Es gibt in diesem Parlament eine deutliche Mehrheit für
einen gesetzlichen Mindestlohn.
Frau von der Leyen, Sie vermitteln, jedenfalls mir,
zunehmend den Eindruck, dass Ihnen die Arbeitsmarktund die Sozialpolitik nicht wirklich am Herzen liegen.
Sie tummeln sich in der Europapolitik und immer noch
gern in der Frauen- und Familienpolitik. So sieht Ihre
Zwischenbilanz auch aus: Die Bürgerarbeit ist ein Flop.
Das Bildungspaket für Kinder ist ein bürokratisches
Monstrum. Mit der Reform der arbeitsmarktpolitischen
Instrumente haben Sie die gering qualifizierten Langzeitarbeitslosen endgültig abgehängt. Die Arbeitslosen17070
versicherung ist geplündert. Prekär Beschäftigte bleiben
schutzlos. Lohndumping bleibt auf der Tagesordnung.
Ihre Zuschussrente wird niemanden vor der Altersarmut
schützen.
Frau von der Leyen, vielleicht waren Sie eine gute Familienministerin.
({9})
Eine gute Arbeitsministerin sind Sie jedenfalls nicht.
Ich danke Ihnen.
({10})
Als Nächste hat das Wort für die Bundesregierung
Frau Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. Bitte
schön, Frau Bundesministerin von der Leyen.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Zunächst einmal gilt mein Dank den Berichterstatterinnen und Berichterstattern für eine ausgesprochen
konstruktive Zusammenarbeit. Dass die Zahlen über die
strukturellen und konjunkturellen Einsparungen zu unterschiedlicher Interpretation führen, ist völlig in Ordnung. Wenn man allerdings die letzten Beiträge - insbesondere Ihren, Frau Pothmer - verfolgt hat, dann könnte
man meinen, dass Deutschland kurz vor dem Untergang
und die Arbeitsmarktpolitik kurz vor dem Kollaps steht.
Frau Hagedorn hat von einer Politik zulasten der
Menschen gesprochen.
({0})
Wenn wir schlicht die Wirklichkeit sprechen lassen, Frau
Pothmer, statt Ihrer Suada, dann zeigt sich: Die Beschäftigung hat bei uns den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung erreicht. Wir haben die Langzeitarbeitslosigkeit fast halbiert.
({1})
Was die Jugendarbeitslosigkeit angeht: Es sind noch gut
240 000 junge Menschen arbeitslos. Die Expertinnen
und Experten der Bundesagentur für Arbeit sagen,
200 000 sei Ausdruck einer normalen Fluktuation. Das
heißt, nur 40 000 junge Menschen bei uns sind von
struktureller Arbeitslosigkeit betroffen.
({2})
Ich könnte noch verstehen, wenn Sie blass vor Neid
würden, weil die Ergebnisse am Arbeitsmarkt so gut
sind. Aber dass Sie quasi rot vor Zorn sind, weil die Erfolge am Arbeitsmarkt so groß sind, kann kein Mensch
mehr verstehen.
({3})
Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald?
Gerne.
Bitte schön.
Herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Frau Ministerin. - Sie haben eben auf die Wirklichkeit abgehoben. Ich frage Sie, was Sie zu der Studie des
Statistischen Bundesamtes sagen, die vor 14 Tagen veröffentlicht wurde. Diese Studie ist repräsentativ; es sind
immerhin 830 000 Menschen - das ist gut 1 Prozent der
Bevölkerung - befragt worden. Nach dieser Studie sind
8,4 Millionen Menschen ab 15 Jahren unzufrieden mit
ihrer Arbeit und würden gerne mehr arbeiten, wenn sie
die Gelegenheit dazu erhielten. Es sind also mehr als
10 Prozent der Bevölkerung, die mit ihrer Erwerbssituation unzufrieden sind. Was sagen Sie zu dem Ergebnis
dieser Studie des Statistischen Bundesamtes?
Dass sie mit ihrer Erwerbssituation unzufrieden sind,
mag der Fall sein. Diese Feststellung ist das Ergebnis einer Befragung. Tatsache ist, dass die jungen Menschen
heute mehr Chancen als je zuvor haben.
Die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen liegt bei
5,3 Prozent. Die Arbeitslosigkeit der unter 20-Jährigen
liegt bei 3,3 Prozent. Wenn wir das damit vergleichen,
dass die Jugendarbeitslosigkeit in Europa im Durchschnitt bei über 20 Prozent liegt, dann sehen wir, dass
der Arbeitsmarkt hier in Deutschland wirklich robust ist
und jungen Menschen Chancen bietet. Das sollten Sie
vielleicht auch einmal zur Kenntnis nehmen.
({0})
Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine weitere
Zwischenfrage?
Nein, jetzt mache ich weiter. - Unsere Wirtschaft ist
stark, und wir haben einen robusten Arbeitsmarkt.
Ja, es gibt Risiken im Euro-Raum. Das hat sich in der
Debatte eben und auch in der Debatte heute Morgen gezeigt. Deshalb sollten wir unser Handeln aber nicht
durch Mutlosigkeit und durch Angst leiten lassen, sondern wir sollten dafür sorgen, dass das Vertrauen in die
Stabilität Europas und in die unbezweifelbare Stabilität
Deutschlands erhalten bleibt. Das heißt für uns wie für
alle anderen: Konsolidieren, aber mit Augenmaß, mit
den richtigen Akzenten.
({0})
Genau das tun wir. Das werde ich Ihnen jetzt auch darlegen.
({1})
Schauen Sie sich die Zahlen dieses Haushaltes an. Für
das Jahr 2010 hatten wir Ausgaben in Höhe von
143 Milliarden Euro eingeplant. Wir haben 10 Milliarden
Euro weniger ausgegeben. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Im Jahr 2011 haben wir mit Ausgaben in Höhe von
131 Milliarden Euro geplant. Wir werden voraussichtlich
5 Milliarden Euro weniger ausgeben. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Das heißt, wir sind am Arbeitsmarkt erfolgreich; aber wir nutzen diese Phase eben auch, um unsere
Sozialsysteme zu stabilisieren und zu modernisieren, und
vor allen Dingen, um denjenigen Menschen eine Chance
zu geben, die vorher keine Chance am Arbeitsmarkt hatten. Das ist doch das Ziel unserer Politik, und da sind wir
erfolgreich.
({2})
Ich werde Ihnen das auch am Thema „Alleinerziehende“ aufzeigen. Ich habe von Ihnen einen - in Anführungsstrichen - „Block von Alleinerziehenden“ geerbt;
40 Prozent der Alleinerziehenden sind im SGB-II-Bezug.
({3})
Wir haben im letzten Jahr eine Freistellung von Mitteln
erreicht - ich danke den Haushältern noch einmal -, um
in diesem Bereich gezielt neue Akzente zu setzen.
({4})
Wir haben die Jobcenter neu orientiert. Wir haben den
Schwerpunkt der Bundesagentur für Arbeit auf die Qualifizierung und Vermittlung von Alleinerziehenden gelegt. Wir haben die Netzwerke zur Unterstützung ausgebaut. Wir haben jetzt, nach einem Jahr, erreicht, dass der
Bestand an arbeitslosen Alleinerziehenden stärker gesunken ist als die Zahl der Arbeitslosen im SGB-II-Bezug allgemein. Wir haben erreicht, dass mehr Alleinerziehende als sonst in den ersten Arbeitsmarkt gewechselt
sind. Das heißt, der Ansatz, sich darauf zu konzentrieren,
dass mehr Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt kommen, und darauf, dass mehr arbeitslose Alleinerziehende
Arbeit finden, gerade weil sie ein Kind haben, erweist
sich jetzt als erfolgreich. Das ist etwas, was man auch
einmal positiv bewerten sollte.
({5})
Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwanitz?
Bitte.
Bitte schön, Herr Kollege Schwanitz.
Frau Ministerin, ich möchte Ihnen eine Frage zum
Thema „Prävention gegen Rechtsextremismus“ stellen.
Jetzt sind wir aber gerade bei der Arbeitsmarktpolitik.
({0})
Ja, aber zu Ihrem Etat gehört die Finanzierung eines
sehr wichtigen Programms: Xenos. Über dieses Programm wird seit vielen Jahren das Netzwerk für Demokratie und Courage in Sachsen sehr erfolgreich gefördert, was ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich
anerkennen will. Dieses Netzwerk - das müssen Sie
nicht wissen; aber ich will es trotzdem sagen - leistet
eine vielfach ausgezeichnete Arbeit an den Schulen,
nicht nur an denen des Freistaates.
Seit neuestem gibt es in Ihrem Haus folgende Situation: Ein Antrag wurde mit dem Hinweis abgelehnt, er
sei nicht arbeitsmarktnah genug. Ich möchte jetzt gar
keine Detailerklärung zu der Einzelentscheidung bekommen, weil ich vermute, dass Sie sie jetzt gar nicht abgeben können. Aber ich möchte Sie fragen, ob Sie mit mir
der Auffassung sind, dass gerade in dieser Zeit eine solche Ablehnung kritisch geprüft werden muss, und ob Sie
bereit sind, sich diesen Vorgang noch einmal auf den
Tisch legen zu lassen und diese Entscheidung gegebenenfalls zu revidieren.
Es gibt im Arbeitsministerium die Xenos-Programme,
die ich für richtig und gut halte. Es gibt in anderen
Ministerien andere Programme gegen Rechtsextremismus. Unsere Programme sind darauf ausgerichtet, dass
junge Menschen eine Chance erhalten, dass sie qualifiziert werden und dass sie Arbeit bekommen, damit sie
die Integration in die Gesellschaft schaffen und damit
die Festigkeit bekommen, die sie brauchen. Wenn es
viele Anträge gibt, dann ist es doch eine Selbstverständlichkeit, dass das Arbeitsministerium danach auswählt,
welcher Antrag die größten Chancen hat, dazu beizutragen, dass junge Menschen wieder in den Arbeitsmarkt
integriert werden. Es kommt also darauf an, wie arbeitsmarktnah ein Antrag ist. Es wird kein Antrag ausgewählt, der andere Ziele verfolgt.
Sie stellen mir eine Frage nach der Qualität der Anträge. Ich sage Ihnen: Wir werden das Geld einsetzen
und den Rechtsextremismus bekämpfen. Wir bekämpfen
ihn mit einem der wichtigsten Mittel, nämlich dadurch,
dass wir den jungen Menschen Arbeit geben. Das ist unser Ziel.
({0})
Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine weitere
Zwischenfrage, diesmal des Kollegen Dr. Ilja Seifert?
Jetzt würde ich gerne weitermachen. Sonst kommen
wir nie mehr zum Schluss.
({0})
Das war das Thema Arbeitsmarktpolitik, an dem wir
sehen, dass wir erfolgreich sind. Hier sind die Zahlen so
gut, dass ich merke, dass Sie nur noch an den Einsparungen, seien sie konjunktureller oder struktureller Art, mäkeln können.
({1})
Es fällt Ihnen schwer, die Erfolge am Arbeitsmarkt nicht
zu sehen.
Zurzeit sind über 900 000 Stellen unbesetzt. Deshalb
sollten wir jetzt, anstatt zu unken - das gilt gerade für die
Damen und Herren der Opposition -, gemeinsam die
Kräfte bündeln und dafür sorgen, dass wir Fachkräfte
bekommen, die dem Arbeitsmarkt allmählich ausgehen.
Die Bundesagentur für Arbeit hat ausgerechnet, dass in
der Pflege, im Handwerk, in der Gastronomie und im
Dienstleistungssektor 385 000 Stellen unbesetzt sind.
Wir haben auf der anderen Seite 690 000 Arbeitsuchende in der Grundsicherung mit passender Ausbildung. Das heißt, es gibt die Menschen, es gibt die Jobs,
und es kommt jetzt darauf an, beide zusammenzubringen.
({2})
Sie toben die ganze Zeit, weil sie sehen, dass wir die
Anzahl künstlicher Arbeitsplätze und den öffentlichen
Beschäftigungssektor nicht ausbauen wollen. Wir wollen
neue Akzente setzen. Die Menschen sollen in den ersten
Arbeitsmarkt und nicht mehr in teure Warteschleifen.
Das ist unsere Politik, und das ist die richtige Politik.
({3})
Daher haben wir den Instrumentenkasten aufgeräumt.
Im nächsten Jahr stehen - hier wird immer der Eindruck
erweckt, als stünde überhaupt nichts mehr für die Eingliederung zur Verfügung - 8,4 Milliarden Euro in der
Grundsicherung für Eingliederung und Verwaltung zur
Verfügung. Dazu kommen 2,8 Milliarden Euro aus dem
Eingliederungstitel der Bundesagentur für Arbeit für die
aktive Arbeitsmarktförderung. Das sind rund 500 Millionen Euro mehr, als in diesem Jahr im Eingliederungstitel
überhaupt eingesetzt worden sind. Meine Damen und
Herren von der Opposition, wer hier von Kahlschlag redet - das Wort habe ich vorhin schon wieder gehört -,
der sieht offensichtlich den Wald vor lauter Bäumen
nicht mehr.
({4})
Wir setzen die Akzente richtig. Sie möchten öffentlich geförderte Beschäftigung. Sie möchten künstliche
Arbeit.
({5})
Sie möchten Warteschleifen. Wir setzen die Akzente
neu. Wir setzen sie auf Bildung, auf Ausbildung und auf
Weiterbildung. Deshalb haben wir insbesondere beim
Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf einen
Schwerpunkt gesetzt. Wir haben einen Riesenerfolg; ich
habe Ihnen eben die Zahlen genannt. Wir haben auch in
der Weiterbildungsförderung - das betrifft die Menschen, die nicht aus der Schule kommen, sondern die
schon mitten im Leben stehen und Weiterbildung in der
Arbeitslosigkeit brauchen - die Mittel aufgestockt. Als
wir von Ihnen die Regierung im Jahr 2005 übernommen
haben, lag die Zahl der Arbeitslosen bei 5 Millionen.
({6})
- Damals hat die Kanzlerin Merkel den Kanzler
Schröder abgelöst. Sie werden doch nicht bestreiten,
dass wir, als Schröder die Regierung verlassen hat,
5 Millionen Arbeitslose hatten.
({7})
- Ich merke an Ihrem Geschrei: Sie wollen es nicht hören. Sie haben Angst vor dieser Zahl. - Sie wissen ganz
genau: Damals waren gerade einmal 2 Milliarden Euro
für Weiterbildung vorgesehen. Jetzt haben wir 2,7 Millionen Arbeitslose, und es stehen 3 Milliarden Euro für
Weiterbildung zur Verfügung. Das ist Politik, die erfolgreich ist. So muss die Entwicklung sein.
({8})
Wir geben für Bildung, Ausbildung und Weiterbildung inzwischen 8,6 Milliarden Euro aus. Mit anderen
Worten: Die Zeit der künstlichen Arbeitsplätze, die Zeit
der Warteschleifen ist vorbei. Jetzt geht es darum, die
Fachkräfte der Zukunft zu sichern. Das ist unsere Politik.
({9})
Die Erfolge am Arbeitsmarkt schlagen sich natürlich
nicht nur in Jobs für Menschen nieder, sondern auch in
der Rente, und das freut mich. Wir können zum 1. Januar
2012 den Beitragssatz - es ist richtig: das ist eine gesetzliche Regelung - auf 19,6 Prozent senken. Das bedeutet
für die Beschäftigten eine Entlastung von 1,3 Milliarden
Euro und für die Arbeitgeber eine Entlastung von
1,3 Milliarden Euro. Im Übrigen wird auch der Bundeshaushalt um 700 Millionen Euro entlastet. Das nützt der
jüngeren Generation. Ich freue mich auch darüber, dass
sich abzeichnet, dass es im nächsten Jahr für 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner eine spürbare Rentensteigerung geben wird.
Wir werden international für ein langfristig stabiles
und demografiefestes Rentensystem bewundert. Wir befinden uns im Augenblick aber auch in der Diskussion
darüber, wo es Schwachstellen gibt. Der Normalfall ist,
dass Menschen, die ihr Leben lang arbeiten, ordentlich
verdienen, vorsorgen und Beiträge zahlen, im Alter eine
auskömmliche Rente haben. Wir sehen aber auch, dass
Menschen wenig verdienen und ein Leben lang fleißig
arbeiten, dass Menschen Kinder erziehen, Ältere pflegen
und Teilzeit arbeiten - und dass diese Menschen am
Ende ihres Lebens keine eigene auskömmliche Rente haben und in der Grundsicherung landen. Diesen Menschen müssen wir eine Antwort geben, die das Kriterium
der Gerechtigkeit erfüllt.
Wer ein Leben lang gearbeitet hat, wer Kinder erzogen hat - ohne Kinder gibt es in der nächsten Generation
keine Rente -, wer Ältere gepflegt und vorgesorgt hat,
der darf am Ende des Lebens nicht ohne eigene Rente
dastehen. Wir führen jetzt den Rentendialog, um diese
Schwachstelle, die Gerechtigkeitsfrage, gemeinsam zu
beheben, sodass die Menschen in Zukunft darauf vertrauen können: Wenn ich arbeite, wenn ich Kinder erziehe, wenn ich vorsorge, dann reicht es im Alter für die
eigene Rente.
({10})
Noch einen letzten Gedanken - ich bin schon über
meiner Zeit, deshalb muss ich mich beeilen - zum
Thema Mindestlohn.
({11})
Wir haben in den letzten zehn Jahren Flexibilierungsreformen erlebt. Wir alle haben sie mitgetragen.
({12})
- Das stimmt; die Linke hat das nicht mitgetragen. Früher waren wir der kranke Mann Europas. Wenn es
nach Ihnen ginge, wäre das wahrscheinlich immer noch
so. Aber jetzt erlebt Deutschland ein Jobwunder. Uns ist
das lieber.
({13})
Wir haben die Flexibilisierung auf den Weg gebracht;
das ist richtig. Aber Flexibilisierung ist etwas anderes als
Lohndumping. Wenn man die letzten zehn Jahre betrachtet, dann sieht man, dass die Lohnspreizung in Deutschland größer geworden ist. Das heißt, die unteren Einkommen haben stagniert; sie sind zum Teil gesunken.
Wir sehen vor allem, dass die Tarifbindung sehr viel
schwächer geworden ist. In den neuen Bundesländern
sind nur noch 40 Prozent der Betriebe tarifgebunden.
Wir alle sind der Meinung, dass derjenige, der anständig
arbeitet, anständig bezahlt werden muss.
({14})
Das hat lange gut funktioniert, weil die Tarifparteien
in Deutschland stark waren, weil die Arbeitgeber für ihre
Interessen aufgestanden sind und weil die Gewerkschaften für ihre Beschäftigten aufgestanden sind. Das war
gut. Das ist etwas, womit die deutsche soziale Marktwirtschaft erfolgreich war. Wenn das jetzt nicht mehr
ohne Weiteres funktioniert, dann müssen wir einen Rahmen schaffen, damit das wieder funktioniert.
({15})
Es gibt keine Freiheit ohne Regeln. Es gibt keinen Markt
ohne Regeln. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam an diesen Regeln arbeiten.
({16})
Wir meinen, anders als Sie, dass wir den Mindestlohn -
Frau Bundesministerin, Sie hätten jetzt noch eine
Chance, die Redezeit zu verlängern. Die Frau Kollegin
Zimmermann möchte Ihnen nämlich eine Zwischenfrage
stellen.
Hoffentlich zum Mindestlohn. - Gut, denn sonst wird
es zu viel.
Bitte schön, Frau Kollegin Zimmermann.
({0})
Danke schön. - Frau Ministerin, sind Sie mit mir der
Meinung, dass wir in den letzten zehn Jahren einen enormen Wandel am Arbeitsmarkt vollzogen haben, dass die
Tendenz weg von gut bezahlter, tariflich entlohnter Arbeit hin zu prekärer Beschäftigung geht?
Ich will Ihnen dazu noch einige Zahlen nennen, die
Ihr Ministerium mir geliefert hat: Wir haben 7,5 Millionen Minijobber; 2,4 Millionen Menschen in Deutschland
haben einen Zweitjob; es gibt 830 000 Leiharbeiter. Sie
wissen genau, dass diese Kolleginnen und Kollegen bis
zu 50 Prozent weniger verdienen als die Stammbelegschaft. Ich möchte Ihnen noch eine Zahl nennen: Es gibt
2,25 Millionen Menschen, die unter 6 Euro pro Stunde
verdienen. Sind Sie mit mir der Meinung, dass wir hier
einen Wandel am Arbeitsmarkt vollzogen haben, der
dramatisch ist, und dass die Sozialausgaben in eine immense Höhe getrieben werden, weil die Leute von ihrem
Geld nicht mehr leben können, wodurch Ihr Ministerium
zusätzlich belastet wird?
Ich bin nicht Ihrer Meinung, dass es sich am Arbeitsmarkt zum Schlechteren entwickelt hat. Im Gegenteil:
Mehr Menschen haben Arbeit. Die Lohnsumme insgesamt und auch die Renten sind gestiegen. Unsere Politik
war erfolgreich.
({0})
Ich bin der Meinung, dass wir die Ausreißer nach unten betrachten müssen; das habe ich eben dargelegt.
Auch das ist ein Signum der sozialen Marktwirtschaft:
Wenn alle erfolgreich mitarbeiten, müssen auch alle am
Erfolg teilhaben. Wenn dies in den unteren Einkommensgruppen und dort, wo es weiße Flecken gibt, nicht
mehr ohne Weiteres gilt, dann müssen wir einen neuen
Rahmen stecken. Ich bin - anders als Sie - der Meinung,
dass es nicht Aufgabe des Parlaments ist, die Frage nach
der Höhe der Lohnuntergrenze für die weißen Flecken
zu beantworten.
Frau Bundesministerin, Sie müssen zum Schluss
kommen.
Ich komme zum Schluss. Ich beantworte aber noch
die Zwischenfrage.
Seien Sie so nett und kommen Sie zum Schluss. Sonst
müssen wir die Debatte insgesamt verlängern, Frau Bundesministerin. Das wollen Sie sicherlich nicht.
Jawohl, ich mache es kurz. - Ich möchte nicht, dass
hier im Parlament über die Höhe der Lohnuntergrenze
diskutiert wird. Frau Hagedorn hat von 8,50 Euro und
die Linken haben von 10 Euro gesprochen. Wir sagen:
Es ist Aufgabe der Arbeitgeber und der Gewerkschaften,
dies festzulegen. Lassen Sie uns eine Kommission schaffen, in der das ausgehandelt wird. Dann haben wir einen
fairen, richtigen Mindestlohn. Den wollen wir gemeinsam erarbeiten.
Vielen Dank, Herr Präsident.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Dr. Ilja Seifert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, Sie
sind diejenige in der Regierung, die die Umsetzung der
UN-Behindertenrechtskonvention für alle Ressorts koordinieren soll. Ich hatte Sie schon in der ersten Lesung
gefragt, wie sich das im Haushalt, der nichts anderes als
in Zahlen gegossene Politik sein soll, widerspiegelt. Sie
haben mir damals gesagt, Sie wüssten gerade die Zahlen
nicht, aber in allen Ministerien und in allen Haushalten
seien Gelder dafür zu finden. Vielleicht weil ich des Lesens nicht kundig bin - ich habe ja nur ein DDR-Abitur -,
habe ich die passenden Zahlen nicht gefunden. Können
Sie mich aufklären, wo diese Zahlen im Haushalt Ihres
Ministeriums und in den Haushalten der anderen Ministerien zu finden sind?
Bitte schön, Frau Bundesministerin.
Wir machen Folgendes: Wir stellen für Sie alle Zahlen aus dem Ministerium zusammen. Insgesamt handelt
es sich im Bereich Behindertenpolitik um mindestens
zweistellige Milliardenbeträge. Allein in meinem Haushalt ist ein beträchtlicher Betrag dafür verankert. Wie Sie
sicherlich wissen, ist auch für den Pflegebereich ein großer Betrag eingestellt.
Das Arbeitsministerium ist im Rahmen des Nationalen Aktionsplans vor allem für das Thema Arbeit zuständig. In den letzten Jahren hat sich die Quote der Menschen mit Behinderungen, die in Arbeit sind, erhöht. Wie
Sie wissen, wollen wir das 5-Prozent-Ziel erreichen.
2002 waren nur 3,8 Prozent Menschen mit Behinderungen in Betrieben beschäftigt. Diese Quote ist inzwischen
auf 4,5 Prozent gestiegen. Das heißt, wir sind auf dem
richtigen Weg. Wir kommen an das 5-Prozent-Ziel, das
wir uns als Gesellschaft gesetzt haben, heran.
Ich weise aber auch deutlich darauf hin, dass diese
Quote im letzten und in diesem Jahr nicht mehr gestiegen ist, sondern stagnierte. Die Zahl der arbeitslosen
Menschen mit Behinderungen stagniert in diesem Jahr
bei 174 000 und sinkt nicht wie die allgemeine Arbeitslosigkeit. Das ist einer der Gründe, warum wir jetzt die
mit 100 Millionen Euro ausgestattete und auf vier Jahre
angelegte „Initiative Inklusion“ vor allem zur Förderung
arbeitsloser Jugendlicher mit Behinderungen starten, um
so die Integration in Ausbildung und Arbeit zu stärken.
Wir wollen mit diesem Programm gezielt 4 000 Arbeitsplätze für ältere Menschen mit Behinderungen und 1 300
Ausbildungsplätze für junge Menschen mit Behinderungen schaffen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Ich habe nur ein Schlaglicht auf die Arbeit geworfen,
die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales konsequent leistet. Wir sind auf dem richtigen Weg. Aber im
Augenblick steht zu viel still. Wir müssen besser werden.
({0})
Wir setzen die Debatte regulär fort. - Für die Sozialdemokraten hat das Wort unser Kollege Hubertus Heil.
Bitte schön, Kollege Hubertus Heil.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Sehr geehrte Frau von der Leyen,
vielleicht täte es diesem Haus einmal ganz gut, wenn wir
in der Debatte über den Arbeitsmarkt in Deutschland
weder den Fehler machten, alles durch die rosarote
Brille zu betrachten - den begehen Sie quasi aus regierungsamtlicher Notwendigkeit -, noch den Fehler, alles
undifferenziert zu sehen und so zu tun, als hätte sich an
der einen oder anderen Stelle nicht etwas zum Positiven
verändert. Ich glaube, wir brauchen einen realistischen
Blick auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes in
Deutschland.
({0})
Ein realistischer Blick legt Folgendes nahe: Ja, es ist
richtig, Deutschland ist, was die Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt angeht, besser durch die Wirtschafts- und
Finanzkrise gekommen als andere Volkswirtschaften in
Europa, aber nicht unbedingt wegen Frau von der Leyen.
Wir sind zum Beispiel deshalb besser durch die Krise
gekommen, weil wir in der Großen Koalition mit den
Kurzarbeitsregelungen die richtigen Maßnahmen ergriffen haben, weil Deutschland im Gegensatz zu anderen
Volkswirtschaften ein industrielles Rückgrat hat.
({1})
Das ist eine gute Nachricht. Es ist auch richtig: Wir haben die Chance, in den nächsten Jahren einen Durchbruch am Arbeitsmarkt zu erzielen und langfristig
Arbeitslosigkeit zu überwinden, auch durch die demografische Entwicklung.
Aber das kommt nicht von allein, Frau von der Leyen.
Realität in Deutschland ist auch, dass die Entwicklung
im Moment auf einen tief gespaltenen Arbeitsmarkt hinausläuft. Auf der einen Seite werden aufgrund veränderter Qualifikationsanforderungen in den Betrieben
durch technischen und wissenschaftlichen Fortschritt
und aufgrund des veränderten Altersaufbaus tatsächlich
immer mehr Unternehmen händeringend nach Fachkräften rufen, und auf der anderen Seite haben wir einen
Sockel verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit. Diesen
Sockel gilt es eigentlich aufzubrechen. Die vom Arbeitsmarkt dauerhaft abgehängten Menschen hängen Sie mit
dem, was Sie hier mit diesem Haushalt durchziehen,
noch weiter ab; das muss man feststellen.
({2})
Die Kollegin Pothmer und auch die Kollegin Hagedorn
haben Ihnen das an diesem Punkt vorgerechnet.
Frau von der Leyen, Sie sind ja eine Meisterin des
schönen Wortes;
({3})
das bestreitet in diesem Hause niemand. Wenn ich mir
anschaue, inwieweit Worte und Taten, Reden und Handeln bei Ihnen zusammenpassen, stelle ich fest, dass das
alles meilenweit auseinanderklafft. Ich kann Ihnen an
drei Beispielen deutlich machen, dass wir so nicht vorankommen:
Das erste Beispiel. Sie reden ständig von einer Vermittlungsoffensive - das haben Sie auch eben wieder getan -, zum Beispiel für die Gruppe der alleinerziehenden
Frauen, die unter den Langzeitarbeitslosen nachweislich
eine ganz große Gruppe ist; das sind Frauen, die es besonders schwer haben.
({4})
Und was machen Sie? Sie streichen die Maßnahmen zusammen, die notwendig sind, um diesen Frauen zu helfen. Wenn man einfach sagen könnte: „Wir haben jetzt
die Situation, um alle Betroffenen ganz schnell auf den
ersten Arbeitsmarkt zu bringen“,
({5})
wäre das wünschenswert. Ich sage Ihnen: Menschen, die
langzeitarbeitslos sind, die drei, vier, fünf, sechs, sieben,
acht, neun Jahre arbeitslos sind, brauchen begleitende
Hilfen und eine aktive Arbeitsmarktpolitik, damit sie auf
den ersten Arbeitsmarkt kommen können. So wird ein
Schuh daraus!
({6})
Das andere hat mit der Realität dieser Menschen nichts
zu tun. Diese Frauen brauchen begleitende Hilfen, Frau
von der Leyen, und Sie lassen diese Frauen im Stich. Reden und Handeln passen bei Ihnen nicht zusammen.
({7})
- Sehr gern.
Ein zweites Beispiel gefällig? Frau von der Leyen,
Sie reden mit Vorliebe vom Thema Vereinbarkeit von
Beruf und Familie. Ich höre vieles, was Sie sagen, richtig gern, weil ich feststelle: Da passt sich eine kluge Frau
nach vielen Jahren konservativer Blockade Schritt für
Schritt den gesellschaftlichen Realitäten hinsichtlich der
Vereinbarkeit von Beruf und Familie an. Aber dann lassen Sie zu, dass diese Regierung, der Sie angehören, ein
sogenanntes Betreuungsgeld auf den Weg bringt,
({8})
eine Fernhalteprämie: Frauen werden vom Arbeitsmarkt
und Kinder von Bildungschancen ferngehalten.
Auch wenn das nicht in Ihre unmittelbare Ressortzuständigkeit fällt, sondern Ihre geliebte Kollegin Schröder
betrifft, muss ich Ihnen sagen: Als Sozialministerin haben Sie die Verantwortung, die Chancen der Kinder in
diesem Land und die Chancen der Frauen am Arbeitsmarkt zu verbessern und den Unsinn mit der Fernhalte17076
Hubertus Heil ({9})
prämie aufzuhalten. Auch da sind Sie verantwortlich;
aber Sie sagen nichts dazu.
({10})
Drittens. Frau Ministerin von der Leyen, es geht auch
um die Ordnung am Arbeitsmarkt. Es ist richtig, dass
wir am Arbeitsmarkt beides brauchen: Flexibilität und
Sicherheit. Flexibilität ist in vielen Bereichen vorhanden, und sie ist auf einem veränderten Arbeitsmarkt auch
notwendig. Aber Sicherheit ist in vielen Bereichen nicht
mehr vorhanden. Die janusköpfige Entwicklung der letzten Jahre ist - wir müssen das offen einräumen -: Es gibt
eine positive Entwicklung; die Arbeitslosenzahlen sind
zurückgegangen. Aber wir können und dürfen die Augen
nicht davor verschließen - das sage ich bewusst auch
selbstkritisch -, dass sich in vielen Jahren die Zunahme
von prekären Arbeitsverhältnissen so verfestigt hat, dass
Menschen diese Arbeitsverhältnisse nicht als Brücke aus
der Arbeitslosigkeit über eine unstetige Beschäftigung in
eine ordentliche Beschäftigung erleben, sondern als
Dauerzustand.
({11})
Wir erleben auch, dass die Ausweitung bei den prekären
Arbeitsverhältnissen dazu führt, dass das Ganze zum
Drücken von Löhnen missbraucht wird.
Frau von der Leyen, wenn Sie von den guten Chancen
der Jugendlichen reden, haben Sie recht: Im Vergleich zu
Spanien und Griechenland haben wir eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit; das ist ein Erfolg. Aber viele Jugendliche erleben in diesem Land auch, dass sie trotz guter Ausbildung viele Jahre lang gezwungen sind, sich
mit Praktika, befristeten Arbeitsverträgen, Zeit- und
Leiharbeit durchzuhangeln.
({12})
In einer Phase, wo viele junge Leute beispielsweise das
Bedürfnis haben, eine Familie zu gründen, ihr Leben in
Ordnung zu bringen, erleben sie, dass sich ihre Leistung,
ihr Einsatz nicht lohnen. Ich sage Ihnen: Da reichen
schöne Worte nicht aus.
Das sage ich auch mit Blick auf das Thema Mindestlohn. Frau von der Leyen, es war ein erstaunlicher Parteitag, den Sie hatten. Ich weiß, wie man Parteitage organisiert; Sie wissen das. Aus alter Verbundenheit sage ich
Ihnen: Super organisiert! Am Ende des Tages ist aber
materiell gar nichts passiert, gar nichts herausgekommen.
({13})
Wenn man sich Ihren Beschluss anschaut und sich dann
vor Augen führt, was Sie eben erzählt haben, dann muss
man sagen: Entweder war das nicht von Sachkenntnis
geprägt, oder Sie versuchen, den Leuten etwas vorzumachen. Sie sagen: Wir wollen tarifvertragliche Mindestlöhne über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Ich sage:
Das ist bereits möglich.
Wir könnten diese Möglichkeit ausbauen, indem wir
im Arbeitnehmer-Entsendegesetz mit einem Satz klarmachen, dass dort jede Branche aufgenommen werden
kann. Dann müssten wir Ihnen - gegen den Widerstand
der FDP - nicht jede Branche mühsam abringen. Angesichts der Vetoakteure könnten wir auch dafür sorgen,
dass die Ausweitung leichter in Kraft gesetzt werden
kann. Wir könnten das Instrument der tarifvertraglichen
Mindestlöhne über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz
also ausbauen; aber im Prinzip gibt es das schon.
Dann sagen Sie: Wo es keine Tarifverträge gibt, setzen wir eine Kommission ein; dann kann die sich etwas
Schönes ausdenken. - Im Grunde ist das die Beschreibung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes, und auch
das gibt es schon.
({14})
Aber es funktioniert halt nicht.
({15})
Deshalb sage ich Ihnen eines: Sie müssen Schritt für
Schritt deutlich nachweisen, dass Ihren schönen Interviews auch Taten folgen.
({16})
Dieses Hohe Haus, Frau von der Leyen, wartet nicht
auf Ihre Interviews, sondern darauf, dass Sie als zuständige Ministerin für Arbeit und Soziales dem Deutschen
Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit einen Gesetzentwurf vorlegen. Dann werden wir wissen, ob Sie
es wirklich ernst meinen. Ich prophezeie Ihnen: Dadurch, dass Ihre Freunde wie Herr Fuchs, Herr Lauk und
wie sie alle heißen Ihren Beschluss so interpretieren,
dass sich gar nichts tut, dadurch, dass Herr Laumann
sagt: „Wir machen den Sack zu, egal, was drin ist“, und
dadurch, dass eine FDP, die aufgrund ideologischer Fixierung in Sachen Mindestlohn keinen Deut nachgeben
wird, die sich in einem Existenzkampf befindet und aus
Gesichtswahrungsgründen keinen Schritt mitgeht, wird
diese Regierung dazu nicht in der Lage sein.
({17})
Ich finde das bedauerlich. Denn ich sage Ihnen auch:
Ich würde es gerne sehen, dass wir uns im nächsten
Wahlkampf über andere Themen streiten.
({18})
Ich fände es schön, wenn wir im Interesse der arbeitenden
Menschen in diesem Land einen Mindestlohn einführen.
Vorrang sollen die tarifvertraglichen Mindestlöhne haben, aber es soll auch eine gesetzliche Lohnuntergrenze in
Deutschland geben, damit Menschen von ihrer Arbeit leben können.
({19})
Mit Blick auf den Haushalt will ich Ihnen sagen, Frau
von der Leyen: Wenn Sie Kraft und Mut hätten, dann
hätten Sie hier einen Haushalt vorgelegt, der es sich
nicht so leicht macht, bei den Schwächsten der Schwachen zu kürzen. Sie hätten sich für einen Mindestlohn
starkmachen müssen, der im Übrigen auf den GesamtHubertus Heil ({20})
haushalt, auf die Sozialversicherungskassen und auf die
Ausgaben, die wir im Moment für aufstockende, ergänzende Arbeitslosengeld-II-Leistungen haben, sowie durch
die Steuereinnahmen auch auf der Einnahmeseite positive Effekte gehabt hätte.
Eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, das ist das
Gebot der Stunde. Gemessen daran kann ich nur eines
feststellen: Sie sind ohne Zweifel stark in schönen Worten, aber Sie sind schwach in konkreten Taten. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland, die
arbeitslosen Menschen und auch die Wirtschaft haben in
diesem Ressort etwas Besseres verdient als eine reine
Ankündigungsministerin.
Herzlichen Dank.
({21})
Vielen Dank, Kollege Hubertus Heil. - Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege
Dr. Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Dr. Kolb.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Nachdem die Opposition hier so viel
schlechte Stimmung verbreitet hat,
({0})
will ich mit einer guten Nachricht beginnen: Das Ifo-Institut hat heute Morgen bekannt gegeben, dass der IfoIndex überraschend von 106,4 auf 106,6 Punkte gestiegen ist. Insbesondere die Geschäftserwartungen für die
nächsten sechs Monate haben sich deutlich verbessert.
Ich finde, das ist eine gute Nachricht für die Menschen
in diesem Lande und auch für den Arbeitsmarkt in diesem Lande.
({1})
Der zweite Punkt, den ich gern erwähnen möchte:
Wir haben ja in diesen Tagen eine Art Halbzeitbilanz zu
ziehen. Mit dem heutigen Tag liefert die schwarz-gelbe
Koalition ihr drittes Großprojekt im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit ab. Nach der Jobcenterreform und
der Regelsatzreform werden wir heute in diesem Hause
die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente abschließend auf den Weg bringen. Ich bin sicher, der Bundesrat wird das nach den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss am Ende der Woche ebenfalls tun.
Damit ist klar: Wir haben in diesem Bereich, in dem
es darum geht, Zukunftschancen für die Menschen zu
schaffen, die Instrumente verbessert, zielgerichteter gemacht, die Entscheidungsfreiheiten vor Ort verbessert.
({2})
Durch die Überarbeitung der Strukturen haben wir auch
Effizienzgewinne, die Sie in Ihre Bilder aufnehmen sollten, Frau Hagedorn, um sozusagen up to date zu sein.
({3})
Der dritte Punkt, den ich ansprechen will, ist die Situation bei der Rente. Als Vertreter der FDP, als Liberaler, wird man hier mitunter belächelt, wenn man Sätze
der Art sagt: Das Beste, was wir für die Menschen und
insbesondere für die Rentner in diesem Lande tun können, ist, dafür zu sorgen, dass es eine gute, starke wirtschaftliche Entwicklung gibt. - Bei einem solchen Satz
feixt Links und sagt: Na ja, die Liberalen.
({4})
Wir haben eine gute, eine starke wirtschaftliche Entwicklung. Die Zahlen sind genannt worden: Rekordstand bei der Erwerbstätigkeit, Rekordstand bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, Niedrigstand
bei der Arbeitslosigkeit. Diese wirtschaftliche Entwicklung führt dazu, dass sich auch die Einnahmen aus den
Rentenversicherungsbeiträgen sehr, sehr positiv entwickeln. Deswegen können wir zwei Dinge tun, wir können sie sogar gleichzeitig tun:
Wir können erstens - absehbar zum 1. Juli nächsten
Jahres - die Renten der Menschen um 2,3 Prozent in
Westdeutschland
({5})
und sogar um 3,2 Prozent in den neuen Bundesländern
erhöhen, Herr Birkwald. Das ist eine gute Nachricht für
die Menschen, weil sie damit auch von der starken wirtschaftlichen Entwicklung profitieren. Ich habe immer
gesagt: Rentner und aktiv Beschäftigte sitzen in einem
Boot. Das wird im nächsten Jahr bei den Rentenerhöhungen, die wir dann liefern können, besonders deutlich.
({6})
Und wir können ein Zweites tun: Wir können zusätzlich die Rentenbeiträge senken, in 2012 um 0,3 Prozent
und wahrscheinlich in 2013 noch einmal um weitere
0,6 Prozent.
({7})
Manche von Ihnen neigen wieder dazu, das zu marginalisieren, indem Sie sagen, das ist nur soundso viel pro
Kopf. - Das mag sein, aber in der Summe ist das ein
Konjunkturimpuls in Höhe von rund 9 Milliarden Euro,
der zusätzlich in unsere Volkswirtschaft gegeben wird.
Das heißt, wir haben die Chance, hierdurch einen selbstverstärkenden Prozess auszulösen. In einer Situation, in
der sich viele Menschen Sorgen um die Konjunktur machen, sehen wir nicht tatenlos zu, sondern wir nutzen
auch die Möglichkeiten, die in unseren Sozialversicherungen stecken, um unmittelbar wirksame Nachfrage zu
generieren. Auch das ist eine gute Nachricht, meine Damen und Herren.
({8})
Ich möchte zum Schluss noch etwas zum Thema Mindestlohn sagen. Herr Heil, damit hier überhaupt kein
Zweifel bestehen bleibt: Die FDP ist für faire Löhne. Sie
ist für faire Löhne, die erstens die Interessen der Menschen berücksichtigen, die hart arbeiten, die zweitens
auch auf die Unternehmer in Deutschland Rücksicht
nehmen, die in der weit überwiegenden Zahl aus dem
Mittelstand kommen und den Bestand ihres Unternehmens sowie ihre Arbeitsplätze im Blick haben müssen,
und die vor allen Dingen drittens - das wird oft vergessen, aber das darf nicht vergessen werden - Langzeitarbeitslosen eine Chance für die Rückkehr in den ersten
Arbeitsmarkt bieten.
Bei der Umsetzung dieses Ziels „faire Löhne“ setzen
wir in erster Linie auf die Tarifautonomie. Ich bin nicht
der Meinung, dass die Zahlen hier so schlecht sind. Nach
unserer Kenntnis, die auf Auskünften des IAB-Betriebspanels beruht - veröffentlicht von der vollkommen unverdächtigen Böckler-Stiftung, dem Böckler-Tarifarchiv -,
sind 80 Prozent der Arbeitsverhältnisse in Deutschland
unverändert tarifgebunden: 60 Prozent direkt und 20 Prozent durch Bezugnahme auf Tarifverträge. In Bereichen,
wo es keine Tarifbindung gibt, haben wir, also vor allen
Dingen Schwarz-Gelb - das muss man hier einmal sagen -,
durch das Tarifvertragsgesetz und das ArbeitnehmerEntsendegesetz die Möglichkeit geschaffen, branchenund regionalspezifische Mindestlöhne festzusetzen. Das
geschieht auch in einer Vielzahl von Fällen.
Dann bleiben nur noch ganz wenige weiße Flecken,
Herr Kollege Heil.
({9})
Und auch da ist das nicht bodenlos, sondern da gibt es
Auffanglinien wie etwa die Sittenwidrigkeit von Beschäftigung und das Mindestarbeitsbedingungengesetz.
Mich wundert etwas, dass Sie, der Sie sozusagen - wenn
ich das damals richtig beobachtet habe - der Schöpfer
des Mindestarbeitsbedingungengesetzes sind, sich einfach hier so hinstellen -
Kollege Kolb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Heil? Das würde Ihnen natürlich die Chance
geben, Ihre Redezeit zu verlängern.
Ich sehe das. Vielleicht höre ich erst zu, dann kann ich
meine weiteren Ausführungen vielleicht in die Antwort
mit reinpacken. - Bitte sehr, Herr Kollege Heil.
Ich möchte Ihnen als Erstes sagen, dass ich das Mindestarbeitsbedingungengesetz nicht erfunden habe, sondern das wurde zu Zeiten Konrad Adenauers erfunden.
Damals war ich noch nicht mit dabei.
Ja, natürlich die moderne Fassung, die aktuelle Fassung!
Aber ich gebe Ihnen recht, dass die Große Koalition
versucht hat, das Gesetz gängiger zu machen. Wir müssen
heute aber feststellen, dass kein Mindestlohn darüber
festgesetzt worden ist. Deshalb sage ich Ihnen: Es geht
um die weißen Flecken - ohne Frage -, wo es keine Tarifbindung gibt. Ich bitte Sie aber, auch zur Kenntnis zu
nehmen, dass wir auch in Bereichen Probleme haben, wo
es sogenannte Tarifverträge gibt, indem nämlich Stundenlöhne von 3,18 Euro pro Stunde und Ähnliches festgelegt
wurden. Das ist deshalb so, weil in diesen Bereichen leider
Gottes Gewerkschaften, aber auch Arbeitgeber nicht
mehr so mobilisieren, dass man zu vernünftigen Lohnaushandlungsprozessen kommt.
Wir sind für den Vorrang der Tarifautonomie, aber Sie
dürfen die Augen nicht davor verschließen, das die
Tarifautonomie in den Bereichen mit den weißen Flecken, aber auch in einigen formal tarifgebundenen Bereichen nicht mehr funktioniert, mit dem Ergebnis, das
3,18 Euro gezahlt werden und sich die Menschen ergänzendes Arbeitslosengeld II holen müssen, obwohl sie
Vollzeit arbeiten. Das ist der Punkt, vor dem Sie die Augen verschließen. Deswegen können Sie sich nicht hinstellen und sagen: Irgendwie sind wir auch für faire
Löhne. Das reicht nicht aus.
({0})
Herr Kollege Heil, ich weiß, dass das Mindestarbeitsbedingungengesetz schon 1952
({0})
geschaffen wurde, aber es ist unter der Ägide der Großen
Koalition in der letzten Legislaturperiode sozusagen
runderneuert worden. Bis dahin war es ja in einem Dornröschentiefschlaf. Sie haben es runderneuert. Ihr Ansatz
war doch, damit alle Probleme lösen zu können. Zu dem
Zeitpunkt waren Sie schon dabei; da müsste ich mich
sehr täuschen, wenn ich das falsch beobachtet hätte.
Ein zweiter Aspekt zu diesem Thema: Das Mindestarbeitsbedingungengesetz hat deswegen keine Mindestlöhne geliefert, weil praktisch keine Anträge gestellt
worden sind. Seit der Novellierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes gab es nur einen einzigen Antrag.
Sie werden doch zugestehen müssen: Wo es noch nicht
einmal einen Antrag gibt, kann es am Ende auch keine
Ergebnisse geben.
({1})
- Nein, das unterstreicht doch meine Einschätzung, dass
wir in Deutschland im Großen und Ganzen eine Situation haben, in der von den Tarifpartnern auskömmliche
Löhne vereinbart werden.
Dritter Punkt. Auch ich kenne Zahlen über Tariflöhne, bei denen ich mich wundere. Da gehe ich die Sache aber anders an als Sie. Ich hätte nie gedacht, dass ich
hier im Plenum des Deutschen Bundestages einmal die
Tarifautonomie vor der SPD verteidigen muss.
({2})
Ich bin nicht bereit, die Tarifpartner aus ihrer Verantwortung zu lassen.
({3})
Aus guten Gründen steht die Tarifautonomie im Grundgesetz.
({4})
- Wenn es nicht funktioniert, dann liegt es daran, dass
entweder die Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer oder
beide die Aufgabe nicht ernst genug nehmen.
({5})
Dann muss man sie aber auch ermahnen, dies zu tun. Es
ist vorrangig und in allererster Linie Aufgabe der Tarifparteien, diese Aufgabe zu lösen. Die Politik kommt erst
nachrangig zum Zug. Ich glaube insofern, dass es keinen
Bedarf für einen Mindestlohn gibt. Lassen Sie mich Ihnen zwei Argumente nennen.
Zum einen - das hat die Kollegin Winterstein hier
sehr deutlich gesagt -: Aufstocken findet bei vollzeitarbeitenden Alleinstehenden nur in ganz seltenen Fällen
statt.
({6})
Wo die Familienverhältnisse dazu führen, dass der Lohn
den Bedarf nicht deckt, haben Sie - Rot-Grün - selbst
entschieden, dass dann aufgestockt werden soll. Mindesteinkommen statt Mindestlohn - das halte ich für das
richtigere Rezept.
Zum anderen möchte ich an Folgendes erinnern:
Viele in diesem Hause haben vor wenigen Monaten, vor
dem 1. Mai 2011, gesagt: Wir brauchen in Deutschland
deshalb Mindestlöhne, weil ansonsten der deutsche Arbeitsmarkt von Billiglohnkräften überrollt wird. Sechs
Monate später kann man sagen: Stell dir vor, es ist Freizügigkeit, und keiner kommt her. Es gibt keinen statistisch nachweisbaren Effekt, dass Arbeitskräfte aus Osteuropa nach Deutschland gekommen wären und hier
sozusagen Lohndumping betrieben worden wäre. Sie haben da eine Sau durchs Dorf getrieben, die jeglicher realen Grundlage entbehrte.
({7})
Wir sollten deshalb jetzt nicht in Aktionismus verfallen, sondern sehr nüchtern das Thema angehen. Ich kann
nur sagen: Wir beobachten das Ganze sehr genau. Wir
haben immer gesagt, wir sind zum Handeln bereit. Wenn
es erforderlich ist, werden wir darüber sprechen. Bis
dato sehen wir diese Notwendigkeit jedenfalls nicht.
Danke.
({8})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Hinz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
von der Leyen, Sie haben kritisiert, dass meine Kollegin
Pothmer die soziale Situation so schlechtreden würde.
Sie müssen aber schlicht und einfach zur Kenntnis nehmen, dass das Sparpaket der Bundesregierung lediglich
in Ihrem Etat umgesetzt wurde.
({0})
Alleine in Ihrem Etat finden die Kürzungen statt, egal ob
bei den Rentenbeiträgen für ALG-II-Empfänger, ob
beim Elterngeld für ALG-II-Empfänger, ob bei den
Heizkostenzuschüssen oder bei der Eingliederungsleistung.
({1})
All das findet in Ihrem Etat statt; die anderen Etats sind
vom Sparpaket nicht betroffen.
({2})
Das können Sie nicht negieren und auch nicht einfach
weglächeln.
({3})
Es hat überhaupt niemand etwas dagegen, dass Verbesserungen der konjunkturellen Lage positive Effekte
auf den Haushalt haben. Im Gegenteil: Das finden wir
gut. Aber strukturelle Entscheidungen für Sozialabbau
finden wir schlecht. Das muss verhindert werden.
({4})
Es handelt sich eben um keine konjunkturelle, sondern
sozusagen nur um eine strukturelle Entlastung, wenn
man die Eingliederungsleistungen um mehr als 20 Prozent kürzt, obwohl die Zahl der Hartz-IV-Empfänger nur
um 4 Prozent zurückgeht. Das führt dazu, dass Langzeitarbeitslose nicht so qualifiziert werden können, dass sie
im ersten Arbeitsmarkt unterkommen können. Das ist
das Problem. Sie können hier gerne über Fachkräftemangel reden; aber reden allein hilft nicht. Sie müssen auch
Geld in die Hand nehmen und etwas gegen den Fachkräftemangel tun.
({5})
Priska Hinz ({6})
Auch die Bundesagentur für Arbeit wird durch strukturelle Entscheidungen weiter belastet: Sie bekommt die
Kosten für die Grundsicherung im Alter aufgebürdet.
Das bedeutet, dass die Beitragszahlerinnen und -zahler
bis zum Jahr 2015 mit über 12 Milliarden Euro an diesen
Kosten beteiligt werden; so viel wird auf die Beitragszahler umgewälzt.
({7})
Frau Merkel stellt sich als Bundeskanzlerin auf dem
Deutschen Arbeitgebertag hin und sagt: Wenn sich die
wirtschaftliche Lage verschlechtert, werden wir das
Kurzarbeitergeldprogramm sofort wieder auflegen.
({8})
Da Sie die BA jetzt so plündern, möchte ich doch einmal
wissen: Mit welchem Geld eigentlich?
({9})
Wenn Sie schon nicht auf die Grünen hören: Auch die
Bundesbank hat kritisch angemerkt,
({10})
dass die Ausgaben der BA nicht über den Konjunkturzyklus zu finanzieren sind, wenn Sie der BA einen halben Prozentpunkt aus der Mehrwertsteuer wegnehmen.
Diese Entscheidung hat die schwarz-gelbe Koalition im
Haushaltsausschuss leider nicht revidiert.
Meine Damen und Herren, die Ministerin spricht hier
über Altersarmut; aber ihr Konzept ist schon im Ansatz
gescheitert. Frau Ministerin, was nützt es, wenn Sie hier
sagen: „Der Altersarmut muss man entgegenwirken;
man muss den Menschen helfen, die nicht 40 Jahre am
Arbeitsmarkt erwerbstätig sein konnten, die unterbrochene Erwerbsbiografien haben, die niedrige Einkommen haben“? Gerade diese Zielgruppe wird doch von Ihrem Konzept überhaupt nicht erfasst.
({11})
Das ist doch das Problem: Sie machen immer Vorschläge
über Vorschläge, aber diese sind nicht zielgerichtet an
den Gruppen orientiert, die tatsächlich Unterstützung
brauchen. Wir sind gespannt, welche Änderungen sich
hier noch ergeben werden.
Leider ist von der Koalition in dieser Hinsicht überhaupt nichts zu hören. Sie tragen alles mit - wie die
Lämmer -, was Ihnen Frau von der Leyen vorsetzt. Das
finde ich besonders bedauerlich. Eigentlich könnte man
von Abgeordneten erwarten, dass sie eigene Vorstellungen haben,
({12})
dass sie die Regierung nicht nur kontrollieren, sondern
vielleicht auch umorientieren. Aber hier ist von Ihnen
wirklich überhaupt nichts mehr zu erwarten.
({13})
Meine Damen und Herren, die Koalition versagt mit
dem vorliegenden Haushalt vielen Menschen eine angemessene soziale und kulturelle Teilhabe. Die Erhöhung
des Hartz-IV-Regelsatzes um 10 Euro kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Regelsatz schlicht und
einfach falsch berechnet ist; das können Sie mit diesem
Inflationsausgleich in Höhe von 10 Euro nicht aus der
Welt schaffen.
Wir haben Ihnen gezeigt, wie es, auch wenn man den
Regelsatz erhöht, die Eingliederungsleistungen verbessert und die BA stärkt, trotzdem möglich ist, die Nettokreditaufnahme zu senken. Wir würden nämlich ein
Sparpaket so im Haushalt verankern, dass alle Menschen
ausgewogen belastet werden, und zwar auch die Unternehmen, nicht einseitig nur die sozial Schwachen. Wenn
wir dann noch einen gesetzlichen Mindestlohn auf den
Weg bringen könnten, dann gäbe es auch für den Arbeits- und Sozialetat tatsächlich eine strukturelle Entlastung.
Zu solchen Entscheidungen sind Sie leider nicht fähig. Deswegen müssen wir den Etat ablehnen.
({14})
Das Wort hat der Kollege Karl Schiewerling für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Debatte
heute anhört, meint man in der Tat, man sei in einem völlig fremden Land. Ich darf Ihnen sehr deutlich sagen:
Zwei Jahre christlich-liberale Koalition haben unser
Land und seine Menschen nach vorne gebracht. Wir sind
aus der letzten, übrigens durch eine Finanzkrise entstandenen Wirtschaftskrise besser herausgekommen.
({0})
Wir müssen aber aufpassen und alles tun, damit das, was
sich am Horizont abzeichnet, nicht auf Deutschland
durchschlägt und Beschäftigung in der jetzigen Form erhalten bleibt bzw. sich weiter positiv entwickelt.
Wir sorgen weiterhin für soziale Sicherheit, geben
Perspektive und übernehmen Verantwortung für die
Menschen. Ich glaube, dass Kritik angesichts der Tatsache, dass wir mit die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in
Europa haben, ganz schnell weggebügelt werden kann.
Frau von der Leyen hat die Zahlen gerade dargelegt.
Man kann sagen: Das alles ist Unfug und nicht richtig,
wir brauchen all das nicht. Ich entgegne Ihnen: Ich habe
die heftigen Auseinandersetzungen in den 80er-Jahren
darüber erlebt, wie man junge Menschen in Beschäftigung bzw. Ausbildung bringen kann. Mir ist lieber, wir
haben ein Überangebot an Ausbildungsstellen, sodass
junge Menschen nachgefragt werden und untergebracht
werden können, als dass wir mehr junge Menschen haben, als uns Ausbildungsstellen zur Verfügung stehen. In
einer solchen Situation sind wir lange nicht mehr gewesen.
({1})
Sicherheit ist unsere Zielsetzung auch in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Wir haben sie in der Vergangenheit verwirklicht, wir werden sie auch im kommenden Jahr weiter verwirklichen. Gerade haben wir die
arbeitsmarktpolitischen Instrumente neu organisiert. Der
Vermittlungsausschuss hat, wie ich finde, einen vertretbaren Kompromiss gefunden - wir stimmen gleich darüber ab -, mit dem wir gut leben und gut zurechtkommen können.
Diese arbeitsmarktpolitischen Instrumente - Kollege
Kolb hat gerade darauf hingewiesen - sind der dritte Abschnitt der großen Arbeitsmarktreform, die wir durchgeführt haben. Das wesentliche Merkmal dieser arbeitsmarktpolitischen Instrumente ist, dass mehr Freiheit und
mehr Verantwortung vor Ort wahrgenommen werden
kann, um den Menschen passgenau und zielgenau zu
helfen, wieder in Arbeit und Beschäftigung zu kommen.
({2})
Aber, meine Damen und Herren, machen wir uns
nichts vor: Wir können so viele arbeitsmarktpolitische
Instrumente schaffen, wie wir wollen, wir können Hunderte von Milliarden Euro in arbeitsmarktpolitische Programme stecken: Wenn die Arbeitsplätze in der Wirtschaft nicht geschaffen werden, können wir die Leute
nicht unterbringen. Dass wir im Augenblick mit unseren
Instrumenten Erfolg haben, hängt damit zusammen, dass
sie so passgenau wirken, dass die Menschen auch auf
dem ersten Arbeitsmarkt unterkommen. Deswegen bitte
ich Sie, endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass es
900 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gibt. Das ist ein Aufwuchs, und
zwar in einer exzellenten Art und Weise, wie wir ihn seit
der Wende nicht mehr gehabt haben. Dadurch sind viele,
viele Menschen - und zwar weit mehr als die Hälfte - in
Vollzeitbeschäftigung gekommen und haben eine Perspektive bekommen: Hier handelt es sich nämlich um ordentliche und nicht um prekäre Beschäftigung und nicht
um Teilzeitbeschäftigung. Ich bin stolz darauf, dass
diese Menschen es geschafft haben, einen solchen Weg
zu gehen. Ihnen gilt all unsere Anerkennung.
({3})
Meine Damen und Herren, es ist gelungen, durch unsere Wirtschaftspolitik und durch unsere Arbeitsmarktpolitik gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich will
das an dieser Stelle sehr deutlich sagen, weil Sie sich
mal wieder - das machen Sie ja mit Vorliebe - auf Frau
von der Leyen eingeschossen haben. Man kann Frau von
der Leyen meinetwegen vorwerfen, sie würde zu viel arbeiten. Das können Sie gerne tun; es stimmt auch. Sie
können ihr aber nicht vorwerfen, dass sie in den letzten
zwei Jahren nicht mit großem Erfolg die Weichen gestellt hat. All das, was Sie kritisieren, stimmt nicht.
Wir haben eine gute Entwicklung im Bereich der Bürgerarbeit. Wir haben eine gute Entwicklung beim Programm „50 plus“.
({4})
Wir haben eine gute Entwicklung bei der Beschäftigung
von Langzeitarbeitslosen. Wir haben eine gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Das ist doch nicht vom Himmel gefallen. Da sind die Weichen in den letzten zwei
Jahren richtig gestellt worden. Das haben wir in der Koalition gemeinsam mit der Bundesarbeitsministerin getan. Deshalb haben wir auch diesen Erfolg.
({5})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige
Hinweise zu der von Ihnen erwähnten Mindestlohndebatte geben. Es gibt da einen fundamentalen Unterschied
zu Ihnen.
({6})
Mit der Union wird es auf keinen Fall im Deutschen
Bundestag einen Wettbewerb über die Höhe eines Mindestlohns geben.
({7})
Meinen Sie denn im Ernst, dass wir Sie losmarschieren
lassen, um bei der nächsten Bundestagswahl den nächsten Überbietungswettbewerb zu veranstalten?
({8})
Professor Dr. Müller-Armack, ein großer Nestor der sozialen Marktwirtschaft, hat sehr deutlich gesagt: Gegen
einen Mindestlohn ist nichts einzuwenden, solange der
Gleichgewichtslohn insgesamt nicht gestört wird.
({9})
Er hat darauf hingewiesen, dass die Einführung eines
Mindestlohns auch eine sehr sinnvolle Initiative sein
kann. Der Gleichgewichtslohn ist dabei allerdings der
entscheidende Punkt. Mit jedem Debattenbeitrag machen Sie jedoch deutlich, dass Sie sich genau dafür nicht
interessieren, sondern in einen völlig unbegründeten
Überbietungswettbewerb zur Höhe von Mindestlöhnen
einsteigen wollen. Das wollen wir nicht. Deswegen haben wir unseren Vorschlag unterbreitet.
({10})
60 Prozent der Arbeitnehmer haben ordentliche Tarifverträge, weitere 20 Prozent haben ordentliche Beschäftigungsverhältnisse in Betrieben. Ja, es ist richtig, wir
haben in manchen Bereichen erhebliche Verwerfungen.
Die wollen wir auch abstellen.
({11})
Aber die können wir doch nicht abstellen, indem wir im
Deutschen Bundestag über die Höhe eines Mindestlohnes debattieren. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass
diejenigen nicht aus der Verantwortung gelassen werden,
die für Lohnfindung in Deutschland zuständig sind: Arbeitgeber und Gewerkschaften.
({12})
In diese Richtung zielt auch der Antrag, den wir auf dem
CDU-Parteitag diskutiert haben. Grundlegende Intention
dabei ist: Die Arbeitgeber und die Gewerkschaften sind
für die Tariffindung zuständig.
Ich sage Ihnen voraus, dass wir an diesem Punkt weiter arbeiten werden, das ist ganz klar. Wir werden daran
arbeiten,
({13})
dass eine Kommission, die sich mit dem Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik beschäftigt, gebildet wird
- das ist zumindest meine bzw. unsere Vorstellung -,
({14})
in der Arbeitgeber und Gewerkschaften, die von der Situation betroffen sind und sich in diesem Bereich auskennen, unter entsprechenden Regularien, die noch festzulegen sind, die Dinge selbst regeln.
({15})
Herr Schiewerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Krellmann?
Nein, ich lasse keine Frage zu.
({0})
Schauen Sie auf die Uhr. Wir müssen auf die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bereichen ein bisschen Rücksicht nehmen. Sie wollen auch noch diskutieren.
({1})
Dass es zu fairen Bedingungen kommt, sind wir nicht
nur den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schuldig. Es geht auch um faire Bedingungen im Bereich der
Wirtschaft. Es geht darum, dass die Betriebe, die sich ordentlich verhalten, nicht dadurch bestraft werden und
unter Druck geraten, dass sich andere Betriebe nicht an
entsprechende Spielregeln halten.
Ich möchte in aller Deutlichkeit fragen: Warum haben
wir diese Malaise? Wir haben sie doch in den 50er-,
60er- und 70er-Jahren nicht gehabt. Wir haben sie auch
in den 80er-Jahren nicht gehabt. Deswegen musste auch
das Mindestarbeitsbedingungengesetz aus dem Jahre
1952 überhaupt nicht aus der Schublade geholt werden.
Kein Mensch hat damals über Mindestlöhne und Lohnuntergrenzen nachgedacht.
Wir befinden uns in dieser Situation, weil die Tarifautonomie in vielen Bereichen nicht mehr funktioniert.
({2})
Ich sage deswegen in aller Klarheit: Wir lassen - dazu
dient auch der Vorschlag, den wir auf dem CDU-Parteitag diskutiert haben - Arbeitgeber und Gewerkschaften
nicht aus dem Schwitzkasten. Sie sind für Löhne zuständig. Sie sollen es richten. Wir setzen dafür den Rahmen;
denn - das wurde schon richtig gesagt - dafür sind sie
zuständig.
({3})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Sätze zum „Regierungsdialog Rente“ sagen, weil er
gelegentlich angesprochen worden ist. Wir halten ihn für
richtig. Wir haben 2009 im Koalitionsvertrag vereinbart,
dass wir etwas gegen Altersarmut tun wollen. Die Bundesarbeitsministerin hat - was ihre Aufgabe ist und was
sie sehr gut gemacht hat - einen Vorschlag in die Debatte
hineingebracht. Dieser Vorschlag wird im Augenblick
auf breiter Ebene diskutiert. Ich bin mir sicher, dass wir
zu guten Ergebnissen kommen. Ich will nicht verheimlichen, dass ich selbst ein Interesse daran habe, dass dem
möglichst viele aus diesem Hohen Hause zustimmen
können.
Frau Kollegin Hinz, wir befinden uns mitten in der
Debatte und nicht am Ende. Es geht hier um einen Dialog und nicht um einen Bescheid durch das Bundesarbeitsministerium. So verstehen wir auch unsere Arbeit
als Parlamentarier. Ich denke, dass wir gemeinsam zu einem guten Ergebnis kommen werden.
({4})
Lassen Sie mich abschließend auf einen Punkt hinweisen, der uns am Herzen liegt. Die Frage der Inklusion
im Bereich der Behindertenarbeit, also die Frage der Integration der Menschen mit Behinderung in unsere Gesellschaft und in das Arbeitsleben, ist in der Tat ein
wichtiger und zentraler Punkt. Ich freue mich sehr, dass
es uns mit diesem Haushalt gelungen ist, die dauerhafte
Förderung der unabhängigen Stelle gemäß Art. 33 der
UN-Behindertenrechtskonvention nun tatsächlich zu sichern. Damit beenden wir die Projektsituation, und es
kann ordentlich weitergehen.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, ausdrücklich all
denjenigen, die sich um die Integration von Behinderten
bemühen - hier wird viel Arbeit geleistet, ob ehrenamtlich oder professionell im Bereich der sozialen Einrichtungen -, unseren Behindertenbeauftragten und den entsprechenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im
Bundesarbeitsministerium für die geleistete Arbeit danken. Ich glaube, dass wir mit diesem Haushalt so, wie
wir ihn insgesamt aufgestellt haben, auch in diesem Bereich Akzente setzen.
Ich freue mich sehr darüber, dass wir, wenn sich die
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiterhin positiv
entwickeln, den Menschen und allen, die der Hilfe bedürfen, eine Perspektive geben können.
Herzlichen Dank.
({5})
Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Krellmann
das Wort. Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Schiewerling,
ich habe das Gefühl, dass Sie unseren Vorschlag noch
nicht richtig verstanden haben. Wir möchten nicht jedes
Jahr immer wieder neu mit Ihnen darüber streiten, wie
ein Mindestlohn eingeführt werden sollte. Wir möchten,
dass diese Regierung endlich einen Startpunkt setzt, damit Gewerkschaften, Arbeitgeber und Wissenschaftler,
die in diesem Bereich arbeiten, das Weitere regeln können. Den Startpunkt müssen wir aber setzen. Wofür sind
wir denn gewählt? Über 80 Prozent der Menschen möchten einen Mindestlohn.
({0})
Wir müssen jetzt endlich etwas tun, damit die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände die Chance bekommen, für einen Mindestlohn zu sorgen.
({1})
Sie haben das Wort, Kollege Schiewerling.
Frau Kollegin Krellmann, ich danke Ihnen herzlich
für den Hinweis, dass ich Sie nicht verstanden habe. Das
mag sein.
Was ich aber verstanden habe, ist, dass Sie schon jetzt
wissen, dass 10 Euro dabei herauskommen müssen - das
geht bei Ihnen wie in einer Steilkurve schon in Richtung
12 Euro -, und dass Ihre Berechnungsgrundlage so aussieht: In einer Bedarfsgemeinschaft mit vier Personen,
die in der Region, aus der ich komme, etwa 1 700 Euro
bekommt, müsste der Alleinernährer einen Stundenlohn
von 15 Euro erhalten, damit diese Menschen nicht auf
Hartz IV angewiesen sind.
Frau Krellmann, was ich verstanden habe, ist, dass
Sie als Partei bzw. über den Deutschen Bundestag einen
gesetzlichen Mindestlohn festsetzen lassen wollen. Für
Sie kann er nicht hoch genug sein, und Sie betrachten
das Ganze unabhängig von der Frage, welche Konsequenzen das für die Einzelnen bedeutet. Das habe ich
verstanden, und deswegen bin ich dagegen.
({0})
Nun hat die Kollegin Anette Kramme für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Schiewerling, ich sage nur: Besser bei
8,50 Euro starten, als überhaupt keinen Gesetzentwurf
zum Mindestlohn hinbekommen.
({0})
Die Regierung hat hier und heute einen objektiv unvernünftigen Haushaltsentwurf für das Bundesarbeitsministerium vorgelegt. Was wir dort sehen, sind unvorstellbare Einsparungen im Bereich der Betreuung von
Arbeitslosen. Allein im Jahr 2012 geht es um eine Einsparsumme von 5,2 Milliarden Euro. Ihre Politik greift
zu kurz, ist einfallslos und perspektivisch sogar gefährlich.
Wir verzeichnen am Arbeitsmarkt zwei dicke Probleme. Einerseits haben wir eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit zu verzeichnen. Mehr als 50 Prozent aller
Langzeitarbeitslosen haben keinerlei Berufsausbildung;
20 Prozent haben nicht einmal einen Schulabschluss. Es
gibt eine einfache Grundwahrheit: Wer keine Ausbildung hat, wird sein Leben lang arm bleiben, wird immer
wieder auf den Bezug von Arbeitslosengeld und auch
Arbeitslosengeld II angewiesen sein und wird wahrscheinlich später die Grundsicherung im Alter benötigen.
Ein zweites Problem: Wir wissen, dass wir demografiebedingt auf einen Fachkräftemangel zusteuern. Ein
Fachkräftemangel ist für eine Nation eine schwere Hypothek; denn Investoren gehen in Länder - das wissen
wir -, in denen sie eine hinreichende Zahl an gut ausgebildeten Menschen antreffen, mit denen sie auf einen
Expansionskurs kommen können. Fachkräftemangel bedeutet aber auch, dass die ökonomischen Möglichkeiten
eines Landes unnötig eingeschränkt werden, mit negativen Folgen für die Steuereinnahmen einerseits und für
die Sozialversicherungskassen andererseits.
Frau von der Leyen, wir können bei Ihnen keinerlei
Konzept zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit
erkennen. Ich verweise an dieser Stelle nur auf die aktuelle Instrumentenreform. Wir sehen auch keinerlei
Konzeption, um den drohenden Fachkräftemangel in der
Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen. Aber es gäbe
eine einfache Möglichkeit, die Aufgaben finanziell zu
bewältigen.
Die Untersuchung von Prognos bestätigt, dass wir
durch einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro Steuereinnahmen in Höhe von 3,4 Milliarden Euro generieren
könnten.
({1})
Wir wissen auch, dass wir damit sozialstaatliche Transferleistungen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro vermeiden könnten.
({2})
Insgesamt ergibt sich also eine Summe von 5,1 Milliarden Euro, die der Staat zusätzlich zur Verfügung hätte.
Kollegin Kramme, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Kolb?
Von Herrn Kolb immer gerne.
Das ist nett, Frau Kramme. - Ich wollte Sie nur fragen, ob es richtig ist, was ich gehört habe, nämlich dass
Vorgabe für die Prognos-Studie war, unter der Annahme
zu rechnen, dass durch den Mindestlohn keine Arbeitsplätze entfallen. Daher ist die Rechnung, die abgeliefert
wurde, etwas gestellt bzw. - so müsste ich richtigerweise
sagen - bestellt. Können Sie mir außerdem einmal sagen, wer der Auftraggeber der Studie gewesen ist? Da
habe ich nämlich etwas läuten hören.
Herr Kolb, das sage ich Ihnen sehr gerne. Das war die
Friedrich-Ebert-Stiftung.
({0})
- Ich finde, es ist ein legitimes Anliegen einer sozialen
Stiftung, über die Konsequenzen eines Mindestlohns für
die Volkswirtschaft im Klaren zu sein. Diesen Aspekt
hat die Friedrich-Ebert-Stiftung berücksichtigen lassen.
Sie wissen aber auch um die positiven Ergebnisse, die
die Prognos-Studie gezeigt hat.
({1})
Die Prognos-Studie geht davon aus, dass es bei einem
Mindestlohn von 8,50 Euro nicht zu einem Abbau,
({2})
sondern vielmehr zu einem Aufbau von Arbeitsplätzen
kommt. Ich bin mir sicher, jedes Forschungsinstitut, insbesondere ein seriöses wie Prognos, wäre in hohem
Maße beleidigt, wenn man sagen würde, es lasse sich
durch einen Auftraggeber in seinen wissenschaftlichen
Einschätzungen beeinflussen.
({3})
Herr Kolb, Sie dürfen sich jetzt setzen. Mir fällt zu Ihrer Frage nichts mehr ein. Ich denke, meine Antwort war
erschöpfend.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich auf
das Thema Mindestlöhne zurückkommen. Ich habe gerade die finanziellen Möglichkeiten im Staatshaushalt
dargestellt, die es durch einen gesetzlichen Mindestlohn
gäbe. Davon abgesehen, es entspricht natürlich auch der
Würde der Arbeit, einen Mindestlohn zu haben. Ich kann
nur sagen, dass das, was wir an dieser Stelle beobachten
- ich sehe die CDU noch ganz weit entfernt von einem
Mindestlohn -, schlichtweg verbohrt und ideologisch
geprägt ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ein
weiteres Beispiel für unvernünftiges Regierungshandeln
nennen. Wir haben jetzt den Sachverhalt, dass qua Gesetz und nicht aufgrund der Leistung der Bundesregierung der Rentenversicherungsbeitrag um 0,3 Prozentpunkte sinken wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass die
FDP an dieser Stelle ein strahlendes Gesicht aufsetzt,
weil sie es endlich einmal geschafft hat, tatsächlich Entlastung für die Bürger zu erreichen.
({5})
- Herr Kolb, Sie wissen auch, dass die Entlastung für
den Einzelnen an dieser Stelle minimal ist und dass es
viel vernünftiger wäre, zu überlegen, was man mit diesem Geld stattdessen machen könnte.
Frau Kollegin Kramme, achten Sie bitte auf die Zeit.
Da gibt es zwei Dinge: Wir könnten einerseits die
Schwankungsreserve erhöhen. Das würde gerade bei
konjunkturellen Schwankungen dazu führen, dass wir
nicht ständig Beitragssätze ändern müssten.
({0})
Oder wir könnten etwas für diejenigen Menschen tun,
die eine Erwerbsminderungsrente beziehen, indem wir
zum Beispiel die Zurechnungszeit erhöhen. Das würde
für diese Menschen statt 2 Euro, wie nach Ihrem Konzept, 48 Euro im Monat mehr bedeuten.
({1})
Das ist - im Gegensatz zu der Ihrigen - eine Politik mit
menschlichem Angesicht.
Vielen herzlichen Dank.
({2})
Der Kollege Max Straubinger hat für die Unionsfraktion das Wort.
Vizepräsidentin Petra Pau
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Am Ende der Debatte zum Bundeshaushalt Arbeit und
Soziales kann man folgendes Fazit ziehen:
({0})
Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen
sind die Garanten für die soziale Sicherheit der Menschen in unserem Lande, und die Opposition hat keine
Alternativen zu dieser Politik. Das ist in vielen Wortbeiträgen, die hier von der Opposition abgeliefert wurden,
sichtbar geworden.
({1})
Das kann man kurz anhand verschiedener Zahlen
deutlich machen. Der Bundeshaushalt hat einen Umfang
von circa 306 Milliarden Euro. Der Haushalt für Arbeit
und Soziales hat einen Umfang von 126 Milliarden
Euro, der Haushalt für Gesundheit 14,5 Milliarden Euro,
der Haushalt des Familienressorts 6,8 Milliarden Euro;
summa summarum sind dies knapp 150 Milliarden Euro.
Jeder weiß, was das bedeutet: Fast 50 Prozent der Ausgaben des Bundeshaushaltes kommen sozialen Zwecken
zugute, und damit wird die soziale Sicherheit der Menschen besonders untermauert.
({2})
Dies ist natürlich ein Ausdruck der erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik dieser christlich-liberalen Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren. 84 Milliarden Euro
für Rente und rentengleiche Leistungen, insgesamt
40 Milliarden Euro für den Arbeitsmarkt - diese Zahlen
zeigen sehr deutlich, dass wir die erfolgreiche Politik
fortsetzen und dass sich diese in zunehmender Erwerbstätigkeit der Menschen in Deutschland niederschlagen
wird. Wir haben derzeit die höchste Zahl an Erwerbstätigen zu verzeichnen. Wir werden weiterhin die Arbeitslosigkeit bekämpfen und damit an die Spitze in Europa
gelangen. Derzeit liegt die Arbeitslosenquote in Deutschland bei 6,5 Prozent; damit stehen wir im europäischen
Vergleich sehr gut da. Das ist ein Ausdruck der erfolgreichen Politik, die wir, die christlich-liberale Koalition, in
die Tat umsetzen.
({3})
Man kann es nicht oft genug sagen: Wir haben die geringste Jugendarbeitslosigkeit zu verzeichnen. Darum
werden wir beneidet - richtigerweise. Kollege Heil, ich
erinnere mich noch an die Forderungen der SPD in der
Vergangenheit, zum Beispiel an die Forderung nach einer Ausbildungsplatzabgabe. Diese Forderung hört man
jetzt nicht mehr. Das zeigt sehr deutlich: Die wirtschaftlichen Kräfte haben die Grundlage in unserem Land geschaffen, dass wir vermehrt Arbeitsplätze haben und
mittlerweile jedem Bewerber einen Ausbildungsplatz
anbieten können. Dadurch haben wir die Chancen der
Jugend stark erhöht. In meiner Heimat werben wir mittlerweile Auszubildende aus osteuropäischen Ländern an,
um alle Lehrstellen besetzen zu können.
({4})
Das zeigt sehr deutlich, wie erfolgreich unsere Wirtschaftspolitik ist.
({5})
Das hat natürlich auch mit einer entsprechenden Philosophie in der Wirtschaftspolitik zu tun. Heute wurde
sichtbar - bei den Linken natürlich besonders, aber genauso bei SPD und Grünen -: Sie wollen die Bürgerinnen und Bürger immer mehr belasten,
({6})
und Sie wollen darüber hinaus die Unternehmen belasten.
({7})
Wir haben die Philosophie: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Wirtschaft müssen entlastet werden,
({8})
um Arbeitsplätze in unserem Land zu schaffen und die
Zukunftschancen der Menschen zu erhöhen.
Diese Philosophie hat sich bisher sehr erfolgreich bewährt, auch in der gemeinsamen Regierungszeit mit der
SPD, die sich nicht mehr daran erinnern will. In der Großen Koalition haben wir zum Beispiel den Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 6,5 Prozent auf mittlerweile
3 Prozent abgesenkt. Damit wurden die wirtschaftlichen
Kräfte befördert und Arbeitsplätze in unserem Land geschaffen. Damit haben wir eine bessere Wettbewerbsfähigkeit erreicht. Das ist letztendlich mit entscheidend für
die Zukunft, für die soziale Absicherung der Menschen.
({9})
Verehrte Damen und Herren, mir graut vor den Vorschlägen der Linken-Fraktion. Ich habe mit Aufmerksamkeit die Debatte zum Wirtschaftshaushalt verfolgt.
Der Kollege Claus hat ausgeführt, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit zugunsten der Internationalität aufgeben sollten, weil der Handelsbilanzüberschuss, den wir
erzielen, bei anderen Ländern negative Salden erzeugt.
({10})
Das mag richtig sein. Aber es kann doch nicht sein, dass
dann Arbeitsplätze bei uns in Deutschland vor die Hunde
gehen und abgebaut werden. Sie wollen letztendlich eine
Strangulierung der Wirtschaft,
({11})
sowohl in der Automobilindustrie als auch in vielen anderen Technologiebereichen. Dadurch werden Arbeits17086
plätze aus unserem Land vertrieben. Dadurch werden die
Chancen für die Menschen in Deutschland verringert.
({12})
Zu einer solchen Politik werden wir Ihnen garantiert
nicht die Hand reichen.
({13})
Ich habe mir auch die Änderungsanträge der Opposition angesehen. Entweder werden wir von Ihnen ständig
dafür gescholten, dass wir zu wenige Sparanstrengungen
unternehmen, oder Sie fordern, dass wir noch wesentlich
mehr sparen müssten.
({14})
Die SPD hat heute einen Änderungsantrag eingebracht, der Mehrausgaben in Höhe von 1,5 Milliarden
Euro zur Folge hätte. Dann hat sie erklärt, das könne
man durch die Einführung eines Mindestlohns gegenfinanzieren.
({15})
Meine Vorredner haben schon dargelegt, was das bedeuten würde.
({16})
Die Vorschläge der Grünen belaufen sich auf Mehrausgaben in Höhe von 3 Milliarden Euro. Sie wollen vor
allen Dingen den ALG-II-Regelsatz auf 420 Euro anheben. Wie Sie auf diesen Betrag gekommen sind, entzieht
sich unserer Kenntnis.
({17})
Wir orientieren uns am Bundesverfassungsgerichtsurteil,
werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
({18})
und nicht am Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband.
({19})
- Doch. Das entspricht der Forderung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.
({20})
Bei den Linken war eine regelrechte Antragswut zu
beobachten. Ihre Vorschläge hätten Ausgaben in einem
Umfang von 41 Milliarden Euro zur Folge.
({21})
Das wäre ein Programm fürs Nichtstun. Es würde letztendlich dazu führen, dass zukünftig niemand mehr arbeitet oder dass in unserem Land nur noch wenige Menschen arbeiten, die dies dann zu bezahlen hätten.
({22})
41 Milliarden Euro entsprechen einer Erhöhung des Beitragssatzes um 4 Prozentpunkte; das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. In dieser Größenordnung müssten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
belastet werden, um die entsprechenden Vorschläge gegenzufinanzieren. Dazu sage ich sehr deutlich: Sie haben
nicht den richtigen Kompass für eine gute Politik für die
Zukunft. Es liegt letztendlich an unserer christlich-liberalen Regierung, den Sozialstaat in Deutschland auch
weiterhin erfolgreich auszubauen.
({23})
Dem fühlen wir uns verpflichtet. Stimmen Sie unserem
Haushalt zu!
({24})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales - in der
Ausschussfassung. Hierzu liegen fünf Änderungsanträge
vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wir beginnen mit der Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache
17/7830. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und
der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion
und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen nun zu zwei Änderungsanträgen der
Fraktion Die Linke.
Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7831. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7832. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der Linksfraktion abgelehnt.
Wir kommen schließlich zu zwei Änderungsanträgen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7833. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und
der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Vizepräsidentin Petra Pau
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7834. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser
Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 11 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Verbesserung
der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt
- Drucksachen 17/6277, 17/6853, 17/7065,
17/7330, 17/7775 Berichterstattung:
Abgeordneter Stefan Müller ({1})
Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 17/7775? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen fort.
Ich rufe Tagesordnungspunkt II.16 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
- Drucksachen 17/7116, 17/7123 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Mattfeldt
Florian Toncar
Sven-Christian Kindler
Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD, zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über drei Änderungsanträge werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Caren Marks für die SPD-Fraktion.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Ministerin, gestern titelte eine große deutsche Tageszeitung: „Regierung führt Kristina Schröder vor“. Der Artikel bezog sich auf die in letzter Sekunde von der Koalition
zurückgenommene Kürzung in Höhe von 2 Millionen
Euro bei den Programmen gegen Rechtsextremismus. Die
Koalitionsspitze hat Sie, Frau Ministerin, ausgebremst
und Ihnen die gelbe Karte gezeigt, und ich sage: zu Recht.
({0})
Die von Ihnen geplanten Kürzungen waren ein verheerendes politisches Signal. Rechtsextremismus muss mit
allen Mitteln, und zwar entschieden, bekämpft werden.
({1})
Auch bei einem anderen Thema, für das Frau
Schröder zuständig ist, nehmen nun andere das Heft des
Handelns in die Hand. „Jeder gegen jeden beim Betreuungsgeld“, schrieb gestern eine andere Tageszeitung und
berichtete von einem geplanten Krisengespräch nächste
Woche, bei dem Sie, Frau Ministerin, gar nicht eingeladen sind.
({2})
- Ich denke, das ist deutlich.
Frau Ministerin, heute geht es nicht nur um die Weichenstellungen in Ihrem Etat für das kommende Jahr
2012. Es geht vielmehr um die Frage: Was ist wichtig
und richtig für eine moderne Familien- und Gesellschaftspolitik? Doch ich bezweifle sehr, dass Sie als zuständige Bundesministerin die Probleme in der Gesellschaft überhaupt erkennen. Ich nenne nur ein paar
davon: eine mangelnde Vereinbarkeit von Familie und
Beruf, eine zu geringe Zahl von Krippenplätzen und
Ganztagsangeboten, eine nach wie vor mangelhafte
Gleichstellungspolitik für Frauen und Männer und eine
vorhandene Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung
von Minderheiten in unserer Gesellschaft. Hier erwarten
die Menschen zu Recht Antworten von Ihnen, Frau
Ministerin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Kommentar auf
tagesschau.de vom 16. November hat sich eingehend
mit dem Erscheinungsbild der Ministerin beim Thema
Rechtsextremismus beschäftigt und mahnt an, dass wir
verantwortungsvolle Politiker brauchen, die nicht aus
- Zitat - „ideologischer Geschwätzigkeit heraus Gräben
aufreißen, wo gar keine sind“.
({3})
Bei Frau Schröder komme - Zitat - „kein Satz ohne ein
‚aber‘“ aus. Das wird in dem Artikel zu Recht bemängelt. Er trifft damit den Kern des Problems.
Die Ministerin reißt nicht nur hier mit ihrer „Ja,
aber“-Politik Gräben auf: Programme gegen Rechtsextremismus ja, aber Sie zweigen hiervon Mittel für die
Bekämpfung des Islamismus und des Linksextremismus
ab. Fördermaßnahmen zur Gleichstellung von Frauen
und Männern ja, aber Sie kürzen bei Maßnahmen für
Mädchen und Frauen zugunsten von Jungen- und Männerprojekten. Was die Förderung der Antidiskriminierungsstelle angeht, kann noch nicht einmal von einer „Ja,
aber“-Politik die Rede sein. Denn die Ministerin spart
die Antidiskriminierungsstelle im wahrsten Sinne des
Wortes kaputt und ignoriert damit den Auftrag des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Das alles ist verantwortungslos, Frau Ministerin.
({4})
Frau Schröder, Sie spielen mit dieser ideologisch geleiteten Politik Gruppen in unserem Land gegeneinander
aus und nehmen die gesellschaftliche Spaltung in Kauf.
Sie relativieren wirklich drängende Probleme und haben
sich offensichtlich davon verabschiedet, für die Menschen einzutreten, für die Sie als Ministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend zuständig sind.
So brauchen Eltern Verlässlichkeit in der Familienpolitik. Diese benötigen sie gerade beim Betreuungsausbau. Familien fordern wirklich zu Recht, dass der Staat
ein bedarfsdeckendes Angebot an frühkindlicher Bildung und Betreuung zur Verfügung stellt. Die aktuellen
Zahlen des Statistischen Bundesamtes haben uns doch
erneut deutlich vor Augen geführt, dass beim Krippenausbau noch viel zu tun ist. Bis zum Inkrafttreten des
Rechtsanspruchs bleiben uns nicht einmal mehr zwei
Jahre. Es ist höchste Zeit.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert deshalb, für
2012 300 Millionen Euro zusätzlich in den Ausbau zu
investieren, und wir haben diese Forderung selbstverständlich mit einem Finanzierungskonzept verbunden.
Wir sehen als SPD ganz klar eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der Bund, Länder und Kommunen in
einem Boot sitzen und diese Aufgabe gemeinsam zu bewältigen haben. Wegducken hilft hier nicht weiter, Frau
Ministerin.
({5})
Uns allen ist seit langem bekannt: Erstens. Der Bedarf
an Krippenplätzen ist höher als 2007 angenommen.
Zweitens. Das Ausbautempo ist zu gering und muss
dringend gesteigert werden. Drittens. Es gibt einen Fachkräftemangel, der dringend behoben werden muss, um
das Ausbauziel erreichen zu können.
({6})
Deshalb sagen wir zu Recht - wir haben viele Bündnispartner an unserer Seite -: Es muss dringend ein neuer
Krippengipfel einberufen werden, um all diese Probleme
gemeinsam anzupacken.
({7})
Doch das alles scheint die Bundesregierung nicht zu
interessieren. Sie gucken gelangweilt, Frau Ministerin,
und legen die Hände in den Schoß. Regierung und Koalitionsfraktionen streiten sich stattdessen seit Monaten
- in den letzten Tagen hat der Streit noch an Intensität
zugenommen - immer heftiger über das Betreuungsgeld.
Dieses Betreuungsgeld wäre nicht nur eine bildungsund gleichstellungspolitische Katastrophe, sondern auch
verfassungsrechtlich höchst problematisch. Über Jahre
hinweg würden Milliarden aus dem Bundeshaushalt gebunden werden. Auch haushalterisch gesehen ist verantwortliche Politik eine andere.
({8})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich finde, es
wäre endlich an der Zeit, diesen immer bizarrer werdenden Streit ad acta zu legen und auf diese unsinnige Fernhalteprämie - denn das ist und bleibt sie - zu verzichten.
({9})
Investieren Sie stattdessen mehr in den Ausbau von Bildung und Betreuung; denn das wünschen und brauchen
Eltern und Kinder in unserem Land.
Es ist notwendig, das Ruder bei der Familienpolitik
herumzureißen. Ich bezweifle allerdings, dass Sie, Frau
Ministerin, dafür die richtige Person sind.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Andreas Mattfeldt für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
Beratungen zum Haushalt 2012 standen unter dem Einfluss der Verschuldungskrise innerhalb der Euro-Zone.
Aufgrund dieser Doppelbelastung waren es für uns
Haushälter nicht ganz einfache Beratungen, und ich sage
ehrlich: Ich hätte mir gewünscht, wir hätten ein wenig
mehr Zeit für die Beratungen gehabt. Dennoch hat mir
die Verschuldungskrise in Griechenland, Portugal, Italien und Spanien - um nur einige Länder zu nennen gezeigt, dass auch wir bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes äußerste Ausgabendisziplin aufzeigen müssen.
Zahlreiche Anträge auf Mehrausgaben im Haushalt
des Familienministeriums sind schriftlich, aber auch in
ungezählten mündlichen Gesprächen mit Abgeordneten
sowie seitens der Sozialverbände und Institute oder
durch Vertreter sozialer Projektförderung an mich herangetragen worden. Dabei habe ich mir vieles Wünschenswerte und Nachvollziehbare angeschaut und abgewogen,
ob wir Mittel zur Finanzierung einsetzen oder ob es vielleicht eben nicht darstellbar ist; denn mit Blick auf die
Schuldenbelastung in unserem Land, die von den jungen
Menschen bezahlt werden muss, und die eben nicht positive demografische Entwicklung ist auch im Bereich der
freiwilligen sozialen Ausgaben größte Ausgabendisziplin gefordert.
Ich habe mich davon überzeugen können, dass wir
viele Ausgaben für Verbände, Institute oder Projekte finanzieren, die sinnvoll sind und von denen die Menschen im Land profitieren. Ich habe aber genauso gesehen - ich sage das ganz provokant -, dass zahlreiche
Projekte, Institutionen oder Verbände, die durch hart erarbeitete Steuermittel finanziert werden, nicht dafür sorgen, dass es den Menschen in unserem Land besser geht.
Nein, oft geht es auch um die Arbeitsplatzsicherung von
Mitarbeitern in einem für mich schier undurchschaubaren Dschungel der sozialen Dienstleistungen.
({0})
Manche in unserem Land sprechen hier bereits von der
Sozialindustrie.
({1})
Ich habe mir die Mühe gemacht, mir zahlreiche Einrichtungen, die Mittel aus dem Familienministerium erhalten, anzuschauen. Der Blick hinter die Kulissen war
vielfach sehr aufschlussreich; denn gerade wenn man
hinterfragt hat, was der Verein oder der Verband genau
macht und welche positive Wirkung hierdurch bundesweit für die Menschen erzielt wird, blieb ab und an doch
wenig übrig.
({2})
Erschreckend ist in diesem Zusammenhang, wie diese
- jetzt nutze ich auch einfach mal diese Bezeichnung „Sozialindustrie“ in unserem Land reagiert, wenn die
von einer breiten Mehrheit des Bundestages geforderte
Schuldenbremse umgesetzt wird. Die Reaktionen, wenn
finanzielle Wünsche nicht komplett umgesetzt werden,
sind bemerkenswert.
({3})
Mit medialem Druck wird versucht, Forderungen umzusetzen, und in der Öffentlichkeit wird ein schwarz-weißes Bild vom jeweiligen Parlamentarier, der diese Forderung nicht erfüllt, gezeichnet.
Meine Damen und Herren, die Menschen, die jeden
Tag hart arbeiten und das finanzieren, was wir hier vielfach großzügig verteilen, wollen sehen, dass mit ihrem
hart erarbeiteten Geld etwas erreicht wird und dass hiervon bei ihnen wieder etwas ankommt. Ob hierzu der
50 000. Flyer oder die 6 000. Broschüre von Einrichtung
A, B oder C zielführend ist? Ich denke, nein.
({4})
Das gilt auch für die Antidiskriminierungsstelle. Ihr
Vorwurf, Frau Marks, wir hätten die Mittel für die ADS
so gekürzt, dass eine Aufgabenwahrnehmung nicht mehr
möglich sei,
({5})
entbehrt jeder Grundlage. Richtig ist, dass die ADS in
zahlreichen Haushaltsstellen erheblich mehr Mittel als
im vergangenen Haushaltsjahr beantragt und gewünscht
hat.
({6})
Im Zuge einer Prüfung haben wir dann aber festgestellt,
dass dieser zusätzlich gewünschte Mehrbedarf in keiner
Weise dem realisierten Abfluss von Mitteln entspricht.
Nur zur Klarstellung: Bis zum 16. November sind bei
den den realistischen Gegebenheiten angepassten Haushaltsstellen gerade einmal 35 Prozent abgeflossen.
({7})
Eine Anpassung hat hier also auch mit Haushaltsklarheit
zu tun, die uns durch das Haushaltsrecht zwingend vorgeschrieben ist. Ich sage deutlich: Es gibt auch zukünftig
noch genug Luft für die Realisierung von zahlreichen
Projekten.
({8})
Ich appelliere deshalb daran, dass Sie mit uns dafür
kämpfen, dass die Einhaltung der Schuldenbremse bis in
die kleinste Verwaltungseinheit, sowohl im Ministerium
als auch bei allen Empfängern von Steuergeldern, verinnerlicht wird; denn auch wenn in diesen Tagen die Wirtschaft brummt und die Steuereinnahmen aufgrund kluger politischer Entscheidungen anständig ausfallen,
werden wir uns dauerhaft nicht mehr alles leisten können, was wünschenswert ist. Wo es hinführt, wenn wir
nicht jede Ausgabe hinterfragen, sehen wir nicht nur an
Griechenland oder Italien, sondern eben auch an unserem eigenen Haushalt. Auch wir Deutsche haben jahrzehntelang über unsere Verhältnisse gelebt, und wir fangen erst jetzt wieder zaghaft damit an, dass uns der
sparsame Umgang mit Steuergeldern in Fleisch und Blut
übergeht.
Kritisch müssen wir feststellen, dass auch der Etat des
Familienministeriums während der Beratungen von
6,48 Milliarden Euro auf 6,78 Milliarden Euro aufgestockt wurde. Dies liegt nicht daran, dass wir Wasser
predigen und Wein trinken und im eigenen Etat noch
aufgesattelt haben, um das eine oder andere Projekt zu
verwirklichen. Nein, der Aufwuchs liegt zuallererst daran, dass wir den Ansatz für das Elterngeld um 300 Millionen Euro auf 4,9 Milliarden Euro erhöhen mussten.
({9})
In der Betrachtung ist das natürlich eine erfreuliche Ent-
wicklung; denn das zeigt uns, dass a) die Löhne auf-
grund guter wirtschaftlicher Entwicklung steigen und b)
vor allen Dingen immer mehr Väter Gebrauch von den
Vätermonaten machen. Die Eltern haben einen gesetzlichen Anspruch auf das Elterngeld, und deshalb ist es
trotz der Notwendigkeit der Schuldenbremse richtig, den
Ansatz realistisch anzupassen.
Wir haben in diesem Haushalt darüber hinaus die Entschädigung der misshandelten Heimkinder dargestellt.
Dies war haushaltstechnisch und haushaltsrechtlich alles
andere als eine einfache Angelegenheit;
({10})
denn obwohl den Bund kein unmittelbares Verschulden
trifft - die Träger der Heime, das wissen Sie, waren häufig die Kirchen -, verstehen wir es als Signal, diesen Opfern Wiedergutmachung zukommen zu lassen. Insgesamt wurde am Runden Tisch vereinbart, dass der Bund
über vier Jahre verteilt insgesamt 40 Millionen Euro bereitstellt. Dies ist im Haushalt abgebildet.
({11})
Ein Punkt, der vor allen Dingen der Ministerin sehr
am Herzen liegt, ist die Unterstützung von ungewollt
kinderlosen Paaren bei der oft notwendigen medizinischen Kinderwunschbehandlung. Ich gebe offen zu, dass
ich über die Notwendigkeit einer Bereitstellung von Mitteln lange nachgedacht habe. Aber nach eingehender Betrachtung, auch in emotional ergreifenden Gesprächen
mit Betroffenen, bin ich zu der tiefen Überzeugung gekommen, dass es richtig ist, hierfür Mittel einzustellen.
Wir werden in 2012 mit 7 Millionen Euro die Kinderwunschbehandlung unterstützen. Ich bin sicher: Das ist
gut angelegtes Geld, und das kommt direkt den Menschen zugute.
Lassen Sie mich noch kurz ein Wort zum Extremismustitel verlieren. Wir haben am Dienstag die Mittel für
diesen Titel um 2 Millionen Euro angehoben.
({12})
Das ist ein erheblicher Aufwuchs, zumal erhebliche
Kosten an einen Dienstleister wegfallen, der noch im
vergangenen Jahr die Verwaltung der Extremismusprogramme extern vorgenommen hat; die werden jetzt
durch eigenes Personal verwaltet. Schnell vergessen
wurde, dass es Kristina Schröder war, die bereits 2010
die Mittel für diesen Titel um 5 Millionen Euro erhöht
hat.
({13})
Ihre parteipolitischen Vorwürfe, Frau Marks, sind abstrus und unter Demokraten, die in dieser Sache ein gemeinsames Ziel verfolgen, in meinen Augen unwürdig.
Ich sage deutlich: Eine solche Debatte dient nur dem extremen Bereich in Deutschland. Das lasse ich nicht zu.
({14})
Es bleibt zu hoffen, dass diese Mittel im Gegensatz zu
2011 - bis zum 15. November sind in diesem Bereich lediglich 60 Prozent von 29 Millionen Euro abgeflossen zukünftig auch in der Summe zielgerichtet eingesetzt
werden können.
({15})
- Herr Bockhahn, arbeiten Sie daran. Lassen Sie uns abwarten, wie die Mittel in Zukunft abfließen. Ich bin da
noch sehr skeptisch.
Wir blicken insgesamt auf sehr erfolgreiche Haushaltsberatungen zurück. In diesem Zusammenhang gilt
mein Dank nicht nur Ministerin Schröder und ihren
Staatssekretären, sondern ganz besonders allen beteiligten Mitarbeitern des Ministeriums, mit denen wir in den
letzten Monaten hervorragend zusammengearbeitet haben.
Herzlichen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Steffen Bockhahn für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Mattfeldt, ich bin
wirklich schwer überrascht davon, wie Sie die Arbeit
von Sozialverbänden in der Bundesrepublik Deutschland
hier diskreditieren und ihnen per se Steuerverschwendung vorwerfen. Das ist unfassbar!
({0})
Ich möchte an dem Punkt weitermachen, mit dem Sie
aufgehört haben, nämlich mit dem Etat für die Extremismusprävention. Es ist sehr gut, dass der Etat zur Bekämpfung des Rechtsextremismus wieder erhöht worden
ist, besser gesagt, dass doch nicht gekürzt worden ist.
({1})
Denn jetzt stehen wieder 29 Millionen statt bisher
27 Millionen Euro im Einzelplan. Es ist allerdings
schlimm - ich kann mir nicht ersparen, das zu sagen -,
dass es eines solchen Anlasses bedurfte, um das möglich
zu machen.
({2})
Ich muss es so sagen: Ich bezweifle ernsthaft, dass inzwischen alle verstanden haben, was zu tun ist. Denn
wenn ich mir die Interviews der Ministerin und die
Handlungsweisen in diesem Bereich anschaue, dann
muss ich ernsthaft daran zweifeln, dass es alle verstanden haben, zumal die Zuständigen.
({3})
Ein abschreckendes Beispiel dafür sind die unterschiedlichen Förderquoten. Projekte, die sich mit der Bekämpfung von Rechtsextremismus befassen, werden mit
maximal 50 Prozent durch den Bund gefördert. Projekte,
die sich mit vermeintlichem Linksextremismus befassen
sollen, brauchen hingegen nur 10 Prozent Eigenanteil
aufzubringen, weil sie mit bis zu 90 Prozent durch das
Bundesministerium gefördert werden. Objektiv handelt
es sich hier um eine Ungleichbehandlung durch das
Ministerium. Das ist ein fatales und falsches Signal, Frau
Ministerin. Machen Sie das rückgängig!
({4})
Wir müssen auch darüber nachdenken, wer die Verantwortung für diese Aufgabe trägt. Bisher sind es formal allein die Kommunen und die Länder. Der Bund ist
nur impulsgebend aktiv, betreibt also nur Projektförderung. Langfristige, fundierte Arbeit durch institutionelle
Förderung ist derzeit nicht gewollt. Ich halte das für
falsch. Der Einsatz für Demokratie, Toleranz und Freiheit ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Auch der
Bund sollte hier mehr tun.
({5})
Auch die Länder können und müssen wieder mehr
tun. Kommunen, die Projekte trotz schwerer Haushaltslagen ermöglichen wollen, müssen durch die Rechtsaufsichtsbehörden in den Ländern die Möglichkeit dazu bekommen. Projekte für Demokratie und Toleranz, liebe
Kolleginnen und Kollegen, sind keine freiwilligen Aufgaben. Sie sind erste Bürgerpflicht. Sie müssen möglich
sein und möglich bleiben.
({6})
In den letzten Tagen wurde in vielen Medienberichten
darauf hingewiesen, dass die Ministerin gesagt hat, dass
noch 8,5 Millionen Euro übrig sind bzw. noch nicht abgerufen worden sind. Wie kommt denn so etwas zustande? In Mecklenburg-Vorpommern gibt es zehn lokale Aktionspläne, einen davon in Demmin. Anfänglich
wurde er mit 100 000 Euro unterstützt. Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis beteiligte sich daran. Es
wurde extra ein Begleitausschuss mit Parteien, Vereinen,
Verbänden und zivilgesellschaftlichen Akteuren gebildet. 65 Projekte wurden erfolgreich durchgeführt und
begleitet. In diesem Jahr gab es aber laut Plan nicht
mehr 100 000, sondern nur noch 40 000 Euro. Der Landkreis hat trotz erheblicher Haushaltsnotlage einen ordentlichen Eigenanteil geleistet. Fakt bleibt, dass dieses
Jahr 60 000 Euro weniger nach Demmin geflossen sind
als zu Beginn des Förderplans. Daher ist es auch kein
Wunder, wenn im Ministerium noch Geld übrig ist. Sie
nennen es degressive Förderungen, ich nenne es Kürzung.
({7})
Verteilen Sie das Geld so, dass die Projekte, die es
brauchen, es auch bekommen. Davon gibt es genügend,
auch wenn Sie das vielleicht nicht wahrhaben oder akzeptieren wollen, Frau Ministerin. Aber mit der Akzeptanz von Realitäten scheint es bei Ihnen ohnehin schwierig zu sein. Ich habe Ihr Zeitungsinterview vom letzten
Freitag gelesen und muss feststellen: Sie haben erhebliche Wahrnehmungsstörungen. Sie behaupten dort, dass
die Opposition im Haushaltsausschuss des Deutschen
Bundestages einer Kürzung der Mittel im Extremismusbereich zugestimmt hat. Das ist schlicht unwahr; das ist
eine Lüge. Nehmen Sie das hier zurück, Frau Ministerin!
({8})
Ich möchte einen anderen Punkt ansprechen, der hier
schon thematisiert wurde. Das sind die Kürzungen bei
der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Herr Kollege
Mattfeldt, Sie machen es sich ein bisschen zu einfach,
wenn Sie behaupten, dass der Mittelabfluss nicht so ist,
wie Sie sich das vorstellen. Wenn Sie sich die Arbeitsprogramme genau anschauen, dann wissen Sie, dass
hier langfristige Kampagnen geplant sind und dass Mittel angespart werden. Wenn Sie sich die Arbeitspläne für
das nächste Jahr anschauen, dann wissen Sie, dass eine
große, breit angelegte Kampagne gegen Altersdiskriminierung, für die Unterstützung zugesichert ist, geplant
war. Ob die jetzt noch möglich sein wird, ist mehr als
fraglich.
({9})
Sie stellen sich hier als großer Haushaltssanierer dar und
kürzen 367 000 Euro, ein Achtel des Gesamtbudgets der
ADS, weg. Sie nehmen 26 Milliarden Euro neue Schulden auf. Da kann es doch an 367 000 Euro für zivilgesellschaftliches Engagement nicht fehlen.
({10})
Was Sie da treiben, ist unfassbar. Genauso unfassbar ist,
in welches Licht Sie die Antidiskriminierungsstelle stellen. Wenn man sich die Blogs auf Ihrer Website anschaut,
({11})
dann weiß man, was eigentlich dahintersteckt; das ist das
Problem.
Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, ich
kann es Ihnen an dieser Stelle nicht ersparen, auch Sie zu
kritisieren. Wir haben gemeinsam gegen die Kürzungen
protestiert. Dass Sie aufgrund kleingeistiger parteipolitischer Denke einen gemeinsamen Änderungsantrag der
Oppositionsfraktionen verhindert haben, ist ein schlechtes Signal. Es hätte die Chance auf einen gemeinsamen
Antrag gegeben. Aber Sie wollten das nicht. Das ist
nicht in Ordnung. Das ist ein falsches Signal. Das kritisieren wir. Aber vor allen Dingen kritisieren wir die Kürzungen.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Gruß für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Ministerin! Es ist unbestritten: Wir alle sind bestürzt und traurig. Gerade uns Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker macht es sehr
betroffen, wenn Eltern ihre Tochter verlieren oder Kinder ihren Vater. Wir alle stehen geschlossen hinter den
Angehörigen der Opfer rechtsextremer Gewalt. Deren
ungeheuerliches Ausmaß hat uns alle schockiert. Ich
möchte an dieser Stelle an die gute Stunde erinnern, die
wir am Dienstag im Deutschen Bundestag gemeinsam
begangen haben.
Die Initiative der Justizministerin, Frau
Leutheusser-Schnarrenberger, begrüße ich sehr. Die Angehörigen müssen entschädigt werden; denn sie leben
mit dem Schmerz ihr ganzes Leben. Die Vorfälle
verdeutlichen uns einmal mehr, wie wichtig die Prävention von Rechtsextremismus ist. Mein Kollege
Bernschneider wird darauf genauer eingehen. Aber eines
will ich doch festhalten: Die Mittel zur Bekämpfung aller Formen von Extremismus wurden seit dem Ende von
Rot-Grün fast verdreifacht. Das zeigt, wie ernst wir dieses Thema nehmen.
({0})
Nun kommt Kritik aus der Opposition zu den Mittelkürzungen bei der Antidiskriminierungsstelle. Ich bitte
darum, dass sich die Aufregung hier legt, bei allem Verständnis dafür. Wir alle sind uns doch einig: Diese wichtige Stelle muss ihre gesetzlichen Aufgaben unbedingt
erfüllen können. Sie hat jedoch 2011 ihr Budget nicht
ausgeschöpft. Die Antidiskriminierungsstelle nimmt einen deutlichen sechsstelligen Betrag an unverbrauchten
Mitteln mit in das nächste Jahr. Allein für den Bereich
Öffentlichkeitsarbeit wurden für das Jahr 2011
200 000 Euro veranschlagt. Aber es zeichnet sich ab,
dass nur gut 50 000 Euro davon ausgegeben werden, das
heißt ein Viertel, meine Damen und Herren. Die Antidiskriminierungsstelle sollte arbeiten, bevor etwas passiert.
Vor diesem Hintergrund ist ein so großer Übertrag ins
nächste Jahr nicht zu verstehen.
Nun komme ich zum allgemeinen Etat. - Die Gesellschaft insgesamt befindet sich in einem tiefgreifenden
Wandel. Die Aufgabe von uns Politikerinnen und Politikern ist es, diesen Wandel zu begleiten und zu gestalten.
Im Mittelpunkt stehen dabei für uns stets die Kinder. Wir
werden deshalb gezielt investieren, um Kindern Schutz
und Chancen zu bieten.
Ich erinnere an dieser Stelle an das Bundeskinderschutzgesetz und insbesondere die Initiative der FDP für
die Familienhebammen. Ich appelliere noch einmal an
alle hier im Hause, diesem guten Gesetz nicht den Weg
zu versperren, sei es über die Länder oder über andere
Wege.
({1})
Ich erinnere daran, dass wir als schwarz-gelbe Koalition mehr in die frühkindliche Bildung investieren, auch
von Bundesseite, als das jemals in einem Haushalt zuvor
geschehen ist, und zwar mit der Bundesinitiative „Offensive Frühe Chancen“.
Was die Familien anbelangt, wollen auch wir die Rahmenbedingungen verbessern. Insbesondere sollten wir
Familien in den Blick nehmen, die ungewollt kinderlos
sind. Ich freue mich deshalb sehr, dass in diesem Etat
7 Millionen Euro, wenn auch noch gesperrt, bis ein tragfähiges Konzept vorliegt, für Familien zur Verfügung
gestellt werden, die ungewollt kinderlos sind. Wir wollen die Bedingungen verbessern, diesen Familien Chancen eröffnen und den Etat in den früheren Stand versetzen; die Mittel sind ja gekürzt worden, als wir noch nicht
regiert haben. Nirgendwo ist es so offensichtlich, dass
ein Mitteleinsatz tatsächlich direkt zu mehr Kindern
führt. Wir freuen uns deswegen über die Initiative für die
annähernd 2 Millionen ungewollt kinderlosen Paare in
Deutschland.
({2})
Zum Elterngeld ist schon einiges gesagt worden.
Zum Betreuungsgeld. Es ist ganz klar, dass es nicht
von uns auf den Weg gebracht worden ist, sondern damals von Schwarz-Rot und dass es einen Zusammenhang zwischen dem Ausbau der Betreuung und dem Betreuungsgeld gab. Von daher appelliere ich auch an die
rot-grün regierten Länder, beim Ausbau der Betreuung
ihre Hausaufgaben zu machen; denn wir schaffen wahre
Wahlfreiheit nur dann, wenn auch die Länder ihre Zusagen einhalten und ihre Gelder in den Ausbau der Betreuung investieren.
({3})
Mit Interesse verfolge ich diverse Debattenbeiträge
zum Betreuungsgeld. An der Stelle nur ein Appell auch
an Bayern, auch wenn ich selbst von dort komme. Die
Verhandlungsführer sitzen im Deutschen Bundestag. Ich
freue mich auf die gemeinsame Arbeit. Die FDP steht
für die Gespräche zur Verfügung. Unsere Positionen
sind, denke ich, klar. Der grobe Rahmen ist abgesteckt.
Die Ausgestaltung jedoch ist noch offen. Für die diversen Änderungswünsche und für diverse Ausgestaltungsoptionen ist die FDP offen.
Vielen Dank.
({4})
Die Kollegin Monika Lazar hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die rechtsextreme Mordserie der letzten Jahre hat wahrscheinlich dem Letzten hier im Hause die Augen dafür
geöffnet, dass die Auseinandersetzung zum Thema
Rechtsextremismus, Rassismus und gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit eine Daueraufgabe für die gesamte Gesellschaft ist. Deshalb ist es gut gewesen, dass
wir den gemeinsamen Entschließungsantrag am Dienstag wirklich als ganzes Haus verabschiedet haben.
({0})
Jetzt ist es allerdings wichtig, dass daraus Taten folgen.
({1})
Der erste Schritt, die Rücknahme der Kürzung um
2 Millionen Euro, die vorhin schon angesprochen wurde,
ist ein richtiger Schritt. Allerdings bedeutet das natürlich, dass es weitergehen muss. Ich habe die Befürchtung, dass das bei der Ministerin immer noch nicht angekommen ist. Sie, Frau Ministerin, zeigen sich immer
noch uneinsichtig und haben ausgerechnet am Dienstag
eine peinliche - so kann ich nur sagen - Pressemitteilung
herausgegeben. Sie wollen es wahrscheinlich wirklich
nicht merken. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
muss man beim Namen nennen.
({2})
Das Versagen der Behörden zeigt uns, dass der Staat
auf das Know-how der zivilgesellschaftlichen Initiativen
angewiesen ist. Deshalb fordern wir eine Erhöhung der
Mittel. Wir fordern 50 Millionen Euro für ein neues
Bundesprogramm. Das Geld ist eine gute Investition in
unsere Demokratie und stärkt vor allem die Initiativen
und Menschen, die in unserem Land dort tätig sind, wo
es manchmal nicht mehr so viele aufrechte Demokraten
gibt. Allerdings reicht Geld allein auch da nicht; denn
die Arbeit wird noch durch andere Brocken erschwert.
Ich erwähne nur die Extremismusklausel. Sie alle müssen doch endlich begriffen haben, dass diese Klausel
wegmuss.
({3})
Aber die Ministerin merkt das nicht. Sie verteidigt sie
weiterhin und drangsaliert die Initiativen damit. Ich kann
nur sagen: Hören Sie endlich auf damit! Unterhalten Sie
sich mit den Initiativen und Antragstellern; denn sie
merken, dass es da nicht vorangeht.
Es gibt außerdem keinen Beleg dafür, dass Antragsteller in den letzten Jahren, seit es die Bundesprogramme gibt, die Gelder zweckentfremdet haben. Deshalb gibt es keinen Grund für diese Klausel. Die Stadt
Jena - jeder kennt sie mittlerweile - hat keine Mittel beantragt, weil sie diese Verdachtsklausel nicht unterzeichnen will.
({4})
- Da nickt sogar der Jenaer Kollege von der FDP, der das
aus der Praxis kennt.
({5})
Ich bin auch froh, dass jetzt die erste Initiative gegen
die Extremismusklausel klagt, und zwar die AKuBiZInitiative aus Pirna, die letztes Jahr schon den sächsischen Demokratiepreis wegen dieser Klausel abgelehnt
hat.
Demokratie lässt sich nicht per Verwaltungsakt absichern. Wichtig und richtig ist: Eine aktive Zivilgesellschaft ist das beste Nazi-Abwehrzentrum. Deshalb müssen wir an dieser Stelle investieren.
({6})
Wir brauchen eine unbürokratische und vertrauensbasierte Förderung, insbesondere für die Strukturprojekte,
wo seit über zehn Jahren eine qualitativ hochwertige Arbeit geleistet wird. Mobile Beratungsteams müssen gesichert werden. Opferberatungsstellen müssen in Ost und
West ausgebaut werden.
Wichtig ist weiterhin, dass kleine Träger ein direktes
Antragsrecht beim Bund haben; das wurde vorhin schon
angesprochen. Bis jetzt läuft das meistens über den
Landkreis oder die Kommune. In den dortigen Vergabeausschüssen sitzen manchmal Leute, die das eher behindern und die aktiven Initiativen als Nestbeschmutzer
bezeichnen.
({7})
Ein weiterer Punkt, der ebenfalls schon angesprochen
wurde, ist die Kofinanzierung. Frau Schröder, Sie können es uns in Ihrer Rede erklären: Warum ist bei Projekten gegen Rechtsextremismus ein Eigenanteil von 50 Prozent und bei Projekten gegen vermeintlichen Linksextremismus nur ein Eigenanteil von 10 Prozent erforderlich?
Das verstehe ich nicht.
({8})
Das ist völlig unlogisch. Wir müssen der Diskriminierung entgegentreten, und zwar in der gesamten Gesellschaft.
Deshalb möchte ich zum Schluss noch kurz auf die
Antidiskriminierungsstelle zu sprechen kommen. Die
Ausstattung mit 2,9 Millionen Euro war schon nicht üppig und nicht ausreichend. Es ist nicht nachvollziehbar,
warum die Koalition noch einmal um circa 12 Prozent
kürzen muss, insbesondere vor dem Hintergrund, dass
die Kampagne für das nächste Jahr schon geplant wurde.
Wir haben deshalb in einem Änderungsantrag gefordert,
dass die Antidiskriminierungsstelle ausreichend ausgestattet wird.
({9})
Ein anderes Thema, bei dem ich mich sehr geärgert
habe, ist, dass die Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung gekürzt wurden. Das wurde schon am
Dienstag bei der Debatte über den Einzelplan für das Innenressort besprochen. Wenn wir alle der Meinung sind,
dass politische Bildung wichtig ist, dann kann nicht
gleichzeitig einer überparteilichen Initiative wie dieser
Bundeszentrale das Geld gekürzt werden.
({10})
Von daher sollte uns diese Haushaltsberatung Anlass
geben, dass wir noch einmal nachdenken. Wir haben ja
nachher die namentlichen Abstimmungen. Es ist gut,
dass wir uns in diesem Hause alle einig sind. Aber es
müssen auch Taten folgen. Die Menschen im Lande
schauen jetzt ganz genau, wie das Geld verteilt wird. Sie
haben in dieser Woche noch die Gelegenheit, die
Schwerpunkte richtig zu setzen. Wir geben Ihnen Anregungen. Sie können sie aufnehmen und unseren Anträgen zustimmen.
Vielen Dank.
({11})
Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Dr. Kristina Schröder, hat das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es scheint bei einigen in Vergessenheit geraten zu sein,
dass die Ausgaben für die Extremismusprävention nur
einen Teil des Familienetats ausmachen. Sie arbeiten
sich hier an wichtigen 29 Millionen Euro ab; keine
Frage.
({0})
Ich werde darauf auch noch zu sprechen kommen. Aber
vorher möchte ich gern über die anderen 6,7 Milliarden
Euro reden. Es wäre nämlich schön, wenn sich auch die
Opposition wirklich für Familienpolitik interessieren
würde; denn der gesellschaftliche Zusammenhalt beginnt in den Familien.
({1})
Hierfür setzt der Einzelplan 17 die richtigen Prioritäten.
({2})
Deswegen herzlichen Dank an alle Kolleginnen und
Kollegen, die das in den parlamentarischen Beratungen
begleitet haben, vor allen Dingen an die Mitglieder des
Familienausschusses und an die Mitglieder des Haushaltsausschusses, insbesondere an die Berichterstatter,
Herrn Bockhahn als Hauptberichterstatter, Herrn
Mattfeldt, Herrn Toncar, Herrn Schwanitz und Herrn
Kindler.
Von den Veränderungen am ursprünglichen Entwurf
des Einzelplans 17 profitieren ganz besonders Familien.
Die Mittel für das Elterngeld wurden gegenüber dem Regierungsentwurf um 300 Millionen Euro
({3})
auf 4,9 Milliarden Euro angehoben. „Schuld“ daran - im
besten Sinne - sind die Väter. 25,4 Prozent von ihnen
nehmen mittlerweile eine Auszeit im Beruf.
({4})
Väter wickeln, Väter füttern, Väter trösten, kurz: Väter
definieren ihre Rolle neu. Diesen Erfolg sehen wir auf
Spielplätzen, den sehen wir in Kinderarztpraxen, den sehen wir morgens auch in den Kitas, in denen man immer
mehr Väter trifft.
({5})
Das ist eine Politik der Wahlfreiheit, die den Bedürfnissen der Menschen entspricht. Väter wollen sich mehr
kümmern, und wir geben ihnen die Möglichkeit dazu.
({6})
Veränderungen brauchen wir auch beim Kitaausbau.
Hier müssen vor allen Dingen die Länder ihre Anstrengungen deutlich erhöhen.
({7})
Man muss sich das einmal vor Augen führen: Da stehen
immer noch 900 Millionen Euro bereit, und die Länder
rufen sie nicht ab. Ich glaube, wir müssen uns hier schon
auch selbstkritisch fragen, ob wir vielleicht beim Krippengipfel 2007 ein wenig zu euphorisch waren und dabei
vergessen haben, dass die Umsetzung der Beschlüsse
präzise geplant und gesteuert werden muss. Offenbar
reicht es nicht, dass wir wie bisher nur einmal im Jahr in
die Ausbaustatistik schauen. Deshalb werde ich die Bewirtschaftungsregelungen für den Kitaausbau ab 2012
verschärfen.
({8})
Ich will künftig von den Ländern jeden Monat ganz genau wissen, wie viele neue Plätze sie bauen wollen und
wie viel eigenes Geld sie dort hineinstecken.
({9})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Bockhahn?
Bitte sehr. - Ich hätte Ihre Zwischenfrage eigentlich
erst später erwartet.
({0})
Vielleicht werden es dann noch weitere; mal schauen.
Das liegt ja an Ihnen.
Frau Ministerin, Sie haben völlig zu Recht beschrieben, dass einige Länder - so muss man das ja sagen beim Ausbau der Kitaplätze etwas zögerlich sind. Ist Ihnen aber auch bewusst, dass für die Länder und vor allen
Dingen für die Kommunen in erster Linie nicht die
Schaffung neuer Plätze das Problem ist, sondern die Unterhaltung der neuen Plätze auf einem entsprechenden
Niveau, das heißt, dass der Betrieb der Kitas das eigentliche Problem und deswegen oft ein Hindernis ist?
Lieber Herr Kollege Bockhahn, Sie haben recht, dass
der Betrieb der Kitas eine teure Angelegenheit und damit
auch eine besondere Herausforderung ist. Dies ist aber
ausschließlich Aufgabe der Länder und Kommunen.
({0})
Weil der Bundesregierung dieses Problem aber bewusst
ist, fließen von den 4 Milliarden Euro, die wir für den
Kitaausbau ausgeben, 1,85 Milliarden Euro allein in den
Betrieb der Kitas, und ab 2014 werden wir hierfür jährlich 770 Millionen Euro den Ländern zur Verfügung stellen
({1})
- wir wissen eben genau, dass das die große Herausforderung ist -, obwohl es nicht die Aufgabe des Bundes
ist.
({2})
Es ist nämlich klar: Ab 2013 kommt der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz.
({3})
Auch wenn es immer wieder gerade vonseiten der SPD
Bestrebungen gibt, diesen Rechtsanspruch zu verschieben:
({4})
Er kommt. Die Eltern können sich auf uns verlassen. Die
Bundesregierung steht felsenfest zu den finanziellen Zusagen, die wir beim Krippengipfel 2007 gemacht haben.
({5})
Bei einem weiteren gesellschaftlichen Großprojekt
kann ich, früher als erwartet, Vollzug melden. Innerhalb
von nur einem Jahr haben wir den Zivildienst weiterentwickelt zu einem freiwilligen Angebot, das Männern
und Frauen, Menschen aller Generationen offensteht.
Was mussten wir uns nicht alles von der Opposition
anhören: Die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes
schade den bestehenden Jugendfreiwilligendiensten,
hieß es.
({6})
Niemals würden sich genügend Freiwillige finden.
70 000 Freiwillige - das sei doch eine illusorische Zahl.
Heute können wir feststellen: Sie haben sich in allen
Punkten geirrt, und zwar gewaltig.
({7})
Es gibt schon jetzt mehr als 70 000 Menschen in
Deutschland, die einen Freiwilligendienst leisten. FSJ
und FÖJ stehen besser da als je zuvor. Der Bundesfreiwilligendienst übertrifft mit über 25 000 Verträgen in nur
fünf Monaten schon jetzt alle unsere Erwartungen.
({8})
Deshalb ist es an dieser Stelle Zeit für ein herzliches
Dankeschön des Deutschen Bundestages an all diejenigen, die sich für und in den Freiwilligendiensten engagieren.
({9})
Meine Damen und Herren, viele Menschen engagieren sich auch in der Extremismusprävention. Ihr Engagement ist wichtig. Es ist erschütternd und beschämend,
dass eine Bande von Neonazis in unserem Land 15 Jahre
lang völlig unbehelligt Morde begehen konnte. Wir müssen ganz genau prüfen, ob hier schreckliche Fehler passiert sind
({10})
oder ob wir es sogar mit einem Systemfehler zu tun haben.
Nachdenklich macht mich aber auch, mit welchen
Methoden einige hier agitieren, um parteipolitischen Gewinn aus dieser schrecklichen Mordserie zu ziehen.
({11})
Deshalb möchte ich hier einmal einige Fakten klarstellen:
({12})
Erstens. In der politischen Bildung geht es darum,
Kinder und Jugendliche vor totalitärem Gedankengut zu
schützen - egal aus welcher Ecke es kommt.
({13})
Frau Ministerin, darf ich Sie unterbrechen? Der Kollege Seifert meldet sich und möchte eine Bemerkung
machen oder eine Frage stellen. Gestatten Sie das?
Bitte sehr, Herr Seifert.
Frau Ministerin, Sie waren gerade bei Ihrer Darstellung des Kampfes gegen den Rechtsextremismus. Darin
wollte ich Sie eigentlich nicht unterbrechen.
Ich habe eine Frage, die Ihren Haushalt insgesamt betrifft. Sie haben gesagt, dass man nicht nur über die
29 Millionen Euro reden soll, sondern über die 6,7 Milliarden Euro, die Ihren Haushalt ausmachen. Wo bitte
finde ich in Ihrem Haushalt das Kapitel, in dem steht,
wie Sie mit Ihren Mitteln die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen gedenken, die seit zweieinhalb Jahren geltendes Recht in Deutschland ist? Ich finde es bedauerlicherweise nicht; vielleicht können Sie mich da
aufklären.
Herr Kollege Seifert, die Umsetzung der UN-Konvention, die Sie ansprechen, ist in der Tat eine wichtige
Aufgabe der Bundesregierung. Aber Sie sind sicherlich
darüber informiert, dass sie im Bundesministerium für
Arbeit und Soziales ressortiert. Im Haushalt dieses
Ministeriums finden Sie die entsprechenden Mittel.
({0})
Kommen wir zurück zur Extremismusprävention:
Zweitens. Die Behauptung, man würde den Rechtsextremismus relativieren, wenn man auch Präventionsprogramme gegen Linksextremismus und Islamismus
fördert, ist nicht nur falsch, sondern auch dumm.
({1})
Denn sie verkennt die Realitäten: Kein einziger Cent,
den wir zur Prävention von Linksextremismus und islamistischem Extremismus ausgeben, wurde bei der
Rechtsextremismusprävention abgezogen.
Seit ich im Amt bin, wurde für die Projekte gegen
Rechtsextremismus kein einziger Cent gekürzt. Auch für
die Projektarbeit war keine Kürzung geplant, sondern
das Ganze hatte etwas mit Verwaltung zu tun. Deshalb
bedeutet die Entscheidung der Koalitionsfraktionen vom
Dienstag, dass ich 2 Millionen Euro zusätzlich für Projekte gegen Rechtsextremismus zur Verfügung habe.
({2})
Was aber macht die Opposition? Die SPD fordert in
ihrem Antrag, die Mittel für Programme gegen Linksextremismus und Islamismus fast um die Hälfte zu kürzen. Die Linke will die Programme natürlich ganz abschaffen. Meine Damen und Herren, wenn wir das
machen würden, dann würde das Träger wie das AnneFrank-Zentrum, die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, die Türkische Gemeinde in Deutschland, das
Archiv der Jugendkulturen oder auch die von Ihnen so
viel zitierte Amadeu-Antonio-Stiftung treffen.
({3})
Alle diese Träger haben innovative Projekte gegen
Linksextremismus und Islamismus entwickelt; sie leisten hier Pionierarbeit. Sie, liebe Genossinnen und Genossen, wollen diese Pionierarbeit aus ideologischen
Gründen plattmachen.
({4})
Drittens. Fakt ist, dass diese Bundesregierung mehr
Geld für die Stärkung von Demokratie und Toleranz ausgibt als jede Bundesregierung zuvor.
({5})
Davon profitiert auch die Rechtsextremismusprävention,
die wir kontinuierlich verbessern. In der letzten Förderperiode wurden 90 lokale Aktionspläne gegen Rechtsextremismus gefördert; jetzt sind es 174. Das sind rund
5 000 Einzelprojekte.
Nach den schrecklichen Ereignissen im Juli in Norwegen - auch sie hatten einen rechtsextremen Hintergrund - habe ich den 16 Beratungsnetzwerken in den
Ländern aufgrund des höheren Beratungsbedarfs insgesamt 800 000 Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt.
Meine Damen und Herren, ich bin umgehend bereit, den
Beratungsnetzwerken noch einmal die gleiche Summe
zur Verfügung zu stellen.
({6})
Nun kommen wir zur Demokratieerklärung. Die Grünen fordern in ihrem Antrag die Streichung der Demokratieerklärung.
({7})
Interessant ist aber, dass sie dies nur für Träger von
Projekten gegen Rechtsextremismus fordern.
({8})
Sie sprechen in Ihrem Antrag lediglich das Programm
zur Prävention von Rechtsextremismus an. Sie sprechen
nicht die Initiative „Demokratie stärken“ an, bei der es
um Linksextremismus und Islamismus geht. Die Grünen
sagen: Denen, die gegen Rechtsextremismus kämpfen,
ist ein Bekenntnis zum Grundgesetz nicht zuzumuten.
({9})
Bei denen, die gegen Linksextremismus und Islamismus
kämpfen, halten die Grünen dies offensichtlich für erforderlich. Da sieht man: Das ist Doppelmoral. - Bitte, Herr
Kindler.
Frau Ministerin, das Wort vergebe noch immer ich. Ich halte jetzt die Uhr, die, was die Redezeit Ihrer Fraktion angeht, ins Minus läuft,
({0})
bei dieser Frage an. Ich möchte nur darauf aufmerksam
machen; wir müssen nachher eine Einigung herbeiführen. - Bitte, Kollege Kindler.
Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank, dass Sie
die Zwischenfrage zulassen. - Wenn Sie unseren Antrag
richtig gelesen hätten, dann wäre Ihnen aufgefallen, dass
wir ein 50-Millionen-Euro-Programm „Maßnahmen für
eine demokratische Kultur, gegen Gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“ fordern
und keine Erweiterung auf sogenannte andere Extremismusformen vornehmen. Das heißt, wir wollen die entsprechenden Programme wie die Linkspartei streichen.
Deswegen ist da keine Extremismusklausel notwendig.
Weiterhin könnten Sie darauf eingehen, was der Wissenschaftliche Dienst dieses Hohen Hauses auf die Anfrage des Kollegen Thierse hin gesagt hat: Er hat klar
dargelegt, dass die sogenannte Demokratieerklärung gegen die Verfassung verstößt, weil nämlich erstens das
Grundgesetz keinen Bekenntniszwang vorsieht und es in
Deutschland die Meinungsfreiheit gibt und zweitens
diese Partnerüberprüfung, die zu Schnüffelei führt, völlig unverhältnismäßig ist. Deswegen hat der Wissenschaftliche Dienst gesagt: Die Demokratieerklärung geht
nicht mit der Verfassung zusammen.
({0})
Herr Kindler, in diesem Fall verkennen Sie und auch
- das muss ich sagen - der Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes - das hat uns auch Herr Ossenbühl bestätigt, der dazu ein Gutachten angefertigt hat -, dass es
hier nicht um Meinungsfreiheit geht. Vielmehr geht es
darum, dass staatliche Gelder beantragt werden, die dem
Zweck dienen sollen, Extremismus zu bekämpfen sowie
Demokratie und Toleranz zu stärken. Da ist es nicht zu
viel verlangt, dass diejenigen, die staatliche Gelder in
Anspruch nehmen wollen, um Demokratie und Toleranz
zu stärken, sich gleichzeitig zu Demokratie und Toleranz
bekennen; das ist eine Selbstverständlichkeit, meine Damen und Herren.
({0})
Herr Kindler, Sie hatten eine Frage gestellt. Dabei haben
Sie wieder die einzelnen Extremismusarten genannt. Das
ist doch gerade der Punkt: Sie reden immer nur über
Rechtsextremismus und haben jetzt gesagt, dass Sie die
Programme nur noch auf den Rechtsextremismus ausrichten wollen.
({1})
Die Wahrheit ist deutlich komplexer. Ich will nicht, dass
Linksextremismus von Rechtsextremisten bekämpft
wird; ich will nicht, dass Rechtsextremismus von Linksextremisten bekämpft wird. Und ich will nicht, dass Islamismus von Islamhassern bekämpft wird. Ich will, dass
Demokraten für die Demokratie kämpfen. Darum geht
es.
({2})
Ich komme zu meinem letzten Punkt, Frau Präsidentin, und will mich dabei der SPD zuwenden. Auch die
SPD sollte genau schauen, was unter ihrer Verantwortung passiert. In Mecklenburg-Vorpommern müssen Kitabetreiber eine Demokratieerklärung unterschreiben,
({3})
seit es einen Versuch der NPD gab, eine Kita zu unterwandern. Kein Mensch spricht hier von einem Generalverdacht gegen Kitas. Sie halten das für völlig richtig ich auch. Ich unterstütze die zuständige Ministerin, Frau
Schwesig, hierbei, weil es mir um die Sache geht, unsere
Demokratie vor Feinden zu schützen.
({4})
Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Marks das
Wort.
({0})
Frau Ministerin, ich möchte Sie auffordern, die
ebenso dreiste wie unwahre Behauptung, die Sie in Ihrer
Rede aufgestellt haben, zurückzunehmen, die SPD wolle
den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz, der ab 2013
gilt, verschieben. Kommen Sie mir, Frau Ministerin, bei
Ihrer Antwort bitte nicht mit Christian Ude; denn der hat
zu Recht auf die Gefahr hingewiesen, dass der Rechtsanspruch ins Leere läuft, wenn Sie sich weiter Ihrer Verantwortung nicht bewusst sind und nicht endlich beginnen,
zu handeln.
Vielen Dank.
({0})
Frau Kollegin Marks, ich habe vor vier Wochen
Christian Ude getroffen; er hatte mich als Präsident des
Deutschen Städtetages eingeladen. Ich habe eineinhalb
Stunden mit ihm und weiteren kommunalen Vertretern
über den Rechtsanspruch auf Kitaplätze diskutiert.
Christian Ude - auch mit anderen Vertretern der SPD,
aber vor allem war es Christian Ude - hat mich glasklar
aufgefordert, dass ich ein Moratorium für den Kitaanspruch durchsetzen soll. Es solle, was den Rechtsanspruch angeht, eine Verschiebung geben.
({0})
Insofern kann ich dazu leider nur sagen: Es gibt aus der
SPD heraus diese Forderung. Mag sein, dass Ihnen das
nicht passt. Sie sollten aber dennoch dazu stehen, dass
aus Ihren Reihen die Eltern im Stich gelassen werden
sollen.
({1})
Der Kollege Rolf Schwanitz für die SPD-Fraktion ist
der nächste Redner in dieser Debatte.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin, es wäre eine Frage der intellektuellen Redlichkeit, wenigstens darauf hinzuweisen, dass es hier einen Konflikt bzw. ein Problem mit allen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in diesem Land gibt. Ich
weiß nicht, wie viele CDU-Bürgermeister bei Ihnen vorstellig werden und auf die Notlagen hinweisen, die durch
Ihr Nichthandeln entstehen. Das haben Sie nicht gemacht. Das ist unredlich.
({0})
Frau Ministerin, Ihr Haushalt ebenso wie Ihre Politik
sind Ausweis der Passivität und der vertanen Chancen.
Das sieht man an den Publikationen, die Sie herausbringen.
({1})
Ich habe einige davon mitgebracht und möchte etwas
dazu sagen.
Das erste ist eine wunderbare Halbzeitbilanz dieser
Legislaturperiode. Diese Publikation, auf Hochglanzpapier gedruckt, hat jeder zugeschickt bekommen, der sie
haben wollte. In dieser Halbzeitbilanz kommen allerdings wichtige Themen überhaupt nicht vor, beispielsweise der Ausbau der Betreuungseinrichtungen für unter
Dreijährige. Dazu gibt es kein Kapitel, keinen Abschnitt,
das wurde einfach vergessen.
Was allerdings vorkommt - erstaunlicherweise - ist
das Betreuungsgeld. Dazu gibt es ein Kapitel. Nun wissen wir seit gestern, dass es in dieser Frage noch harte
Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition gibt, insbesondere zwischen CDU und CSU, aber auch mit der
FDP. Also habe ich einmal nachgeguckt, was Frau
Haderthauer in einem Informationspapier dazu sagt. Ich
darf zitieren, was Frau Haderthauer auf der Homepage
ihres Ministeriums eingestellt hat. Dort ist Folgendes zu
lesen:
Langzeitstudien weisen nach, dass frühe Krippenbetreuung keine messbaren Bildungsvorteile, dafür
aber möglicherweise Risiken für die emotionale
Entwicklung mit sich bringen kann, daher gibt es
keinen Grund für staatliche Einseitigkeit zugunsten
von Krippen bei der Förderung von Betreuungsformen.
Dann kommt ein Hinweis auf sogenannte psychosozial belastete Kinder. Es heißt:
Diese Kinder haben oft ein Defizit in der seelischen
und emotionalen Reifung, und in dieser Kategorie
werden sie in Krippen sogar zusätzlich belastet und
geschädigt …
Sie sind bei der Klärung innerhalb der Koalition noch
nicht einen Schritt vorangekommen, da wird in München schon eine Diffamierungskampagne gegen die Kitas gestartet.
({2})
Von Ihnen kommt dazu kein Wort.
({3})
Das ist Ihre Politik.
({4})
Ein weiteres Thema, das in der wunderbaren Halbzeitbilanz nicht vorkommt, ist die Antidiskriminierungsstelle. Die gibt es nicht; das Wort taucht überhaupt nicht
auf, weder im Schlagwortregister noch im Text. Antidiskriminierungsstelle? Fehlanzeige! Die Übeltäter beim
Thema Antidiskriminierungsstelle - das ist völlig klar sitzen hier: Das waren die Koalitionäre im Haushaltsausschuss.
({5})
Das Signal, das Sie damit setzen, dass Sie die Arbeit der
Antidiskriminierungsstelle einfach ausblenden, ist eine
Einladung für Mattfeldt und Co., sich bei diesem Thema
auszutoben. Insofern tragen Sie Mitschuld daran.
({6})
Ich möchte zusammenfassen, was hier geschehen ist.
Trotz aller Widerstände, trotz des Aufschreis aller Betroffenen haben die Haushälter der Koalition den Sollansatz für die Antidiskriminierungsstelle im dritten Jahr in
Folge gekürzt: im Haushalt 2012 um 367 000 Euro, das
sind schlappe 13 Prozent weniger, als Sie in Ihrem Vorschlag vorgesehen hatten. Anschließend haben sich die
Koalitionäre aus dem Staub gemacht. Sie haben ihr Verhalten kleingeredet. Die Antidiskriminierungsstelle wurde
diffamiert. Es wurde behauptet, man könne dort nicht
mit Geld umgehen. Die wahren Motive wurden eher zugedeckt.
({7})
Die Folgen dieses Handelns kennen wir seit der Presseerklärung von dieser Woche durch die Antidiskriminierungsstelle selber.
({8})
Das Projekt „Offensive diskriminierungsfreie Gesellschaft“ ist akut gefährdet. Der Aufbau von Betreuungsnetzwerken unterbleibt. Auch die Aufklärungskampagne
für Diskriminierungsopfer, die für nächstes Jahr geplant
war, ist akut gefährdet oder sogar eventuell nicht durchführbar. Dass Sie mit der Schuldenbremse argumentieren, meine Damen und Herren von der Koalition, ist von
einer intellektuellen Schlichtheit, da fällt mir nichts
mehr ein. Darauf will ich gar nicht eingehen.
({9})
Ich will die eigentlichen politischen Motive, die dahinterstehen, deutlich machen. Ich will Herrn Mattfeldt
mit einem Satz zitieren, den er zwar heute nicht gesagt
hat - die wunderbare Formulierung von der Sozialindustrie hat er ja mehrfach selbst gebracht -, der aber auf seiner Homepage zu lesen ist. Er schreibt: Die Mittel für
diese Antidiskriminierungsstelle
werden in vielen Fällen dazu benutzt, die Arbeitgeber an den Pranger und unter Generalverdacht zu
stellen. Daraus erwächst ein Klima des Misstrauens
in diesem Land, das uns nicht gut tut und uns keinen Schritt vorwärts bringt!
Das ist eine solche ideologische Verbohrtheit. Dazu fällt
mir wirklich nichts mehr ein.
({10})
Die Antidiskriminierungsstelle handelt auf einer gesetzlichen Grundlage,
({11})
die der Deutsche Bundestag beschlossen hat. Was Sie
machen, ist Rechtsbruch durch die Hintertür. Ich fordere
Sie auf, wieder zu Recht und Ordnung zurückzukehren.
({12})
Frau Schröder, ich will noch etwas zu dem Thema
Extremismusprävention sagen, das Sie in Ihrer Rede angesprochen haben. Wie einige meiner Vorredner will
auch ich ausdrücklich kritisieren - das kritisieren viele in
diesem Haus -, dass Sie mit Ihrem Steckenpferd, der
Linksextremismusbekämpfung, eine falsche Schwerpunktsetzung vornehmen.
({13})
Ich habe etwas mitgebracht, eine Broschüre für die Lehrer in Deutschland: Demokratie stärken - Linksextremismus verhindern. Sie wird jetzt tausendfach verschickt,
quasi, damit die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen
auch Unterricht gegen Linksextremismus machen können. Darin stehen Dinge, die wirklich lächerlich sind,
beispielsweise werden Musiktitel von „Ton Steine
Scherben“ als Ausweis für Linksextremismus angeführt.
({14})
Schwamm drüber! Lassen wir das!
({15})
- Wunderbar.
Das geht noch viel weiter. In dieser Broschüre finde
ich eine Differenzierung in gute Antifaschisten und in
schlechte Antifaschisten. Meine Damen und Herren, was
wir brauchen, ist ein Bündnis, eine Aktivierung der Antifaschisten in diesem Land. Darum muss es gehen und
nicht um eine Spaltung der Menschen.
({16})
Im Haushaltsausschuss habe ich Sie danach gefragt.
Da kam der Hinweis auf die seit 2009 in Berlin brennenden Autos. Sie haben gesagt: Das waren die Linksextremisten. Ich habe Sie gefragt: Woher wissen Sie das eigentlich? - Jetzt weiß ich, woher Sie das wissen: Das
steht hier drin.
({17})
Es gibt eine ganze Seite zur linksextremistischen Gewalt. Zu den Brandanschlägen in der Zeit nach 2009
steht da - ich will zwei Sätze zitieren -:
Wer hinter diesen Anschlägen steht, kann die Polizei nur schwer ermitteln. Ein beträchtlicher Teil
geht auf linksextremistische Gewalt zurück …
({18})
Ich weiß es zwar nicht so richtig, aber sagen kann ich es
schon mal! Das macht sich besonders gut, wenn es um
die rechtsstaatliche Erziehung in unseren Schulen geht.
({19})
Das, was Sie hier praktizieren - nehmen Sie das an
von jemandem, der aus der Region kommt, die in dieser
Woche in unseren Diskussionen so oft im Fokus stand -,
dieses Differenzieren in gute und in schlechte Antifaschisten, ist nicht nur eine Diffamierung der Aktivisten
vor Ort; das ist das eine. Das andere ist das Auseinanderdividieren und Legitimieren der Zurückhaltung. In weiten Teilen der neuen Länder lehnen sich konservative
Kommunalpolitiker doch noch immer eher zurück, wenn
es um die Aktivitäten geht, die notwendig sind.
({20})
Mit dieser Diffamierung schaffen Sie Legitimations- und
Bezugspunkte.
({21})
Kollege Schwanitz, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich komme zum Schluss. - Im Deutschen Bundestag
ist am Dienstag etwas Außergewöhnliches passiert: Die
Koalition hat das Herz über die Hürde geworfen und gesagt: Okay, die 2 Millionen Euro setzen wir wieder
drauf. - Das ist in Ordnung gewesen. Frau Schröder, zeigen Sie an dieser Stelle einmal Größe. Schaffen Sie diese
Klausel ab! Führen Sie die Initiativen zusammen, anstatt
zu spalten!
Herzlichen Dank.
({0})
Ich erlaube mir, einen Hinweis zu wiederholen, den
ich gestern schon geben musste, ohne einzelne Akteure
für das Protokoll zu benennen: Wir sollten uns in der Sache auseinandersetzen und uns nicht gegenseitig mit wie
auch immer missverständlichen Vokabeln oder Titeln belegen.
Das Wort hat der Kollege Florian Toncar für die FDPFraktion.
({0})
Vielen Dank. - Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich werde versuchen, diesem
Hinweis nachzukommen. Ich möchte versuchen, in meiner Rede auf die Arbeit des Ministeriums in ihrer ganzen
Breite und den gesamten Haushalt einzugehen; denn die
Diskussion ist zuletzt sehr stark auf einige Aspekte verengt worden.
Ich finde, dass in den vergangenen zwei Regierungsjahren und unter Familienministerin Kristina Schröder
- das kam heute noch nicht so zum Ausdruck, gehört
aber zu einer Zwischenbilanz - viele Projekte angestoßen worden sind, und das in einer Situation, in der wir finanziellen Zwängen unterliegen, die manches nicht einfach machen. Wenn man sich das Ganze anschaut, muss
man feststellen: Es ist eine ganze Menge erreicht worden.
({0})
Die Haushaltsmittel sind angestiegen; das ist als solches
aber noch kein Kriterium. Man kann jedoch feststellen,
dass insbesondere aufgrund des Elterngeldes im Jahr
2012 für Familien weit mehr ausgegeben werden wird
als im vorherigen Jahr.
({1})
- Ja, aber es kommt bei den Familien an. Es ist nicht nur
ein Rechtsanspruch, sondern Geld, von dem man sich etwas kaufen oder mit dem man als Familie etwas unternehmen kann, und zwar mehr als je zuvor.
({2})
Darauf sollte und darf man in einer Haushaltsdebatte
einmal hinweisen,
({3})
ohne dass daraus gleich wieder ein Vorwurf der Opposition konstruiert wird. Es ist ja auch Ihr Gesetz. Freuen
Sie sich doch darüber, dass das angenommen wird.
Ich möchte nur kursorisch auf das hinweisen, was im
vergangenen Jahr angestoßen worden ist: Das Hilfetelefon für Frauen, die in ihrer Familie Gewalt erfahren, ist
von den Fraktionen angestoßen worden; Kollegin
Sibylle Laurischk ist hier. Wir haben dies noch im letzten Haushalt untergebracht; es kommt jetzt. Das ist ein
ganz bedeutender Fortschritt. - Wir sind die Familienpflegezeit angegangen, ein Angebot an pflegende Angehörige, das, wie ich finde, ein gutes Modell geworden
ist.
Der Übergang vom Zivildienst in ein neues Freiwilligendienstformat - das war eine gewaltige Aufgabe - ist
gelungen. Ich habe mich viele Jahre mit diesem Thema
beschäftigt und ehrlich gesagt nicht damit gerechnet,
dass es so schnell möglich ist, da zu sein, wo wir heute
stehen. Natürlich kann noch einiges verbessert werden;
aber es ist in kurzer Zeit gelungen, ein gutes Freiwilligendienstformat auf die Beine zu stellen.
({4})
Wir haben uns als Haushälter entschlossen, im kommenden Jahr einen Teil der Mittel für die JugendfreiwilFlorian Toncar
ligendienste zu sperren. Ich lege Wert darauf, im Plenum
und in der Öffentlichkeit deutlich zu sagen, dass das
nicht darauf zurückzuführen ist, dass wir Zweifel haben,
dass das Geld gebraucht wird. Das Geld wird gebraucht,
und zwar in voller Höhe. Es ist lediglich so, dass die Art
und Weise, wie das Geld verteilt wird, wie die Fördersätze ausgestaltet sind, neu konzipiert und mit dem Bundesrechnungshof abgestimmt werden muss. Dass wir
den Einfluss darauf behalten, ist der Grund für die
Sperre. Wir wissen, dass die Mittel gebraucht werden,
und wir haben auch vor, sie freizugeben, wenn das Fördersystem allen Anforderungen genügt. Das will ich für
die Öffentlichkeit ganz deutlich klarstellen.
Im Haushalt ist wiederum - nunmehr im zweiten Jahr die Qualifizierungsoffensive enthalten. Dies zeigt, dass
diese Bundesregierung über das bisherige Ausbauprogramm für Kinderbetreuung hinaus auch in die Qualität
der Betreuung investiert. Es braucht eben nicht nur Kitaplätze, sondern in einigen Teilen Deutschlands auch qualifiziertes Personal für Sprachförderung und andere
Dinge. Dafür stellen wir extra Geld bereit.
({5})
Damit zeigen wir, dass es gut ist, an die Ursache der Probleme heranzugehen, und dies ist in der Regel ein Mangel an Integration, an Bildung. Genau dafür geben wir
Geld aus, und zwar mehr Geld. Wir kürzen also nicht
ohne Sinn und Verstand, sondern setzen die richtigen
Schwerpunkte.
Es ist nach vielen Jahren gelungen, eine Lösung für
die Heimkinder zu entwickeln. Auch das findet sich in
diesem Haushalt wieder. Darüber hinaus ist es der
Ministerin gelungen, ein Nachfolgeprogramm für die
Mehrgenerationenhäuser zu entwickeln, die sich bewährt
haben. Auch das ist gesichert.
Wir haben also - das können wir als Koalition heute
selbstbewusst sagen - trotz Sparzwängen, trotz begrenzter finanzieller Mittel zusätzliche Projekte angestoßen
und Schwerpunkte gesetzt, die für unsere Gesellschaft
insgesamt sehr sinnvoll sind.
({6})
Auf einen Punkt möchte ich noch hinweisen: den Unterhaltsvorschuss. Wir geben jedes Jahr sehr viel Geld
für Unterhaltsvorschüsse aus. Einen Unterhaltsvorschuss
bekommen Elternteile, die einen Unterhaltsanspruch insbesondere für ihr Kind haben, wo aber der Unterhaltspflichtige nicht leistungsfähig bzw. nicht auffindbar ist.
Der Staat holt sich das Geld später von denen zurück, die
eigentlich zahlen müssten. Das Problem ist, dass wir
sehr viel mehr ausgeben, als wir von den Unterhaltspflichtigen zurückbekommen. Die Quote ist nicht gut;
sie liegt bei ungefähr einem Viertel. Sie ist auch trotz gesunkener Arbeitslosigkeit kein bisschen besser geworden. Man dachte ja, dass damit der Hinderungsgrund bei
manchen Unterhaltspflichtigen wegfallen würde. Noch
dazu ist die Quote von Bundesland zu Bundesland sehr
unterschiedlich. Das zeigt, dass diese Thematik nicht in
allen Bundesländern ernsthaft verfolgt wird. Wir werden
in den nächsten Jahren mit Ihnen, Frau Ministerin, daran
arbeiten müssen, dass dieses Ungleichgewicht zwischen
den Bundesländern beseitigt wird und dass sich die etwas schlechte Zahlungsmoral bezüglich des Unterhaltsvorschusses zugunsten unseres Haushalts verbessert.
Dafür haben Sie die Unterstützung der Haushälter.
Wir sind mit der Arbeit des Familienministeriums
sehr zufrieden und glauben, dass wir einen sehr guten
Haushalt und eine sehr gute Halbzeitbilanz für dieses
Ministerium vorweisen.
({7})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege
Jörn Wunderlich.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Kind hat den Anspruch auf einen Kindertagesstättenplatz. Diesen Rechtsanspruch haben wir endlich im Gesetz verankert. - So hieß es seinerzeit, und die Koalition
war geradezu besoffen von diesem Erfolg hinsichtlich
der Kinderbetreuung.
({0})
Wie sieht die Realität aus? Die Mittel werden in zu geringem Umfang abgerufen, der Ausbau geht zu langsam
voran.
Schon vor Jahren hat die Linke die Familienministerin - damals war es Frau von der Leyen - darauf hingewiesen, dass die Rechnung der Regierung nicht aufgeht.
Die Betreuungsquote ist zu gering bemessen, der Rechtsanspruch wird mangels Plätzen und mangels entsprechend qualifizierten Personals nicht umgesetzt werden
können. Frau von der Leyen hat das damals begriffen,
konnte oder wollte es aber nicht umsetzen. Ich weiß
nicht, wie das Verständnis gegenwärtig ist. Fakt ist: Es
werden nicht ausreichend Kindergarten- und Krippenplätze zur Verfügung stehen, und die Regierung ist nicht
bereit, auf Bundesebene in dieser Hinsicht etwas zu unternehmen. Hier muss sich etwas ändern.
({1})
Stattdessen wird das Betreuungsgeld in Aussicht gestellt, das Eltern davon abhalten soll, ihre Kinder in eine
Kindertagesstätte zu bringen. Hier soll ein finanzieller
Anreiz für Eltern geschaffen werden, um den nicht umsetzbaren Rechtsanspruch abzufangen. Eltern sollen
wieder in zwei Klassen eingeteilt werden: gute, welche
zu Hause ausschließlich ihre Kinder erziehen, und weniger gute, welche neben der Kindererziehung auch noch
eine Kindertagesstätte in Anspruch nehmen. Deren Erziehungsleistung ist nach Ansicht der Koalition nicht zu
honorieren. Welch perfide Einstellung zu Eltern!
({2})
Bei Eltern im Hartz-IV-Bezug wird das Betreuungsgeld natürlich verrechnet, sodass unter dem Strich nichts
bleibt. Das muss sich ändern.
({3})
Als Argument höre ich immer das Lohnabstandsgebot.
Lohnabstandsgebot hier, Lohnabstandsgebot da. Ich
frage Sie von der Koalition: Haben Sie schon einmal etwas vom Lohnanstandsgebot gehört?
({4})
Wir brauchen anständige Löhne; da liegt der Hund begraben. Die Regierung argumentiert immer so: Euch im
Niedriglohnbereich geht es schon mies, also muss es
euch im Hartz-IV-Bezug noch mieser gehen. - Das ist
die christlich-liberale Politik dieser Regierungskoalition.
Jeder kann sich überlegen, was daran christlich oder liberal sein soll. Hier geht es nur um die Förderung von
Familien, die es sich leisten können. Wenn es um die
Anerkennung der Erziehungsleistung ginge, dann müssten alle Familien Betreuungsgeld bekommen. Aber das
würde den Haushaltsrahmen des Familienministeriums
sprengen. Wir müssen also den Ausbau der Kindertagesstätten forcieren und den Bundesanteil aufstocken, damit
der Rechtsanspruch der Kinder auch umgesetzt werden
kann.
Zur ADS ist schon einiges gesagt worden. Die Aufgaben sind vielfältig und nehmen ständig zu, auch im Hinblick auf Altersdiskriminierung. Jetzt haben wir mit Frau
Lüders endlich eine taffe Frau an der Spitze dieser Stelle
- die Vorgängerin möchte ich namentlich nicht erwähnen; ihre Arbeit war eine Katastrophe -,
({5})
und jetzt werden die Mittel zusammengestrichen. Die
Rücknahme der Kürzungen in Höhe von 367 000 Euro
ist das Mindeste, was wir tun müssen, um eine arbeitsfähige Antidiskriminierungsstelle zu haben.
({6})
Nächster Punkt - ich kann nur auf einige Punkte eingehen -: Das Elterngeld ist auszubauen, wenn tatsächlich mehr Väter in die Verantwortung genommen werden
sollen. Es ist schon gesagt worden, dass es ein bisschen
aufgestockt wurde. Das war deutlich zu wenig. Die
4,9 Milliarden Euro, die dafür in den Haushalt eingestellt sind, reichen nicht aus. Das Elterngeld ist ein wirksames Instrument. Es ist auszubauen und zu erweitern.
Der Sockelbetrag muss, bei Hartz IV anrechnungsfrei,
erhöht werden. Das Elterngeld muss auch derart ausgestaltet werden, dass jeder Elternteil Anspruch auf zwölf
Monate Elternzeit hat.
({7})
Das kostet natürlich etwas; das ist klar. Deswegen müssen wir zusätzliche Mittel in Höhe von 2,3 Milliarden
Euro in den Haushalt einstellen. Jetzt wird jeder
schreien, dass 2,3 Milliarden Euro sehr viel Geld sind.
Das ist richtig. Aber wenn ich die Mittel für den Verteidigungshaushalt um ein Sechstel kürze, kann ich den
Ansatz im Familienhaushalt verdoppeln. Das muss man
sich einmal vor Augen führen.
Ich muss noch etwas zum Thema Rechtsextremismus
sagen. So wie Kollege Schwanitz komme auch ich aus
der Gegend, über die nun viel gesprochen wird. Ich
komme aus dem Kreis Zwickau und habe vor Ort meine
Erfahrungen mit Rechtsextremisten gemacht.
({8})
- Die Ministerin sollte vielleicht einmal zu uns kommen;
aber ich glaube, ich kann ihr nicht genügend Personenschutz gewährleisten, damit sie wieder sicher aus meiner
Stadt herauskommt.
({9})
Den schönen Reden, die wir am Dienstag gehört haben, müssen Taten folgen. Im interfraktionellen Entschließungsantrag haben wir uns gemeinsam darauf verständigt, dem Rechtsextremismus entschieden entgegenzutreten. Dafür sollten wir auch die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen.
Die Grünen haben eine Erhöhung dieses Haushaltstitels beantragt, die SPD hat es gemacht, und die Linke hat
es auch gemacht. Was wollen Sie von der Koalition? Von
Ihnen höre und sehe ich dazu nichts. Vielleicht können
wir uns auf den Mittelweg, die von uns beantragten
35 Millionen Euro, einigen. Das wäre jedenfalls ein Signal an die Menschen im Lande und ein deutliches Zeichen an den - ich formuliere es einmal so - braunen
Sumpf, dass ihm wirklich der Kampf angesagt wird.
({10})
Ich finde es ganz schrecklich, dass es erst zu solchen
Ereignissen, die jetzt ans Licht gekommen sind, kommen musste und dass die Koalition erst wachgerüttelt
werden musste. Müssen erst wieder Tote die Straßen
pflastern, damit sich in dieser Richtung etwas bewegt?
({11})
- Auch ich finde: Die Situation im Hinblick auf den
Rechtsextremismus ist unerträglich.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege
Wunderlich.
Wer wirklich etwas will, der findet einen Weg. Wer
etwas nicht will, der findet Gründe.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja Dörner von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Kollege Mattfeldt hat das Hohelied
vom Sparen und von der Schuldenbremse gesungen.
Gleichzeitig planen Sie ein Betreuungsgeld,
({0})
das einen Betrag von 1,5, 2 oder 2,5 Milliarden Euro
jährlich verschlingen wird.
({1})
Das ist doch einfach absurd. Man kann Sie in der heutigen Haushaltsdebatte überhaupt nicht mehr ernst nehmen.
({2})
Beim Betreuungsgeld sprechen wir von einer Maßnahme, über die Maria Böhmer, die Chefin der FrauenUnion, gesagt hat, die Frauen-Union hätte sich eine andere Lösung gewünscht.
({3})
Wir sprechen über eine Maßnahme, über die unsere Kollegin Miriam Gruß - ich habe extra noch einmal nachgesehen - vor einem Monat gesagt hat:
({4})
Wir, die FDP, sind absolut gegen diese Leistung. - Wir
sprechen über eine Maßnahme, über die unsere Kollegin
Rita Pawelski - auch sie ist heute da - in den Medien gesagt hat, die Frauen in der Union seien über das, was da
in Planung ist, entsetzt gewesen.
({5})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich habe wirklich
viel Verständnis für politische Kompromisse. Aber ich
habe keinerlei Verständnis für Maßnahmen wider alle
Vernunft.
({6})
Ich bin der Gruppe der Frauen in der Union tatsächlich
dankbar, dass sie den Mumm hat, sich dem billigen Kuhhandel, der am 6. November dieses Jahres im Bundeskanzleramt ausbaldowert wurde, zu widersetzen. Ich bin
froh, dass es mittlerweile positive Signale von der Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret KrampKarrenbauer, gibt, sich im Bundesrat an unserer Initiative gegen das Betreuungsgeld zu beteiligen.
({7})
Ministerin Schröder hat in der ganzen Angelegenheit
offensichtlich gar nichts zu sagen. Sie kam aus der Babypause zurück, hat eine Pressekonferenz gegeben und
einen Kompromissvorschlag zum Betreuungsgeld unterbreitet, hinter dem sich dann angeblich alle Seiten versammeln können. Von diesem Kompromissvorschlag ist
überhaupt keine Rede mehr. Er wurde einfach einkassiert.
({8})
Nächste Woche soll ein Friedensgespräch stattfinden, an
dem unter anderem Herr Kauder und Maria Böhmer teilnehmen.
({9})
Die zuständige Fachministerin ist aber nicht eingeladen.
({10})
Ich frage mich: Wofür haben wir eine Familienministerin, wenn sie bei ihren ureigenen Kernthemen nicht einmal gefragt wird?
({11})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Ausgestaltung
des Betreuungsgeldes, die nun von der CSU durchgedrückt werden soll, ist absolut absurd.
({12})
Der Bezug des Betreuungsgeldes wird nicht einmal mehr
am Kriterium der Berufstätigkeit der Eltern festgemacht.
({13})
Alle Eltern sollen das Betreuungsgeld bekommen, nur
nicht die, die ihre Kinder in eine Kita geben.
({14})
Das bedeutet: Doppelverdienereltern bekommen ihre
Nanny zukünftig mit 150 Euro im Monat subventioniert.
({15})
Im letzten Jahr haben Sie den ALG II beziehenden Eltern im Rahmen Ihres Sparpakets schon den Sockelbetrag des Elterngeldes gestrichen.
({16})
Das ist absolut unsozial und völlig absurd.
({17})
Fakt ist:
({18})
So wie das Betreuungsgeld jetzt angelegt ist, wird es zu
einer reinen Kitafernhalteprämie.
({19})
Ich muss wirklich sagen: Ein Schelm, wer Böses dabei
denkt. Gerade haben wir nämlich die neuen Zahlen zum
Kitaausbau bekommen. Wir wissen, dass dieser viel zu
schleppend vorangeht. Deshalb müssen wir jetzt eine
Richtungsentscheidung treffen. Wir brauchen mehr
Geld, auch vom Bund, für die Investitionen in die Kitas,
damit der Rechtsanspruch 2013 umgesetzt werden kann.
({20})
Solider Kitaausbau oder Betreuungsgeld, das ist letztlich
die Frage. Da können wir uns doch nicht von der CSU
auf der Nase herumtanzen lassen.
({21})
Ich möchte mich ganz besonders an die Haushälter
der Regierungsfraktionen wenden. Beispielsweise Herr
Toncar wurde in den Medien damit zitiert, er wisse gar
nicht, woher die zusätzlichen Milliarden für das Betreuungsgeld kommen sollen. Haben Sie einmal mit den
Landesregierungen in Bayern und in Thüringen gesprochen? Dort gibt es nämlich schon eine Art Betreuungsgeld; das nennt sich Landeserziehungsgeld. Es wird
doch darauf hinauslaufen, dass diese Länder ihren Haushalt auf Kosten des Bundes sanieren. So herum wird ein
Schuh daraus. So wird es mit dem Betreuungsgeld ablaufen.
({22})
Das sollte doch Ihnen als Haushälter zu denken geben.
({23})
Ich weiß, dass sich einige meiner Kollegen im Haushaltsausschuss sehr für den ländlichen Raum engagieren,
({24})
Schorschi Schirmbeck etwa, der auch anwesend ist. Deshalb habe ich die Pressemitteilung der Landfrauen mitgebracht, die auf einer knappen Seite wunderbar sachlich darlegen, warum sie das Betreuungsgeld ablehnen
und warum das Betreuungsgeld nichts mit Wahlfreiheit
zu tun hat, auch und gerade nicht für Frauen im ländlichen Raum. Diese Pressemitteilung werde ich den Kollegen gleich zur Verfügung stellen. Ich hoffe, dass die
Frauen-Union dann viele Mitstreiter im Haushaltsausschuss findet.
({25})
Ich komme zum Schluss. In der FAZ stand vor einigen
Tagen ein Artikel, aus dem ich kurz zitieren möchte:
Damit drängt sich die Frage auf, ob Familien künftig auch eine Entschädigung bekommen, wenn sie
ihre Kinder nicht auf die staatlich finanzierte Universität, sondern zur Ausbildung in einen Handwerksbetrieb schicken … Oder an diejenigen, die
keine geförderte Solaranlage auf ihrer Garage haben? Seit dem Beschluss zum Betreuungsgeld
scheinen auch solche Absurditäten nicht mehr undenkbar.
Die schwarz-gelbe Familienpolitik ist zu einer Absurdität verkommen. Sie ist ein reines Trauerspiel. Sie sollte
schnellstmöglich beendet werden.
({26})
Das Wort hat jetzt der Kollege Erwin Rüddel von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren eine äußerst erfolgreiche Familienpolitik.
({0})
Deshalb, Frau Dörner, läuft Ihre Kritik absolut ins Leere.
Mit dem Familienhaushalt stellt die christlich-liberale
Koalition unter Beweis, dass Konsolidierung der Finanzen und nachhaltige Investitionen in die Zukunft unserer
Gesellschaft kein Widerspruch sind. Wir beweisen, dass
sich Sparen und Gestalten keineswegs ausschließen.
({1})
Wir reden nicht nur vom gesellschaftlichen Wandel und
von der Zivilgesellschaft, sondern wir fördern sie mit zukunftsweisenden Projekten.
Wir fördern das bürgerschaftliche Engagement und
schaffen nach der Aussetzung des Zivildienstes eine
neue Kultur der Freiwilligkeit in Deutschland. Jung und
Alt, Frau oder Mann, jeder kann einen Freiwilligenplatz
bekommen und so zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft aktiv beitragen.
Das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell. Man kann es
nicht oft genug wiederholen: Schon jetzt wählt jeder
vierte Vater eine Auszeit vom Beruf, um zu Hause Verantwortung zu übernehmen. Diesen gesellschaftlichen
Wandel begrüßen wir ausdrücklich. Für 2012 planen wir
deshalb Mehraufwendungen von rund 300 Millionen
Euro ein.
Für die Initiative „Frühe Chancen“ zur sprachlichen
Förderung in unseren Kitas stellen wir in diesem Jahr
82 Millionen Euro bereit. Im nächsten Jahr werden es
102 Millionen Euro sein. In diesem Jahr sind 3 000
Schwerpunktkitas eingerichtet worden. Im nächsten Jahr
werden 1 000 weitere hinzukommen. Bis 2014 investieren wir insgesamt 400 Millionen Euro, die ganz konkret
dem späteren Bildungserfolg und einer gelungenen Integration zugutekommen. Es sei an dieser Stelle erwähnt,
dass der Bund die Kommunen bei der Grundsicherung
um 12 Milliarden Euro entlastet. Das gibt den Kommunen sicherlich Spielraum, den Kitaausbau zu betreiben.
({2})
Die Mittel für die Stärkung von Vielfalt, Toleranz und
Demokratie erhöhen wir, wie schon erwähnt, auf 29 Millionen Euro.
({3})
Sie dienen primär der Prävention. Denn wir sind der
Auffassung, dass jeglicher Extremismus ein Angriff auf
unser demokratisches Gemeinwesen ist.
Ich bin der Ministerin dankbar,
({4})
dass sie bereits lange vor Bekanntwerden dieser schrecklichen Geschehnisse von den Maßnahmenträgern eine
Demokratieerklärung verlangt hat. Die Projektträger von
staatlich geförderten Maßnahmen sollen nicht nur weiter
sensibilisiert, sondern auch beraten und geschützt werden.
({5})
Familienpolitik ist aber mehr als Extremismusbekämpfung. Wir müssen Strukturen schaffen, damit Extremismus keinen Nährboden hat.
Im Rahmen des neuen Kinderschutzgesetzes fördern
wir die Arbeit der Familienhebammen. Wir wollen jungen Frauen frühzeitig helfen. Wir wollen helfen, bevor
es zu spät ist. Für diesen präventiven Ansatz stellen wir
im nächsten Jahr 30 Millionen Euro bereit. In den nächsten vier Jahren sind es insgesamt 120 Millionen Euro.
Umso ärgerlicher finde ich die Einlassungen einiger roter und grüner Landesministerinnen, die gegen dieses
wichtige Vorhaben öffentlich Stimmung machen. Für
parteitaktische Manöver auf dem Rücken von Kindern
und Familien hat niemand Verständnis.
Wir haben 7 Millionen Euro für die Förderung der
künstlichen Befruchtung bereitgestellt. Das Ziel bleibt
aber, daraus 10 Millionen Euro für die Unterstützung bei
ungewollter Kinderlosigkeit zu machen.
Für die erfolgreichen Mehrgenerationenhäuser, die
exemplarisch für bürgerschaftliches Engagement auf
kommunaler Ebene stehen, haben wir ein Folgeprogramm mit den Schwerpunkten Pflege und Integration
aufgelegt.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zur Familienpflegezeit. Mit dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit
von Pflege und Beruf werden sicherlich nicht alle Probleme im Bereich der Pflege gelöst; aber es ist ein Meilenstein auf dem Weg, das große Thema der bedarfsgerechten Pflege in einer rasch alternden Gesellschaft zu
bewältigen.
Meine Damen und Herren, wir geben moderne Antworten auf den gesellschaftlichen Wandel. Wir schaffen
faire Chancen. Wir fördern das bürgerschaftliche Engagement, die soziale Teilhabe und den Zusammenhalt der
Generationen.
Die Koalition trägt den Veränderungen in unserer Gesellschaft Rechnung. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir mit unserem Familienhaushalt auf
dem richtigen Weg sind.
({6})
Das Wort hat der Kollege Sönke Rix von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst komme ich zu einem Thema, das
schon eine Rolle gespielt hat, zum Übergang vom Zivildienst zum Freiwilligendienst.
({0})
- Ich weiß nicht, Herr Grübel, ob das wirklich positiv ist. Die meisten Redner haben festgestellt, trotz der Anfangsschwierigkeiten seien jede Menge junger Menschen gewonnen worden, die in Freiwilligendiensten tätig sind.
({1})
Das ist gut so, und es will niemand in Abrede stellen,
dass das zu loben ist und den jungen Menschen, die diesen Dienst antreten, egal ob im Bundesfreiwilligendienst
oder im Jugendfreiwilligendienst, unser gemeinsamer
Dank gebührt.
({2})
Aber es gibt natürlich Probleme beim Start. Es wird
darauf hingewiesen, dass diese Startprobleme daran liegen, dass wir sehr schnell ein System für die Zeit nach
dem Zivildienst entwickeln mussten. Wer sagt denn,
dass das so schnell gehen musste? Warum haben Sie so
auf das Tempo gedrückt? Ich glaube, sowohl die Bundeswehr als auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen wären dankbar gewesen, wenn Sie eine längere
Übergangsfrist vorgesehen und vorgeschlagen hätten,
sich gemeinsam an den Tisch zu setzen, um zusammen
ein Konzept zu erarbeiten, statt es im Eiltempo durchzuziehen. Dieser Zeitdruck war nicht notwendig.
({3})
Jetzt wird deutlich - wir haben uns mit den Trägern
darüber auseinandergesetzt -: Beim Bundesfreiwilligendienst ist natürlich nicht alles Gold, was glänzt. Das
Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ist für die Umsetzung des Bundesfreiwilligendienstes zuständig. Beim Bundesfreiwilligendienst muss der
Vertrag im Gegensatz zum Jugendfreiwilligendienst vom
Bundesamt, vom Träger, von der Einsatzstelle und vom
Freiwilligen unterzeichnet werden. Bis dieser Vertrag
zurückkommt, vergehen mehrere Wochen. Die Einsatzstelle weiß nicht damit umzugehen. Das gleiche Problem
haben wir leider mit dem Geldfluss. Die Einsatzstellen,
die die Bundesfreiwilligendienstler einstellen, müssen
über Monate hinweg warten, bis die Mittel dafür fließen.
Das ist kein gelungener Start des Bundesfreiwilligendienstes. Das ist ein Bürokratiemonster. Insbesondere
von den Kollegen der FDP hätten wir eigentlich anderes
erwartet.
({4})
Wie kommen wir da heraus? Ich habe schon öfter gesagt: Wir brauchen keine Doppelstruktur bei den Freiwilligendiensten. Wir brauchen nicht auf der einen Seite
den staatlich organisierten Bundesfreiwilligendienst und
auf der anderen Seite den zivilgesellschaftlich organisierten Jugendfreiwilligendienst. Das ist unnötig. Wir
müssen zusehen, dass wir in der nächsten Zeit - hoffentlich gemeinsam - die Richtung verfolgen, einen gemeinsamen Freiwilligendienst zu organisieren, der unter der
Verantwortung der Zivilgesellschaft steht.
({5})
Natürlich möchte auch ich noch etwas zu dem aktuellen
Thema Strategien zur Bekämpfung des Rechtsextremismus sagen. Frau Ministerin, es geht uns gar nicht darum,
dass es aus Ihrer Sicht Mittel gegen den Linksextremismus
und Mittel gegen den Rechtsextremismus gibt. Bei der aktuellen Debatte geht es nicht um Linksextremismus, sondern um rechtsextremistischen Terror.
({6})
Stellen Sie sich bitte die Angehörigen der Opfer vor,
wenn die Ministerin hier bedauert, dass es diesen Terror
gibt, aber sofort hinterherschiebt: „Aber Linksextremismus und Islamismus sind auch schlimm.“ Diese Haltung
ist nicht zu ertragen.
({7})
Natürlich spielt dabei auch die Extremismusklausel
eine Rolle. Es ist überhaupt nicht schlimm, wenn sich
Leute zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Schlimm ist aber, dass Sie mit dieser Extremismusklausel - Sie nennen das „Demokratieerklärung“ abfragen, ob die Verantwortlichen selbst, die Organisation, und diejenigen, die mit ihnen zusammenarbeiten,
auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Was bedeutet
das denn, Frau Ministerin?
({8})
Sie haben im Ausschuss geantwortet: Ich kann die Namen googeln; dann weiß ich, ob sie extremistisch sind
oder nicht. - Sie müssen sich gegenseitig ausspionieren.
So kann keine vertrauensvolle Arbeit entstehen.
({9})
Zu kritisieren ist auch, dass diejenigen, die Mittel aus
dem Topf gegen Rechtsextremismus beantragen, die Erklärung unterschreiben müssen, während beispielsweise
der Bund der Vertriebenen, der auch staatliche Gelder
bekommt, so etwas nicht unterschreiben muss.
({10})
Warum gibt es eigentlich diese Ungleichbehandlung
vonseiten der Bundesregierung?
({11})
Sie loben sich hier, indem Sie sagen, sie hätten die
Haushaltsmittel um 2 Millionen Euro erhöht. Das ist natürlich ein toller Taschenspielertrick.
({12})
Zunächst kürzen Sie die Mittel im Entwurf, dann nehmen Sie die Kürzung drei Tage vor der Haushaltsberatung wieder zurück, und jetzt stellen Sie sich hierhin und
tun so, als hätten Sie die Mittel erhöht. Das ist ein Skandal, Frau Ministerin. Sie wollten kürzen, und dazu hätten
Sie einmal stehen sollen.
({13})
Jetzt wird öffentlich betont, es seien sogar noch mehrere Millionen Euro übrig. Wir haben Informationen,
dass Organisationen, die das gelesen haben, sofort angerufen und gesagt haben: Davon hätten wir gerne etwas
Geld. Aus dem Ministerium hieß es dann: Nein, nein, die
Gelder sind schon längst bewilligt; sie werden wahrscheinlich bis Ende des Jahres abgeflossen sein. Was ist
das für eine Art, Frau Ministerin? Wie wollen Sie eigentlich dafür sorgen, dass sich die Zivilgesellschaft tatsächlich engagiert?
({14})
Erst erfolgt die Rücknahme von 2 Millionen Euro,
und dann brüsten Sie sich, die Mittel zur Stärkung von
Demokratie und Toleranz erhöht zu haben. Es fehlt eine
Gesamtstrategie der Bundesregierung. Wenn Sie ehrlich
wären, würden Sie auch einräumen, dass die Mittel für
die Bundeszentrale für politische Bildung um mehrere
Millionen Euro gekürzt werden. Auch die Arbeit der
Bundeszentrale ist Extremismusbekämpfung und trägt
zur Förderung von Demokratie und Toleranz bei. Deren
Mittel aber haben Sie gekürzt. Auch das gehört zur
Wahrheit.
({15})
Einen Satz möchte ich mir nicht ersparen. Wir haben
am Dienstag erklärt, welche gemeinsame Position wir
zum Rechtsterrorismus in diesem Haus haben. Aber
wenn Sie dann den Vorwurf erheben, es sei parteipolitisch, auf Fehler aufmerksam zu machen, dann muss ich
Sie fragen: Was ist eigentlich so schlimm an Parteipolitik? Es ist auch ein Teil von Demokratie, dass man über
Unterschiede streiten kann. Wir sollten das nicht als negativ darstellen.
({16})
Wir haben am Dienstag ein gemeinsames Zeichen gesetzt und deutlich gemacht, wie wir uns verhalten werden. Wir haben beschlossen, dass wir dafür Sorge tragen,
der Zivilgesellschaft keine weiteren Hindernisse in den
Weg zu legen, um die Demokratie zu stärken. Heute haben wir die Möglichkeit, wenn Sie den drei Anträgen der
Grünen, der Linkspartei und vor allen Dingen der SPD
zustimmen, diese Hindernisse abzuräumen. Lassen Sie
uns ein gemeinsames Zeichen setzen!
Herzlichen Dank.
({17})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Florian
Bernschneider das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Rix, erlauben Sie mir wenigstens einen Satz zu den Freiwilligendiensten, zum Zivildienst
und zur Wehrpflicht. Sie haben gesagt, wir hätten das alles über das Knie gebrochen. Ich sage Ihnen: Es ist mir
lieber, dass wir die Wehrpflicht kurzfristig ausgesetzt haben, als es so langfristig wie Rot-Grün anzugehen. Unter
Rot-Grün wurde es nämlich nie etwas mit der Aussetzung der Wehrpflicht.
({0})
Es wurde von einigen Vorrednern zu Recht betont,
dass uns die schrecklichen und menschenverachtenden
Verbrechen der Neonazi-Bande betroffen machen, dass
sie uns erschüttern und dass uns die Ermittlungspannen
empören. Deswegen ist es auch richtig, dass wir als zuständige Fachpolitiker für die Präventionspolitik hier in
den Haushaltsberatungen zu diesem Thema Stellung
nehmen. Aber es liegt auch in unserer Verantwortung,
die Debatte nicht in parteipolitisches Gezänk ausarten zu
lassen. Nichts anderes tun Sie doch. Sie stellen die gleichen Forderungen auf, die wir schon seit Wochen und
Monaten von Ihnen kennen, diesmal aber tun Sie es unter dem Deckmantel dieser schrecklichen Ereignisse. Sie
haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, zu
schauen, was wir als Präventionspolitiker tatsächlich aus
diesen schrecklichen Ereignissen lernen können; denn
wenn man das tut, müsste man auf ein Datum eingehen,
nämlich das Jahr 1998.
Das Jahr 1998 ist das Gründungsjahr des Nationalsozialistischen Untergrunds. Spätestens in diesem Jahr haben sich drei junge Menschen von Demokratie, Vielfalt
und Toleranz abgewendet und ein gewaltbereites und
menschenverachtendes Netzwerk gebildet. Das heißt für
uns als Präventionspolitiker: Spätestens im Jahr 1998 hat
unsere Präventionspolitik versagt. Das ist auch gar kein
Wunder; denn im Jahr 1998 gab es noch gar nicht so etwas wie eine vom Bund geförderte Präventionspolitik.
Erst nach dem Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge
im Jahr 2000 hat Rot-Grün mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz reagiert und erstmals Mittel für den
Kampf gegen den Rechtsextremismus eingestellt.
({1})
Ihr eigener Bundeskanzler Gerhard Schröder hat damals gesagt - ich zitiere -:
Ich glaube, wir alle haben zu häufig die Probleme,
die es in diesem Bereich gibt, einfach nicht zur
Kenntnis genommen.
Gerhard Schröder hat damit das auf den Punkt gebracht,
was Präventionspolitik eigentlich ausmachen sollte,
nämlich zu reagieren, bevor es zu spät ist und zu Todesopfern kommt. Genau das ist das Absurde an Ihrer Argumentation. Sie sagen: Weil es noch nicht so viele Todesopfer durch Linksextremisten und weil es noch keine
Todesopfer durch religiöse Extremisten gab, können wir
die Mittel sparen und sie in den Kampf gegen Rechtsextremismus investieren.
({2})
Das hat nichts mit Präventionspolitik zu tun.
({3})
Sie verpassen einmal mehr mit diesen ideologischen
Grabenkämpfen die Chance, Präventionspolitik tatsächlich voranzubringen. Das ist auch gar nichts Neues. Man
muss nur einmal in die Protokolle des Deutschen Bundestages der vergangenen Wochen und Monate sehen.
Schwarz-Gelb hat einen Antrag eingebracht, wie wir die
Präventionsprogramme verbessern können. Sie haben
Ihre Redezeit, wie auch heute, vor allem darauf verwendet, uns zu erklären, dass es gar keinen Linksextremismus in diesem Land gibt. Ich will einmal eine Forderung
aus dem Antrag zitieren, den Schwarz-Gelb gegen Ihre
Stimmen auf den Weg gebracht hat:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung … auf, … bei der Weiterentwicklung dieser
Programme auch … geschlechterdifferenzierte Ansätze verstärkt einzubeziehen.
({4})
Wie richtig das war, was wir damals beschlossen haben, zeigt dieses Trio tatsächlich; denn Beate Zschäpe ist
doch für diese schreckliche Bande das freundliche Gesicht nach außen gewesen.
({5})
Deswegen war der Ansatz, den Schwarz-Gelb gewählt
hat, nämlich in der Präventionspolitik auf die geschlechterspezifischen Rollen einzugehen, richtig. Genau so
eine sachliche Politik und vor allem eine genau so sachliche Diskussion muss man von uns erwarten.
Anstatt über solche wichtigen Punkte zu diskutieren,
wie man die Präventionspolitik tatsächlich verbessern
kann, halten Sie heute wieder die Extremismusklausel
hoch. Nehmen Sie doch bitte einfach einmal zur Kenntnis, dass die Extremismusklausel keine Erfindung von
uns ist, sondern von Ihrem eigenen Staatssekretär gewählt wurde. Er wollte übrigens nicht nur Google einbinden; er hat sogar noch angeboten, die Verfassungsschutzbehörden anzurufen, wenn man Fragen zu seinen
Projektpartnern hat.
Es hat eben nicht dazu geführt, dass die Zivilgesellschaft die Mittel nicht mehr in Anspruch nimmt, seitdem
wir die Extremismusklausel haben, sondern die Mittelabrufe sind nach wie vor konstant. Von den über
500 Projektpartnern hat sich weniger als eine Handvoll
geweigert, die Extremismusklausel zu unterschreiben.
({6})
Ich hoffe, dass wir, wenn Sie dieses schreckliche
Theater hier im Plenum des Deutschen Bundestages beendet haben, wenigstens im Ausschuss wieder sachlich
über Präventionspolitik diskutieren können.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Lehrieder von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen! Ich darf mich zunächst sehr herzlich bei
allen Fraktionen in diesem Hohen Haus dafür bedanken,
dass es vorgestern gelungen ist, die gemeinsame Initiative gegen Rechtextremismus auf den Weg zu bringen.
Leider beißt sich momentan ein Großteil der Opposition an der sogenannten Extremismusklausel - genauer:
an der Demokratieerklärung - die Zähne aus. Ich will Ihnen eines sagen: Als ich das gehört habe, habe ich mich
erst einmal kundig gemacht, was eigentlich darin steht.
Mit der Erlaubnis des geschätzten Präsidenten zitiere
ich:
Hiermit bestätigen wir, dass wir uns zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und eine den Zielen
des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten.
Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wir
zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten …
- niemand verlangt, dass man Google oder den Bundesnachrichtendienst einschaltet und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des
Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass
keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass
einer Unterstützung extremistischer Strukturen
durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.
Was ist daran falsch?
({0})
Meine Damen und Herren und insbesondere liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen sowie an
den Fernsehgeräten, wir sprechen bei den Fördergeldern
von Steuergeldern. Wir sind Sachwalter Ihrer Steuergelder. Wir können sie für diese oder jene Initiative bzw.
Organisation einsetzen. Es ist völlig richtig, wenn die
Frau Ministerin sagt: Wir wollen Extremismus nicht mit
Extremismus bekämpfen. - Deshalb ist dies zumutbar
und keinesfalls anstößig.
({1})
Vorhin ist sehr viel über den Haushalt 2012 ausgeführt worden. Leider hat es sich nicht vermeiden lassen,
dass einige Kolleginnen und Kollegen schon über den
Haushalt 2013 diskutiert und immer wieder das Thema
Betreuungsgeld thematisiert haben.
Um 12.15 Uhr hat Frau Gesine Lötzsch unserer Arbeitsministerin an diesem Mikrofon sinngemäß vorgeworfen, arme Menschen erziehen zu wollen, anstatt ihnen zu helfen. Frau Lötzsch hat in diesem Punkt nicht
recht: Wir wollen Menschen gerade nicht erziehen, sondern ihnen helfen. Deshalb möchten wir eine Alternative
zur staatlichen Betreuung in Kitas anbieten. Deswegen
gibt es das Betreuungsgeld. Ich weise darauf hin, dass
das mit dem Haushalt 2012 nichts zu tun hat. Wir reden
jetzt in dieser erhitzten Debatte schon über den Haushalt
2013. In Thüringen hat man gute Erfahrungen gemacht.
Die sogenannte Fernhalteprämie, wie es Hubertus Heil
um 12.57 Uhr oder Frau Kollegin Marks um 14 Uhr hier
ausgeführt haben, ist keine Fernhalteprämie, weder in
Thüringen noch in der übrigen Bundesrepublik. Wir
wollen damit unterschiedliche Lebensentwürfe und Erziehungsmodelle anerkennen und nicht nur eine einseitige staatlich geförderte Betreuung fördern.
({2})
Erlauben Sie mir, noch ein paar Sätze zum Haushalt zu
sagen. Nach den Hauptausgaben des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend befragt, fallen einem
spontan zumeist die Begriffe „Elterngeld“, „Kindergeld“
und auch „Kinderzuschlag“ ein. Im Haushaltsgesetz 2012
sind allein für diese drei zentralen Ausgabenblöcke insgesamt 5,143 Milliarden Euro vorgesehen. 4,6 Milliarden
Euro fließen 2012 in das Elterngeld. Das sind rund
215 Millionen Euro mehr als in diesem Jahr und in der
Gesamtbetrachtung mehr als zwei Drittel des gesamten
Haushalts des Familienministeriums.
An der Erhöhung der Mittel für das Elterngeld haben
insbesondere die aktiven Väter in unserem Land erheblichen Anteil. Bislang nahm knapp jeder vierte Vater mit
den Partnermonaten eine Auszeit vom Beruf, um sich
dem gemeinsamen Nachwuchs zu widmen. Bei der Verabschiedung des Gesetzes, also vor Einführung des Elterngeldes vor fünf Jahren, hätte wohl niemand mit einer
solchen Zahl gerechnet. Die Vorgängerleistung, das Erziehungsgeld, war 2006 lediglich von 3,5 Prozent der
Männer in Anspruch genommen worden, das Elterngeld
2007 immerhin schon von 7 Prozent. Laut den aktuellen
Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes, die
Sie heute der Tagespresse entnehmen können, ist die Väterbeteiligung, also der Anteil der Väter, die Elterngeld
bezogen haben, für im zweiten Quartal 2010 geborene
Kinder noch einmal angestiegen, und zwar auf derzeit
25,4 Prozent. Im ersten Quartal 2010 waren es 24,4 Prozent.
Ich muss insbesondere den Sachsen - leider ist Frau
Kollegin Lazar gerade entschwunden - ein Kompliment
machen. Die sächsischen Mannsbilder sind noch etwas
besser als die bayerischen. 32,8 Prozent der sächsischen
Väter nehmen das Elterngeld in Anspruch. Schlusslicht
ist Bremen mit 16,9 Prozent. Dort muss man noch ein
bisschen besser werden. Aber die große Nachfrage und
Akzeptanz zeugen vom Erfolg des Elterngeldes. Es zeigt
sich, dass gerade junge Eltern eine partnerschaftliche
Aufgabenteilung begrüßen.
({3})
Anhand dieses Ausgabenblocks, den ich aus Zeitgründen als einzigen beschrieben habe, wird ersichtlich
und mehr als deutlich, dass die Familienpolitik der
christlich-liberalen Koalition sehr am Herzen liegt. Familienpolitik ist Zukunftspolitik. Diese Überzeugung
spiegelt sich im Haushaltsentwurf 2012 wider.
Ich darf mich sehr herzlich bei unserer Frau Ministerin Kristina Schröder und beim Herrn Staatssekretär
Kues für die gute Arbeit bedanken und ihnen weiterhin
viel Erfolg auf ihrem Weg wünschen.
Danke schön.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die letzten
fünf Minuten noch so viel Ruhe zu bewahren, dass sich
auch unsere letzte Rednerin Gehör verschaffen kann.
Als letzter Rednerin zu diesem Einzelplan erteile ich
das Wort der Kollegin Stefanie Vogelsang.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Als letzte Rednerin in dieser
Debatte möchte ich auf drei Punkte aufmerksam machen, die mir wichtig sind. Zuerst möchte ich etwas zum
Kinderschutzgesetz und zu der morgigen Abstimmung
im Bundesrat sagen. Mein zweites Thema sind die Kinderwunschbehandlung und die Aktionen unserer Ministerin. Mein drittes Thema ist der von Frau Künast angesprochene Kompass für das Regierungshandeln.
Am Dienstag dieser Woche lautete eine Schlagzeile in
der Berliner Morgenpost: „Getötetes Baby - Bezirk
überprüft Jugendamt“. Am Mittwoch dieser Woche lautete eine Schlagzeile: „Jugendamt holt halb verhungertes
Kind von der Mutter weg“. Frau Kollegin Lazar hat vorhin gesagt, wir alle seien uns einig, dass nun Taten folgen müssen. Es ist dringend notwendig, dass nun Taten
folgen. Ich bitte jeden, der Kontakt zu den Ländervertreterinnen und -vertretern hat, dazu beizutragen, dass der
Bundesrat morgen dem dringend benötigten Kinderschutzgesetz zustimmt. Das ist wichtig für die Kinder in
Deutschland.
({0})
Es gibt viele Paare, die sich Kinder wünschen, aber
- aus welchen Gründen auch immer - keine bekommen
können. Bis zum Jahr 2005 haben wir Kinderwunschbehandlungen über die gesetzlichen Krankenkassen finanziert. Was die Zahl der infolge solcher Behandlungen
geborenen Kinder anbelangt, standen wir als Bundesrepublik Deutschland an der Spitze.
Dann hat Rot-Grün damals das Gesetz geändert und
festgelegt, dass maximal drei Behandlungen finanziert
werden. Das hat man an den Zahlen gemerkt. Die Zahl
der Kinder, die infolge solcher Behandlungen geboren
worden sind, ist in erheblichem Maße gesunken. Ich bin
der Ministerin Kristina Schröder ausgesprochen dankbar, dass sie dieses Thema aufgegriffen hat, sich dafür
eingesetzt hat, dafür gekämpft hat und diesen Akzent in
der Familienpolitik gesetzt hat,
({1})
sodass es in Zukunft wieder eine stärkere Unterstützung
in diesem Bereich gibt.
Frau Künast hat vom Kompass beim Regierungshandeln gesprochen. Frau Marks, Sie haben in Ihrer Rede
vorhin ebenfalls das Thema „Kompass und Regierungshandeln“ angesprochen.
({2})
- Sie haben sich damit auseinandergesetzt; lesen Sie es
einfach nach. - Ich persönlich bin ausgesprochen froh
über den Kompass, den diese Familienministerin in unserer Bundesregierung hat. Als 2003 der Generalsekretär
der SPD in einer Erklärung sagte: „Wir müssen die Lufthoheit über den Kinderbetten in diesem Land zurückerobern“, war das eine Aussage, die mich geschockt hat.
Ich bin sehr froh darüber - sehr froh! -, dass wir jetzt
eine Familienpolitik haben, bei der kein Lebensmodell
gegen das andere ausgespielt wird,
({3})
bei der jeder nach seiner Fasson seine Kinder erziehen
kann und bei der jeder nach seiner Fasson seine Schwerpunkte setzen kann und kein übermächtiger Staat hineinredet.
({4})
In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung von
heute, liebe Rita Pawelski, steht: „Der neue Babyboom
in Hannover“. Die sozialdemokratische Stadtregierung
in Hannover erklärt den Babyboom in der Stadt ursächlich mit der veränderten Familienpolitik im Bund seit
2005. Jetzt ist Familienpolitik nicht mehr nur Gedöns
wie unter Schröder, sondern die Familienpolitik gibt
Müttern wieder das Signal, dass sie gern gesehen sind.
Das ist der Grund für den Babyboom.
({5})
Das finde ich toll. Jetzt sollten wir zu den Abstimmungen kommen.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend - in der Ausschussfassung einschließlich der be-
reits am Dienstag beschlossenen Änderungen. Hierzu
liegen sechs Änderungsanträge vor, über die wir zuerst
abstimmen. Wir beginnen mit drei Änderungsanträgen,
zu denen namentliche Abstimmung verlangt wurde.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Plätze an den Urnen zu besetzen. - Sind die Plätze be-
setzt? - Das ist der Fall.
Zuerst stimmen wir über den Änderungsantrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7817 ab. Ich er-
öffne die namentliche Abstimmung.
Haben die Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarte
abgegeben? - Das ist offenkundig der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszäh-
lung zu beginnen.1)
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Än-
derungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/7819. Die Urnen sind besetzt. Dann eröffne ich die
zweite namentliche Abstimmung.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen bei der zweiten
namentlichen Abstimmung ihre Stimmkarte eingewor-
fen? - Ich schließe die zweite namentliche Abstimmung
und bitte, auch hier mit der Auszählung zu beginnen.2)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/7821. Die Urnen sind besetzt. Ich eröffne
die dritte namentliche Abstimmung.
Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre
Stimmkarte für die dritte namentliche Abstimmung ein-
geworfen? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die dritte
namentliche Abstimmung und bitte, mit der Auszählung
zu beginnen.3)
Wir setzen die Abstimmungen über die weiteren Änderungsanträge fort. Ich hatte vorhin gesagt, dass es sich
um sechs Anträge handelt. Über drei Anträge haben wir
namentlich abgestimmt. Damit kommen jetzt noch drei
weitere Abstimmungen.
Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7818. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7816. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen von SPD und der Fraktion Die Linke und
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7820. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen
Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung, weil wir anschließend über diesen Haushalt insgesamt abstimmen.
Halten Sie sich aber bitte zur Verfügung. Wenn wir die Ergebnisse haben, werden wir die Sitzung sofort fortsetzen.
({0})
1) Ergebnis Seite 17111 C
2) Ergebnis Seite 17113 A
3) Ergebnis Seite 17116 A
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen die von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisse der drei namentlichen Abstimmungen bekannt:
Änderungsantrag der SPD zum Einzelplan 17, Drucksache 17/7817: abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben
gestimmt 137, mit Nein haben gestimmt 312, Enthaltungen 122. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 138
nein: 312
enthalten: 121
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({0})
Gerd Bollmann
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({1})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({2})
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({3})
Hubertus Heil ({4})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({5})
Frank Hofmann ({6})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({7})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({8})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({9})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Karin Roth ({10})
Michael Roth ({11})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({12})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({13})
Werner Schieder ({14})
Ulla Schmidt ({15})
Silvia Schmidt ({16})
Carsten Schneider ({17})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({18})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({19})
Manfred Behrens ({20})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen
({21})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({22})
Dirk Fischer ({23})
Axel E. Fischer ({24})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({25})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Vizepräsident Dr. Hermann Otto S
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({26})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({27})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({28})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({29})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({30})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({31})
Michaela Noll
Franz Obermeier
olms
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({32})
Anita Schäfer ({33})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({34})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({35})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({36})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({37})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({38})
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({39})
Peter Weiß ({40})
Sabine Weiss ({41})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({42})
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({43})
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({44})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({45})
Michael Link ({46})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({47})
Burkhardt Müller-Sönksen
({48})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({49})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({50})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({51})
Enthalten
DIE LINKE
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Vizepräsident Dr. Hermann Otto S
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Harald Koch
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({52})
olms
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({53})
Volker Beck ({54})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({55})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Kerstin Müller ({56})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Brigitte Pothmer
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache
17/7819: abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 257, mit Nein haben gestimmt 313, Enthaltung 1.
Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 570;
davon
ja: 256
nein: 313
enthalten: 1
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({57})
Gerd Bollmann
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({58})
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({59})
Hubertus Heil ({60})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({61})
Frank Hofmann ({62})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({63})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({64})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({65})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Karin Roth ({66})
Michael Roth ({67})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({68})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({69})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto S
Werner Schieder ({70})
Ulla Schmidt ({71})
Silvia Schmidt ({72})
Carsten Schneider ({73})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({74})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
DIE LINKE
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Harald Koch
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
olms
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({75})
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({76})
Volker Beck ({77})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({78})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Syliva Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Kerstin Müller ({79})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Brigitte Pothmer
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({80})
Manfred Behrens ({81})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen
({82})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({83})
Dirk Fischer ({84})
Axel E. Fischer ({85})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({86})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({87})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({88})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Vizepräsident Dr. Hermann Otto S
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({89})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({90})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({91})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({92})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
olms
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({93})
Anita Schäfer ({94})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({95})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({96})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({97})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({98})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({99})
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({100})
Peter Weiß ({101})
Sabine Weiss ({102})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Bernhard Brinkmann
({103})
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({104})
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({105})
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({106})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({107})
Michael Link ({108})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({109})
Burkhardt Müller-Sönksen
({110})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({111})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({112})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({113})
Enthalten
SPD
Hans-Ulrich Klose
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Änderungsantrag vom Bündnis 90/Die Grünen,
Drucksache 17/7821: Abgegebene Stimmen 572. Mit Ja
haben gestimmt 258, mit Nein haben gestimmt 314, Enthaltungen keine. Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 258
nein: 313
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({114})
Gerd Bollmann
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({115})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({116})
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({117})
Hubertus Heil ({118})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({119})
Frank Hofmann ({120})
Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({121})
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({122})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({123})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Karin Roth ({124})
Michael Roth ({125})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({126})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({127})
Werner Schieder ({128})
Ulla Schmidt ({129})
Silvia Schmidt ({130})
Carsten Schneider ({131})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({132})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
DIE LINKE
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Harald Koch
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({133})
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({134})
Volker Beck ({135})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({136})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Vizepräsident Dr. Hermann Otto S
Memet Kilic
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Kerstin Müller ({137})
Beate Müller-Gemmeke
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Brigitte Pothmer
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({138})
Manfred Behrens ({139})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen
({140})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
olms
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({141})
Dirk Fischer ({142})
Axel E. Fischer ({143})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({144})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({145})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({146})
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({147})
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({148})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({149})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({150})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({151})
Anita Schäfer ({152})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({153})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({154})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({155})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Thomas Strobl ({156})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({157})
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({158})
Peter Weiß ({159})
Sabine Weiss ({160})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Klaus-Peter Willsch
Vizepräsident Dr. Hermann Otto S
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Hans-Ulrich Klose
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({161})
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
olms
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Joachim Günther ({162})
Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({163})
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({164})
Michael Link ({165})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({166})
Burkhardt Müller-Sönksen
({167})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({168})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({169})
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({170})
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 17 in der Ausschussfassung einschließlich der am
Dienstag beschlossenen Änderungen. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 17 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt II.17 auf:
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und Forschung
- Drucksachen 17/7123, 17/7124 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Rehberg
Heinz-Peter Haustein
Priska Hinz ({171})
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
der SPD vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag
nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Klaus Hagemann von der SPD-Fraktion das Wort.
({172})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausgaben für
Bildung und Forschung steigen auf den ersten Blick um
circa 10 Prozent. Das ist zunächst einmal, Frau Ministerin und liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,
gut so.
({0})
Sie werden sich sicher wieder selbst loben und das als
ordentlich darstellen.
({1})
Aber lassen Sie uns dahinterblicken. Andere und auch
ich schauen da schon kritischer hin
({2})
und überprüfen, ob das, was gesagt worden ist, auch tatsächlich geschieht. Wir beobachten die in den Medien
geäußerten Kritiken sehr genau, und zwar in Medien aller Couleur.
Es gibt Kritiken, beispielsweise im Bereich Studium.
Es wird gefragt, was aus der 2008 groß angekündigten
Bildungsrepublik geworden ist. Auch ich möchte diese
Frage stellen. Der renommierte Bildungsforscher Klaus
Klemm hat gemeinsam mit dem Gewerkschaftsbund
eine Untersuchung vorgelegt.
({3})
Die Fragestellung war, ob es durch die zusätzlichen Milliarden für das Bildungswesen, für den Ausbau der Krippenplätze oder das Senken der Zahl der jungen Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung Fortschritte
gegeben hat. Das Ergebnis: Die Fortschritte sind kaum
messbar.
Die DGB-Vizevorsitzende
({4})
- Frau Sehrbrock ist Mitglied Ihrer Partei, der CDU sagt: Die Bildungsrepublik ist in weiter Ferne. Die Bildungsrepublik ist eine Fata Morgana.
({5})
Dem ist nichts hinzuzufügen. Herr Klemm hat recht,
Frau Sehrbrock hat recht, und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund hat recht.
({6})
Wenn wir genau hinsehen, dann stellen wir fest, dass
das 12-Milliarden-Paket eine Mogelpackung ist, zumindest von der Zahl her; denn auf meine Anfrage hin hat
die Bundesregierung eingeräumt, dass nur die Aufwüchse in die Rechnung einbezogen wurden. Die Kürzungen im Bereich Bildung, und zwar in allen betroffenen Haushalten, zum Beispiel beim Haushalt für Arbeit
und Soziales, werden einfach nicht mitgezählt bzw. weggelassen.
({7})
Es handelt sich um große Summen an Mitteln für Bildung. Meine Kollegin Bettina Hagedorn hat in ihrem
Redebeitrag darauf hingewiesen. Sie machen es so wie
die Sonnenuhr: Man zählt einfach nur die schönen Stunden, die anderen, das Unangenehme, lässt man weg.
({8})
Bei der beruflichen Qualifizierung haben Sie kräftige
Kürzungen vorgenommen: bei der Qualifizierung Jugendlicher ohne Hauptschulabschluss, bei den Ausbildungsabbrechern, bei den ausbildungsbegleitenden Hilfen sowie bei der beruflichen Weiterbildung. Für das Jahr
2010 und 2011 fielen fast 1,8 Milliarden Euro an Bildungsmitteln weg. Sehr geehrte Frau Ministerin Schavan,
wo waren Sie? Wo haben Sie Widerstand gegen die starken Kürzungen im Berufsbildungsbereich geleistet?
({9})
Auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung und
im Bereich des Auswärtigen Amtes - die Zahlen sind
nachgewiesen - gibt es Kürzungen im Bildungsbereich.
Ich möchte auf ein weiteres Minus eingehen - schon
bei der ersten Lesung habe ich darauf hingewiesen -: Jedes Jahr werden Mittel, die vom Parlament bewilligt
worden sind, nicht verausgabt. Zwischenzeitlich sind das
fast 900 Millionen Euro. Im Gesamthaushalt des Bundes
wurden im Bildungsbereich fast 3 Milliarden Euro nicht
verausgabt bzw. gestrichen. Deswegen ist das Ganze
eine Mogelpackung.
({10})
Wir haben dieser Tage eine Statistik erhalten, die besagt, dass 515 000 junge Männer und Frauen begonnen
haben, zu studieren. Das entspricht einem Plus von
16 Prozent. Das ist auch gut so.
({11})
Nur, für die Studienanfänger, lieber Kollege Rehberg,
herrscht bei der Studienplatzvergabe das gleiche Chaos,
das schon in den letzten drei Jahren herrschte; denn das
dialogorientierte Serviceverfahren ist wieder nicht zustande gekommen.
({12})
Die Zeit schreibt dazu - ich zitiere -:
Endloses Drama um die Software zur Studienplatzvergabe: Wie konnte so viel schiefgehen? Und wer
ist schuld?
Zehntausende … werden keinen Studienplatz ergattern, obwohl irgendwo noch welche frei sind.
({13})
Das ist Realität. Da können Sie noch so viel herumschreien. Damit müssen Sie sich auseinandersetzen.
({14})
Ich möchte auch die Probleme bei der Umsetzung des
Qualitätspakts Lehre ansprechen. Die Jugendlichen
brauchen Studienplätze, aber auch Dozenten und Professoren, damit sie ordentlich studieren können. Das Ministerium hat mir mitgeteilt, dass Bescheide ergangen sind
und bisher nur 90 Professoren mehr eingestellt wurden,
um all die Studierenden zu betreuen. 90 Professoren
mehr für 400 Hochschulen, das ist viel zu wenig.
({15})
Ich wette, dass es auch hier wieder Haushaltsausgabereste geben muss. Schon im Juli 2010 haben wir im
Haushaltsausschuss beantragt, dass hierfür mehr Mittel
zur Verfügung gestellt und für den Qualitätspakt Lehre
entsperrt werden.
({16})
Ich möchte den Forschungsbereich ansprechen. Dieser Tage wurde der Rechnungshofbericht vorgelegt. Ich
möchte nicht jede Aussage unterstreichen, aber doch darauf hinweisen, dass der Rechnungshof - ich zitiere begründete Zweifel hat, ob das 12-Milliarden-Euro-Pro17120
gramm die gewünschte Wirkung entfalten kann. Frau
Ministerin, ich frage Sie: Was wollen Sie tun, um die
Kritik zurückzuweisen? Welche Abläufe werden Sie ändern? Werden Sie das untersuchen, um den guten Ruf
der deutschen Forschung zu erhalten? Ist nach zehn Jahren programmorientierter Förderung nicht eine externe
Evaluierung der Abläufe erforderlich? Darüber haben
wir uns in dieser Woche in einem Berichterstattergespräch unterhalten. Am Schluss hatte ich aber mehr Fragen als gegebene Antworten.
Lassen Sie mich auch die steuerliche Forschungsförderung ansprechen. Ich kann mich daran erinnern, dass
die von mir hochgeschätzte Kollegin Flach hier jedes
Jahr gesagt hat: Wir brauchen für die Forschung eine
steuerliche Entlastung. Wo bleiben denn die Gesetzentwürfe? Die Hälfte der Legislaturperiode ist vorbei. Hier
muss gehandelt werden. Legen Sie die entsprechenden
Gesetzentwürfe vor! Bisher ist nichts geschehen. Auf einem sogenannten Forschungsfrühstück des BDI, an dem
ich teilgenommen habe, hieß es: Für die Hoteliers haben
sie Geld, aber für die Forschungsförderung haben sie
kein Geld.
({17})
Lassen Sie mich noch ein anderes Thema ansprechen,
das Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Auch hier gab es große
Ankündigungen, aber auch hier ist nichts geschehen. Sie
haben die Laufzeit der Leitlinien, die wir für diesen Bereich in der Großen Koalition entwickelt haben, schon
zweimal verlängert - der Kollege Rehberg kann das bestätigen -, das sogenannte Wissenschaftsfreiheitsgesetz
liegt aber immer noch nicht vor. Fehlanzeige!
Zu den Personalkosten möchte ich nur Folgendes sagen: Das Ministerium hat etwa 1 000 Beschäftigte. Es gibt
aber ein Schattenministerium: Es gibt weitere 300 Beschäftigte bei den Projektträgern, die in keinem Stellenplan auftauchen. Ich bin dankbar, dass die Koalition den
Rechnungshof endlich gebeten hat, auch dies zu untersuchen. Wir stehen voll hinter diesem Beschluss.
Eine ganze Reihe weiterer Punkte wäre zu nennen.
Sie können das auf meiner Homepage unter „Schwarzbuch Schavan“ nachlesen.
({18})
Das Büro des Kollegen Rupprecht hat sich dafür schon
im Vorfeld interessiert.
Lassen Sie mich zum Schluss, meine sehr verehrten
Damen und Herren, auf Folgendes hinweisen: Investitionen in Bildung und Forschung sind Zukunftsinvestitionen.
({19})
Deswegen haben wir ein Programm formuliert, das sich
auf die Bildungsausgaben aller zuständigen Ministerien
bezieht: „Nationaler Pakt für Bildung und Entschuldung.
Wir denken an morgen!“
({20})
Wir fordern 10 Milliarden Euro für verschiedene Maßnahmen in den nächsten zehn Jahren: von der Förderung
der Kinderkrippen über das Ganztagsschulprogramm bis
hin zum Qualitätspakt Lehre und zur Ausbildungsförderung. Wir haben dazu ein detailliertes Programm vorgelegt. Allein die Handlungsanleitungen für den Bildungsbereich umfassen drei Seiten. Sie brauchen dem nur
zuzustimmen. Dann haben Sie einen Ausgleich zu Ihrer
Mogelpackung.
In diesem Sinne bitte ich Sie, dass Sie unseren Änderungsanträgen zustimmen; denn es sind gute Anträge.
({21})
Das Wort hat jetzt der Kollege Eckhardt Rehberg von
der CDU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! „Bildungsrepublik ist eine Fata Morgana“, „kaum
messbar“, Herr Kollege Hagemann, aus Ihren Worten
spricht aus meiner Sicht der pure Neid
({0})
auf eine erfolgreiche Politik. Bei uns gestaltet sich Politik nicht nach dem Motto „Versprochen, gebrochen“,
sondern nach dem Motto „Versprochen, gehalten“.
({1})
Wenn die hochgeschätzte Frau Sehrbrock vom DGB
meint, Fakten nicht anerkennen zu müssen, dann nenne
ich sie:
({2})
Wir haben einen Aufwuchs der Haushaltsmittel in diesem Bereich von 2011 auf 2012 von 11,1 Prozent.
({3})
Das heißt, wir haben allein im Hochschulpakt 550 Millionen Euro draufgepackt. Damit haben wir die doppelten Abiturjahrgänge und die Aussetzung der Wehrpflicht
ausfinanziert.
Darüber hinaus entlasten wir die Kommunen. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gibt es Leistungen für Behinderte nicht nur nach dem Sozialgesetzbuch über die Kommunen, sondern auch über BAföG.
Allein diese beiden Positionen on top sind runde 700 Millionen Euro. Dass Ihnen das nicht passt, Herr Hagemann,
kann ich mir sehr gut vorstellen. Das ist erfolgreiche und
im Übrigen auch verlässliche Politik.
({4})
Wenn irgendwelche Bildungsforscher meinen, dass
Effekte nicht eintreten, lassen Sie mich zwei Beispiele
nennen.
Erstens. Die Zahl der Altbewerber ist in den letzten
drei Jahren um 80 000, nämlich von 260 000 auf rund
180 000, zurückgegangen. Damit Sie nicht in eine völlige Amnesie verfallen, meine Damen und Herren von
der SPD: Sie haben uns 2005 eine Jugendarbeitslosigkeit
von fast 16 Prozent hinterlassen. Wir haben sie fast halbiert. Auch das ist erfolgreiche Politik.
({5})
Zweitens. Wir haben in den letzten sechs Jahren den
Anteil der Gymnasiasten von 23 auf 30 Prozent gesteigert. Das Ergebnis ist: Im Jahre 2011 haben wir die
höchste Zahl von Erstsemesterstudenten, die die Bundesrepublik Deutschland je gesehen hat, nämlich
515 800. Auch hier beweist sich, dass unsere Politik erfolgreich ist. Dass Ihnen das nicht passt, ist mir vollkommen klar.
Herr Kollege Hagemann, wenn Sie behaupten, dass
die Mittel nicht abfließen: Von 46 Milliarden Euro sind
in der Amtszeit von Frau Schavan weniger als 1 Milliarde Euro, also 1,7 Prozent, nicht abgeflossen. Ich kann
Ihnen einmal die Zahlen von Frau Bulmahn nennen. Nur
eine einzige - 2003, Ganztagsschulprogramm -: Bis
zum Ende der Amtszeit 2005 waren weniger als 1 Milliarde Euro abgeflossen. Erst Frau Schavan hat die Mittel im Ganztagsschulprogramm vernünftig umgesetzt.
Kommen Sie uns nicht mit dem Märchen, die Mittel fließen nicht ab! Ich finde es eine mehr als herausragende
Leistung, wenn seit 2006 von 46 Milliarden Euro lediglich 1 Milliarde Euro nicht abfließt.
({6})
Auch hier noch einmal ein Blick zurück: Schauen Sie
sich einmal an, wie angeblich sozial Sie beim Thema
BAföG waren! In sieben Jahren Rot-Grün haben Sie das
Schüler-BAföG um 28 Euro
({7})
und das Studierenden-BAföG um 34 Euro erhöht. Ich
nenne Ihnen einmal, Herr Rossmann, die Steigerungssätze von 2005 bis 2011: Schüler-BAföG um 190 Euro,
also das Sechsfache, Studierenden-BAföG um mehr als
200 Euro, auch das Sechsfache. Kommen Sie uns nicht
mit irgendwelchen Schaufensteranträgen zum Thema
BAföG! Wir brauchen keinen Nachhilfeunterricht, sondern wir haben in den letzten sechs Jahren gehandelt.
({8})
Wenn Sie, Herr Kollege Hagemann, uns kritisieren
und behaupten, wir veranstalteten beim Mittelabfluss irgendwelche Mätzchen, muss ich sagen: Wenn wir Ihren
Antrag hinsichtlich der 400 Millionen Euro beim Ganztagsschulprogramm angenommen hätten, dann - das unterstelle einmal - wäre nicht 1 Cent abgeflossen.
({9})
Voraussetzung für die Aufhebung des Kooperationsverbots, das heißt eine Änderung des Grundgesetzes, ist
eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag und
eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat.
({10})
Ich sehe nicht einmal ansatzweise, Herr Kollege
Rossmann, dass zwei Drittel der Länder dafür sind, das
Kooperationsverbot aufzuheben.
Jetzt denken Sie einmal schön zurück. Die beiden
Vorreiter, die auf dem Kooperationsverbot bestanden haben, waren Kurt Beck aus Rheinland-Pfalz - er ist noch
im Amt - und Roland Koch.
({11})
Das gestehe ich selbstkritisch ein. Es gibt aktuell aber
keine Zweidrittelmehrheit. Hören Sie auf, uns zu erzählen, dass Ihre Anträge seriös und solide sind. Das sind
Schaufensteranträge.
({12})
- Herr Kollege Rossmann, wir beide haben uns schon
einmal über Steuern unterhalten. - Wir werden, was die
Länder betrifft, in den nächsten Jahren Steuermehreinnahmen verzeichnen: 9 Milliarden Euro von 2011 auf
2012, 8,5 Milliarden Euro von 2012 auf 2013, 9 Milliarden Euro von 2013 auf 2014. Jetzt denken Sie einmal daran zurück, welches Steuerminus Sie mit der Steuerreform 2000 provoziert haben.
({13})
Allein im Bereich der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer waren es im letzten Jahrzehnt kumulativ über
120 Milliarden Euro. Dafür sind Sie verantwortlich.
({14})
Wenn Sie auf die Kommunen schauen, sehen Sie,
dass wir die Kommunen bis 2015 mit 12 Milliarden Euro
bei der Grundsicherung ausstatten, und zwar ohne Gegenleistung.
({15})
Das sind in 2014 allein für Mecklenburg-Vorpommern
72 Millionen Euro. Kommen Sie uns nicht damit, dass
wir nichts dafür tun, dass Kommunen in der Lage sind,
zum Beispiel bei Kindergärten, bei Kinderkrippen die
Gegenfinanzierung sicherzustellen. Ich möchte nicht
wissen, was in Nordrhein-Westfalen bei diesem Thema
los ist. Nein, wir stellen uns der Verantwortung, während
die Kommunen in den SPD-geführten Ländern knapp
bei Kasse gehalten werden.
({16})
Wir, die Koalitionsfraktionen, haben in der Bereinigungssitzung,
({17})
so meine ich, einige wesentliche Änderungen vorgenommen.
({18})
Zum Beispiel beim Programm zur Berufsorientierung
- die 50 Millionen Euro wurden vollständig in Anspruch
genommen; die Mittel sind gebunden - stocken wir um
15 Millionen Euro auf, damit noch mehr Schulen an diesem Programm teilnehmen können. Kollege Hagemann,
so sieht es in der Wirklichkeit aus.
({19})
Wir haben im Bereich „Weiterbildung und lebenslanges
Lernen“ 5 Millionen Euro für ein Programm zur Alphabetisierung aufgelegt.
({20})
- Herr Kollege Rossmann, wir haben speziell für diesen
Zweck den Titel um 5 Millionen Euro aufgestockt. Das
ist konkrete und nachhaltige Politik.
Zum Schluss. Sie sagen, bei der Forschung komme
nichts heraus. Herr Kollege Hagemann, was Sie im Augenblick in der Forschungslandschaft machen, ist schädigend für den Forschungsstandort Deutschland.
({21})
- Ich sage gleich noch ein paar Sätze dazu. - Sie sollten
sich ganz genau überlegen, ob all das, was Sie in den
letzten Tagen und Wochen treiben, dazu beiträgt, dass
das Wissenschaftsfreiheitsgesetz so ausgestaltet sein
wird, wie wir es uns wünschen. An dieser Stelle möchte
ich mehr dazu nicht sagen.
Ich möchte noch etwas zu den Forschungsausgaben
insgesamt anmerken. Beim ZIM haben wir Hebelfaktoren von eins zu acht. Bei den Innovationsallianzen haben
wir Hebelfaktoren von eins zu fünf. Es ist mittlerweile
gelungen, dass die Wirtschaft selber im Bereich Forschung und Entwicklung insgesamt über 56 Milliarden
Euro auf den Tisch packt. Wir steuern unsere 13 Milliarden Euro bei. Wir sind kurz davor, das 3-Prozent-Ziel zu
erreichen, Stück für Stück, aber beharrlich. Wenn man
sich ansieht, wie viel Prozent des Bruttoinlandsprodukts
andere Länder in Europa für Forschung und Entwicklung ausgeben, kann man, glaube ich, feststellen: Die Situation in Deutschland kann sich mehr als sehen lassen.
({22})
Ich sage Ihnen: Im Bildungsbereich - ob wir über den
Anstieg der Zahl von Gymnasiasten und Erstsemesterstudenten
({23})
oder über den Rückgang der Zahl von Schülern ohne
Schulabschluss sprechen - sind überall positive Zahlen
zu vermelden.
({24})
Was den Forschungsbereich betrifft, ist es mittlerweile so, dass hochkarätige Wissenschaftler und Forscher aus der ganzen Welt an die Türen der Forschungseinrichtungen und Universitäten in Deutschland klopfen,
weil sie dort arbeiten wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie können
so viele Haare in der Suppe finden, wie Sie wollen: Die
Fakten und die Realitäten sind andere.
Herzlichen Dank.
({25})
Das Wort hat der Kollege Michael Leutert von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Rehberg, ich möchte versuchen, einiges geradezurücken. Es ist ja bekannt, dass dieses Ministerium für
Ihre Koalition das Ministerium der großen Worte ist. Sie
sagen, dass Sie 12 Milliarden Euro mehr für Forschung
und Bildung zur Verfügung stellen. 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen für Forschung und Bildung
ausgegeben werden. Als einziges Ministerium erfährt Ihr
Ministerium, Frau Schavan, in diesem Jahr einen respektablen Aufwuchs von über 1 Milliarde Euro. Man kann
sagen: Sie leiten ein Ministerium, das eigentlich im Geld
schwimmt.
({0})
Aber Sie täuschen die Öffentlichkeit und führen die
Menschen an der Nase herum. Ich frage Sie: Was haben
Sie eigentlich mit Bildung zu tun? Die Antwort lautet:
Nichts. Ich möchte das kurz skizzieren. Die meisten
Menschen bringen mit dem Begriff „Bildung“ die
Schule in Verbindung. Schulen werden in den Kommunen gebaut. Lehrer werden von den Ländern bezahlt. Sowohl die Länder als auch die Kommunen haben nicht
mehr Geld zur Verfügung - im Gegenteil. Das wissen
hier alle, und das hat auch etwas mit der Politik von
Schwarz-Gelb zu tun.
Was ist Ihr Anteil daran? Sie müssen auf Bundesebene versuchen, das viele Geld, das Sie bekommen, irgendwie loszuwerden. Sie haben beschlossen, dass die
Forschungseinrichtungen jedes Jahr pauschal 5 Prozent
mehr Geld bekommen.
({1})
Ein ganz konkretes Beispiel: Die Helmholtz-Gemeinschaft hatte im Jahr 2005 knapp 1,5 Milliarden Euro zur
Verfügung. Im Jahr 2015 wird die Helmholtz-Gemeinschaft knapp 3 Milliarden Euro zur Verfügung haben.
Das ist eine Verdopplung. Vielen ist aber nicht bekannt,
dass der Bund die Helmholtz-Gemeinschaft nicht allein
finanziert. Vielmehr sind die Länder mehr oder weniger
gezwungen, 10 Prozent beizusteuern.
({2})
Dafür müssen von den Ländern also 150 Millionen Euro
mehr aufgebracht werden. 150 Millionen Euro werden in
den Ländern gebunden und können nicht für die Schulen
zur Verfügung gestellt werden.
({3})
Ich kann nur sagen, Frau Schavan: Durch dieses Vorgehen nehmen Sie den Ländern Geld weg, das sie für die
Schulen benötigen.
({4})
- Hören Sie weiter zu!
Auch wir Linke wissen, dass Forschung ein wichtiger
Bereich ist, und sind ebenfalls dafür, dass dafür Geld zur
Verfügung gestellt wird. Man muss aber auch dafür sorgen, dass dieses Geld ausgegeben wird.
An dieser Stelle komme ich wieder auf die Helmholtz-Gemeinschaft zu sprechen - Herr Rehberg, Sie
wissen genau, worum es geht; wir hatten erst in der letzten Woche ein Berichterstattergespräch über dieses
Thema -: Bei der Helmholtz-Gemeinschaft ist so viel
Geld angekommen, dass sie nicht in der Lage ist, es auszugeben. Ein Betrag von 315 Millionen Euro wird in die
nächsten Jahre übertragen.
({5})
Der Bundesrechnungshof hat dazu seitenweise Papier
beschrieben und diese Praxis aufs Schärfste kritisiert. Er
fordert eine externe Evaluierung. Der Bundesrechnungshof hält es nicht für vertretbar, die nächste Programmperiode zu beginnen, ohne das Verfahren zuvor ernsthaft
auf den Prüfstand zu stellen.
({6})
Ihr Ministerium, Frau Schavan, hält eisern dagegen, das
sei überhaupt kein Problem. Ich sage Ihnen klipp und
klar: Das, was hier passiert, ist natürlich ein Problem.
Das Geld wird nämlich im Bildungsbereich dringend gebraucht. Es darf nicht so sein, wie ich es beschrieben
habe: dass auf Länderebene kein Geld für die Schulen
zur Verfügung steht, dass aber im Forschungsbereich
Geld herumliegt und nicht ausgegeben wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
- Besuchen Sie einmal Schulen in Berlin. Dann werden
Sie sehen, wie die Situation dort ist, Herr Kollege.
({8})
Das Gleiche passiert im Übrigen auch an anderer
Stelle. Wir haben im Haushaltsausschuss miteinander
gerungen und uns dafür eingesetzt, dass für berufliche
Bildung, für Weiterbildung und für lebenslanges Lernen
ausreichend Geld zur Verfügung gestellt wird. Aber gerade in dem Bildungsbereich, in dem Sie etwas tun
könnten, wird das meiste Geld eben nicht ausgegeben.
Allein im Jahr 2010 sind 144 Millionen Euro in diesem
Bereich übrig geblieben. Auch in diesem Jahr sind viele
Gelder nicht abgeflossen.
Frau Ministerin, wenn Sie in irgendeinem Bereich
versuchen, etwas Neues zu tun, zum Beispiel in der
Hochschulpolitik, dann versenken Sie das Geld in unsinnige Projekte. Ich nenne hier nur das Deutschlandstipendium.
({9})
Statt das BAföG so aufzustocken, wie es nötig wäre, damit die Studierenden in unserem Land die tatsächlichen
Kosten eines Studiums decken können, versuchen Sie,
ein Stipendium einzuführen, das von der überwiegenden
Anzahl der Experten als unsinnig bezeichnet wird, das
nicht funktioniert - von 10 Millionen Euro sind lediglich
3,5 Millionen Euro abgeflossen; das sollten Sie sich einmal überlegen - und das auch noch sozial ungerecht ist.
({10})
- Sie scheinen ja sehr getroffen zu sein, so wie Sie reagieren. Ich sage Ihnen klipp und klar: Dieses Ministerium ist kein Bildungsministerium; es ist ein reines Forschungsministerium.
({11})
Der Ehrlichkeit halber sollten wir seinen Namen in „Forschungsministerium“ ändern, zumindest solange Sie regieren.
Wissen Sie, Frau Schavan, die Politik, die Sie hier seit
Jahren betreiben - es ist eine Politik, die zeigt, dass Sie
nicht in der Lage sind, das Geld auszugeben, das vom
Parlament zur Verfügung gestellt wird, eine Politik, bei
der das Geld dann, wenn es ausgegeben wird, an der falschen Stelle ausgegeben oder in schlechten Projekten
versenkt wird -, wird bei uns mittlerweile als Schavanismus bezeichnet.
({12})
Für so eine Politik stehen wir nicht zur Verfügung. Wir
können den Haushalt nur ablehnen.
({13})
Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz-Peter Haustein
von der FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! In genau einem Monat ist Heiligabend. Dann kommt der Weihnachtsmann.
({0})
Beim Einzelplan 30 hat man den Eindruck: Der Weihnachtsmann war schon da und hat üppige Geschenke
mitgebracht.
({1})
Doch ehe ich zu den Zahlen komme - das muss man
als Haushälter tun -, bedanke ich mich bei den Berichterstattern, besonders bei Dir, Ecki Rehberg, auch bei Dir,
Klaus Hagemann, und natürlich bei dem Ministerium
von Frau Schavan, einem kompetenten Haus.
({2})
Der Einzelplan 30 umfasst einen Aufwuchs von rund
11 Prozent; das sind 1,3 Milliarden Euro mehr. Es ist
klar, dass es da der Opposition schwerfällt, eine Kritik
anzubringen; dieser Haushalt des Ministeriums für Bildung und Forschung ist nämlich einfach ein Erfolgshaushalt. Ich möchte ein paar Zahlen nennen; denn Zahlen lügen nicht. Gerade im Bereich des Bildungswesens
gibt es zum Beispiel bei der Position „Studenten- und
Wissenschaftleraustausch“ ein Plus von 22 Prozent auf
135 Millionen Euro. Bei den Zuschüssen zur Begabtenförderung gibt es ein Plus von 34 Prozent; das bedeutet
eine Aufstockung auf 264 Millionen Euro. Auch haben
wir die Position „Verbesserung der Berufsorientierung“
auf 65 Millionen Euro aufgestockt.
Ein anderes Stichwort ist der Fachkräftemangel. Hier
haben wir die richtigen Weichen gestellt. Wir müssen in
die Köpfe investieren. Das machen wir; die Zahlen lügen
nicht. Die Position „Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts- und Innovationssystems“ wurde um 17 Prozent
auf 4,8 Milliarden Euro erhöht. Das ist richtig viel Geld.
Dafür vielen Dank an die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler!
({3})
Die Mittel für den Qualitätspakt Lehre wurden um
25 Prozent auf immerhin 175 Millionen Euro aufgestockt. Wir investieren in die Forschung - zum Beispiel
in die Gesundheitsforschung, die Klimaforschung, die
naturwissenschaftliche Forschung -, Stichwort „Hightech-Strategie“, insgesamt 4,8 Milliarden Euro; das ist
ein Plus von 7 Prozent. Das kann sich doch sehen lassen.
Wir haben auch die Mittel für zahlreiche Institute erhöht: Als Zuschuss vom Bund erhalten das Bundesinstitut für Berufsbildung 35 Millionen Euro, die Deutsche
Forschungsgemeinschaft 982 Millionen Euro, die MaxPlanck-Gesellschaft 678 Millionen Euro, die LeibnizGesellschaft über 380 Millionen Euro, die FraunhoferGesellschaft 462 Millionen Euro und die Helmholtz-Gemeinschaft sage und schreibe 1,83 Milliarden Euro. Das
lässt sich sehen. Ein Dank an die Institute für ihre Leistung für unser Land!
({4})
Das sind erst einmal Zahlen. Diese Zahlen lassen sich
besser verstehen, wenn man Vergleiche zieht.
({5})
Wie war es denn unter Rot-Grün?
({6})
Von 1998 bis 2005, also in sieben Haushalten, gab es einen Aufwuchs von 908 Millionen Euro. Das war in sieben Jahren Rot-Grün.
({7})
Richten wir den Blick auf unsere christlich-liberale
Koalition: In drei Haushalten gab es einen Aufwuchs
von 2,7 Milliarden Euro - das ist der Unterschied -,
({8})
und das, obwohl wir die Schuldenbremse einhalten, obwohl wir sparen und obwohl wir die Nettokreditaufnahme
gesenkt haben.
({9})
- Wir machen weniger Schulden. Ich erinnere daran, wer
Schulden gemacht hat: Sie haben in sieben Jahren RotGrün fast 300 Milliarden Euro Schulden gemacht. Sie haben unter Rot-Grün alles schuldenfinanziert.
({10})
Heute werfen Sie uns vor, Schulden zu machen. So funktioniert das nicht.
({11})
Kollege Leutert hat davon gesprochen, wir gäben das
Geld nicht aus. Ist das denn schlimm? Der Haushalt legt
die maximalen Ausgaben fest: 306 Milliarden Euro.
Wenn wir weniger ausgeben, ist das nicht schlimm,
Michael Leutert.
({12})
- Nein, es ist nicht schlimm, wenn auch in den Ministerien gespart wird. Wir müssen das Geld nicht ausgeben.
Es gibt keinen Zwang, Geld auszugeben. Auch das gehört zur soliden Haushaltsführung.
({13})
Ich fasse zusammen: Rot-Grün hat in sieben Jahren
für Forschung und Bildung fast nichts gemacht.
({14})
Hier geht jetzt der D-Zug ab, oder, um beim Bild von
Weihnachten zu bleiben: Bei euch gab es Bockwurst, bei
uns gibt es Weihnachtsgänse.
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge.
({15})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz von
Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer auch immer in
dieser Woche über Bildung spricht, darf nicht nur über
Zahlen reden.
({0})
Er darf auch nicht nur über Gänse, Bockwurst und weiß
Gott was reden, was Rot-Grün im Gegensatz zu Ihrer
Koalition gemacht hat. Wer auch immer in dieser Woche
über Bildung redet, muss auch über Demokratie, über
Toleranz, über interkulturelles Miteinander reden.
({1})
Wir haben es in den letzten Tagen erlebt: Wir sind in der
Verantwortung, die Grundlagen für diese Begriffe klarzumachen. Bildung ist ein essenzieller Bereich, um diese
Grundlagen zu vermitteln. All das kann uns nur dadurch
gelingen, dass wir durch Bildung in die Menschen und in
das Miteinander der Menschen investieren.
({2})
Ich bedaure es sehr und ich rege mich auch ein bisschen darüber auf, dass Sie die ganze Bildungsdebatte auf
das verkürzen, was Sie bisher vorgeführt haben. Denn es
steckt doch viel mehr dahinter.
Was erwarten wir von Bildung? Ich erwarte gerade in
dieser Woche eine Debatte darüber, wie wir zum Beispiel durch Investitionen in Bildung eine Einwanderungsgesellschaft prägen, wie wir sie gestalten können,
was das alles für die Kinder und Jugendlichen in unserem Bildungssystem bedeutet und wie es uns gelingt, in
der Infrastruktur für Anerkennung und Offenheit zu sorgen.
({3})
- Ich komme gleich darauf. - Dann kommen Sie mit Ihrem „Wir gegen die“. Das Gleiche findet leider auch in
der Gesellschaft statt. Ich finde, ein solches „Wir gegen
die“ kann es beim Brennball- oder Volleyballspiel geben; es sollte aber nicht in unseren bildungspolitischen
Debatten und auch nicht in unseren Bildungseinrichtungen stattfinden.
({4})
Für uns sollte gelten: Bildung hat Priorität in dieser
Gesellschaft. Deshalb ist es recht und billig, dass wir in
Bildung investieren. Es darf nicht nur um die Frage gehen, was die einen und was die anderen gemacht haben,
sondern auch darum, wie wir das Ganze gemeinsam
voranbringen.
Ehrlich gesagt, habe ich in der Anmutung Ihrer Debatten diese Botschaft bisher schwer vermisst. Geht es
Ihnen tatsächlich darum, die Bildungspolitik voranzubringen, oder geht es Ihnen um Rechthaberei? Ich habe
das Gefühl, es geht Ihnen nur um das Zweite.
({5})
Kommen wir zu der Frage, welche Rolle die Bildungsministerin dabei spielt, gerade auf Bundesebene.
Wenn wir unsere Ziele erreichen wollen, brauchen wir
mehr interkulturell ausgebildetes Personal. Dabei sind
Sie in der Pflicht. Gerade in dieser Woche wünsche ich
mir von Ihnen die Botschaft: Es ist wichtig, dass es auch
in den Bildungseinrichtungen Menschen mit Migrationshintergrund gibt. Ich wünsche mir eine Ministerin, die
dafür gerade in einer Zeit, in der wir über den Mangel an
Erzieherinnen und Erziehungseinrichtungen reden, Begeisterung schafft. Es reicht nicht, zu wissen, dass manche Sachen schiefgehen werden. Das Wichtigste wird
sein, entsprechend zu handeln und etwas dagegen zu tun.
Was tun Sie gegen den Fachkräftemangel? Was tun
Sie für die Weiterbildung von Erzieherinnen in diesem
Land? Was tun Sie, um mehr Migrantinnen und Migranten für diese Berufe zu begeistern?
({6})
Hierauf wünsche ich mir Antworten. Diese Antworten
finde ich gerade in Ihrer Politik nicht.
({7})
Zu Ihrem Anerkennungsgesetz.
({8})
Sie tun so, als ob Sie damit etwas Großartiges geschaffen hätten.
({9})
Dieses Gesetz wurde mit der Zusage verabschiedet, dass
jeder eine Beratung erhält, für den dies notwendig ist.
Alle Menschen, die hier arbeiten wollen, sollen eine entsprechende Beratung und die nötige Anerkennung bekommen.
({10})
Was tun Sie dafür, dass diese Beratung überhaupt
stattfindet? Sie müssten doch jetzt dafür sorgen, dass im
Haushalt Mittel dafür eingestellt werden. Sie sagen: Na
ja, das ist nicht unser Haushalt, sondern der von Frau
von der Leyen. Okay, dann tun Sie etwas dafür, dass die
Mittel im Haushalt von Frau von der Leyen eingestellt
werden. Diese Mittel sehe ich dort aber leider auch nicht.
Sie haben diese Zusagen gemacht. Also setzen Sie sie
auch um! Es reicht nicht, nur mit Begriffen um sich zu
werfen, sondern Sie müssen Ihr Vorhaben schon umsetzen, wenn Sie in diesem Bereich tatsächlich etwas verändern wollen. Ich warte noch immer auf die Angabe,
wo wir diese Mittel wiederfinden werden. Ich sehe sie
nicht.
Zur Qualitätsentwicklung in diesem Bereich. Wer ist
in Deutschland zuständig dafür? Welche Institution wird
sagen, nach welchen Kriterien das Ganze erfolgen soll?
Hierauf sind Sie die Antwort schuldig. Sie haben ein Gesetz vor sich liegen und wissen eigentlich gar nicht, wie
Sie es umsetzen sollen.
Zur beruflichen Bildung junger Menschen. Sie sagen:
Wir haben hier Geld investiert. Gleichzeitig gibt es noch
immer 300 000 jugendliche Altbewerberinnen und Altbewerber, die nicht wissen, wohin, die also gewissermaßen auf der Straße sind.
({11})
An diesem Punkt sieht man doch: Allein mit mehr
Geld löst man die Probleme an dieser Stelle nicht. Die
Frage ist: Welche Strukturen schaffen Sie, damit auch
diese jungen Menschen tatsächlich einen Platz in dieser
Gesellschaft finden?
Es reicht hier nicht, dass Sie die Jugendlichen eine
Schleife nach der anderen durchlaufen lassen, ohne dass
sie in dieser Zeit weiterqualifiziert werden. Nicht nur
mehr Geld, sondern auch eine Strukturreform ist notwendig. Dafür ist Mut erforderlich, und genau diesen
Mut wünsche ich mir auch von Ihnen und von der Ministerin.
({12})
Frau Schavan, Sie haben auf Ihrem Parteitag etwas
sehr Wichtiges gesagt: „Kindeswohl schlägt Kooperationsverbot“. Leider ist Ihre Partei Ihren Weg in eine
moderne Bildungsrepublik nicht mitgegangen. Leider
waren die Ideologiedebatten beherrschend, und leider
gab es zu viele Ängste. Ihre Partei hat den Schritt in die
Bildungsrepublik nicht gewagt, sondern sie hat diesen
Weg durch irgendwelche Prüfaufträge zulasten der Kinder in diesem Land aufgeweicht.
({13})
Wenn Sie die Eltern, die Lehrer, die Schulleitungen
und die Bürgermeister landauf, landab fragen, dann werden Sie feststellen: Von den Menschen und von der Gesellschaft bekommen Sie sehr wohl Unterstützung. Nur
weil Ihre Partei nicht so weit ist wie die Gesellschaft,
heißt das noch lange nicht, dass das, was die Gesellschaft will, falsch ist.
({14})
Liebe Frau Schavan, an diesem Punkt kann ich Sie
nur auffordern: Seien Sie mutig! Nehmen Sie all Ihren
Mut zusammen! Versuchen Sie, den Bundesrat für eine
Verfassungsänderung zu gewinnen! Wir werden Sie darin unterstützen - auch gegen Ihre Partei. Mutig müssen
Sie aber schon sein. Ein Bekenntnis dazu haben Sie
schon abgelegt. Jetzt müssen Sie es auch umsetzen, liebe
Frau Schavan.
({15})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Albert Rupprecht das Wort.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Frau Kollegin Deligöz, Sie haben beim Thema Integration vollkommen ausgeblendet, dass wir vor wenigen Wochen hier im Deutschen Bundestag das Anerkennungsgesetz beschlossen haben.
({0})
Ich glaube, es ist unstrittig - das wurde von allen Fachleuten anerkannt -, dass das ein Meilenstein für die Integration ist.
({1})
Sie hatten sieben Jahre lang Zeit und haben in diesem
Bereich nichts gemacht. Das ist ohne Zweifel ein außerordentlich komplexes Werk. Deswegen war das keine
Sache, die von heute auf morgen erledigt werden konnte;
aber wir haben das Ganze vollzogen.
Es gehört zur demokratischen Kultur, dass man sich
mit den Anträgen der Opposition sehr ernsthaft auseinandersetzt. Wir haben sowohl die Anträge, die Sie im
Ausschuss, als auch die, die Sie in der ersten Lesung hier
eingebracht haben, und Ihre Argumente sehr sauber
Albert Rupprecht ({2})
strukturiert, untersucht, geprüft und diskutiert. Ich möchte
sie im Wesentlichen in vier Bereichen zusammenfassen.
Erstens. Sie kritisieren im Bereich der Projektförderung Kürzungen oder angebliche Kürzungen, beispielsweise bei den neuen Werkstoffen oder der Produktionsforschung. Wir haben das geprüft. Ich maße mir nicht an,
zu behaupten, dass man als Parlamentarier bei einem
Haushalt von beinahe 13 Milliarden Euro jede Position
bis ins Letzte durchdrungen hat; deswegen braucht es
auch die Diskussion zu diesen Themen.
Ihre Kritik stimmt nicht: Es gab hier keine Kürzung.
Die Erklärung dafür ist schlichtweg, dass die Programme im Haushalt 2012 unter anderen Titelüberschriften eingeordnet sind. Ich nenne ein Beispiel. Sie
haben kritisiert, dass bei der Elektromobilität angeblich
gekürzt wird. In Wirklichkeit ist es so, dass dieser Bereich herausgenommen wurde und im Bereich Energieund Klimafonds neu erfasst wird. Wir haben unter dem
Strich sogar einen massiven Aufwuchs der entsprechenden Mittel.
({3})
Zweitens. Sie haben, auch heute, mehrere Anträge zur
Ganztagsschule, zum Hochschulpakt und zur Nachwuchsoffensive eingebracht, deren Umsetzung ein Verstoß gegen die Verfassung wäre. Nach dem Stand der
Verfassung, den wir heute haben, führten diese Anträge
zu einem Verstoß gegen die Verfassung, weil sie die Zuständigkeit der Bundesländer betreffen. Wir können an
dieser Stelle gerne darüber diskutieren, ob und auf welche Art und Weise wir die Verfassung ändern wollen.
Fakt ist aber, dass wir den Haushalt diese Woche beschließen. Wir haben einen Haushalt zu verabschieden,
der verfassungskonform ist. Ich erwarte schon, dass Parlamentarier im Deutschen Bundestag die Verfassung respektieren und einhalten.
({4})
Weder Sie noch wir haben derzeit einen präzisen Vorschlag für eine Verfassungsänderung, der sowohl im
Bundestag als auch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit bekommen würde. Deswegen sind diese Anträge in
der Tat Schaufensteranträge - Ecki Rehberg hat das zu
Recht gesagt -, die vollkommen fehl am Platze sind und
die hier im Grunde genommen nichts zu suchen haben.
({5})
Wir wollen ein Mehr an Kooperation, Herr Rossmann;
aber das muss sauber überlegt sein.
({6})
Es ist der richtige Weg, dass der Wissenschaftsrat beauftragt wird, bis 2013 eine vertiefte, saubere Analyse und
einen Vorschlag vorzulegen. Das, Herr Rossmann, wollen auch Ihre SPD-Ministerpräsidenten; auch die SPDMinisterpräsidenten wollen den Wissenschaftsrat beauftragen.
({7})
Angesichts dessen stelle ich der SPD-Fraktion die Frage,
ob sie der Ansicht ist, dass wir heute entscheidungsreif
sind, und ob sie den Auftrag an den Wissenschaftsrat
ernst nimmt. Nehmen Sie den Auftrag ernst, dann müssen wir bis 2013 warten. Unserer Meinung nach ist es
notwendig, die Analyse zu vertiefen und die Diskussion
zu führen. Wir werden die Zeit nutzen, um zu diskutieren. Aber wir werden letztendlich erst 2013 auf Basis
dieser Vorlagen entscheiden können.
({8})
- Ich gehe davon aus, dass der Wissenschaftsrat seinen
Vorschlag im Frühjahr 2013 vorlegen wird. Dann sind
wir - davon gehe ich aus - entscheidungsreif.
Drittens. Ein weiterer Kritikpunkt von Ihnen ist der
Mittelabfluss. Ecki Rehberg hat ihn angesprochen. Herr
Hagemann, Sie sind seit September in Deutschlands Medienlandschaft mit der Aussage unterwegs, Ministerin
Schavan habe es nicht im Griff, zusätzliches Geld vernünftig unter die Leute zu bringen. Herr Hagemann, dieser Vorwurf ist vollkommen falsch.
({9})
Zu den Fakten - ich wiederhole die Zahl, die Ecki
Rehberg schon genannt hat -: Das Ministerium hat, seit
Ministerin Schavan Verantwortung trägt, 46 Milliarden
Euro verausgabt. 98,3 Prozent dieser Summe sind erfolgreich investiert worden. Das ist im Vergleich zu anderen Ressorts ein hervorragender Wert.
({10})
Wenn es zu Verzögerungen gekommen ist, dann liegt
das primär an zwei Elementen:
Erstens. Länder, die die Gelder verwenden können,
haben sie nicht ausreichend schnell abgerufen. Wir haben uns die Liste vergegenwärtigt: Das sind insbesondere SPD-geführte Länder.
({11})
Darüber müssen Sie mit Ihren Ministerpräsidenten reden.
Zweitens. Es handelt sich um internationale Großprojekte, bei denen es sein kann, dass sich Verhandlungen,
wie beispielsweise bei FAIR, um einige Monate verzögern.
Deswegen, Herr Hagemann, sage ich an dieser Stelle
noch einmal klar und deutlich: Sie erwecken wider besseres Wissen in der Öffentlichkeit und auch bei den Kollegen den Eindruck, als hätten wir im Bereich der Forschung und Bildung zu viel Geld.
({12})
Albert Rupprecht ({13})
Damit schaden Sie der Bildung und der Forschung in unserem Land, sehr geehrter Herr Hagemann.
({14})
Das ist inakzeptabel.
Nachdem Sie gemerkt haben, dass das Thema Mittelabfluss im Grunde genommen fachlich und sachlich
nicht belastbar und Ihre Argumentation letztendlich widerlegbar ist, haben Sie seit einigen Wochen ein neues
Thema, nämlich Projektträger - „Schattenministerium“.
Das ist sozusagen eine Medienkampagne „Hagemann,
die Zweite“. Eigentlich schauen Sie wie ein seriöser, solider Buchhalter aus. Aber in Wirklichkeit sind Sie ein
Medienmann,
({15})
allerdings brutal oberflächlich. Sie werfen dem Ministerium vor, dass es über Projektträger eine Art Schattenministerium aufbaue, und zum anderen, dass das Geld
ineffizient in der Verwaltung versickere und nicht bei
den Menschen ankomme. Auch diese Medienstory ist
schlichtweg falsch.
Die Projektmittel sind seit 2005 um sage und schreibe
89 Prozent gestiegen.
({16})
Das ist ein Riesenerfolg für den Forschungsstandort
Deutschland, wie wir meinen.
({17})
Aber die Zahl der tatsächlich beschäftigten Mitarbeiter
bei diesen Projektträgern ist in diesem Zeitraum von 710
auf 746 gestiegen, das heißt um 5 Prozent. Die Mittel
sind um 89 Prozent und die Zahl der Mitarbeiter ist um
5 Prozent gestiegen. Herr Hagemann, auch dieser Vorwurf ist eine vollkommene Luftnummer. In Wirklichkeit
ist die Effizienz dramatisch positiv gestiegen: fast eine
Verdoppelung der Mittel, aber fast dieselbe Personenzahl.
({18})
Sie sollten das anerkennen und wertschätzen, statt in den
Medien den Eindruck zu erwecken, dieses Haus könne
mit Geld nicht vernünftig umgehen und habe zu viel
Geld. Sie schaden dem Forschungs- und Bildungsstandort Deutschland, Herr Hagemann. Das leisten und bewirken Sie damit.
({19})
Im Übrigen ist der Weg über Projektträger jahrzehntelang praktiziert worden.
({20})
Das ist jedes Jahr mit dem Haushaltsausschuss, dem
Bundesrechnungshof und dem Finanzministerium abgestimmt worden.
({21})
Sie sind seit Jahren Mitglied des Haushaltsausschusses
und haben im Grundsatz jedes Jahr die Hand zu diesem
Verfahren gehoben; denn es macht Sinn, dass man Projekte über Projektträger abwickelt, weil das günstiger
kommt, als wenn man eine entsprechende Zahl von Mitarbeitern im eigenen Haus beschäftigen würde. Deswegen ist das ein vernünftiges Verfahren. Darüber hinaus
zeigen die Zahlen ganz klar, wie bereits formuliert, dass
das auch ein effizientes Verfahren ist.
({22})
Herr Hagemann, die Realität ist ganz anders, als Sie
sie darstellen. Noch nie war Forschung und Bildung in
Deutschland so erfolgreich wie unter Kanzlerin Merkel
und Ministerin Schavan. In diesem Etatbereich gibt es
gegenüber 2005 eine Steigerung um sage und schreibe
74 Prozent. Das ist in Deutschland historisch einzigartig.
Darüber hinaus ist das auch international herausragend.
Wir erleben derzeit, dass in Zeiten der Staatsverschuldungskrise überall - mit Ausnahme des asiatischen
Raums - in diesen Bereichen gespart wird. In den USA
sitzen die Forscher auf gepackten Koffern und überlegen, nach Deutschland zu kommen. Deutschland wird
aus dieser großen weltweiten Krise nicht nur im wirtschaftlichen Bereich, sondern auch im Forschungs- und
Bildungsbereich gestärkt hervorgehen. Das ist unser
Weg, und den werden wir gehen.
Herzlichen Dank.
({23})
Zu einer Kurzintervention erteile ich Ernst Dieter
Rossmann das Wort.
Herr Kollege, weil Sie das gemeinsame Anliegen,
wieder zu einem vernünftigen Verhältnis zwischen Bund
und Ländern zu kommen, was die Förderung von Bildung, Forschung und Wissenschaft angeht, mit einer gewissen Schärfe angesprochen haben, möchte ich dazu
viererlei feststellen:
Das Erste. Wenn Sie hier schon den Wissenschaftsrat
ins Spiel bringen - es wird noch zu fragen sein, auf welcher Grundlage und von wem eigentlich autorisiert -:
Sie erinnern sich hoffentlich noch daran, dass es Sie damals, als wir für die Zusammenarbeit zwischen Bund
und Ländern bei der Förderung von Wissenschaft und
Bildung leider gravierende Fehlentscheidungen getroffen haben, einen Dreck interessiert hat, was der Wissenschaftsrat dazu gesagt hat. Er war nämlich vehement dagegen und hat vor Fehlentwicklungen gewarnt.
({0})
Das Zweite. Wenn Sie es nicht können, wird Frau
Schavan liefern müssen. Sie muss dann sagen, ob es einen Beschluss der Ministerpräsidenten gibt, nicht aktiv
zu werden, sondern den Wissenschaftsrat zu beauftragen. Sie werden heute hier liefern müssen, nachdem Sie
behauptet haben, dass es diesen Beschluss geben soll.
Sie haben die Ministerpräsidenten sozusagen mit in Haft
genommen, als Sie sagten, dass so etwas beschlossen
worden sei. Sie werden das gleich hoffentlich belegen
können. Sonst wäre das sehr merkwürdig, hier einen solchen Prozess anzustoßen.
Zum Dritten. Sie unterbinden, dass wir einen guten
Weg einschlagen. Sie können diesen guten Weg offensichtlich nicht zusammen mit SPD, Grünen, Linken und
anderen gehen, weil Sie in Ihrer eigenen Regierungskoalition durch unglückselige Entscheidungen des FDPParteitages derart blockiert sind, dass Sie das Ganze verschieben müssen.
({1})
Zu einer wahrhaftigen und differenzierten Betrachtung
gehört, dass wir gerne anerkennen, dass der Beschluss
des CDU-Parteitags eine gewisse Offenheit aufweist.
Offenheit darf aber nicht bedeuten, dass man das jetzt
endlos auf der Zeitachse nach hinten schiebt, sondern
muss beinhalten, dass man in der Sache jetzt zu einem
Konsens und zu einer Lösung kommt. Man darf nicht
abwarten, sondern muss das politisch aufgreifen und angehen. Das ist unser Angebot.
Zum Vierten sagen wir frank und frei: Es stört uns gar
nicht, wenn sich Frau Merkel und Frau Schavan noch in
dieser Legislaturperiode die Feder an den Hut stecken
und eine Grundgesetzänderung durchsetzen, die dazu
führt, dass Bund und Länder im Bildungsbereich besser
zusammenwirken. Es würde uns aber stören, erneut Zeit
zu verlieren. Frau Schavan, heften Sie sich diese Feder
gerne an den Hut! Gleich dazu sage ich: Dann können
Sie auch gehen.
Danke schön.
({2})
Kollege Rupprecht, bitte.
Herr Kollege Hagemann, es gibt nicht nur Offenheit - ({0})
- Entschuldigung, Herr Rossmann! Ich war so sehr auf
Herrn Hagemann eingeschossen. Er war heute sozusagen mein Lieblings-Sozi.
({1})
Herr Rossmann, es gibt sicherlich Offenheit in der
Unionsfraktion und in der Unionspolitik. Beispielsweise
hat der bayerische Kultusminister Spaenle an dieser
Stelle deutlich formuliert - wenn Sie damals genau zugehört haben, erinnern Sie sich bestimmt -, dass er für
Vorschläge zu Einrichtungen und Vorhaben im Hochschulbereich offen ist. Es gibt also Offenheit. Aber es
bedarf in der Tat einer substanziellen Diskussion. Wir
haben zig Kamingespräche geführt und mit Fachleuten
diskutiert und haben nach jeder Diskussion festgestellt,
dass das Thema ausgesprochen komplex ist und differenziert zu behandeln ist. Wenn wir Zuständigkeiten
übernehmen, müssen wir sie auch finanziell schultern
können. Zudem sind klare Verantwortlichkeiten notwendig.
Die entscheidende Frage lautet in der Tat: Sind wir inhaltlich ausreichend fit, um 2011 oder 2012 zu entscheiden? Wir haben beschlossen, die Empfehlungen des
Wissenschaftsrates abzuwarten;
({2})
denn der Wissenschaftsrat kennt die Wissenschaftslandschaft. Sie haben darauf hingewiesen, dass das bei der
letzten Föderalismuskommission so nicht gehandhabt
wurde. Das heiße auch ich nicht gut. Wie Sie wissen,
sind damals viele Themen verhandelt und teilweise regelrecht verhackstückt worden. Was dabei herausgekommen ist, entsprach nicht unbedingt der Position unserer
Forschungs- und Bildungspolitiker. Da kann man
nachtarocken, aber es ist nun einmal, wie es ist.
({3})
Ich glaube, jetzt, im Jahr 2011, ist der richtige Zeitpunkt,
um das noch einmal zu vertiefen.
Zum letzten Punkt: Sie haben gefragt, ob es tatsächlich einen Beschluss der Ministerpräsidenten gibt. Ich
habe gesagt, dass die Ministerpräsidenten einen Beschluss fassen wollen. Mein Kenntnisstand ist: Man wird
im Januar oder Februar nächsten Jahres tagen. Dann
wird sich entscheiden, ob der Wissenschaftsrat beauftragt wird.
({4})
Ich meine, dass das notwendig und richtig wäre. Ich
frage Sie, Herr Rossmann, ob Sie ebenfalls der Meinung
sind, dass der Wissenschaftsrat beauftragt werden soll.
Wir plädieren dafür. Wenn Sie die Frage mit Ja beantworten und der Wissenschaftsrat beauftragt wird, sollten
wir die Diskussion führen und nicht bis 2013 abwarten.
Aber entscheiden können wir erst 2013.
({5})
Das Wort hat nun Oliver Kaczmarek für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will es - auch in der Gesamtschau der ersten Lesung des
Haushaltsplans und der heutigen Lesung - gleich vorwegnehmen: Wir kritisieren als Opposition nicht, dass in
den Einzelplan 30 mehr Mittel eingestellt sind. Das ist
gar nicht der Kritikpunkt. Allerdings muss man - Herr
Kollege Hagemann hat es bereits ausgeführt - den ge17130
samten Haushalt in den Blick nehmen. Vor diesem Hintergrund kritisieren wir, dass Sie das Geld falsch ausgeben und mehr Wert auf spektakuläre Überschriften legen
als auf bildungspolitische Kärrnerarbeit. Das ist unsere
Kritik an dem, was Sie hier vorgelegt haben.
({0})
Ich will da anknüpfen. Entscheidend ist doch: Wenn
wir ambitionierte bildungspolitische Projekte wie Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen, Ausbau der
Ganztagsschulen, Reduzierung der Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss oder bessere Studienbedingungen in
Angriff nehmen wollen, dann müssen wir eine gesamtstaatliche bildungspolitische Anstrengung initiieren.
Dazu sehe ich keine Impulse vonseiten der Bundesregierung.
Wir müssen den Erwartungen der Menschen entsprechen. Es ist keinem mehr zu vermitteln, dass es Bund
und Ländern nicht erlaubt sein soll, bei der Finanzierung
von wichtigen bildungspolitischen Vorhaben zusammenzuarbeiten. Wir wollen, dass Bund und Länder gemeinsam Verantwortung für Bildung übernehmen können.
Deswegen ist die Aufhebung des Kooperationsverbotes
ein entscheidender Schritt.
({1})
Die FDP hat sich mit ihrem Parteitagsbeschluss aus
der Diskussion abgemeldet; das ist zu verschmerzen. Die
CDU ist in ihrem Beschluss hinreichend beliebig. Wir
werden in der übernächsten Woche auf unserem Parteitag in Berlin einen ganz konkreten Vorschlag für eine
Grundgesetzänderung vorlegen. Da sind wir gesprächsbereit. Sie können sicher sein - das sage ich, weil das
hier gerade eine Rolle gespielt hat -: Die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten werden diesen Weg mitgehen. Herr Schummer, die sozialdemokratische Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen wird an der Spitze
dieser Bewegung sein. Wir sind gesprächsbereit und
wollen sehen, was dabei herauskommt.
({2})
Wenn man über Bund-Länder-Beziehungen spricht,
gilt auch: Wer von den Ländern immer größere Anstrengungen erwartet - zumindest bei der ersten Lesung des
Etats sind die Redner der Koalitionsfraktionen nicht
müde geworden, darauf hinzuweisen -, der darf ihnen finanziell nicht das Wasser abgraben. Allein durch die
Steuersenkungen, die Sie für die Zeit ab 2013 vereinbart
haben bzw. planen - man weiß es noch nicht so genau;
es gibt keine ganz konkreten Unterlagen dazu -, werden
den Ländern Steuerausfälle in Höhe von etwa 2 Milliarden Euro jährlich entstehen.
Nicht vergessen dürfen wir dabei - wir haben versprochen, dass wir das bei jeder Beratung hier zum Ausdruck bringen -, dass durch Ihr großzügiges Geschenk
an Hoteliers und reiche Erben zu Beginn der Legislaturperiode
({3})
- ja, wir werden das auch bei weiteren Debatten immer
wieder betonen, so lange, bis Sie es zurücknehmen ({4})
Steuerausfälle in Höhe von über 2 Milliarden Euro bei
den Ländern und über 1,5 Milliarden Euro bei den Kommunen entstehen.
({5})
Herr Rehberg, dass diese Koalition die Kommunen tatsächlich entlastet hat, ist, glaube ich, eine exklusive
Sichtweise, die nur diese Koalition selbst hat.
({6})
Das ist genau das Geld, das fehlt, um in den Ländern
und in den Kommunen Zukunftsinvestitionen in Bildung, in den Ausbau der Ganztagsbetreuung, in Ganztagsschulen oder auch in bessere Studienbedingungen
tätigen zu können. Allein mit dem Geld, das Sie für das
pädagogisch umstrittene Betreuungsgeld - so sage ich
es einmal - ausgeben wollen, könnten bundesweit
55 000 Ganztagsbetreuungsplätze finanziert werden.
Deshalb sage ich: Wer sich politisch so unverantwortlich
verhält wie diese Koalition, der hat keinen bildungspolitischen Kompass; der ist einfach mental und politisch
sehr weit von dem entfernt, was Sie „Bildungsrepublik
Deutschland“ nennen.
({7})
Kolleginnen und Kollegen, wir als SPD haben zur
Finanzierung von langfristigen Aufgaben im Bildungswesen einen Pakt für Bildung und Entschuldung vorgelegt,
({8})
mit dem wir ab 2016 zusätzlich 10 Milliarden Euro beim
Bund und auch 10 Milliarden Euro bei den Ländern für
Bildung mobilisieren wollen. Dazu wollen wir schon ab
dem nächsten Jahr - ich komme damit auf unseren Änderungsantrag zu sprechen - einen moderaten Beitrag
derjenigen einfordern, die besonders hohe Einkommen
oder Vermögen haben.
({9})
Wir halten das für gerecht, weil es hier um die Finanzierung von Zukunftschancen junger Menschen geht.
Die Debatte um die Studienanfängerzahlen, die sich
in den letzten Tagen neu entzündet hat, und das, was das
Statistische Bundesamt vorgelegt hat, müssen ein Weckruf für Ihre Koalition sein, wie mein Kollege Swen
Schulz gegenüber den Medien ganz richtig erklärt hat.
Wir brauchen jetzt wirksame Maßnahmen, damit junge
Menschen, die das wollen, ein Studium aufnehmen und
auch zu Ende - nach unserer Meinung bis zum Master studieren können. Von der Bildungsministerin haben die
Studierenden in dieser Hinsicht offensichtlich nicht viel
zu erwarten. So interpretieren wir zumindest die Äußerungen, die wir in den letzten Tagen dazu gelesen haben.
Wir als SPD-Fraktion haben deshalb unter anderem
beantragt, den Hochschulpakt 2020 bundesseitig um
200 Millionen Euro aufzustocken, um damit 50 000 zusätzliche Studienplätze noch in 2012 zu finanzieren;
({10})
denn der Freude über erhöhte Studienanfängerzahlen
müssen auch konkrete Taten für bessere Studienbedingungen folgen.
Lassen Sie mich noch ein Thema ganz kurz erwähnen, weil man den Eindruck hat, dass die Ministerin sich
gern im Glanz großer Zahlen sonnt, aber manchmal die
Mühen der Ebene etwas scheut. Ich möchte hier über
7,5 Millionen Menschen in Deutschland sprechen, die als
funktionale Analphabeten gelten. Das ist eine Riesenherausforderung für unser Bildungssystem. Hinsichtlich der
Unterzeichnung eines Paktes für Alphabetisierung und
Grundbildung hören wir von der Bundesregierung seit
Monaten eher wenig Konkretes. Wenn es nicht bald zur
Unterzeichnung dieses Paktes kommt, der einer sehr
großen Gruppe von Menschen, die am Rand des Bildungssystems stehen, nützt, dann wird die Luft für die
Träger der Grundbildung dünn. Sie wissen doch - das
steht zum Teil auch in dem Etat der Bildungsministerin -,
dass es Projekte gibt, die Ende des Jahres auslaufen. Somit würden Trägerstrukturen infrage gestellt; die Träger
müssten sich überlegen, ob sie Personal entlassen oder
ihre Fixkosten reduzieren. Insofern darf Ihnen das nicht
gleichgültig sein; denn so werden Strukturen beschädigt,
die wir für die Grundbildung und zur Alphabetisierung
brauchen. Deshalb muss der Alpha-Pakt kommen. Die
Bundesregierung und die Ministerin müssen hier ihrer
Verantwortung gerecht werden.
({11})
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn
man viel Geld in einen Haushalt einstellt, muss man es
auch richtig einsetzen können. Man muss die richtigen
Prioritäten setzen und die Lage von jungen Menschen im
Bildungswesen erkennen und politisch aufgreifen. Insofern reicht es nicht, sich auf Überschriften und Prestigeprojekte zu konzentrieren. Vielmehr ist da bildungspolitische Kärrnerarbeit gefragt.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Patrick Meinhardt für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Wir erleben hier eine äußerst sphärische
Debatte; jedenfalls lässt das, was ich hier gerade wieder
gehört habe, darauf schließen.
Kommen wir einmal zu den Grunddaten zurück. Mittelfristiges Ziel dieser Regierungskoalition ist es, 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Bundesrepublik
Deutschland in den Bereich Bildung und Forschung zu
investieren. Zum Zeitpunkt der Abfrage beim Stifterverband waren es 2,77 Prozent im Bereich Forschung und
6,5 bis 6,8 Prozent im Bereich Bildung. Wir liegen also
bereits jetzt bei 9,5 bis 9,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
({0})
Es war eine gigantische Kraftanstrengung, das bis zum
jetzigen Zeitpunkt zu erreichen. Das Ziel ist, 2015
10 Prozent des BIP in Bildung und Forschung zu investieren.
({1})
Um das zu erreichen, bedarf es eines Motors. Dieser
Motor ist dieser Bundeshaushalt. Dass wir innerhalb von
vier Jahren 12 Milliarden Euro mehr in Bildung und Forschung investieren, dass wir in diesem Jahr ganz konkret
einen Aufwuchs von 11,1 Prozent zu verzeichnen haben,
dass der Haushalt in den vergangenen zweieinhalb Jahren um 27 Prozent auf fast 13 Milliarden Euro gesteigert
wurde - wir haben es hier mit einem Rekord-Bildungsund -Forschungsetat zu tun! -, ist in einer Krise genau
die richtige Antwort. Genau das macht diese Regierungskoalition: Investitionen in Bildung, Investitionen in
Forschung, Investitionen in Innovation.
({2})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, genauso wichtig
ist es, dass wir schauen, an welchen Stellen wir welche
Maßnahmen treffsicher einsetzen. Wir wissen, wie wichtig der Wettbewerb der Länder und der Bildungseinrichtungen um die bestmöglichen Bildungsangebote ist. Vor
allem seit wir den Lernatlas haben, wissen wir, wie
wichtig der Wettbewerb der Regionen um die bestmögliche Bildungspolitik werden wird. Umso wichtiger und
richtiger war es, dass diese Regierungskoalition sich darauf verständigt hat, lokale und regionale Bildungsbündnisse, Allianzen für Bildung, zu stärken. Denn nur wo
regionale Bildungsnetzwerke Wirkung entfalten, kann
Bildungspolitik zur Förderung des Einzelnen beitragen.
Deswegen ist dieser Ansatz goldrichtig.
({3})
Genauso wichtig ist es, so früh wie nur möglich mit
der Förderung zu beginnen. Sprachförderung ist wichtig.
Deswegen haben wir die Offensive „Frühe Chancen“ bis
zum Jahre 2014 mit 400 Millionen Euro ausgestattet.
Das Projekt „Lesestart“ haben wir mit 26 Millionen Euro
ausgestattet. Angesichts dessen - das ist angesprochen
worden -, dass wir 7,5 Millionen funktionale Analphabeten in der Bundesrepublik Deutschland haben, brauchen wir einen Grundbildungspakt; auch das ist im Bereich der Sprachförderung ein sehr wichtiges Thema.
Diese Regierung macht sich auf den Weg, einen solchen
Grundbildungspakt zu schließen. Um den Alphabetisie17132
rungspakt in die Wege leiten zu können, haben wir in
diesen Haushalt 5 Millionen Euro zusätzlich eingestellt.
Damit haben wir den entsprechenden Haushaltsansatz
um 60 Prozent gesteigert. Das ist die korrekte Darstellung und nicht das, was eben hier gesagt worden ist.
({4})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lebenslanges
Lernen entlang einer Bildungskette ist ein enorm wichtiger Punkt. So stellen wir uns Bildung vor. 31 Millionen
Euro fließen in diese Bildungsketten. Viel wichtiger ist
für mich aber, in diesem Zusammenhang hervorzuheben:
Es ist ein gutes Zeichen, dass wir innerhalb kürzester
Zeit den Erfolg der Weiterbildungsprämie feiern können.
150 000 Weiterbildungsprämien, 75 000 allein in diesem
Jahr, sind ein Zeichen dafür, dass wir bei der Weiterbildung eine Erfolgsgeschichte schreiben. Das muss auch
einmal an dieser Stelle hervorgehoben werden.
({5})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Talente fördern,
schlummernde Begabungen wecken - das ist eine Aufgabe der Bildungspolitik. Deswegen haben wir das Programm zu den Aufstiegsstipendien erfolgreich fortgesetzt und 3 000 Aufstiegsstipendien gewährt, deswegen
dehnen wir die Begabtenförderung auf die berufliche
Bildung aus, deswegen kriegen die Begabtenförderungswerke 40 Millionen Euro im kommenden Jahr mehr, und
deswegen legen wir beim Deutschlandstipendium auch
noch einmal 26,7 Millionen Euro oben drauf.
Einer der wichtigsten Grundsätze lautet: Es zählt
nicht, woher du kommst, sondern wer du bist. Das setzen
wir mit dieser Talentförderung um.
({6})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt verstärkt das Fundament einer bildungsgerechten
Gesellschaft und ist ein Schaufenster für Innovation und
für Zukunft dieser Gesellschaft.
Vielen herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat nun Nicole Gohlke für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine Damen und Herren von der Regierung, es hilft
auch nichts, wenn Sie sich hier einfach nur sehr viel
selbst loben.
({0})
Zunächst wissen Sie ja, was man über Eigenlob sagt,
aber vor allem ist es doch so, dass die Probleme in der
Bildung dadurch überhaupt nicht geringer werden. Man
kann sie nicht so einfach wegloben, wie Sie das hier versuchen.
An den Hochschulen jedenfalls ist von Ihrer viel beschworenen Bildungsrepublik wenig zu spüren. Sie sollten vielleicht einfach einmal dort hingehen. Die Seminare sind überfüllt, Laborplätze fehlen, sieben von acht
Lehrenden arbeiten auf befristeten Stellen. Wenn man in
Hochschulstädten eine Wohnung sucht, dann sollte man
am besten reiche Eltern haben. Die Wohnheime, aber
auch die Mensen und die Bibliotheken sind völlig überlastet.
({1})
500 Meter weiter weg von hier, in der Mensa der
Humboldt-Universität, wird das Essen neuerdings nur
noch auf Plastiktellern serviert. Keramik und Spülmaschinen kann man sich da nicht mehr leisten. Das sind
die Ergebnisse auch Ihrer Politik. Das hat schon auch
was mit der Bundespolitik zu tun. Nehmen Sie das einfach einmal zur Kenntnis!
({2})
Wenn Sie mir schon nicht glauben - dafür habe ich
Verständnis, weil ich Ihnen natürlich auch nichts glaube -,
dann würde ich Ihnen raten: Sprechen Sie doch einfach
einmal mit den Angestellten der Mensa! Lassen Sie sich
über die aktuellen Arbeitsbedingungen, über die aktuelle
Arbeitsbelastung aufklären! Oder reden Sie einfach einmal mit einem der vielen Bewerber oder einer der vielen
Bewerberinnen, die jetzt wegen der verschärften Zulassungsbeschränkungen keinen Studienplatz bekommen
haben, die jetzt vor den verschlossenen Toren der Hochschule stehen, obwohl sie sich ein Abitur erarbeitet haben.
({3})
Genau deswegen, wegen dieser ganzen Probleme, die
die Regierung so geflissentlich ignoriert, sind letzte Woche wieder Tausende Schülerinnen und Schüler und Studierende auf die Straße gegangen, und sie haben recht,
wenn sie lautstark für ihre Zukunftschancen eintreten.
({4})
Alle wissen, es gibt die doppelten Abiturjahrgänge,
die Wehrpflicht wurde ausgesetzt, und immer mehr
junge Menschen wollen studieren. Nicht nur wir als
Linke haben Sie seit Jahren darauf hingewiesen, alle haben Sie darauf hingewiesen, und trotzdem haben Sie
nicht gehandelt. Das Schlimmste daran ist, Sie haben gar
nicht vor, das zu korrigieren, zum Beispiel mit diesem
Haushalt. Bereits in diesem Jahr fehlen mindestens
66 000 Studienplätze. Die Zahlen sind von gestern, vom
Statistischen Bundesamt.
({5})
Bis 2015 sollen nun 336 000 Studienplätze geschaffen
werden.
({6})
- Ja. - Aber alle Experten sagen Ihnen - von der Hochschulrektorenkonferenz über die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft bis hin zum Centrum für Hochschulentwicklung; dann glauben Sie halt denen -, dass
mindestens 500 000 Studienplätze benötigt werden. Ihr
Haushalt hat mit einer bedarfs- oder mit einer nachfragegerechten Ausfinanzierung nichts zu tun. Das ist die
Wahrheit über Ihren Haushalt.
({7})
In dieser Situation behauptet dann Frau Schavan in
ihrer gestrigen Pressemitteilung - ich zitiere -:
Die Bundesregierung hat vorgesorgt, um den neuen
Studierenden einen guten Start ins Studium zu ermöglichen.
Und dann noch:
Der Hochschulpakt wirkt.
({8})
- Sind Sie schon einmal in einen Hörsaal gegangen,
({9})
in dem die Leute auf dem Boden sitzen oder sich anstellen müssen, um überhaupt hineinzukommen?
({10})
Fakt ist doch, dass der Hochschulpakt das Dauerdefizit im Hochschulsystem nicht im Ansatz kompensieren
kann. Sie kalkulieren zum Beispiel die Kosten pro Studienplatz mit 6 500 Euro. Das Statistische Bundesamt
weist allerdings die Kosten mit 7 130 Euro aus. Jeder
Studienplatz ist in Ihrem Haushalt also bereits jetzt um
mindestens 630 Euro unterfinanziert. Und Ihr groß angekündigter Qualitätspakt Lehre schafft die Misere am
Ende auch nicht aus der Welt. 200 Millionen Euro für
über 350 Hochschulen ({11})
man muss wirklich kein Finanzexperte sein, um zu erkennen, dass das nicht reicht.
Aber statt umzudenken, wollen Sie auch im Jahre
2012 die Exzellenzinitiative fortsetzen. Das heißt: zusätzliche Gelder für gerade einmal ein Dutzend Hochschulen. Was passiert mit dem Rest? Wissenschaftler
wandern an vermeintlich exzellente Unis ab. Weil das
Exzellenzsiegel fehlt, wird zusätzlich zur Unterfinanzierung auch noch die Position gegenüber Drittmittelgebern
und Kooperationspartnern geschwächt. Mit Ihrer Exzellenzinitiative schaffen Sie ein Zweiklassensystem in der
Hochschullandschaft. Mit dem Grundsatz „Gute Bildung
für alle“ hat das wirklich gar nichts zu tun.
({12})
Kommen Sie jetzt als Nächstes nicht mit dem Argument der leeren Kassen: Sie könnten ja im Rahmen des
Haushaltsplans einfach einmal auf die Idee kommen, die
Einnahmeseite zu verbessern. Führen Sie doch die Millionärsteuer ein, heben Sie den Spitzensteuersatz an, setzen
Sie endlich die Finanztransaktionsteuer durch!
({13})
- Dann machen Sie das doch! Kündigen Sie es doch
nicht nur an! Setzen Sie die Finanztransaktionsteuer
doch einfach durch!
({14})
Die Linke fordert eine ausreichende öffentliche Finanzierung für alle Hochschulen - darum geht es -, nicht
nur für zwölf ausgesuchte.
({15})
Wir brauchen die Ausfinanzierung der bestehenden
Studienplätze und bis zum Jahre 2015 mindestens
500 000 zusätzliche Studienplätze.
({16})
- Das sind nicht meine Zahlen, das sind die offiziellen
Zahlen. Die sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
Solange Sie Ihre Ausgaben für Bildung nicht an die
realen Bedarfe anpassen, sondern damit letztlich Ihre abgehobenen Elitevorstellungen verwirklichen, kann von
einer Bildungsrepublik nicht die Rede sein. Die Bildungsstreikenden hatten auf ihren Plakaten den Slogan
- das sollten Sie sich einmal anhören - „Reiche Eltern
für alle!“ stehen. Es ist kein Wunder, dass die Leute auf
solche Sprüche kommen. „Reiche Eltern für alle“ klingt
wahrscheinlich in den Ohren vieler realistischer als die
Vorstellung, mit Schwarz-Gelb die soziale Selektivität
im Bildungssystem zu beseitigen.
({17})
Wenn Sie wirklich Interesse an einer Bildungsrepublik haben, dann machen Sie endlich Schluss mit einseitiger Förderung und sozialer Diskriminierung!
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat nun Bundesministerin Annette Schavan.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Irgendwie
scheint Sie das mit der Bildungsrepublik ziemlich aufzuregen.
({0})
Ich finde, es ist eine der vornehmsten Aufgaben unserer Gesellschaft, dieses Hauses und all derer, die politische Verantwortung tragen, jeden Tag ein bisschen mehr
im Hinblick darauf zu lernen, dass es nicht mehr um uns
geht, sondern um künftige Generationen, dass wir in - das
wünschte ich mir - allen Haushalten Sorge dafür tragen,
dass die Zukunftschancen der jungen Generation Priorität
haben.
({1})
Es stimmt ja, was Frau Deligöz gesagt hat. Wir reden
nicht nur über Zahlen - bei den Zahlen sorgen wir einfach dafür, dass die Kasse stimmt -,
({2})
wir reden auch nicht nur von Institutionen, sondern wir
sprechen über Grundeinstellungen von jungen Leuten,
über gesellschaftliches Klima, über das, was das kulturelle Klima in unserer Gesellschaft hergibt. Hierzu gibt
es in dieser Woche zwei interessante Meldungen.
Die eine, heute schon mehrfach zitiert, lautet:
515 000 junge Leute beginnen mit einem Studium. Da
gibt es manchen überfüllten Hörsaal. Es mag auch sein,
dass es Mensen mit Plastiktellern gibt, die gab es übrigens früher auch schon. Das ist keine richtige Katastrophe.
({3})
Das alles ist wahr, aber dennoch: Ich finde es super, dass
so viele junge Menschen sagen: Ja, ich will gerade jetzt
studieren.
({4})
Ich möchte an dieser Stelle den Hochschulen dafür danken, dass sie in den letzten Wochen und Monaten enorm
viel getan haben, um vielen jungen Leuten die Türen ihrer Hochschulen zu öffnen. Herzlichen Dank an unsere
Hochschulen und Universitäten.
({5})
Der Hochschulpakt - der übrigens über alle Parteigrenzen hinweggeht, weil alle Parteien in den Ländern
mit dabei waren, sogar Ihre Partei, deshalb würde ich
mich darüber gar nicht aufregen ({6})
ist genau das richtige Instrument.
({7})
Wir gehen nämlich nicht von einer Zahl x aus und sagen,
dass diese unverrückbar ist. Das können Sie schon daran
sehen, dass für die erste Phase des Hochschulpaktes zwischen Bund und Ländern, übrigens auf Grundlage der
Prognose der Länder, geplant war, 90 000 Studienplätze
zu finanzieren, wir in Wirklichkeit am Ende sogar
180 000 Studienplätze finanziert haben. Es ist das richtige Instrument, es ist ein atmendes System. Deshalb
gilt: Wenn es sich so fortsetzt, wie wir es jetzt erleben
- wir alle finden das aus vielen Gründen richtig und gut -,
dann wird sich der Hochschulpakt auch in den nächsten
Jahren bewähren. Es gibt im Moment in Europa nicht ein
einziges Land, in dem die Möglichkeit besteht, zusätzlich
in Bildung und Forschung zu investieren. Das ist ein
Alleinstellungsmerkmal Deutschlands; das gehört zu den
Alleinstellungsmerkmalen dieser Regierung.
({8})
Als zweite Nachricht möchte ich den Deutschen
Lernatlas, den die Bertelsmann-Stiftung vorgelegt hat,
erwähnen. Ich finde, das ist eine der interessantesten
Analysen über die Bildungsrepublik Deutschland seit
langem, weil darin nicht einfach ein Vergleich der Länder angestellt wird und weil dort nicht einfach festgestellt wird, dass es im Süden besser ist als im Norden,
sondern weil jeder Kreis in Deutschland eine Rolle
spielt. Ich bin fest davon überzeugt: Vieles von dem, was
darin enthalten ist, ist eine wunderbare Fundgrube bei
der Konzeptionierung der Bildungspolitik. Denn natürlich gilt der Satz: Nicht Institutionen machen uns zu
dem, was und wer wir sind. Bildungsprozesse sind anspruchsvoller; sie haben etwas mit Kultur zu tun.
Ein herausragendes Beispiel im Lernatlas der Bertelsmann-Stiftung ist die Stadt Jena, die sich in den letzten
Jahren zu einer regelrechten Bildungsstadt entwickelt
hat, in der Chancen genutzt wurden.
({9})
- Jawohl, das ist derjenige Kollege, der 16 Jahre lang
Oberbürgermeister dieser Stadt war. Insofern ist es mir
eine besondere Freude, hier aus dem Lernatlas zu zitieren.
({10})
Wer sich die Beschreibung dieser Stadt ansieht und
liest, welche Weichenstellungen in den letzten 20 Jahren
getroffen wurden, der stellt fest: Natürlich sind wir in
den letzten Jahren in der Bildungsrepublik Deutschland
enorm vorangekommen. Natürlich hat sich viel getan.
Natürlich ist Kommunalpolitik mehr denn je davon geprägt, etwas für die Bildungschancen zu tun. Deshalb
lassen wir uns überhaupt nicht davon abbringen; die Bildungsrepublik Deutschland muss peu à peu entwickelt
werden. Dies gilt umso mehr, als die demografische EntBundesministerin Dr. Annette Schavan
wicklung in Deutschland - wir werden weniger, wir werden älter, wir werden bunter - das Bildungssystem in
seiner ganzen Bandbreite in besonderer Weise herausfordern wird.
({11})
Ich möchte aber auch ein Wort zu den Forschungsorganisationen sagen. Herr Hagemann, zu dem, was Sie
gesagt haben und was schon vielfach besprochen worden
ist, treffe ich diese einfache Aussage: Sie müssen sich
entscheiden, ob Sie Wissenschaftsfreiheitsinitiative und
-gesetz wollen oder nicht.
({12})
Sie müssen sagen, ob Sie bereit sind, den Beschlüssen,
die Sie selbst gefasst haben, zu folgen. Sie wissen, dass
wir Beschlüsse zur Wissenschaftsfreiheitsinitiative gefasst haben, dass alles, was die Helmholtz-Gemeinschaft
tut, mit Ihnen abgesprochen ist und dass es zum Herzstück der Initiative für eine größere Selbstständigkeit der
Forschungsorganisationen gehört, dass sie bis zu 20 Prozent ihrer Finanzmittel überjährig einsetzen können. Wir
wollten das, weil wir davon überzeugt waren, dass das
Geld so zielsicherer in die Finanzierung von Forschungsaufgaben fließen wird.
({13})
Insofern sage ich Ihnen: Ich stehe zur Selbstständigkeit unserer Forschungsorganisationen und zur Wissenschaftsfreiheitsinitiative, die längst beschlossen ist;
({14})
ich stehe auch dazu, das in Gesetzesform zu gießen.
Aber Sie stehen nicht dazu; Sie reden, wenn die Vertreter
der Wissenschaft anwesend sind, anders, als Sie in der
Öffentlichkeit reden.
({15})
- Nein, das ist kein Quatsch. Sie haben in den letzten
Wochen deutlich gemacht, dass Sozialdemokraten eben
nicht Autonomie wollen; Sozialdemokraten wollen in alles irgendwie hineinreden und hineinregieren.
({16})
Insofern sind Sie, was den Umgang mit modernen Forschungsorganisationen angeht, völlig ungeeignet.
({17})
Angesichts dessen, was hier gesagt worden ist, sage
ich ausdrücklich: Für alle Forschungsorganisationen gilt,
dass sie international ein großes Ansehen haben und dass
wir um ihre Arbeit beneidet werden. Das gilt für die
Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft,
die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die LeibnizGemeinschaft. Das gilt auch für die Helmholtz-Gemeinschaft, mit der wir gerade ganz entscheidende Schritte
auf dem Wege der strukturellen Weiterentwicklung unseres Wissenschaftssystems gehen. Denken Sie an das
KIT; keiner von Ihnen ist doch im Ernst dagegen. Denken Sie an JARA in Aachen, und denken Sie an das, was
wir jetzt in Berlin angekündigt haben. Deshalb sage ich:
Entscheiden Sie sich, ob Sie mit uns diese Politik für
Autonomie wollen.
({18})
Das, was im Gesetz stehen würde, muss jetzt schon praktiziert werden. Sie aber reden unentwegt dagegen. Das
ist das Problem.
({19})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hagemann?
Nein.
({0})
Herr Hagemann, diese Diskussion haben wir zigfach geführt. Sie müssen sich entscheiden. Genau das ist das
Thema und sonst gar nichts.
({1})
Herr Leutert, was Sie mit Ihrer Rede betrieben haben,
habe ich in diesem Haus noch nicht erlebt.
({2})
Ich sage ausdrücklich: Es ist absurd, im Deutschen Bundestag Bildung gegen Forschung ausspielen zu wollen
({3})
und hier zu erklären, dass zu viel Geld in die Forschung
gehe
({4})
und dass wir dieses Geld besser nicht mehr in die Forschung investieren sollten. Bildung und Forschung sind
zwei Seiten einer Medaille. Deshalb müssen wir uns um
das eine genauso kümmern wie um das andere. Wir müssen daher unseren Beitrag im Bereich der beruflichen
Bildung und der Weiterbildung leisten und gleichzeitig
dafür sorgen, dass Deutschland einer der attraktivsten
Forschungsstandorte der Welt ist. Das muss unser ehrgeiziges Ziel sein.
({5})
Meine Damen und Herren, bei den Meilensteinen, die
auch in diesem Haushalt deutlich werden, geht es nicht
nur um eine halbe Million Studienanfänger mehr in diesem Wintersemester. In diesem Zusammenhang nenne
ich auch noch folgende Punkte: In den Jahren 2008 bis
2010 sind die Ausgaben für BAföG um 25 Prozent
gestiegen, und in diesem Jahr gibt es 40 000 Ausbildungsplätze mehr als im Jahr 2010. Weiterhin war ein
deutlicher Rückgang der Zahl der Schulabbrecher zu
verzeichnen. Es gab ein Anerkennungsgesetz, für dessen
Umsetzung wir übrigens 100 Millionen Euro einsetzen.
Damit stellen wir Beratung und die Einrichtung entsprechender Kompetenzzentren sicher.
Deutschland liegt, was den Innovationsindikator angeht, auf Platz 4. Die Zukunftschancen der jungen Generation sind so positiv wie selten zuvor. Deshalb sage ich
Ihnen: Wenn Sie in den sieben Jahren der rot-grünen
Bundesregierung
({6})
solche Entwicklungen zu verzeichnen gehabt hätten, hätten Sie alle Glocken in diesem Land läuten lassen.
({7})
Über 99 Prozent der Mittel werden ausgegeben. Auch
das hat es früher nie gegeben. Das Haus und alle Projektträger haben in den letzten Jahren große Anstrengungen
unternommen, um immer besser zu werden und dieses
großartige Ziel zu erreichen.
Herr Kaczmarek, Sie haben recht: Der Grundbildungspakt muss kommen. Aber fragen Sie doch einmal
in den von Ihnen regierten Ländern nach, wann diese bereit sind, endlich die Unterschrift unter den fertigen Pakt
zu setzen.
({8})
Auch hier gilt: Der Grundbildungspakt ist vorbereitet. Er
liegt den Ländern vor, sie müssen nur unterschreiben.
Dann werden wir ihn gemeinsam in Kraft setzen können.
Dann werden wir an dieser wichtigen Stelle das tun, was
wir bei der Präsentation der Studie vereinbart haben.
Lassen Sie mich abschließend den Berichterstattern,
auch denen, mit denen wir streiten, herzlich danken. Ich
danke den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und
auch den vielen, die dazu beitragen, dass die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen Bildung und
Forschung in solcher Weise vorrangig behandeln können. Ich bin davon überzeugt, dass wir daran gemessen
werden, ob wir die Zukunftschancen der jungen Generation ganz oben ansiedeln.
Vielen Dank.
({9})
Es gibt zwei Kurzinterventionen. Zunächst hat der
Kollege Hagemann das Wort. Danach folgt der Kollege
Leutert.
Frau Ministerin, Sie haben eben die Wissenschaftsfreiheitsinitiative bzw. das nicht von Ihnen vorgelegte
Wissenschaftsfreiheitsgesetz angesprochen, und Sie forderten uns auf, uns zu entscheiden. Wir brauchen uns
nicht zu entscheiden, weil wir uns schon vor Jahren in
der Großen Koalition entschieden haben. Unter Bundesfinanzminister Peer Steinbrück haben wir beschlossen,
die Wissenschaftsfreiheitsinitiative, mit der zurzeit erfolgreich gearbeitet wird, auszuprobieren. 20 Prozent der
Mittel können die Wissenschaftsorganisationen auf unsere Initiative hin selbst verwalten.
Aber diese Wissenschaftsfreiheitsinitiative war zeitlich begrenzt. Ich rufe den Kollegen Rehberg als Zeugen
auf: Wir haben diese Initiative, die unter Herrn
Steinbrück bzw. in der Großen Koalition gestartet worden ist, schon zweimal verlängert - Herr Rehberg, Sie
müssen mir da zustimmen; denn das war ein gemeinsamer Antrag -,
({0})
weil Sie noch keinen Gesetzesentwurf vorgelegt haben.
Das ist das Problem; denn diese Initiative muss jetzt
endlich in eine endgültige Form gebracht werden und
darf nicht nur im Versuchsstadium stecken bleiben. Frau
Ministerin, ich lasse mir von Ihnen nichts anhängen. Sie
tun so, als ob falsche Entscheidungen getroffen wurden.
Ganz im Gegenteil: Ich bin immer derjenige gewesen,
der dafür gekämpft hat, dass eine entsprechende Selbstbewirtschaftung erfolgen kann.
({1})
Aber man muss doch auch das Recht haben - darum
müssten Sie sich einmal kümmern -, die Kritik des
Rechnungshofes genauer zu beleuchten. Ich wiederhole
das, was ich vorhin gesagt habe: Ich schließe mich nicht
jeder Forderung bzw. jeder Kritik des Rechnungshofes
an, aber sie muss überprüft werden; denn es wird kritisiert, dass die Mittel nicht zweckgemäß ausgegeben werden. Das muss man kontrollieren. Wenn es nicht der Fall
sein sollte, dass die Mittel richtig verwendet werden,
dann muss man das eben rückgängig machen. Aber der
Opposition bzw. mir hier Vorwürfe zu machen, das ist
nicht in Ordnung; denn sie entsprechen nicht der Wahrheit, Frau Ministerin.
({2})
Kollege Leutert, bitte.
Frau Ministerin, Sie haben mir leider nicht richtig zugehört.
({0})
Ich habe vorhin ausdrücklich gesagt: Auch für die Linke
ist Forschungspolitik ein wichtiges Feld, das gut durchfinanziert sein muss. Ich habe aber auch gesagt: Es kann
nicht sein, dass auf der einen Seite Geld im Schulsystem
fehlt und auf der anderen Seite das Geld, das Sie in den
Forschungsbereich hineinpumpen, nicht abfließt. Das ist
mein erster Punkt.
({1})
Mein zweiter Punkt. Man muss darauf achten, für was
in diesem Land Forschungsgelder ausgegeben werden.
Ich frage Sie: Ist es beispielsweise sinnvoll, dass Daimler von uns Fördermittel für Energiesparmodelle bekommt? Braucht dieser Konzern diese Fördermittel?
Oder könnten wir diese Gelder nicht besser in anderen
Bereichen verwenden? Diese Frage könnten Sie ebenfalls beantworten.
Mein dritter Punkt. Wir haben immer gesagt: Forschung darf nicht auf Kosten des Schulsystems betrieben
werden. Wir haben früher immer von der Einheit von
Lehre und Forschung gesprochen. Diesen Grundsatz haben Sie aufgegeben. Das ist ihr Verdienst in der Bildungsrepublik Deutschland. Dazu kann ich nur herzlich
gratulieren.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Wenn den
Kitas und den Schulen das Geld gestrichen wird, dann
wird uns im Bildungssystem die Basis wegbrechen.
Wenn das Bildungssystem keine klugen Köpfe mehr
produziert, dann brauchen wir in Zukunft auch keine
Forschungspolitik mehr.
({2})
Frau Ministerin, bitte.
Vielen Dank. - Herr Hagemann, dass wir uns gemeinsam auf Initiative des BMBF in der Großen Koalition zu
einer Wissenschaftsfreiheitsinitiative entschieden haben,
ist unbestritten. Wenn festgelegt ist, dass die Organisationen bis zu 20 Prozent der Zuwendung als Selbstbewirtschaftungsmittel zugewiesen bekommen - wir haben
damals diskutiert, wie wichtig die überjährige Verwendung ist, weil programmorientierte Forschung über viele
Jahre geht -, dann kann man, wenn beispielsweise
312 Millionen Euro für mehrjährige Forschungsprogramme reserviert sind, nicht behaupten: Die Forschungseinrichtungen schaffen es nicht, das Geld auszugegeben. - Genau diese Diskussion haben Sie geführt.
({0})
Ich bleibe dabei: Sie müssen sich entscheiden. Wenn
wir das auch in Zukunft wollen und wenn Sie dazu stehen, dann muss damit aufgehört werden, so zu tun, als
seien die Mittel, die bis zu einer Höhe von 20 Prozent
überjährig eingesetzt werden können, ein Hinweis darauf, dass dieses Geld nicht ausgegeben wird bzw. dass
die Helmholtz-Gemeinschaft zu viel Geld hat. Genau
diese Debatte haben Sie geführt.
({1})
Deshalb sage ich das so klar: Ich stehe zu dieser Initiative. Für mich sind die 300 Millionen Euro kein Zeichen dafür, dass zu viel Geld vorhanden ist, sondern
Ausdruck eines sehr verantwortungsbewussten Planens
der nächsten Phase programmorientierter Forschung. Es
ist nämlich genau festgelegt, wofür dieses Geld eingesetzt wird.
Meine herzliche Bitte ist: Wer zu dieser Autonomie
steht, muss auch dann dazu stehen, wenn kritische Fragen gestellt werden. Es ist wahr, dass wir mit dem Bundesrechnungshof über die Wissenschaftsfreiheitsinitiative streiten müssen. Ich sage Ihnen - das sage ich als
Mitglied dieser Bundesregierung auch dem Bundesrechnungshof -: Ich halte diese Initiative für eine Notwendigkeit in einem modernen Wissenschafts- und Forschungssystem und stehe daher dazu. Es gibt überhaupt
keinen Anhaltspunkt dafür, zu sagen: Die Forschungseinrichtungen können mit Geld nicht umgehen. Übrigens
wird jede programmorientierte Forschung von Beginn an
ständig überprüft. Außerdem werden die Programme in
ihrer Gesamtheit über viele Jahre hinweg evaluiert.
Das ist meine Position. Ich habe nicht gesagt, dass Sie
sich pro oder kontra Wissenschaftsfreiheitsinitiative entscheiden müssen. Ich habe aber gefragt, ob Sie tatsächlich bereit sind, die Freiheit, die mit der Wissenschaftsfreiheitsinitiative verbunden ist, mit uns gemeinsam zu
verteidigen.
({2})
Herr Leutert, das, was Sie gesagt haben, war eigentlich eine Wiederholung. Deshalb sage ich noch einmal:
Niemand pumpt Geld in ein Forschungssystem, das dieses Geld eigentlich nicht braucht. Wir sind seit 2005
- das haben wir durch unsere Arbeit zunächst in der
Großen Koalition und dann in der schwarz-gelben Koalition erreicht - verlässliche Partner im Wissenschaftsund Forschungssystem. Genau diese Verlässlichkeit über
einen langen Zeitraum hat dafür gesorgt, dass es diese
Fortschritte in Deutschland gegeben hat. Deshalb sage
ich auch Ihnen: Nein, wir werden nicht bei der Forschung sparen, um Aufgaben zu übernehmen, für die
eindeutig andere zuständig sind. Jede politische Ebene
hat ihre Aufgaben und soll sie wahrnehmen.
({3})
Das Wort hat nun Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Haushaltsrecht ist auch deshalb das Königsrecht des Parlaments, weil der Haushalt über die Prioritäten der Politik und über die Glaubwürdigkeit von Entscheidungen
Auskunft gibt. Deshalb habe ich in diesem Forschungs17138
haushalt den Atomausstieg gesucht. Ich habe ihn nicht
gefunden.
({0})
Ich will Ihnen die relevanten Zahlen zum Bereich der
Energieforschung in diesem Haushalt zur Kenntnis geben: Es gibt 77,2 Millionen Euro für den Bereich der erneuerbaren Energien insgesamt. Dagegen stehen 138,7 Millionen Euro für den Bereich der Kernfusion und
14 Millionen Euro für den ITER. Hinzu kommen
80 Millionen Euro pro Jahr, die über Euratom hauptsächlich in die atomare Forschung fließen. 1,4 Milliarden Euro für den ITER sind, wie wir wissen, immer
noch nicht finanziert. Im Moment gibt es die Überlegung, die Mittel für Euratom um 2,2 Milliarden Euro aufzustocken, wovon Deutschland 20 Prozent zu tragen
hätte.
Dazu muss ich sagen: Wer nicht verstanden hat, dass
ein Atomausstieg mehr erfordert, als einen Abschaltplan
für Atomkraftwerke vorzulegen, der hat nicht verstanden, was ein Atomausstieg grundsätzlich bedeutet.
({1})
Einen Wiedereinstieg in atomare Großtechnologie vorzubereiten, indem man einen Großteil der Forschungsgelder in die Bereiche Kernfusion oder Transmutation
steckt, das hat mit Atomausstieg nichts zu tun.
Ich rede jetzt nur über den Forschungshaushalt. Ich
rede nicht über andere Einzelpläne. Natürlich wurden
Gelder für die nukleare Sicherheitsforschung eingestellt.
Das unterstützen wir; das halten wir natürlich für richtig.
Es wurden im Wirtschaftshaushalt auch Gelder für Effizienz und Speichertechnologie eingestellt. Es gibt auch
Gelder für den Bereich der erneuerbaren Energien im
Umwelthaushalt. Ich möchte hier aber über den Forschungshaushalt reden; denn das ist der Zukunftshaushalt. Der Forschungshaushalt entscheidet darüber, wohin
die Reise geht.
Wir haben den Atomausstieg in diesem Parlament mit
breiter Mehrheit beschlossen, was bedeutet, dass eine
wichtige Veränderung in den politischen Zielen von Regierung und Parlament gemeinsam beschlossen wurde.
Das müsste sich durch eine andere Prioritätensetzung im
Haushalt niederschlagen.
({2})
- Nein, das zeigt sich nicht. Das vermissen wir.
Wenn wir zum Beispiel fordern, die Mittel für den
Bereich der Kernfusion zu reduzieren bzw. zu streichen
- wir fordern nicht mehr Geld, sondern machen ein Angebot und sagen, wo man sinnvollerweise einsparen
könnte -, dann wird oft gesagt, man müsse über den Tellerrand schauen, man müsse schauen, was andere Länder
machen.
Ich bin letzte Nacht aus Japan zurückgekommen.
({3})
- Nein, mit dem Flugzeug. - Dort sind inzwischen 68 Prozent der Bevölkerung für den Ausstieg aus der Atomkraft. Sie brauchen dafür aber Alternativen.
({4})
In Japan ist noch weniger als in Deutschland die
Kohle eine mögliche Alternative, weil diesem Land vor
nichts mehr graut, als von Importen womöglich aus
China abhängig zu sein. Wenn wir also einem Land wie
Japan und vielen anderen Ländern, die sich eine Energiestruktur erst noch aufbauen müssen, helfen wollen,
eine für ihre eigene Zukunft nachhaltig wirkende Energieversorgung aufzubauen, dann tun wir das nicht, indem wir Kernfusion erforschen, die frühestens 2050,
wenn all diese Energiesysteme installiert sein werden,
zum Tragen kommt, sondern indem wir zeigen und auch
erforschen, wie eine Energiewende vonstatten gehen
kann.
({5})
Hier brauchen wir mehr Geld, als wir heute im Haushalt veranschlagt haben, für Speichertechnologie, für
Netzausbau und auch für die erneuerbaren Energien. Ich
nenne zum Beispiel die Meereswellentechnologie, die
für Japan mit seinen langen Küsten ein Segen wäre. Das
sind Zukunftsaufgaben. Dies vermisse ich im Forschungshaushalt.
Ich erkenne stattdessen eine Konzentration auf Kernfusion, auf Transmutation. Die Gelder für Transmutation
findet man übrigens nicht im Forschungshaushalt,
sondern sie sind versteckt in den Geldern, die an die
Helmholtz-Gemeinschaft gehen. Hier fordern wir mehr
Transparenz. Bei aller Autonomie kann es nicht sein,
dass öffentlich Gefördertes nicht öffentlich sichtbar wird
und dass wir nicht wissen, was mit diesen Geldern letztendlich gemacht wird. Eine Ausrichtung auf atomare
Forschung, wie sie die Helmholtz-Gemeinschaft vornimmt, passt nicht zu der hier mit breiter Mehrheit beschlossenen Politik.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Martin Neumann für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Aufwüchse des Haushaltsplans 2012 gegenüber den Vorjahren wurden in der heutigen Debatte
bereits umfassend dargestellt. Es wurde eine eindrucksvolle Zwischenbilanz vorgelegt, die belegt, welche weiteren Projekte die Koalition in dieser Legislaturperiode
angeht, und die zeigt, dass wir den Erfolgskurs der Regierung auf dem Gebiet Bildung und Forschung weiterführen.
Dr. Martin Neumann ({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushaltsplan
stellt immer ein Gesamtkonzept dar. An dieser Stelle
möchte ich einen Gedanken herausstellen, der mir in der
bisherigen Debatte aufgefallen ist. Aufgefallen ist mir
- ob im Ausschuss oder heute im Plenum -, dass der Opposition wirklich nicht mehr viel Neues einfällt. Sie gehen immer nach dem gleichen platten Schema vor.
({1})
Dieses Schema will ich einmal deutlich darstellen:
Erstens. Es werden Ihrer Ansicht nach überall dort
mehr Gelder benötigt, wo es Ihre Länder einsparen können. Zweitens. Dort, wo mehr Gelder investiert werden,
reden Sie dann von verfehlten Projekten. Drittens. Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, greifen
sich einzelne Technologiefelder heraus - Frau KottingUhl hat es eben gemacht -, zum Beispiel Kernfusion
oder Bioökonomie, wo es Ihrer Meinung nach nicht angebracht ist, zu investieren. Anschließend vermitteln Sie
den Eindruck, als gönne sich diese Koalition den Luxus,
in Projekte und Bereiche zu investieren, die im Grunde
keine Relevanz besitzen.
Diese Botschaft, die in die Öffentlichkeit gelangt
- Herr Hagemann, Sie haben es ja heute auch gesagt -,
richtet sich meiner Ansicht nach gegen unser gemeinsames Anliegen, mehr Geld in Wissenschaft und Forschung zu investieren. Was wundern wir uns dann, wenn
in der Öffentlichkeit die Frage behandelt wird, ob zu viel
Geld in die Wissenschaft investiert wird, ob die Wissenschaft mit Geld tatsächlich nicht umgehen kann? Das
sind Fragen, die man sich in einer von Innovation getragenen und von Innovation profitierenden Gesellschaft
nicht stellen darf. Das ist eine ganz wichtige Feststellung.
({2})
Doch mittlerweile werden wir bedrängt, zu erklären, was
die Forschungseinrichtungen eigentlich mit dem Geld
anfangen.
({3})
Zu Beginn der Haushaltsberatungen - ich erinnere
mich ganz genau daran; Herr Hagemann, Sie haben es
damals auch kritisiert - und - wir hätten darauf warten
können - wieder am Ende der Haushaltsdebatte wurde
das Thema Helmholtz behandelt. Frau Ministerin
Schavan hat es angesprochen: Die Helmholtz-Gemeinschaft und alle anderen außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben die Ermächtigung - wir haben diese
gegeben -, 20 Prozent der Zuwendungsmittel im Rahmen der Selbstbewirtschaftung ins folgende Jahr zu
übertragen.
Obwohl die Helmholtz-Gemeinschaft die Mittel vom
Haushaltsgeber zugewiesen bekommt, hat sich am Mythos der Rücklagen und Kriegskassen nichts geändert.
Wenn wir uns auf diese Vorwürfe einlassen - das ist eine
ganz gefährliche Diskussion; nicht das, über das wir hier
reden, Herr Hagemann, sondern das, was in der Öffentlichkeit ankommt -,
({4})
müssten wir von unserem Projekt Wissenschaftsfreiheitsgesetz Abschied nehmen. Deshalb - das möchte ich
an dieser Stelle deutlich betonen - müssen wir diesem
Denken entgegentreten. Forschung und Entwicklung finden unter ganz besonderen Bedingungen statt - darüber
haben wir schon an verschiedenen Stellen, auch im Ausschuss, diskutiert -, Bedingungen, die einen neuen Rahmen benötigen.
Die Koalition wird deshalb im Jahr 2012 dem positiven quantitativen Aufwuchs der Haushaltsmittel bessere
qualitative Bedingungen hinzufügen. Das von uns gestaltete Wissenschaftsfreiheitsgesetz wird den Forschungseinrichtungen - das ist ganz wichtig - weitere
Flexibilisierung einräumen.
({5})
Es wird den Wissenschaftseinrichtungen auch - das ist
ganz wichtig; die Wissenschaft braucht dies - mehr Verantwortung übertragen, sodass sie dann mit eigenem
Controlling und natürlich mit Augenmaß die Mittel bedarfsgerecht einsetzen werden.
Die Koalition hat einen klaren Haushalt 2012 aufgestellt. Weitere Akzente für die Forschungseinrichtungen
und das Wissenschaftssystem werden wir noch setzen.
Vielleicht erleben wir dann eine konstruktive Opposition.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun René Röspel für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Heute finde ich es ausnahmsweise nicht schade,
erkältet zu sein, weil ich dadurch diese Mischung aus
Pulverdampf und Weihrauch, die in dieser Debatte entstanden ist, nicht riechen kann.
({0})
Ich muss zugeben, wir gönnen Ihnen ein bisschen
Selbstbeweihräucherung, weil wir es gut finden - es ist
ja ein gemeinsames Ziel -, dass Sie mehr Mittel in Bildung und Forschung gesteckt haben.
({1})
Aber wenn wir als Opposition die Souveränität besitzen,
Sie dafür zu loben, dann sollten Sie die Größe haben, die
ganze Geschichte der Bildungs- und Forschungspolitik
der letzten Jahre zu erzählen,
({2})
sonst entsteht bei den Menschen, die uns zuhören, vielleicht ein falscher Eindruck.
Als Rot-Grün 1998 die Regierung übernommen hat,
war der Etat von Bildung und Forschung zu vergleichen
mit einem abgehalfterten alten Gaul, der in der dunkelsten Ecke des Kabinetts stand und dessen Rippen man
zählen konnte. Es war eine sozialdemokratische Bildungsministerin, die dieses Pferd gefüttert und gepflegt
hat, die mehr in Bildung und Forschung investiert hat.
Mittlerweile dürfen Sie auf einem Rennpferd reiten und
sich auf den Weg zu neuen Erfolgen machen. Das ist
nicht nur Ihr Verdienst, sondern auch ein Verdienst der
Großen Koalition und vor allen Dingen ein Verdienst der
rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005.
({3})
Wir haben diese Grundlagen geschaffen. Ein Raketenstart ist in der ersten Phase immer am schwierigsten, da
braucht man die meiste Kraft und den meisten Aufwand,
und am Ende kann man den Erfolg feiern.
({4})
- Ja, das ist Ballistik; darüber reden wir vielleicht ein anderes Mal.
({5})
- Danke für das Kompliment.
Wir haben in diesen Tagen „Empfehlungen zur Bewertung und Steuerung von Forschungsleistungen“ des
Wissenschaftsrates auf den Tisch bekommen. Am Anfang dachte ich, es sei Zufall, dass wir diese Empfehlungen zu dieser Zeit bekommen haben. Aber dieses Papier
enthält eine ganze Menge guter Ratschläge, wie man
Forschungsleistungen steuern kann.
Einen Aspekt fand ich besonders interessant: eine
Warnung vor „Tonnenideologie“ - das ist ein wörtliches
Zitat -, also eine Warnung vor dem Glauben, dass man
über einen Zuwachs an Quantität quasi einen Zuwachs
an Leistung oder sogar Qualität erzielt. Das ist ein großer Irrtum; da muss man vorsichtig sein.
Bei einigen Reden der Koalitionäre vorhin ist mir klar
geworden, warum wir diese Empfehlung des Wissenschaftsrates zu dieser Zeit bekommen haben. Ich weiß
nicht, welchen Eindruck die Zuschauerinnen und Zuschauer mit nach Hause nehmen, wenn sie hören, dass
wir hier 300 Millionen Euro und da 5 Millionen Euro investieren. Das alles sind große Zahlen, sie bedeuten gute
Zuwächse. Aber die Frage ist: Was wird bleiben, und in
welche Richtung geht es? Ich muss Ihrem ehemaligen
Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl wirklich recht geben:
Diese Regierung hat keinen Kompass und keinen Plan.
Wenn Sie ihn hätten, hätten Sie gesagt, wohin die Reise
gehen soll und wie es weitergehen soll. Aber diese Regierung hat, wie gesagt, keinen Kompass. Ich hoffe, dass
Sie vielleicht unter dem Weihnachtsbaum einen finden
werden.
({6})
Aber auch das ist nichts Neues. In vielen Bereichen
drehen Sie Pirouetten, wie es Ihnen gerade gefällt. Jahrelang waren Sie gegen einen Mindestlohn; jetzt versuchen
Sie, etwas in dieser Richtung auf den Weg zu bringen.
Ähnliches gilt für den Bildungs- und Forschungsbereich. Jahrelang leisteten Sie erbitterte Widerstände gegen Ganztagsschulen, Herr Rehberg. Als die rot-grüne
Regierung 2003 den Betrag von 4 Milliarden Euro zur
Verfügung gestellt hat, um in den Kommunen Ganztagsschulen auszubauen, weil sie dringend gebraucht wurden, haben wir das gegen die erbitterten Widerstände
Ihrer beiden Fraktionen machen müssen; in den Protokollen des Bundestages können Sie nachlesen, dass damals von „Verwahranstalt“ und „Einheitsschule“ die
Rede war. Wenn die Mittel schlecht abgeflossen sind
- wir haben das ja genau beobachtet -, dann lag das
nicht an Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz,
sondern an Hessen und Ministerpräsident Koch, der erbitterten Widerstand gegen die Ganztagsschule geleistet
hat. Das war ein Fehler.
({7})
Heute freuen wir uns, dass Sie die nächste Pirouette
drehen. Sie haben nämlich in Ihrem bildungspolitischen
Antrag das Ziel formuliert, Ganztagsschulen zu fördern.
({8})
Wir warten auf eine entsprechende Initiative zur Änderung des Grundgesetzes. Dann kann auch der Bund wieder einen Beitrag leisten, wie es unter Rot-Grün der Fall
war.
Der nächste Punkt: das BAföG. Ja, wir sind Freunde
des BAföG. Ich habe allerdings noch Presseausschnitte
aus dem Jahr 2005 zu Hause, Frau Schavan,
({9})
die belegen, dass Sie damals sagten: Der Union ist nicht
am BAföG gelegen. Aber wir werden es aufrechterhalten, weil sich die SPD dafür einsetzt, dass es erhalten
bleibt. - Sie können uns also nicht vorwerfen, dass die
Zuwächse zur Zeit der Großen Koalition nur klein waren. Ich habe diese Zeitungsausschnitte, wie gesagt, zu
Hause, Frau Schavan. Das fand ich nämlich sehr spannend.
({10})
Diese Pirouetten - die Hauptschule wollt ihr ja auch
abschaffen; aber das ist okay - drehen Sie leider nicht
aus innerer Überzeugung, sondern weil Sie, wie ich
glaube, einen bitteren Überlebenskampf führen
({11})
und auf das, was Tag für Tag passiert, reagieren müssen.
Nun zum Forschungsbereich. Jahrelang haben Sie
sich für die Atomenergie eingesetzt und es den erneuerbaren Energien an allen Ecken und Enden schwer gemacht. Es mussten erst Fukushima und die Proteste in
der Bevölkerung kommen, bis Sie sich gezwungen fühlten, eine Energiewende einzuleiten.
({12})
Das war richtig. Wir freuen uns - Frau Kollegin KottingUhl hat das ausgeführt -, dass es im Haushaltsansatz für
diesen Bereich mehr Mittel zu geben scheint. Wenn man
genau hinsieht, stellt man aber fest: Es gibt da eine
kleine Fußnote. Es heißt nämlich immer: unter Berücksichtigung der Umsetzung dieser Mittel in den Energieund Klimafonds. Das ist eine interessante Verschiebung.
Was ist der Energie- und Klimafonds? Er ist der beste
Inbegriff für heiße Luft.
({13})
In den Energie- und Klimafonds wandern nämlich die
Erträge aus dem Emissionshandel, aus dem Handel mit
Kohlendioxidzertifikaten. Wir wissen überhaupt noch
nicht, wie hoch die Erträge, die hier anfallen, sein werden. Sie aber wollen mit diesem Etat, der unsicher und
konjunkturabhängig ist - außerdem wissen wir nicht,
wie sich der Wert der Zertifikate entwickelt -, erneuerbare Energien, Elektromobilität und vieles andere mehr
finanzieren. Dieser Etat ist also überzeichnet. Das ist
keine seriöse Haushaltspolitik.
({14})
Wir wissen, dass wir als Opposition nicht die großen,
langen Linien Ihres Haushaltsentwurfes verändern können. Aber an der einen oder anderen Stelle kann Forschungspolitik, wie ich finde, auch Impulse setzen. Ich
will fünf Beispiele anführen, die wir als SPD-Fraktion
benannt haben, weil sie unserer Meinung nach richtige
Impulse für die Forschungspolitik setzen.
Das erste Beispiel - als wäre es bestellt gewesen -:
Einige von uns haben gestern mit Wissenschaftlern und
Abgeordneten aus Peru zusammengesessen, weil diese
Interesse daran haben, zu lernen, wie Wissenschaft in
Deutschland funktioniert. Einer der Professoren hat
deutlich gemacht, über welch reichhaltige Naturschätze
Peru verfügt, und darauf hingewiesen, wie wichtig Biodiversität ist. Es wird nur möglich sein, diese Naturschätze kennenzulernen und einzuordnen, wenn es Menschen gibt, die Arten bestimmen können. Dieses Fach,
die Taxonomie, mag für Sie eine Nische sein. Aber: Vor
zehn Jahren haben wir auch noch geglaubt, dass Elektrochemie eine Nische ist, und dieses Fachgebiet vernachlässigt. Heute zeitigt diese Entscheidung dramatische
Folgen. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass nur 5 Millionen Euro mehr für die Artenkundeforschung eingestellt werden. Das haben Sie leider abgelehnt.
({15})
Das zweite Beispiel. Wir meinen, dass es an der Zeit
ist, Verbraucherforschung zu betreiben und die entsprechenden Informationen aufzuarbeiten. Dafür haben wir
nur 5 Millionen Euro verlangt. Die Koalition hat dies abgelehnt.
Das dritte Beispiel. Wir wissen seit dem letzten Tierschutzbericht, dass die Zahl der Tierversuche in
Deutschland zunimmt. Wir wollten, dass nur 4 Millionen
Euro für die Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen bereitgestellt werden. Sie haben das abgelehnt.
Viertes Beispiel. Den Bereich Arbeits-, Dienstleistungs- und Produktivitätsforschung - ein für Deutschland sehr wichtiger Bereich - streichen Sie gerade zusammen. In einem Brandbrief hat die DGBVizevorsitzende, Ihre Unionskollegin Frau Sehrbrock,
gefordert, das nicht zu tun und in diesen Bereich, in eine
der großen Chancen Deutschlands, mehr zu investieren.
({16})
Mein letztes Beispiel ist die Friedens- und Konfliktforschung. Wer begreift, wie wichtig es in dieser Welt
ist, Konflikte von vornherein zu erkennen, zu beseitigen
und eine entsprechende Forschung zu betreiben, der
muss in diese Forschung investieren. Wir haben beantragt, nur 5 Millionen Euro bereitzustellen, um das Stiftungskapital zu erhöhen. Sie haben das wieder abgelehnt.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - 13 000 Millionen Euro beträgt dieser Haushalt, aber 5 Millionen Euro für Friedens- und Konfliktforschung sind Ihnen zu viel. Das
kann keine finanziellen, sondern nur politische Gründe
haben. Deutschland braucht keine Tonnenideologie, sondern eine Forschung, die für die Menschen in diesem
Land da ist.
Vielen Dank.
({0})
Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich Kollegin Anette Hübinger für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen und am Fernsehen!
({0})
- Abgeschaltet? Schade. Eine Übertragung wäre notwendig gewesen. - Frau Kotting-Uhl, Sie haben wie
Herr Röspel die fehlende Energieforschung angesprochen. Ich nenne nur die Haushaltszahl von 657 Millionen Euro für die Energieforschung im Haushalt 2012.
Als Rot-Grün den Atomausstieg beschlossen hat, lag
diese Zahl bei 407 Millionen Euro.
({1})
Es sind jetzt 250 Millionen Euro mehr. Das bedeutet eine
Steigerung.
({2})
Wir werden auch diese Mittel sorgfältig für erneuerbare
Energien und andere Energiequellen verwenden.
Lassen Sie mich als letzte Rednerin all die Dinge zusammenfassen, um die es hier geht. Wir haben einen Rekordhaushalt - das ist heute schon öfter festgestellt worden - von 13 Milliarden Euro für Bildung und
Forschung in 2012. Das ist der Beweis dafür, dass wir
trotz oder vielleicht sogar wegen der Schuldenbremse
Bildung und Forschung eine große Priorität einräumen,
weil wir der Auffassung sind, dass darin die Zukunft unseres Landes liegt.
({3})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Kotting-Uhl?
Im Moment nicht, danke. - Schaut man über den nationalen Tellerrand hinaus, bekommt diese Steigerung
eine zusätzliche Wertigkeit. Kein europäischer Partner,
kein Industrieland, nicht einmal die USA - das wurde
schon angesprochen - haben solche Aufwüchse zu verzeichnen. Ganz im Gegenteil: Hier ist der Abschwung zu
spüren.
Nun zu Kompass und Plan. Unser Ziel ist es, die
Wachstumskräfte in Deutschland bei gleichzeitiger Konsolidierung unseres Haushaltes zu stärken. Wir nehmen
Geld für Dinge in die Hand, aus denen unsere Kinder
und Enkelkinder zukünftig Nutzen ziehen können, für
Bereiche, wo wir die Zukunft Deutschlands maßgeblich
gestalten können; denn um international weiter in der
ersten Liga spielen zu können, sind wir auf ein leistungsfähiges Bildungs- und Wissenschaftssystem angewiesen.
Der 11prozentige Aufwuchs im Einzelplan 30 ist somit nicht um seiner selbst willen realisiert worden. Jeder
zusätzliche Euro wurde mit zukunftsträchtigen Maßnahmen und Instrumenten hinterlegt.
({0})
Da wir uns als Parlamentarier der christlich-liberalen
Koalition schon frühzeitig bei der Formulierung der
Schwerpunkte eingebracht haben, trägt dieser Haushalt
auch unsere Handschrift.
Jeder Bürger kommt im Laufe seines Lebens mit dem
deutschen Bildungs- und Ausbildungssystem oder auch
Wissenschafts- und Forschungssystem in Berührung
oder ist Teil davon. Wir haben bei unseren Prioritäten
darauf geachtet, dass der Haushalt diesem Aspekt Rechnung trägt. Deshalb reichen unsere Schwerpunkte von
der Berufsorientierung während der Schulzeit über die
Berufsausbildung im dualen System oder während eines
Hochschulstudiums bis hin zur beruflichen Weiterbildung in späteren Lebensphasen.
({1})
- Ich rede jetzt über den Einzelplan 30, mein lieber Herr
Kollege. Das sollten wir jetzt in den Mittelpunkt stellen.
({2})
Daran anknüpfend werden die Maßnahmen zur Stärkung der beruflichen Bildung um 22,5 Prozent auf
170 Millionen Euro aufgestockt. Die Instandhaltung und
Modernisierung der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten wurde mit 40 Millionen Euro im Haushalt fest
verankert.
Aufgrund doppelter Abiturjahrgänge und der Aussetzung der Wehrpflicht streben viele Studienanfänger an
die deutschen Hochschulen; auch das wurde schon angesprochen. Damit es keinen Mangel an Studienplätzen
gibt, haben wir den Hochschulpakt erweitert.
({3})
Es erfolgt eine Aufstockung um 60 Prozent. Das sind
1,4 Milliarden Euro. So groß war der Ansturm nicht, der
bewältigt werden musste, um ausreichend Studienplätze
zu schaffen.
Neben der Anzahl der Studienplätze spielt natürlich
auch die Qualität eine besondere, wenn nicht sogar die
entscheidende Rolle. Auch hier kommt der Bund seiner
Verantwortung nach und investiert kräftig in die Entwicklung des Hochschul- und Wissenschaftssystems.
Ob Qualitätspakt Lehre, die Weiterentwicklung des
Bologna-Prozesses oder das Themenfeld sozial- und
geisteswissenschaftliche Forschung: Alle diese Vorhaben erfahren im vorliegenden Haushalt einen beachtenswerten Aufwuchs.
({4})
Wir lassen in unserem Ausbildungssystem auch keinen jungen Menschen im Regen stehen. Bedürftigkeit
und/oder besondere Leistungen bilden nach unserer
Auffassung die richtigen Kriterien für staatliche Unterstützung. Deshalb stocken wir die Mittel für die Begabtenförderung um über 20 Prozent auf. In die Studienfinanzierung der Studierenden investieren wir 2012
insgesamt mehr als 1 Milliarde Euro. Diese Zahlen können sich sehen lassen.
({5})
Die Internationalisierung des Forschungssystems
stärken wir durch Mittelaufwüchse für den Studentenund Wissenschaftleraustausch; Herr Hagemann hat das
schon angesprochen. Die beiden maßgeblichen Akteure,
die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und der Deutsche
Akademische Austauschdienst, erhalten im kommenden
Jahr 131 Millionen Euro. Dieser Betrag wurde in der Bereinigungssitzung um weitere 4,1 Millionen Euro aufgestockt.
({6})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Gohlke?
Ja, bitte.
Danke schön, dass Sie die Zwischenfrage gestatten. Sie haben gerade von der Qualität im Studium gesprochen. Weil noch kein Redner darauf eingegangen ist,
möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Sie setzen die Kosten pro Studienplatz mit 6 500 Euro an. Beim Statistischen Bundesamt sind sie anders berechnet worden,
nämlich mit 7 130 Euro. Aus meiner Sicht ist klar, dass
eine konstante Unterfinanzierung bei jedem Studienplatz
zulasten der Qualität gehen muss. Darauf hätte ich gerne
eine Antwort.
Deswegen haben wir den Qualitätspakt Lehre vereinbart. Darüber hinaus müssen Sie zur Kenntnis nehmen:
Nicht jeder Studienanfänger verlässt später die Hochschule so, wie wir es uns wünschen. Insofern ist unseres
Erachtens zunächst einmal eine Überfinanzierung gegeben,
({0})
weil bei den Ausgaben die Zahl der Studienanfänger zugrunde gelegt wird. Die Mittel werden fortgeschrieben,
ohne dass eine Überprüfung erfolgt, ob eine entsprechende Zahl von Studierenden tatsächlich ihren Abschluss macht. Damit wird auch Geld vom Bund in die
Hochschule gepumpt, ohne dass dies zu seinen originären Aufgaben gehört. Ich denke, damit ist eine gute
Finanzierung gewährleistet. Auch die Länder sind nicht
unzufrieden damit.
({1})
Zurück zur Internationalisierung: Die nochmals gestiegene Nachfrage nach Auslandsstipendien und die überaus
zahlreichen Anmeldungen zum Sofja-Kovalevskaja-Preis
wurden während des Kongresses der CDU/CSU-Fraktion zum Thema Internationalisierung vor wenigen Wochen deutlich. Das zeigt, dass wir eine Aufstockung
brauchten, die auch vorgenommen wurde, wie eben
schon ausgeführt.
Das zeigt aber auch, wie sehr Deutschland als Forschungs- und Wissenschaftsraum gewonnen hat. Nicht
nur Bildung, sondern auch Forschung wird im Einzelplan 30 sichtbar gestärkt. Ich möchte in diesem Zusammenhang die außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Deutschland hervorheben. Wir wissen, dass wir
mit diesen Instituten wahre Leuchttürme haben und was
sie für die Internationalisierung der deutschen Wissenschafts- und Forschungslandschaft leisten.
Gestern - Herr Röspel hat es angesprochen - war eine
Delegation aus Peru zu Besuch. Ich habe die Delegationsgespräche so wahrgenommen, dass unser Knowhow sehr gefragt ist und dass wir mit unserem Know-how
in der Welt auch äußerst sichtbar geworden sind. Das ist
mit eine Folge dieser Institute, der Exzellenzinitiative
und unserer Anstrengungen, diese beiden Dinge sehr
stark zu fördern.
({2})
Der jährliche Aufwuchs der Mittel um 5 Prozent für
diese Wissenschaftsinstitute ist deshalb gut angelegtes
Geld. Mit diesem Aufwuchs senden wir nämlich auch
ein Zeichen dafür, dass wir für Stabilität stehen. Dieses
Zeichen an die Wissenschaftscommunity ist von unschätzbarem Wert; denn andere Länder reduzieren die
Forschungsbudgets, sowohl für den privaten als auch
den staatlichen Bereich.
Eine Änderung in der Bereinigungssitzung möchte
ich hier noch hervorheben: Die Nachfrage nach den Instrumenten zur Verbesserung der Berufsorientierung ab
der 7. Klasse ist höher als erwartet. Das freut uns; denn
diese Nachfrage zeigt, dass mit der Berufseinstiegsbegleitung und der Potenzialanalyse Instrumente geschaffen wurden, die den Bedürfnissen beim Übergang von
der Schule in die berufliche Ausbildung gerecht werden.
Die Aufstockung der dafür vorgesehenen Mittel um
15 Millionen Euro eröffnet vielen Jugendlichen eine
neue Lebensperspektive.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ja, danke. - Diese Anpassung an den Bedarf ist gut
und richtig.
({0})
Der vorliegende Haushalt ist ein hervorragender
Haushalt. Man kann ihn nur unterstützen, und ich bitte
auch um die Unterstützung der Opposition.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30
- Bundesministerium für Bildung und Forschung - in
der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/7835? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Linken und Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/7836? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der beiden
Koalitionsfraktionen und der Grünen gegen die Stimmen
der SPD bei Enthaltung der Linken abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 30 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 30 ist
mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt V sowie Zusatzpunkt 2 auf:
V Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP
Der Mehrjährige Finanzrahmen der EU
2014-2020 - Ein strategischer Rahmen für
nachhaltige und verantwortungsvolle Haushaltspolitik mit europäischem Mehrwert
- Drucksache 17/7767 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Für einen progressiven europäischen Haushalt Der Mehrjährige Finanzrahmen der EU
2014-2020
- Drucksache 17/7808 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen
Joachim Spatz für die FDP-Fraktion das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben hier ein Stück weit eine Neuerung; man
könnte auch sagen: eine historische Neuerung. Erstmals
wird ein Mehrjähriger Finanzrahmen nicht so verhandelt,
dass wir ein Ergebnis, das die Regierungen ausgehandelt
haben, nur mehr oder weniger kritisch begleiten dürfen,
sondern wir als Deutscher Bundestag können, unsere Beteiligungsrechte nutzend, in der Verhandlungsphase unsere Wünsche und Forderungen äußern und der Regierung unseren Rahmen vorgeben.
Auch die SPD hat einen Antrag eingebracht. Mich
wundert aber Folgendes: Der Kollege Sarrazin fordert
immer ein, dass der Bundestag die Rechte, die er hat,
auch wahrnimmt. Jetzt fehlt ausgerechnet von den Grünen - wer bei euch auf der Bremse steht, weiß ich nicht ein entsprechender Antrag. Das ist bedauerlich.
({0})
Europa hat Zukunftsaufgaben zu bewältigen. Wir sind
der Meinung, dass dabei der gültige Rahmen von 1 Prozent des BNE auch in Zukunft eingehalten werden muss.
Das wird zur Folge haben, dass einige Politikfelder neu
bewertet werden müssen. Das betrifft die Landwirtschaft, die Kohäsionspolitik und Binnenfragen, Fragen,
die die europäische Verwaltung betreffen, zum Beispiel
das Beamtenstatut. Das machen wir, um notwendige Zukunftsinvestitionen in Forschung und Technologie sowie
in die Entwicklung transnationaler Netze in den Bereichen Verkehr, Energie und Kommunikations- und Informationstechnologien zu ermöglichen. Alle diese neuen
Schwerpunkte müssen einen klaren europäischen Mehrwert kreieren. Wenn das der Fall ist, können zusätzliche
Mittel dafür bereitgestellt werden, wobei der vorgegebene Rahmen insgesamt eingehalten werden muss.
({1})
Wir lehnen die Forderungen nach Euro-Bonds ab.
Auch in unserem Antrag gibt es ein klares Nein zu dieser
falschen Zielrichtung.
({2})
Ich kann nur bekräftigen, was die Kanzlerin in Richtung
von Herrn Barroso deutlich gemacht hat: dass endlich
Schluss sein muss mit der Forderung nach einem Finanzierungsinstrument, das für uns, aber auch für andere
Länder Europas schlicht und ergreifend nicht infrage
kommt.
Genauso wenden wir uns gegen die Einführung einer
europäischen Steuer, egal ob sie direkt oder indirekt erhoben wird. Wir sind positiv überrascht, dass auch die
SPD in ihrem Antrag schreibt, dass dafür rechtliche und
politische Hürden gesetzt seien und das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht funktioniere. Man hört zwar bei dieser Formulierung das Bedauern heraus - deshalb ist es
schon besser, man setzt in diesem Punkt auf die Koalition -, aber für diesen Mehrjährigen Finanzrahmen, über
den schon im Laufe des nächsten Jahres ganz wesentlich
und im übernächsten Jahr endgültig verhandelt wird, ist
es ein positives Zeichen, dass sich die SPD auch hier ein
Stück weit bewegt hat.
Zum Schluss noch ein Wort zur Finanztransaktionsteuer. Da gibt es die abwegige Überlegung, die Einnahmen aus dieser Steuer in den europäischen Haushalt einzuspeisen. Ich sehe schon unsere Kollegen nach London
fahren und sagen: Leute, die Steuer, die ihr sowieso nicht
wollt, dürft ihr gleich in Brüssel abliefern, und ihr dürft
sie nicht in euren nationalen Haushalt überführen. - Wer
glaubt, dass das realistisch ist,
({3})
den kann ich nur bewundern.
({4})
Ich denke, dass eine europaweite und nicht nur eine
Euro-Zonen-weite Einführung angestrebt werden soll.
Die Einnahmen sollen aber in die nationalen Haushalte
fließen, aus denen dann der jeweilige Anteil am Haushalt der Europäischen Union finanziert wird.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat nun Michael Roth für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werter Herr Spatz, irgendetwas haben wir falsch gemacht. Sie warten sehnsüchtig auf die Anträge der Grünen, Sie loben unseren Antrag, aber Sie schweigen über
Ihren Koalitionspartner. Da schwant mir Schlimmes.
Aber ich nehme es mit Gelassenheit; denn das, was wir
derzeit beim Mehrjährigen Finanzrahmen erleben, überrascht uns nicht. Auch hier ist die Koalition zerstritten.
({0})
Eine klare, einheitliche Position auf diesem wichtigen
europapolitischen Feld - Fehlanzeige.
({1})
Das, was Sie derzeit betreiben, Herr Kollege Spatz,
ähnelt schon sehr der Quadratur des Kreises. In den
Sonntagsreden fordern Sie Sparen, strikte Ausgabendisziplin und die Begrenzung des Haushalts der Europäischen Union auf maximal 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens. Wenn es aber ans Eingemachte geht, wenn
es konkret um Sparen und Haushaltsumschichtungen
geht, bremsen und blockieren Sie. Das passt nicht ganz
zusammen.
Sie sind kategorisch gegen alles. Sie sagen Nein zu
höheren Beitragszahlungen der Mitgliedstaaten. Sie sagen Nein zur Reform der Eigenmittel. Sie sagen Nein zu
Kürzungen und Umschichtungen in wesentlichen Feldern des Haushalts, und Sie sagen Nein zu weitreichenden Reformschritten in der Agrar- und der Kohäsionspolitik.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das passt nicht zusammen. Damit tragen Sie zur Unglaubwürdigkeit Ihres eigenen europapolitischen Handelns bei.
({3})
Wenn wir über den Mehrjährigen Finanzrahmen reden, der auf sieben Jahre angelegt ist, nämlich von 2014
bis 2020, dann kommen wir um die Agrar- und Kohäsionspolitik nicht herum. Das sind insgesamt 70 Prozent
der Ausgaben. Mich überrascht schon, mit welcher Kaltblütigkeit sich Frau Agrarministerin Aigner an die Spitze
der deutschen Agrarindustrie stellt. Denn alles, was bislang an weitreichenden Reformvorschlägen auf den
Tisch gekommen ist, wird von Schwarz-Gelb und der eigenen Agrarministerin kategorisch vom Tisch gefegt.
({4})
Das ist mit uns nicht zu machen.
Aus unserer Sicht ist niemandem in der Europäischen
Union mehr zu erklären, warum die Direktzahlungen in
der Agrarpolitik so unterschiedlich und so ungerecht erfolgen, wie das derzeit der Fall ist. Wir haben auf der einen Seite die Niederländer, die 458 Euro pro Hektar erhalten. Wir haben auf der anderen Seite die Letten, die
gerade einmal 69 Euro pro Hektar an Direktzahlungen
Michael Roth ({5})
erhalten. Das hat mit europäischer Solidarität und Gerechtigkeit nichts zu tun.
({6})
Sie machen Politik nach dem Motto: Wasch‘ mich, aber
mach‘ mich nicht nass. Und das geht nicht. Gerade einmal 3 Milliarden Euro sollen im Bereich der Agrarsubventionen umgeschichtet werden.
({7})
Sie kämpfen für die deutschen Landwirte - das ist
völlig in Ordnung -, aber gleichzeitig sagen Sie, ohne
Einsparungen funktioniere das nicht. Aber wie wollen
Sie denn den mittel- und osteuropäischen Landwirten erklären, dass die Bauern in den überwiegend westeuropäischen Ländern weiterhin viel mehr Geld erhalten als
zum Beispiel der Bauer in Polen oder Lettland?
Die Kohäsionspolitik steht gerade in diesen Krisenzeiten unter einem ganz besonderen Fokus. Die Kohäsionspolitik bleibt für uns wichtig; denn sie ist ein zentrales Instrument, um insbesondere die Zukunftsinvestitionen in
Beschäftigung und Nachhaltigkeit finanziell entsprechend auszustatten. Sie ist gerade auch in einer Zeit wichtig, in der die notleidenden Staaten zu weitreichenden
Sparanstrengungen gezwungen sind. Aber Einsparungen
ohne Wachstum und Investitionen in Beschäftigung sind
nicht zukunftsfähig. Insofern erwarten wir von der Europäischen Union und der Bundesregierung auch hier eine
entsprechende engagierte Unterstützung, damit die Kohäsionspolitik ein wichtiger Schlüssel europäischer Strukturpolitik bleibt.
({8})
Wir könnten uns hier durchaus eine Zusammenführung
von zwei Instrumenten vorstellen, nämlich auf der einen
Seite des Strukturfonds und auf der anderen Seite des
Kohäsionsfonds.
Die neue Prioritätensetzung muss die eigentlich zentrale Botschaft für die Haushaltsentwicklung der Europäischen Union ab 2014 sein.
Wir haben neue Zuständigkeiten gewonnen, auch
durch den Lissabon-Vertrag. Aber diese neuen Zuständigkeiten müssen sich auch im Haushalt widerspiegeln:
bei Energie, Klimawandel, Innovation, aber vor allem
auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Ich
bin mir nicht sicher, ob das, was seitens der Kommission
derzeit an finanziellen Zuwächsen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik vorgesehen ist, ausreicht, um
der gewachsenen Erwartungserhaltung gegenüber der
Europäischen Union in der Außen- und Sicherheitspolitik angemessen Rechnung zu tragen.
Wir unterstützen ebenso, dass man die inhaltliche
Ausrichtung der Finanz- und Haushaltspolitik der Europäischen Union stärker mit den Strategien in Übereinstimmung zu bringen versucht. Da ist die Strategie
„Europa 2020“ von ganz zentraler Bedeutung. Hier muss
ein klarer Beitrag für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung geleistet werden.
Ein großer Skandal in der Europäischen Union ist,
dass es uns nicht gelingt, die Jugendarbeitslosigkeit in
einigen Mitgliedstaaten erfolgreich zu bekämpfen.
({9})
Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von annähernd 50 Prozent in Spanien und über 40 Prozent in Griechenland
dürfen wir uns nicht wundern, wenn die betroffenen jungen Menschen ihre Hoffnungen auf ein solidarisches,
zukunftsgewandtes Europa aufgeben. Im Haushalt der
Europäischen Union muss sich widerspiegeln, dass nicht
allein die Mitgliedstaaten, sondern auch die Europäische
Union etwas gegen die Massenarbeitslosigkeit der jungen Generation tut. Hierzu erwarten wir klare Beiträge.
({10})
In einem Punkt sind wir mit den Vorschlägen der EUKommission nicht einverstanden. Es kann nicht angehen, dass man versucht, über Schattenhaushalte das, wofür man keine Mittel in den regulären Haushalt einstellen
kann, zu finanzieren. Es gibt inzwischen einen Europäischen Entwicklungsfonds, einen Nothilfefonds, einen
Globalisierungsfonds, einen Solidaritätsfonds und Reserven für die Bewältigung von Krisen im Agrarsektor. Insgesamt handelt es sich um ein Budget von knapp 60 Milliarden Euro. Das alles muss aus unserer Sicht - wenn
man sich denn ehrlich machen will - in den regulären
Haushalt überführt werden. Das ist für uns aus zweierlei
Gründen wichtig: Zum einen leistet das einen Beitrag für
mehr Transparenz. Zum anderen sorgt das für die notwendige demokratische Legitimation; denn nur über den
regulären Haushalt ist gesichert, dass das Europäische
Parlament seine gewachsenen Rechte im Bereich des
Haushaltsverfahrens wahrnehmen kann. Für uns ist mehr
Geld für die Europäische Union nur akzeptabel, wenn
das Europäische Parlament angemessen beteiligt wird,
wie es der Vertrag von Lissabon vorsieht.
({11})
Herr Kollege Spatz, Sie haben den Britenrabatt angesprochen. Hier sollten wir der Wahrheit ins Auge blicken: Diesen Rabatt haben diejenigen zu verantworten,
die das vor vielen Jahren ausgehandelt haben. Wie Sie
wissen, handelt es sich um einen Eigenmittelbeschluss,
der der Einstimmigkeit unterliegt. Das heißt, eine Abschaffung oder eine Abmilderung des Britenrabatts ist
ohne die Zustimmung der Briten gar nicht realisierbar.
Das können wir zwar fordern. Aber ich gehe nicht davon
aus, dass sich die Briten hier bewegen werden.
Der Mehrjährige Finanzrahmen ist - das ist ein großer
Schritt nach vorne und eine wesentliche Errungenschaft
des Vertrags von Lissabon - nicht mehr allein Angelegenheit der nationalen Regierungen. Vielmehr spielt
auch hier das Europäische Parlament eine zentrale Rolle.
Ohne Zustimmung des Europäischen Parlaments kann
der Mehrjährige Finanzrahmen nicht in Kraft treten. Wir
hoffen seitens der SPD-Fraktion, dass diese größere demokratische Legitimation zu besseren Ergebnissen führt.
Dabei sind wir uns allerdings noch nicht ganz sicher.
Ich will über einen anderen Punkt offen sprechen, bei
dem die Fraktionen weit auseinanderliegen; das ist auch
Michael Roth ({12})
in Ihrem Redebeitrag, Herr Spatz, deutlich geworden.
Wenn wir uns vor Augen halten, dass der Mehrjährige
Finanzrahmen bis 2020 Gültigkeit besitzt, fände ich es
verantwortungslos, wenn wir uns einer grundlegenden
Reform des Eigenmittelregimes verweigern würden. Ich
glaube, dass wir das derzeitige Eigenmittelregime nicht
werden durchhalten können. Es ist nicht zukunftsfähig
und führt zu Ungerechtigkeiten. Ich hoffe, dass es hier
noch Bewegung gibt.
Sie werden uns weiterhin an Ihrer Seite haben, wenn
es um die Einführung einer Finanztransaktionsteuer
geht. Wir kämpfen selbstverständlich für eine Finanztransaktionsteuer. Uns als SPD-Fraktion ist aber genauso
klar: Wenn wir eine solche Steuer nicht EU-weit einführen können, dann müssen wir sie in der Euro-Zone
durchsetzen. Wenn das auch in der Euro-Zone nicht
durchgesetzt werden kann, dann müssen eben Deutschland, Frankreich, die Beneluxstaaten, Österreich und andere Staaten voranschreiten; denn es müssen endlich
auch die Verursacher der Krise an der Finanzierung der
Bewältigung der Krise beteiligt werden. Das geht nur
mit einer Finanztransaktionsteuer.
({13})
Die Probleme der derzeitigen Verhandlungen über
den Mehrjährigen Finanzrahmen liegen - Sie haben völlig recht, dass im Jahr 2012 nicht über alles entschieden
wird; ich befürchte, dass es erst Ende 2013 ans Eingemachte geht - nicht alleine in Brüssel, sondern auch hier
in Berlin. Wer sonntags mehr Europa einfordert, aber
dann von montags bis freitags einfordert, dass weniger
Geld nach Brüssel gezahlt werden soll, macht sich unglaubwürdig.
({14})
Wer Kürzungen fordert, aber gleichzeitig die Koalition
der Sparunwilligen in Brüssel anführt, der trägt nicht
dazu bei, dass das Vertrauen in die Europäische Union
wächst. Das sollte aber eigentlich im gemeinsamen Interesse aller Bundestagsfraktionen liegen. Hier wünschen
wir uns von Ihnen mehr Engagement und mehr Drive.
Vielen herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat nun Bettina Kudla für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Um was geht es heute in der Debatte? Es
geht um einen Betrag von über 1 000 Milliarden Euro.
Diesen Betrag will die EU in den Jahren 2014 bis 2020
ausgeben. Die Regierungsfraktionen haben dazu für
heute einen Antrag vorgelegt, übrigens, Herr Roth, einen
Antrag mit ganz konkreten Punkten. Wir haben in unserem Antrag nicht bloß, wie die SPD, Überschriften gesetzt wie „Einnahmeseite“ und „Ausgabenseite“; wir haben unseren Antrag ganz exakt inhaltlich gefüllt und
dargestellt, wie wir uns die Zukunft des Mehrjährigen
Finanzrahmens vorstellen; denn der Finanzrahmen setzt
die Schwerpunkte der Ausgaben für immerhin sieben
Jahre fest. Das ist ganz entscheidend für die nachhaltige
Entwicklung innerhalb der Europäischen Union.
Sie haben erwähnt: Die Kommission hat die Vorschläge vorgelegt. - Aber die Vorschläge finden teilweise
nicht unsere Zustimmung. Man muss hier die Realität sehen und berücksichtigen, vor welchem Hintergrund die
Vorschläge gemacht werden.
Das Budget wird vor dem Hintergrund der größten
Staatsschuldenkrise weltweit und in Europa aufgestellt.
Deswegen ist es selbstverständlich, dass wir Ausgaben
deckeln müssen und dass wir nicht einfach mehr ausgeben können.
({0})
Gleichwohl müssen auch neue Aufgaben finanziell untersetzt werden; das ist selbstverständlich. Deswegen
müssen vernünftige Umschichtungen innerhalb des Etats
vorgenommen werden.
({1})
Diese Umschichtungen haben auch ihre Logik im Hinblick auf die Fortentwicklung der Europäischen Union
und im Hinblick auf die Integration der Mitgliedstaaten.
Herr Roth, es hat mich gefreut, dass Sie das Thema
Transparenz angesprochen haben. Auch das findet sich
in unserem Antrag. Wir fordern mehr Nachweise über
den Einsatz der Mittel. Hier ist die Informationspolitik
der EU noch etwas unbefriedigend. Das muss sich verbessern.
Zu den Instrumenten der EU ist zu sagen: Viele Instrumente haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten bewährt. Es besteht keine Veranlassung, bewährte Instrumente um der Reform willen abzuschaffen.
Ich möchte auf einige Schwerpunkte der Ausgabenbereiche eingehen:
Die Agrarpolitik ist im Hinblick auf den Anstieg der
Weltbevölkerung und den erhöhten Nahrungsmittelbedarf selbstverständlich der größte Ausgabenposten. Hier
setzen wir uns für eine starke erste Säule und eine finanziell ausreichend untersetzte zweite Säule ein.
({2})
Wir lehnen Vorschläge ab, die eine Deckelung für Großbetriebe vorsehen.
({3})
Wir wollen nicht mehr Bürokratie durch irgendwelche
komplizierten Konstruktionen,
({4})
bei denen man entsprechende Lohnsummen abziehen
muss, damit man eine Förderung bekommt. Das lehnen
wir ab.
({5})
- Wir wollen sehr viel ändern. - Das haben Sie zum Beispiel gar nicht erwähnt: Wir wollen Übergänge maßvoll
gestalten. Die Gestaltung der Übergänge ist deswegen so
wichtig, damit durch die EU-Mittel eine wirklich nachhaltige Entwicklung eintritt. Es kann nicht sein, dass sich
Förderregionen, die in den letzten Jahren gerade über die
Schwelle von 75 Prozent des durchschnittlichen BIP gerutscht sind, durch einen abrupten Abbruch der Förderung rückwärts entwickeln und dann unter dieser Grenze
liegen. In dem Fall würden Fördermittel nicht sinnvoll
eingesetzt, und den Kommunen würden plötzlich erhebliche Mittel fehlen. Deshalb treten wir für ein Sicherheitsnetz von zwei Dritteln der Förderung ein. Das ist
besonders für die neuen Bundesländer wichtig, muss
aber unter der Maßgabe erfolgen, dass die Ausreichung
der Mittel degressiv gestaltet wird.
Neue Förderregionen lehnen wir ab. Das würde Förderung nach dem Gießkannenprinzip bedeuten und hat
zu wenig Mehrwert.
({6})
Angesichts des hohen Betrags der nicht ausgeschöpften Mittel innerhalb des EU-Budgets wollen wir mehr
Anreize dafür schaffen, dass die Mittel planmäßig und
zügig abgerufen werden. Hier erwarten wir von der
Kommission Vorschläge, wie in Zukunft verfahren werden soll. Gleichzeitig erwarten wir Vorschläge, wie mit
der sogenannten Bugwelle dieser Mittel umgegangen
werden soll.
Wir möchten, dass die Zukunftsbereiche innerhalb
des MFR gestärkt werden. Das muss bedeuten: Vorfahrt
für Investitionen vor konsumtiven Ausgaben. Wir wollen die Forschungsprogramme stärken. Wir wollen insbesondere die Infrastruktur verbessern. Hier werden im
Bereich der Verkehrsnetze, der Telekommunikation und
der Energienetze in den nächsten Jahren erhebliche Investitionen erforderlich sein. Deshalb sprechen wir uns
dafür aus, Modelle zu finden, bei denen privates Kapital
für öffentliche Investitionen mobilisiert werden kann.
Das führt teilweise zu einem doppelten Mehrwert: Investitionen werden schneller durchgeführt, und der private
Investor hat dann unter Umständen ein besonderes Interesse an der entsprechenden Region. Das bedeutet, zusätzliche private Investitionen werden in die Region gezogen.
Aber wir sind auch für Transparenz. Wir wollen, dass
diese Projekte im Haushalt entsprechend abgebildet werden.
Um all diesen Ausgabenerfordernissen gerecht zu
werden, brauchen wir ein vernünftiges, stabiles und
planbares Einnahmesystem. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass sich das bisherige Einnahmesystem, das an
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen
Staaten ausgerichtet ist, bewährt hat.
({7})
Wir sprechen uns nicht für ein eigenes Steuererhebungsrecht der EU aus, und zwar aus mehreren Gründen.
Die Akzeptanz der Europäischen Union wird nicht besser, wenn wir die Bürger mit neuen Steuern belasten.
({8})
Um mehr Akzeptanz zu erreichen, müssen wir Europa
besser vermitteln, und wir müssen die Bürger mitnehmen. Zusätzliche Belastungen sind da keine Lösung.
({9})
Ein eigenes Einnahmerecht der Europäischen Union
würde auch das Risiko beinhalten, dass die EU eigene
Schulden aufnimmt. Es wird ja viel über Fehler bei der
Konstruktion der EU diskutiert. Aber es wurde auch sehr
viel richtig gemacht. Richtig war zum Beispiel, dass die
EU keine eigenen Schulden aufnehmen darf. Dieses
Risiko würde aber bei einem eigenen Steuererhebungsrecht entstehen.
({10})
Wir treten ferner dafür ein - Herr Spatz hat es bereits
erwähnt -, dass die Finanztransaktionsteuer in den nationalen Haushalten vereinnahmt wird. Schließlich haben
die nationalen Haushalte auch enorme Summen für Konjunkturpakete ausgegeben.
({11})
Wir setzen uns ferner dafür ein, dass man einen vernünftigen Korrekturmechanismus, ein vernünftiges Rabattsystem installiert. Unsere Nettozahlerposition darf
sich nicht verschlechtern. Ich wundere mich schon, wie
leichtfertig die SPD in ihrem Antrag Positionen, die im
Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger sind, einfach
aufgibt.
Zusammenfassend darf ich sagen: Mit dem Antrag
fordern die CDU/CSU und die FDP die Bundesregierung
auf, klare Eckpunkte in die Verhandlungen um den MFR
einzubringen.
Ich möchte schließen mit einem Dank an den Außenminister, an den zuständigen Staatssekretär Dr. Hoyer
und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Auswärtigen Amt sowie im BMF, da ich weiß, dass hier intensiv
am MFR gearbeitet wird.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Diether Dehm für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das eigentliche Problem ist doch: Deutscher Markt-Extremismus - ({0})
- Das fänden Sie schön: „Marx-Extremismus“. Nein!
Deutscher Markt-Extremismus
({1})
prägt auch den Mehrjährigen Finanzrahmen. Herr
Kauder triumphierte unlängst: In Europa spricht man
jetzt wieder Deutsch. - Hat der Mann Fingerspitzengefühl?
({2})
Am deutschen Lohndumpingwesen soll wohl Europa genesen. Aber auf den Straßen skandieren die Menschen
Griechisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und - wie
heute beim Generalstreik in Portugal - Portugiesisch.
Und das ist auch gut so.
({3})
Die Unterordnung demokratischer Souveränität und
Sozialstaatlichkeit unter die Rettungsprogramme für
Großspekulanten und Finanzhaie durchzieht den Koalitionsantrag. Die Deckelung der Ausgaben auf 1 Prozent
des Bruttonationaleinkommens wird als Ausdruck der
Stabilität gepriesen. Was die Deckelung aber tatsächlich
bedeutet, kann man bereits bei der Einigung auf den EUHaushalt 2012 sehen. Dieser wird um 1,86 Prozent
wachsen. Bei einer allgemein prognostizierten Inflationsrate von 2 Prozent haben wir es also de facto mit einer Schrumpfung zu tun - und das, obwohl Griechenland, Spanien, Italien nichts so dringend brauchen wie
frisches Geld in der Realwirtschaft.
({4})
Auch die geforderte Integration der bestehenden
Schattenhaushalte bedeutet, dass an anderen Stellen gekürzt werden muss. Konkret reden wir hier von einem
Volumen von 58 Milliarden Euro. Die wichtige Frage ist
dann: Wo soll gekürzt werden?
Berechnungen aus Bundesministerien besagen, dass
bei der Integration der außerhalb des Agrarbudgets stehenden Finanzierungselemente die tatsächlichen Ausgaben für die Gemeinsame Agrarpolitik bis 2020 nicht auf
ein Drittel des gesamten EU-Budgets sinken, im Gegenteil: Sie werden noch um 10 Prozent über den bisherigen
Ausgaben liegen. Aber das kommt eben nicht regionalen
Kreisläufen zugute, sondern Großagrariern.
({5})
Die finanzielle Ausstattung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, GASP, verbinden Sie ausdrücklich mit dem Anspruch auf eine bessere militärische Handlungsfähigkeit. Also, hier soll nicht gespart
werden. Sie wollen die Militarisierung der EU,
({6})
wir Linken wollen mehr Geld für friedliche Konfliktlösung.
({7})
Dann soll zugunsten des Forschungsatomreaktors
ITER bei anderen Forschungsprojekten gespart werden,
obwohl ITER frühestens 2050 Strom produziert - wenn
überhaupt. Obwohl auch ITER radioaktiven Müll bringt.
Toller Atomausstieg!
Sollten wir nicht statt ITER noch konsequenter erneuerbare Energien fördern?
Generell steht bei europäischen Forschungsprojekten
als Vergabekriterium im Bereich Forschung ausdrücklich die Marktrelevanz im Vordergrund. Wann begreifen
Sie endlich, dass Marktrelevanz und gesellschaftlicher
Nutzen zwei völlig getrennte Dinge sind?
({8})
Unter Punkt 17 Ihres Antrags propagieren Sie öffentlich-private Partnerschaftsmodelle für die Finanzierung
von Infrastrukturprojekten. Haben Sie noch nie etwas
von einer Stadt namens Berlin gehört? Deren Wasserpreise sind jetzt vom Bundeskartellamt ins Visier genommen worden.
({9})
Auch Teilprivatisierung ist ein Brandbeschleuniger für
Preise.
({10})
Zum Sparen bleibt dann also nur noch die Kohäsionspolitik,
({11})
der EU-Haushaltsbereich, der auf die Lebenswirklichkeit und die Realinvestitionen in wirtschaftlich darniederliegenden Regionen die unmittelbarsten Auswirkungen hat. Indem Kohäsionspolitik nun aber konditioniert
wird und in relevanten Teilen auf revolvierende Fonds
- also Fonds, deren Ressourcen aus damit finanzierten
Projekten aufgefüllt werden - umgestellt werden soll,
wird erneut offenkundig, dass das Soziale bei Ihnen auf
entwürdigendste Weise dem Wettbewerb untergepflügt
wird.
Konkret sagt die EU-Kommission über den Europäischen Sozialfonds - ich zitiere -: Er ist
das Hauptfinanzinstrument der Europäischen Union
für die Investition in Menschen. Er verbessert die
Beschäftigungsmöglichkeiten europäischer Bürger,
fördert eine bessere Bildung und verbessert die
Lage der am stärksten armutsgefährdeten Menschen.
Wer aber Armutsbekämpfung rentabel und selbstfinanzierend machen will, der handelt menschenverachtend.
({12})
Wer dabei die superreichen Reeder in Griechenland
und die Ackermänner in Deutschland steuerlich schont,
zerstört den Euro und die europäische Integration. Ihr
Dogma vom hemmungslosen Wettbewerb ist und bleibt
antieuropäisch.
({13})
Das Wort hat nun Viola von Cramon-Taubadel von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Link hat bereits gestern in den Haushaltsberatungen nach dem
„Wunschkonzert der Grünen“ gefragt. Kollege Spatz hat
heute noch einmal darauf hingewiesen, dass Sie sich
sehr darauf freuen. Da die Vorfreude die schönste Freude
ist, müssen Sie sich leider noch etwas gedulden. Es gibt
einen grünen Antrag, aber noch nicht heute.
({0})
Nun zur Sache: Europa und Finanzen - das ist im Moment kein leichtes Thema. Damit lässt sich weder in
Berlin noch in anderen Hauptstädten derzeit ein Blumentopf gewinnen. Und dabei ist - angesichts der immensen
Herausforderungen, die vor uns liegen - ein klug aufgestellter EU-Haushalt mit ausreichend Manövriermasse
besonders wichtig, um diese Krise zu bewältigen und um
langfristig eine stabile EU-Politik zu gewährleisten.
({1})
Damit komme ich zum ersten Punkt: der Einnahmeseite. Wer die EU zukunftssicher aufstellen will, wer
grüne Arbeitsplätze schaffen will, wer die EU weiterhin
als Global Player sehen möchte und vor allem wer mit
dem europäischen Mehrwert arbeiten möchte, sollte
nicht unter der Höhe des aktuellen Finanzrahmens
- nämlich 1,12 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU bleiben.
({2})
Denn während früher noch - das ist noch gar nicht so
lange her - die Töpfe der EU vor allem durch Zölle und
Agrarabschöpfungen gefüllt wurden, existieren diese
Quellen nicht mehr. Was früher einmal - wie die besagten 1,12 Prozent des BNE - als residual, also als ergänzende Finanzierung, gedacht war, macht mittlerweile
fast das vollständige Fundament des EU-Haushalts aus.
({3})
Wenn wir dieses Fundament noch beschneiden, ist die
EU nicht mehr handlungsfähig. Das wollen wir nicht.
({4})
Außerdem darf man nicht vergessen - was auch Sie
und die Bundesregierung ebenso wie viele andere Mitgliedstaaten nicht sagen -, dass Kosten auf den EUHaushalt abgewälzt wurden. Das Europäische Parlament, dessen Kosten früher aus dem Haushalt der nationalen Parlamente bestritten wurden, wird jetzt vollständig über den EU-Haushalt finanziert,
({5})
und dadurch haben wir dort netto höhere Kosten. Das ist
einfach so. Der EU-Haushalt wurde in dem Zeitraum
aber nicht erhöht.
Es gibt sicherlich Möglichkeiten, die Synergien, also
den europäischen Mehrwert, zu nutzen. Darüber haben
wir häufig gesprochen. Obwohl es eine EU-Delegation
gibt, obwohl es einen Europäischen Auswärtigen Dienst
gibt, gibt es nach wie vor in jedem Land 27 Botschaften,
27 nationale Vertretungen. Das ist auf Dauer nicht zu
halten. Hier müssen wir mit unserem Auswärtigen Amt
umdenken. Wir müssen uns bewegen und sagen: An dieser Stelle können wir Kräfte bündeln, an jener Stelle
können wir sparen; hier wollen wir zusammenfassen.
Das Gleiche gilt für die EU-Finanzaufsicht. Wir haben zurzeit drei Behörden. Die können zusammenarbeiten, die können kooperieren. Wir können diese Kräfte
bündeln, indem wir von der nationalen Ebene Kräfte zurückziehen und das auf die EU-Ebene übertragen. Dadurch können wir an dieser Stelle sicherlich Kosten sparen; das liegt in unser aller Interesse.
({6})
Der zweite Punkt - wir haben das häufig angesprochen -: das ungerechte und vollkommen undurchsichtige
Rabattsystem. Es ist kein Geheimnis, dass auch Deutschland in großem Maße davon profitiert. Niemand versteht
es. Daher ist unsere Forderung: Setzen Sie sich endlich
für einen transparenten und fairen Haushalt ein, den
nicht nur wir Politikerinnen und Politiker, sondern auch
jede Bürgerin und jeder Bürger in der Europäischen
Union irgendwann einmal nachvollziehen kann.
({7})
Der dritte Punkt, der immer wieder unter den Tisch
fällt: die Frage der Nettozahlerposition in der EU. Wir
haben gelernt, dass man damit an Stammtischen sehr gut
Politik machen kann. Fakt ist allerdings, dass sich die
Nettozahlerposition in den letzten 10 bis 15 Jahren deutlich zugunsten Deutschlands verändert hat: Während wir
1994 noch knapp 11,3 Milliarden Euro netto eingezahlt
haben, zahlen wir jetzt nur noch gut 8 Milliarden Euro
ein. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Das wird aber
nicht erwähnt, weil es schicker und angenehmer ist, mit
der Nettozahlerposition zu kokettieren und zu sagen,
dass wir in Europa die größte Leistung erbringen. Das ist
allerdings nicht mehr so.
({8})
Der vierte Punkt. Ich glaube, Frau Kudla hat da noch
nicht so ganz verstanden, worum es eigentlich geht. Natürlich benötigen wir eine finanzielle Autonomie der
EU; natürlich benötigen wir eigene EU-Steuern. Die Logik, dass eigene EU-Steuern gleich zu mehr Schulden
oder überhaupt zu Schulden im Haushalt führen sollen,
hat sich mir aber nicht erschlossen.
({9})
Wir wollen selbstverständlich eine Finanzmarkttransaktionsteuer, und wir wollen eine Mindestenergiesteuer.
Das schafft mehr Klarheit, das schafft Identität für
Europa.
({10})
Damit können wir wichtige Klima- und Entwicklungsprojekte finanzieren.
Was die Ausgabenseite des EU-Haushalts betrifft: Für
uns Grüne ist natürlich klar: Wenn wir umsteuern wollen, dann müssen wir nicht nur mit der deutschen Wirtschaft umsteuern, sondern im großen Stil. Dazu brauchen wir auf EU-Ebene einen Green New Deal.
({11})
Dieser Umbau zu einem nachhaltigen und integrativen
Europa - EU 2020 - muss sich wie ein grüner Faden
durch den gesamten Haushalt ziehen: Angefangen von
der Agrarpolitik über die Struktur- und Kohäsionspolitik
wollen wir reformieren. Geld darf es nur noch für jene
geben, die beim umweltpolitischen Umbau mitmachen
wollen, nicht für jene, die unsere Lebensgrundlagen, unsere Ressourcen verschwenden oder sogar vernichten.
({12})
Für uns bedeutet das: nicht in alte Wachstumsideale,
nicht in Beton investieren. Wir wollen Köpfe und Knowhow sowie bildungs- und sozialpolitische Teilhabe fördern. Das ist die Zukunft der EU.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
({0})
Der innenpolitische Haushalt macht uns große Sorgen. Wir befürchten, dass es hier wieder vorwiegend um
Flüchtlingsabwehr und Grenzsicherung geht. Sorgen Sie
dafür, dass es um den Schutz und die Integration von
Flüchtlingen und besonders Schutzbedürftigen geht. Das
ist uns ein besonderes Anliegen, damit die Menschenrechte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern am Ende
auch umgesetzt werden.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Thomas Silberhorn für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn unsere geneigten Zuhörerinnen und Zuhörer vernehmen, was die Vertreter der Opposition heute verkünden, dann wird ihnen, glaube ich, deutlich: Wir können
froh sein, dass die Union und die FDP regieren.
({0})
Sie predigen hier Ausgabenorgien - 1,12 Prozent des
Bruttonationaleinkommens -; Sie fordern neue Einnahmequellen der Europäischen Union. Für Euro-Bonds
und die Vergemeinschaftung der Schulden sind Sie sowieso. Sagen Sie: Auf welchem Planeten leben Sie eigentlich? Haben Sie noch nicht gemerkt, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union ernsthaft bemüht
sind, ihre Haushalte zu konsolidieren und gravierende
Strukturreformen zu unternehmen?
({1})
Die Europäische Union muss selbstverständlich ebenfalls auf diesen Sparkurs getrimmt werden.
({2})
Die Kommission schlägt vor, eine Ausgabenobergrenze von 1,05 Prozent des Bruttonationaleinkommens
festzulegen. Sie verschweigt dabei, dass sie weitere
58 Milliarden Euro in Schattenhaushalten vergraben hat.
Deshalb ist unsere erste Forderung: Schluss mit solchen
Tricksereien! Wir fordern Wahrheit und Klarheit im
Haushalt.
({3})
Alle Ausgaben müssen transparent im EU-Haushalt offengelegt werden. Sagen wir es deshalb deutlich: Der Vorschlag der Kommission sieht Ausgaben von 1,11 Prozent
des Bruttonationaleinkommens vor; das übersteigt die
jetzige Obergrenze von 1 Prozent. Das macht einen Unterschied: 1 083 Milliarden Euro gegenüber 971 Milliarden Euro. Das ist eine Differenz von 112 Milliarden
Euro in 7 Jahren. Wenn Sie das durch sieben teilen und
einen deutschen Anteil von einem Viertel nehmen, kommen Sie auf eine Differenz, die für Deutschland jedes
Jahr etwa 4 Milliarden Euro ausmacht. Wir reden hier
nicht über Kleinigkeiten. Deswegen ist es richtig, dass
wir als Koalition daran festhalten: Die Ausgabenobergrenze liegt bei 1,0 Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Sarrazin?
Ich würde das gerne im Zusammenhang ausführen.
Wenn Sie sich nachher noch einmal melden, dann vielleicht.
({0})
Meine Damen und Herren, der Haushalt der Europäischen Union wird nicht kleiner, wenn wir die Ausgabenobergrenze auf 1,0 Prozent begrenzen. Der Ausgabenzuwachs der Europäischen Union liegt darin begründet,
dass das Bruttonationaleinkommen der Bezugsrahmen
ist. Wenn es also eine wirtschaftliche Entwicklung gibt,
steigt der Haushalt der Europäischen Union nominal. Wir
haben einen automatischen Inflationsausgleich im europäischen Haushalt - etwas, was wir im Bundeshaushalt
nicht haben und was andere Mitgliedstaaten überhaupt
nicht kennen.
({1})
Das muss natürlich Berücksichtigung finden, wenn wir
über die Ausgabenobergrenze reden.
({2})
Die Kommission - das muss nicht überraschen - wird
nicht müde, wieder und wieder eigene Einnahmequellen
bzw. neue Steuern der Europäischen Union vorzuschlagen.
({3})
Auch wir sind für eine Finanztransaktionsteuer - oder
sagen wir besser: Finanzaktivitätsteuer.
({4})
Das Steueraufkommen muss aber bei den Mitgliedstaaten liegen. Wir haben eine Mehrwertsteuerquelle. Es ist
aber richtig, dass die Beiträge aus der Mehrwertsteuer
von den Mitgliedstaaten an die Europäische Union überwiesen werden und diese nicht ein eigenes Steuererhebungsrecht erhält. Es ist doch klar, was passieren wird,
wenn man der Europäischen Union ein Steuererhebungsrecht gibt. Auf europäischer Ebene werden sich alle einig sein, dass man mehr Geld einnehmen muss.
({5})
Niemand wird darüber nachdenken, wie man Ausgaben
sparen kann, sondern man wird schlichtweg beschließen,
wie man Einnahmen hereinholt. Der Weg von Brüssel in
die Hauptstädte ist manchmal schon lang, aber der Weg
von Brüssel zum Bürger ist noch viel länger. Deswegen
halten wir daran fest: Die Steuererhebungskompetenz
muss bei den Mitgliedstaaten liegen. Wir wollen keine
Selbstbedienung der Europäischen Union mit eigenen
Steuern.
({6})
Dass der Weg von eigenen Steuern in die Verschuldung
nicht weit wäre,
({7})
Frau Vorrednerin, ist doch völlig klar. Man hat schon
über den Euro-Rettungsschirm die Möglichkeit eröffnet,
Schuldscheine zu begeben.
Der große Vorteil der Finanzierung der Europäischen
Union besteht darin, dass aufgrund der Beitragsfinanzierung auf europäischer Ebene keine Schulden gemacht
werden können. Wenn Sie jetzt auf der Einnahmeseite
ein Fass aufmachen, ist man natürlich nicht weit davon
entfernt, Kredite aufzunehmen bzw. sich zu verschulden.
({8})
Das wäre das völlig falsche Signal. Wir sind doch gerade
in allen Mitgliedstaaten auf dem Weg, die Haushalte zu
konsolidieren und die Schulden abzubauen. Sie aber
wollen mit neuen Steuern und Schulden in der Europäischen Union ein neues Fass aufmachen. Das ist ganz sicher nicht der richtige Weg.
({9})
Der Koalitionsvertrag sieht zwei Punkte vor, die wir
erstmals in einen Zusammenhang mit dem Mehrjährigen
Finanzrahmen stellen. Dabei geht es um die Agenturen
und vielfältigen sonstigen Verwaltungsstellen der Europäischen Union,
({10})
und es handelt sich um die Bediensteten der Europäischen Union.
In diesem Hohen Hause haben wir immer wieder in
vielen Ausschüssen gegenüber Vertretern der Kommission und vielen anderen deutlich gemacht: Wir möchten,
dass die europäische Verwaltung nicht ausufert, mäandriert und viele neue Satelliteneinrichtungen schafft, sondern wir legen Wert auf eine integrierte Verwaltung.
Deswegen muss jede Stelle, die in der Europäischen
Union Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, einer Erfolgsbzw. Zielkontrolle unterliegen.
({11})
Wir wollen Zielvereinbarungen für jede dieser Agenturen und sonstigen Einrichtungen, und wir wollen, dass
vereinbart wird, mit welchen Haushaltsmitteln und welchem Personal welche Ergebnisse erzielt werden. Weiter
wollen wir auch, dass alle diese Einrichtungen unter der
Aufsicht eines politischen Organs bzw. eines Kommissars stehen und sich nicht verselbständigen.
({12})
Deswegen ist es, glaube ich, richtig und ein wichtiges Signal, dass wir diese Verwaltungspraxis der Europäischen
Union in einen direkten Zusammenhang mit der Finanzierung derselben stellen. Deswegen finden sich unsere
Aussagen zu Agenturen und Verwaltungsstellen in diesem Antrag zum Mehrjährigen Finanzrahmen.
Gleiches gilt für die Bediensteten der Europäischen
Union. Ich bin weit davon entfernt, Beamten-Bashing zu
betreiben. Sie werden von mir keine Äußerung finden,
dass ich jemals von Eurokraten gesprochen hätte. Ich
glaube, dass wir in der Europäischen Union sehr qualifizierte Beamte und sonstige Bedienstete haben. Wir brauchen sie auch. Sie müssen wettbewerbsfähig sein und attraktiv besoldet werden; das ist gar keine Frage. Aber
was sich in den letzten Jahren an Vorzugsbehandlungen
angesammelt hat,
({13})
was weit von der Praxis in den Mitgliedstaaten entfernt
ist, können wir auf Dauer nicht hinnehmen.
({14})
Eine wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden, Überstundenausgleich selbst in Leitungsfunktionen - wo in
Europa gibt es denn so etwas? Sonderurlaub wird noch
nach Eisenbahnfahrzeiten berechnet
({15})
und bis zu sechs Tagen pauschal erstattet, auch in das
Heimatland des Partners. Selbst wenn der Sonderurlaub
überhaupt nicht angetreten wird, werden die Kosten erstattet. Ohne Beamten-Bashing zu betreiben: Diese Auswüchse muss man klar benennen.
({16})
Ich erwarte das klare Signal, dass es so nicht weitergehen kann. Die Bediensteten der Europäischen Union
müssen sich an den Standards, die in den nationalen Verwaltungen gelten, orientieren. Deswegen ist es richtig,
dass wir auch diese Forderung in einen Zusammenhang
mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen stellen.
Das Gleiche gilt für die jährlichen Gehaltsanpassungen. Die Europäische Union gewährt einen nahezu automatischen Inflationsausgleich. Wir müssen dafür sorgen,
dass die Gehaltsanpassungen die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten realistisch wiedergeben.
Auch ein politischer Ermessensspielraum muss zugelassen werden.
Gestatten Sie mir ein letztes Wort zu den Euro-Bonds.
Wir werden uns hier mit der Opposition nicht einig werden.
({17})
Wenn Sie mir noch eine Bemerkung gestatten, Frau Präsidentin: Wir hatten als Folge der Währungsunion eine
Zinskonvergenz, die Ursache dafür war, dass die Haushaltsdisziplin nachgelassen hat. Jetzt haben wir wieder
angemessene Zinssätze in den einzelnen Mitgliedstaaten
der Europäischen Union, die dazu führen werden, dass
die notwendige Haushaltsdisziplin aufgebracht wird.
Wenn Sie Euro-Bonds einführen und die Zinsen vergemeinschaften, dann nehmen Sie jeglichen Anreiz zur
Einhaltung der Haushaltsdisziplin. Das ist das völlig falsche Signal.
({18})
Deswegen sprechen wir uns in unserem Antrag ausdrücklich gegen Euro-Bonds aus.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({19})
Das Wort hat der Kollege Michael Link für die FPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am Schluss dieser Debatte möchte ich noch einmal da17154
Michael Link ({0})
rauf eingehen, worum es heute eigentlich geht; denn das
ist extrem wichtig.
Dass wir in der Haushaltswoche überhaupt über dieses Thema beraten, ist ein Novum. Wir tun dies auch
deshalb, weil uns das Bundesverfassungsgericht in letzter Zeit immer wieder daran erinnert hat, dass alle Haushaltsfragen frühzeitig im Parlament behandelt werden
müssen.
Dass wir es als Koalitionsfraktionen geschafft haben,
wirklich über alle Arbeitsgruppen hinweg - Agrarpolitik, Struktur- und Kohäsionspolitik, Forschung, Verkehr,
aber natürlich auch Sicherheit und Verteidigung - einen
Antrag vorzulegen, der in seinen Auswirkungen für
diese sieben Jahre hochkomplex ist, ist sehr wichtig. Wir
sind auf die Ausschussberatungen gespannt.
Wir möchten das natürlich im Laufe der Verhandlungen über den MFR im nächsten Jahr wiederholen; denn
je mehr die Verhandlungen über den MFR Fahrt aufnehmen, desto eher muss der Bundestag erneut Stellung beziehen, um der Bundesregierung für die Verhandlungspositionen den Rücken zu stärken. Denn sie muss nicht
nur in Brüssel, sondern auch in anderen Hauptstädten innerhalb der Europäischen Union sagen, wofür der Bundestag steht.
Die Stellungnahme des Bundestages spielt weit über
das übliche Verfahren hinaus eine wichtige Rolle. Wir
bekräftigen darin die klare Absage an EU-Steuern und
Euro-Bonds.
({1})
Das zu bekräftigen, ist gerade in dieser Woche wichtig.
Wieso sind wir so kritisch beim Thema EU-Steuern?
Viele gute und wichtige Argumente sind genannt worden. Kollege Silberhorn, Kollegin Kudla und Kollege
Spatz, ich möchte eines ergänzen: Das insbesondere auf
das Bruttonationaleinkommen gestützte System hat den
Vorteil, dass es sichere, völkerrechtlich klare und planbare Mittel für die EU gewährleistet. Keine Steuer kann
eine solche Sicherheit in der Planung schaffen.
Das BNE-System ermöglicht eine gerechte Verteilung
nach volkswirtschaftlichen Kriterien. Es bewirkt, dass
die Stärkeren mehr zahlen und die Schwächeren weniger
- das ist, wie ich finde, ein sehr sozialer Aspekt -, und es
verhindert das Problem der Nichtberechenbarkeit von
Steuereinnahmen.
Kollege Link, gestatten Sie eine Frage des Kollegen
Sarrazin?
Das können wir gerne machen. Darauf habe ich schon
gewartet.
Das war jetzt sehr überraschend. - Bitte.
Kollege Link, manchmal ist mehr auch besser. Zumindest hoffen wir das hinsichtlich Ihrer Redezeit bzw.
Ihrer Rede.
Sie wissen, dass wir eine EU-Steuer nicht fordern, um
auf die Steuerbelastungen der Bürger noch eine Extrasteuer draufzusatteln. Sie wissen, dass wir einen Wechsel vornehmen wollen. Wir wollen, dass die Staaten aufgrund dieser Steuer weniger Eigenmittel liefern müssen,
sodass die Belastung für den Bürger gleich bleibt. Das
haben wir uns nicht einfach so ausgedacht, sondern wir
unterstützen diese Position, weil wir sehen, dass die Eigenmittelbasis der Europäischen Union in den letzten
Jahrzehnten rapide kleiner wurde, beispielsweise weil
die Zolleinnahmen durch den Freihandel wegbrechen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung und vor dem
Hintergrund der Tatsache, dass Sie eine europäische
Steuer ablehnen, frage ich Sie: Was schlagen Sie zur
Stärkung der Eigenmittelbasis vor?
({0})
Die Frage beantworte ich sehr gerne.
Wie Sie wissen, steht in unserem Antrag, dass die Eigenmittel im Wesentlichen aus BNE-Abführungen bestehen sollen. Wir wollen keine Senkung der Beiträge.
Damit möchte ich richtigstellen, was gerade gesagt
wurde. Wir möchten nicht weniger an die EU zahlen,
mitnichten. Im Gegenteil: Wir möchten, dass die Eigenmittel der EU - unter Beibehaltung der Deckelung - im
Wesentlichen durch BNE-Abführungen, also aus dem
nationalen Steueraufkommen, erbracht werden.
Es ehrt Sie, wenn Sie sagen, dass Sie die Gesamtbelastung nicht erhöhen wollen. Ich möchte aber einmal wissen, wie das funktionieren soll. Wie wollen Sie rechtlich,
politisch garantieren, dass, wenn die EU-Kommission
zum Beispiel eine EU-Mehrwertsteuer oder eine Finanztransaktionsteuer auf dem Wege der Gemeinschaftsmethode einführt, alle Mitgliedstaaten in ihren Gesetzen automatisch eine entsprechende Senkung verankern? Das
ist fernab der Realität.
Sie müssen auch sehen - das ist vielleicht das wichtigste Argument -, dass die jetzige Form der Finanzierung der EU eines garantiert: die Verklammerung der nationalen Ausgaben mit den EU-Ausgaben. Dadurch, dass
beides im Prinzip aus dem gleichen Aufkommen finanziert wird, haben die Nationalstaaten den Anreiz, bei der
Verabschiedung des EU-Haushalts exakt darauf zu achten, dass es bei EU-Haushalt und nationalem Haushalt
nicht zu Doppelungen kommt. Das ist hochgradig effizient. Das würden wir mit Ihrem Vorschlag aus dem
Fenster werfen. Das wäre hochgefährlich. Wohin das
führt, sehen Sie bei der Entwicklungspolitik. Dort besteht ein Nebeneinander von verschiedenen Töpfen, und
das führt zu einem extremen Durcheinander.
({0})
Michael Link ({1})
Nicht das Prinzip „Ich besteuere, also bin ich“ gilt für
die EU,
({2})
sondern auch hier gilt: Weniger ist mehr. Deshalb wollen
wir, dass mehr Aufgaben sparsamer bewirtschaftet werden. Deshalb sagen wir in unserem Antrag klipp und
klar, dass der Agraranteil in Zukunft zurückgehen wird
und wir die Mittel für die Struktur- und Kohäsionsfonds
- Kollegin Kudla hat das gesagt - abschmelzen werden,
unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes degressiv gestaltet, weil diese Fonds, so wie sie angelegt sind,
eine Hilfe zur Selbsthilfe darstellen.
Wir sagen deshalb Nein zu Euro-Bonds und Nein zu
europäischen Steuern, aber klar Ja zu sicheren Eigenmitteln - wir wollen nicht weniger an die EU zahlen - und
vor allem Ja zu einem modernen Budget für die Europäische Union.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/7767 und 17/7808 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt VI a bis f auf:
VI a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marlene
Rupprecht ({0}), Petra Crone, Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Sexuelle Gewalt gegen Kinder umfassend bekämpfen - Kampagne des Europarats unterstützen
- Drucksache 17/7807 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Marlene Rupprecht ({3}), Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Kinderrechte in Deutschland umfassend stärken
- Drucksachen 17/6920, 17/7800 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Tauber
Marlene Rupprecht ({4})
Diana Golze
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Diana
Golze, Jan Korte, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die UN-Kinderrechtskonvention bei Flüchtlingskindern anwenden - Die Bundesländer in
die Pflicht nehmen
- Drucksache 17/7643 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({5})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Diana
Golze, Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Kinderrechte umfassend stärken und ins
Grundgesetz aufnehmen
- Drucksache 17/7644 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({6})
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Dörner, Volker Beck ({7}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kinderrechte stärken
- Drucksache 17/7187 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({8})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Dörner, Agnes Malczak, Tom Koenigs, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Keine Rekrutierung Minderjähriger in die
Bundeswehr
- Drucksache 17/7772 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({9})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Marlene Rupprecht für die SPD-Fraktion.
({10})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor vier Tagen jährte sich zum 22. Mal die Verab17156
Marlene Rupprecht ({0})
schiedung der UN-Kinderrechtskonvention. Deswegen
freue ich mich, dass wir in dieser Woche trotz Haushaltswoche zeitnah eine Debatte über die Kinderrechte führen, und zwar über Kinderrechte, die nicht nur international, sondern auch national gelten.
Wir sollten einmal schauen, was wir schon gemacht
haben und was noch ansteht. In den letzten Jahren haben
wir einiges unternommen. Nichtsdestotrotz gibt es noch
einige Baustellen. Unter anderem haben wir nach der
Rücknahme der Vorbehaltserklärung noch keine Überprüfung aller bestehenden Gesetze auf die neuen Sachverhalte der UN-Konvention vorgenommen. Wir haben
das Flüchtlingsrecht, das Asylrecht und das Ausländerrecht nicht daraufhin überprüft, ob es mit dem, was jetzt
für uns gültig ist, übereinstimmt. Hier besteht ein großer
Anpassungsbedarf. Ich begrüße ausdrücklich die Rücknahme der Vorbehaltserklärung - das habe ich bereits
damals in meiner Rede betont -, aber dabei dürfen wir es
nicht belassen. Dringend notwendig ist die Überprüfung
der bestehenden Gesetze.
Seit Jahren besteht Nachholbedarf, wenn es darum
geht, Kinderrechte in unserer Verfassung zu verankern.
({1})
Ich finde es ganz toll, dass die Mütter und Väter des
Grundgesetzes unsere Verfassung so geschrieben haben,
dass sie auch Kinder lesen können. Aber es fällt auf, dass
die Kinder darin nicht als Rechtssubjekte enthalten sind.
Es ist daher dringend notwendig, ihre Grundrechte an einer Stelle zu verankern,
({2})
und zwar mit den Elementen der UN-Konvention und
der EU-Grundrechtecharta. Die Grundrechtecharta ist ja
im Prinzip die Verfassung auf europäischer Ebene. Dort
sind die Kinderrechte enthalten, nämlich in Art. 24, und
zwar genau so, wie wir es gerne hätten, mit den drei Säulen Schutz, Förderung und Beteiligung von Kindern und
dem Verweis, dass alles Handeln staatlicher Ebenen und
aller Menschen vorrangig das Kindeswohl zu berücksichtigen hat. Dies auch in unser Grundgesetz aufzunehmen, halte ich für dringend angebracht.
Ich habe bereits beim letzten Mal gesagt und wiederhole es hier: Wir haben für etwa 200 000 Soldaten einen
Wehrbeauftragten in der Verfassung verankert. Für die
Kinder gibt es kein entsprechendes Pendant. Ich hätte
gerne einen Kinderbeauftragten bzw. eine Kinderbeauftragte - das Geschlecht ist mir egal - in der Verfassung
verankert. Wenn wir die gleiche personelle Ausstattung
dafür vorsehen würden, wären wir bei 2 800 Mitarbeitern. So viele wollen wir gar nicht. Wir wären mit wesentlich weniger zufrieden. Aber ich möchte nicht, dass
es nur ein Sekretariat mit einer Juristin und einer Sekretärin gibt. Wir haben Millionen Kinder unter 18 Jahren
in Deutschland; es ist dringend notwendig, dass sich das
entsprechend niederschlägt.
Warum erwarte ich das? Wir haben im Rahmen der
Missbrauchsdebatten festgestellt, dass sich Kinder nie
Hilfe geholt haben, weil sie nicht wussten, an wen sie
sich wenden können. In anderen Staaten - selbst in
Russland - gibt es inzwischen Ombudspersonen für Kinder. Auch wir brauchen Ombudsstellen, und wir sollten
sie so verankern, dass es auf Bundesebene einen Kinderbeauftragten bzw. eine Kinderbeauftragte und auch in
den Kommunen Ansprechpartner und -partnerinnen gibt,
an die sich die Kinder wenden können, wenn sie glauben, dass ihre Rechte verletzt sind.
({3})
Die Diskussionen über Qualität, egal wer sie führt,
werden absurd, wenn wir ausgerechnet bei der entsprechenden Unterstützung für die Kinder sparen. Deshalb
muss auch eine Debatte über die Qualität der Kinderund Jugendhilfe geführt werden, aber nicht aus fiskalischen Gründen, sondern wegen der Kinderrechte.
({4})
Ich glaube, dass wir für unsere weitere Arbeit eine klare
Konzeption der Kinder- und Jugendpolitik im Rahmen
eines nationalen Aktionsplans brauchen. Von 2005 bis
2010 hatten wir einen solchen Aktionsplan. Ich bitte darum, dass wir gemeinsam beschließen, dass er für die
Bereiche, in denen wir noch handeln müssen, fortgeschrieben wird, damit wir klare Vorstellungen haben und
gemeinsam daran arbeiten können. Dies gilt für die Bereiche Gesundheit, Bildung, Absicherung der Existenz,
Schutz vor Gewalt, Beteiligung und Beziehungen zu anderen Staaten.
Um zu wissen, was tatsächlich erreicht wurde, brauchen wir eine Überprüfung, ein sogenanntes MonitoringVerfahren. Es geht darum, zu wissen, ob das, was wir
uns wünschen, auch so umgesetzt ist. Dazu brauchen wir
ein von der Regierung unabhängiges Verfahren. Das
heißt, es muss extern erfolgen. Ich hoffe, dass wir das
hinbekommen, damit wir auf europäischer Ebene regelmäßig Bericht erstatten können und uns nicht davor
scheuen müssen.
Im Bereich des Kinderschutzes haben wir sehr viel
gemacht. Das ist lobenswert. Unsere Arbeit zieht sich
jetzt schon über viele Jahre hin. Der Europarat hat 2007
eine Konvention zum Schutz von Kindern vor sexueller
Ausbeutung und sexuellem Missbrauch verabschiedet.
Wir haben sie gezeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Es
ist dringend notwendig, dass diese Konvention ratifiziert
wird. Eben weil wir schon ganz viel auf den Weg gebracht haben, müssen wir uns nicht davor scheuen. Eigentlich könnten wir uns auf die Schulter klopfen und
uns für das loben, was wir im Haus alle miteinander geschafft haben. Wenn wir solche Veränderungen erreicht
haben, warum ratifizieren wir dann nicht diese Konvention? Das ist nicht verständlich.
Genauso ist es beim Übereinkommen des Europarates
zur Bekämpfung des Menschenhandels. Zwar liegt jetzt
ein entsprechender Gesetzentwurf vor, aber so kann er
nicht verabschiedet werden. Der Gesetzentwurf muss
dringend überarbeitet werden, weil er Lücken in der Anpassung der Konvention lässt.
Marlene Rupprecht ({5})
Ich finde es schön, dass die Grünen in ihrem Antrag
schreiben, dass wir auf einen weiteren Weltkindergipfel
hinarbeiten müssen. 2002 hat ein Gipfel stattgefunden;
ein weiterer soll bald anstehen. Ich sehe aber nicht, dass
sich in dieser Richtung etwas tut. Ich glaube, dass
Deutschland da ein Motor sein muss.
Wir haben in vielen Bereichen klare Handlungsfelder,
die wir beackern müssen. Ich sehe leider nicht, dass dies
geschieht. Wir ruhen uns gerne aus, wenn wir etwas gut
gemacht haben; das darf man auch ab und zu. Aber wir
müssen bei den Punkten, die offen sind, weiterarbeiten.
Dazu gehört auch das Kinderrecht im Zusammenhang
mit Adoptionen. Über das Thema Auslandsadoptionen
diskutieren wir immer nur aus der Perspektive der Menschen, die keine Kinder haben, aber nicht mit Blick auf
die Kinderrechte.
({6})
Ich würde mir wünschen, dass wir diese Diskussion auf
den Weg bringen.
Ich wünsche mir auch, dass man sich nicht immer nur
dann für Kinder einsetzt, wenn ein tragischer Fall passiert und es deshalb gerade Thema ist. Man muss sich, so
wie wir es heute tun, öfter fragen: Welche Vorstellungen
haben wir von der Gesellschaft, von der Welt, in der wir
Kinder aufwachsen lassen wollen? Dafür gibt es klare
Vorgaben, und zwar in internationalen Übereinkommen,
insbesondere im Übereinkommen über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen. Da ist von einer Gesellschaft und einer Welt, die inklusiv ist, die Rede. Das
heißt, dass man es zulässt, dass Menschen verschieden
sind, und dass wir sie in ihren Stärken unterstützen, damit sie sich entfalten können, dass es aber keinen Selektionsmechanismus geben darf, weder in der Schule noch
sonst wo. Wir müssen uns endlich auf den Weg machen
und sagen: Das ist nicht nebenbei zu machen. - Diese
Sehnsucht mit unseren Kindern zu verwirklichen, bedeutet, dafür zu sorgen, dass wir auch in Europa eine Zukunft haben, eine Zukunft für Kinder und mit Kindern.
Das betrifft übrigens auch die neue Jugendstrategie,
die der Europarat auf den Weg gebracht hat. Ich würde
mir wünschen, dass wir uns der Kampagne zum Schutz
der Kinder, die der Europarat gestartet hat, anschließen.
Es gibt sogar eine Extrakampagne für Abgeordnete bzw.
für das Parlament. Es wäre schön, wenn wir sagen würden: Ja, wir unterstützen diese Kampagne zum Schutz
der Kinder. - Sehr viele Punkte, um die es dort geht, sind
bei uns übrigens schon in Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. Es wäre gut, wenn ein so großes Land wie
Deutschland Vorbild für andere Länder wäre. Wir sollten
sagen: Wir haben schon viel getan. Deshalb stehen wir
auf der Seite derer, die ebenfalls für den Schutz der Kinder kämpfen. - Mein heutiger Wunsch ist, dass Sie sagen: Ja, wir machen bei der Europaratskampagne der
Parlamente mit.
Ich hoffe, dass wir es in diesem Haus immer wieder
schaffen, den Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass
man miteinander debattieren kann, ohne sich niederzumachen, dass man Gegensätze klar benennen kann und
die Welt trotzdem konstruktiv mitgestalten kann. Das ist
der Grund, warum ich mich mein ganzes Leben lang mit
Pädagogik befasst habe und mich nach wie vor für Kinder und Jugendliche einsetze. Ich hoffe, dass wir für all
die Projekte, die wir in Angriff nehmen müssen, wieder
Ihre Unterstützung bekommen.
In diesem Sinne: Danke schön.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Tauber für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute wieder über Kinderrechte, und das ist gut. Gut
ist auch - vielleicht sogar noch besser -, dass wir nicht
nur darüber reden, sondern auch schon das eine oder andere getan haben. Das beginnt bei der Rücknahme der
Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention
durch die christlich-liberale Koalition; ich glaube, wir
sind uns alle einig, dass dies ein guter und wichtiger
Schritt war. Es geht weiter mit der Feststellung - die wir
durch eine entsprechende gesetzliche Änderung getroffen haben -, dass der Krach, den Kinder machen, kein
Lärm, sondern Zukunftsmusik ist.
({0})
Es geht weiter über das Kinderschutzgesetz, über das wir
diskutiert haben, das in der letzten Legislaturperiode
aber leider nicht verabschiedet werden konnte. Wir hoffen, dass die Sozialdemokraten ihm im Bundesrat zustimmen werden.
Das jüngste Beispiel ist: Vor vier Tagen, am 20. November - die Kollegin Rupprecht hat darauf hingewiesen -, haben wir den Tag der Kinderrechte gefeiert.
Deutschland hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die
UN-Generalversammlung ein neues Beschwerdeverfahren für Kinder auf den Weg gebracht hat; auch das ist
eine gute Sache. Darüber haben wir in den letzten
Plenardebatten und Ausschusssitzungen immer wieder
geredet.
Warum ist das so wichtig? „Die besten Kinderrechte
helfen nichts, wenn sie nur auf dem Papier bestehen“,
hat die Ministerin vor kurzem gesagt. Da hat sie recht;
denn Kinder müssen in der Tat in die Lage versetzt werden, ihre Rechte aktiv einzufordern. Dazu braucht es ein
entsprechendes Verfahren. Wir haben es auf den Weg gebracht bzw. dabei geholfen, es auf den Weg zu bringen.
Das ist eine weitere wirklich gute Maßnahme.
Frau Kollegin Rupprecht, Sie haben die schöne und
plakative Forderung erhoben: Wenn wir schon einen
Wehrbeauftragten für die Soldaten haben, dann müsste
es auch einen Kinderbeauftragten geben! Die Sache hat
aus meiner Sicht einen Haken: Soldaten sind in ihren
Grundrechten eingeschränkt; deswegen gibt es einen
Wehrbeauftragten. Es ist gut, dass Kinder in ihren
Grundrechten nicht eingeschränkt sind.
({1})
Das mag der eine oder andere Jugendliche, der in der
Pubertät ist, individuell anders empfinden; aber Gott sei
Dank ist es so. Natürlich kann man darüber streiten, ob
die Kinderrechte im Grundgesetz separat verankert werden sollten; dazu wird sich der Kollege Geis vielleicht
noch äußern.
Ich möchte auf einen anderen Punkt eingehen, der immer wieder zu Diskussionen und Streitigkeiten zwischen
uns führt. Es geht um die ganz zentrale Frage, ob unser
Asylgesetz, ob unsere Ausländergesetze das abbilden,
was wir in der UN-Kinderrechtskonvention mittragen,
ob Kinder ausländischer Eltern, die nach Deutschland
kommen oder die in Deutschland groß werden, hier ihre
Rechte gewahrt sehen.
Ich habe in dem Wahlkreis, den ich betreue, in der
Wetterau, einen Fall: eine junge Frau, im Alter von
5 Jahren aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen,
nur mit einer Geburtsurkunde ausgestattet, ohne weitere
Papiere - sie hat sie bis heute nicht bekommen -, die von
sich aus sagt: Deutschland ist meine Heimat. Ich kenne
nichts anderes. - Sie ist hier zur Grundschule gegangen,
hat einen Schulabschluss erworben, hat die Berufsschule
besucht, spricht perfekt Deutsch und spielt Fußball in einem Fußballverein. Ihr droht die Abschiebung. Da werden Sie sagen: Das ist so ein Fall. Über einen solchen
Fall reden wir. Es kann nicht sein, dass eine solche junge
Frau, die perfekt integriert ist, abgeschoben werden
muss.
Die junge Frau wurde gefragt, was ihr größter
Wunsch sei. Sie hat drei Wünsche. Der erste Wunsch
wäre die Erlaubnis, ein eigenes Bankkonto zu eröffnen.
Der zweite Wunsch wäre die Erlaubnis, eine Fahrschule
zu besuchen und den Führerschein zu machen. Der dritte
Wunsch wäre eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Auch da werden Sie wieder sagen: Genau, so muss das
sein. Das muss es doch geben.
({2})
Das Schöne ist - das ist eine gute Nachricht -: Eigentlich geht das alles. Nach dem Gesetz - es hat einen sehr
lyrischen Titel, wie unsere Gesetze das immer haben über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet, umgangssprachlich Aufenthaltsgesetz genannt, könnte diese junge
Frau einen Aufenthaltsstatus bekommen, könnte den
Job, der ihr angeboten wurde, bekommen und wahrnehmen. Das wäre alles kein Problem. Also könnte man sagen: Es gibt für diese junge Frau ein Happy End. Wir,
die christlich-liberale Koalition, haben mit diesem Gesetz die Grundlage dafür geschaffen, dass diese junge
Frau in Deutschland bleiben kann, weil sie perfekt integriert ist.
Die Sache hat nur leider einen Haken. Der Landkreis,
geführt von einem sozialdemokratischen Landrat und einer sozialdemokratisch geprägten Kreisverwaltung,
möchte nicht, dass diese junge Frau bleibt, und das Gesetz - das ist gut so - räumt der Verwaltung einen Ermessensspielraum ein. Sie kann nach genauer Betrachtung des Falls zu dem Urteil kommen, dass dieser junge
Mensch integriert ist und in Deutschland bleiben kann
oder eben nicht. Diese Landratsverwaltung und dieser
Landrat scheinen sich die Fälle, die auf dem Tisch liegen, nicht genau anzuschauen. Ganz ehrlich: Da hilft das
beste Gesetz nicht.
Wir reden über Menschen. Wir reden darüber, dass
andere Menschen für Menschen Entscheidungen treffen
und Verantwortung übernehmen. Wir reden nicht nur
über Systeme. An dieser Stelle versagt nicht das Gesetz,
sondern an dieser Stelle versagt ein sozialdemokratischer Landrat. Das muss man einmal deutlich sagen.
({3})
Diese junge Frau, die einen Arbeitsplatz hat, könnte in
Deutschland bleiben, wenn in der Verwaltung Menschen
wären, die verantwortlich handelten und dieses Gesetz
im Sinne der jungen Frau auslegten. Das müsste man
machen.
({4})
- Klarere Gesetze? Frau Marks, Ihr Problem ist Ihre
Gläubigkeit ins System. Das ist bei Sozialisten nichts
Ungewöhnliches.
({5})
Klarere Gesetze helfen nicht, weil es klarere Gesetze im
Umkehrschluss nicht erlauben, auf individuelle Schicksale einzelner Personen Rücksicht zu nehmen.
Ich erwarte, dass nach der Verabschiedung eines Gesetzes Menschen auf der Grundlage dieses Gesetz im
Sinne der Menschen, die ihnen begegnen, entscheiden.
Das können und müssen Beamte leisten. Dafür gibt es
Ermessensspielräume.
({6})
Ich wünsche mir, dass die Geschichte dieser jungen Frau
ein Happy End findet. Die gesetzlichen Grundlagen dafür haben wir geschaffen. Das ist eine gute Nachricht für
Kinder mit Migrationshintergrund in diesem Land.
Deswegen ist diese Frage positiv beantwortet. Sie
können sicher sein, dass wir uns um das Thema Kinderrechte weiterhin engagiert kümmern werden.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Diana Golze für die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Am 20. November 1989 hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen das Übereinkommen über
die Rechte der Kinder, die sogenannte UN-Kinderrechtskonvention, verabschiedet. Ich finde es gut, dass der
Bundestag heute in zeitlicher Nähe zu diesem Jahrestag
diese Debatte führt, weil es ein guter Anlass ist, zu fragen, wie weit wir mit der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland sind.
Regelmäßig muss auch Deutschland einen Staatenbericht an den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes
abgeben, und regelmäßig holt sich Deutschland dort einen Rüffel ab, wie ich finde, zu Recht. Dafür gibt es
viele Gründe. Ich will einige Beispiele nennen.
Erstens. Die Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention sind schon angesprochen worden. Deutschland hat sich bei der Ratifizierung vorbehalten, weiterhin
Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu
machen. Bezogen auf das Beispiel der UN-Kinderrechtskonvention heißt das, dass man auch 16- und 17-jährige
minderjährige Flüchtlinge in Deutschland wie Erwachsene behandelt.
({0})
Es wird also danach unterschieden, wie alt sie sind und
welchen Pass sie haben.
Minderjährige Flüchtlinge, die mit 16 oder 17 in unser Land kommen, haben also das Problem, Herr Tauber,
dass sie wie Erwachsene behandelt werden. Das heißt,
sie haben im Asylverfahren keinen Rechtsbeistand. Oft
verstehen sie die Sprache nicht und bekommen Briefe,
die sie zwar öffnen, aber nicht lesen und verstehen können. Pro Asyl beschreibt Fälle, in denen die Betroffenen
keinen Widerspruch eingelegt haben, weil sie nicht einmal wussten, dass es die Möglichkeit gibt, gegen einen
negativen Bescheid im Asylverfahren Widerspruch einzulegen.
Sie werden in Sammelunterkünften untergebracht. Sie
werden sogar in Abschiebehaft genommen, und sie haben keine ausreichenden Ansprüche auf Bildung, Jugendhilfe und eine ausreichende gesundheitliche Versorgung.
Ich finde, dass es Aufgabe des Bundestages ist, dafür zu
sorgen, dass allen Menschen ihre Würde erhalten bleibt,
({1})
dass sie auch in einem Asylverfahren als vollwertige
Menschen akzeptiert werden und dass sie die Unterstützung bekommen, die ihnen nach der UN-Kinderrechtskonvention zusteht. Das ist in Deutschland auch nach
der Rücknahme des Vorbehaltes nicht der Fall. Sie brauchen nicht den Kopf zu schütteln.
({2})
Die Rücknahme des Vorbehaltes zur UN-Kinderrechtskonvention war nichts weiter als eine Showveranstaltung, solange ihr nicht auch gesetzliche Änderungen im
Asyl- und Sozialrecht folgen.
({3})
Zweites Beispiel. Auch bei jüngeren Kindern werden
im Übrigen nach wie vor Unterschiede gemacht. Meine
Fraktion hat einen Bericht vom Bundesministerium für
Arbeit und Soziales angefragt und auch erhalten. Am
22. November sind wir über die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket informiert worden. Es ging
auch um die Frage, ob sie Kindern von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern gewährt werden. Es stellte sich
heraus, dass sie nicht flächendeckend und im Freistaat
Sachsen gar nicht zur Verfügung gestellt werden. Der
Freistaat Sachsen hat mitgeteilt, er gehe davon aus, dass
die Kommunen die Leistungen Kindern von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern nicht zur Verfügung stellen. Ich finde, das ist ein Skandal.
({4})
Das Bildungs- und Teilhabepaket ist schon an sich ein
Problem, weil es eben nicht für alle Kinder den Zugang
zu Bildung und Teilhabe an der Gesellschaft sichert.
Aber es kann doch nicht wahr sein, dass nicht einmal
dieses Wenige an Kinder von Asylbewerberinnen und
Asylbewerber ausgegeben wird. Das verstößt eklatant
gegen die UN-Kinderrechtskonvention und gegen die
Würde dieser Kinder.
({5})
Drittes Beispiel. Bereits mehrfach wurde Deutschland
vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes aufgefordert - das liegt Ihnen schriftlich vor -, die Aufnahme
von Kinderrechten in das Grundgesetz zu prüfen. Wir
haben das schon oft debattiert. Hierzu liegen drei Anträge der Oppositionsfraktionen vor. Wenn Sie sagen,
Herr Tauber, dass die Regierung auch hier weiter handeln möchte, frage ich Sie: Wo sind Ihre Anträge? Wo
sind Ihre parlamentarischen Initiativen dazu? Ich muss
mir schon im Ausschuss sagen lassen, dass es eine Instrumentalisierung von Schülern ist, wenn man mit ihnen über das Grundgesetz und die Rolle spricht, die sie
darin einnehmen.
Ich frage mich: Wo bleiben Ihre Initiativen? Sie machen nicht einmal eine Initiative zum Individualbeschwerderecht, auf das Sie sich in Ihrem Koalitionsvertrag verständigt haben. Dass ein entsprechender Antrag
vorliegt, haben wir den Grünen zu verdanken. Von Ihrer
Seite kam dazu nichts.
({6})
Ich möchte auch ansprechen, wie doppelzüngig sich
gerade die Unionsfraktion hier verhält. Denn aus den
Bundesländern liegen Bundesratsinitiativen vor, zum
Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, die von anderen Bundesländern unterstützt werden
und die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz
fordern. In Mecklenburg-Vorpommern wurde der Antrag
von der SPD, den Linken und der CDU gestellt. Im Bundesland Brandenburg mit einer rot-roten Regierung hat
die CDU einem solchen Antrag vor genau zwei Wochen
zugestimmt.
({7})
Warum werden dann solche Initiativen hier im Bund von
Ihnen blockiert und abgelehnt? Ich verstehe nicht, warum Sie hier mit gespaltener Zunge sprechen.
({8})
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte
es zusammenfassend noch einmal betonen, weil man es
gar nicht oft genug sagen kann: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. - Sie haben ein Recht auf mehr als
das, wozu ihre Eltern laut Grundgesetz verpflichtet sind,
nämlich zu Pflege und Erziehung.
Wir, die Opposition, fordern hier in allen drei Anträgen wiederholt: Kinder müssen das Recht auf Schutz,
auf Förderung, auf Beteiligung und auf den Vorrang des
Kindeswohls bei allen staatlichen Entscheidungen haben. Das vermisse ich nach wie vor, und es wird Zeit,
dass sich hier endlich etwas ändert.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Schutz der Kinder und die Wahrung ihrer Rechte sind für
uns natürlich ganz zentrale Aufgaben, und ich freue
mich, dass hier durchaus auch eine Initiative der Opposition zu sehen ist.
Nur - Frau Rupprecht, Sie haben es eingangs gesagt -:
Wir sollten das tun, was am nächsten liegt. Wir sollten
uns um das kümmern, was ansteht. Hier muss ich sagen:
Aus unserer Sicht steht nun einmal zuerst ganz deutlich
und ganz klar an, dass das Kinderschutzgesetz auch vonseiten der Bundesländer angenommen wird und dass wir
diesem Gesetz auch zu seiner Wirksamkeit verhelfen.
Den Gesetzentwurf haben wir ja weitgehend gemeinsam
auf den Weg gebracht Die Opposition war hier vielleicht
etwas zurückhaltend, aber durchaus auch der Meinung,
dies solle Realität werden. Das steht morgen an. Insofern, denke ich, ist hier ein Signal von uns allen gefordert, aber ganz wesentlich auch von der Opposition. Das
sollten wir nicht vergessen, wenn wir diese Diskussion
hier führen.
Ich glaube, wir haben mit dem Kinderschutzgesetz
ein Signal für Deutschland gesetzt, das beispielgebend
sein soll und sicherlich auch weiterentwickelt werden
muss. Dieses Signal besagt, dass der Kinderschutz, der
Schutz des kleinen Kindes bis hin zum Schutz des Jugendlichen, eine ganz zentrale Aufgabenstellung für uns
ist.
Wir haben die Prävention dabei vor alles andere gestellt. An erster Stelle steht die Prävention. Wichtig sind
aber auch Maßnahmen der Hilfe und, wenn es nicht anders geht, die Intervention, damit Kinder, die in Not
sind, tatsächlich eine echte Hilfe finden. Wir wollen damit die Akteure stärken, sodass gerade die Eltern Unterstützung finden. Aber auch Kinderärzte, Jugendämter
und Familiengerichte müssen als Netz in enger Abstimmung miteinander Sorge für das Kindeswohl und den
Kindesschutz tragen. Ich glaube, insofern haben wir etwas auf den Weg gebracht, dessen Anwendung und Umsetzung interessant sein wird.
Wir haben frühe Hilfen installiert, und wir wollen,
dass durch die sogenannten Familienhebammen tatsächlich eine frühe Ansprache von Familien erfolgt, die sich
in einer Problemlage befinden, die unsicher sind, in denen das Kind vielleicht nicht wirklich angenommen
wird. Hier muss ein Zugang erreicht werden, sodass eine
frühe Unterstützung durch das Netz möglich ist, wodurch
den Familien auf einen guten Weg geholfen und insbesondere den Kindern der Weg ins Leben eröffnet werden
kann.
Das Jugendamts-Hopping haben wir ausgeschlossen.
Wir wollen, dass die fachliche Begleitung der Familien
fortlaufend gewährleistet ist. Daneben haben wir zum
Beispiel auch die Befugnisnorm für Berufsgeheimnisträger entsprechend geändert, sodass die Informationsweitergabe an das Jugendamt möglich ist. Wir haben also
die ganz klare Aussage gemacht: Wo Kinder Schutz
brauchen, sollen sie ihn bekommen.
Ich kann hier nur an Sie appellieren, dass der Bundesrat diesem wegweisenden Gesetz morgen tatsächlich zustimmt, sodass hier in Deutschland ein einheitliches Signal für die Familien und für die Kinder gegeben wird.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Ich freue mich, dass wir heute Abend wieder über die Kinderrechte debattieren können. Ich finde
es rund um den 20. November, den Kinderrechtetag der
Vereinten Nationen, und auch grundsätzlich angesichts
der Bedeutung des Themas sehr wichtig und richtig, dass
das heute wieder gelungen ist. Ich habe in unserer Debatte vor rund zwei Monaten länger darüber gesprochen,
warum wir als grüne Fraktion es richtig und sehr wichtig
fänden, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen.
Ich habe auch darüber gesprochen, warum wir es sehr
bedauerlich finden, dass die Ministerin den Aktionsplan
für ein kindergerechtes Deutschland so sang- und klanglos beerdigt hat. Aber ich denke, dass die Kinderrechte
bei dieser Bundesregierung nicht ganz oben auf der
Agenda stehen, ist hinlänglich bekannt. Darauf muss
man nicht lange verweisen.
Ich möchte heute ein anderes Thema in den Fokus
rücken, nämlich die Tatsache, dass es leider in der Bundesrepublik immer noch möglich ist, Minderjährige für
die Bundeswehr zu rekrutieren. Rund tausend 17-Jährige
werden jedes Jahr in die Bundeswehr aufgenommen und
dort auch an der Waffe ausgebildet. 17-Jährige sind nach
der Definition der UN-Kinderrechtskonvention Kinder
und stehen damit unter einem ganz besonderen Schutz.
Ich bin der Ansicht, dass die Bundesregierung diesem
Schutz nicht gerecht wird, solange die Rekrutierung
Minderjähriger weiter erlaubt ist.
({0})
Leider hat sich die Forderung „Straight 18“ bei den
Verhandlungen über das „Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend der
Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten“,
das auch Deutschland ratifiziert hat, nicht durchgesetzt.
Die Länder können für sich selber festlegen, ab welchem
Alter Kinder bzw. Minderjährige rekrutiert werden können. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich auf das
Alter von 17 Jahren festgelegt. Hierfür gibt es aus meiner Sicht überhaupt keine überzeugenden Gründe.
Deutschland hat seit Anfang des Jahres den Vorsitz
der Arbeitsgruppe „Kinder in bewaffneten Konflikten“
des UN-Sicherheitsrates inne und ist aus meiner Sicht
dringend aufgefordert, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Andere europäische Länder haben offensichtlich
keine Probleme damit, auf die Rekrutierung Minderjähriger zu verzichten. Das machen unter anderem - ich
nenne nur einige - Spanien, Portugal, Dänemark, Finnland, Schweden, Norwegen, die Schweiz, Belgien, die
Tschechische Republik, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Lettland und Litauen. Und bei uns soll die Bundeswehr auf Minderjährige angewiesen sein? Das ist
doch absurd.
({1})
Insgesamt müssen wir bei der Werbung für die Bundeswehr bei Minderjährigen, insbesondere was Schulen
angeht, sehr kritisch hinschauen. Eigentlich darf Werbung an Schulen gar nicht stattfinden, aber der aktuelle
„Schattenbericht Kindersoldaten“ von UNICEF, Terre
des Hommes, missio und der Kindernothilfe dokumentiert leider sehr eindrucksvoll, dass Werbung selbst für
Auslandseinsätze an Schulen faktisch stattfindet. Ich
finde das wirklich indiskutabel. Ich höre ab und an das
Argument, die Bundeswehr brauche jetzt, da sie eine
Freiwilligenarmee sei, auch andere Rekrutierungswege.
Das stimmt auch. Aber gerade angesichts des gestiegenen Rekrutierungsdrucks darf der Schutz der Jugendlichen nicht unter die Räder kommen, und da sind wir
tatsächlich in der Pflicht.
Der „Schattenbericht“ befasst sich noch mit einem
weiteren sehr wichtigen Aspekt, und zwar - das ist
schon angesprochen worden - mit Kindern und Jugendlichen, die als unbegleitete Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Nicht selten - das hat meine Kollegin
Diana Golze schon ausgeführt - sind diese jungen Menschen in ihren Herkunftsländern sogar selbst als Kindersoldaten missbraucht und auf unvorstellbare Art und
Weise traumatisiert worden. Diese jungen Menschen
kommen zu uns, suchen hier Schutz und müssen erleben,
dass auch in Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention für sie nicht vollständig gilt. Sie werden im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt, sie können in Abschiebehaft genommen und gar in Sammelunterkünfte
gesteckt werden. Sie haben keine Ansprüche auf Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz. Kindeswohlbelange - das muss man einfach konstatieren spielen an der Stelle offenbar keine Rolle, und das, obwohl Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention, wonach
das Kindeswohl immer vorrangig zu berücksichtigen ist,
selbstverständlich auch für Flüchtlingskinder gelten
muss.
({2})
Die Rücknahme der Vorbehaltserklärung, die wir alle
begrüßt haben - wir alle fanden sie richtig -, reicht nicht
aus. Lassen Sie die Rücknahme nicht zur Symbolpolitik
verkommen. Lassen Sie Änderungen im Asyl-, Ausländer- und Sozialrecht folgen, damit dieser für die Bundesrepublik wirklich unwürdige Zustand endlich beendet
wird.
Vielen Dank.
({3})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Norbert
Geis das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz ist genannt worden. Frau Rupprecht und auch andere haben etwas dazu ausgeführt. Diese Forderung ist
auch in den Anträgen enthalten, die heute zur Entscheidung vorliegen.
Frau Rupprecht, die Rechte der Kinder sind bereits im
Grundgesetz verankert.
({0})
Jedes Kind hat Grundrechte, wie auch jeder andere
Mensch. Ein Kind hat nicht mehr und nicht weniger
Grundrechte, aber es hat Grundrechte. Das gilt beispielsweise für Art. 1 des Grundgesetzes. Selbstverständlich
gilt das Grundrecht hinsichtlich der Würde des Menschen für jeden, der in Deutschland lebt, egal ob er Ausländer ist oder nicht, welche Religion er hat, welcher
Herkunft er ist, egal ob er alt oder jung ist, selbst ob er
geboren oder nicht geboren ist. Jeder Mensch hat das
Recht auf Achtung seiner Würde.
Das Gleiche gilt für Art. 2 des Grundgesetzes, nämlich für das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Leben.
({1})
Dieses Recht gilt für alle Kinder, für alle Menschen, die
in Deutschland leben. Das kann nicht stärker ausgedrückt werden. Dieses Recht gilt sowohl für geborene
als auch für ungeborene Kinder - das sollten wir nicht
vergessen -, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinen zwei Urteilen, nämlich am 25. Februar 1975 und am
28. Mai 1993, festgestellt hat. Das Recht auf Leben gilt
für Geborene und Ungeborene, ob in der Petrischale
oder im Mutterleib.
({2})
Dieses Recht ist bei uns fest im Grundgesetz verankert.
Deshalb meine ich, dass diese Forderung eigentlich ins
Leere geht; denn diese Rechte sind schon vorhanden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch etwas erwähnen - das steht in dem Antrag der Grünen -, nämlich
die Forderung, dass eine Ergänzung des Art. 6 des
Grundgesetzes erfolgen soll. Der Art. 6 des Grundgesetzes normiert das Recht der Eltern, ihre Kinder selbst
erziehen zu dürfen. Das steht so in Art. 6 des Grundgesetzes. Die Grünen verlangen nun, dass die Kinder ein
Recht auf Erziehung und Pflege gegenüber ihren Eltern
haben sollen. Richtig, das steht so nicht im Grundgesetz.
Herr Geis, gestatten Sie eine Frage der Kollegin
Rupprecht?
Ich möchte diesen Gedanken noch zu Ende bringen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom
1. April 2008 festgestellt, dass das Recht der Eltern, ihre
Kinder selbst erziehen zu dürfen, mit dem Recht der
Kinder auf Erziehung gegenüber ihren Eltern korrespondiert. Die Kinder haben nach diesem Urteil ein einklagbares Recht auf Erziehung. Damit ist diese Frage eigentlich erledigt. Deswegen kann ich nicht erkennen, dass
eine Änderung des Grundgesetzes notwendig ist.
({0})
- Es geht auch um andere Rechte. Sie könnten jetzt das
ganze Grundgesetz durchgehen, aber dann würde die
Zeit nicht reichen. Ich habe drei Punkte herausgearbeitet,
insbesondere Art. 6 des Grundgesetzes, der eigens in
dem Antrag der Grünen steht. Deswegen komme ich auf
diesen Artikel zu sprechen. Eine Änderung ist hier nicht
notwendig. Dies wäre sonst eine Doppelung von Grundrechten in unserer Verfassung.
Ich weiß, dass die CDU in den Ländern anderer Meinung ist. Auch in der CSU gibt es andere Meinungen.
Ich weiß, dass die bayerische Justizministerin hier anderer Meinung ist. Aber ich meine, es ist nicht erforderlich.
Jetzt kann die Kollegin Rupprecht ihre Frage stellen.
Herr Kollege, Sie wissen, dass eine Verfassung immer
Ausfluss einer gesellschaftlichen Wertehaltung ist. Ein
Entwurf unserer Verfassung beinhaltete ursprünglich die
Kinderrechte, er ist verworfen worden. Letztlich wurden
diese Rechte nicht in das Grundgesetz aufgenommen.
Man hat bis 1968 geglaubt, dass Kinder Objekte sind,
die den Eltern gehören. Erst das Bundesverfassungsgericht hat 1968 eindeutig klargestellt: Auch Kinder sind
Grundrechtsträger.
Herr Geis, Sie haben natürlich recht, wenn Sie darauf
hinweisen, dass mit Grundrechtsträgern auch Kinder gemeint sind. Das bestreitet niemand. Die entscheidende
Frage ist aber, ob wir im 21. Jahrhundert, wo Kinder als
Subjekte gesehen werden, unsere Verfassung aus dem
20. Jahrhundert, wo Kinder als Objekte betrachtet wurden, endlich entsprechend anpassen, damit jeder, der unsere Verfassung liest, erkennt, dass sich ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen hat, weg vom Objekt Kind hin
zum Subjekt Kind mit eigenen Rechten; darum geht es.
Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob eine Verfassung
in solch grundlegenden Dingen nicht auch den Wertewandel und die veränderte Sichtweise wiedergeben
muss. Wir stellen entsprechende Anträge, um das deutlich zu machen.
Herr Geis, Sie sind Jurist und wissen in dieser Beziehung sicherlich sehr genau Bescheid.
({0})
- Nein, ich muss nicht fragen. Ich kann laut Geschäftsordnung des Bundestages auch einen Kommentar abgeben.
Für mich ist entscheidend, ob wir es gemeinsam
schaffen, dies zu verankern. Vielleicht gehen Sie in Ihrer
Fraktion noch einmal in die Meinungsbildung. Ich gebe
zu bedenken: Staaten, deren Verfassungen jüngeren Datums sind, haben solche Rechte bereits aufgenommen,
während Staaten, deren Verfassungen älteren Datums
sind, das noch nicht getan haben.
Ich nehme die Meinung, die Sie hier vortragen,
durchaus ernst. Ich wische sie nicht einfach vom Tisch,
zumal sie auch in den Reihen meiner Fraktion vertreten
wird, wie ich ausgeführt habe. Ich selbst bin aber nicht
Ihrer Meinung, dass 1948/49, als die Väter und Mütter
unserer Verfassung das Grundgesetz verfasst haben, das
Kind als Objekt betrachtet wurde. In unserer Verfassung
ist häufig der Satz zu lesen: „Jeder hat das Recht“, zum
Beispiel auf Schutz der Menschenwürde. Das bedeutet,
dass auch jedes Kind das Recht hat.
Ich stimme Ihnen zu, dass im Lauf der Zeit weitere
Aspekte aus der Verfassung heraus entwickelt worden
sind. Das Bundesverfassungsgericht muss feststellen, ob
die vorgetragenen neuen Aspekte dem Sinn und der
Motivation unserer ursprünglichen Verfassungsgeber
entsprechen. Wenn das der Fall ist, kann das Bundesverfassungsgericht das Ganze weiterentwickeln. Das hat es
schon getan. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt,
dass Kinder laut unserer Verfassung Grundrechtsträger
sind. Vielleicht meinen Sie, Frau Rupprecht, dass wir
uns mehr Gedanken darüber machen sollten, wie wir
aufgrund unserer Verfassung Kinderrechte mehr normieren können; dabei handelt es sich aber um Gesetze unterhalb der Verfassung. Wenn Sie das meinen, stimme ich
mit Ihnen überein; darüber kann man ständig diskutieren.
Aus dem Grundrecht auf Erziehung durch die Eltern
folgt natürlich das Recht des Kindes, dass der Staat die
Familien unterstützt und dass die Eltern Erziehungskompetenz haben. Aber der Staat darf sich nicht einbilden,
dass er das Primat der elterlichen Fürsorge an sich ziehen kann. Das wäre der falsche Weg. - Ich weiß, Frau
Rupprecht, dass Sie das nicht befürworten. Ich wollte
nur darauf hinweisen.
Der Staat hat nur eine Wächterfunktion. Er muss eingreifen, wenn die Rechte der Kinder nicht gewahrt sind.
Wenn die Eltern nicht entsprechend ihrem Auftrag nach
Art. 6 des Grundgesetzes handeln, kann der Staat aufgrund seiner Wächterfunktion eingreifen. Aber er darf
das Recht der Eltern nicht an sich ziehen; denn hier geht
es um das Recht der Kinder auf Erziehung durch die Eltern. Manchmal entsteht in der öffentlichen Diskussion
der Eindruck, dass Kinder vor ihren Eltern geschützt
werden müssten. Laut Statistik ist das aber nur in maximal 5 Prozent der Fälle so. Der Rest der Eltern will die
Kinder liebend umhegen. Es gibt niemanden, der die
Kinder besser liebend umhegen und für sie sorgen kann
als die eigenen Eltern.
({0})
- Da sind wir völlig einer Meinung. - Das kann natürlich
auch die Kita nicht leisten.
Deswegen muss der Staat - jetzt komme ich zu einem
Punkt, in dem Sie mir nicht ganz zustimmen - dafür sorgen, dass die Eltern in der Lage sind, ihre Kinder entsprechend zu erziehen.
({1})
Das sind sie oft nicht, weil sie zur Arbeit gehen müssen,
weil sie Geld dazuverdienen müssen. Das ist der eigentliche Grund - daran kommen wir nicht vorbei - für das
Betreuungsgeld. Deswegen verstehe ich nicht, warum
wir hier so auseinander sind, warum hier oft mit viel Polemik argumentiert wird. Man kann wahrscheinlich verschiedener Meinung sein; das ist auch in meiner eigenen
Fraktion der Fall. Ich bin der Meinung, dass es ein Menschenrecht des Kindes gegenüber dem Staat ist, dass es
in den ersten zwei Jahren von seinen Eltern erzogen
wird. Da hat der Staat nicht hineinzureden. Der Staat hat
aber die Aufgabe, das zu ermöglichen.
({2})
Es tut mir leid. Das geht jetzt nicht mehr, weder mit
Zwischenbemerkungen noch mit Zwischenfragen. Der
Kollege Geis hat bestimmt bemerkt, dass ich ihn schon
mahne.
({0})
Ich sehe es hier aufleuchten: „Präsident“. „Frau Präsidentin“ müsste es jetzt eigentlich heißen. - Ich habe das
zu respektieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe
noch vieles in meinem Konzept: über Kinderschutz, über
sexuelle Gewalt, über die grundsätzliche Frage des Jugendschutzes. Seit 1951 haben wir das Jugendschutzgesetz; das darf man nicht vergessen. Wir haben 2000 - damals noch mit Frau Däubler-Gmelin - das Recht auf
gewaltlose Erziehung ins BGB eingefügt. Ich hätte also
noch einige Punkte vorzutragen, aber ich bedanke mich
für Ihre Aufmerksamkeit und bedanke mich bei der Präsidentin dafür, dass sie so lange Geduld hatte.
({0})
Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin
Bracht-Bendt.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als die Vereinten Nationen vor genau 22 Jahren in der Vollversammlung das Übereinkommen über die Rechte von Kindern
einstimmig verabschiedeten, fiel eine überfällige Entscheidung. Es ist wichtig, dass wir jedes Jahr diesen Tag
zum Anlass nehmen, um uns kritisch mit den Kinderrechten in Deutschland und in der Welt auseinanderzusetzen.
Hier brauchen wir den Blick gar nicht nur auf Missstände in anderen Ländern zu richten; hier liegt auch in
Deutschland noch einiges im Argen. Ich denke an alltägliche Fälle, zum Beispiel an Scheidungsverfahren, von
denen Kinder häufiger betroffen sind. Um deren Wohlergehen geht es allerdings weniger. Vielmehr ist es Ziel
der beteiligten Anwälte, den Streit zwischen Vätern und
Müttern zu schlichten und deren Interessen zu vertreten.
Es geht um Geld und, wenn Kinder da sind, um Sorgerecht.
Als Vorsitzende der Kinderkommission habe ich gerade zu diesem Thema Sachverständige in die Kinderkommission eingeladen. Übereinstimmend bestätigten
die Experten, dass bei Scheidungen überwiegend aus
Sicht der Eltern verhandelt wird. Absprachen, geschweige denn eine enge Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Richter, gibt es in den seltensten Fällen.
Hier fangen für mich Kinderrechte an. Wir alle sind
gefordert, mehr als bisher die Auswirkungen - sei es von
Gesetzen oder im ganz persönlichen Bereich bei einer
Trennung - aus dem Blickwinkel von Kindern zu hinterfragen.
({0})
Das Wohl der Kinder muss bei allen politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen im Vordergrund stehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Beschluss der
Generalversammlung der Vereinten Nationen, ein Individualbeschwerderecht für Kinder einzuführen, begrüßt
die FDP-Bundestagsfraktion ausdrücklich.
({1})
- Genau. - Die FDP setzt sich seit langem dafür ein.
Rechte sind nichts wert, wenn sie nicht eingefordert
werden können. Der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen kann durch das neue Verfahren nicht nur
individuelle Beschwerden von Kindern und Mitteilungen von Staaten über die Missachtung von Kinderrechten entgegennehmen, sondern auch aus eigener Initiative
systematische Verletzungen der Kinderrechtskonvention
untersuchen. Wir legen dabei besonderen Wert auf ein
kindgerechtes Verfahren. Kinder und Jugendliche müssen die Möglichkeit haben, sich zu äußern, und auch angehört werden.
({2})
Hier wird Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. Die christlich-liberale Koalition hat schon im Koalitionsvertrag angekündigt, die Kinderrechte zu stärken.
Die Bilanz kann sich sehen lassen: Aufgrund einer Initiative der FDP-Bundestagsfraktion wurde nach 20 Jahren endlich die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen. Kinder haben ein
Recht auf kindgerechtes Aufwachsen. Kinderlärm ist
deshalb seit diesem Jahr kein Grund mehr zur Klage und
kann nicht länger mit Industrielärm gleichgesetzt werden.
({3})
Vor kurzem haben wir im Bundestag das erste Bundeskinderschutzgesetz Deutschlands verabschiedet. Dieses
Gesetz vernetzt alle Handelnden im Kinder- und Jugendschutz. Auf Betreiben der FDP wurde der Schwerpunkt
auf Prävention gelegt.
Was die von den Oppositionsfraktionen geforderte
Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz betrifft,
bleiben wir bei unserem Standpunkt. Es ist doch klar,
dass das Grundgesetz nicht nur die Belange der Erwachsenen, sondern auch die der Kinder berücksichtigt.
Noch ein Wort zum Antrag der Fraktion Die Linke
zur UN-Kinderrechtskonvention bei Flüchtlingskindern.
Darin heißt es wörtlich:
Den staatlichen Umgang mit Flüchtlingskindern in
Deutschland bestimmt … nicht die Sorge um …
Entwicklungschancen der Kinder, sondern ein von
Misstrauen geprägtes nationalstaatliches Abwehrdenken mit dem Ziel, unerwünschte Einwanderung
und Zuflucht möglichst effektiv zu verhindern.
Das ist harter Tobak, eine Diffamierung. Diese Worte
zeugen von einem Weltbild, das leider ein gemeinsames
Vorgehen zur Stärkung der Rechte von Kindern unmöglich macht.
({4})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Eckhard
Pols das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Exkanzler Helmut Kohl hat
einmal gesagt: Ein Land mit Kindern ist ein Land mit
Zukunft. - Das hat nichts an Wertigkeit verloren und ist
zum Leitbild unserer Familienpolitik geworden. Kinder
sind unsere Zukunft, und deshalb müssen wir ihre
Rechte achten, schützen und auch stärken. Darum geht
es in der heutigen Debatte anlässlich des Jahrestages der
Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen.
Wir wollen für Kinder in allen Bereichen kindgerechte
Lebensverhältnisse schaffen. Wir wollen die Rechte von
Kindern stärken und im Bewusstsein der Erwachsenen
verankern. Wir wollen Kinder und Jugendliche von Beginn an stärker beteiligen und sie dort einbeziehen, wo
ihre Lebenswelt berührt ist. Dies haben wir schon 2009
im Koalitionsvertrag festgelegt.
Erfolgreiche Impulse haben wir mit dem Nationalen
Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005
bis 2010“ gesetzt. Frau Rupprecht ist schon darauf eingegangen, dass dies in sechs Handlungsfeldern gebündelt wurde. Nun geht es aber darum, die aus dem NAP
gewonnenen Erkenntnisse in den Alltag von Kindern
und Jugendlichen zu transferieren. Zwar endete der NAP
im Jahre 2010, jedoch nicht der Prozess, der damit auf
allen gesellschaftlichen Ebenen angestoßen wurde.
Meine Damen und Herren, die Stärkung von Kinderrechten und die Schaffung von mehr Kindergerechtigkeit
durch Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist
eine dauerhafte Aufgabe, die man nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt als erledigt einstufen kann. Das
bedeutet: Auch wenn die aktuelle Gesetzeslage der
UN-Kinderrechtskonvention entspricht, so gibt es doch
stets Verbesserungsbedarf, um die Kinderrechte in
Deutschland weiter zu festigen. Mit der Forderung einer
Weiterführung des NAP von SPD und Grünen verkennt
die Opposition wieder einmal die Tatsache, dass die
Kompetenz des Bundes darauf beschränkt ist, Anstöße
zu geben, um modellhaft Verfahren zu erproben. Diese
Einschränkung ist dem föderalen System in Deutschland
geschuldet. Entscheidend ist daher die Umsetzung vor
Ort; das heißt, Kindergerechtigkeit und Kinderfreundlichkeit fangen zu Hause an. Deshalb möchte ich die
Länder und Kommunen ermutigen, sich mit Aktivitäten
auf ihrer Ebene für eine Stärkung der Kinderrechte und
ein kinderfreundliches Umfeld einzusetzen.
Auch ich möchte das Zitat unserer Bundesfamilienministerin bemühen: „Die besten Kinderrechte helfen
nichts, wenn sie nur auf dem Papier bestehen.“ Dem
kann man nur zustimmen. Vor diesem Hintergrund ist es
sehr fragwürdig, ob die von der Opposition schon seit
mehreren Jahren geforderte Aufnahme der Kinderrechte
ins Grundgesetz tatsächlich zu einer Verbesserung der
Lebensbedingungen führen würde. Die Aufnahme von
Kinderrechten ins Grundgesetz würde dem Kind nicht
mehr Rechte zubilligen, als es nach dem geltenden Recht
schon hat. Schon in der jetzigen Fassung hat jedes Kind
eine eigene Subjektstellung. Eine Ergänzung des Grundrechtekatalogs hätte primär betrachtet eine reine Symbolwirkung. Wichtiger wäre jedoch konkretes Handeln
durch einfache Gesetzgebung.
Deswegen ist es richtig, dass wir endlich das so dringend benötigte Bundeskinderschutzgesetz beschlossen
haben, das von der SPD in der letzten Legislaturperiode
noch blockiert wurde. Aber bei der letzten Abstimmung
Ende Oktober hat sich die SPD - wie auch die anderen
Oppositionsparteien - enthalten. Nun fragt man sich
wirklich: Wie ernst wird das Thema Kinderschutz in deren Reihen genommen?
Mit dem Bundeskinderschutzgesetz haben wir eine
neue Qualität im Kinderschutz erreicht, indem wir gleichermaßen auf Prävention und Intervention setzen. Kinder
werden in allen Lebensbereichen besser vor Vernachlässigung, Misshandlung und Verdrängung von Entwicklungsdefiziten geschützt.
Kollege Pols, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Golze?
({0})
Ja.
Es tut mir leid, aber Sie werden sich noch ein paar
Minuten länger mit Kinderrechten befassen müssen.
Das ist schön, Frau Golze.
Sehr geehrter Herr Pols, ich freue mich, dass Sie die
Zwischenfrage zulassen. Es ging um das Kinderschutzgesetz und darum, wie sich die Opposition hier im Bundestag dazu verhalten hat.
Es ist richtig, ich glaube, alle drei Fraktionen haben
sich bei diesem Gesetz enthalten, und dafür haben wir
alle ähnliche Gründe angeführt. Zu diesen Gründen gehörte erstens die Implementierung der Familienhebammen. Hier haben wir gesagt, dass das eigentlich in den
Gesundheitsbereich gehört und auf Dauer angelegt sein
müsste, nicht nur als Modellprojekt. Als zweiten Grund
haben wir genannt, dass die Kommunen das Ganze auch
irgendwie umsetzen können müssen. Sie müssen es
finanzieren können.
Das sind genau die beiden Gründe, weshalb morgen
im Bundesrat der Fachausschuss empfehlen wird, zu diesen beiden Punkten eine Runde im Vermittlungsausschuss zu drehen. Diese Forderung wird auch von CDUgeführten Bundesländern getragen.
Wie erklären Sie sich - wenn es doch ein so tolles Gesetz ist -, dass die Bundesländer das so nicht mittragen
wollen? Das hat nicht nur etwas mit einer Verweigerungshaltung der Opposition im Bundestag zu tun, sondern damit, dass dieses Gesetz zwar ein netter Versuch
ist, aber nicht gut gemacht.
({0})
Frau Golze, ich habe ja nicht gesagt, dass Sie sich
verweigert haben. Ich habe nur gesagt, dass sich die oppositionsregierten Länder der Sache verweigern. Natürlich ist es richtig, dass die Kommunen gestärkt werden
sollen. Dahin kommen wir auch.
Es geht aber grundsätzlich darum, dass wir zunächst
einmal ein Gesetz schaffen und es auf den Weg bringen.
Die Kinder, um die es in dem Bundeskinderschutzgesetz
eigentlich geht, stehen nicht besser da, wenn wir immer
nur reden. Sie müssen doch erkennen, dass wir endlich
einen Schritt nach vorne kommen müssen und nicht nur
ständig diskutieren können. Dieses Gesetz diskutieren
wir nun schon seit sechs oder sieben Jahren. In der letzten Legislaturperiode ist es - das habe ich schon gesagt an der SPD gescheitert. Jetzt haben wir es auf den Weg
gebracht. Sie haben sich enthalten, vermutlich, weil Sie
dieses Gesetz im Sinne der Kinder wollen. Es kann aber
doch nicht sein, dass Sie einem wunderbaren Gesetz
nicht zustimmen, nur weil es aus der Regierungskoalition kommt.
({0})
Frau Dörner, ich möchte noch ein Wort zu Ihnen verlieren. Sie haben dargestellt, dass Kinder bei der Bundeswehr mit 17 rekrutiert würden. Es mag richtig sein,
dass sie mit 17 an der Waffe ausgebildet werden können.
Sie werden aber nicht rekrutiert, sondern sie gehen
- wenn überhaupt - dann freiwillig und nur mit der Zustimmung der Eltern zur Bundeswehr, solange sie noch
keine 18 sind.
({1})
Sie haben hier den Eindruck vermittelt - weil hier die
Öffentlichkeit zuhört -, dass diese Kinder mit 17 eventuell in Auslandseinsätzen eingesetzt würden.
({2})
So hat sich das aber in Ihrer Rede angehört, und dem
möchte ich massiv widersprechen, ebenso der Gleichsetzung Jugendlicher, die mit 17 zur Bundeswehr gehen,
mit Kindersoldaten, wie wir sie aus Entwicklungshilfeländern kennen.
({3})
Das ist nicht in Ordnung. In der Bundeswehr werden
eventuell Kinder mit 17 an der Waffe ausgebildet. Diese
Jugendlichen werden aber in anderen Ausbildungsberufen, wie zum Beispiel Kfz-Mechatroniker, ausgebildet.
Sie werden auf keinen Fall zu Auslandseinsätzen vermittelt.
({4})
So viel noch einmal zu diesem Thema.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt VI a sowie c bis f: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/7807, 17/7643, 17/7644, 17/7187 und 17/7772
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 17/7644,
Tagesordnungspunkt VI d, soll federführend beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beraten
werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu
dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Kinderrechte in Deutschland umfassend stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/7800, den Antrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/6920 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer möchte sich enthalten? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt VII auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der Haftung und der Abmahnkosten bei
Urheberrechtsverletzungen
- Drucksache 17/6483 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Liebe Kolleginnen, ich würde gerne die Aussprache eröffnen.
Die Aussprache ist eröffnet. Das Wort hat die Kollegin Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn wir über den Industriestandort Deutschland reden, dann reden wir normalerweise über Autos,
Stahl und Kohle. Eine ganz andere Industrie erfreut sich
ebenfalls guter Konjunktur, spricht aber nicht gern darüber. Reden wir doch heute einmal über das lukrative
Geschäft der Abmahnindustrie. Es ist zumindest für die
Betreiber lukrativ, die mit dem Unwissen und der Angst
der Bürgerinnen und Bürger sowie mit der Androhung
unglaublich hoher Kosten riesige Gewinne machen.
Wie funktioniert dieses Geschäft? Ein Schüler beispielsweise lädt durch Filesharing einen Musiktitel herunter. Die schlaue Abmahnkanzlei verklagt den Schüler, weil dieser dem Musiklabel damit einen unglaublich
hohen Schaden zugefügt hätte. Der angeblich hohe
Schaden wiederum bildet den Streitwert, der Grundlage
für die Gebührenrechnung der Anwaltskanzlei ist.
Unglaublich ist dabei vor allem die Begründung zur
Berechnung der Schadenshöhe. Die Kanzlei rechnet
nämlich wie folgt: Jedes in der Tauschbörse angebotene
Werk werde von vier Nutzern pro Stunde heruntergeladen. Nach einer Stunde verfügten also fünf Nutzerinnen
und Nutzer über diesen illegalen Download, den sie in
der kommenden Stunde jeweils vier weiteren Menschen
zugänglich machten. Nach sieben Stunden, so besagt es
rein rechnerisch die sogenannte Vervielfältigungskette,
seien bereits 78 125 illegale Kopien im Umlauf. Nach
15 Stunden verfügte demzufolge jeder Bürger und jede
Bürgerin auf dieser Welt über eine sogenannte Raubkopie. So rechnen Leute mit zwei juristischen Staatsexamen. Ich frage mich: Wer hat hier eigentlich den schweren Schaden? Das ist absurd.
({0})
Die in den vergangenen Jahren entstandene Abmahnindustrie arbeitet dabei wie folgt: Zuerst ermitteln die
Firmen die IP-Adressen, dann beantragen Anwälte mit
Unterstützung von Gerichten bei den Providern die Herausgabe der Daten der Anschlussinhaber. Allein die
Deutsche Telekom gibt nach Aussage einer Sprecherin
jährlich 2,4 Millionen Adressen heraus. Mithilfe dieser
Adressen beginnt dann das Abmahnen und Absahnen.
Nun hat der Gesetzgeber die Erstattungspflicht von
Abmahnkosten vor einigen Jahren auf 100 Euro beHalina Wawzyniak
grenzt, allerdings nur, wenn ein einfach gelagerter Fall
und kein gewerbliches Handeln vorliegt, die Rechtsverletzung unerheblich ist und der Abgemahnte nicht bereits wegen ähnlicher Vorfälle auffällig geworden ist. Sie
merken: vier Bedingungen für 100 Euro. Die Idee ist gut,
die Formulierung schlecht. Sie sichert gerade keinen
ausgewogenen Interessenausgleich.
Im Ergebnis ist die Maßnahme voll ins Leere gelaufen. Allein im Jahr 2010 sind im Auftrag von Rechteinhabern rund 600 000 Abmahnungen mit einem geschätzten Gesamtvolumen von 500 Millionen Euro verschickt
worden. Dieses fragwürdige wie unverhältnismäßige
Agieren der Abmahnindustrie gegen Bürgerinnen und
Bürger wird die Linke nicht hinnehmen, und Sie sollten
es auch nicht tun.
({1})
Es kommt nämlich noch hinzu, dass Menschen von
Anwaltskanzleien allzu häufig völlig zu Unrecht beschuldigt werden, Musik oder Filme im Internet feilgeboten zu haben. Das hat manchmal eine unfreiwillige
Komik, allerdings nicht für die Betroffenen. So beschreibt die Frankfurter Rundschau einen Fall, in dem
eine 36-jährige Frau zu Unrecht beschuldigt wird, einen
Pornofilm mit dem Titel Ohne Höschen Vol. 19 illegal
verbreitet zu haben. Dafür wurde ein Streitwert von
30 000 Euro festgelegt. Das sagt einiges darüber aus,
was der Abmahnanwalt als künstlerisch wertvoll erachtet. Dem Mann ist nicht zu helfen, wohl aber der zu Unrecht beschuldigten Frau, wenn wir endlich die gesetzlichen Bestimmungen entsprechend ändern.
({2})
Die Linke hat am 6. Juli einen Gesetzentwurf vorgelegt, um genau diesem Gebaren einen Riegel vorzuschieben. Die Justizministerin erklärt vier Monate später, sie
wolle nun der Abmahnindustrie den Kampf ansagen.
Wir erlauben ihr, bei uns abzuschreiben.
({3})
Meine Fraktion schlägt mit ihrem Gesetzentwurf vor,
zwischen privater und kommerzieller Rechtsverletzung
zu differenzieren, anstatt wie bisher im Urheberrecht nur
zwischen privat und öffentlich zu unterscheiden. Wir sagen: Was im Internet passiert, ist immer öffentlich.
Flankieren wollen wir dies durch die Schaffung eines
Gegenkostenanspruchs, wenn jemand zu Unrecht abgemahnt wird. Wir wollen klare Regeln, um Auskunftspflichten Dritter sinnvoll zu begrenzen, und wir schaffen
Regelungen zur Streitwertminderung. Wir wollen nicht,
dass die Rechteinhaber insbesondere solcher Werke von
zweifelhafter Güte oder auch aus anderen Gründen geringer Markttauglichkeit Abmahnungen gezielt als Instrument für ansonsten nicht realisierbare Gewinne nutzen. Kurz gesagt: Niemand soll mehr die Möglichkeit
haben, für Schrott den Bürgerinnen und Bürgern Geld
aus der Tasche zu ziehen.
({4})
Die Linke will mit ihren Vorschlägen zum Urheberrecht
die Rolle der Nutzerinnen und Nutzer stärken. Sie will
dem massiven Lobbying seitens der klassischen Verwertungsgesellschaften etwas entgegensetzen; denn die Anzahl illegaler Downloads geht zurück, die Anzahl der
Abmahnungen steigt.
Zum Schluss: Wir sagen, digitale Technologien und
Verbreitungswege eröffnen große Chancen. Die Fortschreibung des Urheberrechts sollte deshalb nicht von
der Angst vor den damit einhergehenden Veränderungen
diktiert sein. Sie sollte stattdessen der Förderung des
schöpferischen Potenzials, das in und mithilfe der digitalen Welt erschlossen werden kann, verpflichtet sein.
({5})
Kollegin Wawzyniak, wollen Sie die Chance nutzen,
Ihre Redezeit zu verlängern, indem Sie dem Kollegen
Kauder eine Frage beantworten oder sich eine Anmerkung von ihm anhören?
Ich bin jetzt aber fertig.
({0})
Der Kollege Ansgar Heveling hat für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf eines
Gesetzes zur Begrenzung der Haftung und der Abmahnkosten bei Urheberrechtsverletzungen, der von der Fraktion Die Linke vorgelegt worden ist. Zunächst einmal ist
das ein sehr sektoral orientierter Gesetzentwurf, denn
Abmahnungen sind an sich ein Instrument, das gang und
gäbe ist. Wir kennen es aus dem Bereich des Persönlichkeitsrechts, aus dem Markenrecht, dem Wettbewerbsrecht und natürlich auch aus dem Urheberrecht.
({0})
Grundsätzlich muss man ganz deutlich festhalten,
dass Abmahnungen ein legitimes Mittel zur Rechtsdurchsetzung sind. Sie stellen für die Rechteinhaber ein
schnelles außergerichtliches Instrument zur Rechtewahrung dar. Man darf nicht aus dem Blick lassen, dass es
gegenüber anderen Verfahren für den Rechtsverletzer
durchaus auch Vorteile gibt. Er wird vor Klageverfahren
bewahrt. Oftmals sind die Kosten einer Abmahnung - da
eben außergerichtlich - auch geringer als die Kosten eines Klageverfahrens. Gerade im Urheberrecht kommt es
nach einem Abmahnverfahren nicht zu strafrechtlicher
Verfolgung. Urheberrechtsverletzungen sind von daher
auch in rechtstatsächlicher Hinsicht im Großen und Ganzen auf diesem Wege durchaus entkriminalisiert. Das ist
ein großer Schritt, der in dieser Richtung auf die Rechtsverletzer zugegangen worden ist.
Die Abmahnungen haben ohne Frage - da muss man
die Beobachtung der Fraktion Die Linke bestätigen stark zugenommen. Bloße Quantität ist aber zunächst
einmal kein Kriterium für Missbrauchsanfälligkeit.
Wenn jemandem ein Recht zusteht, muss er auch die
Möglichkeit haben, dieses durchzusetzen. Das ist etwas
vollkommen Legitimes und gilt grundsätzlich auch
dann, wenn es um Werke von, wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf schreiben, „zweifelhafter Güte“ oder „hohem
Alter“ geht. Recht ist zunächst einmal Recht und kann
durchgesetzt werden.
({1})
Die Linke möchte für einen einzigen Rechtsbereich,
das Urheberrecht, die Abmahnmöglichkeiten begrenzen.
Ob der mit dem Gesetzentwurf eingeschlagene Weg allerdings der richtige ist, erscheint uns doch sehr fraglich;
denn an vielen Stellen ist die Herangehensweise nicht
besonders differenziert. Der Gesetzentwurf erweckt den
Eindruck, es gebe eine vermeintlich einfache Lösung,
aber auf komplizierte Sachverhalte gibt es nun einmal
keine einfachen Antworten. Die Linke macht es sich zu
einfach.
Im Gesetzentwurf ist an vielen Stellen, jedenfalls in
der Begründung, die Spur des Populismus zu erkennen,
wenn vom „Goldrausch“ und von der „selbstreferentiellen Abmahnindustrie“ die Rede ist. Da geht es wohl
mehr um die symbolische Wirkung als um die tatsächlichen rechtlichen Regelungen.
Es ist nicht von der Hand zu weisen: Es gibt schwarze
Schafe, die Abmahnverfahren zu einem Geschäftsmodell entwickelt und dabei gegen viele Grundsätze des
Anwaltsberufs verstoßen haben. Valide Daten dazu sind
allerdings kaum verfügbar. Es gibt nur quantitative Informationen. Deswegen sollten wir genau wissen, wie
groß der Handlungsbedarf ist und wo richtigerweise angesetzt werden sollte.
Dass es schwarze Schafe gibt, ist das eine. Der Gesetzentwurf der Linken erweckt allerdings den Eindruck,
als seien Abmahnungen im Urheberrecht schon per se
rechtsmissbräuchlich, was nicht der Fall ist. Das wäre
eine sehr eingeschränkte Sicht auf die Dinge. Wenn es
schwarze Schafe gibt, dann geht man ja auch nicht hin
und schlachtet gleich die ganze Herde. Auch das muss
man sehen.
Wenn wir uns dem Abmahnwesen genauer zuwenden
wollen, dann müssen wir sehr genau zwischen den Interessen der Rechteinhaber und dem Schutz der Bürger vor
Missbrauch abwägen. Kleine Änderungen können zu
großen Verschiebungen führen, kleine Änderungen können auch große Auswirkungen haben. Der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke geht da sehr begrenzt vor
und orientiert sich im Wesentlichen an einer Begrenzung
des Streitwertes. Damit gehen Sie auf viele Nebeneffekte
gar nicht ein. Auch die Alternativen werden nicht ausdifferenziert diskutiert. Insofern ist uns dieser Gesetzentwurf zu pauschal.
({2})
Was aber bieten sich für Lösungen an, um missbräuchliche Abmahnungen zu begrenzen? Ich habe es
eingangs schon angesprochen: Es gibt den Bereich missbräuchlichen Vorgehens in berufsrechtlicher Hinsicht,
dass die Anwälte, die missbräuchlich vorgehen, den
Rechtsanwaltsstatuten zuwiderhandeln. Insofern stellt
sich die Frage, ob man berufsrechtlich eingreifen kann
und die Rechtsanwaltskammern stärkt, um auf berufsrechtlichem Wege dagegen vorzugehen.
({3})
Sicherlich kann man auch darüber nachdenken, den
§ 97 a Abs. 2 des Urheberrechtsgesetzes zu modifizieren. Man kann auch an eine Streichung denken. Auch die
Streitwertbegrenzung ist ein Ansatzpunkt, über den man
nachdenken sollte. Dann sollte es aber so sein, dass man
zwischen verschiedenen Fallkonstellationen differenziert und keine pauschale Streitwertbegrenzung vorsieht.
Der Bereich Aufklärung und Prävention, der in diesem Bereich des Urheberrechts eine immer größere Bedeutung gewinnt, fehlt im Gesetzentwurf der Fraktion
Die Linke völlig. Gerade das ist ein Bereich, in dem sich
unsere Bundesjustizministerin engagieren will.
Wir sehen, wie häufig Missbräuche bei Abmahnungen vorkommen. Wir sehen auch die verschiedenen Fallkonstellationen. Dementsprechend werden im Bundesjustizministerium passgenaue Lösungsansätze geprüft.
Dabei wird insbesondere Rücksicht genommen - deswegen braucht das noch eine gewisse Zeit - auf die Ergebnisse der mit Blick auf das Warnhinweismodell vonseiten des Wirtschaftsministeriums in Auftrag gegebenen
vergleichenden Studie, die in den nächsten Wochen vorgelegt wird. Aus meiner Sicht ist sehr gut nachvollziehbar, dass man diese Ergebnisse erst einmal abwartet, um
die daraus gewonnenen Erkenntnisse in ein Gesetzgebungsvorhaben, das sich nicht nur auf das Urheberrecht,
sondern auch auf das UWG bezieht, einbauen zu können. Das wird derzeit abgestimmt, damit die Überprüfung auf der Grundlage valider Daten erfolgen kann. Ich
begrüße sehr, dass das Ministerium diese Ergebnisse abwarten will.
Es lässt sich festhalten, auch in Anbetracht der Studie,
die in Kürze vorgelegt wird: Das, was die Linke vorlegt,
ist ein Schnellschuss. Das zeigt, dass es den Linken nicht
um eine solide Regelung auf der Grundlage der neuesten
Daten geht, sondern darum, Stimmung zu machen und ein
Symbol zu platzieren.
({4})
Im Gegensatz zur Linken, die Gefühlspolitik betreibt
und auf Verdacht einen Gesetzentwurf vorgelegt hat,
wird das Bundesjustizministerium handwerklich sauber
arbeiten und in der nächsten Zeit sicherlich eine entsprechende Lösung vorlegen. Wir werden den Gesetzentwurf
natürlich beraten. Ich kann mir aber nicht vorstellen,
dass er auf Zustimmung stoßen wird.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Zypries für die
SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Es ist lobenswert, dass die Fraktion Die
Linke mit ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung
der Haftung und der Abmahnkosten bei Urheberrechtsverletzungen in diesem Hohen Haus eine Debatte zum
Urheberrecht initiiert; denn, wie alle Fraktionen wissen,
der Gesetzentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz zum sogenannten dritten Korb des Urheberrechts ist
ebenso überfällig wie andere Gesetzentwürfe. Als Stichworte nenne ich nur „verwaiste Werke“ und „Leistungsschutzrecht“. Es gibt noch andere Themen, zu denen die
Ministerin Gesetzentwürfe angekündigt hat, die aber bis
heute leider nicht vorgelegt wurden. Der Gesetzentwurf
als solcher ist aber, wie mein Vorredner eben schon ausgeführt hat, nicht ausgereift; diesbezüglich gebe ich Ihnen völlig recht.
Die Idee, eine Deckelung der Abmahnkosten einzuführen, die wir in der letzten Legislaturperiode hatten,
ist, wie ich meine, nach wie vor richtig; denn es gibt in
der Tat zahlreiche Auswüchse, die es zu bekämpfen gilt.
Richtig ist aber auch - auch das haben wir damals schon
gesagt -: Es muss dem Urheber möglich sein, mit geistigen Werken im Internet Geld zu verdienen; das ist doch
völlig unstreitig. Dafür bedarf es im Einzelfall auch der
Möglichkeit der Rechtsverfolgung. Abmahnungen sind
ja nicht per se zu kritisieren; da haben Sie völlig recht,
Herr Kollege. Es geht vielmehr darum, dass es schwarze
Schafe unter den Anwälten gibt, die dieses Abmahnungsrecht sehr weit auslegen.
Wir haben uns schon in der letzten Legislaturperiode
immer wieder darum bemüht, die zuständigen Berufsorganisationen dazu zu bewegen, ihrerseits zu schauen,
was verschiedene Anwälte so machen. Ich meine, dass
hier auch die Bundesrechtsanwaltskammer in der Verantwortung steht und etwas tun muss. Das muss überprüft werden.
({0})
Es wird immer viel geredet über illegale Tauschbörsen und über die Frage, wie die Musikindustrie im Internet Geld verdienen kann, bzw. darüber, wie sie es verliert. Ich möchte den Fokus auf einen anderen Punkt
richten: Es ist nach wie vor ein sehr großes Ärgernis für
den deutschen Mittelstand, dass verantwortungslose Anwälte auch mit ihnen fragwürdige Geschäfte machen
wollen. Unter Ausnutzung der Möglichkeit, dass man jemanden wegen Wettbewerbsverstößen abmahnen kann,
werden Abmahnungen an Unternehmen geschickt, deren
Impressum zum Beispiel nicht dem Telemediengesetz
entspricht oder die die Vorgaben der Preisangabenverordnung nicht ordnungsgemäß eingehalten haben. Auch
dieses Problem kennen wir schon länger. Es wurde bereits ein erster Schritt unternommen, indem die Anforderungen an das Impressum ins Telemediengesetz aufgenommen wurden. Dadurch wurde wenigstens ein Teil
der Beschwernisse weggenommen.
Die Abmahnwelle hat sich mittlerweile aber auf die
Wettbewerbsverstöße verlagert. Ich meine, dass der
Bundestag sehr wohl aufgerufen ist, sich Gedanken darüber zu machen, wie man insbesondere den kleinen Unternehmungen, die im Internet Geld verdienen wollen,
und dem Mittelstand zur Seite stehen kann, damit diese
Geschäftsmodelle funktionieren.
({1})
Nun verhält es sich mit diesem Thema aber leider wie
mit anderen Ankündigungen aus dem Hause der Justizministerin. Auch hier wurde eine Gesetzesinitiative angekündigt. Es ist allerdings für mich und für meine Fraktion nicht zu erkennen - es ist nicht nur unser Problem -,
wann jemals ein Gesetzentwurf dazu kommen wird.
Vielleicht können Sie Aufklärung schaffen, Herr Staatssekretär.
({2})
- Das steht zu befürchten. Die Frage ist nur, in welchem
Jahr, Herr Kollege.
Der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke ist also
schon deswegen verdienstvoll, weil er dem Hohen Haus
Gelegenheit gibt, die Ministerin daran zu erinnern, dass
die Aufgabe eines Ministers nicht nur die Verhinderung
von Gesetzen ist, sondern auch deren Vorlage für eine
sinnvolle Weiterentwicklung des Rechts in Deutschland.
({3})
Das Wort hat der Kollege Stephan Thomae für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen, verehrte Kollegen! Der Kollege Heveling sprach gerade von schwarzen Schafen im Besonderen und von Schafen im Allgemeinen. Ich habe überlegt: Warum gibt es eigentlich in
Deutschland mehr Schafe oder Kühe als
({0})
Störche oder Wildschweine? Ganz einfach: Weil Kühe
oder Schafe jemandem gehören. Warum gibt es in
Deutschland mehr geistig schöpferische Menschen als
zum Beispiel in Nigeria?
({1})
Ganz einfach: Weil bei uns Kreativität stärker geschützt
wird.
Grundsätzlich sind wir uns einig, dass wir ein Bekenntnis zum Schutz geistigen Eigentums ablegen sollten. Ich lese in der Begründung des Gesetzentwurfs der
Linken, Frau Wawzyniak:
Das Schutzregime von Sachgütern kann nicht undifferenziert und unmittelbar auf das Immaterialgüterrecht übertragen werden. Es ist schon fraglich,
ob immateriellen Rechtsgütern überhaupt der gleiche abwehrrechtliche Schutz geboten werden muss.
Das löst bei mir einen Reflex aus, den ich nur schwer
unterdrücken kann. Da leuchtet nämlich durch, worauf
es Ihnen eigentlich ankommt. Wer so argumentiert, Frau
Wawzyniak, der legt die Axt an Grundvoraussetzungen
unserer Eigentums- und damit auch unserer Gesellschaftsordnung.
({2})
Wer etwas investiert, wer etwas riskiert, der muss die
Chance haben, die Früchte seines Fleißes und die
Früchte seines Risikos zu ernten. Diese Chance muss der
Staat schützen, egal ob diese Rechtsgüter materiell oder
immateriell sind. Das ist die erste Feststellung, die ich
im Hinblick auf Ihre Gesetzentwurfsbegründung vortragen will.
Die zweite Feststellung ist, dass wir Liberale, wir bürgerliche Parteien uns zunächst solidarisch mit dem erklären, der sich rechtmäßig verhält. Jeder Abmahnung - so
ärgerlich sie auch sein mag und sosehr man über manche
Einzelheiten diskutieren müssen wird - geht zunächst
einmal ein Rechtsverstoß voraus, im Zusammenhang mit
einer Urheberrechtsverletzung eine Urheberrechtsverletzung.
({3})
Zunächst: Was ist die rechtliche Funktion der Abmahnung? Sie enthält eine Warnung. Sie ist ein außergerichtliches, ein vorgerichtliches Instrument und kann ein
noch teureres Gerichtsverfahren überflüssig machen.
Die Abmahnung soll auch ein Angebot, ein Unterwerfungsangebot sein, um einen zivilrechtlichen Streit vor
Gericht zu vermeiden, hat also auch die Funktion, kostengünstig Rechtsfrieden herzustellen. Es ist also auch
ein prozessökonomisches Instrument. Das ist in meinen
Augen eine weitere wichtige Feststellung: dass eine Abmahnung immer noch besser ist als eine Klage. Aber
solch ein Unterwerfungsangebot muss Akzeptanz finden
können - da haben Sie in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs nicht unrecht - und darf deswegen nicht überzogen sein.
Dritte Feststellung. In der Tat hat die Bundesministerin der Justiz im Oktober 2011, also unlängst, angekündigt, dass sie drei Hauptprobleme angehen will. Zwei davon haben Sie in Ihrem Gesetzentwurf angesprochen.
({4})
Erstens geht es um das Problem der hohen Streitwerte. Hohe Streitwerte senken die Akzeptanz der Unterwerfungsangebote. Natürlich müssen Abmahnungen
hoch genug sein, um ernst genommen zu werden, aber
auch niedrig genug, um akzeptiert zu werden. Deswegen
planen wir - Diskussionen darüber sind im Gange -,
Mechanismen zu finden, mit denen eine nachvollziehbare Streitwertermittlung - es geht nicht um eine Pauschale - möglich ist. Das ist Gegenstand unserer Überlegungen. Solche Mechanismen werden in Ihrem Gesetzentwurf nicht angesprochen.
Das zweite Problem, dessen wir uns annehmen wollen - eine Behandlung finde ich in Ihrem Gesetzentwurf
nicht -, ist das Problem des sogenannten fliegenden Gerichtsstandes,
({5})
also das Problem, dass der Abmahner, der Rechteinhaber, sich aussucht, wo er Klage erhebt. Ein Abmahnanwalt kann sich immer zu dem Gerichtsstand begeben,
von dem er weiß, dass er verbraucherfeindlich und urheberfreundlich urteilt. Wir müssen einmal schauen, ob es
Möglichkeiten gibt, die Festlegung des Gerichtsstands
so zu regeln, dass auch der Abmahnende ein gewisses
Prozesskostenrisiko zu tragen hat.
({6})
Dadurch könnte eine Art Waffengleichheit hergestellt
werden.
({7})
- Es darf geklatscht werden.
({8})
Das dritte Problem ist der Gegenanspruch; auch dies
wird in Ihrem Gesetzentwurf angesprochen. Bei ungerechtfertigten Abmahnungen muss der Abmahnende mit
der Gefahr eines ernsten Kostenerstattungsanspruchs
konfrontiert sein. Dieses Thema wird in Ihrem Gesetzentwurf zu Recht angesprochen.
({9})
Es gibt ein paar Punkte, die wir sehr konstruktiv und
nachdenkenswert finden. Wir werden uns Ihren Gesetzentwurf noch einmal in verbesserter Form zu Gemüte
führen und dann beizeiten - gut Ding will Weile haben einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen.
Lassen Sie mich ein Fazit formulieren:
Erstens. Das Bekenntnis zum geistigen Eigentum
sollte Grundbestand dieses Parlaments sein.
({10})
Zweitens. Abmahnungen sind zunächst einmal sinnvoller als eine klageweise Geltendmachung.
Drittens. Auswüchse bei Abmahnungen müssen wir
uns im Zusammenhang mit den drei Punkten „Streitwert“,
„fliegender Gerichtsstand“ und „Kostenerstattung“ genauer ansehen und, wenn möglich, beseitigen.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Frau
Wawzyniak, in ihrem Gesetzentwurf schreiben die Linken, dass Verletzungen geistigen Eigentums - ich zitiere
jetzt wörtlich aus ihrem Gesetzentwurf - „keine weiteren
Folgen für den Inhaber haben“. Dazu muss ich sagen:
Oben auf der Besuchertribüne sitzt jemand, der ein Abrechnungssystem für Tankstellen geschaffen hat. Das ist
eine geistige Schöpfung. Wenn jemand diese stiehlt,
dann sagen Sie, dass dies keine weiteren Folgen für den
Inhaber hat.
({11})
Wir sagen, dass das für ihn sehr wohl weitere Folgen hat.
Es ist für ihn unter Umständen sogar existenzbedrohend.
Wir nehmen diese Sache also ernster als Sie. Wir wollen
Auswüchse beseitigen. Sie müssen Ihr Verhältnis zu
Fleiß, zu Risiko und zu Eigentum grundlegend überdenken.
Vielen Dank.
({12})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Montag das Wort.
({0})
Danke. Das hätte ich nicht erwartet. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Problemdarstellung im Gesetzentwurf der Linken ist durchaus richtig. Wenn allein von deutschen Internetprovidern
monatlich über 300 000 Adressauskünfte wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen im Internet eingeholt
werden, dann ist die Größenordnung „Hunderttausende
von Abmahnungen in Deutschland pro Jahr“ sicherlich
nicht zu hoch gegriffen. Dazu passt der immense Anstieg der Zahl gerichtlicher Entscheidungen nach § 101
Abs. 9 Urheberrechtsgesetz. An manchen Landgerichten
gibt es bis zu 3 000 Verfahren pro Jahr, pro Verfahren
mit mehreren Tausend IP-Adressen. Es gibt Gerichtsverfahren, in denen Beschlüsse zu über 11 000 IP-Adressen
gefasst wurden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Verbraucherzentralen berichten, dass ihre Arbeit inzwischen zu mehr als
50 Prozent in der Beratung zu Abmahnverfahren besteht.
Es ist festzustellen, dass sich diese Abmahnungen auf
spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien konzentrieren,
dass diese wiederum eng mit Firmen zusammenarbeiten,
deren Geschäftszweck ausschließlich darin besteht, die
Urheberrechte nur zum Zwecke des Abmahnwesens zu
bündeln und das Geschäft der Internetrasterung nach
noch so banalen Urheberrechtsverletzungen zu betreiben. Dabei ist festzustellen, dass Abmahngebühren in
Höhe von mehreren Hundert bis mehreren Tausend Euro
verlangt werden, während die Rechtsanwaltskanzleien
oder die mit ihnen verbundenen Firmen bei den Rechteinhabern mit der für sie völligen Kostenlosigkeit des Abmahnverfahrens werben. Dieses Geschäftsmodell ist im
Ergebnis kriminell und verstößt in hohem Maße gegen
anwaltliche Berufspflichten.
({0})
Im Abmahnverfahren geltend gemachte sogenannte
Pauschalen für Aufwand und Schadensersatz in Höhe
von mehreren Hundert bis mehreren Tausend Euro stellen selbst für die Rechteinhaber, die nur einen Bruchteil
dieses Betrags erhalten, das Zigfache dessen dar, was
aus Einnahmen aus legaler Lizenzierung zu erzielen
wäre. So wirbt das Unternehmen DigiRights Solution
mit folgenden Worten - Zitat -:
Der Ertrag aus erfassten und bezahlten illegalen
Downloads beträgt das 150-Fache eines legalen
Downloads.
Auch das Bundesjustizministerium bestätigt diesen
gewerblich organisierten und systematischen Missbrauch des Urheberrechts und der Abmahnungen und
kündigt deswegen einen eigenen Gesetzentwurf an. Allerdings weist das BMJ zu Recht darauf hin - auch Frau
Kollegin Zypries hat darauf hingewiesen -, dass es solche Missbrauchsstrukturen auch im Wettbewerbsrecht
gibt und dass der Gesetzentwurf der Linken dazu
schweigt.
Ich kann zum Gesetzentwurf der Linken an dieser
Stelle nur kursorisch Stellung nehmen. Sie wollen die
Abmahnung als Rechtsinstitut im Urheberrecht nicht abschaffen; da geht Ihre Polemik fehl. Aber § 97 a Abs. 2
des Urheberrechtsgesetzes wollen Sie ersatzlos streichen. Damit wollen Sie die im Gesetz vorgegebene Beschränkung der Anwaltsgebühren auf eine Höhe von
100 Euro in einfach gelagerten Fällen gewährleisten.
Dazu sage ich Ihnen: Ja, diese Vorschrift hat viele
Schlupflöcher, weil „unerhebliche Verletzung“ und „einfach gelagerte Fälle“ Kaugummibegriffe sind.
({1})
Das habe ich bereits 2008 an dieser Stelle kritisiert, und
ich habe um eine Präzisierung gebeten.
({2})
Ich bin mir nicht sicher, dass der Weg der Linken der
richtige Weg ist. Es sollte Ihnen zu denken geben, dass
auch die FDP 2008 hier in diesem Hause die Streichung
dieser Vorschrift vorgeschlagen hat.
({3})
Sie wollte damit den Rechtsanwälten zu hohen Gebühren verhelfen.
({4})
Aber hilft die Abschaffung dieser Vorschrift im Abmahnwesen? So wie in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen, hilft sie nicht.
({5})
Sie versuchen, die Streitwerte über § 104 a Urheberrechtsgesetz und § 51 b Gerichtskostengesetz zu erfassen, beziehen diese Streitwertreduzierungen aber nur auf
§ 97 Urheberrechtsgesetz,
({6})
lassen also den § 97 a Urheberrechtsgesetz außen vor.
({7})
Damit wird den Hunderttausenden abgemahnter und abgezockter Bürger nicht geholfen.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden über die
weiteren Punkte, die Sie vorschlagen, in unseren Beratungen im Rechtsausschuss und in der Sachverständigenanhörung, die wahrscheinlich kommen wird, näher
diskutieren. Wir werden Ihren Gesetzentwurf mit dem
Gesetzentwurf vergleichen, von dem ich hoffe, dass er
uns vielleicht doch noch vor Weihnachten 2011 als Referentenentwurf zugestellt wird, sodass wir im nächsten
Jahr, nach Möglichkeit gemeinsam, zu einer Lösung
kommen können, die der kriminellen und massenhaften
Abzocke der Bürgerinnen und Bürger im Urheberrecht,
aber auch im Wettbewerbsrecht Einhalt gebietet.
Danke.
({9})
Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Urheberrechtsverletzungen im Internet haben massiv zugenommen. In der digitalen Welt ist es eben sehr leicht
und es kann sehr schnell gehen, dass Rechtsverletzungen
begangen werden. Deswegen haben die Rechteinhaber
zunächst einmal Wege und Mittel finden müssen, um gegen massenhafte Urheberrechtsverletzungen wirksam
vorzugehen.
Das Instrument der Abmahnung ist dabei ein probates
Mittel, weil es eben ermöglicht, die Unterlassung von
Urheberrechtsverletzungen durchzusetzen. Erst in den
letzten Jahren ist diese zu Recht kritisierte Abmahnindustrie entstanden. Es ist ein Phänomen, dass Massenabmahnungen zu einem eigenen Geschäftsmodell
werden, das gar nicht so sehr mit dem Schutz des Wettbewerbs oder der Urheber zu tun hat, sondern ganz unabhängig davon der Gewinnerzielung dient. Selbst bei
geringsten Rechtsverletzungen entstehen hohe Kosten.
Sogar mit missbräuchlichen Abmahnungen lässt sich
Kasse machen.
Ich rate allerdings davon ab, Abmahnungen deswegen
pauschal zu verurteilen; diesem Impuls sollten wir nicht
nachgeben. Abmahnungen bleiben ein wichtiges Instrument, um Urheberrechtsverletzungen zu unterbinden, effektiv, zeitnah und im Übrigen auch kostengünstig für
alle Beteiligten. Das war der Grund, weshalb wir bei der
letzten Urheberrechtsnovelle 2008 in § 97 a Abs. 1 ausdrücklich aufgenommen haben, dass der in seinem Recht
Verletzte abmahnen soll; denn es liegt natürlich auch im
Interesse des Rechtsverletzers, dass er zunächst einmal
die Chance erhält, im Wege der Abmahnung eine außergerichtliche Beilegung herbeizuführen.
Es ist auch wichtig, zu betonen, dass Urheberrechtsverletzungen kein Kavaliersdelikt darstellen. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Wer also Film- oder Musikdateien in Tauschbörsen illegal herunterlädt und mit
anderen teilt, muss sich darüber im Klaren sein, dass er
Unrecht begeht. Der Urheber ist darauf angewiesen, dass
sein Werk auch im Internet Schutz erfährt, zumal in der
digitalen Welt sein Werk binnen Sekunden illegal vervielfältigt werden kann.
Deswegen ist es nicht hinnehmbar, wenn Sie vorschlagen, die Kosten der Rechtsverfolgung auf vorsätzliche
Rechtsverletzungen zu beschränken und auf Tätigkeiten,
die gewerblicher Natur oder selbstständiger beruflicher
Natur sind. Damit würden die Urheber gegenüber Urheberrechtsverletzungen, die nicht vorsätzlich, nicht gewerblich oder nicht beruflich erfolgen, völlig auf sich
selbst gestellt sein. Sie könnten die Kosten ihrer Rechtsverfolgung nicht geltend machen. Das würde massenhaften Rechtsverletzungen geradezu Tür und Tor öffnen.
Das ist ein völlig falsches Signal.
Die Linke versucht sich mit ihrem Gesetzentwurf am
Urheberrecht; aber das bleibt natürlich Flickschusterei,
wenn nicht zumindest auch das Wettbewerbsrecht mit in
den Blick genommen wird. Auch im Wettbewerbsrecht
haben wir es mit Massenabmahnungen zu tun, die oft
wegen Lappalien völlig überzogene Kosten verursachen.
Die Bundesregierung hat das offenkundig erkannt und
deswegen ihren Staatssekretär Hintze aus dem zuständigen Bundeswirtschaftsministerium in diese Debatte entsandt. Herzlich willkommen!
({0})
Wir dürfen die Missstände bei Abmahnungen also nicht
isoliert betrachten, sondern wir brauchen ein schlüssiges
Gesamtkonzept, das neben dem Urheberrecht zumindest
auch das Wettbewerbsrecht umfasst.
Ich habe viel dafür übrig, die Abmahnkosten zu begrenzen. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir den sogenannten fliegenden Gerichtsstand einschränken. Und
wir sollten in der Tat über angemessene Streitwerte
nachdenken.
({1})
Was die Abmahnkosten angeht: Wir haben mit § 97 a
Abs. 2 im Urheberrechtsgesetz bereits den Versuch unThomas Silberhorn
ternommen, diese Abmahnkosten zu begrenzen. Aber
die Deckelung auf 100 Euro in einfach gelagerten Fällen
bei erstmaligen und unerheblichen Rechtsverletzungen
hat praktisch kaum Bedeutung erlangt. Die Rechtsbegriffe sind schlichtweg zu unbestimmt, sodass diese Regelung weitgehend ins Leere läuft. Wir sollten hier also
nachsteuern. Entweder schaffen wir es, die tatbestandlichen Voraussetzungen zu präzisieren und zum Beispiel
auf bestimmte, praktisch bedeutsame Fallgestaltungen
zu konzentrieren, oder wir sollten darüber nachdenken,
diese Regelung wieder zu streichen.
Es spielt in diesem Zusammenhang sicherlich eine
Rolle, dass vor allem bei unberechtigten und missbräuchlichen Abmahnungen die Kostenfolgen besonders
virulent sind. Deswegen habe ich Verständnis für den
Vorschlag, dem vermeintlichen Rechtsverletzer ebenfalls
den Anspruch einzuräumen, dass ihm die Kosten seiner
Rechtsverfolgung ersetzt werden. Das ist ein Gebot der
Waffengleichheit und ganz sicher ein wirksamer Schutz
vor unberechtigten und auch vor missbräuchlichen Abmahnungen.
Ein Bruchteil der Fälle landet letztlich vor den Gerichten. Dabei ist bemerkenswert, dass die Rechteinhaber ihre Ansprüche oft nicht mehr verfolgen, wenn die
Abgemahnten Rechtsbeistand einholen und die geltend
gemachten Unterlassungsansprüche und Abmahnkosten
zurückweisen. Das ist wohl ein Indiz dafür, dass manche
Abmahnung doch nicht berechtigt war.
Wir haben aber den sogenannten fliegenden Gerichtsstand, der es den Klägern ermöglicht, den für sie günstigsten Gerichtsstand auszuwählen. Wenn man bedenkt,
dass das ein Gerichtsstand sein kann, der oft weit entfernt vom Rechtsverletzer liegt, dann erkennt man: Das
kann für den Rechtsverletzer selbst bei unberechtigten
und missbräuchlichen Abmahnungen dazu führen, dass
er die Kosten seiner Vertretung scheut und dass am Ende
die Vertretung seiner eigenen Interessen verhindert wird.
Deswegen sollten wir darüber nachdenken, den Gerichtsstand im Grundsatz auf den Wohnsitz oder den Geschäftssitz des Beklagten zu beschränken.
({2})
Die hohen Kosten von Abmahnungen und Unterlassungsklagen liegen meist in Gegenstands- und Streitwerten begründet, die als überhöht empfunden werden und
es wohl oft auch sind. Dabei spielt eine Rolle, dass sich
die Streitwerte selbst in Bagatellfällen auf über
5 000 Euro eingependelt haben, weil damit die Zuständigkeit der Landgerichte begründet werden kann. Dann
kommt man natürlich schnell auf viele Hundert Euro
Abmahnkosten und viele Tausend Euro, wenn Gerichtskosten und Rechtsanwaltsgebühren dazukommen.
Dabei stehen die hohen Streitwerte oft in keinem Verhältnis zur begangenen Rechtsverletzung. Wenn etwa
Kinder unbedacht, aber illegal Lieder von Teeniebands
aus dem Internet herunterladen, dann sehen sich die Familien oft mit exorbitanten Kosten konfrontiert. Ähnlich
ergeht es vielen Unternehmen, wenn sie zum Beispiel
die Impressumspflicht auf ihren Internetseiten missachten. Bagatellverstöße führen also zu gewaltigen Kostenfolgen.
Wir sollten von der Möglichkeit, den Streitwert herabzusetzen, besser Gebrauch machen. In der Praxis findet das offenbar vielfach nicht statt. Vielleicht könnten
wir diesen Weg erweitern. Wir sollten darüber hinaus ins
Auge fassen, das Gerichtskostengesetz zu ändern, um
bei der Streitwertfestsetzung den wirtschaftlichen Belangen beider Seiten besser gerecht zu werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen
den unlauteren Wettbewerb verhindern und die Urheberrechte schützen. Aber wir müssen auch die Auswüchse
der Abmahnindustrie da zurückschneiden, wo sie auf
Gewinnerzielung gerichtet sind und wo das eigentliche
Interesse, nämlich den Wettbewerb und den Urheber zu
schützen, nicht mehr ersichtlich ist. Abmahnungen dürfen nicht länger ein eigenständiges Geschäftsmodell zur
bloßen Gewinnerzielung sein. Das Bundesjustizministerium arbeitet an entsprechenden Gesetzentwürfen. Auf
dieser Grundlage werden wir zeitnah weiter beraten können.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Edgar Franke für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Bei
der Einbringung des Justizhaushaltes im Mai dieses Jahres habe ich bereits ein paar Anmerkungen zum Abmahnungsunwesen im Urheberrecht gemacht. Ich habe mich
damals gefragt, ob dieses Thema für eine allgemeine
Haushaltsdebatte nicht zu banal ist und ob man darüber
im Rahmen der Haushaltsberatungen überhaupt sprechen sollte. Aber - Sie werden es kaum glauben - ich
habe unmittelbar danach, noch am selben Tag, über
200 E-Mails und unzählige Briefe bekommen. Darunter
waren Kommentare, Anfragen und Erfahrungsberichte
über den Kontakt mit großen Rechtsanwaltskanzleien.
Sie haben von schwarzen Schafen gesprochen, Herr
Heveling. Ich glaube, davon gibt es - das muss man
auch in dieser Debatte ehrlich sagen - eine ganze Reihe.
Es waren teilweise wirklich auch Hilferufe. Die Leute
fühlten sich subjektiv eingeschüchtert und ungerecht behandelt, wenn sie von großen Kanzleien Unterlassungserklärungen zugesandt bekamen und damit konfrontiert
wurden. Das ist ja immer mit einer Schadensersatzforderung verbunden, Frau Wawzyniak.
Ich habe dabei auch wieder etwas gelernt: Es sind oftmals nicht die großen politischen Fragestellungen, sondern die kleinen Probleme, bei denen die Menschen Ungerechtigkeit empfinden und die sie bewegen - auch
emotional. Ich habe den einen oder anderen angerufen
und mir ein paar Beispiele schildern lassen. Sie haben ja
auch schon ein skurriles Beispiel genannt. Ich will hier
ganz kurz von einem weiteren Beispiel berichten: Ein
Ehepaar - er 67, sie 58 Jahre alt - hat mich angerufen.
Sie sollen den Film Fast & Furious Five - dabei geht es
um schnelle Autos und um Verfolgungsjagden in Parkhäusern - in den sogenannten Tauschbörsen zum Tausch
angeboten haben. Sie waren zum angegebenen Zeitpunkt
gar nicht zu Hause, und trotzdem war es für die Leute in
der Praxis ganz schwer, zu beweisen, dass sie nichts gemacht haben.
Oftmals geht es hier um ein ganz praktisches Problem: Der Provider benutzt bei der Ermittlung der IPAdresse eine Software, die feststellt, welcher PC in den
Peer-to-Peer-Filesharing-Netzwerken - so heißt das,
glaube ich -, in den Tauschbörsen, aktiv wird. Selbst Experten, mit denen ich telefoniert habe, haben mir gesagt,
dass die Zuverlässigkeit der Software angezweifelt werden muss. Wenn der sogenannte Zeitstempel nicht exakt
generiert wird, lässt sich eine zuverlässige Zuordnung
des Anschlussinhabers nicht immer herstellen. Da die
Zeitbestimmung so problematisch ist, ergeben sich in
der Praxis sehr große Fehlerquellen. In mehreren Berichten der Frankfurter Rundschau stand, dass man insgesamt von 100 000 zu Unrecht Abgemahnten ausgehen
muss.
Da hier der Anscheinsbeweis zugunsten des Verletzten Anwendung findet, hat es der unbegründet Abgemahnte in der Praxis sehr oft schwer. Herr Heveling,
sonst wäre auch eine solche Rückmeldung wie die des
von mir angesprochenen Ehepaares nicht unbedingt
nachvollziehbar. Diese würde es auch sonst so nicht geben.
Ich glaube, es ist heute von allen viel Richtiges gesagt
worden. Auch ich möchte jetzt inhaltlich ein paar grundlegende Anmerkungen zum Gesetzentwurf der Linken
machen. Ich glaube, die Analyse ist richtig - das hat
Frau Zypries ja schon betont -, aber an einigen Punkten
müssen wir nacharbeiten, auch rechtlich. Ihr Gesetzentwurf hat nämlich ein paar handwerkliche Schwächen.
Von vielen - von Herrn Silberhorn, von Herrn
Montag und eigentlich auch von allen anderen - ist
§ 97 a Abs. 2 Urheberrechtsgesetz angesprochen worden. Ich glaube, es war zunächst einmal richtig und gut,
dass man ihn in das Urheberrechtsgesetz aufgenommen
hat. Wir müssen ihn sicherlich modifizieren, weil er oftmals ins Leere läuft. Es gibt allerdings - ich habe einmal
nachgeschaut - einige Urteile gerade aus dem Bereich
Südhessen, auch vom Amtsgericht Frankfurt, wo er konsequent angewendet wird. Wir können zwar im Detail
diskutieren, ob wir das eine oder andere modifizieren
oder präzisieren müssen, aber im Prinzip geht er in die
richtige Richtung. Frau Wawzyniak, ich denke, wir sollten Abs. 2 vielleicht eher präzisieren, als eine grundlegend neue Systematik einzuführen.
({0})
Herr Silberhorn, Sie haben zu Recht den sogenannten
fliegenden Gerichtsstand angesprochen. In der Praxis rufen spezialisierte Kanzleien ja nur Gerichte in den Gerichtsbereichen an, die erfahrungsgemäß vom höchsten
Streitwert ausgehen. Ich finde, darüber sollte man nachdenken. Das kann nicht vernünftig, richtig und vom Gesetzgeber gewollt sein.
({1})
Wenn man § 32 ZPO nicht ändern will, sollte man
wenigstens darüber nachdenken, die Gegenstandswerte
im Gerichtskostengesetz - auch das haben Sie angesprochen - zu begrenzen.
Eine kritische Anmerkung muss ich abschließend
noch machen, Frau Wawzyniak. Der von Ihnen vorgesehene neue § 104 a des Urheberrechtsgesetzes, nach dem
der Streitwert dann gemindert werden kann, wenn der
Betroffene kein Geld hat, ist eher eine Robin-HoodNorm und nicht unbedingt praktikabel, zumal wir auch
Prozesskostenhilfe für wirtschaftlich Schwächere haben.
Vor diesem Hintergrund ist die Umsetzung Ihres Vorschlags ein bisschen schwierig.
Grundsätzlich ist das Rechtsinstitut der Abmahnung
- darüber sind wir, glaube ich, alle einer Meinung - vernünftig, weil es letztlich die Gerichte entlastet. Es ist ein
Instrument, das beibehalten werden soll, aber wir müssen im Rahmen der Beratungen schauen, was wir ändern
können. Wir sollten, am besten zusammen, ganz konstruktiv die eine oder andere zivilrechtliche Vorschrift
kritisch überprüfen. Das ist wichtig und sinnvoll. Ich
freue mich, dass wir dahin gehend heute Abend einer
Meinung sind.
Danke schön.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/6483 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt VIII auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Volker Beck ({0}), Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Grundrechte von intersexuellen Menschen
wahren
- Drucksache 17/5528 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute zum ersten Mal in der Geschichte des
Bundestages einen Antrag, der sich mit der Situation intersexueller Menschen befasst. Damit brechen wir ein
Tabu, das jahrzehntelang dazu geführt hat, dass Menschen, bei denen Chromosomen und innere oder äußere
Geschlechtsorgane nicht übereinstimmend einem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden
konnten oder die in sich uneindeutig waren, medizinischen Menschenversuchen unterzogen und gesellschaftlicher Ausgrenzung ausgesetzt wurden.
Deswegen möchte ich in erster Linie meinen Respekt
allen mutigen intersexuellen Menschen ausdrücken, die
mit ihren höchstpersönlichen Lebensgeschichten in die
Öffentlichkeit gegangen sind, allen, die trotz der Gefahr,
erneut von unserer Gesellschaft unmenschlich behandelt
zu werden, so viel Kraft gefunden haben, und schließlich
allen, die angesichts der Untätigkeit der staatlichen Organe nicht aufgegeben haben, sondern sich an internationale Organisationen in der Hoffnung gewendet haben,
dass sich dann das, was ihnen passiert ist, nicht wiederholt.
({0})
Sie haben uns die Augen geöffnet, die diese Probleme
lange nicht gesehen haben. Dafür danke ich dem Verein
Intersexuelle Menschen, der Internationalen Vereinigung
Intergeschlechtlicher Menschen und der Selbsthilfegruppe „XY-Frauen“. Diese Menschen haben uns gezeigt,
wie unvorbereitet und unsensibel wir als Gesellschaft
sind, wenn wir mit dem Phänomen der Intersexualität
konfrontiert werden. Die Schicksale, die uns geschildert
worden sind, sind grausam. Basierend auf heute falschen
wissenschaftlichen Erkenntnissen hat man sie nach ihrer
Geburt an ihren Genitalien operiert, um der in unserer Gesellschaft erwarteten geschlechtlichen Eindeutigkeit gerecht zu werden. Sie wurden dabei kastriert und von einer
lebenslangen Hormontherapie abhängig gemacht.
Als sie später fragten, was mit ihnen passiert ist und
wieso sie die Medikamente nehmen müssen, hat man ihnen oft die Wahrheit verschwiegen. Darüber hinaus wurden sie im Dienst der Medizin als Objekte missbraucht,
indem sie beispielsweise in Publikationen abgebildet
wurden. Wir können uns gar nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn diese Menschen später in Lehrbücher
schauen und dann ihre eigenen Fotos sehen.
Wir alle haben viel zu lange das Problem nicht wahrgenommen. Umso wichtiger ist es, dass wir versuchen,
gemeinsam und entschlossen das Problem anzugehen.
({1})
Die grüne Bundestagsfraktion hat nach vielen Gesprächen mit intersexuellen Menschen und Expertinnen und
Experten einen Maßnahmenkatalog vorbereitet, den wir
Ihnen heute hier präsentieren. Neben der Forderung,
dass das prophylaktische, medizinisch nicht erforderliche Entfernen und Verändern der Genitalien bei intersexuellen Kindern unterbleiben soll, schlagen wir vor,
die Fiktion, wonach intersexuelle Menschen in unserer
Gesellschaft nicht existieren, zu beenden.
({2})
Dafür müssen wir das Personenstandsgesetz sowie
die gesetzlichen Grundlagen für die offizielle statistische
Erhebung so ändern, dass bei der Angabe „Geschlecht“
nicht nur zwei Antworten möglich sind. Ansonsten wird
das geltende Recht das medizinische Personal und auch
intersexuelle Menschen weiterhin zu den kontrafaktischen Angaben zwingen.
Ferner fordern wir die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Ländern ein unabhängiges Beratungs- und
Betreuungsangebot für betroffene Kinder und deren Eltern, für betroffene Heranwachsende und Erwachsene zu
schaffen und dabei die Beratungs- und Selbsthilfeeinrichtungen der Betroffenenverbände einzubeziehen;
denn das sind die wirklichen Experten in der Gesellschaft.
Den intersexuellen Menschen wie deren Familien, die
der Medizin und dem Rechtsstaat vertraut haben, sind wir
eine nachträgliche Unterstützung schuldig. Aber auch
den intersexuellen Menschen, die künftig geboren werden, müssen wir helfen. Daher muss eine Beratungsstelle
für die Angehörigen der beteiligten Gesundheitsberufe
zur medizinischen, psychologischen und gesellschaftlichen Aufklärung eingerichtet werden. Ihre Ausbildungsund Prüfungsordnungen sollen um das Thema Intersexualität ergänzt werden. Ebenso brauchen wir verstärkt
Fort- und Weiterbildungen.
Nicht zuletzt brauchen wir weitere wissenschaftliche
interdisziplinäre Forschungen zum Thema Intersexualität mit einem interdisziplinären Ansatz, auch unter Beteiligung von Kultur- und Gesellschaftswissenschaften
sowie der Betroffenenverbände. Das sind wir den intersexuellen Menschen schuldig.
Deshalb bitte ich alle Fraktionen um Unterstützung
der von mir gerade skizzierten Forderungen, was einerseits für die Menschen, die etwas Schlimmes erfahren
haben, etwas Wiedergutmachung bedeuten könnte und
andererseits künftig Geborene vor ähnlichen Erfahrungen bewahren sollte.
Ich biete gern die Zusammenarbeit in den Beratungen
an, sodass wir am Ende vielleicht zu einer gemeinsamen
Lösung kommen. Dazu soll unser Antrag eine Anregung
sein.
Ich bedanke mich.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Tauber für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Es
ist das erste Mal, dass der Deutsche Bundestag über dieses Thema berät. In Deutschland gibt es nach offiziellen
Angaben etwa 8 000 bis 10 000 intersexuelle Menschen;
andere Zahlen liegen sogar noch darüber. Wir zählen
jährlich etwa 150 bis 340 Personen, die so geboren werden. Schon diese Spannbreite von 150 bis 340 Personen
zeigt, welchen Nachholbedarf wir bei diesem Thema haben; denn in einem Land wie Deutschland, in dem jedes
Detail statistisch erfasst wird, ist es nahezu unvorstellbar, dass darüber keine klareren Zahlen vorliegen.
Auch deswegen ist es gut, dass wir heute über dieses
Thema reden - es wird dem einen oder anderen ähnlich
gegangen sein -: Bei der Frage: „Worüber sprichst du in
der Debatte? Was ist das für ein Thema?“, hat man zunächst einmal ein bisschen was zu erklären und zu erzählen. Das ist gut. Deswegen ist es richtig und wichtig,
dass wir uns heute hier ausführlicher mit diesem Thema
befassen, und hoffentlich nicht nur heute und hier.
Intersexualität bezeichnet unterschiedliche Formen
der Uneindeutigkeit der Geschlechtszugehörigkeit eines
Menschen. Man mag sich gar nicht vorstellen, was das
nicht nur individuell für jeden Betroffenen, sondern für
diese Menschen in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten in unserem Land und heute vielleicht noch in anderen Teilen dieser Welt bedeutete.
Jetzt leben wir in Deutschland in einem Sozialstaat.
Wir haben das Grundgesetz mit seinen unveränderbaren
Grundrechten. Das ist eine gute Grundlage, um sich dieses Themas weiter anzunehmen; denn das Grundgesetz
spricht ganz klar davon, dass allen Menschen unabhängig von ihren körperlichen, geistigen und sonstigen Eigenschaften dieselben Grundrechte zustehen. Wir alle
stehen in der Pflicht - auch wir von staatlicher Seite -,
dass die im Grundgesetz verankerten Rechte und Pflichten gegenüber allen Menschen gewahrt werden. Nun
mag bei intersexuellen Menschen die Eindeutigkeit der
Geschlechtszugehörigkeit aus medizinischer Sicht umstritten sein. Niemals darf jedoch ihre Zugehörigkeit zu
unserer Gesellschaft und damit der Anspruch auf die
universellen Grundrechte infrage gestellt werden.
Intersexuelle Menschen sind Menschen, die nicht in
das medizinische und rechtliche Konstrukt zweier abgrenzbarer Geschlechter passen, die also weder klar als
männlich noch klar als weiblich definierbar sind. Diese
Menschen können gängigen Geschlechternormen nicht
zugeordnet werden; darauf hat die Kollegin von den
Grünen bereits hingewiesen. Aber sie teilen mit uns die
wohl zentrale und wichtigste Eigenschaft: Wir alle sind
Teil dieser Gesellschaft. Das sollte sich auch im täglichen Leben widerspiegeln.
Damit sind wir schnell bei der Frage: Was brauchen
intersexuelle Menschen denn eigentlich? Zu beurteilen,
was diese Menschen - auch individuell - brauchen, ist
sicherlich nicht ganz leicht. Diese Frage stellen wir uns
bei allen soziologischen Gruppen, mit denen wir uns befassen. Immer geht es dabei am Ende aber um Individuen. Jedes Individuum hat durchaus - das wissen wir
schon aus unseren Arbeitsgruppen und Fraktionen - unterschiedliche Bedürfnisse. Wir müssen auch aufpassen,
dass wir bei der Antwort auf diese Frage nicht Gefahr
laufen, alle intersexuellen Menschen über einen Kamm
zu scheren. Auf alle Fälle muss das Ziel unserer Politik
sein, den Bedürfnissen dieser Menschen gerecht zu werden, wenn wir politische Rahmenbedingungen setzen. Es
geht also wieder um die Frage: Welche spezifischen,
konkreten Bedürfnisse haben diese Menschen neben der
Enttabuisierung dieses Themas und der Hilfe bei der Lösung von Problemen? Ich glaube, dass es wichtig ist, den
Betroffenen die Möglichkeit zu geben, ihre Wünsche,
Ziele und Vorstellungen selbst zu artikulieren. Derjenige, der in der Situation ist, kann das am besten nachempfinden und uns sagen, was ihn umtreibt. Es ist nicht
klug, zu glauben, wir könnten die Situation der Betroffenen beurteilen und gute Ratschläge geben.
Der Deutsche Ethikrat hat sich im Auftrag der Bundesregierung mit der Situation intersexueller Menschen
intensiv befasst und ist dabei, dem Handlungsbedarf
nachzuspüren. Ich habe den Eindruck, dass der Deutsche
Ethikrat das in den zurückliegenden Monaten sehr behutsam und kompetent getan hat. Wir rechnen damit,
dass das Gutachten zum Jahresende abgeschlossen, dann
final beraten und im ersten Quartal 2012 der Bundesregierung vorgelegt wird. Diese beachtenswert behutsame,
vielleicht sogar empathische Art bei der Annäherung an
dieses Thema verdient Anerkennung und Respekt.
Wichtig war bei diesem Diskurs, dass alle Seiten zu
Worte kamen: Mediziner, Psychologen, Juristen, Vertreter von Elterninitiativen, Vereinen und Organisationen
sowie nicht zuletzt die Betroffenen selbst. Es gab eine
Diskussionsplattform im Internet mit wissenschaftlichen
Beiträgen, an der sich alle, die Interesse an dem Thema
hatten, beteiligen konnten. Über die laufende Diskussion
hinaus wurden dort alle relevanten Themen dokumentiert, sodass wir darauf in der weiteren Diskussion zurückgreifen können.
Aktuelle gesellschaftliche Themen aufzugreifen und
notwendige gesellschaftliche Diskurse anzuregen, gehört zu den im Ethikratgesetz verankerten Aufgaben des
Ethikrates. Die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Stellungnahme zu diesem Thema wird uns, wie
gesagt, zu Beginn des kommenden Jahres vorliegen. Sie
wird eine Auseinandersetzung mit Fragen der Legitimität medizinischer Eingriffe, der gesundheitlichen Fehlversorgung, des Personenstandsrechts und der Möglichkeit eines finanziellen Ausgleichs für widerfahrenes
Leid bieten müssen. Einige dieser Themen haben Sie ja
bereits in Ihrem Antrag genannt.
Die Wahrheit ist: Intersexualität ist ein Thema, für das
es vielleicht noch nicht in ausreichendem Maße Sensibilität und Verständnis gibt. Daher freut es mich umso
mehr, dass wir auf der erwähnten Plattform eine Fülle
von Wortmeldungen registrieren konnten, die Anregungen und Impulse für die weitere Diskussion, auch für unsere Diskussion gegeben haben. In dem allgemeinen
Prozess, der in dem Diskursverfahren des Ethikrats vonstattenging, stellten sich schnell drei Punkte heraus, über
die Konsens herrscht. Da sie unstrittig sind, sollte man
sie an dieser Stelle durchaus erwähnen. Natürlich haben
intersexuelle Menschen das Menschenrecht auf Nichtdiskriminierung. Natürlich haben sie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Gesundheit. Und sie haben
- das ist ganz wichtig - ein Selbstbestimmungsrecht, das
über dem Elternrecht steht. Sie haben das Recht, zu entscheiden, wer und wie sie sein möchten. Diese Entscheidung darf ihnen von niemandem genommen werden,
nicht von ihren Eltern und auch nicht von der Politik.
Diese Menschen müssen ihr ganzes Leben mit den
Entscheidungen, die sie treffen, leben. Das gilt insbesondere für diejenigen, die in einem Körper leben, der ohne
gesundheitliche Relevanz und aus einem vermeintlich
ästhetischen Ideal heraus im frühen Kindesalter operativ
verändert wurde. Deswegen, glaube ich, müssen wir aufpassen, dass wir keine pauschalen Regelungen aus dem
Boden stampfen, dass wir diese Menschen nicht wieder
in Kategorien zwängen und ihnen nicht wieder eine Sonderrolle abseits einer wie auch immer gearteten Norm
zuweisen. Im Idealfall akzeptieren wir diese Menschen
so, wie sie sind, als Teil unserer Gesellschaft, räumen ihnen keine Sonderrolle ein, sondern geben ihnen die
Möglichkeit der Wahrnehmung der gleichen unveräußerlichen Rechte wie jedem anderen Menschen in unserem
Land auch.
Wir sehen der Stellungnahme des Ethikrats mit großem Interesse entgegen. Ich gehe davon aus, dass sie geeignet sein wird, viele Fragen zu klären und ein sicheres
Fundament für etwaige politische Entscheidungen zu geben. So werden das Interesse und die Rechte der Betroffenen gewahrt und so weit wie möglich unterstützendes
staatliches und gesellschaftliches Handeln initiiert.
Es ist ganz gut, dass wir diese Debatte heute begonnen haben. Ich hoffe, dass wir den sachlichen Ton, der
uns bei anderen Themen vielleicht manchmal fehlt, bei
diesem Thema fortführen können; denn, um mit den
Worten von Frau Veith, der Vorsitzenden des Vereins Intersexuelle Menschen e. V., zu sprechen:
Es gilt, das Tabu um das Leben intersexueller Menschen zu beseitigen, eine gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen und die Rechte aller, auch intersexueller Menschen zu wahren. Intersexuelle
Menschen … sind, was sie sind: Menschen.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Christel Humme für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Was wir nicht verstehen können, das darf nicht sein. - Ich
glaube, das ist das Motto, nach dem bisher im Umgang
mit intersexuellen Menschen verfahren wurde. Diesen
Eindruck gewinnt man eindeutig.
Wir haben schon gehört, um welche Menschen es
geht: Es geht um Menschen, die nicht in unser vorherrschendes Klassifizierungssystem „männlich“ oder
„weiblich“ passen. Mit dieser Zuordnung beginnt für
diese Menschen gleichzeitig ein langer Leidensweg. Ich
glaube, es ist an der Zeit, zu sagen: Den dürfen wir nicht
länger dulden.
Die Medizin spricht von einer Störung der Geschlechtsentwicklung und empfiehlt eine kosmetische
Genitaloperation - und das bereits im Säuglings- oder
Kleinkindalter. Viele intersexuelle Menschen, die in frühester Jugend diese Operation über sich ergehen lassen
mussten, sehen sich zu Recht als Opfer von Verstümmelung. Sie sind ihr Leben lang schwer traumatisiert.
Ärzte maßen sich an, stellvertretend für die Betroffenen eine nicht korrigierbare Entscheidung zu treffen. Sie
und die Eltern befinden darüber, ob ein Kind künftig ein
Junge oder ein Mädchen zu sein hat - und das, obwohl
sie wissen, dass sich zu diesem Zeitpunkt die sexuelle
Identität noch gar nicht ausgebildet hat.
Herr Tauber hat schon gesagt, dass es sich nicht um
Einzelfälle handelt - leider -, sondern dass in der Bundesrepublik jährlich bis zu 340 intersexuelle Menschen
geboren werden und wir bis heute von insgesamt 10 000
ausgehen müssen. Da es immer eine Dunkelziffer gibt,
lässt sich vermuten, dass es wahrscheinlich noch viel
mehr Menschen sind.
Was ist zu tun? Sie haben viel Gutes in dem Antrag
der Grünen aufgeschrieben, Frau Lazar. Ich möchte noch
einmal drei Punkte hervorheben:
Erstens. Es ist vollkommen richtig, zu sagen, dass wir
Änderungen im deutschen Personenstandsrecht brauchen. Man muss sich das einmal vorstellen: Neugeborene - das wissen Sie vielleicht - müssen in Deutschland
innerhalb einer Woche angemeldet werden. Es wird eine
Geburtsurkunde erstellt, die den Namen des Kindes und
seiner Eltern und das Geschlecht enthält. Damit beginnt
eigentlich schon der Leidensweg der Betroffenen; denn
nach unserem deutschen Recht kann man entweder
„männlich“ oder „weiblich“ eintragen. Damit geraten
Eltern unter unnötigen und sogar gefährlichen Zugzwang; denn sie werden gedrängt, eine Entscheidung zu
fällen, die die gesamte Zukunft ihres Kindes nachhaltig
beeinflusst.
Sollte es nicht eine weitere Kategorie, nämlich „intersexuell“, geben? Was spricht dagegen, das entsprechende Feld im Ausweis unter Umständen bis zur Pubertät oder vielleicht sogar, was ich begrüßen würde, bis zur
Volljährigkeit einfach freizulassen? Australien zum Beispiel hat ganz aktuell eine Lösung gefunden. Vielleicht
sollten wir uns das etwas näher ansehen. Ich weiß: Manche befürchten, dass, wenn so etwas im Ausweis steht,
Kinder und Jugendliche Diskriminierung erfahren. Aber
genau an diesem Punkt entlarven wir uns. Denn es fehlt
an umfangreicher Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit:
für die Betroffenen, ihre Angehörigen und letztlich für
uns alle.
Ich glaube, wir sollten auch noch einmal darüber
nachdenken, ob die Stelle, die auch für Diskriminierung
wegen der sexuellen Identität zuständig ist, nämlich die
Antidiskriminierungsstelle, in ihr noch aufzubauendes
Beratungsnetzwerk auch diese Menschen einbezieht.
Das fände ich gut,
({0})
sowohl mit Blick auf die Öffentlichkeitsarbeit als auch
hinsichtlich der Hilfestellung. Kürzungen sind an dieser
Stelle der falsche Weg.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, nun zum meiner
Ansicht nach wichtigsten Punkt, dem Selbstbestimmungsrecht der intersexuellen Menschen. Herr Tauber
hat das schon sehr eindringlich betont. Wir dürfen die
Deutungshoheit - das ist meine Überzeugung - über das
Phänomen Intersexualität nicht länger der Medizin überlassen; denn Intersexualität ist weder eine Krankheit
noch eine Störung. Eine Geschlechts-OP sollte künftig
nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn die Operationseinwilligung von den Betroffenen selbst gegeben
wird.
Die heutige Praxis wird nicht nur von Nichtregierungsorganisationen klar als Menschenrechtsverletzung
bezeichnet. Auch der Gleichstellungsausschuss der Vereinten Nationen, CEDAW, hat im Jahr 2009 Deutschland
gemahnt, internationale Menschenrechte auch bei intersexuellen Menschen zu garantieren. Auch die UN-Kinderrechtskonvention, die vorhin bei den Kinderrechten
schon ein wichtiges Thema war, verpflichtet die Bundesregierung dazu, die Rechte des Kindes als Individuum zu
achten.
({1})
Wir als Gesetzgeber müssen dafür sorgen, dass endlich
die Betroffenen allein über ihre sexuelle Identität entscheiden dürfen - und darüber, ob sie eine geschlechtsangleichende OP in Anspruch nehmen möchten
oder nicht.
Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit, das
Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung und sexuelle
Selbstbestimmung müssen auch für intersexuelle Menschen selbstverständlich sein.
Frau Lazar, Sie haben viele gute Vorschläge gemacht.
Herr Tauber, ich war begeistert davon, dass Sie in Ihrer
Rede vieles unterstützt haben. Darum wäre ich dafür,
dass wir nicht nur die Ergebnisse des Ethikrates abwarten, sondern uns zugleich selber bemühen, eine Anhörung mit den Gesundheitspolitikern, den Rechtspolitikern und den Innenpolitikern durchzuführen, um dieses
differenzierte Problem zu erfassen und gemeinsam eine
Lösung für diese Menschen zu finden.
Schönen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf die
Situation von intersexuellen Menschen bin ich erstmals
durch eine Veranstaltung aufmerksam geworden, auf der
sie sich vorgestellt haben und auf der ich mich mit Menschen, die sich als intersexuell bezeichnen, gesprochen
habe. Das war für mich eine sehr eindrucksvolle Erfahrung. Sie hat mich durchaus erschüttert, weil mir Menschen gegenübersaßen, die eine Frau oder ein Mann zu
sein schienen, aber ein anderes Geschlecht hatten und
sich auch damit auseinandersetzen mussten, dass sie als
Kinder Operationen erlebt haben, die sie nicht verstanden haben, über die sie keine Informationen hatten und
die sie ein Leben lang belasten, weil sie von Kindheit an
nicht mit ihrer Situation umzugehen gelernt haben.
Das hat mir deutlich gemacht, dass wir, auch wenn es
sich nur um eine kleine Gruppe in unserer Bevölkerung
handelt, es hier mit grundlegenden Menschenrechtsfragen zu tun haben, insbesondere mit Fragen der Menschenwürde. Ich denke, es ist sehr sinnvoll, dass wir uns
mit diesem Thema nachdrücklich und nachdenklich auseinandersetzen, es ernst nehmen und es nicht als parteipolitische Fragestellung missverstehen. Dass das keiner
tut, davon bin ich überzeugt.
Wir wissen mittlerweile, dass es Menschen gibt, die
eben nicht eindeutig als Mädchen oder Junge, als Mann
oder Frau geboren werden. Wir wissen auch, dass das in
der Vergangenheit über viele Jahre große Irritationen
ausgelöst hat. Noch bis in die 80er-Jahre des letzten
Jahrhunderts wurden uneindeutige genitale, chromosomale und gonadische Geschlechtsmerkmale meist
schon in frühester Kindheit chirurgisch „angepasst“, oder
es wurde versucht, die Geschlechtsidentität hormonell zu
beeinflussen. Auch heute gibt es noch solche Ansätze.
Die Betroffenen können bzw. konnten sich im Kindesalter nicht dagegen wehren und verstehen erst langsam, was ihnen widerfahren ist. Sie fordern, Intersexualität rechtlich und gesellschaftlich anzuerkennen. Dabei
berufen sie sich auch auf das Diskriminierungsverbot der
UN und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. In
diesem Zusammenhang ist fast alles gesellschaftlich,
rechtlich und medizinisch umstritten. Nicht nur Zeitpunkt und Reichweite der Maßnahmen, sondern auch die
rechtlichen Konsequenzen, die ein „drittes Geschlecht“
haben könnte, sind bislang völlig ungeklärt.
Der Deutsche Ethikrat ist daher vom Familienministerium zu einer Stellungnahme aufgefordert worden und
hat unter anderem eine Onlinedebatte gestartet. Davon
haben wir schon gehört. Der Ethikrat näherte sich zuerst
der Frage, ob es sich bei den einzelnen Formen von Intersexualität um eine Störung oder um eine Variante der
Geschlechtsentwicklung handelt. In diesem Zusammenhang mussten viele Erfahrungen und Bedürfnisse von
Betroffenen bewertet und berücksichtigt werden. In einer ersten Einschätzung der öffentlichen Anhörung vom
8. Juni dieses Jahres hat der Deutsche Ethikrat verlautbart:
Medizinische Eingriffe zur Geschlechtszuweisung
betreffen den Kern des Persönlichkeitsrechts jedes
Menschen, seine Geschlechtsidentität, sexuelle
Empfindungsfähigkeit und seine Fortpflanzungsfähigkeit. Hier findet das Elternrecht seine Grenzen
und auch dies spricht dafür, mit solchen Eingriffen
so lange wie möglich zu warten, damit die betroffenen Intersexuellen selbst entscheiden können.
Die abschließende Darstellung des Ethikrats wird für
Anfang 2012 erwartet. Darauf sind wir alle sehr gespannt.
Den Begriff der Intersexualität prägte 1915 der Genetiker Richard Goldschmidt. Er verwies damit auf geschlechtliche Erscheinungsformen, die er als Mischungen zwischen einem idealtypischen männlichen und
weiblichen Phänotyp betrachtete. Obwohl das Phänomen nunmehr fast 100 Jahre bekannt ist, stehen wir noch
immer ganz am Anfang der Debatte.
Die häufig angenommene Theorie, man könne das
Geschlecht medizinisch festlegen, führt heute noch immer vor allem zu genitalangleichenden Operationen.
Diese Eingriffe erfordern meist langfristige Nachbehandlungen. Betroffene wissen oft nichts über den Hintergrund. Dies führt zu falschen medizinischen Folgebehandlungen. So werden zum Beispiel die auf der Krankenkassenkarte als weiblich gekennzeichneten Menschen,
die aber im Kerngeschlecht xy-chromosomal sind, falsch
behandelt.
Zu den psychischen Schäden gehören starke Traumatisierungen durch die Operationen und ihre Folgen. Zudem sind die Reaktionen des auf eine angeblich mögliche Geschlechtsfestlegung drängenden sozialen Umfeldes
und die Tabuisierung der Intersexualität oft belastend.
Betroffene kritisieren aus diesen Gründen zu Recht
die Zwangsfestlegung - insbesondere im Kindesalter und fordern, die Genitaloperationen erst dann durchzuführen, wenn der intersexuelle Mensch die Operation
aus eigenem Willen möchte und ihr zustimmen kann.
Chirurgische Anpassungen im Kindesalter werden von
Betroffenen mit der unsäglichen Praxis der Beschneidung weiblicher Genitalien gleichgesetzt. Das ist eine
Auffassung, für die ich viel Verständnis habe. Persönlich
bin ich der Auffassung, dass niemand ohne Erlaubnis
und ohne die durch das Lebensalter der Betroffenen anzunehmende Einsicht das Recht hat, an den Genitalien
eines Kindes oder Jugendlichen herumzuschneiden.
({0})
Neben diesen Geboten der Ethik wirft die bisherige
Praxis erhebliche rechtliche Fragestellungen auf, denen
wir uns stellen müssen. So kommen mittlerweile etliche
Gutachten und Dissertationen zu dem Ergebnis, dass geschlechtszuweisende Operationen grundgesetzwidrig sein
könnten und umgehend verboten werden müssten.
Es mag sein, dass Intersexualität den Zahlen nach nur
eine kleinere Gruppe der Gesellschaft betrifft. Die Größe
einer Gesellschaft beweist sich aber im Umgang mit ihren Minderheiten.
({1})
Das unglaubliche und unwürdige Vorgehen, welches dieser Gruppe bisher widerfuhr, müssen wir thematisieren,
und wir müssen eine Lösung herbeiführen, die einem demokratischen Rechtsstaat würdig ist und die die Würde
intersexueller Menschen schützt.
({2})
Den Redebeitrag der Kollegin Dr. Barbara Höll für
die Fraktion Die Linke nehmen wir zu Protokoll1).
Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Klimke für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich, dass ich hier als Menschenrechtspolitiker
der Union zu den Grundrechten intersexueller Menschen
Stellung nehmen kann und darf. Denn das Recht der se-
xuellen Selbstbestimmung betrifft nicht nur die sexuelle
Orientierung, sondern auch die Geschlechtsidentität und
damit auch die Intersexualität. Deshalb ist es auch Auf-
gabe von uns Menschenrechtspolitikern, an der Umset-
zung dieses Grundrechtes in adäquate Gesetzgebung
mitzuwirken.
Das Thema intersexuelle Menschen und der Gedanke,
dass hier noch mehr vorhanden ist als die beiden Ge-
schlechter „männlich“ und „weiblich“, ist jenseits von
Betroffenen und einigen Experten weitgehend neu. Was
uns nicht persönlich trifft, sollten wir jedoch nicht igno-
rieren. Vielmehr sind wir Politiker in diesem Zusam-
menhang zum Handeln aufgerufen.
Eines muss gleich am Anfang angemerkt werden: Das
lange vorherrschende Denken, dass die Festlegung auf
ein Geschlecht für die weitere Entwicklung von Interse-
xuellen die einzige Lösung sei, ist der falsche Weg, ob
wir uns das nun vorstellen können oder auch nicht. In
der Fachwelt zeichnet sich inzwischen ein Paradigmen-
wechsel ab. Die breite Öffentlichkeit ist jedoch jenseits
von Klischees noch nicht genügend über das Thema auf-
geklärt und auch noch nicht genügend sensibilisiert. Das
gilt teilweise auch für das Fachpersonal im Gesundheits-
wesen, für Ärzte, Psychotherapeuten oder eben auch
Hebammen.
Während Homosexualität heute in vielen Bereichen
in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und von
einem überwiegenden Teil der Menschen akzeptiert
1) Anlage 2
wird, kann man das von der Intersexualität nicht behaupten. Homosexuelle Menschen und ihre Familien können
sich in einer Vielzahl von Beratungsstellen Unterstützung für den Umgang mit ihrer Situation einholen. Zudem sind wir gerade in den letzten Jahren mit der politischen Gleichberechtigung der Homosexuellen vorangekommen.
Das können wir über intersexuelle Menschen nicht
sagen. An wen sollen sich Eltern wenden, wenn sie das
Geschlecht ihres Kindes nicht eindeutig zuordnen können? Ist in einem solchen Fall die Hebamme, der Gynäkologe, der Kinderarzt oder der Psychotherapeut der
richtige Ansprechpartner? Wird dessen Rat wirklich in
angemessener Weise den aktuellen wissenschaftlichen
Erkenntnissen gerecht? Ich glaube, man darf hier noch
Zweifel haben. Auch im Personenstandsrecht wird intersexuellen Menschen nicht genügend Rechnung getragen.
Um wirklich zielführende Verbesserungen zu erreichen, benötigen wir aber zuallererst fundierte wissenschaftliche Informationen und ethische Bewertungen.
Hier ist der Deutsche Ethikrat - es ist hier mehrfach angesprochen worden - die richtige Stelle.
Richtig ist auch, dass der Deutsche Ethikrat aufgrund
der großen Bedeutung und der Komplexität des Themas
ein Gutachten erarbeitet - es wurde eben angesprochen -,
das in den nächsten Monaten die Bundesregierung erreichen wird. Erste Veröffentlichungen bestärken mich in
der Annahme, dass dieses Gutachten zu einer ausgewogenen, einer neuen Betrachtungsweise führen wird und
einen Leitfaden auch für den weiteren politischen Umgang mit diesem Thema bieten kann.
Ich bitte deshalb die Grünen, zu überlegen, ob es
nicht sinnvoll ist, den Antrag so lange zurückzustellen,
bis der Bericht vorliegt und vielleicht von uns behandelt
worden ist, damit wir auf Grundlage eines noch breiteren
Expertenwissens debattieren und entscheiden können.
({0})
Das Expertengespräch des Deutschen Ethikrates vom
Juni 2004 kann man auf der Website des Deutschen Ethikrates nachlesen. Es offenbart vor allen Dingen die große
Komplexität des Themas.
Ich möchte hier weder auf unterschiedliche Ursachen
noch auf unterschiedliche Ausformungen der Intersexualität eingehen. Ein Hinweis sei mir jedoch gestattet: Es
muss immer der einzelne Mensch mit seiner Persönlichkeit und seinen psychischen Besonderheiten betrachtet
werden. Ein Pauschalschema für den Umgang mit der
Intersexualität sollte es meiner Meinung nach künftig
nicht geben. Es geht um Individuen. Das betrifft ganz
besonders auch diejenigen Operationen, die die Genitalorgane verändern.
Lassen Sie mich auf einen Beitrag eingehen, den Frau
Professor Richter-Appelt vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bei dem Expertengespräch vorgetragen
hat. Sie begann ihren Vortrag mit der Frage, wen man
überhaupt als Frau oder als Mann bezeichnen kann. Die
unterschiedliche Ausstattung mit Chromosomen, die unterschiedliche Ausformung der Geschlechtsmerkmale
sowie die selbstempfundene Zuordnung sind hier zu berücksichtigen. Allein dies zeigt, dass es nicht die Intersexualität gibt, sondern eine Vielzahl verschiedener Formen.
Während früher bei Intersexualität die Zuweisung zu
einem der beiden Geschlechter - verbunden mit Operationen, Medikamenteneinnahme und eindeutig männlicher oder weiblicher Erziehung - der Lösungsweg oder
der vermeintliche Lösungsweg war, wurde im Rahmen
eines Hamburger Forschungsprojekts festgestellt, dass
diese Geschlechtskorrektur eigentlich nur selten das Ziel
individueller Zufriedenheit erreicht hat. Ich zitiere Frau
Richter-Appelt aus ihrem Vortrag: Die hohe psychosoziale Belastung und das beeinträchtigte Körpererleben
machen es deutlich, dass trotz medizinischer Behandlungen häufig kein psychophysisches Wohlbefinden gewährleistet werden konnte.
Wir benötigen also auch im medizinischen Bereich
andere Ansätze, die der Vielfalt der Intersexualität stärker Rechnung tragen und die gegebenenfalls auch zu einer stärkeren Beschäftigung der Psychotherapie mit diesem Thema führen könnten. Um es zusammenzufassen:
Wir brauchen mehr Forschung, mehr Sensibilität, mehr
Aufklärung und Beratung sowie eine andere Herangehensweise bei geschlechtskorrigierenden Maßnahmen.
Weiter benötigen wir eine Regelung, die intersexuellen
Menschen in unserem binären Geschlechtskonzept besser gerecht wird.
Der Ethikrat arbeitet zurzeit an all diesen Punkten. Er
wird sicher zu einem Ergebnis kommen, das die Bundesregierung in politisches Handeln umsetzen kann. Vor
diesem Hintergrund glaube ich, dass wir das Ende dieser
Arbeit noch abwarten sollten. Sosehr ich nachvollziehen
kann, dass aus Sicht der Grünen hier Handlungsbedarf
besteht, so sehr glaube ich doch, dass wir jetzt nicht mit
Schnellschüssen Anträge beschließen, sondern dazu beitragen sollten, gerade diesen Bereich sehr eingehend, sehr
intensiv und sehr individuell zu beraten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Angelika Graf für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Klimke, ich glaube, das ist kein Schnellschuss, den
die Grünen mit diesem Antrag versuchen, sondern es ist
der Versuch, dieses Thema in den Deutschen Bundestag
hineinzutragen und uns alle damit zu beschäftigen. Ich
gratuliere den Grünen ausdrücklich dazu, dass das gelungen ist; denn alle Rednerinnen und Redner haben sich
am heutigen Abend hinter diesen Antrag und seine Notwendigkeit gestellt. Ich finde, es ist ausgesprochen wichtig, dass wir hier über die Grundrechte intersexueller
Menschen sprechen.
({0})
Angelika Graf ({1})
In dem vorliegenden Antrag werden Vorschläge zur Verbesserung der Situation intersexueller Menschen gemacht. Auch aus menschenrechtlicher Sicht befürworte
ich ihn ausdrücklich.
Wir wissen sehr wenig über die Situation intersexueller Menschen. Es gibt nur diffuse Schätzungen über die
Zahlen. Es werden jährlich zwischen 150 und 340 intersexuelle Kinder geboren. Auf der anderen Seite schätzt
die Bundesregierung die Zahl der intersexuellen Menschen zwischen 8 000 und 10 000. Wenn man ein bisschen nachrechnet, stellt man fest, dass es mehr sein
müssten. Dabei handelt es sich nur um eine Schätzung.
Das macht deutlich, wie wenig wir darüber wissen. Nichtregierungsorganisationen wie Zwischengeschlecht.org
oder die Selbsthilfegruppen gehen von weit höheren
Zahlen aus. Ich denke, sie haben recht. Dazu kommt
noch, dass die Intersexualität aufgrund ihrer verschiedenen Ausprägungen manchmal erst in der Pubertät erkannt wird.
Deswegen ist es ein Anachronismus, wenn Kleinkinder auch heute noch an ihren nicht eindeutigen Genitalien operiert werden, damit sie sozial und rechtlich einem eindeutigen Geschlecht zugeordnet werden können.
Studien haben ergeben, dass die Behandlungsunzufriedenheit von operierten Intersexuellen sehr hoch ist. Das
besagt die Hamburger Studie auf der einen Seite und
auch das „Netzwerk DSD/Intersexualität“ auf der anderen Seite. Mehr als ein Viertel der operierten Menschen
erleiden medizinische Komplikationen, die häufig Nachoperationen nötig machen. Die ständig notwendigen Medikationen sind ein weiteres Problem. Aber nicht nur
das: Viele Menschen können sich im Laufe des Erwachsenwerdens nicht mit ihrem durch die Entscheidung anderer - der Eltern und der Ärzte - sozial und biologisch
zugeordneten Geschlecht identifizieren. Später versuchen sie, es noch einmal auf aufwendige Weise zu wechseln. Das ist eine furchtbare Situation.
Die Psyche leidet darunter erheblich. 47 Prozent der
Befragten haben angegeben, Suizidgedanken zu haben.
Die Traumatisierung durch die Operationen im Kindesalter belastet oft sehr stark die Eltern-Kind-Bindung.
Viele berichten davon, dass sie sich wegen dieser Behandlung, die im Kindesalter erfolgt ist, nicht verlieben
können und keine sexuellen Interessen haben. Das hat
nichts mit der Intersexualität zu tun, sondern das hat mit
der so früh erfolgten Operation zu tun. Deswegen müssen wir uns damit beschäftigen.
Ich verstehe, dass es in unserer Gesellschaft für Eltern
und das soziale Umfeld sehr schwierig ist, solchen Kindern den Freiraum zur Selbstentdeckung bezüglich ihrer
geschlechtlichen Identitätsfindung zu ermöglichen; denn
die Familie, die Freunde und die Behörden fragen: Ist es
ein Mädchen oder ein Bub? Das ist eine eindeutige
Frage, die man in dem Fall aber nicht eindeutig beantworten kann.
Wie können Eltern, ohne dass die Gesellschaft offener
für solche Themen wird, unter diesem Zuordnungsdruck
ihr Kind so erziehen, dass es später eine eigene Entscheidung frei treffen kann? Wie ist es für ein Kind, eine solche Belastung mit sich herumzutragen? Das sind Fragen,
über die man sich Gedanken machen muss. Wie entwickeln sich Kinder, die ihrem Umfeld sagen müssen: „Ich
weiß noch nicht, was ich einmal werde, ich bin noch in
der Entwicklung“?
Wenn das Kind nach der Pubertät eine eindeutige soziale Geschlechtsidentität gefunden hat, dann stellt sich
die Frage nach eventuell vorhandenen medizinischen
Möglichkeiten der Geschlechtsangleichung, die aufwendig und schmerzhaft ist, aber nur, wenn der erwachsene
Betroffene das auch wirklich will. Vielleicht will sich
ein intersexueller Mensch im Erwachsenenalter gar nicht
festlegen. Wir können das wirklich nicht wissen. Diese
vielen Fragen und die nicht vorhandenen Antworten zeigen, dass unsere Gesellschaft noch nicht darauf eingestellt ist. Wir als Gesellschaft müssen massiv daran arbeiten, Antworten zu finden.
Was ist zu tun? Erstens. Rechtlich müssten wir dafür
sorgen, dass Operationen nur dann vorgenommen werden, wenn sie medizinisch notwendig sind. Selbsthilfegruppen fordern deshalb, dass Intersexualität nicht mehr
als Krankheit oder Defekt eingestuft wird. Zweitens. Wir
müssen den behördlichen Entscheidungsdruck auf eine
eindeutige Geschlechtszuordnung aufheben. Drittens.
Wir müssen endlich mehr über intersexuelles Leben erfahren, das heißt: mehr interdisziplinäre Beratung und
Hilfen für Betroffene, Eltern und das soziale Umfeld.
Wir müssen in diesem Bereich mehr forschen. Vielleicht
gelingt es ja auch, die sexuelle Identität im Grundgesetz
aufzunehmen, damit Diskriminierung verhindert werden kann.
({2})
Ich denke, das wäre ein erster Schritt in die richtige
Richtung.
Vielen herzlichen Dank.
({3})
Wir sind uns offensichtlich einig, dass wir erst am
Anfang der Debatte über dieses Thema stehen. Deshalb
sage ich ganz ausdrücklich: Ich schließe die Aussprache
für den heutigen Tag.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/5528 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. November 2011,
8.30 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.