Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/24/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer Sitzung. Ich freue mich, dass Sie alle heute Morgen so früh erschienen sind, nicht nur, um die Haushaltsberatungen fortzusetzen, sondern insbesondere auch, um unserem Vizepräsidenten Dr. Hermann Otto Solms zu seinem heutigen Geburtstag zu gratulieren. ({0}) Lieber Kollege Solms, herzlichen Glückwunsch und alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr. Vor Eintritt in unsere Tagesordnung müssen wir eine Nachwahl durchführen. Die SPD-Fraktion hat mitgeteilt, dass die Kollegin Sonja Steffen für den Kollegen Michael Hartmann neues Mitglied im Wahlprüfungsausschuss werden soll. Können Sie sich damit anfreunden? - Das sieht so aus. Dann nehme ich Ihre Zustimmung zur Kenntnis. Damit ist die Kollegin in den Wahlprüfungsausschuss gewählt. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt - Drucksachen 17/6277, 17/6853, 17/7065, 17/7330, 17/7775 Berichterstattung: Abgeordneter Stefan Müller ({2}) ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Für einen progressiven europäischen Haushalt Der Mehrjährige Finanzrahmen der EU 2014-2020 - Drucksache 17/7808 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({3}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 9. Juni 2011 überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4}) zur Mitberatung überwiesen werden: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland fördern - Drucksache 17/5914 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Präsident Dr. Norbert Lammert Sind Sie auch mit diesen Vereinbarungen einverstan- den? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so be- schlossen. Wir setzen nun unsere Haushaltsberatungen - Tages- ordnungspunkt II - fort: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012 ({6}) - Drucksachen 17/6600, 17/6602 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2011 bis 2015 - Drucksachen 17/6601, 17/6602, 17/7126 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider ({8}) Otto Fricke Priska Hinz ({9}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.1.4 auf: Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie - Drucksachen 17/7109, 17/7123 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Florian Toncar Dr. Tobias Lindner Zu diesem Einzelplan liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion. ({10})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich heute zum Haushalt des Ministeriums für Wirtschaft komme, möchte ich mich ganz herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Haushaltsreferats des Ministeriums - an der Spitze die Herren Forwick und Pons - bedanken, die uns - das darf ich sehr klar sagen - konstruktiv, informativ und zielführend durch die Haushaltsberatungen geführt haben. Mein Dank gilt aber auch dem Kollegen Toncar, den ich noch gar nicht sehe und der in diesem Bereich der Hauptberichterstatter ist. ({0}) - Er sitzt normalerweise bei Ihnen. Sie werden ihm ausrichten, was ich jetzt über ihn erzähle. ({1}) Er hat als Hauptberichterstatter eine sehr kollegiale und kooperative Arbeitsweise an den Tag gelegt. Ich schätze das und will das hier zum Ausdruck bringen. Meine Damen und Herren, nun zum Haushalt. Wenn wir uns den Etat des Bundeswirtschaftsministeriums anschauen, wird einiges deutlich: Der Minister befindet sich in einer äußerst komfortablen Situation. Sein Haushalt wird noch immer maßgeblich von einer Kernaufgabe geprägt, nämlich dem Auslaufen der Kohleförderung. Damit sieht es immer so aus, als sei der Wirtschaftsetat beim Sparen ganz vorne mit dabei. In Wirklichkeit spart es sich aber - bedingt durch die Entwicklung der Weltmarktpreise für Kohle und den sozialverträglichen Ausstieg aus der Kohleförderung - von allein. Aus dieser komfortablen Situation heraus könnte man von Ihnen, Herr Minister, sichtbarere und klarere wirtschaftliche Impulse erwarten als die, die Sie in Ihrem Haushalt setzen. Es mag vielleicht auch an Ihrer kurzen Amtszeit liegen, dass Ihre Handschrift noch nicht zu erkennen ist. Warten wir mal ab. Stattdessen muss ich feststellen, dass im Haushalt überall nur ein bisschen passiert. Es gibt ein bisschen drauf, ein bisschen mehr: zum Beispiel bei der Bundesnetzagentur, aber nicht so viel, wie tatsächlich gebraucht wird. Auch für die GRW - das ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ gibt es ein bisschen mehr. Ursprünglich wollten Sie die Mittel dafür ganz zurückfahren. Glücklicherweise haben die vielen Proteste - insbesondere auch die meiner Partei, der SPD - dazu geführt, dass das verhindert werden konnte. Allerdings wurden die im Regierungsentwurf vorgesehenen Kürzungen nicht völlig zurückgenommen. Und insgesamt reicht der Aufwuchs bei weitem nicht aus - das möchte ich deutlich sagen -, um die Mittel zu ersetzen, die durch das Auslaufen der europäischen Förderung für infrastrukturschwache Gebiete wegfallen. Ein bisschen soll auch für Entschädigungszahlungen verwandt werden, die aufgrund der Frequenzversteigerungen - Stichwort digitale Dividende - fällig werden. Die vorgesehenen Beträge machen aber nur einen Bruchteil dessen aus, was wirklich benötigt würde, um eine faire und sozialverträgliche Entschädigungsregelung anbieten zu können. ({2}) Ein bisschen gibt es auch für die Fachkräftesicherung. Das ist aber so wenig, dass man damit kaum ein sinnvolles Projekt, geschweige denn längerfristige, nachhaltige Maßnahmen in Angriff nehmen könnte. Sehr geehrter Minister Rösler, ein bisschen bleibt ein bisschen. Das reicht bei weitem nicht aus. Dazu will ich zwei konkrete Beispiele anführen. Erstes Beispiel: Fachkräftemangel. Ihnen allen sind die Zahlen bekannt. Sofern sich nichts ändert, wird die Bevölkerung in Deutschland in den nächsten 40 Jahren auf insgesamt 75 Millionen Menschen schrumpfen. Das sind 7 Millionen weniger als bisher. Dabei wird die Bevölkerung im Durchschnitt älter. Die Zahl der Menschen im erwerbstätigen Alter wird im gleichen Zeitraum um mehr als ein Fünftel zurückgehen. Laut OECD wird die Zahl der Menschen im erwerbstätigen Alter in den kommenden zehn Jahren so stark sinken wie in keinem anderen Industrieland. Ich freue mich deshalb sehr, dass Sie jetzt gegensteuern wollen - zumindest ein bisschen. Sie wollen für die Fachkräftesicherung in kleinen und mittleren Unternehmen 4 Millionen Euro zusätzlich ausgeben. Dieses Geld wollen Sie verwenden, um Fachkräfte im Ausland anzuwerben. Das ist natürlich der leichteste Weg; denn wer die Hände nach Fachkräften im Ausland ausstreckt, muss im Inland nicht die Ärmel hochkrempeln. Doch genau hier liegen die strukturellen Probleme. Ich nenne vier Bereiche, wo Sie zusätzliche Mittel sinnvoller einsetzen können, um den hier lebenden Menschen Perspektiven zu verschaffen: Erstens. Die Erwerbstätigenquote von Frauen liegt nicht nur deutlich unter der der Männer, sondern auch noch unter der vieler europäischer Länder. Darüber hinaus wird es endlich Zeit, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer deutlich zu erleichtern, damit die mitunter hochqualifizierten Frauen nicht länger unfreiwillig in Teilzeit- oder Minijobverhältnissen festgehalten werden. ({3}) Zweitens: ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Durch die konsequente Förderung des lebenslangen Lernens könnten die Potenziale älterer Arbeitnehmer deutlich besser genutzt werden. Drittens: Jugendliche. Diejenigen Jugendlichen, die erst auf eine Ausbildung vorbereitet werden müssen, dürfen nicht einfach am Straßenrand zurückgelassen werden, zum einen aus menschlichen Gründen und zum anderen aufgrund der sich zuspitzenden demografischen Lage. Viertens: Langzeitarbeitslose. Diese Bundesregierung streicht die Mittel für die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen ja ständig zusammen. Gerade hier wären zusätzliche Mittel angebracht, allerdings nicht nur ein bisschen. Hier darf es ruhig ein bisschen mehr sein, wie wir das von einem guten Kaufmann kennen. ({4}) Jetzt, meine Damen und Herren, können Sie natürlich sagen: Das sind Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit des Ministeriums für Arbeit und Soziales, des Familienministeriums, des Finanzministeriums oder des Bildungsministeriums fallen. Das stimmt, mal mehr, mal weniger. Aber es betrifft immer und vielleicht am deutlichsten die Wirtschaft, und das vor allem vor dem Hintergrund des drohenden Fachkräftemangels. Selbstverständlich erwarte ich von Ihnen, Herr Minister, sowohl als Bundeswirtschaftsminister als auch als Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland, dass Sie Ihre Kabinettskollegen an einen Tisch holen und Initiativen starten, um Lösungen für diese Herausforderungen zu finden. Hier ist Führung gefragt. Sie wollten doch liefern, wie Sie bei Ihrem Amtsantritt gesagt haben. Wenn Aufträge nicht angenommen werden können, weil Fachkräfte fehlen und Potenziale nicht genutzt werden, dann lässt das die Wachstumschancen in unserem Lande brachliegen, und es werden wichtige Potenziale vergeudet. Hier sind Sie gefragt. Ich fordere Sie von dieser Stelle aus ausdrücklich auf, zu handeln. ({5}) Ein zweites Beispiel für Ihre Ein-bisschen-Politik ist die zweite Energiewende, insbesondere der Netzausbau. Er verlangt neue Hoch- und Höchstspannungsleitungen in Deutschland. Das ist weitgehend unumstritten. Sie haben folgerichtig gleich mehrere Gesetze und Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht. Ob diese immer zielführend waren oder nicht, ob sie optimal waren oder nicht, sei dahingestellt. Ich hätte mir jedenfalls von einem liberalen Minister gewünscht, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Prozess ernster genommen und besser beteiligt werden. Abgesehen davon steht fest: Sie haben die Gesetze auf den Weg gebracht, jetzt müssen sie durchgeführt werden, damit Ihre Energiewende gelingt. Stattdessen torpedieren Sie die Bundesnetzagentur, wo es nur geht. ({6}) Gerade jetzt, wo sie besonders schlagkräftig sein müsste, liefern Sie sich einen offenen und peinlichen Machtkampf um eine mögliche Nachfolge von Präsident Kurth. Man kann schon fast nicht zählen, wie viele Personen im Gespräch waren. Selbst politisch völlig unverdächtige Zeitungen wie das Handelsblatt oder die FAZ bescheinigen Ihnen „gefährliches Postengeschacher“, Handelsblatt, oder eine „Hängepartie“, FAZ. Die Financial Times wirft Ihnen vor, Sie würden schlingern und bei der Bundesnetzagentur für Chaos sorgen. ({7}) Das ist in doppelter Hinsicht schlecht: zum einen, weil Sie offenbar keinen würdigen Nachfolger für den angesehenen Präsidenten Kurth parat haben, ({8}) und zum anderen, weil die Bundesnetzagentur weiter verunsichert zurückgelassen wird, und das, obwohl sie gerade jetzt dringende Aufgaben erledigen muss und vor großen Veränderungen steht. Allein zur Umsetzung des Netzausbaugesetzes wird ein Personalmehrbedarf von 254 Stellen bescheinigt. Sogar das Bundesministerium der Finanzen erkennt bei der Agentur einen Personalmehrbedarf von 794 Stellen. Mit einigen Kniffen und unter expliziter Inkaufnahme von gravierenden Verzögerungen bei der Umsetzung der Energiewende bekommt die Bundesnetzagentur gegenüber dem Jahr 2011 238 Stellen. 238 Stellen! Allein für das Netzausbaugesetz werden aber 254 Stellen gebraucht. Wer sich diese Zahlen ansieht, der kann nur zu dem Schluss kommen, dass es Ihnen mit der Energiewende oder mit einer zuverlässigen Energieversorgung nicht ganz so ernst ist. Man sollte von einem Bundeswirtschaftsminister erwarten können, dass er die Bedeutung einer verlässlichen Stromversorgung für die Wirtschaft kennt. ({9}) Wenn dem so ist, dann erwarte ich, dass er die personellen und materiellen Vorkehrungen trifft, die notwendig sind, um den Netzausbau und damit die Energiewende so schnell wie möglich voranzutreiben. Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen von der schwarz-gelben Koalition, ein bisschen mehr reicht da nicht aus. Wir brauchen im Bereich Wirtschaft gerade angesichts des Fachkräftemangels, angesichts der Energiewende und angesichts der Weltwirtschaftslage keine Ein-bisschen-Regierung. Wir brauchen eine Regierung mit Biss, die bei gravierenden Problemen nicht nur irgendwelche kleinen Programme auflegt, sondern an die Wurzel des Problems geht. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Michael Luther für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland geht es gut. Wir können stolz sein auf die Situation in unserem Land. Unsere Nachbarn beneiden uns um unser Wirtschaftswachstum. Die Arbeitslosenquote sinkt. Sie ist so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die Beschäftigungsquote steigt. Sie liegt auf einem Rekordniveau. Wenn man fragt, welche Probleme wir in Deutschland haben, dann hört man im wirtschaftlichen Bereich zum Beispiel: „Fachkräftemangel“, ({0}) oder man hört von den Leuten, es sei schwer, Handwerker zu bekommen. Das sind Probleme, um die uns unsere europäischen Nachbarn beneiden. Die Lage ist gut. Sie ist gut für Deutschland, allerdings, Herr Brandner, offensichtlich schlecht für die Opposition. ({1}) Sie sind hier heute als Oppositionspolitiker angetreten, um, wie ich denke, die Regierung zu kritisieren. ({2}) Sie haben sie kritisiert, aber nur ein bisschen; denn mehr ist Ihnen nicht eingefallen. ({3}) Ich will versuchen, Ihnen zu erklären, was in unserem Haushalt steht, da Sie das offensichtlich nicht verstanden haben. Wir lehnen uns nicht entspannt zurück, sondern wir tun etwas. Wir sagen heute nicht einfach: „Es ist alles wunderbar; wir können uns also ausruhen“, sondern wir fragen: Was brauchen wir für morgen? Was müssen wir tun, damit der Zug Deutschland auch morgen noch auf dem richtigen Gleis ist? - Dazu müssen wir heute die Weichen richtig stellen. ({4}) Die Themen liegen auf der Hand. Ich will sie auch benennen. Zunächst möchte ich aber feststellen: Wir leben in einer globalen Welt. Deswegen dürfen wir uns auf unseren Erfolgen nicht ausruhen. Länder wie China und Brasilien - ich nenne nur diese zwei Länder - sind im Kommen. Sie wollen mehr. Andere werden ihnen folgen. Deutschland ist geografisch gesehen ein kleines Land, aufgrund seiner Wirtschaftskraft ist es aber ziemlich bedeutend. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Dafür müssen wir etwas tun: Erstens: Auf dem Gebiet der Technologie müssen wir vorne bleiben. Deshalb ist es richtig, dass wir zum Beispiel im Bereich Luft- und Raumfahrt im kommenden Jahr immerhin 50 Millionen Euro mehr ausgeben. Ich weiß, dass Teile der Opposition das anders sehen. Sie wollen an dieser Stelle die Mittel kürzen. Die Grünen und die Linken haben ja entsprechende Anträge gestellt. Ich denke, sie haben nicht verstanden, was es heißt, auch morgen noch spitze in der Welt zu sein. ({5}) Man muss genau in diesem Bereich heute investieren. Zweitens: der Mittelstand. Wir haben in Deutschland einen innovativen Mittelstand, und wir brauchen weiterhin einen innovativen Mittelstand. Deshalb ist ein weiterer zentraler Aspekt in unserem Haushalt die Förderung des Mittelstandes. Allein für Forschung und Entwicklung im Bereich der Innovationsförderung, für das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, sind knapp 500 Millionen Euro vorgesehen. Das sind immerhin 100 Millionen Euro mehr als im letzten Jahr. Drittens: Außenhandel. Als größte europäische Wirtschaftsmacht sind wir in hohem Maße vom Export abDr. Michael Luther hängig. Wir müssen unsere Produkte nicht nur im Inland, sondern eben auch im Ausland verkaufen. Nur so wird es gelingen, dass wir unsere Position halten. Deshalb ist es sehr wichtig, dass sich das Ministerium gerade auf internationalen Fach- und Industriemessen engagiert. Solche Plattformen braucht der Mittelstand, um international repräsentieren zu können. Viertens: Fachkräftemangel. Ich denke, man kann dem Fachkräftemangel zunächst einmal begegnen, indem man versucht, seine eigenen Leute zu qualifizieren. Das tun wir. Im Bereich Bildung geben wir über den ganzen Haushalt verteilt deutlich mehr Geld als in den letzten Jahren aus, um genau diesem Anspruch gerecht zu werden, unsere eigenen Leute zu qualifizieren. Aber das wird nicht reichen. Wir werden Deutschland auch für qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland interessant machen müssen. ({6}) Deshalb sind die Mittel im Titel „Fachkräftesicherung für kleine und mittlere Unternehmen“ von uns im parlamentarischen Verfahren aufgestockt worden. Fünftens: Energiewende. Wir haben die Energiewende beschlossen. Wir werden aus der Kernenergie aussteigen und in Zukunft auf erneuerbare Energien setzen. Die dafür notwendigen Gesetze sind bereits verabschiedet. An dieser Stelle möchte ich nur das Netzausbaubeschleunigungsgesetz und die Gesetze gegen Wettbewerbsbeschränkungen und zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften nennen. Damit man die Maßnahmen umsetzen kann, haben wir in den Haushaltsberatungen die nötigen Voraussetzungen im personalwirtschaftlichen Bereich getroffen. Hier sind insbesondere die Bundesnetzagentur und das BAFA gefragt. Dort haben wir das Personal entsprechend aufgestockt. ({7}) - Natürlich könnte man mehr aufstocken, aber das ist schon einmal ein guter Schritt, und wir werden das weiter begleiten. Wenn diese Personalaufstockungen im nächsten Jahr umgesetzt werden, dann haben die Behörden genügend zu tun. Dann müssen wir sehen, wie die ganze Sache weitergeht. Wir machen so viel wie nötig. Das ist ein Schritt in der richtigen Größenordnung in die richtige Richtung. Sechstens: GRW. Seit 1990 haben wir in Bezug auf den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern viel erreicht. Heute hat Sachsen eine Arbeitslosenquote von 9,4 Prozent. 2005 betrug diese über 18 Prozent. Die Halbierung der Arbeitslosigkeit in sechs Jahren Kanzlerschaft Merkel ist eine tolle Wegmarke. ({8}) Aber wir sind noch nicht am Ziel. Wir müssen weiterarbeiten. Deswegen haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Mittel für die GRW wieder aufgestockt werden, auch wenn es im Regierungsentwurf ursprünglich anders vorgesehen war. Ich sage ganz klar: Mein Ziel, unser Ziel ist, in Sachsen die Arbeitslosenzahlen von BadenWürttemberg zu erreichen, nämlich 3,7 Prozent. Diese sind deshalb so niedrig, weil Baden-Württemberg über 60 Jahre lang gut regiert wurde. Ich setze mich also immer wieder für die GRW ein. Wir haben die Mittel für die GRW in großem Einvernehmen um 40 Millionen aufgestockt. An dieser Stelle bitte ich das Ministerium, unseren politischen Willen als Haushaltsausschuss aufzunehmen und den Mittelansatz in Zukunft auf diesem Niveau fortzuschreiben. Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, noch einmal Danke zu sagen für das große Engagement des Bundes bei der Sanierung der Wismut-Altlasten. Anfang September konnte zu diesem Thema ein Folgeabkommen paraphiert werden. Damit wird die Sanierung der Wismut über das Jahr 2022 hinaus gesichert sein. Wir geben viel Geld für die Fortsetzung der Sanierung und Rekultivierung des ehemaligen Uranbergbaus in Sachsen und Thüringen aus. Dafür stehen im Haushalt die erforderlichen Mittel bereit. Die Wismut-Sanierung ist eine echte Erfolgsgeschichte, auf die wir stolz sein können. Es geht hier darum, eine Hinterlassenschaft des real existierenden Sozialismus in unserem Land Stück für Stück zu beseitigen; und langsam verschwinden die Spuren. Dafür recht herzlichen Dank. An dieser Stelle möchte ich noch einen weiteren Punkt erwähnen, nämlich die Umstrukturierung, die der Einzelplan in diesem Jahr erfahren hat. Er ist jetzt übersichtlicher und klarer. Der viel geschmähte Bauchladen des Bundeswirtschaftsministeriums ist Geschichte. Die Förderprogramme wurden gestrafft und neu ausgerichtet. Unrentable Programme wurden gestrichen. Die Ausrichtung auf einzelne Zielgruppen wie den Mittelstand wurde gestärkt. Der neue Aufbau macht das Ministerium bereit für die Herausforderungen der Zukunft. Das war keine leichte Aufgabe. Es hat mich und auch meine Kollegen Berichterstatter sehr gefreut, dass es uns gelungen ist, gemeinsam diese Herausforderung zu bewältigen. Ich hoffe, dass diese Neustrukturierung des Haushaltes vielleicht auch als Vorbild für andere Haushalte dienen könnte. Ich komme zum Schluss. Ich will an dieser Stelle den Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums recht herzlich Dank sagen. Sie haben uns in den Haushaltsberatungen verlässlich begleitet und gut informiert. Die Zusammenarbeit ist wirklich gut. Dafür recht herzlichen Dank. Ich möchte natürlich auch den Mitberichterstattern danken. Ich denke, wir sind ein gutes Team und haben insgesamt gute Arbeit geleistet. Ich sage auch dem Hauptberichterstatter, Herrn Toncar, recht herzlichen Dank. Zum Schluss noch die überraschende Bemerkung: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem Haushalt zustimmen. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun sind wir gespannt, ob der Kollege Roland Claus sich für die Fraktion der Linken dieser Empfehlung anschließt. Bitte schön, Sie haben das Wort. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Bundestagspräsident, die Werbung war freundlich, aber vergeblich. - Auf dem Weg vom Bahnhof Friedrichstraße zum Bundestag kommt man am Bundespresseamt vorbei, vor dem die Bundesregierung stets die Losung der Woche auf Großplakaten veröffentlicht. ({0}) - Na klar. - Die Losung dieser Woche lautet - jetzt hören Sie gut zu -: Der Aufschwung ist bei den Menschen angekommen. Meine Damen und Herren, ich führe seit sehr vielen Jahren meine Sprechstunden als Abgeordneter auch im öffentlichen Raum durch, im Sommer auf Marktplätzen und im Winter in Verkaufseinrichtungen. In Verkaufseinrichtungen kommt man sich noch ein bisschen näher als auf Marktplätzen. Man erlebt dann, dass Bürgerinnen und Bürger - völlig unabhängig von der parteipolitischen Ausrichtung - ihre Wut und ihren Frust ausbreiten. Ich werde insbesondere gefragt: Herr Claus, ich habe in großen Annoncen gelesen, dass der Aufschwung bei den Menschen angekommen ist, aber bei mir kommt nichts an. - Ich sage Ihnen: Mit einem solchen Zynismus erzeugen Sie noch mehr Politikverdrossenheit und Frust. Dem wollten wir doch eigentlich gemeinsam entgegenwirken. ({1}) Ein reales Ergebnis Ihrer Wirtschaftspolitik ist ein inzwischen fest etablierter Niedriglohnsektor. Sie haben gemerkt, dass dieser Weg in die falsche Richtung führt. Sie haben aber den Zug so fest auf die Gleise gesetzt, dass Sie jetzt nicht mehr in der Lage sind, ihn umzulenken. Wir haben im Osten Deutschlands einen doppelt so hohen Anteil an Leiharbeit und Niedriglohn. Insbesondere junge Menschen werden beim Eintritt in ihr Berufsleben dadurch verunsichert, dass sie in aller Regel nur Zeitverträge bekommen. Sie werden zehn Monate von ihrem Arbeitgeber entlohnt und dann zur Arbeitsagentur geschickt. Dadurch sind sie nicht wirklich in der Lage, eine Lebensplanung vorzunehmen. Bei der Familienplanung steht nämlich immer im Raum, dass Kinder mit Armutsrisiko verbunden sind. Wir haben eine hohe Erwerbsmigration - das ist Ihnen bekannt -, und die Situation bei der Kinderbetreuung ist im Westen der Republik miserabel. Wir haben eine zwischen Ost und West gespaltene Wirtschaftspolitik; ich will erinnern: Nicht eine einzige Firmenzentrale ist im Osten anzutreffen. ({2}) Zudem haben wir auch eine gespaltene Arbeitsmarktpolitik. Nun haben Sie, Herr Bundesminister Rösler, bei der Einbringung dieses Etats die Tatsache gefeiert, dass immerhin 50 Prozent der neu geschaffenen Jobs Vollzeitjobs sind. Ich muss Ihnen sagen: Das ist kein Erfolg, sondern ein Skandal. Denn das bedeutet auf der anderen Seite, dass über die Hälfte der Jobs keine Vollzeitjobs sind, und auch die befristeten Jobs sind in diesen 50 Prozent ja noch enthalten. Sie können mit diesem bescheidenen Etat natürlich keine Wunder vollbringen. Der Etat des Bundeswirtschaftsministers macht gerade einmal 1 Prozent des Gesamthaushaltes aus, wenn man die Subventionen für Steinkohle und Luftfahrt abzieht. Wirkliche Industriepolitik kann man damit nicht machen. Da Sie sich so sehr für das Programm der Linken interessieren, ({3}) verweise ich darauf: Die Linke will eine Wirtschaftspolitik, die dem Mittelstand und Existenzgründern Zukunftschancen eröffnet und nicht verbaut, die Arbeit schafft, von der Beschäftigte sorgenfrei leben können, und die so zu mehr wirtschaftlicher Stabilität und sozialer Gerechtigkeit gleichermaßen beiträgt. ({4}) Die Linke hat im Zuge dieser Haushaltsberatungen eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht; über einige werden wir heute auch abstimmen. Entgegen der landläufigen und von Ihnen verbreiteten Meinung kann man sagen: Die Linke wirkt. Öffentlich lehnen Sie zwar fast alle unsere Anträge ab, aber intern kommen Sie an vielen unserer Vorschläge einfach nicht vorbei. Ich will Ihnen dafür zwei Beispiele nennen. Für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, die hier schon angesprochen worden ist und die zu einem ganz überwiegenden Teil den ostdeutschen Bundesländern zugutekommt, wofür wir werben, hat die Linke eine Erhöhung um 54 Millionen Euro beantragt. ({5}) Den Antrag der Linken haben Sie abgelehnt. Sie haben aber jetzt eine Erhöhung um 39 Millionen Euro beschlossen. Das ist insgesamt immer noch weniger als unsere Forderung, aber es beweist: Links wirkt. In kleinen Schritten bewegen Sie sich in die richtige Richtung. ({6}) Es gibt ein zweites Beispiel: das Bundeskartellamt, das wir jetzt an vielen Stellen tatsächlich brauchen. ({7}) Hier hat die Linke einen Aufwuchs von 20 Millionen Euro vorgeschlagen. Das hat die Koalition abgelehnt. In dem jetzt vorliegenden Entwurf haben Sie aber 12 Millionen Euro draufgepackt. Das ist deshalb gut und richtig, weil sich eine Ausgabenerhöhung beim Bundeskartellamt allemal rechnet. Denn die zu erwartenden Einnahmen durch die Strafen, die das Bundeskartellamt verhängen kann, sind wesentlich höher als die Ausgaben, die dort anfallen. Den gleichen Vorschlag haben wir Ihnen schon vor Jahren auch im Hinblick auf das Bundespatentamt gemacht. Da sind Sie unserem Weg gefolgt. Jetzt haben Sie es auch beim Bundeskartellamt getan. Sie merken: Links wirkt. ({8}) Ich will auf eines Ihrer gepflegten Lieblingskinder eingehen: auf die Raum- und Luftfahrt. Hier haben wir es - das ist angesichts eines FDP-Ministers besonders erwähnenswert - mit der Subventionierung staatsnaher Monopolisten zu tun. ({9}) Diese staatsnahen Monopolisten haben eine wirklich nette Angewohnheit. Sie kassieren nämlich zweimal. Sie kassieren am Anfang bei den Zuwendungen durch den Bundeshaushalt, und sie kassieren zum zweiten Mal - nachdem der Staat ihnen einen Auftrag erteilt, den sie, in aller Regel verspätet, erfüllen - durch überzogene und überteuerte Leistungsabrechnungen. Meine Damen und Herren, dazu sagen wir Ihnen: Das kann so nicht weitergehen. ({10}) Leider geht es aber so weiter, Stichwort EADS-Konzern. Bekanntlich wird Daimler aus dem Konzern aussteigen. Daimler hält im Moment 7,5 Prozent der EADSAktien. Nun höre und staune man, was unter der Federführung eines liberalen Wirtschaftsministers geschieht: Dieser von Daimler abgestoßene Aktienteil wird von der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau übernommen, ohne dass - nun kommt es noch dicker - der Staat damit die Stimmrechte übernimmt; denn die sollen bei Daimler verbleiben. Meine Damen und Herren, das, was Sie hier tun, schlägt wirklich dem Fass den Boden aus. ({11}) Ich lerne daraus: Liberale Wirtschaftspolitik bedeutet, dass ein staatsnaher Monopolist unter Führung eines FDP-Ministers weiter verstaatlicht wird und der Staat danach nichts mehr zu sagen hat. Dazu, Herr Minister, passt nur noch Ihre Aussage in der Süddeutschen Zeitung, wo Sie meinten, mitteilen zu müssen, dass Sie bei Wirtschaftsministertreffen auf internationaler Ebene der einzige Wirtschaftsminister seien, der sich über Außenhandelsüberschüsse freue. Herr Minister, wer globalisierte Ökonomie so denkt und wer Europa nur als Konkurrenzhandelsraum versteht, der hat von zukunftsfähiger Ökonomie nichts verstanden. ({12}) Nun meinen Sie, im Haushalt Rösler alles neu regeln zu müssen. Bisher, um auf meinen Vorredner einzugehen, gibt es nur frische Überschriften. Alles ist neu sortiert. Jetzt wird uns versprochen: Bei der Wirtschaftsförderung kehrt viel mehr Ordnung ein. Wenn ich in meiner Funktion als Berichterstatter nicht schon drei Ihrer Vorgänger, Herr Bundesminister Rösler, erlebt hätte, die mir genau das Gleiche versprochen, es aber niemals eingehalten haben, dann würde ich auf diese Aussage vielleicht etwas geben. Aber das ist nicht der Fall. Einer der Knüller, den Sie jetzt anbieten, ist Ihr Programm zur Fachkräftesicherung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das können Sie nun leider nicht mehr erläutern, Herr Kollege Claus.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist auch nicht wirklich wert, erläutert zu werden, Herr Präsident. Das ist ein solches Pillepalle-Programm, dass es keinen Sinn macht, dafür Redezeit zu verschwenden. ({0}) Sie werden gemerkt haben, dass ich Ihrer gefälligen Werbung, dem Etat zuzustimmen und es damit meinem Vorredner gleichzutun, nicht folgen kann. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Philipp Rösler, das Wort. ({0})

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005311

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der deutschen Wirtschaft geht es gut. Ihr verdanken wir ein enormes Wachstum im Jahre 2010 von 3,6 Prozent und ein gutes Wachstum für 2011 von 2,9 Prozent. Selbst in dem schwieriger werdenden Jahr 2012 erwarten wir ein positives Wachstum von 1 Prozent. Eines ist ebenso klar: Deutschland bleibt Wachstumslokomotive in Europa. Diese Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP wird dafür sorgen, dass dies auch in Zukunft so bleibt. ({0}) Sehr geehrter Herr Abgeordneter Claus, ich werde mich als deutscher Wirtschaftsminister niemals dafür entschuldigen, dass wir Außenhandelsbilanzüberschüsse haben, weder bei Ihnen im Ausschuss noch auf europäischer Ebene; denn diese Überschüsse sind keine Schwäche, sondern sie sind Ausdruck der Stärke und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unserer deutschen Volkswirtschaft. ({1}) Diese gilt es zu stärken: durch Fachkräftesicherung, kluge Energiepolitik, ein klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und Stabilisierung unserer gemeinsamen Währung, des Euro. Sie sind leider nicht mehr zum Thema Fachkräftesicherung gekommen. Es ist eine großartige Leistung aller beteiligten Partner in der sozialen Marktwirtschaft, der Sozialpartner und auch der Politik, dass durch kluge Politik in diesem Jahr und auch in den Folgejahren gerade junge ausbildungsschwache Menschen eine deutlich größere Chance auf einen Ausbildungsplatz und in der Folge auf einen Arbeitsplatz haben als zu Ihren Regierungszeiten. Von Ihnen von der Linksfraktion wollen wir erst gar nicht sprechen. ({2}) Europaweit haben wir die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit. Schauen Sie einmal nach Frankreich, Italien oder nach Spanien mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 46 Prozent. Hier in Deutschland ist es zum Glück anders. Ich sage Ihnen ausdrücklich: ohne einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. ({3}) Wenn wir bei den jungen Menschen erfolgreich sein können, dann - da gebe ich Ihnen recht - müssen wir genauso erfolgreich sein, wenn es darum geht, junge Eltern oder auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das wird aber nicht durch Quoten oder durch gesetzliche Vorgaben funktionieren, sondern nur, indem wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, indem wir auch an dieser Stelle nochmals einen klaren Appell an die deutsche Wirtschaft senden, dass sie sich nicht über Fachkräftemangel beklagen darf, wenn sie gleichzeitig darauf verzichtet, jungen und gut ausgebildeten Menschen eine Perspektive, eine Chance durch bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu geben, und wenn sie bei Kündigungen zuallererst an die älteren Menschen denkt. Wir halten das für falsch. Wer den Fachkräftemangel sieht, der muss etwas dagegen unternehmen. Er kann es tun, indem er jungen Menschen und älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland eine Chance gibt. ({4}) Erstmalig schaffen wir ein System der gesteuerten Zuwanderung in den ersten Arbeitsmarkt in Deutschland. Wir setzen die Blue-Card-Richtlinie der EU um. Sie enthält klare Regeln für die Zuwanderung, gestaffelt nach Gehalt, Beruf und jeweiliger Qualifikation. Ich sage Ihnen: Wir haben jahrelang darum gestritten und jahrelang dafür gekämpft. Jetzt ist es endlich gelungen. Das ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel in der deutschen Zuwanderungspolitik. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, darf Ihnen der Kollege Seifert eine Zwischenfrage stellen?

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005311

Nein, vielen Dank. - Wirtschaftspolitik heißt auch Industriepolitik. Industriepolitik heißt auch Energiepolitik. Das bedeutet: Wir müssen die Energieversorgung eines Industrielandes wie Deutschland sichern. Das wird nicht mit naiv-romantischen energiepolitischen Vorstellungen funktionieren. Wenn wir die Energiewende in Deutschland erfolgreich umsetzen wollen, dann müssen wir mit grünen Träumereien Schluss machen. ({0}) Die Bundesnetzagentur, die Sie eben so gescholten haben, arbeitet mit Hochdruck an einem deutschen Netzausbauplan. Wir arbeiten an einem Förderprogramm für hocheffiziente neue Kraftwerke und bauen KraftWärme-Kopplung aus. Wir wollen Forschung und Innovationen gerade im Energiebereich: neue Netze, Speichertechnologien und Elektromobilität. Ich erwarte von all denjenigen, die in den letzten 20, 30 Jahren gegen Kernenergie demonstriert haben, dass sie jetzt fest an meiner Seite stehen, wenn wir neue Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke und 4 500 Kilometer neue Netze bauen. Wer aus der Kernenergie aussteigen will, der muss in fossile Kraftwerke einsteigen. Alles andere wäre unehrlich. ({1}) Ich bin sehr gespannt. Ich habe die Umweltverbände angeschrieben, mich beim Bau von Kohlekraftwerken und Gaskraftwerken zu unterstützen. Da scheint es bei den Umweltverbänden noch Nachholbedarf zu geben. Auf die Antworten bin ich sehr gespannt. ({2}) Mit Ihrer Politik jedenfalls wird es nicht weitergehen. Wir brauchen endlich wieder eine realistische Energiepolitik, eine gute Industriepolitik und eine starke Wirtschaftspolitik in Deutschland. ({3}) Wir brauchen auch Vertrauen in unsere Wirtschaft und unser Wirtschaftssystem, also in das System der sozialen Marktwirtschaft. Wir alle sehen, dass dieses Vertrauen zunehmend schwindet. ({4}) Das zeigen nicht nur die Demonstrationen, sondern auch Gespräche mit Unternehmerinnen und Unternehmern. Sie stellen uns immer wieder eine Frage: Was macht Politik tatsächlich für die Regulierung der Finanzmärkte in Deutschland, in Europa und weltweit? ({5}) - Ich will es Ihnen sagen. - Die Finanzmärkte werden gebraucht. Sie müssen Liquidität für die Unternehmen zur Verfügung stellen. Sie haben eine dienende Funktion. ({6}) Aber auch wir sehen selbstverständlich, dass sich die Finanzmärkte mit vielen ihrer Produkte und Verfahren längst von dieser dienenden Funktion entfernt haben. Sie haben sich verselbstständigt. Genau das müssen wir gemeinsam stoppen. ({7}) Ich habe null Verständnis, wenn Sie mit fallenden Aktien, die Ihnen nicht einmal gehören und die Sie sich noch nicht einmal geliehen haben, Gewinne machen können. ({8}) Deswegen ist es klug, ungedeckte Leerverkäufe zu verbieten. Genau das hat die Bundesregierung getan. Wir setzen uns dafür ein, dieses Verbot von ungedeckten Leerverkäufen nicht national, sondern international, also europaweit und weltweit, durchzusetzen. ({9}) Wir hoffen sehr, dass Sie auch an dieser Stelle an unserer Seite stehen. Denn wir brauchen noch weitere Regulierungen auf dem Finanzmarkt. Ihre Antwort auf die Frage der Regulierung ist eine Finanztransaktionsteuer. ({10}) Das ist mir zu wenig. Das ist nur Abkassieren und kein Regulieren. Wir brauchen mehr, wenn wir die Finanzmärkte weltweit in den Griff bekommen wollen. ({11}) Wir brauchen mehr Transparenz im Derivatehandel. Wieso gibt es eigentlich keine Anrechnung von Staatsanleihen auf das Eigenkapital von Banken? Jeder Mittelstandskredit muss angerechnet werden. Damit werden geradezu Anreize gesetzt, unsolide Staatsanleihen zu kaufen. Ich will, dass es künftig wieder attraktiv wird, an den Mittelstand Kredite zu vergeben, statt unsolide, faule Staatsanleihen zu kaufen. Daran müssen wir etwas ändern, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({12}) Wenn wir Vertrauen schaffen wollen, dann ist das die Aufgabe für die Vertreter der sozialen Marktwirtschaft. So wie Ludwig Erhard damals mit dem Kartellrecht einen wesentlichen Baustein in das Fundamt der sozialen Marktwirtschaft eingefügt hat, muss die jetzige Politikergeneration, die sich der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlt, eine kluge Finanzmarktregulierung in das System der sozialen Marktwirtschaft mit einfügen. ({13}) Das ist eine Aufgabe für die Vertreter der sozialen Marktwirtschaft, also für uns. Genauso müssen wir um Vertrauen werben, wenn es um die Stabilisierung unserer Währung geht. Ich habe gestern Ihre Reden genau verfolgt: nicht ein Wort der Entschuldigung und des Bedauerns, dass Sie mit dem Aufweichen der Maastricht-Kriterien das Vertrauen der Menschen in unsere Währung massiv enttäuscht haben. ({14}) Das war die Ursache für die aktuelle Krise. Dagegen haben Sie nichts getan. Stattdessen kommen von Ihnen jetzt gute Ratschläge, wie die Haushalte in den Griff zu bekommen sind. Ausgerechnet von Rot und von Grün brauchen wir solche Ratschläge nicht. ({15}) Jeder weiß: Da, wo Sie regieren, werden Schulden gemacht, bis es kracht. Ich glaube, Sie sollten sich etwas zurückhalten, wenn es darum geht, mit uns gemeinsam über Haushaltskonsolidierung zu reden. ({16}) Wir brauchen von Ihnen keine Ratschläge. Aber ich glaube, wir sollten alle zusammenstehen, wenn es darum geht, für eine Stabilitätsunion zu kämpfen: ({17}) mit einem Schuldenverbot für alle Staaten und einem Wettbewerbstest. Alle diejenigen, die bei einem solchen Test durchfallen - das kennen Sie, Frau Künast -, müssen mit harten, automatischen Sanktionsmaßnahmen rechnen. Dafür brauchen wir Vertragsänderungen. Wir brauchen, nachdem Sie den Stabilitätspakt I kaputtgemacht haben, einen neuen Stabilitätspakt. Wir brauchen Vertragsänderungen, wir brauchen einen Stabilitätspakt II in Europa zur Stabilisierung unserer gemeinsamen Währung. ({18}) Sie wollen das Gegenteil. Sie wollen eine Transferunion, Sie wollen Euro-Bonds, und Ihr Kollege, Frau Künast, möchte ja sogar Finanzminister werden. Wir halten alles drei für falsch. Eine Transferunion wäre falsch, weil wir nicht wollen, dass der deutsche Steuerzahler für die Schulden in anderen europäischen Staaten aufkommt. ({19}) Wir wollen keine Euro-Bonds, weil wir nicht wollen, dass die Zinsen in Deutschland dramatisch steigen. Das wäre zum Nachteil für das Wachstum in Deutschland. Deswegen sage ich Ihnen: Die Menschen können auf diese Regierungskoalition zählen. Wir werden alles drei verhindern: die Transferunion, Euro-Bonds und Jürgen Trittin als Bundesfinanzminister. ({20}) Anstatt sich hier aufzuregen, sollte sich der gesamte Deutsche Bundestag jetzt gemeinsam gegen die Vorschläge des EU-Kommissars Herrn Barroso stellen. ({21}) Er schlägt Euro-Bonds vor und fordert sie. Es wäre nicht nur zum Schaden für unser Land, wenn die Zinsen steigen würden, sondern das wäre auch zum Schaden von Europa, weil das Vertrauen in die Europäische Union und in die Stabilität der Europäischen Union verloren gehen würde. ({22}) Wir sagen Nein zu Euro-Bonds. Das sollte hier als Signal vom gesamten Deutschen Bundestag gesendet werden. ({23}) Das ist unsere Aufgabe: Wachstum verstetigen, Fachkräftesicherung, kluge Energiepolitik, klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und Stabilisierung der Währung. Das sind die richtigen Schritte für die Verstetigung des Wachstums auch im Jahre 2012. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({24})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Seifert. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie und Ihre Koalition loben die Umstrukturierung Ihres Haushaltes sehr. Außerdem haben Sie gerade mehrfach große Bekenntnisse zur sozialen Marktwirtschaft abgegeben und gesagt, was Sie so alles erreichen wollen. Mir fehlt in Ihrem Haushalt aber eine Aussage zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Ich kann sie zumindest nicht erkennen. Vielleicht können Sie mich da aufklären? Der Deutsche Bundestag bekannte sich dazu. Wie wollen Sie das umsetzen? Sie ist immerhin seit zweieinhalb Jahren geltendes Recht in Deutschland. Für diese Querschnittsaufgabe, die jedes Ressort betrifft - auch Ihres -, müsste es doch in jedem Haushalt ein eigenes Kapitel geben. Bei Ihnen steht kein Wort davon. Ich kann leider auch keine Zahl finden. Vielleicht können Sie mir sagen, wo ich sie finden kann. ({0})

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005311

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Wir haben ja schon mehrfach über genau diesen Punkt diskutiert. ({0}) Ich kann mich daran erinnern, dass ich im Tourismusausschuss gewesen bin. Dort haben wir Ihnen Antworten auf die Frage gegeben, was wir gerade in diesem Bereich tun. Tourismus gehört unzweifelhaft mit zur Wirtschaftspolitik. Gerade wenn es darum geht, barrierefreies Reisen möglich zu machen, ist dieses Haus mit federführend. Das wissen Sie genauso gut wie alle hier in diesem Hause. Sie sind nicht mit jeder Maßnahme meines Ministeriums zufrieden. Aber das, was in unseren Möglichkeiten steht - bezogen auf die Querschnittsaufgabe, Gleichberechtigung für alle Menschen in unserem Lande zu erreichen - und wofür das Wirtschaftsministerium die Verantwortung hat, beispielsweise auch im Bereich der Tourismuswirtschaft, werden wir tun. Das wissen Sie, und ich finde es schade, dass Sie das hier nicht anerkannt haben; denn das haben Sie gemeinsam mit allen Kollegen im Tourismusausschuss unter Mitwirkung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschlossen. Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Leistung für alle Menschen in Deutschland anerkennen würden. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Kollege Tobias Lindner das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man Ihnen heute Morgen zugehört hat, Herr Minister, dann konnte man feststellen, dass Sie eine durchaus bemerkenswerte Rede gehalten haben. ({0}) Wenn man Ihnen zuhört, dann muss man nämlich den Eindruck haben, hier in diesem Plenarsaal tue sich ein Paralleluniversum auf. ({1}) Auf der einen Seite erzählen Sie und die Koalition uns, wie gut es uns in diesem Land geht, wie toll Sie sind, ({2}) wie erfolgreich Ihre Politik ist und dass Rot-Grün an allem schuld ist - am Ende auch noch am schlechten Wetter. ({3}) Auf der anderen Seite haben dies die Menschen, wenn man sich Ihre Umfragewerte anschaut, anscheinend noch nicht bemerkt. ({4}) Der zweite bemerkenswerte Umstand heute Morgen war: Herr Rösler, Sie haben von Euro-Bonds gesprochen, Sie haben von einem Mindestlohn gesprochen, Sie haben von einer Finanzmarkttransaktionsteuer gesprochen. Sie haben dabei immer in unsere Reihen geblickt. Ich rate Ihnen, einmal in die Reihen der CDU/CSU zu schauen. Schauen Sie auf das Gesicht des Bundesfinanzministers. Das würde Ihnen Aufschluss über die Einigkeit in Ihrer Koalition geben. ({5}) Ein weiterer Punkt. Ich weiß nicht, wie es um die Kochkünste des Bundeswirtschaftsministers bestellt ist. ({6}) Ich kann Ihnen aber eines sagen: Wäre die FDP ein Pizzabringdienst, dann befänden Sie sich schon längst in geordneter Insolvenz, ({7}) aber nicht deswegen, weil das Produkt nicht schmecken würde, sondern weil die Menschen in diesem Land bis heute auf diese Lieferung warten, die Sie im Mai versprochen haben. ({8}) Das sieht man auch, wenn man in den Etat des Wirtschaftsministeriums schaut. Die Kollegen vor mir haben es schon erwähnt: Der Etat ist neu strukturiert worden. Es wurden vier neue Kapitel geschaffen. Aber was ist passiert? Die alten Förderprogramme von gestern und vorgestern sind ohne kritische Prüfung in diese Kapitel einfach neu einsortiert worden. Viele neue Rezepte findet man in diesem Etat allerdings nicht. Was man findet, sind neue Stellen in Ihrem Ministerium, bedingt durch den Wechsel an der Spitze. Eines servieren Sie hingegen, und das ist, um in der Sprache zu bleiben, kalter Kaffee, nämlich die x-te Ankündigung von Steuersenkungen quasi als Rettungsschirm für die FDP. Es sind Steuersenkungen auf Pump in Zeiten, in denen die Konjunktur abflacht. Das ist das falsche Signal aus unserer Sicht. ({9}) Trotz mehr als 1 Billion Euro Schulden in Deutschland, trotz historisch niedriger Zinsen und großer Risiken in diesem Haushalt investieren Sie 6 Milliarden Euro in Steuersenkungen, die bei der Hälfte der Menschen in diesem Land gar nicht ankommen, statt den Haushalt zu konsolidieren oder dieses Geld dafür einzusetzen, um unsere Wirtschaft zukunftsfähig zu machen und auf die Energiewende vorzubereiten. ({10}) Kommen wir zur Energiewende. Herr Kauder, Sie sagen, die Energiewende werde durchgeführt. ({11}) Ist das die Energiewende, wenn Sie auf der einen Seite damit drohen, die Mittel für den Ausbau der Solarenergie in Deutschland zu deckeln, aber gleichzeitig neue Kohlekraftwerke fordern? Ist das die Energiewende, wenn Sie im Etat des Wirtschaftsministeriums viel zu wenig Geld für den Ausbau der Energienetze, für Systemsicherheit und neue Speichertechnologien einstellen? Sie sind es doch, die uns vorwerfen, gegen neue Netze zu sein, aber Sie selbst stellen viel zu wenig Geld dafür im Etat bereit. ({12}) - Jetzt kommen wir zum Thema Klientelpolitik. Sie schaffen ein Sondervermögen für die erneuerbaren Energien, den Energie- und Klimafonds. Das ist ein Schattenhaushalt, außerhalb des normalen Haushaltsplans, der mit großen Risiken verbunden ist. Es stellt sich die Frage, ob sich das überhaupt finanzieren lässt. Was Sie stattdessen gut absichern, ist die Luft- und Raumfahrt. Sie geben nicht nur 1,3 Milliarden Euro mit dem Argument aus, das sei Grundlagenforschung - bei der Energiepolitik zählt dieses Argument offenbar nicht -, nein, Sie führen jetzt auch die Teilverstaatlichung der EADS fort. Sie haben in den Haushalt über 1 Milliarde Euro eingestellt, damit der Bund weitere Anteile von EADS übernehmen kann. Das wird übrigens begleitet von Kopfschütteln vieler Vertreter der deutschen Wirtschaft, insbesondere von EADS selbst, die sich einen privaten Investor hätte vorstellen können. Nicht nur das: Auf der einen Seite übernehmen Sie Eigentum an diesem Unternehmen und damit Risiko, auf der anderen Seite nehmen Sie aber Ihre Kontrollrechte und Ihre Verantwortung nicht wahr. Diese Regierung verzichtet auf Kontrollrechte im Aufsichtsrat. ({13}) Sie investieren hier riesige Summen. Sie sollten sich lieber peu à peu aus der Subvention solcher Unternehmen zurückziehen, wirkliche Grundlagenforschung und Zukunftstechnologien fördern und sich einer Rohstoffstrategie zuwenden, die nicht nur auf die Ausbeutung ausländischer Minen setzt, sondern sich vor allen Dingen auf Rohstoffeffizienz, alternative Rohstoffe und mehr Recycling konzentriert. ({14}) Herr Rösler, mit diesen Entscheidungen - mit einer Teilverstaatlichung der EADS, mit einem mangelnden Subventionsabbau, mit Schwerpunkten in einem Etat, die aus dem Umsortieren von Förderprogrammen bestehen - befinden Sie sich auf einer ordnungspolitischen Geisterfahrt. Wie es mit Geisterfahrern nun einmal so ist: Entweder bauen sie früher oder später einen Totalschaden, oder sie werden aus dem Verkehr gezogen. Den Menschen in diesem Land und der deutschen Wirtschaft ist Letzteres zu wünschen. Ich danke Ihnen. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Lindner, Sie sind grün, ein Grüner, und auch im Haushalt noch grün. Denn allzu viel Ahnung haben Sie mit Ihrer Rede heute nicht bewiesen. ({0}) Lassen Sie mich nur einen Satz zur Solarförderung sagen: Die Solarförderung in Deutschland liegt mittlerweile bei 7,1 Milliarden Euro pro Jahr. Für Kohle geben wir noch 1,42 Milliarden Euro aus. Das zeigt ja wohl, dass andere Schwerpunkte gesetzt worden sind. ({1}) Da diese Schwerpunkte mittlerweile überzogen sind, werden wir das korrigieren; daran werden wir gehen. Das hat eine mehr als große Berechtigung. Dass diese Koalition in der Lage ist, den Haushalt zu sanieren, möchte ich Ihnen an drei Zahlen klarmachen. Der Kollege Steinbrück hat im Jahr 2009 noch einen Haushalt und auch eine mittelfristige Finanzplanung aufgestellt, wie sich das gehört. Das ist in Ordnung. Diese mittelfristige Finanzplanung sah folgendermaßen aus: Im Haushalt 2010 war eine Nettokreditaufnahme von 86,1 Milliarden Euro geplant. Der Kollege Schäuble - vielen Dank! - hat das mit 44 Milliarden Euro hinbekommen, also mit lediglich 51 Prozent des von Herrn Steinbrück, dem Reserveweltökonomen, geplanten Volumens. 2011 war eine Neuverschuldung von 71,7 Milliarden Euro geplant. Der Kollege Schäuble wird das dieses Jahr mit 22 Milliarden Euro hinbekommen; vielleicht wird es sogar noch ein bisschen weniger. Für 2012 hat der Weltökonom 58,7 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme eingeplant. Wir werden den Haushalt mit maximal 26,1 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme abschließen. Ich gehe davon aus, dass auch das noch weniger wird, wie Sie es in jedem Haushalt hinbekommen haben, Herr Finanzminister. Ich gratuliere Ihnen dazu. Das ist eine solide Haushaltspolitik. ({2}) Diese ist auch notwendig; denn die zusätzlichen Verschuldungen, die Rot-Grün ganz besonders intensiv betrieben hat, helfen uns nicht weiter. Sie waren es auch - das gehört immer wieder zur Wahrheit dazu; ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören -, die 2003 und 2004 als Allererste zusammen mit den Franzosen, mit Chirac, die Maastricht-Kriterien gebrochen haben. Sie waren es, die nach Brüssel gefahren sind und verhindert haben, dass der berühmte blaue Brief verschickt wurde. Es war Herr Eichel, der das zusammen mit Herrn Chirac und Herrn Schröder gemacht hat. ({3}) Genau das war der Weg in die Verschuldung Europas. ({4}) Das war die Tür, die geöffnet wurde. ({5}) Deswegen können Sie von anderen Ländern nicht erwarten, dass sie sich an die Planungen halten und die Maastricht-Kriterien einhalten. Ich empfinde es als eine ziemlich schändliche Sache, einfach darüber hinwegzugehen und zu sagen: Wir haben damit eigentlich gar nichts zu tun. - Sie haben! ({6}) Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister dankbar dafür, dass er einen sehr seriösen Haushalt aufgestellt hat. Im Bundesministerium sind über 700 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung vorgesehen. Herr Minister, das ist gut. Vor allen Dingen freut mich das ZIM-Programm, das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, dessen Mittel bei 389 Millionen Euro angekommen sind. Das dient einer gezielten Förderung des Mittelstands, des Rückgrats unserer Wirtschaft. Das ist notwendig. Deswegen befindet sich die deutsche Wirtschaft in einer solch guten Verfassung. ({7}) Die Wirtschaft ist im letzten Jahr um 3,6 Prozent gewachsen. Sie wird dieses Jahr um rund 3 Prozent wachsen. Sie, Herr Minister, haben gerade 1 Prozent für das nächste Jahr angedeutet. Ich sage, dass das vielleicht noch ein bisschen mehr wird. Was mich allerdings besorgt, ist, dass das Modell Deutschland zwar von anderen kopiert wird, aber dass wir uns und unsere soziale Marktwirtschaft ständig infrage stellen. Warum eigentlich? Es ist schon bedenklich, wenn laut einer Emnid-Umfrage mittlerweile 40 Prozent der Menschen im Osten Deutschlands dem Sozialismus noch einmal eine Chance geben würden. Ich verstehe nicht, warum das so ist. Offensichtlich nehmen die Menschen die gute wirtschaftliche Entwicklung gewissermaßen als Naturereignis wahr. Dass dahinter aber Unternehmertum sowie qualifizierte und motivierte Arbeitnehmer stecken, dass diese Entwicklung darauf zurückzuführen ist, dass die richtigen politischen Entscheidungen getroffen wurden, wird anscheinend nicht mehr wahrgenommen. Anders kann ich mir nicht erklären, dass in den Augen vieler die Märkte die Schuldigen an der aktuellen Staatsschuldenkrise sind. Es sind nicht die Märkte, sondern die Länder, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. ({8}) Es handelt sich auch nicht um eine Euro-Krise, sondern um eine Schuldenkrise in den Euro-Ländern, die einfach zu viele Schulden gemacht haben. Das muss sich jetzt ändern. ({9}) Ich bin der Bundeskanzlerin für ihre gestrige Rede extrem dankbar, in der sie deutlich gemacht hat, dass Euro-Bonds der falsche Weg sind, ({10}) dass Money Printing der EZB nicht geht und dass das, was die Amerikaner und auch die Engländer machen, nicht der richtige Weg sein kann, nämlich Geld drucken und glauben, damit die Situation zu entschärfen. Wir Deutsche haben in unseren Genen, dass alles, was die Inflation ansteigen lässt, der falsche Weg ist. Ein Anstieg der Inflation muss verhindert werden. Ich bin froh, dass unsere Politik, die Politik der Bundesregierung, die Politik der Bundeskanzlerin, das aufzeigt. ({11}) Marktwirtschaft hat uns auf allen Feldern weitergeholfen und zu dem gemacht, was wir heute sind. Der Staat hat nie bewiesen, dass er der bessere Banker - Stichwort „Landesbanken“ - oder der bessere Unternehmer ist. ({12}) Er sollte es auch sein lassen, als Unternehmer aufzutreten. Manche Bereiche bereiten mir in dieser Hinsicht besondere Sorgen, zum Beispiel der Energiemarkt. 1997/98 wurde unter dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt der Energiemarkt liberalisiert. Ordnungspolitisch war das sicher eine richtige Entscheidung. Heute ist es so, dass die staatlich bestimmten Lasten beim Strompreis bei 42 Prozent angekommen sind. Hinzu kommen 24 Prozent durch regulierte Netzentgelte. Damit sind nur noch 34 Prozent des gesamten Strommarkts im Wettbewerb und marktbestimmend. ({13}) Das ist viel zu wenig. Das muss sich ändern. Wir müssen das, was der Staat bestimmt, zurückdrängen. ({14}) Das ist schon fast Planwirtschaft. Die Strommengen werden dem Markt entzogen und in ein geregeltes System überführt, nach dem Motto „produce and forget“. Wir stellen Strom her, aber was damit passiert, ob ihn einer braucht, interessiert uns überhaupt nicht mehr. Das ist eine falsche Anreizsetzung. Es kann nicht sein, dass jemand, der heutzutage eine Windkraftanlage aufstellen lässt, sich um den Absatz des Stroms überhaupt nicht kümmern muss. ({15}) Wenn die Anlage erst einmal installiert ist, bekommt er Geld, ob der Strom gebraucht wird oder nicht. Als Unternehmer hätte auch ich mir gewünscht, meine Produkte einfach auf den Hof stellen zu können, ohne mich darum kümmern zu müssen, was mit meinen Produkten passiert. Das ist jedenfalls nicht der richtige Weg. Wir müssen Anreize in die richtige Richtung setzen. Es darf nicht jeder so viel produzieren, wie er will, egal ob Strom gebraucht wird oder nicht. ({16}) Zwei Zahlen dazu. In Schleswig-Holstein sind bereits Windkraftanlagen onshore mit einer Leistung von insgesamt 3 800 Megawatt installiert. Bis Ende 2015 werden wir wahrscheinlich bei 12 200 Megawatt onshore und offshore angekommen sein. Aber gebraucht werden in Schleswig-Holstein im Durchschnitt 2 000 Megawatt am Tag. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir dringend dafür sorgen müssen, dass der Strom dorthin transpor17040 tiert wird, wo er gebraucht wird. Anderenfalls werden Windkraftanlagen permanent abgeschaltet werden müssen, und die Betreffenden bekommen Geld, obwohl der Strom nicht gebraucht wird. Dieser Weg ist falsch. Zuerst müssen die Netze ausgebaut werden, damit der Strom dorthin transportiert werden kann, wo er gebraucht wird. ({17}) Ich habe erhebliche Befürchtungen, dass wir in die falsche Richtung laufen. Wir alle sind gefordert, gegenzusteuern und den Netzausbau gemeinsam durchzusetzen. ({18}) Es kann nicht sein, dass wir hier im heiligen Föderalismus schwelgen und jedes Land dort baut, wo es will, obwohl Kupplungsstellen zwischen den Bundesländern nicht funktionieren. Das funktioniert eher in Richtung Ausland als bei uns. ({19}) - Daran sind doch die von Ihnen geführten Länder, Herr Kollege Heil, genauso beteiligt wie die von uns regierten. ({20}) Das muss sich ändern, und zwar ganz schnell. Es kann nicht sein, dass wir am Markt vorbei Strom produzieren und die Verbraucher und die Unternehmen das anschließend bezahlen dürfen. ({21}) Wir haben das lange genug falsch gemacht. Ich wünsche mir, dass wir so schnell wie möglich gemeinsam an den Start gehen. Da sind die Grünen gefordert; denn sie machen das nicht in den Ländern, wo sie mit in der Regierung sind, und sie machen schon gar nichts für Speicheranlagen. Ich sage nur: Gucken Sie sich Ihre grünen Kollegen in Baden-Württemberg an! Die blockieren Atdorf nach wie vor. ({22}) Da haben Sie eine große Aufgabe, gemeinsam etwas zu tun. Ich würde mir wünschen, das ginge wesentlich schneller nach vorn. Frau Künast, bringen Sie Ihre Leute in Schwung! ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesen Tagen, Herr Minister Rösler, wird deutlich, dass diese Bundesregierung sich seit zwei Jahren viel zu sehr auf einer durchaus erfreulichen wirtschaftspolitischen Entwicklung ausgeruht hat, die vor allen Dingen darauf basiert, dass die Vorgängerregierung ({0}) Entscheidungen getroffen hat, ({1}) mit denen sie Deutschland gut durch die Krise geführt hat, und Sie haben davon profitiert. Das neiden wir Ihnen nicht. Das war eine schöne Entwicklung; das war gut für Deutschland. Aber Sie haben jetzt seit zwei Jahren das Ruder in der Hand - oder: Sie sollten es zumindest haben. Wir erleben jetzt, dass dunkle Wolken am Konjunkturhimmel für das kommende Jahr aufziehen. ({2}) Wir müssen feststellen: Sie haben keine Zukunftsvorsorge für das getroffen, was jetzt an Unwetter auf uns zukommt, und das wird sich leider Gottes auch in der Realwirtschaft in Deutschland niederschlagen. ({3}) Ich sage Ihnen eines, Herr Kauder: Ich bin kein Schwarzmaler. ({4}) Ich wünsche mir, dass wir besser durch die Entwicklung kommen, als manche befürchten. Das ist eine Hoffnung, die wir auch als Opposition haben, weil es uns um das Land geht, Herr Kauder, nicht um eine kleinkarierte Beurteilung der Situation. Sie können überhaupt nicht ignorieren, dass die Krise, die wir im Moment erleben, eine Dimension hat, die inzwischen auch wieder negative Folgen für die Realwirtschaft in Deutschland hat. Gerade als ein Land mit hohem Exportanteil - 60 Prozent dessen, was wir in Deutschland produzieren, exportieren wir in den EURaum - sind wir darauf angewiesen, dass wir in Europa eine gemeinsame Entwicklung haben, die nach vorne geht. Deshalb, Herr Rösler, kann ich Ihnen nicht ersparen, Ihnen eines zu sagen: Sie versuchen hier, Pappkameraden aufzubauen, und sind als Wirtschaftsminister bei der Bewältigung dessen, was in Europa notwendig ist, praktisch ein Totalausfall. Sie spielen keine Rolle in dieser ganzen Debatte. ({5}) Das ist vielleicht deshalb kein Wunder, weil Sie so sehr damit zu tun haben, die Debatte mit den NationalHubertus Heil ({6}) konservativen in der FDP zu führen, die sich jeglicher Verantwortung entziehen. Um das zu tun, bauen Sie an dieser Stelle Pappkameraden auf, die Sie dann selbst wieder einsammeln müssen. Das baut kein Vertrauen auf. Ich finde auch Ihre etwas dünne Analyse der Verhältnisse sehr problematisch; das gilt auch für Sie, Herr Fuchs. Wenn wir auf die Ursachen dessen gucken, was wir im Moment erleben, dann erkennen wir: Es gibt nicht nur die eine Ursache. Man kann nicht einfach sagen: Die Staaten sind schuld. Sie alle haben über ihre Verhältnisse gelebt. ({7}) Richtig, das gab es. Für Griechenland beispielsweise gilt das. Aber Spanien hat bis zum Ausbruch der Krise nicht über seine Verhältnisse gelebt; das zeigt auch die haushalterische Entwicklung. Irland hatte ebenfalls keine Entwicklung, in der man im Haushalt kurzfristig über die Verhältnisse gelebt hat. Das kann es doch wohl nicht gewesen sein. Wir haben vielmehr erlebt, dass Länder aus sehr unterschiedlichen Gründen zu Defizitländern geworden sind: In Irland ist eine Bankenblase geplatzt, weil man Wachstum einseitig auf Finanzdienstleistungen abgestützt hat. Sie als FDP haben uns früher die irische Volkswirtschaft geradezu als leuchtendes Beispiel vorgehalten. „Der keltische Tiger“, das war Ihr Wort. ({8}) Die hohen Wachstumsraten sind damals spekulationsbegründet gewesen. Man hat uns in Deutschland seinerzeit als kranken Mann Europas bezeichnet, weil wir so altmodisch waren, auf die industrielle Basis dieses Landes zu setzen, diese zu erneuern, uns aber nicht von ihr zu verabschieden. Sie ignorieren vollständig, dass diese falsche Form der einseitigen Orientierung auf Finanzdienstleistungen die Ursache für die Krise in Irland ist. In Spanien sind es andere Krisenursachen. Da ist, auch durch die Finanzmärkte getrieben, eine Riesenimmobilienblase geplatzt. Dann gab es haushalterische Misswirtschaft wie in Griechenland. Alles drei hat es gegeben. Deshalb ist es ziemlich ideologisch, die Schuld an dieser Stelle auf den Staat zu schieben, nur deshalb, weil es in Ihr Feindbild passt. Sie müssen akzeptieren, dass die Politik, die Demokratie, die Staaten in der Krise es waren, die den Schlamassel aufzuräumen hatten, und dass sich viele aus der Finanzwirtschaft von der Verantwortung verabschiedet haben und inzwischen gegen Staaten, die sie selbst aus dem Mist gezogen haben, zu spekulieren anfangen. ({9}) Herr Minister, Sie reden von Finanzmarktregulierung. Aber wo sind Ihre Taten? Reden wir doch darüber, wie wir mehr Wettbewerb und mehr Transparenz bei den Ratingagenturen hinbekommen. Wo sind Ihre Initiativen im Bereich der Risikobewertung? Zum Thema Finanztransaktionsteuer habe ich eben nur mitbekommen, dass Sie irgendwie dagegen sind. Während inzwischen fast ganz Europa der Überzeugung ist, dass wir diese Antispekulationsteuer brauchen, weil wir auch das Geld brauchen, um die Defizite zu minimieren, ist die FDP der letzte Bremsklotz bei der Finanztransaktionsteuer. Merkel sagt in Brüssel das eine, Sie sagen hier das andere. ({10}) Herr Rösler, ich kann Ihnen das nicht ersparen: Wenn Sie als Totalausfall in diesen Fragen und bestenfalls aus FDP-internen Gründen als Bremsklotz in dieser Bundesregierung so weitermachen, dann versündigen Sie sich an dem, was auf uns zukommt. Jetzt sage ich etwas zu Ihrem neuen Pappkameraden Euro-Bonds. Wir haben mittlerweile eine Situation, in der Sie feststellen müssen, dass all das, was wir in den letzten anderthalb Jahren zum Beispiel durch Rettungsschirme für Griechenland an Notmaßnahmen ergreifen mussten, offensichtlich - das wird Tag für Tag deutlicher - nicht ausreichen wird. Die Frage ist: Was passiert jetzt? Es gibt drei mögliche Szenarien: Erstens kann man so weitermachen wie bisher. Man kann hoffen und bangen und dann erleben, dass die Euro-Zone auseinanderbricht. Die reale Gefahr ist da; das können Sie nicht ignorieren. Zweitens kann man sagen, man tut nichts, weil man sich die Hände nicht schmutzig machen will. Dann jagt man durch das Nichthandeln, für das Sie Verantwortung tragen, die Europäische Zentralbank immer weiter in den Aufkauf von Staatsanleihen. Das ist das, was Sie im Moment machen. Sie beschimpfen die EZB zwar hinterher für den Aufkauf von Staatsanleihen, aber Sie drängen sie geradezu in diese Rolle und nehmen damit billigend in Kauf, dass die EZB irgendwann die Notenpresse anwerfen muss. Dann kommt es zu der Inflation, die viele Menschen befürchten. Die dritte Möglichkeit ist, zu akzeptieren, dass Dinge auf uns zukommen, die wir uns nicht wünschen, für die man aber Vorsorge treffen muss. Ich habe heute gelesen, Herr Barthle, dass die Front in Sachen Euro-Bonds in Ihrer Fraktion offensichtlich bröckelt. ({11}) Man sagt ganz deutlich: Es geht nicht darum, diese zu fordern, aber man muss sich Gedanken darüber machen, ob man sie ausschließen kann oder ob es nicht sinnvoller ist, eine Konstruktion zu entwerfen, nach der diejenigen, die solche Anleihen in Anspruch nehmen, sich harten Auflagen aussetzen müssen. ({12}) Hubertus Heil ({13}) Sie werden Ihre Worte wieder einmal fressen müssen. Sie brauchen diesen Pappkameraden doch nur für die Urabstimmung in der FDP. ({14}) Sie sind getrieben, und Sie werden im Frühjahr erleben, dass Sie das einholt. Nach all dem, was uns die Fachleute sagen, gibt es nur diese drei Szenarien. Sie treiben im Moment durch Nichthandeln, Wackeln und einen Zickzackkurs die Europäische Zentralbank in die Rolle der größten Bad Bank in Europa. Das ist die Gefahr, die wir im Moment sehen. ({15}) Sie haben keine Initiativen zur wirksamen Regulierung des Finanzmarktes auf den Tisch gelegt. Sie sind sich nicht einmal innerhalb der Koalition einig, ob Sie eine Finanztransaktionsteuer wollen. ({16}) - Wollen Sie eine Frage stellen, Herr Brüderle? ({17}) - Bitte schön.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielleicht darf ich mich an der Vermittlung dieses Fragewunsches auch noch beteiligen. Ich stelle Ihre Bereitschaft mit Respekt fest. - Bitte schön, Herr Kollege Brüderle.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das war ein basisdemokratischer Kontakt zwischen Herrn Heil und mir, Herr Präsident. Das ist parlamentarisch unüblich, aber erfolgreich. Herr Heil, ist Ihnen bekannt, dass Ihr Fachmann, Ihr haushaltspolitischer Sprecher Carsten Schneider, gestern im Morgenmagazin sehr deutlich gemacht hat, dass Euro-Bonds weder verfassungsrechtlich noch ökonomisch vertretbar sind? Meines Wissens ist er unverändert Sozialdemokrat.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank für die Frage, Herr Brüderle. So kann ich Sie an dieser Stelle aufklären. Carsten Schneider ist ein hervorragender Fachmann. Deshalb zitieren Sie ihn bitte vollständig. Er hat darauf hingewiesen, dass es rechtlich sehr schwierig sein wird, sich auf diesen Weg zu machen. Es ist nicht einfach, auch nicht die Diskussion darüber. Sie tun ja immer so, als würden wir täglich Euro-Bonds fordern. Was ich eben gesagt habe, ist etwas anderes: Sie können zu diesem Zeitpunkt ein solches Instrument, das im Übrigen der Sachverständigenrat als Schuldentilgungsfonds, also unter einem anderen Namen, aber mit derselben Zielrichtung, vorgeschlagen hat, überhaupt nicht ausschließen. ({0}) Wir sagen ganz deutlich: Wir schließen kein Instrument aus, das hilft, die Euro-Zone zusammenzuhalten; denn der Zusammenhalt in der Euro-Zone ist im wohlverstandenen deutschen wirtschaftlichen Interesse. Sie schließen in unverantwortlicher Art und Weise alle möglichen Maßnahmen aus und erleben dann Monate später, dass Sie es doch in dieser Richtung machen müssen. Wir sagen: Euro-Bonds sind kein Allheilmittel und auch kein Selbstzweck. Sie werden kein Mittel sein, das per se funktioniert, sondern sie funktionieren nur, wenn man eine Vorstellung davon hat, wie sie konstruiert sind. Dazu zählt, dass Länder, die die damit verbundenen Zinsvorteile in Anspruch nehmen, sich unterwerfen müssen und an dieser Stelle auch ein Stück nationale Souveränität abgeben müssen, Herr Brüderle. Denn es ist ganz klar, dass es einen Zusammenhang zwischen Haftung und Risiko geben muss. Länder können nicht Hilfen in Anspruch nehmen und einfach weiterwurschteln. Herr Brüderle, Sie sagen, was Sie nicht wollen. Sie schließen Dinge aus und erleben dann Monat für Monat, dass Sie das auffrisst. So hat das Ganze angefangen. Ich kann mich noch erinnern, dass der Kollege Otto Fricke - auch ein Haushälter, wenn ich mich richtig erinnere sich hier im Parlament hingestellt und mit dem schönen Satz begonnen hat: Keinen Cent für Griechenland! - Auf irgendeine Art und Weise hat er sogar Wort gehalten; denn es war dann kein Cent, sondern es waren Milliarden. Wir reden inzwischen über Dimensionen, die sich kein Mensch mehr richtig vorstellen mag und kann. Die Situation ist zu ernst, als dass Sie hier FDP-Pappkameraden aufbauen könnten, nur um Herrn Schäffler im Griff zu behalten. ({1}) Sie werden sich der Verantwortung stellen müssen. Deshalb sage ich Ihnen: Machen Sie sich einen Kopf darüber, was wir im Frühjahr erleben werden, wenn das so weitergeht. Ihre Krisenpolitik, Ihr Zickzackkurs, Ihr Herumgeeiere sind gescheitert. ({2}) Herr Brüderle, Sie können sich wieder setzen. Herzlichen Dank! - Oder wollen Sie noch eine Frage stellen?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Heil, darf ich den Vorschlag machen - denn der Kollege Barthle möchte dazu offenkundig auch eine ergänzende Bemerkung machen -, dass wir die beiden Wortmeldungen vielleicht zusammen aufrufen und Sie dazu dann Stellung nehmen? ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern. - Aber habe ich noch genug Redezeit?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie bekommen auf diese Weise ungeahnte zusätzliche Redezeiten, völlig richtig.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke. - Dann dürfen Sie stehen bleiben, Herr Brüderle. Bitte schön.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Brüderle, dann Herr Barthle.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Heil, damit Sie den Originaltext von

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guter Mann.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- lese ich Ihnen die Agenturmeldung vor. Er sagte: Aufgrund der rechtlichen Situation in Deutschland und der ökonomischen Faktoren ist derzeit eine Einführung nicht machbar. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Brüderle, ich unterstreiche diesen Satz. Ich sage Ihnen aber auch: Es kann eine Situation eintreten, in der wir trotzdem zu einer solchen Lösung kommen müssen. Darauf müssen Sie sich vorbereiten. Carsten Schneider hat ja gesagt, dass es im Moment die rechtlichen Möglichkeiten dazu noch nicht gibt. Es kann aber sein, dass ein solches Instrument wirtschaftspolitisch und ökonomisch in Zukunft notwendig sein wird. Deshalb müssen wir dafür die Voraussetzungen schaffen. Herr Brüderle, Sie denken nicht nach. Das ist der Vorwurf, den wir Ihnen machen. ({0}) Sie denken einzig und allein an die Frage, wie Sie Ihre 2-Prozent-Partei wieder aufpäppeln können. Aber das ist unverantwortlich. Es geht nicht um die FDP, sondern es geht um Europa und die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands, Herr Brüderle. Das ist der Unterschied. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

So, jetzt Kollege Barthle.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Heil, da Sie mich persönlich angesprochen haben, möchte ich das Ganze in einen richtigeren Zusammenhang rücken. Es gibt heute eine Nachricht in der FTD. Darin wird gemeldet, die Front gegen die Euro-Bonds bröckele. In dieser Meldung werde ich mit der Aussage zitiert: Wir sagen nicht nie. Wir sagen nur: keine EuroBonds unter den gegebenen Voraussetzungen. Das ist genau die Position, die die Koalition und die Bundeskanzlerin vertreten. ({0}) Die Bundeskanzlerin sagt klipp und klar: ({1}) Solange die Voraussetzungen nicht gegeben sind, solange es die notwendigen vertraglichen Änderungen nicht gibt, braucht man über Euro-Bonds mit uns nicht zu diskutieren. Man muss zunächst den ersten Schritt und dann den zweiten machen - und nicht umgekehrt. Genau dies kommt in dem Zitat zum Ausdruck. Das wollte ich noch einmal klargestellt haben. Danke.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Barthle, bleiben Sie bitte stehen, damit ich Ihnen antworten kann. - Ich muss Ihnen ein Kompliment machen. Das klärt dann auch ein bisschen die Frage von Herrn Brüderle. Herr Schneider, Sie und ich - wir drei zumindest - scheinen in dieser Frage einer Meinung zu sein. Der Punkt ist nur: Dann muss man die Voraussetzungen dafür auch schaffen. Herr Barthle, Sie haben den Mut, das in einer Zeit auszusprechen, in der die FDP „nie“ sagt. Herr Rösler hat vorhin gesagt: Euro-Bonds sind am Ende des Tages Schuldensozialismus. ({0}) Sie sind in dieser Situation verantwortungsbewusster, weil Sie ahnen, dass die Situation eintreten kann, dass wir ein solches Instrument brauchen. Wir beide sind uns einig: Dafür muss man Voraussetzungen schaffen. Es gibt keine voraussetzungslosen Regelungen - weder rechtlich noch ökonomisch. Man muss dafür sorgen, dass das Risiko auch von den Defizitländern getragen wird, dass sie ihren Anteil übernehmen. Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Barthle: Herzlichen Glückwunsch, dass Sie den Mut und den Verstand haben, einzuräumen, dass wir in eine Situation kommen können, in der man den Einsatz eines solchen Instruments nicht ausschließen kann, dass man deshalb jetzt die Voraussetzungen schaffen und dazu Vorschläge vorlegen muss. Das ist nicht nur ein Beleg für einen weiteren Unterschied in dieser Koalition, sondern leider Gottes auch dafür, dass sich Schwarz-Gelb in solchen Fragen, die von national und international wichtiger Bedeutung sind, wieder einmal nicht einig ist. Das muss ich feststellen. - Herzlichen Dank, Herr Barthle. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Also, dass sich Abgeordnete in laufenden Debatten wechselseitig Mut und Verstand attestieren, halte ich für einen der eigentlichen Höhepunkte dieser Haushaltsdebatte, den ich ausdrücklich im Protokoll festhalten möchte. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank. - Herr Präsident, dann darf ich noch etwas hinzufügen. ({0}) - Na ja, das muss man doch an dieser Stelle sagen. - Die Eigenschaften guter Politik sind nach Max Weber - das ist gar kein schlechter Anhaltspunkt in Krisenzeiten Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß. Genau darum geht es: um die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen in einer Zeit, in der es nicht populär ist, für Lösungen einzustehen, die aber notwendig sind, um das gemeinsame Europa auch wirtschaftlich zusammenzuhalten. Deshalb darf man nicht unverantwortlich Pappkameraden aufbauen und schwadronieren, wie das Herr Brüderle tut. Da finde ich Herrn Barthle verantwortungsvoller, weil er bereit ist, auszusprechen, dass so etwas auf uns zukommen kann. Herr Präsident, Max Weber hat zweitens die Leidenschaft angeführt. Das bedeutet für uns die Überzeugung, leidenschaftlich für dieses gemeinsame Europa einzutreten. Dazu will ich sagen: Herr Schäuble, Ihnen nehme ich das ab, aber vielen Ihrer Kollegen - vor allen Dingen dem Bundeswirtschaftsminister - nicht, weil er zu leidenschaftlich mit der Frage beschäftigt ist, wie er die FDP zusammenhält. ({1}) Ihm fehlt die leidenschaftliche Überzeugung, in Europa voranzukommen und es stärker zu integrieren. Er lernt in diesem Zusammenhang nicht, dass die Währungsunion nicht funktioniert, wenn man einen Währungsraum hat, in dem die Wirtschafts- und Fiskalpolitik nicht stärker zusammenwächst. Herr Schäuble, Ihnen nehme ich ab, dass Sie in diesen schwierigen Zeiten ein leidenschaftlicher Europäer sind. Das nehme ich dem Bundeswirtschaftsminister nicht ab. ({2}) Nach Leidenschaft und Verantwortung nennt Weber drittens das Augenmaß. Ich erkenne in den Worten der FDP und des Herrn Brüderle keinerlei Augenmaß. Herr Rösler, wenn in Wahlkämpfen wie in Berlin so unverantwortlich versucht wurde - Gott sei Dank ist es ja gescheitert -, die FDP mit antieuropäischen Ressentiments über die Fünfprozenthürde zu katapultieren - zu dieser Zeit waren Sie schon Vorsitzender und haben nichts dazu gesagt -, dann zeugt das nicht von Augenmaß. Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß sind Werte, die eine vernünftige Wirtschafts- und Haushaltspolitik braucht. Genau das vermissen wir. Deshalb, Herr Rösler - das kann ich Ihnen nicht ersparen -: Die Lage ist viel zu ernst, als dass man Ihre aus der Zeit gefallenen FDP-Parolen noch ertragen mag. Wir werden eine aktive Wirtschaftspolitik brauchen, um die Scherben aufzusammeln, die Sie uns hier hinterlassen. Je eher diese Regierung beendet ist, desto besser für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa. Herzlichen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Florian Toncar ist der nächste Redner für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. Herr Präsident! - Lieber Kollege Heil, man wird Ihrer Rede manches attestieren können, aber auf die Leidenschaft musste ich eine ganze Zeit lang warten. Dennoch: Es ist gut, dass Sie so eindeutig gesagt haben, was die SPD will, weil es noch einmal deutlich macht, wie die politischen Alternativen in Deutschland aufgestellt sind und dass es sehr unterschiedliche Konzepte gibt, wie man solche Krisen bewältigt. Ich will noch einmal daran erinnern, dass Rot-Grün den Stabilitätspakt kaputtgemacht hat. Ebenso will ich daran erinnern, dass Rot-Grün vier Jahre hintereinander für einen Haushalt mit einer Verschuldung oberhalb der Maastricht-Kriterien verantwortlich war. ({0}) Das waren Sie. Jetzt stellen Sie fest, dass wir uns in ganz Europa in einer Situation befinden - weil andere das nachgemacht haben -, in der wir an Grenzen stoßen. ({1}) Es gibt unterschiedliche Gründe, Herr Kollege Heil, warum sich Länder in einer Situation befinden, in der sie kein Geld mehr bekommen. Gemeinsam haben sie jedoch eines: Es gibt nicht mehr genügend Geldgeber, die ihr privates Geld noch freiwillig diesen Ländern geben wollen. ({2}) Wer Demokratien nur mit Schulden finanzieren kann, der verletzt am Ende die Regeln der Demokratie und gefährdet sie obendrein. ({3}) Deswegen sind die Euro-Bonds auch keine Antwort. Sie können Schulden nicht mit noch mehr Schulden bekämpfen. Euro-Bonds bedeuten nichts anderes, als das, was ohnehin zur Krise geführt hat, zur Dauereinrichtung zu machen, und das Ganze dann auch noch auf alle anderen zu verteilen. Das kann dann jahrelang so weitergehen. Wenn Sie so vorgehen, ist das einerseits ein Verstoß gegen die Gerechtigkeitsvorstellungen unserer Bevölkerung, auch gegen meine eigenen. Die Menschen, die sich an neue Situationen anpassen und vielleicht auch mit Einschnitten in ihrem Staat leben müssen, dürfen nicht zusätzlich dadurch bestraft werden, dass sie die Rechnung für diejenigen bezahlen müssen, die das nicht in Kauf genommen haben. Das Ganze verstößt andererseits auch gegen ökonomische Gesetze. Sie werden mit Ihren Vorschlägen - sie führen zu mehr Schulden; es ist eine Steigerung des gleichen Problems - am Ende zu keiner Lösung kommen. Das ist das Gefährliche an der Idee, die Sie da vorschlagen. Das sind keine Pappkameraden; das ist letzten Endes ein untauglicher Vorschlag zur Lösung dieser Krise. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kann der Kollege Heil eine Zwischenfrage stellen?

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Toncar, ich stelle fest, dass es zwischen der Auffassung von Herrn Barthle und Ihnen einen Unterschied gibt; ({0}) das will ich an dieser Stelle festhalten. Er sagt: Wir können Euro-Bonds in letzter Konsequenz nicht ausschließen; aber die Voraussetzungen fehlen. ({1}) Sie sagen: Das ist Teufelszeug. - Das ist ein Unterschied in der Argumentation; das will ich festhalten. Zweitens. Herr Toncar, ich will Ihnen sagen: Wir sind alle miteinander der festen Überzeugung, dass man öffentliche Haushalte in Ordnung bringen muss, dass man sie konsolidieren muss; wir streiten uns über den Weg. Deshalb dürfen wir uns nicht gegenseitig unterstellen, dass es uns darum geht, auf Teufel komm raus den Staat zu verschulden. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen. Wenn Sie so sehr dafür sind, dass man die Staatsfinanzen vor allen Dingen in guten Zeiten in Ordnung bringt, dann frage ich Sie an dieser Stelle, warum Sie nach zwei Jahren positiver wirtschaftlicher Entwicklung und Steuermehreinnahmen in diesem Land im nächsten Jahr noch mehr neue Schulden machen, als es notwendig wäre. ({2}) Tun Sie nicht so, als seien Sie jemand, der in Europa andere belehren könnte, wenn Sie in der nationalen Politik nicht in der Lage sind, in guten Zeiten mehr zu konsolidieren, sondern das Geld für so etwas Unsinniges wie das Betreuungsgeld und Ihre Steuergeschenke für Ihre Klientel verpulvern, Herr Toncar. ({3})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Heil, zum einen will ich festhalten, dass sich der Kollege Barthle jetzt von Ihnen zu Unrecht vereinnahmt fühlt; man sollte da dem Kollegen Barthle folgen. Übrigens hat der Sachverständigenrat, auf den Sie sich berufen haben, ausdrücklich Wert darauf gelegt, dass er keine Euro-Bonds vorgeschlagen hat. ({0}) Ich will Ihnen aber, nachdem Sie nicht meiner Aussage widersprochen haben, dass Rot-Grün viermal gegen den Maastricht-Vertrag verstoßen hat - es stimmt ja auch; man wird dagegen wenig anführen können -, ({1}) etwas zur aktuellen Haushaltssituation sagen. Sie kennen die Finanzplanung von Peer Steinbrück, die er vorgelegt hat, bevor er das Amt des Finanzministers aufgeben musste. Sie wissen, dass nach der Finanzplanung, die Peer Steinbrück damals vorgelegt hat, in diesem Jahr eine weitaus höhere Neuverschuldung zu erwarten gewesen ist. ({2}) Sie wissen auch - dafür rühmen Sie sich -, dass Sie in der Großen Koalition - Sie haben eben in Ihrer Rede nostalgisch daran zurückgedacht; das muss eine unheimlich schöne Zeit gewesen sein - zur Zeit der Krise zwei Konjunkturprogramme aufgelegt haben, beide über Schulden finanziert, komplett kreditfinanziert. ({3}) - Die Programme waren im Prinzip nötig, ({4}) aber nicht jede einzelne Maßnahme. ({5}) - Zum Beispiel die Abwrackprämie. ({6}) Für die Abwrackprämie bezahlt der deutsche Steuerzahler - - Bleiben Sie bitte stehen. Das hat der Kollege Brüderle eben auch getan. ({7}) - Ich gehe jetzt auf den Punkt ein. - Ihre politische Leistung in Zeiten der Großen Koalition, an die Sie immer noch gerne denken, bestand im Grunde darin, dass Sie sich innerhalb kurzer Zeit darauf geeinigt haben, 80 Milliarden Euro neue Schulden zu machen und dann das entsprechende Geld zu verteilen. ({8}) Was diese Koalition machen musste und auch gemacht hat, ist das komplette Gegenteil: Wir mussten nicht neue Schuldenprogramme im Umfang von 80 Milliarden Euro zusammenstricken, sondern haben Konsolidierungsmaßnahmen im Umfang von 80 Milliarden Euro in vier Jahren beschlossen. ({9}) Jetzt frage ich Sie einmal, was denn die größere Leistung ist: 80 Milliarden Euro ausgeben oder um 80 Milliarden Euro konsolidieren? ({10}) Letzteres hat diese Koalition gemacht. Das hätte keine andere Koalition in dieser Form geschafft, Herr Kollege Heil. Wir bewegen uns deswegen mit einem hohen Tempo in Richtung Einhaltung der Schuldenbremse. Wir kommen in diesem Jahr einer Neuverschuldung von 20 Milliarden Euro nahe. Wir werden im nächsten Jahr einen weiteren deutlichen Abbauschritt machen. Wenn Sie mir vor zwei Jahren gesagt hätten, wie schnell es uns gelingt, den Haushalt zu konsolidieren, dann hätte ich das selbst kaum geglaubt. Wir sind doch weit besser im Zeitplan, als das noch vor zwei Jahren zu erwarten gewesen ist. ({11}) Ich möchte die Gelegenheit nicht versäumen, etwas zu dem zu sagen, was wir beim Einzelplan 09 alles beschlossen haben. In dem Einzelplan sind wichtige Dinge enthalten, mit denen wir in Deutschland dazu beitragen können, dass sich die Wirtschaft stabilisiert und sie weiter wachsen kann: Zum einen nenne ich das Thema Fachkräftesicherung. Das ist natürlich ein ganz wichtiges Thema. Im Haushalt des Wirtschaftsministers ist schon seit längerer Zeit ein entsprechender Haushaltstitel enthalten. Es geht hier darum, dass man gerade für die mittelständischen Unternehmen entsprechende Fachkräfte gewinnt, dass man dem Mittelstand, weil er nicht immer überall präsent sein kann, dabei hilft, an Fachkräfte zu kommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Toncar, darf die Kollegin Paus Ihnen noch eine Zwischenfrage stellen?

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gern, wenn sie möchte, ob nun zum Thema Fachkräfte oder zu anderen Themen. Jederzeit.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es wäre schon gut, wenn es mit der Haushaltsdebatte zusammenhängen würde. ({0})

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Genau. - Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Toncar, ich habe eine kurze Frage. Sie haben gesagt, Sie würden beim Konsolidierungspfad weitermachen und nächstes Jahr weniger Schulden als dieses Jahr aufnehmen. Das passt nicht zu dem, was ich in Mathematik gelernt habe: Wenn Sie in diesem Jahr 22 Milliarden Euro Nettoneuverschuldung haben und morgen mit der Verabschiedung des Gesamthaushalts 26 Milliarden Euro Neuverschuldung planen, wie kommen Sie darauf, dass es im nächsten Jahr weniger Verschuldung geben wird und nicht mehr? ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin, für diese Frage, weil sie mir Gelegenheit gibt, auf einige Grundlagen des Haushaltsrechts hinzuweisen. ({0}) Es gibt im Bundeshaushalt immer ein Soll und ein Ist. In Bezug auf das Soll sagen wir am Anfang eines Haushaltsjahres: Das ist das Maximum dessen, was die Regierung ausgeben darf, und es ist das Maximum dessen, was sie an Schulden aufnehmen darf. Das Ist bezieht sich auf das - das stellen Sie dann nach zwölf Monaten fest -, was wirklich ausgegeben oder an Schulden aufgenommen wurde. Sie können sich vorstellen, dass es meistens so ist, dass bei einem Haushalt von 300 Milliarden Euro Soll und Ist nicht gleich groß sind; ({1}) denn es gibt immer etwas, was vorher geschätzt werden muss. Da können Sie - das ist auch im privaten Haushalt so - nicht jeden Euro vorhersagen. ({2}) Schauen Sie sich die Sollzahlen einmal an: In der Tat hat Herr Steinbrück seinerzeit vorgeschlagen, für 2010 86 Milliarden Euro neue Schulden zu machen. Wir haben dann im Parlament beschlossen, dass es maximal 80 Milliarden Euro sein sollen. Für 2011 sollen es maximal 48 Milliarden Euro sein, für 2012 maximal 26 MilFlorian Toncar liarden Euro. Wenn Sie mir zustimmen würden, dass 48 weniger als 80 sind und 26 weniger als 48, hätten wir schon ein erstaunliches Maß an Gemeinsamkeit. ({3}) Die Istzahlen für 2010 kennen wir schon: Es sind 44 Milliarden Euro geworden. Für 2011 erwarten wir eine Istzahl von ungefähr 20 bis 25 Milliarden Euro. Auch 20 bzw. 25 dürfte - das ist einfach zu erkennen kleiner sein als 44. Ich kann daher überhaupt nicht erkennen, dass irgendeine Verschuldung im Vergleich zum Vorjahr nach oben geht. Sie werden beim Haushalt 2012 - da wir sehr vorsichtig gerechnet haben - sehen, dass es auch da keine unangenehmen Überraschungen gibt. Wenn es nicht zu externen Ereignissen bzw. Schocks kommt - die Krise in Europa kann natürlich großen Einfluss auf den Haushalt haben -, werden wir die 26 Milliarden Euro, die im Ansatz stehen, für das kommende Jahr nicht brauchen, sondern nochmals deutlich niedriger liegen. Aber wir rechnen vorsichtig, weil wir die Bürger vor unangenehmen Überraschungen schützen wollen. ({4}) Ich komme zurück zu meinem Thema. Für die Fachkräftesicherung haben wir einen weiteren Schwerpunkt im Haushalt gesetzt. Einen anderen Schwerpunkt haben wir beim Bundeskartellamt. Herr Claus hat gesagt, das sei toll, weil es Einnahmen bringt. Uns geht es eher darum, dass das Bundeskartellamt dafür sorgt, dass der Wettbewerb fair abläuft, dass es in unserer Volkswirtschaft keine wettbewerbsfreien Zonen gibt und dass die Verbraucher von einem schärferen Wettbewerb profitieren. Ansonsten haben wir beide offenbar ein Faible für das Bundeskartellamt. Ich möchte zuletzt noch ein Thema ansprechen, das auch der Kollege Brandner in seiner Rede erwähnt hat, nämlich den Netzausbau und die damit zusammenhängende Frage, ob die Bundesnetzagentur genug Personal bekommen hat. Wir haben die Bundesnetzagentur um weitere 220 Stellen verstärkt. All diese Mitarbeiter müssen erst einmal im Laufe des Jahres eingestellt werden. An Ihrer Kritik kann man, glaube ich, sehr gut sehen, was der Unterschied zwischen einem reinen Atomausstieg, den Rot-Grün beschlossen hat, und einer Energiewende ist, die wir beschlossen haben. Herr Kollege Brandner, die Laufzeiten der Kernkraftwerke, die Sie vorgeschlagen hatten, waren ungefähr die, die jetzt im Atomgesetz stehen. ({5}) Offenbar ist beim Netzausbau gar nichts passiert; denn sonst hätten wir die erforderlichen Leute bei der Bundesnetzagentur. Ich frage Sie: Wo sind die denn eigentlich? Wenn Sie das kritisieren, müssen Sie sich doch erst einmal an die eigene Nase fassen. All das haben Sie nicht gemacht, sondern Sie haben damals einen isolierten Atomausstieg, ohne auf die Vernetzung mit den übrigen Energieversorgungssystemen Rücksicht zu nehmen, geplant. Das war sicherlich nicht richtig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Als Hauptberichterstatter möchte ich - damit der Kollege Brandner zum Abschluss meiner Rede klatschen muss, weil er gar nicht anders kann - nicht nur dem Minister und dem Haus, sondern all meinen Kollegen für die ausgesprochen kollegiale Zusammenarbeit danken. Es war schön mit euch. Wir machen das nächstes Jahr wieder. Vielen herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jetzt klatscht der Kollege Brandner trotz ausdrücklicher Aufforderung nicht, was aber - das will ich festhalten - durch das freie Mandat gedeckt ist. ({0}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke. ({1})

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Rösler, auch ich sehe das so, dass sich Ihre Wirtschaftspolitik daran messen lassen muss, ob sie einem wirtschaftlichen Abschwung entgegenwirkt. Stattdessen stelle ich heute ebenso wie gestern fest, dass Sie Schönfärberei betreiben. Sie behaupten, Sie machten wachstumsfördernde Konsolidierungspolitik. Aber niemand merkt es. Lassen Sie mich weitere Aspekte anfügen. Die G 20 - damit auch Sie - haben kürzlich in Cannes vereinbart: Die wenigen Länder, die noch über finanziellen Spielraum verfügten, sollten für Wachstumsimpulse und eine Stärkung der Binnenkonjunktur sorgen. Was bleibt davon in Ihrer Wirtschaftspolitik? Eine Steuersenkung von 6 Milliarden Euro. Das ist angesichts der Herausforderung und der Lage auf dem Binnenmarkt lächerlich und wird dem überhaupt nicht gerecht. ({0}) Wir Linke sind immer für Steuergerechtigkeit eingetreten und haben die Abschaffung der kalten Progression gefordert. Im Gegensatz zu Ihnen sind wir aber auch immer für eine Gegenfinanzierung eingetreten. Sie wollen die Vermögenden weiter schonen. Wir fordern, dass eine Gegenfinanzierung über Vermögensabgabe und Vermögensteuer durchgeführt wird. Damit könnten Sie übrigens locker einen Schritt zur Konsolidierung des Haushalts gehen, Herr Toncar. ({1}) Nicht nur, dass die Vermögenden inzwischen selber darum betteln, nicht nur Warren Buffett und auf internationaler Ebene, auch auf nationaler Ebene gibt es inzwischen viele. Auch das DIW hat dazu festgestellt: Mögliche Anpassungs- und Ausweichreaktionen auf höhere Spitzensteuersätze werden häufig überbewertet. Vermögende zu belasten, hat nicht die von Ihnen immer behaupteten negativen Auswirkungen auf die Binnenkonjunktur. Die einzige Folge wäre, dass den Finanzmärkten Geld zur Spekulation entzogen würde. Auch das wäre neben der geforderten Transaktionsteuer ein Schritt zur Bereinigung der Finanzmarktkrise. ({2}) Es muss für viele Beschäftigte wie Hohn klingen, dass Sie permanent über die hohen Beschäftigungszahlen jubeln. Ja, viel mehr Menschen haben Arbeit, aber viele können davon nicht ohne Zuschuss leben. Oft war vom Aufschwung der Niedriglöhne und der prekären Beschäftigung etc. die Rede. Lassen Sie mich ergänzen: Frauen müssen neben einem Vollzeitjob noch im Minijob putzen oder kellnern oder sich und die Kinder mit zwei, drei oder vier Minijobs über Wasser halten. Das ist Ihr Familienprogramm für Arme. Es gibt so viele Millionäre wie nie zuvor, gleichzeitig müssen immer mehr Menschen an der Suppenküche anstehen. Diese Entwicklung bleibt nicht beim Niedriglohnsektor stehen. Wiederum das DIW hat in seiner Studie zur Arbeitsmarktentwicklung nachgewiesen, dass seit 2005 die Zuwächse bei mittleren und höheren Lohngruppen längst durch Kaufkraftschwund aufgefressen werden. Der gesetzliche Mindestlohn, die Zurückdrängung von Leiharbeit, die Sozialversicherungspflicht von Minijobs ab der ersten Stunde und der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ sind nicht nur eine Frage der Würde, sondern auch wirtschaftlich dringend notwendig. ({3}) Auf europäischer Ebene gießen Sie Öl ins Krisenfeuer, statt zu löschen. Die Binnenmarktschwäche hat auch zur Folge, dass Deutsche nicht mehr Waren aus dem europäischen Ausland importieren, insbesondere aus den Krisenländern. Das wäre unter anderem aber notwendig, um deren Wachstum zu stärken. Stattdessen sind EU-weit insbesondere auf Ihre Initiative hin Kürzungsprogramme im Umfang von 400 Milliarden Euro aufgelegt worden. Mit dem Handelsblatt stellt die Linke fest: Die Frage, woher denn noch Wachstum kommen soll, wenn die gesamte Euro-Zone die Ausgaben senkt, ist mit Blick auf die Konjunkturprognosen für die Euro-Zone mehr als berechtigt. Doch die Antwort, die Merkel auf diese Frage gibt, ist nicht überzeugend. Sie lautet: Wer ohnehin tief in der Rezession steckt, soll noch weniger ausgeben. Ich füge hinzu: und damit noch tiefer in der Rezession versinken. Wenn Sie die Binnennachfrage der Euro-Zone auf Jahre hinaus ersticken, kehrt das wie ein Bumerang nach Deutschland zurück; denn 60 Prozent der deutschen Exporte gehen nach wie vor in die Länder der Euro-Zone. Die anderen Staaten beneiden Deutschland nicht um seine Exportstärke. Es geht auch nicht um eine Entschuldigung für die Exportstärke, Herr Rösler. Im Gegenteil: Die G 20 - deren Teil Sie ohne Zweifel sind -, das Europaparlament, der Europäische Rat und die EU-Kommission haben sich darauf geeinigt, Länder mit starken Leistungsbilanzüberschüssen wie Deutschland müssten Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes vorlegen. So massiv Sie Krisenländern Sparprogramme aufzwingen, so entschieden blockieren Sie diese Regelung auf europäischer Ebene. Die Bundesregierung will jetzt den Schwellenwert dafür auf 7 Prozent setzen lassen. Damit wird dieses Vorhaben zur Farce. Das ist Ihr wirtschaftspolitisches Armutszeugnis in Europa. ({4}) Eine Orientierung auf eine sozial-ökologische Erneuerung fehlt im Haushalt. Herr Rösler, Ihr Streit mit Umweltminister Röttgen ist dafür symptomatisch. Verbindliche Vorgaben für Energieeffizienz soll es nach Ihrem Willen nicht geben. Verbindliche Schritte zur Erhöhung der Ressourceneffizienz und der massive Ausbau der erneuerbaren Energien fehlen auch in diesem Haushalt. Wenn sich herausstellt, dass die Klima- und die Effizienzziele für 2020 aufgrund Ihrer Verweigerungshaltung nicht erreicht werden können, zucken Sie mit den Schultern. Die FDP würgt die Erfolgsgeschichte der Unternehmen im ökologischen Sektor ab. Diese Erfolgsgeschichte wurde geprägt von kommunalen, kleinen und mittleren Unternehmen und Genossenschaften und nicht von den großen Vier. Diese haben die Entwicklung verschlafen. Jetzt versuchen Sie, ihnen dadurch, dass Sie Hochleistungsnetze etc. in den Mittelpunkt der Energiewende stellen, wieder auf die Sprünge zu helfen. Ihre Wirtschaftspolitik - Herr Brüderle, wenn Sie schon da sind, spreche ich auch Sie an ({5}) ist nicht der Dreiklang von Investieren, Stabilisieren und Entlasten. ({6}) Im Gegenteil: Das ist ein Haushalt zur Förderung des wirtschaftlichen Abschwungs, der Verarmung vieler und des Blindflugs im Bereich der sozial-ökologischen Erneuerung. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Ingrid Nestle für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe aus den Reihen der Koalition heute früh einen klugen Satz gehört. ({0}) Herr Luther, Sie haben nämlich gesagt: Wir müssen dafür sorgen, dass Deutschland auch morgen noch gut dasteht. - Vor diesem Hintergrund fand ich Ihre Rede, Minister Rösler - das muss ich sagen -, wirklich gruselig. ({1}) In Europa brennt die Luft. Alle seriösen Politiker arbeiten auf Hochtouren, um in Zeiten der Finanzkrise eine Perspektive für die europäische Wirtschaft aufzuzeigen. Und was tun Sie? Sie äußern einige fromme Wünsche: ({2}) Ich möchte, dass wir immer weiter viel mehr exportieren als importieren. Dafür müssen andere Länder natürlich Schulden aufbauen, und es sollen keinerlei Transfergelder fließen. - Ich glaube Ihnen, dass das Ihre frommen Wünsche sind. Ich frage Sie aber: Haben Sie überhaupt nicht den Ernst der Lage verstanden? Haben Sie überhaupt nicht begriffen, worum es hier gerade geht? Sie leugnen einfach die Realität. Sie nennen Zahlen aus diesem und dem letzten Jahr und sagen fröhlich: Ich hoffe, es geht alles immer so weiter. - Bestimmt geht alles immer so weiter, wenn wir nichts tun. Nein, Herr Rösler, Sie tragen Verantwortung; wirklich Verantwortung. An dieser Stelle geht es nicht um Polemik, sondern darum, die Lage zu erkennen und dementsprechend zu handeln. ({3}) Sie haben auch die Energiewende angesprochen. In letzter Zeit wurde ich öfter von Journalisten gefragt: Was ist eigentlich aus der Energiewende geworden? Man hört ja gar nichts mehr. Was macht denn die Regierung? Habe ich es nur nicht mitbekommen, oder macht sie wirklich nichts? ({4}) Sie hatten die Chance, mit diesem Haushaltsplan zu zeigen: Ja, wir machen etwas für die Energiewende. Aber was passiert tatsächlich? Der Mittelansatz für die Energieforschung wird im Wirtschaftshaushalt sogar leicht gesenkt. Die Mittel für die Förderung der erneuerbaren Energien werden gekürzt. Mittel für die Stellen für die BNetzA sind erst nach deutlichem Protest eingestellt worden, obwohl Sie ohne diese Stellen Ihre Gesetze, die Sie vor ein paar Monaten, im Sommer, beschlossen haben, gar nicht umsetzen können. Dann sagen Sie: Wir haben den Energie- und Klimafonds. - Die Höhe der Einnahmen aus dem Energie- und Klimafonds steht in den Sternen. Die Einnahmen aus dem Emissionshandel sind deutlich zurückgegangen; die sogenannte Brennelementesteuer wurde schon teilweise zurückgezahlt. ({5}) Mit diesem Energie- und Klimafonds schaffen Sie erstens keine Investitionssicherheit für die Energiewende. Zweitens: Selbst wenn die Gelder so fließen, wie Sie sich das erträumen, haben wir weniger Geld für die Gebäudesanierung zur Verfügung als 2009. Dazu kommt: Sie fördern mit diesen Geldern energieintensive Unternehmen. Sie fördern damit den Stromverbrauch. Welch zynische Verwendung der Mittel aus dem Klimafonds! Außerdem fordern Sie, mehr Geld aus diesem Fonds für den Neubau von Kohlekraftwerken auszugeben als für die Förderung des effizienten Verbrauchs von Strom. Das ist das ewiggestrige Denken: Immer mehr fossile Produktion, aber nicht effizient und zukunftsgewandt. Das ist wirklich zynisch. Das sind die völlig falschen Prioritäten. ({6}) Minister Rösler, Sie haben von Ihrem Brief und Ihrer Bitte an die Umweltverbände berichtet, sich für Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke und Stromnetze einzusetzen. Sie sollten nicht nur Briefe verschicken, sondern auch zuhören, welche Reaktionen Sie bekommen. Es gibt nämlich aus der Umweltbranche durchaus schon Reaktionen. Ich möchte einen sehr treffenden Satz von Greenpeace zitieren: Offensichtlich hat Minister Rösler den Sinn der Energiewende nicht verstanden. ({7}) Der Sinn der Energiewende ist tatsächlich nicht, neue Kohlekraftwerke zu bauen und damit die Klimaziele in unerreichbare Ferne zu rücken. Noch nicht einmal die Energiebranche sagt, dass wir neue Kohlekraftwerke brauchen. ({8}) Auch die Energieversorger in Deutschland haben sich schon dahin gehend geäußert: Wir haben genug Kapazitäten. Man braucht für die nächsten Jahre keine weiteren Kapazitäten. - Sie haben an keiner Stelle aufgezeigt, wie Sie zu der absurden Vermutung kommen, wir bräuchten neue Kohlekraftwerke. Ganz im Gegenteil: Alle Studien zeigen, neue Kohlekraftwerke, inflexible Kohlekraftwerke, die zu den flexiblen erneuerbaren Energien nicht passen, sind eine massive Bremse im Energiesystem. Wir brauchen sie nicht. Wir haben ausreichende Kapazitäten. Sie machen die Klimaziele vollkommen unerreichbar. Deswegen ist es klar, dass wir uns genauso wie die Umweltverbände strikt gegen den Neubau von Kohlekraftwerken einsetzen. ({9}) - Jetzt kommt natürlich die alte Leier von der rechten Seite des Hauses: Es ist klar, Sie sind immer dagegen. Das ist auch Teil Ihres Briefes und Ihres Statements, Herr Fuchs, nämlich so zu tun, als würden wir, wenn wir uns gegen Kohlekraftwerke aussprechen, alles blockieren, auch Gaskraftwerke und Stromnetze. Ich kann Ihnen sagen, dass die Umweltverbände schon geantwortet haben. Sie haben genauso wie wir gesagt: Für einen sinnvollen Netzausbau setzen wir uns natürlich ein. Voraussetzung ist jedoch, dass man ein Gaskraftwerk braucht und den Beweis hat, wo man es braucht. Eine blinde Förderung wie bei Ihnen im Kraftwerksförderprogramm kommt nicht infrage. Sie unterstützen jedes Kraftwerk, ob es nun an der Küste steht, wo kein Mensch es braucht, oder im Süden Deutschlands, wo es gebraucht wird. Wenn ein Gaskraftwerk gebraucht wird, dann unterstützen wir natürlich den Bau dieses Gaskraftwerks. Sie können sich nicht damit abfinden, dass die Energiewende funktioniert. Sie können sich nicht damit abfinden, dass wir ein schlüssiges Konzept vorgelegt haben, ({10}) dass wir uns für Netzausbau, für Gaskraftwerke aussprechen. Herr Fuchs, Sie haben gesagt, man muss dann auch zum Netzausbau stehen. ({11}) - Das tue ich. Ich bin ständig in Deutschland unterwegs. Ich war bei vielen Bürgerinitiativen vor Ort. ({12}) Ich werbe vor Ort für einen sinnvollen, menschenfreundlichen Ausbau der Netze. Ich habe von keiner einzigen Bürgerinitiative gehört, dass Sie auch nur einmal vor Ort gewesen wären und geworben hätten. Es ist nicht die feine Art, mit Fingern auf andere zu zeigen, die sich sehr viel mehr einsetzen. ({13}) Diese Realitätsverweigerung finde ich sehr interessant. Seit zwei Jahren betone ich hier immer wieder, dass wir natürlich zu einem sinnvollen Netzausbau stehen. Trotzdem kommen Sie weiterhin mit dieser Andeutung: Na, Sie sind ja dagegen. - Sie können sich nicht damit abfinden, dass wir einen schlüssigen, sinnvollen Vorschlag gemacht haben. Sie können das offensichtlich nicht akzeptieren und mit uns auf einer sachlichen Ebene diskutieren, sondern müssen die Generalanschuldigungen vorbringen, weil Sie es einfach nicht glauben wollen, dass die Energiewende funktioniert. Deshalb schwenken Sie immer auf den ewiggestrigen Kurs ein. Immerhin haben Sie es jetzt deutlich und offen gesagt - bisher haben Sie sich immer hinter dem Begriff „fossil“ versteckt -, dass Sie neue Kohlekraftwerke wollen. Das ist keine Energiewende! Das ist Rückschritt! Das ist die Vergangenheit; das ist nicht die Zukunft! Und dagegen werden wir uns wehren! ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist doch unstrittig - darauf sollten wir stolz sein -, dass Deutschland gut dasteht. ({0}) Deutschland steht deshalb gut da, weil wir im letzten Jahrzehnt unsere Hausaufgaben gemacht haben. Dass wir heute gut dastehen, ist ein Ergebnis der Politik von Konsolidieren und Wachsen. In den letzten zwei Jahren - Herr Heil, da hat mit Sicherheit nicht die SPD regiert, die Grünen erst recht nicht; von den Linken wollen wir gar nicht sprechen - haben wir das historisch höchste Wachstum seit der Wiedervereinigung erreicht: 3,6 Prozent im letzten Jahr und 3 Prozent in diesem Jahr. Das ist das Ergebnis guter wachstumsorientierter Politik. ({1}) Deutschland ist wettbewerbsfähig. Wir sollten das nicht verstecken. Wir können vielmehr auf unsere Exportüberschüsse stolz sein. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa. Ohne die deutschen Exportüberschüsse hätte die Euro-Zone insgesamt ein Handelsbilanzdefizit. Dann wären wir in der gleichen Situation, in der sich jetzt die USA befinden. Das will ich nicht. Ich will, dass - auch was Güter und Dienstleistungen anbelangt - die Euro-Zone wettbewerbsfähig ist. ({2}) Deutschland steht insbesondere am Arbeitsmarkt gut da. Das, was Kollege Claus und manch andere hier vortragen, ist schon abwegig. Heute sind 2 Millionen Menschen mehr in Arbeit als 2005. Es gibt 41,5 Millionen Erwerbstätige; das ist die höchste Zahl der Erwerbstätigen, die wir jemals in Deutschland hatten. Dies spart uns auch Geld. 100 000 Arbeitslose, die Arbeitslosengeld bekommen, kosten den Bund etwa 1,6 Milliarden Euro. 100 000 Hartz-IV-Empfänger kosten den Bund etwa 0,5 Milliarden Euro. Durch 100 000 Arbeitnehmer mehr sind rund 2 Milliarden Euro Mehreinnahmen zu verzeichnen, weil es mehr Steuereinnahmen gibt und mehr Sozialversicherungsbeiträge an die Arbeitslosen- und Rentenversicherung gezahlt werden. Heute haben wir insgesamt mehr als 40 Milliarden Euro mehr zur VerfüDr. Joachim Pfeiffer gung, weil die Situation auf dem Arbeitsmarkt besser ist. Auch das ist das Ergebnis wachstumsorientierter Politik. Das kommt beim Bürger an. Wir entlasten diejenigen, die etwas leisten, die arbeiten. Deshalb wollen wir die kalte Progression abmildern. Deshalb wollen wir den Grundfreibetrag erhöhen. ({3}) Deshalb werden wir die Abgaben senken. Wir sind im nächsten Jahr in der Lage, die Rentenversicherungsbeiträge, wenn auch nur leicht, zu senken. Unter Rot-Grün wurden die Abgaben immer erhöht, bei uns bleiben sie stabil oder werden sogar gesenkt. Das kommt beim Arbeitnehmer, beim Bürger an. ({4}) Schauen Sie sich die Situation der Bundesagentur für Arbeit an. Ursprünglich rechnete man in diesem Jahr mit einem Defizit in Höhe von 5,4 Milliarden Euro. Jetzt beträgt es 500 Millionen Euro. Diese Gelder fallen nicht vom Himmel, sondern müssen entweder von den Beitragszahlern durch Abgaben aufgebracht werden - sie stehen den Beitragszahlern dann nicht zur Verfügung oder kommen aus dem Haushalt, also aus Steuern, die auch vom Bürger aufgebracht werden; denn auch die Steuern fallen nicht vom Himmel. In diesem Jahr - auch das ist eine Mär, wenn Sie sagen, es wäre nicht so - ist die Binnennachfrage der Träger des Wachstums. Die Binnennachfrage leistet dieses Jahr einen größeren Beitrag zum Wachstum als der Export. Insofern stimmt es nicht, dass der Aufschwung nicht bei den Bürgern ankommt; das Gegenteil ist der Fall. Dies ist das Ergebnis. In diesem und im nächsten Jahr gibt es Reallohnzuwächse. Auch die Rentner profitieren. Das ist das Ergebnis unserer wachstumsorientierten Politik. ({5}) Wir machen Politik nicht zur Alimentierung von Hartz-IV-Empfängern - das machen Sie -, ({6}) sondern wir betreiben Politik so, dass es weniger HartzIV-Empfänger gibt, dass die Menschen eine Perspektive haben, dass sie über Zeitarbeit, über Flexibilität eine Brücke in den Arbeitsmarkt bekommen. Dann wird ein Schuh daraus. ({7}) Es gibt keinen Anstieg der Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse. Wir sind nicht das Land der Lohndrücker. Ganz im Gegenteil: Wir haben den höchsten Anteil der sozialversicherungspflichtigen Vollzeiterwerbstätigkeit, den es jemals in dieser Republik gab. Also behaupten Sie hier nicht ständig wider besseres Wissen das Gegenteil! ({8}) Wir bleiben aber nicht stehen, wir ruhen uns nicht aus, sondern wir arbeiten weiter, beispielsweise am Arbeitsmarkt. Das Thema Fachkräfte ist vorhin schon angesprochen worden. Wir unterlassen auch nichts, das Potenzial, das sich aus der demografischen Entwicklung ergibt, weiter auszuschöpfen. Hinzu kommen die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ({9}) die Förderung qualifizierter Frauen am Arbeitsmarkt, ({10}) die Förderung von Schulabbrechern, Migranten und Menschen mit geringerem Qualifizierungsniveau. Wir können es uns nicht mehr leisten, Menschen zurückzulassen. ({11}) Vor allem ist es gelungen - diese Zahlen werden wir weiter steigern -, die Erwerbstätigkeit der Älteren zu erhöhen. Während noch im Jahr 2000 gerade einmal 28 Prozent der Männer und 12 Prozent der Frauen in der Gruppe der 60- bis 64-Jährigen erwerbstätig waren, waren es im Jahr 2010 49 Prozent der Männer, also über 20 Prozentpunkte mehr, und 33 Prozent der Frauen; das entspricht fast einer Verdreifachung. Das heißt, die Menschen gehen später in Rente, ({12}) die Männer im Schnitt eineinhalb Jahre später und die Frauen über ein Jahr später. Auch dies trägt zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes bei, schafft Wirtschaftswachstum und sorgt dafür, dass wir auch in Zukunft die notwendigen Arbeitskräfte für unsere Wirtschaft haben und die Sozialversicherungsbeiträge stabil halten können. Bevor ich zu Bildung und Forschung komme, möchte ich noch in aller Deutlichkeit ein Wort zu Euro-Bonds sagen. ({13}) Euro-Bonds sind definitiv kein Kriseninstrument. ({14}) Ich wiederhole: Sie sind definitiv kein Kriseninstrument. ({15}) Euro-Bonds sind süßes Gift, Sozialismus und Teufelszeug, ({16}) weil sie in der Tat Anreize setzen, sich nicht anzustrengen, um besser zu werden. Vielmehr tragen sie dazu bei, diejenigen, die es haben schleifen lassen, in ihrer Situation zu belassen. ({17}) Der Druck muss im Kessel gehalten werden. EuroBonds sind mit Sicherheit kein Kriseninstrument. ({18}) Euro-Bonds wird es mit uns als CDU/CSU und in dieser Regierung auch mit der FDP nicht geben. ({19}) Euro-Bonds können maximal der Schlussstein einer erfolgreichen europäischen Integration ({20}) in der Finanz-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik sein, aber kein Kriseninstrument. Ein solcher Schlussstein kann vielleicht in 10, 15 Jahren gesetzt werden, wenn wir all unsere Vorhaben erreicht haben, aber sicher nicht jetzt und sicher nicht in den nächsten Jahren. Das ist für mich eine absolute Selbstverständlichkeit. ({21}) Wo kommt das Wachstum von morgen her? Wer heute nicht sät, kann morgen und übermorgen nicht ernten. Deshalb steigern wir die Forschungsausgaben beträchtlich. Es wurde gerade von Frau Nestle behauptet, die Mittel für die Energieforschung gingen zurück. Ich weiß ja nicht, ob Sie den rot-grünen Haushalt von 2005 gelesen haben. Bei unserem Haushalt jedenfalls ist das Gegenteil der Fall: Wir steigern die Ausgaben für die Energieforschung von 2011 bis 2014 auf 3,5 Milliarden Euro. Das entspricht, verglichen mit der entsprechenden Periode unter Rot-Grün, einer Steigerung um 75 Prozent. Dennoch stellen Sie sich hier hin und sagen, wir würden weniger Geld für die Energieforschung ausgeben. Also, entweder behaupten Sie das wider besseres Wissen, oder Sie versuchen, die Leute in die Irre zu führen. Von Bedeutung sind auch weitere Technologien, im Energiebereich, aber auch in anderen Bereichen. Ich kann nur die Überschriften nennen: Weltraumforschung, Weltraumtechnik, Energieforschung, Biotechnologie, Forschung und Technologie im Mobilitätsbereich - ein weiterer Schwerpunkt, für den wir über 1 Milliarde Euro zusätzlich bereitstellen -, Geowissenschaften und Bildungsforschung. Insgesamt stellen wir hierfür 16 Milliarden Euro zur Verfügung. Wir geben fast 50 Prozent mehr für den Forschungsbereich aus, als Sie es 2002 getan haben. Damit sind wir schon fast dort, wo wir hinwollen. Im nächsten Jahr geben wir 9,3 bis 9,4 Prozent des Bruttosozialprodukts für Bildung und Forschung aus; 10 Prozent haben wir uns zum Ziel gesetzt. Das heißt, die Richtung und der Weg stimmen, nicht nur was die Haushaltskonsolidierung und die heutigen Wachstumszahlen angeht, sondern auch mit Blick auf die Zukunft. Wir legen die Grundlagen dafür, dass Deutschland auch weiterhin erfolgreich ist und wachsen kann und wir in diesem Land eine Perspektive für Wachstum und Beschäftigung haben. Deshalb stimmen wir diesem Haushalt mit großer Freude zu. Vielen Dank. ({22})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Duin hat nun das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Rösler, als ich Ihrer Rede zugehört habe, habe ich mich wie auch andere Kolleginnen und Kollegen gefragt, in welcher Welt Sie eigentlich leben. Sich hier hinzustellen und ein Bild zu malen, das sich mit den Worten zusammenfassen lässt: „Alles ist wunderbar“, das wird Ihrem Amt und der Verantwortung, die Sie damit übernommen haben, nicht gerecht. Ob Sie in der FDP erfolgreich sind oder nicht, kann uns allen in Deutschland komplett egal sein. Aber ob Sie als Wirtschaftsminister Ihrer Verantwortung gerecht werden, das darf diesem Land nicht egal sein. Durch Ihre Rede haben Sie deutlich gemacht, dass Sie dieser Verantwortung nicht gerecht werden. ({0}) Sie haben offensichtlich überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, was zum Beispiel die Wirtschaftsweisen erst vor wenigen Wochen uns allen ins Stammbuch geschrieben haben. Sie haben überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, wie die reale Lage in ganz vielen Branchen ist. Nehmen Sie nur einmal - sie ist für Deutschland nicht ganz unwichtig - die Automobilbranche. Sie hat in Deutschland und in Europa die geringste Nachfrage seit 16 Jahren. So ist es auch in vielen anderen Branchen. Wir sind in einer konjunkturellen Phase, die mit Verlangsamung noch schön umschrieben ist. Nach den erfolgreichen Zeiten kommen wir jetzt in eine Lage, in der prävenGarrelt Duin tives Handeln erforderlich ist. Sie sind doch ausgebildeter Mediziner. Sie wissen doch, wie wichtig Prävention ist. Warum spielt das in Ihrer Politik überhaupt keine Rolle? Sie wollen immer erst handeln, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. ({1}) Sie machen auch eine Politik - Sie haben das heute noch einmal verteidigt -, die wirklich überhaupt nicht mehr in die Zeit passt. Nehmen wir nur das Beispiel der sogenannten Steuersenkung mit einem geplanten Volumen von 6 Milliarden Euro. Dadurch wollen Sie auch Wachstumsimpulse setzen. Wenn bei den Menschen, um die Herr Pfeiffer, wie er gerade hier gesagt hat, ringen will, also den Menschen, die jeden Tag hart arbeiten, 4, 5 oder 6 Euro ankommen, dann wird dadurch überhaupt nichts ausgelöst. Wenn man dieses Geld in der gesamten Summe in den Ausbau der Infrastruktur in Deutschland investieren würde, für Straße, Schiene, Wasserstraße, für den Ausbau der Energienetze - darauf komme ich gleich noch zu sprechen -, oder für den Breitbandausbau, dann wäre für die Zukunft in Deutschland etwas getan. Das wäre besser, als das Geld durch Steuersenkungen zu verpulvern. ({2}) Ich darf an noch etwas erinnern, was Sie selbst oft eingefordert haben und was auch in der Koalitionsvereinbarung steht - Herr Professor Riesenhuber streitet immer wieder für dieses Thema -, nämlich die steuerliche Forschungsförderung. Dadurch würden in Deutschland Investitionen ausgelöst. Durch Ihre Steuersenkung auf Pump passiert gar nichts. Deswegen ist das ein solcher Irrweg. ({3}) Ich fand in Ihrer Rede auch sehr bemerkenswert, was Sie zu der europäischen Ebene gesagt haben. Man kann auf Dauer als Bundesregierung, als Koalition so nicht agieren, wenn man diese Ebene ernst nimmt, und dass wir das tun sollten, ist offensichtlich. Man kann sich als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion nicht auf einem Parteitag hinstellen und in unglaublich arroganter Weise darüber schwadronieren, dass man in Europa jetzt Deutsch spreche, während der Wirtschaftsminister in der europäischen Szene überhaupt nicht vorkommt. Man kann als Bundesregierung vor allen Dingen nicht mit so gespaltener Zunge reden, wie Sie das tun. Herr Schäuble kämpft in Europa - nach einem gewissen Lernprozess, er hat diese Steuer nicht erfunden, aber er kämpft inzwischen absolut glaubwürdig; das nehme ich ihm wirklich ab - für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Die gleiche Bundesregierung, vertreten durch den Bundeswirtschaftsminister - das bezieht sich aber auch auf viele andere in der FDP; Herr Solms macht das im Ausschuss jedes Mal -, stellt sich hier hin und erzählt im Kern genau das Gegenteil. So werden Sie auf der europäischen Ebene keinen Erfolg haben. Das schadet uns. So kann man nicht agieren. ({4}) Lieber Herr Rösler, Sie haben über ein paar Monate als Wirtschaftsminister in Niedersachsen ein bisschen Erfahrung sammeln können. Deswegen wissen Sie - das haben wir in der Großen Koalition damals gemeinsam auf den Weg gebracht -, welch große Bedeutung das VW-Gesetz hat. Mit dem heutigen Tage legt die EUKommission wieder die Axt an dieses Gesetz. Ich erwarte von einem Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland, dass er sich zu Wort meldet - nicht nur vom niedersächsischen Ministerpräsidenten; der hat das bereits getan -, dass er sich hier hinstellt und sagt: Hände weg vom VW-Gesetz! Das, was die Kommission vorhat, wollen wir nicht. ({5}) Lassen Sie mich, weil Sie das in Ihrer Rede aufgegriffen haben, das Thema Energiepolitik streifen. Wir sind uns völlig einig, dass der Umbau des Energiesystems ein wesentlicher Bestandteil moderner Industriepolitik ist. Das haben Sie sinngemäß gerade gesagt. Wenn das so ist, dann duldet vieles im Bereich der Energiepolitik keinen Aufschub. Die Energiewende mit den Beschlüssen vom Sommer löst die Probleme nicht. Wir müssen jetzt möglichst schnell und kraftvoll weitere Schritte gehen. Nicht ich, sondern Kurt Lauk - er ist, wie Sie wissen, kein Sozialdemokrat, sondern ein führender Vertreter von Wirtschaftsinteressen innerhalb der CDU - hat am 14. November im Handelsblatt festgestellt: Noch immer fehlen klare Antworten: Was ist technisch machbar? Wie wird die Energiewende finanziert? Wie schaffen wir die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung? Wann ist die neue Infrastruktur fertig erstellt und leistungsfähig? Wie gehen wir mit den Bürgerprotesten bei den Infrastrukturprojekten um? Das sind Fragen, die sich die ganze Gesellschaft stellt: die Bürgerinnen und Bürger, die Industrie und die Wirtschaft in diesem Land. Sie aber bleiben jede Antwort schuldig, Herr Minister. Das ist keine verantwortungsvolle Politik. ({6}) Wir brauchen - das wird von verschiedener Stelle eingefordert, aber von Ihnen kommt nichts - einen Masterplan mit einer konkreten Zeitachse, aus dem hervorgeht, welche Schritte wir in den nächsten Jahren gehen wollen. Es geht um Versorgungssicherheit in der Übergangszeit bis zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien. Dafür braucht man aber eine Strategie. Das kann man als Minister nicht nur am Pult einfordern, sondern man muss es auch konkret unterlegen. Sie kennen doch den Brandbrief des Netzbetreibers TenneT, in dem es heißt, dass wir den notwendigen Netzausbau für Offshorewindenergie, den wir nach meiner Überzeugung dringend brauchen, nicht hinbekommen werden, weil bestimmte Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Ein Achselzucken reicht nicht aus. Man muss einen konkreten Plan vorlegen, wie der Netzausbau gestaltet werden soll. ({7}) Dasselbe ist bei der Speicherstrategie, der Energieforschung und dem KWK-Ausbau festzustellen: überall Leerstellen in Ihrer Politik. Ich will abschließend auf das Thema Akzeptanz zu sprechen kommen. Ich habe eine Reihe von Bürgermeistern aus meinem Wahlkreis zu Gast. Letzten Freitag haben Sie selbst diesen Wahlkreis besucht. Deswegen darf ich darauf Bezug nehmen. In fast jeder dieser Gemeinden gibt es eine Bürgerinitiative, mal gegen die Biogasanlage, die dort errichtet werden soll, mal gegen den Windpark, mal gegen den Netzausbau. ({8}) - Nein, das hat mit den Grünen nichts zu tun. Auch die Bürgermeister können nichts dafür. - Das hat etwas damit zu tun, dass durch Ihren Zickzackkurs das Vertrauen der Bevölkerung in eine verlässliche Energiewende verloren gegangen ist. Das ist der Punkt. ({9}) Die Menschen sind nicht bereit, die Belastungen - die durchaus vorhanden sind, wenn in ihrer Nachbarschaft ein Windpark errichtet oder das Netz ausgebaut wird; das wollen wir gar nicht in Abrede stellen - zu akzeptieren, wenn ihnen wie heute der Wirtschaftsminister mitteilt, dass nebenan auch noch ein Kohlekraftwerk gebaut werden soll. Dann geht die Akzeptanz in der Bevölkerung verloren. Dafür tragen Sie die Verantwortung, nicht die Sozis, die Grünen oder irgendjemand anders. ({10}) Lieber Herr Rösler, nach den paar Monaten, die Sie im Amt sind, haben wir uns gefragt, was von der Politik, die Sie machen, in Erinnerung bleiben wird. Auch in Niedersachsen - ich habe es bereits erwähnt - waren Sie Wirtschaftsminister. Wenn man dort nachfragt, erinnern sich die Menschen an Sie, insbesondere deswegen, weil Sie auf vielen Volksfesten bei Ihren Reden als Handpuppenspieler aufgetreten sind. Sie haben die Handpuppe Willi - so hieß sie, glaube ich - weggelegt, als Sie aus Niedersachsen weggegangen sind und auf Bundesebene Ihr Amt angetreten haben. Sie treten nicht mehr damit auf. Lieber Herr Rösler, an Herrn Brüderle können wir uns genau erinnern. Wir wussten, wofür er steht und was er macht, auch wenn wir seine Position, ob bei Opel, Karstadt oder in anderen Fällen, nicht immer geteilt haben. Ich kann Ihnen nur empfehlen, Herr Rösler: Holen Sie die Handpuppe wieder heraus, damit wir uns wenigstens an etwas erinnern, das mit Ihrer Amtszeit zu tun hat. ({11})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege Duin, Sie haben die Zwischenfrage versäumt, die der Kollege Ernst Hinsken stellen wollte. Aber es war zu spät, Kollege Hinsken. Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Martin Lindner für die Fraktion der FDP. ({0})

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung steht zur Energiewende. Die Energiewende findet nicht etwa wegen eines angeblichen Zickzackkurses bei Teilen der Bevölkerung keinen Widerhall, Herr Duin, ({0}) sondern wegen Ihres Populismus, den Sie vor Ort in den Ländern und Gemeinden, die Sie angesprochen haben, pflegen. ({1}) Sie postulieren hier groß die Energiewende, aber dort, wo Sie in der Verantwortung stehen, beispielsweise als Juniorpartner in Baden-Württemberg, eiern Sie herum. Hier erzeugen Sie ein Gefühl von Unsicherheit, statt gemeinsam zum Netzausbau und auch zum Ausbau fossiler Energie zu stehen. Das ist für eine Partei, die sich selbst rühmt, noch Reste von Industriepolitik zu machen, wirklich eine Schande. Das kann ich Ihnen an dieser Stelle nur sagen. ({2}) Wir werden die Energiewende mutig und kraftvoll vertreten, aber wir werden nicht zulassen - das sage ich vor allen Dingen in Richtung der Grünen -, dass die Energiewende zu einer Deindustrialisierung dieses Landes genutzt wird. ({3}) Man muss sich einmal die Preise anschauen und sich fragen, in welcher Verantwortung wir hier stehen. Wenn Sie die internationalen Strompreise vergleichen, dann stellen Sie fest, dass der Strompreis für die Industrie in Nachbarländern wie Frankreich 7,5 Eurocent pro Kilowattstunde beträgt, während wir hier bei 11,8 Eurocent liegen. Wir sind deswegen gefordert, uns dafür einzusetzen, dass auch wir bezahlbare Energiepreise haben und keine Fantasiepreise, wie es Ihnen vorschwebt. Dr. Martin Lindner ({4}) ({5}) Deswegen setzt sich diese Koalition für eine Begrenzung der EEG-Umlage auf 3,5 Cent pro Kilowattstunde ein. Wir setzen uns auch dafür ein, die Subventionen zu überprüfen, sehr geehrter Herr Namenskollege. Das war doch ein Kabinettstückchen besonderer Art: Sie stellen sich hier hin und werfen dieser Bundesregierung vor, zu wenig für den Subventionsabbau zu tun. ({6}) Wenn wir aber an die Subventionen für die Photovoltaikindustrie herangehen wollen, dann ist bei Ihnen Schluss, weil Sie ein Klientelpolitiker sind. ({7}) Die Solarenergieindustrie kassiert jedes Jahr 7 Milliarden Euro an Förderung, obwohl der Anteil der Solarenergie an der Stromversorgung gerade einmal 3 Prozent beträgt. Sie aber stehen wie die Löwen davor, weil es um Ihre Klientel, Ihre Spender und um Versorgungsposten für Ihre Kollegen geht. Da machen wir aber nicht mit; das kann ich Ihnen an dieser Stelle sagen. ({8}) Es wäre interessant, zu sehen, ob Sie auch hier so mutig sind, wenn es um Subventionskürzungen geht. Ich finde auch immer spannend, wenn vor allen Dingen die Linke, teilweise aber auch Sie von den Grünen die hohen Exporte Deutschlands kritisieren, aber auf der anderen Seite Zeter und Mordio schreien, wenn wir die Binnennachfrage stärken wollen, indem wir etwas für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen tun, wie durch die vorgeschlagene Steuerreform. Das ist doch Klientelpolitik, was Sie hier machen. Ich bin einmal gespannt, ob Sie uns auch vorhalten, im Haushalt sei kein Geld dafür da, wenn wir an eine Hartz-IV-Erhöhung denken. So sieht es doch aus: Für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen ist bei Ihnen nichts zu holen. Wir als Koalition stehen dafür, auch für die Menschen etwas tun, die täglich aufstehen und arbeiten und nicht im Bett liegen bleiben. ({9}) Ich komme zum letzten Punkt, zu den Euro-Bonds. Jenseits der Frage, welche Belastung das für uns bedeuten würde, würde doch genau diese Maßnahme andere Länder mit weniger soliden Haushalten dazu einladen, wegen der gesunkenen Zinssätze genau das zu tun, was schon schädlich war, nämlich noch mehr Schulden aufzunehmen. Euro-Bonds würden auf der einen Seite Zinsmehrbelastungen für unser Land bedeuten; auf der anderen Seite stünde eine Zinsvergünstigung für die Länder, die gefordert sind, ihre Haushalte zu sanieren. Das wäre Gift für die weitere Entwicklung. Deswegen lehnen wir das ab. Wir können hier natürlich gerne über die Voraussetzungen für Euro-Bonds diskutieren; aber das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden. ({10}) Eine ungedeckelte, nicht bestimmbare Übernahme von Schulden anderer Länder verbietet uns das Bundesverfassungsgericht. ({11}) Euro-Bonds kommen also auch aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht für Deutschland, nicht in Betracht für diese Bundesregierung und nicht in Betracht für diese Koalition. ({12}) Daran gibt es auch gar nichts zu rütteln. Gestern hat die Bundeskanzlerin in ihrer bemerkenswerten Rede klargemacht, dass es Euro-Bonds mit dieser Bundesregierung nicht gibt. Wir werden weiter dem Pfad folgen, ({13}) andere zu ermuntern und Anreize dafür zu setzen, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen, und gleichzeitig Rettungsmaßnahmen auflegen, die ausreichen, um die Unwägbarkeiten abzufedern. Aber das, was die Opposition machen will, nämlich den kompletten Zugriff anderer Länder auf unsere Kasse zu ermöglichen, wird diese Regierung auf keinen Fall mitmachen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Dr. Georg Nüßlein. Bitte schön, Kollege Dr. Georg Nüßlein.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Es ist immer noch besser, die Wirtschaft gesundzubeten, als sie totzureden. - Das hat Ludwig Erhard einmal in einer vermutlich ähnlich gelagerten Debatte gesagt. Erstens. Er hat recht. Zweitens. Ich bin aber auch der Überzeugung, wir sollten beides nicht tun. Die Lage ist zwar gut, aber auch ernst zugleich. Die Menschen haben Sorge um ihr Geld und um unsere Währung - und das aus einer historischen deutschen Erfahrung heraus, die tief sitzt. Deshalb müssen wir dem klar und unmissverständlich eines entgegenhalten, nämlich Stabilität, Stabilität in Deutschland, aber auch Stabilität in Europa. Ich meine, dass die Bundeskanzlerin die Führungsverantwortung, die ihr zukommt, auf der europäischen Bühne hervorragend wahrnimmt. Ich bin auch der Überzeugung, dass man Stabilität nicht nur einfordern, sondern auch vorleben muss. Dieser Haushalt ist eine gute Etappe auf einem richtigen Weg. Das Ziel ist und bleibt ein ausgeglichener Haushalt, so wie wir ihn in Bayern bereits erreicht haben. ({0}) - Und in Sachsen, sehr gut. Das zeigt: Es geht. - Ich weiß aber auch, dass es demokratisch schwierig ist, diesen Weg zu gehen. Die Rede von SPD-Berichterstatter Brandner hat das heute wieder gezeigt. Sie haben allgemein Impulse zum Sparen eingefordert, sind aber dann in einem langen Katalog auf die Bereiche eingegangen, für die Sie persönlich am liebsten noch mehr Geld ausgeben wollen. Das passt nicht zusammen, lieber Kollege Brandner. ({1}) Im Übrigen: Was die SPD angeht, so meine ich, dass die Einführung der Schuldenbremse die große Leistung der Großen Koalition war. Die war vollständig richtig. Mich erschüttert schon, zu erleben, wie immer mehr Kollegen von der SPD jetzt mit dieser Großtat hadern. ({2}) - Kommen Sie zum Beispiel in die Enquete-Kommission Wirtschaftswachstum. Da können Sie erleben, was dazu von SPD-Kollegen gesagt wird. ({3}) Die haben Angst, dass eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik, also staatlich angestoßene Nachfrage, so nicht mehr funktioniert. Ich kann Ihnen zu Ihrer Beruhigung sagen: Die hat auch vorher schon nicht funktioniert, alldieweil die Staaten dann nicht in der Lage sind, in guten Zeiten ordentlich zu sparen. ({4}) Dazu muss man sagen: Sie, meine Damen und Herren, bereuen Dinge, die Sie richtig gemacht haben: die Agenda 2010, Hartz IV, Rente mit 67 und die Schuldenbremse. Ich als Katholik kann Ihnen sagen: Sie sollten Sünden bereuen, nicht lichte Momente. ({5}) Doch zurück zur Schuldenkrise. Damals, als Deutschland den Euro eingeführt hat, haben wir unseren Realzinsvorteil - das war ein klarer Wettbewerbsvorteil aufgegeben. Wir haben geglaubt, dass andere Staaten dann, wenn wir diesen Wettbewerbsvorteil nicht mehr haben und wenn sie sich günstig finanzieren können, dieses Geld in Investitionen stecken würden. Die Realität war eine andere. Sie haben Schulden gemacht und konsumiert. Unsere Hoffnung wurde also nicht erfüllt. Jetzt schöpfen wir schon wieder neue Hoffnung - Sie jedenfalls. Diesmal soll alles anders laufen, wenn wir gesamtschuldnerisch die Haftung für alle europäischen Schulden übernehmen und den anderen europäischen Ländern zulasten der deutschen Bonität niedrige Zinsen garantieren. Dann soll alles besser werden, die Länder sollen nicht mehr Schulden machen, und sie sollen nicht mehr auf Pump konsumieren. Ich habe diese Hoffnung nicht. Ich meine, dass das anders laufen muss. Wir müssen das Verhältnis von Solidarität und Eigenverantwortung in der Europapolitik neu überdenken, nicht nur, aber auch im Zusammenhang mit der Euro-Krise. Es darf nicht, wie Sie sich das vorstellen, entweder Solidarität oder Eigenverantwortung geben; es muss beides geben. Das ist das, was wir von der Union durchsetzen wollen. Stabilität hat eine Vorbildfunktion; aber das muss sich auch auf die Wettbewerbsfähigkeit beziehen. Wir müssen zeigen, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit vorbildhaft stärken. Wir tun das auch mit dem Haushalt des Wirtschaftsministeriums. Die Gemeinschaftsaufgabe ist ebenso angesprochen worden wie die vielen Impulse im Bereich von Forschung und Entwicklung. Ich glaube, dass ein Thema besonders unterschätzt wird, nämlich die Energiepolitik. ({6}) Die Energie - insbesondere die Kosten für Energie - ist unstrittig ein Standortfaktor. Deshalb haben wir bei der Novellierung des EEG die Entlastung der energieintensiven Industrie ganz nach vorne gestellt. ({7}) Der Kollege Lindner von der FDP hat vorhin deutlich gemacht, wie die Situation hinsichtlich der Industriepreise aussieht: 7,5 Cent im europäischen Ausland, in den USA gar 4 Cent und in Deutschland annähernd 12 Cent. Das ist die Realität. Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Belastungen, die unstrittig aus der Energiewende kommen, nicht zulasten der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie gehen. ({8}) - Subventionieren ist eine komplett andere Diskussion. Wenn Ihr Anliegen eine Deindustrialisierung ist, ein Vertreiben der Industrie aus Deutschland, nur damit das Klimaschutzziel unter statistischen Gesichtspunkten erreicht wird, dann sind wir an der Stelle auf einem falschen Weg. Ich halte es für richtig, dass wir sagen: Wir machen die Energiewende. Wir unterhalten uns aber auch verantwortungsvoll über die Frage, wer welche Lasten tragen muss und tragen kann. Aus meiner Sicht gehört die energieintensive Industrie nicht dazu. Vielfach andiskutiert wurde die Frage, wie sich die Einspeisung bei Photovoltaik entwickelt hat. Die ProbleDr. Georg Nüßlein matik, die das EEG kostenseitig bringt, ist im rot-grünen Ausgangsgesetz angelegt. Sie sind mit der Photovoltaik zu früh an den Markt gegangen, als das noch ein Thema von Forschung und Entwicklung war. ({9}) Sie waren im Jahr 2004 bei einer 30-kW-Dachanlage bei einer Einspeisevergütung von 57,4 Cent. Wir sind im ersten Halbjahr des Jahres 2011 bei 28,74 Cent gewesen, Tendenz sinkend. Das, was Sie gemacht haben, ist falsch. Es wäre aber auch falsch, in einer Phase, in der sich die Preise massiv nach unten entwickeln - wir haben ein Instrument eingefügt, das als atmender Deckel dafür sorgt, dass die Belastungen aus dem EEG von Jahr zu Jahr drastisch sinken -, mit Schwung auf die Bremse zu treten. Wir sollten uns vielmehr anderen Themen widmen, nämlich insbesondere der Frage: Wie kann man aus dem bloßen Aufbau von Kapazitäten - das haben Sie mit dem EEG angestoßen - eine Versorgung entwickeln? ({10}) Die Vorschläge, die heute hier beispielsweise von der Kollegin Nestle nicht zitiert, sondern nur behauptet wurden, sind für mich nicht erkennbar. Ich erkenne nur, wo Sie überall sagen, dass es sinnlose und sinnvolle Infrastruktur gibt; sinnlos ist es dann, wenn Sie dagegen sind. Das ist ein Zusammenhang, der sich mir nicht erschließt. Die Aufteilung zwischen einer guten grünen und einer schlechten anderen Technologie ist überhaupt etwas, was nicht in ein technologiefreundliches Deutschland passt. ({11}) Ich bin auch erschüttert über das, was beispielsweise zum Thema Luft- und Raumfahrttechnologie, zu EADS gesagt worden ist; denn das macht wieder einmal deutlich, dass Sie sehr einseitig, geradezu mit einem Tunnelblick auf die sogenannten grünen Technologien fixiert sind. Sie erkennen nicht, dass das zwar ein wichtiger Beitrag für das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist - das ist unstrittig -, aber dass es drum herum noch viele andere Felder gibt, die wir alle miteinander bearbeiten müssen und bei denen auch das Wirtschaftsministerium Verantwortung trägt. Ich meine, dass der Wirtschaftsminister in dieser Hinsicht seiner Verantwortung gerecht wird und einen guten Job macht. Vielen herzlichen Dank. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Dr. Nüßlein. - Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Andreas Lämmel. Bitte schön, Kollege Andreas Lämmel. ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition! Sie haben natürlich ein schweres Amt; das kann ich verstehen. Ihr Kollege Müntefering hat es einmal klar gesagt: Opposition ist Mist. - Nun müssen Sie mit finsterem Blick hier am Rednerpult stehen und alles hervorziehen, was auch nur im Entferntesten negativ ist. Nicht ein einziges positives Wort habe ich von Ihnen gehört. ({0}) Bei Ihnen geht es immer nur um dunkle Wolken und die schlechte Zukunft, die uns bevorsteht. Herr Heil, Sie verfügen doch sicherlich über moderne Technologien und werden wahrscheinlich heute die Tickermeldung gelesen haben, dass der Ifo-Geschäftsklimaindex überraschend gestiegen ist. ({1}) Das heißt, dass sich das Geschäftsklima nach Einschätzung der deutschen Wirtschaft verbessert hat. ({2}) Es wäre gut gewesen, wenn Sie hier am Rednerpult darauf hingewiesen hätten, um etwas Positives in die Diskussion einzubringen. ({3}) Blicken wir in die Zukunft. Die perspektivische wirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung im EuroRaum hängen sicherlich zusammen. Der Wirtschaftsminister und die christlich-liberale Koalition tun genau das Richtige. Sie haben vier Schwerpunkte im vorliegenden Haushalt verankert. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind auf alle möglichen Themen ausgewichen, um nur nicht über den Haushalt sprechen zu müssen. Im Haushalt lassen sich jedenfalls vier Themenblöcke finden. Erster Punkt: Unterstützung von Forschung und Technologie. ({4}) Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil in diesen Bereichen und insbesondere in der Grundlagenforschung genau das geschaffen wird, was der deutschen Wirtschaft in den nächsten Jahren helfen wird, konkurrenzfähig zu bleiben und noch bessere Produkte herzustellen. Sie unterschlagen einfach dieses extrem wichtige Kapitel im Geschäftsbereich des Wirtschaftsministeriums. Zweiter Punkt: Innovationsförderung. Ich muss Ihnen den Unterschied zwischen Grundlagenforschung und Innovation nicht darlegen; den kennen Sie sicherlich. Sie hätten doch einen Satz über die Bedeutung des ZIM-Programms für den deutschen Mittelstand verlieren können. Gerade in den wirtschaftlich schwierigen Jahren 2008, 2009 und 2010 sind die Mittel für dieses Programm aufgestockt worden und konnten Unternehmen in Gesamtdeutschland von diesem Programm profitieren. Das ist konkrete Politik, die den Unternehmen den Weg in die Zukunft erleichtert. Man muss leider feststellen, dass die Innovationskraft im Moment etwas abnimmt; denn die abgerufenen Mittel aus dem ZIM-Programm sind gesunken. Mehr Geld - danach rufen Sie ständig - ist also kein Wert an sich. Vielmehr ist entscheidend, ob das Geld, das der Staat ausgibt, sinnvoll angelegt wird. ({5}) Es ist nicht entscheidend, wie hoch ein Etat ist, sondern ob die eingestellten Mittel sinnvoll genutzt werden. Wir sind der Meinung, dass ausreichend Mittel für das ZIMProgramm eingestellt sind, um der deutschen Wirtschaft zu helfen. ({6}) Dritter Punkt: Investitionsförderung. Hier geht es um die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, GRW. Das, was die Linke heute wieder abgeliefert hat, ist ziemlich erbärmlich. Frau Lötzer, angesichts Ihres Gesellschaftsmodells kann ich nur sagen: Sie reden manchmal wie ein Blinder von der Farbe. ({7}) Sie saßen vor 1990 gut situiert im Westen, während sich Ihre Brüder und Schwestern im Osten in volkseigenen Betrieben abstrampeln mussten und dort zu nichts gekommen sind. Diese hatten nach 1990 kein Geld, um zu investieren, und haben heute noch lange nicht so viel Geld wie ihre Brüder und Schwestern im Westen. Nun jammern Sie herum und beklagen, dass die Wirtschaftsentwicklung im Osten noch nicht das Niveau der Entwicklung in Westdeutschland erreicht hat. In diesem Zusammenhang komme ich auf Herrn Claus zu sprechen. Er war zu DDR-Zeiten Großfunktionär. Er war an vorderster Stelle in SED und FDJ - er war überall dabei - und hat das System im Osten Deutschlands mitentwickelt. ({8}) Diese Mitleidsarie Ostdeutschland, Herr Claus, ({9}) ignoriert ganz einfach die gewaltige Aufbauleistung, die nach 1990 erbracht wurde. ({10}) Alles hat eine Ursache. 1990 war der Kapitalstock in Ostdeutschland völlig zerstört. Sie haben die Unternehmer aus dem Land gejagt oder enteignet. ({11}) Es war überhaupt niemand da, ({12}) der den Ruin der Wirtschaft hätte auffangen können. ({13}) Sie sollten dankbar sein, dass Tausende ostdeutsche Bürger ihr Geschick in die eigenen Hände genommen haben, ein Geschäft eröffnet haben und Unternehmer wurden. ({14}) Sie sind für die Vermögenslage in Ostdeutschland verantwortlich. ({15}) Da können Sie hier doch nicht scheinheilig erklären: Wir haben leider keine Konzernzentralen im Osten. „Warum haben wir denn keine Konzernzentralen, Herr Claus?“, frage ich Sie! ({16}) Weil Sie die Unternehmer enteignet haben und weil Sie die Unternehmer aus dem Land gejagt haben! Das sind doch die Ursachen! ({17}) Man braucht bloß einmal den Blick nach Zwickau zu richten. Ich erinnere an die hervorragende deutsche Automobilindustrie. Audi ist ein sächsisches Unternehmen; es ist vom Ursprung her kein bayerisches Unternehmen. Sie und Ihre Genossen haben es aus dem Land gejagt. Deswegen wurde der Trabant gebaut. Das muss man einfach immer mal wieder sagen, wenn man Ihr ständiges Geleier hört. Das ist ja unerträglich. ({18}) Das respektiert einfach die Leistung nicht, die in Gesamtdeutschland erbracht worden ist. ({19}) Dafür steht die Investitionsförderung, über 5 Milliarden Euro Investitionsförderung. Damit sind betriebliche Investitionen im Umfang von über 30 Milliarden Euro angereizt worden. Es ist doch eine gewaltige Leistung, die da erbracht worden ist. ({20}) Wir brauchen die Investitionsförderung noch, weil der Kapitalstock Ost eben nicht dem Kapitalstock West entspricht. Über die Ursachen habe ich geredet. Also, es ist unerträglich, was Sie hier bieten. ({21}) Wir können nur hoffen, dass das Gesellschaftsmodell, das Sie wollen, in Deutschland keine Chance mehr hat, verwirklicht zu werden. ({22}) Der vierte Punkt beim Haushalt des Wirtschaftsministers ist das Thema Fachkräfte. Hier haben wir das gleiche Problem. Warum hat sich denn in Ostdeutschland 1990 die Geburtenrate sozusagen halbiert? Warum denn? Weil Sie ein ruiniertes Land hinterlassen haben, das wieder aufgebaut werden musste! Dafür, dass da die Leute erst einmal anderes zu tun hatten, als die Geburtenrate hochzuhalten - sie mussten ihre eigene wirtschaftliche Existenz sichern -, hat man Verständnis. Herr Claus, noch eines: Schon zu sozialistischen Zeiten war in Ostdeutschland, in der DDR, die Sterberate höher als die Geburtenrate. ({23}) Diese demografische Entwicklung hat also schon lange vorher angefangen. Deswegen stecken wir jetzt natürlich in der Kalamität, dass sich die demografische Entwicklung zuerst in Ostdeutschland bemerkbar macht. Das Thema Fachkräfteentwicklung ist daher gerade in Ostdeutschland ein sehr wichtiges. Abschließend zu Ihnen, Herr Duin, weil Sie heute eine so schwache Rede abgeliefert haben, wie ich das von Ihnen noch nie erlebt habe. Eine Sache fiel mir auf. Ich komme nicht aus Niedersachsen - zum Glück -; ich komme aus Sachsen, ({24}) das einen ausgeglichenen Haushalt hat. Das müssen Sie erst einmal nachmachen: ein ausgeglichener Haushalt in Ostdeutschland, Herr Duin! ({25}) Eine Sache müssen Sie mir gelegentlich einmal erklären. Da gibt es den großen Weltkonzern Volkswagen, der auch in Sachsen stark verankert ist; darüber sind wir auch sehr froh. Sie sagen jetzt: Wir brauchen das VWGesetz noch. - Volkswagen will der weltgrößte Autobauer werden. Volkswagen verdient Milliarden, hat Porsche, Audi, ganz viele Marken integriert. Ein weltweiter Konzern soll mit dieser Beteiligung von Niedersachsen in der Zukunft existieren. Ich denke, Volkswagen ist stark genug, auch weiterhin -

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wollen Sie noch Zwischenfragen zulassen, zunächst die des Kollegen Garrelt Duin?

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, meine Redezeit ist abgelaufen, Herr Präsident. Vielen Dank. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Er hat die Zwischenfragen - auch der Kollege Hubertus Heil wollte noch eine Zwischenfrage stellen nicht mehr akzeptiert. ({0}) - Dann eine Kurzintervention. Das Wort zu einer Kurzintervention erhält unser Kollege Hubertus Heil. Bitte schön, Kollege Heil. ({1})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lämmel, ich habe mich wegen Ihrer letzten Bemerkung zum VW-Gesetz zu Wort gemeldet. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie das VW-Gesetz für aus der Zeit gefallen und für etwas halten, wofür man nicht mehr kämpfen sollte? Dann will ich Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Das ist eine ganz wichtige Nachricht für die Menschen bei mir in Niedersachsen in einer Zeit, in der wir - Gott sei Dank gemeinsam mit dem CDU-Ministerpräsidenten McAllister, mit dem Betriebsrat von Volkswagen, mit dem Unternehmen an sich - uns für dieses historisch, aber auch praktisch bewährte VWGesetz einsetzen, das den Einfluss von Kleinaktionären und der Belegschaft auf Standortfragen regelt. ({0}) Wir haben Ihnen in der Großen Koalition abgerungen, nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs einen Anlauf zu nehmen, dieses bewährte, richtige und notwendige VW-Gesetz hinzubekommen. Wir erleben jetzt, dass das Gesetz von Wirtschaftsradikalen in der Europäischen Kommission, die nichts gelernt haben, erneut attackiert wird. Sie fallen nicht nur der niedersächsischen Landesregierung, sondern vor allen Dingen den Menschen in meiner Heimatregion und den bei Volkswagen Beschäftigten in den Rücken, indem Sie hier solche Reden halten. Herr Lämmel, entweder haben Sie vom VW-Gesetz keine Ahnung, oder, was schlimmer wäre, Sie sind wirklich der Meinung, die Sie eben geäußert haben. Ich wollte Ihnen die Gelegenheit geben, mir bei diesem Thema eine einfache Frage zu beantworten - vielleicht können Sie das ja richtigstellen; das würde uns helfen -: Sind Sie für oder gegen das VW-Gesetz? Meine Bitte ist: Versuchen Sie, mit Ja oder Nein darauf zu antworten. Dass der Wirtschaftsminister dazu geschwiegen hat, ist - das hat mein Kollege Garrelt Duin vorhin gesagt an sich schon eine Frechheit, weil wir Druck in Brüssel brauchen, um dieses wichtige Gesetz durchzubekommen und nicht Gefahr zu laufen, dass es gekippt wird. Aber da Sie den Eindruck erweckt haben, dass Sie uns, den Menschen in Niedersachsen und an anderen Standorten in Deutschland, den bei Volkswagen Beschäftigten, in den Rücken fallen, sollten Sie das jetzt klarstellen. Meine Frage lautet also: Sind Sie für oder gegen das VW-Gesetz? Stellen Sie das bitte klar. Hubertus Heil ({1}) ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das Wort zur Entgegnung hat Kollege Andreas Lämmel.

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir brauchen keinen Druck, wir brauchen gute Argumente, wenn wir über dieses Thema diskutieren. Sie diskutieren darüber auf eine Art und Weise, als wenn sozusagen das Wohl und Wehe der Menschen in Niedersachsen vom VW-Gesetz abhinge. Diese Verbindung, die Sie immer wieder versuchen unterschwellig herzustellen, wird der Diskussion überhaupt nicht zuträglich sein. Im Gegenteil: Sie findet auf einer Ebene statt, die mit dem Gesetz eigentlich nichts zu tun hat. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09 - Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7829 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Das ist die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Fraktionen der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 09 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Der Einzelplan 09 ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun Tagesordnungspunkt II.15 auf: Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Soziales - Drucksachen 17/7111, 17/7123 Berichterstattung: Abgeordnete Axel E. Fischer ({0}) Dr. Claudia Winterstein Priska Hinz ({1}) Zum Einzelplan 11 liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD, zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist dies so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, die Plätze einzunehmen. ({2}) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat in unserer Debatte als Erste für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Bettina Hagedorn. - Bitte, Frau Kollegin Bettina Hagedorn. ({3})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer schon länger hier im Plenum sitzt und gerade die Aussprache zum Bereich Wirtschaft verfolgt hat, konnte wieder hören, wie nicht nur der Kollege Toncar erneut der SPD unterstellen wollte, dass wir auf der einen Seite immer mehr Ausgaben fordern und auf der anderen Seite keine Vorschläge zur Konsolidierung machen. ({0}) Weil die Menschen oben auf der Tribüne und vor dem Fernseher das, im Gegensatz zu Ihnen, nicht wissen können, will ich eingangs darauf hinweisen, dass es hier zu den Beratungen des Bundeshaushaltes einen Antrag der SPD mit der Überschrift „Pakt für Bildung und Entschuldung“ gibt, den Sie möglicherweise noch nicht gelesen haben. Er beinhaltet, dass wir für 2012 Vorschläge in den Haushaltsausschuss eingebracht haben, die solide gegenfinanziert sind und mit denen wir etwa 5 Milliarden Euro unter Ihrer Nettokreditaufnahme bleiben. Auch für die vorgesehenen Mehrausgaben haben wir eine Gegenfinanzierung. Der Präsident hat schon auf unseren Änderungsantrag hingewiesen. Er sieht im Bereich Arbeit und Soziales Mehrausgaben in Höhe von 1,5 Milliarden Euro für aktive Arbeitsmarktpolitik vor, die wir im Chor nicht nur mit den anderen Oppositionsparteien, sondern auch mit den Kirchen, den Wohlfahrtsverbänden und den Gewerkschaften fordern. ({1}) Es ist also sehr wohl möglich, mehr auszugeben, wenn man intelligent gegenfinanziert. Ich möchte Ihnen dazu nur ein Beispiel nennen. Vielleicht haben Sie von der CDU sich in das Thema auf Ihrem Leipziger Parteitag ein bisschen eingearbeitet. Wenn man in Deutschland einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro einführen würde, würde das zu Minderausgaben und zu Mehreinnahmen in der Summe von über 3,25 Milliarden Euro führen. Das wäre ein vernünftiger Haushaltsbeitrag, ({2}) der nicht auf dem Rücken von Menschen ausgetragen, sondern sich zu ihren Gunsten auswirken würde. ({3}) Liebe Frau Ministerin, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Wir sprechen hier seit über einem Jahr über das sogenannte Sparpaket der Regierung. Das hat auch viel mit dem Haushalt zu tun. Der Kollege Toncar hat noch einmal gesagt, Sie als Regierung würden angeblich 80 Milliarden Euro bis 2014 kürzen, um die Schuldenbremse einzuhalten. Das ist natürlich ein absoluter Fake - wie wir inzwischen alle wissen -, ({4}) weil der größte Teil des Beitrags von 51 Milliarden Euro, den Sie in den Bereichen Verwaltung, also durch Entbürokratisierung, und Wirtschaft erbringen wollen, nicht kommen wird. Mit diesem sogenannten Sparpaket, das von vornherein unsozial und ungerechtfertigt hoch angesetzt war, kürzen Sie zulasten der Menschen, die in diesem Land arbeitslos sind, der Langzeitarbeitslosen, aber auch der Bundesagentur für Arbeit und ihrer Bemühungen um eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Ich möchte allen Kollegen noch einmal zeigen, was das, was Sie vor einem Jahr mit Ihrem Haushaltsbegleitgesetz beschlossen haben, bedeutet. ({5}) Knapp 40 Prozent Ihrer - in Tüddelchen - Einsparsumme soll sich in dem Bereich Arbeit und Soziales abspielen. Die Kollegen aus der Koalition haben immer so getan und tun immer noch so, als ob es bei Ihrem Etat in Höhe von 126,5 Milliarden Euro, der ungefähr 41 Prozent des Gesamtetats ausmacht, super gerecht sei, wenn er auch 40 Prozent der Kürzungen schultere. Mit dieser Mär will ich einmal aufräumen. Sie vernebeln bei Ihren Kürzungen natürlich, dass allein zwei Drittel Ihres Etats - das ist 2012 die stolze Summe von 84 Milliarden Euro - durch den Zuschuss zur Rente und Grundsicherung gesetzlich gebunden sind. Damit können Sie - dabei ist es übrigens egal, wer gerade Deutschland regiert - in diesem Bereich in keinster Weise kürzen, sparen und konsolidieren. Damit konzentrieren sich die Kürzungen ausschließlich auf die 40 Milliarden Euro, die für die aktive Arbeitsmarktpolitik vorgesehen sind, und das macht die soziale Schieflage in diesem Bereich aus. ({6}) Frau Ministerin, es ist schon ganz erstaunlich, dass Sie noch vor wenigen Wochen im Berichterstattergespräch diese Kürzungen, auf die ich Sie angesprochen habe, als „notwendig, verständlich und akzeptabel“ bezeichnet haben. Das Lob der FDP, dass Sie als Arbeitsministerin dieses Sparpaket in Ihrem Bereich brav und widerstandslos exekutieren, sollte Sie stutzig machen. Die FDP nennt das „eine erfreulich schmerzlose Umsetzung“. Das ist ein vergiftetes Lob. Die Kanzlerin hat noch vor einem Jahr gesagt, das große Sparpaket sei ein einmaliger Kraftakt. Herr Westerwelle hat ihr damals sekundiert, es sei ein ausgewogenes, faires und gerechtes Sparpaket. Nun wollen wir einmal schauen, was daraus geworden ist. Wahr ist, dass Sie im Bereich der Rentenversicherung kürzen. Darauf will ich zunächst eingehen. Zum 1. Januar nächsten Jahres senken Sie ja den Rentenversicherungsbeitrag um 0,3 Prozentpunkte auf 19,6 Prozent. Wahrscheinlich werden Sie gleich verkünden, dass das eine gute Nachricht ist. Aus Sicht der Beitragszahler ist das natürlich eine gute Nachricht, gar keine Frage. ({7}) Sie werden wahrscheinlich so tun, als sei das der Erfolg von Schwarz-Gelb. Das ist aber nicht wahr. Wahr ist, dass diese Absenkung des Rentenbeitrags laut Gesetzeslage automatisch erfolgt und auf das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz vom Juli 2004 unter RotGrün zurückgeht. ({8}) Richtig ist auch, dass die Rentenkasse in Wahrheit sehr viel praller gefüllt sein könnte, ({9}) wenn Sie nämlich nicht mit diesem Sparpaket zulasten der Langzeitarbeitslosen einen schamlosen Griff in die Rentenkasse getan hätten. Bis Ende 2012 werden der Rentenkasse alleine aus diesem Grund 4,2 Milliarden Euro fehlen. ({10}) Das ist kein Sparen, sondern das ist ein Verschieben zulasten der Beitragszahler. ({11}) Aktive Arbeitsmarktpolitik, bei der Sie so starke Kürzungen vornehmen, ist aus Sicht der SPD Bildungspolitik. Angeblich nehmen Sie die Bildungspolitik ja so ernst. In Wahrheit versagt Ihre Bildungspolitik aber deshalb, weil sie auf dem volkswirtschaftlich zentralen Feld der Arbeitsmarktpolitik mit null ankommt. Sie machen diesen Bereich wieder zum zentralen Steinbruch. Die brachialen Kürzungen lassen den Mitarbeitern in der Bundesagentur für Arbeit und in den Jobcentern keine Chance zur erfolgreichen Vermittlung und Qualifizierung, weil Sie das Budget - den Eingliederungstitel - ausquetschen wie eine Zitrone. ({12}) Die Wahrheit ist doch: Im Jahr 2011 gab es bereits ein Minus von 2 Milliarden Euro. Das war aber nur die Spitze des Eisbergs. Im Jahr 2012 kürzen Sie in diesem Bereich das Doppelte, nämlich 4 Milliarden Euro, und das wollen Sie laut Sparpaket sogar noch steigern, und zwar auf 5 Milliarden Euro pro Jahr ab 2013. Was heißt das? Das bedeutet für die Langzeitarbeitslosen und ihre Familien ein Minus von 2,3 Milliarden Euro in 2012; denn Sie kürzen nicht nur bei der Qualifizierung, sondern Sie haben 2011 bereits das Elterngeld, den Heizkostenzuschuss und das Übergangsgeld gestrichen, und zwar komplett. Diese Kürzungen werden sich im Jahr 2013 auf 4,3 Milliarden Euro erhöhen und 2014 sogar auf 5,8 Milliarden Euro. Was geschieht parallel bei der Bundesagentur für Arbeit? In die Finanzkasse der Bundesagentur für Arbeit greifen Sie 2012 mit einem Minus von 3,7 Milliarden Euro ein. 2014 wird dieses Minus sogar 7 Milliarden Euro pro Jahr ausmachen. Wie soll denn dann bei den Jobcentern und bei der Bundesagentur für Arbeit überhaupt noch vernünftige Arbeit geleistet werden? Wie soll die Bundesagentur wieder eine Rücklage aufbauen, wenn das nicht jetzt, in konjunkturell besseren Zeiten, geschieht? Die Bundesagentur für Arbeit hatte eine Rücklage von 18 Milliarden Euro, als wir im Jahr 2008 in die Krise gerieten. Dieser Rücklage haben wir es zu verdanken, dass Deutschland unter der Großen Koalition so erfolgreiche Arbeitsmarktinstrumente umsetzen und finanzieren konnte wie das Kurzarbeitergeld, ({13}) von dem Ihre Regierung jetzt profitiert, an das Sie aber gleichzeitig die Axt anlegen. ({14}) Die Bundesagentur setzt zum einen die sogenannte Instrumentenreform um, mit der in Wahrheit der Kahlschlag nur gesetzlich unterlegt wird. Zusätzlich können - Herr Weise hat das schon vor einem halben Jahr angekündigt - 8 000 bis 10 000 Mitarbeiter der Bundesagentur nicht weiterbeschäftigt werden; Herr Brüderle hat sich sogar darauf verstiegen, zu sagen, es müssten 10 000 bis 15 000 Mitarbeiter sein. Es ist ein Rätsel, wie die Menschen in Deutschland, die arbeitslos sind - es gibt einen Fachkräftemangel, aber auch über 2 Millionen Langzeitarbeitslose -, eigentlich erfolgreich vermittelt werden sollen, wenn kein Geld mehr in der Kasse ist und die Mitarbeiter, die das umsetzen sollen, nicht mehr da sind. ({15}) Vor diesem Hintergrund spreche ich das Thema Bildung an. 900 000 Langzeitarbeitslose haben verschiedene Vermittlungshemmnisse: kein Schulabschluss, keine abgeschlossene Berufsausbildung, teilweise weitere Vermittlungshemmnisse. Wenn man diese Menschen nicht auf Dauer abschreiben will, ist dort nicht weniger, sondern mehr Geld erforderlich. Es ist volkswirtschaftlich nicht sinnvoll, zu sagen: Diese Menschen schreiben wir ab. - Wir wollen sie auf Dauer nicht mit Transferleistungen abfertigen. Das ist doch wohl logisch und erschließt sich eigentlich jedem sofort. ({16}) Ich will darauf eingehen, dass sich das sogenannte Sparpaket inzwischen komplett verändert hat. Es sieht nämlich folgendermaßen aus. ({17}) Das ist ein Jahr nach Ihrem Sparpaket: ({18}) Alles, was hier gelb ist, ist der Konsolidierungsbeitrag, der eigentlich von Wirtschaft und Verwaltung kommen sollte und nicht kommt. - Ich will erläutern, was sich verändert hat: ({19}) Schon heute, nach einem Jahr, sehen wir, dass es definitiv nicht zu diesem Konsolidierungsbeitrag kommen wird. - Sie haben bisher keine Vorschläge gemacht, welchen Beitrag Wirtschaft und Verwaltung stattdessen leisten sollen. In Wahrheit ist es so: Die Gewichtung der Anteile des Sparpakets hat sich verschoben. Von Ihren Einsparungen sind nur noch 51 Milliarden Euro übrig geblieben. Dadurch hat sich natürlich der Anteil des Konsolidierungsbeitrags des Bereichs Arbeit und Soziales enorm vergrößert, nämlich auf aktuell 56,5 Prozent. Frau von der Leyen, ich will Ihnen sagen: Sie konnten sich als Arbeits- und Sozialministerin - Sie sind für ein zentrales Politikfeld zuständig - in diesem Kabinett nicht durchsetzen; da hatten Sie keinen Erfolg. Das ist für die Menschen, die auf Ihre Unterstützung und Ihr Engagement angewiesen gewesen sind, dramatisch. An dieser Stelle hätten wir alle uns Ihren Erfolg innerhalb des Kabinetts gewünscht. Sie sehen, wie viel schlimmer es nach einem Jahr geworden ist. Sie haben noch ein wenig Zeit, das Lenkrad herumzureißen. Allerdings sehen wir im Moment nicht, dass Sie einen anderen Weg einschlagen wollen. Vor diesem Hintergrund sage ich: Dieser Haushalt ist ein schlechter Haushalt für die Arbeitslosen in Deutschland und für die Bundesagentur für Arbeit. Wir werden ihn ablehnen. ({20})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Hagedorn. - Jetzt spricht für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Axel Fischer. Bitte schön, Kollege Axel Fischer. ({0})

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeshaushalt 2012, über den wir heute debattieren, ist Axel E. Fischer ({0}) nach überwundener Wirtschafts- und Finanzkrise ein weiterer Schritt zurück auf den Konsolidierungspfad. ({1}) Mit dem frischen Wind der wirtschaftlichen Gesundung im Rücken, befreit von bremsendem Ballast und mit neuen Segeln im arbeitsmarktpolitischen Bereich, sind wir auf dem besten Weg, die krisenhaften Untiefen des Jahres 2009 hinter uns zu lassen. Bevor wir jedoch freies Fahrwasser erreichen, müssen wir noch gefährliche Klippen umschiffen, an denen andere Schiffe in Europa derzeit zu zerschellen drohen. ({2}) Um Schiffbruch zu vermeiden und um unser Staatsschiff zu stabilisieren, nehmen wir daher gemäß der Schuldenbremse Fahrt weg. ({3}) Damit bringen wir perspektivisch auch unseren Arbeitsund Sozialhaushalt ins Lot, in ein nachhaltiges Gleichgewicht. Wir wollen 2012 im Einzelplan 11 - Bundesministerium für Arbeit und Soziales - knapp 126,5 Milliarden Euro ausgeben. Das sind gut 41 Prozent des Bundeshaushaltes. Es sind aber auch rund 5 Milliarden Euro weniger als dieses Jahr. Diese Einsparungen von knapp 4 Prozent sind möglich trotz des geplanten Anstiegs der Hartz-IV-Regelsätze und trotz der 3,3 Milliarden Euro mehr für Zuschüsse für die Grundsicherung im Alter, Leistungen an die Künstlersozialkassen und die Rentenversicherungen. Die Ausgaben für die Rente und die Grundsicherung im Alter wachsen damit von 80,7 auf knapp 84 Milliarden Euro und machen zwei Drittel des Arbeits- und Sozialhaushaltes aus. Das zeigt, wie wichtig uns das Wohlergehen auch unserer älteren Generation ist. ({4}) Weniger Ausgaben und mehr Leistungen für die Menschen - das hört sich für manche nach der Quadratur des Kreises an. Das ist es aber mitnichten. Es ist vielmehr das Resultat der intelligenten, wachstumsorientierten Politik der christlich-liberalen Regierungskoalition und der von ihr angestoßenen positiven Entwicklung, insbesondere auch auf dem Arbeitsmarkt. Das Erfolgsrezept ist einfach. Unsere christlich-liberale Koalition orientiert sich weniger an der Maximierung staatlicher Umverteilung. Es geht uns schlicht und einfach um konkrete Hilfe für die Betroffenen. ({5}) Der Bund übernimmt zum Beispiel mit der Bereitstellung von Kosten für Unterkunft und Heizung im Bundeshaushalt Leistungen in Höhe von 5 Milliarden Euro. Er entlastet so Länder und Kommunen nachhaltig. Das ist gegenüber 2011 ein Zuwachs von 1,4 Milliarden Euro, der den Städten und Gemeinden wieder Luft zum Atmen gibt. Damit haben sie Spielräume für eigene Initiativen. ({6}) Wir decken nicht mit viel Geld und in der Folge mit noch mehr Schulden strukturelle Probleme zu, sondern wir haben einerseits die der Wirtschafts- und Finanzkrise geschuldeten akuten Missstände und Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt beseitigt und andererseits - darauf kommt es an - die drängenden Probleme in unserer Gesellschaft - dazu zählen insbesondere der demografische Wandel und die langjährig erfolgte überzogene staatliche Ausgabenpolitik - beherzt und tatkräftig angepackt. Im Ergebnis ist die Zahl der Arbeitslosen auf deutlich unter 3 Millionen gesunken. Wir feiern mit weit mehr als 40 Millionen Beschäftigten neue Beschäftigungsrekorde, und das Wirtschaftswachstum hat in diesem Jahr 3 Prozent erreicht. Das sind Erfolge, die wir zu Recht auf unsere Fahnen schreiben. ({7}) Angesichts dieser Entwicklungen wäre es wenig sinnvoll gewesen, Frau Kollegin Hagedorn, das Niveau des noch teilweise von der Krise geprägten Haushaltes 2011 festzuschreiben. Es wäre insbesondere auch deshalb nicht sinnvoll gewesen, weil ein beachtlicher Teil der für 2011 vorgesehenen Mittel aufgrund der guten Entwicklung nicht abgerufen werden musste. Das Jahr 2011 ist viel erfreulicher gelaufen, als viele es erhofft hatten und andere es heute darstellen. Im Lichte einer erheblich verbesserten Arbeitsmarktlage mit immer weniger Langzeitarbeitslosen können zum Beispiel die für das kommende Jahr geplanten Ausgaben für Hartz IV gegenüber dem Ansatz für das laufende Jahr um 800 Millionen Euro auf nunmehr 19,6 Milliarden Euro gesenkt werden. Wenn die Bundesagentur für Arbeit mit ein bisschen Glück dieses Jahr ohne Bundeszuschuss auskommt und mit einer schwarzen Null schließen kann, ist das nicht der Beleg für die positive Wirkung des wirtschaftlichen Aufschwungs auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes, nein, es ist ein Verdienst der Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit unter Führung von Herrn Weise und der kommunalen Mitarbeiter in Bereichen der Arbeitsvermittlung.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage unserer Kollegin Mast?

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das gestatte ich nicht.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Kollegin, Sie haben es gehört. - Herr Kollege, Sie haben wieder das Wort.

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Bundesagentur und ihre Mitarbeiter haben in einem jahrelang andauernden wechselhaften und vielfach unbequemen Erprobungsprozess an der Optimierung der Strukturen zur Vermittlung von Arbeitslosen mitgewirkt. Axel E. Fischer ({0}) Sie nutzen die entscheidenden Freiräume im Interesse der Arbeitssuchenden. Sie haben erheblichen Anteil daran, dass die Zahl der Arbeitslosen heute so niedrig ist wie zuletzt in den 90er-Jahren und dass die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen immer besser wird. Wenn die Krise am Arbeitsmarkt überwunden ist, wenn die BA im kommenden Jahr keine Schulden machen muss, dann entlastet das auch den Bundeshaushalt. Wir können dann weiter weg von den Schuldenklippen navigieren und erfolgreich dem von Finanzminister Schäuble beschriebenen Sparkurs hin zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt folgen. Sie sehen: Eines greift bei uns ins andere, und alles zusammen wirkt zum Wohle der Menschen. ({1}) Wir haben viele Langzeitarbeitslose in den letzten Jahren in Arbeit gebracht. Was uns dabei geholfen hat und was wir deshalb weiter ausbauen wollen, ist eine nach vorne gerichtete Arbeitsmarktpolitik, weg vom Versorgungsgedanken hin zum Aktivierungsgedanken, weg von Standardisierung hin zur Differenzierung, weg von anonymer Zentralverwaltung hin zu konkreter Hilfe vor Ort. Darauf kommt es an. ({2}) Wir reagieren in vielen Bereichen nicht mehr auf Drängen spürbarer Notstände, sondern wir agieren. Durch das Rating bei den Jobcentern, durch Jobmonitoring, durch die Arbeitskräfteallianz, durch „Das Demographie Netzwerk“ und digitale Wegweiser bis hin zur Lösung des berühmten Themas „Dachdecker mit 67“ schaffen wir Strukturen für morgen, um die Probleme anzugehen und zu lösen. ({3}) Es geht uns um gute Arbeit. Wir wissen um die Belange unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die es verdient haben, dass wir die Rahmenbedingungen für eine Begleitung durch ihr Berufsleben gestalten. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden künftig nicht mehr vom Einstieg in den Beruf bis zum Ausstieg in der gleichen Tätigkeit bleiben. Dazu sind die Entwicklungen viel zu rasant. Aber wir wollen ihnen durch mehr Sorge für den Einzelnen und bessere Instrumente Sicherheit bieten. Das hilft konkret, während völlig aus der Luft gegriffene Formulierungen wie „Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik“ an der Lebenswirklichkeit vollständig vorbeigehen. ({4}) Der vorgelegte Haushalt ist ausgewogen und entspricht den Erfordernissen der von der christlich-liberalen Koalition eingeleiteten Modernisierung am Arbeitsmarkt und im Bereich der sozialen Sicherung. Es ist ein in die Zukunft gerichteter Haushalt, der deutliche Ansatzpunkte für die Bewältigung der großen Herausforderungen durch die Schuldenbremse, den demografischen Wandel und den Übergang in eine digitale Gesellschaft aufweist. Ich danke an dieser Stelle unseren Kolleginnen und Kollegen, besonders der Hauptberichterstatterin Bettina Hagedorn, wie auch der Bundesregierung, namentlich Frau Ministerin Dr. von der Leyen und Staatssekretär Fuchtel, herzlich für die gute Zusammenarbeit. So ist es in den parlamentarischen Beratungen in den vergangenen Monaten möglich geworden, den ohnehin schon guten Haushaltsentwurf zu einem durch und durch zukunftsfähigen Werk zu formen. Er bildet den Erfolg unserer wachstumsorientierten Politik ab und ist eine solide Grundlage für neue Reformschritte. Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass die christlich-liberale Koalition mit Frau Bundesministerin Dr. von der Leyen weiterhin als Modernisierer an der Spitze der zukunftsfähigen Entwicklung unseres Arbeits- und Sozialwesens steht, und wir mit Fug und Recht behaupten können: Wo wir sind, ist vorne. Herzlichen Dank. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Fischer. - Zu einer Kurzintervention hat sich unsere Kollegin Katja Mast gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin Katja Mast.

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fischer, die Kollegin Hagedorn hat vorhin klargemacht, dass die vorgesehenen Kürzungen von 26,5 Milliarden Euro bei der Bundesagentur für Arbeit keine konjunkturellen - zum Beispiel, weil wir jetzt weniger Arbeitslose haben -, sondern strukturelle Kürzungen sind. Das heißt, die Kürzungen werden vorgenommen, ganz egal, wie sich die Arbeitslosenzahl entwickelt. Das ist der Skandal dieser Politik: Sie orientieren sich nicht an der Konjunktur, sondern Sie kürzen strukturell. Diese strukturellen Kürzungen bedeuten für die Menschen: weniger Ausbildungshilfen für Jugendliche, weniger dauerhafte Weiterbildung, weniger Bildungspolitik in der Arbeitsmarktpolitik. Ich will Sie sehr konkret fragen, weil unsere Wahlkreise nebeneinanderliegen, Herr Kollege Fischer: ({0}) Was sagen Sie den Menschen, wenn Ihnen in BadenWürttemberg die Frage gestellt wird, warum dem Land 3,5 Milliarden Euro für eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik, für eine fördernde Arbeitsmarktpolitik fehlen? Ihre Antwort darauf möchte ich gern einmal hören. Ich möchte auch wissen, was Sie den Jugendlichen sagen, die in Ihre Bürgersprechstunde kommen und sagen: Ich bekomme keine ausbildungsbegleitende Hilfe, keine Ausbildungsförderung mehr von der Bundesagentur für Arbeit. ({1})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Kollege Fischer, Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung. Bitte schön.

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Mast, zum Eingliederungstitel: Die Tatsache, dass wir weniger ausgeben, hat natürlich damit zu tun, dass es weniger Arbeitslose gibt. Zum anderen sind strukturelle Veränderungen natürlich notwendig; das ist völlig richtig. Ich habe vorhin von einem Optimierungsprozess gesprochen, den die BA in den letzten Jahren durchlaufen hat. Der Erfolg, der aus einer besseren Arbeit vor Ort resultiert, zeigt sich auch darin, dass wir in struktureller Hinsicht Einsparungen vornehmen können, ohne dass die Leistungen an speziellen Stellen vor Ort dadurch schlechter werden. Wir haben für Optimierungseffekte gesorgt. Das ist der große Vorteil. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank. - Nächste Rednerin auf unserer Rednerliste ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Dr. Gesine Lötzsch. Bitte schön, Frau Dr. Lötzsch. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich mit der Frage auseinandersetzen, ob dieser Haushalt gerecht, ob er sozial oder ob er christlich ist. ({0}) Die Bundesregierung und die Koalition wollen uns einreden, der Haushalt würde alle in der Gesellschaft gleich belasten und wäre sozial ausgewogen. Doch jeder, der die Zahlen kennt, weiß, dass das gelogen ist, ({1}) denn die größten Kürzungen im Bundeshaushalt wurden dort vorgenommen, wo die Menschen, die am wenigsten haben, am härtesten getroffen werden, und Menschen, die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, werden von den Kürzungen vollständig verschont. Sie werden eben nicht zur Kasse gebeten, was richtig wäre. ({2}) Im Etat „Arbeit und Soziales“ sind 4,7 Milliarden Euro gestrichen worden. Gleichzeitig bekommt der Verteidigungsminister - bei Beachtung von Haushaltswahrheit und -klarheit - 1,6 Milliarden Euro mehr. An dieser Stelle muss man wirklich ganz deutlich sagen: Hier stimmen die Verhältnisse wirklich nicht mehr. ({3}) Ein gerechter Haushalt sieht anders aus: Steuererhöhungen für diejenigen, die die Krise verursacht haben und immer noch an ihr verdienen. Ein gerechter Haushalt, Frau von der Leyen, würde nicht die Menschen bestrafen, die ihre Arbeit verloren haben und unverschuldet in Armut geraten sind. Vor allem würde ein gerechter Haushalt, der auch nur einen Hauch von christlichem Anspruch widerspiegelt, nicht zulassen, dass immer mehr Kinder in unserem Land in Armut leben müssen. ({4}) Sie versuchen - das haben Sie in den Beratungen getan; Sie werden das in Ihrer Rede gleich wiederholen -, die Kürzungen im Haushalt schönzureden. Ihr Argument, dass Sie uns häufig vorgetragen haben, lautet: In konjunkturell guten Zeiten geht die Arbeitslosigkeit zurück; deshalb brauchen wir weniger Geld für Arbeitslose. Aber wie sieht diese Arbeit aus? Sie haben das in Ihrer Antwort auf die schriftlichen Fragen meiner Kolleginnen Jutta Krellmann und Sabine Zimmermann selbst gesagt: Diese neue Arbeit stellt eine dramatische Zunahme von Leiharbeit und Niedriglöhnen dar. Das hat mit Gerechtigkeit wirklich nichts zu tun, Frau Ministerin. ({5}) Schauen wir einmal genau hin: Im Oktober ist die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr um 3,7 Prozent gesunken. Das ist gut. Im gleichen Zeitraum sank aber die Zahl der Teilnehmer an Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung um 21 Prozent. Wie erklären Sie eigentlich Menschen, die endlich aus der Arbeitslosigkeit herauskommen wollen, die bereit sind, sich immer wieder zu qualifizieren, dass Sie kein Geld mehr für Qualifikation ausgeben wollen? Ich glaube, das können Sie niemandem mit gutem Gewissen erklären. ({6}) Wir lesen ja jeden Tag in den Zeitungen - es hat auch schon in der Debatte eine Rolle gespielt -, dass in Deutschland Fachkräfte fehlen. Wir lesen aber viel zu selten, dass es diese Bundesregierung und diese Ministerin ist, die Menschen die Chance verbaut, wieder in Arbeit zu kommen. Das ist nicht gerecht! Das ist nicht christlich, Frau Ministerin! ({7}) Frau von der Leyen, Sie haben Ihre Partei, die CDU, aufgefordert, endlich einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland einzuführen. Das war eine richtige und längst überfällige Forderung. ({8}) Alle Vorurteile, die von der CDU - von der FDP will ich jetzt gar nicht reden - gegen einen gesetzlichen Mindestlohn vorgebracht wurden, sind wissenschaftlich widerlegt worden. Der Mindestlohn vernichtet keine Arbeitsplätze. Das wissen wir aus den Erfahrungen fast aller anderen Länder der Europäischen Union. Ich finde, es ist moralisch wirklich verwerflich, wenn ein Arbeitgeber meint, einen Menschen für sich arbeiten lassen zu können, ohne ihn so zu bezahlen, dass er davon leben kann. Wie kann eine christliche Partei solche Arbeitgeber nur unterstützen, meine Damen und Herren? ({9}) Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern einen unwürdigen Lohn bezahlen, werden von der Bundesregierung dafür sogar noch belohnt, weil sie mit Steuergeldern subventioniert werden. Das muss endlich ein Ende haben! ({10}) Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter gerecht entlohnen wollen, werden von der Bundesregierung bestraft, denn sie müssen sich gegen unlautere Konkurrenz wehren. Ihr Parteitag hat nun keine Mindestlöhne beschlossen. Sie konnten sich mit dieser Idee nicht durchsetzen. Die radikalen Marktideologen haben sich in der CDU wiederum durchgesetzt. Wir haben bereits bei der Debatte um den Einzelplan Wirtschaft gesehen, dass das die dominierende Haltung in Ihrer Partei ist. Das hat mit christlich-sozial nichts zu tun. Wenn Sie an Ihre Wurzeln, an Ihre Werte knüpfen wollen, dann müssen Sie endlich umsteuern. Ansonsten wird man Ihnen den Titel „christlich“ nicht mehr verleihen können. ({11}) Das ewige Mantra der christlich-liberalen Koalition lautet ja: Leistung muss sich wieder lohnen. - Wenn wir uns aber die Politik dieser Bundesregierung anschauen, dann sehen wir, dass sich Leistung eben nicht lohnt. Im Gegenteil: 10 Prozent der Gesellschaft, die 60 Prozent des Vermögens haben, können ihr Geld im Schlaf verdienen. Sie lassen das Geld an den Börsen der Welt für sich arbeiten. Menschen, die für ihre Arbeitsleistung nicht einmal einen würdigen Lohn bekommen, werden jedoch Ihren Spruch „Leistung muss sich wieder lohnen“ nur als zynisch empfinden können. ({12}) Wer will, dass sich Leistung wieder lohnt, der muss wirklich um gesetzliche Mindestlöhne kämpfen und leistungslose Spekulationsgewinne kräftig besteuern. Anders ist Gerechtigkeit nicht zu haben. ({13}) Dieser Haushalt ist ungerecht, weil er Armut schafft. Sie bekämpfen nicht die Armut, sondern Sie schaffen neue Armut. Es ist doch ein unglaublicher Vorgang, dass die Bundesregierung bis heute nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen, was Hartz IV betrifft, umgesetzt hat. ({14}) Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass die Ermittlung der HartzIV-Regelsätze verfassungswidrig ist. Unsere Fraktion hat der SPD und den Grünen angeboten, gemeinsam gegen diesen Verfassungsverstoß zu klagen. Leider haben diese Fraktionen das abgelehnt. Das ist schade, aber man kann ja einen zweiten Anlauf nehmen. ({15}) Das sogenannte Bildungspaket kommt nicht einmal bei der Hälfte der Menschen an, die darauf einen Anspruch haben. Der Mehrheit wird also ein Teil des Existenzminimums vorenthalten. Besonders bedrückend finde ich aber, dass dieses sogenannte Teilhabe- und Bildungspaket in vielen Fällen sogar eine gegenteilige Wirkung hat. Bedürftige Kinder bekommen in vielen Kommunen kein kostenloses Mittagessen mehr. Die Eltern müssen jetzt, egal ob sie die bürokratischen Hürden dieses Pakets überwunden haben oder nicht, einen Zuschuss bezahlen, weil es ja das Bildungspaket gibt. Damit verschlechtert sich in der Realität die Situation armer Kinder. Das ist nicht gerecht! Das ist nicht christlich! Das ist einfach nur beschämend, Frau von der Leyen! ({16}) - Der Zwischenruf zur Verantwortung ist sehr schön. Den nehme ich gerne auf. Sie und Frau von der Leyen an der Spitze entwickeln geradezu einen missionarischen Eifer, arme Menschen erziehen zu wollen, anstatt ihnen zu helfen. Ich frage Sie: Warum sind Sie eigentlich so gleichgültig und nachsichtig gegenüber dem gierigen Verhalten von einigen wenigen Spekulanten? Warum kommt da Ihr missionarischer Eifer nicht durch, Frau von der Leyen? ({17}) - Auch diesen Zwischenruf nehme ich gerne auf, Herr Kollege. Als Volksvertreter, auch Sie, Herr Abgeordneter, sind wir für die gesamte Politik zuständig. Ich glaube, vielen in der CDU ist schon aufgefallen, dass sich Frau von der Leyen für vieles in der Politik, für die gesamte Politik zuständig fühlt, was nicht jedem in ihrer Partei gut gefällt. Auch das ist uns aufgefallen. ({18}) Kommen wir zurück zum Teilhabe- und Bildungspaket. Eine Mutter muss alle möglichen bürokratischen Nachweise erbringen, um einen 10-Euro-Gutschein für ihr Kind zu bekommen. Dagegen ist es nach Auffassung des Finanzministers gar kein Problem, wenn sich Banker einmal um 55,5 Milliarden Euro verrechnen. ({19}) Frau von der Leyen, unter Ihrer Herrschaft sind die Sanktionen gegen Arbeitslose sprunghaft angestiegen. Warum kämpfen Sie in Ihrer Regierung nicht lieber einmal dafür, dass Herr Schäuble endlich gegen diejenigen Sanktionen verhängt, die Schulden in Höhe von 335 Milliarden Euro zu verantworten haben? So viel hat die Finanzkrise laut Berechnung der Bundesbank die deutschen Steuerzahler seit 2008 gekostet. Ich glaube, die Verhältnisse müssen endlich in Ordnung gebracht werden. Wir brauchen keine verschärften Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger, sondern endlich verschärfte Sanktionen gegen diejenigen, die unseren volkswirtschaftlichen Reichtum verspekulieren. ({20}) Abschließend möchte ich einige Anmerkungen zur wachsenden Altersarmut in unserem Land machen. Frau Kollegin Hagedorn ist schon darauf eingegangen. 14 Prozent aller Menschen ab 65 gelten als arm. Wir wollen endlich wieder Renten, die vor Armut schützen. Wir brauchen heute gute Löhne, damit die zukünftigen Rentner einmal eine gute Rente bekommen. Aber was wir jetzt schon brauchen, sind klare Entscheidungen für eine solidarische Mindestrente, die diesen Namen wirklich verdient, damit Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, im Alter nicht arm sind. ({21}) Ich habe anfangs die Frage aufgeworfen, ob dieser Haushalt gerecht ist, ob er sozial ist und ob er christlich ist. Ich komme zu dem Schluss: Dieser Haushalt ist ungerecht, er ist unsolidarisch, und christlich ist er schon gar nicht. Wir lehnen ihn ab. ({22})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Lötzsch. - Jetzt für die Fraktion der FDP unsere Kollegin Frau Dr. Claudia Winterstein. Bitte schön, Frau Kollegin Winterstein. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Bettina Hagedorn, keine Sorge, der Einzelplan 11 ist mit seinem Ausgabeniveau von 126,5 Milliarden Euro sehr wohl solide aufgestellt. ({0}) Dass die Ausgaben rund 4,8 Milliarden Euro unter dem Plan für 2011 liegen, ist nicht die Folge von tiefen Einschnitten. Vielmehr liegt es vor allem daran, dass der Bund der Bundesagentur für Arbeit im kommenden Jahr kein Darlehen mehr gewähren muss. Dieses Darlehen ist im Haushalt 2011 noch mit 5,4 Milliarden Euro angesetzt. 2012 entfällt dieser Haushaltsposten vollständig. ({1}) Die BA wird sogar bereits im Jahr 2012 wieder im Plus sein und damit beginnen, Rücklagen aufzubauen. Das sollte uns alle freuen, vor allen Dingen dich, liebe Bettina; denn auch das hast du gefordert. ({2}) Aufgrund der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt steht nicht nur die Bundesagentur besser da als erwartet, sondern auch der Bund muss weniger Geld ausgeben, zum Beispiel für das Arbeitslosengeld II. Neben diesen konjunkturellen Effekten setzen wir bei den Arbeitsmarktmitteln die Einsparungen um, ({3}) die wir im Jahr 2010 beschlossen haben. Dem stehen allerdings Mehrausgaben von 2,8 Milliarden Euro für das Bildungspaket und für die Grundsicherung im Alter gegenüber. Das ist eine ganz erhebliche Entlastung für die Kommunen. ({4}) Das sind die wesentlichen Faktoren für die Haushaltsentwicklung im Vergleich zu 2011, und das ist kein Kahlschlag. Sehen wir uns den Bereich Arbeitsmarkt etwas genauer an. In diesem Haushalt sind dafür 40,3 Milliarden Euro angesetzt. Im Eingliederungsbudget - auch das ist vorhin angesprochen worden - stehen 8,45 Milliarden Euro zur Verfügung, also rund 1 Milliarde Euro weniger als 2011. Das hat die Opposition heute und auch sonst in den vergangenen Tagen immer wieder als unzumutbare Kürzung kritisiert. Aber diese Kritik ist völlig unberechtigt. Denn wir geben zwar weniger aus als im Vorjahr; aber gemessen an der deutlich niedrigeren Arbeitslosenzahl ist es so, dass wir pro Person mehr ausgeben als in den früheren Jahren. ({5}) Das will ich mit Zahlen unterlegen. 2006 wurden für 2,8 Millionen Arbeitslose im SGB II 8,2 Milliarden Euro ausgegeben. 2012 stehen im Eingliederungsbudget für nur 1,8 Millionen Arbeitslose im SGB II, also für 1 Million weniger, rund 8,5 Milliarden Euro zur Verfügung; das sind über 250 Millionen Euro mehr. Also: Jeder kann sehen, dass es sich hier nicht um eine Kürzung handelt, wie das von der Opposition behauptet wird, sondern dass es pro Kopf eine Erhöhung darstellt. Auch das sollten Sie eher freudig zur Kenntnis nehmen. ({6}) - Ja. Haushälter sollten eigentlich rechnen können. Aber manchmal hapert es. Die Lage am Arbeitsmarkt ist gut, und sie wird sich nach allen Prognosen auch 2012 so halten. Man kann es eigentlich gar nicht häufig genug sagen: Mehr als 41 Millionen Beschäftigte, das ist ein Rekord. Weniger als 3 Millionen Arbeitslose im Durchschnitt der Jahre 2011 und 2012, das ist ein großer Erfolg. Die Zahl der Arbeitslosen im SGB II ist mit unter 2 Millionen so niedrig wie überhaupt noch nie. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich seit dem Höchststand im Jahr 2006 von damals 1,7 Millionen fast halbiert. Das ist doch hervorragend. ({7}) - Da könnten eigentlich auch Sie von der Opposition applaudieren. ({8}) Das sind nämlich hervorragende Zahlen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ignorieren das alles. Sie fordern mehr Geld für Arbeitsmarktmaßnahmen, und das, egal ob die Arbeitslosigkeit steigt oder sinkt. ({9}) So kann man keine vernünftige Politik machen. Vernünftige Politik ist es hingegen, wenn eine Konzentration auf die wirksamen arbeitsmarktpolitischen Instrumente erfolgt. Das bildet sich in unserem Haushalt ab. Unser Schwerpunkt ist nämlich klar: Wir wollen vorrangig die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt fördern. ({10}) Für Qualifizierung und Integration steht auch weiterhin genügend Geld zur Verfügung. Ich will noch auf einen Antrag eingehen, der von der SPD im Haushaltsausschuss eingebracht wurde - da hat sich die SPD nämlich mit einer Milchmädchenrechnung ziemlich blamiert -: Sie meinen, mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro könnte man 1,1 Milliarden Euro im Haushalt einsparen. ({11}) Dabei verschließen Sie allerdings die Augen davor, dass dadurch natürlich auch Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor verloren gehen würden, ({12}) mehr Menschen arbeitslos würden und weniger Menschen etwas dazuverdienen könnten und damit letztendlich mehr und nicht weniger Kosten für den Bundeshaushalt entstehen würden. ({13}) Bei dieser Gelegenheit noch ein Wort zu den Aufstockern; auch das ist immer ein beliebtes Thema. Nach dem Bericht der BA vom Oktober 2011 gibt es aktuell 1,37 Millionen Menschen, die zusätzlich zu einem Erwerbseinkommen Hartz IV beziehen. Davon arbeiteten aber nur 320 000 in Vollzeit. Das sind 1,4 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten. ({14}) Diese sind überwiegend deshalb auf eine Ergänzung durch Hartz IV angewiesen, weil es sich hier um Familien mit Kindern handelt. ({15}) Nehmen wir die Singles, so sind es nur 0,3 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten, die zusätzlich auf Hartz IV angewiesen sind. Denen ist mit einem Mindestlohn garantiert nicht geholfen, wenn sie als Konsequenz womöglich ihren Arbeitsplatz verlieren. ({16}) Die Vorschläge der SPD sind untauglich. Das zeigt sich auch an Ihren Anträgen. Sie haben Mehrausgaben in Höhe von 5 Milliarden Euro vorgeschlagen, verbunden mit Steuererhöhungen in Höhe von 10,5 Milliarden Euro. Wo sind eigentlich die Einsparungen, die Carsten Schneider und Herr Gabriel gefordert haben? ({17}) Ich höre immer nur: Wir erhöhen die Steuern. ({18}) Nein danke, das gibt es mit uns ganz sicher nicht. Wenn Sie sagen, Sie könnten die Dinge intelligent gegenfinanzieren, dann, finde ich, ist es aber nicht sonderlich intelligent, einfach die Steuern zu erhöhen. ({19}) Zum Schluss noch ein Wort zu den Vorschlägen zur Erhöhung des Eingliederungstitels, die heute als Antrag vorliegen. Ich halte diese Vorschläge für völlig unverantwortlich. Hier gibt es bei der Opposition den reinsten, ich sage einmal: Überbietungswettbewerb. Die Begründung, die ich dafür im Berichterstattergespräch von der SPD gehört habe, ist geradezu abenteuerlich. Man müsse das Sparpaket, soweit es den Sozialbereich betrifft, deshalb zurücknehmen, weil andere Elemente des Sparpaketes nicht voll wirksam würden. Nein, auch wenn beim Sparpaket nicht alle Elemente so schnell zum Tragen kommen wie eigentlich geplant, ({20}) so ist das kein Grund, auch alle anderen Elemente über Bord zu werfen, die wir als sinnvolle Beiträge im Sparpaket vereinbart haben. Dieser Einzelplan ist damit ein gutes Beispiel für das Haushaltsprinzip der Koalition, nämlich Konsolidieren durch Disziplin auf der Ausgabenseite. Vielen Dank. ({21})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Winterstein. - Jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Brigitte Pothmer. Bitte schön, Frau Kollegin Pothmer.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushaltsentwurf, der uns heute hier vorliegt, ist ein Dokument der sozialen Schieflage der Politik dieser Bundesregierung. ({0}) Jeder andere Einzelhaushalt weist ein Plus auf. Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Gekürzt wird von dieser Bundesregierung also nur bei den Arbeitslosen und bei den sozial Schwachen. Ich finde, das wirft ein bezeichnendes Licht auf das soziale Profil dieser Bundesregierung. ({1}) Es wirft ein bezeichnendes Licht auch auf das Engagement und die Durchsetzungsfähigkeit der Bundesarbeitsministerin. Frau von der Leyen, seitdem Sie im Amt sind, sind die Mittel des Eingliederungstitels um 30 Prozent gekürzt worden. Jetzt begründen Sie den Rückgang der Mittel immer mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit. Aber die Langzeitarbeitslosigkeit ist um maximal 5,4 Prozent zurückgegangen. Sie kürzen aber um das Sechsfache. ({2}) Damit ruinieren Sie nicht nur die Chancen der Betroffenen, wieder in Arbeit zu kommen. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels richten Sie einen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden an. Allein der Mittelstand rechnet durch den Fachkräftemangel mit Umsatzeinbußen von 30 Milliarden Euro jährlich. Und Sie vertiefen damit die soziale Spaltung auf dem Arbeitsmarkt: Gut ausgebildete, gesunde, fitte Menschen gegen gering qualifizierte, kranke und gehandicapte das gefährdet auf Dauer den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft insgesamt. ({3}) Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt sich. Leiharbeit nimmt zu. Befristete Beschäftigung und Minijobs sind auf dem Vormarsch. Der Niedriglohnsektor hat wieder einen neuen Rekord erreicht. Daher ist es kein Wunder, dass eine Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zu dem Ergebnis kommt, dass kaum jemand in Deutschland mehr an Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt glaubt. Ich will Ihnen aber sagen: Wenn wir einen Zustand erreicht haben, dass die Menschen nicht mehr daran glauben, dass sie durch ihre eigene Anstrengung ihre soziale Lage verbessern können, dann gefährdet das auf Dauer die Demokratie und unterstützt den Extremismus in diesem Land. Wohin das führt, haben wir vor zwei Tagen debattiert. ({4}) Jetzt will ich noch einmal etwas zu dem Revolutionstheater auf dem CDU-Parteitag sagen. Herausgekommen ist dabei ({5}) leider noch nicht einmal eine Dreigroschenoper. Frau von der Leyen, ich habe Ihre Rolle genau beobachtet. Ich war enttäuscht: Ich finde, Sie haben bei dieser Debatte eher am Rande gestanden. Die Vorkämpferrolle für den Mindestlohn haben Sie Herrn Laumann überlassen. Das muss man sich einmal vorstellen. Da geht es wirklich einmal um die Wurst - es geht um die Frage, ob der Mindestlohn in diesem Land eine Chance hat -, und die Bundesarbeitsministerin nimmt als zuständige Ministerin bestenfalls eine kommentierende Nebenrolle ein. Das reicht nicht. ({6}) Der Parteitagsbeschluss ist dann auch entsprechend ausgefallen. Sie stehen nach diesem Parteitag in der Frage Mindestlohn wieder mit leeren Händen da. Auch wenn ich es nicht gerne sage: In dieser Frage hat Herr Rösler ausnahmsweise recht. Denn das, was Sie beschlossen haben, ist Status quo; es ist Gesetzeslage. ({7}) Im Mindestarbeitsbedingungengesetz steht genau das drin. Wir wissen: Nach diesem Gesetz ist kein einziger Mindestlohn erlassen worden, meine Damen und Herren. Wenn Sie wirklich einen Mindestlohn wollen, Frau von der Leyen, dann legen Sie dem Parlament einen Gesetzentwurf vor. ({8}) Es gibt in diesem Parlament eine deutliche Mehrheit für einen gesetzlichen Mindestlohn. Frau von der Leyen, Sie vermitteln, jedenfalls mir, zunehmend den Eindruck, dass Ihnen die Arbeitsmarktund die Sozialpolitik nicht wirklich am Herzen liegen. Sie tummeln sich in der Europapolitik und immer noch gern in der Frauen- und Familienpolitik. So sieht Ihre Zwischenbilanz auch aus: Die Bürgerarbeit ist ein Flop. Das Bildungspaket für Kinder ist ein bürokratisches Monstrum. Mit der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente haben Sie die gering qualifizierten Langzeitarbeitslosen endgültig abgehängt. Die Arbeitslosen17070 versicherung ist geplündert. Prekär Beschäftigte bleiben schutzlos. Lohndumping bleibt auf der Tagesordnung. Ihre Zuschussrente wird niemanden vor der Altersarmut schützen. Frau von der Leyen, vielleicht waren Sie eine gute Familienministerin. ({9}) Eine gute Arbeitsministerin sind Sie jedenfalls nicht. Ich danke Ihnen. ({10})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Als Nächste hat das Wort für die Bundesregierung Frau Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. Bitte schön, Frau Bundesministerin von der Leyen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal gilt mein Dank den Berichterstatterinnen und Berichterstattern für eine ausgesprochen konstruktive Zusammenarbeit. Dass die Zahlen über die strukturellen und konjunkturellen Einsparungen zu unterschiedlicher Interpretation führen, ist völlig in Ordnung. Wenn man allerdings die letzten Beiträge - insbesondere Ihren, Frau Pothmer - verfolgt hat, dann könnte man meinen, dass Deutschland kurz vor dem Untergang und die Arbeitsmarktpolitik kurz vor dem Kollaps steht. Frau Hagedorn hat von einer Politik zulasten der Menschen gesprochen. ({0}) Wenn wir schlicht die Wirklichkeit sprechen lassen, Frau Pothmer, statt Ihrer Suada, dann zeigt sich: Die Beschäftigung hat bei uns den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung erreicht. Wir haben die Langzeitarbeitslosigkeit fast halbiert. ({1}) Was die Jugendarbeitslosigkeit angeht: Es sind noch gut 240 000 junge Menschen arbeitslos. Die Expertinnen und Experten der Bundesagentur für Arbeit sagen, 200 000 sei Ausdruck einer normalen Fluktuation. Das heißt, nur 40 000 junge Menschen bei uns sind von struktureller Arbeitslosigkeit betroffen. ({2}) Ich könnte noch verstehen, wenn Sie blass vor Neid würden, weil die Ergebnisse am Arbeitsmarkt so gut sind. Aber dass Sie quasi rot vor Zorn sind, weil die Erfolge am Arbeitsmarkt so groß sind, kann kein Mensch mehr verstehen. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Gerne.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Frau Ministerin. - Sie haben eben auf die Wirklichkeit abgehoben. Ich frage Sie, was Sie zu der Studie des Statistischen Bundesamtes sagen, die vor 14 Tagen veröffentlicht wurde. Diese Studie ist repräsentativ; es sind immerhin 830 000 Menschen - das ist gut 1 Prozent der Bevölkerung - befragt worden. Nach dieser Studie sind 8,4 Millionen Menschen ab 15 Jahren unzufrieden mit ihrer Arbeit und würden gerne mehr arbeiten, wenn sie die Gelegenheit dazu erhielten. Es sind also mehr als 10 Prozent der Bevölkerung, die mit ihrer Erwerbssituation unzufrieden sind. Was sagen Sie zu dem Ergebnis dieser Studie des Statistischen Bundesamtes?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Dass sie mit ihrer Erwerbssituation unzufrieden sind, mag der Fall sein. Diese Feststellung ist das Ergebnis einer Befragung. Tatsache ist, dass die jungen Menschen heute mehr Chancen als je zuvor haben. Die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen liegt bei 5,3 Prozent. Die Arbeitslosigkeit der unter 20-Jährigen liegt bei 3,3 Prozent. Wenn wir das damit vergleichen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Europa im Durchschnitt bei über 20 Prozent liegt, dann sehen wir, dass der Arbeitsmarkt hier in Deutschland wirklich robust ist und jungen Menschen Chancen bietet. Das sollten Sie vielleicht auch einmal zur Kenntnis nehmen. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Nein, jetzt mache ich weiter. - Unsere Wirtschaft ist stark, und wir haben einen robusten Arbeitsmarkt. Ja, es gibt Risiken im Euro-Raum. Das hat sich in der Debatte eben und auch in der Debatte heute Morgen gezeigt. Deshalb sollten wir unser Handeln aber nicht durch Mutlosigkeit und durch Angst leiten lassen, sondern wir sollten dafür sorgen, dass das Vertrauen in die Stabilität Europas und in die unbezweifelbare Stabilität Deutschlands erhalten bleibt. Das heißt für uns wie für alle anderen: Konsolidieren, aber mit Augenmaß, mit den richtigen Akzenten. ({0}) Genau das tun wir. Das werde ich Ihnen jetzt auch darlegen. ({1}) Schauen Sie sich die Zahlen dieses Haushaltes an. Für das Jahr 2010 hatten wir Ausgaben in Höhe von 143 Milliarden Euro eingeplant. Wir haben 10 Milliarden Euro weniger ausgegeben. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Im Jahr 2011 haben wir mit Ausgaben in Höhe von 131 Milliarden Euro geplant. Wir werden voraussichtlich 5 Milliarden Euro weniger ausgeben. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Das heißt, wir sind am Arbeitsmarkt erfolgreich; aber wir nutzen diese Phase eben auch, um unsere Sozialsysteme zu stabilisieren und zu modernisieren, und vor allen Dingen, um denjenigen Menschen eine Chance zu geben, die vorher keine Chance am Arbeitsmarkt hatten. Das ist doch das Ziel unserer Politik, und da sind wir erfolgreich. ({2}) Ich werde Ihnen das auch am Thema „Alleinerziehende“ aufzeigen. Ich habe von Ihnen einen - in Anführungsstrichen - „Block von Alleinerziehenden“ geerbt; 40 Prozent der Alleinerziehenden sind im SGB-II-Bezug. ({3}) Wir haben im letzten Jahr eine Freistellung von Mitteln erreicht - ich danke den Haushältern noch einmal -, um in diesem Bereich gezielt neue Akzente zu setzen. ({4}) Wir haben die Jobcenter neu orientiert. Wir haben den Schwerpunkt der Bundesagentur für Arbeit auf die Qualifizierung und Vermittlung von Alleinerziehenden gelegt. Wir haben die Netzwerke zur Unterstützung ausgebaut. Wir haben jetzt, nach einem Jahr, erreicht, dass der Bestand an arbeitslosen Alleinerziehenden stärker gesunken ist als die Zahl der Arbeitslosen im SGB-II-Bezug allgemein. Wir haben erreicht, dass mehr Alleinerziehende als sonst in den ersten Arbeitsmarkt gewechselt sind. Das heißt, der Ansatz, sich darauf zu konzentrieren, dass mehr Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt kommen, und darauf, dass mehr arbeitslose Alleinerziehende Arbeit finden, gerade weil sie ein Kind haben, erweist sich jetzt als erfolgreich. Das ist etwas, was man auch einmal positiv bewerten sollte. ({5})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwanitz?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Bitte.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön, Herr Kollege Schwanitz.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, ich möchte Ihnen eine Frage zum Thema „Prävention gegen Rechtsextremismus“ stellen.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Jetzt sind wir aber gerade bei der Arbeitsmarktpolitik. ({0})

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, aber zu Ihrem Etat gehört die Finanzierung eines sehr wichtigen Programms: Xenos. Über dieses Programm wird seit vielen Jahren das Netzwerk für Demokratie und Courage in Sachsen sehr erfolgreich gefördert, was ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich anerkennen will. Dieses Netzwerk - das müssen Sie nicht wissen; aber ich will es trotzdem sagen - leistet eine vielfach ausgezeichnete Arbeit an den Schulen, nicht nur an denen des Freistaates. Seit neuestem gibt es in Ihrem Haus folgende Situation: Ein Antrag wurde mit dem Hinweis abgelehnt, er sei nicht arbeitsmarktnah genug. Ich möchte jetzt gar keine Detailerklärung zu der Einzelentscheidung bekommen, weil ich vermute, dass Sie sie jetzt gar nicht abgeben können. Aber ich möchte Sie fragen, ob Sie mit mir der Auffassung sind, dass gerade in dieser Zeit eine solche Ablehnung kritisch geprüft werden muss, und ob Sie bereit sind, sich diesen Vorgang noch einmal auf den Tisch legen zu lassen und diese Entscheidung gegebenenfalls zu revidieren.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Es gibt im Arbeitsministerium die Xenos-Programme, die ich für richtig und gut halte. Es gibt in anderen Ministerien andere Programme gegen Rechtsextremismus. Unsere Programme sind darauf ausgerichtet, dass junge Menschen eine Chance erhalten, dass sie qualifiziert werden und dass sie Arbeit bekommen, damit sie die Integration in die Gesellschaft schaffen und damit die Festigkeit bekommen, die sie brauchen. Wenn es viele Anträge gibt, dann ist es doch eine Selbstverständlichkeit, dass das Arbeitsministerium danach auswählt, welcher Antrag die größten Chancen hat, dazu beizutragen, dass junge Menschen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden. Es kommt also darauf an, wie arbeitsmarktnah ein Antrag ist. Es wird kein Antrag ausgewählt, der andere Ziele verfolgt. Sie stellen mir eine Frage nach der Qualität der Anträge. Ich sage Ihnen: Wir werden das Geld einsetzen und den Rechtsextremismus bekämpfen. Wir bekämpfen ihn mit einem der wichtigsten Mittel, nämlich dadurch, dass wir den jungen Menschen Arbeit geben. Das ist unser Ziel. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal des Kollegen Dr. Ilja Seifert?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Jetzt würde ich gerne weitermachen. Sonst kommen wir nie mehr zum Schluss. ({0}) Das war das Thema Arbeitsmarktpolitik, an dem wir sehen, dass wir erfolgreich sind. Hier sind die Zahlen so gut, dass ich merke, dass Sie nur noch an den Einsparungen, seien sie konjunktureller oder struktureller Art, mäkeln können. ({1}) Es fällt Ihnen schwer, die Erfolge am Arbeitsmarkt nicht zu sehen. Zurzeit sind über 900 000 Stellen unbesetzt. Deshalb sollten wir jetzt, anstatt zu unken - das gilt gerade für die Damen und Herren der Opposition -, gemeinsam die Kräfte bündeln und dafür sorgen, dass wir Fachkräfte bekommen, die dem Arbeitsmarkt allmählich ausgehen. Die Bundesagentur für Arbeit hat ausgerechnet, dass in der Pflege, im Handwerk, in der Gastronomie und im Dienstleistungssektor 385 000 Stellen unbesetzt sind. Wir haben auf der anderen Seite 690 000 Arbeitsuchende in der Grundsicherung mit passender Ausbildung. Das heißt, es gibt die Menschen, es gibt die Jobs, und es kommt jetzt darauf an, beide zusammenzubringen. ({2}) Sie toben die ganze Zeit, weil sie sehen, dass wir die Anzahl künstlicher Arbeitsplätze und den öffentlichen Beschäftigungssektor nicht ausbauen wollen. Wir wollen neue Akzente setzen. Die Menschen sollen in den ersten Arbeitsmarkt und nicht mehr in teure Warteschleifen. Das ist unsere Politik, und das ist die richtige Politik. ({3}) Daher haben wir den Instrumentenkasten aufgeräumt. Im nächsten Jahr stehen - hier wird immer der Eindruck erweckt, als stünde überhaupt nichts mehr für die Eingliederung zur Verfügung - 8,4 Milliarden Euro in der Grundsicherung für Eingliederung und Verwaltung zur Verfügung. Dazu kommen 2,8 Milliarden Euro aus dem Eingliederungstitel der Bundesagentur für Arbeit für die aktive Arbeitsmarktförderung. Das sind rund 500 Millionen Euro mehr, als in diesem Jahr im Eingliederungstitel überhaupt eingesetzt worden sind. Meine Damen und Herren von der Opposition, wer hier von Kahlschlag redet - das Wort habe ich vorhin schon wieder gehört -, der sieht offensichtlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. ({4}) Wir setzen die Akzente richtig. Sie möchten öffentlich geförderte Beschäftigung. Sie möchten künstliche Arbeit. ({5}) Sie möchten Warteschleifen. Wir setzen die Akzente neu. Wir setzen sie auf Bildung, auf Ausbildung und auf Weiterbildung. Deshalb haben wir insbesondere beim Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf einen Schwerpunkt gesetzt. Wir haben einen Riesenerfolg; ich habe Ihnen eben die Zahlen genannt. Wir haben auch in der Weiterbildungsförderung - das betrifft die Menschen, die nicht aus der Schule kommen, sondern die schon mitten im Leben stehen und Weiterbildung in der Arbeitslosigkeit brauchen - die Mittel aufgestockt. Als wir von Ihnen die Regierung im Jahr 2005 übernommen haben, lag die Zahl der Arbeitslosen bei 5 Millionen. ({6}) - Damals hat die Kanzlerin Merkel den Kanzler Schröder abgelöst. Sie werden doch nicht bestreiten, dass wir, als Schröder die Regierung verlassen hat, 5 Millionen Arbeitslose hatten. ({7}) - Ich merke an Ihrem Geschrei: Sie wollen es nicht hören. Sie haben Angst vor dieser Zahl. - Sie wissen ganz genau: Damals waren gerade einmal 2 Milliarden Euro für Weiterbildung vorgesehen. Jetzt haben wir 2,7 Millionen Arbeitslose, und es stehen 3 Milliarden Euro für Weiterbildung zur Verfügung. Das ist Politik, die erfolgreich ist. So muss die Entwicklung sein. ({8}) Wir geben für Bildung, Ausbildung und Weiterbildung inzwischen 8,6 Milliarden Euro aus. Mit anderen Worten: Die Zeit der künstlichen Arbeitsplätze, die Zeit der Warteschleifen ist vorbei. Jetzt geht es darum, die Fachkräfte der Zukunft zu sichern. Das ist unsere Politik. ({9}) Die Erfolge am Arbeitsmarkt schlagen sich natürlich nicht nur in Jobs für Menschen nieder, sondern auch in der Rente, und das freut mich. Wir können zum 1. Januar 2012 den Beitragssatz - es ist richtig: das ist eine gesetzliche Regelung - auf 19,6 Prozent senken. Das bedeutet für die Beschäftigten eine Entlastung von 1,3 Milliarden Euro und für die Arbeitgeber eine Entlastung von 1,3 Milliarden Euro. Im Übrigen wird auch der Bundeshaushalt um 700 Millionen Euro entlastet. Das nützt der jüngeren Generation. Ich freue mich auch darüber, dass sich abzeichnet, dass es im nächsten Jahr für 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner eine spürbare Rentensteigerung geben wird. Wir werden international für ein langfristig stabiles und demografiefestes Rentensystem bewundert. Wir befinden uns im Augenblick aber auch in der Diskussion darüber, wo es Schwachstellen gibt. Der Normalfall ist, dass Menschen, die ihr Leben lang arbeiten, ordentlich verdienen, vorsorgen und Beiträge zahlen, im Alter eine auskömmliche Rente haben. Wir sehen aber auch, dass Menschen wenig verdienen und ein Leben lang fleißig arbeiten, dass Menschen Kinder erziehen, Ältere pflegen und Teilzeit arbeiten - und dass diese Menschen am Ende ihres Lebens keine eigene auskömmliche Rente haben und in der Grundsicherung landen. Diesen Menschen müssen wir eine Antwort geben, die das Kriterium der Gerechtigkeit erfüllt. Wer ein Leben lang gearbeitet hat, wer Kinder erzogen hat - ohne Kinder gibt es in der nächsten Generation keine Rente -, wer Ältere gepflegt und vorgesorgt hat, der darf am Ende des Lebens nicht ohne eigene Rente dastehen. Wir führen jetzt den Rentendialog, um diese Schwachstelle, die Gerechtigkeitsfrage, gemeinsam zu beheben, sodass die Menschen in Zukunft darauf vertrauen können: Wenn ich arbeite, wenn ich Kinder erziehe, wenn ich vorsorge, dann reicht es im Alter für die eigene Rente. ({10}) Noch einen letzten Gedanken - ich bin schon über meiner Zeit, deshalb muss ich mich beeilen - zum Thema Mindestlohn. ({11}) Wir haben in den letzten zehn Jahren Flexibilierungsreformen erlebt. Wir alle haben sie mitgetragen. ({12}) - Das stimmt; die Linke hat das nicht mitgetragen. Früher waren wir der kranke Mann Europas. Wenn es nach Ihnen ginge, wäre das wahrscheinlich immer noch so. Aber jetzt erlebt Deutschland ein Jobwunder. Uns ist das lieber. ({13}) Wir haben die Flexibilisierung auf den Weg gebracht; das ist richtig. Aber Flexibilisierung ist etwas anderes als Lohndumping. Wenn man die letzten zehn Jahre betrachtet, dann sieht man, dass die Lohnspreizung in Deutschland größer geworden ist. Das heißt, die unteren Einkommen haben stagniert; sie sind zum Teil gesunken. Wir sehen vor allem, dass die Tarifbindung sehr viel schwächer geworden ist. In den neuen Bundesländern sind nur noch 40 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Wir alle sind der Meinung, dass derjenige, der anständig arbeitet, anständig bezahlt werden muss. ({14}) Das hat lange gut funktioniert, weil die Tarifparteien in Deutschland stark waren, weil die Arbeitgeber für ihre Interessen aufgestanden sind und weil die Gewerkschaften für ihre Beschäftigten aufgestanden sind. Das war gut. Das ist etwas, womit die deutsche soziale Marktwirtschaft erfolgreich war. Wenn das jetzt nicht mehr ohne Weiteres funktioniert, dann müssen wir einen Rahmen schaffen, damit das wieder funktioniert. ({15}) Es gibt keine Freiheit ohne Regeln. Es gibt keinen Markt ohne Regeln. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam an diesen Regeln arbeiten. ({16}) Wir meinen, anders als Sie, dass wir den Mindestlohn -

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Bundesministerin, Sie hätten jetzt noch eine Chance, die Redezeit zu verlängern. Die Frau Kollegin Zimmermann möchte Ihnen nämlich eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Hoffentlich zum Mindestlohn. - Gut, denn sonst wird es zu viel.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön, Frau Kollegin Zimmermann. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Frau Ministerin, sind Sie mit mir der Meinung, dass wir in den letzten zehn Jahren einen enormen Wandel am Arbeitsmarkt vollzogen haben, dass die Tendenz weg von gut bezahlter, tariflich entlohnter Arbeit hin zu prekärer Beschäftigung geht? Ich will Ihnen dazu noch einige Zahlen nennen, die Ihr Ministerium mir geliefert hat: Wir haben 7,5 Millionen Minijobber; 2,4 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Zweitjob; es gibt 830 000 Leiharbeiter. Sie wissen genau, dass diese Kolleginnen und Kollegen bis zu 50 Prozent weniger verdienen als die Stammbelegschaft. Ich möchte Ihnen noch eine Zahl nennen: Es gibt 2,25 Millionen Menschen, die unter 6 Euro pro Stunde verdienen. Sind Sie mit mir der Meinung, dass wir hier einen Wandel am Arbeitsmarkt vollzogen haben, der dramatisch ist, und dass die Sozialausgaben in eine immense Höhe getrieben werden, weil die Leute von ihrem Geld nicht mehr leben können, wodurch Ihr Ministerium zusätzlich belastet wird?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ich bin nicht Ihrer Meinung, dass es sich am Arbeitsmarkt zum Schlechteren entwickelt hat. Im Gegenteil: Mehr Menschen haben Arbeit. Die Lohnsumme insgesamt und auch die Renten sind gestiegen. Unsere Politik war erfolgreich. ({0}) Ich bin der Meinung, dass wir die Ausreißer nach unten betrachten müssen; das habe ich eben dargelegt. Auch das ist ein Signum der sozialen Marktwirtschaft: Wenn alle erfolgreich mitarbeiten, müssen auch alle am Erfolg teilhaben. Wenn dies in den unteren Einkommensgruppen und dort, wo es weiße Flecken gibt, nicht mehr ohne Weiteres gilt, dann müssen wir einen neuen Rahmen stecken. Ich bin - anders als Sie - der Meinung, dass es nicht Aufgabe des Parlaments ist, die Frage nach der Höhe der Lohnuntergrenze für die weißen Flecken zu beantworten.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Frau Bundesministerin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ich komme zum Schluss. Ich beantworte aber noch die Zwischenfrage.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Seien Sie so nett und kommen Sie zum Schluss. Sonst müssen wir die Debatte insgesamt verlängern, Frau Bundesministerin. Das wollen Sie sicherlich nicht.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Jawohl, ich mache es kurz. - Ich möchte nicht, dass hier im Parlament über die Höhe der Lohnuntergrenze diskutiert wird. Frau Hagedorn hat von 8,50 Euro und die Linken haben von 10 Euro gesprochen. Wir sagen: Es ist Aufgabe der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, dies festzulegen. Lassen Sie uns eine Kommission schaffen, in der das ausgehandelt wird. Dann haben wir einen fairen, richtigen Mindestlohn. Den wollen wir gemeinsam erarbeiten. Vielen Dank, Herr Präsident. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Ilja Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, Sie sind diejenige in der Regierung, die die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention für alle Ressorts koordinieren soll. Ich hatte Sie schon in der ersten Lesung gefragt, wie sich das im Haushalt, der nichts anderes als in Zahlen gegossene Politik sein soll, widerspiegelt. Sie haben mir damals gesagt, Sie wüssten gerade die Zahlen nicht, aber in allen Ministerien und in allen Haushalten seien Gelder dafür zu finden. Vielleicht weil ich des Lesens nicht kundig bin - ich habe ja nur ein DDR-Abitur -, habe ich die passenden Zahlen nicht gefunden. Können Sie mich aufklären, wo diese Zahlen im Haushalt Ihres Ministeriums und in den Haushalten der anderen Ministerien zu finden sind?

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Bitte schön, Frau Bundesministerin.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Wir machen Folgendes: Wir stellen für Sie alle Zahlen aus dem Ministerium zusammen. Insgesamt handelt es sich im Bereich Behindertenpolitik um mindestens zweistellige Milliardenbeträge. Allein in meinem Haushalt ist ein beträchtlicher Betrag dafür verankert. Wie Sie sicherlich wissen, ist auch für den Pflegebereich ein großer Betrag eingestellt. Das Arbeitsministerium ist im Rahmen des Nationalen Aktionsplans vor allem für das Thema Arbeit zuständig. In den letzten Jahren hat sich die Quote der Menschen mit Behinderungen, die in Arbeit sind, erhöht. Wie Sie wissen, wollen wir das 5-Prozent-Ziel erreichen. 2002 waren nur 3,8 Prozent Menschen mit Behinderungen in Betrieben beschäftigt. Diese Quote ist inzwischen auf 4,5 Prozent gestiegen. Das heißt, wir sind auf dem richtigen Weg. Wir kommen an das 5-Prozent-Ziel, das wir uns als Gesellschaft gesetzt haben, heran. Ich weise aber auch deutlich darauf hin, dass diese Quote im letzten und in diesem Jahr nicht mehr gestiegen ist, sondern stagnierte. Die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderungen stagniert in diesem Jahr bei 174 000 und sinkt nicht wie die allgemeine Arbeitslosigkeit. Das ist einer der Gründe, warum wir jetzt die mit 100 Millionen Euro ausgestattete und auf vier Jahre angelegte „Initiative Inklusion“ vor allem zur Förderung arbeitsloser Jugendlicher mit Behinderungen starten, um so die Integration in Ausbildung und Arbeit zu stärken. Wir wollen mit diesem Programm gezielt 4 000 Arbeitsplätze für ältere Menschen mit Behinderungen und 1 300 Ausbildungsplätze für junge Menschen mit Behinderungen schaffen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich habe nur ein Schlaglicht auf die Arbeit geworfen, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales konsequent leistet. Wir sind auf dem richtigen Weg. Aber im Augenblick steht zu viel still. Wir müssen besser werden. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Wir setzen die Debatte regulär fort. - Für die Sozialdemokraten hat das Wort unser Kollege Hubertus Heil. Bitte schön, Kollege Hubertus Heil. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau von der Leyen, vielleicht täte es diesem Haus einmal ganz gut, wenn wir in der Debatte über den Arbeitsmarkt in Deutschland weder den Fehler machten, alles durch die rosarote Brille zu betrachten - den begehen Sie quasi aus regierungsamtlicher Notwendigkeit -, noch den Fehler, alles undifferenziert zu sehen und so zu tun, als hätte sich an der einen oder anderen Stelle nicht etwas zum Positiven verändert. Ich glaube, wir brauchen einen realistischen Blick auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Deutschland. ({0}) Ein realistischer Blick legt Folgendes nahe: Ja, es ist richtig, Deutschland ist, was die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angeht, besser durch die Wirtschafts- und Finanzkrise gekommen als andere Volkswirtschaften in Europa, aber nicht unbedingt wegen Frau von der Leyen. Wir sind zum Beispiel deshalb besser durch die Krise gekommen, weil wir in der Großen Koalition mit den Kurzarbeitsregelungen die richtigen Maßnahmen ergriffen haben, weil Deutschland im Gegensatz zu anderen Volkswirtschaften ein industrielles Rückgrat hat. ({1}) Das ist eine gute Nachricht. Es ist auch richtig: Wir haben die Chance, in den nächsten Jahren einen Durchbruch am Arbeitsmarkt zu erzielen und langfristig Arbeitslosigkeit zu überwinden, auch durch die demografische Entwicklung. Aber das kommt nicht von allein, Frau von der Leyen. Realität in Deutschland ist auch, dass die Entwicklung im Moment auf einen tief gespaltenen Arbeitsmarkt hinausläuft. Auf der einen Seite werden aufgrund veränderter Qualifikationsanforderungen in den Betrieben durch technischen und wissenschaftlichen Fortschritt und aufgrund des veränderten Altersaufbaus tatsächlich immer mehr Unternehmen händeringend nach Fachkräften rufen, und auf der anderen Seite haben wir einen Sockel verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit. Diesen Sockel gilt es eigentlich aufzubrechen. Die vom Arbeitsmarkt dauerhaft abgehängten Menschen hängen Sie mit dem, was Sie hier mit diesem Haushalt durchziehen, noch weiter ab; das muss man feststellen. ({2}) Die Kollegin Pothmer und auch die Kollegin Hagedorn haben Ihnen das an diesem Punkt vorgerechnet. Frau von der Leyen, Sie sind ja eine Meisterin des schönen Wortes; ({3}) das bestreitet in diesem Hause niemand. Wenn ich mir anschaue, inwieweit Worte und Taten, Reden und Handeln bei Ihnen zusammenpassen, stelle ich fest, dass das alles meilenweit auseinanderklafft. Ich kann Ihnen an drei Beispielen deutlich machen, dass wir so nicht vorankommen: Das erste Beispiel. Sie reden ständig von einer Vermittlungsoffensive - das haben Sie auch eben wieder getan -, zum Beispiel für die Gruppe der alleinerziehenden Frauen, die unter den Langzeitarbeitslosen nachweislich eine ganz große Gruppe ist; das sind Frauen, die es besonders schwer haben. ({4}) Und was machen Sie? Sie streichen die Maßnahmen zusammen, die notwendig sind, um diesen Frauen zu helfen. Wenn man einfach sagen könnte: „Wir haben jetzt die Situation, um alle Betroffenen ganz schnell auf den ersten Arbeitsmarkt zu bringen“, ({5}) wäre das wünschenswert. Ich sage Ihnen: Menschen, die langzeitarbeitslos sind, die drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun Jahre arbeitslos sind, brauchen begleitende Hilfen und eine aktive Arbeitsmarktpolitik, damit sie auf den ersten Arbeitsmarkt kommen können. So wird ein Schuh daraus! ({6}) Das andere hat mit der Realität dieser Menschen nichts zu tun. Diese Frauen brauchen begleitende Hilfen, Frau von der Leyen, und Sie lassen diese Frauen im Stich. Reden und Handeln passen bei Ihnen nicht zusammen. ({7}) - Sehr gern. Ein zweites Beispiel gefällig? Frau von der Leyen, Sie reden mit Vorliebe vom Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ich höre vieles, was Sie sagen, richtig gern, weil ich feststelle: Da passt sich eine kluge Frau nach vielen Jahren konservativer Blockade Schritt für Schritt den gesellschaftlichen Realitäten hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie an. Aber dann lassen Sie zu, dass diese Regierung, der Sie angehören, ein sogenanntes Betreuungsgeld auf den Weg bringt, ({8}) eine Fernhalteprämie: Frauen werden vom Arbeitsmarkt und Kinder von Bildungschancen ferngehalten. Auch wenn das nicht in Ihre unmittelbare Ressortzuständigkeit fällt, sondern Ihre geliebte Kollegin Schröder betrifft, muss ich Ihnen sagen: Als Sozialministerin haben Sie die Verantwortung, die Chancen der Kinder in diesem Land und die Chancen der Frauen am Arbeitsmarkt zu verbessern und den Unsinn mit der Fernhalte17076 Hubertus Heil ({9}) prämie aufzuhalten. Auch da sind Sie verantwortlich; aber Sie sagen nichts dazu. ({10}) Drittens. Frau Ministerin von der Leyen, es geht auch um die Ordnung am Arbeitsmarkt. Es ist richtig, dass wir am Arbeitsmarkt beides brauchen: Flexibilität und Sicherheit. Flexibilität ist in vielen Bereichen vorhanden, und sie ist auf einem veränderten Arbeitsmarkt auch notwendig. Aber Sicherheit ist in vielen Bereichen nicht mehr vorhanden. Die janusköpfige Entwicklung der letzten Jahre ist - wir müssen das offen einräumen -: Es gibt eine positive Entwicklung; die Arbeitslosenzahlen sind zurückgegangen. Aber wir können und dürfen die Augen nicht davor verschließen - das sage ich bewusst auch selbstkritisch -, dass sich in vielen Jahren die Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen so verfestigt hat, dass Menschen diese Arbeitsverhältnisse nicht als Brücke aus der Arbeitslosigkeit über eine unstetige Beschäftigung in eine ordentliche Beschäftigung erleben, sondern als Dauerzustand. ({11}) Wir erleben auch, dass die Ausweitung bei den prekären Arbeitsverhältnissen dazu führt, dass das Ganze zum Drücken von Löhnen missbraucht wird. Frau von der Leyen, wenn Sie von den guten Chancen der Jugendlichen reden, haben Sie recht: Im Vergleich zu Spanien und Griechenland haben wir eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit; das ist ein Erfolg. Aber viele Jugendliche erleben in diesem Land auch, dass sie trotz guter Ausbildung viele Jahre lang gezwungen sind, sich mit Praktika, befristeten Arbeitsverträgen, Zeit- und Leiharbeit durchzuhangeln. ({12}) In einer Phase, wo viele junge Leute beispielsweise das Bedürfnis haben, eine Familie zu gründen, ihr Leben in Ordnung zu bringen, erleben sie, dass sich ihre Leistung, ihr Einsatz nicht lohnen. Ich sage Ihnen: Da reichen schöne Worte nicht aus. Das sage ich auch mit Blick auf das Thema Mindestlohn. Frau von der Leyen, es war ein erstaunlicher Parteitag, den Sie hatten. Ich weiß, wie man Parteitage organisiert; Sie wissen das. Aus alter Verbundenheit sage ich Ihnen: Super organisiert! Am Ende des Tages ist aber materiell gar nichts passiert, gar nichts herausgekommen. ({13}) Wenn man sich Ihren Beschluss anschaut und sich dann vor Augen führt, was Sie eben erzählt haben, dann muss man sagen: Entweder war das nicht von Sachkenntnis geprägt, oder Sie versuchen, den Leuten etwas vorzumachen. Sie sagen: Wir wollen tarifvertragliche Mindestlöhne über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Ich sage: Das ist bereits möglich. Wir könnten diese Möglichkeit ausbauen, indem wir im Arbeitnehmer-Entsendegesetz mit einem Satz klarmachen, dass dort jede Branche aufgenommen werden kann. Dann müssten wir Ihnen - gegen den Widerstand der FDP - nicht jede Branche mühsam abringen. Angesichts der Vetoakteure könnten wir auch dafür sorgen, dass die Ausweitung leichter in Kraft gesetzt werden kann. Wir könnten das Instrument der tarifvertraglichen Mindestlöhne über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz also ausbauen; aber im Prinzip gibt es das schon. Dann sagen Sie: Wo es keine Tarifverträge gibt, setzen wir eine Kommission ein; dann kann die sich etwas Schönes ausdenken. - Im Grunde ist das die Beschreibung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes, und auch das gibt es schon. ({14}) Aber es funktioniert halt nicht. ({15}) Deshalb sage ich Ihnen eines: Sie müssen Schritt für Schritt deutlich nachweisen, dass Ihren schönen Interviews auch Taten folgen. ({16}) Dieses Hohe Haus, Frau von der Leyen, wartet nicht auf Ihre Interviews, sondern darauf, dass Sie als zuständige Ministerin für Arbeit und Soziales dem Deutschen Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit einen Gesetzentwurf vorlegen. Dann werden wir wissen, ob Sie es wirklich ernst meinen. Ich prophezeie Ihnen: Dadurch, dass Ihre Freunde wie Herr Fuchs, Herr Lauk und wie sie alle heißen Ihren Beschluss so interpretieren, dass sich gar nichts tut, dadurch, dass Herr Laumann sagt: „Wir machen den Sack zu, egal, was drin ist“, und dadurch, dass eine FDP, die aufgrund ideologischer Fixierung in Sachen Mindestlohn keinen Deut nachgeben wird, die sich in einem Existenzkampf befindet und aus Gesichtswahrungsgründen keinen Schritt mitgeht, wird diese Regierung dazu nicht in der Lage sein. ({17}) Ich finde das bedauerlich. Denn ich sage Ihnen auch: Ich würde es gerne sehen, dass wir uns im nächsten Wahlkampf über andere Themen streiten. ({18}) Ich fände es schön, wenn wir im Interesse der arbeitenden Menschen in diesem Land einen Mindestlohn einführen. Vorrang sollen die tarifvertraglichen Mindestlöhne haben, aber es soll auch eine gesetzliche Lohnuntergrenze in Deutschland geben, damit Menschen von ihrer Arbeit leben können. ({19}) Mit Blick auf den Haushalt will ich Ihnen sagen, Frau von der Leyen: Wenn Sie Kraft und Mut hätten, dann hätten Sie hier einen Haushalt vorgelegt, der es sich nicht so leicht macht, bei den Schwächsten der Schwachen zu kürzen. Sie hätten sich für einen Mindestlohn starkmachen müssen, der im Übrigen auf den GesamtHubertus Heil ({20}) haushalt, auf die Sozialversicherungskassen und auf die Ausgaben, die wir im Moment für aufstockende, ergänzende Arbeitslosengeld-II-Leistungen haben, sowie durch die Steuereinnahmen auch auf der Einnahmeseite positive Effekte gehabt hätte. Eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, das ist das Gebot der Stunde. Gemessen daran kann ich nur eines feststellen: Sie sind ohne Zweifel stark in schönen Worten, aber Sie sind schwach in konkreten Taten. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland, die arbeitslosen Menschen und auch die Wirtschaft haben in diesem Ressort etwas Besseres verdient als eine reine Ankündigungsministerin. Herzlichen Dank. ({21})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Kollege Hubertus Heil. - Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Dr. Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Dr. Kolb. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Opposition hier so viel schlechte Stimmung verbreitet hat, ({0}) will ich mit einer guten Nachricht beginnen: Das Ifo-Institut hat heute Morgen bekannt gegeben, dass der IfoIndex überraschend von 106,4 auf 106,6 Punkte gestiegen ist. Insbesondere die Geschäftserwartungen für die nächsten sechs Monate haben sich deutlich verbessert. Ich finde, das ist eine gute Nachricht für die Menschen in diesem Lande und auch für den Arbeitsmarkt in diesem Lande. ({1}) Der zweite Punkt, den ich gern erwähnen möchte: Wir haben ja in diesen Tagen eine Art Halbzeitbilanz zu ziehen. Mit dem heutigen Tag liefert die schwarz-gelbe Koalition ihr drittes Großprojekt im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit ab. Nach der Jobcenterreform und der Regelsatzreform werden wir heute in diesem Hause die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente abschließend auf den Weg bringen. Ich bin sicher, der Bundesrat wird das nach den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss am Ende der Woche ebenfalls tun. Damit ist klar: Wir haben in diesem Bereich, in dem es darum geht, Zukunftschancen für die Menschen zu schaffen, die Instrumente verbessert, zielgerichteter gemacht, die Entscheidungsfreiheiten vor Ort verbessert. ({2}) Durch die Überarbeitung der Strukturen haben wir auch Effizienzgewinne, die Sie in Ihre Bilder aufnehmen sollten, Frau Hagedorn, um sozusagen up to date zu sein. ({3}) Der dritte Punkt, den ich ansprechen will, ist die Situation bei der Rente. Als Vertreter der FDP, als Liberaler, wird man hier mitunter belächelt, wenn man Sätze der Art sagt: Das Beste, was wir für die Menschen und insbesondere für die Rentner in diesem Lande tun können, ist, dafür zu sorgen, dass es eine gute, starke wirtschaftliche Entwicklung gibt. - Bei einem solchen Satz feixt Links und sagt: Na ja, die Liberalen. ({4}) Wir haben eine gute, eine starke wirtschaftliche Entwicklung. Die Zahlen sind genannt worden: Rekordstand bei der Erwerbstätigkeit, Rekordstand bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, Niedrigstand bei der Arbeitslosigkeit. Diese wirtschaftliche Entwicklung führt dazu, dass sich auch die Einnahmen aus den Rentenversicherungsbeiträgen sehr, sehr positiv entwickeln. Deswegen können wir zwei Dinge tun, wir können sie sogar gleichzeitig tun: Wir können erstens - absehbar zum 1. Juli nächsten Jahres - die Renten der Menschen um 2,3 Prozent in Westdeutschland ({5}) und sogar um 3,2 Prozent in den neuen Bundesländern erhöhen, Herr Birkwald. Das ist eine gute Nachricht für die Menschen, weil sie damit auch von der starken wirtschaftlichen Entwicklung profitieren. Ich habe immer gesagt: Rentner und aktiv Beschäftigte sitzen in einem Boot. Das wird im nächsten Jahr bei den Rentenerhöhungen, die wir dann liefern können, besonders deutlich. ({6}) Und wir können ein Zweites tun: Wir können zusätzlich die Rentenbeiträge senken, in 2012 um 0,3 Prozent und wahrscheinlich in 2013 noch einmal um weitere 0,6 Prozent. ({7}) Manche von Ihnen neigen wieder dazu, das zu marginalisieren, indem Sie sagen, das ist nur soundso viel pro Kopf. - Das mag sein, aber in der Summe ist das ein Konjunkturimpuls in Höhe von rund 9 Milliarden Euro, der zusätzlich in unsere Volkswirtschaft gegeben wird. Das heißt, wir haben die Chance, hierdurch einen selbstverstärkenden Prozess auszulösen. In einer Situation, in der sich viele Menschen Sorgen um die Konjunktur machen, sehen wir nicht tatenlos zu, sondern wir nutzen auch die Möglichkeiten, die in unseren Sozialversicherungen stecken, um unmittelbar wirksame Nachfrage zu generieren. Auch das ist eine gute Nachricht, meine Damen und Herren. ({8}) Ich möchte zum Schluss noch etwas zum Thema Mindestlohn sagen. Herr Heil, damit hier überhaupt kein Zweifel bestehen bleibt: Die FDP ist für faire Löhne. Sie ist für faire Löhne, die erstens die Interessen der Menschen berücksichtigen, die hart arbeiten, die zweitens auch auf die Unternehmer in Deutschland Rücksicht nehmen, die in der weit überwiegenden Zahl aus dem Mittelstand kommen und den Bestand ihres Unternehmens sowie ihre Arbeitsplätze im Blick haben müssen, und die vor allen Dingen drittens - das wird oft vergessen, aber das darf nicht vergessen werden - Langzeitarbeitslosen eine Chance für die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt bieten. Bei der Umsetzung dieses Ziels „faire Löhne“ setzen wir in erster Linie auf die Tarifautonomie. Ich bin nicht der Meinung, dass die Zahlen hier so schlecht sind. Nach unserer Kenntnis, die auf Auskünften des IAB-Betriebspanels beruht - veröffentlicht von der vollkommen unverdächtigen Böckler-Stiftung, dem Böckler-Tarifarchiv -, sind 80 Prozent der Arbeitsverhältnisse in Deutschland unverändert tarifgebunden: 60 Prozent direkt und 20 Prozent durch Bezugnahme auf Tarifverträge. In Bereichen, wo es keine Tarifbindung gibt, haben wir, also vor allen Dingen Schwarz-Gelb - das muss man hier einmal sagen -, durch das Tarifvertragsgesetz und das ArbeitnehmerEntsendegesetz die Möglichkeit geschaffen, branchenund regionalspezifische Mindestlöhne festzusetzen. Das geschieht auch in einer Vielzahl von Fällen. Dann bleiben nur noch ganz wenige weiße Flecken, Herr Kollege Heil. ({9}) Und auch da ist das nicht bodenlos, sondern da gibt es Auffanglinien wie etwa die Sittenwidrigkeit von Beschäftigung und das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Mich wundert etwas, dass Sie, der Sie sozusagen - wenn ich das damals richtig beobachtet habe - der Schöpfer des Mindestarbeitsbedingungengesetzes sind, sich einfach hier so hinstellen -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kolb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil? Das würde Ihnen natürlich die Chance geben, Ihre Redezeit zu verlängern.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich sehe das. Vielleicht höre ich erst zu, dann kann ich meine weiteren Ausführungen vielleicht in die Antwort mit reinpacken. - Bitte sehr, Herr Kollege Heil.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte Ihnen als Erstes sagen, dass ich das Mindestarbeitsbedingungengesetz nicht erfunden habe, sondern das wurde zu Zeiten Konrad Adenauers erfunden. Damals war ich noch nicht mit dabei.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, natürlich die moderne Fassung, die aktuelle Fassung!

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber ich gebe Ihnen recht, dass die Große Koalition versucht hat, das Gesetz gängiger zu machen. Wir müssen heute aber feststellen, dass kein Mindestlohn darüber festgesetzt worden ist. Deshalb sage ich Ihnen: Es geht um die weißen Flecken - ohne Frage -, wo es keine Tarifbindung gibt. Ich bitte Sie aber, auch zur Kenntnis zu nehmen, dass wir auch in Bereichen Probleme haben, wo es sogenannte Tarifverträge gibt, indem nämlich Stundenlöhne von 3,18 Euro pro Stunde und Ähnliches festgelegt wurden. Das ist deshalb so, weil in diesen Bereichen leider Gottes Gewerkschaften, aber auch Arbeitgeber nicht mehr so mobilisieren, dass man zu vernünftigen Lohnaushandlungsprozessen kommt. Wir sind für den Vorrang der Tarifautonomie, aber Sie dürfen die Augen nicht davor verschließen, das die Tarifautonomie in den Bereichen mit den weißen Flecken, aber auch in einigen formal tarifgebundenen Bereichen nicht mehr funktioniert, mit dem Ergebnis, das 3,18 Euro gezahlt werden und sich die Menschen ergänzendes Arbeitslosengeld II holen müssen, obwohl sie Vollzeit arbeiten. Das ist der Punkt, vor dem Sie die Augen verschließen. Deswegen können Sie sich nicht hinstellen und sagen: Irgendwie sind wir auch für faire Löhne. Das reicht nicht aus. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Heil, ich weiß, dass das Mindestarbeitsbedingungengesetz schon 1952 ({0}) geschaffen wurde, aber es ist unter der Ägide der Großen Koalition in der letzten Legislaturperiode sozusagen runderneuert worden. Bis dahin war es ja in einem Dornröschentiefschlaf. Sie haben es runderneuert. Ihr Ansatz war doch, damit alle Probleme lösen zu können. Zu dem Zeitpunkt waren Sie schon dabei; da müsste ich mich sehr täuschen, wenn ich das falsch beobachtet hätte. Ein zweiter Aspekt zu diesem Thema: Das Mindestarbeitsbedingungengesetz hat deswegen keine Mindestlöhne geliefert, weil praktisch keine Anträge gestellt worden sind. Seit der Novellierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes gab es nur einen einzigen Antrag. Sie werden doch zugestehen müssen: Wo es noch nicht einmal einen Antrag gibt, kann es am Ende auch keine Ergebnisse geben. ({1}) - Nein, das unterstreicht doch meine Einschätzung, dass wir in Deutschland im Großen und Ganzen eine Situation haben, in der von den Tarifpartnern auskömmliche Löhne vereinbart werden. Dritter Punkt. Auch ich kenne Zahlen über Tariflöhne, bei denen ich mich wundere. Da gehe ich die Sache aber anders an als Sie. Ich hätte nie gedacht, dass ich hier im Plenum des Deutschen Bundestages einmal die Tarifautonomie vor der SPD verteidigen muss. ({2}) Ich bin nicht bereit, die Tarifpartner aus ihrer Verantwortung zu lassen. ({3}) Aus guten Gründen steht die Tarifautonomie im Grundgesetz. ({4}) - Wenn es nicht funktioniert, dann liegt es daran, dass entweder die Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer oder beide die Aufgabe nicht ernst genug nehmen. ({5}) Dann muss man sie aber auch ermahnen, dies zu tun. Es ist vorrangig und in allererster Linie Aufgabe der Tarifparteien, diese Aufgabe zu lösen. Die Politik kommt erst nachrangig zum Zug. Ich glaube insofern, dass es keinen Bedarf für einen Mindestlohn gibt. Lassen Sie mich Ihnen zwei Argumente nennen. Zum einen - das hat die Kollegin Winterstein hier sehr deutlich gesagt -: Aufstocken findet bei vollzeitarbeitenden Alleinstehenden nur in ganz seltenen Fällen statt. ({6}) Wo die Familienverhältnisse dazu führen, dass der Lohn den Bedarf nicht deckt, haben Sie - Rot-Grün - selbst entschieden, dass dann aufgestockt werden soll. Mindesteinkommen statt Mindestlohn - das halte ich für das richtigere Rezept. Zum anderen möchte ich an Folgendes erinnern: Viele in diesem Hause haben vor wenigen Monaten, vor dem 1. Mai 2011, gesagt: Wir brauchen in Deutschland deshalb Mindestlöhne, weil ansonsten der deutsche Arbeitsmarkt von Billiglohnkräften überrollt wird. Sechs Monate später kann man sagen: Stell dir vor, es ist Freizügigkeit, und keiner kommt her. Es gibt keinen statistisch nachweisbaren Effekt, dass Arbeitskräfte aus Osteuropa nach Deutschland gekommen wären und hier sozusagen Lohndumping betrieben worden wäre. Sie haben da eine Sau durchs Dorf getrieben, die jeglicher realen Grundlage entbehrte. ({7}) Wir sollten deshalb jetzt nicht in Aktionismus verfallen, sondern sehr nüchtern das Thema angehen. Ich kann nur sagen: Wir beobachten das Ganze sehr genau. Wir haben immer gesagt, wir sind zum Handeln bereit. Wenn es erforderlich ist, werden wir darüber sprechen. Bis dato sehen wir diese Notwendigkeit jedenfalls nicht. Danke. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Hinz das Wort.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau von der Leyen, Sie haben kritisiert, dass meine Kollegin Pothmer die soziale Situation so schlechtreden würde. Sie müssen aber schlicht und einfach zur Kenntnis nehmen, dass das Sparpaket der Bundesregierung lediglich in Ihrem Etat umgesetzt wurde. ({0}) Alleine in Ihrem Etat finden die Kürzungen statt, egal ob bei den Rentenbeiträgen für ALG-II-Empfänger, ob beim Elterngeld für ALG-II-Empfänger, ob bei den Heizkostenzuschüssen oder bei der Eingliederungsleistung. ({1}) All das findet in Ihrem Etat statt; die anderen Etats sind vom Sparpaket nicht betroffen. ({2}) Das können Sie nicht negieren und auch nicht einfach weglächeln. ({3}) Es hat überhaupt niemand etwas dagegen, dass Verbesserungen der konjunkturellen Lage positive Effekte auf den Haushalt haben. Im Gegenteil: Das finden wir gut. Aber strukturelle Entscheidungen für Sozialabbau finden wir schlecht. Das muss verhindert werden. ({4}) Es handelt sich eben um keine konjunkturelle, sondern sozusagen nur um eine strukturelle Entlastung, wenn man die Eingliederungsleistungen um mehr als 20 Prozent kürzt, obwohl die Zahl der Hartz-IV-Empfänger nur um 4 Prozent zurückgeht. Das führt dazu, dass Langzeitarbeitslose nicht so qualifiziert werden können, dass sie im ersten Arbeitsmarkt unterkommen können. Das ist das Problem. Sie können hier gerne über Fachkräftemangel reden; aber reden allein hilft nicht. Sie müssen auch Geld in die Hand nehmen und etwas gegen den Fachkräftemangel tun. ({5}) Priska Hinz ({6}) Auch die Bundesagentur für Arbeit wird durch strukturelle Entscheidungen weiter belastet: Sie bekommt die Kosten für die Grundsicherung im Alter aufgebürdet. Das bedeutet, dass die Beitragszahlerinnen und -zahler bis zum Jahr 2015 mit über 12 Milliarden Euro an diesen Kosten beteiligt werden; so viel wird auf die Beitragszahler umgewälzt. ({7}) Frau Merkel stellt sich als Bundeskanzlerin auf dem Deutschen Arbeitgebertag hin und sagt: Wenn sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, werden wir das Kurzarbeitergeldprogramm sofort wieder auflegen. ({8}) Da Sie die BA jetzt so plündern, möchte ich doch einmal wissen: Mit welchem Geld eigentlich? ({9}) Wenn Sie schon nicht auf die Grünen hören: Auch die Bundesbank hat kritisch angemerkt, ({10}) dass die Ausgaben der BA nicht über den Konjunkturzyklus zu finanzieren sind, wenn Sie der BA einen halben Prozentpunkt aus der Mehrwertsteuer wegnehmen. Diese Entscheidung hat die schwarz-gelbe Koalition im Haushaltsausschuss leider nicht revidiert. Meine Damen und Herren, die Ministerin spricht hier über Altersarmut; aber ihr Konzept ist schon im Ansatz gescheitert. Frau Ministerin, was nützt es, wenn Sie hier sagen: „Der Altersarmut muss man entgegenwirken; man muss den Menschen helfen, die nicht 40 Jahre am Arbeitsmarkt erwerbstätig sein konnten, die unterbrochene Erwerbsbiografien haben, die niedrige Einkommen haben“? Gerade diese Zielgruppe wird doch von Ihrem Konzept überhaupt nicht erfasst. ({11}) Das ist doch das Problem: Sie machen immer Vorschläge über Vorschläge, aber diese sind nicht zielgerichtet an den Gruppen orientiert, die tatsächlich Unterstützung brauchen. Wir sind gespannt, welche Änderungen sich hier noch ergeben werden. Leider ist von der Koalition in dieser Hinsicht überhaupt nichts zu hören. Sie tragen alles mit - wie die Lämmer -, was Ihnen Frau von der Leyen vorsetzt. Das finde ich besonders bedauerlich. Eigentlich könnte man von Abgeordneten erwarten, dass sie eigene Vorstellungen haben, ({12}) dass sie die Regierung nicht nur kontrollieren, sondern vielleicht auch umorientieren. Aber hier ist von Ihnen wirklich überhaupt nichts mehr zu erwarten. ({13}) Meine Damen und Herren, die Koalition versagt mit dem vorliegenden Haushalt vielen Menschen eine angemessene soziale und kulturelle Teilhabe. Die Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes um 10 Euro kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Regelsatz schlicht und einfach falsch berechnet ist; das können Sie mit diesem Inflationsausgleich in Höhe von 10 Euro nicht aus der Welt schaffen. Wir haben Ihnen gezeigt, wie es, auch wenn man den Regelsatz erhöht, die Eingliederungsleistungen verbessert und die BA stärkt, trotzdem möglich ist, die Nettokreditaufnahme zu senken. Wir würden nämlich ein Sparpaket so im Haushalt verankern, dass alle Menschen ausgewogen belastet werden, und zwar auch die Unternehmen, nicht einseitig nur die sozial Schwachen. Wenn wir dann noch einen gesetzlichen Mindestlohn auf den Weg bringen könnten, dann gäbe es auch für den Arbeits- und Sozialetat tatsächlich eine strukturelle Entlastung. Zu solchen Entscheidungen sind Sie leider nicht fähig. Deswegen müssen wir den Etat ablehnen. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Karl Schiewerling für die Unionsfraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Debatte heute anhört, meint man in der Tat, man sei in einem völlig fremden Land. Ich darf Ihnen sehr deutlich sagen: Zwei Jahre christlich-liberale Koalition haben unser Land und seine Menschen nach vorne gebracht. Wir sind aus der letzten, übrigens durch eine Finanzkrise entstandenen Wirtschaftskrise besser herausgekommen. ({0}) Wir müssen aber aufpassen und alles tun, damit das, was sich am Horizont abzeichnet, nicht auf Deutschland durchschlägt und Beschäftigung in der jetzigen Form erhalten bleibt bzw. sich weiter positiv entwickelt. Wir sorgen weiterhin für soziale Sicherheit, geben Perspektive und übernehmen Verantwortung für die Menschen. Ich glaube, dass Kritik angesichts der Tatsache, dass wir mit die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa haben, ganz schnell weggebügelt werden kann. Frau von der Leyen hat die Zahlen gerade dargelegt. Man kann sagen: Das alles ist Unfug und nicht richtig, wir brauchen all das nicht. Ich entgegne Ihnen: Ich habe die heftigen Auseinandersetzungen in den 80er-Jahren darüber erlebt, wie man junge Menschen in Beschäftigung bzw. Ausbildung bringen kann. Mir ist lieber, wir haben ein Überangebot an Ausbildungsstellen, sodass junge Menschen nachgefragt werden und untergebracht werden können, als dass wir mehr junge Menschen haben, als uns Ausbildungsstellen zur Verfügung stehen. In einer solchen Situation sind wir lange nicht mehr gewesen. ({1}) Sicherheit ist unsere Zielsetzung auch in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Wir haben sie in der Vergangenheit verwirklicht, wir werden sie auch im kommenden Jahr weiter verwirklichen. Gerade haben wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente neu organisiert. Der Vermittlungsausschuss hat, wie ich finde, einen vertretbaren Kompromiss gefunden - wir stimmen gleich darüber ab -, mit dem wir gut leben und gut zurechtkommen können. Diese arbeitsmarktpolitischen Instrumente - Kollege Kolb hat gerade darauf hingewiesen - sind der dritte Abschnitt der großen Arbeitsmarktreform, die wir durchgeführt haben. Das wesentliche Merkmal dieser arbeitsmarktpolitischen Instrumente ist, dass mehr Freiheit und mehr Verantwortung vor Ort wahrgenommen werden kann, um den Menschen passgenau und zielgenau zu helfen, wieder in Arbeit und Beschäftigung zu kommen. ({2}) Aber, meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Wir können so viele arbeitsmarktpolitische Instrumente schaffen, wie wir wollen, wir können Hunderte von Milliarden Euro in arbeitsmarktpolitische Programme stecken: Wenn die Arbeitsplätze in der Wirtschaft nicht geschaffen werden, können wir die Leute nicht unterbringen. Dass wir im Augenblick mit unseren Instrumenten Erfolg haben, hängt damit zusammen, dass sie so passgenau wirken, dass die Menschen auch auf dem ersten Arbeitsmarkt unterkommen. Deswegen bitte ich Sie, endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass es 900 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gibt. Das ist ein Aufwuchs, und zwar in einer exzellenten Art und Weise, wie wir ihn seit der Wende nicht mehr gehabt haben. Dadurch sind viele, viele Menschen - und zwar weit mehr als die Hälfte - in Vollzeitbeschäftigung gekommen und haben eine Perspektive bekommen: Hier handelt es sich nämlich um ordentliche und nicht um prekäre Beschäftigung und nicht um Teilzeitbeschäftigung. Ich bin stolz darauf, dass diese Menschen es geschafft haben, einen solchen Weg zu gehen. Ihnen gilt all unsere Anerkennung. ({3}) Meine Damen und Herren, es ist gelungen, durch unsere Wirtschaftspolitik und durch unsere Arbeitsmarktpolitik gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich will das an dieser Stelle sehr deutlich sagen, weil Sie sich mal wieder - das machen Sie ja mit Vorliebe - auf Frau von der Leyen eingeschossen haben. Man kann Frau von der Leyen meinetwegen vorwerfen, sie würde zu viel arbeiten. Das können Sie gerne tun; es stimmt auch. Sie können ihr aber nicht vorwerfen, dass sie in den letzten zwei Jahren nicht mit großem Erfolg die Weichen gestellt hat. All das, was Sie kritisieren, stimmt nicht. Wir haben eine gute Entwicklung im Bereich der Bürgerarbeit. Wir haben eine gute Entwicklung beim Programm „50 plus“. ({4}) Wir haben eine gute Entwicklung bei der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen. Wir haben eine gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Das ist doch nicht vom Himmel gefallen. Da sind die Weichen in den letzten zwei Jahren richtig gestellt worden. Das haben wir in der Koalition gemeinsam mit der Bundesarbeitsministerin getan. Deshalb haben wir auch diesen Erfolg. ({5}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Hinweise zu der von Ihnen erwähnten Mindestlohndebatte geben. Es gibt da einen fundamentalen Unterschied zu Ihnen. ({6}) Mit der Union wird es auf keinen Fall im Deutschen Bundestag einen Wettbewerb über die Höhe eines Mindestlohns geben. ({7}) Meinen Sie denn im Ernst, dass wir Sie losmarschieren lassen, um bei der nächsten Bundestagswahl den nächsten Überbietungswettbewerb zu veranstalten? ({8}) Professor Dr. Müller-Armack, ein großer Nestor der sozialen Marktwirtschaft, hat sehr deutlich gesagt: Gegen einen Mindestlohn ist nichts einzuwenden, solange der Gleichgewichtslohn insgesamt nicht gestört wird. ({9}) Er hat darauf hingewiesen, dass die Einführung eines Mindestlohns auch eine sehr sinnvolle Initiative sein kann. Der Gleichgewichtslohn ist dabei allerdings der entscheidende Punkt. Mit jedem Debattenbeitrag machen Sie jedoch deutlich, dass Sie sich genau dafür nicht interessieren, sondern in einen völlig unbegründeten Überbietungswettbewerb zur Höhe von Mindestlöhnen einsteigen wollen. Das wollen wir nicht. Deswegen haben wir unseren Vorschlag unterbreitet. ({10}) 60 Prozent der Arbeitnehmer haben ordentliche Tarifverträge, weitere 20 Prozent haben ordentliche Beschäftigungsverhältnisse in Betrieben. Ja, es ist richtig, wir haben in manchen Bereichen erhebliche Verwerfungen. Die wollen wir auch abstellen. ({11}) Aber die können wir doch nicht abstellen, indem wir im Deutschen Bundestag über die Höhe eines Mindestlohnes debattieren. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass diejenigen nicht aus der Verantwortung gelassen werden, die für Lohnfindung in Deutschland zuständig sind: Arbeitgeber und Gewerkschaften. ({12}) In diese Richtung zielt auch der Antrag, den wir auf dem CDU-Parteitag diskutiert haben. Grundlegende Intention dabei ist: Die Arbeitgeber und die Gewerkschaften sind für die Tariffindung zuständig. Ich sage Ihnen voraus, dass wir an diesem Punkt weiter arbeiten werden, das ist ganz klar. Wir werden daran arbeiten, ({13}) dass eine Kommission, die sich mit dem Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik beschäftigt, gebildet wird - das ist zumindest meine bzw. unsere Vorstellung -, ({14}) in der Arbeitgeber und Gewerkschaften, die von der Situation betroffen sind und sich in diesem Bereich auskennen, unter entsprechenden Regularien, die noch festzulegen sind, die Dinge selbst regeln. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Schiewerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Krellmann?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich lasse keine Frage zu. ({0}) Schauen Sie auf die Uhr. Wir müssen auf die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bereichen ein bisschen Rücksicht nehmen. Sie wollen auch noch diskutieren. ({1}) Dass es zu fairen Bedingungen kommt, sind wir nicht nur den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schuldig. Es geht auch um faire Bedingungen im Bereich der Wirtschaft. Es geht darum, dass die Betriebe, die sich ordentlich verhalten, nicht dadurch bestraft werden und unter Druck geraten, dass sich andere Betriebe nicht an entsprechende Spielregeln halten. Ich möchte in aller Deutlichkeit fragen: Warum haben wir diese Malaise? Wir haben sie doch in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren nicht gehabt. Wir haben sie auch in den 80er-Jahren nicht gehabt. Deswegen musste auch das Mindestarbeitsbedingungengesetz aus dem Jahre 1952 überhaupt nicht aus der Schublade geholt werden. Kein Mensch hat damals über Mindestlöhne und Lohnuntergrenzen nachgedacht. Wir befinden uns in dieser Situation, weil die Tarifautonomie in vielen Bereichen nicht mehr funktioniert. ({2}) Ich sage deswegen in aller Klarheit: Wir lassen - dazu dient auch der Vorschlag, den wir auf dem CDU-Parteitag diskutiert haben - Arbeitgeber und Gewerkschaften nicht aus dem Schwitzkasten. Sie sind für Löhne zuständig. Sie sollen es richten. Wir setzen dafür den Rahmen; denn - das wurde schon richtig gesagt - dafür sind sie zuständig. ({3}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Sätze zum „Regierungsdialog Rente“ sagen, weil er gelegentlich angesprochen worden ist. Wir halten ihn für richtig. Wir haben 2009 im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir etwas gegen Altersarmut tun wollen. Die Bundesarbeitsministerin hat - was ihre Aufgabe ist und was sie sehr gut gemacht hat - einen Vorschlag in die Debatte hineingebracht. Dieser Vorschlag wird im Augenblick auf breiter Ebene diskutiert. Ich bin mir sicher, dass wir zu guten Ergebnissen kommen. Ich will nicht verheimlichen, dass ich selbst ein Interesse daran habe, dass dem möglichst viele aus diesem Hohen Hause zustimmen können. Frau Kollegin Hinz, wir befinden uns mitten in der Debatte und nicht am Ende. Es geht hier um einen Dialog und nicht um einen Bescheid durch das Bundesarbeitsministerium. So verstehen wir auch unsere Arbeit als Parlamentarier. Ich denke, dass wir gemeinsam zu einem guten Ergebnis kommen werden. ({4}) Lassen Sie mich abschließend auf einen Punkt hinweisen, der uns am Herzen liegt. Die Frage der Inklusion im Bereich der Behindertenarbeit, also die Frage der Integration der Menschen mit Behinderung in unsere Gesellschaft und in das Arbeitsleben, ist in der Tat ein wichtiger und zentraler Punkt. Ich freue mich sehr, dass es uns mit diesem Haushalt gelungen ist, die dauerhafte Förderung der unabhängigen Stelle gemäß Art. 33 der UN-Behindertenrechtskonvention nun tatsächlich zu sichern. Damit beenden wir die Projektsituation, und es kann ordentlich weitergehen. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, ausdrücklich all denjenigen, die sich um die Integration von Behinderten bemühen - hier wird viel Arbeit geleistet, ob ehrenamtlich oder professionell im Bereich der sozialen Einrichtungen -, unseren Behindertenbeauftragten und den entsprechenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesarbeitsministerium für die geleistete Arbeit danken. Ich glaube, dass wir mit diesem Haushalt so, wie wir ihn insgesamt aufgestellt haben, auch in diesem Bereich Akzente setzen. Ich freue mich sehr darüber, dass wir, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiterhin positiv entwickeln, den Menschen und allen, die der Hilfe bedürfen, eine Perspektive geben können. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Krellmann das Wort. Bitte.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Schiewerling, ich habe das Gefühl, dass Sie unseren Vorschlag noch nicht richtig verstanden haben. Wir möchten nicht jedes Jahr immer wieder neu mit Ihnen darüber streiten, wie ein Mindestlohn eingeführt werden sollte. Wir möchten, dass diese Regierung endlich einen Startpunkt setzt, damit Gewerkschaften, Arbeitgeber und Wissenschaftler, die in diesem Bereich arbeiten, das Weitere regeln können. Den Startpunkt müssen wir aber setzen. Wofür sind wir denn gewählt? Über 80 Prozent der Menschen möchten einen Mindestlohn. ({0}) Wir müssen jetzt endlich etwas tun, damit die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände die Chance bekommen, für einen Mindestlohn zu sorgen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort, Kollege Schiewerling.

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Krellmann, ich danke Ihnen herzlich für den Hinweis, dass ich Sie nicht verstanden habe. Das mag sein. Was ich aber verstanden habe, ist, dass Sie schon jetzt wissen, dass 10 Euro dabei herauskommen müssen - das geht bei Ihnen wie in einer Steilkurve schon in Richtung 12 Euro -, und dass Ihre Berechnungsgrundlage so aussieht: In einer Bedarfsgemeinschaft mit vier Personen, die in der Region, aus der ich komme, etwa 1 700 Euro bekommt, müsste der Alleinernährer einen Stundenlohn von 15 Euro erhalten, damit diese Menschen nicht auf Hartz IV angewiesen sind. Frau Krellmann, was ich verstanden habe, ist, dass Sie als Partei bzw. über den Deutschen Bundestag einen gesetzlichen Mindestlohn festsetzen lassen wollen. Für Sie kann er nicht hoch genug sein, und Sie betrachten das Ganze unabhängig von der Frage, welche Konsequenzen das für die Einzelnen bedeutet. Das habe ich verstanden, und deswegen bin ich dagegen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nun hat die Kollegin Anette Kramme für die SPDFraktion das Wort. ({0})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schiewerling, ich sage nur: Besser bei 8,50 Euro starten, als überhaupt keinen Gesetzentwurf zum Mindestlohn hinbekommen. ({0}) Die Regierung hat hier und heute einen objektiv unvernünftigen Haushaltsentwurf für das Bundesarbeitsministerium vorgelegt. Was wir dort sehen, sind unvorstellbare Einsparungen im Bereich der Betreuung von Arbeitslosen. Allein im Jahr 2012 geht es um eine Einsparsumme von 5,2 Milliarden Euro. Ihre Politik greift zu kurz, ist einfallslos und perspektivisch sogar gefährlich. Wir verzeichnen am Arbeitsmarkt zwei dicke Probleme. Einerseits haben wir eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit zu verzeichnen. Mehr als 50 Prozent aller Langzeitarbeitslosen haben keinerlei Berufsausbildung; 20 Prozent haben nicht einmal einen Schulabschluss. Es gibt eine einfache Grundwahrheit: Wer keine Ausbildung hat, wird sein Leben lang arm bleiben, wird immer wieder auf den Bezug von Arbeitslosengeld und auch Arbeitslosengeld II angewiesen sein und wird wahrscheinlich später die Grundsicherung im Alter benötigen. Ein zweites Problem: Wir wissen, dass wir demografiebedingt auf einen Fachkräftemangel zusteuern. Ein Fachkräftemangel ist für eine Nation eine schwere Hypothek; denn Investoren gehen in Länder - das wissen wir -, in denen sie eine hinreichende Zahl an gut ausgebildeten Menschen antreffen, mit denen sie auf einen Expansionskurs kommen können. Fachkräftemangel bedeutet aber auch, dass die ökonomischen Möglichkeiten eines Landes unnötig eingeschränkt werden, mit negativen Folgen für die Steuereinnahmen einerseits und für die Sozialversicherungskassen andererseits. Frau von der Leyen, wir können bei Ihnen keinerlei Konzept zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit erkennen. Ich verweise an dieser Stelle nur auf die aktuelle Instrumentenreform. Wir sehen auch keinerlei Konzeption, um den drohenden Fachkräftemangel in der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen. Aber es gäbe eine einfache Möglichkeit, die Aufgaben finanziell zu bewältigen. Die Untersuchung von Prognos bestätigt, dass wir durch einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro Steuereinnahmen in Höhe von 3,4 Milliarden Euro generieren könnten. ({1}) Wir wissen auch, dass wir damit sozialstaatliche Transferleistungen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro vermeiden könnten. ({2}) Insgesamt ergibt sich also eine Summe von 5,1 Milliarden Euro, die der Staat zusätzlich zur Verfügung hätte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Kramme, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Kolb?

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Von Herrn Kolb immer gerne.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist nett, Frau Kramme. - Ich wollte Sie nur fragen, ob es richtig ist, was ich gehört habe, nämlich dass Vorgabe für die Prognos-Studie war, unter der Annahme zu rechnen, dass durch den Mindestlohn keine Arbeitsplätze entfallen. Daher ist die Rechnung, die abgeliefert wurde, etwas gestellt bzw. - so müsste ich richtigerweise sagen - bestellt. Können Sie mir außerdem einmal sagen, wer der Auftraggeber der Studie gewesen ist? Da habe ich nämlich etwas läuten hören.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kolb, das sage ich Ihnen sehr gerne. Das war die Friedrich-Ebert-Stiftung. ({0}) - Ich finde, es ist ein legitimes Anliegen einer sozialen Stiftung, über die Konsequenzen eines Mindestlohns für die Volkswirtschaft im Klaren zu sein. Diesen Aspekt hat die Friedrich-Ebert-Stiftung berücksichtigen lassen. Sie wissen aber auch um die positiven Ergebnisse, die die Prognos-Studie gezeigt hat. ({1}) Die Prognos-Studie geht davon aus, dass es bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro nicht zu einem Abbau, ({2}) sondern vielmehr zu einem Aufbau von Arbeitsplätzen kommt. Ich bin mir sicher, jedes Forschungsinstitut, insbesondere ein seriöses wie Prognos, wäre in hohem Maße beleidigt, wenn man sagen würde, es lasse sich durch einen Auftraggeber in seinen wissenschaftlichen Einschätzungen beeinflussen. ({3}) Herr Kolb, Sie dürfen sich jetzt setzen. Mir fällt zu Ihrer Frage nichts mehr ein. Ich denke, meine Antwort war erschöpfend. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich auf das Thema Mindestlöhne zurückkommen. Ich habe gerade die finanziellen Möglichkeiten im Staatshaushalt dargestellt, die es durch einen gesetzlichen Mindestlohn gäbe. Davon abgesehen, es entspricht natürlich auch der Würde der Arbeit, einen Mindestlohn zu haben. Ich kann nur sagen, dass das, was wir an dieser Stelle beobachten - ich sehe die CDU noch ganz weit entfernt von einem Mindestlohn -, schlichtweg verbohrt und ideologisch geprägt ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ein weiteres Beispiel für unvernünftiges Regierungshandeln nennen. Wir haben jetzt den Sachverhalt, dass qua Gesetz und nicht aufgrund der Leistung der Bundesregierung der Rentenversicherungsbeitrag um 0,3 Prozentpunkte sinken wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass die FDP an dieser Stelle ein strahlendes Gesicht aufsetzt, weil sie es endlich einmal geschafft hat, tatsächlich Entlastung für die Bürger zu erreichen. ({5}) - Herr Kolb, Sie wissen auch, dass die Entlastung für den Einzelnen an dieser Stelle minimal ist und dass es viel vernünftiger wäre, zu überlegen, was man mit diesem Geld stattdessen machen könnte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Kramme, achten Sie bitte auf die Zeit.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da gibt es zwei Dinge: Wir könnten einerseits die Schwankungsreserve erhöhen. Das würde gerade bei konjunkturellen Schwankungen dazu führen, dass wir nicht ständig Beitragssätze ändern müssten. ({0}) Oder wir könnten etwas für diejenigen Menschen tun, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen, indem wir zum Beispiel die Zurechnungszeit erhöhen. Das würde für diese Menschen statt 2 Euro, wie nach Ihrem Konzept, 48 Euro im Monat mehr bedeuten. ({1}) Das ist - im Gegensatz zu der Ihrigen - eine Politik mit menschlichem Angesicht. Vielen herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Max Straubinger hat für die Unionsfraktion das Wort. Vizepräsidentin Petra Pau ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Am Ende der Debatte zum Bundeshaushalt Arbeit und Soziales kann man folgendes Fazit ziehen: ({0}) Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen sind die Garanten für die soziale Sicherheit der Menschen in unserem Lande, und die Opposition hat keine Alternativen zu dieser Politik. Das ist in vielen Wortbeiträgen, die hier von der Opposition abgeliefert wurden, sichtbar geworden. ({1}) Das kann man kurz anhand verschiedener Zahlen deutlich machen. Der Bundeshaushalt hat einen Umfang von circa 306 Milliarden Euro. Der Haushalt für Arbeit und Soziales hat einen Umfang von 126 Milliarden Euro, der Haushalt für Gesundheit 14,5 Milliarden Euro, der Haushalt des Familienressorts 6,8 Milliarden Euro; summa summarum sind dies knapp 150 Milliarden Euro. Jeder weiß, was das bedeutet: Fast 50 Prozent der Ausgaben des Bundeshaushaltes kommen sozialen Zwecken zugute, und damit wird die soziale Sicherheit der Menschen besonders untermauert. ({2}) Dies ist natürlich ein Ausdruck der erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik dieser christlich-liberalen Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren. 84 Milliarden Euro für Rente und rentengleiche Leistungen, insgesamt 40 Milliarden Euro für den Arbeitsmarkt - diese Zahlen zeigen sehr deutlich, dass wir die erfolgreiche Politik fortsetzen und dass sich diese in zunehmender Erwerbstätigkeit der Menschen in Deutschland niederschlagen wird. Wir haben derzeit die höchste Zahl an Erwerbstätigen zu verzeichnen. Wir werden weiterhin die Arbeitslosigkeit bekämpfen und damit an die Spitze in Europa gelangen. Derzeit liegt die Arbeitslosenquote in Deutschland bei 6,5 Prozent; damit stehen wir im europäischen Vergleich sehr gut da. Das ist ein Ausdruck der erfolgreichen Politik, die wir, die christlich-liberale Koalition, in die Tat umsetzen. ({3}) Man kann es nicht oft genug sagen: Wir haben die geringste Jugendarbeitslosigkeit zu verzeichnen. Darum werden wir beneidet - richtigerweise. Kollege Heil, ich erinnere mich noch an die Forderungen der SPD in der Vergangenheit, zum Beispiel an die Forderung nach einer Ausbildungsplatzabgabe. Diese Forderung hört man jetzt nicht mehr. Das zeigt sehr deutlich: Die wirtschaftlichen Kräfte haben die Grundlage in unserem Land geschaffen, dass wir vermehrt Arbeitsplätze haben und mittlerweile jedem Bewerber einen Ausbildungsplatz anbieten können. Dadurch haben wir die Chancen der Jugend stark erhöht. In meiner Heimat werben wir mittlerweile Auszubildende aus osteuropäischen Ländern an, um alle Lehrstellen besetzen zu können. ({4}) Das zeigt sehr deutlich, wie erfolgreich unsere Wirtschaftspolitik ist. ({5}) Das hat natürlich auch mit einer entsprechenden Philosophie in der Wirtschaftspolitik zu tun. Heute wurde sichtbar - bei den Linken natürlich besonders, aber genauso bei SPD und Grünen -: Sie wollen die Bürgerinnen und Bürger immer mehr belasten, ({6}) und Sie wollen darüber hinaus die Unternehmen belasten. ({7}) Wir haben die Philosophie: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Wirtschaft müssen entlastet werden, ({8}) um Arbeitsplätze in unserem Land zu schaffen und die Zukunftschancen der Menschen zu erhöhen. Diese Philosophie hat sich bisher sehr erfolgreich bewährt, auch in der gemeinsamen Regierungszeit mit der SPD, die sich nicht mehr daran erinnern will. In der Großen Koalition haben wir zum Beispiel den Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 6,5 Prozent auf mittlerweile 3 Prozent abgesenkt. Damit wurden die wirtschaftlichen Kräfte befördert und Arbeitsplätze in unserem Land geschaffen. Damit haben wir eine bessere Wettbewerbsfähigkeit erreicht. Das ist letztendlich mit entscheidend für die Zukunft, für die soziale Absicherung der Menschen. ({9}) Verehrte Damen und Herren, mir graut vor den Vorschlägen der Linken-Fraktion. Ich habe mit Aufmerksamkeit die Debatte zum Wirtschaftshaushalt verfolgt. Der Kollege Claus hat ausgeführt, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit zugunsten der Internationalität aufgeben sollten, weil der Handelsbilanzüberschuss, den wir erzielen, bei anderen Ländern negative Salden erzeugt. ({10}) Das mag richtig sein. Aber es kann doch nicht sein, dass dann Arbeitsplätze bei uns in Deutschland vor die Hunde gehen und abgebaut werden. Sie wollen letztendlich eine Strangulierung der Wirtschaft, ({11}) sowohl in der Automobilindustrie als auch in vielen anderen Technologiebereichen. Dadurch werden Arbeits17086 plätze aus unserem Land vertrieben. Dadurch werden die Chancen für die Menschen in Deutschland verringert. ({12}) Zu einer solchen Politik werden wir Ihnen garantiert nicht die Hand reichen. ({13}) Ich habe mir auch die Änderungsanträge der Opposition angesehen. Entweder werden wir von Ihnen ständig dafür gescholten, dass wir zu wenige Sparanstrengungen unternehmen, oder Sie fordern, dass wir noch wesentlich mehr sparen müssten. ({14}) Die SPD hat heute einen Änderungsantrag eingebracht, der Mehrausgaben in Höhe von 1,5 Milliarden Euro zur Folge hätte. Dann hat sie erklärt, das könne man durch die Einführung eines Mindestlohns gegenfinanzieren. ({15}) Meine Vorredner haben schon dargelegt, was das bedeuten würde. ({16}) Die Vorschläge der Grünen belaufen sich auf Mehrausgaben in Höhe von 3 Milliarden Euro. Sie wollen vor allen Dingen den ALG-II-Regelsatz auf 420 Euro anheben. Wie Sie auf diesen Betrag gekommen sind, entzieht sich unserer Kenntnis. ({17}) Wir orientieren uns am Bundesverfassungsgerichtsurteil, werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ({18}) und nicht am Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband. ({19}) - Doch. Das entspricht der Forderung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. ({20}) Bei den Linken war eine regelrechte Antragswut zu beobachten. Ihre Vorschläge hätten Ausgaben in einem Umfang von 41 Milliarden Euro zur Folge. ({21}) Das wäre ein Programm fürs Nichtstun. Es würde letztendlich dazu führen, dass zukünftig niemand mehr arbeitet oder dass in unserem Land nur noch wenige Menschen arbeiten, die dies dann zu bezahlen hätten. ({22}) 41 Milliarden Euro entsprechen einer Erhöhung des Beitragssatzes um 4 Prozentpunkte; das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. In dieser Größenordnung müssten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer belastet werden, um die entsprechenden Vorschläge gegenzufinanzieren. Dazu sage ich sehr deutlich: Sie haben nicht den richtigen Kompass für eine gute Politik für die Zukunft. Es liegt letztendlich an unserer christlich-liberalen Regierung, den Sozialstaat in Deutschland auch weiterhin erfolgreich auszubauen. ({23}) Dem fühlen wir uns verpflichtet. Stimmen Sie unserem Haushalt zu! ({24})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11 - Bundesministerium für Arbeit und Soziales - in der Ausschussfassung. Hierzu liegen fünf Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wir beginnen mit der Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7830. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir kommen nun zu zwei Änderungsanträgen der Fraktion Die Linke. Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7831. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7832. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der Linksfraktion abgelehnt. Wir kommen schließlich zu zwei Änderungsanträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7833. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt. Vizepräsidentin Petra Pau Dann kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7834. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 11 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt - Drucksachen 17/6277, 17/6853, 17/7065, 17/7330, 17/7775 Berichterstattung: Abgeordneter Stefan Müller ({1}) Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 17/7775? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir setzen nun die Haushaltsberatungen fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt II.16 auf: Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Drucksachen 17/7116, 17/7123 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Mattfeldt Florian Toncar Sven-Christian Kindler Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD, zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über drei Änderungsanträge werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Caren Marks für die SPD-Fraktion. ({2})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, gestern titelte eine große deutsche Tageszeitung: „Regierung führt Kristina Schröder vor“. Der Artikel bezog sich auf die in letzter Sekunde von der Koalition zurückgenommene Kürzung in Höhe von 2 Millionen Euro bei den Programmen gegen Rechtsextremismus. Die Koalitionsspitze hat Sie, Frau Ministerin, ausgebremst und Ihnen die gelbe Karte gezeigt, und ich sage: zu Recht. ({0}) Die von Ihnen geplanten Kürzungen waren ein verheerendes politisches Signal. Rechtsextremismus muss mit allen Mitteln, und zwar entschieden, bekämpft werden. ({1}) Auch bei einem anderen Thema, für das Frau Schröder zuständig ist, nehmen nun andere das Heft des Handelns in die Hand. „Jeder gegen jeden beim Betreuungsgeld“, schrieb gestern eine andere Tageszeitung und berichtete von einem geplanten Krisengespräch nächste Woche, bei dem Sie, Frau Ministerin, gar nicht eingeladen sind. ({2}) - Ich denke, das ist deutlich. Frau Ministerin, heute geht es nicht nur um die Weichenstellungen in Ihrem Etat für das kommende Jahr 2012. Es geht vielmehr um die Frage: Was ist wichtig und richtig für eine moderne Familien- und Gesellschaftspolitik? Doch ich bezweifle sehr, dass Sie als zuständige Bundesministerin die Probleme in der Gesellschaft überhaupt erkennen. Ich nenne nur ein paar davon: eine mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine zu geringe Zahl von Krippenplätzen und Ganztagsangeboten, eine nach wie vor mangelhafte Gleichstellungspolitik für Frauen und Männer und eine vorhandene Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung von Minderheiten in unserer Gesellschaft. Hier erwarten die Menschen zu Recht Antworten von Ihnen, Frau Ministerin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Kommentar auf tagesschau.de vom 16. November hat sich eingehend mit dem Erscheinungsbild der Ministerin beim Thema Rechtsextremismus beschäftigt und mahnt an, dass wir verantwortungsvolle Politiker brauchen, die nicht aus - Zitat - „ideologischer Geschwätzigkeit heraus Gräben aufreißen, wo gar keine sind“. ({3}) Bei Frau Schröder komme - Zitat - „kein Satz ohne ein ‚aber‘“ aus. Das wird in dem Artikel zu Recht bemängelt. Er trifft damit den Kern des Problems. Die Ministerin reißt nicht nur hier mit ihrer „Ja, aber“-Politik Gräben auf: Programme gegen Rechtsextremismus ja, aber Sie zweigen hiervon Mittel für die Bekämpfung des Islamismus und des Linksextremismus ab. Fördermaßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern ja, aber Sie kürzen bei Maßnahmen für Mädchen und Frauen zugunsten von Jungen- und Männerprojekten. Was die Förderung der Antidiskriminierungsstelle angeht, kann noch nicht einmal von einer „Ja, aber“-Politik die Rede sein. Denn die Ministerin spart die Antidiskriminierungsstelle im wahrsten Sinne des Wortes kaputt und ignoriert damit den Auftrag des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Das alles ist verantwortungslos, Frau Ministerin. ({4}) Frau Schröder, Sie spielen mit dieser ideologisch geleiteten Politik Gruppen in unserem Land gegeneinander aus und nehmen die gesellschaftliche Spaltung in Kauf. Sie relativieren wirklich drängende Probleme und haben sich offensichtlich davon verabschiedet, für die Menschen einzutreten, für die Sie als Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zuständig sind. So brauchen Eltern Verlässlichkeit in der Familienpolitik. Diese benötigen sie gerade beim Betreuungsausbau. Familien fordern wirklich zu Recht, dass der Staat ein bedarfsdeckendes Angebot an frühkindlicher Bildung und Betreuung zur Verfügung stellt. Die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes haben uns doch erneut deutlich vor Augen geführt, dass beim Krippenausbau noch viel zu tun ist. Bis zum Inkrafttreten des Rechtsanspruchs bleiben uns nicht einmal mehr zwei Jahre. Es ist höchste Zeit. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert deshalb, für 2012 300 Millionen Euro zusätzlich in den Ausbau zu investieren, und wir haben diese Forderung selbstverständlich mit einem Finanzierungskonzept verbunden. Wir sehen als SPD ganz klar eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der Bund, Länder und Kommunen in einem Boot sitzen und diese Aufgabe gemeinsam zu bewältigen haben. Wegducken hilft hier nicht weiter, Frau Ministerin. ({5}) Uns allen ist seit langem bekannt: Erstens. Der Bedarf an Krippenplätzen ist höher als 2007 angenommen. Zweitens. Das Ausbautempo ist zu gering und muss dringend gesteigert werden. Drittens. Es gibt einen Fachkräftemangel, der dringend behoben werden muss, um das Ausbauziel erreichen zu können. ({6}) Deshalb sagen wir zu Recht - wir haben viele Bündnispartner an unserer Seite -: Es muss dringend ein neuer Krippengipfel einberufen werden, um all diese Probleme gemeinsam anzupacken. ({7}) Doch das alles scheint die Bundesregierung nicht zu interessieren. Sie gucken gelangweilt, Frau Ministerin, und legen die Hände in den Schoß. Regierung und Koalitionsfraktionen streiten sich stattdessen seit Monaten - in den letzten Tagen hat der Streit noch an Intensität zugenommen - immer heftiger über das Betreuungsgeld. Dieses Betreuungsgeld wäre nicht nur eine bildungsund gleichstellungspolitische Katastrophe, sondern auch verfassungsrechtlich höchst problematisch. Über Jahre hinweg würden Milliarden aus dem Bundeshaushalt gebunden werden. Auch haushalterisch gesehen ist verantwortliche Politik eine andere. ({8}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich finde, es wäre endlich an der Zeit, diesen immer bizarrer werdenden Streit ad acta zu legen und auf diese unsinnige Fernhalteprämie - denn das ist und bleibt sie - zu verzichten. ({9}) Investieren Sie stattdessen mehr in den Ausbau von Bildung und Betreuung; denn das wünschen und brauchen Eltern und Kinder in unserem Land. Es ist notwendig, das Ruder bei der Familienpolitik herumzureißen. Ich bezweifle allerdings, dass Sie, Frau Ministerin, dafür die richtige Person sind. Herzlichen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Andreas Mattfeldt für die Unionsfraktion. ({0})

Andreas Mattfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beratungen zum Haushalt 2012 standen unter dem Einfluss der Verschuldungskrise innerhalb der Euro-Zone. Aufgrund dieser Doppelbelastung waren es für uns Haushälter nicht ganz einfache Beratungen, und ich sage ehrlich: Ich hätte mir gewünscht, wir hätten ein wenig mehr Zeit für die Beratungen gehabt. Dennoch hat mir die Verschuldungskrise in Griechenland, Portugal, Italien und Spanien - um nur einige Länder zu nennen gezeigt, dass auch wir bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes äußerste Ausgabendisziplin aufzeigen müssen. Zahlreiche Anträge auf Mehrausgaben im Haushalt des Familienministeriums sind schriftlich, aber auch in ungezählten mündlichen Gesprächen mit Abgeordneten sowie seitens der Sozialverbände und Institute oder durch Vertreter sozialer Projektförderung an mich herangetragen worden. Dabei habe ich mir vieles Wünschenswerte und Nachvollziehbare angeschaut und abgewogen, ob wir Mittel zur Finanzierung einsetzen oder ob es vielleicht eben nicht darstellbar ist; denn mit Blick auf die Schuldenbelastung in unserem Land, die von den jungen Menschen bezahlt werden muss, und die eben nicht positive demografische Entwicklung ist auch im Bereich der freiwilligen sozialen Ausgaben größte Ausgabendisziplin gefordert. Ich habe mich davon überzeugen können, dass wir viele Ausgaben für Verbände, Institute oder Projekte finanzieren, die sinnvoll sind und von denen die Menschen im Land profitieren. Ich habe aber genauso gesehen - ich sage das ganz provokant -, dass zahlreiche Projekte, Institutionen oder Verbände, die durch hart erarbeitete Steuermittel finanziert werden, nicht dafür sorgen, dass es den Menschen in unserem Land besser geht. Nein, oft geht es auch um die Arbeitsplatzsicherung von Mitarbeitern in einem für mich schier undurchschaubaren Dschungel der sozialen Dienstleistungen. ({0}) Manche in unserem Land sprechen hier bereits von der Sozialindustrie. ({1}) Ich habe mir die Mühe gemacht, mir zahlreiche Einrichtungen, die Mittel aus dem Familienministerium erhalten, anzuschauen. Der Blick hinter die Kulissen war vielfach sehr aufschlussreich; denn gerade wenn man hinterfragt hat, was der Verein oder der Verband genau macht und welche positive Wirkung hierdurch bundesweit für die Menschen erzielt wird, blieb ab und an doch wenig übrig. ({2}) Erschreckend ist in diesem Zusammenhang, wie diese - jetzt nutze ich auch einfach mal diese Bezeichnung „Sozialindustrie“ in unserem Land reagiert, wenn die von einer breiten Mehrheit des Bundestages geforderte Schuldenbremse umgesetzt wird. Die Reaktionen, wenn finanzielle Wünsche nicht komplett umgesetzt werden, sind bemerkenswert. ({3}) Mit medialem Druck wird versucht, Forderungen umzusetzen, und in der Öffentlichkeit wird ein schwarz-weißes Bild vom jeweiligen Parlamentarier, der diese Forderung nicht erfüllt, gezeichnet. Meine Damen und Herren, die Menschen, die jeden Tag hart arbeiten und das finanzieren, was wir hier vielfach großzügig verteilen, wollen sehen, dass mit ihrem hart erarbeiteten Geld etwas erreicht wird und dass hiervon bei ihnen wieder etwas ankommt. Ob hierzu der 50 000. Flyer oder die 6 000. Broschüre von Einrichtung A, B oder C zielführend ist? Ich denke, nein. ({4}) Das gilt auch für die Antidiskriminierungsstelle. Ihr Vorwurf, Frau Marks, wir hätten die Mittel für die ADS so gekürzt, dass eine Aufgabenwahrnehmung nicht mehr möglich sei, ({5}) entbehrt jeder Grundlage. Richtig ist, dass die ADS in zahlreichen Haushaltsstellen erheblich mehr Mittel als im vergangenen Haushaltsjahr beantragt und gewünscht hat. ({6}) Im Zuge einer Prüfung haben wir dann aber festgestellt, dass dieser zusätzlich gewünschte Mehrbedarf in keiner Weise dem realisierten Abfluss von Mitteln entspricht. Nur zur Klarstellung: Bis zum 16. November sind bei den den realistischen Gegebenheiten angepassten Haushaltsstellen gerade einmal 35 Prozent abgeflossen. ({7}) Eine Anpassung hat hier also auch mit Haushaltsklarheit zu tun, die uns durch das Haushaltsrecht zwingend vorgeschrieben ist. Ich sage deutlich: Es gibt auch zukünftig noch genug Luft für die Realisierung von zahlreichen Projekten. ({8}) Ich appelliere deshalb daran, dass Sie mit uns dafür kämpfen, dass die Einhaltung der Schuldenbremse bis in die kleinste Verwaltungseinheit, sowohl im Ministerium als auch bei allen Empfängern von Steuergeldern, verinnerlicht wird; denn auch wenn in diesen Tagen die Wirtschaft brummt und die Steuereinnahmen aufgrund kluger politischer Entscheidungen anständig ausfallen, werden wir uns dauerhaft nicht mehr alles leisten können, was wünschenswert ist. Wo es hinführt, wenn wir nicht jede Ausgabe hinterfragen, sehen wir nicht nur an Griechenland oder Italien, sondern eben auch an unserem eigenen Haushalt. Auch wir Deutsche haben jahrzehntelang über unsere Verhältnisse gelebt, und wir fangen erst jetzt wieder zaghaft damit an, dass uns der sparsame Umgang mit Steuergeldern in Fleisch und Blut übergeht. Kritisch müssen wir feststellen, dass auch der Etat des Familienministeriums während der Beratungen von 6,48 Milliarden Euro auf 6,78 Milliarden Euro aufgestockt wurde. Dies liegt nicht daran, dass wir Wasser predigen und Wein trinken und im eigenen Etat noch aufgesattelt haben, um das eine oder andere Projekt zu verwirklichen. Nein, der Aufwuchs liegt zuallererst daran, dass wir den Ansatz für das Elterngeld um 300 Millionen Euro auf 4,9 Milliarden Euro erhöhen mussten. ({9}) In der Betrachtung ist das natürlich eine erfreuliche Ent- wicklung; denn das zeigt uns, dass a) die Löhne auf- grund guter wirtschaftlicher Entwicklung steigen und b) vor allen Dingen immer mehr Väter Gebrauch von den Vätermonaten machen. Die Eltern haben einen gesetzlichen Anspruch auf das Elterngeld, und deshalb ist es trotz der Notwendigkeit der Schuldenbremse richtig, den Ansatz realistisch anzupassen. Wir haben in diesem Haushalt darüber hinaus die Entschädigung der misshandelten Heimkinder dargestellt. Dies war haushaltstechnisch und haushaltsrechtlich alles andere als eine einfache Angelegenheit; ({10}) denn obwohl den Bund kein unmittelbares Verschulden trifft - die Träger der Heime, das wissen Sie, waren häufig die Kirchen -, verstehen wir es als Signal, diesen Opfern Wiedergutmachung zukommen zu lassen. Insgesamt wurde am Runden Tisch vereinbart, dass der Bund über vier Jahre verteilt insgesamt 40 Millionen Euro bereitstellt. Dies ist im Haushalt abgebildet. ({11}) Ein Punkt, der vor allen Dingen der Ministerin sehr am Herzen liegt, ist die Unterstützung von ungewollt kinderlosen Paaren bei der oft notwendigen medizinischen Kinderwunschbehandlung. Ich gebe offen zu, dass ich über die Notwendigkeit einer Bereitstellung von Mitteln lange nachgedacht habe. Aber nach eingehender Betrachtung, auch in emotional ergreifenden Gesprächen mit Betroffenen, bin ich zu der tiefen Überzeugung gekommen, dass es richtig ist, hierfür Mittel einzustellen. Wir werden in 2012 mit 7 Millionen Euro die Kinderwunschbehandlung unterstützen. Ich bin sicher: Das ist gut angelegtes Geld, und das kommt direkt den Menschen zugute. Lassen Sie mich noch kurz ein Wort zum Extremismustitel verlieren. Wir haben am Dienstag die Mittel für diesen Titel um 2 Millionen Euro angehoben. ({12}) Das ist ein erheblicher Aufwuchs, zumal erhebliche Kosten an einen Dienstleister wegfallen, der noch im vergangenen Jahr die Verwaltung der Extremismusprogramme extern vorgenommen hat; die werden jetzt durch eigenes Personal verwaltet. Schnell vergessen wurde, dass es Kristina Schröder war, die bereits 2010 die Mittel für diesen Titel um 5 Millionen Euro erhöht hat. ({13}) Ihre parteipolitischen Vorwürfe, Frau Marks, sind abstrus und unter Demokraten, die in dieser Sache ein gemeinsames Ziel verfolgen, in meinen Augen unwürdig. Ich sage deutlich: Eine solche Debatte dient nur dem extremen Bereich in Deutschland. Das lasse ich nicht zu. ({14}) Es bleibt zu hoffen, dass diese Mittel im Gegensatz zu 2011 - bis zum 15. November sind in diesem Bereich lediglich 60 Prozent von 29 Millionen Euro abgeflossen zukünftig auch in der Summe zielgerichtet eingesetzt werden können. ({15}) - Herr Bockhahn, arbeiten Sie daran. Lassen Sie uns abwarten, wie die Mittel in Zukunft abfließen. Ich bin da noch sehr skeptisch. Wir blicken insgesamt auf sehr erfolgreiche Haushaltsberatungen zurück. In diesem Zusammenhang gilt mein Dank nicht nur Ministerin Schröder und ihren Staatssekretären, sondern ganz besonders allen beteiligten Mitarbeitern des Ministeriums, mit denen wir in den letzten Monaten hervorragend zusammengearbeitet haben. Herzlichen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Steffen Bockhahn für die Fraktion Die Linke. ({0})

Steffen Bockhahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004014, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Mattfeldt, ich bin wirklich schwer überrascht davon, wie Sie die Arbeit von Sozialverbänden in der Bundesrepublik Deutschland hier diskreditieren und ihnen per se Steuerverschwendung vorwerfen. Das ist unfassbar! ({0}) Ich möchte an dem Punkt weitermachen, mit dem Sie aufgehört haben, nämlich mit dem Etat für die Extremismusprävention. Es ist sehr gut, dass der Etat zur Bekämpfung des Rechtsextremismus wieder erhöht worden ist, besser gesagt, dass doch nicht gekürzt worden ist. ({1}) Denn jetzt stehen wieder 29 Millionen statt bisher 27 Millionen Euro im Einzelplan. Es ist allerdings schlimm - ich kann mir nicht ersparen, das zu sagen -, dass es eines solchen Anlasses bedurfte, um das möglich zu machen. ({2}) Ich muss es so sagen: Ich bezweifle ernsthaft, dass inzwischen alle verstanden haben, was zu tun ist. Denn wenn ich mir die Interviews der Ministerin und die Handlungsweisen in diesem Bereich anschaue, dann muss ich ernsthaft daran zweifeln, dass es alle verstanden haben, zumal die Zuständigen. ({3}) Ein abschreckendes Beispiel dafür sind die unterschiedlichen Förderquoten. Projekte, die sich mit der Bekämpfung von Rechtsextremismus befassen, werden mit maximal 50 Prozent durch den Bund gefördert. Projekte, die sich mit vermeintlichem Linksextremismus befassen sollen, brauchen hingegen nur 10 Prozent Eigenanteil aufzubringen, weil sie mit bis zu 90 Prozent durch das Bundesministerium gefördert werden. Objektiv handelt es sich hier um eine Ungleichbehandlung durch das Ministerium. Das ist ein fatales und falsches Signal, Frau Ministerin. Machen Sie das rückgängig! ({4}) Wir müssen auch darüber nachdenken, wer die Verantwortung für diese Aufgabe trägt. Bisher sind es formal allein die Kommunen und die Länder. Der Bund ist nur impulsgebend aktiv, betreibt also nur Projektförderung. Langfristige, fundierte Arbeit durch institutionelle Förderung ist derzeit nicht gewollt. Ich halte das für falsch. Der Einsatz für Demokratie, Toleranz und Freiheit ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Auch der Bund sollte hier mehr tun. ({5}) Auch die Länder können und müssen wieder mehr tun. Kommunen, die Projekte trotz schwerer Haushaltslagen ermöglichen wollen, müssen durch die Rechtsaufsichtsbehörden in den Ländern die Möglichkeit dazu bekommen. Projekte für Demokratie und Toleranz, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind keine freiwilligen Aufgaben. Sie sind erste Bürgerpflicht. Sie müssen möglich sein und möglich bleiben. ({6}) In den letzten Tagen wurde in vielen Medienberichten darauf hingewiesen, dass die Ministerin gesagt hat, dass noch 8,5 Millionen Euro übrig sind bzw. noch nicht abgerufen worden sind. Wie kommt denn so etwas zustande? In Mecklenburg-Vorpommern gibt es zehn lokale Aktionspläne, einen davon in Demmin. Anfänglich wurde er mit 100 000 Euro unterstützt. Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis beteiligte sich daran. Es wurde extra ein Begleitausschuss mit Parteien, Vereinen, Verbänden und zivilgesellschaftlichen Akteuren gebildet. 65 Projekte wurden erfolgreich durchgeführt und begleitet. In diesem Jahr gab es aber laut Plan nicht mehr 100 000, sondern nur noch 40 000 Euro. Der Landkreis hat trotz erheblicher Haushaltsnotlage einen ordentlichen Eigenanteil geleistet. Fakt bleibt, dass dieses Jahr 60 000 Euro weniger nach Demmin geflossen sind als zu Beginn des Förderplans. Daher ist es auch kein Wunder, wenn im Ministerium noch Geld übrig ist. Sie nennen es degressive Förderungen, ich nenne es Kürzung. ({7}) Verteilen Sie das Geld so, dass die Projekte, die es brauchen, es auch bekommen. Davon gibt es genügend, auch wenn Sie das vielleicht nicht wahrhaben oder akzeptieren wollen, Frau Ministerin. Aber mit der Akzeptanz von Realitäten scheint es bei Ihnen ohnehin schwierig zu sein. Ich habe Ihr Zeitungsinterview vom letzten Freitag gelesen und muss feststellen: Sie haben erhebliche Wahrnehmungsstörungen. Sie behaupten dort, dass die Opposition im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages einer Kürzung der Mittel im Extremismusbereich zugestimmt hat. Das ist schlicht unwahr; das ist eine Lüge. Nehmen Sie das hier zurück, Frau Ministerin! ({8}) Ich möchte einen anderen Punkt ansprechen, der hier schon thematisiert wurde. Das sind die Kürzungen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Herr Kollege Mattfeldt, Sie machen es sich ein bisschen zu einfach, wenn Sie behaupten, dass der Mittelabfluss nicht so ist, wie Sie sich das vorstellen. Wenn Sie sich die Arbeitsprogramme genau anschauen, dann wissen Sie, dass hier langfristige Kampagnen geplant sind und dass Mittel angespart werden. Wenn Sie sich die Arbeitspläne für das nächste Jahr anschauen, dann wissen Sie, dass eine große, breit angelegte Kampagne gegen Altersdiskriminierung, für die Unterstützung zugesichert ist, geplant war. Ob die jetzt noch möglich sein wird, ist mehr als fraglich. ({9}) Sie stellen sich hier als großer Haushaltssanierer dar und kürzen 367 000 Euro, ein Achtel des Gesamtbudgets der ADS, weg. Sie nehmen 26 Milliarden Euro neue Schulden auf. Da kann es doch an 367 000 Euro für zivilgesellschaftliches Engagement nicht fehlen. ({10}) Was Sie da treiben, ist unfassbar. Genauso unfassbar ist, in welches Licht Sie die Antidiskriminierungsstelle stellen. Wenn man sich die Blogs auf Ihrer Website anschaut, ({11}) dann weiß man, was eigentlich dahintersteckt; das ist das Problem. Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, ich kann es Ihnen an dieser Stelle nicht ersparen, auch Sie zu kritisieren. Wir haben gemeinsam gegen die Kürzungen protestiert. Dass Sie aufgrund kleingeistiger parteipolitischer Denke einen gemeinsamen Änderungsantrag der Oppositionsfraktionen verhindert haben, ist ein schlechtes Signal. Es hätte die Chance auf einen gemeinsamen Antrag gegeben. Aber Sie wollten das nicht. Das ist nicht in Ordnung. Das ist ein falsches Signal. Das kritisieren wir. Aber vor allen Dingen kritisieren wir die Kürzungen. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Gruß für die FDP-Fraktion. ({0})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Ministerin! Es ist unbestritten: Wir alle sind bestürzt und traurig. Gerade uns Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker macht es sehr betroffen, wenn Eltern ihre Tochter verlieren oder Kinder ihren Vater. Wir alle stehen geschlossen hinter den Angehörigen der Opfer rechtsextremer Gewalt. Deren ungeheuerliches Ausmaß hat uns alle schockiert. Ich möchte an dieser Stelle an die gute Stunde erinnern, die wir am Dienstag im Deutschen Bundestag gemeinsam begangen haben. Die Initiative der Justizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, begrüße ich sehr. Die Angehörigen müssen entschädigt werden; denn sie leben mit dem Schmerz ihr ganzes Leben. Die Vorfälle verdeutlichen uns einmal mehr, wie wichtig die Prävention von Rechtsextremismus ist. Mein Kollege Bernschneider wird darauf genauer eingehen. Aber eines will ich doch festhalten: Die Mittel zur Bekämpfung aller Formen von Extremismus wurden seit dem Ende von Rot-Grün fast verdreifacht. Das zeigt, wie ernst wir dieses Thema nehmen. ({0}) Nun kommt Kritik aus der Opposition zu den Mittelkürzungen bei der Antidiskriminierungsstelle. Ich bitte darum, dass sich die Aufregung hier legt, bei allem Verständnis dafür. Wir alle sind uns doch einig: Diese wichtige Stelle muss ihre gesetzlichen Aufgaben unbedingt erfüllen können. Sie hat jedoch 2011 ihr Budget nicht ausgeschöpft. Die Antidiskriminierungsstelle nimmt einen deutlichen sechsstelligen Betrag an unverbrauchten Mitteln mit in das nächste Jahr. Allein für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit wurden für das Jahr 2011 200 000 Euro veranschlagt. Aber es zeichnet sich ab, dass nur gut 50 000 Euro davon ausgegeben werden, das heißt ein Viertel, meine Damen und Herren. Die Antidiskriminierungsstelle sollte arbeiten, bevor etwas passiert. Vor diesem Hintergrund ist ein so großer Übertrag ins nächste Jahr nicht zu verstehen. Nun komme ich zum allgemeinen Etat. - Die Gesellschaft insgesamt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Die Aufgabe von uns Politikerinnen und Politikern ist es, diesen Wandel zu begleiten und zu gestalten. Im Mittelpunkt stehen dabei für uns stets die Kinder. Wir werden deshalb gezielt investieren, um Kindern Schutz und Chancen zu bieten. Ich erinnere an dieser Stelle an das Bundeskinderschutzgesetz und insbesondere die Initiative der FDP für die Familienhebammen. Ich appelliere noch einmal an alle hier im Hause, diesem guten Gesetz nicht den Weg zu versperren, sei es über die Länder oder über andere Wege. ({1}) Ich erinnere daran, dass wir als schwarz-gelbe Koalition mehr in die frühkindliche Bildung investieren, auch von Bundesseite, als das jemals in einem Haushalt zuvor geschehen ist, und zwar mit der Bundesinitiative „Offensive Frühe Chancen“. Was die Familien anbelangt, wollen auch wir die Rahmenbedingungen verbessern. Insbesondere sollten wir Familien in den Blick nehmen, die ungewollt kinderlos sind. Ich freue mich deshalb sehr, dass in diesem Etat 7 Millionen Euro, wenn auch noch gesperrt, bis ein tragfähiges Konzept vorliegt, für Familien zur Verfügung gestellt werden, die ungewollt kinderlos sind. Wir wollen die Bedingungen verbessern, diesen Familien Chancen eröffnen und den Etat in den früheren Stand versetzen; die Mittel sind ja gekürzt worden, als wir noch nicht regiert haben. Nirgendwo ist es so offensichtlich, dass ein Mitteleinsatz tatsächlich direkt zu mehr Kindern führt. Wir freuen uns deswegen über die Initiative für die annähernd 2 Millionen ungewollt kinderlosen Paare in Deutschland. ({2}) Zum Elterngeld ist schon einiges gesagt worden. Zum Betreuungsgeld. Es ist ganz klar, dass es nicht von uns auf den Weg gebracht worden ist, sondern damals von Schwarz-Rot und dass es einen Zusammenhang zwischen dem Ausbau der Betreuung und dem Betreuungsgeld gab. Von daher appelliere ich auch an die rot-grün regierten Länder, beim Ausbau der Betreuung ihre Hausaufgaben zu machen; denn wir schaffen wahre Wahlfreiheit nur dann, wenn auch die Länder ihre Zusagen einhalten und ihre Gelder in den Ausbau der Betreuung investieren. ({3}) Mit Interesse verfolge ich diverse Debattenbeiträge zum Betreuungsgeld. An der Stelle nur ein Appell auch an Bayern, auch wenn ich selbst von dort komme. Die Verhandlungsführer sitzen im Deutschen Bundestag. Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit. Die FDP steht für die Gespräche zur Verfügung. Unsere Positionen sind, denke ich, klar. Der grobe Rahmen ist abgesteckt. Die Ausgestaltung jedoch ist noch offen. Für die diversen Änderungswünsche und für diverse Ausgestaltungsoptionen ist die FDP offen. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Monika Lazar hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die rechtsextreme Mordserie der letzten Jahre hat wahrscheinlich dem Letzten hier im Hause die Augen dafür geöffnet, dass die Auseinandersetzung zum Thema Rechtsextremismus, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit eine Daueraufgabe für die gesamte Gesellschaft ist. Deshalb ist es gut gewesen, dass wir den gemeinsamen Entschließungsantrag am Dienstag wirklich als ganzes Haus verabschiedet haben. ({0}) Jetzt ist es allerdings wichtig, dass daraus Taten folgen. ({1}) Der erste Schritt, die Rücknahme der Kürzung um 2 Millionen Euro, die vorhin schon angesprochen wurde, ist ein richtiger Schritt. Allerdings bedeutet das natürlich, dass es weitergehen muss. Ich habe die Befürchtung, dass das bei der Ministerin immer noch nicht angekommen ist. Sie, Frau Ministerin, zeigen sich immer noch uneinsichtig und haben ausgerechnet am Dienstag eine peinliche - so kann ich nur sagen - Pressemitteilung herausgegeben. Sie wollen es wahrscheinlich wirklich nicht merken. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit muss man beim Namen nennen. ({2}) Das Versagen der Behörden zeigt uns, dass der Staat auf das Know-how der zivilgesellschaftlichen Initiativen angewiesen ist. Deshalb fordern wir eine Erhöhung der Mittel. Wir fordern 50 Millionen Euro für ein neues Bundesprogramm. Das Geld ist eine gute Investition in unsere Demokratie und stärkt vor allem die Initiativen und Menschen, die in unserem Land dort tätig sind, wo es manchmal nicht mehr so viele aufrechte Demokraten gibt. Allerdings reicht Geld allein auch da nicht; denn die Arbeit wird noch durch andere Brocken erschwert. Ich erwähne nur die Extremismusklausel. Sie alle müssen doch endlich begriffen haben, dass diese Klausel wegmuss. ({3}) Aber die Ministerin merkt das nicht. Sie verteidigt sie weiterhin und drangsaliert die Initiativen damit. Ich kann nur sagen: Hören Sie endlich auf damit! Unterhalten Sie sich mit den Initiativen und Antragstellern; denn sie merken, dass es da nicht vorangeht. Es gibt außerdem keinen Beleg dafür, dass Antragsteller in den letzten Jahren, seit es die Bundesprogramme gibt, die Gelder zweckentfremdet haben. Deshalb gibt es keinen Grund für diese Klausel. Die Stadt Jena - jeder kennt sie mittlerweile - hat keine Mittel beantragt, weil sie diese Verdachtsklausel nicht unterzeichnen will. ({4}) - Da nickt sogar der Jenaer Kollege von der FDP, der das aus der Praxis kennt. ({5}) Ich bin auch froh, dass jetzt die erste Initiative gegen die Extremismusklausel klagt, und zwar die AKuBiZInitiative aus Pirna, die letztes Jahr schon den sächsischen Demokratiepreis wegen dieser Klausel abgelehnt hat. Demokratie lässt sich nicht per Verwaltungsakt absichern. Wichtig und richtig ist: Eine aktive Zivilgesellschaft ist das beste Nazi-Abwehrzentrum. Deshalb müssen wir an dieser Stelle investieren. ({6}) Wir brauchen eine unbürokratische und vertrauensbasierte Förderung, insbesondere für die Strukturprojekte, wo seit über zehn Jahren eine qualitativ hochwertige Arbeit geleistet wird. Mobile Beratungsteams müssen gesichert werden. Opferberatungsstellen müssen in Ost und West ausgebaut werden. Wichtig ist weiterhin, dass kleine Träger ein direktes Antragsrecht beim Bund haben; das wurde vorhin schon angesprochen. Bis jetzt läuft das meistens über den Landkreis oder die Kommune. In den dortigen Vergabeausschüssen sitzen manchmal Leute, die das eher behindern und die aktiven Initiativen als Nestbeschmutzer bezeichnen. ({7}) Ein weiterer Punkt, der ebenfalls schon angesprochen wurde, ist die Kofinanzierung. Frau Schröder, Sie können es uns in Ihrer Rede erklären: Warum ist bei Projekten gegen Rechtsextremismus ein Eigenanteil von 50 Prozent und bei Projekten gegen vermeintlichen Linksextremismus nur ein Eigenanteil von 10 Prozent erforderlich? Das verstehe ich nicht. ({8}) Das ist völlig unlogisch. Wir müssen der Diskriminierung entgegentreten, und zwar in der gesamten Gesellschaft. Deshalb möchte ich zum Schluss noch kurz auf die Antidiskriminierungsstelle zu sprechen kommen. Die Ausstattung mit 2,9 Millionen Euro war schon nicht üppig und nicht ausreichend. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Koalition noch einmal um circa 12 Prozent kürzen muss, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Kampagne für das nächste Jahr schon geplant wurde. Wir haben deshalb in einem Änderungsantrag gefordert, dass die Antidiskriminierungsstelle ausreichend ausgestattet wird. ({9}) Ein anderes Thema, bei dem ich mich sehr geärgert habe, ist, dass die Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung gekürzt wurden. Das wurde schon am Dienstag bei der Debatte über den Einzelplan für das Innenressort besprochen. Wenn wir alle der Meinung sind, dass politische Bildung wichtig ist, dann kann nicht gleichzeitig einer überparteilichen Initiative wie dieser Bundeszentrale das Geld gekürzt werden. ({10}) Von daher sollte uns diese Haushaltsberatung Anlass geben, dass wir noch einmal nachdenken. Wir haben ja nachher die namentlichen Abstimmungen. Es ist gut, dass wir uns in diesem Hause alle einig sind. Aber es müssen auch Taten folgen. Die Menschen im Lande schauen jetzt ganz genau, wie das Geld verteilt wird. Sie haben in dieser Woche noch die Gelegenheit, die Schwerpunkte richtig zu setzen. Wir geben Ihnen Anregungen. Sie können sie aufnehmen und unseren Anträgen zustimmen. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder, hat das Wort. ({0})

Dr. Kristina Köhler (Minister:in)

Politiker ID: 11003569

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es scheint bei einigen in Vergessenheit geraten zu sein, dass die Ausgaben für die Extremismusprävention nur einen Teil des Familienetats ausmachen. Sie arbeiten sich hier an wichtigen 29 Millionen Euro ab; keine Frage. ({0}) Ich werde darauf auch noch zu sprechen kommen. Aber vorher möchte ich gern über die anderen 6,7 Milliarden Euro reden. Es wäre nämlich schön, wenn sich auch die Opposition wirklich für Familienpolitik interessieren würde; denn der gesellschaftliche Zusammenhalt beginnt in den Familien. ({1}) Hierfür setzt der Einzelplan 17 die richtigen Prioritäten. ({2}) Deswegen herzlichen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen, die das in den parlamentarischen Beratungen begleitet haben, vor allen Dingen an die Mitglieder des Familienausschusses und an die Mitglieder des Haushaltsausschusses, insbesondere an die Berichterstatter, Herrn Bockhahn als Hauptberichterstatter, Herrn Mattfeldt, Herrn Toncar, Herrn Schwanitz und Herrn Kindler. Von den Veränderungen am ursprünglichen Entwurf des Einzelplans 17 profitieren ganz besonders Familien. Die Mittel für das Elterngeld wurden gegenüber dem Regierungsentwurf um 300 Millionen Euro ({3}) auf 4,9 Milliarden Euro angehoben. „Schuld“ daran - im besten Sinne - sind die Väter. 25,4 Prozent von ihnen nehmen mittlerweile eine Auszeit im Beruf. ({4}) Väter wickeln, Väter füttern, Väter trösten, kurz: Väter definieren ihre Rolle neu. Diesen Erfolg sehen wir auf Spielplätzen, den sehen wir in Kinderarztpraxen, den sehen wir morgens auch in den Kitas, in denen man immer mehr Väter trifft. ({5}) Das ist eine Politik der Wahlfreiheit, die den Bedürfnissen der Menschen entspricht. Väter wollen sich mehr kümmern, und wir geben ihnen die Möglichkeit dazu. ({6}) Veränderungen brauchen wir auch beim Kitaausbau. Hier müssen vor allen Dingen die Länder ihre Anstrengungen deutlich erhöhen. ({7}) Man muss sich das einmal vor Augen führen: Da stehen immer noch 900 Millionen Euro bereit, und die Länder rufen sie nicht ab. Ich glaube, wir müssen uns hier schon auch selbstkritisch fragen, ob wir vielleicht beim Krippengipfel 2007 ein wenig zu euphorisch waren und dabei vergessen haben, dass die Umsetzung der Beschlüsse präzise geplant und gesteuert werden muss. Offenbar reicht es nicht, dass wir wie bisher nur einmal im Jahr in die Ausbaustatistik schauen. Deshalb werde ich die Bewirtschaftungsregelungen für den Kitaausbau ab 2012 verschärfen. ({8}) Ich will künftig von den Ländern jeden Monat ganz genau wissen, wie viele neue Plätze sie bauen wollen und wie viel eigenes Geld sie dort hineinstecken. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Bockhahn?

Dr. Kristina Köhler (Minister:in)

Politiker ID: 11003569

Bitte sehr. - Ich hätte Ihre Zwischenfrage eigentlich erst später erwartet. ({0})

Steffen Bockhahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004014, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielleicht werden es dann noch weitere; mal schauen. Das liegt ja an Ihnen. Frau Ministerin, Sie haben völlig zu Recht beschrieben, dass einige Länder - so muss man das ja sagen beim Ausbau der Kitaplätze etwas zögerlich sind. Ist Ihnen aber auch bewusst, dass für die Länder und vor allen Dingen für die Kommunen in erster Linie nicht die Schaffung neuer Plätze das Problem ist, sondern die Unterhaltung der neuen Plätze auf einem entsprechenden Niveau, das heißt, dass der Betrieb der Kitas das eigentliche Problem und deswegen oft ein Hindernis ist?

Dr. Kristina Köhler (Minister:in)

Politiker ID: 11003569

Lieber Herr Kollege Bockhahn, Sie haben recht, dass der Betrieb der Kitas eine teure Angelegenheit und damit auch eine besondere Herausforderung ist. Dies ist aber ausschließlich Aufgabe der Länder und Kommunen. ({0}) Weil der Bundesregierung dieses Problem aber bewusst ist, fließen von den 4 Milliarden Euro, die wir für den Kitaausbau ausgeben, 1,85 Milliarden Euro allein in den Betrieb der Kitas, und ab 2014 werden wir hierfür jährlich 770 Millionen Euro den Ländern zur Verfügung stellen ({1}) - wir wissen eben genau, dass das die große Herausforderung ist -, obwohl es nicht die Aufgabe des Bundes ist. ({2}) Es ist nämlich klar: Ab 2013 kommt der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. ({3}) Auch wenn es immer wieder gerade vonseiten der SPD Bestrebungen gibt, diesen Rechtsanspruch zu verschieben: ({4}) Er kommt. Die Eltern können sich auf uns verlassen. Die Bundesregierung steht felsenfest zu den finanziellen Zusagen, die wir beim Krippengipfel 2007 gemacht haben. ({5}) Bei einem weiteren gesellschaftlichen Großprojekt kann ich, früher als erwartet, Vollzug melden. Innerhalb von nur einem Jahr haben wir den Zivildienst weiterentwickelt zu einem freiwilligen Angebot, das Männern und Frauen, Menschen aller Generationen offensteht. Was mussten wir uns nicht alles von der Opposition anhören: Die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes schade den bestehenden Jugendfreiwilligendiensten, hieß es. ({6}) Niemals würden sich genügend Freiwillige finden. 70 000 Freiwillige - das sei doch eine illusorische Zahl. Heute können wir feststellen: Sie haben sich in allen Punkten geirrt, und zwar gewaltig. ({7}) Es gibt schon jetzt mehr als 70 000 Menschen in Deutschland, die einen Freiwilligendienst leisten. FSJ und FÖJ stehen besser da als je zuvor. Der Bundesfreiwilligendienst übertrifft mit über 25 000 Verträgen in nur fünf Monaten schon jetzt alle unsere Erwartungen. ({8}) Deshalb ist es an dieser Stelle Zeit für ein herzliches Dankeschön des Deutschen Bundestages an all diejenigen, die sich für und in den Freiwilligendiensten engagieren. ({9}) Meine Damen und Herren, viele Menschen engagieren sich auch in der Extremismusprävention. Ihr Engagement ist wichtig. Es ist erschütternd und beschämend, dass eine Bande von Neonazis in unserem Land 15 Jahre lang völlig unbehelligt Morde begehen konnte. Wir müssen ganz genau prüfen, ob hier schreckliche Fehler passiert sind ({10}) oder ob wir es sogar mit einem Systemfehler zu tun haben. Nachdenklich macht mich aber auch, mit welchen Methoden einige hier agitieren, um parteipolitischen Gewinn aus dieser schrecklichen Mordserie zu ziehen. ({11}) Deshalb möchte ich hier einmal einige Fakten klarstellen: ({12}) Erstens. In der politischen Bildung geht es darum, Kinder und Jugendliche vor totalitärem Gedankengut zu schützen - egal aus welcher Ecke es kommt. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Ministerin, darf ich Sie unterbrechen? Der Kollege Seifert meldet sich und möchte eine Bemerkung machen oder eine Frage stellen. Gestatten Sie das?

Dr. Kristina Köhler (Minister:in)

Politiker ID: 11003569

Bitte sehr, Herr Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie waren gerade bei Ihrer Darstellung des Kampfes gegen den Rechtsextremismus. Darin wollte ich Sie eigentlich nicht unterbrechen. Ich habe eine Frage, die Ihren Haushalt insgesamt betrifft. Sie haben gesagt, dass man nicht nur über die 29 Millionen Euro reden soll, sondern über die 6,7 Milliarden Euro, die Ihren Haushalt ausmachen. Wo bitte finde ich in Ihrem Haushalt das Kapitel, in dem steht, wie Sie mit Ihren Mitteln die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen gedenken, die seit zweieinhalb Jahren geltendes Recht in Deutschland ist? Ich finde es bedauerlicherweise nicht; vielleicht können Sie mich da aufklären.

Dr. Kristina Köhler (Minister:in)

Politiker ID: 11003569

Herr Kollege Seifert, die Umsetzung der UN-Konvention, die Sie ansprechen, ist in der Tat eine wichtige Aufgabe der Bundesregierung. Aber Sie sind sicherlich darüber informiert, dass sie im Bundesministerium für Arbeit und Soziales ressortiert. Im Haushalt dieses Ministeriums finden Sie die entsprechenden Mittel. ({0}) Kommen wir zurück zur Extremismusprävention: Zweitens. Die Behauptung, man würde den Rechtsextremismus relativieren, wenn man auch Präventionsprogramme gegen Linksextremismus und Islamismus fördert, ist nicht nur falsch, sondern auch dumm. ({1}) Denn sie verkennt die Realitäten: Kein einziger Cent, den wir zur Prävention von Linksextremismus und islamistischem Extremismus ausgeben, wurde bei der Rechtsextremismusprävention abgezogen. Seit ich im Amt bin, wurde für die Projekte gegen Rechtsextremismus kein einziger Cent gekürzt. Auch für die Projektarbeit war keine Kürzung geplant, sondern das Ganze hatte etwas mit Verwaltung zu tun. Deshalb bedeutet die Entscheidung der Koalitionsfraktionen vom Dienstag, dass ich 2 Millionen Euro zusätzlich für Projekte gegen Rechtsextremismus zur Verfügung habe. ({2}) Was aber macht die Opposition? Die SPD fordert in ihrem Antrag, die Mittel für Programme gegen Linksextremismus und Islamismus fast um die Hälfte zu kürzen. Die Linke will die Programme natürlich ganz abschaffen. Meine Damen und Herren, wenn wir das machen würden, dann würde das Träger wie das AnneFrank-Zentrum, die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, die Türkische Gemeinde in Deutschland, das Archiv der Jugendkulturen oder auch die von Ihnen so viel zitierte Amadeu-Antonio-Stiftung treffen. ({3}) Alle diese Träger haben innovative Projekte gegen Linksextremismus und Islamismus entwickelt; sie leisten hier Pionierarbeit. Sie, liebe Genossinnen und Genossen, wollen diese Pionierarbeit aus ideologischen Gründen plattmachen. ({4}) Drittens. Fakt ist, dass diese Bundesregierung mehr Geld für die Stärkung von Demokratie und Toleranz ausgibt als jede Bundesregierung zuvor. ({5}) Davon profitiert auch die Rechtsextremismusprävention, die wir kontinuierlich verbessern. In der letzten Förderperiode wurden 90 lokale Aktionspläne gegen Rechtsextremismus gefördert; jetzt sind es 174. Das sind rund 5 000 Einzelprojekte. Nach den schrecklichen Ereignissen im Juli in Norwegen - auch sie hatten einen rechtsextremen Hintergrund - habe ich den 16 Beratungsnetzwerken in den Ländern aufgrund des höheren Beratungsbedarfs insgesamt 800 000 Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt. Meine Damen und Herren, ich bin umgehend bereit, den Beratungsnetzwerken noch einmal die gleiche Summe zur Verfügung zu stellen. ({6}) Nun kommen wir zur Demokratieerklärung. Die Grünen fordern in ihrem Antrag die Streichung der Demokratieerklärung. ({7}) Interessant ist aber, dass sie dies nur für Träger von Projekten gegen Rechtsextremismus fordern. ({8}) Sie sprechen in Ihrem Antrag lediglich das Programm zur Prävention von Rechtsextremismus an. Sie sprechen nicht die Initiative „Demokratie stärken“ an, bei der es um Linksextremismus und Islamismus geht. Die Grünen sagen: Denen, die gegen Rechtsextremismus kämpfen, ist ein Bekenntnis zum Grundgesetz nicht zuzumuten. ({9}) Bei denen, die gegen Linksextremismus und Islamismus kämpfen, halten die Grünen dies offensichtlich für erforderlich. Da sieht man: Das ist Doppelmoral. - Bitte, Herr Kindler.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Ministerin, das Wort vergebe noch immer ich. Ich halte jetzt die Uhr, die, was die Redezeit Ihrer Fraktion angeht, ins Minus läuft, ({0}) bei dieser Frage an. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen; wir müssen nachher eine Einigung herbeiführen. - Bitte, Kollege Kindler.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Wenn Sie unseren Antrag richtig gelesen hätten, dann wäre Ihnen aufgefallen, dass wir ein 50-Millionen-Euro-Programm „Maßnahmen für eine demokratische Kultur, gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“ fordern und keine Erweiterung auf sogenannte andere Extremismusformen vornehmen. Das heißt, wir wollen die entsprechenden Programme wie die Linkspartei streichen. Deswegen ist da keine Extremismusklausel notwendig. Weiterhin könnten Sie darauf eingehen, was der Wissenschaftliche Dienst dieses Hohen Hauses auf die Anfrage des Kollegen Thierse hin gesagt hat: Er hat klar dargelegt, dass die sogenannte Demokratieerklärung gegen die Verfassung verstößt, weil nämlich erstens das Grundgesetz keinen Bekenntniszwang vorsieht und es in Deutschland die Meinungsfreiheit gibt und zweitens diese Partnerüberprüfung, die zu Schnüffelei führt, völlig unverhältnismäßig ist. Deswegen hat der Wissenschaftliche Dienst gesagt: Die Demokratieerklärung geht nicht mit der Verfassung zusammen. ({0})

Dr. Kristina Köhler (Minister:in)

Politiker ID: 11003569

Herr Kindler, in diesem Fall verkennen Sie und auch - das muss ich sagen - der Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes - das hat uns auch Herr Ossenbühl bestätigt, der dazu ein Gutachten angefertigt hat -, dass es hier nicht um Meinungsfreiheit geht. Vielmehr geht es darum, dass staatliche Gelder beantragt werden, die dem Zweck dienen sollen, Extremismus zu bekämpfen sowie Demokratie und Toleranz zu stärken. Da ist es nicht zu viel verlangt, dass diejenigen, die staatliche Gelder in Anspruch nehmen wollen, um Demokratie und Toleranz zu stärken, sich gleichzeitig zu Demokratie und Toleranz bekennen; das ist eine Selbstverständlichkeit, meine Damen und Herren. ({0}) Herr Kindler, Sie hatten eine Frage gestellt. Dabei haben Sie wieder die einzelnen Extremismusarten genannt. Das ist doch gerade der Punkt: Sie reden immer nur über Rechtsextremismus und haben jetzt gesagt, dass Sie die Programme nur noch auf den Rechtsextremismus ausrichten wollen. ({1}) Die Wahrheit ist deutlich komplexer. Ich will nicht, dass Linksextremismus von Rechtsextremisten bekämpft wird; ich will nicht, dass Rechtsextremismus von Linksextremisten bekämpft wird. Und ich will nicht, dass Islamismus von Islamhassern bekämpft wird. Ich will, dass Demokraten für die Demokratie kämpfen. Darum geht es. ({2}) Ich komme zu meinem letzten Punkt, Frau Präsidentin, und will mich dabei der SPD zuwenden. Auch die SPD sollte genau schauen, was unter ihrer Verantwortung passiert. In Mecklenburg-Vorpommern müssen Kitabetreiber eine Demokratieerklärung unterschreiben, ({3}) seit es einen Versuch der NPD gab, eine Kita zu unterwandern. Kein Mensch spricht hier von einem Generalverdacht gegen Kitas. Sie halten das für völlig richtig ich auch. Ich unterstütze die zuständige Ministerin, Frau Schwesig, hierbei, weil es mir um die Sache geht, unsere Demokratie vor Feinden zu schützen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Marks das Wort. ({0})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, ich möchte Sie auffordern, die ebenso dreiste wie unwahre Behauptung, die Sie in Ihrer Rede aufgestellt haben, zurückzunehmen, die SPD wolle den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz, der ab 2013 gilt, verschieben. Kommen Sie mir, Frau Ministerin, bei Ihrer Antwort bitte nicht mit Christian Ude; denn der hat zu Recht auf die Gefahr hingewiesen, dass der Rechtsanspruch ins Leere läuft, wenn Sie sich weiter Ihrer Verantwortung nicht bewusst sind und nicht endlich beginnen, zu handeln. Vielen Dank. ({0})

Dr. Kristina Köhler (Minister:in)

Politiker ID: 11003569

Frau Kollegin Marks, ich habe vor vier Wochen Christian Ude getroffen; er hatte mich als Präsident des Deutschen Städtetages eingeladen. Ich habe eineinhalb Stunden mit ihm und weiteren kommunalen Vertretern über den Rechtsanspruch auf Kitaplätze diskutiert. Christian Ude - auch mit anderen Vertretern der SPD, aber vor allem war es Christian Ude - hat mich glasklar aufgefordert, dass ich ein Moratorium für den Kitaanspruch durchsetzen soll. Es solle, was den Rechtsanspruch angeht, eine Verschiebung geben. ({0}) Insofern kann ich dazu leider nur sagen: Es gibt aus der SPD heraus diese Forderung. Mag sein, dass Ihnen das nicht passt. Sie sollten aber dennoch dazu stehen, dass aus Ihren Reihen die Eltern im Stich gelassen werden sollen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Rolf Schwanitz für die SPD-Fraktion ist der nächste Redner in dieser Debatte. ({0})

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, es wäre eine Frage der intellektuellen Redlichkeit, wenigstens darauf hinzuweisen, dass es hier einen Konflikt bzw. ein Problem mit allen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in diesem Land gibt. Ich weiß nicht, wie viele CDU-Bürgermeister bei Ihnen vorstellig werden und auf die Notlagen hinweisen, die durch Ihr Nichthandeln entstehen. Das haben Sie nicht gemacht. Das ist unredlich. ({0}) Frau Ministerin, Ihr Haushalt ebenso wie Ihre Politik sind Ausweis der Passivität und der vertanen Chancen. Das sieht man an den Publikationen, die Sie herausbringen. ({1}) Ich habe einige davon mitgebracht und möchte etwas dazu sagen. Das erste ist eine wunderbare Halbzeitbilanz dieser Legislaturperiode. Diese Publikation, auf Hochglanzpapier gedruckt, hat jeder zugeschickt bekommen, der sie haben wollte. In dieser Halbzeitbilanz kommen allerdings wichtige Themen überhaupt nicht vor, beispielsweise der Ausbau der Betreuungseinrichtungen für unter Dreijährige. Dazu gibt es kein Kapitel, keinen Abschnitt, das wurde einfach vergessen. Was allerdings vorkommt - erstaunlicherweise - ist das Betreuungsgeld. Dazu gibt es ein Kapitel. Nun wissen wir seit gestern, dass es in dieser Frage noch harte Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition gibt, insbesondere zwischen CDU und CSU, aber auch mit der FDP. Also habe ich einmal nachgeguckt, was Frau Haderthauer in einem Informationspapier dazu sagt. Ich darf zitieren, was Frau Haderthauer auf der Homepage ihres Ministeriums eingestellt hat. Dort ist Folgendes zu lesen: Langzeitstudien weisen nach, dass frühe Krippenbetreuung keine messbaren Bildungsvorteile, dafür aber möglicherweise Risiken für die emotionale Entwicklung mit sich bringen kann, daher gibt es keinen Grund für staatliche Einseitigkeit zugunsten von Krippen bei der Förderung von Betreuungsformen. Dann kommt ein Hinweis auf sogenannte psychosozial belastete Kinder. Es heißt: Diese Kinder haben oft ein Defizit in der seelischen und emotionalen Reifung, und in dieser Kategorie werden sie in Krippen sogar zusätzlich belastet und geschädigt … Sie sind bei der Klärung innerhalb der Koalition noch nicht einen Schritt vorangekommen, da wird in München schon eine Diffamierungskampagne gegen die Kitas gestartet. ({2}) Von Ihnen kommt dazu kein Wort. ({3}) Das ist Ihre Politik. ({4}) Ein weiteres Thema, das in der wunderbaren Halbzeitbilanz nicht vorkommt, ist die Antidiskriminierungsstelle. Die gibt es nicht; das Wort taucht überhaupt nicht auf, weder im Schlagwortregister noch im Text. Antidiskriminierungsstelle? Fehlanzeige! Die Übeltäter beim Thema Antidiskriminierungsstelle - das ist völlig klar sitzen hier: Das waren die Koalitionäre im Haushaltsausschuss. ({5}) Das Signal, das Sie damit setzen, dass Sie die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle einfach ausblenden, ist eine Einladung für Mattfeldt und Co., sich bei diesem Thema auszutoben. Insofern tragen Sie Mitschuld daran. ({6}) Ich möchte zusammenfassen, was hier geschehen ist. Trotz aller Widerstände, trotz des Aufschreis aller Betroffenen haben die Haushälter der Koalition den Sollansatz für die Antidiskriminierungsstelle im dritten Jahr in Folge gekürzt: im Haushalt 2012 um 367 000 Euro, das sind schlappe 13 Prozent weniger, als Sie in Ihrem Vorschlag vorgesehen hatten. Anschließend haben sich die Koalitionäre aus dem Staub gemacht. Sie haben ihr Verhalten kleingeredet. Die Antidiskriminierungsstelle wurde diffamiert. Es wurde behauptet, man könne dort nicht mit Geld umgehen. Die wahren Motive wurden eher zugedeckt. ({7}) Die Folgen dieses Handelns kennen wir seit der Presseerklärung von dieser Woche durch die Antidiskriminierungsstelle selber. ({8}) Das Projekt „Offensive diskriminierungsfreie Gesellschaft“ ist akut gefährdet. Der Aufbau von Betreuungsnetzwerken unterbleibt. Auch die Aufklärungskampagne für Diskriminierungsopfer, die für nächstes Jahr geplant war, ist akut gefährdet oder sogar eventuell nicht durchführbar. Dass Sie mit der Schuldenbremse argumentieren, meine Damen und Herren von der Koalition, ist von einer intellektuellen Schlichtheit, da fällt mir nichts mehr ein. Darauf will ich gar nicht eingehen. ({9}) Ich will die eigentlichen politischen Motive, die dahinterstehen, deutlich machen. Ich will Herrn Mattfeldt mit einem Satz zitieren, den er zwar heute nicht gesagt hat - die wunderbare Formulierung von der Sozialindustrie hat er ja mehrfach selbst gebracht -, der aber auf seiner Homepage zu lesen ist. Er schreibt: Die Mittel für diese Antidiskriminierungsstelle werden in vielen Fällen dazu benutzt, die Arbeitgeber an den Pranger und unter Generalverdacht zu stellen. Daraus erwächst ein Klima des Misstrauens in diesem Land, das uns nicht gut tut und uns keinen Schritt vorwärts bringt! Das ist eine solche ideologische Verbohrtheit. Dazu fällt mir wirklich nichts mehr ein. ({10}) Die Antidiskriminierungsstelle handelt auf einer gesetzlichen Grundlage, ({11}) die der Deutsche Bundestag beschlossen hat. Was Sie machen, ist Rechtsbruch durch die Hintertür. Ich fordere Sie auf, wieder zu Recht und Ordnung zurückzukehren. ({12}) Frau Schröder, ich will noch etwas zu dem Thema Extremismusprävention sagen, das Sie in Ihrer Rede angesprochen haben. Wie einige meiner Vorredner will auch ich ausdrücklich kritisieren - das kritisieren viele in diesem Haus -, dass Sie mit Ihrem Steckenpferd, der Linksextremismusbekämpfung, eine falsche Schwerpunktsetzung vornehmen. ({13}) Ich habe etwas mitgebracht, eine Broschüre für die Lehrer in Deutschland: Demokratie stärken - Linksextremismus verhindern. Sie wird jetzt tausendfach verschickt, quasi, damit die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen auch Unterricht gegen Linksextremismus machen können. Darin stehen Dinge, die wirklich lächerlich sind, beispielsweise werden Musiktitel von „Ton Steine Scherben“ als Ausweis für Linksextremismus angeführt. ({14}) Schwamm drüber! Lassen wir das! ({15}) - Wunderbar. Das geht noch viel weiter. In dieser Broschüre finde ich eine Differenzierung in gute Antifaschisten und in schlechte Antifaschisten. Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist ein Bündnis, eine Aktivierung der Antifaschisten in diesem Land. Darum muss es gehen und nicht um eine Spaltung der Menschen. ({16}) Im Haushaltsausschuss habe ich Sie danach gefragt. Da kam der Hinweis auf die seit 2009 in Berlin brennenden Autos. Sie haben gesagt: Das waren die Linksextremisten. Ich habe Sie gefragt: Woher wissen Sie das eigentlich? - Jetzt weiß ich, woher Sie das wissen: Das steht hier drin. ({17}) Es gibt eine ganze Seite zur linksextremistischen Gewalt. Zu den Brandanschlägen in der Zeit nach 2009 steht da - ich will zwei Sätze zitieren -: Wer hinter diesen Anschlägen steht, kann die Polizei nur schwer ermitteln. Ein beträchtlicher Teil geht auf linksextremistische Gewalt zurück … ({18}) Ich weiß es zwar nicht so richtig, aber sagen kann ich es schon mal! Das macht sich besonders gut, wenn es um die rechtsstaatliche Erziehung in unseren Schulen geht. ({19}) Das, was Sie hier praktizieren - nehmen Sie das an von jemandem, der aus der Region kommt, die in dieser Woche in unseren Diskussionen so oft im Fokus stand -, dieses Differenzieren in gute und in schlechte Antifaschisten, ist nicht nur eine Diffamierung der Aktivisten vor Ort; das ist das eine. Das andere ist das Auseinanderdividieren und Legitimieren der Zurückhaltung. In weiten Teilen der neuen Länder lehnen sich konservative Kommunalpolitiker doch noch immer eher zurück, wenn es um die Aktivitäten geht, die notwendig sind. ({20}) Mit dieser Diffamierung schaffen Sie Legitimations- und Bezugspunkte. ({21})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schwanitz, achten Sie bitte auf die Zeit.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Im Deutschen Bundestag ist am Dienstag etwas Außergewöhnliches passiert: Die Koalition hat das Herz über die Hürde geworfen und gesagt: Okay, die 2 Millionen Euro setzen wir wieder drauf. - Das ist in Ordnung gewesen. Frau Schröder, zeigen Sie an dieser Stelle einmal Größe. Schaffen Sie diese Klausel ab! Führen Sie die Initiativen zusammen, anstatt zu spalten! Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich erlaube mir, einen Hinweis zu wiederholen, den ich gestern schon geben musste, ohne einzelne Akteure für das Protokoll zu benennen: Wir sollten uns in der Sache auseinandersetzen und uns nicht gegenseitig mit wie auch immer missverständlichen Vokabeln oder Titeln belegen. Das Wort hat der Kollege Florian Toncar für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde versuchen, diesem Hinweis nachzukommen. Ich möchte versuchen, in meiner Rede auf die Arbeit des Ministeriums in ihrer ganzen Breite und den gesamten Haushalt einzugehen; denn die Diskussion ist zuletzt sehr stark auf einige Aspekte verengt worden. Ich finde, dass in den vergangenen zwei Regierungsjahren und unter Familienministerin Kristina Schröder - das kam heute noch nicht so zum Ausdruck, gehört aber zu einer Zwischenbilanz - viele Projekte angestoßen worden sind, und das in einer Situation, in der wir finanziellen Zwängen unterliegen, die manches nicht einfach machen. Wenn man sich das Ganze anschaut, muss man feststellen: Es ist eine ganze Menge erreicht worden. ({0}) Die Haushaltsmittel sind angestiegen; das ist als solches aber noch kein Kriterium. Man kann jedoch feststellen, dass insbesondere aufgrund des Elterngeldes im Jahr 2012 für Familien weit mehr ausgegeben werden wird als im vorherigen Jahr. ({1}) - Ja, aber es kommt bei den Familien an. Es ist nicht nur ein Rechtsanspruch, sondern Geld, von dem man sich etwas kaufen oder mit dem man als Familie etwas unternehmen kann, und zwar mehr als je zuvor. ({2}) Darauf sollte und darf man in einer Haushaltsdebatte einmal hinweisen, ({3}) ohne dass daraus gleich wieder ein Vorwurf der Opposition konstruiert wird. Es ist ja auch Ihr Gesetz. Freuen Sie sich doch darüber, dass das angenommen wird. Ich möchte nur kursorisch auf das hinweisen, was im vergangenen Jahr angestoßen worden ist: Das Hilfetelefon für Frauen, die in ihrer Familie Gewalt erfahren, ist von den Fraktionen angestoßen worden; Kollegin Sibylle Laurischk ist hier. Wir haben dies noch im letzten Haushalt untergebracht; es kommt jetzt. Das ist ein ganz bedeutender Fortschritt. - Wir sind die Familienpflegezeit angegangen, ein Angebot an pflegende Angehörige, das, wie ich finde, ein gutes Modell geworden ist. Der Übergang vom Zivildienst in ein neues Freiwilligendienstformat - das war eine gewaltige Aufgabe - ist gelungen. Ich habe mich viele Jahre mit diesem Thema beschäftigt und ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass es so schnell möglich ist, da zu sein, wo wir heute stehen. Natürlich kann noch einiges verbessert werden; aber es ist in kurzer Zeit gelungen, ein gutes Freiwilligendienstformat auf die Beine zu stellen. ({4}) Wir haben uns als Haushälter entschlossen, im kommenden Jahr einen Teil der Mittel für die JugendfreiwilFlorian Toncar ligendienste zu sperren. Ich lege Wert darauf, im Plenum und in der Öffentlichkeit deutlich zu sagen, dass das nicht darauf zurückzuführen ist, dass wir Zweifel haben, dass das Geld gebraucht wird. Das Geld wird gebraucht, und zwar in voller Höhe. Es ist lediglich so, dass die Art und Weise, wie das Geld verteilt wird, wie die Fördersätze ausgestaltet sind, neu konzipiert und mit dem Bundesrechnungshof abgestimmt werden muss. Dass wir den Einfluss darauf behalten, ist der Grund für die Sperre. Wir wissen, dass die Mittel gebraucht werden, und wir haben auch vor, sie freizugeben, wenn das Fördersystem allen Anforderungen genügt. Das will ich für die Öffentlichkeit ganz deutlich klarstellen. Im Haushalt ist wiederum - nunmehr im zweiten Jahr die Qualifizierungsoffensive enthalten. Dies zeigt, dass diese Bundesregierung über das bisherige Ausbauprogramm für Kinderbetreuung hinaus auch in die Qualität der Betreuung investiert. Es braucht eben nicht nur Kitaplätze, sondern in einigen Teilen Deutschlands auch qualifiziertes Personal für Sprachförderung und andere Dinge. Dafür stellen wir extra Geld bereit. ({5}) Damit zeigen wir, dass es gut ist, an die Ursache der Probleme heranzugehen, und dies ist in der Regel ein Mangel an Integration, an Bildung. Genau dafür geben wir Geld aus, und zwar mehr Geld. Wir kürzen also nicht ohne Sinn und Verstand, sondern setzen die richtigen Schwerpunkte. Es ist nach vielen Jahren gelungen, eine Lösung für die Heimkinder zu entwickeln. Auch das findet sich in diesem Haushalt wieder. Darüber hinaus ist es der Ministerin gelungen, ein Nachfolgeprogramm für die Mehrgenerationenhäuser zu entwickeln, die sich bewährt haben. Auch das ist gesichert. Wir haben also - das können wir als Koalition heute selbstbewusst sagen - trotz Sparzwängen, trotz begrenzter finanzieller Mittel zusätzliche Projekte angestoßen und Schwerpunkte gesetzt, die für unsere Gesellschaft insgesamt sehr sinnvoll sind. ({6}) Auf einen Punkt möchte ich noch hinweisen: den Unterhaltsvorschuss. Wir geben jedes Jahr sehr viel Geld für Unterhaltsvorschüsse aus. Einen Unterhaltsvorschuss bekommen Elternteile, die einen Unterhaltsanspruch insbesondere für ihr Kind haben, wo aber der Unterhaltspflichtige nicht leistungsfähig bzw. nicht auffindbar ist. Der Staat holt sich das Geld später von denen zurück, die eigentlich zahlen müssten. Das Problem ist, dass wir sehr viel mehr ausgeben, als wir von den Unterhaltspflichtigen zurückbekommen. Die Quote ist nicht gut; sie liegt bei ungefähr einem Viertel. Sie ist auch trotz gesunkener Arbeitslosigkeit kein bisschen besser geworden. Man dachte ja, dass damit der Hinderungsgrund bei manchen Unterhaltspflichtigen wegfallen würde. Noch dazu ist die Quote von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Das zeigt, dass diese Thematik nicht in allen Bundesländern ernsthaft verfolgt wird. Wir werden in den nächsten Jahren mit Ihnen, Frau Ministerin, daran arbeiten müssen, dass dieses Ungleichgewicht zwischen den Bundesländern beseitigt wird und dass sich die etwas schlechte Zahlungsmoral bezüglich des Unterhaltsvorschusses zugunsten unseres Haushalts verbessert. Dafür haben Sie die Unterstützung der Haushälter. Wir sind mit der Arbeit des Familienministeriums sehr zufrieden und glauben, dass wir einen sehr guten Haushalt und eine sehr gute Halbzeitbilanz für dieses Ministerium vorweisen. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Jörn Wunderlich. ({0})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Kind hat den Anspruch auf einen Kindertagesstättenplatz. Diesen Rechtsanspruch haben wir endlich im Gesetz verankert. - So hieß es seinerzeit, und die Koalition war geradezu besoffen von diesem Erfolg hinsichtlich der Kinderbetreuung. ({0}) Wie sieht die Realität aus? Die Mittel werden in zu geringem Umfang abgerufen, der Ausbau geht zu langsam voran. Schon vor Jahren hat die Linke die Familienministerin - damals war es Frau von der Leyen - darauf hingewiesen, dass die Rechnung der Regierung nicht aufgeht. Die Betreuungsquote ist zu gering bemessen, der Rechtsanspruch wird mangels Plätzen und mangels entsprechend qualifizierten Personals nicht umgesetzt werden können. Frau von der Leyen hat das damals begriffen, konnte oder wollte es aber nicht umsetzen. Ich weiß nicht, wie das Verständnis gegenwärtig ist. Fakt ist: Es werden nicht ausreichend Kindergarten- und Krippenplätze zur Verfügung stehen, und die Regierung ist nicht bereit, auf Bundesebene in dieser Hinsicht etwas zu unternehmen. Hier muss sich etwas ändern. ({1}) Stattdessen wird das Betreuungsgeld in Aussicht gestellt, das Eltern davon abhalten soll, ihre Kinder in eine Kindertagesstätte zu bringen. Hier soll ein finanzieller Anreiz für Eltern geschaffen werden, um den nicht umsetzbaren Rechtsanspruch abzufangen. Eltern sollen wieder in zwei Klassen eingeteilt werden: gute, welche zu Hause ausschließlich ihre Kinder erziehen, und weniger gute, welche neben der Kindererziehung auch noch eine Kindertagesstätte in Anspruch nehmen. Deren Erziehungsleistung ist nach Ansicht der Koalition nicht zu honorieren. Welch perfide Einstellung zu Eltern! ({2}) Bei Eltern im Hartz-IV-Bezug wird das Betreuungsgeld natürlich verrechnet, sodass unter dem Strich nichts bleibt. Das muss sich ändern. ({3}) Als Argument höre ich immer das Lohnabstandsgebot. Lohnabstandsgebot hier, Lohnabstandsgebot da. Ich frage Sie von der Koalition: Haben Sie schon einmal etwas vom Lohnanstandsgebot gehört? ({4}) Wir brauchen anständige Löhne; da liegt der Hund begraben. Die Regierung argumentiert immer so: Euch im Niedriglohnbereich geht es schon mies, also muss es euch im Hartz-IV-Bezug noch mieser gehen. - Das ist die christlich-liberale Politik dieser Regierungskoalition. Jeder kann sich überlegen, was daran christlich oder liberal sein soll. Hier geht es nur um die Förderung von Familien, die es sich leisten können. Wenn es um die Anerkennung der Erziehungsleistung ginge, dann müssten alle Familien Betreuungsgeld bekommen. Aber das würde den Haushaltsrahmen des Familienministeriums sprengen. Wir müssen also den Ausbau der Kindertagesstätten forcieren und den Bundesanteil aufstocken, damit der Rechtsanspruch der Kinder auch umgesetzt werden kann. Zur ADS ist schon einiges gesagt worden. Die Aufgaben sind vielfältig und nehmen ständig zu, auch im Hinblick auf Altersdiskriminierung. Jetzt haben wir mit Frau Lüders endlich eine taffe Frau an der Spitze dieser Stelle - die Vorgängerin möchte ich namentlich nicht erwähnen; ihre Arbeit war eine Katastrophe -, ({5}) und jetzt werden die Mittel zusammengestrichen. Die Rücknahme der Kürzungen in Höhe von 367 000 Euro ist das Mindeste, was wir tun müssen, um eine arbeitsfähige Antidiskriminierungsstelle zu haben. ({6}) Nächster Punkt - ich kann nur auf einige Punkte eingehen -: Das Elterngeld ist auszubauen, wenn tatsächlich mehr Väter in die Verantwortung genommen werden sollen. Es ist schon gesagt worden, dass es ein bisschen aufgestockt wurde. Das war deutlich zu wenig. Die 4,9 Milliarden Euro, die dafür in den Haushalt eingestellt sind, reichen nicht aus. Das Elterngeld ist ein wirksames Instrument. Es ist auszubauen und zu erweitern. Der Sockelbetrag muss, bei Hartz IV anrechnungsfrei, erhöht werden. Das Elterngeld muss auch derart ausgestaltet werden, dass jeder Elternteil Anspruch auf zwölf Monate Elternzeit hat. ({7}) Das kostet natürlich etwas; das ist klar. Deswegen müssen wir zusätzliche Mittel in Höhe von 2,3 Milliarden Euro in den Haushalt einstellen. Jetzt wird jeder schreien, dass 2,3 Milliarden Euro sehr viel Geld sind. Das ist richtig. Aber wenn ich die Mittel für den Verteidigungshaushalt um ein Sechstel kürze, kann ich den Ansatz im Familienhaushalt verdoppeln. Das muss man sich einmal vor Augen führen. Ich muss noch etwas zum Thema Rechtsextremismus sagen. So wie Kollege Schwanitz komme auch ich aus der Gegend, über die nun viel gesprochen wird. Ich komme aus dem Kreis Zwickau und habe vor Ort meine Erfahrungen mit Rechtsextremisten gemacht. ({8}) - Die Ministerin sollte vielleicht einmal zu uns kommen; aber ich glaube, ich kann ihr nicht genügend Personenschutz gewährleisten, damit sie wieder sicher aus meiner Stadt herauskommt. ({9}) Den schönen Reden, die wir am Dienstag gehört haben, müssen Taten folgen. Im interfraktionellen Entschließungsantrag haben wir uns gemeinsam darauf verständigt, dem Rechtsextremismus entschieden entgegenzutreten. Dafür sollten wir auch die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen. Die Grünen haben eine Erhöhung dieses Haushaltstitels beantragt, die SPD hat es gemacht, und die Linke hat es auch gemacht. Was wollen Sie von der Koalition? Von Ihnen höre und sehe ich dazu nichts. Vielleicht können wir uns auf den Mittelweg, die von uns beantragten 35 Millionen Euro, einigen. Das wäre jedenfalls ein Signal an die Menschen im Lande und ein deutliches Zeichen an den - ich formuliere es einmal so - braunen Sumpf, dass ihm wirklich der Kampf angesagt wird. ({10}) Ich finde es ganz schrecklich, dass es erst zu solchen Ereignissen, die jetzt ans Licht gekommen sind, kommen musste und dass die Koalition erst wachgerüttelt werden musste. Müssen erst wieder Tote die Straßen pflastern, damit sich in dieser Richtung etwas bewegt? ({11}) - Auch ich finde: Die Situation im Hinblick auf den Rechtsextremismus ist unerträglich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Wunderlich.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wer wirklich etwas will, der findet einen Weg. Wer etwas nicht will, der findet Gründe. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja Dörner von Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Kollege Mattfeldt hat das Hohelied vom Sparen und von der Schuldenbremse gesungen. Gleichzeitig planen Sie ein Betreuungsgeld, ({0}) das einen Betrag von 1,5, 2 oder 2,5 Milliarden Euro jährlich verschlingen wird. ({1}) Das ist doch einfach absurd. Man kann Sie in der heutigen Haushaltsdebatte überhaupt nicht mehr ernst nehmen. ({2}) Beim Betreuungsgeld sprechen wir von einer Maßnahme, über die Maria Böhmer, die Chefin der FrauenUnion, gesagt hat, die Frauen-Union hätte sich eine andere Lösung gewünscht. ({3}) Wir sprechen über eine Maßnahme, über die unsere Kollegin Miriam Gruß - ich habe extra noch einmal nachgesehen - vor einem Monat gesagt hat: ({4}) Wir, die FDP, sind absolut gegen diese Leistung. - Wir sprechen über eine Maßnahme, über die unsere Kollegin Rita Pawelski - auch sie ist heute da - in den Medien gesagt hat, die Frauen in der Union seien über das, was da in Planung ist, entsetzt gewesen. ({5}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich habe wirklich viel Verständnis für politische Kompromisse. Aber ich habe keinerlei Verständnis für Maßnahmen wider alle Vernunft. ({6}) Ich bin der Gruppe der Frauen in der Union tatsächlich dankbar, dass sie den Mumm hat, sich dem billigen Kuhhandel, der am 6. November dieses Jahres im Bundeskanzleramt ausbaldowert wurde, zu widersetzen. Ich bin froh, dass es mittlerweile positive Signale von der Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret KrampKarrenbauer, gibt, sich im Bundesrat an unserer Initiative gegen das Betreuungsgeld zu beteiligen. ({7}) Ministerin Schröder hat in der ganzen Angelegenheit offensichtlich gar nichts zu sagen. Sie kam aus der Babypause zurück, hat eine Pressekonferenz gegeben und einen Kompromissvorschlag zum Betreuungsgeld unterbreitet, hinter dem sich dann angeblich alle Seiten versammeln können. Von diesem Kompromissvorschlag ist überhaupt keine Rede mehr. Er wurde einfach einkassiert. ({8}) Nächste Woche soll ein Friedensgespräch stattfinden, an dem unter anderem Herr Kauder und Maria Böhmer teilnehmen. ({9}) Die zuständige Fachministerin ist aber nicht eingeladen. ({10}) Ich frage mich: Wofür haben wir eine Familienministerin, wenn sie bei ihren ureigenen Kernthemen nicht einmal gefragt wird? ({11}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Ausgestaltung des Betreuungsgeldes, die nun von der CSU durchgedrückt werden soll, ist absolut absurd. ({12}) Der Bezug des Betreuungsgeldes wird nicht einmal mehr am Kriterium der Berufstätigkeit der Eltern festgemacht. ({13}) Alle Eltern sollen das Betreuungsgeld bekommen, nur nicht die, die ihre Kinder in eine Kita geben. ({14}) Das bedeutet: Doppelverdienereltern bekommen ihre Nanny zukünftig mit 150 Euro im Monat subventioniert. ({15}) Im letzten Jahr haben Sie den ALG II beziehenden Eltern im Rahmen Ihres Sparpakets schon den Sockelbetrag des Elterngeldes gestrichen. ({16}) Das ist absolut unsozial und völlig absurd. ({17}) Fakt ist: ({18}) So wie das Betreuungsgeld jetzt angelegt ist, wird es zu einer reinen Kitafernhalteprämie. ({19}) Ich muss wirklich sagen: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Gerade haben wir nämlich die neuen Zahlen zum Kitaausbau bekommen. Wir wissen, dass dieser viel zu schleppend vorangeht. Deshalb müssen wir jetzt eine Richtungsentscheidung treffen. Wir brauchen mehr Geld, auch vom Bund, für die Investitionen in die Kitas, damit der Rechtsanspruch 2013 umgesetzt werden kann. ({20}) Solider Kitaausbau oder Betreuungsgeld, das ist letztlich die Frage. Da können wir uns doch nicht von der CSU auf der Nase herumtanzen lassen. ({21}) Ich möchte mich ganz besonders an die Haushälter der Regierungsfraktionen wenden. Beispielsweise Herr Toncar wurde in den Medien damit zitiert, er wisse gar nicht, woher die zusätzlichen Milliarden für das Betreuungsgeld kommen sollen. Haben Sie einmal mit den Landesregierungen in Bayern und in Thüringen gesprochen? Dort gibt es nämlich schon eine Art Betreuungsgeld; das nennt sich Landeserziehungsgeld. Es wird doch darauf hinauslaufen, dass diese Länder ihren Haushalt auf Kosten des Bundes sanieren. So herum wird ein Schuh daraus. So wird es mit dem Betreuungsgeld ablaufen. ({22}) Das sollte doch Ihnen als Haushälter zu denken geben. ({23}) Ich weiß, dass sich einige meiner Kollegen im Haushaltsausschuss sehr für den ländlichen Raum engagieren, ({24}) Schorschi Schirmbeck etwa, der auch anwesend ist. Deshalb habe ich die Pressemitteilung der Landfrauen mitgebracht, die auf einer knappen Seite wunderbar sachlich darlegen, warum sie das Betreuungsgeld ablehnen und warum das Betreuungsgeld nichts mit Wahlfreiheit zu tun hat, auch und gerade nicht für Frauen im ländlichen Raum. Diese Pressemitteilung werde ich den Kollegen gleich zur Verfügung stellen. Ich hoffe, dass die Frauen-Union dann viele Mitstreiter im Haushaltsausschuss findet. ({25}) Ich komme zum Schluss. In der FAZ stand vor einigen Tagen ein Artikel, aus dem ich kurz zitieren möchte: Damit drängt sich die Frage auf, ob Familien künftig auch eine Entschädigung bekommen, wenn sie ihre Kinder nicht auf die staatlich finanzierte Universität, sondern zur Ausbildung in einen Handwerksbetrieb schicken … Oder an diejenigen, die keine geförderte Solaranlage auf ihrer Garage haben? Seit dem Beschluss zum Betreuungsgeld scheinen auch solche Absurditäten nicht mehr undenkbar. Die schwarz-gelbe Familienpolitik ist zu einer Absurdität verkommen. Sie ist ein reines Trauerspiel. Sie sollte schnellstmöglich beendet werden. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Erwin Rüddel von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren eine äußerst erfolgreiche Familienpolitik. ({0}) Deshalb, Frau Dörner, läuft Ihre Kritik absolut ins Leere. Mit dem Familienhaushalt stellt die christlich-liberale Koalition unter Beweis, dass Konsolidierung der Finanzen und nachhaltige Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft kein Widerspruch sind. Wir beweisen, dass sich Sparen und Gestalten keineswegs ausschließen. ({1}) Wir reden nicht nur vom gesellschaftlichen Wandel und von der Zivilgesellschaft, sondern wir fördern sie mit zukunftsweisenden Projekten. Wir fördern das bürgerschaftliche Engagement und schaffen nach der Aussetzung des Zivildienstes eine neue Kultur der Freiwilligkeit in Deutschland. Jung und Alt, Frau oder Mann, jeder kann einen Freiwilligenplatz bekommen und so zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft aktiv beitragen. Das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Schon jetzt wählt jeder vierte Vater eine Auszeit vom Beruf, um zu Hause Verantwortung zu übernehmen. Diesen gesellschaftlichen Wandel begrüßen wir ausdrücklich. Für 2012 planen wir deshalb Mehraufwendungen von rund 300 Millionen Euro ein. Für die Initiative „Frühe Chancen“ zur sprachlichen Förderung in unseren Kitas stellen wir in diesem Jahr 82 Millionen Euro bereit. Im nächsten Jahr werden es 102 Millionen Euro sein. In diesem Jahr sind 3 000 Schwerpunktkitas eingerichtet worden. Im nächsten Jahr werden 1 000 weitere hinzukommen. Bis 2014 investieren wir insgesamt 400 Millionen Euro, die ganz konkret dem späteren Bildungserfolg und einer gelungenen Integration zugutekommen. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass der Bund die Kommunen bei der Grundsicherung um 12 Milliarden Euro entlastet. Das gibt den Kommunen sicherlich Spielraum, den Kitaausbau zu betreiben. ({2}) Die Mittel für die Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie erhöhen wir, wie schon erwähnt, auf 29 Millionen Euro. ({3}) Sie dienen primär der Prävention. Denn wir sind der Auffassung, dass jeglicher Extremismus ein Angriff auf unser demokratisches Gemeinwesen ist. Ich bin der Ministerin dankbar, ({4}) dass sie bereits lange vor Bekanntwerden dieser schrecklichen Geschehnisse von den Maßnahmenträgern eine Demokratieerklärung verlangt hat. Die Projektträger von staatlich geförderten Maßnahmen sollen nicht nur weiter sensibilisiert, sondern auch beraten und geschützt werden. ({5}) Familienpolitik ist aber mehr als Extremismusbekämpfung. Wir müssen Strukturen schaffen, damit Extremismus keinen Nährboden hat. Im Rahmen des neuen Kinderschutzgesetzes fördern wir die Arbeit der Familienhebammen. Wir wollen jungen Frauen frühzeitig helfen. Wir wollen helfen, bevor es zu spät ist. Für diesen präventiven Ansatz stellen wir im nächsten Jahr 30 Millionen Euro bereit. In den nächsten vier Jahren sind es insgesamt 120 Millionen Euro. Umso ärgerlicher finde ich die Einlassungen einiger roter und grüner Landesministerinnen, die gegen dieses wichtige Vorhaben öffentlich Stimmung machen. Für parteitaktische Manöver auf dem Rücken von Kindern und Familien hat niemand Verständnis. Wir haben 7 Millionen Euro für die Förderung der künstlichen Befruchtung bereitgestellt. Das Ziel bleibt aber, daraus 10 Millionen Euro für die Unterstützung bei ungewollter Kinderlosigkeit zu machen. Für die erfolgreichen Mehrgenerationenhäuser, die exemplarisch für bürgerschaftliches Engagement auf kommunaler Ebene stehen, haben wir ein Folgeprogramm mit den Schwerpunkten Pflege und Integration aufgelegt. Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zur Familienpflegezeit. Mit dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf werden sicherlich nicht alle Probleme im Bereich der Pflege gelöst; aber es ist ein Meilenstein auf dem Weg, das große Thema der bedarfsgerechten Pflege in einer rasch alternden Gesellschaft zu bewältigen. Meine Damen und Herren, wir geben moderne Antworten auf den gesellschaftlichen Wandel. Wir schaffen faire Chancen. Wir fördern das bürgerschaftliche Engagement, die soziale Teilhabe und den Zusammenhalt der Generationen. Die Koalition trägt den Veränderungen in unserer Gesellschaft Rechnung. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir mit unserem Familienhaushalt auf dem richtigen Weg sind. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Sönke Rix von der SPDFraktion. ({0})

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst komme ich zu einem Thema, das schon eine Rolle gespielt hat, zum Übergang vom Zivildienst zum Freiwilligendienst. ({0}) - Ich weiß nicht, Herr Grübel, ob das wirklich positiv ist. Die meisten Redner haben festgestellt, trotz der Anfangsschwierigkeiten seien jede Menge junger Menschen gewonnen worden, die in Freiwilligendiensten tätig sind. ({1}) Das ist gut so, und es will niemand in Abrede stellen, dass das zu loben ist und den jungen Menschen, die diesen Dienst antreten, egal ob im Bundesfreiwilligendienst oder im Jugendfreiwilligendienst, unser gemeinsamer Dank gebührt. ({2}) Aber es gibt natürlich Probleme beim Start. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Startprobleme daran liegen, dass wir sehr schnell ein System für die Zeit nach dem Zivildienst entwickeln mussten. Wer sagt denn, dass das so schnell gehen musste? Warum haben Sie so auf das Tempo gedrückt? Ich glaube, sowohl die Bundeswehr als auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen wären dankbar gewesen, wenn Sie eine längere Übergangsfrist vorgesehen und vorgeschlagen hätten, sich gemeinsam an den Tisch zu setzen, um zusammen ein Konzept zu erarbeiten, statt es im Eiltempo durchzuziehen. Dieser Zeitdruck war nicht notwendig. ({3}) Jetzt wird deutlich - wir haben uns mit den Trägern darüber auseinandergesetzt -: Beim Bundesfreiwilligendienst ist natürlich nicht alles Gold, was glänzt. Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ist für die Umsetzung des Bundesfreiwilligendienstes zuständig. Beim Bundesfreiwilligendienst muss der Vertrag im Gegensatz zum Jugendfreiwilligendienst vom Bundesamt, vom Träger, von der Einsatzstelle und vom Freiwilligen unterzeichnet werden. Bis dieser Vertrag zurückkommt, vergehen mehrere Wochen. Die Einsatzstelle weiß nicht damit umzugehen. Das gleiche Problem haben wir leider mit dem Geldfluss. Die Einsatzstellen, die die Bundesfreiwilligendienstler einstellen, müssen über Monate hinweg warten, bis die Mittel dafür fließen. Das ist kein gelungener Start des Bundesfreiwilligendienstes. Das ist ein Bürokratiemonster. Insbesondere von den Kollegen der FDP hätten wir eigentlich anderes erwartet. ({4}) Wie kommen wir da heraus? Ich habe schon öfter gesagt: Wir brauchen keine Doppelstruktur bei den Freiwilligendiensten. Wir brauchen nicht auf der einen Seite den staatlich organisierten Bundesfreiwilligendienst und auf der anderen Seite den zivilgesellschaftlich organisierten Jugendfreiwilligendienst. Das ist unnötig. Wir müssen zusehen, dass wir in der nächsten Zeit - hoffentlich gemeinsam - die Richtung verfolgen, einen gemeinsamen Freiwilligendienst zu organisieren, der unter der Verantwortung der Zivilgesellschaft steht. ({5}) Natürlich möchte auch ich noch etwas zu dem aktuellen Thema Strategien zur Bekämpfung des Rechtsextremismus sagen. Frau Ministerin, es geht uns gar nicht darum, dass es aus Ihrer Sicht Mittel gegen den Linksextremismus und Mittel gegen den Rechtsextremismus gibt. Bei der aktuellen Debatte geht es nicht um Linksextremismus, sondern um rechtsextremistischen Terror. ({6}) Stellen Sie sich bitte die Angehörigen der Opfer vor, wenn die Ministerin hier bedauert, dass es diesen Terror gibt, aber sofort hinterherschiebt: „Aber Linksextremismus und Islamismus sind auch schlimm.“ Diese Haltung ist nicht zu ertragen. ({7}) Natürlich spielt dabei auch die Extremismusklausel eine Rolle. Es ist überhaupt nicht schlimm, wenn sich Leute zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Schlimm ist aber, dass Sie mit dieser Extremismusklausel - Sie nennen das „Demokratieerklärung“ abfragen, ob die Verantwortlichen selbst, die Organisation, und diejenigen, die mit ihnen zusammenarbeiten, auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Was bedeutet das denn, Frau Ministerin? ({8}) Sie haben im Ausschuss geantwortet: Ich kann die Namen googeln; dann weiß ich, ob sie extremistisch sind oder nicht. - Sie müssen sich gegenseitig ausspionieren. So kann keine vertrauensvolle Arbeit entstehen. ({9}) Zu kritisieren ist auch, dass diejenigen, die Mittel aus dem Topf gegen Rechtsextremismus beantragen, die Erklärung unterschreiben müssen, während beispielsweise der Bund der Vertriebenen, der auch staatliche Gelder bekommt, so etwas nicht unterschreiben muss. ({10}) Warum gibt es eigentlich diese Ungleichbehandlung vonseiten der Bundesregierung? ({11}) Sie loben sich hier, indem Sie sagen, sie hätten die Haushaltsmittel um 2 Millionen Euro erhöht. Das ist natürlich ein toller Taschenspielertrick. ({12}) Zunächst kürzen Sie die Mittel im Entwurf, dann nehmen Sie die Kürzung drei Tage vor der Haushaltsberatung wieder zurück, und jetzt stellen Sie sich hierhin und tun so, als hätten Sie die Mittel erhöht. Das ist ein Skandal, Frau Ministerin. Sie wollten kürzen, und dazu hätten Sie einmal stehen sollen. ({13}) Jetzt wird öffentlich betont, es seien sogar noch mehrere Millionen Euro übrig. Wir haben Informationen, dass Organisationen, die das gelesen haben, sofort angerufen und gesagt haben: Davon hätten wir gerne etwas Geld. Aus dem Ministerium hieß es dann: Nein, nein, die Gelder sind schon längst bewilligt; sie werden wahrscheinlich bis Ende des Jahres abgeflossen sein. Was ist das für eine Art, Frau Ministerin? Wie wollen Sie eigentlich dafür sorgen, dass sich die Zivilgesellschaft tatsächlich engagiert? ({14}) Erst erfolgt die Rücknahme von 2 Millionen Euro, und dann brüsten Sie sich, die Mittel zur Stärkung von Demokratie und Toleranz erhöht zu haben. Es fehlt eine Gesamtstrategie der Bundesregierung. Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie auch einräumen, dass die Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung um mehrere Millionen Euro gekürzt werden. Auch die Arbeit der Bundeszentrale ist Extremismusbekämpfung und trägt zur Förderung von Demokratie und Toleranz bei. Deren Mittel aber haben Sie gekürzt. Auch das gehört zur Wahrheit. ({15}) Einen Satz möchte ich mir nicht ersparen. Wir haben am Dienstag erklärt, welche gemeinsame Position wir zum Rechtsterrorismus in diesem Haus haben. Aber wenn Sie dann den Vorwurf erheben, es sei parteipolitisch, auf Fehler aufmerksam zu machen, dann muss ich Sie fragen: Was ist eigentlich so schlimm an Parteipolitik? Es ist auch ein Teil von Demokratie, dass man über Unterschiede streiten kann. Wir sollten das nicht als negativ darstellen. ({16}) Wir haben am Dienstag ein gemeinsames Zeichen gesetzt und deutlich gemacht, wie wir uns verhalten werden. Wir haben beschlossen, dass wir dafür Sorge tragen, der Zivilgesellschaft keine weiteren Hindernisse in den Weg zu legen, um die Demokratie zu stärken. Heute haben wir die Möglichkeit, wenn Sie den drei Anträgen der Grünen, der Linkspartei und vor allen Dingen der SPD zustimmen, diese Hindernisse abzuräumen. Lassen Sie uns ein gemeinsames Zeichen setzen! Herzlichen Dank. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Florian Bernschneider das Wort. ({0})

Florian Bernschneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004009, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Rix, erlauben Sie mir wenigstens einen Satz zu den Freiwilligendiensten, zum Zivildienst und zur Wehrpflicht. Sie haben gesagt, wir hätten das alles über das Knie gebrochen. Ich sage Ihnen: Es ist mir lieber, dass wir die Wehrpflicht kurzfristig ausgesetzt haben, als es so langfristig wie Rot-Grün anzugehen. Unter Rot-Grün wurde es nämlich nie etwas mit der Aussetzung der Wehrpflicht. ({0}) Es wurde von einigen Vorrednern zu Recht betont, dass uns die schrecklichen und menschenverachtenden Verbrechen der Neonazi-Bande betroffen machen, dass sie uns erschüttern und dass uns die Ermittlungspannen empören. Deswegen ist es auch richtig, dass wir als zuständige Fachpolitiker für die Präventionspolitik hier in den Haushaltsberatungen zu diesem Thema Stellung nehmen. Aber es liegt auch in unserer Verantwortung, die Debatte nicht in parteipolitisches Gezänk ausarten zu lassen. Nichts anderes tun Sie doch. Sie stellen die gleichen Forderungen auf, die wir schon seit Wochen und Monaten von Ihnen kennen, diesmal aber tun Sie es unter dem Deckmantel dieser schrecklichen Ereignisse. Sie haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, zu schauen, was wir als Präventionspolitiker tatsächlich aus diesen schrecklichen Ereignissen lernen können; denn wenn man das tut, müsste man auf ein Datum eingehen, nämlich das Jahr 1998. Das Jahr 1998 ist das Gründungsjahr des Nationalsozialistischen Untergrunds. Spätestens in diesem Jahr haben sich drei junge Menschen von Demokratie, Vielfalt und Toleranz abgewendet und ein gewaltbereites und menschenverachtendes Netzwerk gebildet. Das heißt für uns als Präventionspolitiker: Spätestens im Jahr 1998 hat unsere Präventionspolitik versagt. Das ist auch gar kein Wunder; denn im Jahr 1998 gab es noch gar nicht so etwas wie eine vom Bund geförderte Präventionspolitik. Erst nach dem Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Jahr 2000 hat Rot-Grün mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz reagiert und erstmals Mittel für den Kampf gegen den Rechtsextremismus eingestellt. ({1}) Ihr eigener Bundeskanzler Gerhard Schröder hat damals gesagt - ich zitiere -: Ich glaube, wir alle haben zu häufig die Probleme, die es in diesem Bereich gibt, einfach nicht zur Kenntnis genommen. Gerhard Schröder hat damit das auf den Punkt gebracht, was Präventionspolitik eigentlich ausmachen sollte, nämlich zu reagieren, bevor es zu spät ist und zu Todesopfern kommt. Genau das ist das Absurde an Ihrer Argumentation. Sie sagen: Weil es noch nicht so viele Todesopfer durch Linksextremisten und weil es noch keine Todesopfer durch religiöse Extremisten gab, können wir die Mittel sparen und sie in den Kampf gegen Rechtsextremismus investieren. ({2}) Das hat nichts mit Präventionspolitik zu tun. ({3}) Sie verpassen einmal mehr mit diesen ideologischen Grabenkämpfen die Chance, Präventionspolitik tatsächlich voranzubringen. Das ist auch gar nichts Neues. Man muss nur einmal in die Protokolle des Deutschen Bundestages der vergangenen Wochen und Monate sehen. Schwarz-Gelb hat einen Antrag eingebracht, wie wir die Präventionsprogramme verbessern können. Sie haben Ihre Redezeit, wie auch heute, vor allem darauf verwendet, uns zu erklären, dass es gar keinen Linksextremismus in diesem Land gibt. Ich will einmal eine Forderung aus dem Antrag zitieren, den Schwarz-Gelb gegen Ihre Stimmen auf den Weg gebracht hat: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung … auf, … bei der Weiterentwicklung dieser Programme auch … geschlechterdifferenzierte Ansätze verstärkt einzubeziehen. ({4}) Wie richtig das war, was wir damals beschlossen haben, zeigt dieses Trio tatsächlich; denn Beate Zschäpe ist doch für diese schreckliche Bande das freundliche Gesicht nach außen gewesen. ({5}) Deswegen war der Ansatz, den Schwarz-Gelb gewählt hat, nämlich in der Präventionspolitik auf die geschlechterspezifischen Rollen einzugehen, richtig. Genau so eine sachliche Politik und vor allem eine genau so sachliche Diskussion muss man von uns erwarten. Anstatt über solche wichtigen Punkte zu diskutieren, wie man die Präventionspolitik tatsächlich verbessern kann, halten Sie heute wieder die Extremismusklausel hoch. Nehmen Sie doch bitte einfach einmal zur Kenntnis, dass die Extremismusklausel keine Erfindung von uns ist, sondern von Ihrem eigenen Staatssekretär gewählt wurde. Er wollte übrigens nicht nur Google einbinden; er hat sogar noch angeboten, die Verfassungsschutzbehörden anzurufen, wenn man Fragen zu seinen Projektpartnern hat. Es hat eben nicht dazu geführt, dass die Zivilgesellschaft die Mittel nicht mehr in Anspruch nimmt, seitdem wir die Extremismusklausel haben, sondern die Mittelabrufe sind nach wie vor konstant. Von den über 500 Projektpartnern hat sich weniger als eine Handvoll geweigert, die Extremismusklausel zu unterschreiben. ({6}) Ich hoffe, dass wir, wenn Sie dieses schreckliche Theater hier im Plenum des Deutschen Bundestages beendet haben, wenigstens im Ausschuss wieder sachlich über Präventionspolitik diskutieren können. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Lehrieder von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich darf mich zunächst sehr herzlich bei allen Fraktionen in diesem Hohen Haus dafür bedanken, dass es vorgestern gelungen ist, die gemeinsame Initiative gegen Rechtextremismus auf den Weg zu bringen. Leider beißt sich momentan ein Großteil der Opposition an der sogenannten Extremismusklausel - genauer: an der Demokratieerklärung - die Zähne aus. Ich will Ihnen eines sagen: Als ich das gehört habe, habe ich mich erst einmal kundig gemacht, was eigentlich darin steht. Mit der Erlaubnis des geschätzten Präsidenten zitiere ich: Hiermit bestätigen wir, dass wir uns zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten. Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten … - niemand verlangt, dass man Google oder den Bundesnachrichtendienst einschaltet und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass einer Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird. Was ist daran falsch? ({0}) Meine Damen und Herren und insbesondere liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen sowie an den Fernsehgeräten, wir sprechen bei den Fördergeldern von Steuergeldern. Wir sind Sachwalter Ihrer Steuergelder. Wir können sie für diese oder jene Initiative bzw. Organisation einsetzen. Es ist völlig richtig, wenn die Frau Ministerin sagt: Wir wollen Extremismus nicht mit Extremismus bekämpfen. - Deshalb ist dies zumutbar und keinesfalls anstößig. ({1}) Vorhin ist sehr viel über den Haushalt 2012 ausgeführt worden. Leider hat es sich nicht vermeiden lassen, dass einige Kolleginnen und Kollegen schon über den Haushalt 2013 diskutiert und immer wieder das Thema Betreuungsgeld thematisiert haben. Um 12.15 Uhr hat Frau Gesine Lötzsch unserer Arbeitsministerin an diesem Mikrofon sinngemäß vorgeworfen, arme Menschen erziehen zu wollen, anstatt ihnen zu helfen. Frau Lötzsch hat in diesem Punkt nicht recht: Wir wollen Menschen gerade nicht erziehen, sondern ihnen helfen. Deshalb möchten wir eine Alternative zur staatlichen Betreuung in Kitas anbieten. Deswegen gibt es das Betreuungsgeld. Ich weise darauf hin, dass das mit dem Haushalt 2012 nichts zu tun hat. Wir reden jetzt in dieser erhitzten Debatte schon über den Haushalt 2013. In Thüringen hat man gute Erfahrungen gemacht. Die sogenannte Fernhalteprämie, wie es Hubertus Heil um 12.57 Uhr oder Frau Kollegin Marks um 14 Uhr hier ausgeführt haben, ist keine Fernhalteprämie, weder in Thüringen noch in der übrigen Bundesrepublik. Wir wollen damit unterschiedliche Lebensentwürfe und Erziehungsmodelle anerkennen und nicht nur eine einseitige staatlich geförderte Betreuung fördern. ({2}) Erlauben Sie mir, noch ein paar Sätze zum Haushalt zu sagen. Nach den Hauptausgaben des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend befragt, fallen einem spontan zumeist die Begriffe „Elterngeld“, „Kindergeld“ und auch „Kinderzuschlag“ ein. Im Haushaltsgesetz 2012 sind allein für diese drei zentralen Ausgabenblöcke insgesamt 5,143 Milliarden Euro vorgesehen. 4,6 Milliarden Euro fließen 2012 in das Elterngeld. Das sind rund 215 Millionen Euro mehr als in diesem Jahr und in der Gesamtbetrachtung mehr als zwei Drittel des gesamten Haushalts des Familienministeriums. An der Erhöhung der Mittel für das Elterngeld haben insbesondere die aktiven Väter in unserem Land erheblichen Anteil. Bislang nahm knapp jeder vierte Vater mit den Partnermonaten eine Auszeit vom Beruf, um sich dem gemeinsamen Nachwuchs zu widmen. Bei der Verabschiedung des Gesetzes, also vor Einführung des Elterngeldes vor fünf Jahren, hätte wohl niemand mit einer solchen Zahl gerechnet. Die Vorgängerleistung, das Erziehungsgeld, war 2006 lediglich von 3,5 Prozent der Männer in Anspruch genommen worden, das Elterngeld 2007 immerhin schon von 7 Prozent. Laut den aktuellen Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes, die Sie heute der Tagespresse entnehmen können, ist die Väterbeteiligung, also der Anteil der Väter, die Elterngeld bezogen haben, für im zweiten Quartal 2010 geborene Kinder noch einmal angestiegen, und zwar auf derzeit 25,4 Prozent. Im ersten Quartal 2010 waren es 24,4 Prozent. Ich muss insbesondere den Sachsen - leider ist Frau Kollegin Lazar gerade entschwunden - ein Kompliment machen. Die sächsischen Mannsbilder sind noch etwas besser als die bayerischen. 32,8 Prozent der sächsischen Väter nehmen das Elterngeld in Anspruch. Schlusslicht ist Bremen mit 16,9 Prozent. Dort muss man noch ein bisschen besser werden. Aber die große Nachfrage und Akzeptanz zeugen vom Erfolg des Elterngeldes. Es zeigt sich, dass gerade junge Eltern eine partnerschaftliche Aufgabenteilung begrüßen. ({3}) Anhand dieses Ausgabenblocks, den ich aus Zeitgründen als einzigen beschrieben habe, wird ersichtlich und mehr als deutlich, dass die Familienpolitik der christlich-liberalen Koalition sehr am Herzen liegt. Familienpolitik ist Zukunftspolitik. Diese Überzeugung spiegelt sich im Haushaltsentwurf 2012 wider. Ich darf mich sehr herzlich bei unserer Frau Ministerin Kristina Schröder und beim Herrn Staatssekretär Kues für die gute Arbeit bedanken und ihnen weiterhin viel Erfolg auf ihrem Weg wünschen. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die letzten fünf Minuten noch so viel Ruhe zu bewahren, dass sich auch unsere letzte Rednerin Gehör verschaffen kann. Als letzter Rednerin zu diesem Einzelplan erteile ich das Wort der Kollegin Stefanie Vogelsang. ({0})

Stefanie Vogelsang (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004180, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als letzte Rednerin in dieser Debatte möchte ich auf drei Punkte aufmerksam machen, die mir wichtig sind. Zuerst möchte ich etwas zum Kinderschutzgesetz und zu der morgigen Abstimmung im Bundesrat sagen. Mein zweites Thema sind die Kinderwunschbehandlung und die Aktionen unserer Ministerin. Mein drittes Thema ist der von Frau Künast angesprochene Kompass für das Regierungshandeln. Am Dienstag dieser Woche lautete eine Schlagzeile in der Berliner Morgenpost: „Getötetes Baby - Bezirk überprüft Jugendamt“. Am Mittwoch dieser Woche lautete eine Schlagzeile: „Jugendamt holt halb verhungertes Kind von der Mutter weg“. Frau Kollegin Lazar hat vorhin gesagt, wir alle seien uns einig, dass nun Taten folgen müssen. Es ist dringend notwendig, dass nun Taten folgen. Ich bitte jeden, der Kontakt zu den Ländervertreterinnen und -vertretern hat, dazu beizutragen, dass der Bundesrat morgen dem dringend benötigten Kinderschutzgesetz zustimmt. Das ist wichtig für die Kinder in Deutschland. ({0}) Es gibt viele Paare, die sich Kinder wünschen, aber - aus welchen Gründen auch immer - keine bekommen können. Bis zum Jahr 2005 haben wir Kinderwunschbehandlungen über die gesetzlichen Krankenkassen finanziert. Was die Zahl der infolge solcher Behandlungen geborenen Kinder anbelangt, standen wir als Bundesrepublik Deutschland an der Spitze. Dann hat Rot-Grün damals das Gesetz geändert und festgelegt, dass maximal drei Behandlungen finanziert werden. Das hat man an den Zahlen gemerkt. Die Zahl der Kinder, die infolge solcher Behandlungen geboren worden sind, ist in erheblichem Maße gesunken. Ich bin der Ministerin Kristina Schröder ausgesprochen dankbar, dass sie dieses Thema aufgegriffen hat, sich dafür eingesetzt hat, dafür gekämpft hat und diesen Akzent in der Familienpolitik gesetzt hat, ({1}) sodass es in Zukunft wieder eine stärkere Unterstützung in diesem Bereich gibt. Frau Künast hat vom Kompass beim Regierungshandeln gesprochen. Frau Marks, Sie haben in Ihrer Rede vorhin ebenfalls das Thema „Kompass und Regierungshandeln“ angesprochen. ({2}) - Sie haben sich damit auseinandergesetzt; lesen Sie es einfach nach. - Ich persönlich bin ausgesprochen froh über den Kompass, den diese Familienministerin in unserer Bundesregierung hat. Als 2003 der Generalsekretär der SPD in einer Erklärung sagte: „Wir müssen die Lufthoheit über den Kinderbetten in diesem Land zurückerobern“, war das eine Aussage, die mich geschockt hat. Ich bin sehr froh darüber - sehr froh! -, dass wir jetzt eine Familienpolitik haben, bei der kein Lebensmodell gegen das andere ausgespielt wird, ({3}) bei der jeder nach seiner Fasson seine Kinder erziehen kann und bei der jeder nach seiner Fasson seine Schwerpunkte setzen kann und kein übermächtiger Staat hineinredet. ({4}) In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung von heute, liebe Rita Pawelski, steht: „Der neue Babyboom in Hannover“. Die sozialdemokratische Stadtregierung in Hannover erklärt den Babyboom in der Stadt ursächlich mit der veränderten Familienpolitik im Bund seit 2005. Jetzt ist Familienpolitik nicht mehr nur Gedöns wie unter Schröder, sondern die Familienpolitik gibt Müttern wieder das Signal, dass sie gern gesehen sind. Das ist der Grund für den Babyboom. ({5}) Das finde ich toll. Jetzt sollten wir zu den Abstimmungen kommen. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17 - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - in der Ausschussfassung einschließlich der be- reits am Dienstag beschlossenen Änderungen. Hierzu liegen sechs Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wir beginnen mit drei Änderungsanträgen, zu denen namentliche Abstimmung verlangt wurde. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze an den Urnen zu besetzen. - Sind die Plätze be- setzt? - Das ist der Fall. Zuerst stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7817 ab. Ich er- öffne die namentliche Abstimmung. Haben die Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarte abgegeben? - Das ist offenkundig der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszäh- lung zu beginnen.1) Wir kommen dann zur Abstimmung über den Än- derungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7819. Die Urnen sind besetzt. Dann eröffne ich die zweite namentliche Abstimmung. Haben alle Kolleginnen und Kollegen bei der zweiten namentlichen Abstimmung ihre Stimmkarte eingewor- fen? - Ich schließe die zweite namentliche Abstimmung und bitte, auch hier mit der Auszählung zu beginnen.2) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ände- rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7821. Die Urnen sind besetzt. Ich eröffne die dritte namentliche Abstimmung. Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarte für die dritte namentliche Abstimmung ein- geworfen? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die dritte namentliche Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.3) Wir setzen die Abstimmungen über die weiteren Änderungsanträge fort. Ich hatte vorhin gesagt, dass es sich um sechs Anträge handelt. Über drei Anträge haben wir namentlich abgestimmt. Damit kommen jetzt noch drei weitere Abstimmungen. Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7818. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7816. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von SPD und der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7820. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung, weil wir anschließend über diesen Haushalt insgesamt abstimmen. Halten Sie sich aber bitte zur Verfügung. Wenn wir die Ergebnisse haben, werden wir die Sitzung sofort fortsetzen. ({0}) 1) Ergebnis Seite 17111 C 2) Ergebnis Seite 17113 A 3) Ergebnis Seite 17116 A

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der drei namentlichen Abstimmungen bekannt: Änderungsantrag der SPD zum Einzelplan 17, Drucksache 17/7817: abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 137, mit Nein haben gestimmt 312, Enthaltungen 122. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 138 nein: 312 enthalten: 121 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({0}) Gerd Bollmann Willi Brase Bernhard Brinkmann ({1}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Petra Crone Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({2}) Kerstin Griese Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({3}) Hubertus Heil ({4}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({5}) Frank Hofmann ({6}) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({7}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({8}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({9}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann René Röspel Karin Roth ({10}) Michael Roth ({11}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({12}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({13}) Werner Schieder ({14}) Ulla Schmidt ({15}) Silvia Schmidt ({16}) Carsten Schneider ({17}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({18}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({19}) Manfred Behrens ({20}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Börnsen ({21}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({22}) Dirk Fischer ({23}) Axel E. Fischer ({24}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({25}) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Vizepräsident Dr. Hermann Otto S Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({26}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({27}) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({28}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({29}) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({30}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({31}) Michaela Noll Franz Obermeier olms Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({32}) Anita Schäfer ({33}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({34}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({35}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({36}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({37}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({38}) Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({39}) Peter Weiß ({40}) Sabine Weiss ({41}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({42}) Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Klaus Breil Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther ({43}) Dr. Christel Happach-Kasan Manuel Höferlin Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({44}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({45}) Michael Link ({46}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({47}) Burkhardt Müller-Sönksen ({48}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({49}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({50}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({51}) Enthalten DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Vizepräsident Dr. Hermann Otto S Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Koch Jan Korte Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({52}) olms Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Sahra Wagenknecht Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({53}) Volker Beck ({54}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({55}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Agnes Malczak Kerstin Müller ({56}) Beate Müller-Gemmeke Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Brigitte Pothmer Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Änderungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 17/7819: abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 257, mit Nein haben gestimmt 313, Enthaltung 1. Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 570; davon ja: 256 nein: 313 enthalten: 1 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({57}) Gerd Bollmann Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Petra Crone Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({58}) Kerstin Griese Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({59}) Hubertus Heil ({60}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({61}) Frank Hofmann ({62}) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({63}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({64}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({65}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann René Röspel Karin Roth ({66}) Michael Roth ({67}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({68}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({69}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto S Werner Schieder ({70}) Ulla Schmidt ({71}) Silvia Schmidt ({72}) Carsten Schneider ({73}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({74}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Koch Jan Korte Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer olms Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({75}) Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Sahra Wagenknecht Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({76}) Volker Beck ({77}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Harald Ebner Hans-Josef Fell Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({78}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Syliva Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Agnes Malczak Kerstin Müller ({79}) Beate Müller-Gemmeke Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Brigitte Pothmer Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({80}) Manfred Behrens ({81}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Börnsen ({82}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({83}) Dirk Fischer ({84}) Axel E. Fischer ({85}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({86}) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({87}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({88}) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Vizepräsident Dr. Hermann Otto S Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({89}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({90}) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({91}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({92}) Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring olms Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({93}) Anita Schäfer ({94}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({95}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({96}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({97}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({98}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({99}) Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({100}) Peter Weiß ({101}) Sabine Weiss ({102}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Bernhard Brinkmann ({103}) FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({104}) Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Klaus Breil Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther ({105}) Dr. Christel Happach-Kasan Manuel Höferlin Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({106}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({107}) Michael Link ({108}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({109}) Burkhardt Müller-Sönksen ({110}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({111}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({112}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({113}) Enthalten SPD Hans-Ulrich Klose Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Änderungsantrag vom Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 17/7821: Abgegebene Stimmen 572. Mit Ja haben gestimmt 258, mit Nein haben gestimmt 314, Enthaltungen keine. Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 258 nein: 313 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({114}) Gerd Bollmann Willi Brase Bernhard Brinkmann ({115}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Petra Crone Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({116}) Kerstin Griese Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({117}) Hubertus Heil ({118}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({119}) Frank Hofmann ({120}) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({121}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({122}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({123}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann René Röspel Karin Roth ({124}) Michael Roth ({125}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({126}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({127}) Werner Schieder ({128}) Ulla Schmidt ({129}) Silvia Schmidt ({130}) Carsten Schneider ({131}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({132}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Koch Jan Korte Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({133}) Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Sahra Wagenknecht Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({134}) Volker Beck ({135}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({136}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Vizepräsident Dr. Hermann Otto S Memet Kilic Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Agnes Malczak Kerstin Müller ({137}) Beate Müller-Gemmeke Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Brigitte Pothmer Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({138}) Manfred Behrens ({139}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Börnsen ({140}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl olms Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({141}) Dirk Fischer ({142}) Axel E. Fischer ({143}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({144}) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({145}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({146}) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({147}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({148}) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({149}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({150}) Michaela Noll Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({151}) Anita Schäfer ({152}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({153}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({154}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({155}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({156}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({157}) Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({158}) Peter Weiß ({159}) Sabine Weiss ({160}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Klaus-Peter Willsch Vizepräsident Dr. Hermann Otto S Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Hans-Ulrich Klose FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({161}) Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Klaus Breil Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub olms Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Joachim Günther ({162}) Dr. Christel Happach-Kasan Manuel Höferlin Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({163}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({164}) Michael Link ({165}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({166}) Burkhardt Müller-Sönksen ({167}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({168}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({169}) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({170}) Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 17 in der Ausschussfassung einschließlich der am Dienstag beschlossenen Änderungen. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 17 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt II.17 auf: Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung und Forschung - Drucksachen 17/7123, 17/7124 Berichterstattung: Abgeordnete Eckhardt Rehberg Heinz-Peter Haustein Priska Hinz ({171}) Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Klaus Hagemann von der SPD-Fraktion das Wort. ({172})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausgaben für Bildung und Forschung steigen auf den ersten Blick um circa 10 Prozent. Das ist zunächst einmal, Frau Ministerin und liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, gut so. ({0}) Sie werden sich sicher wieder selbst loben und das als ordentlich darstellen. ({1}) Aber lassen Sie uns dahinterblicken. Andere und auch ich schauen da schon kritischer hin ({2}) und überprüfen, ob das, was gesagt worden ist, auch tatsächlich geschieht. Wir beobachten die in den Medien geäußerten Kritiken sehr genau, und zwar in Medien aller Couleur. Es gibt Kritiken, beispielsweise im Bereich Studium. Es wird gefragt, was aus der 2008 groß angekündigten Bildungsrepublik geworden ist. Auch ich möchte diese Frage stellen. Der renommierte Bildungsforscher Klaus Klemm hat gemeinsam mit dem Gewerkschaftsbund eine Untersuchung vorgelegt. ({3}) Die Fragestellung war, ob es durch die zusätzlichen Milliarden für das Bildungswesen, für den Ausbau der Krippenplätze oder das Senken der Zahl der jungen Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung Fortschritte gegeben hat. Das Ergebnis: Die Fortschritte sind kaum messbar. Die DGB-Vizevorsitzende ({4}) - Frau Sehrbrock ist Mitglied Ihrer Partei, der CDU sagt: Die Bildungsrepublik ist in weiter Ferne. Die Bildungsrepublik ist eine Fata Morgana. ({5}) Dem ist nichts hinzuzufügen. Herr Klemm hat recht, Frau Sehrbrock hat recht, und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund hat recht. ({6}) Wenn wir genau hinsehen, dann stellen wir fest, dass das 12-Milliarden-Paket eine Mogelpackung ist, zumindest von der Zahl her; denn auf meine Anfrage hin hat die Bundesregierung eingeräumt, dass nur die Aufwüchse in die Rechnung einbezogen wurden. Die Kürzungen im Bereich Bildung, und zwar in allen betroffenen Haushalten, zum Beispiel beim Haushalt für Arbeit und Soziales, werden einfach nicht mitgezählt bzw. weggelassen. ({7}) Es handelt sich um große Summen an Mitteln für Bildung. Meine Kollegin Bettina Hagedorn hat in ihrem Redebeitrag darauf hingewiesen. Sie machen es so wie die Sonnenuhr: Man zählt einfach nur die schönen Stunden, die anderen, das Unangenehme, lässt man weg. ({8}) Bei der beruflichen Qualifizierung haben Sie kräftige Kürzungen vorgenommen: bei der Qualifizierung Jugendlicher ohne Hauptschulabschluss, bei den Ausbildungsabbrechern, bei den ausbildungsbegleitenden Hilfen sowie bei der beruflichen Weiterbildung. Für das Jahr 2010 und 2011 fielen fast 1,8 Milliarden Euro an Bildungsmitteln weg. Sehr geehrte Frau Ministerin Schavan, wo waren Sie? Wo haben Sie Widerstand gegen die starken Kürzungen im Berufsbildungsbereich geleistet? ({9}) Auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung und im Bereich des Auswärtigen Amtes - die Zahlen sind nachgewiesen - gibt es Kürzungen im Bildungsbereich. Ich möchte auf ein weiteres Minus eingehen - schon bei der ersten Lesung habe ich darauf hingewiesen -: Jedes Jahr werden Mittel, die vom Parlament bewilligt worden sind, nicht verausgabt. Zwischenzeitlich sind das fast 900 Millionen Euro. Im Gesamthaushalt des Bundes wurden im Bildungsbereich fast 3 Milliarden Euro nicht verausgabt bzw. gestrichen. Deswegen ist das Ganze eine Mogelpackung. ({10}) Wir haben dieser Tage eine Statistik erhalten, die besagt, dass 515 000 junge Männer und Frauen begonnen haben, zu studieren. Das entspricht einem Plus von 16 Prozent. Das ist auch gut so. ({11}) Nur, für die Studienanfänger, lieber Kollege Rehberg, herrscht bei der Studienplatzvergabe das gleiche Chaos, das schon in den letzten drei Jahren herrschte; denn das dialogorientierte Serviceverfahren ist wieder nicht zustande gekommen. ({12}) Die Zeit schreibt dazu - ich zitiere -: Endloses Drama um die Software zur Studienplatzvergabe: Wie konnte so viel schiefgehen? Und wer ist schuld? Zehntausende … werden keinen Studienplatz ergattern, obwohl irgendwo noch welche frei sind. ({13}) Das ist Realität. Da können Sie noch so viel herumschreien. Damit müssen Sie sich auseinandersetzen. ({14}) Ich möchte auch die Probleme bei der Umsetzung des Qualitätspakts Lehre ansprechen. Die Jugendlichen brauchen Studienplätze, aber auch Dozenten und Professoren, damit sie ordentlich studieren können. Das Ministerium hat mir mitgeteilt, dass Bescheide ergangen sind und bisher nur 90 Professoren mehr eingestellt wurden, um all die Studierenden zu betreuen. 90 Professoren mehr für 400 Hochschulen, das ist viel zu wenig. ({15}) Ich wette, dass es auch hier wieder Haushaltsausgabereste geben muss. Schon im Juli 2010 haben wir im Haushaltsausschuss beantragt, dass hierfür mehr Mittel zur Verfügung gestellt und für den Qualitätspakt Lehre entsperrt werden. ({16}) Ich möchte den Forschungsbereich ansprechen. Dieser Tage wurde der Rechnungshofbericht vorgelegt. Ich möchte nicht jede Aussage unterstreichen, aber doch darauf hinweisen, dass der Rechnungshof - ich zitiere begründete Zweifel hat, ob das 12-Milliarden-Euro-Pro17120 gramm die gewünschte Wirkung entfalten kann. Frau Ministerin, ich frage Sie: Was wollen Sie tun, um die Kritik zurückzuweisen? Welche Abläufe werden Sie ändern? Werden Sie das untersuchen, um den guten Ruf der deutschen Forschung zu erhalten? Ist nach zehn Jahren programmorientierter Förderung nicht eine externe Evaluierung der Abläufe erforderlich? Darüber haben wir uns in dieser Woche in einem Berichterstattergespräch unterhalten. Am Schluss hatte ich aber mehr Fragen als gegebene Antworten. Lassen Sie mich auch die steuerliche Forschungsförderung ansprechen. Ich kann mich daran erinnern, dass die von mir hochgeschätzte Kollegin Flach hier jedes Jahr gesagt hat: Wir brauchen für die Forschung eine steuerliche Entlastung. Wo bleiben denn die Gesetzentwürfe? Die Hälfte der Legislaturperiode ist vorbei. Hier muss gehandelt werden. Legen Sie die entsprechenden Gesetzentwürfe vor! Bisher ist nichts geschehen. Auf einem sogenannten Forschungsfrühstück des BDI, an dem ich teilgenommen habe, hieß es: Für die Hoteliers haben sie Geld, aber für die Forschungsförderung haben sie kein Geld. ({17}) Lassen Sie mich noch ein anderes Thema ansprechen, das Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Auch hier gab es große Ankündigungen, aber auch hier ist nichts geschehen. Sie haben die Laufzeit der Leitlinien, die wir für diesen Bereich in der Großen Koalition entwickelt haben, schon zweimal verlängert - der Kollege Rehberg kann das bestätigen -, das sogenannte Wissenschaftsfreiheitsgesetz liegt aber immer noch nicht vor. Fehlanzeige! Zu den Personalkosten möchte ich nur Folgendes sagen: Das Ministerium hat etwa 1 000 Beschäftigte. Es gibt aber ein Schattenministerium: Es gibt weitere 300 Beschäftigte bei den Projektträgern, die in keinem Stellenplan auftauchen. Ich bin dankbar, dass die Koalition den Rechnungshof endlich gebeten hat, auch dies zu untersuchen. Wir stehen voll hinter diesem Beschluss. Eine ganze Reihe weiterer Punkte wäre zu nennen. Sie können das auf meiner Homepage unter „Schwarzbuch Schavan“ nachlesen. ({18}) Das Büro des Kollegen Rupprecht hat sich dafür schon im Vorfeld interessiert. Lassen Sie mich zum Schluss, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf Folgendes hinweisen: Investitionen in Bildung und Forschung sind Zukunftsinvestitionen. ({19}) Deswegen haben wir ein Programm formuliert, das sich auf die Bildungsausgaben aller zuständigen Ministerien bezieht: „Nationaler Pakt für Bildung und Entschuldung. Wir denken an morgen!“ ({20}) Wir fordern 10 Milliarden Euro für verschiedene Maßnahmen in den nächsten zehn Jahren: von der Förderung der Kinderkrippen über das Ganztagsschulprogramm bis hin zum Qualitätspakt Lehre und zur Ausbildungsförderung. Wir haben dazu ein detailliertes Programm vorgelegt. Allein die Handlungsanleitungen für den Bildungsbereich umfassen drei Seiten. Sie brauchen dem nur zuzustimmen. Dann haben Sie einen Ausgleich zu Ihrer Mogelpackung. In diesem Sinne bitte ich Sie, dass Sie unseren Änderungsanträgen zustimmen; denn es sind gute Anträge. ({21})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Eckhardt Rehberg von der CDU-Fraktion.

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! „Bildungsrepublik ist eine Fata Morgana“, „kaum messbar“, Herr Kollege Hagemann, aus Ihren Worten spricht aus meiner Sicht der pure Neid ({0}) auf eine erfolgreiche Politik. Bei uns gestaltet sich Politik nicht nach dem Motto „Versprochen, gebrochen“, sondern nach dem Motto „Versprochen, gehalten“. ({1}) Wenn die hochgeschätzte Frau Sehrbrock vom DGB meint, Fakten nicht anerkennen zu müssen, dann nenne ich sie: ({2}) Wir haben einen Aufwuchs der Haushaltsmittel in diesem Bereich von 2011 auf 2012 von 11,1 Prozent. ({3}) Das heißt, wir haben allein im Hochschulpakt 550 Millionen Euro draufgepackt. Damit haben wir die doppelten Abiturjahrgänge und die Aussetzung der Wehrpflicht ausfinanziert. Darüber hinaus entlasten wir die Kommunen. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gibt es Leistungen für Behinderte nicht nur nach dem Sozialgesetzbuch über die Kommunen, sondern auch über BAföG. Allein diese beiden Positionen on top sind runde 700 Millionen Euro. Dass Ihnen das nicht passt, Herr Hagemann, kann ich mir sehr gut vorstellen. Das ist erfolgreiche und im Übrigen auch verlässliche Politik. ({4}) Wenn irgendwelche Bildungsforscher meinen, dass Effekte nicht eintreten, lassen Sie mich zwei Beispiele nennen. Erstens. Die Zahl der Altbewerber ist in den letzten drei Jahren um 80 000, nämlich von 260 000 auf rund 180 000, zurückgegangen. Damit Sie nicht in eine völlige Amnesie verfallen, meine Damen und Herren von der SPD: Sie haben uns 2005 eine Jugendarbeitslosigkeit von fast 16 Prozent hinterlassen. Wir haben sie fast halbiert. Auch das ist erfolgreiche Politik. ({5}) Zweitens. Wir haben in den letzten sechs Jahren den Anteil der Gymnasiasten von 23 auf 30 Prozent gesteigert. Das Ergebnis ist: Im Jahre 2011 haben wir die höchste Zahl von Erstsemesterstudenten, die die Bundesrepublik Deutschland je gesehen hat, nämlich 515 800. Auch hier beweist sich, dass unsere Politik erfolgreich ist. Dass Ihnen das nicht passt, ist mir vollkommen klar. Herr Kollege Hagemann, wenn Sie behaupten, dass die Mittel nicht abfließen: Von 46 Milliarden Euro sind in der Amtszeit von Frau Schavan weniger als 1 Milliarde Euro, also 1,7 Prozent, nicht abgeflossen. Ich kann Ihnen einmal die Zahlen von Frau Bulmahn nennen. Nur eine einzige - 2003, Ganztagsschulprogramm -: Bis zum Ende der Amtszeit 2005 waren weniger als 1 Milliarde Euro abgeflossen. Erst Frau Schavan hat die Mittel im Ganztagsschulprogramm vernünftig umgesetzt. Kommen Sie uns nicht mit dem Märchen, die Mittel fließen nicht ab! Ich finde es eine mehr als herausragende Leistung, wenn seit 2006 von 46 Milliarden Euro lediglich 1 Milliarde Euro nicht abfließt. ({6}) Auch hier noch einmal ein Blick zurück: Schauen Sie sich einmal an, wie angeblich sozial Sie beim Thema BAföG waren! In sieben Jahren Rot-Grün haben Sie das Schüler-BAföG um 28 Euro ({7}) und das Studierenden-BAföG um 34 Euro erhöht. Ich nenne Ihnen einmal, Herr Rossmann, die Steigerungssätze von 2005 bis 2011: Schüler-BAföG um 190 Euro, also das Sechsfache, Studierenden-BAföG um mehr als 200 Euro, auch das Sechsfache. Kommen Sie uns nicht mit irgendwelchen Schaufensteranträgen zum Thema BAföG! Wir brauchen keinen Nachhilfeunterricht, sondern wir haben in den letzten sechs Jahren gehandelt. ({8}) Wenn Sie, Herr Kollege Hagemann, uns kritisieren und behaupten, wir veranstalteten beim Mittelabfluss irgendwelche Mätzchen, muss ich sagen: Wenn wir Ihren Antrag hinsichtlich der 400 Millionen Euro beim Ganztagsschulprogramm angenommen hätten, dann - das unterstelle einmal - wäre nicht 1 Cent abgeflossen. ({9}) Voraussetzung für die Aufhebung des Kooperationsverbots, das heißt eine Änderung des Grundgesetzes, ist eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag und eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat. ({10}) Ich sehe nicht einmal ansatzweise, Herr Kollege Rossmann, dass zwei Drittel der Länder dafür sind, das Kooperationsverbot aufzuheben. Jetzt denken Sie einmal schön zurück. Die beiden Vorreiter, die auf dem Kooperationsverbot bestanden haben, waren Kurt Beck aus Rheinland-Pfalz - er ist noch im Amt - und Roland Koch. ({11}) Das gestehe ich selbstkritisch ein. Es gibt aktuell aber keine Zweidrittelmehrheit. Hören Sie auf, uns zu erzählen, dass Ihre Anträge seriös und solide sind. Das sind Schaufensteranträge. ({12}) - Herr Kollege Rossmann, wir beide haben uns schon einmal über Steuern unterhalten. - Wir werden, was die Länder betrifft, in den nächsten Jahren Steuermehreinnahmen verzeichnen: 9 Milliarden Euro von 2011 auf 2012, 8,5 Milliarden Euro von 2012 auf 2013, 9 Milliarden Euro von 2013 auf 2014. Jetzt denken Sie einmal daran zurück, welches Steuerminus Sie mit der Steuerreform 2000 provoziert haben. ({13}) Allein im Bereich der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer waren es im letzten Jahrzehnt kumulativ über 120 Milliarden Euro. Dafür sind Sie verantwortlich. ({14}) Wenn Sie auf die Kommunen schauen, sehen Sie, dass wir die Kommunen bis 2015 mit 12 Milliarden Euro bei der Grundsicherung ausstatten, und zwar ohne Gegenleistung. ({15}) Das sind in 2014 allein für Mecklenburg-Vorpommern 72 Millionen Euro. Kommen Sie uns nicht damit, dass wir nichts dafür tun, dass Kommunen in der Lage sind, zum Beispiel bei Kindergärten, bei Kinderkrippen die Gegenfinanzierung sicherzustellen. Ich möchte nicht wissen, was in Nordrhein-Westfalen bei diesem Thema los ist. Nein, wir stellen uns der Verantwortung, während die Kommunen in den SPD-geführten Ländern knapp bei Kasse gehalten werden. ({16}) Wir, die Koalitionsfraktionen, haben in der Bereinigungssitzung, ({17}) so meine ich, einige wesentliche Änderungen vorgenommen. ({18}) Zum Beispiel beim Programm zur Berufsorientierung - die 50 Millionen Euro wurden vollständig in Anspruch genommen; die Mittel sind gebunden - stocken wir um 15 Millionen Euro auf, damit noch mehr Schulen an diesem Programm teilnehmen können. Kollege Hagemann, so sieht es in der Wirklichkeit aus. ({19}) Wir haben im Bereich „Weiterbildung und lebenslanges Lernen“ 5 Millionen Euro für ein Programm zur Alphabetisierung aufgelegt. ({20}) - Herr Kollege Rossmann, wir haben speziell für diesen Zweck den Titel um 5 Millionen Euro aufgestockt. Das ist konkrete und nachhaltige Politik. Zum Schluss. Sie sagen, bei der Forschung komme nichts heraus. Herr Kollege Hagemann, was Sie im Augenblick in der Forschungslandschaft machen, ist schädigend für den Forschungsstandort Deutschland. ({21}) - Ich sage gleich noch ein paar Sätze dazu. - Sie sollten sich ganz genau überlegen, ob all das, was Sie in den letzten Tagen und Wochen treiben, dazu beiträgt, dass das Wissenschaftsfreiheitsgesetz so ausgestaltet sein wird, wie wir es uns wünschen. An dieser Stelle möchte ich mehr dazu nicht sagen. Ich möchte noch etwas zu den Forschungsausgaben insgesamt anmerken. Beim ZIM haben wir Hebelfaktoren von eins zu acht. Bei den Innovationsallianzen haben wir Hebelfaktoren von eins zu fünf. Es ist mittlerweile gelungen, dass die Wirtschaft selber im Bereich Forschung und Entwicklung insgesamt über 56 Milliarden Euro auf den Tisch packt. Wir steuern unsere 13 Milliarden Euro bei. Wir sind kurz davor, das 3-Prozent-Ziel zu erreichen, Stück für Stück, aber beharrlich. Wenn man sich ansieht, wie viel Prozent des Bruttoinlandsprodukts andere Länder in Europa für Forschung und Entwicklung ausgeben, kann man, glaube ich, feststellen: Die Situation in Deutschland kann sich mehr als sehen lassen. ({22}) Ich sage Ihnen: Im Bildungsbereich - ob wir über den Anstieg der Zahl von Gymnasiasten und Erstsemesterstudenten ({23}) oder über den Rückgang der Zahl von Schülern ohne Schulabschluss sprechen - sind überall positive Zahlen zu vermelden. ({24}) Was den Forschungsbereich betrifft, ist es mittlerweile so, dass hochkarätige Wissenschaftler und Forscher aus der ganzen Welt an die Türen der Forschungseinrichtungen und Universitäten in Deutschland klopfen, weil sie dort arbeiten wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie können so viele Haare in der Suppe finden, wie Sie wollen: Die Fakten und die Realitäten sind andere. Herzlichen Dank. ({25})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Michael Leutert von der Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Rehberg, ich möchte versuchen, einiges geradezurücken. Es ist ja bekannt, dass dieses Ministerium für Ihre Koalition das Ministerium der großen Worte ist. Sie sagen, dass Sie 12 Milliarden Euro mehr für Forschung und Bildung zur Verfügung stellen. 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen für Forschung und Bildung ausgegeben werden. Als einziges Ministerium erfährt Ihr Ministerium, Frau Schavan, in diesem Jahr einen respektablen Aufwuchs von über 1 Milliarde Euro. Man kann sagen: Sie leiten ein Ministerium, das eigentlich im Geld schwimmt. ({0}) Aber Sie täuschen die Öffentlichkeit und führen die Menschen an der Nase herum. Ich frage Sie: Was haben Sie eigentlich mit Bildung zu tun? Die Antwort lautet: Nichts. Ich möchte das kurz skizzieren. Die meisten Menschen bringen mit dem Begriff „Bildung“ die Schule in Verbindung. Schulen werden in den Kommunen gebaut. Lehrer werden von den Ländern bezahlt. Sowohl die Länder als auch die Kommunen haben nicht mehr Geld zur Verfügung - im Gegenteil. Das wissen hier alle, und das hat auch etwas mit der Politik von Schwarz-Gelb zu tun. Was ist Ihr Anteil daran? Sie müssen auf Bundesebene versuchen, das viele Geld, das Sie bekommen, irgendwie loszuwerden. Sie haben beschlossen, dass die Forschungseinrichtungen jedes Jahr pauschal 5 Prozent mehr Geld bekommen. ({1}) Ein ganz konkretes Beispiel: Die Helmholtz-Gemeinschaft hatte im Jahr 2005 knapp 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Im Jahr 2015 wird die Helmholtz-Gemeinschaft knapp 3 Milliarden Euro zur Verfügung haben. Das ist eine Verdopplung. Vielen ist aber nicht bekannt, dass der Bund die Helmholtz-Gemeinschaft nicht allein finanziert. Vielmehr sind die Länder mehr oder weniger gezwungen, 10 Prozent beizusteuern. ({2}) Dafür müssen von den Ländern also 150 Millionen Euro mehr aufgebracht werden. 150 Millionen Euro werden in den Ländern gebunden und können nicht für die Schulen zur Verfügung gestellt werden. ({3}) Ich kann nur sagen, Frau Schavan: Durch dieses Vorgehen nehmen Sie den Ländern Geld weg, das sie für die Schulen benötigen. ({4}) - Hören Sie weiter zu! Auch wir Linke wissen, dass Forschung ein wichtiger Bereich ist, und sind ebenfalls dafür, dass dafür Geld zur Verfügung gestellt wird. Man muss aber auch dafür sorgen, dass dieses Geld ausgegeben wird. An dieser Stelle komme ich wieder auf die Helmholtz-Gemeinschaft zu sprechen - Herr Rehberg, Sie wissen genau, worum es geht; wir hatten erst in der letzten Woche ein Berichterstattergespräch über dieses Thema -: Bei der Helmholtz-Gemeinschaft ist so viel Geld angekommen, dass sie nicht in der Lage ist, es auszugeben. Ein Betrag von 315 Millionen Euro wird in die nächsten Jahre übertragen. ({5}) Der Bundesrechnungshof hat dazu seitenweise Papier beschrieben und diese Praxis aufs Schärfste kritisiert. Er fordert eine externe Evaluierung. Der Bundesrechnungshof hält es nicht für vertretbar, die nächste Programmperiode zu beginnen, ohne das Verfahren zuvor ernsthaft auf den Prüfstand zu stellen. ({6}) Ihr Ministerium, Frau Schavan, hält eisern dagegen, das sei überhaupt kein Problem. Ich sage Ihnen klipp und klar: Das, was hier passiert, ist natürlich ein Problem. Das Geld wird nämlich im Bildungsbereich dringend gebraucht. Es darf nicht so sein, wie ich es beschrieben habe: dass auf Länderebene kein Geld für die Schulen zur Verfügung steht, dass aber im Forschungsbereich Geld herumliegt und nicht ausgegeben wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) - Besuchen Sie einmal Schulen in Berlin. Dann werden Sie sehen, wie die Situation dort ist, Herr Kollege. ({8}) Das Gleiche passiert im Übrigen auch an anderer Stelle. Wir haben im Haushaltsausschuss miteinander gerungen und uns dafür eingesetzt, dass für berufliche Bildung, für Weiterbildung und für lebenslanges Lernen ausreichend Geld zur Verfügung gestellt wird. Aber gerade in dem Bildungsbereich, in dem Sie etwas tun könnten, wird das meiste Geld eben nicht ausgegeben. Allein im Jahr 2010 sind 144 Millionen Euro in diesem Bereich übrig geblieben. Auch in diesem Jahr sind viele Gelder nicht abgeflossen. Frau Ministerin, wenn Sie in irgendeinem Bereich versuchen, etwas Neues zu tun, zum Beispiel in der Hochschulpolitik, dann versenken Sie das Geld in unsinnige Projekte. Ich nenne hier nur das Deutschlandstipendium. ({9}) Statt das BAföG so aufzustocken, wie es nötig wäre, damit die Studierenden in unserem Land die tatsächlichen Kosten eines Studiums decken können, versuchen Sie, ein Stipendium einzuführen, das von der überwiegenden Anzahl der Experten als unsinnig bezeichnet wird, das nicht funktioniert - von 10 Millionen Euro sind lediglich 3,5 Millionen Euro abgeflossen; das sollten Sie sich einmal überlegen - und das auch noch sozial ungerecht ist. ({10}) - Sie scheinen ja sehr getroffen zu sein, so wie Sie reagieren. Ich sage Ihnen klipp und klar: Dieses Ministerium ist kein Bildungsministerium; es ist ein reines Forschungsministerium. ({11}) Der Ehrlichkeit halber sollten wir seinen Namen in „Forschungsministerium“ ändern, zumindest solange Sie regieren. Wissen Sie, Frau Schavan, die Politik, die Sie hier seit Jahren betreiben - es ist eine Politik, die zeigt, dass Sie nicht in der Lage sind, das Geld auszugeben, das vom Parlament zur Verfügung gestellt wird, eine Politik, bei der das Geld dann, wenn es ausgegeben wird, an der falschen Stelle ausgegeben oder in schlechten Projekten versenkt wird -, wird bei uns mittlerweile als Schavanismus bezeichnet. ({12}) Für so eine Politik stehen wir nicht zur Verfügung. Wir können den Haushalt nur ablehnen. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz-Peter Haustein von der FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In genau einem Monat ist Heiligabend. Dann kommt der Weihnachtsmann. ({0}) Beim Einzelplan 30 hat man den Eindruck: Der Weihnachtsmann war schon da und hat üppige Geschenke mitgebracht. ({1}) Doch ehe ich zu den Zahlen komme - das muss man als Haushälter tun -, bedanke ich mich bei den Berichterstattern, besonders bei Dir, Ecki Rehberg, auch bei Dir, Klaus Hagemann, und natürlich bei dem Ministerium von Frau Schavan, einem kompetenten Haus. ({2}) Der Einzelplan 30 umfasst einen Aufwuchs von rund 11 Prozent; das sind 1,3 Milliarden Euro mehr. Es ist klar, dass es da der Opposition schwerfällt, eine Kritik anzubringen; dieser Haushalt des Ministeriums für Bildung und Forschung ist nämlich einfach ein Erfolgshaushalt. Ich möchte ein paar Zahlen nennen; denn Zahlen lügen nicht. Gerade im Bereich des Bildungswesens gibt es zum Beispiel bei der Position „Studenten- und Wissenschaftleraustausch“ ein Plus von 22 Prozent auf 135 Millionen Euro. Bei den Zuschüssen zur Begabtenförderung gibt es ein Plus von 34 Prozent; das bedeutet eine Aufstockung auf 264 Millionen Euro. Auch haben wir die Position „Verbesserung der Berufsorientierung“ auf 65 Millionen Euro aufgestockt. Ein anderes Stichwort ist der Fachkräftemangel. Hier haben wir die richtigen Weichen gestellt. Wir müssen in die Köpfe investieren. Das machen wir; die Zahlen lügen nicht. Die Position „Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts- und Innovationssystems“ wurde um 17 Prozent auf 4,8 Milliarden Euro erhöht. Das ist richtig viel Geld. Dafür vielen Dank an die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler! ({3}) Die Mittel für den Qualitätspakt Lehre wurden um 25 Prozent auf immerhin 175 Millionen Euro aufgestockt. Wir investieren in die Forschung - zum Beispiel in die Gesundheitsforschung, die Klimaforschung, die naturwissenschaftliche Forschung -, Stichwort „Hightech-Strategie“, insgesamt 4,8 Milliarden Euro; das ist ein Plus von 7 Prozent. Das kann sich doch sehen lassen. Wir haben auch die Mittel für zahlreiche Institute erhöht: Als Zuschuss vom Bund erhalten das Bundesinstitut für Berufsbildung 35 Millionen Euro, die Deutsche Forschungsgemeinschaft 982 Millionen Euro, die MaxPlanck-Gesellschaft 678 Millionen Euro, die LeibnizGesellschaft über 380 Millionen Euro, die FraunhoferGesellschaft 462 Millionen Euro und die Helmholtz-Gemeinschaft sage und schreibe 1,83 Milliarden Euro. Das lässt sich sehen. Ein Dank an die Institute für ihre Leistung für unser Land! ({4}) Das sind erst einmal Zahlen. Diese Zahlen lassen sich besser verstehen, wenn man Vergleiche zieht. ({5}) Wie war es denn unter Rot-Grün? ({6}) Von 1998 bis 2005, also in sieben Haushalten, gab es einen Aufwuchs von 908 Millionen Euro. Das war in sieben Jahren Rot-Grün. ({7}) Richten wir den Blick auf unsere christlich-liberale Koalition: In drei Haushalten gab es einen Aufwuchs von 2,7 Milliarden Euro - das ist der Unterschied -, ({8}) und das, obwohl wir die Schuldenbremse einhalten, obwohl wir sparen und obwohl wir die Nettokreditaufnahme gesenkt haben. ({9}) - Wir machen weniger Schulden. Ich erinnere daran, wer Schulden gemacht hat: Sie haben in sieben Jahren RotGrün fast 300 Milliarden Euro Schulden gemacht. Sie haben unter Rot-Grün alles schuldenfinanziert. ({10}) Heute werfen Sie uns vor, Schulden zu machen. So funktioniert das nicht. ({11}) Kollege Leutert hat davon gesprochen, wir gäben das Geld nicht aus. Ist das denn schlimm? Der Haushalt legt die maximalen Ausgaben fest: 306 Milliarden Euro. Wenn wir weniger ausgeben, ist das nicht schlimm, Michael Leutert. ({12}) - Nein, es ist nicht schlimm, wenn auch in den Ministerien gespart wird. Wir müssen das Geld nicht ausgeben. Es gibt keinen Zwang, Geld auszugeben. Auch das gehört zur soliden Haushaltsführung. ({13}) Ich fasse zusammen: Rot-Grün hat in sieben Jahren für Forschung und Bildung fast nichts gemacht. ({14}) Hier geht jetzt der D-Zug ab, oder, um beim Bild von Weihnachten zu bleiben: Bei euch gab es Bockwurst, bei uns gibt es Weihnachtsgänse. In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz von Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer auch immer in dieser Woche über Bildung spricht, darf nicht nur über Zahlen reden. ({0}) Er darf auch nicht nur über Gänse, Bockwurst und weiß Gott was reden, was Rot-Grün im Gegensatz zu Ihrer Koalition gemacht hat. Wer auch immer in dieser Woche über Bildung redet, muss auch über Demokratie, über Toleranz, über interkulturelles Miteinander reden. ({1}) Wir haben es in den letzten Tagen erlebt: Wir sind in der Verantwortung, die Grundlagen für diese Begriffe klarzumachen. Bildung ist ein essenzieller Bereich, um diese Grundlagen zu vermitteln. All das kann uns nur dadurch gelingen, dass wir durch Bildung in die Menschen und in das Miteinander der Menschen investieren. ({2}) Ich bedaure es sehr und ich rege mich auch ein bisschen darüber auf, dass Sie die ganze Bildungsdebatte auf das verkürzen, was Sie bisher vorgeführt haben. Denn es steckt doch viel mehr dahinter. Was erwarten wir von Bildung? Ich erwarte gerade in dieser Woche eine Debatte darüber, wie wir zum Beispiel durch Investitionen in Bildung eine Einwanderungsgesellschaft prägen, wie wir sie gestalten können, was das alles für die Kinder und Jugendlichen in unserem Bildungssystem bedeutet und wie es uns gelingt, in der Infrastruktur für Anerkennung und Offenheit zu sorgen. ({3}) - Ich komme gleich darauf. - Dann kommen Sie mit Ihrem „Wir gegen die“. Das Gleiche findet leider auch in der Gesellschaft statt. Ich finde, ein solches „Wir gegen die“ kann es beim Brennball- oder Volleyballspiel geben; es sollte aber nicht in unseren bildungspolitischen Debatten und auch nicht in unseren Bildungseinrichtungen stattfinden. ({4}) Für uns sollte gelten: Bildung hat Priorität in dieser Gesellschaft. Deshalb ist es recht und billig, dass wir in Bildung investieren. Es darf nicht nur um die Frage gehen, was die einen und was die anderen gemacht haben, sondern auch darum, wie wir das Ganze gemeinsam voranbringen. Ehrlich gesagt, habe ich in der Anmutung Ihrer Debatten diese Botschaft bisher schwer vermisst. Geht es Ihnen tatsächlich darum, die Bildungspolitik voranzubringen, oder geht es Ihnen um Rechthaberei? Ich habe das Gefühl, es geht Ihnen nur um das Zweite. ({5}) Kommen wir zu der Frage, welche Rolle die Bildungsministerin dabei spielt, gerade auf Bundesebene. Wenn wir unsere Ziele erreichen wollen, brauchen wir mehr interkulturell ausgebildetes Personal. Dabei sind Sie in der Pflicht. Gerade in dieser Woche wünsche ich mir von Ihnen die Botschaft: Es ist wichtig, dass es auch in den Bildungseinrichtungen Menschen mit Migrationshintergrund gibt. Ich wünsche mir eine Ministerin, die dafür gerade in einer Zeit, in der wir über den Mangel an Erzieherinnen und Erziehungseinrichtungen reden, Begeisterung schafft. Es reicht nicht, zu wissen, dass manche Sachen schiefgehen werden. Das Wichtigste wird sein, entsprechend zu handeln und etwas dagegen zu tun. Was tun Sie gegen den Fachkräftemangel? Was tun Sie für die Weiterbildung von Erzieherinnen in diesem Land? Was tun Sie, um mehr Migrantinnen und Migranten für diese Berufe zu begeistern? ({6}) Hierauf wünsche ich mir Antworten. Diese Antworten finde ich gerade in Ihrer Politik nicht. ({7}) Zu Ihrem Anerkennungsgesetz. ({8}) Sie tun so, als ob Sie damit etwas Großartiges geschaffen hätten. ({9}) Dieses Gesetz wurde mit der Zusage verabschiedet, dass jeder eine Beratung erhält, für den dies notwendig ist. Alle Menschen, die hier arbeiten wollen, sollen eine entsprechende Beratung und die nötige Anerkennung bekommen. ({10}) Was tun Sie dafür, dass diese Beratung überhaupt stattfindet? Sie müssten doch jetzt dafür sorgen, dass im Haushalt Mittel dafür eingestellt werden. Sie sagen: Na ja, das ist nicht unser Haushalt, sondern der von Frau von der Leyen. Okay, dann tun Sie etwas dafür, dass die Mittel im Haushalt von Frau von der Leyen eingestellt werden. Diese Mittel sehe ich dort aber leider auch nicht. Sie haben diese Zusagen gemacht. Also setzen Sie sie auch um! Es reicht nicht, nur mit Begriffen um sich zu werfen, sondern Sie müssen Ihr Vorhaben schon umsetzen, wenn Sie in diesem Bereich tatsächlich etwas verändern wollen. Ich warte noch immer auf die Angabe, wo wir diese Mittel wiederfinden werden. Ich sehe sie nicht. Zur Qualitätsentwicklung in diesem Bereich. Wer ist in Deutschland zuständig dafür? Welche Institution wird sagen, nach welchen Kriterien das Ganze erfolgen soll? Hierauf sind Sie die Antwort schuldig. Sie haben ein Gesetz vor sich liegen und wissen eigentlich gar nicht, wie Sie es umsetzen sollen. Zur beruflichen Bildung junger Menschen. Sie sagen: Wir haben hier Geld investiert. Gleichzeitig gibt es noch immer 300 000 jugendliche Altbewerberinnen und Altbewerber, die nicht wissen, wohin, die also gewissermaßen auf der Straße sind. ({11}) An diesem Punkt sieht man doch: Allein mit mehr Geld löst man die Probleme an dieser Stelle nicht. Die Frage ist: Welche Strukturen schaffen Sie, damit auch diese jungen Menschen tatsächlich einen Platz in dieser Gesellschaft finden? Es reicht hier nicht, dass Sie die Jugendlichen eine Schleife nach der anderen durchlaufen lassen, ohne dass sie in dieser Zeit weiterqualifiziert werden. Nicht nur mehr Geld, sondern auch eine Strukturreform ist notwendig. Dafür ist Mut erforderlich, und genau diesen Mut wünsche ich mir auch von Ihnen und von der Ministerin. ({12}) Frau Schavan, Sie haben auf Ihrem Parteitag etwas sehr Wichtiges gesagt: „Kindeswohl schlägt Kooperationsverbot“. Leider ist Ihre Partei Ihren Weg in eine moderne Bildungsrepublik nicht mitgegangen. Leider waren die Ideologiedebatten beherrschend, und leider gab es zu viele Ängste. Ihre Partei hat den Schritt in die Bildungsrepublik nicht gewagt, sondern sie hat diesen Weg durch irgendwelche Prüfaufträge zulasten der Kinder in diesem Land aufgeweicht. ({13}) Wenn Sie die Eltern, die Lehrer, die Schulleitungen und die Bürgermeister landauf, landab fragen, dann werden Sie feststellen: Von den Menschen und von der Gesellschaft bekommen Sie sehr wohl Unterstützung. Nur weil Ihre Partei nicht so weit ist wie die Gesellschaft, heißt das noch lange nicht, dass das, was die Gesellschaft will, falsch ist. ({14}) Liebe Frau Schavan, an diesem Punkt kann ich Sie nur auffordern: Seien Sie mutig! Nehmen Sie all Ihren Mut zusammen! Versuchen Sie, den Bundesrat für eine Verfassungsänderung zu gewinnen! Wir werden Sie darin unterstützen - auch gegen Ihre Partei. Mutig müssen Sie aber schon sein. Ein Bekenntnis dazu haben Sie schon abgelegt. Jetzt müssen Sie es auch umsetzen, liebe Frau Schavan. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Albert Rupprecht das Wort. ({0})

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Deligöz, Sie haben beim Thema Integration vollkommen ausgeblendet, dass wir vor wenigen Wochen hier im Deutschen Bundestag das Anerkennungsgesetz beschlossen haben. ({0}) Ich glaube, es ist unstrittig - das wurde von allen Fachleuten anerkannt -, dass das ein Meilenstein für die Integration ist. ({1}) Sie hatten sieben Jahre lang Zeit und haben in diesem Bereich nichts gemacht. Das ist ohne Zweifel ein außerordentlich komplexes Werk. Deswegen war das keine Sache, die von heute auf morgen erledigt werden konnte; aber wir haben das Ganze vollzogen. Es gehört zur demokratischen Kultur, dass man sich mit den Anträgen der Opposition sehr ernsthaft auseinandersetzt. Wir haben sowohl die Anträge, die Sie im Ausschuss, als auch die, die Sie in der ersten Lesung hier eingebracht haben, und Ihre Argumente sehr sauber Albert Rupprecht ({2}) strukturiert, untersucht, geprüft und diskutiert. Ich möchte sie im Wesentlichen in vier Bereichen zusammenfassen. Erstens. Sie kritisieren im Bereich der Projektförderung Kürzungen oder angebliche Kürzungen, beispielsweise bei den neuen Werkstoffen oder der Produktionsforschung. Wir haben das geprüft. Ich maße mir nicht an, zu behaupten, dass man als Parlamentarier bei einem Haushalt von beinahe 13 Milliarden Euro jede Position bis ins Letzte durchdrungen hat; deswegen braucht es auch die Diskussion zu diesen Themen. Ihre Kritik stimmt nicht: Es gab hier keine Kürzung. Die Erklärung dafür ist schlichtweg, dass die Programme im Haushalt 2012 unter anderen Titelüberschriften eingeordnet sind. Ich nenne ein Beispiel. Sie haben kritisiert, dass bei der Elektromobilität angeblich gekürzt wird. In Wirklichkeit ist es so, dass dieser Bereich herausgenommen wurde und im Bereich Energieund Klimafonds neu erfasst wird. Wir haben unter dem Strich sogar einen massiven Aufwuchs der entsprechenden Mittel. ({3}) Zweitens. Sie haben, auch heute, mehrere Anträge zur Ganztagsschule, zum Hochschulpakt und zur Nachwuchsoffensive eingebracht, deren Umsetzung ein Verstoß gegen die Verfassung wäre. Nach dem Stand der Verfassung, den wir heute haben, führten diese Anträge zu einem Verstoß gegen die Verfassung, weil sie die Zuständigkeit der Bundesländer betreffen. Wir können an dieser Stelle gerne darüber diskutieren, ob und auf welche Art und Weise wir die Verfassung ändern wollen. Fakt ist aber, dass wir den Haushalt diese Woche beschließen. Wir haben einen Haushalt zu verabschieden, der verfassungskonform ist. Ich erwarte schon, dass Parlamentarier im Deutschen Bundestag die Verfassung respektieren und einhalten. ({4}) Weder Sie noch wir haben derzeit einen präzisen Vorschlag für eine Verfassungsänderung, der sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit bekommen würde. Deswegen sind diese Anträge in der Tat Schaufensteranträge - Ecki Rehberg hat das zu Recht gesagt -, die vollkommen fehl am Platze sind und die hier im Grunde genommen nichts zu suchen haben. ({5}) Wir wollen ein Mehr an Kooperation, Herr Rossmann; aber das muss sauber überlegt sein. ({6}) Es ist der richtige Weg, dass der Wissenschaftsrat beauftragt wird, bis 2013 eine vertiefte, saubere Analyse und einen Vorschlag vorzulegen. Das, Herr Rossmann, wollen auch Ihre SPD-Ministerpräsidenten; auch die SPDMinisterpräsidenten wollen den Wissenschaftsrat beauftragen. ({7}) Angesichts dessen stelle ich der SPD-Fraktion die Frage, ob sie der Ansicht ist, dass wir heute entscheidungsreif sind, und ob sie den Auftrag an den Wissenschaftsrat ernst nimmt. Nehmen Sie den Auftrag ernst, dann müssen wir bis 2013 warten. Unserer Meinung nach ist es notwendig, die Analyse zu vertiefen und die Diskussion zu führen. Wir werden die Zeit nutzen, um zu diskutieren. Aber wir werden letztendlich erst 2013 auf Basis dieser Vorlagen entscheiden können. ({8}) - Ich gehe davon aus, dass der Wissenschaftsrat seinen Vorschlag im Frühjahr 2013 vorlegen wird. Dann sind wir - davon gehe ich aus - entscheidungsreif. Drittens. Ein weiterer Kritikpunkt von Ihnen ist der Mittelabfluss. Ecki Rehberg hat ihn angesprochen. Herr Hagemann, Sie sind seit September in Deutschlands Medienlandschaft mit der Aussage unterwegs, Ministerin Schavan habe es nicht im Griff, zusätzliches Geld vernünftig unter die Leute zu bringen. Herr Hagemann, dieser Vorwurf ist vollkommen falsch. ({9}) Zu den Fakten - ich wiederhole die Zahl, die Ecki Rehberg schon genannt hat -: Das Ministerium hat, seit Ministerin Schavan Verantwortung trägt, 46 Milliarden Euro verausgabt. 98,3 Prozent dieser Summe sind erfolgreich investiert worden. Das ist im Vergleich zu anderen Ressorts ein hervorragender Wert. ({10}) Wenn es zu Verzögerungen gekommen ist, dann liegt das primär an zwei Elementen: Erstens. Länder, die die Gelder verwenden können, haben sie nicht ausreichend schnell abgerufen. Wir haben uns die Liste vergegenwärtigt: Das sind insbesondere SPD-geführte Länder. ({11}) Darüber müssen Sie mit Ihren Ministerpräsidenten reden. Zweitens. Es handelt sich um internationale Großprojekte, bei denen es sein kann, dass sich Verhandlungen, wie beispielsweise bei FAIR, um einige Monate verzögern. Deswegen, Herr Hagemann, sage ich an dieser Stelle noch einmal klar und deutlich: Sie erwecken wider besseres Wissen in der Öffentlichkeit und auch bei den Kollegen den Eindruck, als hätten wir im Bereich der Forschung und Bildung zu viel Geld. ({12}) Albert Rupprecht ({13}) Damit schaden Sie der Bildung und der Forschung in unserem Land, sehr geehrter Herr Hagemann. ({14}) Das ist inakzeptabel. Nachdem Sie gemerkt haben, dass das Thema Mittelabfluss im Grunde genommen fachlich und sachlich nicht belastbar und Ihre Argumentation letztendlich widerlegbar ist, haben Sie seit einigen Wochen ein neues Thema, nämlich Projektträger - „Schattenministerium“. Das ist sozusagen eine Medienkampagne „Hagemann, die Zweite“. Eigentlich schauen Sie wie ein seriöser, solider Buchhalter aus. Aber in Wirklichkeit sind Sie ein Medienmann, ({15}) allerdings brutal oberflächlich. Sie werfen dem Ministerium vor, dass es über Projektträger eine Art Schattenministerium aufbaue, und zum anderen, dass das Geld ineffizient in der Verwaltung versickere und nicht bei den Menschen ankomme. Auch diese Medienstory ist schlichtweg falsch. Die Projektmittel sind seit 2005 um sage und schreibe 89 Prozent gestiegen. ({16}) Das ist ein Riesenerfolg für den Forschungsstandort Deutschland, wie wir meinen. ({17}) Aber die Zahl der tatsächlich beschäftigten Mitarbeiter bei diesen Projektträgern ist in diesem Zeitraum von 710 auf 746 gestiegen, das heißt um 5 Prozent. Die Mittel sind um 89 Prozent und die Zahl der Mitarbeiter ist um 5 Prozent gestiegen. Herr Hagemann, auch dieser Vorwurf ist eine vollkommene Luftnummer. In Wirklichkeit ist die Effizienz dramatisch positiv gestiegen: fast eine Verdoppelung der Mittel, aber fast dieselbe Personenzahl. ({18}) Sie sollten das anerkennen und wertschätzen, statt in den Medien den Eindruck zu erwecken, dieses Haus könne mit Geld nicht vernünftig umgehen und habe zu viel Geld. Sie schaden dem Forschungs- und Bildungsstandort Deutschland, Herr Hagemann. Das leisten und bewirken Sie damit. ({19}) Im Übrigen ist der Weg über Projektträger jahrzehntelang praktiziert worden. ({20}) Das ist jedes Jahr mit dem Haushaltsausschuss, dem Bundesrechnungshof und dem Finanzministerium abgestimmt worden. ({21}) Sie sind seit Jahren Mitglied des Haushaltsausschusses und haben im Grundsatz jedes Jahr die Hand zu diesem Verfahren gehoben; denn es macht Sinn, dass man Projekte über Projektträger abwickelt, weil das günstiger kommt, als wenn man eine entsprechende Zahl von Mitarbeitern im eigenen Haus beschäftigen würde. Deswegen ist das ein vernünftiges Verfahren. Darüber hinaus zeigen die Zahlen ganz klar, wie bereits formuliert, dass das auch ein effizientes Verfahren ist. ({22}) Herr Hagemann, die Realität ist ganz anders, als Sie sie darstellen. Noch nie war Forschung und Bildung in Deutschland so erfolgreich wie unter Kanzlerin Merkel und Ministerin Schavan. In diesem Etatbereich gibt es gegenüber 2005 eine Steigerung um sage und schreibe 74 Prozent. Das ist in Deutschland historisch einzigartig. Darüber hinaus ist das auch international herausragend. Wir erleben derzeit, dass in Zeiten der Staatsverschuldungskrise überall - mit Ausnahme des asiatischen Raums - in diesen Bereichen gespart wird. In den USA sitzen die Forscher auf gepackten Koffern und überlegen, nach Deutschland zu kommen. Deutschland wird aus dieser großen weltweiten Krise nicht nur im wirtschaftlichen Bereich, sondern auch im Forschungs- und Bildungsbereich gestärkt hervorgehen. Das ist unser Weg, und den werden wir gehen. Herzlichen Dank. ({23})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich Ernst Dieter Rossmann das Wort.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, weil Sie das gemeinsame Anliegen, wieder zu einem vernünftigen Verhältnis zwischen Bund und Ländern zu kommen, was die Förderung von Bildung, Forschung und Wissenschaft angeht, mit einer gewissen Schärfe angesprochen haben, möchte ich dazu viererlei feststellen: Das Erste. Wenn Sie hier schon den Wissenschaftsrat ins Spiel bringen - es wird noch zu fragen sein, auf welcher Grundlage und von wem eigentlich autorisiert -: Sie erinnern sich hoffentlich noch daran, dass es Sie damals, als wir für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der Förderung von Wissenschaft und Bildung leider gravierende Fehlentscheidungen getroffen haben, einen Dreck interessiert hat, was der Wissenschaftsrat dazu gesagt hat. Er war nämlich vehement dagegen und hat vor Fehlentwicklungen gewarnt. ({0}) Das Zweite. Wenn Sie es nicht können, wird Frau Schavan liefern müssen. Sie muss dann sagen, ob es einen Beschluss der Ministerpräsidenten gibt, nicht aktiv zu werden, sondern den Wissenschaftsrat zu beauftragen. Sie werden heute hier liefern müssen, nachdem Sie behauptet haben, dass es diesen Beschluss geben soll. Sie haben die Ministerpräsidenten sozusagen mit in Haft genommen, als Sie sagten, dass so etwas beschlossen worden sei. Sie werden das gleich hoffentlich belegen können. Sonst wäre das sehr merkwürdig, hier einen solchen Prozess anzustoßen. Zum Dritten. Sie unterbinden, dass wir einen guten Weg einschlagen. Sie können diesen guten Weg offensichtlich nicht zusammen mit SPD, Grünen, Linken und anderen gehen, weil Sie in Ihrer eigenen Regierungskoalition durch unglückselige Entscheidungen des FDPParteitages derart blockiert sind, dass Sie das Ganze verschieben müssen. ({1}) Zu einer wahrhaftigen und differenzierten Betrachtung gehört, dass wir gerne anerkennen, dass der Beschluss des CDU-Parteitags eine gewisse Offenheit aufweist. Offenheit darf aber nicht bedeuten, dass man das jetzt endlos auf der Zeitachse nach hinten schiebt, sondern muss beinhalten, dass man in der Sache jetzt zu einem Konsens und zu einer Lösung kommt. Man darf nicht abwarten, sondern muss das politisch aufgreifen und angehen. Das ist unser Angebot. Zum Vierten sagen wir frank und frei: Es stört uns gar nicht, wenn sich Frau Merkel und Frau Schavan noch in dieser Legislaturperiode die Feder an den Hut stecken und eine Grundgesetzänderung durchsetzen, die dazu führt, dass Bund und Länder im Bildungsbereich besser zusammenwirken. Es würde uns aber stören, erneut Zeit zu verlieren. Frau Schavan, heften Sie sich diese Feder gerne an den Hut! Gleich dazu sage ich: Dann können Sie auch gehen. Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Rupprecht, bitte.

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hagemann, es gibt nicht nur Offenheit - ({0}) - Entschuldigung, Herr Rossmann! Ich war so sehr auf Herrn Hagemann eingeschossen. Er war heute sozusagen mein Lieblings-Sozi. ({1}) Herr Rossmann, es gibt sicherlich Offenheit in der Unionsfraktion und in der Unionspolitik. Beispielsweise hat der bayerische Kultusminister Spaenle an dieser Stelle deutlich formuliert - wenn Sie damals genau zugehört haben, erinnern Sie sich bestimmt -, dass er für Vorschläge zu Einrichtungen und Vorhaben im Hochschulbereich offen ist. Es gibt also Offenheit. Aber es bedarf in der Tat einer substanziellen Diskussion. Wir haben zig Kamingespräche geführt und mit Fachleuten diskutiert und haben nach jeder Diskussion festgestellt, dass das Thema ausgesprochen komplex ist und differenziert zu behandeln ist. Wenn wir Zuständigkeiten übernehmen, müssen wir sie auch finanziell schultern können. Zudem sind klare Verantwortlichkeiten notwendig. Die entscheidende Frage lautet in der Tat: Sind wir inhaltlich ausreichend fit, um 2011 oder 2012 zu entscheiden? Wir haben beschlossen, die Empfehlungen des Wissenschaftsrates abzuwarten; ({2}) denn der Wissenschaftsrat kennt die Wissenschaftslandschaft. Sie haben darauf hingewiesen, dass das bei der letzten Föderalismuskommission so nicht gehandhabt wurde. Das heiße auch ich nicht gut. Wie Sie wissen, sind damals viele Themen verhandelt und teilweise regelrecht verhackstückt worden. Was dabei herausgekommen ist, entsprach nicht unbedingt der Position unserer Forschungs- und Bildungspolitiker. Da kann man nachtarocken, aber es ist nun einmal, wie es ist. ({3}) Ich glaube, jetzt, im Jahr 2011, ist der richtige Zeitpunkt, um das noch einmal zu vertiefen. Zum letzten Punkt: Sie haben gefragt, ob es tatsächlich einen Beschluss der Ministerpräsidenten gibt. Ich habe gesagt, dass die Ministerpräsidenten einen Beschluss fassen wollen. Mein Kenntnisstand ist: Man wird im Januar oder Februar nächsten Jahres tagen. Dann wird sich entscheiden, ob der Wissenschaftsrat beauftragt wird. ({4}) Ich meine, dass das notwendig und richtig wäre. Ich frage Sie, Herr Rossmann, ob Sie ebenfalls der Meinung sind, dass der Wissenschaftsrat beauftragt werden soll. Wir plädieren dafür. Wenn Sie die Frage mit Ja beantworten und der Wissenschaftsrat beauftragt wird, sollten wir die Diskussion führen und nicht bis 2013 abwarten. Aber entscheiden können wir erst 2013. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Oliver Kaczmarek für die SPDFraktion. ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will es - auch in der Gesamtschau der ersten Lesung des Haushaltsplans und der heutigen Lesung - gleich vorwegnehmen: Wir kritisieren als Opposition nicht, dass in den Einzelplan 30 mehr Mittel eingestellt sind. Das ist gar nicht der Kritikpunkt. Allerdings muss man - Herr Kollege Hagemann hat es bereits ausgeführt - den ge17130 samten Haushalt in den Blick nehmen. Vor diesem Hintergrund kritisieren wir, dass Sie das Geld falsch ausgeben und mehr Wert auf spektakuläre Überschriften legen als auf bildungspolitische Kärrnerarbeit. Das ist unsere Kritik an dem, was Sie hier vorgelegt haben. ({0}) Ich will da anknüpfen. Entscheidend ist doch: Wenn wir ambitionierte bildungspolitische Projekte wie Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen, Ausbau der Ganztagsschulen, Reduzierung der Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss oder bessere Studienbedingungen in Angriff nehmen wollen, dann müssen wir eine gesamtstaatliche bildungspolitische Anstrengung initiieren. Dazu sehe ich keine Impulse vonseiten der Bundesregierung. Wir müssen den Erwartungen der Menschen entsprechen. Es ist keinem mehr zu vermitteln, dass es Bund und Ländern nicht erlaubt sein soll, bei der Finanzierung von wichtigen bildungspolitischen Vorhaben zusammenzuarbeiten. Wir wollen, dass Bund und Länder gemeinsam Verantwortung für Bildung übernehmen können. Deswegen ist die Aufhebung des Kooperationsverbotes ein entscheidender Schritt. ({1}) Die FDP hat sich mit ihrem Parteitagsbeschluss aus der Diskussion abgemeldet; das ist zu verschmerzen. Die CDU ist in ihrem Beschluss hinreichend beliebig. Wir werden in der übernächsten Woche auf unserem Parteitag in Berlin einen ganz konkreten Vorschlag für eine Grundgesetzänderung vorlegen. Da sind wir gesprächsbereit. Sie können sicher sein - das sage ich, weil das hier gerade eine Rolle gespielt hat -: Die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten werden diesen Weg mitgehen. Herr Schummer, die sozialdemokratische Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen wird an der Spitze dieser Bewegung sein. Wir sind gesprächsbereit und wollen sehen, was dabei herauskommt. ({2}) Wenn man über Bund-Länder-Beziehungen spricht, gilt auch: Wer von den Ländern immer größere Anstrengungen erwartet - zumindest bei der ersten Lesung des Etats sind die Redner der Koalitionsfraktionen nicht müde geworden, darauf hinzuweisen -, der darf ihnen finanziell nicht das Wasser abgraben. Allein durch die Steuersenkungen, die Sie für die Zeit ab 2013 vereinbart haben bzw. planen - man weiß es noch nicht so genau; es gibt keine ganz konkreten Unterlagen dazu -, werden den Ländern Steuerausfälle in Höhe von etwa 2 Milliarden Euro jährlich entstehen. Nicht vergessen dürfen wir dabei - wir haben versprochen, dass wir das bei jeder Beratung hier zum Ausdruck bringen -, dass durch Ihr großzügiges Geschenk an Hoteliers und reiche Erben zu Beginn der Legislaturperiode ({3}) - ja, wir werden das auch bei weiteren Debatten immer wieder betonen, so lange, bis Sie es zurücknehmen ({4}) Steuerausfälle in Höhe von über 2 Milliarden Euro bei den Ländern und über 1,5 Milliarden Euro bei den Kommunen entstehen. ({5}) Herr Rehberg, dass diese Koalition die Kommunen tatsächlich entlastet hat, ist, glaube ich, eine exklusive Sichtweise, die nur diese Koalition selbst hat. ({6}) Das ist genau das Geld, das fehlt, um in den Ländern und in den Kommunen Zukunftsinvestitionen in Bildung, in den Ausbau der Ganztagsbetreuung, in Ganztagsschulen oder auch in bessere Studienbedingungen tätigen zu können. Allein mit dem Geld, das Sie für das pädagogisch umstrittene Betreuungsgeld - so sage ich es einmal - ausgeben wollen, könnten bundesweit 55 000 Ganztagsbetreuungsplätze finanziert werden. Deshalb sage ich: Wer sich politisch so unverantwortlich verhält wie diese Koalition, der hat keinen bildungspolitischen Kompass; der ist einfach mental und politisch sehr weit von dem entfernt, was Sie „Bildungsrepublik Deutschland“ nennen. ({7}) Kolleginnen und Kollegen, wir als SPD haben zur Finanzierung von langfristigen Aufgaben im Bildungswesen einen Pakt für Bildung und Entschuldung vorgelegt, ({8}) mit dem wir ab 2016 zusätzlich 10 Milliarden Euro beim Bund und auch 10 Milliarden Euro bei den Ländern für Bildung mobilisieren wollen. Dazu wollen wir schon ab dem nächsten Jahr - ich komme damit auf unseren Änderungsantrag zu sprechen - einen moderaten Beitrag derjenigen einfordern, die besonders hohe Einkommen oder Vermögen haben. ({9}) Wir halten das für gerecht, weil es hier um die Finanzierung von Zukunftschancen junger Menschen geht. Die Debatte um die Studienanfängerzahlen, die sich in den letzten Tagen neu entzündet hat, und das, was das Statistische Bundesamt vorgelegt hat, müssen ein Weckruf für Ihre Koalition sein, wie mein Kollege Swen Schulz gegenüber den Medien ganz richtig erklärt hat. Wir brauchen jetzt wirksame Maßnahmen, damit junge Menschen, die das wollen, ein Studium aufnehmen und auch zu Ende - nach unserer Meinung bis zum Master studieren können. Von der Bildungsministerin haben die Studierenden in dieser Hinsicht offensichtlich nicht viel zu erwarten. So interpretieren wir zumindest die Äußerungen, die wir in den letzten Tagen dazu gelesen haben. Wir als SPD-Fraktion haben deshalb unter anderem beantragt, den Hochschulpakt 2020 bundesseitig um 200 Millionen Euro aufzustocken, um damit 50 000 zusätzliche Studienplätze noch in 2012 zu finanzieren; ({10}) denn der Freude über erhöhte Studienanfängerzahlen müssen auch konkrete Taten für bessere Studienbedingungen folgen. Lassen Sie mich noch ein Thema ganz kurz erwähnen, weil man den Eindruck hat, dass die Ministerin sich gern im Glanz großer Zahlen sonnt, aber manchmal die Mühen der Ebene etwas scheut. Ich möchte hier über 7,5 Millionen Menschen in Deutschland sprechen, die als funktionale Analphabeten gelten. Das ist eine Riesenherausforderung für unser Bildungssystem. Hinsichtlich der Unterzeichnung eines Paktes für Alphabetisierung und Grundbildung hören wir von der Bundesregierung seit Monaten eher wenig Konkretes. Wenn es nicht bald zur Unterzeichnung dieses Paktes kommt, der einer sehr großen Gruppe von Menschen, die am Rand des Bildungssystems stehen, nützt, dann wird die Luft für die Träger der Grundbildung dünn. Sie wissen doch - das steht zum Teil auch in dem Etat der Bildungsministerin -, dass es Projekte gibt, die Ende des Jahres auslaufen. Somit würden Trägerstrukturen infrage gestellt; die Träger müssten sich überlegen, ob sie Personal entlassen oder ihre Fixkosten reduzieren. Insofern darf Ihnen das nicht gleichgültig sein; denn so werden Strukturen beschädigt, die wir für die Grundbildung und zur Alphabetisierung brauchen. Deshalb muss der Alpha-Pakt kommen. Die Bundesregierung und die Ministerin müssen hier ihrer Verantwortung gerecht werden. ({11}) Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn man viel Geld in einen Haushalt einstellt, muss man es auch richtig einsetzen können. Man muss die richtigen Prioritäten setzen und die Lage von jungen Menschen im Bildungswesen erkennen und politisch aufgreifen. Insofern reicht es nicht, sich auf Überschriften und Prestigeprojekte zu konzentrieren. Vielmehr ist da bildungspolitische Kärrnerarbeit gefragt. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Patrick Meinhardt für die FDPFraktion. ({0})

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben hier eine äußerst sphärische Debatte; jedenfalls lässt das, was ich hier gerade wieder gehört habe, darauf schließen. Kommen wir einmal zu den Grunddaten zurück. Mittelfristiges Ziel dieser Regierungskoalition ist es, 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Bundesrepublik Deutschland in den Bereich Bildung und Forschung zu investieren. Zum Zeitpunkt der Abfrage beim Stifterverband waren es 2,77 Prozent im Bereich Forschung und 6,5 bis 6,8 Prozent im Bereich Bildung. Wir liegen also bereits jetzt bei 9,5 bis 9,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. ({0}) Es war eine gigantische Kraftanstrengung, das bis zum jetzigen Zeitpunkt zu erreichen. Das Ziel ist, 2015 10 Prozent des BIP in Bildung und Forschung zu investieren. ({1}) Um das zu erreichen, bedarf es eines Motors. Dieser Motor ist dieser Bundeshaushalt. Dass wir innerhalb von vier Jahren 12 Milliarden Euro mehr in Bildung und Forschung investieren, dass wir in diesem Jahr ganz konkret einen Aufwuchs von 11,1 Prozent zu verzeichnen haben, dass der Haushalt in den vergangenen zweieinhalb Jahren um 27 Prozent auf fast 13 Milliarden Euro gesteigert wurde - wir haben es hier mit einem Rekord-Bildungsund -Forschungsetat zu tun! -, ist in einer Krise genau die richtige Antwort. Genau das macht diese Regierungskoalition: Investitionen in Bildung, Investitionen in Forschung, Investitionen in Innovation. ({2}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, genauso wichtig ist es, dass wir schauen, an welchen Stellen wir welche Maßnahmen treffsicher einsetzen. Wir wissen, wie wichtig der Wettbewerb der Länder und der Bildungseinrichtungen um die bestmöglichen Bildungsangebote ist. Vor allem seit wir den Lernatlas haben, wissen wir, wie wichtig der Wettbewerb der Regionen um die bestmögliche Bildungspolitik werden wird. Umso wichtiger und richtiger war es, dass diese Regierungskoalition sich darauf verständigt hat, lokale und regionale Bildungsbündnisse, Allianzen für Bildung, zu stärken. Denn nur wo regionale Bildungsnetzwerke Wirkung entfalten, kann Bildungspolitik zur Förderung des Einzelnen beitragen. Deswegen ist dieser Ansatz goldrichtig. ({3}) Genauso wichtig ist es, so früh wie nur möglich mit der Förderung zu beginnen. Sprachförderung ist wichtig. Deswegen haben wir die Offensive „Frühe Chancen“ bis zum Jahre 2014 mit 400 Millionen Euro ausgestattet. Das Projekt „Lesestart“ haben wir mit 26 Millionen Euro ausgestattet. Angesichts dessen - das ist angesprochen worden -, dass wir 7,5 Millionen funktionale Analphabeten in der Bundesrepublik Deutschland haben, brauchen wir einen Grundbildungspakt; auch das ist im Bereich der Sprachförderung ein sehr wichtiges Thema. Diese Regierung macht sich auf den Weg, einen solchen Grundbildungspakt zu schließen. Um den Alphabetisie17132 rungspakt in die Wege leiten zu können, haben wir in diesen Haushalt 5 Millionen Euro zusätzlich eingestellt. Damit haben wir den entsprechenden Haushaltsansatz um 60 Prozent gesteigert. Das ist die korrekte Darstellung und nicht das, was eben hier gesagt worden ist. ({4}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lebenslanges Lernen entlang einer Bildungskette ist ein enorm wichtiger Punkt. So stellen wir uns Bildung vor. 31 Millionen Euro fließen in diese Bildungsketten. Viel wichtiger ist für mich aber, in diesem Zusammenhang hervorzuheben: Es ist ein gutes Zeichen, dass wir innerhalb kürzester Zeit den Erfolg der Weiterbildungsprämie feiern können. 150 000 Weiterbildungsprämien, 75 000 allein in diesem Jahr, sind ein Zeichen dafür, dass wir bei der Weiterbildung eine Erfolgsgeschichte schreiben. Das muss auch einmal an dieser Stelle hervorgehoben werden. ({5}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Talente fördern, schlummernde Begabungen wecken - das ist eine Aufgabe der Bildungspolitik. Deswegen haben wir das Programm zu den Aufstiegsstipendien erfolgreich fortgesetzt und 3 000 Aufstiegsstipendien gewährt, deswegen dehnen wir die Begabtenförderung auf die berufliche Bildung aus, deswegen kriegen die Begabtenförderungswerke 40 Millionen Euro im kommenden Jahr mehr, und deswegen legen wir beim Deutschlandstipendium auch noch einmal 26,7 Millionen Euro oben drauf. Einer der wichtigsten Grundsätze lautet: Es zählt nicht, woher du kommst, sondern wer du bist. Das setzen wir mit dieser Talentförderung um. ({6}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt verstärkt das Fundament einer bildungsgerechten Gesellschaft und ist ein Schaufenster für Innovation und für Zukunft dieser Gesellschaft. Vielen herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke. ({0})

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren von der Regierung, es hilft auch nichts, wenn Sie sich hier einfach nur sehr viel selbst loben. ({0}) Zunächst wissen Sie ja, was man über Eigenlob sagt, aber vor allem ist es doch so, dass die Probleme in der Bildung dadurch überhaupt nicht geringer werden. Man kann sie nicht so einfach wegloben, wie Sie das hier versuchen. An den Hochschulen jedenfalls ist von Ihrer viel beschworenen Bildungsrepublik wenig zu spüren. Sie sollten vielleicht einfach einmal dort hingehen. Die Seminare sind überfüllt, Laborplätze fehlen, sieben von acht Lehrenden arbeiten auf befristeten Stellen. Wenn man in Hochschulstädten eine Wohnung sucht, dann sollte man am besten reiche Eltern haben. Die Wohnheime, aber auch die Mensen und die Bibliotheken sind völlig überlastet. ({1}) 500 Meter weiter weg von hier, in der Mensa der Humboldt-Universität, wird das Essen neuerdings nur noch auf Plastiktellern serviert. Keramik und Spülmaschinen kann man sich da nicht mehr leisten. Das sind die Ergebnisse auch Ihrer Politik. Das hat schon auch was mit der Bundespolitik zu tun. Nehmen Sie das einfach einmal zur Kenntnis! ({2}) Wenn Sie mir schon nicht glauben - dafür habe ich Verständnis, weil ich Ihnen natürlich auch nichts glaube -, dann würde ich Ihnen raten: Sprechen Sie doch einfach einmal mit den Angestellten der Mensa! Lassen Sie sich über die aktuellen Arbeitsbedingungen, über die aktuelle Arbeitsbelastung aufklären! Oder reden Sie einfach einmal mit einem der vielen Bewerber oder einer der vielen Bewerberinnen, die jetzt wegen der verschärften Zulassungsbeschränkungen keinen Studienplatz bekommen haben, die jetzt vor den verschlossenen Toren der Hochschule stehen, obwohl sie sich ein Abitur erarbeitet haben. ({3}) Genau deswegen, wegen dieser ganzen Probleme, die die Regierung so geflissentlich ignoriert, sind letzte Woche wieder Tausende Schülerinnen und Schüler und Studierende auf die Straße gegangen, und sie haben recht, wenn sie lautstark für ihre Zukunftschancen eintreten. ({4}) Alle wissen, es gibt die doppelten Abiturjahrgänge, die Wehrpflicht wurde ausgesetzt, und immer mehr junge Menschen wollen studieren. Nicht nur wir als Linke haben Sie seit Jahren darauf hingewiesen, alle haben Sie darauf hingewiesen, und trotzdem haben Sie nicht gehandelt. Das Schlimmste daran ist, Sie haben gar nicht vor, das zu korrigieren, zum Beispiel mit diesem Haushalt. Bereits in diesem Jahr fehlen mindestens 66 000 Studienplätze. Die Zahlen sind von gestern, vom Statistischen Bundesamt. ({5}) Bis 2015 sollen nun 336 000 Studienplätze geschaffen werden. ({6}) - Ja. - Aber alle Experten sagen Ihnen - von der Hochschulrektorenkonferenz über die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft bis hin zum Centrum für Hochschulentwicklung; dann glauben Sie halt denen -, dass mindestens 500 000 Studienplätze benötigt werden. Ihr Haushalt hat mit einer bedarfs- oder mit einer nachfragegerechten Ausfinanzierung nichts zu tun. Das ist die Wahrheit über Ihren Haushalt. ({7}) In dieser Situation behauptet dann Frau Schavan in ihrer gestrigen Pressemitteilung - ich zitiere -: Die Bundesregierung hat vorgesorgt, um den neuen Studierenden einen guten Start ins Studium zu ermöglichen. Und dann noch: Der Hochschulpakt wirkt. ({8}) - Sind Sie schon einmal in einen Hörsaal gegangen, ({9}) in dem die Leute auf dem Boden sitzen oder sich anstellen müssen, um überhaupt hineinzukommen? ({10}) Fakt ist doch, dass der Hochschulpakt das Dauerdefizit im Hochschulsystem nicht im Ansatz kompensieren kann. Sie kalkulieren zum Beispiel die Kosten pro Studienplatz mit 6 500 Euro. Das Statistische Bundesamt weist allerdings die Kosten mit 7 130 Euro aus. Jeder Studienplatz ist in Ihrem Haushalt also bereits jetzt um mindestens 630 Euro unterfinanziert. Und Ihr groß angekündigter Qualitätspakt Lehre schafft die Misere am Ende auch nicht aus der Welt. 200 Millionen Euro für über 350 Hochschulen ({11}) man muss wirklich kein Finanzexperte sein, um zu erkennen, dass das nicht reicht. Aber statt umzudenken, wollen Sie auch im Jahre 2012 die Exzellenzinitiative fortsetzen. Das heißt: zusätzliche Gelder für gerade einmal ein Dutzend Hochschulen. Was passiert mit dem Rest? Wissenschaftler wandern an vermeintlich exzellente Unis ab. Weil das Exzellenzsiegel fehlt, wird zusätzlich zur Unterfinanzierung auch noch die Position gegenüber Drittmittelgebern und Kooperationspartnern geschwächt. Mit Ihrer Exzellenzinitiative schaffen Sie ein Zweiklassensystem in der Hochschullandschaft. Mit dem Grundsatz „Gute Bildung für alle“ hat das wirklich gar nichts zu tun. ({12}) Kommen Sie jetzt als Nächstes nicht mit dem Argument der leeren Kassen: Sie könnten ja im Rahmen des Haushaltsplans einfach einmal auf die Idee kommen, die Einnahmeseite zu verbessern. Führen Sie doch die Millionärsteuer ein, heben Sie den Spitzensteuersatz an, setzen Sie endlich die Finanztransaktionsteuer durch! ({13}) - Dann machen Sie das doch! Kündigen Sie es doch nicht nur an! Setzen Sie die Finanztransaktionsteuer doch einfach durch! ({14}) Die Linke fordert eine ausreichende öffentliche Finanzierung für alle Hochschulen - darum geht es -, nicht nur für zwölf ausgesuchte. ({15}) Wir brauchen die Ausfinanzierung der bestehenden Studienplätze und bis zum Jahre 2015 mindestens 500 000 zusätzliche Studienplätze. ({16}) - Das sind nicht meine Zahlen, das sind die offiziellen Zahlen. Die sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Solange Sie Ihre Ausgaben für Bildung nicht an die realen Bedarfe anpassen, sondern damit letztlich Ihre abgehobenen Elitevorstellungen verwirklichen, kann von einer Bildungsrepublik nicht die Rede sein. Die Bildungsstreikenden hatten auf ihren Plakaten den Slogan - das sollten Sie sich einmal anhören - „Reiche Eltern für alle!“ stehen. Es ist kein Wunder, dass die Leute auf solche Sprüche kommen. „Reiche Eltern für alle“ klingt wahrscheinlich in den Ohren vieler realistischer als die Vorstellung, mit Schwarz-Gelb die soziale Selektivität im Bildungssystem zu beseitigen. ({17}) Wenn Sie wirklich Interesse an einer Bildungsrepublik haben, dann machen Sie endlich Schluss mit einseitiger Förderung und sozialer Diskriminierung! Vielen Dank. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bundesministerin Annette Schavan. ({0})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Irgendwie scheint Sie das mit der Bildungsrepublik ziemlich aufzuregen. ({0}) Ich finde, es ist eine der vornehmsten Aufgaben unserer Gesellschaft, dieses Hauses und all derer, die politische Verantwortung tragen, jeden Tag ein bisschen mehr im Hinblick darauf zu lernen, dass es nicht mehr um uns geht, sondern um künftige Generationen, dass wir in - das wünschte ich mir - allen Haushalten Sorge dafür tragen, dass die Zukunftschancen der jungen Generation Priorität haben. ({1}) Es stimmt ja, was Frau Deligöz gesagt hat. Wir reden nicht nur über Zahlen - bei den Zahlen sorgen wir einfach dafür, dass die Kasse stimmt -, ({2}) wir reden auch nicht nur von Institutionen, sondern wir sprechen über Grundeinstellungen von jungen Leuten, über gesellschaftliches Klima, über das, was das kulturelle Klima in unserer Gesellschaft hergibt. Hierzu gibt es in dieser Woche zwei interessante Meldungen. Die eine, heute schon mehrfach zitiert, lautet: 515 000 junge Leute beginnen mit einem Studium. Da gibt es manchen überfüllten Hörsaal. Es mag auch sein, dass es Mensen mit Plastiktellern gibt, die gab es übrigens früher auch schon. Das ist keine richtige Katastrophe. ({3}) Das alles ist wahr, aber dennoch: Ich finde es super, dass so viele junge Menschen sagen: Ja, ich will gerade jetzt studieren. ({4}) Ich möchte an dieser Stelle den Hochschulen dafür danken, dass sie in den letzten Wochen und Monaten enorm viel getan haben, um vielen jungen Leuten die Türen ihrer Hochschulen zu öffnen. Herzlichen Dank an unsere Hochschulen und Universitäten. ({5}) Der Hochschulpakt - der übrigens über alle Parteigrenzen hinweggeht, weil alle Parteien in den Ländern mit dabei waren, sogar Ihre Partei, deshalb würde ich mich darüber gar nicht aufregen ({6}) ist genau das richtige Instrument. ({7}) Wir gehen nämlich nicht von einer Zahl x aus und sagen, dass diese unverrückbar ist. Das können Sie schon daran sehen, dass für die erste Phase des Hochschulpaktes zwischen Bund und Ländern, übrigens auf Grundlage der Prognose der Länder, geplant war, 90 000 Studienplätze zu finanzieren, wir in Wirklichkeit am Ende sogar 180 000 Studienplätze finanziert haben. Es ist das richtige Instrument, es ist ein atmendes System. Deshalb gilt: Wenn es sich so fortsetzt, wie wir es jetzt erleben - wir alle finden das aus vielen Gründen richtig und gut -, dann wird sich der Hochschulpakt auch in den nächsten Jahren bewähren. Es gibt im Moment in Europa nicht ein einziges Land, in dem die Möglichkeit besteht, zusätzlich in Bildung und Forschung zu investieren. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal Deutschlands; das gehört zu den Alleinstellungsmerkmalen dieser Regierung. ({8}) Als zweite Nachricht möchte ich den Deutschen Lernatlas, den die Bertelsmann-Stiftung vorgelegt hat, erwähnen. Ich finde, das ist eine der interessantesten Analysen über die Bildungsrepublik Deutschland seit langem, weil darin nicht einfach ein Vergleich der Länder angestellt wird und weil dort nicht einfach festgestellt wird, dass es im Süden besser ist als im Norden, sondern weil jeder Kreis in Deutschland eine Rolle spielt. Ich bin fest davon überzeugt: Vieles von dem, was darin enthalten ist, ist eine wunderbare Fundgrube bei der Konzeptionierung der Bildungspolitik. Denn natürlich gilt der Satz: Nicht Institutionen machen uns zu dem, was und wer wir sind. Bildungsprozesse sind anspruchsvoller; sie haben etwas mit Kultur zu tun. Ein herausragendes Beispiel im Lernatlas der Bertelsmann-Stiftung ist die Stadt Jena, die sich in den letzten Jahren zu einer regelrechten Bildungsstadt entwickelt hat, in der Chancen genutzt wurden. ({9}) - Jawohl, das ist derjenige Kollege, der 16 Jahre lang Oberbürgermeister dieser Stadt war. Insofern ist es mir eine besondere Freude, hier aus dem Lernatlas zu zitieren. ({10}) Wer sich die Beschreibung dieser Stadt ansieht und liest, welche Weichenstellungen in den letzten 20 Jahren getroffen wurden, der stellt fest: Natürlich sind wir in den letzten Jahren in der Bildungsrepublik Deutschland enorm vorangekommen. Natürlich hat sich viel getan. Natürlich ist Kommunalpolitik mehr denn je davon geprägt, etwas für die Bildungschancen zu tun. Deshalb lassen wir uns überhaupt nicht davon abbringen; die Bildungsrepublik Deutschland muss peu à peu entwickelt werden. Dies gilt umso mehr, als die demografische EntBundesministerin Dr. Annette Schavan wicklung in Deutschland - wir werden weniger, wir werden älter, wir werden bunter - das Bildungssystem in seiner ganzen Bandbreite in besonderer Weise herausfordern wird. ({11}) Ich möchte aber auch ein Wort zu den Forschungsorganisationen sagen. Herr Hagemann, zu dem, was Sie gesagt haben und was schon vielfach besprochen worden ist, treffe ich diese einfache Aussage: Sie müssen sich entscheiden, ob Sie Wissenschaftsfreiheitsinitiative und -gesetz wollen oder nicht. ({12}) Sie müssen sagen, ob Sie bereit sind, den Beschlüssen, die Sie selbst gefasst haben, zu folgen. Sie wissen, dass wir Beschlüsse zur Wissenschaftsfreiheitsinitiative gefasst haben, dass alles, was die Helmholtz-Gemeinschaft tut, mit Ihnen abgesprochen ist und dass es zum Herzstück der Initiative für eine größere Selbstständigkeit der Forschungsorganisationen gehört, dass sie bis zu 20 Prozent ihrer Finanzmittel überjährig einsetzen können. Wir wollten das, weil wir davon überzeugt waren, dass das Geld so zielsicherer in die Finanzierung von Forschungsaufgaben fließen wird. ({13}) Insofern sage ich Ihnen: Ich stehe zur Selbstständigkeit unserer Forschungsorganisationen und zur Wissenschaftsfreiheitsinitiative, die längst beschlossen ist; ({14}) ich stehe auch dazu, das in Gesetzesform zu gießen. Aber Sie stehen nicht dazu; Sie reden, wenn die Vertreter der Wissenschaft anwesend sind, anders, als Sie in der Öffentlichkeit reden. ({15}) - Nein, das ist kein Quatsch. Sie haben in den letzten Wochen deutlich gemacht, dass Sozialdemokraten eben nicht Autonomie wollen; Sozialdemokraten wollen in alles irgendwie hineinreden und hineinregieren. ({16}) Insofern sind Sie, was den Umgang mit modernen Forschungsorganisationen angeht, völlig ungeeignet. ({17}) Angesichts dessen, was hier gesagt worden ist, sage ich ausdrücklich: Für alle Forschungsorganisationen gilt, dass sie international ein großes Ansehen haben und dass wir um ihre Arbeit beneidet werden. Das gilt für die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die LeibnizGemeinschaft. Das gilt auch für die Helmholtz-Gemeinschaft, mit der wir gerade ganz entscheidende Schritte auf dem Wege der strukturellen Weiterentwicklung unseres Wissenschaftssystems gehen. Denken Sie an das KIT; keiner von Ihnen ist doch im Ernst dagegen. Denken Sie an JARA in Aachen, und denken Sie an das, was wir jetzt in Berlin angekündigt haben. Deshalb sage ich: Entscheiden Sie sich, ob Sie mit uns diese Politik für Autonomie wollen. ({18}) Das, was im Gesetz stehen würde, muss jetzt schon praktiziert werden. Sie aber reden unentwegt dagegen. Das ist das Problem. ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hagemann?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Nein. ({0}) Herr Hagemann, diese Diskussion haben wir zigfach geführt. Sie müssen sich entscheiden. Genau das ist das Thema und sonst gar nichts. ({1}) Herr Leutert, was Sie mit Ihrer Rede betrieben haben, habe ich in diesem Haus noch nicht erlebt. ({2}) Ich sage ausdrücklich: Es ist absurd, im Deutschen Bundestag Bildung gegen Forschung ausspielen zu wollen ({3}) und hier zu erklären, dass zu viel Geld in die Forschung gehe ({4}) und dass wir dieses Geld besser nicht mehr in die Forschung investieren sollten. Bildung und Forschung sind zwei Seiten einer Medaille. Deshalb müssen wir uns um das eine genauso kümmern wie um das andere. Wir müssen daher unseren Beitrag im Bereich der beruflichen Bildung und der Weiterbildung leisten und gleichzeitig dafür sorgen, dass Deutschland einer der attraktivsten Forschungsstandorte der Welt ist. Das muss unser ehrgeiziges Ziel sein. ({5}) Meine Damen und Herren, bei den Meilensteinen, die auch in diesem Haushalt deutlich werden, geht es nicht nur um eine halbe Million Studienanfänger mehr in diesem Wintersemester. In diesem Zusammenhang nenne ich auch noch folgende Punkte: In den Jahren 2008 bis 2010 sind die Ausgaben für BAföG um 25 Prozent gestiegen, und in diesem Jahr gibt es 40 000 Ausbildungsplätze mehr als im Jahr 2010. Weiterhin war ein deutlicher Rückgang der Zahl der Schulabbrecher zu verzeichnen. Es gab ein Anerkennungsgesetz, für dessen Umsetzung wir übrigens 100 Millionen Euro einsetzen. Damit stellen wir Beratung und die Einrichtung entsprechender Kompetenzzentren sicher. Deutschland liegt, was den Innovationsindikator angeht, auf Platz 4. Die Zukunftschancen der jungen Generation sind so positiv wie selten zuvor. Deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sie in den sieben Jahren der rot-grünen Bundesregierung ({6}) solche Entwicklungen zu verzeichnen gehabt hätten, hätten Sie alle Glocken in diesem Land läuten lassen. ({7}) Über 99 Prozent der Mittel werden ausgegeben. Auch das hat es früher nie gegeben. Das Haus und alle Projektträger haben in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um immer besser zu werden und dieses großartige Ziel zu erreichen. Herr Kaczmarek, Sie haben recht: Der Grundbildungspakt muss kommen. Aber fragen Sie doch einmal in den von Ihnen regierten Ländern nach, wann diese bereit sind, endlich die Unterschrift unter den fertigen Pakt zu setzen. ({8}) Auch hier gilt: Der Grundbildungspakt ist vorbereitet. Er liegt den Ländern vor, sie müssen nur unterschreiben. Dann werden wir ihn gemeinsam in Kraft setzen können. Dann werden wir an dieser wichtigen Stelle das tun, was wir bei der Präsentation der Studie vereinbart haben. Lassen Sie mich abschließend den Berichterstattern, auch denen, mit denen wir streiten, herzlich danken. Ich danke den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und auch den vielen, die dazu beitragen, dass die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen Bildung und Forschung in solcher Weise vorrangig behandeln können. Ich bin davon überzeugt, dass wir daran gemessen werden, ob wir die Zukunftschancen der jungen Generation ganz oben ansiedeln. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Es gibt zwei Kurzinterventionen. Zunächst hat der Kollege Hagemann das Wort. Danach folgt der Kollege Leutert.

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, Sie haben eben die Wissenschaftsfreiheitsinitiative bzw. das nicht von Ihnen vorgelegte Wissenschaftsfreiheitsgesetz angesprochen, und Sie forderten uns auf, uns zu entscheiden. Wir brauchen uns nicht zu entscheiden, weil wir uns schon vor Jahren in der Großen Koalition entschieden haben. Unter Bundesfinanzminister Peer Steinbrück haben wir beschlossen, die Wissenschaftsfreiheitsinitiative, mit der zurzeit erfolgreich gearbeitet wird, auszuprobieren. 20 Prozent der Mittel können die Wissenschaftsorganisationen auf unsere Initiative hin selbst verwalten. Aber diese Wissenschaftsfreiheitsinitiative war zeitlich begrenzt. Ich rufe den Kollegen Rehberg als Zeugen auf: Wir haben diese Initiative, die unter Herrn Steinbrück bzw. in der Großen Koalition gestartet worden ist, schon zweimal verlängert - Herr Rehberg, Sie müssen mir da zustimmen; denn das war ein gemeinsamer Antrag -, ({0}) weil Sie noch keinen Gesetzesentwurf vorgelegt haben. Das ist das Problem; denn diese Initiative muss jetzt endlich in eine endgültige Form gebracht werden und darf nicht nur im Versuchsstadium stecken bleiben. Frau Ministerin, ich lasse mir von Ihnen nichts anhängen. Sie tun so, als ob falsche Entscheidungen getroffen wurden. Ganz im Gegenteil: Ich bin immer derjenige gewesen, der dafür gekämpft hat, dass eine entsprechende Selbstbewirtschaftung erfolgen kann. ({1}) Aber man muss doch auch das Recht haben - darum müssten Sie sich einmal kümmern -, die Kritik des Rechnungshofes genauer zu beleuchten. Ich wiederhole das, was ich vorhin gesagt habe: Ich schließe mich nicht jeder Forderung bzw. jeder Kritik des Rechnungshofes an, aber sie muss überprüft werden; denn es wird kritisiert, dass die Mittel nicht zweckgemäß ausgegeben werden. Das muss man kontrollieren. Wenn es nicht der Fall sein sollte, dass die Mittel richtig verwendet werden, dann muss man das eben rückgängig machen. Aber der Opposition bzw. mir hier Vorwürfe zu machen, das ist nicht in Ordnung; denn sie entsprechen nicht der Wahrheit, Frau Ministerin. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Leutert, bitte.

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie haben mir leider nicht richtig zugehört. ({0}) Ich habe vorhin ausdrücklich gesagt: Auch für die Linke ist Forschungspolitik ein wichtiges Feld, das gut durchfinanziert sein muss. Ich habe aber auch gesagt: Es kann nicht sein, dass auf der einen Seite Geld im Schulsystem fehlt und auf der anderen Seite das Geld, das Sie in den Forschungsbereich hineinpumpen, nicht abfließt. Das ist mein erster Punkt. ({1}) Mein zweiter Punkt. Man muss darauf achten, für was in diesem Land Forschungsgelder ausgegeben werden. Ich frage Sie: Ist es beispielsweise sinnvoll, dass Daimler von uns Fördermittel für Energiesparmodelle bekommt? Braucht dieser Konzern diese Fördermittel? Oder könnten wir diese Gelder nicht besser in anderen Bereichen verwenden? Diese Frage könnten Sie ebenfalls beantworten. Mein dritter Punkt. Wir haben immer gesagt: Forschung darf nicht auf Kosten des Schulsystems betrieben werden. Wir haben früher immer von der Einheit von Lehre und Forschung gesprochen. Diesen Grundsatz haben Sie aufgegeben. Das ist ihr Verdienst in der Bildungsrepublik Deutschland. Dazu kann ich nur herzlich gratulieren. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Wenn den Kitas und den Schulen das Geld gestrichen wird, dann wird uns im Bildungssystem die Basis wegbrechen. Wenn das Bildungssystem keine klugen Köpfe mehr produziert, dann brauchen wir in Zukunft auch keine Forschungspolitik mehr. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, bitte.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Vielen Dank. - Herr Hagemann, dass wir uns gemeinsam auf Initiative des BMBF in der Großen Koalition zu einer Wissenschaftsfreiheitsinitiative entschieden haben, ist unbestritten. Wenn festgelegt ist, dass die Organisationen bis zu 20 Prozent der Zuwendung als Selbstbewirtschaftungsmittel zugewiesen bekommen - wir haben damals diskutiert, wie wichtig die überjährige Verwendung ist, weil programmorientierte Forschung über viele Jahre geht -, dann kann man, wenn beispielsweise 312 Millionen Euro für mehrjährige Forschungsprogramme reserviert sind, nicht behaupten: Die Forschungseinrichtungen schaffen es nicht, das Geld auszugegeben. - Genau diese Diskussion haben Sie geführt. ({0}) Ich bleibe dabei: Sie müssen sich entscheiden. Wenn wir das auch in Zukunft wollen und wenn Sie dazu stehen, dann muss damit aufgehört werden, so zu tun, als seien die Mittel, die bis zu einer Höhe von 20 Prozent überjährig eingesetzt werden können, ein Hinweis darauf, dass dieses Geld nicht ausgegeben wird bzw. dass die Helmholtz-Gemeinschaft zu viel Geld hat. Genau diese Debatte haben Sie geführt. ({1}) Deshalb sage ich das so klar: Ich stehe zu dieser Initiative. Für mich sind die 300 Millionen Euro kein Zeichen dafür, dass zu viel Geld vorhanden ist, sondern Ausdruck eines sehr verantwortungsbewussten Planens der nächsten Phase programmorientierter Forschung. Es ist nämlich genau festgelegt, wofür dieses Geld eingesetzt wird. Meine herzliche Bitte ist: Wer zu dieser Autonomie steht, muss auch dann dazu stehen, wenn kritische Fragen gestellt werden. Es ist wahr, dass wir mit dem Bundesrechnungshof über die Wissenschaftsfreiheitsinitiative streiten müssen. Ich sage Ihnen - das sage ich als Mitglied dieser Bundesregierung auch dem Bundesrechnungshof -: Ich halte diese Initiative für eine Notwendigkeit in einem modernen Wissenschafts- und Forschungssystem und stehe daher dazu. Es gibt überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür, zu sagen: Die Forschungseinrichtungen können mit Geld nicht umgehen. Übrigens wird jede programmorientierte Forschung von Beginn an ständig überprüft. Außerdem werden die Programme in ihrer Gesamtheit über viele Jahre hinweg evaluiert. Das ist meine Position. Ich habe nicht gesagt, dass Sie sich pro oder kontra Wissenschaftsfreiheitsinitiative entscheiden müssen. Ich habe aber gefragt, ob Sie tatsächlich bereit sind, die Freiheit, die mit der Wissenschaftsfreiheitsinitiative verbunden ist, mit uns gemeinsam zu verteidigen. ({2}) Herr Leutert, das, was Sie gesagt haben, war eigentlich eine Wiederholung. Deshalb sage ich noch einmal: Niemand pumpt Geld in ein Forschungssystem, das dieses Geld eigentlich nicht braucht. Wir sind seit 2005 - das haben wir durch unsere Arbeit zunächst in der Großen Koalition und dann in der schwarz-gelben Koalition erreicht - verlässliche Partner im Wissenschaftsund Forschungssystem. Genau diese Verlässlichkeit über einen langen Zeitraum hat dafür gesorgt, dass es diese Fortschritte in Deutschland gegeben hat. Deshalb sage ich auch Ihnen: Nein, wir werden nicht bei der Forschung sparen, um Aufgaben zu übernehmen, für die eindeutig andere zuständig sind. Jede politische Ebene hat ihre Aufgaben und soll sie wahrnehmen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Haushaltsrecht ist auch deshalb das Königsrecht des Parlaments, weil der Haushalt über die Prioritäten der Politik und über die Glaubwürdigkeit von Entscheidungen Auskunft gibt. Deshalb habe ich in diesem Forschungs17138 haushalt den Atomausstieg gesucht. Ich habe ihn nicht gefunden. ({0}) Ich will Ihnen die relevanten Zahlen zum Bereich der Energieforschung in diesem Haushalt zur Kenntnis geben: Es gibt 77,2 Millionen Euro für den Bereich der erneuerbaren Energien insgesamt. Dagegen stehen 138,7 Millionen Euro für den Bereich der Kernfusion und 14 Millionen Euro für den ITER. Hinzu kommen 80 Millionen Euro pro Jahr, die über Euratom hauptsächlich in die atomare Forschung fließen. 1,4 Milliarden Euro für den ITER sind, wie wir wissen, immer noch nicht finanziert. Im Moment gibt es die Überlegung, die Mittel für Euratom um 2,2 Milliarden Euro aufzustocken, wovon Deutschland 20 Prozent zu tragen hätte. Dazu muss ich sagen: Wer nicht verstanden hat, dass ein Atomausstieg mehr erfordert, als einen Abschaltplan für Atomkraftwerke vorzulegen, der hat nicht verstanden, was ein Atomausstieg grundsätzlich bedeutet. ({1}) Einen Wiedereinstieg in atomare Großtechnologie vorzubereiten, indem man einen Großteil der Forschungsgelder in die Bereiche Kernfusion oder Transmutation steckt, das hat mit Atomausstieg nichts zu tun. Ich rede jetzt nur über den Forschungshaushalt. Ich rede nicht über andere Einzelpläne. Natürlich wurden Gelder für die nukleare Sicherheitsforschung eingestellt. Das unterstützen wir; das halten wir natürlich für richtig. Es wurden im Wirtschaftshaushalt auch Gelder für Effizienz und Speichertechnologie eingestellt. Es gibt auch Gelder für den Bereich der erneuerbaren Energien im Umwelthaushalt. Ich möchte hier aber über den Forschungshaushalt reden; denn das ist der Zukunftshaushalt. Der Forschungshaushalt entscheidet darüber, wohin die Reise geht. Wir haben den Atomausstieg in diesem Parlament mit breiter Mehrheit beschlossen, was bedeutet, dass eine wichtige Veränderung in den politischen Zielen von Regierung und Parlament gemeinsam beschlossen wurde. Das müsste sich durch eine andere Prioritätensetzung im Haushalt niederschlagen. ({2}) - Nein, das zeigt sich nicht. Das vermissen wir. Wenn wir zum Beispiel fordern, die Mittel für den Bereich der Kernfusion zu reduzieren bzw. zu streichen - wir fordern nicht mehr Geld, sondern machen ein Angebot und sagen, wo man sinnvollerweise einsparen könnte -, dann wird oft gesagt, man müsse über den Tellerrand schauen, man müsse schauen, was andere Länder machen. Ich bin letzte Nacht aus Japan zurückgekommen. ({3}) - Nein, mit dem Flugzeug. - Dort sind inzwischen 68 Prozent der Bevölkerung für den Ausstieg aus der Atomkraft. Sie brauchen dafür aber Alternativen. ({4}) In Japan ist noch weniger als in Deutschland die Kohle eine mögliche Alternative, weil diesem Land vor nichts mehr graut, als von Importen womöglich aus China abhängig zu sein. Wenn wir also einem Land wie Japan und vielen anderen Ländern, die sich eine Energiestruktur erst noch aufbauen müssen, helfen wollen, eine für ihre eigene Zukunft nachhaltig wirkende Energieversorgung aufzubauen, dann tun wir das nicht, indem wir Kernfusion erforschen, die frühestens 2050, wenn all diese Energiesysteme installiert sein werden, zum Tragen kommt, sondern indem wir zeigen und auch erforschen, wie eine Energiewende vonstatten gehen kann. ({5}) Hier brauchen wir mehr Geld, als wir heute im Haushalt veranschlagt haben, für Speichertechnologie, für Netzausbau und auch für die erneuerbaren Energien. Ich nenne zum Beispiel die Meereswellentechnologie, die für Japan mit seinen langen Küsten ein Segen wäre. Das sind Zukunftsaufgaben. Dies vermisse ich im Forschungshaushalt. Ich erkenne stattdessen eine Konzentration auf Kernfusion, auf Transmutation. Die Gelder für Transmutation findet man übrigens nicht im Forschungshaushalt, sondern sie sind versteckt in den Geldern, die an die Helmholtz-Gemeinschaft gehen. Hier fordern wir mehr Transparenz. Bei aller Autonomie kann es nicht sein, dass öffentlich Gefördertes nicht öffentlich sichtbar wird und dass wir nicht wissen, was mit diesen Geldern letztendlich gemacht wird. Eine Ausrichtung auf atomare Forschung, wie sie die Helmholtz-Gemeinschaft vornimmt, passt nicht zu der hier mit breiter Mehrheit beschlossenen Politik. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Martin Neumann für die FDP-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aufwüchse des Haushaltsplans 2012 gegenüber den Vorjahren wurden in der heutigen Debatte bereits umfassend dargestellt. Es wurde eine eindrucksvolle Zwischenbilanz vorgelegt, die belegt, welche weiteren Projekte die Koalition in dieser Legislaturperiode angeht, und die zeigt, dass wir den Erfolgskurs der Regierung auf dem Gebiet Bildung und Forschung weiterführen. Dr. Martin Neumann ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushaltsplan stellt immer ein Gesamtkonzept dar. An dieser Stelle möchte ich einen Gedanken herausstellen, der mir in der bisherigen Debatte aufgefallen ist. Aufgefallen ist mir - ob im Ausschuss oder heute im Plenum -, dass der Opposition wirklich nicht mehr viel Neues einfällt. Sie gehen immer nach dem gleichen platten Schema vor. ({1}) Dieses Schema will ich einmal deutlich darstellen: Erstens. Es werden Ihrer Ansicht nach überall dort mehr Gelder benötigt, wo es Ihre Länder einsparen können. Zweitens. Dort, wo mehr Gelder investiert werden, reden Sie dann von verfehlten Projekten. Drittens. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, greifen sich einzelne Technologiefelder heraus - Frau KottingUhl hat es eben gemacht -, zum Beispiel Kernfusion oder Bioökonomie, wo es Ihrer Meinung nach nicht angebracht ist, zu investieren. Anschließend vermitteln Sie den Eindruck, als gönne sich diese Koalition den Luxus, in Projekte und Bereiche zu investieren, die im Grunde keine Relevanz besitzen. Diese Botschaft, die in die Öffentlichkeit gelangt - Herr Hagemann, Sie haben es ja heute auch gesagt -, richtet sich meiner Ansicht nach gegen unser gemeinsames Anliegen, mehr Geld in Wissenschaft und Forschung zu investieren. Was wundern wir uns dann, wenn in der Öffentlichkeit die Frage behandelt wird, ob zu viel Geld in die Wissenschaft investiert wird, ob die Wissenschaft mit Geld tatsächlich nicht umgehen kann? Das sind Fragen, die man sich in einer von Innovation getragenen und von Innovation profitierenden Gesellschaft nicht stellen darf. Das ist eine ganz wichtige Feststellung. ({2}) Doch mittlerweile werden wir bedrängt, zu erklären, was die Forschungseinrichtungen eigentlich mit dem Geld anfangen. ({3}) Zu Beginn der Haushaltsberatungen - ich erinnere mich ganz genau daran; Herr Hagemann, Sie haben es damals auch kritisiert - und - wir hätten darauf warten können - wieder am Ende der Haushaltsdebatte wurde das Thema Helmholtz behandelt. Frau Ministerin Schavan hat es angesprochen: Die Helmholtz-Gemeinschaft und alle anderen außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben die Ermächtigung - wir haben diese gegeben -, 20 Prozent der Zuwendungsmittel im Rahmen der Selbstbewirtschaftung ins folgende Jahr zu übertragen. Obwohl die Helmholtz-Gemeinschaft die Mittel vom Haushaltsgeber zugewiesen bekommt, hat sich am Mythos der Rücklagen und Kriegskassen nichts geändert. Wenn wir uns auf diese Vorwürfe einlassen - das ist eine ganz gefährliche Diskussion; nicht das, über das wir hier reden, Herr Hagemann, sondern das, was in der Öffentlichkeit ankommt -, ({4}) müssten wir von unserem Projekt Wissenschaftsfreiheitsgesetz Abschied nehmen. Deshalb - das möchte ich an dieser Stelle deutlich betonen - müssen wir diesem Denken entgegentreten. Forschung und Entwicklung finden unter ganz besonderen Bedingungen statt - darüber haben wir schon an verschiedenen Stellen, auch im Ausschuss, diskutiert -, Bedingungen, die einen neuen Rahmen benötigen. Die Koalition wird deshalb im Jahr 2012 dem positiven quantitativen Aufwuchs der Haushaltsmittel bessere qualitative Bedingungen hinzufügen. Das von uns gestaltete Wissenschaftsfreiheitsgesetz wird den Forschungseinrichtungen - das ist ganz wichtig - weitere Flexibilisierung einräumen. ({5}) Es wird den Wissenschaftseinrichtungen auch - das ist ganz wichtig; die Wissenschaft braucht dies - mehr Verantwortung übertragen, sodass sie dann mit eigenem Controlling und natürlich mit Augenmaß die Mittel bedarfsgerecht einsetzen werden. Die Koalition hat einen klaren Haushalt 2012 aufgestellt. Weitere Akzente für die Forschungseinrichtungen und das Wissenschaftssystem werden wir noch setzen. Vielleicht erleben wir dann eine konstruktive Opposition. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun René Röspel für die SPD-Fraktion. ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute finde ich es ausnahmsweise nicht schade, erkältet zu sein, weil ich dadurch diese Mischung aus Pulverdampf und Weihrauch, die in dieser Debatte entstanden ist, nicht riechen kann. ({0}) Ich muss zugeben, wir gönnen Ihnen ein bisschen Selbstbeweihräucherung, weil wir es gut finden - es ist ja ein gemeinsames Ziel -, dass Sie mehr Mittel in Bildung und Forschung gesteckt haben. ({1}) Aber wenn wir als Opposition die Souveränität besitzen, Sie dafür zu loben, dann sollten Sie die Größe haben, die ganze Geschichte der Bildungs- und Forschungspolitik der letzten Jahre zu erzählen, ({2}) sonst entsteht bei den Menschen, die uns zuhören, vielleicht ein falscher Eindruck. Als Rot-Grün 1998 die Regierung übernommen hat, war der Etat von Bildung und Forschung zu vergleichen mit einem abgehalfterten alten Gaul, der in der dunkelsten Ecke des Kabinetts stand und dessen Rippen man zählen konnte. Es war eine sozialdemokratische Bildungsministerin, die dieses Pferd gefüttert und gepflegt hat, die mehr in Bildung und Forschung investiert hat. Mittlerweile dürfen Sie auf einem Rennpferd reiten und sich auf den Weg zu neuen Erfolgen machen. Das ist nicht nur Ihr Verdienst, sondern auch ein Verdienst der Großen Koalition und vor allen Dingen ein Verdienst der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005. ({3}) Wir haben diese Grundlagen geschaffen. Ein Raketenstart ist in der ersten Phase immer am schwierigsten, da braucht man die meiste Kraft und den meisten Aufwand, und am Ende kann man den Erfolg feiern. ({4}) - Ja, das ist Ballistik; darüber reden wir vielleicht ein anderes Mal. ({5}) - Danke für das Kompliment. Wir haben in diesen Tagen „Empfehlungen zur Bewertung und Steuerung von Forschungsleistungen“ des Wissenschaftsrates auf den Tisch bekommen. Am Anfang dachte ich, es sei Zufall, dass wir diese Empfehlungen zu dieser Zeit bekommen haben. Aber dieses Papier enthält eine ganze Menge guter Ratschläge, wie man Forschungsleistungen steuern kann. Einen Aspekt fand ich besonders interessant: eine Warnung vor „Tonnenideologie“ - das ist ein wörtliches Zitat -, also eine Warnung vor dem Glauben, dass man über einen Zuwachs an Quantität quasi einen Zuwachs an Leistung oder sogar Qualität erzielt. Das ist ein großer Irrtum; da muss man vorsichtig sein. Bei einigen Reden der Koalitionäre vorhin ist mir klar geworden, warum wir diese Empfehlung des Wissenschaftsrates zu dieser Zeit bekommen haben. Ich weiß nicht, welchen Eindruck die Zuschauerinnen und Zuschauer mit nach Hause nehmen, wenn sie hören, dass wir hier 300 Millionen Euro und da 5 Millionen Euro investieren. Das alles sind große Zahlen, sie bedeuten gute Zuwächse. Aber die Frage ist: Was wird bleiben, und in welche Richtung geht es? Ich muss Ihrem ehemaligen Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl wirklich recht geben: Diese Regierung hat keinen Kompass und keinen Plan. Wenn Sie ihn hätten, hätten Sie gesagt, wohin die Reise gehen soll und wie es weitergehen soll. Aber diese Regierung hat, wie gesagt, keinen Kompass. Ich hoffe, dass Sie vielleicht unter dem Weihnachtsbaum einen finden werden. ({6}) Aber auch das ist nichts Neues. In vielen Bereichen drehen Sie Pirouetten, wie es Ihnen gerade gefällt. Jahrelang waren Sie gegen einen Mindestlohn; jetzt versuchen Sie, etwas in dieser Richtung auf den Weg zu bringen. Ähnliches gilt für den Bildungs- und Forschungsbereich. Jahrelang leisteten Sie erbitterte Widerstände gegen Ganztagsschulen, Herr Rehberg. Als die rot-grüne Regierung 2003 den Betrag von 4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat, um in den Kommunen Ganztagsschulen auszubauen, weil sie dringend gebraucht wurden, haben wir das gegen die erbitterten Widerstände Ihrer beiden Fraktionen machen müssen; in den Protokollen des Bundestages können Sie nachlesen, dass damals von „Verwahranstalt“ und „Einheitsschule“ die Rede war. Wenn die Mittel schlecht abgeflossen sind - wir haben das ja genau beobachtet -, dann lag das nicht an Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz, sondern an Hessen und Ministerpräsident Koch, der erbitterten Widerstand gegen die Ganztagsschule geleistet hat. Das war ein Fehler. ({7}) Heute freuen wir uns, dass Sie die nächste Pirouette drehen. Sie haben nämlich in Ihrem bildungspolitischen Antrag das Ziel formuliert, Ganztagsschulen zu fördern. ({8}) Wir warten auf eine entsprechende Initiative zur Änderung des Grundgesetzes. Dann kann auch der Bund wieder einen Beitrag leisten, wie es unter Rot-Grün der Fall war. Der nächste Punkt: das BAföG. Ja, wir sind Freunde des BAföG. Ich habe allerdings noch Presseausschnitte aus dem Jahr 2005 zu Hause, Frau Schavan, ({9}) die belegen, dass Sie damals sagten: Der Union ist nicht am BAföG gelegen. Aber wir werden es aufrechterhalten, weil sich die SPD dafür einsetzt, dass es erhalten bleibt. - Sie können uns also nicht vorwerfen, dass die Zuwächse zur Zeit der Großen Koalition nur klein waren. Ich habe diese Zeitungsausschnitte, wie gesagt, zu Hause, Frau Schavan. Das fand ich nämlich sehr spannend. ({10}) Diese Pirouetten - die Hauptschule wollt ihr ja auch abschaffen; aber das ist okay - drehen Sie leider nicht aus innerer Überzeugung, sondern weil Sie, wie ich glaube, einen bitteren Überlebenskampf führen ({11}) und auf das, was Tag für Tag passiert, reagieren müssen. Nun zum Forschungsbereich. Jahrelang haben Sie sich für die Atomenergie eingesetzt und es den erneuerbaren Energien an allen Ecken und Enden schwer gemacht. Es mussten erst Fukushima und die Proteste in der Bevölkerung kommen, bis Sie sich gezwungen fühlten, eine Energiewende einzuleiten. ({12}) Das war richtig. Wir freuen uns - Frau Kollegin KottingUhl hat das ausgeführt -, dass es im Haushaltsansatz für diesen Bereich mehr Mittel zu geben scheint. Wenn man genau hinsieht, stellt man aber fest: Es gibt da eine kleine Fußnote. Es heißt nämlich immer: unter Berücksichtigung der Umsetzung dieser Mittel in den Energieund Klimafonds. Das ist eine interessante Verschiebung. Was ist der Energie- und Klimafonds? Er ist der beste Inbegriff für heiße Luft. ({13}) In den Energie- und Klimafonds wandern nämlich die Erträge aus dem Emissionshandel, aus dem Handel mit Kohlendioxidzertifikaten. Wir wissen überhaupt noch nicht, wie hoch die Erträge, die hier anfallen, sein werden. Sie aber wollen mit diesem Etat, der unsicher und konjunkturabhängig ist - außerdem wissen wir nicht, wie sich der Wert der Zertifikate entwickelt -, erneuerbare Energien, Elektromobilität und vieles andere mehr finanzieren. Dieser Etat ist also überzeichnet. Das ist keine seriöse Haushaltspolitik. ({14}) Wir wissen, dass wir als Opposition nicht die großen, langen Linien Ihres Haushaltsentwurfes verändern können. Aber an der einen oder anderen Stelle kann Forschungspolitik, wie ich finde, auch Impulse setzen. Ich will fünf Beispiele anführen, die wir als SPD-Fraktion benannt haben, weil sie unserer Meinung nach richtige Impulse für die Forschungspolitik setzen. Das erste Beispiel - als wäre es bestellt gewesen -: Einige von uns haben gestern mit Wissenschaftlern und Abgeordneten aus Peru zusammengesessen, weil diese Interesse daran haben, zu lernen, wie Wissenschaft in Deutschland funktioniert. Einer der Professoren hat deutlich gemacht, über welch reichhaltige Naturschätze Peru verfügt, und darauf hingewiesen, wie wichtig Biodiversität ist. Es wird nur möglich sein, diese Naturschätze kennenzulernen und einzuordnen, wenn es Menschen gibt, die Arten bestimmen können. Dieses Fach, die Taxonomie, mag für Sie eine Nische sein. Aber: Vor zehn Jahren haben wir auch noch geglaubt, dass Elektrochemie eine Nische ist, und dieses Fachgebiet vernachlässigt. Heute zeitigt diese Entscheidung dramatische Folgen. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass nur 5 Millionen Euro mehr für die Artenkundeforschung eingestellt werden. Das haben Sie leider abgelehnt. ({15}) Das zweite Beispiel. Wir meinen, dass es an der Zeit ist, Verbraucherforschung zu betreiben und die entsprechenden Informationen aufzuarbeiten. Dafür haben wir nur 5 Millionen Euro verlangt. Die Koalition hat dies abgelehnt. Das dritte Beispiel. Wir wissen seit dem letzten Tierschutzbericht, dass die Zahl der Tierversuche in Deutschland zunimmt. Wir wollten, dass nur 4 Millionen Euro für die Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen bereitgestellt werden. Sie haben das abgelehnt. Viertes Beispiel. Den Bereich Arbeits-, Dienstleistungs- und Produktivitätsforschung - ein für Deutschland sehr wichtiger Bereich - streichen Sie gerade zusammen. In einem Brandbrief hat die DGBVizevorsitzende, Ihre Unionskollegin Frau Sehrbrock, gefordert, das nicht zu tun und in diesen Bereich, in eine der großen Chancen Deutschlands, mehr zu investieren. ({16}) Mein letztes Beispiel ist die Friedens- und Konfliktforschung. Wer begreift, wie wichtig es in dieser Welt ist, Konflikte von vornherein zu erkennen, zu beseitigen und eine entsprechende Forschung zu betreiben, der muss in diese Forschung investieren. Wir haben beantragt, nur 5 Millionen Euro bereitzustellen, um das Stiftungskapital zu erhöhen. Sie haben das wieder abgelehnt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - 13 000 Millionen Euro beträgt dieser Haushalt, aber 5 Millionen Euro für Friedens- und Konfliktforschung sind Ihnen zu viel. Das kann keine finanziellen, sondern nur politische Gründe haben. Deutschland braucht keine Tonnenideologie, sondern eine Forschung, die für die Menschen in diesem Land da ist. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich Kollegin Anette Hübinger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Anette Hübinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen und am Fernsehen! ({0}) - Abgeschaltet? Schade. Eine Übertragung wäre notwendig gewesen. - Frau Kotting-Uhl, Sie haben wie Herr Röspel die fehlende Energieforschung angesprochen. Ich nenne nur die Haushaltszahl von 657 Millionen Euro für die Energieforschung im Haushalt 2012. Als Rot-Grün den Atomausstieg beschlossen hat, lag diese Zahl bei 407 Millionen Euro. ({1}) Es sind jetzt 250 Millionen Euro mehr. Das bedeutet eine Steigerung. ({2}) Wir werden auch diese Mittel sorgfältig für erneuerbare Energien und andere Energiequellen verwenden. Lassen Sie mich als letzte Rednerin all die Dinge zusammenfassen, um die es hier geht. Wir haben einen Rekordhaushalt - das ist heute schon öfter festgestellt worden - von 13 Milliarden Euro für Bildung und Forschung in 2012. Das ist der Beweis dafür, dass wir trotz oder vielleicht sogar wegen der Schuldenbremse Bildung und Forschung eine große Priorität einräumen, weil wir der Auffassung sind, dass darin die Zukunft unseres Landes liegt. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kotting-Uhl?

Anette Hübinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im Moment nicht, danke. - Schaut man über den nationalen Tellerrand hinaus, bekommt diese Steigerung eine zusätzliche Wertigkeit. Kein europäischer Partner, kein Industrieland, nicht einmal die USA - das wurde schon angesprochen - haben solche Aufwüchse zu verzeichnen. Ganz im Gegenteil: Hier ist der Abschwung zu spüren. Nun zu Kompass und Plan. Unser Ziel ist es, die Wachstumskräfte in Deutschland bei gleichzeitiger Konsolidierung unseres Haushaltes zu stärken. Wir nehmen Geld für Dinge in die Hand, aus denen unsere Kinder und Enkelkinder zukünftig Nutzen ziehen können, für Bereiche, wo wir die Zukunft Deutschlands maßgeblich gestalten können; denn um international weiter in der ersten Liga spielen zu können, sind wir auf ein leistungsfähiges Bildungs- und Wissenschaftssystem angewiesen. Der 11prozentige Aufwuchs im Einzelplan 30 ist somit nicht um seiner selbst willen realisiert worden. Jeder zusätzliche Euro wurde mit zukunftsträchtigen Maßnahmen und Instrumenten hinterlegt. ({0}) Da wir uns als Parlamentarier der christlich-liberalen Koalition schon frühzeitig bei der Formulierung der Schwerpunkte eingebracht haben, trägt dieser Haushalt auch unsere Handschrift. Jeder Bürger kommt im Laufe seines Lebens mit dem deutschen Bildungs- und Ausbildungssystem oder auch Wissenschafts- und Forschungssystem in Berührung oder ist Teil davon. Wir haben bei unseren Prioritäten darauf geachtet, dass der Haushalt diesem Aspekt Rechnung trägt. Deshalb reichen unsere Schwerpunkte von der Berufsorientierung während der Schulzeit über die Berufsausbildung im dualen System oder während eines Hochschulstudiums bis hin zur beruflichen Weiterbildung in späteren Lebensphasen. ({1}) - Ich rede jetzt über den Einzelplan 30, mein lieber Herr Kollege. Das sollten wir jetzt in den Mittelpunkt stellen. ({2}) Daran anknüpfend werden die Maßnahmen zur Stärkung der beruflichen Bildung um 22,5 Prozent auf 170 Millionen Euro aufgestockt. Die Instandhaltung und Modernisierung der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten wurde mit 40 Millionen Euro im Haushalt fest verankert. Aufgrund doppelter Abiturjahrgänge und der Aussetzung der Wehrpflicht streben viele Studienanfänger an die deutschen Hochschulen; auch das wurde schon angesprochen. Damit es keinen Mangel an Studienplätzen gibt, haben wir den Hochschulpakt erweitert. ({3}) Es erfolgt eine Aufstockung um 60 Prozent. Das sind 1,4 Milliarden Euro. So groß war der Ansturm nicht, der bewältigt werden musste, um ausreichend Studienplätze zu schaffen. Neben der Anzahl der Studienplätze spielt natürlich auch die Qualität eine besondere, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle. Auch hier kommt der Bund seiner Verantwortung nach und investiert kräftig in die Entwicklung des Hochschul- und Wissenschaftssystems. Ob Qualitätspakt Lehre, die Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses oder das Themenfeld sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung: Alle diese Vorhaben erfahren im vorliegenden Haushalt einen beachtenswerten Aufwuchs. ({4}) Wir lassen in unserem Ausbildungssystem auch keinen jungen Menschen im Regen stehen. Bedürftigkeit und/oder besondere Leistungen bilden nach unserer Auffassung die richtigen Kriterien für staatliche Unterstützung. Deshalb stocken wir die Mittel für die Begabtenförderung um über 20 Prozent auf. In die Studienfinanzierung der Studierenden investieren wir 2012 insgesamt mehr als 1 Milliarde Euro. Diese Zahlen können sich sehen lassen. ({5}) Die Internationalisierung des Forschungssystems stärken wir durch Mittelaufwüchse für den Studentenund Wissenschaftleraustausch; Herr Hagemann hat das schon angesprochen. Die beiden maßgeblichen Akteure, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und der Deutsche Akademische Austauschdienst, erhalten im kommenden Jahr 131 Millionen Euro. Dieser Betrag wurde in der Bereinigungssitzung um weitere 4,1 Millionen Euro aufgestockt. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Gohlke?

Anette Hübinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, dass Sie die Zwischenfrage gestatten. Sie haben gerade von der Qualität im Studium gesprochen. Weil noch kein Redner darauf eingegangen ist, möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Sie setzen die Kosten pro Studienplatz mit 6 500 Euro an. Beim Statistischen Bundesamt sind sie anders berechnet worden, nämlich mit 7 130 Euro. Aus meiner Sicht ist klar, dass eine konstante Unterfinanzierung bei jedem Studienplatz zulasten der Qualität gehen muss. Darauf hätte ich gerne eine Antwort.

Anette Hübinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deswegen haben wir den Qualitätspakt Lehre vereinbart. Darüber hinaus müssen Sie zur Kenntnis nehmen: Nicht jeder Studienanfänger verlässt später die Hochschule so, wie wir es uns wünschen. Insofern ist unseres Erachtens zunächst einmal eine Überfinanzierung gegeben, ({0}) weil bei den Ausgaben die Zahl der Studienanfänger zugrunde gelegt wird. Die Mittel werden fortgeschrieben, ohne dass eine Überprüfung erfolgt, ob eine entsprechende Zahl von Studierenden tatsächlich ihren Abschluss macht. Damit wird auch Geld vom Bund in die Hochschule gepumpt, ohne dass dies zu seinen originären Aufgaben gehört. Ich denke, damit ist eine gute Finanzierung gewährleistet. Auch die Länder sind nicht unzufrieden damit. ({1}) Zurück zur Internationalisierung: Die nochmals gestiegene Nachfrage nach Auslandsstipendien und die überaus zahlreichen Anmeldungen zum Sofja-Kovalevskaja-Preis wurden während des Kongresses der CDU/CSU-Fraktion zum Thema Internationalisierung vor wenigen Wochen deutlich. Das zeigt, dass wir eine Aufstockung brauchten, die auch vorgenommen wurde, wie eben schon ausgeführt. Das zeigt aber auch, wie sehr Deutschland als Forschungs- und Wissenschaftsraum gewonnen hat. Nicht nur Bildung, sondern auch Forschung wird im Einzelplan 30 sichtbar gestärkt. Ich möchte in diesem Zusammenhang die außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Deutschland hervorheben. Wir wissen, dass wir mit diesen Instituten wahre Leuchttürme haben und was sie für die Internationalisierung der deutschen Wissenschafts- und Forschungslandschaft leisten. Gestern - Herr Röspel hat es angesprochen - war eine Delegation aus Peru zu Besuch. Ich habe die Delegationsgespräche so wahrgenommen, dass unser Knowhow sehr gefragt ist und dass wir mit unserem Know-how in der Welt auch äußerst sichtbar geworden sind. Das ist mit eine Folge dieser Institute, der Exzellenzinitiative und unserer Anstrengungen, diese beiden Dinge sehr stark zu fördern. ({2}) Der jährliche Aufwuchs der Mittel um 5 Prozent für diese Wissenschaftsinstitute ist deshalb gut angelegtes Geld. Mit diesem Aufwuchs senden wir nämlich auch ein Zeichen dafür, dass wir für Stabilität stehen. Dieses Zeichen an die Wissenschaftscommunity ist von unschätzbarem Wert; denn andere Länder reduzieren die Forschungsbudgets, sowohl für den privaten als auch den staatlichen Bereich. Eine Änderung in der Bereinigungssitzung möchte ich hier noch hervorheben: Die Nachfrage nach den Instrumenten zur Verbesserung der Berufsorientierung ab der 7. Klasse ist höher als erwartet. Das freut uns; denn diese Nachfrage zeigt, dass mit der Berufseinstiegsbegleitung und der Potenzialanalyse Instrumente geschaffen wurden, die den Bedürfnissen beim Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung gerecht werden. Die Aufstockung der dafür vorgesehenen Mittel um 15 Millionen Euro eröffnet vielen Jugendlichen eine neue Lebensperspektive.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Anette Hübinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, danke. - Diese Anpassung an den Bedarf ist gut und richtig. ({0}) Der vorliegende Haushalt ist ein hervorragender Haushalt. Man kann ihn nur unterstützen, und ich bitte auch um die Unterstützung der Opposition. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30 - Bundesministerium für Bildung und Forschung - in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7835? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Linken und Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7836? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der Grünen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung der Linken abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 30 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 30 ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt V sowie Zusatzpunkt 2 auf: V Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP Der Mehrjährige Finanzrahmen der EU 2014-2020 - Ein strategischer Rahmen für nachhaltige und verantwortungsvolle Haushaltspolitik mit europäischem Mehrwert - Drucksache 17/7767 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Für einen progressiven europäischen Haushalt Der Mehrjährige Finanzrahmen der EU 2014-2020 - Drucksache 17/7808 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Joachim Spatz für die FDP-Fraktion das Wort. ({2})

Joachim Spatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben hier ein Stück weit eine Neuerung; man könnte auch sagen: eine historische Neuerung. Erstmals wird ein Mehrjähriger Finanzrahmen nicht so verhandelt, dass wir ein Ergebnis, das die Regierungen ausgehandelt haben, nur mehr oder weniger kritisch begleiten dürfen, sondern wir als Deutscher Bundestag können, unsere Beteiligungsrechte nutzend, in der Verhandlungsphase unsere Wünsche und Forderungen äußern und der Regierung unseren Rahmen vorgeben. Auch die SPD hat einen Antrag eingebracht. Mich wundert aber Folgendes: Der Kollege Sarrazin fordert immer ein, dass der Bundestag die Rechte, die er hat, auch wahrnimmt. Jetzt fehlt ausgerechnet von den Grünen - wer bei euch auf der Bremse steht, weiß ich nicht ein entsprechender Antrag. Das ist bedauerlich. ({0}) Europa hat Zukunftsaufgaben zu bewältigen. Wir sind der Meinung, dass dabei der gültige Rahmen von 1 Prozent des BNE auch in Zukunft eingehalten werden muss. Das wird zur Folge haben, dass einige Politikfelder neu bewertet werden müssen. Das betrifft die Landwirtschaft, die Kohäsionspolitik und Binnenfragen, Fragen, die die europäische Verwaltung betreffen, zum Beispiel das Beamtenstatut. Das machen wir, um notwendige Zukunftsinvestitionen in Forschung und Technologie sowie in die Entwicklung transnationaler Netze in den Bereichen Verkehr, Energie und Kommunikations- und Informationstechnologien zu ermöglichen. Alle diese neuen Schwerpunkte müssen einen klaren europäischen Mehrwert kreieren. Wenn das der Fall ist, können zusätzliche Mittel dafür bereitgestellt werden, wobei der vorgegebene Rahmen insgesamt eingehalten werden muss. ({1}) Wir lehnen die Forderungen nach Euro-Bonds ab. Auch in unserem Antrag gibt es ein klares Nein zu dieser falschen Zielrichtung. ({2}) Ich kann nur bekräftigen, was die Kanzlerin in Richtung von Herrn Barroso deutlich gemacht hat: dass endlich Schluss sein muss mit der Forderung nach einem Finanzierungsinstrument, das für uns, aber auch für andere Länder Europas schlicht und ergreifend nicht infrage kommt. Genauso wenden wir uns gegen die Einführung einer europäischen Steuer, egal ob sie direkt oder indirekt erhoben wird. Wir sind positiv überrascht, dass auch die SPD in ihrem Antrag schreibt, dass dafür rechtliche und politische Hürden gesetzt seien und das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht funktioniere. Man hört zwar bei dieser Formulierung das Bedauern heraus - deshalb ist es schon besser, man setzt in diesem Punkt auf die Koalition -, aber für diesen Mehrjährigen Finanzrahmen, über den schon im Laufe des nächsten Jahres ganz wesentlich und im übernächsten Jahr endgültig verhandelt wird, ist es ein positives Zeichen, dass sich die SPD auch hier ein Stück weit bewegt hat. Zum Schluss noch ein Wort zur Finanztransaktionsteuer. Da gibt es die abwegige Überlegung, die Einnahmen aus dieser Steuer in den europäischen Haushalt einzuspeisen. Ich sehe schon unsere Kollegen nach London fahren und sagen: Leute, die Steuer, die ihr sowieso nicht wollt, dürft ihr gleich in Brüssel abliefern, und ihr dürft sie nicht in euren nationalen Haushalt überführen. - Wer glaubt, dass das realistisch ist, ({3}) den kann ich nur bewundern. ({4}) Ich denke, dass eine europaweite und nicht nur eine Euro-Zonen-weite Einführung angestrebt werden soll. Die Einnahmen sollen aber in die nationalen Haushalte fließen, aus denen dann der jeweilige Anteil am Haushalt der Europäischen Union finanziert wird. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Michael Roth für die SPD-Fraktion.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Herr Spatz, irgendetwas haben wir falsch gemacht. Sie warten sehnsüchtig auf die Anträge der Grünen, Sie loben unseren Antrag, aber Sie schweigen über Ihren Koalitionspartner. Da schwant mir Schlimmes. Aber ich nehme es mit Gelassenheit; denn das, was wir derzeit beim Mehrjährigen Finanzrahmen erleben, überrascht uns nicht. Auch hier ist die Koalition zerstritten. ({0}) Eine klare, einheitliche Position auf diesem wichtigen europapolitischen Feld - Fehlanzeige. ({1}) Das, was Sie derzeit betreiben, Herr Kollege Spatz, ähnelt schon sehr der Quadratur des Kreises. In den Sonntagsreden fordern Sie Sparen, strikte Ausgabendisziplin und die Begrenzung des Haushalts der Europäischen Union auf maximal 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens. Wenn es aber ans Eingemachte geht, wenn es konkret um Sparen und Haushaltsumschichtungen geht, bremsen und blockieren Sie. Das passt nicht ganz zusammen. Sie sind kategorisch gegen alles. Sie sagen Nein zu höheren Beitragszahlungen der Mitgliedstaaten. Sie sagen Nein zur Reform der Eigenmittel. Sie sagen Nein zu Kürzungen und Umschichtungen in wesentlichen Feldern des Haushalts, und Sie sagen Nein zu weitreichenden Reformschritten in der Agrar- und der Kohäsionspolitik. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das passt nicht zusammen. Damit tragen Sie zur Unglaubwürdigkeit Ihres eigenen europapolitischen Handelns bei. ({3}) Wenn wir über den Mehrjährigen Finanzrahmen reden, der auf sieben Jahre angelegt ist, nämlich von 2014 bis 2020, dann kommen wir um die Agrar- und Kohäsionspolitik nicht herum. Das sind insgesamt 70 Prozent der Ausgaben. Mich überrascht schon, mit welcher Kaltblütigkeit sich Frau Agrarministerin Aigner an die Spitze der deutschen Agrarindustrie stellt. Denn alles, was bislang an weitreichenden Reformvorschlägen auf den Tisch gekommen ist, wird von Schwarz-Gelb und der eigenen Agrarministerin kategorisch vom Tisch gefegt. ({4}) Das ist mit uns nicht zu machen. Aus unserer Sicht ist niemandem in der Europäischen Union mehr zu erklären, warum die Direktzahlungen in der Agrarpolitik so unterschiedlich und so ungerecht erfolgen, wie das derzeit der Fall ist. Wir haben auf der einen Seite die Niederländer, die 458 Euro pro Hektar erhalten. Wir haben auf der anderen Seite die Letten, die gerade einmal 69 Euro pro Hektar an Direktzahlungen Michael Roth ({5}) erhalten. Das hat mit europäischer Solidarität und Gerechtigkeit nichts zu tun. ({6}) Sie machen Politik nach dem Motto: Wasch‘ mich, aber mach‘ mich nicht nass. Und das geht nicht. Gerade einmal 3 Milliarden Euro sollen im Bereich der Agrarsubventionen umgeschichtet werden. ({7}) Sie kämpfen für die deutschen Landwirte - das ist völlig in Ordnung -, aber gleichzeitig sagen Sie, ohne Einsparungen funktioniere das nicht. Aber wie wollen Sie denn den mittel- und osteuropäischen Landwirten erklären, dass die Bauern in den überwiegend westeuropäischen Ländern weiterhin viel mehr Geld erhalten als zum Beispiel der Bauer in Polen oder Lettland? Die Kohäsionspolitik steht gerade in diesen Krisenzeiten unter einem ganz besonderen Fokus. Die Kohäsionspolitik bleibt für uns wichtig; denn sie ist ein zentrales Instrument, um insbesondere die Zukunftsinvestitionen in Beschäftigung und Nachhaltigkeit finanziell entsprechend auszustatten. Sie ist gerade auch in einer Zeit wichtig, in der die notleidenden Staaten zu weitreichenden Sparanstrengungen gezwungen sind. Aber Einsparungen ohne Wachstum und Investitionen in Beschäftigung sind nicht zukunftsfähig. Insofern erwarten wir von der Europäischen Union und der Bundesregierung auch hier eine entsprechende engagierte Unterstützung, damit die Kohäsionspolitik ein wichtiger Schlüssel europäischer Strukturpolitik bleibt. ({8}) Wir könnten uns hier durchaus eine Zusammenführung von zwei Instrumenten vorstellen, nämlich auf der einen Seite des Strukturfonds und auf der anderen Seite des Kohäsionsfonds. Die neue Prioritätensetzung muss die eigentlich zentrale Botschaft für die Haushaltsentwicklung der Europäischen Union ab 2014 sein. Wir haben neue Zuständigkeiten gewonnen, auch durch den Lissabon-Vertrag. Aber diese neuen Zuständigkeiten müssen sich auch im Haushalt widerspiegeln: bei Energie, Klimawandel, Innovation, aber vor allem auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Ich bin mir nicht sicher, ob das, was seitens der Kommission derzeit an finanziellen Zuwächsen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik vorgesehen ist, ausreicht, um der gewachsenen Erwartungserhaltung gegenüber der Europäischen Union in der Außen- und Sicherheitspolitik angemessen Rechnung zu tragen. Wir unterstützen ebenso, dass man die inhaltliche Ausrichtung der Finanz- und Haushaltspolitik der Europäischen Union stärker mit den Strategien in Übereinstimmung zu bringen versucht. Da ist die Strategie „Europa 2020“ von ganz zentraler Bedeutung. Hier muss ein klarer Beitrag für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung geleistet werden. Ein großer Skandal in der Europäischen Union ist, dass es uns nicht gelingt, die Jugendarbeitslosigkeit in einigen Mitgliedstaaten erfolgreich zu bekämpfen. ({9}) Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von annähernd 50 Prozent in Spanien und über 40 Prozent in Griechenland dürfen wir uns nicht wundern, wenn die betroffenen jungen Menschen ihre Hoffnungen auf ein solidarisches, zukunftsgewandtes Europa aufgeben. Im Haushalt der Europäischen Union muss sich widerspiegeln, dass nicht allein die Mitgliedstaaten, sondern auch die Europäische Union etwas gegen die Massenarbeitslosigkeit der jungen Generation tut. Hierzu erwarten wir klare Beiträge. ({10}) In einem Punkt sind wir mit den Vorschlägen der EUKommission nicht einverstanden. Es kann nicht angehen, dass man versucht, über Schattenhaushalte das, wofür man keine Mittel in den regulären Haushalt einstellen kann, zu finanzieren. Es gibt inzwischen einen Europäischen Entwicklungsfonds, einen Nothilfefonds, einen Globalisierungsfonds, einen Solidaritätsfonds und Reserven für die Bewältigung von Krisen im Agrarsektor. Insgesamt handelt es sich um ein Budget von knapp 60 Milliarden Euro. Das alles muss aus unserer Sicht - wenn man sich denn ehrlich machen will - in den regulären Haushalt überführt werden. Das ist für uns aus zweierlei Gründen wichtig: Zum einen leistet das einen Beitrag für mehr Transparenz. Zum anderen sorgt das für die notwendige demokratische Legitimation; denn nur über den regulären Haushalt ist gesichert, dass das Europäische Parlament seine gewachsenen Rechte im Bereich des Haushaltsverfahrens wahrnehmen kann. Für uns ist mehr Geld für die Europäische Union nur akzeptabel, wenn das Europäische Parlament angemessen beteiligt wird, wie es der Vertrag von Lissabon vorsieht. ({11}) Herr Kollege Spatz, Sie haben den Britenrabatt angesprochen. Hier sollten wir der Wahrheit ins Auge blicken: Diesen Rabatt haben diejenigen zu verantworten, die das vor vielen Jahren ausgehandelt haben. Wie Sie wissen, handelt es sich um einen Eigenmittelbeschluss, der der Einstimmigkeit unterliegt. Das heißt, eine Abschaffung oder eine Abmilderung des Britenrabatts ist ohne die Zustimmung der Briten gar nicht realisierbar. Das können wir zwar fordern. Aber ich gehe nicht davon aus, dass sich die Briten hier bewegen werden. Der Mehrjährige Finanzrahmen ist - das ist ein großer Schritt nach vorne und eine wesentliche Errungenschaft des Vertrags von Lissabon - nicht mehr allein Angelegenheit der nationalen Regierungen. Vielmehr spielt auch hier das Europäische Parlament eine zentrale Rolle. Ohne Zustimmung des Europäischen Parlaments kann der Mehrjährige Finanzrahmen nicht in Kraft treten. Wir hoffen seitens der SPD-Fraktion, dass diese größere demokratische Legitimation zu besseren Ergebnissen führt. Dabei sind wir uns allerdings noch nicht ganz sicher. Ich will über einen anderen Punkt offen sprechen, bei dem die Fraktionen weit auseinanderliegen; das ist auch Michael Roth ({12}) in Ihrem Redebeitrag, Herr Spatz, deutlich geworden. Wenn wir uns vor Augen halten, dass der Mehrjährige Finanzrahmen bis 2020 Gültigkeit besitzt, fände ich es verantwortungslos, wenn wir uns einer grundlegenden Reform des Eigenmittelregimes verweigern würden. Ich glaube, dass wir das derzeitige Eigenmittelregime nicht werden durchhalten können. Es ist nicht zukunftsfähig und führt zu Ungerechtigkeiten. Ich hoffe, dass es hier noch Bewegung gibt. Sie werden uns weiterhin an Ihrer Seite haben, wenn es um die Einführung einer Finanztransaktionsteuer geht. Wir kämpfen selbstverständlich für eine Finanztransaktionsteuer. Uns als SPD-Fraktion ist aber genauso klar: Wenn wir eine solche Steuer nicht EU-weit einführen können, dann müssen wir sie in der Euro-Zone durchsetzen. Wenn das auch in der Euro-Zone nicht durchgesetzt werden kann, dann müssen eben Deutschland, Frankreich, die Beneluxstaaten, Österreich und andere Staaten voranschreiten; denn es müssen endlich auch die Verursacher der Krise an der Finanzierung der Bewältigung der Krise beteiligt werden. Das geht nur mit einer Finanztransaktionsteuer. ({13}) Die Probleme der derzeitigen Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen liegen - Sie haben völlig recht, dass im Jahr 2012 nicht über alles entschieden wird; ich befürchte, dass es erst Ende 2013 ans Eingemachte geht - nicht alleine in Brüssel, sondern auch hier in Berlin. Wer sonntags mehr Europa einfordert, aber dann von montags bis freitags einfordert, dass weniger Geld nach Brüssel gezahlt werden soll, macht sich unglaubwürdig. ({14}) Wer Kürzungen fordert, aber gleichzeitig die Koalition der Sparunwilligen in Brüssel anführt, der trägt nicht dazu bei, dass das Vertrauen in die Europäische Union wächst. Das sollte aber eigentlich im gemeinsamen Interesse aller Bundestagsfraktionen liegen. Hier wünschen wir uns von Ihnen mehr Engagement und mehr Drive. Vielen herzlichen Dank. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bettina Kudla für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Bettina Kudla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004084, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Um was geht es heute in der Debatte? Es geht um einen Betrag von über 1 000 Milliarden Euro. Diesen Betrag will die EU in den Jahren 2014 bis 2020 ausgeben. Die Regierungsfraktionen haben dazu für heute einen Antrag vorgelegt, übrigens, Herr Roth, einen Antrag mit ganz konkreten Punkten. Wir haben in unserem Antrag nicht bloß, wie die SPD, Überschriften gesetzt wie „Einnahmeseite“ und „Ausgabenseite“; wir haben unseren Antrag ganz exakt inhaltlich gefüllt und dargestellt, wie wir uns die Zukunft des Mehrjährigen Finanzrahmens vorstellen; denn der Finanzrahmen setzt die Schwerpunkte der Ausgaben für immerhin sieben Jahre fest. Das ist ganz entscheidend für die nachhaltige Entwicklung innerhalb der Europäischen Union. Sie haben erwähnt: Die Kommission hat die Vorschläge vorgelegt. - Aber die Vorschläge finden teilweise nicht unsere Zustimmung. Man muss hier die Realität sehen und berücksichtigen, vor welchem Hintergrund die Vorschläge gemacht werden. Das Budget wird vor dem Hintergrund der größten Staatsschuldenkrise weltweit und in Europa aufgestellt. Deswegen ist es selbstverständlich, dass wir Ausgaben deckeln müssen und dass wir nicht einfach mehr ausgeben können. ({0}) Gleichwohl müssen auch neue Aufgaben finanziell untersetzt werden; das ist selbstverständlich. Deswegen müssen vernünftige Umschichtungen innerhalb des Etats vorgenommen werden. ({1}) Diese Umschichtungen haben auch ihre Logik im Hinblick auf die Fortentwicklung der Europäischen Union und im Hinblick auf die Integration der Mitgliedstaaten. Herr Roth, es hat mich gefreut, dass Sie das Thema Transparenz angesprochen haben. Auch das findet sich in unserem Antrag. Wir fordern mehr Nachweise über den Einsatz der Mittel. Hier ist die Informationspolitik der EU noch etwas unbefriedigend. Das muss sich verbessern. Zu den Instrumenten der EU ist zu sagen: Viele Instrumente haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten bewährt. Es besteht keine Veranlassung, bewährte Instrumente um der Reform willen abzuschaffen. Ich möchte auf einige Schwerpunkte der Ausgabenbereiche eingehen: Die Agrarpolitik ist im Hinblick auf den Anstieg der Weltbevölkerung und den erhöhten Nahrungsmittelbedarf selbstverständlich der größte Ausgabenposten. Hier setzen wir uns für eine starke erste Säule und eine finanziell ausreichend untersetzte zweite Säule ein. ({2}) Wir lehnen Vorschläge ab, die eine Deckelung für Großbetriebe vorsehen. ({3}) Wir wollen nicht mehr Bürokratie durch irgendwelche komplizierten Konstruktionen, ({4}) bei denen man entsprechende Lohnsummen abziehen muss, damit man eine Förderung bekommt. Das lehnen wir ab. ({5}) - Wir wollen sehr viel ändern. - Das haben Sie zum Beispiel gar nicht erwähnt: Wir wollen Übergänge maßvoll gestalten. Die Gestaltung der Übergänge ist deswegen so wichtig, damit durch die EU-Mittel eine wirklich nachhaltige Entwicklung eintritt. Es kann nicht sein, dass sich Förderregionen, die in den letzten Jahren gerade über die Schwelle von 75 Prozent des durchschnittlichen BIP gerutscht sind, durch einen abrupten Abbruch der Förderung rückwärts entwickeln und dann unter dieser Grenze liegen. In dem Fall würden Fördermittel nicht sinnvoll eingesetzt, und den Kommunen würden plötzlich erhebliche Mittel fehlen. Deshalb treten wir für ein Sicherheitsnetz von zwei Dritteln der Förderung ein. Das ist besonders für die neuen Bundesländer wichtig, muss aber unter der Maßgabe erfolgen, dass die Ausreichung der Mittel degressiv gestaltet wird. Neue Förderregionen lehnen wir ab. Das würde Förderung nach dem Gießkannenprinzip bedeuten und hat zu wenig Mehrwert. ({6}) Angesichts des hohen Betrags der nicht ausgeschöpften Mittel innerhalb des EU-Budgets wollen wir mehr Anreize dafür schaffen, dass die Mittel planmäßig und zügig abgerufen werden. Hier erwarten wir von der Kommission Vorschläge, wie in Zukunft verfahren werden soll. Gleichzeitig erwarten wir Vorschläge, wie mit der sogenannten Bugwelle dieser Mittel umgegangen werden soll. Wir möchten, dass die Zukunftsbereiche innerhalb des MFR gestärkt werden. Das muss bedeuten: Vorfahrt für Investitionen vor konsumtiven Ausgaben. Wir wollen die Forschungsprogramme stärken. Wir wollen insbesondere die Infrastruktur verbessern. Hier werden im Bereich der Verkehrsnetze, der Telekommunikation und der Energienetze in den nächsten Jahren erhebliche Investitionen erforderlich sein. Deshalb sprechen wir uns dafür aus, Modelle zu finden, bei denen privates Kapital für öffentliche Investitionen mobilisiert werden kann. Das führt teilweise zu einem doppelten Mehrwert: Investitionen werden schneller durchgeführt, und der private Investor hat dann unter Umständen ein besonderes Interesse an der entsprechenden Region. Das bedeutet, zusätzliche private Investitionen werden in die Region gezogen. Aber wir sind auch für Transparenz. Wir wollen, dass diese Projekte im Haushalt entsprechend abgebildet werden. Um all diesen Ausgabenerfordernissen gerecht zu werden, brauchen wir ein vernünftiges, stabiles und planbares Einnahmesystem. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass sich das bisherige Einnahmesystem, das an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Staaten ausgerichtet ist, bewährt hat. ({7}) Wir sprechen uns nicht für ein eigenes Steuererhebungsrecht der EU aus, und zwar aus mehreren Gründen. Die Akzeptanz der Europäischen Union wird nicht besser, wenn wir die Bürger mit neuen Steuern belasten. ({8}) Um mehr Akzeptanz zu erreichen, müssen wir Europa besser vermitteln, und wir müssen die Bürger mitnehmen. Zusätzliche Belastungen sind da keine Lösung. ({9}) Ein eigenes Einnahmerecht der Europäischen Union würde auch das Risiko beinhalten, dass die EU eigene Schulden aufnimmt. Es wird ja viel über Fehler bei der Konstruktion der EU diskutiert. Aber es wurde auch sehr viel richtig gemacht. Richtig war zum Beispiel, dass die EU keine eigenen Schulden aufnehmen darf. Dieses Risiko würde aber bei einem eigenen Steuererhebungsrecht entstehen. ({10}) Wir treten ferner dafür ein - Herr Spatz hat es bereits erwähnt -, dass die Finanztransaktionsteuer in den nationalen Haushalten vereinnahmt wird. Schließlich haben die nationalen Haushalte auch enorme Summen für Konjunkturpakete ausgegeben. ({11}) Wir setzen uns ferner dafür ein, dass man einen vernünftigen Korrekturmechanismus, ein vernünftiges Rabattsystem installiert. Unsere Nettozahlerposition darf sich nicht verschlechtern. Ich wundere mich schon, wie leichtfertig die SPD in ihrem Antrag Positionen, die im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger sind, einfach aufgibt. Zusammenfassend darf ich sagen: Mit dem Antrag fordern die CDU/CSU und die FDP die Bundesregierung auf, klare Eckpunkte in die Verhandlungen um den MFR einzubringen. Ich möchte schließen mit einem Dank an den Außenminister, an den zuständigen Staatssekretär Dr. Hoyer und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Auswärtigen Amt sowie im BMF, da ich weiß, dass hier intensiv am MFR gearbeitet wird. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Wort hat nun Diether Dehm für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das eigentliche Problem ist doch: Deutscher Markt-Extremismus - ({0}) - Das fänden Sie schön: „Marx-Extremismus“. Nein! Deutscher Markt-Extremismus ({1}) prägt auch den Mehrjährigen Finanzrahmen. Herr Kauder triumphierte unlängst: In Europa spricht man jetzt wieder Deutsch. - Hat der Mann Fingerspitzengefühl? ({2}) Am deutschen Lohndumpingwesen soll wohl Europa genesen. Aber auf den Straßen skandieren die Menschen Griechisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und - wie heute beim Generalstreik in Portugal - Portugiesisch. Und das ist auch gut so. ({3}) Die Unterordnung demokratischer Souveränität und Sozialstaatlichkeit unter die Rettungsprogramme für Großspekulanten und Finanzhaie durchzieht den Koalitionsantrag. Die Deckelung der Ausgaben auf 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens wird als Ausdruck der Stabilität gepriesen. Was die Deckelung aber tatsächlich bedeutet, kann man bereits bei der Einigung auf den EUHaushalt 2012 sehen. Dieser wird um 1,86 Prozent wachsen. Bei einer allgemein prognostizierten Inflationsrate von 2 Prozent haben wir es also de facto mit einer Schrumpfung zu tun - und das, obwohl Griechenland, Spanien, Italien nichts so dringend brauchen wie frisches Geld in der Realwirtschaft. ({4}) Auch die geforderte Integration der bestehenden Schattenhaushalte bedeutet, dass an anderen Stellen gekürzt werden muss. Konkret reden wir hier von einem Volumen von 58 Milliarden Euro. Die wichtige Frage ist dann: Wo soll gekürzt werden? Berechnungen aus Bundesministerien besagen, dass bei der Integration der außerhalb des Agrarbudgets stehenden Finanzierungselemente die tatsächlichen Ausgaben für die Gemeinsame Agrarpolitik bis 2020 nicht auf ein Drittel des gesamten EU-Budgets sinken, im Gegenteil: Sie werden noch um 10 Prozent über den bisherigen Ausgaben liegen. Aber das kommt eben nicht regionalen Kreisläufen zugute, sondern Großagrariern. ({5}) Die finanzielle Ausstattung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, GASP, verbinden Sie ausdrücklich mit dem Anspruch auf eine bessere militärische Handlungsfähigkeit. Also, hier soll nicht gespart werden. Sie wollen die Militarisierung der EU, ({6}) wir Linken wollen mehr Geld für friedliche Konfliktlösung. ({7}) Dann soll zugunsten des Forschungsatomreaktors ITER bei anderen Forschungsprojekten gespart werden, obwohl ITER frühestens 2050 Strom produziert - wenn überhaupt. Obwohl auch ITER radioaktiven Müll bringt. Toller Atomausstieg! Sollten wir nicht statt ITER noch konsequenter erneuerbare Energien fördern? Generell steht bei europäischen Forschungsprojekten als Vergabekriterium im Bereich Forschung ausdrücklich die Marktrelevanz im Vordergrund. Wann begreifen Sie endlich, dass Marktrelevanz und gesellschaftlicher Nutzen zwei völlig getrennte Dinge sind? ({8}) Unter Punkt 17 Ihres Antrags propagieren Sie öffentlich-private Partnerschaftsmodelle für die Finanzierung von Infrastrukturprojekten. Haben Sie noch nie etwas von einer Stadt namens Berlin gehört? Deren Wasserpreise sind jetzt vom Bundeskartellamt ins Visier genommen worden. ({9}) Auch Teilprivatisierung ist ein Brandbeschleuniger für Preise. ({10}) Zum Sparen bleibt dann also nur noch die Kohäsionspolitik, ({11}) der EU-Haushaltsbereich, der auf die Lebenswirklichkeit und die Realinvestitionen in wirtschaftlich darniederliegenden Regionen die unmittelbarsten Auswirkungen hat. Indem Kohäsionspolitik nun aber konditioniert wird und in relevanten Teilen auf revolvierende Fonds - also Fonds, deren Ressourcen aus damit finanzierten Projekten aufgefüllt werden - umgestellt werden soll, wird erneut offenkundig, dass das Soziale bei Ihnen auf entwürdigendste Weise dem Wettbewerb untergepflügt wird. Konkret sagt die EU-Kommission über den Europäischen Sozialfonds - ich zitiere -: Er ist das Hauptfinanzinstrument der Europäischen Union für die Investition in Menschen. Er verbessert die Beschäftigungsmöglichkeiten europäischer Bürger, fördert eine bessere Bildung und verbessert die Lage der am stärksten armutsgefährdeten Menschen. Wer aber Armutsbekämpfung rentabel und selbstfinanzierend machen will, der handelt menschenverachtend. ({12}) Wer dabei die superreichen Reeder in Griechenland und die Ackermänner in Deutschland steuerlich schont, zerstört den Euro und die europäische Integration. Ihr Dogma vom hemmungslosen Wettbewerb ist und bleibt antieuropäisch. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Viola von Cramon-Taubadel von Bündnis 90/Die Grünen.

Viola Cramon-Taubadel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004025, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Link hat bereits gestern in den Haushaltsberatungen nach dem „Wunschkonzert der Grünen“ gefragt. Kollege Spatz hat heute noch einmal darauf hingewiesen, dass Sie sich sehr darauf freuen. Da die Vorfreude die schönste Freude ist, müssen Sie sich leider noch etwas gedulden. Es gibt einen grünen Antrag, aber noch nicht heute. ({0}) Nun zur Sache: Europa und Finanzen - das ist im Moment kein leichtes Thema. Damit lässt sich weder in Berlin noch in anderen Hauptstädten derzeit ein Blumentopf gewinnen. Und dabei ist - angesichts der immensen Herausforderungen, die vor uns liegen - ein klug aufgestellter EU-Haushalt mit ausreichend Manövriermasse besonders wichtig, um diese Krise zu bewältigen und um langfristig eine stabile EU-Politik zu gewährleisten. ({1}) Damit komme ich zum ersten Punkt: der Einnahmeseite. Wer die EU zukunftssicher aufstellen will, wer grüne Arbeitsplätze schaffen will, wer die EU weiterhin als Global Player sehen möchte und vor allem wer mit dem europäischen Mehrwert arbeiten möchte, sollte nicht unter der Höhe des aktuellen Finanzrahmens - nämlich 1,12 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU bleiben. ({2}) Denn während früher noch - das ist noch gar nicht so lange her - die Töpfe der EU vor allem durch Zölle und Agrarabschöpfungen gefüllt wurden, existieren diese Quellen nicht mehr. Was früher einmal - wie die besagten 1,12 Prozent des BNE - als residual, also als ergänzende Finanzierung, gedacht war, macht mittlerweile fast das vollständige Fundament des EU-Haushalts aus. ({3}) Wenn wir dieses Fundament noch beschneiden, ist die EU nicht mehr handlungsfähig. Das wollen wir nicht. ({4}) Außerdem darf man nicht vergessen - was auch Sie und die Bundesregierung ebenso wie viele andere Mitgliedstaaten nicht sagen -, dass Kosten auf den EUHaushalt abgewälzt wurden. Das Europäische Parlament, dessen Kosten früher aus dem Haushalt der nationalen Parlamente bestritten wurden, wird jetzt vollständig über den EU-Haushalt finanziert, ({5}) und dadurch haben wir dort netto höhere Kosten. Das ist einfach so. Der EU-Haushalt wurde in dem Zeitraum aber nicht erhöht. Es gibt sicherlich Möglichkeiten, die Synergien, also den europäischen Mehrwert, zu nutzen. Darüber haben wir häufig gesprochen. Obwohl es eine EU-Delegation gibt, obwohl es einen Europäischen Auswärtigen Dienst gibt, gibt es nach wie vor in jedem Land 27 Botschaften, 27 nationale Vertretungen. Das ist auf Dauer nicht zu halten. Hier müssen wir mit unserem Auswärtigen Amt umdenken. Wir müssen uns bewegen und sagen: An dieser Stelle können wir Kräfte bündeln, an jener Stelle können wir sparen; hier wollen wir zusammenfassen. Das Gleiche gilt für die EU-Finanzaufsicht. Wir haben zurzeit drei Behörden. Die können zusammenarbeiten, die können kooperieren. Wir können diese Kräfte bündeln, indem wir von der nationalen Ebene Kräfte zurückziehen und das auf die EU-Ebene übertragen. Dadurch können wir an dieser Stelle sicherlich Kosten sparen; das liegt in unser aller Interesse. ({6}) Der zweite Punkt - wir haben das häufig angesprochen -: das ungerechte und vollkommen undurchsichtige Rabattsystem. Es ist kein Geheimnis, dass auch Deutschland in großem Maße davon profitiert. Niemand versteht es. Daher ist unsere Forderung: Setzen Sie sich endlich für einen transparenten und fairen Haushalt ein, den nicht nur wir Politikerinnen und Politiker, sondern auch jede Bürgerin und jeder Bürger in der Europäischen Union irgendwann einmal nachvollziehen kann. ({7}) Der dritte Punkt, der immer wieder unter den Tisch fällt: die Frage der Nettozahlerposition in der EU. Wir haben gelernt, dass man damit an Stammtischen sehr gut Politik machen kann. Fakt ist allerdings, dass sich die Nettozahlerposition in den letzten 10 bis 15 Jahren deutlich zugunsten Deutschlands verändert hat: Während wir 1994 noch knapp 11,3 Milliarden Euro netto eingezahlt haben, zahlen wir jetzt nur noch gut 8 Milliarden Euro ein. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Das wird aber nicht erwähnt, weil es schicker und angenehmer ist, mit der Nettozahlerposition zu kokettieren und zu sagen, dass wir in Europa die größte Leistung erbringen. Das ist allerdings nicht mehr so. ({8}) Der vierte Punkt. Ich glaube, Frau Kudla hat da noch nicht so ganz verstanden, worum es eigentlich geht. Natürlich benötigen wir eine finanzielle Autonomie der EU; natürlich benötigen wir eigene EU-Steuern. Die Logik, dass eigene EU-Steuern gleich zu mehr Schulden oder überhaupt zu Schulden im Haushalt führen sollen, hat sich mir aber nicht erschlossen. ({9}) Wir wollen selbstverständlich eine Finanzmarkttransaktionsteuer, und wir wollen eine Mindestenergiesteuer. Das schafft mehr Klarheit, das schafft Identität für Europa. ({10}) Damit können wir wichtige Klima- und Entwicklungsprojekte finanzieren. Was die Ausgabenseite des EU-Haushalts betrifft: Für uns Grüne ist natürlich klar: Wenn wir umsteuern wollen, dann müssen wir nicht nur mit der deutschen Wirtschaft umsteuern, sondern im großen Stil. Dazu brauchen wir auf EU-Ebene einen Green New Deal. ({11}) Dieser Umbau zu einem nachhaltigen und integrativen Europa - EU 2020 - muss sich wie ein grüner Faden durch den gesamten Haushalt ziehen: Angefangen von der Agrarpolitik über die Struktur- und Kohäsionspolitik wollen wir reformieren. Geld darf es nur noch für jene geben, die beim umweltpolitischen Umbau mitmachen wollen, nicht für jene, die unsere Lebensgrundlagen, unsere Ressourcen verschwenden oder sogar vernichten. ({12}) Für uns bedeutet das: nicht in alte Wachstumsideale, nicht in Beton investieren. Wir wollen Köpfe und Knowhow sowie bildungs- und sozialpolitische Teilhabe fördern. Das ist die Zukunft der EU.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. ({0})

Viola Cramon-Taubadel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004025, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der innenpolitische Haushalt macht uns große Sorgen. Wir befürchten, dass es hier wieder vorwiegend um Flüchtlingsabwehr und Grenzsicherung geht. Sorgen Sie dafür, dass es um den Schutz und die Integration von Flüchtlingen und besonders Schutzbedürftigen geht. Das ist uns ein besonderes Anliegen, damit die Menschenrechte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern am Ende auch umgesetzt werden. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Thomas Silberhorn für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn unsere geneigten Zuhörerinnen und Zuhörer vernehmen, was die Vertreter der Opposition heute verkünden, dann wird ihnen, glaube ich, deutlich: Wir können froh sein, dass die Union und die FDP regieren. ({0}) Sie predigen hier Ausgabenorgien - 1,12 Prozent des Bruttonationaleinkommens -; Sie fordern neue Einnahmequellen der Europäischen Union. Für Euro-Bonds und die Vergemeinschaftung der Schulden sind Sie sowieso. Sagen Sie: Auf welchem Planeten leben Sie eigentlich? Haben Sie noch nicht gemerkt, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union ernsthaft bemüht sind, ihre Haushalte zu konsolidieren und gravierende Strukturreformen zu unternehmen? ({1}) Die Europäische Union muss selbstverständlich ebenfalls auf diesen Sparkurs getrimmt werden. ({2}) Die Kommission schlägt vor, eine Ausgabenobergrenze von 1,05 Prozent des Bruttonationaleinkommens festzulegen. Sie verschweigt dabei, dass sie weitere 58 Milliarden Euro in Schattenhaushalten vergraben hat. Deshalb ist unsere erste Forderung: Schluss mit solchen Tricksereien! Wir fordern Wahrheit und Klarheit im Haushalt. ({3}) Alle Ausgaben müssen transparent im EU-Haushalt offengelegt werden. Sagen wir es deshalb deutlich: Der Vorschlag der Kommission sieht Ausgaben von 1,11 Prozent des Bruttonationaleinkommens vor; das übersteigt die jetzige Obergrenze von 1 Prozent. Das macht einen Unterschied: 1 083 Milliarden Euro gegenüber 971 Milliarden Euro. Das ist eine Differenz von 112 Milliarden Euro in 7 Jahren. Wenn Sie das durch sieben teilen und einen deutschen Anteil von einem Viertel nehmen, kommen Sie auf eine Differenz, die für Deutschland jedes Jahr etwa 4 Milliarden Euro ausmacht. Wir reden hier nicht über Kleinigkeiten. Deswegen ist es richtig, dass wir als Koalition daran festhalten: Die Ausgabenobergrenze liegt bei 1,0 Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sarrazin?

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde das gerne im Zusammenhang ausführen. Wenn Sie sich nachher noch einmal melden, dann vielleicht. ({0}) Meine Damen und Herren, der Haushalt der Europäischen Union wird nicht kleiner, wenn wir die Ausgabenobergrenze auf 1,0 Prozent begrenzen. Der Ausgabenzuwachs der Europäischen Union liegt darin begründet, dass das Bruttonationaleinkommen der Bezugsrahmen ist. Wenn es also eine wirtschaftliche Entwicklung gibt, steigt der Haushalt der Europäischen Union nominal. Wir haben einen automatischen Inflationsausgleich im europäischen Haushalt - etwas, was wir im Bundeshaushalt nicht haben und was andere Mitgliedstaaten überhaupt nicht kennen. ({1}) Das muss natürlich Berücksichtigung finden, wenn wir über die Ausgabenobergrenze reden. ({2}) Die Kommission - das muss nicht überraschen - wird nicht müde, wieder und wieder eigene Einnahmequellen bzw. neue Steuern der Europäischen Union vorzuschlagen. ({3}) Auch wir sind für eine Finanztransaktionsteuer - oder sagen wir besser: Finanzaktivitätsteuer. ({4}) Das Steueraufkommen muss aber bei den Mitgliedstaaten liegen. Wir haben eine Mehrwertsteuerquelle. Es ist aber richtig, dass die Beiträge aus der Mehrwertsteuer von den Mitgliedstaaten an die Europäische Union überwiesen werden und diese nicht ein eigenes Steuererhebungsrecht erhält. Es ist doch klar, was passieren wird, wenn man der Europäischen Union ein Steuererhebungsrecht gibt. Auf europäischer Ebene werden sich alle einig sein, dass man mehr Geld einnehmen muss. ({5}) Niemand wird darüber nachdenken, wie man Ausgaben sparen kann, sondern man wird schlichtweg beschließen, wie man Einnahmen hereinholt. Der Weg von Brüssel in die Hauptstädte ist manchmal schon lang, aber der Weg von Brüssel zum Bürger ist noch viel länger. Deswegen halten wir daran fest: Die Steuererhebungskompetenz muss bei den Mitgliedstaaten liegen. Wir wollen keine Selbstbedienung der Europäischen Union mit eigenen Steuern. ({6}) Dass der Weg von eigenen Steuern in die Verschuldung nicht weit wäre, ({7}) Frau Vorrednerin, ist doch völlig klar. Man hat schon über den Euro-Rettungsschirm die Möglichkeit eröffnet, Schuldscheine zu begeben. Der große Vorteil der Finanzierung der Europäischen Union besteht darin, dass aufgrund der Beitragsfinanzierung auf europäischer Ebene keine Schulden gemacht werden können. Wenn Sie jetzt auf der Einnahmeseite ein Fass aufmachen, ist man natürlich nicht weit davon entfernt, Kredite aufzunehmen bzw. sich zu verschulden. ({8}) Das wäre das völlig falsche Signal. Wir sind doch gerade in allen Mitgliedstaaten auf dem Weg, die Haushalte zu konsolidieren und die Schulden abzubauen. Sie aber wollen mit neuen Steuern und Schulden in der Europäischen Union ein neues Fass aufmachen. Das ist ganz sicher nicht der richtige Weg. ({9}) Der Koalitionsvertrag sieht zwei Punkte vor, die wir erstmals in einen Zusammenhang mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen stellen. Dabei geht es um die Agenturen und vielfältigen sonstigen Verwaltungsstellen der Europäischen Union, ({10}) und es handelt sich um die Bediensteten der Europäischen Union. In diesem Hohen Hause haben wir immer wieder in vielen Ausschüssen gegenüber Vertretern der Kommission und vielen anderen deutlich gemacht: Wir möchten, dass die europäische Verwaltung nicht ausufert, mäandriert und viele neue Satelliteneinrichtungen schafft, sondern wir legen Wert auf eine integrierte Verwaltung. Deswegen muss jede Stelle, die in der Europäischen Union Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, einer Erfolgsbzw. Zielkontrolle unterliegen. ({11}) Wir wollen Zielvereinbarungen für jede dieser Agenturen und sonstigen Einrichtungen, und wir wollen, dass vereinbart wird, mit welchen Haushaltsmitteln und welchem Personal welche Ergebnisse erzielt werden. Weiter wollen wir auch, dass alle diese Einrichtungen unter der Aufsicht eines politischen Organs bzw. eines Kommissars stehen und sich nicht verselbständigen. ({12}) Deswegen ist es, glaube ich, richtig und ein wichtiges Signal, dass wir diese Verwaltungspraxis der Europäischen Union in einen direkten Zusammenhang mit der Finanzierung derselben stellen. Deswegen finden sich unsere Aussagen zu Agenturen und Verwaltungsstellen in diesem Antrag zum Mehrjährigen Finanzrahmen. Gleiches gilt für die Bediensteten der Europäischen Union. Ich bin weit davon entfernt, Beamten-Bashing zu betreiben. Sie werden von mir keine Äußerung finden, dass ich jemals von Eurokraten gesprochen hätte. Ich glaube, dass wir in der Europäischen Union sehr qualifizierte Beamte und sonstige Bedienstete haben. Wir brauchen sie auch. Sie müssen wettbewerbsfähig sein und attraktiv besoldet werden; das ist gar keine Frage. Aber was sich in den letzten Jahren an Vorzugsbehandlungen angesammelt hat, ({13}) was weit von der Praxis in den Mitgliedstaaten entfernt ist, können wir auf Dauer nicht hinnehmen. ({14}) Eine wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden, Überstundenausgleich selbst in Leitungsfunktionen - wo in Europa gibt es denn so etwas? Sonderurlaub wird noch nach Eisenbahnfahrzeiten berechnet ({15}) und bis zu sechs Tagen pauschal erstattet, auch in das Heimatland des Partners. Selbst wenn der Sonderurlaub überhaupt nicht angetreten wird, werden die Kosten erstattet. Ohne Beamten-Bashing zu betreiben: Diese Auswüchse muss man klar benennen. ({16}) Ich erwarte das klare Signal, dass es so nicht weitergehen kann. Die Bediensteten der Europäischen Union müssen sich an den Standards, die in den nationalen Verwaltungen gelten, orientieren. Deswegen ist es richtig, dass wir auch diese Forderung in einen Zusammenhang mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen stellen. Das Gleiche gilt für die jährlichen Gehaltsanpassungen. Die Europäische Union gewährt einen nahezu automatischen Inflationsausgleich. Wir müssen dafür sorgen, dass die Gehaltsanpassungen die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten realistisch wiedergeben. Auch ein politischer Ermessensspielraum muss zugelassen werden. Gestatten Sie mir ein letztes Wort zu den Euro-Bonds. Wir werden uns hier mit der Opposition nicht einig werden. ({17}) Wenn Sie mir noch eine Bemerkung gestatten, Frau Präsidentin: Wir hatten als Folge der Währungsunion eine Zinskonvergenz, die Ursache dafür war, dass die Haushaltsdisziplin nachgelassen hat. Jetzt haben wir wieder angemessene Zinssätze in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die dazu führen werden, dass die notwendige Haushaltsdisziplin aufgebracht wird. Wenn Sie Euro-Bonds einführen und die Zinsen vergemeinschaften, dann nehmen Sie jeglichen Anreiz zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin. Das ist das völlig falsche Signal. ({18}) Deswegen sprechen wir uns in unserem Antrag ausdrücklich gegen Euro-Bonds aus. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Link für die FPDFraktion. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Schluss dieser Debatte möchte ich noch einmal da17154 Michael Link ({0}) rauf eingehen, worum es heute eigentlich geht; denn das ist extrem wichtig. Dass wir in der Haushaltswoche überhaupt über dieses Thema beraten, ist ein Novum. Wir tun dies auch deshalb, weil uns das Bundesverfassungsgericht in letzter Zeit immer wieder daran erinnert hat, dass alle Haushaltsfragen frühzeitig im Parlament behandelt werden müssen. Dass wir es als Koalitionsfraktionen geschafft haben, wirklich über alle Arbeitsgruppen hinweg - Agrarpolitik, Struktur- und Kohäsionspolitik, Forschung, Verkehr, aber natürlich auch Sicherheit und Verteidigung - einen Antrag vorzulegen, der in seinen Auswirkungen für diese sieben Jahre hochkomplex ist, ist sehr wichtig. Wir sind auf die Ausschussberatungen gespannt. Wir möchten das natürlich im Laufe der Verhandlungen über den MFR im nächsten Jahr wiederholen; denn je mehr die Verhandlungen über den MFR Fahrt aufnehmen, desto eher muss der Bundestag erneut Stellung beziehen, um der Bundesregierung für die Verhandlungspositionen den Rücken zu stärken. Denn sie muss nicht nur in Brüssel, sondern auch in anderen Hauptstädten innerhalb der Europäischen Union sagen, wofür der Bundestag steht. Die Stellungnahme des Bundestages spielt weit über das übliche Verfahren hinaus eine wichtige Rolle. Wir bekräftigen darin die klare Absage an EU-Steuern und Euro-Bonds. ({1}) Das zu bekräftigen, ist gerade in dieser Woche wichtig. Wieso sind wir so kritisch beim Thema EU-Steuern? Viele gute und wichtige Argumente sind genannt worden. Kollege Silberhorn, Kollegin Kudla und Kollege Spatz, ich möchte eines ergänzen: Das insbesondere auf das Bruttonationaleinkommen gestützte System hat den Vorteil, dass es sichere, völkerrechtlich klare und planbare Mittel für die EU gewährleistet. Keine Steuer kann eine solche Sicherheit in der Planung schaffen. Das BNE-System ermöglicht eine gerechte Verteilung nach volkswirtschaftlichen Kriterien. Es bewirkt, dass die Stärkeren mehr zahlen und die Schwächeren weniger - das ist, wie ich finde, ein sehr sozialer Aspekt -, und es verhindert das Problem der Nichtberechenbarkeit von Steuereinnahmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Link, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Sarrazin?

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das können wir gerne machen. Darauf habe ich schon gewartet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das war jetzt sehr überraschend. - Bitte.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kollege Link, manchmal ist mehr auch besser. Zumindest hoffen wir das hinsichtlich Ihrer Redezeit bzw. Ihrer Rede. Sie wissen, dass wir eine EU-Steuer nicht fordern, um auf die Steuerbelastungen der Bürger noch eine Extrasteuer draufzusatteln. Sie wissen, dass wir einen Wechsel vornehmen wollen. Wir wollen, dass die Staaten aufgrund dieser Steuer weniger Eigenmittel liefern müssen, sodass die Belastung für den Bürger gleich bleibt. Das haben wir uns nicht einfach so ausgedacht, sondern wir unterstützen diese Position, weil wir sehen, dass die Eigenmittelbasis der Europäischen Union in den letzten Jahrzehnten rapide kleiner wurde, beispielsweise weil die Zolleinnahmen durch den Freihandel wegbrechen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Sie eine europäische Steuer ablehnen, frage ich Sie: Was schlagen Sie zur Stärkung der Eigenmittelbasis vor? ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Frage beantworte ich sehr gerne. Wie Sie wissen, steht in unserem Antrag, dass die Eigenmittel im Wesentlichen aus BNE-Abführungen bestehen sollen. Wir wollen keine Senkung der Beiträge. Damit möchte ich richtigstellen, was gerade gesagt wurde. Wir möchten nicht weniger an die EU zahlen, mitnichten. Im Gegenteil: Wir möchten, dass die Eigenmittel der EU - unter Beibehaltung der Deckelung - im Wesentlichen durch BNE-Abführungen, also aus dem nationalen Steueraufkommen, erbracht werden. Es ehrt Sie, wenn Sie sagen, dass Sie die Gesamtbelastung nicht erhöhen wollen. Ich möchte aber einmal wissen, wie das funktionieren soll. Wie wollen Sie rechtlich, politisch garantieren, dass, wenn die EU-Kommission zum Beispiel eine EU-Mehrwertsteuer oder eine Finanztransaktionsteuer auf dem Wege der Gemeinschaftsmethode einführt, alle Mitgliedstaaten in ihren Gesetzen automatisch eine entsprechende Senkung verankern? Das ist fernab der Realität. Sie müssen auch sehen - das ist vielleicht das wichtigste Argument -, dass die jetzige Form der Finanzierung der EU eines garantiert: die Verklammerung der nationalen Ausgaben mit den EU-Ausgaben. Dadurch, dass beides im Prinzip aus dem gleichen Aufkommen finanziert wird, haben die Nationalstaaten den Anreiz, bei der Verabschiedung des EU-Haushalts exakt darauf zu achten, dass es bei EU-Haushalt und nationalem Haushalt nicht zu Doppelungen kommt. Das ist hochgradig effizient. Das würden wir mit Ihrem Vorschlag aus dem Fenster werfen. Das wäre hochgefährlich. Wohin das führt, sehen Sie bei der Entwicklungspolitik. Dort besteht ein Nebeneinander von verschiedenen Töpfen, und das führt zu einem extremen Durcheinander. ({0}) Michael Link ({1}) Nicht das Prinzip „Ich besteuere, also bin ich“ gilt für die EU, ({2}) sondern auch hier gilt: Weniger ist mehr. Deshalb wollen wir, dass mehr Aufgaben sparsamer bewirtschaftet werden. Deshalb sagen wir in unserem Antrag klipp und klar, dass der Agraranteil in Zukunft zurückgehen wird und wir die Mittel für die Struktur- und Kohäsionsfonds - Kollegin Kudla hat das gesagt - abschmelzen werden, unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes degressiv gestaltet, weil diese Fonds, so wie sie angelegt sind, eine Hilfe zur Selbsthilfe darstellen. Wir sagen deshalb Nein zu Euro-Bonds und Nein zu europäischen Steuern, aber klar Ja zu sicheren Eigenmitteln - wir wollen nicht weniger an die EU zahlen - und vor allem Ja zu einem modernen Budget für die Europäische Union. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/7767 und 17/7808 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt VI a bis f auf: VI a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marlene Rupprecht ({0}), Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sexuelle Gewalt gegen Kinder umfassend bekämpfen - Kampagne des Europarats unterstützen - Drucksache 17/7807 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Marlene Rupprecht ({3}), Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Kinderrechte in Deutschland umfassend stärken - Drucksachen 17/6920, 17/7800 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Tauber Marlene Rupprecht ({4}) Diana Golze c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Diana Golze, Jan Korte, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die UN-Kinderrechtskonvention bei Flüchtlingskindern anwenden - Die Bundesländer in die Pflicht nehmen - Drucksache 17/7643 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({5}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Diana Golze, Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kinderrechte umfassend stärken und ins Grundgesetz aufnehmen - Drucksache 17/7644 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({6}) Rechtsausschuss Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dörner, Volker Beck ({7}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kinderrechte stärken - Drucksache 17/7187 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({8}) Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dörner, Agnes Malczak, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr - Drucksache 17/7772 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({9}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Marlene Rupprecht für die SPD-Fraktion. ({10})

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor vier Tagen jährte sich zum 22. Mal die Verab17156 Marlene Rupprecht ({0}) schiedung der UN-Kinderrechtskonvention. Deswegen freue ich mich, dass wir in dieser Woche trotz Haushaltswoche zeitnah eine Debatte über die Kinderrechte führen, und zwar über Kinderrechte, die nicht nur international, sondern auch national gelten. Wir sollten einmal schauen, was wir schon gemacht haben und was noch ansteht. In den letzten Jahren haben wir einiges unternommen. Nichtsdestotrotz gibt es noch einige Baustellen. Unter anderem haben wir nach der Rücknahme der Vorbehaltserklärung noch keine Überprüfung aller bestehenden Gesetze auf die neuen Sachverhalte der UN-Konvention vorgenommen. Wir haben das Flüchtlingsrecht, das Asylrecht und das Ausländerrecht nicht daraufhin überprüft, ob es mit dem, was jetzt für uns gültig ist, übereinstimmt. Hier besteht ein großer Anpassungsbedarf. Ich begrüße ausdrücklich die Rücknahme der Vorbehaltserklärung - das habe ich bereits damals in meiner Rede betont -, aber dabei dürfen wir es nicht belassen. Dringend notwendig ist die Überprüfung der bestehenden Gesetze. Seit Jahren besteht Nachholbedarf, wenn es darum geht, Kinderrechte in unserer Verfassung zu verankern. ({1}) Ich finde es ganz toll, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes unsere Verfassung so geschrieben haben, dass sie auch Kinder lesen können. Aber es fällt auf, dass die Kinder darin nicht als Rechtssubjekte enthalten sind. Es ist daher dringend notwendig, ihre Grundrechte an einer Stelle zu verankern, ({2}) und zwar mit den Elementen der UN-Konvention und der EU-Grundrechtecharta. Die Grundrechtecharta ist ja im Prinzip die Verfassung auf europäischer Ebene. Dort sind die Kinderrechte enthalten, nämlich in Art. 24, und zwar genau so, wie wir es gerne hätten, mit den drei Säulen Schutz, Förderung und Beteiligung von Kindern und dem Verweis, dass alles Handeln staatlicher Ebenen und aller Menschen vorrangig das Kindeswohl zu berücksichtigen hat. Dies auch in unser Grundgesetz aufzunehmen, halte ich für dringend angebracht. Ich habe bereits beim letzten Mal gesagt und wiederhole es hier: Wir haben für etwa 200 000 Soldaten einen Wehrbeauftragten in der Verfassung verankert. Für die Kinder gibt es kein entsprechendes Pendant. Ich hätte gerne einen Kinderbeauftragten bzw. eine Kinderbeauftragte - das Geschlecht ist mir egal - in der Verfassung verankert. Wenn wir die gleiche personelle Ausstattung dafür vorsehen würden, wären wir bei 2 800 Mitarbeitern. So viele wollen wir gar nicht. Wir wären mit wesentlich weniger zufrieden. Aber ich möchte nicht, dass es nur ein Sekretariat mit einer Juristin und einer Sekretärin gibt. Wir haben Millionen Kinder unter 18 Jahren in Deutschland; es ist dringend notwendig, dass sich das entsprechend niederschlägt. Warum erwarte ich das? Wir haben im Rahmen der Missbrauchsdebatten festgestellt, dass sich Kinder nie Hilfe geholt haben, weil sie nicht wussten, an wen sie sich wenden können. In anderen Staaten - selbst in Russland - gibt es inzwischen Ombudspersonen für Kinder. Auch wir brauchen Ombudsstellen, und wir sollten sie so verankern, dass es auf Bundesebene einen Kinderbeauftragten bzw. eine Kinderbeauftragte und auch in den Kommunen Ansprechpartner und -partnerinnen gibt, an die sich die Kinder wenden können, wenn sie glauben, dass ihre Rechte verletzt sind. ({3}) Die Diskussionen über Qualität, egal wer sie führt, werden absurd, wenn wir ausgerechnet bei der entsprechenden Unterstützung für die Kinder sparen. Deshalb muss auch eine Debatte über die Qualität der Kinderund Jugendhilfe geführt werden, aber nicht aus fiskalischen Gründen, sondern wegen der Kinderrechte. ({4}) Ich glaube, dass wir für unsere weitere Arbeit eine klare Konzeption der Kinder- und Jugendpolitik im Rahmen eines nationalen Aktionsplans brauchen. Von 2005 bis 2010 hatten wir einen solchen Aktionsplan. Ich bitte darum, dass wir gemeinsam beschließen, dass er für die Bereiche, in denen wir noch handeln müssen, fortgeschrieben wird, damit wir klare Vorstellungen haben und gemeinsam daran arbeiten können. Dies gilt für die Bereiche Gesundheit, Bildung, Absicherung der Existenz, Schutz vor Gewalt, Beteiligung und Beziehungen zu anderen Staaten. Um zu wissen, was tatsächlich erreicht wurde, brauchen wir eine Überprüfung, ein sogenanntes MonitoringVerfahren. Es geht darum, zu wissen, ob das, was wir uns wünschen, auch so umgesetzt ist. Dazu brauchen wir ein von der Regierung unabhängiges Verfahren. Das heißt, es muss extern erfolgen. Ich hoffe, dass wir das hinbekommen, damit wir auf europäischer Ebene regelmäßig Bericht erstatten können und uns nicht davor scheuen müssen. Im Bereich des Kinderschutzes haben wir sehr viel gemacht. Das ist lobenswert. Unsere Arbeit zieht sich jetzt schon über viele Jahre hin. Der Europarat hat 2007 eine Konvention zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch verabschiedet. Wir haben sie gezeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Es ist dringend notwendig, dass diese Konvention ratifiziert wird. Eben weil wir schon ganz viel auf den Weg gebracht haben, müssen wir uns nicht davor scheuen. Eigentlich könnten wir uns auf die Schulter klopfen und uns für das loben, was wir im Haus alle miteinander geschafft haben. Wenn wir solche Veränderungen erreicht haben, warum ratifizieren wir dann nicht diese Konvention? Das ist nicht verständlich. Genauso ist es beim Übereinkommen des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels. Zwar liegt jetzt ein entsprechender Gesetzentwurf vor, aber so kann er nicht verabschiedet werden. Der Gesetzentwurf muss dringend überarbeitet werden, weil er Lücken in der Anpassung der Konvention lässt. Marlene Rupprecht ({5}) Ich finde es schön, dass die Grünen in ihrem Antrag schreiben, dass wir auf einen weiteren Weltkindergipfel hinarbeiten müssen. 2002 hat ein Gipfel stattgefunden; ein weiterer soll bald anstehen. Ich sehe aber nicht, dass sich in dieser Richtung etwas tut. Ich glaube, dass Deutschland da ein Motor sein muss. Wir haben in vielen Bereichen klare Handlungsfelder, die wir beackern müssen. Ich sehe leider nicht, dass dies geschieht. Wir ruhen uns gerne aus, wenn wir etwas gut gemacht haben; das darf man auch ab und zu. Aber wir müssen bei den Punkten, die offen sind, weiterarbeiten. Dazu gehört auch das Kinderrecht im Zusammenhang mit Adoptionen. Über das Thema Auslandsadoptionen diskutieren wir immer nur aus der Perspektive der Menschen, die keine Kinder haben, aber nicht mit Blick auf die Kinderrechte. ({6}) Ich würde mir wünschen, dass wir diese Diskussion auf den Weg bringen. Ich wünsche mir auch, dass man sich nicht immer nur dann für Kinder einsetzt, wenn ein tragischer Fall passiert und es deshalb gerade Thema ist. Man muss sich, so wie wir es heute tun, öfter fragen: Welche Vorstellungen haben wir von der Gesellschaft, von der Welt, in der wir Kinder aufwachsen lassen wollen? Dafür gibt es klare Vorgaben, und zwar in internationalen Übereinkommen, insbesondere im Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Da ist von einer Gesellschaft und einer Welt, die inklusiv ist, die Rede. Das heißt, dass man es zulässt, dass Menschen verschieden sind, und dass wir sie in ihren Stärken unterstützen, damit sie sich entfalten können, dass es aber keinen Selektionsmechanismus geben darf, weder in der Schule noch sonst wo. Wir müssen uns endlich auf den Weg machen und sagen: Das ist nicht nebenbei zu machen. - Diese Sehnsucht mit unseren Kindern zu verwirklichen, bedeutet, dafür zu sorgen, dass wir auch in Europa eine Zukunft haben, eine Zukunft für Kinder und mit Kindern. Das betrifft übrigens auch die neue Jugendstrategie, die der Europarat auf den Weg gebracht hat. Ich würde mir wünschen, dass wir uns der Kampagne zum Schutz der Kinder, die der Europarat gestartet hat, anschließen. Es gibt sogar eine Extrakampagne für Abgeordnete bzw. für das Parlament. Es wäre schön, wenn wir sagen würden: Ja, wir unterstützen diese Kampagne zum Schutz der Kinder. - Sehr viele Punkte, um die es dort geht, sind bei uns übrigens schon in Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. Es wäre gut, wenn ein so großes Land wie Deutschland Vorbild für andere Länder wäre. Wir sollten sagen: Wir haben schon viel getan. Deshalb stehen wir auf der Seite derer, die ebenfalls für den Schutz der Kinder kämpfen. - Mein heutiger Wunsch ist, dass Sie sagen: Ja, wir machen bei der Europaratskampagne der Parlamente mit. Ich hoffe, dass wir es in diesem Haus immer wieder schaffen, den Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass man miteinander debattieren kann, ohne sich niederzumachen, dass man Gegensätze klar benennen kann und die Welt trotzdem konstruktiv mitgestalten kann. Das ist der Grund, warum ich mich mein ganzes Leben lang mit Pädagogik befasst habe und mich nach wie vor für Kinder und Jugendliche einsetze. Ich hoffe, dass wir für all die Projekte, die wir in Angriff nehmen müssen, wieder Ihre Unterstützung bekommen. In diesem Sinne: Danke schön. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Tauber für die Unionsfraktion.

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute wieder über Kinderrechte, und das ist gut. Gut ist auch - vielleicht sogar noch besser -, dass wir nicht nur darüber reden, sondern auch schon das eine oder andere getan haben. Das beginnt bei der Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention durch die christlich-liberale Koalition; ich glaube, wir sind uns alle einig, dass dies ein guter und wichtiger Schritt war. Es geht weiter mit der Feststellung - die wir durch eine entsprechende gesetzliche Änderung getroffen haben -, dass der Krach, den Kinder machen, kein Lärm, sondern Zukunftsmusik ist. ({0}) Es geht weiter über das Kinderschutzgesetz, über das wir diskutiert haben, das in der letzten Legislaturperiode aber leider nicht verabschiedet werden konnte. Wir hoffen, dass die Sozialdemokraten ihm im Bundesrat zustimmen werden. Das jüngste Beispiel ist: Vor vier Tagen, am 20. November - die Kollegin Rupprecht hat darauf hingewiesen -, haben wir den Tag der Kinderrechte gefeiert. Deutschland hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die UN-Generalversammlung ein neues Beschwerdeverfahren für Kinder auf den Weg gebracht hat; auch das ist eine gute Sache. Darüber haben wir in den letzten Plenardebatten und Ausschusssitzungen immer wieder geredet. Warum ist das so wichtig? „Die besten Kinderrechte helfen nichts, wenn sie nur auf dem Papier bestehen“, hat die Ministerin vor kurzem gesagt. Da hat sie recht; denn Kinder müssen in der Tat in die Lage versetzt werden, ihre Rechte aktiv einzufordern. Dazu braucht es ein entsprechendes Verfahren. Wir haben es auf den Weg gebracht bzw. dabei geholfen, es auf den Weg zu bringen. Das ist eine weitere wirklich gute Maßnahme. Frau Kollegin Rupprecht, Sie haben die schöne und plakative Forderung erhoben: Wenn wir schon einen Wehrbeauftragten für die Soldaten haben, dann müsste es auch einen Kinderbeauftragten geben! Die Sache hat aus meiner Sicht einen Haken: Soldaten sind in ihren Grundrechten eingeschränkt; deswegen gibt es einen Wehrbeauftragten. Es ist gut, dass Kinder in ihren Grundrechten nicht eingeschränkt sind. ({1}) Das mag der eine oder andere Jugendliche, der in der Pubertät ist, individuell anders empfinden; aber Gott sei Dank ist es so. Natürlich kann man darüber streiten, ob die Kinderrechte im Grundgesetz separat verankert werden sollten; dazu wird sich der Kollege Geis vielleicht noch äußern. Ich möchte auf einen anderen Punkt eingehen, der immer wieder zu Diskussionen und Streitigkeiten zwischen uns führt. Es geht um die ganz zentrale Frage, ob unser Asylgesetz, ob unsere Ausländergesetze das abbilden, was wir in der UN-Kinderrechtskonvention mittragen, ob Kinder ausländischer Eltern, die nach Deutschland kommen oder die in Deutschland groß werden, hier ihre Rechte gewahrt sehen. Ich habe in dem Wahlkreis, den ich betreue, in der Wetterau, einen Fall: eine junge Frau, im Alter von 5 Jahren aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen, nur mit einer Geburtsurkunde ausgestattet, ohne weitere Papiere - sie hat sie bis heute nicht bekommen -, die von sich aus sagt: Deutschland ist meine Heimat. Ich kenne nichts anderes. - Sie ist hier zur Grundschule gegangen, hat einen Schulabschluss erworben, hat die Berufsschule besucht, spricht perfekt Deutsch und spielt Fußball in einem Fußballverein. Ihr droht die Abschiebung. Da werden Sie sagen: Das ist so ein Fall. Über einen solchen Fall reden wir. Es kann nicht sein, dass eine solche junge Frau, die perfekt integriert ist, abgeschoben werden muss. Die junge Frau wurde gefragt, was ihr größter Wunsch sei. Sie hat drei Wünsche. Der erste Wunsch wäre die Erlaubnis, ein eigenes Bankkonto zu eröffnen. Der zweite Wunsch wäre die Erlaubnis, eine Fahrschule zu besuchen und den Führerschein zu machen. Der dritte Wunsch wäre eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Auch da werden Sie wieder sagen: Genau, so muss das sein. Das muss es doch geben. ({2}) Das Schöne ist - das ist eine gute Nachricht -: Eigentlich geht das alles. Nach dem Gesetz - es hat einen sehr lyrischen Titel, wie unsere Gesetze das immer haben über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet, umgangssprachlich Aufenthaltsgesetz genannt, könnte diese junge Frau einen Aufenthaltsstatus bekommen, könnte den Job, der ihr angeboten wurde, bekommen und wahrnehmen. Das wäre alles kein Problem. Also könnte man sagen: Es gibt für diese junge Frau ein Happy End. Wir, die christlich-liberale Koalition, haben mit diesem Gesetz die Grundlage dafür geschaffen, dass diese junge Frau in Deutschland bleiben kann, weil sie perfekt integriert ist. Die Sache hat nur leider einen Haken. Der Landkreis, geführt von einem sozialdemokratischen Landrat und einer sozialdemokratisch geprägten Kreisverwaltung, möchte nicht, dass diese junge Frau bleibt, und das Gesetz - das ist gut so - räumt der Verwaltung einen Ermessensspielraum ein. Sie kann nach genauer Betrachtung des Falls zu dem Urteil kommen, dass dieser junge Mensch integriert ist und in Deutschland bleiben kann oder eben nicht. Diese Landratsverwaltung und dieser Landrat scheinen sich die Fälle, die auf dem Tisch liegen, nicht genau anzuschauen. Ganz ehrlich: Da hilft das beste Gesetz nicht. Wir reden über Menschen. Wir reden darüber, dass andere Menschen für Menschen Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen. Wir reden nicht nur über Systeme. An dieser Stelle versagt nicht das Gesetz, sondern an dieser Stelle versagt ein sozialdemokratischer Landrat. Das muss man einmal deutlich sagen. ({3}) Diese junge Frau, die einen Arbeitsplatz hat, könnte in Deutschland bleiben, wenn in der Verwaltung Menschen wären, die verantwortlich handelten und dieses Gesetz im Sinne der jungen Frau auslegten. Das müsste man machen. ({4}) - Klarere Gesetze? Frau Marks, Ihr Problem ist Ihre Gläubigkeit ins System. Das ist bei Sozialisten nichts Ungewöhnliches. ({5}) Klarere Gesetze helfen nicht, weil es klarere Gesetze im Umkehrschluss nicht erlauben, auf individuelle Schicksale einzelner Personen Rücksicht zu nehmen. Ich erwarte, dass nach der Verabschiedung eines Gesetzes Menschen auf der Grundlage dieses Gesetz im Sinne der Menschen, die ihnen begegnen, entscheiden. Das können und müssen Beamte leisten. Dafür gibt es Ermessensspielräume. ({6}) Ich wünsche mir, dass die Geschichte dieser jungen Frau ein Happy End findet. Die gesetzlichen Grundlagen dafür haben wir geschaffen. Das ist eine gute Nachricht für Kinder mit Migrationshintergrund in diesem Land. Deswegen ist diese Frage positiv beantwortet. Sie können sicher sein, dass wir uns um das Thema Kinderrechte weiterhin engagiert kümmern werden. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Diana Golze für die Fraktion Die Linke.

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 20. November 1989 hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte der Kinder, die sogenannte UN-Kinderrechtskonvention, verabschiedet. Ich finde es gut, dass der Bundestag heute in zeitlicher Nähe zu diesem Jahrestag diese Debatte führt, weil es ein guter Anlass ist, zu fragen, wie weit wir mit der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland sind. Regelmäßig muss auch Deutschland einen Staatenbericht an den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes abgeben, und regelmäßig holt sich Deutschland dort einen Rüffel ab, wie ich finde, zu Recht. Dafür gibt es viele Gründe. Ich will einige Beispiele nennen. Erstens. Die Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention sind schon angesprochen worden. Deutschland hat sich bei der Ratifizierung vorbehalten, weiterhin Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen. Bezogen auf das Beispiel der UN-Kinderrechtskonvention heißt das, dass man auch 16- und 17-jährige minderjährige Flüchtlinge in Deutschland wie Erwachsene behandelt. ({0}) Es wird also danach unterschieden, wie alt sie sind und welchen Pass sie haben. Minderjährige Flüchtlinge, die mit 16 oder 17 in unser Land kommen, haben also das Problem, Herr Tauber, dass sie wie Erwachsene behandelt werden. Das heißt, sie haben im Asylverfahren keinen Rechtsbeistand. Oft verstehen sie die Sprache nicht und bekommen Briefe, die sie zwar öffnen, aber nicht lesen und verstehen können. Pro Asyl beschreibt Fälle, in denen die Betroffenen keinen Widerspruch eingelegt haben, weil sie nicht einmal wussten, dass es die Möglichkeit gibt, gegen einen negativen Bescheid im Asylverfahren Widerspruch einzulegen. Sie werden in Sammelunterkünften untergebracht. Sie werden sogar in Abschiebehaft genommen, und sie haben keine ausreichenden Ansprüche auf Bildung, Jugendhilfe und eine ausreichende gesundheitliche Versorgung. Ich finde, dass es Aufgabe des Bundestages ist, dafür zu sorgen, dass allen Menschen ihre Würde erhalten bleibt, ({1}) dass sie auch in einem Asylverfahren als vollwertige Menschen akzeptiert werden und dass sie die Unterstützung bekommen, die ihnen nach der UN-Kinderrechtskonvention zusteht. Das ist in Deutschland auch nach der Rücknahme des Vorbehaltes nicht der Fall. Sie brauchen nicht den Kopf zu schütteln. ({2}) Die Rücknahme des Vorbehaltes zur UN-Kinderrechtskonvention war nichts weiter als eine Showveranstaltung, solange ihr nicht auch gesetzliche Änderungen im Asyl- und Sozialrecht folgen. ({3}) Zweites Beispiel. Auch bei jüngeren Kindern werden im Übrigen nach wie vor Unterschiede gemacht. Meine Fraktion hat einen Bericht vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales angefragt und auch erhalten. Am 22. November sind wir über die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket informiert worden. Es ging auch um die Frage, ob sie Kindern von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern gewährt werden. Es stellte sich heraus, dass sie nicht flächendeckend und im Freistaat Sachsen gar nicht zur Verfügung gestellt werden. Der Freistaat Sachsen hat mitgeteilt, er gehe davon aus, dass die Kommunen die Leistungen Kindern von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern nicht zur Verfügung stellen. Ich finde, das ist ein Skandal. ({4}) Das Bildungs- und Teilhabepaket ist schon an sich ein Problem, weil es eben nicht für alle Kinder den Zugang zu Bildung und Teilhabe an der Gesellschaft sichert. Aber es kann doch nicht wahr sein, dass nicht einmal dieses Wenige an Kinder von Asylbewerberinnen und Asylbewerber ausgegeben wird. Das verstößt eklatant gegen die UN-Kinderrechtskonvention und gegen die Würde dieser Kinder. ({5}) Drittes Beispiel. Bereits mehrfach wurde Deutschland vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes aufgefordert - das liegt Ihnen schriftlich vor -, die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz zu prüfen. Wir haben das schon oft debattiert. Hierzu liegen drei Anträge der Oppositionsfraktionen vor. Wenn Sie sagen, Herr Tauber, dass die Regierung auch hier weiter handeln möchte, frage ich Sie: Wo sind Ihre Anträge? Wo sind Ihre parlamentarischen Initiativen dazu? Ich muss mir schon im Ausschuss sagen lassen, dass es eine Instrumentalisierung von Schülern ist, wenn man mit ihnen über das Grundgesetz und die Rolle spricht, die sie darin einnehmen. Ich frage mich: Wo bleiben Ihre Initiativen? Sie machen nicht einmal eine Initiative zum Individualbeschwerderecht, auf das Sie sich in Ihrem Koalitionsvertrag verständigt haben. Dass ein entsprechender Antrag vorliegt, haben wir den Grünen zu verdanken. Von Ihrer Seite kam dazu nichts. ({6}) Ich möchte auch ansprechen, wie doppelzüngig sich gerade die Unionsfraktion hier verhält. Denn aus den Bundesländern liegen Bundesratsinitiativen vor, zum Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, die von anderen Bundesländern unterstützt werden und die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz fordern. In Mecklenburg-Vorpommern wurde der Antrag von der SPD, den Linken und der CDU gestellt. Im Bundesland Brandenburg mit einer rot-roten Regierung hat die CDU einem solchen Antrag vor genau zwei Wochen zugestimmt. ({7}) Warum werden dann solche Initiativen hier im Bund von Ihnen blockiert und abgelehnt? Ich verstehe nicht, warum Sie hier mit gespaltener Zunge sprechen. ({8}) Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte es zusammenfassend noch einmal betonen, weil man es gar nicht oft genug sagen kann: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. - Sie haben ein Recht auf mehr als das, wozu ihre Eltern laut Grundgesetz verpflichtet sind, nämlich zu Pflege und Erziehung. Wir, die Opposition, fordern hier in allen drei Anträgen wiederholt: Kinder müssen das Recht auf Schutz, auf Förderung, auf Beteiligung und auf den Vorrang des Kindeswohls bei allen staatlichen Entscheidungen haben. Das vermisse ich nach wie vor, und es wird Zeit, dass sich hier endlich etwas ändert. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Schutz der Kinder und die Wahrung ihrer Rechte sind für uns natürlich ganz zentrale Aufgaben, und ich freue mich, dass hier durchaus auch eine Initiative der Opposition zu sehen ist. Nur - Frau Rupprecht, Sie haben es eingangs gesagt -: Wir sollten das tun, was am nächsten liegt. Wir sollten uns um das kümmern, was ansteht. Hier muss ich sagen: Aus unserer Sicht steht nun einmal zuerst ganz deutlich und ganz klar an, dass das Kinderschutzgesetz auch vonseiten der Bundesländer angenommen wird und dass wir diesem Gesetz auch zu seiner Wirksamkeit verhelfen. Den Gesetzentwurf haben wir ja weitgehend gemeinsam auf den Weg gebracht Die Opposition war hier vielleicht etwas zurückhaltend, aber durchaus auch der Meinung, dies solle Realität werden. Das steht morgen an. Insofern, denke ich, ist hier ein Signal von uns allen gefordert, aber ganz wesentlich auch von der Opposition. Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir diese Diskussion hier führen. Ich glaube, wir haben mit dem Kinderschutzgesetz ein Signal für Deutschland gesetzt, das beispielgebend sein soll und sicherlich auch weiterentwickelt werden muss. Dieses Signal besagt, dass der Kinderschutz, der Schutz des kleinen Kindes bis hin zum Schutz des Jugendlichen, eine ganz zentrale Aufgabenstellung für uns ist. Wir haben die Prävention dabei vor alles andere gestellt. An erster Stelle steht die Prävention. Wichtig sind aber auch Maßnahmen der Hilfe und, wenn es nicht anders geht, die Intervention, damit Kinder, die in Not sind, tatsächlich eine echte Hilfe finden. Wir wollen damit die Akteure stärken, sodass gerade die Eltern Unterstützung finden. Aber auch Kinderärzte, Jugendämter und Familiengerichte müssen als Netz in enger Abstimmung miteinander Sorge für das Kindeswohl und den Kindesschutz tragen. Ich glaube, insofern haben wir etwas auf den Weg gebracht, dessen Anwendung und Umsetzung interessant sein wird. Wir haben frühe Hilfen installiert, und wir wollen, dass durch die sogenannten Familienhebammen tatsächlich eine frühe Ansprache von Familien erfolgt, die sich in einer Problemlage befinden, die unsicher sind, in denen das Kind vielleicht nicht wirklich angenommen wird. Hier muss ein Zugang erreicht werden, sodass eine frühe Unterstützung durch das Netz möglich ist, wodurch den Familien auf einen guten Weg geholfen und insbesondere den Kindern der Weg ins Leben eröffnet werden kann. Das Jugendamts-Hopping haben wir ausgeschlossen. Wir wollen, dass die fachliche Begleitung der Familien fortlaufend gewährleistet ist. Daneben haben wir zum Beispiel auch die Befugnisnorm für Berufsgeheimnisträger entsprechend geändert, sodass die Informationsweitergabe an das Jugendamt möglich ist. Wir haben also die ganz klare Aussage gemacht: Wo Kinder Schutz brauchen, sollen sie ihn bekommen. Ich kann hier nur an Sie appellieren, dass der Bundesrat diesem wegweisenden Gesetz morgen tatsächlich zustimmt, sodass hier in Deutschland ein einheitliches Signal für die Familien und für die Kinder gegeben wird. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ich freue mich, dass wir heute Abend wieder über die Kinderrechte debattieren können. Ich finde es rund um den 20. November, den Kinderrechtetag der Vereinten Nationen, und auch grundsätzlich angesichts der Bedeutung des Themas sehr wichtig und richtig, dass das heute wieder gelungen ist. Ich habe in unserer Debatte vor rund zwei Monaten länger darüber gesprochen, warum wir als grüne Fraktion es richtig und sehr wichtig fänden, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Ich habe auch darüber gesprochen, warum wir es sehr bedauerlich finden, dass die Ministerin den Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland so sang- und klanglos beerdigt hat. Aber ich denke, dass die Kinderrechte bei dieser Bundesregierung nicht ganz oben auf der Agenda stehen, ist hinlänglich bekannt. Darauf muss man nicht lange verweisen. Ich möchte heute ein anderes Thema in den Fokus rücken, nämlich die Tatsache, dass es leider in der Bundesrepublik immer noch möglich ist, Minderjährige für die Bundeswehr zu rekrutieren. Rund tausend 17-Jährige werden jedes Jahr in die Bundeswehr aufgenommen und dort auch an der Waffe ausgebildet. 17-Jährige sind nach der Definition der UN-Kinderrechtskonvention Kinder und stehen damit unter einem ganz besonderen Schutz. Ich bin der Ansicht, dass die Bundesregierung diesem Schutz nicht gerecht wird, solange die Rekrutierung Minderjähriger weiter erlaubt ist. ({0}) Leider hat sich die Forderung „Straight 18“ bei den Verhandlungen über das „Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend der Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten“, das auch Deutschland ratifiziert hat, nicht durchgesetzt. Die Länder können für sich selber festlegen, ab welchem Alter Kinder bzw. Minderjährige rekrutiert werden können. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich auf das Alter von 17 Jahren festgelegt. Hierfür gibt es aus meiner Sicht überhaupt keine überzeugenden Gründe. Deutschland hat seit Anfang des Jahres den Vorsitz der Arbeitsgruppe „Kinder in bewaffneten Konflikten“ des UN-Sicherheitsrates inne und ist aus meiner Sicht dringend aufgefordert, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Andere europäische Länder haben offensichtlich keine Probleme damit, auf die Rekrutierung Minderjähriger zu verzichten. Das machen unter anderem - ich nenne nur einige - Spanien, Portugal, Dänemark, Finnland, Schweden, Norwegen, die Schweiz, Belgien, die Tschechische Republik, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Lettland und Litauen. Und bei uns soll die Bundeswehr auf Minderjährige angewiesen sein? Das ist doch absurd. ({1}) Insgesamt müssen wir bei der Werbung für die Bundeswehr bei Minderjährigen, insbesondere was Schulen angeht, sehr kritisch hinschauen. Eigentlich darf Werbung an Schulen gar nicht stattfinden, aber der aktuelle „Schattenbericht Kindersoldaten“ von UNICEF, Terre des Hommes, missio und der Kindernothilfe dokumentiert leider sehr eindrucksvoll, dass Werbung selbst für Auslandseinsätze an Schulen faktisch stattfindet. Ich finde das wirklich indiskutabel. Ich höre ab und an das Argument, die Bundeswehr brauche jetzt, da sie eine Freiwilligenarmee sei, auch andere Rekrutierungswege. Das stimmt auch. Aber gerade angesichts des gestiegenen Rekrutierungsdrucks darf der Schutz der Jugendlichen nicht unter die Räder kommen, und da sind wir tatsächlich in der Pflicht. Der „Schattenbericht“ befasst sich noch mit einem weiteren sehr wichtigen Aspekt, und zwar - das ist schon angesprochen worden - mit Kindern und Jugendlichen, die als unbegleitete Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Nicht selten - das hat meine Kollegin Diana Golze schon ausgeführt - sind diese jungen Menschen in ihren Herkunftsländern sogar selbst als Kindersoldaten missbraucht und auf unvorstellbare Art und Weise traumatisiert worden. Diese jungen Menschen kommen zu uns, suchen hier Schutz und müssen erleben, dass auch in Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention für sie nicht vollständig gilt. Sie werden im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt, sie können in Abschiebehaft genommen und gar in Sammelunterkünfte gesteckt werden. Sie haben keine Ansprüche auf Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz. Kindeswohlbelange - das muss man einfach konstatieren spielen an der Stelle offenbar keine Rolle, und das, obwohl Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention, wonach das Kindeswohl immer vorrangig zu berücksichtigen ist, selbstverständlich auch für Flüchtlingskinder gelten muss. ({2}) Die Rücknahme der Vorbehaltserklärung, die wir alle begrüßt haben - wir alle fanden sie richtig -, reicht nicht aus. Lassen Sie die Rücknahme nicht zur Symbolpolitik verkommen. Lassen Sie Änderungen im Asyl-, Ausländer- und Sozialrecht folgen, damit dieser für die Bundesrepublik wirklich unwürdige Zustand endlich beendet wird. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Norbert Geis das Wort. ({0})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz ist genannt worden. Frau Rupprecht und auch andere haben etwas dazu ausgeführt. Diese Forderung ist auch in den Anträgen enthalten, die heute zur Entscheidung vorliegen. Frau Rupprecht, die Rechte der Kinder sind bereits im Grundgesetz verankert. ({0}) Jedes Kind hat Grundrechte, wie auch jeder andere Mensch. Ein Kind hat nicht mehr und nicht weniger Grundrechte, aber es hat Grundrechte. Das gilt beispielsweise für Art. 1 des Grundgesetzes. Selbstverständlich gilt das Grundrecht hinsichtlich der Würde des Menschen für jeden, der in Deutschland lebt, egal ob er Ausländer ist oder nicht, welche Religion er hat, welcher Herkunft er ist, egal ob er alt oder jung ist, selbst ob er geboren oder nicht geboren ist. Jeder Mensch hat das Recht auf Achtung seiner Würde. Das Gleiche gilt für Art. 2 des Grundgesetzes, nämlich für das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Leben. ({1}) Dieses Recht gilt für alle Kinder, für alle Menschen, die in Deutschland leben. Das kann nicht stärker ausgedrückt werden. Dieses Recht gilt sowohl für geborene als auch für ungeborene Kinder - das sollten wir nicht vergessen -, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinen zwei Urteilen, nämlich am 25. Februar 1975 und am 28. Mai 1993, festgestellt hat. Das Recht auf Leben gilt für Geborene und Ungeborene, ob in der Petrischale oder im Mutterleib. ({2}) Dieses Recht ist bei uns fest im Grundgesetz verankert. Deshalb meine ich, dass diese Forderung eigentlich ins Leere geht; denn diese Rechte sind schon vorhanden. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch etwas erwähnen - das steht in dem Antrag der Grünen -, nämlich die Forderung, dass eine Ergänzung des Art. 6 des Grundgesetzes erfolgen soll. Der Art. 6 des Grundgesetzes normiert das Recht der Eltern, ihre Kinder selbst erziehen zu dürfen. Das steht so in Art. 6 des Grundgesetzes. Die Grünen verlangen nun, dass die Kinder ein Recht auf Erziehung und Pflege gegenüber ihren Eltern haben sollen. Richtig, das steht so nicht im Grundgesetz.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Geis, gestatten Sie eine Frage der Kollegin Rupprecht?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte diesen Gedanken noch zu Ende bringen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 1. April 2008 festgestellt, dass das Recht der Eltern, ihre Kinder selbst erziehen zu dürfen, mit dem Recht der Kinder auf Erziehung gegenüber ihren Eltern korrespondiert. Die Kinder haben nach diesem Urteil ein einklagbares Recht auf Erziehung. Damit ist diese Frage eigentlich erledigt. Deswegen kann ich nicht erkennen, dass eine Änderung des Grundgesetzes notwendig ist. ({0}) - Es geht auch um andere Rechte. Sie könnten jetzt das ganze Grundgesetz durchgehen, aber dann würde die Zeit nicht reichen. Ich habe drei Punkte herausgearbeitet, insbesondere Art. 6 des Grundgesetzes, der eigens in dem Antrag der Grünen steht. Deswegen komme ich auf diesen Artikel zu sprechen. Eine Änderung ist hier nicht notwendig. Dies wäre sonst eine Doppelung von Grundrechten in unserer Verfassung. Ich weiß, dass die CDU in den Ländern anderer Meinung ist. Auch in der CSU gibt es andere Meinungen. Ich weiß, dass die bayerische Justizministerin hier anderer Meinung ist. Aber ich meine, es ist nicht erforderlich.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Jetzt kann die Kollegin Rupprecht ihre Frage stellen.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie wissen, dass eine Verfassung immer Ausfluss einer gesellschaftlichen Wertehaltung ist. Ein Entwurf unserer Verfassung beinhaltete ursprünglich die Kinderrechte, er ist verworfen worden. Letztlich wurden diese Rechte nicht in das Grundgesetz aufgenommen. Man hat bis 1968 geglaubt, dass Kinder Objekte sind, die den Eltern gehören. Erst das Bundesverfassungsgericht hat 1968 eindeutig klargestellt: Auch Kinder sind Grundrechtsträger. Herr Geis, Sie haben natürlich recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass mit Grundrechtsträgern auch Kinder gemeint sind. Das bestreitet niemand. Die entscheidende Frage ist aber, ob wir im 21. Jahrhundert, wo Kinder als Subjekte gesehen werden, unsere Verfassung aus dem 20. Jahrhundert, wo Kinder als Objekte betrachtet wurden, endlich entsprechend anpassen, damit jeder, der unsere Verfassung liest, erkennt, dass sich ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen hat, weg vom Objekt Kind hin zum Subjekt Kind mit eigenen Rechten; darum geht es. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob eine Verfassung in solch grundlegenden Dingen nicht auch den Wertewandel und die veränderte Sichtweise wiedergeben muss. Wir stellen entsprechende Anträge, um das deutlich zu machen. Herr Geis, Sie sind Jurist und wissen in dieser Beziehung sicherlich sehr genau Bescheid. ({0}) - Nein, ich muss nicht fragen. Ich kann laut Geschäftsordnung des Bundestages auch einen Kommentar abgeben. Für mich ist entscheidend, ob wir es gemeinsam schaffen, dies zu verankern. Vielleicht gehen Sie in Ihrer Fraktion noch einmal in die Meinungsbildung. Ich gebe zu bedenken: Staaten, deren Verfassungen jüngeren Datums sind, haben solche Rechte bereits aufgenommen, während Staaten, deren Verfassungen älteren Datums sind, das noch nicht getan haben.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich nehme die Meinung, die Sie hier vortragen, durchaus ernst. Ich wische sie nicht einfach vom Tisch, zumal sie auch in den Reihen meiner Fraktion vertreten wird, wie ich ausgeführt habe. Ich selbst bin aber nicht Ihrer Meinung, dass 1948/49, als die Väter und Mütter unserer Verfassung das Grundgesetz verfasst haben, das Kind als Objekt betrachtet wurde. In unserer Verfassung ist häufig der Satz zu lesen: „Jeder hat das Recht“, zum Beispiel auf Schutz der Menschenwürde. Das bedeutet, dass auch jedes Kind das Recht hat. Ich stimme Ihnen zu, dass im Lauf der Zeit weitere Aspekte aus der Verfassung heraus entwickelt worden sind. Das Bundesverfassungsgericht muss feststellen, ob die vorgetragenen neuen Aspekte dem Sinn und der Motivation unserer ursprünglichen Verfassungsgeber entsprechen. Wenn das der Fall ist, kann das Bundesverfassungsgericht das Ganze weiterentwickeln. Das hat es schon getan. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass Kinder laut unserer Verfassung Grundrechtsträger sind. Vielleicht meinen Sie, Frau Rupprecht, dass wir uns mehr Gedanken darüber machen sollten, wie wir aufgrund unserer Verfassung Kinderrechte mehr normieren können; dabei handelt es sich aber um Gesetze unterhalb der Verfassung. Wenn Sie das meinen, stimme ich mit Ihnen überein; darüber kann man ständig diskutieren. Aus dem Grundrecht auf Erziehung durch die Eltern folgt natürlich das Recht des Kindes, dass der Staat die Familien unterstützt und dass die Eltern Erziehungskompetenz haben. Aber der Staat darf sich nicht einbilden, dass er das Primat der elterlichen Fürsorge an sich ziehen kann. Das wäre der falsche Weg. - Ich weiß, Frau Rupprecht, dass Sie das nicht befürworten. Ich wollte nur darauf hinweisen. Der Staat hat nur eine Wächterfunktion. Er muss eingreifen, wenn die Rechte der Kinder nicht gewahrt sind. Wenn die Eltern nicht entsprechend ihrem Auftrag nach Art. 6 des Grundgesetzes handeln, kann der Staat aufgrund seiner Wächterfunktion eingreifen. Aber er darf das Recht der Eltern nicht an sich ziehen; denn hier geht es um das Recht der Kinder auf Erziehung durch die Eltern. Manchmal entsteht in der öffentlichen Diskussion der Eindruck, dass Kinder vor ihren Eltern geschützt werden müssten. Laut Statistik ist das aber nur in maximal 5 Prozent der Fälle so. Der Rest der Eltern will die Kinder liebend umhegen. Es gibt niemanden, der die Kinder besser liebend umhegen und für sie sorgen kann als die eigenen Eltern. ({0}) - Da sind wir völlig einer Meinung. - Das kann natürlich auch die Kita nicht leisten. Deswegen muss der Staat - jetzt komme ich zu einem Punkt, in dem Sie mir nicht ganz zustimmen - dafür sorgen, dass die Eltern in der Lage sind, ihre Kinder entsprechend zu erziehen. ({1}) Das sind sie oft nicht, weil sie zur Arbeit gehen müssen, weil sie Geld dazuverdienen müssen. Das ist der eigentliche Grund - daran kommen wir nicht vorbei - für das Betreuungsgeld. Deswegen verstehe ich nicht, warum wir hier so auseinander sind, warum hier oft mit viel Polemik argumentiert wird. Man kann wahrscheinlich verschiedener Meinung sein; das ist auch in meiner eigenen Fraktion der Fall. Ich bin der Meinung, dass es ein Menschenrecht des Kindes gegenüber dem Staat ist, dass es in den ersten zwei Jahren von seinen Eltern erzogen wird. Da hat der Staat nicht hineinzureden. Der Staat hat aber die Aufgabe, das zu ermöglichen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es tut mir leid. Das geht jetzt nicht mehr, weder mit Zwischenbemerkungen noch mit Zwischenfragen. Der Kollege Geis hat bestimmt bemerkt, dass ich ihn schon mahne. ({0})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sehe es hier aufleuchten: „Präsident“. „Frau Präsidentin“ müsste es jetzt eigentlich heißen. - Ich habe das zu respektieren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe noch vieles in meinem Konzept: über Kinderschutz, über sexuelle Gewalt, über die grundsätzliche Frage des Jugendschutzes. Seit 1951 haben wir das Jugendschutzgesetz; das darf man nicht vergessen. Wir haben 2000 - damals noch mit Frau Däubler-Gmelin - das Recht auf gewaltlose Erziehung ins BGB eingefügt. Ich hätte also noch einige Punkte vorzutragen, aber ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bedanke mich bei der Präsidentin dafür, dass sie so lange Geduld hatte. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Bracht-Bendt. ({0})

Nicole Bracht-Bendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004016, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als die Vereinten Nationen vor genau 22 Jahren in der Vollversammlung das Übereinkommen über die Rechte von Kindern einstimmig verabschiedeten, fiel eine überfällige Entscheidung. Es ist wichtig, dass wir jedes Jahr diesen Tag zum Anlass nehmen, um uns kritisch mit den Kinderrechten in Deutschland und in der Welt auseinanderzusetzen. Hier brauchen wir den Blick gar nicht nur auf Missstände in anderen Ländern zu richten; hier liegt auch in Deutschland noch einiges im Argen. Ich denke an alltägliche Fälle, zum Beispiel an Scheidungsverfahren, von denen Kinder häufiger betroffen sind. Um deren Wohlergehen geht es allerdings weniger. Vielmehr ist es Ziel der beteiligten Anwälte, den Streit zwischen Vätern und Müttern zu schlichten und deren Interessen zu vertreten. Es geht um Geld und, wenn Kinder da sind, um Sorgerecht. Als Vorsitzende der Kinderkommission habe ich gerade zu diesem Thema Sachverständige in die Kinderkommission eingeladen. Übereinstimmend bestätigten die Experten, dass bei Scheidungen überwiegend aus Sicht der Eltern verhandelt wird. Absprachen, geschweige denn eine enge Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Richter, gibt es in den seltensten Fällen. Hier fangen für mich Kinderrechte an. Wir alle sind gefordert, mehr als bisher die Auswirkungen - sei es von Gesetzen oder im ganz persönlichen Bereich bei einer Trennung - aus dem Blickwinkel von Kindern zu hinterfragen. ({0}) Das Wohl der Kinder muss bei allen politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen im Vordergrund stehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Beschluss der Generalversammlung der Vereinten Nationen, ein Individualbeschwerderecht für Kinder einzuführen, begrüßt die FDP-Bundestagsfraktion ausdrücklich. ({1}) - Genau. - Die FDP setzt sich seit langem dafür ein. Rechte sind nichts wert, wenn sie nicht eingefordert werden können. Der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen kann durch das neue Verfahren nicht nur individuelle Beschwerden von Kindern und Mitteilungen von Staaten über die Missachtung von Kinderrechten entgegennehmen, sondern auch aus eigener Initiative systematische Verletzungen der Kinderrechtskonvention untersuchen. Wir legen dabei besonderen Wert auf ein kindgerechtes Verfahren. Kinder und Jugendliche müssen die Möglichkeit haben, sich zu äußern, und auch angehört werden. ({2}) Hier wird Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. Die christlich-liberale Koalition hat schon im Koalitionsvertrag angekündigt, die Kinderrechte zu stärken. Die Bilanz kann sich sehen lassen: Aufgrund einer Initiative der FDP-Bundestagsfraktion wurde nach 20 Jahren endlich die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen. Kinder haben ein Recht auf kindgerechtes Aufwachsen. Kinderlärm ist deshalb seit diesem Jahr kein Grund mehr zur Klage und kann nicht länger mit Industrielärm gleichgesetzt werden. ({3}) Vor kurzem haben wir im Bundestag das erste Bundeskinderschutzgesetz Deutschlands verabschiedet. Dieses Gesetz vernetzt alle Handelnden im Kinder- und Jugendschutz. Auf Betreiben der FDP wurde der Schwerpunkt auf Prävention gelegt. Was die von den Oppositionsfraktionen geforderte Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz betrifft, bleiben wir bei unserem Standpunkt. Es ist doch klar, dass das Grundgesetz nicht nur die Belange der Erwachsenen, sondern auch die der Kinder berücksichtigt. Noch ein Wort zum Antrag der Fraktion Die Linke zur UN-Kinderrechtskonvention bei Flüchtlingskindern. Darin heißt es wörtlich: Den staatlichen Umgang mit Flüchtlingskindern in Deutschland bestimmt … nicht die Sorge um … Entwicklungschancen der Kinder, sondern ein von Misstrauen geprägtes nationalstaatliches Abwehrdenken mit dem Ziel, unerwünschte Einwanderung und Zuflucht möglichst effektiv zu verhindern. Das ist harter Tobak, eine Diffamierung. Diese Worte zeugen von einem Weltbild, das leider ein gemeinsames Vorgehen zur Stärkung der Rechte von Kindern unmöglich macht. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Eckhard Pols das Wort. ({0})

Eckhard Pols (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Exkanzler Helmut Kohl hat einmal gesagt: Ein Land mit Kindern ist ein Land mit Zukunft. - Das hat nichts an Wertigkeit verloren und ist zum Leitbild unserer Familienpolitik geworden. Kinder sind unsere Zukunft, und deshalb müssen wir ihre Rechte achten, schützen und auch stärken. Darum geht es in der heutigen Debatte anlässlich des Jahrestages der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Wir wollen für Kinder in allen Bereichen kindgerechte Lebensverhältnisse schaffen. Wir wollen die Rechte von Kindern stärken und im Bewusstsein der Erwachsenen verankern. Wir wollen Kinder und Jugendliche von Beginn an stärker beteiligen und sie dort einbeziehen, wo ihre Lebenswelt berührt ist. Dies haben wir schon 2009 im Koalitionsvertrag festgelegt. Erfolgreiche Impulse haben wir mit dem Nationalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005 bis 2010“ gesetzt. Frau Rupprecht ist schon darauf eingegangen, dass dies in sechs Handlungsfeldern gebündelt wurde. Nun geht es aber darum, die aus dem NAP gewonnenen Erkenntnisse in den Alltag von Kindern und Jugendlichen zu transferieren. Zwar endete der NAP im Jahre 2010, jedoch nicht der Prozess, der damit auf allen gesellschaftlichen Ebenen angestoßen wurde. Meine Damen und Herren, die Stärkung von Kinderrechten und die Schaffung von mehr Kindergerechtigkeit durch Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist eine dauerhafte Aufgabe, die man nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt als erledigt einstufen kann. Das bedeutet: Auch wenn die aktuelle Gesetzeslage der UN-Kinderrechtskonvention entspricht, so gibt es doch stets Verbesserungsbedarf, um die Kinderrechte in Deutschland weiter zu festigen. Mit der Forderung einer Weiterführung des NAP von SPD und Grünen verkennt die Opposition wieder einmal die Tatsache, dass die Kompetenz des Bundes darauf beschränkt ist, Anstöße zu geben, um modellhaft Verfahren zu erproben. Diese Einschränkung ist dem föderalen System in Deutschland geschuldet. Entscheidend ist daher die Umsetzung vor Ort; das heißt, Kindergerechtigkeit und Kinderfreundlichkeit fangen zu Hause an. Deshalb möchte ich die Länder und Kommunen ermutigen, sich mit Aktivitäten auf ihrer Ebene für eine Stärkung der Kinderrechte und ein kinderfreundliches Umfeld einzusetzen. Auch ich möchte das Zitat unserer Bundesfamilienministerin bemühen: „Die besten Kinderrechte helfen nichts, wenn sie nur auf dem Papier bestehen.“ Dem kann man nur zustimmen. Vor diesem Hintergrund ist es sehr fragwürdig, ob die von der Opposition schon seit mehreren Jahren geforderte Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz tatsächlich zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen führen würde. Die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz würde dem Kind nicht mehr Rechte zubilligen, als es nach dem geltenden Recht schon hat. Schon in der jetzigen Fassung hat jedes Kind eine eigene Subjektstellung. Eine Ergänzung des Grundrechtekatalogs hätte primär betrachtet eine reine Symbolwirkung. Wichtiger wäre jedoch konkretes Handeln durch einfache Gesetzgebung. Deswegen ist es richtig, dass wir endlich das so dringend benötigte Bundeskinderschutzgesetz beschlossen haben, das von der SPD in der letzten Legislaturperiode noch blockiert wurde. Aber bei der letzten Abstimmung Ende Oktober hat sich die SPD - wie auch die anderen Oppositionsparteien - enthalten. Nun fragt man sich wirklich: Wie ernst wird das Thema Kinderschutz in deren Reihen genommen? Mit dem Bundeskinderschutzgesetz haben wir eine neue Qualität im Kinderschutz erreicht, indem wir gleichermaßen auf Prävention und Intervention setzen. Kinder werden in allen Lebensbereichen besser vor Vernachlässigung, Misshandlung und Verdrängung von Entwicklungsdefiziten geschützt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Pols, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Golze? ({0})

Eckhard Pols (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es tut mir leid, aber Sie werden sich noch ein paar Minuten länger mit Kinderrechten befassen müssen.

Eckhard Pols (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist schön, Frau Golze.

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Pols, ich freue mich, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Es ging um das Kinderschutzgesetz und darum, wie sich die Opposition hier im Bundestag dazu verhalten hat. Es ist richtig, ich glaube, alle drei Fraktionen haben sich bei diesem Gesetz enthalten, und dafür haben wir alle ähnliche Gründe angeführt. Zu diesen Gründen gehörte erstens die Implementierung der Familienhebammen. Hier haben wir gesagt, dass das eigentlich in den Gesundheitsbereich gehört und auf Dauer angelegt sein müsste, nicht nur als Modellprojekt. Als zweiten Grund haben wir genannt, dass die Kommunen das Ganze auch irgendwie umsetzen können müssen. Sie müssen es finanzieren können. Das sind genau die beiden Gründe, weshalb morgen im Bundesrat der Fachausschuss empfehlen wird, zu diesen beiden Punkten eine Runde im Vermittlungsausschuss zu drehen. Diese Forderung wird auch von CDUgeführten Bundesländern getragen. Wie erklären Sie sich - wenn es doch ein so tolles Gesetz ist -, dass die Bundesländer das so nicht mittragen wollen? Das hat nicht nur etwas mit einer Verweigerungshaltung der Opposition im Bundestag zu tun, sondern damit, dass dieses Gesetz zwar ein netter Versuch ist, aber nicht gut gemacht. ({0})

Eckhard Pols (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Golze, ich habe ja nicht gesagt, dass Sie sich verweigert haben. Ich habe nur gesagt, dass sich die oppositionsregierten Länder der Sache verweigern. Natürlich ist es richtig, dass die Kommunen gestärkt werden sollen. Dahin kommen wir auch. Es geht aber grundsätzlich darum, dass wir zunächst einmal ein Gesetz schaffen und es auf den Weg bringen. Die Kinder, um die es in dem Bundeskinderschutzgesetz eigentlich geht, stehen nicht besser da, wenn wir immer nur reden. Sie müssen doch erkennen, dass wir endlich einen Schritt nach vorne kommen müssen und nicht nur ständig diskutieren können. Dieses Gesetz diskutieren wir nun schon seit sechs oder sieben Jahren. In der letzten Legislaturperiode ist es - das habe ich schon gesagt an der SPD gescheitert. Jetzt haben wir es auf den Weg gebracht. Sie haben sich enthalten, vermutlich, weil Sie dieses Gesetz im Sinne der Kinder wollen. Es kann aber doch nicht sein, dass Sie einem wunderbaren Gesetz nicht zustimmen, nur weil es aus der Regierungskoalition kommt. ({0}) Frau Dörner, ich möchte noch ein Wort zu Ihnen verlieren. Sie haben dargestellt, dass Kinder bei der Bundeswehr mit 17 rekrutiert würden. Es mag richtig sein, dass sie mit 17 an der Waffe ausgebildet werden können. Sie werden aber nicht rekrutiert, sondern sie gehen - wenn überhaupt - dann freiwillig und nur mit der Zustimmung der Eltern zur Bundeswehr, solange sie noch keine 18 sind. ({1}) Sie haben hier den Eindruck vermittelt - weil hier die Öffentlichkeit zuhört -, dass diese Kinder mit 17 eventuell in Auslandseinsätzen eingesetzt würden. ({2}) So hat sich das aber in Ihrer Rede angehört, und dem möchte ich massiv widersprechen, ebenso der Gleichsetzung Jugendlicher, die mit 17 zur Bundeswehr gehen, mit Kindersoldaten, wie wir sie aus Entwicklungshilfeländern kennen. ({3}) Das ist nicht in Ordnung. In der Bundeswehr werden eventuell Kinder mit 17 an der Waffe ausgebildet. Diese Jugendlichen werden aber in anderen Ausbildungsberufen, wie zum Beispiel Kfz-Mechatroniker, ausgebildet. Sie werden auf keinen Fall zu Auslandseinsätzen vermittelt. ({4}) So viel noch einmal zu diesem Thema. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt VI a sowie c bis f: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/7807, 17/7643, 17/7644, 17/7187 und 17/7772 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 17/7644, Tagesordnungspunkt VI d, soll federführend beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Kinderrechte in Deutschland umfassend stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7800, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6920 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer möchte sich enthalten? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt VII auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der Haftung und der Abmahnkosten bei Urheberrechtsverletzungen - Drucksache 17/6483 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Liebe Kolleginnen, ich würde gerne die Aussprache eröffnen. Die Aussprache ist eröffnet. Das Wort hat die Kollegin Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke. ({1})

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir über den Industriestandort Deutschland reden, dann reden wir normalerweise über Autos, Stahl und Kohle. Eine ganz andere Industrie erfreut sich ebenfalls guter Konjunktur, spricht aber nicht gern darüber. Reden wir doch heute einmal über das lukrative Geschäft der Abmahnindustrie. Es ist zumindest für die Betreiber lukrativ, die mit dem Unwissen und der Angst der Bürgerinnen und Bürger sowie mit der Androhung unglaublich hoher Kosten riesige Gewinne machen. Wie funktioniert dieses Geschäft? Ein Schüler beispielsweise lädt durch Filesharing einen Musiktitel herunter. Die schlaue Abmahnkanzlei verklagt den Schüler, weil dieser dem Musiklabel damit einen unglaublich hohen Schaden zugefügt hätte. Der angeblich hohe Schaden wiederum bildet den Streitwert, der Grundlage für die Gebührenrechnung der Anwaltskanzlei ist. Unglaublich ist dabei vor allem die Begründung zur Berechnung der Schadenshöhe. Die Kanzlei rechnet nämlich wie folgt: Jedes in der Tauschbörse angebotene Werk werde von vier Nutzern pro Stunde heruntergeladen. Nach einer Stunde verfügten also fünf Nutzerinnen und Nutzer über diesen illegalen Download, den sie in der kommenden Stunde jeweils vier weiteren Menschen zugänglich machten. Nach sieben Stunden, so besagt es rein rechnerisch die sogenannte Vervielfältigungskette, seien bereits 78 125 illegale Kopien im Umlauf. Nach 15 Stunden verfügte demzufolge jeder Bürger und jede Bürgerin auf dieser Welt über eine sogenannte Raubkopie. So rechnen Leute mit zwei juristischen Staatsexamen. Ich frage mich: Wer hat hier eigentlich den schweren Schaden? Das ist absurd. ({0}) Die in den vergangenen Jahren entstandene Abmahnindustrie arbeitet dabei wie folgt: Zuerst ermitteln die Firmen die IP-Adressen, dann beantragen Anwälte mit Unterstützung von Gerichten bei den Providern die Herausgabe der Daten der Anschlussinhaber. Allein die Deutsche Telekom gibt nach Aussage einer Sprecherin jährlich 2,4 Millionen Adressen heraus. Mithilfe dieser Adressen beginnt dann das Abmahnen und Absahnen. Nun hat der Gesetzgeber die Erstattungspflicht von Abmahnkosten vor einigen Jahren auf 100 Euro beHalina Wawzyniak grenzt, allerdings nur, wenn ein einfach gelagerter Fall und kein gewerbliches Handeln vorliegt, die Rechtsverletzung unerheblich ist und der Abgemahnte nicht bereits wegen ähnlicher Vorfälle auffällig geworden ist. Sie merken: vier Bedingungen für 100 Euro. Die Idee ist gut, die Formulierung schlecht. Sie sichert gerade keinen ausgewogenen Interessenausgleich. Im Ergebnis ist die Maßnahme voll ins Leere gelaufen. Allein im Jahr 2010 sind im Auftrag von Rechteinhabern rund 600 000 Abmahnungen mit einem geschätzten Gesamtvolumen von 500 Millionen Euro verschickt worden. Dieses fragwürdige wie unverhältnismäßige Agieren der Abmahnindustrie gegen Bürgerinnen und Bürger wird die Linke nicht hinnehmen, und Sie sollten es auch nicht tun. ({1}) Es kommt nämlich noch hinzu, dass Menschen von Anwaltskanzleien allzu häufig völlig zu Unrecht beschuldigt werden, Musik oder Filme im Internet feilgeboten zu haben. Das hat manchmal eine unfreiwillige Komik, allerdings nicht für die Betroffenen. So beschreibt die Frankfurter Rundschau einen Fall, in dem eine 36-jährige Frau zu Unrecht beschuldigt wird, einen Pornofilm mit dem Titel Ohne Höschen Vol. 19 illegal verbreitet zu haben. Dafür wurde ein Streitwert von 30 000 Euro festgelegt. Das sagt einiges darüber aus, was der Abmahnanwalt als künstlerisch wertvoll erachtet. Dem Mann ist nicht zu helfen, wohl aber der zu Unrecht beschuldigten Frau, wenn wir endlich die gesetzlichen Bestimmungen entsprechend ändern. ({2}) Die Linke hat am 6. Juli einen Gesetzentwurf vorgelegt, um genau diesem Gebaren einen Riegel vorzuschieben. Die Justizministerin erklärt vier Monate später, sie wolle nun der Abmahnindustrie den Kampf ansagen. Wir erlauben ihr, bei uns abzuschreiben. ({3}) Meine Fraktion schlägt mit ihrem Gesetzentwurf vor, zwischen privater und kommerzieller Rechtsverletzung zu differenzieren, anstatt wie bisher im Urheberrecht nur zwischen privat und öffentlich zu unterscheiden. Wir sagen: Was im Internet passiert, ist immer öffentlich. Flankieren wollen wir dies durch die Schaffung eines Gegenkostenanspruchs, wenn jemand zu Unrecht abgemahnt wird. Wir wollen klare Regeln, um Auskunftspflichten Dritter sinnvoll zu begrenzen, und wir schaffen Regelungen zur Streitwertminderung. Wir wollen nicht, dass die Rechteinhaber insbesondere solcher Werke von zweifelhafter Güte oder auch aus anderen Gründen geringer Markttauglichkeit Abmahnungen gezielt als Instrument für ansonsten nicht realisierbare Gewinne nutzen. Kurz gesagt: Niemand soll mehr die Möglichkeit haben, für Schrott den Bürgerinnen und Bürgern Geld aus der Tasche zu ziehen. ({4}) Die Linke will mit ihren Vorschlägen zum Urheberrecht die Rolle der Nutzerinnen und Nutzer stärken. Sie will dem massiven Lobbying seitens der klassischen Verwertungsgesellschaften etwas entgegensetzen; denn die Anzahl illegaler Downloads geht zurück, die Anzahl der Abmahnungen steigt. Zum Schluss: Wir sagen, digitale Technologien und Verbreitungswege eröffnen große Chancen. Die Fortschreibung des Urheberrechts sollte deshalb nicht von der Angst vor den damit einhergehenden Veränderungen diktiert sein. Sie sollte stattdessen der Förderung des schöpferischen Potenzials, das in und mithilfe der digitalen Welt erschlossen werden kann, verpflichtet sein. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Wawzyniak, wollen Sie die Chance nutzen, Ihre Redezeit zu verlängern, indem Sie dem Kollegen Kauder eine Frage beantworten oder sich eine Anmerkung von ihm anhören?

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin jetzt aber fertig. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Ansgar Heveling hat für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Haftung und der Abmahnkosten bei Urheberrechtsverletzungen, der von der Fraktion Die Linke vorgelegt worden ist. Zunächst einmal ist das ein sehr sektoral orientierter Gesetzentwurf, denn Abmahnungen sind an sich ein Instrument, das gang und gäbe ist. Wir kennen es aus dem Bereich des Persönlichkeitsrechts, aus dem Markenrecht, dem Wettbewerbsrecht und natürlich auch aus dem Urheberrecht. ({0}) Grundsätzlich muss man ganz deutlich festhalten, dass Abmahnungen ein legitimes Mittel zur Rechtsdurchsetzung sind. Sie stellen für die Rechteinhaber ein schnelles außergerichtliches Instrument zur Rechtewahrung dar. Man darf nicht aus dem Blick lassen, dass es gegenüber anderen Verfahren für den Rechtsverletzer durchaus auch Vorteile gibt. Er wird vor Klageverfahren bewahrt. Oftmals sind die Kosten einer Abmahnung - da eben außergerichtlich - auch geringer als die Kosten eines Klageverfahrens. Gerade im Urheberrecht kommt es nach einem Abmahnverfahren nicht zu strafrechtlicher Verfolgung. Urheberrechtsverletzungen sind von daher auch in rechtstatsächlicher Hinsicht im Großen und Ganzen auf diesem Wege durchaus entkriminalisiert. Das ist ein großer Schritt, der in dieser Richtung auf die Rechtsverletzer zugegangen worden ist. Die Abmahnungen haben ohne Frage - da muss man die Beobachtung der Fraktion Die Linke bestätigen stark zugenommen. Bloße Quantität ist aber zunächst einmal kein Kriterium für Missbrauchsanfälligkeit. Wenn jemandem ein Recht zusteht, muss er auch die Möglichkeit haben, dieses durchzusetzen. Das ist etwas vollkommen Legitimes und gilt grundsätzlich auch dann, wenn es um Werke von, wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf schreiben, „zweifelhafter Güte“ oder „hohem Alter“ geht. Recht ist zunächst einmal Recht und kann durchgesetzt werden. ({1}) Die Linke möchte für einen einzigen Rechtsbereich, das Urheberrecht, die Abmahnmöglichkeiten begrenzen. Ob der mit dem Gesetzentwurf eingeschlagene Weg allerdings der richtige ist, erscheint uns doch sehr fraglich; denn an vielen Stellen ist die Herangehensweise nicht besonders differenziert. Der Gesetzentwurf erweckt den Eindruck, es gebe eine vermeintlich einfache Lösung, aber auf komplizierte Sachverhalte gibt es nun einmal keine einfachen Antworten. Die Linke macht es sich zu einfach. Im Gesetzentwurf ist an vielen Stellen, jedenfalls in der Begründung, die Spur des Populismus zu erkennen, wenn vom „Goldrausch“ und von der „selbstreferentiellen Abmahnindustrie“ die Rede ist. Da geht es wohl mehr um die symbolische Wirkung als um die tatsächlichen rechtlichen Regelungen. Es ist nicht von der Hand zu weisen: Es gibt schwarze Schafe, die Abmahnverfahren zu einem Geschäftsmodell entwickelt und dabei gegen viele Grundsätze des Anwaltsberufs verstoßen haben. Valide Daten dazu sind allerdings kaum verfügbar. Es gibt nur quantitative Informationen. Deswegen sollten wir genau wissen, wie groß der Handlungsbedarf ist und wo richtigerweise angesetzt werden sollte. Dass es schwarze Schafe gibt, ist das eine. Der Gesetzentwurf der Linken erweckt allerdings den Eindruck, als seien Abmahnungen im Urheberrecht schon per se rechtsmissbräuchlich, was nicht der Fall ist. Das wäre eine sehr eingeschränkte Sicht auf die Dinge. Wenn es schwarze Schafe gibt, dann geht man ja auch nicht hin und schlachtet gleich die ganze Herde. Auch das muss man sehen. Wenn wir uns dem Abmahnwesen genauer zuwenden wollen, dann müssen wir sehr genau zwischen den Interessen der Rechteinhaber und dem Schutz der Bürger vor Missbrauch abwägen. Kleine Änderungen können zu großen Verschiebungen führen, kleine Änderungen können auch große Auswirkungen haben. Der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke geht da sehr begrenzt vor und orientiert sich im Wesentlichen an einer Begrenzung des Streitwertes. Damit gehen Sie auf viele Nebeneffekte gar nicht ein. Auch die Alternativen werden nicht ausdifferenziert diskutiert. Insofern ist uns dieser Gesetzentwurf zu pauschal. ({2}) Was aber bieten sich für Lösungen an, um missbräuchliche Abmahnungen zu begrenzen? Ich habe es eingangs schon angesprochen: Es gibt den Bereich missbräuchlichen Vorgehens in berufsrechtlicher Hinsicht, dass die Anwälte, die missbräuchlich vorgehen, den Rechtsanwaltsstatuten zuwiderhandeln. Insofern stellt sich die Frage, ob man berufsrechtlich eingreifen kann und die Rechtsanwaltskammern stärkt, um auf berufsrechtlichem Wege dagegen vorzugehen. ({3}) Sicherlich kann man auch darüber nachdenken, den § 97 a Abs. 2 des Urheberrechtsgesetzes zu modifizieren. Man kann auch an eine Streichung denken. Auch die Streitwertbegrenzung ist ein Ansatzpunkt, über den man nachdenken sollte. Dann sollte es aber so sein, dass man zwischen verschiedenen Fallkonstellationen differenziert und keine pauschale Streitwertbegrenzung vorsieht. Der Bereich Aufklärung und Prävention, der in diesem Bereich des Urheberrechts eine immer größere Bedeutung gewinnt, fehlt im Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke völlig. Gerade das ist ein Bereich, in dem sich unsere Bundesjustizministerin engagieren will. Wir sehen, wie häufig Missbräuche bei Abmahnungen vorkommen. Wir sehen auch die verschiedenen Fallkonstellationen. Dementsprechend werden im Bundesjustizministerium passgenaue Lösungsansätze geprüft. Dabei wird insbesondere Rücksicht genommen - deswegen braucht das noch eine gewisse Zeit - auf die Ergebnisse der mit Blick auf das Warnhinweismodell vonseiten des Wirtschaftsministeriums in Auftrag gegebenen vergleichenden Studie, die in den nächsten Wochen vorgelegt wird. Aus meiner Sicht ist sehr gut nachvollziehbar, dass man diese Ergebnisse erst einmal abwartet, um die daraus gewonnenen Erkenntnisse in ein Gesetzgebungsvorhaben, das sich nicht nur auf das Urheberrecht, sondern auch auf das UWG bezieht, einbauen zu können. Das wird derzeit abgestimmt, damit die Überprüfung auf der Grundlage valider Daten erfolgen kann. Ich begrüße sehr, dass das Ministerium diese Ergebnisse abwarten will. Es lässt sich festhalten, auch in Anbetracht der Studie, die in Kürze vorgelegt wird: Das, was die Linke vorlegt, ist ein Schnellschuss. Das zeigt, dass es den Linken nicht um eine solide Regelung auf der Grundlage der neuesten Daten geht, sondern darum, Stimmung zu machen und ein Symbol zu platzieren. ({4}) Im Gegensatz zur Linken, die Gefühlspolitik betreibt und auf Verdacht einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, wird das Bundesjustizministerium handwerklich sauber arbeiten und in der nächsten Zeit sicherlich eine entsprechende Lösung vorlegen. Wir werden den Gesetzentwurf natürlich beraten. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass er auf Zustimmung stoßen wird. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Brigitte Zypries für die SPD-Fraktion. ({0})

Brigitte Zypries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003870, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist lobenswert, dass die Fraktion Die Linke mit ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Haftung und der Abmahnkosten bei Urheberrechtsverletzungen in diesem Hohen Haus eine Debatte zum Urheberrecht initiiert; denn, wie alle Fraktionen wissen, der Gesetzentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz zum sogenannten dritten Korb des Urheberrechts ist ebenso überfällig wie andere Gesetzentwürfe. Als Stichworte nenne ich nur „verwaiste Werke“ und „Leistungsschutzrecht“. Es gibt noch andere Themen, zu denen die Ministerin Gesetzentwürfe angekündigt hat, die aber bis heute leider nicht vorgelegt wurden. Der Gesetzentwurf als solcher ist aber, wie mein Vorredner eben schon ausgeführt hat, nicht ausgereift; diesbezüglich gebe ich Ihnen völlig recht. Die Idee, eine Deckelung der Abmahnkosten einzuführen, die wir in der letzten Legislaturperiode hatten, ist, wie ich meine, nach wie vor richtig; denn es gibt in der Tat zahlreiche Auswüchse, die es zu bekämpfen gilt. Richtig ist aber auch - auch das haben wir damals schon gesagt -: Es muss dem Urheber möglich sein, mit geistigen Werken im Internet Geld zu verdienen; das ist doch völlig unstreitig. Dafür bedarf es im Einzelfall auch der Möglichkeit der Rechtsverfolgung. Abmahnungen sind ja nicht per se zu kritisieren; da haben Sie völlig recht, Herr Kollege. Es geht vielmehr darum, dass es schwarze Schafe unter den Anwälten gibt, die dieses Abmahnungsrecht sehr weit auslegen. Wir haben uns schon in der letzten Legislaturperiode immer wieder darum bemüht, die zuständigen Berufsorganisationen dazu zu bewegen, ihrerseits zu schauen, was verschiedene Anwälte so machen. Ich meine, dass hier auch die Bundesrechtsanwaltskammer in der Verantwortung steht und etwas tun muss. Das muss überprüft werden. ({0}) Es wird immer viel geredet über illegale Tauschbörsen und über die Frage, wie die Musikindustrie im Internet Geld verdienen kann, bzw. darüber, wie sie es verliert. Ich möchte den Fokus auf einen anderen Punkt richten: Es ist nach wie vor ein sehr großes Ärgernis für den deutschen Mittelstand, dass verantwortungslose Anwälte auch mit ihnen fragwürdige Geschäfte machen wollen. Unter Ausnutzung der Möglichkeit, dass man jemanden wegen Wettbewerbsverstößen abmahnen kann, werden Abmahnungen an Unternehmen geschickt, deren Impressum zum Beispiel nicht dem Telemediengesetz entspricht oder die die Vorgaben der Preisangabenverordnung nicht ordnungsgemäß eingehalten haben. Auch dieses Problem kennen wir schon länger. Es wurde bereits ein erster Schritt unternommen, indem die Anforderungen an das Impressum ins Telemediengesetz aufgenommen wurden. Dadurch wurde wenigstens ein Teil der Beschwernisse weggenommen. Die Abmahnwelle hat sich mittlerweile aber auf die Wettbewerbsverstöße verlagert. Ich meine, dass der Bundestag sehr wohl aufgerufen ist, sich Gedanken darüber zu machen, wie man insbesondere den kleinen Unternehmungen, die im Internet Geld verdienen wollen, und dem Mittelstand zur Seite stehen kann, damit diese Geschäftsmodelle funktionieren. ({1}) Nun verhält es sich mit diesem Thema aber leider wie mit anderen Ankündigungen aus dem Hause der Justizministerin. Auch hier wurde eine Gesetzesinitiative angekündigt. Es ist allerdings für mich und für meine Fraktion nicht zu erkennen - es ist nicht nur unser Problem -, wann jemals ein Gesetzentwurf dazu kommen wird. Vielleicht können Sie Aufklärung schaffen, Herr Staatssekretär. ({2}) - Das steht zu befürchten. Die Frage ist nur, in welchem Jahr, Herr Kollege. Der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke ist also schon deswegen verdienstvoll, weil er dem Hohen Haus Gelegenheit gibt, die Ministerin daran zu erinnern, dass die Aufgabe eines Ministers nicht nur die Verhinderung von Gesetzen ist, sondern auch deren Vorlage für eine sinnvolle Weiterentwicklung des Rechts in Deutschland. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stephan Thomae für die FDP-Fraktion. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen, verehrte Kollegen! Der Kollege Heveling sprach gerade von schwarzen Schafen im Besonderen und von Schafen im Allgemeinen. Ich habe überlegt: Warum gibt es eigentlich in Deutschland mehr Schafe oder Kühe als ({0}) Störche oder Wildschweine? Ganz einfach: Weil Kühe oder Schafe jemandem gehören. Warum gibt es in Deutschland mehr geistig schöpferische Menschen als zum Beispiel in Nigeria? ({1}) Ganz einfach: Weil bei uns Kreativität stärker geschützt wird. Grundsätzlich sind wir uns einig, dass wir ein Bekenntnis zum Schutz geistigen Eigentums ablegen sollten. Ich lese in der Begründung des Gesetzentwurfs der Linken, Frau Wawzyniak: Das Schutzregime von Sachgütern kann nicht undifferenziert und unmittelbar auf das Immaterialgüterrecht übertragen werden. Es ist schon fraglich, ob immateriellen Rechtsgütern überhaupt der gleiche abwehrrechtliche Schutz geboten werden muss. Das löst bei mir einen Reflex aus, den ich nur schwer unterdrücken kann. Da leuchtet nämlich durch, worauf es Ihnen eigentlich ankommt. Wer so argumentiert, Frau Wawzyniak, der legt die Axt an Grundvoraussetzungen unserer Eigentums- und damit auch unserer Gesellschaftsordnung. ({2}) Wer etwas investiert, wer etwas riskiert, der muss die Chance haben, die Früchte seines Fleißes und die Früchte seines Risikos zu ernten. Diese Chance muss der Staat schützen, egal ob diese Rechtsgüter materiell oder immateriell sind. Das ist die erste Feststellung, die ich im Hinblick auf Ihre Gesetzentwurfsbegründung vortragen will. Die zweite Feststellung ist, dass wir Liberale, wir bürgerliche Parteien uns zunächst solidarisch mit dem erklären, der sich rechtmäßig verhält. Jeder Abmahnung - so ärgerlich sie auch sein mag und sosehr man über manche Einzelheiten diskutieren müssen wird - geht zunächst einmal ein Rechtsverstoß voraus, im Zusammenhang mit einer Urheberrechtsverletzung eine Urheberrechtsverletzung. ({3}) Zunächst: Was ist die rechtliche Funktion der Abmahnung? Sie enthält eine Warnung. Sie ist ein außergerichtliches, ein vorgerichtliches Instrument und kann ein noch teureres Gerichtsverfahren überflüssig machen. Die Abmahnung soll auch ein Angebot, ein Unterwerfungsangebot sein, um einen zivilrechtlichen Streit vor Gericht zu vermeiden, hat also auch die Funktion, kostengünstig Rechtsfrieden herzustellen. Es ist also auch ein prozessökonomisches Instrument. Das ist in meinen Augen eine weitere wichtige Feststellung: dass eine Abmahnung immer noch besser ist als eine Klage. Aber solch ein Unterwerfungsangebot muss Akzeptanz finden können - da haben Sie in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs nicht unrecht - und darf deswegen nicht überzogen sein. Dritte Feststellung. In der Tat hat die Bundesministerin der Justiz im Oktober 2011, also unlängst, angekündigt, dass sie drei Hauptprobleme angehen will. Zwei davon haben Sie in Ihrem Gesetzentwurf angesprochen. ({4}) Erstens geht es um das Problem der hohen Streitwerte. Hohe Streitwerte senken die Akzeptanz der Unterwerfungsangebote. Natürlich müssen Abmahnungen hoch genug sein, um ernst genommen zu werden, aber auch niedrig genug, um akzeptiert zu werden. Deswegen planen wir - Diskussionen darüber sind im Gange -, Mechanismen zu finden, mit denen eine nachvollziehbare Streitwertermittlung - es geht nicht um eine Pauschale - möglich ist. Das ist Gegenstand unserer Überlegungen. Solche Mechanismen werden in Ihrem Gesetzentwurf nicht angesprochen. Das zweite Problem, dessen wir uns annehmen wollen - eine Behandlung finde ich in Ihrem Gesetzentwurf nicht -, ist das Problem des sogenannten fliegenden Gerichtsstandes, ({5}) also das Problem, dass der Abmahner, der Rechteinhaber, sich aussucht, wo er Klage erhebt. Ein Abmahnanwalt kann sich immer zu dem Gerichtsstand begeben, von dem er weiß, dass er verbraucherfeindlich und urheberfreundlich urteilt. Wir müssen einmal schauen, ob es Möglichkeiten gibt, die Festlegung des Gerichtsstands so zu regeln, dass auch der Abmahnende ein gewisses Prozesskostenrisiko zu tragen hat. ({6}) Dadurch könnte eine Art Waffengleichheit hergestellt werden. ({7}) - Es darf geklatscht werden. ({8}) Das dritte Problem ist der Gegenanspruch; auch dies wird in Ihrem Gesetzentwurf angesprochen. Bei ungerechtfertigten Abmahnungen muss der Abmahnende mit der Gefahr eines ernsten Kostenerstattungsanspruchs konfrontiert sein. Dieses Thema wird in Ihrem Gesetzentwurf zu Recht angesprochen. ({9}) Es gibt ein paar Punkte, die wir sehr konstruktiv und nachdenkenswert finden. Wir werden uns Ihren Gesetzentwurf noch einmal in verbesserter Form zu Gemüte führen und dann beizeiten - gut Ding will Weile haben einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen. Lassen Sie mich ein Fazit formulieren: Erstens. Das Bekenntnis zum geistigen Eigentum sollte Grundbestand dieses Parlaments sein. ({10}) Zweitens. Abmahnungen sind zunächst einmal sinnvoller als eine klageweise Geltendmachung. Drittens. Auswüchse bei Abmahnungen müssen wir uns im Zusammenhang mit den drei Punkten „Streitwert“, „fliegender Gerichtsstand“ und „Kostenerstattung“ genauer ansehen und, wenn möglich, beseitigen. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Frau Wawzyniak, in ihrem Gesetzentwurf schreiben die Linken, dass Verletzungen geistigen Eigentums - ich zitiere jetzt wörtlich aus ihrem Gesetzentwurf - „keine weiteren Folgen für den Inhaber haben“. Dazu muss ich sagen: Oben auf der Besuchertribüne sitzt jemand, der ein Abrechnungssystem für Tankstellen geschaffen hat. Das ist eine geistige Schöpfung. Wenn jemand diese stiehlt, dann sagen Sie, dass dies keine weiteren Folgen für den Inhaber hat. ({11}) Wir sagen, dass das für ihn sehr wohl weitere Folgen hat. Es ist für ihn unter Umständen sogar existenzbedrohend. Wir nehmen diese Sache also ernster als Sie. Wir wollen Auswüchse beseitigen. Sie müssen Ihr Verhältnis zu Fleiß, zu Risiko und zu Eigentum grundlegend überdenken. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Montag das Wort. ({0})

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. Das hätte ich nicht erwartet. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Problemdarstellung im Gesetzentwurf der Linken ist durchaus richtig. Wenn allein von deutschen Internetprovidern monatlich über 300 000 Adressauskünfte wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen im Internet eingeholt werden, dann ist die Größenordnung „Hunderttausende von Abmahnungen in Deutschland pro Jahr“ sicherlich nicht zu hoch gegriffen. Dazu passt der immense Anstieg der Zahl gerichtlicher Entscheidungen nach § 101 Abs. 9 Urheberrechtsgesetz. An manchen Landgerichten gibt es bis zu 3 000 Verfahren pro Jahr, pro Verfahren mit mehreren Tausend IP-Adressen. Es gibt Gerichtsverfahren, in denen Beschlüsse zu über 11 000 IP-Adressen gefasst wurden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Verbraucherzentralen berichten, dass ihre Arbeit inzwischen zu mehr als 50 Prozent in der Beratung zu Abmahnverfahren besteht. Es ist festzustellen, dass sich diese Abmahnungen auf spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien konzentrieren, dass diese wiederum eng mit Firmen zusammenarbeiten, deren Geschäftszweck ausschließlich darin besteht, die Urheberrechte nur zum Zwecke des Abmahnwesens zu bündeln und das Geschäft der Internetrasterung nach noch so banalen Urheberrechtsverletzungen zu betreiben. Dabei ist festzustellen, dass Abmahngebühren in Höhe von mehreren Hundert bis mehreren Tausend Euro verlangt werden, während die Rechtsanwaltskanzleien oder die mit ihnen verbundenen Firmen bei den Rechteinhabern mit der für sie völligen Kostenlosigkeit des Abmahnverfahrens werben. Dieses Geschäftsmodell ist im Ergebnis kriminell und verstößt in hohem Maße gegen anwaltliche Berufspflichten. ({0}) Im Abmahnverfahren geltend gemachte sogenannte Pauschalen für Aufwand und Schadensersatz in Höhe von mehreren Hundert bis mehreren Tausend Euro stellen selbst für die Rechteinhaber, die nur einen Bruchteil dieses Betrags erhalten, das Zigfache dessen dar, was aus Einnahmen aus legaler Lizenzierung zu erzielen wäre. So wirbt das Unternehmen DigiRights Solution mit folgenden Worten - Zitat -: Der Ertrag aus erfassten und bezahlten illegalen Downloads beträgt das 150-Fache eines legalen Downloads. Auch das Bundesjustizministerium bestätigt diesen gewerblich organisierten und systematischen Missbrauch des Urheberrechts und der Abmahnungen und kündigt deswegen einen eigenen Gesetzentwurf an. Allerdings weist das BMJ zu Recht darauf hin - auch Frau Kollegin Zypries hat darauf hingewiesen -, dass es solche Missbrauchsstrukturen auch im Wettbewerbsrecht gibt und dass der Gesetzentwurf der Linken dazu schweigt. Ich kann zum Gesetzentwurf der Linken an dieser Stelle nur kursorisch Stellung nehmen. Sie wollen die Abmahnung als Rechtsinstitut im Urheberrecht nicht abschaffen; da geht Ihre Polemik fehl. Aber § 97 a Abs. 2 des Urheberrechtsgesetzes wollen Sie ersatzlos streichen. Damit wollen Sie die im Gesetz vorgegebene Beschränkung der Anwaltsgebühren auf eine Höhe von 100 Euro in einfach gelagerten Fällen gewährleisten. Dazu sage ich Ihnen: Ja, diese Vorschrift hat viele Schlupflöcher, weil „unerhebliche Verletzung“ und „einfach gelagerte Fälle“ Kaugummibegriffe sind. ({1}) Das habe ich bereits 2008 an dieser Stelle kritisiert, und ich habe um eine Präzisierung gebeten. ({2}) Ich bin mir nicht sicher, dass der Weg der Linken der richtige Weg ist. Es sollte Ihnen zu denken geben, dass auch die FDP 2008 hier in diesem Hause die Streichung dieser Vorschrift vorgeschlagen hat. ({3}) Sie wollte damit den Rechtsanwälten zu hohen Gebühren verhelfen. ({4}) Aber hilft die Abschaffung dieser Vorschrift im Abmahnwesen? So wie in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen, hilft sie nicht. ({5}) Sie versuchen, die Streitwerte über § 104 a Urheberrechtsgesetz und § 51 b Gerichtskostengesetz zu erfassen, beziehen diese Streitwertreduzierungen aber nur auf § 97 Urheberrechtsgesetz, ({6}) lassen also den § 97 a Urheberrechtsgesetz außen vor. ({7}) Damit wird den Hunderttausenden abgemahnter und abgezockter Bürger nicht geholfen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden über die weiteren Punkte, die Sie vorschlagen, in unseren Beratungen im Rechtsausschuss und in der Sachverständigenanhörung, die wahrscheinlich kommen wird, näher diskutieren. Wir werden Ihren Gesetzentwurf mit dem Gesetzentwurf vergleichen, von dem ich hoffe, dass er uns vielleicht doch noch vor Weihnachten 2011 als Referentenentwurf zugestellt wird, sodass wir im nächsten Jahr, nach Möglichkeit gemeinsam, zu einer Lösung kommen können, die der kriminellen und massenhaften Abzocke der Bürgerinnen und Bürger im Urheberrecht, aber auch im Wettbewerbsrecht Einhalt gebietet. Danke. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die Unionsfraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Urheberrechtsverletzungen im Internet haben massiv zugenommen. In der digitalen Welt ist es eben sehr leicht und es kann sehr schnell gehen, dass Rechtsverletzungen begangen werden. Deswegen haben die Rechteinhaber zunächst einmal Wege und Mittel finden müssen, um gegen massenhafte Urheberrechtsverletzungen wirksam vorzugehen. Das Instrument der Abmahnung ist dabei ein probates Mittel, weil es eben ermöglicht, die Unterlassung von Urheberrechtsverletzungen durchzusetzen. Erst in den letzten Jahren ist diese zu Recht kritisierte Abmahnindustrie entstanden. Es ist ein Phänomen, dass Massenabmahnungen zu einem eigenen Geschäftsmodell werden, das gar nicht so sehr mit dem Schutz des Wettbewerbs oder der Urheber zu tun hat, sondern ganz unabhängig davon der Gewinnerzielung dient. Selbst bei geringsten Rechtsverletzungen entstehen hohe Kosten. Sogar mit missbräuchlichen Abmahnungen lässt sich Kasse machen. Ich rate allerdings davon ab, Abmahnungen deswegen pauschal zu verurteilen; diesem Impuls sollten wir nicht nachgeben. Abmahnungen bleiben ein wichtiges Instrument, um Urheberrechtsverletzungen zu unterbinden, effektiv, zeitnah und im Übrigen auch kostengünstig für alle Beteiligten. Das war der Grund, weshalb wir bei der letzten Urheberrechtsnovelle 2008 in § 97 a Abs. 1 ausdrücklich aufgenommen haben, dass der in seinem Recht Verletzte abmahnen soll; denn es liegt natürlich auch im Interesse des Rechtsverletzers, dass er zunächst einmal die Chance erhält, im Wege der Abmahnung eine außergerichtliche Beilegung herbeizuführen. Es ist auch wichtig, zu betonen, dass Urheberrechtsverletzungen kein Kavaliersdelikt darstellen. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Wer also Film- oder Musikdateien in Tauschbörsen illegal herunterlädt und mit anderen teilt, muss sich darüber im Klaren sein, dass er Unrecht begeht. Der Urheber ist darauf angewiesen, dass sein Werk auch im Internet Schutz erfährt, zumal in der digitalen Welt sein Werk binnen Sekunden illegal vervielfältigt werden kann. Deswegen ist es nicht hinnehmbar, wenn Sie vorschlagen, die Kosten der Rechtsverfolgung auf vorsätzliche Rechtsverletzungen zu beschränken und auf Tätigkeiten, die gewerblicher Natur oder selbstständiger beruflicher Natur sind. Damit würden die Urheber gegenüber Urheberrechtsverletzungen, die nicht vorsätzlich, nicht gewerblich oder nicht beruflich erfolgen, völlig auf sich selbst gestellt sein. Sie könnten die Kosten ihrer Rechtsverfolgung nicht geltend machen. Das würde massenhaften Rechtsverletzungen geradezu Tür und Tor öffnen. Das ist ein völlig falsches Signal. Die Linke versucht sich mit ihrem Gesetzentwurf am Urheberrecht; aber das bleibt natürlich Flickschusterei, wenn nicht zumindest auch das Wettbewerbsrecht mit in den Blick genommen wird. Auch im Wettbewerbsrecht haben wir es mit Massenabmahnungen zu tun, die oft wegen Lappalien völlig überzogene Kosten verursachen. Die Bundesregierung hat das offenkundig erkannt und deswegen ihren Staatssekretär Hintze aus dem zuständigen Bundeswirtschaftsministerium in diese Debatte entsandt. Herzlich willkommen! ({0}) Wir dürfen die Missstände bei Abmahnungen also nicht isoliert betrachten, sondern wir brauchen ein schlüssiges Gesamtkonzept, das neben dem Urheberrecht zumindest auch das Wettbewerbsrecht umfasst. Ich habe viel dafür übrig, die Abmahnkosten zu begrenzen. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir den sogenannten fliegenden Gerichtsstand einschränken. Und wir sollten in der Tat über angemessene Streitwerte nachdenken. ({1}) Was die Abmahnkosten angeht: Wir haben mit § 97 a Abs. 2 im Urheberrechtsgesetz bereits den Versuch unThomas Silberhorn ternommen, diese Abmahnkosten zu begrenzen. Aber die Deckelung auf 100 Euro in einfach gelagerten Fällen bei erstmaligen und unerheblichen Rechtsverletzungen hat praktisch kaum Bedeutung erlangt. Die Rechtsbegriffe sind schlichtweg zu unbestimmt, sodass diese Regelung weitgehend ins Leere läuft. Wir sollten hier also nachsteuern. Entweder schaffen wir es, die tatbestandlichen Voraussetzungen zu präzisieren und zum Beispiel auf bestimmte, praktisch bedeutsame Fallgestaltungen zu konzentrieren, oder wir sollten darüber nachdenken, diese Regelung wieder zu streichen. Es spielt in diesem Zusammenhang sicherlich eine Rolle, dass vor allem bei unberechtigten und missbräuchlichen Abmahnungen die Kostenfolgen besonders virulent sind. Deswegen habe ich Verständnis für den Vorschlag, dem vermeintlichen Rechtsverletzer ebenfalls den Anspruch einzuräumen, dass ihm die Kosten seiner Rechtsverfolgung ersetzt werden. Das ist ein Gebot der Waffengleichheit und ganz sicher ein wirksamer Schutz vor unberechtigten und auch vor missbräuchlichen Abmahnungen. Ein Bruchteil der Fälle landet letztlich vor den Gerichten. Dabei ist bemerkenswert, dass die Rechteinhaber ihre Ansprüche oft nicht mehr verfolgen, wenn die Abgemahnten Rechtsbeistand einholen und die geltend gemachten Unterlassungsansprüche und Abmahnkosten zurückweisen. Das ist wohl ein Indiz dafür, dass manche Abmahnung doch nicht berechtigt war. Wir haben aber den sogenannten fliegenden Gerichtsstand, der es den Klägern ermöglicht, den für sie günstigsten Gerichtsstand auszuwählen. Wenn man bedenkt, dass das ein Gerichtsstand sein kann, der oft weit entfernt vom Rechtsverletzer liegt, dann erkennt man: Das kann für den Rechtsverletzer selbst bei unberechtigten und missbräuchlichen Abmahnungen dazu führen, dass er die Kosten seiner Vertretung scheut und dass am Ende die Vertretung seiner eigenen Interessen verhindert wird. Deswegen sollten wir darüber nachdenken, den Gerichtsstand im Grundsatz auf den Wohnsitz oder den Geschäftssitz des Beklagten zu beschränken. ({2}) Die hohen Kosten von Abmahnungen und Unterlassungsklagen liegen meist in Gegenstands- und Streitwerten begründet, die als überhöht empfunden werden und es wohl oft auch sind. Dabei spielt eine Rolle, dass sich die Streitwerte selbst in Bagatellfällen auf über 5 000 Euro eingependelt haben, weil damit die Zuständigkeit der Landgerichte begründet werden kann. Dann kommt man natürlich schnell auf viele Hundert Euro Abmahnkosten und viele Tausend Euro, wenn Gerichtskosten und Rechtsanwaltsgebühren dazukommen. Dabei stehen die hohen Streitwerte oft in keinem Verhältnis zur begangenen Rechtsverletzung. Wenn etwa Kinder unbedacht, aber illegal Lieder von Teeniebands aus dem Internet herunterladen, dann sehen sich die Familien oft mit exorbitanten Kosten konfrontiert. Ähnlich ergeht es vielen Unternehmen, wenn sie zum Beispiel die Impressumspflicht auf ihren Internetseiten missachten. Bagatellverstöße führen also zu gewaltigen Kostenfolgen. Wir sollten von der Möglichkeit, den Streitwert herabzusetzen, besser Gebrauch machen. In der Praxis findet das offenbar vielfach nicht statt. Vielleicht könnten wir diesen Weg erweitern. Wir sollten darüber hinaus ins Auge fassen, das Gerichtskostengesetz zu ändern, um bei der Streitwertfestsetzung den wirtschaftlichen Belangen beider Seiten besser gerecht zu werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen den unlauteren Wettbewerb verhindern und die Urheberrechte schützen. Aber wir müssen auch die Auswüchse der Abmahnindustrie da zurückschneiden, wo sie auf Gewinnerzielung gerichtet sind und wo das eigentliche Interesse, nämlich den Wettbewerb und den Urheber zu schützen, nicht mehr ersichtlich ist. Abmahnungen dürfen nicht länger ein eigenständiges Geschäftsmodell zur bloßen Gewinnerzielung sein. Das Bundesjustizministerium arbeitet an entsprechenden Gesetzentwürfen. Auf dieser Grundlage werden wir zeitnah weiter beraten können. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Edgar Franke für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Edgar Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Bei der Einbringung des Justizhaushaltes im Mai dieses Jahres habe ich bereits ein paar Anmerkungen zum Abmahnungsunwesen im Urheberrecht gemacht. Ich habe mich damals gefragt, ob dieses Thema für eine allgemeine Haushaltsdebatte nicht zu banal ist und ob man darüber im Rahmen der Haushaltsberatungen überhaupt sprechen sollte. Aber - Sie werden es kaum glauben - ich habe unmittelbar danach, noch am selben Tag, über 200 E-Mails und unzählige Briefe bekommen. Darunter waren Kommentare, Anfragen und Erfahrungsberichte über den Kontakt mit großen Rechtsanwaltskanzleien. Sie haben von schwarzen Schafen gesprochen, Herr Heveling. Ich glaube, davon gibt es - das muss man auch in dieser Debatte ehrlich sagen - eine ganze Reihe. Es waren teilweise wirklich auch Hilferufe. Die Leute fühlten sich subjektiv eingeschüchtert und ungerecht behandelt, wenn sie von großen Kanzleien Unterlassungserklärungen zugesandt bekamen und damit konfrontiert wurden. Das ist ja immer mit einer Schadensersatzforderung verbunden, Frau Wawzyniak. Ich habe dabei auch wieder etwas gelernt: Es sind oftmals nicht die großen politischen Fragestellungen, sondern die kleinen Probleme, bei denen die Menschen Ungerechtigkeit empfinden und die sie bewegen - auch emotional. Ich habe den einen oder anderen angerufen und mir ein paar Beispiele schildern lassen. Sie haben ja auch schon ein skurriles Beispiel genannt. Ich will hier ganz kurz von einem weiteren Beispiel berichten: Ein Ehepaar - er 67, sie 58 Jahre alt - hat mich angerufen. Sie sollen den Film Fast & Furious Five - dabei geht es um schnelle Autos und um Verfolgungsjagden in Parkhäusern - in den sogenannten Tauschbörsen zum Tausch angeboten haben. Sie waren zum angegebenen Zeitpunkt gar nicht zu Hause, und trotzdem war es für die Leute in der Praxis ganz schwer, zu beweisen, dass sie nichts gemacht haben. Oftmals geht es hier um ein ganz praktisches Problem: Der Provider benutzt bei der Ermittlung der IPAdresse eine Software, die feststellt, welcher PC in den Peer-to-Peer-Filesharing-Netzwerken - so heißt das, glaube ich -, in den Tauschbörsen, aktiv wird. Selbst Experten, mit denen ich telefoniert habe, haben mir gesagt, dass die Zuverlässigkeit der Software angezweifelt werden muss. Wenn der sogenannte Zeitstempel nicht exakt generiert wird, lässt sich eine zuverlässige Zuordnung des Anschlussinhabers nicht immer herstellen. Da die Zeitbestimmung so problematisch ist, ergeben sich in der Praxis sehr große Fehlerquellen. In mehreren Berichten der Frankfurter Rundschau stand, dass man insgesamt von 100 000 zu Unrecht Abgemahnten ausgehen muss. Da hier der Anscheinsbeweis zugunsten des Verletzten Anwendung findet, hat es der unbegründet Abgemahnte in der Praxis sehr oft schwer. Herr Heveling, sonst wäre auch eine solche Rückmeldung wie die des von mir angesprochenen Ehepaares nicht unbedingt nachvollziehbar. Diese würde es auch sonst so nicht geben. Ich glaube, es ist heute von allen viel Richtiges gesagt worden. Auch ich möchte jetzt inhaltlich ein paar grundlegende Anmerkungen zum Gesetzentwurf der Linken machen. Ich glaube, die Analyse ist richtig - das hat Frau Zypries ja schon betont -, aber an einigen Punkten müssen wir nacharbeiten, auch rechtlich. Ihr Gesetzentwurf hat nämlich ein paar handwerkliche Schwächen. Von vielen - von Herrn Silberhorn, von Herrn Montag und eigentlich auch von allen anderen - ist § 97 a Abs. 2 Urheberrechtsgesetz angesprochen worden. Ich glaube, es war zunächst einmal richtig und gut, dass man ihn in das Urheberrechtsgesetz aufgenommen hat. Wir müssen ihn sicherlich modifizieren, weil er oftmals ins Leere läuft. Es gibt allerdings - ich habe einmal nachgeschaut - einige Urteile gerade aus dem Bereich Südhessen, auch vom Amtsgericht Frankfurt, wo er konsequent angewendet wird. Wir können zwar im Detail diskutieren, ob wir das eine oder andere modifizieren oder präzisieren müssen, aber im Prinzip geht er in die richtige Richtung. Frau Wawzyniak, ich denke, wir sollten Abs. 2 vielleicht eher präzisieren, als eine grundlegend neue Systematik einzuführen. ({0}) Herr Silberhorn, Sie haben zu Recht den sogenannten fliegenden Gerichtsstand angesprochen. In der Praxis rufen spezialisierte Kanzleien ja nur Gerichte in den Gerichtsbereichen an, die erfahrungsgemäß vom höchsten Streitwert ausgehen. Ich finde, darüber sollte man nachdenken. Das kann nicht vernünftig, richtig und vom Gesetzgeber gewollt sein. ({1}) Wenn man § 32 ZPO nicht ändern will, sollte man wenigstens darüber nachdenken, die Gegenstandswerte im Gerichtskostengesetz - auch das haben Sie angesprochen - zu begrenzen. Eine kritische Anmerkung muss ich abschließend noch machen, Frau Wawzyniak. Der von Ihnen vorgesehene neue § 104 a des Urheberrechtsgesetzes, nach dem der Streitwert dann gemindert werden kann, wenn der Betroffene kein Geld hat, ist eher eine Robin-HoodNorm und nicht unbedingt praktikabel, zumal wir auch Prozesskostenhilfe für wirtschaftlich Schwächere haben. Vor diesem Hintergrund ist die Umsetzung Ihres Vorschlags ein bisschen schwierig. Grundsätzlich ist das Rechtsinstitut der Abmahnung - darüber sind wir, glaube ich, alle einer Meinung - vernünftig, weil es letztlich die Gerichte entlastet. Es ist ein Instrument, das beibehalten werden soll, aber wir müssen im Rahmen der Beratungen schauen, was wir ändern können. Wir sollten, am besten zusammen, ganz konstruktiv die eine oder andere zivilrechtliche Vorschrift kritisch überprüfen. Das ist wichtig und sinnvoll. Ich freue mich, dass wir dahin gehend heute Abend einer Meinung sind. Danke schön. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/6483 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt VIII auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Lazar, Volker Beck ({0}), Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Grundrechte von intersexuellen Menschen wahren - Drucksache 17/5528 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Vizepräsidentin Petra Pau Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zum ersten Mal in der Geschichte des Bundestages einen Antrag, der sich mit der Situation intersexueller Menschen befasst. Damit brechen wir ein Tabu, das jahrzehntelang dazu geführt hat, dass Menschen, bei denen Chromosomen und innere oder äußere Geschlechtsorgane nicht übereinstimmend einem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden konnten oder die in sich uneindeutig waren, medizinischen Menschenversuchen unterzogen und gesellschaftlicher Ausgrenzung ausgesetzt wurden. Deswegen möchte ich in erster Linie meinen Respekt allen mutigen intersexuellen Menschen ausdrücken, die mit ihren höchstpersönlichen Lebensgeschichten in die Öffentlichkeit gegangen sind, allen, die trotz der Gefahr, erneut von unserer Gesellschaft unmenschlich behandelt zu werden, so viel Kraft gefunden haben, und schließlich allen, die angesichts der Untätigkeit der staatlichen Organe nicht aufgegeben haben, sondern sich an internationale Organisationen in der Hoffnung gewendet haben, dass sich dann das, was ihnen passiert ist, nicht wiederholt. ({0}) Sie haben uns die Augen geöffnet, die diese Probleme lange nicht gesehen haben. Dafür danke ich dem Verein Intersexuelle Menschen, der Internationalen Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen und der Selbsthilfegruppe „XY-Frauen“. Diese Menschen haben uns gezeigt, wie unvorbereitet und unsensibel wir als Gesellschaft sind, wenn wir mit dem Phänomen der Intersexualität konfrontiert werden. Die Schicksale, die uns geschildert worden sind, sind grausam. Basierend auf heute falschen wissenschaftlichen Erkenntnissen hat man sie nach ihrer Geburt an ihren Genitalien operiert, um der in unserer Gesellschaft erwarteten geschlechtlichen Eindeutigkeit gerecht zu werden. Sie wurden dabei kastriert und von einer lebenslangen Hormontherapie abhängig gemacht. Als sie später fragten, was mit ihnen passiert ist und wieso sie die Medikamente nehmen müssen, hat man ihnen oft die Wahrheit verschwiegen. Darüber hinaus wurden sie im Dienst der Medizin als Objekte missbraucht, indem sie beispielsweise in Publikationen abgebildet wurden. Wir können uns gar nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn diese Menschen später in Lehrbücher schauen und dann ihre eigenen Fotos sehen. Wir alle haben viel zu lange das Problem nicht wahrgenommen. Umso wichtiger ist es, dass wir versuchen, gemeinsam und entschlossen das Problem anzugehen. ({1}) Die grüne Bundestagsfraktion hat nach vielen Gesprächen mit intersexuellen Menschen und Expertinnen und Experten einen Maßnahmenkatalog vorbereitet, den wir Ihnen heute hier präsentieren. Neben der Forderung, dass das prophylaktische, medizinisch nicht erforderliche Entfernen und Verändern der Genitalien bei intersexuellen Kindern unterbleiben soll, schlagen wir vor, die Fiktion, wonach intersexuelle Menschen in unserer Gesellschaft nicht existieren, zu beenden. ({2}) Dafür müssen wir das Personenstandsgesetz sowie die gesetzlichen Grundlagen für die offizielle statistische Erhebung so ändern, dass bei der Angabe „Geschlecht“ nicht nur zwei Antworten möglich sind. Ansonsten wird das geltende Recht das medizinische Personal und auch intersexuelle Menschen weiterhin zu den kontrafaktischen Angaben zwingen. Ferner fordern wir die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Ländern ein unabhängiges Beratungs- und Betreuungsangebot für betroffene Kinder und deren Eltern, für betroffene Heranwachsende und Erwachsene zu schaffen und dabei die Beratungs- und Selbsthilfeeinrichtungen der Betroffenenverbände einzubeziehen; denn das sind die wirklichen Experten in der Gesellschaft. Den intersexuellen Menschen wie deren Familien, die der Medizin und dem Rechtsstaat vertraut haben, sind wir eine nachträgliche Unterstützung schuldig. Aber auch den intersexuellen Menschen, die künftig geboren werden, müssen wir helfen. Daher muss eine Beratungsstelle für die Angehörigen der beteiligten Gesundheitsberufe zur medizinischen, psychologischen und gesellschaftlichen Aufklärung eingerichtet werden. Ihre Ausbildungsund Prüfungsordnungen sollen um das Thema Intersexualität ergänzt werden. Ebenso brauchen wir verstärkt Fort- und Weiterbildungen. Nicht zuletzt brauchen wir weitere wissenschaftliche interdisziplinäre Forschungen zum Thema Intersexualität mit einem interdisziplinären Ansatz, auch unter Beteiligung von Kultur- und Gesellschaftswissenschaften sowie der Betroffenenverbände. Das sind wir den intersexuellen Menschen schuldig. Deshalb bitte ich alle Fraktionen um Unterstützung der von mir gerade skizzierten Forderungen, was einerseits für die Menschen, die etwas Schlimmes erfahren haben, etwas Wiedergutmachung bedeuten könnte und andererseits künftig Geborene vor ähnlichen Erfahrungen bewahren sollte. Ich biete gern die Zusammenarbeit in den Beratungen an, sodass wir am Ende vielleicht zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Dazu soll unser Antrag eine Anregung sein. Ich bedanke mich. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Tauber für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Es ist das erste Mal, dass der Deutsche Bundestag über dieses Thema berät. In Deutschland gibt es nach offiziellen Angaben etwa 8 000 bis 10 000 intersexuelle Menschen; andere Zahlen liegen sogar noch darüber. Wir zählen jährlich etwa 150 bis 340 Personen, die so geboren werden. Schon diese Spannbreite von 150 bis 340 Personen zeigt, welchen Nachholbedarf wir bei diesem Thema haben; denn in einem Land wie Deutschland, in dem jedes Detail statistisch erfasst wird, ist es nahezu unvorstellbar, dass darüber keine klareren Zahlen vorliegen. Auch deswegen ist es gut, dass wir heute über dieses Thema reden - es wird dem einen oder anderen ähnlich gegangen sein -: Bei der Frage: „Worüber sprichst du in der Debatte? Was ist das für ein Thema?“, hat man zunächst einmal ein bisschen was zu erklären und zu erzählen. Das ist gut. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir uns heute hier ausführlicher mit diesem Thema befassen, und hoffentlich nicht nur heute und hier. Intersexualität bezeichnet unterschiedliche Formen der Uneindeutigkeit der Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen. Man mag sich gar nicht vorstellen, was das nicht nur individuell für jeden Betroffenen, sondern für diese Menschen in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten in unserem Land und heute vielleicht noch in anderen Teilen dieser Welt bedeutete. Jetzt leben wir in Deutschland in einem Sozialstaat. Wir haben das Grundgesetz mit seinen unveränderbaren Grundrechten. Das ist eine gute Grundlage, um sich dieses Themas weiter anzunehmen; denn das Grundgesetz spricht ganz klar davon, dass allen Menschen unabhängig von ihren körperlichen, geistigen und sonstigen Eigenschaften dieselben Grundrechte zustehen. Wir alle stehen in der Pflicht - auch wir von staatlicher Seite -, dass die im Grundgesetz verankerten Rechte und Pflichten gegenüber allen Menschen gewahrt werden. Nun mag bei intersexuellen Menschen die Eindeutigkeit der Geschlechtszugehörigkeit aus medizinischer Sicht umstritten sein. Niemals darf jedoch ihre Zugehörigkeit zu unserer Gesellschaft und damit der Anspruch auf die universellen Grundrechte infrage gestellt werden. Intersexuelle Menschen sind Menschen, die nicht in das medizinische und rechtliche Konstrukt zweier abgrenzbarer Geschlechter passen, die also weder klar als männlich noch klar als weiblich definierbar sind. Diese Menschen können gängigen Geschlechternormen nicht zugeordnet werden; darauf hat die Kollegin von den Grünen bereits hingewiesen. Aber sie teilen mit uns die wohl zentrale und wichtigste Eigenschaft: Wir alle sind Teil dieser Gesellschaft. Das sollte sich auch im täglichen Leben widerspiegeln. Damit sind wir schnell bei der Frage: Was brauchen intersexuelle Menschen denn eigentlich? Zu beurteilen, was diese Menschen - auch individuell - brauchen, ist sicherlich nicht ganz leicht. Diese Frage stellen wir uns bei allen soziologischen Gruppen, mit denen wir uns befassen. Immer geht es dabei am Ende aber um Individuen. Jedes Individuum hat durchaus - das wissen wir schon aus unseren Arbeitsgruppen und Fraktionen - unterschiedliche Bedürfnisse. Wir müssen auch aufpassen, dass wir bei der Antwort auf diese Frage nicht Gefahr laufen, alle intersexuellen Menschen über einen Kamm zu scheren. Auf alle Fälle muss das Ziel unserer Politik sein, den Bedürfnissen dieser Menschen gerecht zu werden, wenn wir politische Rahmenbedingungen setzen. Es geht also wieder um die Frage: Welche spezifischen, konkreten Bedürfnisse haben diese Menschen neben der Enttabuisierung dieses Themas und der Hilfe bei der Lösung von Problemen? Ich glaube, dass es wichtig ist, den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, ihre Wünsche, Ziele und Vorstellungen selbst zu artikulieren. Derjenige, der in der Situation ist, kann das am besten nachempfinden und uns sagen, was ihn umtreibt. Es ist nicht klug, zu glauben, wir könnten die Situation der Betroffenen beurteilen und gute Ratschläge geben. Der Deutsche Ethikrat hat sich im Auftrag der Bundesregierung mit der Situation intersexueller Menschen intensiv befasst und ist dabei, dem Handlungsbedarf nachzuspüren. Ich habe den Eindruck, dass der Deutsche Ethikrat das in den zurückliegenden Monaten sehr behutsam und kompetent getan hat. Wir rechnen damit, dass das Gutachten zum Jahresende abgeschlossen, dann final beraten und im ersten Quartal 2012 der Bundesregierung vorgelegt wird. Diese beachtenswert behutsame, vielleicht sogar empathische Art bei der Annäherung an dieses Thema verdient Anerkennung und Respekt. Wichtig war bei diesem Diskurs, dass alle Seiten zu Worte kamen: Mediziner, Psychologen, Juristen, Vertreter von Elterninitiativen, Vereinen und Organisationen sowie nicht zuletzt die Betroffenen selbst. Es gab eine Diskussionsplattform im Internet mit wissenschaftlichen Beiträgen, an der sich alle, die Interesse an dem Thema hatten, beteiligen konnten. Über die laufende Diskussion hinaus wurden dort alle relevanten Themen dokumentiert, sodass wir darauf in der weiteren Diskussion zurückgreifen können. Aktuelle gesellschaftliche Themen aufzugreifen und notwendige gesellschaftliche Diskurse anzuregen, gehört zu den im Ethikratgesetz verankerten Aufgaben des Ethikrates. Die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Stellungnahme zu diesem Thema wird uns, wie gesagt, zu Beginn des kommenden Jahres vorliegen. Sie wird eine Auseinandersetzung mit Fragen der Legitimität medizinischer Eingriffe, der gesundheitlichen Fehlversorgung, des Personenstandsrechts und der Möglichkeit eines finanziellen Ausgleichs für widerfahrenes Leid bieten müssen. Einige dieser Themen haben Sie ja bereits in Ihrem Antrag genannt. Die Wahrheit ist: Intersexualität ist ein Thema, für das es vielleicht noch nicht in ausreichendem Maße Sensibilität und Verständnis gibt. Daher freut es mich umso mehr, dass wir auf der erwähnten Plattform eine Fülle von Wortmeldungen registrieren konnten, die Anregungen und Impulse für die weitere Diskussion, auch für unsere Diskussion gegeben haben. In dem allgemeinen Prozess, der in dem Diskursverfahren des Ethikrats vonstattenging, stellten sich schnell drei Punkte heraus, über die Konsens herrscht. Da sie unstrittig sind, sollte man sie an dieser Stelle durchaus erwähnen. Natürlich haben intersexuelle Menschen das Menschenrecht auf Nichtdiskriminierung. Natürlich haben sie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Gesundheit. Und sie haben - das ist ganz wichtig - ein Selbstbestimmungsrecht, das über dem Elternrecht steht. Sie haben das Recht, zu entscheiden, wer und wie sie sein möchten. Diese Entscheidung darf ihnen von niemandem genommen werden, nicht von ihren Eltern und auch nicht von der Politik. Diese Menschen müssen ihr ganzes Leben mit den Entscheidungen, die sie treffen, leben. Das gilt insbesondere für diejenigen, die in einem Körper leben, der ohne gesundheitliche Relevanz und aus einem vermeintlich ästhetischen Ideal heraus im frühen Kindesalter operativ verändert wurde. Deswegen, glaube ich, müssen wir aufpassen, dass wir keine pauschalen Regelungen aus dem Boden stampfen, dass wir diese Menschen nicht wieder in Kategorien zwängen und ihnen nicht wieder eine Sonderrolle abseits einer wie auch immer gearteten Norm zuweisen. Im Idealfall akzeptieren wir diese Menschen so, wie sie sind, als Teil unserer Gesellschaft, räumen ihnen keine Sonderrolle ein, sondern geben ihnen die Möglichkeit der Wahrnehmung der gleichen unveräußerlichen Rechte wie jedem anderen Menschen in unserem Land auch. Wir sehen der Stellungnahme des Ethikrats mit großem Interesse entgegen. Ich gehe davon aus, dass sie geeignet sein wird, viele Fragen zu klären und ein sicheres Fundament für etwaige politische Entscheidungen zu geben. So werden das Interesse und die Rechte der Betroffenen gewahrt und so weit wie möglich unterstützendes staatliches und gesellschaftliches Handeln initiiert. Es ist ganz gut, dass wir diese Debatte heute begonnen haben. Ich hoffe, dass wir den sachlichen Ton, der uns bei anderen Themen vielleicht manchmal fehlt, bei diesem Thema fortführen können; denn, um mit den Worten von Frau Veith, der Vorsitzenden des Vereins Intersexuelle Menschen e. V., zu sprechen: Es gilt, das Tabu um das Leben intersexueller Menschen zu beseitigen, eine gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen und die Rechte aller, auch intersexueller Menschen zu wahren. Intersexuelle Menschen … sind, was sie sind: Menschen. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Christel Humme für die SPD-Fraktion. ({0})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Was wir nicht verstehen können, das darf nicht sein. - Ich glaube, das ist das Motto, nach dem bisher im Umgang mit intersexuellen Menschen verfahren wurde. Diesen Eindruck gewinnt man eindeutig. Wir haben schon gehört, um welche Menschen es geht: Es geht um Menschen, die nicht in unser vorherrschendes Klassifizierungssystem „männlich“ oder „weiblich“ passen. Mit dieser Zuordnung beginnt für diese Menschen gleichzeitig ein langer Leidensweg. Ich glaube, es ist an der Zeit, zu sagen: Den dürfen wir nicht länger dulden. Die Medizin spricht von einer Störung der Geschlechtsentwicklung und empfiehlt eine kosmetische Genitaloperation - und das bereits im Säuglings- oder Kleinkindalter. Viele intersexuelle Menschen, die in frühester Jugend diese Operation über sich ergehen lassen mussten, sehen sich zu Recht als Opfer von Verstümmelung. Sie sind ihr Leben lang schwer traumatisiert. Ärzte maßen sich an, stellvertretend für die Betroffenen eine nicht korrigierbare Entscheidung zu treffen. Sie und die Eltern befinden darüber, ob ein Kind künftig ein Junge oder ein Mädchen zu sein hat - und das, obwohl sie wissen, dass sich zu diesem Zeitpunkt die sexuelle Identität noch gar nicht ausgebildet hat. Herr Tauber hat schon gesagt, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt - leider -, sondern dass in der Bundesrepublik jährlich bis zu 340 intersexuelle Menschen geboren werden und wir bis heute von insgesamt 10 000 ausgehen müssen. Da es immer eine Dunkelziffer gibt, lässt sich vermuten, dass es wahrscheinlich noch viel mehr Menschen sind. Was ist zu tun? Sie haben viel Gutes in dem Antrag der Grünen aufgeschrieben, Frau Lazar. Ich möchte noch einmal drei Punkte hervorheben: Erstens. Es ist vollkommen richtig, zu sagen, dass wir Änderungen im deutschen Personenstandsrecht brauchen. Man muss sich das einmal vorstellen: Neugeborene - das wissen Sie vielleicht - müssen in Deutschland innerhalb einer Woche angemeldet werden. Es wird eine Geburtsurkunde erstellt, die den Namen des Kindes und seiner Eltern und das Geschlecht enthält. Damit beginnt eigentlich schon der Leidensweg der Betroffenen; denn nach unserem deutschen Recht kann man entweder „männlich“ oder „weiblich“ eintragen. Damit geraten Eltern unter unnötigen und sogar gefährlichen Zugzwang; denn sie werden gedrängt, eine Entscheidung zu fällen, die die gesamte Zukunft ihres Kindes nachhaltig beeinflusst. Sollte es nicht eine weitere Kategorie, nämlich „intersexuell“, geben? Was spricht dagegen, das entsprechende Feld im Ausweis unter Umständen bis zur Pubertät oder vielleicht sogar, was ich begrüßen würde, bis zur Volljährigkeit einfach freizulassen? Australien zum Beispiel hat ganz aktuell eine Lösung gefunden. Vielleicht sollten wir uns das etwas näher ansehen. Ich weiß: Manche befürchten, dass, wenn so etwas im Ausweis steht, Kinder und Jugendliche Diskriminierung erfahren. Aber genau an diesem Punkt entlarven wir uns. Denn es fehlt an umfangreicher Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit: für die Betroffenen, ihre Angehörigen und letztlich für uns alle. Ich glaube, wir sollten auch noch einmal darüber nachdenken, ob die Stelle, die auch für Diskriminierung wegen der sexuellen Identität zuständig ist, nämlich die Antidiskriminierungsstelle, in ihr noch aufzubauendes Beratungsnetzwerk auch diese Menschen einbezieht. Das fände ich gut, ({0}) sowohl mit Blick auf die Öffentlichkeitsarbeit als auch hinsichtlich der Hilfestellung. Kürzungen sind an dieser Stelle der falsche Weg. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, nun zum meiner Ansicht nach wichtigsten Punkt, dem Selbstbestimmungsrecht der intersexuellen Menschen. Herr Tauber hat das schon sehr eindringlich betont. Wir dürfen die Deutungshoheit - das ist meine Überzeugung - über das Phänomen Intersexualität nicht länger der Medizin überlassen; denn Intersexualität ist weder eine Krankheit noch eine Störung. Eine Geschlechts-OP sollte künftig nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn die Operationseinwilligung von den Betroffenen selbst gegeben wird. Die heutige Praxis wird nicht nur von Nichtregierungsorganisationen klar als Menschenrechtsverletzung bezeichnet. Auch der Gleichstellungsausschuss der Vereinten Nationen, CEDAW, hat im Jahr 2009 Deutschland gemahnt, internationale Menschenrechte auch bei intersexuellen Menschen zu garantieren. Auch die UN-Kinderrechtskonvention, die vorhin bei den Kinderrechten schon ein wichtiges Thema war, verpflichtet die Bundesregierung dazu, die Rechte des Kindes als Individuum zu achten. ({1}) Wir als Gesetzgeber müssen dafür sorgen, dass endlich die Betroffenen allein über ihre sexuelle Identität entscheiden dürfen - und darüber, ob sie eine geschlechtsangleichende OP in Anspruch nehmen möchten oder nicht. Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit, das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung und sexuelle Selbstbestimmung müssen auch für intersexuelle Menschen selbstverständlich sein. Frau Lazar, Sie haben viele gute Vorschläge gemacht. Herr Tauber, ich war begeistert davon, dass Sie in Ihrer Rede vieles unterstützt haben. Darum wäre ich dafür, dass wir nicht nur die Ergebnisse des Ethikrates abwarten, sondern uns zugleich selber bemühen, eine Anhörung mit den Gesundheitspolitikern, den Rechtspolitikern und den Innenpolitikern durchzuführen, um dieses differenzierte Problem zu erfassen und gemeinsam eine Lösung für diese Menschen zu finden. Schönen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf die Situation von intersexuellen Menschen bin ich erstmals durch eine Veranstaltung aufmerksam geworden, auf der sie sich vorgestellt haben und auf der ich mich mit Menschen, die sich als intersexuell bezeichnen, gesprochen habe. Das war für mich eine sehr eindrucksvolle Erfahrung. Sie hat mich durchaus erschüttert, weil mir Menschen gegenübersaßen, die eine Frau oder ein Mann zu sein schienen, aber ein anderes Geschlecht hatten und sich auch damit auseinandersetzen mussten, dass sie als Kinder Operationen erlebt haben, die sie nicht verstanden haben, über die sie keine Informationen hatten und die sie ein Leben lang belasten, weil sie von Kindheit an nicht mit ihrer Situation umzugehen gelernt haben. Das hat mir deutlich gemacht, dass wir, auch wenn es sich nur um eine kleine Gruppe in unserer Bevölkerung handelt, es hier mit grundlegenden Menschenrechtsfragen zu tun haben, insbesondere mit Fragen der Menschenwürde. Ich denke, es ist sehr sinnvoll, dass wir uns mit diesem Thema nachdrücklich und nachdenklich auseinandersetzen, es ernst nehmen und es nicht als parteipolitische Fragestellung missverstehen. Dass das keiner tut, davon bin ich überzeugt. Wir wissen mittlerweile, dass es Menschen gibt, die eben nicht eindeutig als Mädchen oder Junge, als Mann oder Frau geboren werden. Wir wissen auch, dass das in der Vergangenheit über viele Jahre große Irritationen ausgelöst hat. Noch bis in die 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts wurden uneindeutige genitale, chromosomale und gonadische Geschlechtsmerkmale meist schon in frühester Kindheit chirurgisch „angepasst“, oder es wurde versucht, die Geschlechtsidentität hormonell zu beeinflussen. Auch heute gibt es noch solche Ansätze. Die Betroffenen können bzw. konnten sich im Kindesalter nicht dagegen wehren und verstehen erst langsam, was ihnen widerfahren ist. Sie fordern, Intersexualität rechtlich und gesellschaftlich anzuerkennen. Dabei berufen sie sich auch auf das Diskriminierungsverbot der UN und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. In diesem Zusammenhang ist fast alles gesellschaftlich, rechtlich und medizinisch umstritten. Nicht nur Zeitpunkt und Reichweite der Maßnahmen, sondern auch die rechtlichen Konsequenzen, die ein „drittes Geschlecht“ haben könnte, sind bislang völlig ungeklärt. Der Deutsche Ethikrat ist daher vom Familienministerium zu einer Stellungnahme aufgefordert worden und hat unter anderem eine Onlinedebatte gestartet. Davon haben wir schon gehört. Der Ethikrat näherte sich zuerst der Frage, ob es sich bei den einzelnen Formen von Intersexualität um eine Störung oder um eine Variante der Geschlechtsentwicklung handelt. In diesem Zusammenhang mussten viele Erfahrungen und Bedürfnisse von Betroffenen bewertet und berücksichtigt werden. In einer ersten Einschätzung der öffentlichen Anhörung vom 8. Juni dieses Jahres hat der Deutsche Ethikrat verlautbart: Medizinische Eingriffe zur Geschlechtszuweisung betreffen den Kern des Persönlichkeitsrechts jedes Menschen, seine Geschlechtsidentität, sexuelle Empfindungsfähigkeit und seine Fortpflanzungsfähigkeit. Hier findet das Elternrecht seine Grenzen und auch dies spricht dafür, mit solchen Eingriffen so lange wie möglich zu warten, damit die betroffenen Intersexuellen selbst entscheiden können. Die abschließende Darstellung des Ethikrats wird für Anfang 2012 erwartet. Darauf sind wir alle sehr gespannt. Den Begriff der Intersexualität prägte 1915 der Genetiker Richard Goldschmidt. Er verwies damit auf geschlechtliche Erscheinungsformen, die er als Mischungen zwischen einem idealtypischen männlichen und weiblichen Phänotyp betrachtete. Obwohl das Phänomen nunmehr fast 100 Jahre bekannt ist, stehen wir noch immer ganz am Anfang der Debatte. Die häufig angenommene Theorie, man könne das Geschlecht medizinisch festlegen, führt heute noch immer vor allem zu genitalangleichenden Operationen. Diese Eingriffe erfordern meist langfristige Nachbehandlungen. Betroffene wissen oft nichts über den Hintergrund. Dies führt zu falschen medizinischen Folgebehandlungen. So werden zum Beispiel die auf der Krankenkassenkarte als weiblich gekennzeichneten Menschen, die aber im Kerngeschlecht xy-chromosomal sind, falsch behandelt. Zu den psychischen Schäden gehören starke Traumatisierungen durch die Operationen und ihre Folgen. Zudem sind die Reaktionen des auf eine angeblich mögliche Geschlechtsfestlegung drängenden sozialen Umfeldes und die Tabuisierung der Intersexualität oft belastend. Betroffene kritisieren aus diesen Gründen zu Recht die Zwangsfestlegung - insbesondere im Kindesalter und fordern, die Genitaloperationen erst dann durchzuführen, wenn der intersexuelle Mensch die Operation aus eigenem Willen möchte und ihr zustimmen kann. Chirurgische Anpassungen im Kindesalter werden von Betroffenen mit der unsäglichen Praxis der Beschneidung weiblicher Genitalien gleichgesetzt. Das ist eine Auffassung, für die ich viel Verständnis habe. Persönlich bin ich der Auffassung, dass niemand ohne Erlaubnis und ohne die durch das Lebensalter der Betroffenen anzunehmende Einsicht das Recht hat, an den Genitalien eines Kindes oder Jugendlichen herumzuschneiden. ({0}) Neben diesen Geboten der Ethik wirft die bisherige Praxis erhebliche rechtliche Fragestellungen auf, denen wir uns stellen müssen. So kommen mittlerweile etliche Gutachten und Dissertationen zu dem Ergebnis, dass geschlechtszuweisende Operationen grundgesetzwidrig sein könnten und umgehend verboten werden müssten. Es mag sein, dass Intersexualität den Zahlen nach nur eine kleinere Gruppe der Gesellschaft betrifft. Die Größe einer Gesellschaft beweist sich aber im Umgang mit ihren Minderheiten. ({1}) Das unglaubliche und unwürdige Vorgehen, welches dieser Gruppe bisher widerfuhr, müssen wir thematisieren, und wir müssen eine Lösung herbeiführen, die einem demokratischen Rechtsstaat würdig ist und die die Würde intersexueller Menschen schützt. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Den Redebeitrag der Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke nehmen wir zu Protokoll1). Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Klimke für die Unionsfraktion. ({0})

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich hier als Menschenrechtspolitiker der Union zu den Grundrechten intersexueller Menschen Stellung nehmen kann und darf. Denn das Recht der se- xuellen Selbstbestimmung betrifft nicht nur die sexuelle Orientierung, sondern auch die Geschlechtsidentität und damit auch die Intersexualität. Deshalb ist es auch Auf- gabe von uns Menschenrechtspolitikern, an der Umset- zung dieses Grundrechtes in adäquate Gesetzgebung mitzuwirken. Das Thema intersexuelle Menschen und der Gedanke, dass hier noch mehr vorhanden ist als die beiden Ge- schlechter „männlich“ und „weiblich“, ist jenseits von Betroffenen und einigen Experten weitgehend neu. Was uns nicht persönlich trifft, sollten wir jedoch nicht igno- rieren. Vielmehr sind wir Politiker in diesem Zusam- menhang zum Handeln aufgerufen. Eines muss gleich am Anfang angemerkt werden: Das lange vorherrschende Denken, dass die Festlegung auf ein Geschlecht für die weitere Entwicklung von Interse- xuellen die einzige Lösung sei, ist der falsche Weg, ob wir uns das nun vorstellen können oder auch nicht. In der Fachwelt zeichnet sich inzwischen ein Paradigmen- wechsel ab. Die breite Öffentlichkeit ist jedoch jenseits von Klischees noch nicht genügend über das Thema auf- geklärt und auch noch nicht genügend sensibilisiert. Das gilt teilweise auch für das Fachpersonal im Gesundheits- wesen, für Ärzte, Psychotherapeuten oder eben auch Hebammen. Während Homosexualität heute in vielen Bereichen in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und von einem überwiegenden Teil der Menschen akzeptiert 1) Anlage 2 wird, kann man das von der Intersexualität nicht behaupten. Homosexuelle Menschen und ihre Familien können sich in einer Vielzahl von Beratungsstellen Unterstützung für den Umgang mit ihrer Situation einholen. Zudem sind wir gerade in den letzten Jahren mit der politischen Gleichberechtigung der Homosexuellen vorangekommen. Das können wir über intersexuelle Menschen nicht sagen. An wen sollen sich Eltern wenden, wenn sie das Geschlecht ihres Kindes nicht eindeutig zuordnen können? Ist in einem solchen Fall die Hebamme, der Gynäkologe, der Kinderarzt oder der Psychotherapeut der richtige Ansprechpartner? Wird dessen Rat wirklich in angemessener Weise den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen gerecht? Ich glaube, man darf hier noch Zweifel haben. Auch im Personenstandsrecht wird intersexuellen Menschen nicht genügend Rechnung getragen. Um wirklich zielführende Verbesserungen zu erreichen, benötigen wir aber zuallererst fundierte wissenschaftliche Informationen und ethische Bewertungen. Hier ist der Deutsche Ethikrat - es ist hier mehrfach angesprochen worden - die richtige Stelle. Richtig ist auch, dass der Deutsche Ethikrat aufgrund der großen Bedeutung und der Komplexität des Themas ein Gutachten erarbeitet - es wurde eben angesprochen -, das in den nächsten Monaten die Bundesregierung erreichen wird. Erste Veröffentlichungen bestärken mich in der Annahme, dass dieses Gutachten zu einer ausgewogenen, einer neuen Betrachtungsweise führen wird und einen Leitfaden auch für den weiteren politischen Umgang mit diesem Thema bieten kann. Ich bitte deshalb die Grünen, zu überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, den Antrag so lange zurückzustellen, bis der Bericht vorliegt und vielleicht von uns behandelt worden ist, damit wir auf Grundlage eines noch breiteren Expertenwissens debattieren und entscheiden können. ({0}) Das Expertengespräch des Deutschen Ethikrates vom Juni 2004 kann man auf der Website des Deutschen Ethikrates nachlesen. Es offenbart vor allen Dingen die große Komplexität des Themas. Ich möchte hier weder auf unterschiedliche Ursachen noch auf unterschiedliche Ausformungen der Intersexualität eingehen. Ein Hinweis sei mir jedoch gestattet: Es muss immer der einzelne Mensch mit seiner Persönlichkeit und seinen psychischen Besonderheiten betrachtet werden. Ein Pauschalschema für den Umgang mit der Intersexualität sollte es meiner Meinung nach künftig nicht geben. Es geht um Individuen. Das betrifft ganz besonders auch diejenigen Operationen, die die Genitalorgane verändern. Lassen Sie mich auf einen Beitrag eingehen, den Frau Professor Richter-Appelt vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bei dem Expertengespräch vorgetragen hat. Sie begann ihren Vortrag mit der Frage, wen man überhaupt als Frau oder als Mann bezeichnen kann. Die unterschiedliche Ausstattung mit Chromosomen, die unterschiedliche Ausformung der Geschlechtsmerkmale sowie die selbstempfundene Zuordnung sind hier zu berücksichtigen. Allein dies zeigt, dass es nicht die Intersexualität gibt, sondern eine Vielzahl verschiedener Formen. Während früher bei Intersexualität die Zuweisung zu einem der beiden Geschlechter - verbunden mit Operationen, Medikamenteneinnahme und eindeutig männlicher oder weiblicher Erziehung - der Lösungsweg oder der vermeintliche Lösungsweg war, wurde im Rahmen eines Hamburger Forschungsprojekts festgestellt, dass diese Geschlechtskorrektur eigentlich nur selten das Ziel individueller Zufriedenheit erreicht hat. Ich zitiere Frau Richter-Appelt aus ihrem Vortrag: Die hohe psychosoziale Belastung und das beeinträchtigte Körpererleben machen es deutlich, dass trotz medizinischer Behandlungen häufig kein psychophysisches Wohlbefinden gewährleistet werden konnte. Wir benötigen also auch im medizinischen Bereich andere Ansätze, die der Vielfalt der Intersexualität stärker Rechnung tragen und die gegebenenfalls auch zu einer stärkeren Beschäftigung der Psychotherapie mit diesem Thema führen könnten. Um es zusammenzufassen: Wir brauchen mehr Forschung, mehr Sensibilität, mehr Aufklärung und Beratung sowie eine andere Herangehensweise bei geschlechtskorrigierenden Maßnahmen. Weiter benötigen wir eine Regelung, die intersexuellen Menschen in unserem binären Geschlechtskonzept besser gerecht wird. Der Ethikrat arbeitet zurzeit an all diesen Punkten. Er wird sicher zu einem Ergebnis kommen, das die Bundesregierung in politisches Handeln umsetzen kann. Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass wir das Ende dieser Arbeit noch abwarten sollten. Sosehr ich nachvollziehen kann, dass aus Sicht der Grünen hier Handlungsbedarf besteht, so sehr glaube ich doch, dass wir jetzt nicht mit Schnellschüssen Anträge beschließen, sondern dazu beitragen sollten, gerade diesen Bereich sehr eingehend, sehr intensiv und sehr individuell zu beraten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Angelika Graf für die SPDFraktion. ({0})

Angelika Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002662, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Klimke, ich glaube, das ist kein Schnellschuss, den die Grünen mit diesem Antrag versuchen, sondern es ist der Versuch, dieses Thema in den Deutschen Bundestag hineinzutragen und uns alle damit zu beschäftigen. Ich gratuliere den Grünen ausdrücklich dazu, dass das gelungen ist; denn alle Rednerinnen und Redner haben sich am heutigen Abend hinter diesen Antrag und seine Notwendigkeit gestellt. Ich finde, es ist ausgesprochen wichtig, dass wir hier über die Grundrechte intersexueller Menschen sprechen. ({0}) Angelika Graf ({1}) In dem vorliegenden Antrag werden Vorschläge zur Verbesserung der Situation intersexueller Menschen gemacht. Auch aus menschenrechtlicher Sicht befürworte ich ihn ausdrücklich. Wir wissen sehr wenig über die Situation intersexueller Menschen. Es gibt nur diffuse Schätzungen über die Zahlen. Es werden jährlich zwischen 150 und 340 intersexuelle Kinder geboren. Auf der anderen Seite schätzt die Bundesregierung die Zahl der intersexuellen Menschen zwischen 8 000 und 10 000. Wenn man ein bisschen nachrechnet, stellt man fest, dass es mehr sein müssten. Dabei handelt es sich nur um eine Schätzung. Das macht deutlich, wie wenig wir darüber wissen. Nichtregierungsorganisationen wie Zwischengeschlecht.org oder die Selbsthilfegruppen gehen von weit höheren Zahlen aus. Ich denke, sie haben recht. Dazu kommt noch, dass die Intersexualität aufgrund ihrer verschiedenen Ausprägungen manchmal erst in der Pubertät erkannt wird. Deswegen ist es ein Anachronismus, wenn Kleinkinder auch heute noch an ihren nicht eindeutigen Genitalien operiert werden, damit sie sozial und rechtlich einem eindeutigen Geschlecht zugeordnet werden können. Studien haben ergeben, dass die Behandlungsunzufriedenheit von operierten Intersexuellen sehr hoch ist. Das besagt die Hamburger Studie auf der einen Seite und auch das „Netzwerk DSD/Intersexualität“ auf der anderen Seite. Mehr als ein Viertel der operierten Menschen erleiden medizinische Komplikationen, die häufig Nachoperationen nötig machen. Die ständig notwendigen Medikationen sind ein weiteres Problem. Aber nicht nur das: Viele Menschen können sich im Laufe des Erwachsenwerdens nicht mit ihrem durch die Entscheidung anderer - der Eltern und der Ärzte - sozial und biologisch zugeordneten Geschlecht identifizieren. Später versuchen sie, es noch einmal auf aufwendige Weise zu wechseln. Das ist eine furchtbare Situation. Die Psyche leidet darunter erheblich. 47 Prozent der Befragten haben angegeben, Suizidgedanken zu haben. Die Traumatisierung durch die Operationen im Kindesalter belastet oft sehr stark die Eltern-Kind-Bindung. Viele berichten davon, dass sie sich wegen dieser Behandlung, die im Kindesalter erfolgt ist, nicht verlieben können und keine sexuellen Interessen haben. Das hat nichts mit der Intersexualität zu tun, sondern das hat mit der so früh erfolgten Operation zu tun. Deswegen müssen wir uns damit beschäftigen. Ich verstehe, dass es in unserer Gesellschaft für Eltern und das soziale Umfeld sehr schwierig ist, solchen Kindern den Freiraum zur Selbstentdeckung bezüglich ihrer geschlechtlichen Identitätsfindung zu ermöglichen; denn die Familie, die Freunde und die Behörden fragen: Ist es ein Mädchen oder ein Bub? Das ist eine eindeutige Frage, die man in dem Fall aber nicht eindeutig beantworten kann. Wie können Eltern, ohne dass die Gesellschaft offener für solche Themen wird, unter diesem Zuordnungsdruck ihr Kind so erziehen, dass es später eine eigene Entscheidung frei treffen kann? Wie ist es für ein Kind, eine solche Belastung mit sich herumzutragen? Das sind Fragen, über die man sich Gedanken machen muss. Wie entwickeln sich Kinder, die ihrem Umfeld sagen müssen: „Ich weiß noch nicht, was ich einmal werde, ich bin noch in der Entwicklung“? Wenn das Kind nach der Pubertät eine eindeutige soziale Geschlechtsidentität gefunden hat, dann stellt sich die Frage nach eventuell vorhandenen medizinischen Möglichkeiten der Geschlechtsangleichung, die aufwendig und schmerzhaft ist, aber nur, wenn der erwachsene Betroffene das auch wirklich will. Vielleicht will sich ein intersexueller Mensch im Erwachsenenalter gar nicht festlegen. Wir können das wirklich nicht wissen. Diese vielen Fragen und die nicht vorhandenen Antworten zeigen, dass unsere Gesellschaft noch nicht darauf eingestellt ist. Wir als Gesellschaft müssen massiv daran arbeiten, Antworten zu finden. Was ist zu tun? Erstens. Rechtlich müssten wir dafür sorgen, dass Operationen nur dann vorgenommen werden, wenn sie medizinisch notwendig sind. Selbsthilfegruppen fordern deshalb, dass Intersexualität nicht mehr als Krankheit oder Defekt eingestuft wird. Zweitens. Wir müssen den behördlichen Entscheidungsdruck auf eine eindeutige Geschlechtszuordnung aufheben. Drittens. Wir müssen endlich mehr über intersexuelles Leben erfahren, das heißt: mehr interdisziplinäre Beratung und Hilfen für Betroffene, Eltern und das soziale Umfeld. Wir müssen in diesem Bereich mehr forschen. Vielleicht gelingt es ja auch, die sexuelle Identität im Grundgesetz aufzunehmen, damit Diskriminierung verhindert werden kann. ({2}) Ich denke, das wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Vielen herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind uns offensichtlich einig, dass wir erst am Anfang der Debatte über dieses Thema stehen. Deshalb sage ich ganz ausdrücklich: Ich schließe die Aussprache für den heutigen Tag. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/5528 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. November 2011, 8.30 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.