Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/23/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen unsere Haushaltsberatungen - Tagesordnungs- punkt II - fort: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012 ({0}) - Drucksachen 17/6600, 17/6602 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2011 bis 2015 - Drucksachen 17/6601, 17/6602, 17/7126 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider ({2}) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz ({3}) Dazu rufe ich ohne weitere Vorankündigungen den Tagesordnungspunkt II.10 auf: Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt - Drucksachen 17/7123, 17/7124 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Petra Merkel ({4}) Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz ({5}) Über den Einzelplan 04 werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion. ({6})

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es genügen drei Zahlen, um den von der Bundeskanzlerin vorgelegten Haushalt zu bewerten: Die erste Zahl ist die Summe neuer Schulden, die CDU/CSU und FDP im laufenden Jahr, 2011, aufgenommen haben. Sie beträgt nach Auskunft der Bundesregierung 22 Milliarden Euro. Die zweite Zahl ist die Summe der Steuermehreinnahmen laut Steuerschätzung vom Herbst 2011 und die Summe der Zinsersparnisse im kommenden Jahr. Die beiden Summen ergeben im Saldo eine Entlastung im Jahr 2012 in Höhe von mindestens 4,3 Milliarden Euro. Die dritte Zahl ist die Summe neuer Schulden, die Sie, Frau Bundeskanzlerin, im kommenden Jahr, 2012, trotz dieser Entlastung um 4,3 Milliarden Euro aufnehmen wollen. Die Zahl liegt nicht etwa um 4,3 Milliarden Euro niedriger als im Jahr 2011, sondern, im Gegenteil: Angela Merkel und ihr Finanzminister wollen im kommenden Jahr trotz steigender Steuereinnahmen, trotz geringerer Zinsbelastungen, trotz sinkender Arbeitslosigkeit, trotz sinkender Sozialabgaben nicht etwa weniger Schulden aufnehmen, sondern die Neuverschuldung um sage und schreibe 4 Milliarden Euro auf 26 Milliarden Euro erhöhen. ({0}) Es geht nicht um den Vergleich von Äpfeln und Birnen, ({1}) wie sich angesichts dieser drei Zahlen der Herr Bundesfinanzminister gestern herauszureden versucht hat. Es geht vielmehr, meine Damen und Herren, um die Umstände, unter denen die Schulden erhöht werden sollen. In einer Zeit sehr guten Wirtschaftswachstums, in einer Zeit stetig steigender Staatseinnahmen vergrößern Sie, vergrößert diese Koalition den Schuldenberg Deutschlands. ({2}) Die Schuldenbremse in unserer Verfassung will übrigens das genaue Gegenteil: in guten Zeiten sparen und in schlechten Zeiten investieren. Sie stellen diese Schuldenbremse in unserer Verfassung auf den Kopf, Frau Bundeskanzlerin. Das ist verheerend, und deshalb werfen Ihnen das auch alle vor. ({3}) Ihr Finanzminister hat gestern so gereizt reagiert, weil er sich dabei ertappt gefühlt hat. Denn Bundesrechnungshof, Bundesbank, Wirtschaftsweisen - alle kritisieren das. Wie sagte die Frau Bundeskanzlerin, wie sagten Sie, Frau Merkel, noch hier im Bundestag: Wir sparen, allerdings intelligent. - Das nennt man dann wohl Intelligenzbestie. ({4}) - Ich zitiere sie nur. - Wenn Sie der Öffentlichkeit sagen: „Wir sparen, aber intelligent“, und die Schulden erhöhen, dann wollen Sie doch die Öffentlichkeit für dumm verkaufen und zum Narren halten. Das haben Sie doch vor. ({5}) Sie erklären landauf, landab, dass die Zeiten steigender Staatsverschuldung endlich zu Ende sein müssten. Sie verordnen Europa einen ganz harten Sparkurs. Was denken Sie eigentlich, wie glaubwürdig diese Politik in Europa ist, wenn Sie hier in Deutschland, unter weit besseren Bedingungen als in allen anderen Staaten Europas, die Schulden erhöhen? „Deutschland geht es so gut wie lange nicht.“ ({6}) - Man kann Sie ausrechnen; Sie sind wirklich ganz putzig. Wir haben darüber gewettet, ob Sie an der Stelle klatschen. Aber Sie haben den letzten Satz noch nicht gehört; es handelt sich um ein Zitat von Ihrer Kanzlerin. - Der letzte Satz lautet: Deshalb ist das zentrale Thema der Abbau von Schulden und die Haushaltskonsolidierung. ({7}) Das ist das, was Sie gesagt haben; aber jetzt machen Sie das genaue Gegenteil. Ich habe ja Humor. Aber dass Sie selbst öffentlich erklären: „Wir wollen weniger Schulden machen“, ({8}) und damit durch die Lande ziehen und dann im Bundestag für nächstes Jahr 4 Milliarden Euro mehr Schulden beschließen als für dieses Jahr, obwohl es Deutschland so gut geht, und gleichzeitig anderen Ländern empfehlen, sie sollen ihre Schulden senken, obwohl sie in der Krise stecken, das ist wirklich nicht zum Lachen. Das ist eine ziemlich finstere Angelegenheit, was Sie hier in Deutschland veranstalten. ({9}) Ich verstehe Sie: Sie haben sich an das Handeln der Kanzlerin nach dem Motto „Was stört mich mein Geschwätz von gestern?“ längst gewöhnt, wir noch nicht; das ist der einzige Unterschied in der heutigen Debatte. ({10}) Meine Damen und Herren, die öffentlichen Kommentare zu Ihrer Finanzpolitik sind entsprechend. Das Handelsblatt spricht von „deutscher Heuchelei“. Die Financial Times Deutschland titelt: „Bundesbank rechnet mit Schäuble ab“ und zitiert dann die Bundesbank - vielleicht klatschen Sie jetzt wieder -: „Mit dem Bundeshaushalt 2012 ist eine merkliche Abkehr von den Konsolidierungsbeschlüssen vom Juni 2010 verbunden“ … Das kann man wohl sagen. Warum klatschen Sie jetzt eigentlich nicht? Das ist eine Beurteilung der Bundesbank. ({11}) - Bisschen nervös, oder? Es wird ja so unruhig bei Ihnen. Fühlen Sie sich ertappt, oder was ist der Grund? ({12}) Was hatten Sie der deutschen Öffentlichkeit nicht alles versprochen: 80 Milliarden Euro wollten CDU/CSU und FDP zwischen 2011 und 2014 einsparen. Wir - anders als Sie - erinnern uns noch ganz gut an die vollmundigen Versprechungen vor einem Jahr. Was sollte da alles passieren! Ein Jahrhundertpaket sollte es werden. Kleiner geht es bei Ihren Selbstinszenierungen ja meistens nicht. Schauen wir uns einmal an, was aus Ihrem Jahrhundertpaket geworden ist: 4 Milliarden Euro sollte die Abschaffung der Wehrpflicht einsparen. Aufgrund der desaströsen Fehlleistung Ihres einstigen bayerischen Superstars fallen jetzt Mehrkosten an. 6 Milliarden Euro sollte die Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Finanzkrise bringen. Ergebnis: ersatzlos gestrichen. Weit mehr als 10 Milliarden Euro sollte die Streichung von Steuersubventionen und Steuervergünstigungen erbringen. Ergebnis: wieder Fehlanzeige. Und was ist eigentlich aus der von Ihnen so lautstark angekündigten Mehrwertsteuerreform geworden? Nur weil es die Phrasendrescherei Ihrer Koalition so schön illustriert: Was ist mit den Milliardenbeträgen, die durch Bürokratie- und Personalabbau eingespart werden sollten? Das Gegenteil ist passiert. Besonders auffällig sind die Versorgungsfälle in den FDP-Ministerien. ({13}) Sie reden vom Sparen, schaffen aber 480 neue Stellen alleine in den Bundesministerien. Beeindruckend - das muss ich zugeben - sind die 166 neuen Stellen, die alleine im Entwicklungsministerium von Herrn Niebel geschaffen wurden - ein Ministerium, das er eigentlich einmal ganz abschaffen wollte. Ausgerechnet eine Partei, die so gerne über den schlanken Staat und Entbürokratisierung schwadroniert, bringt noch schnell die letzten Mitarbeiter aus der FDP-Parteizentrale in einem sicheren Job bei der Bundesregierung unter. ({14}) Das ist aus Ihren Versprechungen zum Personalabbau geworden, meine Damen und Herren! ({15}) So kann man die Liste weiter fortsetzen. Aus Ihrem Jahrhundertwerk, Frau Merkel, ist wohl eher eine Tagesbaustelle geworden. Wo Sie von anderen Staaten massive Einschnitte zum Abbau der Verschuldung fordern, muten Sie sich selbst gar nichts zu - im Gegenteil: Statt zu sparen, ziehen Sie auch noch die Spendierhosen an. 6 Milliarden Euro soll die Steuersenkung kosten, die den Geringverdienern in Deutschland gar nichts bringt. ({16}) - Der Zwischenruf von Herrn Fricke ist wirklich klasse. Ich kann Ihnen den nicht vorenthalten. Er sagt: Das ist doch erst später, das ist doch nicht gleich in einem Jahr. Verstehen Sie eigentlich gar nicht, Herr Fricke, dass wir uns mit wirtschaftlichen und konjunkturellen Risiken auseinandersetzen müssen? Deshalb müssen wir jetzt sparen, und zwar jeden Cent, damit wir morgen wieder Arbeitsplätze in diesem Land sichern können. Das haben Sie überhaupt nicht begriffen. ({17}) Ich finde es auch interessant, sich mit dem Inhalt dieser Steuersenkung auseinanderzusetzen. Der Geringverdiener - für den soll sie ja vorgenommen werden - bekommt freundlicherweise 0 Cent; der zahlt nämlich keine Steuern. 40 Prozent der deutschen Haushalte haben nichts von dem, was Sie da planen. Der Durchschnittsverdiener mit einem Einkommen von 2 250 Euro hat eine monatliche Steuerersparnis von 4 Euro. ({18}) Glauben Sie eigentlich selbst an Ihre Sprüche, dass das den Massenkonsum und die Binnenkonjunktur in Deutschland fördern soll? Herr Kollege Fricke, Sie fragen: Ist das nichts? Ich will Ihnen einmal sagen, was die Folge ist. Die Folge ist nicht, dass der Durchschnittsverdiener 4 Euro mehr hat. Die Folge ist, dass Sie in diesem Zusammenhang 2 Milliarden Euro von den Städten und Gemeinden bezahlen lassen. In der Folge wird der, der von Ihnen 4 Euro im Monat geschenkt bekommt, mit höheren Kindergartengebühren und anderen städtischen Abgaben belastet werden. Das ist das Ergebnis, das dabei herauskommen wird. ({19}) Die Gemeinden kostet das Ganze 2 Milliarden Euro, und deswegen müssen wir darüber reden. Denn die Kommunen sind immer diejenigen, die bei Ihrer Steuerpolitik am Ende daran glauben müssen. Das war schon beim Hoteliergesetz so. In diesem Zusammenhang möchte ich auf unsere gestrige Debatte zum Kampf gegen Rechtsextremismus in Deutschland zurückkommen. ({20}) - Hören Sie einmal zu. - Denn zwischen dem Ausbluten der Städte und Gemeinden in Deutschland und dem Erstarken des Rechtsextremismus gibt es für mich einen ganz eindeutigen Zusammenhang: Dort, wo sich Gemeinden und Städte aufgrund ihrer Finanznot zurückziehen, dringen Neonazis ein. Wo Jugendeinrichtungen geschlossen werden, Vereine, Ehrenamt und Sport nicht mehr ausreichend gefördert werden und Freizeit- und Kulturangebote verschwinden, dort entstehen sozial entleerte Räume. In diese sozial entleerten Räume dringen Rechtsradikale ein. ({21}) - Da Sie hier unruhig werden: Sie sind doch genau wie wir der Überzeugung, dass es uns nachdenklich machen muss und zum Handeln auffordert, wenn die NPD den Kommunen anbietet, den Betrieb von Jugendzentren und Kindergärten fortzuführen, wenn sie wegen der kommunalen Finanznot geschlossen werden sollen. Das sind doch praktische Beispiele, die wir in Deutschland präsentiert bekommen. Ich sage Ihnen: Mindestens so wichtig wie ein Verbot der NPD, mindestens so wichtig wie die sichtbare Präsenz der Polizei in den Stadtvierteln und Gemeinden, in denen die Rechtsradikalen die Herrschaft übernehmen wollen, ist es, die soziale und kulturelle Verwahrlosung in unseren Städten und Gemeinden zu bekämpfen. ({22}) So wichtig die Debatten im Bundestag auch sind: Der Kampf um Demokratie und gegen den Rechtsextremismus wird nicht hier im Parlament entschieden, sondern vor Ort. Die soziale und demokratische Gesellschaft be16910 ginnt in der sozialen und demokratischen Stadt und Gemeinde. Es ist deshalb ein Fehler, den Kommunen nochmals Geld zu entziehen, ob durch Steuersenkungen oder durch Kürzungen der Programme für die soziale Stadtentwicklung. ({23}) Die 6 Milliarden Euro für die Steuersenkung als Kaufpreis für das Stillhalten der FDP bei der Euro-Achterbahn waren noch nicht genug. Frau Bundeskanzlerin, Sie mussten auch noch die CSU bedienen. Da haben Sie dann zulasten der Verschuldung unseres Landes eine wahrlich abenteuerliche Verabredung getroffen: 150 Euro im Monat - Milliardenbeträge - sollen Eltern jetzt bekommen, wenn sie ihre Kinder nicht in den Kindergarten schicken. Ich muss wirklich fragen: Wie verrückt oder - besser wie verantwortungslos muss man eigentlich sein, um auf diese Idee zu kommen? ({24}) Selbst die Bild-Zeitung ist fassungslos, Frau Bundeskanzlerin. Dort steht: Statt Milliarden für ein unsinniges Betreuungsgeld zu verpulvern, sollte die Regierung jeden Cent in die Kinderbetreuung investieren! Wo die Bild-Zeitung recht hat, hat sie recht: Das wäre ein angemessener Umgang mit dem Thema gewesen. ({25}) Es ist übrigens - ich sage das an die CSU gerichtet keineswegs so, dass Eltern, die ihre Kinder in die Kindertagesstätte bringen, Rabeneltern sind. ({26}) Viele von denen müssen das übrigens, weil ihre Löhne so niedrig sind, dass beide arbeiten gehen müssen. Da wäre ein echter Mindestlohn eine richtige Hilfe für die Eltern von Kindern; auch da wäre der Mindestlohn richtig, ({27}) aber nicht so ein Papiertiger, wie Sie ihn auf Ihrem Parteitag beschlossen haben. Fast 1,5 Millionen Menschen in Deutschland stocken ihren Lohn mit Arbeitslosengeld II auf; 320 000 von ihnen sind sogar sozialversicherungspflichtig in Vollzeit beschäftigt. Stundenlöhne von 3,18 Euro, 5,33 Euro und 6,19 Euro sind eine Schande für unser Land. ({28}) Die FDP, die hier jahrelang eine Politik zur Bekämpfung der Tariffähigkeit der deutschen Gewerkschaften gemacht hat, wirft jetzt den Gewerkschaften vor, dass sie das nicht durch Tariflöhne verhindern können. ({29}) Das halte ich für eine Unverschämtheit den Gewerkschaften gegenüber, wie ich sie selten gehört habe. Das alles kostet den Staat viel Geld: Mindestens 7 Milliarden Euro geben wir für Lohnzuschüsse aus. Übrigens: Wenn sich die Sozialministerin jetzt Sorgen um die Altersarmut macht, ist das berechtigt. Aber irgendwer muss ihr einmal erklären, dass es Altersarmut nicht ohne Erwerbsarmut gibt. ({30}) Ich finde, das muss doch irgendwann einmal bei Ihnen ankommen. Das eigentliche Problem ist aber, dass Sie nicht verstanden haben, was die CDU-Arbeitnehmer wirklich wollten. Sie wussten, dass zwei Dinge wichtig sind: Erstens. Mindestlohn bedeutet: Einer, der Vollzeit arbeiten geht, muss hinterher nicht zum Sozialamt, um sich den Rest zu holen, damit er die Miete bezahlen kann; denn das ist unwürdig. Ein Mindestlohn ist nur dann ein guter Mindestlohn, wenn er von Hartz IV und Sozialhilfe unabhängig macht. Zweitens. Ihre CDU-Arbeitnehmer wussten, dass es um die Würde der Arbeit geht und es demütigend ist, Menschen, die Vollzeit arbeiten, hinterher zum Sozialamt zu schicken. Deshalb wollten die CDU-Arbeitnehmer einen gesetzlichen Mindestlohn für alle, der von Sozialhilfe unabhängig macht. Daher ist es eine Schande, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie Ihren Arbeitnehmern in den Rücken gefallen sind; denn das ist gerade nicht das Ergebnis der Mindestlohndebatte auf Ihrem Parteitag. ({31}) Meine Damen und Herren, das kostet uns 7 Milliarden Euro, die bei der Senkung der Verschuldung oder bei unseren Schulen besser aufgehoben wären. Wir müssen Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt wiederherstellen. Frau Bundeskanzlerin, gut 10 Milliarden Euro haben Sie insgesamt nächtens in Ihrer Koalitionsrunde verteilt, um das Stillhalten Ihrer Koalitionspartner zu erkaufen. Die 10 Milliarden Euro zulasten der Verschuldung sind so etwas wie eine Stillhalteprämie in Ihrer Koalition gewesen. Wo sind allerdings, Frau Kanzlerin, die Sparvorschläge für diese 10 Milliarden Euro? Nichts zu sehen! Stattdessen machen Sie Politik auf Pump. Das ist genau die alte Politik, die wir nicht mehr gebrauchen können - weder in Griechenland noch in Italien noch in Deutschland, Frau Dr. Merkel, weder dort noch hier. ({32}) Denn wann, wenn nicht jetzt, wo die Steuerquellen sprudeln, wollen wir eigentlich Schulden abbauen? Wann, wenn nicht im wirtschaftlichen Aufschwung, wollen wir Vorsorge treffen für die mit Sicherheit wieder kommenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten? Frau Bundeskanzlerin, irritiert Sie eigentlich gar nicht, dass Sie inzwischen einhellig Ihr eigener Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen, der Bundesrechnungshof und sogar Ihr ehemaliger Kanzleramtsberater kritisieren? Ich weiß nicht, Frau Kanzlerin, was Sie unter einer Schuldenbremse verstehen. Wir verstehen darunter, dass man weniger neue Schulden macht - und nicht mehr. ({33}) - Sie scheinen das eher mit dem Gaspedal zu verwechseln. Sie haben offenbar bei der Verfassungsänderung nicht ganz aufgepasst. ({34}) - Ich kann verstehen, dass Sie das von mir nicht hören wollen. Aber unangenehmer wird es - warten Sie ab -, wenn Sie hören, wer noch alles Ihnen das sagt. Dass Ihr Finanzminister den Ausgangswert der Verschuldung bewusst manipuliert und zu hoch angesetzt hat, um Ihre viel zu geringe Absenkung der Verschuldung optisch zu verkleistern, schreibt Ihnen die Bundesbank ins Stammbuch. Dort heißt es - ich zitiere -: Nach Artikel 143 d GG wäre eine entsprechende Absenkung des Ausgangswertes und damit auch des Anpassungspfades allerdings letztlich geboten. Damit keine Missverständnisse aufkommen, was die Bundesbank damit meint, erklärt der Bundesbankpräsident - ich zitiere -: Deutschland darf keine Zeit verlieren, seinen Haushalt auszugleichen. - Aber Sie erhöhen die Schulden. Das kritisiert Herr Weidmann in seinem Bericht der Bundesbank. ({35}) Manchmal, Frau Dr. Merkel, habe ich den Eindruck, Sie halten das alles für Ratschläge an die Adresse Griechenlands, Italiens oder Portugals. Aber, ehrlich gesagt, Herr Weidmann meint Sie ganz persönlich. Er ermahnt Sie in diesem Bericht, keinen Verfassungsbruch zu begehen. Sie sind aber drauf und dran, genau das zu tun, nur weil Sie Ruhe in der Koalition haben wollen und sich eine Kriegskasse für den Wahlkampf anlegen wollen. Denn um nichts anderes geht es hier. ({36}) Das eigentlich Besorgniserregende an dieser Kritik der Bundesbank ist allerdings nicht einmal die kurzfristige Wirkung Ihrer Schuldenpolitik, sondern die Bundesbank sorgt sich um das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte auch in die Schuldentragfähigkeit Deutschlands. Ich zitiere noch einmal die Bundesbank: Bei weiteren Belastungen geht das Vertrauen in die Tragfähigkeit auch der deutschen Staatsfinanzen verloren. Die Bundesbank befürchtet also auf gut Deutsch: Ein zu geringer Schuldenabbaupfad jetzt kann dazu führen, dass bei einem wirtschaftlich schlechteren Klima die deutschen Staatsschulden so stark steigen, dass auch unser Land in die Schwierigkeiten gerät, in die inzwischen Frankreich gekommen ist. Sie befürchtet also, dass die Zinsen für deutsche Staatsanleihen steigen und wir in einen ähnlichen Teufelskreis geraten könnten wie unsere europäischen Nachbarn. Der Spiegel bezieht sich in einem Artikel auf diesen Bericht der Bundesbank und nennt Sie deshalb zu Recht einen „Scheinriesen“, Frau Bundeskanzlerin. Fest steht: Der Bundesfinanzminister kann beim Schuldendienst enorm sparen, weil immer mehr Anleger die deutschen Staatsanleihen suchen und das Zinsniveau deshalb sinkt. Ganz nebenbei kassiert er auch noch Zinsen für die Kredite an Griechenland. Wenn wir diese Krisengewinne stillschweigend kassieren, selbst keine Schulden abbauen, gleichzeitig aber andere Länder lautstark für ihr Schuldengebaren kritisieren, obwohl deren Lage weitaus schlechter ist, gibt es viele in Europa, die wegen dieser arroganten Haltung Ihrer Regierung, Frau Merkel, meine Damen und Herren, zu Recht die Faust in der Tasche ballen. ({37}) Sie haben in den letzten 24 Monaten Ihre Position zur Euro-Krise ständig gewechselt. Sehr lange wollten Sie die Krise im europäischen Währungsraum den betroffenen Nachbarn selbst überlassen. Ich halte es für den größten Fehler Ihrer Amtszeit, dass Sie der europäischen Herausforderung sehr lange nur mit nationalen Antworten und nur mit dem Eigeninteresse Ihrer Regierung begegnet sind. Erst als nacheinander ein Land nach dem anderen zum Spielball der Finanzmärkte wurde, haben Sie gemerkt, dass Ihre nationalen Antworten nicht reichen. Nun ist die Verunsicherung so groß, dass selbst der gigantische Rettungsschirm mit 1 Billion Euro nicht mehr ausreicht. Im Gegenteil: Die Finanzmärkte misstrauen uns nicht nur, sie wetten sogar auf das Auseinanderbrechen der Euro-Zone. Nichts von dem, was Sie jeweils in Ihren Regierungserklärungen zum Euro im Bundestag erklärt haben, hat Wirkung gezeigt. Das meiste ist hinterher sowieso wieder verändert worden. Die Zinsen für die Krisenstaaten steigen. Stattdessen erhalten die Staaten der Euro-Zone auf den internationalen Kapitalmärkten selbst dann kein Geld zu erträglichen Zinsen, wenn sie massive Sparprogramme auflegen. Im Kern geht es jetzt darum, dass wir endlich die entscheidende Frage beantworten: Stehen wir in Europa füreinander ein, und kann ein Investor in der Euro-Zone sicher sein, dass er sein geliehenes Geld zurückerhält, ja oder nein? Diese Frage werden wir, so unangenehm das ist, endlich beantworten müssen. ({38}) Natürlich gehört dazu Klarheit über den Abbaupfad hinsichtlich der Schulden in Europa, aber auch in Deutschland, und eine gemeinsame Finanz-, Wirt16912 schafts- und Steuerpolitik. Statt dies klar zu beantworten, zwingen Sie, Frau Bundeskanzlerin, die Europäische Zentralbank immer weiter dazu, Staatsanleihen aufzukaufen. 200 Milliarden Euro beträgt inzwischen das Risiko der Europäischen Zentralbank, für das wir gemeinschaftlich haften. ({39}) Wollten Sie, Frau Merkel, nicht genau das verhindern? Wollten Sie nicht ebenso, Frau Bundeskanzlerin, verhindern, dass die Europäische Zentralbank zur Notenbank wird, die Staaten durch das Anwerfen der Notenpresse bedient? Wir wollten doch keine Schuldenund Transferunion in Europa zulassen. Aber genau das passiert gerade durch die Hintertür der Europäischen Zentralbank. ({40}) Das sind Euro-Bonds durch die Hintertür, aber ohne jeden Einfluss darauf, wie sich die Staaten hinterher benehmen. Das ist das, was Sie derzeit zu verantworten haben. ({41}) Die „Merkel-Bonds“, die die EZB ausgibt, sind superbequem für die Regierungschefin in Deutschland. Sie kann sich nämlich öffentlich hinstellen und sagen: Ich will das alles nicht, aber leider sind die unabhängig, deswegen dürfen die das weiterhin machen. - Vor allen Dingen hat das den Vorteil: Wenn die EZB diese Arbeit macht, braucht sie Ihre seltsame Koalition nicht zu fragen, weil sie natürlich nicht weiß, welches Chaos entstehen würde, wenn Sie sich mit den Realitäten der Europäischen Zentralbank auseinandersetzen müssten. ({42}) Frau Bundeskanzlerin, Sie spielen mit dem Feuer. Sie zwingen Europa in einen Zweifrontenkrieg. Sie zwingen die Staaten, die schon in der Rezession sind, zu immer weiteren Sparmaßnahmen, sodass sie nicht weniger, sondern höhere Schulden produzieren. Sie verhindern, dass sie sich zu einigermaßen fairen Zinsen auf dem Kapitalmarkt refinanzieren können. Beides zusammen führt zu einer von Ihrer Politik zu verantwortenden und organisierten Rezessionsgefahr. Sie können den Staaten und Europa nicht beide Hände fesseln: die Zinsschraube auf der einen Seite und die Schuldenschraube auf der anderen. Wenn beide Hände gefesselt sind, dann werden die Leute in Europa und am Ende auch in Deutschland arbeitslos! Das ist das, was Sie gerade vorbereiten. ({43}) Sie müssen Ihre Politik ändern. Sie wollen keine Euro-Bonds, wie sie die Wirtschaftsweisen vorschlagen. ({44}) - Passen Sie auf: Es ist doch gar nicht so schlimm, wenn Sie gegen uns sind. Seien Sie aber wenigstens für das, was Ihre eigenen Sachverständigen sagen. ({45}) Ihre Sachverständigen schlagen einen Schuldentilgungsfonds für Europa vor, und Ihre Kanzlerin ist nicht einmal bereit, darüber öffentlich zu beraten. So gehen Sie mit denen um, die Sie auf dem Weg zu einer besseren Politik beraten sollen. ({46}) Wir brauchen deutlich mehr als diese beiden Mühlsteine der europäischen Politik. Europa braucht mehr als ein reines Sparprogramm. Wir brauchen auch gezielte Wachstumsprogramme in den Ländern, damit es wieder Entwicklungsperspektiven gibt. ({47}) - Ja, genau. Und wissen Sie, wo ich es herhaben will? Von denen, die Sie ständig schonen, genau Sie! ({48}) Ich will, dass die Finanzmärkte endlich einen Teil des Geldes zurückgeben, das wir wegen ihnen haben versenken müssen. Und Sie - Sie schützen die Finanzmärkte vor dieser Steuer. ({49}) Ja, wir wollen Geld ausgeben für Wachstum, wir wollen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpfen. Wenn 48 Prozent der jungen Menschen in Griechenland, 40 Prozent in Spanien und fast 30 Prozent in Frankreich arbeitslos sind, wer soll denn dann die Zukunft Europas aufbauen? Die Leute dürfen nicht in ihrer Existenz gefährdet werden. Wir können das nicht sich selbst überlassen. Sie überlassen die Finanzmärkte lieber sich selbst. ({50}) Ja, wir wollen sie besteuern, auch in der Euro-Zone, und wir wollen das Geld in den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in Europa investieren. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden. ({51}) - Ich habe leider nicht mit, womit ich gut auf Leute wie Sie, die mich „Westentaschenkommunist“ nennen, reaSigmar Gabriel gieren könnte. Es ist zwar schon viel behauptet worden, aber dass einer behauptet, ich würde in eine Westentasche passen, ist noch nicht passiert. ({52}) Wissen Sie, wenn ich das schon höre: Das nächste Mal lesen wir Ihnen einmal - wir suchen eine nette Rede heraus, mit der das geht - Karl-Hermann Flach vor. Das war mal Ihr Generalsekretär. Wissen Sie, was der sagt? Wir müssen endlich die Vermögenden und die Erbschaften stärker besteuern, damit der Staat Einfluss hat und Wachstum kreieren kann. Er, der bei Ihnen früher Generalsekretär war, würde heute wahrscheinlich wegen Linksabweichung aus der FDP ausgeschlossen; das nehme ich stark an. ({53}) Wenn Sie wissen wollen, warum Sie da stehen, wo Sie heute stehen: weil solche Leute bei Ihnen heute keine Chance mehr hätten. Das ist der Grund, warum Sie bei 2 Prozent gelandet sind. ({54}) Frau Bundeskanzlerin, natürlich müssen wir an die Veränderung der europäischen Verträge herangehen. Das gilt aber nicht nur für die Stabilitätskriterien, sondern auch für eine gemeinsame Finanz- und Steuerpolitik in der Euro-Zone; denn sonst bleibt die Währungsunion ein Torso. Wenn Sie auf diesem Weg auch das Thema einer Fiskalunion mit angehen wollen, haben Sie uns an Ihrer Seite. Wenn Sie allerdings nichts von dem tun, dann zahlen in absehbarer Zeit auch die Deutschen die Zeche für Ihren verfehlten Kurs. In Deutschland zeichnet sich gerade ab, dass die Exportindustrie bereits den Preis für Ihre doppelte Rezessionsstrategie in Europa zu zahlen hat. Statt nun beherzt zu sparen und damit Risikovorsorge für eine schwierige Wirtschaftslage zu treffen, geben Sie das Geld aus. Wir sagen Ihnen: Lassen Sie die nutzlosen Ausgaben! Gewerkschaften und Arbeitgeber fordern schon jetzt, die Kurzarbeiterregelung zu verlängern. Die ahnen doch, dass es da losgeht. Das hat ein sozialdemokratischer Arbeitsminister durchgesetzt, und Sie wollen das jetzt auslaufen lassen. Wir werden die Kurzarbeiterregelung wieder brauchen, um Jobs in Deutschland zu sichern. Wissen Sie, wie viel diese Regelung kostet? In der Krise hat sie 6 Milliarden Euro gekostet. Das sind die 6 Milliarden Euro, die Sie gerade für Ministeuersenkungen verplempern. Für die Leute wird es wichtiger sein, ihren Job und damit ihren Lohn zu behalten, als 4 Euro Steuersenkung durch den Unfug zu bekommen, den Sie hier verbreiten. ({55}) - Nein, ich wehre mich nicht dagegen, dass die Leute 4 Euro bekommen. Ich glaube nur, dass sie dieses Geld gar nicht bekommen werden, weil die Gebühren bei den Kommunen steigen. Außerdem brauchen wir das Geld, um die Jobs zu erhalten. Die Leute sind doch nicht dumm! Die wissen doch, dass die Wirtschaftskrise naht, und sie wollen, dass der Staat handlungsfähig ist und notfalls wieder eine Kurzarbeiterregelung bezahlen kann. Das sind die Forderungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern - und nicht der Blödsinn, den Sie da mit den Steuersenkungen verbreiten. ({56}) Dieser Haushalt entlarvt alle Sprechblasen, auch die der Kanzlerin, aus den letzten zwei Jahren. Wie hieß es noch am 31. Januar dieses Jahres, Frau Merkel, aus Ihrem Munde? Die Regierung hat einen klaren Kompass für den Abbau der Schulden. Diesen Kompass sollten Sie zur Reparatur bringen. In See stechen würde ich damit jedenfalls nicht, meine Damen und Herren. ({57})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Meine Rede in der heutigen Generaldebatte will ich nicht beginnen, ohne zunächst auf die Ereignisse einzugehen, die seit dem 4. November, seit einem scheinbar routinemäßigen Polizeieinsatz nach einem Banküberfall in Eisenach, Schritt für Schritt ans Licht kommen. Die Nachrichten über das eigentliche Ausmaß der Verbrechen sind schockierend. Wir wissen heute, dass wir es mit einer rechtsextremistischen Gruppe aus Zwickau zu tun haben, der eine grausame Mordserie und schreckliche Gewaltakte zur Last gelegt werden. Wir sind entsetzt über das Maß an Hass und Fremdenfeindlichkeit, das hier zum Ausdruck kommt. Ich denke heute zuallererst an die Opfer: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kiliç, Yunus Turgut, Ismail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. Unsere Gedanken sind bei ihnen und bei allen weiteren Menschen, die den grausamen Gewalttaten dieser Gruppe zum Opfer gefallen sind. Ich sage es noch einmal für die ganze Bundesregierung: Unsere Pflicht gegenüber den Angehörigen der Opfer ist es, alles zur Aufklärung dieser furchtbaren Taten und ihrer Hintergründe zu unternehmen. Das erlittene Leid lässt sich nicht wiedergutmachen. Aber wir sind es den Angehörigen schuldig, sie zu unterstützen. Ich begrüße daher ausdrücklich den Vorschlag von Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, die Opfer und ihre Familien aus dem Fonds für Opfer extremistischer Übergriffe zu entschädigen. Ich danke auch Bundespräsident Wulff, dass er sich heute mit Angehöri16914 gen trifft und damit ein Zeichen der Zuwendung und der Verbundenheit des ganzen deutschen Volkes setzt. Die Tatsache, dass solch eine rechtsextremistische Zelle existiert, schweigend solche Gräueltaten begeht und über ein Jahrzehnt unentdeckt im Untergrund agiert, ist ohne Beispiel. Was die Ermittler, die mit ihrer Arbeit erst am Anfang sind, an Perversion im Denken und Handeln, an Menschenfeindlichkeit und -verachtung aus einem verfestigten rechtsextremen Milieu ans Tageslicht bringen, beunruhigt nicht nur mich zutiefst. Es schockiert unser Land und seine Bürger, und es ist eine Gefahr für uns auch mit Blick auf andere in der Welt. Justiz- und Sicherheitsbehörden stehen angesichts einer Vielzahl von Pannen und Versagen vor sehr grundlegenden Fragen. In der letzten Woche hat sich das Kabinett mit diesen Verbrechen befasst. Die Innen- und Justizminister von Bund und Ländern haben mit einer kurzfristig anberaumten Konferenz reagiert und erste Entscheidungen getroffen. Wir prüfen alle rechtsstaatlichen Mittel, auch die schwierige Frage von Parteiverboten. In der Vergangenheit wurde bereits eine Fülle von Vereinigungen verboten. Bei Razzien wurden immer wieder verhetzendes, menschenfeindliches Propagandamaterial und Schusswaffen sichergestellt. Wir nehmen die Gefahren des Rechtsextremismus sehr ernst. Aber wir sollten uns alle den Vorwurf, auf irgendeinem Auge blind zu sein, ersparen. Das treibt nur einen Keil in die Gemeinsamkeit der Demokraten. Der Kampf gegen Extremismus jeglicher Couleur und die Stärkung der Demokratie sind Daueraufgaben für jeden von uns. Deshalb hat die Bundesregierung allein 2011 so viele Mittel für die Extremismusprävention wie nie zuvor bereitgestellt, und wir werden das auch weiter tun. Diese Taten sind nicht mehr und nicht weniger als ein Angriff auf unser demokratisches Gemeinwesen. Die gestrige Abstimmung hat eines gezeigt: dass wir entschlossen sind, unser offenes, tolerantes und menschliches Zusammenleben gegenüber gemeinen Verbrechern und menschenverachtenden Ideologien zu verteidigen. Das war das Signal von gestern, ein wichtiges Signal. ({0}) Diese Debatte über den Bundeshaushalt 2012 findet in einer Zeit statt, in der wir insgesamt vor vielen und schwierigen Herausforderungen stehen. Die größte Aufgabe ist zweifellos die Überwindung der Krise im EuroRaum. Dabei hat sich das Parlament in den vergangenen Monaten in mehreren Abstimmungen in großer Mehrheit ganz klar für die Zukunft entschieden, für eine Zukunft in einem gemeinsamen Europa. Zuletzt am 26. Oktober war parteiübergreifende Unterstützung des Deutschen Bundestages vorhanden, als es um die Abstimmung über die EFSF ging. Gerade weil viele von Ihnen diese Unterstützung nicht leichten Herzens gewähren konnten, weil riesige Summen zur Disposition stehen, gerade wegen mancher Zweifel und Unsicherheiten angesichts dessen, was noch vor uns liegt, möchte ich noch einmal ganz herzlich dafür danken, dass Sie diese Rückendeckung durch den Deutschen Bundestag gegeben haben. Sie haben damit deutlich gemacht: Deutschlands Zukunft ist untrennbar mit der Zukunft Europas verbunden. Deutschlands und Europas Zukunft sind untrennbar verbunden mit dem Zustand der internationalen Staatengemeinschaft und den globalen Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Gleichzeitig ist klar: Jedes Land muss seinen Beitrag dazu leisten. Genau das erleben wir in diesen Tagen in Europa: gemeinschaftliches Handeln und Eigenverantwortung. Wir sind in den vielen Monaten der Beschäftigung mit der Schuldenkrise im Euro-Raum Schritt für Schritt, glaube ich, sehr klar zu einer Analyse dessen gekommen, was in der Vergangenheit falsch gemacht wurde: erstens eine übermäßige Staatsverschuldung, zweitens eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit in einigen der Staaten - das hat damit zu tun, dass sich die globale Entwicklung hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit gerade auch auf anderen Kontinenten sehr beschleunigt hat - und drittens grundlegende Mängel in der Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion. Deshalb gehören Krisenbewältigung, also Beschäftigung mit der Vergangenheit, und Vorsorge für die Zukunft unmittelbar zusammen. Ich möchte noch einmal auf die Beschlüsse vom 26. Oktober zurückkommen. Da gab es zum einen das Griechenland-Programm. Dazu muss man sagen: Hier sind wir zu einer Vereinbarung über eine freiwillige Umschuldung Griechenlands gekommen. Herr Gabriel, wenn Sie heute davon sprechen, dass es eine Verunsicherung darüber gibt, ob man für europäische Staatsanleihen noch das wiederbekommt, was man einmal investiert hat, dann muss ich sagen, dass das sehr viel mit dieser freiwilligen Restrukturierung zu tun hat. Diese ist notwendig, weil der IWF, die Kommission und die Europäische Zentralbank festgestellt haben, dass die Schuldentragfähigkeit Griechenlands nicht gegeben ist. Sie haben sehr markig und oft gefordert, dass man nun endlich einmal einen richtigen Schuldenschnitt machen soll. Ich habe immer wieder gesagt: Lasst uns diesen Schritt sehr wohl vorbereiten. Ich sage: Er ist richtig, aber wir sehen auch die Nebenwirkungen dieses Schnitts, ganz klar. ({1}) Denn jetzt steht die Frage im Raum - sie hätte zu jedem Zeitpunkt im Raum gestanden -: Was passiert mit anderen Ländern? Deshalb ist es ganz wichtig, zu sagen - dies haben wir beim Europäischen Rat am 21. Juli 2011 getan -: Griechenland ist ein Ausnahmefall. Hier ist die Verschuldung sehr, sehr hoch, und deshalb mussten wir zu diesem Mittel greifen. Wir haben dann einen weiteren Vertrauensverlust erlebt durch die unerwartete Ankündigung eines Referendums; verbunden gewesen damit wären im Falle eines Neins bei einem solchen Referendum auch die Konsequenzen. Das alles hat Themen auf die Tagesordnung gebracht, mit denen sich die internationalen Finanzmärkte, die ja keine anonymen Größen sind - es sind zum Teil die Anleger von Lebensversicherungen und viele andere -, befassen müssen. Der Ausgangspunkt ist, dass Griechenland die Schuldentragfähigkeit nicht hat. Jetzt müssen wir schauen, dass wir unsere Instrumente so weit entwickeln - das geht leider ziemlich langsam, auch nach den Beschlüssen vom 26. Oktober -, dass wir uns dagegen wappnen und wehren können. Die griechische Frage ist jetzt noch nicht geklärt, weil wir noch nicht die Voraussetzungen für die Auszahlung der nächsten Tranche haben. Dazu ist erforderlich - ich muss das heute hier in diesem Parlament noch einmal sagen; wir stimmen da, glaube ich, alle überein -, dass wir nicht nur die Unterschrift des griechischen Premierministers haben, sondern auch die Unterschriften der die Regierung in Griechenland tragenden Parteien. Ansonsten kann es keine Auszahlung der sechsten Tranche geben. ({2}) - Schauen Sie mal: Es ist doch wirklich der Ernsthaftigkeit gegenüber kleine Münze, ob das nun eine Partei ist, die zur Europäischen Volkspartei gehört. Umso bitterer ist es, dass derjenige nicht unterschreibt, für mich. Aber ich wünsche Ihnen nicht, dass Sie einmal in eine Lage kommen, wo auch von Ihnen einer etwas nicht tut, was erwartet wird. Also wirklich! ({3}) Zweitens. Immer wieder ist gesagt worden: Wir brauchen eine Rekapitalisierung der europäischen Banken. Dazu haben wir einen Beschluss gefasst. Ich hoffe, dass die europäische Bankenaufsicht am 30. November, wenn der nächste Ecofin-Rat tagt, auch die präzisen Zahlen bekannt gibt, wie die Rekapitalisierung ablaufen wird. Denn die Tatsache, dass wir jetzt seit Wochen darüber sprechen, aber noch keine komplette Klarheit da ist, trägt auch nicht zur größeren Sicherheit bei. Wir haben gestern am Beispiel einer deutschen Bank gesehen, welche Unsicherheiten dann die Banken selbst haben. Auch da ist es so: Die internationale Staatengemeinschaft hat von uns verlangt - sicherlich mit guten Gründen -, auch die Risiken bei Staatsanleihen einem Stresstest zu unterziehen. Aber dies hat nicht nur eine positive Wirkung - dass wir genügend Kapital für die Banken haben -, sondern es hat wiederum auch eine negative Wirkung, weil natürlich, wenn man Stresstests auch bei Staatsanleihen macht, sofort die Diskussion aufkommt: Was kriege ich für meine Staatsanleihen wieder? Das heißt, wir sind durch die übermäßige Verschuldung in eine Situation geraten, in der es den goldenen Weg, der keine Risiken kennt, nicht mehr gibt. Deshalb müssen wir diesen richtigen Weg immer sehr sorgsam finden. Drittens. Wir haben hier miteinander beschlossen, dass wir die EFSF schaffen und gleichzeitig die Möglichkeiten einer Hebelung prüfen. Auch hier müssen am 29. oder 30. November die entsprechenden Beschlüsse bezüglich der Leitlinien endlich gefällt werden, damit die Suche nach potenziellen Investoren dann in die richtige Runde gehen kann; denn ohne Leitlinien überzeugt man Investoren nicht. Jetzt wird beklagt, dass die europäische Währungsunion eine Zentralbank hat, die - das ist richtig und unterscheidet die europäische Währungsunion von der Situation von Nationalstaaten wie Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika - die einzig und allein, das war die Voraussetzung für diese Währungsunion, für die Geldwertstabilität verantwortlich ist. Das ist ihr Mandat; das übt sie aus. Ich wäre sehr vorsichtig, die Europäische Zentralbank unentwegt zu kritisieren. ({4}) Ihre Unabhängigkeit, die wir alle so hochhalten, besteht in jeder Richtung, ob sie etwas tut oder ob sie etwas nicht tut. Das ist ähnlich wie beim Bundesverfassungsgericht. Es ist, glaube ich, auch ganz wichtig, dass Europa sich auf solche unabhängigen Instanzen gründet. Deshalb darf an dem Mandat für die Europäische Zentralbank nach meiner festen Überzeugung nichts, aber auch gar nichts geändert werden, meine Damen und Herren. ({5}) Das hat in dieser Schuldensituation aber nun zur Folge, dass wir nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, aber auch nach unseren Beschlüssen hier immer eine endliche Menge an Geld zur Verfügung haben, mit der wir Schutzwälle aufbauen können - das liegt in der Definition der Fonds, der EFSF oder Ähnlichem -, und damit gegenüber den Märkten natürlich ein Stück weit angreifbarer sind, als es Länder sind, die nach ihrer Tradition eher Geld drucken können und in denen die Zentralbanken Staatsanleihen aufkaufen können. Dennoch: Angesichts des politischen Konstrukts der Europäischen Union und des Euro-Raums, in dem es eine nationale Hoheit für die Budgets und eine gemeinsame Währung gibt, tritt jetzt der eigentliche Widerspruch oder die eigentliche Kalamität zutage, dass nämlich letztlich keine europäische Möglichkeit besteht, durchzugreifen und einzugreifen, wenn ein Land sich an die gemeinsamen Verabredungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts permanent nicht hält. Das eigentliche Problem ist, dass wir in den zehn Jahren mindestens 60 solcher Verstöße hatten und dass in keinem der Fälle irgendeine Wirkung entfaltet wurde, wodurch ein Land daran gehindert worden wäre, so weiterzumachen. Des16916 halb ist Vertrauen verloren gegangen, Vertrauen der internationalen Märkte in die Handlungsfähigkeit. Deswegen sage ich: Ich halte es für außerordentlich bekümmerlich - sage ich mal -, unpassend, dass die Kommission heute Euro-Bonds in verschiedener Ausprägung vorschlägt, also so tut, als könnten wir - das wird die kommunikative Wirkung sein, selbst wenn das vielleicht nicht so gesagt wird - durch Vergemeinschaftung der Schulden aus den Mängeln der Struktur der europäischen Währungsunion herauskommen. Genau das wird nicht klappen. ({6}) Deshalb darf man das Pferd nicht von hinten aufzäumen, sondern man muss jetzt mit dem nächsten Schritt beginnen und sagen: Wenn wir wieder Vertrauen bekommen wollen, dann dürfen wir freiwilligen Beteuerungen nicht mehr glauben, sondern dann wird man verlangen, dass vertraglich, rechtlich bindend durchgesetzt wird - dazu brauchen wir Vertragsänderungen -, dass die Regeln des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts auch eingehalten werden. ({7}) Das ist der erste Schritt in Richtung einer Fiskalunion, in Richtung eines politischen Gebäudes, das natürlich auch Harmonisierungen in Bereichen nach sich ziehen wird, die in nationaler Kompetenz liegen. Das genau war der Grund, warum ich für einen Euro-Plus-Pakt eingetreten bin, einen Pakt, in dem wir über Arbeitsrecht, über Renteneintrittsalter und über Harmonisierung von Steuersystemen sprechen, und das war der Grund, warum ich mit dem französischen Präsidenten verabredet habe, dass Deutschland und Frankreich zum Jahrestag des ÉlyséeVertrags im Jahre 2013 ein gemeinsames Unternehmensteuerrecht vorlegen wollen, damit wir ein gutes Beispiel für mehr Gemeinsamkeit im Euro-Raum geben, weil es anders auf Dauer nicht funktionieren wird. ({8}) Es hat keinen Sinn, dass man, wie es oft geschieht - mit welchen Wortschöpfungen auch immer -, versucht, leichte Lösungen vorzugaukeln, sondern wir müssen den Vertrauensverlust Schritt für Schritt abarbeiten und Vertrauen wieder zurückbekommen. Das muss natürlich mit einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit und einem Wachstumspfad kombiniert werden, den wir in der Europäischen Union einschlagen. Hier können wir vieles zur Vervollkommnung des Binnenmarktes tun; hier können auch wir in Deutschland noch einiges tun. Wir können vieles tun durch bessere Ausnutzung der Struktur- und Kohäsionsfonds, die von den Ländern, die jetzt sparen müssen, ja noch gar nicht ausgenutzt wurden, und vor allen Dingen können wir vieles tun, indem wir für die zukünftige finanzielle Vorausschau noch einmal überlegen, ob die Struktur der Struktur- und Kohäsionsfonds richtig ist oder ob wir das Wachstum damit gar nicht so gefördert haben, wie wir uns das eigentlich gewünscht haben. ({9}) Das ist es, wie wir Europa angehen müssen. Zumindest ist das meine Überzeugung. Die Bundesregierung wird beim Europäischen Rat am 8. und 9. Dezember 2011 genau diese Vorschläge vorbringen. Weil politisches Vertrauen verloren gegangen ist, wird dieses Vertrauen auch nur durch politische Maßnahmen Schritt für Schritt wiedergewonnen werden können. Das ist unsere Überzeugung. ({10}) Natürlich schaut die Welt jetzt auf Europa, weil alle wissen, dass wir in der globalen Verflechtung alle gemeinsam für das Wirtschaftswachstum verantwortlich sind. Das wurde auch durch das G-20-Treffen in Cannes ausgedrückt. In den nächsten Jahren wird sich - ich glaube, die Gruppe der G 20 auf der Ebene der Staatsund Regierungschefs hat sich bewährt - im weltweiten Gefüge vieles verschieben. Man sieht das zum Beispiel schon am internationalen Währungssystem. Wir werden Schritt für Schritt zu einem multipolaren Währungssystem kommen, indem zum Beispiel auch China eine größere Rolle in dem Maße spielt, wie China bereit ist, einen Wechselkurs zuzulassen, der den Fundamentaldaten der eigenen Wirtschaft entspricht. Aber diese Tendenz ist erkennbar. Die Arbeiten am gemeinsamen Weltwährungssystem sind unter der französischen Präsidentschaft deutlich vorangekommen. Wir brauchen vor allen Dingen weiterhin - dafür sind alle europäischen Teilnehmer in Cannes sehr stark eingetreten - eine Regulierung der Finanzmärke, die die Dinge endlich wieder geraderückt, nämlich dass die Finanzwirtschaft im Dienste der Realwirtschaft und der Menschen zu stehen hat und nicht umgekehrt. Da sind wir noch nicht angelangt; das sage ich ausdrücklich. ({11}) Das wird auch nicht von alleine passieren, sondern dazu muss der gemeinsame Wille der Regierungen da sein. Deshalb ist es nicht erfreulich, dass wir auch in diesem Jahr kein globales Einvernehmen darüber erreicht haben, dass eine Finanztransaktionsteuer die richtige Antwort und, wenn man es global machte, die beste Antwort wäre. Deshalb werden wir jetzt ganz intensiv den Vorschlag der Kommission für die Erhebung einer Finanztransaktionsteuer im europäischen Raum weiter diskutieren. Da sich in Europa schon vieles geändert hat, werde ich die Hoffnung nicht aufgeben. Wir sind alle einer Meinung, dass eine Finanztransaktionsteuer ein richtiges Zeichen wäre, um zu zeigen: Wir haben verstanden, dass die Finanzmärkte ihren Teil zur Gesundung der Volkswirtschaften beitragen müssen. ({12}) Wir haben in Cannes einen wichtigen Erfolg errungen - wir haben bei der Finanzmarktregulierung schon einiBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ges geschafft -, nämlich dass jetzt klar ist, dass die 29 systemischen, weltweit agierenden Bankinstitute, die bisher als „too big to fail“ galten, also zu groß, um pleitezugehen, in Zukunft Auflagen bekommen, damit das nicht mehr durch die Gemeinschaft, durch die Bürgerinnen und Bürger gezahlt werden muss. Das ist ein wichtiger Schritt. Aber mindestens so wichtig wie dieser Schritt ist, dass wir ähnliche Regulierungen auch für die Schattenbanken bekommen. Deshalb war es gut, dass das Financial Stability Board den Auftrag bekommen hat, uns bis zum nächsten G-20-Treffen hierfür Vorschläge zu machen. Angesichts der Finanzkrisen ist ein Thema leider etwas in den Hintergrund geraten, das ich hier aber auch erwähnen möchte, weil die CO2-Emissionen in diesem Jahr weltweit so hoch waren wie nie zuvor. Demnächst wird die Konferenz zum Klimaschutz in Durban stattfinden. Wir befinden uns in einer ausgesprochen schwierigen und unerfreulichen Situation; ich will das klar beim Namen nennen. Das Kioto-Protokoll läuft aus. Wir sind nicht so weit - das wird in Durban leider nicht passieren -, dass eine Anschlussregelung für das Kioto-Protokoll gefunden wird. Das heißt nichts anderes - das bringt für Europa natürlich schwierige Situationen mit sich -, als dass gerade die großen Emittenten der Zukunft, teilweise auch schon der Gegenwart, wie China, Indien, Brasilien usw., im Augenblick noch nicht bereit sind, bindende internationale Abkommen zur Reduktion oder aber zur Begleitung ihrer CO2-Emissionen einzugehen. Das bedeutet, dass wir leider eine Welt bekommen werden, in der zwar die Bedeutung der neuen Wirtschaftskräfte, der aufstrebenden Ökonomien wirtschaftlich größer wird, aber dies nicht mit einer entsprechenden Beteiligung auch an den Fragen der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes einhergeht. Europa wird hier einen sehr klaren Kurs fahren. Unsere Reduktionsziele stehen fest. Diese werden wir nicht ändern. Wir werden sie auch weiterhin international bindend halten. Aber wenn wir uns anschauen, dass der europäische Anteil an der Weltproduktion tendenziell abnehmen wird, dann ist schon heute sicher: Das 2-Grad-Ziel im Klimaschutz kann man nicht erreichen, wenn nicht die aufstrebenden Ökonomien bereit sind, bindende Verpflichtungen einzugehen. Deshalb geht es jetzt in Durban vor allen Dingen darum, den ärmsten und gefährdetsten Ländern weiterzuhelfen. Wir müssen auf dem Weg, den wir in Kopenhagen gefunden haben, dem sogenannten Copenhagen Accord, mit freiwilligen Verpflichtungen weitergehen. Aus diesen Verpflichtungen wird aber klar, dass dann, wenn ihnen nichts hinzugefügt wird, das 2-Grad-Ziel bis zum Jahre 2050 nicht erreicht werden kann. Meine Damen und Herren, wenn wir uns die internationale Situation ansehen, dann sind neben dem Klimaschutz und der Bewältigung der Finanzkrise auch im sicherheitspolitischen Bereich intensive Entwicklungen zu beobachten. Das ist auf der einen Seite der sogenannte arabische Frühling mit Höhen und auch mit Enttäuschungen. Ich will ausdrücklich sagen, dass die Wahl zur parlamentarischen Versammlung in Tunesien ein ausgesprochen erfreuliches Ereignis war. Wir beobachten mit Bangen die Entwicklung in Ägypten. Wir sehen mit Schrecken die Entwicklung in Syrien. Ich will ganz eindeutig sagen, dass die gesamte Bundesregierung mit aller Kraft daran arbeitet, dass wir endlich eine UNSicherheitsratsresolution gegen die Menschenrechtsverletzungen in Syrien bekommen. ({13}) Es ist nicht mehr verständlich, dass das, was dort passiert, nicht endlich auch in Form einer UN-Sicherheitsratsresolution geahndet wird. Der Bundesaußenminister wird Gastgeber einer Konferenz über die Zukunft Afghanistans sein. ({14}) Diese Afghanistan-Konferenz in Bonn wird vor allen Dingen den politischen Prozess hin zu einem friedlichen und stabilen Afghanistan im Fokus haben. Hier sind von der deutschen Seite sehr große Anstrengungen erbracht worden. Wir werden dafür auch international sehr geachtet. Ich glaube, es ist wichtig, noch einmal in Erinnerung zu rufen: Wir sind in Afghanistan wegen Afghanistan, aber auch wegen unserer eigenen Sicherheit. Deshalb bleibt es in unserem Interesse, auch nach 2014 Afghanistan zur Seite zu stehen, um nicht wieder einen Staat zu haben, der nicht stabil ist und von dem internationaler Terrorismus ausgehen kann. Meine Damen und Herren, wir wissen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten nicht nur in Afghanistan, aber vor allem auch dort ihren Dienst tun. Deshalb möchte ich auch in dieser Debatte noch einmal daran erinnern, dass wir 2011 bereits sieben Gefallene haben und seit Beginn der Mission 52 Soldaten zu Tode gekommen sind, davon 34 durch Feindeinwirkung. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst in unserem Interesse ein herzliches Dankeschön zu sagen. ({15}) Ich bin sehr froh, dass sich heute schon abzeichnet, dass wir, wenn wir im Dezember und Januar die nächste Verlängerung des Afghanistan-Mandats diskutieren, die Zahl unserer Soldaten verringern können: von heute maximal 5 350 auf 4 900 mit weiteren Reduzierungen bis zum Ende des Mandatszeitraums. Ich bedanke mich bei allen, die sich mit dem Gedanken tragen, dies zu unterstützen. Je breiter dieses Mandat vom Hohen Haus getragen wird, desto besser ist es für die Soldatinnen und Soldaten. Wir haben als eine der großen Reformen dieser Legislaturperiode die Bundeswehrreform zu nennen. Wir wissen, dass wir natürlich mittelfristig Einsparungen haben. Aber ich will ausdrücklich sagen - ich danke auch allen in den Wahlkreisen und Ländern, die dies bei der Um16918 strukturierung eingesehen haben -, dass es keine Umstrukturierung ohne Veränderung gibt. Ich will dem Bundesverteidigungsminister dafür danken, dass er dies durch gute Vorbereitung und Einbindung so gestaltet hat, dass sich die Schmerzen, die damit verbunden sind, in Grenzen halten und die Einsicht in die Reform überwiegt. ({16}) Natürlich müssen wir auch in Deutschland unseren Beitrag für die Zukunftsfähigkeit unseres Kontinents und unseres Landes leisten. Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund. Die eine heißt: Wovon wollen wir in Deutschland in Zukunft leben? Wir sind ein Land, in dem sich die Bevölkerungszusammensetzung verändert. Wir werden mehr Ältere haben und weniger Jüngere. Wir werden eine vielfältigere Bevölkerung haben, weil der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund zunimmt, und wir werden weniger werden. Darauf müssen wir uns in allen Facetten vorbereiten. Wenn wir uns fragen, wovon wir leben wollen, dann ist sicherlich eine der großen und hier im Hause parteiübergreifend entschiedenen Veränderungen die unserer Energiepolitik gewesen. Wir haben verstanden, dass wir in den nächsten Jahren diesen Wandel hin zum Zeitalter der erneuerbaren Energien gestalten müssen. Das geht nicht mit Nein, sondern nur mit Ja. Deshalb hat die Bundesregierung einen Monitoringprozess in Gang gesetzt. Wir werden jährlich dem Parlament berichten. Die Arbeit ist noch nicht getan. Der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesumweltminister werden gemeinsam diesen Prozess mit aller Intensität voranbringen. Wir werden auch Konflikten nicht aus dem Wege gehen, die damit verbunden sind, dass neue Infrastruktur gebaut werden muss. Ohne die wird das Zeitalter der erneuerbaren Energien nicht zu erreichen sein. ({17}) Ich glaube, es ist auch gut, dass wir in der Endlagerfrage ein neues Herangehen vereinbart haben. Hier wird es in Gesprächen mit den Ländern bis zum Sommer konkrete Ergebnisse geben. Ich sage ganz ausdrücklich: Der Umstieg auf die erneuerbaren Energien ist eine Generationenaufgabe. Das wird in einer Legislaturperiode selbstverständlich nicht zu machen sein. Ein Zweites im Zusammenhang mit der Frage, wovon wir leben wollen: Wir müssen die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass wir in vielen Bereichen heute von der Substanz leben. Deshalb ist es ein ganz wichtiger Schwerpunkt in diesem Haushalt, dass wir mehr in die Verkehrsinfrastruktur investieren. Nur so werden wir als ein Land im Zentrum Europas überhaupt wettbewerbsfähig sein. Das ruft bei den Grünen nur ein schmales Lächeln hervor, weil man darauf nicht so viel Wert legt, ({18}) angefangen von den Autobahnen bis hin zu den Bahnhöfen. ({19}) Aber wir sind davon überzeugt, dass wir ohne moderne Infrastruktur kein Land mit Wohlstand sein können. Deshalb ist die Verkehrsinfrastruktur ein wesentlicher Bestandteil der Frage, wovon wir morgen leben wollen. ({20}) Wir sind uns vielleicht mehr einig darüber, dass unsere Zukunftschancen, auch angesichts der demografischen Veränderungen, vor allen Dingen in dem Erfolg bei Innovation, in der Kreativität der Menschen in unserem Lande und in der produktiven Unruhe, weiter nach der besten Lösung zu suchen, liegen. Die Bundesregierung ist genau auf dem richtigen Pfad, wenn sie in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro mehr für Forschung und 6 Milliarden Euro mehr für Bildung ausgibt. Das gab es bisher in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie. Die Ausgaben dafür sind höher denn je. Das sind Zukunftsinvestitionen, die wir dringend brauchen. ({21}) Wir wissen, dass wir angesichts der demografischen Veränderungen darauf achten müssen, dass Kinder mit Migrationshintergrund einen guten Schulabschluss haben, die deutsche Sprache vernünftig lernen und in die Arbeitswelt integriert werden. Wir wissen, dass wir unter 3 Millionen Arbeitslose haben - eine so niedrige Zahl hat es seit der deutschen Einheit nie gegeben -, ({22}) dass wir mit über 41 Millionen Menschen im Übrigen mehr Erwerbstätige haben, als wir jemals hatten, und dass die Zahl der versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse deutlich zugenommen hat. Aber wir wissen auch, dass wir noch viel zu tun haben. Die Ausgaben im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit sinken an einigen Stellen, aber durch die Erhöhung der Hartz-IVSätze sinken sie in der Summe nicht so, wie wir uns das vorstellen. Deshalb liegt der Fokus auf der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und in ganz besonderer Weise auf der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit derer, die jung sind und noch ein langes Leben vor sich haben. Diese müssen in Arbeit gebracht werden. Dabei haben wir Erfolge vorzuweisen. ({23}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie so schreien. Ich erinnere mich an die Schröder-Zeit und daran, wie Sie in Sachen Arbeitslosigkeit dastanden. Wir haben die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen halbiert. Das hätten Sie einmal schaffen sollen. Das waren sieben verschwendete Jahre in diesem Bereich. ({24}) Wir bieten Chancen für junge Menschen. Deshalb werden wir da weitermachen. Gleichzeitig wissen wir, dass wir auch einen Fachkräftebedarf haben und um die besten Köpfe auch von außen werben müssen. Deshalb haben wir zwei Dinge gemacht: Erst einmal haben wir die Berufsabschlüsse derjenigen anerkannt, die aus einem anderen Land kommen und dort ihren BerufsabBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel schluss erworben haben. Auch dazu hätten Sie sieben Jahre Zeit gehabt, wenn Ihnen das so am Herzen gelegen hätte. Sie haben das nicht gemacht. Die Bundesbildungsministerin hat es jetzt in mühevoller Kleinarbeit gemacht. Wir haben auch die Länder dafür gewonnen, dem zuzustimmen. Jetzt muss es nur noch umgesetzt werden. Das ist ein Riesenerfolg, weil Menschen in Zukunft endlich wieder entsprechend ihrer Qualifikation arbeiten können. Das sind wir diesen Menschen schuldig. ({25}) Gleichzeitig werden wir die Blue-Card-Richtlinie umsetzen und die Gehaltsschwelle für diejenigen, die nach drei Jahren durch eine Überprüfung, ob sie auch wirklich Arbeit haben, eine Niederlassungserlaubnis bekommen, von 66 000 Euro auf in Zukunft 48 000 Euro absenken. Auch das ist eine Reaktion auf die Erfordernisse. Wir werden auch intensiv an dem Thema Integration weiterarbeiten. Ende Januar wird der nächste Integrationsgipfel stattfinden. Wir werden von der Situation wegkommen, nur Einzelfälle zu betrachten, und künftig ganz klare Zielvorgaben machen, was wir bei der Integration erreichen wollen. Auch das ist eine Weiterentwicklung. Wir wissen: Vorbereitung auf den demografischen Wandel heißt, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Wir haben bereits in der letzten Legislaturperiode mit der Rente mit 67 darauf reagiert. Wir tun das jetzt mit einer Erweiterung der Pflegeleistungen. Zum ersten Mal werden wir sowohl für die Betroffenen von Demenzerkrankungen als auch für die pflegenden Angehörigen und die Beschäftigten in den Pflegeheimen die Leistungen deutlich erweitern. Zwar kann man immer sagen, das sei zu wenig. Aber es ist erst einmal das richtige Signal, um Menschen und ihren Angehörigen zu helfen, die heute von der Pflegeversicherung nicht erfasst werden. ({26}) Wir werden einen Einstieg in die private Vorsorge vornehmen. Die Arbeiten zum neuen Pflegebegriff werden in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden. ({27}) - Herr Kuhn, man kann so tun, als ob dies einfach wäre. Das ist es aber nicht. Ich habe mich sehr intensiv damit beschäftigt. Man kann nicht einfach einen neuen Pflegebegriff einführen, in dessen Folge es anschließend vielen besser geht, viele aber auch schlechter dastehen als heute. Das wollen wir nicht. Wir machen das gründlich, damit wir für die Pflegenden nicht eine einzigartige Enttäuschung produzieren. ({28}) Mit der Familienpflegezeit haben wir ein wichtiges Signal zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesetzt. Ich möchte noch ein Wort zur Wahlfreiheit und zum Betreuungsgeld sagen. Als wir damals das Elterngeld eingeführt haben, hat jeder das schwedische Vorbild in den höchsten Tönen gelobt und gesagt, dass man von den skandinavischen Ländern fürchterlich viel lernen könne und dass die das prima machten. Die machen das im Übrigen auch prima, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie angeht. Aber schauen Sie sich bitte einmal die Regelungen an: Dort gibt es das Elterngeld und das Betreuungsgeld. Das gibt es in Schweden, in Finnland und in Norwegen. Wollen Sie uns etwa erzählen, dass das die Länder sind, in denen man Familienpolitik so macht, wie Sie es nicht wollen? Man sorgt für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und für Wahlfreiheit. Akzeptieren Sie das doch einmal! Machen Sie keine Rosinenpickerei - Elterngeld ja, aber ansonsten ist es das Letzte, was wir machen. Das, was Sie tun, ist nicht fair. ({29}) Man kann sagen - daran kommt niemand vorbei -, dass sich die Situation in Deutschland in den letzten Jahren verbessert hat, obwohl wir noch viele große Aufgaben vor uns haben und obwohl wir bereits viele Schritte in Richtung einer nachhaltigen Politik gegangen sind und die Nachhaltigkeitslücken noch längst nicht an allen Stellen geschlossen haben. ({30}) Nach vielen Einschränkungen in der Wirtschafts- und Finanzkrise ist es erfreulich - Sie werden nicht bestreiten, dass das erfreulich ist -, dass die Realeinkommen in Deutschland in diesem Jahr gestiegen sind und auch im nächsten Jahr steigen werden. Jetzt kommen wir zu einem ganz spannenden Punkt: ({31}) Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgegeben, dass die Regelsätze für das Arbeitslosengeld II jedes Jahr anzupassen sind. Das Bundesverfassungsgericht hat uns schon vor vielen Jahren aufgegeben, dass angesichts der Lebenshaltungskosten nicht nur die Regelsätze für Langzeitarbeitslose anzupassen sind, sondern genauso der Grundfreibetrag im Steuersystem. ({32}) Wenn Sie den Menschen in Deutschland ernsthaft sagen möchten: „Wir tun etwas für die, die leider keine Arbeit haben, aber für die, deren Verdienst im Eingangssteuerbereich liegt, tun wir nichts“, dann können wir das gerne in der Öffentlichkeit austragen. Ich sage Ihnen unter dem Motto „Wer arbeitet, muss mehr haben als dann, wenn er nicht arbeitet“: Wir werden dafür Mehrheiten bekommen. Dass man den Grundfreibetrag angleichen muss, ist überhaupt keine Frage. ({33}) Wenn der Hartz-IV-Satz um 10 Euro steigt und die Steuerentlastung nur 4 Euro beträgt, dann werden Sie eher Mühe haben, das zu erklären. Ich würde an Ihrer Stelle nicht zu laut davon sprechen, sondern sagen: 4 Euro sind das Mindeste, was man machen muss. Wenn Sie sich den Verlauf der Steuerprogression im Eingangssteuerbereich anschauen - den kennen Sie genauso gut wie wir -, ({34}) und den Menschen sagen wollen: „Wir heben den Grundfreibetrag an; das müssen wir machen, weil uns das Bundesverfassungsgericht das abverlangt“, Sie aber nicht bereit sind, Verschiebungen vorzunehmen, sodass die Progression nicht mehr steigt, dann diskutiere ich mit Ihnen darüber wieder gerne in der Öffentlichkeit. ({35}) Das sind die Belastungen, die auf die Kommunen und die Länder zukommen. Weil wir uns freuen, dass die Bruttolöhne im Jahr 2011 im Durchschnitt um 3,4 Prozent steigen, aber auch wissen, dass wir eine Inflationsrate von 2,3 Prozent haben, wollen wir in Zukunft das, was durch die Inflation verloren geht, durch eine weitere Verschiebung des Steuertarifs kompensieren. Weil wir wissen, dass die Kommunen und die Länder den daraus resultierenden Steuerausfall wahrscheinlich nicht ausgleichen können, sagen wir: Der Bund übernimmt das ganz. - Das ist das, was wir für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Republik tun, die in der Krise viel geleistet haben. Ich finde das nicht nur vernünftig, sondern auch absolut gerecht. Steuergerechtigkeit, darum geht es. ({36}) Meine Damen und Herren, nun möchte ich auf das eingehen, was Sie zu den Verschuldungsraten und den Ausgabepositionen gesagt haben. Die Steigerung im Bundeshaushalt lag in der Vergangenheit bei 1 Prozent. ({37}) Das wurde zu Ihren Zeiten so gut wie nie erreicht, um es ganz vorsichtig zu sagen. ({38}) Wenn wir uns aufgrund der Tatsache, dass das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr stärker ist, als wir prognostiziert haben, dafür entscheiden, das zusätzliche Geld nicht in letzter Minute auszugeben, um die Verschuldung zu verringern, und sagen: „Wir haben eine geringere Verschuldung, weil wir ein höheres Wachstum haben, und nächstes Jahr eventuell eine höhere Neuverschuldung, weil das Wachstum dann wieder geringer ist“, dann ist das ehrlich. Dann finde ich das richtig, und dann ist Ihre Argumentation wohlfeil. ({39}) Wenn es um Europa und Deutschland geht, ist Ihre Argumentation an Doppelzüngigkeit nicht zu überbieten. Wenn Sie über Griechenland, Portugal, Spanien und andere Länder sprechen, dann sagen Sie jedes Mal mit Tränen in den Augen, wie schlimm es ist, dass dort kein Wachstum mehr stattfinden kann, weil man dort die Verschuldung abbauen muss, und was es für eine üble Politik Deutschlands ist, darauf zu beharren, dass die Stabilitätskriterien wieder eingehalten werden. Wenn gleichzeitig wir die Stabilitätskriterien einhalten und uns ganz Europa bittet - weil wir das können -, wenigstens dann einen Beitrag zum Wachstum zu leisten, dann werfen Sie uns das vor. Das passt nicht zusammen, meine Damen und Herren. Das werden wir auch immer wieder sagen. ({40}) Jeder in Europa sagt: Ihr habt glücklicherweise noch Wachstum, könnt einen Beitrag leisten und unsere Produkte kaufen. - Denn inzwischen ist unser Wachstum nicht mehr exportgetrieben. ({41}) - Ich habe die Eigenschaft, überall gleich zu sprechen, ob ich mit Ihnen rede, mit meinen politischen Freunden, mit der Bundesbank oder mit meinen europäischen Kollegen. Das macht mein Leben so einfach, weil ich überall gleich spreche und nicht doppelzüngig spreche. Das ist mein Vorteil. ({42}) Unser Wachstum ist inzwischen binnenmarktgetrieben; das ist gut, und das ist richtig. Wir tun im Rahmen dessen, was wir können, das, was dazu notwendig ist. Wir müssen die Fragen beantworten: Wovon wollen wir morgen leben? Wie wollen wir morgen zusammenleben? Die Bundesregierung geht da Schritt für Schritt voran. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird weiter so sein, auch im nächsten Jahr, dass wir vor riesigen Herausforderungen in einer Welt stehen, die sich massiv ändert. Es gibt Herausforderungen, mit denen sich noch künftige Generationen beschäftigen werden. Aber wir können sagen: Unser Land hat gute Ausgangsbedingungen. Die christlich-liberale Koalition stellt sich mit Entschlossenheit genau dieser Aufgabe. Ich sage Ihnen: Unser Ziel ist eine menschliche Gesellschaft und eine erfolgreiche Gesellschaft - das ist die Botschaft an die Menschen in unserem Land -, und dafür werden wir weiter arbeiten. Herzlichen Dank. ({43})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Klaus Ernst ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich möchte als Erstes aus aktuellem Anlass auf Ihre Aussagen zum Rechtsterrorismus in unserem Land eingehen. Sie haben hier richtigerweise die Gemeinsamkeit der Demokraten angesprochen. Das freut mich. Es ist uns gestern gelungen, hier eine gemeinsame Erklärung zu verabschieden. Allerdings, Frau Merkel, muss sich diese Haltung in Ihrer Partei noch herumsprechen. ({0}) Vor einigen Wochen ist in Sachsen aber mit Zustimmung Ihrer Fraktion und mit Zustimmung der NPD die Immunität des Fraktionsvorsitzenden der Linken aufgehoben worden, weil er sich gegen die braune Brut in Deutschland zur Wehr gesetzt hat, auch mit seiner Anwesenheit bei Demonstrationen. Das ist alles andere als die von Ihnen angesprochene Gemeinsamkeit der Demokraten. ({1}) Was wir jetzt brauchen, Frau Merkel und liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, der CSU und der FDP, ist, dass wir die Menschen in unserem Land deutlich stärken, die sich auch außerhalb der Parlamente gegen Neofaschismus wehren - oft begibt man sich in Gefahr, wenn man das tut -, und dass wir ein Signal geben, dass das gesamte Parlament, alle Parteien, alle Fraktionen, alle Abgeordneten in Deutschland, die Demokraten sind, diese Menschen in unserem Land unterstützen. ({2}) Solange wir da unterscheiden und solange wir da eine Politik machen, wie sie Ihre Regierung betreibt, indem Sie die Menschen, die Unterstützung bräuchten, unter Generalverdacht stellen, wenn es um die Frage geht, ob sie Geld und Unterstützung des Staates bekommen, wenn sie sich bei Projekten oder Ähnlichem engagieren, so lange ist es mit der Solidarität und mit der Zusammenarbeit aller Demokraten noch nicht weit her. Deshalb sage ich: Ändern Sie an dieser Stelle Ihre Politik! Sorgen Sie dafür, dass wir den Geist der Entschließung, die wir gestern hier verabschiedet haben, tatsächlich umsetzen und dass wir alle gemeinsam in diese Richtung gehen! Nur dann hat das Sinn; sonst lassen wir die Menschen alleine, die sich gegen Neofaschismus wehren. ({3}) Einen zweiten Punkt muss ich ansprechen, weil ich Ihnen das so nicht durchgehen lassen kann, Frau Merkel: die Steuersenkungen. Ja, wir sind mit Ihnen der Auffassung - auch wenn Sie das nicht sonderlich zu interessieren scheint -, dass es notwendig ist, Steuergerechtigkeit in unserem Lande wiederherzustellen. Ein Punkt dabei ist, dass wir mit Blick auf die Steuerprogression durch den sogenannten Mittelstandsbauch im Steuertarif eine vernünftige Regelung finden müssen. Wir sind auch der Auffassung, dass es notwendig ist, den Spitzensteuersatz neu zu regeln. Aber wir unterscheiden uns hier deutlich von Ihnen, weil wir meinen, dass man, wenn man solche Vorschläge in der jetzigen Haushaltslage der Bundesrepublik Deutschland einbringt, auch erklären muss, wo man das Geld dafür hernehmen will. Diese Erklärung bleiben Sie schuldig. Sie machen Geschenke, ohne sie gegenzufinanzieren. Wenn wir solche Vorschläge machen würden, wäre was los in diesem Haus. Aber Sie glauben, Sie könnten sich das leisten. Das ist nicht akzeptabel. ({4}) Frau Merkel, Sie haben wenig darüber gesprochen, wie es den Menschen in unserem Lande wirklich geht. Wie geht es zum Beispiel den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land? Sie haben gesagt, künftig würden die Reallöhne steigen. Zum zweiten Mal in der Geschichte der Republik mussten trotz eines Aufschwungs, den Sie - insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von der FDP - so gerne loben, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seit 2008 einen Reallohnverlust von 1,5 Prozent hinnehmen. Sie haben nach diesem Aufschwung weniger in der Tasche als vorher. Das ist Ausdruck des Zustands unseres Landes. Wir haben insbesondere Einkommensverluste im Niedriglohnsektor zu verzeichnen. Jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte in unserem Lande arbeitet für weniger als 1 800 Euro brutto. Jeder dritte Arbeitnehmer verdient so wenig, dass er im Alter mit einer Rente unterhalb der Grundsicherung rechnen muss. Seit 2005 hat Deutschland rund 60 Milliarden Euro ausgegeben, um die Einkommen wegen der Dumpinglöhne wenigstens auf Sozialhilfeniveau aufzustocken, weil es keinen allgemein verbindlichen Mindestlohn gibt. Frau Merkel, mit dem, was Sie auf Ihrem Parteitag abgezogen haben, als Sie so getan haben, als würden Sie einen Mindestlohn einführen, führen Sie die Leute hinter die Fichte. In Wirklichkeit verweigern Sie die Einführung eines allgemein verbindlichen Mindestlohns in Deutschland - vor und nach Ihrem Parteitag. Das ist die Wahrheit, und das werden wir den Menschen auch sagen. ({5}) Michael Sommer, der Vorsitzende des DGB, hat recht, wenn er sagt, Arbeit in diesem Land sei inzwischen so billig wie Dreck geworden, und diese Regierung trägt die Verantwortung dafür. Kommen wir zu den Rentnerinnen und Rentnern. Sie tun so, als würde sich die Lage der Rentnerinnen und Rentner verbessern, weil sie im nächsten Jahr eine saftige Rentenerhöhung bekommen. Die Realität ist: Die Rentenerhöhung 2012 wird nur knapp die erwartete Inflation ausgleichen. Das heißt, die Lage der Rentnerinnen und Rentner wird sich nicht verbessern. Die Bestandsrenten sind seit Ende 2008 real um 1 Prozent gesunken, seit der Jahrtausendwende nach Auskunft der Bundesregierung um 7 Prozent. Das heißt, die Lage der Rentnerinnen und Rentner in unserem Land verschlechtert sich ebenso wie die Lage der abhängig Beschäftigten. Jetzt können wir uns noch darüber unterhalten, ob vielleicht die Arbeitslosen besonders von dem Aufschwung profitieren; denn Sie brüsten sich ja damit, dass wir zusätzliche Beschäftigung in unserem Land haben. Ja, die haben wir, und darüber freuen wir uns auch. Wir freuen uns aber nicht darüber, welcher Art diese zusätzliche Beschäftigung ist. Jede dritte offene Stelle, die bei den Arbeitsagenturen gemeldet ist, ist inzwischen nur noch ein Leiharbeitsjob. In Deutschland haben wir einen Aufschwung bei der prekären Beschäftigung zu verzeichnen: Minijobs, Leiharbeit, befristete Jobs, Teilzeitarbeit. Das ist die Realität der Menschen in unserem Land. Jeder zweite Arbeitnehmer unter 24 Jahren hat nur noch einen befristeten Arbeitsvertrag. Über solche Zustände am Arbeitsmarkt kann man sich offensichtlich nur freuen, wenn man ein Parteibuch der CDU oder der FDP hat. Die Menschen freuen sich darüber nicht; sie wollen vernünftige Arbeitsplätze und gute Arbeit. Dies verhindern Sie mit Ihrer Deregulierungspolitik am Arbeitsmarkt. ({6}) Außerdem möchte ich mit Blick auf das Leistungsniveau darauf hinweisen, dass natürlich auch die Erhöhung des Arbeitslosengeldes II die Inflation der letzten Jahre nicht ausgleicht und damit auch die Arbeitslosengeld-II-Bezieher weniger haben als vorher. Wo, bitte schön, ist dann Ihr Aufschwung, Frau Merkel? Wo, bitte schön, geht es allen Menschen besser? Das versprechen Sie doch so gerne. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Lohnquote eingehen, also den Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen. Die Lohnquote hat sich von 2000 bis 2010 von 72 auf 66 Prozent verringert. Das bedeutet: Hätten wir noch die alte Verteilungsrelation, hätten im Jahr 2010 die Arbeitnehmer in der Summe 112 Milliarden Euro mehr gehabt. Sie haben mit Ihrer Politik des Lohndumpings dazu beigetragen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer massive Einbußen bei ihrem Lohneinkommen hinnehmen mussten. Frau Merkel, Sie haben einen großen Teil Ihrer Rede der Finanzkrise gewidmet. Das möchte ich auch machen. Diese Haushaltsdebatte steht unter dem Eindruck der schwersten Finanzkrise, die Europa seit dem Ende des Krieges erlebt hat. Was offensichtlich zu Ihnen noch nicht durchgedrungen ist - das sagen Ihnen auch alle anderen -, ist die Tatsache, dass wir offensichtlich am Rande einer neuen schweren Rezession stehen. Wer sich anschaut, wie diese Regierung in der Krise agiert, der muss unweigerlich den Eindruck bekommen, dass die Regierung weder vernünftige Analysen noch eine vernünftige Strategie hat. Frau Bundeskanzlerin, es stimmt ja möglicherweise, dass Sie immer dasselbe sagen. Aber das bezieht sich immer nur auf einen bestimmten Zeitraum. Denn jedes halbe Jahr erzählen Sie hier im Bundestag das Gegenteil von dem, was Sie ein halbes Jahr zuvor gesagt haben. ({7}) Das gilt insbesondere bei der Bewältigung der Finanzkrise. In der letzten Legislaturperiode haben Sie noch jede Regulierung der Finanzmärkte abgelehnt. Inzwischen fordern Sie selbst eine Regulierung der Finanzmärkte. Anfang 2010 haben Sie noch jede Hilfe für Griechenland abgelehnt. Inzwischen haben wir ein Vielfaches unseres Steueraufkommens dafür verpfändet. Heute sperren Sie sich als einzige Regierung gegen Euro-Bonds und eine Direktfinanzierung der Euro-Staaten durch die EZB. Ich prophezeie Ihnen, Frau Merkel: Diese Position werden Sie kein halbes Jahr mehr durchhalten. Wenn Sie sie jedoch durchhielten, würden Sie den Bestand der gemeinsamen europäischen Währung gefährden. Hätten Sie die Forderungen der Linken schon früher aufgegriffen, dann wären wir nicht in der jetzigen Situation. ({8}) Jetzt wäre bei Ihnen endlich einmal etwas Einsicht nötig. Sie müssen erkennen, dass die Maßnahmen, die Ihre Regierung den anderen Staaten, insbesondere Griechenland, aufoktroyiert, gescheitert sind, und damit auch Ihre Politik. Sie wollten mit Ihrer Politik - auch mit Ihrer Auflagenpolitik - die Schulden Griechenlands verringern. Das hat im Ergebnis dazu geführt, dass die Schulden Griechenlands - neuester Stand von gestern - einen Rekordstand von 360 Milliarden Euro erreicht haben; das sind 165,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Frau Merkel, die Politik, die Sie Europa verordnen, ist gescheitert. Der Schuldenstand steigt, und das wissen Sie selbst ganz genau. ({9}) Im Kern ist diese Krise eine Krise der entfesselten Finanzmärkte. Wo liegen die Ursachen für diese Problematik? Um sich das klarzumachen, muss man einen Blick auf das werfen, was zwischen 2000 und 2010 in Deutschland passiert ist. Die Reallöhne sind um 4,5 Prozent nach OECD-Erkenntnissen gesunken. Deutschland war damit das einzige Industrieland mit sinkenden Löhnen. Gleichzeitig hat Deutschland im selben Zeitraum 1,5 Billionen Euro an Auslandsüberschüssen aufgebaut. Mit anderen Worten: Die deutsche Wirtschaft hat für 1,5 Billionen Euro mehr exportiert als importiert. Fazit: Ja, die Deutschen sind Exportweltmeister. Darüber können wir uns freuen. Leider aber sind wir Exportweltmeister, weil wir auch Weltmeister im Lohndumping sind. Das ist eine der Ursachen für die Verwerfungen in Europa. Der Zusammenhang ist sehr einfach: Die deutsche Wirtschaft hat sich mit sinkenden Löhnen Wettbewerbsvorteile auf Kosten der europäischen Nachbarn verschafft. An dieser Stelle möchte ich Herrn Trittin zitieren. ({10}) - Bei seiner Rede haben Sie damals auch genölt. - Er hat recht. Er hat nämlich gesagt: Die Defizite der einen sind die Überschüsse der anderen. Wer wissen will, was das im Einzelnen bedeutet, der sollte einmal nach Griechenland fahren. Ich habe das in der letzten Woche gemacht. Dort konnte ich erleben, dass man im griechischen Supermarkt inzwischen Milch, Joghurt und Wurst aus Deutschland einkaufen kann. Wir haben die Situation, dass Deutschland seine Lebensmittelexporte nach Griechenland seit 2000 fast verdoppelt hat. Es ist unglaublich. Ob Sie es hören wollen oder nicht, meine Damen und Herren: Diese Krise hat ihren Ausgangspunkt auch in Deutschland. Sie wird auch das Gesicht dieses Landes verändern. Das deutsche Entwicklungsmodell - Wachstum auf Kosten der eigenen Arbeitnehmer und der benachbarten Volkswirtschaften - ist an sein Ende gekommen. Vor diesem Ende stehen wir jetzt. ({11}) Das haben alle in Europa begriffen, aber Ihre Regierung nicht. Nichts spricht mehr Bände als das, was die Vertreter dieser Regierung selbst zu diesem Thema zum Besten geben. Ich zitiere hier stellvertretend den Wirtschaftsminister, Herrn Rösler. Er sagte in der letzten Woche der Süddeutschen Zeitung - ich habe es fast nicht geglaubt -: Ich bin bei Wirtschaftsministertreffen immer der einzige, der Exportüberschüsse gut findet. ({12}) Da kann ich nur sagen: sehr schlau. Er merkt gar nicht, dass wir mit den Exportüberschüssen, die wir in Deutschland produzieren, die Probleme der anderen verursachen. Man denkt bei solchen Aussagen unwillkürlich an den Geisterfahrer auf der Autobahn, der im Radio hört: Ihnen kommt ein Fahrzeug entgegen. Der Geisterfahrer sagt: Was heißt denn hier „ein Fahrzeug“? Hunderte! - Genau so ist die Situation in der Bundesregierung. ({13}) Die zweite Ursache für die Probleme, die wir an den Finanzmärkten zu konstatieren haben, liegt im Verhältnis der Staaten und ihrer Finanzierung. Wie ist der Zusammenhang? 2008 und 2009 mussten alle Staaten mit viel Geld das Bankensystem retten. Allein in Deutschland stieg der Schuldenstand um 265 Milliarden Euro, wohlgemerkt ohne Rettungsschirm. Die Staaten retteten die Banken mit Geld, aber sie hatten das Geld nicht. Die Staaten borgten sich das Geld bei den Banken, die sie vorher gerettet haben. Jetzt sind wir in der Situation, dass sich die Banken das Geld zu 1,25 Prozent Zinsen bei der Europäischen Zentralbank leihen und es zu Wucherzinsen - in Portugal aktuell 20 Prozent für kurzfristige Laufzeiten - an die Staaten zurückleihen. Wie bescheuert sind wir eigentlich, dass wir uns das antun? ({14}) Was für ein absurdes System! Wir lassen uns mit Wucherzinsen über den Tisch ziehen. Die Strategie bei der Krisenbekämpfung scheitert jeden Tag aufs Neue. Sie wollen erzwingen, dass die Griechen, die Portugiesen, die Spanier, die Franzosen - ja, irgendwann auch die Deutschen - die Wucherzinsen der Banken zahlen, und zwar nicht die Millionäre oder die Unternehmen oder die Gutverdiener, sondern die einfachen Leute: die Arbeitnehmer mit ihren Löhnen, die Rentner mit ihren Renten, die Arbeitslosen mit dem Arbeitslosengeld, die Kranken mit Einschnitten im Gesundheitssystem, die Kinder mit dem vernachlässigten öffentlichen Bildungssystem. Die Folgen dieser Politik sind sehr dramatisch. Wer in diesen Tagen Athen besucht, der erlebt eine Stadt im Fieber: Die Rentner müssen mit gekürzten Renten die durch Steuererhöhungen drastisch gestiegenen Preise für Güter des täglichen Bedarfs bezahlen. Die nominalen Renten im öffentlichen Sektor sanken bis jetzt um 10 Prozent. Die Arbeitslosen werden in Angst und Schrecken versetzt, weil sie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit sogar ihre Krankenversicherung verlieren. Kleine Selbstständige werden in den Ruin getrieben. Man sieht leere Läden und keine Leute mehr in den Lokalen. Hunderttausenden droht die Abschaltung des Stroms, weil sie die neue Sondersteuer nicht zahlen können. Die Jugendarbeitslosigkeit hat sich auf 43,5 Prozent erhöht. 200 000 kleine Gewerbebetriebe sind pleite. Frau Merkel, wenn Sie sich einmal mit der wirklichen Lage in Griechenland vertraut machen würden, dann würden Sie nicht die Frage stellen, ob die griechischen Senioren zu früh in Rente gehen, sondern würden fragen, ob die griechischen Eltern in diesem Winter noch ihre Kinder ernähren können; das ist die Frage, die sich den Griechinnen und Griechen stellt. ({15}) Sie haben von einem Vertrauensverlust in Europa gesprochen. Ja, Frau Merkel, das stimmt: Die Bürgerinnen und Bürger vertrauen Europa nicht mehr, weil sie Europa als Bedrohung empfinden: als Bedrohung für die Einkommen, die Renten und die Sozialstandards. Deshalb sage ich Ihnen: Lassen Sie diese Politik sein. Wenn wir Europa und den Euro wieder auf die Füße stellen wollen, dann müssen wir über Konjunkturmaßnahmen reden, die dazu führen, dass die Menschen in Europa Arbeit kriegen, und nicht darüber, wie wir den Sozialstaat zerschlagen. ({16}) Letztendlich merken wir, dass es um zwei Dinge geht. Zum einen geht es um die Frage der Zerschlagung der Sozialsysteme. Diese Politik wird aber gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt. Frau Merkel, ich frage mich schon, welches Demokratieverständnis Sie haben, wenn Sie und andere Regierungschefs in Europa offensichtlich aufs Heftigste protestieren, wenn in Griechenland die Frage einer Volksabstimmung ins Spiel gebracht wird, bei der die Menschen selbst darüber entscheiden sollen, ob sie sich die Sozialleistungen kürzen. Wäre es nicht sinnvoll, zu sagen: Demokratie heißt auch, dass die Macht vom Volk ausgeht? Das bedeutet auch, dass das Volk selbst entscheiden darf, in welche Zukunft es gehen will. ({17}) Genau das wird verhindert. Welches Demokratiemodell steht uns in Europa bevor, wenn in Griechenland und Italien - das geschieht inzwischen auf Druck der Europäischen Union - Regierungschefs regieren, die nie kandidiert haben? Sie haben sich nie einer Wahl der Bürgerinnen und Bürger gestellt. Welches Demokratiemodell steht uns bevor, wenn man in diesen Ländern inzwischen offensichtlich die Regierungsgeschäfte den Bankern überlässt und selbst nicht mehr fragt, ob der eine oder andere auch die politische Qualifikation für das Amt hat, das er ausüben soll? Das, was wir hier erleben, ist eine Kapitulation der Demokratie vor den Banken, und Sie befürworten diese, Frau Merkel. ({18}) Mit dieser Politik sind wir dabei, das Demokratieund Sozialstaatsmodell in Europa zu zerstören. Ihre Haltung dazu, Frau Merkel, ist deutlich geworden. Sie haben Anfang September gesagt, man müsse vor allen Dingen dem Wunsch der Märkte nachkommen, den Europarettungsschirm marktkonform auszugestalten. Wer bestimmt eigentlich die Richtlinien der Politik? Manchmal habe ich den Eindruck, dass Sie bei diesen Fragen Ihre Redezeit vielleicht direkt Herrn Ackermann übertragen sollten. Dann wüssten wir wenigstens, wo genau wir dran sind. ({19}) Ihr Leitbild und das Ihrer Regierung ist eine Demokratie, die sich im Zweifelsfall dem Willen der Märkte unterordnet. Ihre Doktrin heißt nichts anderes, als die Interessen der Banker vor die Interessen der Bürger zu stellen. Sie haben mit Ihrer Politik der Erpressung das europäische Projekt entleert und die EU zum Inkassobüro der privaten Banken gemacht. Diese Politik wird sich rächen. Wir schlagen drei Punkte vor, um die Dinge wieder in die richtige Richtung zu lenken. Erstens. Wir wollen eine Entkopplung der Staatsfinanzierung von den Finanzmärkten. Den Unsinn, den ich vorhin dargestellt habe, wollen wir beenden. Dazu schlagen wir vor, dass wir eine Bank für öffentliche Anleihen gründen, die sich direkt bei der EZB verschuldet und dann das Geld, das sie von der EZB bekommen hat, zu tragbaren Zinsen unter vernünftigen Auflagen an andere Staaten weiterverleiht. Eine vernünftige Auflage wäre für Griechenland eben nicht das Senken des Sozialniveaus, sondern für Griechenland wäre es vernünftig, den Rüstungshaushalt herunterzufahren und die großen Vermögen zu besteuern. Das wäre ein anderer Weg, den die Griechen gehen könnten. ({20}) Zweitens. Wir schlagen vor, das Bankensystem künftig öffentlich-rechtlich zu organisieren. Es gibt gegenwärtig nur die Alternative: Entweder übernimmt der Staat die Banken, oder die Banken übernehmen den Staat. So weit sind wir. Die Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland gehört nicht dem „Modell Deutsche Bank“, sondern sie gehört eher dem „Modell Sparkasse“. Drittens. Wir schlagen einen neuen europäischen Stabilitätspakt vor. Ein Staat kann seine Wettbewerbsfähigkeit steigern, ein gemeinsames Europa muss aber nach anderen Regeln funktionieren. Wir müssen letztendlich dafür sorgen, dass es in ganz Europa - so wie es das Stabilitätsgesetz in Deutschland vorschreibt - ausgeglichene Handelsbilanzen gibt. Sie haben eine gemeinsame Steuerpolitik und eine gemeinsame Wirtschaftspolitik angesprochen. Dem müsste eine gemeinsame Lohnpolitik folgen. Es kommt vor allen Dingen darauf an, dass wir uns in Deutschland auf gemeinsame Mindeststandards verständigen. Wir brauchen Mindestlöhne, Mindeststeuern und Mindeststandards für die soziale Absicherung. Weiter brauchen wir eine Vereinbarung, dass Europa nicht ein Europa der Wirtschaft und der Banken, sondern ein Europa der Bürger wird. ({21}) Wenn wir das nicht schaffen, dann wird dieses Europa - und zuerst der Euro - auseinanderbröseln. Ich möchte zum Schluss einen Vorschlag machen, der sehr einfach umzusetzen wäre. Wir wissen, dass die griechischen Millionäre ihr Geld ins Ausland - offensichtlich auch in die Bundesrepublik Deutschland - tragen. Ich schlage vor, dass wir alle Konten von Griechen, auf denen sich über 1 Million Euro befinden, erst einmal einfrieren und mit der griechischen Regierung klären, ob dieses Geld durch Steuerhinterziehung angehäuft werden konnte. Wenn dem so ist, dann führen wir das Geld der griechischen Staatskasse zu. Das reduziert das griechische Defizit. ({22}) Ein Politikwechsel ist dringend notwendig, sowohl in Deutschland als auch in Europa. Er ist vor allen Dingen deshalb notwendig, weil Sie mit Ihrer Politik den Sozialstaat in Europa zerstören und die Demokratie abbauen. Das führt nicht zu Wohlstand, sondern zu einer Entwicklung nach rechts in ganz Europa. Das wollen wir verhindern. Ich danke Ihnen für das Zuhören. ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion erhält nun Rainer Brüderle das Wort. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Rednerkarussell bei der SPD ist schon putzig. Die Kollegen Steinmeier, Gabriel und Steinbrück wechseln sich bei den Kerndebatten ab und halten hier ihre Bewerbungsreden. ({0}) Vorpreschen tut keiner. Wenn Schröder, Scharping und Lafontaine früher das Trio Infernale waren, dann sind heute Steinmeier, Gabriel und Steinbrück das Trio Immobile. Sie machen so etwas wie ein Kanzlerkandidatenmikado. ({1}) Wer sich von ihnen als Erster bewegt, der hat verloren. ({2}) Herr Gabriel, zwischen Soll und Ist und Soll und Haben besteht ein Unterschied. ({3}) Im Haushalt 2011 betrug die Ermächtigung zur Kreditaufnahme 48,4 Milliarden Euro. Das sind 22 Milliarden Euro mehr; denn für 2012 sind rund 26 Milliarden Euro neue Schulden vorgesehen. Das Ist wird niedriger sein. Sie haben in Ihren Reihen immer ein Problem: zwischen Soll und Haben, ({4}) zwischen Soll und Ist und zwischen Mein und Dein. Das ist Ihr historisches Problem. ({5}) Herr Gabriel, Sie sagen, die Regierung muss sparen, und verweisen auf Griechenland. Das ist Ihr Job, dafür gibt es auch die Elefantenrunde, aber glaubwürdig ist es nicht. Die SPD-Fraktion hat in diesem Haushalt zusätzliche Ausgaben in Höhe von 5 Milliarden Euro vorgeschlagen. Das ist Ihre Realität. Einsparvorschläge? Fehlanzeige! Sie machen nichts! ({6}) Es gibt Steuererhöhungsvorschläge im halben Dutzend und mehr. Von Entschuldung sprechen, aber eigentlich die Schleusen öffnen wollen - so geht das nicht. Wir sind hier nicht bei „Wünsch Dir was“, hier ist „So isses“! ({7}) Statt der Regierung eine Nase zu drehen, sollten Sie sich lieber an die eigene Nase fassen. Als Finanzminister wollte Herr Steinbrück für das Jahr 2012 fast 60 Milliarden Euro Schulden machen. Wir kommen mit weniger als der Hälfte aus. ({8}) Zur Einhaltung der Schuldenbremse liegen wir rund 15 Milliarden unter der maximalen Nettokreditaufnahme. Die christlich-liberale Koalition hält Deutschland auf einem Wachstumspfad, und die Konsolidierung wird durchgeführt. ({9}) Bei der Wirtschaftsentwicklung verbreitet die Opposition graue Novemberstimmung, aber Sie überzeichnen, Sie malen schwarz. ({10}) Mit der Realität in Deutschland hat das wenig zu tun. Gesamteuropa mag am Rande einer Rezession stehen, Deutschland nicht. Die deutsche Wirtschaftskraft stabilisiert Europa. Wir wachsen in diesem Jahr noch einmal - das ist außergewöhnlich - um 3 Prozent. Das ist eine bemerkenswerte Größe. Nächstes Jahr kommt es eher zu einer Normalisierung und zu einer Abschwächung, dann haben wir nur noch 1 Prozent Wachstum. Der Arbeitsmarkt ist mehr als robust. Wir bekommen seit Monaten Zahlen, die Lichtjahre von den Ergebnissen von GrünRot entfernt sind. ({11}) Der Arbeitsmarkt ist robust. Es gab noch nie 41 Millionen Beschäftigte in Deutschland. Das hat diese Regierung erreicht. Deutschland ist die Bezugsgröße, der sichere Hafen für die europäische Entwicklung. Unsere stabilitätspolitischen Vorstellungen sind richtig. Das belegt die Entwicklung in Deutschland. Das ist ein Kraftakt. An dieser Stelle danke ich ausdrücklich der Regierung Merkel/Rösler dafür, dass wir unsere Partner hinsichtlich dieser Entwicklung bei der Stange halten. Andere in Europa wollen die Schuldenkrise mit der Notenpresse lösen. Sie besitzen neuerdings Kreativität: Zuerst wollten sie eine Banklizenz für die EFSF. Das hat Deutschland zu Recht verhindert. Dann ging es um den Griff nach dem Gold der Deutschen Bundesbank. Das haben wir auch zu Recht verhindert. Andere wollen die EZB nach dem Vorbild der Fed umgestalten. Auch das werden wir verhindern. Stabilitätsorientierte Politik für Deutschland sollte nationaler Konsens sein; das sollte auch auf Ihrer Agenda stehen. ({12}) Herr Steinmeier hat diese Linie im Plenum vertreten. Er hat uns sogar kritisiert. Er hat gesagt, mit der EFSF würde es zu langsam gehen. Das würde die Notenbank unter Druck bringen. Jetzt kommt Steinmeiers früherer Chef, Herr Schröder, aus seiner Ecke hervor und fordert, die Notenpresse anzuwerfen, Geld zu drucken. Das ist immerhin konsequent. Schröder hat den Stabilitätspakt ruiniert und die Griechen in die Euro-Zone gelassen. Jetzt den Euro komplett fertigzumachen, zeugt von einer gewissen Logik, von einer gewissen Konsequenz; es ist aber falsch. ({13}) Was Steinmeier sagt, juckt Steinbrück nicht. Ich zitiere Steinbrück: Allerdings zeigen die Fed der USA und die Bank of England, dass in Krisenzeiten genau dies - gemeint ist die Staatsfinanzierung mit der Notenpresse die Rolle von Notenbanken ist. Zitat Ende. Das erklärt Herr Steinbrück wörtlich in seinen Anmerkungen zur Verschuldungs- und Bankenkrise. ({14}) In deutsche Sprache übersetzt heißt das: Steinbrück will wie Frankreich und andere die große Geldkanone ansetzen, das Geld drucken und nicht die Statik in Europa in Ordnung bringen. Das ist der falsche Weg. ({15}) Deswegen ist die Lage bei Ihnen völlig konfus. ({16}) Das widerspricht der deutschen Stabilitätstradition. Wir alle haben den Menschen in Deutschland versprochen, der Euro werde genauso stabil sein, wie die D-Mark es war. Deshalb müssen wir für diese Stabilitätskultur kämpfen und die Ängste der Menschen in Deutschland ernst nehmen. Im Gencode der Deutschen ist die Angst vor der Hyperinflation eingeprägt, während die Amerikaner Angst vor der Deflation haben. Das erklärt die unterschiedlichen Verhaltensweisen diesseits und jenseits des Atlantiks. Ich glaube, Steinbrück sollte lieber weiter Schach spielen, aber dieses Mal die Figuren richtig aufstellen. Das würde ihn vielleicht weiterbringen. ({17}) Herr Gabriel fordert jetzt wieder Euro-Bonds. Das ist Politik nach Schlagzeile. Ihr haushaltspolitischer Sprecher, Carsten Schneider, hat heute Morgen im Morgenmagazin genau das als nicht machbar und falsch erkannt. Vielleicht hören Sie das einmal nach. Er gilt als Fachmann. Vielleicht hilft Ihnen das weiter. Als Ihre Basis damals rebellierte, haben Sie die Pläne für die EuroBonds wieder in die Schublade gelegt. Als das Verfassungsgericht klare Grenzen gezogen hat, waren Sie sehr leise. Die SPD-Fraktion hat in ihrem Entschließungsantrag einen großen Bogen um Euro-Bonds gemacht. Euro-Bonds sind der falsche Weg. Sie setzen den Zinsmechanismus außer Kraft. Das ist Einheitszins! Das ist Zinssozialismus! Sozialismus ist immer falsch, auch bei den Zinsen! ({18}) Herr Steinbrück hat bislang einen Schuldenschnitt für Griechenland gefordert. Jetzt sagt er, man hätte für die Anleihen Griechenlands von Anfang an Garantien aussprechen sollen. Ständig neue Äußerungen. ({19}) - Ich kann das alles belegen. - Hätte, könnte, sollte - die SPD im Konjunktiv; mit klarer Politik hat das nichts zu tun. ({20}) Bilden Sie sich doch einmal eine Meinung. Sagen Sie sie, auch wenn sie falsch ist; aber haben Sie wenigstens eine Meinung! ({21}) Als es bezüglich Griechenland hier zum Schwur kam, Herr Gabriel, haben Sie die Biege gemacht. Ich habe Ihre Rede von Mai 2010 dabei: nirgends klare Positionen. Eine Enthaltung zu organisieren, ist kein Konzept, das ist ein politisches Armutszeugnis. Auch das hat mit kraftvoller Politik nichts zu tun. Ich empfehle ein bisschen Zurückhaltung. Beim Euro-Thema haben Sie wirklich keine klare Linie. Das Zeitalter der Staatsverschuldung führt zu Pumpkapitalismus an den Finanzmärkten. Wir haben dort Schneeballeffekte. Das müssen wir verändern, korrigieren; denn das hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun. Das steht auf der Agenda einer bürgerlichen Regierung: wieder zu Maß und Mitte zurückkehren, die Relation zwischen Risiko und Haftung wiederherstellen und wieder nach Adam Riese rechnen. Das ist unsere Politik, sie ist nachhaltig. Wir flüchten nicht in Schulden. Das ist bürgerliche Gemeinschaftsleistung. Deshalb werden wir diesen erfolgreichen Kurs kraftvoll gemeinsam fortsetzen. ({22}) Wir brauchen eine Risikobremse am Kapitalmarkt, andere Eigenkapitalunterlegungen, Transparenz bei Schattenbanken. Hier ist vieles aus dem Ruder gelaufen. Herr Gabriel, Rot-Grün hat mit Hegdefondsderivaten den Drachen der Finanzmärkte gemästet. ({23}) Wenn nun Sigmar als Siegfried auftreten will, dann ist das eine Komikrolle. Erst den Drachen zu züchten und sich dann als Gegner aufspielen zu wollen - das ist unredlich, unglaubwürdig. Das sind Theaternummern, aber das ist keine reale Politik. ({24}) Mich hat dieser Tage anderes unruhig gemacht: Der russische Präsident will eine eurasische Union. Der amerikanische Präsident wendet sich verstärkt dem Pazifik zu. ({25}) Das sollte uns aufhorchen lassen. Aus der Hinwendung zu Asien darf keine Abwendung von Europa werden. Europa muss sich neu aufstellen. Wir müssen Strukturen und Handlungsfähigkeit schaffen. Das gilt übrigens nicht nur für den Euro. Es führt uns vor Augen: Europa hat vieles anzupacken. Wir brauchen auch eine stärkere Integration der Außen- und Sicherheitspolitik und eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur, wenn Europa in der Welt noch eine Rolle spielen will. Die Koalition hat zwei wichtige strategische Entscheidungen getroffen: Wir ebnen den Weg zu einer Freiwilligenarmee und beginnen mit dem Abzug unserer Truppen aus Afghanistan. ({26}) Der internationale Einsatz erfordert ein Maß an Flexibilität und Professionalität, das man nur mit einer Freiwilligenarmee leisten kann. Deshalb war der Schritt konsequent. Dank an den Verteidigungsminister de Maizière, der ein vernünftiges Konzept, das auch umsetzbar ist, auf den Weg gebracht hat. ({27}) Wir werden ihn dabei unterstützen. In Afghanistan ist der Scheitelpunkt des deutschen militärischen Engagements überschritten. Das neue ISAFMandat wird eine Reduktion des Truppeneinsatzes vornehmen. Die Bonner Afghanistan-Konferenz im Dezember wird eine langfristige politische und wirtschaftliche Partnerschaft der Staatengemeinschaft mit Afghanistan auf den Weg bringen. Außenminister Guido Westerwelle hat dabei unsere volle Unterstützung. ({28}) Wenn wir die erreichten Fortschritte dauerhaft sichern, können wir bis 2014 die Sicherheitsverantwortung weitestgehend oder vollständig in afghanische Hände legen. Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein verlässlicher Partner. Deutschland hat Exporterfolge, wird von der Welt bewundert, manchmal aber auch kritisiert. Die Opposition fordert immer, wir müssen von unseren hohen Exportüberschüssen herunterkommen. Ich gehe davon aus, Sie wollen Deutschland nicht schlechter machen, obwohl ich manchmal daran Zweifel habe. Im Kern geht es, wenn Deutschland besser werden soll, um eine höhere Binnennachfrage. Schauen wir doch einmal, was die Opposition für eine höhere Binnennachfrage im Angebot hat. Sie wollen die Steuern erhöhen. Das erhöht keine Binnennachfrage. Die Linkspartei macht gerade ein Familienunternehmen Oskar/Sahra & Co. GmbH, neues menschliches Antlitz des Sozialismus. ({29}) - Sie sollten bei dem Thema ruhig sein. Dazu haben Sie wirklich nichts beizutragen. Bei der SPD sind es 32 Milliarden Euro mehr Steuern, bei den Grünen ebenfalls. Sie unterscheiden sich in ihren Steuervorstellungen nur hinter dem Komma, obwohl man bei der Reaktion auf die Reden eine gewisse Eiszeit feststellt. Es gab bei der Rede von Gabriel nur wenig, fast keinen Beifall von den Grünen. Darüber hinaus wollen Sie Euro-Bonds mit höheren Zinsen für Deutschland. Das schwächt die Binnennachfrage. Auch das ist kein Beitrag hierfür. Sie wollen höhere Einnahmen im Bereich der Sozialversicherung. Auch das schwächt die Binnennachfrage. Wir machen es anders: Wir entlasten die Menschen. In der vergangenen Woche haben wir einen ersten Schritt im Bereich der Rentenbeiträge gemacht. Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden um 2,5 Milliarden Euro entlastet. Gleichzeitig steigen die Renten. Das ist gut für die Binnennachfrage. Im Gegensatz zu Zeiten der Vorgängerregierung steigen bei uns die Nettolöhne. Im Jahre 2013 werden weitere Schritte zur Entlastung, beispielsweise bei den Rentenbeiträgen, folgen. Nun geht es darum, etwas für die kleinen und mittleren Einkommen zu tun. Ich nenne die Stichwörter „Existenzminimum“ und „kalte Progression“. Die kalte Progression ist eine verdeckte Steuererhöhung. Weil die Nominalwerte steigen, kassiert der Staat mehr ab. Das ist eine Steuererhöhung. Das kann doch nicht im Interesse gerade der Vertreter der Bezieher kleiner Einkommen bei uns im Lande sein. Der Staat darf sich doch nicht über die Inflation bereichern. Ich möchte Herrn Steinmeier ganz persönlich ansprechen. Herr Steinmeier - Sie sind anwesend, nur weiter hinten im Saal -, vor zehn Jahren haben wir gemeinsam eine Steuerreform auf den Weg gebracht. Ich habe das damals über Rheinland-Pfalz mit möglich gemacht. Das fanden nicht alle in der FDP schön, aber ich habe es gemacht, weil ich überzeugt war, dass es richtig für unser Land war. Ich erwarte von der SPD und von Ihnen ganz persönlich: Verhindern Sie bei der Entlastung, Abmilderung der kalten Progression und dem Existenzminimum, eine Blockade Ihres Parteivorsitzenden. Das würde Ihre Kernwählerschaft elementar treffen. Sie müssen hier die Interessen der Menschen über parteitaktische Spielchen stellen, so wie ich es gemacht habe. Ich spreche Sie persönlich an. ({30}) Die Binnennachfrage wird durch die Tarifpolitik gestärkt. Ich habe als Wirtschaftsminister gesagt, dass ich für faire Lohnerhöhungen bin. Ich wiederhole dies. Die Arbeitnehmer haben sich ihren Anteil am Aufschwung hart erarbeitet und werden diesen auch bekommen. Die Tarifrunden werden widerspiegeln, dass wir die Binnennachfrage stärken. Der Staat investiert auch noch zusätzlich. Wir haben eine Mobilitätsmilliarde in diesem Haushalt auf den Weg gebracht, weil es richtig ist, Straßen, Brücken und weitere Infrastruktur auszubauen. Wir tun das ganz offensiv. Mit den Grünen gelingt es ja nicht einmal, 3,5 Kilometer Flüsterbeton in Berlin auf den Weg zu bringen. ({31}) Teilen der SPD ist das peinlich. Sie merken, die Grünen meinen es ernst mit der Deindustrialisierung. Alles, was Krach macht, riecht und dampft, wollen die Grünen plattmachen, es sei denn, es ist eine Biogasanlage; diese bleibt natürlich bestehen. ({32}) Herr Trittin will Finanzminister werden. Er hat sich geäußert, die Staatsquote sei eine bloße Recheneinheit. ({33}) Da kann man nur sagen, dass da zwei Welten aufeinandertreffen: Trittin und die Volkswirtschaft. Die passen überhaupt nicht zusammen. ({34}) Herr Trittin, Wirtschaft ist immer rechnen. Aber hier geht es um etwas anderes. Sie wollen eine höhere Staatsquote. Es ist ein Unterschied, ob wir eine Staatsquote von 60, 50, 40 oder 35 Prozent haben. Das kann man dort, wo Sie regieren, sehen. In Stuttgart gibt es ein weiteres Ministerium mit 180 neuen Stellen, in Mainz zwei weitere Ministerien. Der grüne Ministerpräsident Kretschmann fliegt als einziger mit dem Hubschrauber zur Ministerpräsidentenkonferenz nach Lübeck, die Dienstkarosse fährt 800 Kilometer hinterher. So sieht es konkret aus. Sie haben als Opposition die Froschperspektive und als Regierung die Vogelperspektive. Vogel und Frosch, das passt aber nicht zusammen. ({35}) Sie nennen Bill Clinton als Vorbild für die Haushaltssanierung. Das ist sehr interessant; denn Clinton hat den Haushalt mit Wachstum saniert. Sie aber sind gegen Wachstum. Ich kann mich erinnern, als die Grünen in die Parlamente einzogen, hatten manche die Aufkleber „computerfreie Zone“. Ich sage Ihnen: Wer Fortschrittsfeindlichkeit sät, wird Piraten ernten. Das trifft Sie voll ins Mark. Fortschrittsfeindlichkeit führt nicht zu weiteren Wachstumschancen, aber diese brauchen wir, um in Deutschland voranzukommen. Wir sind stolz auf unsere erfolgreiche Wirtschaft, auf den Mittelstand und die Industrie, im Maschinenbau und in der chemischen Industrie, im Fahrzeugbau und in anderen Bereichen. Wir mobilisieren die Potenziale im Land mit Investitionen in Bildung und Forschung. Hier werden die Ausgaben auf fast 13 Milliarden Euro angehoben. Wir ermöglichen Fachkräftezuzug, indem die Schwellen abgesenkt werden - dies war nicht so einfach, aber wir haben es gemeinsam endlich geschafft -, damit wir zukünftige Talente gewinnen können. Wir packen die Pflegereform an. Wir helfen Pflegebedürftigen und vor allen Dingen den Angehörigen. Diejenigen, die betreuen und pflegen - ich kenne im privaten Bereich solche Fälle -, sind für mich wahre Heldinnen und Helden des Alltags. ({36}) Ihnen zu helfen, ist notwendig und richtig. Eine Größenordnung von 1 Milliarde Euro ist wahrlich keine Lappalie. Unser Generalsekretär Christian Lindner hat angesprochen, dass dem Renten-Riester, weil wir die ergänzende Kapitaldeckung einführen, ein Bruder hinzugefügt wird, nämlich der Pflege-Bahr. Das ist der richtige Einstieg; denn wir wollen Generationengerechtigkeit betreiben. Deutschland ist unverändert die Lokomotive der europäischen Entwicklung. Die anderen orientieren sich an uns und schauen, wie wir es machen, damit sie erfolgreicher werden. Das muss so bleiben. Dieser Haushalt ist ein Dreiklang aus Investieren, Stabilisieren und Entlasten, unter Beachtung der Schuldenbremse. Wir verstetigen das Wachstum. Deshalb ist es auch richtig, jetzt nicht zu stark auf die Bremse zu treten, sondern die Fahrt zu halten. Das ist eine intelligente, wachstumsfreundliche Konsolidierungspolitik. Das, was die Regierung hier macht, ist maßgeschneidert und genau richtig. Die Rot-Grünen mäkeln und nörgeln; das ist kein Beitrag. Wir arbeiten. Dabei bleibt es. Das ist der Unterschied. Wir sind erfolgreich. ({37}) Sie werden weiter meckern. Nur, das hilft uns nicht weiter. Vielen Dank. ({38})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Renate Künast. Bitte schön, Kollegin Renate Künast. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser Rede könnte man fragen: Was denn nun, Frau Merkel? ({0}) Sie haben alles so schön beschrieben, alles so schön erklärt. ({1}) - Ja. Ich habe gesehen, dass Sie fröhlich applaudiert haben; es war wahrscheinlich große Erleichterung da. Frau Merkel hat wieder einmal schön erklärt, wie die Details sind. Aber was ich nicht gehört habe, ist die Antwort auf die Frage, wo die Reise mit Deutschland hingehen soll, wo die Reise in der Europäischen Union hingehen soll. Von welcher Zukunft sind Sie eigentlich gezogen, Frau Merkel? An dieser Stelle war Ihre Rede eine echte Fehlanzeige. ({2}) Wir haben jetzt zwei Jahre lang gewartet, dass diese Koalition endlich beginnt, vernünftige Politik zu machen. Aber ich denke, das kommt nicht mehr. Was jetzt nur noch geschieht, ist das Auslaufen der Regierungszeit. Wir brauchen aber eine Politik, die sich wirklich den zentralen Fragen der Gesellschaft und der heutigen Zeit widmet, die auf den demografischen Wandel einRenate Künast geht und darauf Antworten gibt. Was Sie machen, ist ein bisschen Pflegereform, sodass man sich aussuchen darf, ob man isst, gewaschen wird oder menschliche Zuwendung bekommt. Das ist doch keine Alternative. Man muss zum Beispiel den Mut haben, eine echte Pflegereform zu machen, und das kann nur heißen, eine Bürgerversicherung zu schaffen. Aber zu solchen grundsätzlichen Dingen haben Sie überhaupt keinen Mut. ({3}) Ein anderer Punkt: die Situation der Jugendlichen. Meine Damen und Herren, die befinden sich immer noch in Warteschleifen. Die befinden sich in Kommunen, die ihrer Bildungsaufgabe nicht nachkommen können. Die befinden sich in Kommunen, in denen schon lange keine Jugendarbeit mehr stattfindet und deshalb Rechtsextreme immer mehr Platz und Raum haben und auf die Schulhöfe gehen. Da reicht es aber nicht, Frau Merkel, hier nur noch einmal das Bekenntnis der Demokraten, das Bekenntnis des gestrigen Vormittags, anzusprechen. Ich will hier und heute hören, wie Sie die Kommunen mit mehr Geld ausstatten und für mehr Bildung und mehr Jugendarbeit quer durchs Land sorgen wollen. Dazu haben Sie gar nichts gesagt, kein Wort. ({4}) Wie geht sozialer Zusammenhalt? Wie geht eine Wirtschaftspolitik angesichts des Klimawandels? Wie wollen Sie der Schuldenkriese beikommen und mehr Gerechtigkeit schaffen? Wie soll es eigentlich mit dem Euro weitergehen? Grundlegend ist doch eines klar: Wir brauchen eine andere Art des Wirtschaftens in Deutschland; sie muss sich grundlegend ändern. Wir müssen weg von dem Motto „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ und der Vorstellung, dass wir das, was herauskommt, nutzen können, wie es dieses Jahr der Fall ist. Selbst konservative Ökonomen und die Europäische Kommission sagen: Wir müssen anders wirtschaften. Wir müssen uns nach Finanzkrise und gigantischen Schuldenbergen jetzt anstrengen, dass wir endlich zu gesellschaftlicher Wohlfahrt, zu mehr Gemeinwohl kommen. - Aber was machen Sie? Sie reden nur über Wachstum, ({5}) haben hier und heute aber nicht einmal angesprochen, dass wir lernen müssen, das Wachstum vom Naturverbrauch, vom Rohstoffverbrauch abzukoppeln, um nur ein Beispiel zu nennen. Wir brauchen ein anderes Wachstum, aber das andere haben Sie in Ihrer Rede an keiner einzigen Stelle angesprochen. ({6}) Dieses andere Wirtschaften funktioniert übrigens nur europäisch, nur in diesem Zusammenhalt, nur wenn die Europäische Union stärker dabei wird, die Grundlagen zu verändern, Ressourcen zu schonen, das Klima zu schützen und den ökologischen und sozialen Umbau wirklich systematisch zu betreiben. Wir brauchen eine große soziale und ökologische Transformation in Deutschland und in Europa mit dem Euro, einer gemeinsamen Währung, als Kern. Sie, Frau Merkel, haben ja gerade heute - an anderer Stelle noch schärfer - gesagt: „Wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa“. Uns allen ist wohl klar, dass ein Scheitern Europas nicht hinnehmbar ist und dass wir uns das schon gar nicht leisten können. Was bitte schön ist dann aber Ihr Kompass? Sie reden immer von einem Kompass. Was sind eigentlich die Maßnahmen, die Sie ergreifen wollen? Auf dem Parteitag in Leipzig - das wurde ja schon veralbert - haben Sie in jedem dritten Satz gesagt: „ein Kompass“. Bei diesem Kompass hier habe ich das Gefühl, Merkel macht es wie folgt: Sie geht erst einmal ohne Kompass los. Wenn sie vor einer Wand steht und sie fest im Auge hat, dann schaut sie auf den Kompass, und dann geht es den ganzen langen Weg zurück. Dann, Frau Merkel, ist aber immer schon extrem viel Zeit verloren. So war Ihre Rede heute auch. ({7}) Immer viel Zeit verloren: Denken Sie einmal an die Finanztransaktionsteuer. Da haben Sie alle miteinander auf die unglückselige Frau Homburger gewartet, die gesagt hat: So etwas gibt es gar nicht. Sie haben sich auch an keiner Stelle scharf dafür eingesetzt, dass Finanztransaktionen wie jede andere wirtschaftliche Tätigkeit eben auch besteuert werden. Jetzt soll sie doch kommen, und Sie kämpfen dafür. Ein Satz lautete einmal: Keinen Cent für Griechenland geben wir. - Dann wurden es Milliarden. Ein anderer Satz war einmal: Ein Rettungsschirm wird nicht gebraucht. Dann kamen Irland und Portugal. Eine EU-Wirtschaftsregierung war immer böse, weil man hier nichts abgeben will. Jetzt soll sie doch kommen. Heute sagen Sie faktisch: Niemals Euro-Bonds! - Ich bin mir sicher, sie werden kommen - oder wir haben es wirklich versemmelt. ({8}) Alle Ihre Verzögerungen, Frau Merkel, haben die Krise verschlimmert und uns real Geld gekostet. Zur Hebelung: Wir haben uns in einer der letzten Plenarsitzungen ja intensivst mit dem Thema „Hebelung des EFSF“ auseinandergesetzt. Viele von uns erinnern sich noch daran, wie man versuchte, zu verstehen oder anderen draußen zu erklären, was das eigentlich ist. Jetzt stellen wir was fest? Die Hebelung funktioniert nicht. Sie ist bei Chinesen, Russen und anderen eiskalt abgeblitzt, weil ihnen die niedrigen Absicherungen gar nicht reichen und weil sie nicht wissen, ob sie der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union und der Euro-Zone überhaupt vertrauen können. Frau Merkel, es kann doch nicht sein, dass Sie sich heute hier hinstellen und zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission zu verschiedenen Varianten der Euro-Bonds, der heute kommt, nur sagen, dass sie fürch16930 ten, dass es irgendwie kommunikativ eine Fehlentwicklung gibt. So geht es nicht, Frau Merkel. ({9}) Wir müssen an dieser Stelle doch eines sagen: Die Vorschläge der Europäischen Kommission sind rational zu analysieren. Einer dieser drei Vorschläge wurde sogar vom Sachverständigenrat der Bundesregierung faktisch mitentwickelt. Wir müssen an dieser Stelle doch analysieren, was das Beste für uns wäre. Frau Merkel, ich rate Ihnen: Entwickeln Sie doch dort, wo Sie Sorgen haben, Zwischenschritte. Wenn es noch etwas dauern wird, bis die Euro-Bonds kommen, dann ist es Ihre Aufgabe, sich hier hinzustellen und zu sagen: Mittelfristig kommen sie, aber wir fordern hier Regeln für die Wirtschaftsregierung und Sanktionsmechanismen. Sie müssen dann auch sagen, was Sie aktuell tun wollen, um sich mit der Bankenlizenz für die EFSF auseinanderzusetzen. An dieser Stelle haben Sie aber nur bedenkenschwer agiert. Schon wieder haben wir die Sorge, dass mit Ihrer Verhaltensweise Zeit verplempert und es teurer wird für Deutschland. ({10}) Zur EZB: Hier belaufen sich die Lasten, die wir durch die Ankäufe von Staatsanleihen eventuell zu tragen haben werden, mittlerweile auf 54 Milliarden Euro. Insofern kann und darf man nicht einfach nur hinsehen. ({11}) Was mich eigentlich mindestens genauso geärgert hat, ist diese Mischung, dass Sie am Vormittag beim EuroKrisengipfel eine Variante verkünden - wir haben sie unterstützt -, die mit vielen Risiken für den Bundeshaushalt verbunden ist, aber andererseits die Menschen, die sich um die Bildung ihrer Kinder sorgen, quer durchs Land, vornean in den Kommunen, mit der Frage zurücklassen: Wo soll das alles enden? Ihre Antwort, Frau Merkel, die Antwort von Schwarz-Gelb auf die Frage, wo das enden soll und ob dieser Weg halbwegs sicher ist, ist die Ankündigung einer Steuersenkung. Absurder geht es nicht, Frau Merkel, und inakzeptabler geht es auch nicht! ({12}) Ich denke, Sie merken doch gar nicht, was die Menschen in Deutschland empfinden. Sie haben Angst um die Stabilität ihrer Währung. Sie haben Angst, dass es bald kein funktionierendes Gemeinwesen in Deutschland mehr gibt. Gemeinwesen fängt in den Kommunen an: bei der Kinderbetreuung, den Kindergärten, den Schulen, der ganztägigen Betreuung, wo Kinder auch der bildungsfernen Schichten oder Kinder von Migranten Chancengerechtigkeit erleben, die Möglichkeit haben, sich in diesem Land zu entwickeln. Sie aber verkünden an dem Tag der größtmöglichen potenziellen Verschuldung eine Steuersenkung. Die Wirtschaft in Deutschland wartet auf die Basisinfrastruktur. Herr Brüderle glaubt immer noch, wenn man nur neue Maßstäbe in der Asphaltierung Deutschlands setzen würde, sei die nötige Infrastruktur für Deutschland geschaffen. Das ist natürlich albern, Herr Brüderle. Das wissen Sie selbst. ({13}) Nein, es geht um etwas ganz anderes. Zur Verbesserung der Infrastruktur in diesem Land wäre eine grundsätzliche und flächendeckende Breitbandversorgung nötig. ({14}) Die Infrastruktur in unserem Land wäre angesichts der großen Containertransporte einmal unter dem Aspekt zu sehen: Wie finanzieren wir den Bau der Schiene, um Güter ökologisch zu transportieren? Auch die Wirtschaft erklärt - aber vielleicht haben Sie diesen Kontakt vor lauter Sorgen um Ihre 2 Prozent auch schon aufgegeben, Herr Brüderle -: Zur Basisinfrastruktur gehören der Erhalt und die Sanierung vorhandener Straßen und Brücken, anstatt neu zu asphaltieren. Darin müssen wir Geld investieren, nicht in richtungslose Steuersenkungen. ({15}) Was gehört noch zu einem funktionierenden Gemeinwesen? Dazu gehört auch ein ordentlicher Lohn; das ist hier schon angesprochen worden. Zur Grundvoraussetzung in unserem Land gehört - das könnte Ihnen ein Kompass zeigen, aber Sie machen eine Politik ohne Kompass -, dass Leute, die den ganzen Tag über arbeiten, von ihrer Hände Lohn leben können, ohne aufs Amt gehen zu müssen. Aber Sie handeln nach dem Motto: Tun wir etwas für unser soziales Image. Dann gibt vielleicht auch endlich der Arbeitnehmerflügel Ruhe. Und wir haben ein Wahlkampfthema weniger. - In Wahrheit geht es Ihnen doch gar nicht um den Mindestlohn. Das, was Sie abgeliefert haben, ist kein Mindestlohn und ist nicht einmal eine verlässliche Lohnuntergrenze. Von diesem Lohn kann kein Mensch leben. ({16}) Schauen wir uns das einmal genau an. Sie vereinbaren eine Lohnuntergrenze und lassen immer noch zu, dass unterschreitende Tarife gezahlt werden. Wie soll man denn von 4 oder 5 Euro leben? Sie haben eine Zeit lang so getan, als würde sich der Mindestlohn an dem Lohn für Zeitarbeit orientieren, aber nicht einmal das. Sie sind, vornean Frau von der Leyen, als Tigerin gestartet und als Bettvorlegerin gelandet - mehr nicht. ({17}) Sie sagen, Sie wollten etwas für Facharbeiter tun. Aber überlegen Sie einmal - Sie haben das Thema MiRenate Künast grantinnen und Migranten kurz angetippt -: Wie wollen Sie eigentlich mit solchen Löhne Migrantinnen und Migranten mit guten Bildungsabschlüssen hier halten? Diese sind doch die Ersten, die gehen. Sie öffnen die Gesellschaft nicht für sie, damit sie sich hier weiterentwickeln können, und Sie sorgen auch nicht für eine entsprechende Lohnentwicklung. Derzeit haben wir die Situation, dass aus den Kindern der Einwanderer Auswandererkinder werden, weil sie in Brüssel oder in Istanbul willkommen sind und bessere Löhne bekommen. Zu diesem Thema haben Sie gar nichts gesagt, Frau Merkel. Sie müssten als Allererstes sagen - das wäre auch kostengünstig zu haben -: Wir schaffen die doppelte Staatsbürgerschaft und quälen die jungen Leute nicht mit einem Optionsmodell, bei dem sie sich entscheiden müssen, welche der beiden Staatsbürgerschaften sie wollen. ({18}) Dann würden Sie aufgrund des großen Fachkräftemangels, den wir erleben, auch nicht das machen, was Sie gerade so nett angekündigt haben, Frau Merkel, nämlich mehr Fachkräfte ins Land zu holen, indem man die Gehaltsschwelle von 66 000 auf 48 000 Euro reduziert. Der weltweite Run auf Fachkräfte ist so groß, dass Ihr Vorschlag von 48 000 Euro geradezu putzig ist. Für 48 000 Euro kriegt man keinen Vertrag mit einem ganz normalen Ingenieur. Der Inder geht irgendwohin, aber nicht nach Deutschland. ({19}) - Weil Sie danach fragen, Frau Merkel: Die Fachkräfte kommen hierhin mit Jobverträgen über 40 000 oder auch 43 000 Euro. Auf 48 000 Euro kommen sie gar nicht. Das schaffen sie allenfalls in anderen Ländern. Deshalb kommen diese Fachkräfte nicht. Das ist auch der Grund dafür, dass andere Migrantinnen und Migranten, Menschen mit guter Ausbildung, abwandern. Zu alledem haben wir noch das Thema Rechtsextremismus. Menschen, die anders aussehen, müssen sich in dieser Gesellschaft Sorgen machen, ob sie, wenn sie zum Beispiel an einer Universität oder in einem Unternehmen tätig sind, hier sicher mit ihrer Familie leben können. Das ist noch ein Grund zu sagen: Wir klären die rechtsextremen Taten nicht nur auf, sondern wir sorgen auch dafür, dass die Projekte gegen Rechtsextremismus in den Kommunen mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden, damit sie tatsächlich in der Breite arbeiten können und Sicherheit produzieren. ({20}) Sie, Frau Merkel, haben gesagt, es müsse mit einem neuen Kompass losgehen, und Sie wollen für das neue, menschliche Deutschland sorgen. Sie sind mit Ihren Konzepten völlig aus der Zeit gefallen. Nehmen wir allein das, was Sie mit dem ewigen Hin und Her und Ihrem Vorwärts und Rückwärts in der Atompolitik gemacht haben. Sie haben einmal gesagt: Wer irgendwo aussteigt, muss auch wissen, wo er einsteigt. - Sie wissen heute noch nicht, wo Sie einsteigen. Sie kommen beim Ausbau der erneuerbaren Energien nicht weiter. Das ist ein Dauerzankapfel. Sie wollen allenfalls die Förderung neuer Kohlekraftwerke, dann aus Geldern des Emissionshandels. Das ist der einzige Punkt, in dem bei Ihnen noch traute Einigkeit herrscht. Sie haben keinen Vorschlag gemacht, wie die Energiewende strukturiert und finanziert wird. Sie haben Durban angesprochen, Frau Merkel. Ja, die Klimakonferenz in Durban steht unter ganz besonderer Beobachtung. Ihr Chefberater, Herr Schellnhuber, hat von einem Endspiel für den Klimaschutz gesprochen. Was aber bieten Sie? Sie haben sich mit ihm als Klimaberater geschmückt. Aber daraus sind nicht mehr Forderungen hervorgegangen. Es ist nicht mehr dabei herausgekommen. Sonst hätten Sie jetzt dafür Sorge getragen, dass die Europäische Union, ohne Bedingungen zu stellen, in Durban zusagt, Europa wird seine CO2-Emissionen um 30 Prozent reduzieren. Aber nicht einmal mit dieser Morgengabe gehen Sie dorthin. ({21}) Die Minderungsziele sind nirgendwo wirklich angegangen worden. Wie wäre es mit dem Abbau ökologisch schädlicher Subventionen? Wie wäre es mit der Reduzierung und Änderung des Dienstwagenprivilegs? Stattdessen gibt es kostenlose CO2-Zertifikate für Energieversorger. So werden wir nicht weiterkommen, meine Damen und Herren. Sie haben keine Vorschläge zu einer wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Ich habe es gerade angesprochen. Beim Thema wirtschaftliche und ökologische Zukunft Deutschlands weiß man gar nicht, welche Zukunft Sie sehen. Es gilt immer nur: „Beton hilft viel“. Sie machen noch die Witze aus vorigen Jahrzehnten, machen aber keine Vorschläge. Mein letzter Punkt. Die Blockade in dieser Gesellschaft lösen Sie nicht auf. Frau Merkel, Sie haben Ihre Rede mit dem Satz beendet, diese Gesellschaft soll menschlicher werden. Aber Menschlichkeit fängt beim Begriff „Gerechtigkeit“ an, und da haben Sie versagt. Zu mehr Gerechtigkeit gehört, dass unsere Haushalte nicht weiter verschuldet werden, wie Sie es tun. Zu mehr Gerechtigkeit gehört, dass man das Geld nicht für zwei sich widersprechende Zwecke ausgibt. Zum einen geben Sie das Geld für den Bau von Kitas aus - aber nicht genug -, zum anderen geben Sie Geld für das Betreuungsgeld aus, damit die Eltern ihre Kinder nicht in die Kitas schicken. Das ist haushalterisch bekloppt, um es einmal direkt zu sagen. ({22}) Es ist nicht menschlicher und nicht gerechter, Frau Merkel, wenn Sie gerade die Kinder, die es am nötigsten hätten, davon fernhalten, eines Tages gute Fachkräfte zu werden, die Deutschland so braucht. Sie sind einfach doppelzüngig an der Stelle. ({23}) Sie reden vielleicht immer das Gleiche - darin liegt auch der Mangel, weil Sie sich nicht weiterentwickeln -, aber Sie reden auch immer das Falsche, bis hin zum Thema Frauen. Das kann ich Ihnen nicht ersparen.

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Sie denken an Ihre Redezeit?

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Das ist ein Armutszeugnis nach 60 Jahren Grundgesetz, Frau Merkel. Beim Thema „Frauen als Fachkräfte der Gegenwart“ zeigt sich nur eines, nämlich dass zwei Ministerinnen draußen eine Show abziehen. Aber nachher passiert zur Verbesserung der Erwerbsmöglichkeiten von Frauen faktisch nichts. Vom Betreuungsgeld bis Quote ein absoluter Ausfall. ({0}) Jetzt, meine Damen und Herren, wäre es Zeit dafür, Deutschlands Wirtschaft für das 21. Jahrhundert fit zu machen, Familien und Frauen richtig zu fördern, ihnen Entwicklungsmöglichkeiten zu geben, Kinder in den Mittelpunkt zu stellen, die Energiewende zu nutzen und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft zu organisieren. Aber ich stelle fest: Schwarz-Gelb hat zwei Jahre lang dem Land geschadet. Die Menschen warten auf eine neue Regierung. ({1}) Woran wir uns schon gar nicht orientieren werden, ist der Merkel’sche Kompass. Merkels Kompass führt nicht weiter. Damit sind Sie, egal ob auf hoher See oder im Wald, immer orientierungslos. Deutschland aber hat mehr verdient. ({2})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Volker Kauder. Bitte schön, Kollege Volker Kauder. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Künast, einer Ihrer letzten Sätze fordert mich geradezu heraus, weil er ein Beweis dafür ist, wie falsch Sie liegen und wie wenig Sie überhaupt von der Befindlichkeit der Menschen wissen. Sie haben gesagt: Deutschland wartet auf eine neue Regierung. - Sie haben auch geglaubt, Berlin warte auf eine neue Regierung und Sie seien dabei. Sie sind draußen. So wie dieser Satz nicht gestimmt hat, stimmt auch jener nicht. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir legen heute einen Bundeshaushalt vor, der entgegen dem, was Sie, Herr Gabriel, heute sehr lautstark gesagt haben, ({1}) etwas Außergewöhnliches bietet, nämlich die größte Absenkung der Nettoneuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. ({2}) Sie haben immer neue Schulden gemacht. Wir senken die Nettokreditaufnahme. Das ist der Unterschied. ({3}) Wir stehen in Europa vor einer großen Herausforderung. Ja, ich würde sogar sagen: Wir erleben in Europa eine Zeitenwende. Das, was in dieser Zeitenwende notwendig ist, um Orientierung zu behalten und das Richtige zu tun, hat die Bundeskanzlerin in wenigen klaren Strichen gezeichnet. Sie, Herr Gabriel, haben dagegen kleinkariert Parteipolitik gemacht. Sie haben auf die großen Fragen überhaupt keine Antwort gegeben. Deswegen ist es auch richtig, dass Sie, Herr Gabriel, mit Ihrer SPD auf der Oppositionsbank sitzen. ({4}) Wir zeigen mit diesem Bundeshaushalt, dass wir das, was wir in Europa teilweise fordern, damit es besser wird, nämlich die Neuverschuldung zurückzufahren und sich an die Schuldenbremse zu halten, im eigenen Land machen. Sie, Herr Gabriel, haben die Schuldenbremse heute besonders erwähnt. Ich kann mich noch entsinnen, wie schwer es war, die SPD in ihrer Breite davon zu überzeugen, dass die Schuldenbremse richtig ist. Ihre Generalsekretärin Nahles hat gesagt: Schuldenbremse heißt, dass man keine Politik mehr machen kann. So wird in Ihren Reihen gedacht. Die Schuldenbremse war das einzig Richtige, um die Haushalte in Europa auf einen richtigen Weg zu führen. ({5}) Mit dem, was wir jetzt machen, gibt Europa eine Antwort für die Zukunft. Bisher war Europa eine Antwort auf die Geschichte, nämlich: Nie wieder Krieg, Frieden in Europa. Jetzt wird Europa eine Antwort für die Zukunft. Diese Zukunft heißt: Perspektiven in einem harten Wettbewerb für unser Land und für die jungen Menschen. Frau Künast, ich kann mich über Sie nur wundern - ich wundere mich auch darüber, dass die SPD da Beifall geklatscht hat -: Sie haben hier in einem pauschalen Schnitt erklärt, Wachstum müsse anders aussehen. Ich will Ihnen einmal etwas sagen - ich habe mir das bei den Grünen genau angeschaut -: Sie haben gesagt, bestimmte Wirtschaftsbereiche müssten schrumpfen und geschrumpft werden. In diesem Zusammenhang haben Sie die Automobilindustrie genannt. 1 Million Menschen arbeiten in der Automobilindustrie. Wer die Automobilindustrie schrumpfen will, macht den Wirtschaftsstandort Deutschland kaputt. ({6}) Sie haben gesagt, die energieintensive Wirtschaft müsse schrumpfen. 1 Million Menschen arbeiten in diesem Bereich und auch in Teilen großer Zukunftsbereiche; ich denke nur an die Karbonherstellung. Wer also sagt, die energieintensive Wirtschaft in Deutschland müsse schrumpfen, der hat gerade keine Perspektive für Wachstum, für die Beschäftigung von jungen Menschen und für Innovationen in unserem Land. ({7}) Weiterhin haben Sie gesagt, die Landwirtschaft müsse schrumpfen. Mehr als 1 Million Menschen arbeiten in der Landwirtschaft. Wie kann man einen solchen Unsinn sagen, die Landwirtschaft müsse schrumpfen? Wir wollen doch Produkte ortsnah produzieren und verkaufen und nicht immer aus der ganzen Welt importieren müssen. Wer wie Sie die Landwirtschaft schrumpfen will, der muss Produkte aus der ganzen Welt einführen. Das, was Sie da erzählen, ist Unsinn. ({8}) Die SPD hat da auch noch Beifall geklatscht; das ist erstaunlich. Ich habe jetzt drei Bereiche genannt, in denen insgesamt 3 Millionen Menschen beschäftigt sind. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Konzepte, die Sie zusammen mit der SPD haben, haben in Ihrer Regierungszeit genau dazu geführt, dass zwar geschrumpft wurde, aber dass die Arbeitslosigkeit auf 5 Millionen gestiegen ist. Das ist Ihre Politik. ({9}) Wir haben dann dafür gesorgt, dass die Arbeitslosigkeit auf einen der niedrigsten Werte überhaupt gesunken ist. ({10}) Die beste Zahl, über die wir uns wirklich freuen - wir sind nicht stolz, sondern wir freuen uns darüber -, ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit halbiert wurde und in vielen Ländern unter 2 Prozent liegt. Herr Gabriel, Sie haben hier vollmundig gesagt, wie schwierig es sei, dass die Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern bei über 40 Prozent liege. Das sehen auch wir so. Aber das, was Sie diesen Ländern als Konzept verordnen, führt nicht zu einem besseren Ergebnis. Schauen Sie sich einmal das an, was wir gemacht haben. Das reduziert die Jugendarbeitslosigkeit. Diesen Weg werden wir energisch weiterbeschreiten und weitergehen. ({11}) Neben der Haushaltskonsolidierung - Wolfgang Schäuble hat gestern ausdrücklich darauf hingewiesen machen wir natürlich auch entscheidende Schritte, um unser Land in der Infrastruktur fitzumachen. Natürlich sind die modernen Straßen unserer Zeit die Entwicklungsachsen, die wir brauchen, um Daten zu übertragen. Wir brauchen das schnelle Internet, damit die ländlichen Räume nicht abgehängt werden. Aber solange die Produkte, die wir herstellen, nicht aus dem Drucker kommen, müssen wir sie transportieren. Deswegen brauchen wir auch Investitionen in den Schienen-, Straßen- und Wasserwegebau. ({12}) Dazu höre ich Unglaubliches aus dem Land, in dem die Grünen den Ministerpräsidenten und den Verkehrsminister stellen, nämlich aus Baden-Württemberg. Das Bundesverkehrsministerium sagt mir, dass die badenwürttembergische Landesregierung beschlossen hat, keine einzige Investitionsmaßnahme vorzusehen. Dazu kann ich nur sagen: Eine gewisse Zeit kann man das durchhalten. Aber Sie führen das Land Baden-Württemberg damit absolut in den Schatten. ({13}) Ich kann nur hoffen, dass die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg am kommenden Sonntag erkennen, was notwendig ist: Investitionen und Innovationen. Beim Bürgerentscheid am kommenden Sonntag muss derjenige - so irrsinnig sich das anhört -, der Ja sagen will, mit Nein stimmen. So führen Sie die Leute an der Nase herum. So geht es unter dem ersten grünen Ministerpräsidenten in diesem Land zu! ({14}) Es ist klar, dass wir es in Europa mit einer Staatsschuldenkrise zu tun haben - Gott sei Dank handelt es sich nicht um eine Euro-Krise ({15}) und dass wir diese Staatsschuldenkrise nur bewältigen können, wenn nicht ständig neue Schulden gemacht werden. ({16}) Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Ich bin vollkommen anderer Meinung als Sie, Herr Gabriel, der Sie von Anfang an dafür waren, einen Schuldenschnitt herbeizuführen. Es gibt sicherlich viele Experten, die Ihre Meinung teilen. Aber wir sind uns sicher in dem Punkt einig, dass wir mehr Gemeinsamkeit in Europa, in der Euro-Zone brauchen, um den Euro zu stabilisieren. Glauben Sie, Herr Gabriel, dass wir auch nur einen einzigen entscheidenden Schritt vorangekommen wären, wenn wir von Anfang an nach dem Motto verfahren wären: „Es gibt Hilfen und Unterstützung, aber Veränderung muss nicht sein“? Die Kanzlerin hat sich zur Solidarität bekannt, aber auch die notwendigen Modernisierungen und Reformen durchgesetzt. Nur so kommt Europa voran. Sie hätten genau das Gegenteil von dem provoziert, was notwendig und was richtig ist. ({17}) Frau Bundeskanzlerin, der Weg, den Sie eingeschlagen haben, ist richtig. Wir brauchen in Europa Veränderungen. Wir brauchen insbesondere Vertragsänderungen, um Haushaltsdisziplin durchzusetzen, und gemeinsame Regeln, um Europa voranzubringen. Ich begrüße das Ziel außerordentlich, gemeinsam mit Frankreich einen ersten wichtigen Schritt bei der Unternehmensbesteuerung zu tun. Das zeigt, in welche Richtung es gehen muss. Wir alle müssen bereit sein, Veränderungen hinzunehmen und Opfer zu bringen. Ich sage Ihnen: Eine solche Bereitschaft wird es aber nicht geben, wenn das gemacht wird, was Herr Gabriel will und was sein Finanzund Haushaltsexperte für falsch hält. Wir dürfen nicht einfach Euro-Bonds einführen. Eine Vergemeinschaftung von Schulden hat noch nie eine Verbesserung im System gebracht. Deswegen sind wir radikal dagegen. ({18}) Wir müssen jetzt die Veränderungen angehen. Ich bin sicher, dass wir aus der konkreten Situation und aus der Erkenntnis heraus, dass sich hier einiges tun muss, unser Ziel erreichen können. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darauf hingewiesen, dass der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit - das war ein schönes Signal - die Bundesregierung bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene unterstützt hat, sodass wichtige Ziele erreicht werden konnten. Ich nenne beispielsweise die Beteiligung des privaten Sektors mit den Risiken, die Sie beschrieben haben. Notwendig ist die Botschaft, dass nicht alles allein am Steuerzahler hängen bleibt, sondern dass auch der private Sektor beteiligt werden muss. Deswegen begrüße ich alle Initiativen und den mit dem Ziel, dass wir zu einer Finanztransaktionsteuer kommen, weiter aufgebauten Druck. Ich bin mir sicher - auch wenn einige jetzt noch dagegenhalten -: Die Erkenntnis wird sich durchsetzen, dass wir nur so Zustimmung für die notwendigen Maßnahmen und Erneuerungen erreichen können. Dieser Weg in Europa ist der einzige, der uns dorthin bringt, dass wir wettbewerbsfähig werden, dass wir Zukunftschancen haben und dass dieses Europa die richtige Antwort auf die Herausforderungen in der Zukunft ist. Wir wollen dieses Europa, wir wollen ein starkes Europa. Aber wir wollen ein Europa, in dem jedem klar ist, dass jeder seine Verantwortung für die Stabilität der Währung zu tragen hat. Dieser Weg wird schwer; aber ich bin sicher: Er wird erfolgreich gegangen werden können. Bei allem Blick auf Europa und auf unsere Aufgaben ist es auch notwendig, dass wir nicht vergessen, was sich um uns herum in der Welt tut; denn wir werden von vielen Entwicklungen in der Welt beeinflusst. So sehen wir mit großer Sorge - ich bin dankbar, dass es heute angesprochen worden ist -, was sich beispielsweise in Nordafrika entwickelt. Ja, es ist richtig, dass Tunesien auf einem guten Weg ist. Aber was wir aus Ägypten hören, muss uns große Sorgen machen. Es waren gerade jetzt wieder Vertreter der in Deutschland lebenden Kopten in Ägypten. Sie kamen vor zwei Tagen zurück und haben mir berichtet. Da kann man nur sagen: Es ist eine dramatische Situation. Es gibt noch einmal den Kampf gegen das Militär und gegen eine Regierung, die die Interessen des Volkes offenbar nicht ernst nimmt. Diesen Kampf unterstützen wir. Aber wir erwarten bei einem Wandel von einer Diktatur zu einer modernen Gesellschaft natürlich auch, dass in diesem Land alle ihre Religion frei leben können. Deswegen rufen wir den Ägyptern zu: Seht in erster Linie darauf, dass ihr Ägypter seid, und nicht darauf, dass ihr einer Religionsgemeinschaft angehört! Nur so werdet ihr zu einem modernen Land werden. Wenn wir euch helfen und unterstützen - was wir machen wollen -, erwarten wir, dass die Menschenrechte eingehalten werden, und dazu gehört die Religionsfreiheit ganz existenziell. ({19}) Deutschland ist auf einem guten Weg. Wir werden all unsere Kraft nicht nur für unser Land einsetzen, sondern auch für eine gute Entwicklung in Europa. Ich spüre bei vielen Gesprächen - wir hatten in der letzten Woche Kolleginnen und Kollegen aus allen europäischen Ländern zu einer Tagung bei uns - den Wunsch und die Bereitschaft, diesen Weg, auch wenn er nicht einfach wird, gemeinsam zu gehen. Wir alle wissen: Dieses Europa war eine großartige Antwort auf die Geschichte, und dieses Europa ist eine notwendige und großartige Antwort, wenn es um unser aller Zukunftschancen geht. Deswegen ist es im deutschen Interesse, für einen starken Euro und für ein starkes Europa zu streiten. Da haben Sie uns, Frau Bundeskanzlerin, an Ihrer Seite. ({20})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Joachim Poß. Bitte schön, Kollege Joachim Poß. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Bundeskanzlerin, Ihre heutige Rede war ein Beleg dafür, wie Sie in staatstragendem Ton den Problemen, die sich in unserem Lande stellen, ausweichen oder sie nur bedingt wahrnehmen wollen. Zum Rechtsextremismus haben Sie Richtiges gesagt. Aber Ihre Feststellung, dass es nicht richtig sei, wenn im Plenum gesagt werde, dass beim Rechtsextremismus zu viele auf einem Auge blind waren, kann so nicht stehen bleiben, Frau Bundeskanzlerin. ({0}) Denn das war so; das ist die zutreffende Beschreibung der Situation. Wenn wir alle in diesem Hause gemeinsam - was ja nicht selbstverständlich ist - in dieser Frage einen Neuanfang wollen, dann müssen wir auf eine falsche Geschichtsanalyse, wie sie von Ihnen gekommen ist, verzichten. ({1}) Das Wesen Ihres Vorgehens, Frau Merkel, ist, dass Taktik und nicht politischer Gestaltungswille Ihr Reden und Handeln bestimmt. Sie haben gesagt, Sie sprächen immer gleich, egal wo Sie sind. Aber jeder, auch in den Reihen von CDU/CSU und FDP, weiß es besser. Das hat doch das Elend in Ihrer Koalition verstärkt: dass Sie nicht überall gleich reden. Sie sind, Frau Merkel, Ihrer Führungsverantwortung für Deutschland in den letzten anderthalb Jahren insgesamt nicht gerecht geworden. ({2}) Mit einem anderen Verhalten hätten Sie die finanziellen Risiken für unser Land begrenzen können. Sie haben darauf verzichtet, weil Sie nur einen Maßstab für Ihr Reden und Handeln haben: die parteitaktische Situation von CDU, CSU und FDP. Das reicht nicht für die Führungsverantwortung, die man in dieser Position hat. ({3}) Die Belobigungen von Herrn Brüderle oder Herrn Kauder in allen Ehren, aber sie reichen nicht aus, um von dieser Realität abzulenken, die ich hier zusammenfassend geschildert habe. In Ihrer Haushaltspolitik wird nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“ agiert: Lasten werden durch ihre geplanten Steuersenkungen und das Betreuungsgeld in die Zukunft verschoben. Diese Lasten werden Ihren politischen Erben hinterlassen; die müssen sich dann damit auseinandersetzen - abgesehen davon, dass auch unsere Kinder und Enkel mit den Folgen zu kämpfen haben werden. ({4}) Eine solche Politik, die wegen Orientierungslosigkeit die Realitäten verweigert und zur Ablenkung die Opposition diffamiert, kann nicht zukunftsweisend sein. ({5}) Von Ihrem 80-Milliarden-Euro-Supersparpaket sind - Sigmar Gabriel hat darauf hingewiesen - vor allem Streichungen von 40 Milliarden Euro bei Arbeitslosen und sozial Schwachen übrig geblieben. Frau Merkel, ich erinnere mich noch daran, wie Sie im Fernsehen das Sparpaket verteidigt haben. Sie haben gesagt: Wir sorgen für den sozialen Ausgleich, indem wir zum Beispiel Unternehmen belasten. Was ist davon übrig geblieben? Nichts. Stattdessen wächst das soziale Ungleichgewicht in unserer Gesellschaft immer weiter. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. ({6}) Angesichts dessen sage ich zu den Vorwürfen zu unserem sozialdemokratischen Finanzkonzept, die auch heute wieder vorgebracht worden sind: Unser Finanzkonzept ist das einzige Konzept, das den Schuldenabbau mit der Finanzierung von Zukunftsinvestitionen und einer Entlastung der Kommunen, die dringend notwendig ist, verbindet. Niemand sonst hat ein solches Konzept auf den Weg gebracht. Um es einmal ganz klar zu sagen: Wir haben im Hinblick auf den Haushalt 2012 die richtigen Anträge gestellt. Das ist schließlich belegt. Sie können mit diesem Konzept jedenfalls nicht konkurrieren. Wenn wir zur Finanzierung dieses gerechten und soliden Konzepts eine stärkere Belastung von Spitzenverdienern und Vermögenden verlangen, dann ist das nur recht und billig, um den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu wahren. ({7}) Aber darum geht es Ihnen nicht, Frau Merkel. Das war auch beim Thema Mindestlohn zu spüren. Das hatte nichts mit Überzeugung zu tun. Nachdem die Wirtschaftsverbände, die Sie für Ihre angestrebte Wiederwahl brauchen, anfingen, Druck auszuüben, haben Sie einen Schwenk hin zu dieser schlechten Lösung auf ihrem Parteitag vollzogen. Das steckt doch dahinter. Daher kann man sagen - das schlägt sich überall in den Ergebnissen Ihrer Politik nieder -: Sie haben einen ausgeprägten Machtwillen; aber es fehlt Ihnen der Gestaltungswille, jedenfalls der Wille, in unserer Gesellschaft die Dinge zum Besseren zu gestalten. ({8}) Das kann man noch differenzieren und ausbuchstabieren: Was tun Sie denn gegen Kinderarmut oder die heraufziehende Altersarmut? Was soll denn die Pflegelösung, die Sie jetzt vorschlagen? Die Sachverständigen und Betroffenen lehnen Ihre Beschlüsse zur Pflege nahezu unisono als Stückwerk ab. Hier ist viel mehr nötig als das, als Sie vorlegen. Eine Reform ist das jedenfalls nicht. Was tun Sie, um strukturschwachen Kommunen zu helfen? Ihre Gemeindefinanzkommission ist letztlich gescheitert, weil Ihnen nicht viel mehr einfallen wollte als die Aushöhlung der Gewerbesteuer. Ihr Ziel war auch hier nur, die Lasten von den Unternehmen auf die Bürgerinnen und Bürger abzuwälzen. Das ist mit uns nicht zu machen. Das haben wir nicht mitgemacht, das haben andere nicht mitgemacht, und das haben auch die kommunalen Spitzenverbände nicht mitgemacht. Sie dürfen in diesem Lande keine Politik gegen die Kommunen betreiben, so wie Sie es versucht haben. ({9}) Die Übernahme der Grundsicherung im Alter durch den Bund war kein Ergebnis der Gemeindefinanzkommission, sondern Teil des Kompromisses zu Hartz IV. Auf Druck der Sozialdemokraten und der kommunalen Spitzenverbände mussten Sie das zugestehen. So lautet die historische Wahrheit, und nicht so, wie Sie sie zum Teil darstellen. ({10}) Die Reihe Ihrer großen Ankündigungen und Projekte, die zu nichts geführt haben, lässt sich ohne Probleme fortführen. Frau Merkel, wie viele Bildungsgipfel sind eigentlich in den zwei Jahren Schwarz-Gelb an Ihnen gescheitert? Die SPD-Bundestagsfraktion beantragt in die16936 ser Woche für 2012 weitere 300 Millionen Euro für den Ausbau von Krippenplätzen und 400 Millionen Euro für den Ausbau von Ganztagsschulen. ({11}) Das ist gut für die Zukunft unserer Kinder. Es wäre eine gute und zukunftsgerichtete Politik, wenn Sie diesen Anträgen zustimmen würden. Aber Sie blockieren sich selbst durch das fragwürdige und teure Betreuungsgeld; das ist hier schon mehrfach dargestellt worden. Die Milliarden, die Sie in das Betreuungsgeld stecken wollen, fehlen beim Ausbau der Betreuungsinfrastruktur. ({12}) Man kann einen Euro eben nicht zweimal ausgeben. Außerdem: Erst das Elterngeld, das wir in der Großen Koalition gemeinsam vereinbart haben, um die Eltern im Beruf zu halten, dann das Betreuungsgeld, um die Frauen vom Beruf fernzuhalten. Wie gaga ist das eigentlich, was Sie da vorschlagen? ({13}) Wo, Frau Merkel, ist Ihre Initiative zur Behebung der großen Infrastrukturdefizite? Eines der erfolgreichsten Programme, „Soziale Stadt“, wird von Ihnen weiterhin sträflich vernachlässigt. Wenn Sie es mit Ihrem Gerede von einer Politik für mehr Wachstum und einer besseren Infrastruktur wirklich ernst meinen, dann setzen Sie hier an und stocken Sie die Programmmittel entsprechend auf. Wir dürfen unsere Städte sozial und kulturell nicht verkommen lassen. ({14})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Hermann Otto Solms. Bitte schön, Kollege Solms. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich bei der Frau Bundeskanzlerin für ihre brillante Rede heute bedanken. ({0}) Das war eine wirklich glasklare Positionsbeziehung, die für die interne Auseinandersetzung genauso wie für die europäische Auseinandersetzung wichtig ist, in der sich die Bundesregierung und wir alle gegenwärtig befinden. In der Generalaussprache kommt es darauf an, zu kennzeichnen: Was sind eigentlich die zentralen Ergebnisse der Politik unserer Koalition? Das herausragende Ergebnis ist die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. ({1}) Sie ist sozialpolitisch und überhaupt der Kern der politischen Bemühungen. Die positive Entwicklung ist das Kennzeichen einer sehr erfolgreichen Wirtschaftspolitik. Sie führt auch zu einer erfolgreichen Finanzpolitik. Es ist schon herausragend, dass wir heute eine so niedrige Arbeitslosigkeit haben, dass wir die Arbeitslosigkeit nahezu halbiert haben - nur noch 2,7 Millionen Arbeitslose -, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf über 28 Millionen und die Zahl der Erwerbstätigen auf 41,4 Millionen gestiegen ist. Das ist sozialpolitisch deshalb entscheidend, weil wir damit Menschen in die Lage versetzen, ihren Lebensunterhalt mit ihrer eigenen Arbeit zu verdienen und ihre Familie zu ernähren, und sie nicht auf staatliche Transfers und Hilfen von außen angewiesen sind. Das ist die sozialste Politik, die man überhaupt machen kann. ({2}) Ich weiß nicht, ob den Kollegen von der Opposition dabei etwas auffällt: Die Regierungen, die in den letzten 20 Jahren die sozialsten Ergebnisse überhaupt erzielt haben, waren unter Beteiligung der FDP, der immer unsoziales Verhalten vorgeworfen wird. ({3}) Wir wissen, worauf es ankommt, nämlich auf eine intelligente Mischung aus staatlicher Regulierung, Freiheit an den Märkten und Wettbewerb zur Leistungsanspornung. Deswegen wurde dieses fantastische Ergebnis erzielt. Darauf sind wir Liberale ganz besonders stolz. ({4}) Denn es zeigt sich, dass diese Politik viel erfolgreicher ist als die Erhöhung der Mittel für soziale Kassen oder die Schaffung neuer sozialer Bürokratien, die sich nur darum kümmern, Geld auszugeben, aber nicht auf die Ergebnisse achten. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt ist also das Herausragende. Sie, die Sozialdemokraten und die Grünen, hätten eigentlich ebenfalls Grund, stolz darauf zu sein, weil Sie einen Beitrag dazu geleistet haben: Sie haben die Arbeitsmarktreformen durchgeführt. Aber Sie von der SPD haben den Vater der Arbeitsmarktreformen, Wolfgang Clement, aus der Partei geekelt. Nun wollen Sie diese Reformen rückabwickeln. Deswegen ist es klar, dass Sie sich nicht dazu bekennen können, stolz darauf zu sein. ({5}) Wir fahren jetzt die Ernte ein: Die Beiträge zur Rentenversicherung können gesenkt werden. ({6}) Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bleiben auf einem niedrigen Niveau; es bestand die Gefahr, dass sie wieder angehoben werden müssen. Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung müssen nicht angehoben werden, obwohl das von Ihnen immer wieder vorausgesagt worden war. Hier entlasten wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genauso wie die Unternehmen. Das ist das Ergebnis einer guten Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik. Natürlich fahren wir die Ernte auch im Haushalt ein; denn 2,5 Millionen mehr Beschäftigte sind 2,5 Millionen mehr Steuerzahler und Beitragszahler und 2,5 Millionen Menschen weniger, die von den Transfers leben müssen. Dadurch ergibt sich eine Verbesserung des Finanzsaldos des Staates und der Sozialkassen: Er steigt um rund 50 Milliarden Euro. Das finden wir jetzt im Haushalt vor, sodass wir am Ende des Jahres weniger als 25 Milliarden Euro Neuverschuldung haben. ({7}) Es kommen im Übrigen immer Klagen von den Gemeinden und Ländern. Sie sind an dem Ergebnis aber voll beteiligt. Sie haben natürlich auch erhebliche zusätzliche Einnahmen, aber sie schaffen es nicht, ihre Ausgaben so zu gestalten, dass sie ihre Verschuldung entsprechend abbauen können. Sie steigern ihre Ausgaben nämlich in dem gleichen Maße, wie ihre Einnahmen wachsen. In manchen Ländern steigen diese sogar schneller als die Einnahmen. Ich nenne Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg als Beispiele. Das ist ein Ausdruck von Verantwortungslosigkeit. Von daher kann der Wähler durchaus anhand der Ergebnisse der Politik erkennen, wer wo Verantwortung trägt. Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf die EuroBonds. Ich kann die Haltung, welche die Bundeskanzlerin hier eingenommen hat, voll und ganz unterstützen. ({8}) Wir müssen wissen - das sage ich auch an die Adresse der Oppositionsparteien -, dass die deutsche Regierung bei ihren Verhandlungen unter ganz erheblichem internationalem Druck steht: sei es vonseiten der Kommission, sei es vonseiten der Schuldnerländer in Europa oder sei es vonseiten der Angelsachsen, die es gewohnt sind, die Druckerpresse anzuschmeißen, um die Probleme durch Inflation zu lösen. Das alles wollen wir nicht. Das dürften auch Sie nicht wollen. Wenn das der Fall ist, sollten Sie die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung und auch uns hier im Parlament - weil wir das alles mit beschließen - dabei unterstützen, damit wir als geschlossene Kraft auftreten können; denn die Stabilisierung in Europa kann nur gelingen, wenn Deutschland als Vorbild genommen wird. ({9}) Wir haben eine vorbildliche Haushaltsentwicklung, müssen uns aber in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch mehr anstrengen, wenn die Konjunktur etwas nachlässt. ({10}) Ich möchte die Oppositionsfraktionen auffordern, die Regierung im internationalen Bereich zu unterstützen. Es handelt sich um eine schwere Aufgabe. Die Krise ist durch die Verschuldung der Staaten entstanden. Sie kann nur gelöst werden, indem diese Verschuldungspolitik beendet und die Verschuldung abgebaut wird. ({11}) Die Verschuldung ist nicht durch die Märkte entstanden, sondern durch die Staaten. Wenn man die Ursachen bekämpfen will, muss man die Staatsverschuldung in allen Ländern zurückführen - auch wenn das nur unter Druck gelingt. Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Frau Bundeskanzlerin, ich bin in einem Punkt - das sage ich auch Herrn Kauder - sachpolitisch einfach anderer Meinung. Die Finanztransaktionsteuer kann die Zwecke, die Sie mit ihr verbinden, nicht erfüllen. ({12}) Das ist das Problem. Deshalb hat sich der Nobelpreisträger Tobin kurz vor seinem Tod von dieser Idee verabschiedet. Er hat gesagt: Das kann nicht funktionieren. Das kann nicht gelingen. Vergesst es! - Sie könnte nur funktionieren, wenn sie weltweit eingeführt werden würde. Wenn es Ausweichstandorte gibt, werden die genutzt. Das eigentliche Problem besteht erstens darin: Die Finanztransaktionsteuer wird nicht von den Akteuren auf den Finanzmärkten bezahlt, sondern von den Kunden, den Anlegern und Sparern, die ihre Altersvorsorge aufbauen. Sie wird also auch von den Riester-Rentnern bezahlt. Die Banken bezahlen das nicht, die leiten das durch. Es handelt sich um eine Umsatzsteuer. ({13}) Zweitens können Sie nicht sicherstellen, dass die Transaktionen dort stattfinden, wo der deutsche Fiskus seine Hand im Spiel hat. Das geht nämlich ganz automatisch. Gehen Sie zur Deutschen Börse nach Frankfurt und lassen Sie sich das erklären. Es steht schon in den Programmen, dass die Umsätze dort stattfinden, wo die Kosten für die Umsätze am niedrigsten sind. Das haben die in Brüssel nun auch erkannt und sind auf die schlaue Idee gekommen, man müsse das an den Wohnort des Auftraggebers binden. Ich möchte Sie einmal fragen: Wie wollen Sie denn Zürich, London, Singapur, Panama - wer immer da infrage kommt - dazu zwingen, die Auftraggeber bekannt zu geben, damit die besteuert werden können? ({14}) Das ist völlig ausgeschlossen. Es kann nicht funktionieren und wird kein Steueraufkommen bringen, weil die Umsätze dann in Sekundenschnelle von europäischen hin zu anderen Standorten weglaufen. Das ist heute im elektronischen Zeitalter überhaupt kein Problem mehr; es geschieht ganz automatisch. Wenn Sie die Banken und Bankakteure besteuern wollen, müssen Sie an die Bilanzsumme oder den Ge16938 winn herangehen, dürfen aber keine Umsatzsteuer machen, welche die Bankkunden, aber nicht die Banken trifft. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({15})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Gerda Hasselfeldt. Bitte schön, Frau Kollegin Gerda Hasselfeldt. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land, auf die Beschäftigtenzahlen und auch auf die Entwicklung der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben macht deutlich: Deutschland ist der Wachstumsmotor, der Jobmotor in Europa. Deutschland ist im europäischen Vergleich, was die Staatsfinanzen betrifft, ein Hort der Stabilität und der Solidität. Deutschland ist Vorbild für viele andere Länder in Europa. ({0}) Das gilt nicht nur für Europa, sondern auch für viele andere westliche Industriestaaten. Wir haben dies den Menschen in unserem Land zu verdanken: den Unternehmern, den Arbeitnehmern und denen, die in den Tarifverhandlungen verantwortungsvoll entschieden haben. Sie werden von einer Regierung regiert, die ihnen Freiheit und auch die Früchte ihrer Arbeit lässt. ({1}) Und das, meine Damen und Herren, ist gut so. ({2}) Gut, dass gerade in dieser Zeit eine bürgerlich-christlichliberale Regierung in der Verantwortung ist. ({3}) Es sind Tatsachen: Bei der wirtschaftlichen Entwicklung und der Haushaltskonsolidierung ist Deutschland Vorreiter. Im Jahr 2010 und im Jahr 2011 - auch das ist Tatsache - haben wir haushaltstechnisch jeweils besser abgeschnitten, als es vorgesehen war. Das ist nicht selbstverständlich, sondern auch das ist Ausfluss von Regierungshandeln und Handeln der Menschen in unserem Land. ({4}) Tatsache ist auch, dass die Defizitgrenze, die im europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinbart wurde, trotz der Krise, die vor einigen Jahren zu bewältigen war, wieder eingehalten wird. Tatsache ist auch, dass wir voraussichtlich schon vor 2016 die mit der Schuldenbremse vereinbarten Grenzwerte einhalten werden. Das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Diese muss man mit dem vergleichen, was Sie uns nach Ihrer Regierungszeit hinterlassen haben. ({5}) Wir hatten nicht nur andere Daten bei der Verschuldung; von Solidität und Stabilität der öffentlichen Finanzen war gar nicht die Rede. Von einer guten wirtschaftlichen Entwicklung, geschweige denn einer guten Beschäftigtenentwicklung, war auch nicht die Rede. ({6}) Die 5 Millionen Arbeitslosen, die Sie uns hinterlassen haben, sind heute mehrfach angesprochen worden. Das Allerschlimmste, was Sie uns hinterlassen haben, ist das, was Sie damals auf europäischer Ebene vereinbart haben: ({7}) Weil Sie selbst nämlich unsolide gewirtschaftet und die Kriterien nicht beachtet haben, haben Sie diese dann auch noch auf europäischer Ebene aufgeweicht und so eine Einladung an alle anderen europäischen Staaten ausgesprochen, sich ebenso zu verhalten. Genau mit diesem Phänomen haben wir uns heute zu beschäftigen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Lehren aus der Staatsschuldenkrise sind eindeutig. Wer sich am Prinzip stabiler Staatsfinanzen versündigt, der versündigt sich nicht nur gegenüber den künftigen Generationen, sondern den bestrafen auch die Märkte. Das ist eindeutig. Sie können das übrigens erkennen, wenn Sie die Entwicklung unserer Bundesanleihen auf den Finanzmärkten beobachten. Da sehen Sie, wie wir dafür belohnt werden. Das sind unabhängige Schiedsrichter, die über die Solidität der öffentlichen Haushalte richten und ihre Aktionen danach ausrichten. ({9}) Die Rendite der deutschen Bundesanleihen ist so niedrig wie selten zuvor, die Kurse für die Bundesrepublik waren selten so günstig. Das ist Ausdruck von Solidität. Weil die Märkte so reagieren, gibt es bei der Bekämpfung der Staatsschuldenkrise keine Alternative zu einer vernünftigen, sparsamen Konsolidierungspolitik und einer guten Wettbewerbspolitik. ({10}) Die Krise wird nicht dadurch gelöst, dass die Notenbanken unbegrenzt öffentliche Anleihen aufkaufen, auch wenn der frühere Bundeskanzler Schröder das jetzt wieder gefordert hat. Sie wird auch nicht dadurch gelöst, dass Euro-Bonds aufgelegt werden, dass die Schulden vergemeinschaftet werden. Ich bin der Bundeskanzlerin und dem Bundesfinanzminister ausdrücklich dankbar, dass sie sich so klar und eindeutig gegen eine Vergemeinschaftung der europäischen Schulden ausgesprochen und sich deutlich und klar von den Vorschlägen wie Euro-Bonds distanziert haben und dies auch auf europäischer Ebene bei jeder Gelegenheit zum Ausdruck bringen. ({11}) Meine Damen und Herren, nachhaltige Finanzpolitik bedeutet nicht nur Sparen und Konsolidieren. Nachhaltige Finanzpolitik bedeutet auch Zukunftssicherung. Nachhaltige Finanzpolitik bedeutet auch Verstetigung und Erhöhung der Investitionen. Nachhaltige Finanzpolitik bedeutet auch, die soziale Balance zu wahren und Spielraum zu schaffen durch eine gerechte Steuerpolitik. Auch dies kommt in diesem Haushalt zum Ausdruck: durch die Erhöhung der Ansätze für Bildung und Forschung, durch die Erhöhung der Ansätze für die Infrastruktur, insbesondere für die Verkehrsinfrastruktur. All das ist notwendig, um die Basis für eine gute Zukunft zu schaffen. All dies haben wir in den vergangenen Jahren mit Erfolg gemacht. Nun zur Steuerpolitik. Die vorgesehene Erhöhung des Existenzminimums, die vorgesehene Erhöhung des Grundfreibetrags - das ist hier schon mehrfach angesprochen worden -, ist verfassungsrechtlich geboten. Das ist notwendig. ({12}) Wenn Sie sich an unserer Verfassung orientieren, dann können Sie sich dagegen nicht verwehren. ({13}) - Ich bin noch nicht fertig. - Das ist der eine Teil dieses Konzepts. Der zweite Teil betrifft das Problem der sogenannten kalten Progression. ({14}) - Herr Poß, wir haben im Finanzausschuss lange genug miteinander gearbeitet. ({15}) Sie wissen so gut wie ich, dass durch die kalte Progression nichts anderes bewirkt wird als eine heimliche staatliche Ausbeutung der Lohn- und Einkommensteuerzahler. Nichts anderes ist die kalte Progression. ({16}) Das ist eine heimliche staatliche Ausbeutung der Lohnund Einkommensteuerzahler. Die kalte Progression führt nämlich dazu - das ist Folge des Zusammenwirkens von Progression und Inflation -, dass bei denen, die arbeiten, die Geld verdienen, von einer Lohnerhöhung mehr als notwendig, mehr als gerecht wäre, vom Staat abkassiert wird. ({17}) Genau das soll korrigiert werden. Das ist ein Akt der sozialen Gerechtigkeit. Das ist ein Akt der Steuergerechtigkeit - nichts anderes. ({18}) Jetzt will ich noch ein Wort zu dem heute schon häufig angesprochenen Betreuungsgeld sagen. Frau Künast, Sie haben gesagt, dass die Kinder in den Mittelpunkt gestellt werden sollen. Da stimme ich Ihnen völlig zu. Das gilt für die Bildungspolitik, für die Familienpolitik und alle anderen Bereiche der Gesellschaftspolitik. Die Kinder sind das Allerwichtigste, was wir in unserem Land haben. Das gilt nicht nur für die eigenen Kinder, sondern für alle Kinder in unserer Gesellschaft, egal aus welchen sozialen Schichten sie kommen, aus welchen Regionen sie kommen oder in welchem Alter sie sind. Sie sind das Wichtigste. Keine Diskussion darf uns zu viel sein, wenn es darum geht, wie wir die Zukunft unserer Kinder gut gestalten können, wie wir sie so gestalten können, dass sie künftig Verantwortung für dieses Land übernehmen können. ({19}) In unserer Gesellschaft, in unseren Familien hat sich vieles verändert, nicht zuletzt durch die veränderte Rolle der Frau. Darauf geben wir Antworten. In den vergangenen Jahren haben wir eine Fülle von verschiedenen Antworten gegeben. Ich meine nicht nur das Elterngeld, sondern auch den großen Beitrag, den der Bund beim Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen leistet, obwohl er nicht zuständig ist. Auch das muss einmal erwähnt werden. ({20}) Wir unterstützen vonseiten des Bundes die Länder und Kommunen bei der Aufgabe, den Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz für die Zwei- und Dreijährigen ab 2013 zu realisieren. Genau dort setzt das Betreuungsgeld an. Wir wissen, dass etwa die Hälfte der Eltern ihre Kinder in der vertrauten Umgebung aufwachsen lassen wollen. Das ist völlig nachvollziehbar. Die einen entscheiden sich relativ früh für eine Betreuung in einer Kinderbetreuungseinrichtung, und zwar schon ab dem zweiten, dritten Lebensjahr des Kindes und nicht erst ab Vollendung des dritten Lebensjahres. Andere wollen dies zu Hause selbst erledigen. Wiederum andere ziehen es vor, die Großeltern, Geschwister, Nachbarn, Tagesmütter oder andere damit zu beauftragen und sich von ihnen wenigstens teilweise unterstützen zu lassen. Meine Damen und Herren, es entspricht unserem Grundsatz der Wahlfreiheit, ({21}) dass die Eltern frei entscheiden können, wie sie es machen wollen. ({22}) Ich bin bis zu dieser Argumentation einen weiten Weg gegangen; ich will das gerne zugeben. Ich habe mich von den Argumenten überzeugen lassen, von nichts anderem. Und ich habe mich überzeugen lassen von den Wünschen der Eltern, die deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie selbst entscheiden möchten. Wenn der Staat durchschnittlich 1 000 Euro für einen Kinderbetreuungsplatz ausgibt, dann ist es nur gerecht, wenn man sagt, dass diejenigen, die das nicht in Anspruch nehmen, einen Teil davon, nämlich 150 Euro, für die privat organisierte Betreuung bekommen sollen. Das ist ein Akt der Gerechtigkeit. ({23}) Man kann ja so oder so argumentieren. Diese Leistung jedoch als Herdprämie zu bezeichnen, ({24}) stellt nicht nur eine Diffamierung und Beleidigung all derjenigen dar, die diese Leistung in Anspruch nehmen wollen oder werden, sondern es grenzt wirklich an Ehrenrührigkeit. ({25}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt ist deutlich geprägt von Solidität und Stabilität der öffentlichen Finanzen. Er gibt die richtigen Wachstumsimpulse und bewahrt die soziale Balance. Wir sind mit der eingeschlagenen Richtung in den vergangenen Jahren gut gefahren. Und deswegen werden wir diesen Weg fortsetzen. ({26})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Der nächste Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Rüdiger Kruse. Bitte schön, Kollege Kruse. ({0})

Rüdiger Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004083, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich, mache ich. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu diesem Haushalt gibt es Berichterstatter, und diese Berichterstatter haben ein Thema, und auf das will ich gerne eingehen. Wir haben in der heutigen Generaldebatte viel über das Gemeinwesen gehört. Ein Gemeinwesen ist so etwas wie ein Organismus. Ein Organismus hat Blutbahnen, Nervenstränge und Muskelgewebe, hat also, um es ins Technische zu übersetzen, eine Infrastruktur. Wir haben im Bereich der Infrastruktur Akzente gesetzt, und zwar doppelte. Bei Infrastruktur denkt man zunächst an Lkw und Schiffchen. Johannes Kahrs und ich denken, weil wir von der Küste kommen, mehr an Schiffe; andere Leute, die mit der Eisenbahn gespielt haben, denken an diese. In diesen Tagen denken wir vielleicht sehr häufig an Eisenbahnen und an Bahnhöfe. Mit der Infrastruktur, mit diesem zentralen Herz- und Nervensystem des Organismus, in deren Instandhaltung und Erweiterung wir jedes Jahr 10 Milliarden Euro investieren, befähigen wir das Wirtschaftssystem unseres Landes, die Arbeitnehmer und die Unternehmer, die Gelder zu erwirtschaften, die wir hier umverteilen dürfen. Ohne eine funktionierende Infrastruktur hätten wir keine funktionierende Wirtschaft und könnten nicht jährlich 160 Milliarden Euro für soziale Zwecke im weitesten Sinne ausgeben. Wenn wir trotz der Notwendigkeit, Ausgaben zu reduzieren, 10 Prozent mehr für Infrastruktur ausgeben, dann kann man mit Recht davon ausgehen, dass das eine Rendite haben wird. Das wird nicht nur eine wirtschaftspolitische, sondern auch eine sozialpolitische Rendite haben. Denn unser Grundsatz ist, dass sozial ist, was Arbeit schafft. ({0}) Es wurde schon gesagt, was für einen großen Vorteil es darstellt, wenn die Menschen Arbeit haben. Natürlich macht Arbeit Spaß und erfüllt, aber es gibt auch einen großen anderen Bereich. Ein Land muss nämlich auch eine kulturelle Infrastruktur bereitstellen. Kultur ist natürlich Ländersache - das betone ich -, und die Länder haben sich das überlegt. Dieser Bereich ist ja nicht sozusagen übrig geblieben, sondern die Länder haben in der Föderalismusdiskussion gesagt: Das ist uns wichtig, weil wir uns damit identifizieren können und so unser Bild prägen und unsere Unterschiedlichkeit leben können. Daran sollten sich die Länder erinnern. Aber auch der Bund hat eine Aufgabe in der Kultur. Ich bin sehr zufrieden und stolz, dass es bei den drei letzten Etats, 2010, 2011 und 2012, die ich mitberaten habe, in diesem Bereich trotz der allgemeinen Entwicklung immer einen stetigen Aufwuchs gegeben hat. Wir erhöhen die Mittel für Kultur um etwa 5 Prozent; das ist ein gutes Ergebnis. ({1}) Wir tun dies im Rahmen von Maßnahmen, über die wir uns nicht in zwei, drei oder vier Jahren ärgern müssen. Es wäre natürlich nett, wenn wir allen Intendanten im Lande die Gehälter erhöhen würden - das ist ein schöner Gedanke; der eine oder andere hätte es verdient -, aber es würde uns strukturell belasten. Wir machen deshalb sehr viel im Bereich Denkmalschutz. Es gibt ein Denkmalschutz-Sonderprogramm. Dieses hat einen mehrfachen Nutzen. Die 30 Millionen Euro, die wir dort investieren, können Sie im Prinzip beim Programm „Soziale Stadt“ mitverbuchen, weil Denkmäler in Kommunen die Selbstidentifizierung ermöglichen. Das ist der eine Grund. Der zweite Grund ist: Wir geben keine Mittel, wenn es nicht ein Nutzungskonzept für ein Denkmal gibt. In aller Regel geht es um soziale oder kulturelle Zwecke. Das heißt, mit diesem Programm, das natürlich gleichzeitig Wirtschaftsförderung ist, fördern wir auch das Programm „Soziale Stadt“, und zwar mit 30 Millionen Euro; dieser finanzielle Umfang ist in der heutigen Zeit ausgezeichnet. Wir liefern eine Möglichkeit der kulturellen Entfaltung. Das ist wichtig. Bürgerliche Politik ist so zu beschreiben, dass sie Identitäten und Individualität fördert. Alles, was extrem links oder extrem rechts von bürgerlicher Politik liegt, löst diese zugunsten einer gefährlichen Schimäre, eines kollektiven Gesamtbildes auf. ({2}) Das heißt - das ist das Interessante -, dass in der Kulturszene das Persönlich-Politische häufiger in das eine oder andere Extrem gehen mag, aber die Möglichkeiten und Arbeitsbedingungen sind innerhalb eines bürgerlich demokratischen Systems am größten, weil hier die Freiheiten betont und nicht infrage gestellt werden, weil Kunst und Kultur nicht für einen Verkündungsauftrag missbraucht werden. Das ist, glaube ich, wichtig in der Debatte um das Leitbild sozialer Gesellschaften. In einer Welt, in der wir hinsichtlich der Bevölkerungszahlen und der Wirtschaftskraft nicht mehr die Bedeutendsten sein werden, ist es natürlich wichtig, dass wir ein Ort sind, der anregt und der aufgrund seiner bewahrten und in die Zukunft geführten kulturellen Kompetenz attraktiv ist, sodass viele Menschen an diesen Ort kommen, um mit uns gemeinsam Zukunft zu gestalten. Danke. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin in unserer Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Petra Merkel. Bitte schön, Frau Kollegin Petra Merkel. ({0})

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Staatsminister Neumann, ich bin sehr froh, dass Sie wieder hier sind. Ich freue mich, dass Sie genesen sind und dass wir gemeinsam über den Kulturbereich diskutieren können. Die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag hat in den Haushaltsberatungen eine Reihe von Änderungsanträgen eingebracht, um ein Bildungspaket umzusetzen, den nationalen Pakt für Bildung und Entschuldung. Dieser Pakt sieht jährlich Ausgaben in Höhe von 2 Milliarden Euro vor; bis 2016 sind Mehrausgaben im Bildungsbereich in Höhe von 10 Milliarden Euro vorgesehen. Meine Kolleginnen und Kollegen werden, wenn es um die einzelnen Etats geht, auf diesen Bildungspakt zurückkommen und auch über den Entschuldungspakt reden. Insofern fasse ich mich hier kurz. Bildung heißt selbstverständlich auch kulturelle Bildung. Auch für den Etat des Beauftragten für Kultur und Medien haben wir Mittel eingeplant. Unser Konzept sieht für die Bereiche Medienkompetenz, Integration und Fortbildung zusätzliche Mittel in Höhe von 5 Millionen Euro vor, 2 Millionen Euro davon sollten für Jugendprojekte und für Projekte zur medialen Bildung von Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden, und 0,5 Millionen Euro hatten wir für die Medienkompetenzforschung vorgesehen. Es ist bedauerlich, dass die Koalitionsfraktionen diesen Anträgen nicht zugestimmt haben. Wir jedoch haben einigen Anträgen der Koalitionsfraktionen zugestimmt. Drei Beispiele dazu: 30 Millionen Euro für ein Denkmalschutz-Sonderprogramm - dazu werde ich gleich noch kommen -, 2,5 Millionen Euro für die Weiterförderung der Völklinger Hütte und zusätzliche Mittel für das Haus der Kulturen der Welt, nämlich 3,3 Millionen Euro für ein mehrjähriges Projekt. ({0}) Ich möchte ein weiteres Thema ansprechen, mit dem ich seit Jahren immer wieder in Berührung komme und von dem ich meine, dass es eine größere Bedeutung hat, als wir ihm beimessen: die Bewahrung von Kulturgut. Viele Stücke sind in einem so schlechten Zustand, dass man um ihren Erhalt bangen muss, viele sind kontaminiert, sodass sie gar nicht ausgestellt werden können, und viele Exponate, die in Museen lagern, lösen sich leise und langsam auf. Kunstwerke und Schätze aus Papier, Textilien oder Holz sind von Zerfall und Zersetzung bedroht. Skulpturen und Gemälde sind der Zerstörung durch Klima- und Umweltgifte ausgesetzt. Die Bewahrung von Kulturgut geschieht auf mehreren Ebenen: durch Untersuchungsmethoden, die Exponate nicht zerstören, durch Messungen, bei denen Schadstoffe entdeckt werden, und durch dauerhafte Sicherung von Exponaten. Sie können sich vorstellen, dass dringend Forschungsmittel nötig sind, um in diesen Bereichen tätig zu werden, weil jedes Material eine andere Behandlung braucht. In Deutschland haben wir kompetente Einrichtungen, die sich mit diesem Thema befassen, zum Beispiel die Forschungsallianz Kulturerbe, eine Kooperation zwischen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Fraunhofer-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft, die BAM, die Bundesanstalt für Materialforschung und prüfung, das Netzwerk zur interdisziplinären Kulturguterhaltung in Deutschland, N.i.Ke., und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt. Die Arbeiten dieser Institutionen sollten Sie, Herr Staatsminister Neumann, mit dem Kulturetat unterstützen und verstärken. Ich komme zu den denkmalgeschützten Gebäuden. Den Regierungsfraktionen ist es erneut gelungen, ein Sonderprogramm aufzulegen; das begrüße ich sehr. Petra Merkel ({1}) ({2}) Die beiden letzten Programme waren sehr erfolgreich und haben in Deutschland sichtbare Spuren hinterlassen. ({3}) 30 Millionen Euro stehen nun 2012 für die Sanierung denkmalgeschützter Bauten zur Verfügung. Sehr gut an diesem Programm ist übrigens, dass sich sowohl Kommunen als auch Länder und Private beteiligen und so aus den 30 Millionen Euro fast 60 Millionen Euro werden können. Das ist gut investiertes Geld; denn es kommt sowohl den Regionen als auch dem vor Ort tätigen Handwerk zugute. ({4}) Bei der energetischen Sanierung denkmalgeschützter Bauten hakt es allerdings. Wie viel hätte man gewonnen, wenn man Energieeffizienz auch schon bei der Sanierung berücksichtigen würde? Hier mein Appell an den Beauftragten für Kultur und Medien: Tun Sie etwas, auch mit Mitteln aus diesem Sonderprogramm! Nutzen Sie die Energiewende, und unterstützen Sie energieeffizientes Sanieren! ({5}) Unterstützen Sie die Forschung in diesem Bereich, und unterstützen Sie Kooperationen auch im Denkmalschutz! Das sind keine Mittel, die ausschließlich für Orchideen, die in irgendeinem Zusammenhang mit denkmalgeschützten Gebäuden stehen, bereitgestellt werden, sondern es geht um Verfahren, die man, wenn sie entwickelt worden sind, auch bei ganz normalen Objekten anwenden kann. Übrigens: Sie schaffen auch Arbeitsplätze. ({6}) Es passiert bereits etwas auf diesem Gebiet. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt zum Beispiel veranstaltet im Dezember dieses Jahres eine Tagung zum Thema Denkmal und Energie. Auf das Ergebnis bin ich gespannt. ({7}) Und: Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz hat in einem Positionspapier im April dieses Jahres Handlungsfelder zur energetischen Sanierung aufgezeigt, die ich sehr gut finde. Auch hier könnte man mit dem Kulturetat Impulse setzen. ({8}) Noch sind wir in Deutschland bei der Entwicklung von Verfahren zur Sanierung von Kulturgut spitze. Damit das so bleibt, brauchen wir aber weiter Forschungsmittel, um die Entwicklung neuer Techniken und Technologien voranzutreiben. Diese Chancen müssen wir nutzen. Kultur hört ja nicht an Grenzen auf - auch nicht an der deutschen Grenze -, und die deutsche Kulturpolitik ebenfalls nicht. Deswegen weise ich kurz auf eine Never-ending Story hin: Tarabya, die Künstlerakademie, konnte im Oktober in Istanbul eröffnet werden. Bis allerdings die ersten Künstlerinnen und Künstler dort einziehen, wird es noch ein wenig dauern. Nach einigen Widerständen und nach dem Einsatz der Kolleginnen und Kollegen aus dem Unterausschuss „Auswärtige Kulturund Bildungspolitik“ ist es gelungen, dieses Projekt in die Spur zu bringen. ({9}) Ich möchte Herrn Staatsminister Neumann für die gute Zusammenarbeit danken. In diesen Dank schließe ich selbstverständlich sein Haus und das Haushaltsreferat ganz besonders mit ein. Ich danke auch meinen Kolleginnen und Kollegen sowie meiner Mitberichterstatterin und meinen Mitberichterstattern. Zum Schluss will ich noch ein anderes Thema ansprechen. Ich danke Professor Parzinger und Michael Naumann an dieser Stelle ganz besonders. Beide haben in hervorragender Art und Weise gegen die von Vivien Stein in ihrem Buch Heinz Berggruen: Leben & Legende vorgebrachten Diffamierungen Stellung bezogen und den Vorwürfen widersprochen. Beide haben mir aus der Seele gesprochen. ({10}) Ich bin noch immer froh, dass sich Heinz Berggruen entschlossen hatte, nach Deutschland zurückzukehren, und dass er nach Berlin zurückgekommen ist. Ich bin auch sehr froh darüber, dass der Erweiterungsbau des Museums Berggruen aus Bundesmitteln finanziert wird und im Sommer nächsten Jahres eröffnet werden kann. ({11}) Ich bedanke mich bei der Familie Berggruen für ihr großes Engagement in Berlin und bei Ihnen für Ihr Zuhören. Danke sehr. ({12})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Wolfgang Börnsen. Bitte schön, Kollege Wolfgang Börnsen. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Petra Merkel, ich möchte Ihnen für die konstruktive, wenn auch kritische, und sehr anerkennende Rede herzlich danken. Das ist nicht selbstverständlich. ({0}) Was bleibt, ist die Kultur. Ob der Kölner Dom, die Volkslieder unseres Landes, der Faust von Goethe, dieser Reichstag hier oder Beethovens Ode an die Freude: Was bleibt, ist die Kultur. Die Kultur ist das Fundament unserer Gesellschaft. Sie gibt Menschen Orientierung und Identität, sie schafft Lebensmut und Lebensfreude. Deshalb ist es angemessen, die Kultur hier im Rahmen des Kanzleretats zu diskutieren. Hier gehört sie hin. ({1}) Deutschland, unser Land, ist ein kraftvolles, ein kreatives, ein vitales Kulturland. ({2}) Es sind die Künstlerinnen und Künstler, die Kulturschaffenden, die schöpferischen Mitbürger, die diesen Reichtum unseres Landes ausmachen. Sie tragen zur Lebendigkeit, aber auch Einheit unserer Gesellschaft bei, zu Integration, Zufriedenheit und Lebensperspektive. Ihnen haben wir ganz besonders für ihren Einsatz hier zu danken. ({3}) Doch auch die Arrangeure der Kultur - die Dirigenten, die Galeristen, die Regisseure, die Bibliothekare, aber auch die Kassiererin in einer Volkstanzgruppe - gehören dazu; denn ohne sie wäre Kultur für alle von allen nicht zu realisieren. Auch ihnen gilt deshalb unser Dank. ({4}) Der Preis, den wir für diese Leistung zu zahlen haben, ist relativ klein. Er entspricht 1,9 Prozent des Volumens aller Haushalte - mehr nicht. 9 Milliarden Euro geben Bund, Länder und Gemeinden in Deutschland für die Kultur aus. Die Gemeinden und die Länder tragen daran den Hauptanteil. Wenn man nur einmal die Musikkultur als Beispiel nimmt, dann kann man erkennen, wie wichtig, notwendig und ertragreich dieser Einsatz ist: Über 50 000 Chöre beleben unsere Gesellschaft, es gibt die gleiche Anzahl informeller Musikvereinigungen, also insgesamt über 100 000 Gruppen. Es gibt 750 erstklassige Orchester und Musiktheater und 50 000 Rock-, Jazz- und Popbands. Wir haben die reichhaltigste Musikszene in Europa. Nicht zu vergessen: 40 Millionen Kulturtouristen kommen jährlich nach Deutschland, um diesen Reichtum zu genießen. Das bringt insgesamt 85 Milliarden Euro an Einnahmen für unser Land. Sie hier im Parlament tragen durch Ihre Entscheidung zur Kulturattraktivität unseres Landes bei. Dabei ist die Höhe des Kulturetats die Gretchenfrage. Mit der Entscheidung von heute und von dieser Woche erfährt der Haushalt von Staatsminister Bernd Neumann seine siebte Steigerung im siebten Jahr. Unser Bremer Kollege kann eine noch nie dagewesene Erfolgsgeschichte verbuchen. Danke! ({5}) Dahinter stecken trotz eines lahmen Beines unermüdlicher Einsatz, viel Geschick und kluge Diplomatie. Herzlichen Dank und weiterhin gute Genesung! ({6}) Auch die Beibehaltung des verminderten Mehrwertsteuersatzes gehört dazu. Sie sichert die Existenz für viele Kulturschaffende. Die Buchpreisbindung gehört ebenso dazu. Alle diese Fundamente müssen wir sichern und dürfen sie nicht abbauen. Was sich hier so locker vom Pult verkünden lässt, ist immer im Wettbewerb mit anderen Politikbereichen durchzusetzen. Gleich ob Sicherheit oder Soziales, Finanzkonsolidierung, Forschung oder Bildung: Sie alle sind von grundlegender Bedeutung. Ich bedanke mich bei meinen Kollegen im Haushaltsausschuss: Jürgen Koppelin, Petra Merkel, Rüdiger Kruse und Herbert Frankenhauser. ({7}) Sie alle haben eine Lanze für die Kultur gebrochen, weil sie davon überzeugt sind, dass sie das Fundament unserer Gesellschaft bleiben soll. Das gilt auch für die Kollegen der Opposition im Haushaltsausschuss. ({8}) Der Zugewinn, den wir für die Kultur haben, ist ein Zugewinn für unsere Gesellschaft, aber der Preis dafür - damit komme ich zum Schluss - ist die Neuverschuldung. Das ist mehr als ein Schönheitsfehler. Auch wenn unser Anteil nur minimal ist, wäre es doch gerechtfertigt, dass wir in unseren Überlegungen maßvoll sind. Wir als Kulturpolitiker haben nicht nur eine Fach-, sondern auch eine Gesamtverantwortung. Ich bedanke mich. ({9})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Lukrezia Jochimsen. Bitte schön, Frau Kollegin. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich setze jetzt die Ode an die Kultur des Kollegen Börnsen auf etwas andere Art und Weise fort. Es ist eben die Kultur, die unser Wertefundament bildet. Es sind die Künste, die … ganz wesentlich die Basis unseres Gemeinwesens bilden. Wer hat das wohl gesagt? - Richtig, Staatsminister Neumann, hier an dieser Stelle in seiner Rede zum Kulturhaushalt in erster Lesung. Wie wahr ist diese Bewertung. Wie doppelt wahr klingt sie uns jetzt in einer Zeit, da wir mit blankem Entsetzen das mörderische und unerkannte Treiben von Rechtsterroristen in unserem Land zur Kenntnis nehmen müssen. Das Gebot der Stunde heißt doch: Wie machen wir die Kultur tatsächlich zu unserem Wertefundament? Wie fördern und stärken wir die Künstlerinnen und Künstler in unserem Land, dass die Künste tatsächlich die Basis unseres Gemeinwesens bilden können? ({0}) Das erreichen wir nicht mit einem pompösen Schlossbau in Berlin samt einem Freiheits- und Einheitsdenkmal auf dem Platz davor. ({1}) Das erreichen wir erst recht nicht mit fortgesetzter Finanzierung der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, in der der Zentralrat der Juden seine Mitarbeit ruhen lässt und Vertreter von Roma und Sinti gar nicht erst vorgesehen sind. Das erreichen wir auch nicht mit einem satten Zuschuss von 2,2 Millionen Euro pro Jahr für die Bayreuther Festspiele. ({2}) Was wir brauchen, ist zweierlei: Erstens. Kulturelle Bildung unserer Kinder, und zwar Bildung gegen Rassismus und Gewalt von früh an, wohlgemerkt: für alle unsere Kinder. ({3}) Diese kulturelle Bildung muss in unserem Land und damit in der Kulturpolitik einen neuen Stellenwert erhalten. Ich weiß, dass im Etat des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zusätzliches Geld für weitere Modellprojekte zur Verfügung steht. Aber Modellprojekte reichen nicht aus. Es muss eine echte Bildungskampagne für Kinder und Jugendliche auf den Weg gebracht werden. Ich habe das schon vor drei Jahren an dieser Stelle eingefordert. Heute gilt diese Forderung brennender denn je. Kinder und Jugendliche dürfen den braunen Verführern nicht länger zur Beute werden. ({4}) Die jahrelang unerkannte Nazi-Mordserie in unserem Land ist doch auch eine geistige und kulturelle Krise. Es ist nicht nur eine Krise der Behörden, der Verfassungsämter und der Polizei, nein, es ist auch eine geistige und kulturelle Krise. ({5}) Zweitens. Ohne Künstlerinnen und Künstler gibt es keine Künste. Deshalb müssen endlich Schritte unternommen werden, die soziale Lage der Kulturschaffenden entscheidend und wirksam zu verbessern. Um die Misere wissen alle Verantwortlichen nun lange genug. ({6}) Es geht um Initiativen, Gesetze und Umdenken statt nur um Einzelförderung oder Preise. Darüber müssen sich der Staatsminister, die Kulturpolitiker aller Fraktionen und der Kulturausschuss in einer Zeit wie dieser klar werden und sich aufs Handeln verständigen. Zum Schluss in diesem Zusammenhang ein Beispiel: In Weimar gibt es seit Jahren ein renommiertes Kunstfest. Eröffnet wird es stets mit dem großen Orchesterkonzert „Gedächtnis Buchenwald“, kostenlos und zugänglich für alle, und einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des KZ. An keinem anderen Ort in Deutschland gehen Kunst und Erinnern so direkt ineinander über. Für dieses Kunstfest, vom Land Thüringen, der Stadt Weimar und bisher zeitlich begrenzt von der Bundeskulturstiftung gefördert, wurde für 2012, von der SPD und auch von uns unterstützt, ein Antrag auf Mitfinanzierung durch den Bund in Höhe von 500 000 Euro gestellt. Die Koalition lehnte ab. Staatsminister Neumann sagte gegenüber der Thüringischen Landeszeitung, er fördere nur nachhaltige Projekte; ob das Kunstfest über 2013 hinaus existiere, sei nicht sichergestellt. Aber es geht doch um das Jahr 2012. Welch eine Logik und welch ein Schaden für ein Projekt, das wir in diesen Zeiten dringender brauchen denn je! Bitte lassen Sie uns umdenken. ({7})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Nächster Redner in dieser Debatte ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Reiner Deutschmann. Bitte schön, Kollege Deutschmann. ({0})

Reiner Deutschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004027, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag haben Union und FDP vor zwei Jahren Folgendes geschrieben - ich zitiere -: Kulturförderung ist keine Subvention, sondern eine unverzichtbare Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft. Dazu bekennen wir uns auch ausdrücklich in Zeiten der Euro-Krise. Der Kulturhaushalt wächst, und das schon seit Jahren. Für 2012 stehen 5,1 Prozent mehr Mittel zur Verfügung. Ich möchte Kulturstaatsminister Bernd Neumann sowie allen Beteiligten, insbesondere aber auch dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages für die in Zeiten des Sparens nicht selbstverständliche Erhöhung des Kulturetats danken. Der Deutsche Bundestag setzt damit ein starkes Zeichen, dass der Förderung von Kunst und Kultur in Deutschland ein besonderer Stellenwert zukommt. Ich würde mir wünschen, dass eine solche Prioritätensetzung in absehbarer Zeit auch in allen Ländern und Kommunen zum Normalfall wird. ({0}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, in diesen Zeiten kann man sicherlich nicht alle Ziele umsetzen, die man sich zu Beginn der Haushaltsberatungen gesetzt hat. Die Rückführung der Staatsschulden im Rahmen der Schuldenbremse hat absoluten Vorrang. Dennoch ist es uns gelungen, einige wichtige Projekte in den Haushalt 2012 neu aufzunehmen oder zu verlängern. Herausragend ist gewiss die bereits genannte Verlängerung des Denkmalschutzprogramms. Zur Substanzerhaltung und Restaurierung stehen nun zusätzliche 30 Millionen Euro zur Verfügung. Damit wird dem Verfall wichtiger Kulturgüter von nationalem Rang weiter Einhalt geboten. Ich denke, wir zollen damit auch dem kürzlich verstorbenen und von uns allen verehrten Professor Dr. Kiesow und der von ihm lange Jahre geleiteten Deutschen Stiftung Denkmalschutz unseren besonderen Respekt und zeigen unsere Anerkennung; ({1}) denn gerade dort, wo der Staat mit gutem Beispiel vorangeht, engagiert sich auch die Zivilgesellschaft. Eine weitere Erhöhung betrifft den Haushalt des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen. Der BStU kann so beispielsweise in einen zukunftsorientierten Internetauftritt investieren. Durch diese Neugestaltung wird mehr Informationsmaterial für Kinder und Jugendliche bereitgestellt, und es gibt spezielle Seiten für die Lehrerfortbildung. Zudem wird der BStU - dem Gedenkstättenkonzept entsprechend - zusammen mit der Antistalinistischen Aktion ein Dokumentations- und Bildungszentrum im Haus 1, Normannenstraße, aufbauen, eine Dauerausstellung, die die Funktion des Ministeriums für Staatssicherheit im System der SED-Diktatur darstellen wird. Entscheidend wird auch in der Normannenstraße, wie im Netz, der Dialog mit der jungen Generation sein. Hier möchte ich Roland Jahn zitieren, der in seiner Antrittsrede im März sagte: Je besser wir begreifen, wie die Diktatur in der DDR im Alltag funktioniert hat, desto besser können wir, hier und heute, Demokratie gestalten. ({2}) Nicht zuletzt ist es uns auch gelungen, etwas für den Schutz einer besonderen Welterbestätte in Deutschland zu tun. Für dringend notwendige Investitionen in das Weltkulturerbe Völklinger Hütte im Saarland wird ein Zuschuss von 2,5 Millionen Euro gewährt. Damit wird etwas getan für den Erhalt eines Wahrzeichens der Ingenieurbaukunst, das bereits 1994 von der UNESCO in die Liste der Welterbestätten aufgenommen wurde. Ohne ins Detail zu gehen, möchte ich dem Haushaltsausschuss auch besonders dafür danken, dass er der Stiftung TANZ-Transition und dem Gleimhaus in Halberstadt Gelder zur Verfügung gestellt hat. Die Stiftung TANZ-Transition hilft Tänzerinnen und Tänzern nach dem Ende ihrer körperlich sehr fordernden Tanzkarriere, ein neues Erwerbsfeld zu finden. Das Gleimhaus in Halberstadt steht als Stätte der Aufklärung und ist im Blaubuch der Bundesregierung verzeichnet. Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums im Jahr 2012 wird dort eine große Sonderausstellung unter dem Titel „Tempel der Freundschaft, Schule der Humanität, Museum der Aufklärung“ stattfinden. Zum Schluss möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass im Etat des Bundeswirtschaftsministers wieder 3,5 Millionen Euro für die vielfältigen Aktivitäten der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft eingestellt sind. Hervorzuheben ist hier die ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen dem BMWi und dem BKM. Abschließend und nach vorne blickend, hoffe ich, dass es uns auch im nächsten Jahr gelingen wird, einen so ausgewogenen und in die Zukunft weisenden Kulturhaushalt aufzustellen. Ich danke Ihnen. ({3})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Letzte Rednerin unserer Debatte ist unsere Kollegin Frau Tabea Rößner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. - Ich wäre sehr dankbar, wenn wir der Rednerin noch die gebotene Aufmerksamkeit schenken würden.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Freie Kunst und freie Presse sind die Säulen einer Demokratie. Gerade in Zeiten wie diesen ist es deshalb unsere Aufgabe, diese Pfeiler zu stabilisieren. Wir können und sollten nicht das Schreiben für den Journalisten übernehmen oder der Bildhauerin den Meißel führen. Das Grundgesetz schützt Kunst und Presse vor staatlichem Einfluss - und das ist auch gut so. ({0}) Aber wir haben die Möglichkeit, Leitplanken zu setzen. Ein Beispiel: Das Presse-Grosso ist in Gefahr. Dabei ist dieses Vertriebssystem ein wichtiger Garant für die Pressevielfalt in Deutschland. Ob klein oder groß: Jeder Verlag hat mit seinen Zeitungen den gleichen Zu16946 gang zum Verkaufsregal. Doch jetzt will ein großer Verlag aussteigen. Ich frage Sie, was die Bundesregierung plant, um das seit 60 Jahren bewährte System zu erhalten. Hier müsste eine neue Leitplanke gesetzt werden. ({1}) Die Presse ist in der Krise, Auflagen sinken, Lokalredaktionen werden geschlossen und Personal wird abgebaut. Eine gute Berichterstattung wird immer schwieriger. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es noch genau drei Regionalzeitungen. Dort, wo demokratische Medien fehlen, verteilt die NPD Gratisblätter an alle Haushalte. Deshalb brauchen wir starke Medien vor Ort, die informieren, die aufklären und die den Rechten die Maske abreißen. ({2}) Wie reagiert die Bundesregierung? Sie legt einen Gesetzentwurf zur Pressefusionskontrolle auf den Tisch. Aber ob das den kleinen Verlagen wirklich helfen wird, bezweifle ich. Sie können damit nur leichter von den Großen geschluckt werden. Nun kann man sagen: Das ist völlig normal in den Märkten. - Aber weil der Medienmarkt so sensibel ist, braucht er besondere Regulierungen. Um aber den Verlust an Vielfalt in der Presselandschaft zu verhindern, sind erleichterte Übernahmebedingungen der völlig falsche Weg. Es stellt sich die Frage, wie Zeitungen - oder besser: wie Journalismus - zukünftig überhaupt finanziert werden können, gerade angesichts der immer größeren Nutzung des Internets. Die Bundesregierung hat darauf seit Beginn ihrer Amtszeit nur eine Antwort: das Leistungsschutzrecht. Diese Antwort predigt die Kanzlerin bei allen Verlegertreffen wie das neue Evangelium der Presse. Ein Leistungsschutzrecht würde Verlage aber nicht retten und käme vor allem wieder nur den Großen zugute, ganz abgesehen von den rechtlichen Unklarheiten und der Frage, wie viel von den geplanten Einnahmen eigentlich bei den Journalisten selbst ankäme. Offenbar hat sich ein Teil der Koalition unserer Meinung angeschlossen, dass dieses Gesetz nichts bringt. Daher mein Rat: Lassen Sie diesen Gesetzentwurf in der Schublade und kümmern Sie sich um die relevanten Fragen! ({3}) Aber auch diese wollen Sie leider nicht angehen. In der Internet-Enquete sollte ein Gutachten über neue Geschäftsmodelle in Auftrag gegeben werden. Wir hatten uns darauf geeinigt, und Gutachter wurden angefragt. Aber kurz vor der endgültigen Beauftragung wird das Ganze abgeblasen. Dazu kann ich nur sagen: Es geht Ihnen gar nicht um die Sache. Sie wollen nicht in die Zukunft denken. Sie verharren in der Vergangenheit. Auch von Ihnen, Herr Staatsminister Neumann, habe ich auf diese brennenden Fragen bisher keine Antworten erhalten. Dabei ist gerade Ihr Ressort ein wichtiges Ressort für unsere Demokratie. Aber dem werden Sie leider nicht gerecht. Weder befördern Sie die Debatte um Medienvielfalt noch unterstützen Sie den Kulturbereich in seinem Beitrag für Demokratie. Sie könnten in Ihrem Haushalt zum Beispiel ein Forschungsprojekt des Archivs für Jugendkulturen fördern. Dort werden pädagogische Konzepte entwickelt, die im künstlerischen Diskurs Diskriminierung, Gewalt und Rassismus entgegenwirken sollen. Unseren Antrag dazu haben Sie aber abgelehnt. Dass die Bundesregierung ein Jugendkulturprojekt gegen Rechtsextremismus nicht fördern will, ist insbesondere vor dem aktuellen Hintergrund das absolut falsche Signal. ({4}) Luc Jochimsen hat darauf hingewiesen: Demokratiebildung ist auch eine kulturpolitische Aufgabe. Ähnlich wie bei den Zeitungen stoßen auch an Orten, wo das kulturelle Leben tot ist, Rechtsextreme in diese Lücken und verbreiten in Konzerten ihre Hasslieder. Deshalb brauchen wir gerade dort soziokulturelle Zentren, die das Wegbrechen der Kultur verhindern. ({5}) Durch eine Aufstockung des Fonds „Soziokultur“ und durch eine Stärkung der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren könnten Sie sich deutlich positionieren. Doch auch das tun Sie nicht. Die Bundesregierung ist mit der Maßgabe angetreten, die tragenden Säulen der Demokratie für die Zukunft zu festigen. Aber nach der Hälfte der Legislaturperiode bleibt leider nur das Fazit: Sie können nicht einmal den Beton dafür anmischen. Vielen Dank. ({6})

Eduard Oswald (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001663

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmel- dungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen damit zur namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04, Bundeskanzlerin und Bundes- kanzleramt, in der Ausschussfassung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) 1) Ergebnis Seite 16948 D Vizepräsident Eduard Oswald Darf ich Sie bitten, die Plätze wieder einzunehmen? Wir fahren fort. Ich rufe den Punkt II.11 auf: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt - Drucksachen 17/7105, 17/7123 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sven-Christian Kindler Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Klaus Brandner. Bitte schön, Kollege Klaus Brandner. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Bevor ich zum Einzelplan des Auswärtigen Amtes komme, möchte ich es nicht versäumen, Dr. Morhard, dem Leiter des für den Haushalt zuständigen Referats, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die offene, präzise und konstruktive Zusammenarbeit zu danken. Das beziehe ich aber auch auf den Minister und sein Umfeld. Ich denke, dass es in der kurzen Zeit zwischen dem Berichterstattergespräch und der Ausschusssitzung - dazwischen lag nur eine Woche - sehr viel Arbeit zu erledigen gab. Das ist mit großer Präzision und Sorgfalt geschehen. Dafür herzlichen Dank! ({0}) Bevor ich auf die Eckpunkte des Haushalts 2012 eingehe, möchte ich zwei Entwicklungen ansprechen, die die Beratungen und die Zukunft des Auswärtigen Amts tangieren. Die erste Entwicklung ist die UNESCO-Irritation. Viele rätseln bis heute, warum es zu der unglücklichen Irritation durch die angekündigte Sperrung sämtlicher UNESCO-Beiträge kam. Wir Sozialdemokraten waren am Morgen der Bereinigungssitzung sehr überrascht, die Anträge der Koalition auf Sperrvermerke über alle UNESCO-Positionen über eine Höhe von immerhin 10,8 Millionen Euro zu hören. Erfreulicherweise hat die Koalition, namentlich die Kollegen Frankenhauser und Koppelin, diese Anträge sehr schnell zurückgezogen. Ich finde, dieser Vorstoß war ein kapitaler Fehler. ({1}) Es ist gut, dass die Anträge zurückgezogen worden sind. Kollege Stinner wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit der Aussage zitiert, dass dies ein falsches Signal war, das nach außen gesendet worden ist. Damit hat der Kollege Stinner, wie ich meine, uneingeschränkt recht. ({2}) Ich sprach von zwei Entwicklungen. Ein Zweites hat Irritationen ausgelöst, nämlich die Kooperationsvereinbarung des BMZ mit dem AA. Das war eine weitere Überraschung, die unmittelbar nach der Bereinigungssitzung auf den Tisch kam. Wir hatten den Haushalt AA 2012 abgeschlossen - „geschlossen“, wie es formal heißt -, und dann erreichte uns eine Mail mit weitreichenden und finalisierenden Kooperationsregelungen zwischen BMZ und AA. Darüber wurde in der gesamten Beratungszeit nicht ein Wort verloren. Ich will dazu zwei Dinge feststellen, erstens eine politische Bewertung und zweitens eine formale Bewertung vornehmen. Die politische Bewertung. Im gestrigen Berichterstattergespräch haben wir Fragen zur Umsetzung der Kooperationsvereinbarung besprochen und vorberaten. Ich darf an dieser Stelle dem Minister danken, dass er an einem Punkt gleich eingelenkt hat. Er hat klargestellt, dass die Förderkriterien und Modalitäten für die politischen Stiftungen, sofern sie für ihre Tätigkeit in Osteuropa künftig über das AA finanziert werden sollten, an die Förderkriterien des BMZ angepasst werden, dass diese also übernommen werden. Damit hat er zumindest einen Beitrag zur Beruhigung in der Stiftungsszene geleistet. Dafür darf ich Ihnen an dieser Stelle danken, Herr Minister. Ich will ein Weiteres sagen. Völlig unverständlich erscheint mir zum Beispiel die Regelung in Punkt 11 der Vereinbarung, und da werde ich unruhig. Ich zitiere: AA unterstützt den Wunsch des BMZ, innerhalb der Bundesregierung die ODA-Koordinierung als Kernkompetenz zu übernehmen, und geht davon aus, dass BMZ sich bei der ODA-Koordinierung regelmäßig mit AA abstimmt. Wenn ich an die politischen Freundschaften innerhalb Ihrer Partei momentan und die Vergangenheit des Ministers denke, dann tut mir der Minister wirklich leid. Wenn man Kernkompetenzen an ein anderes Ministerium überträgt, das in der Sache außenpolitisch wichtige Weichenstellungen vornimmt, dann habe ich große Sorgen dahin gehend, welche Abstimmungsschrammen und welche Auseinandersetzungen zwischen den Häusern, insbesondere zulasten des AA, entstehen können. ({3}) Mir reicht es nicht aus - das will ich an dieser Stelle sagen -, festzustellen, dass Kernkompetenzen abgegeben werden; denn Sie sagen ja selbst in der Vereinbarung: Es ist davon auszugehen, dass eine Abstimmung erfolgt. Es ist davon auszugehen! Die Abstimmung muss gar nicht zwingend erfolgen. Wer den Aufwuchs des Etats des Auswärtigen Amts sieht - er besteht in diesem Jahr fast ausschließlich aus ODA-Mitteln; von dem Aufwuchs von 203 Millionen Euro sind 190 Millionen Euro ODA-Mittel -, der erkennt, dass diese Mittel für das AA elementar sind, und hat große Sorge, dass auf diese Art und Weise die Politik des AA nicht mehr so unabhängig sein kann, wie wir sie uns wünschen. ({4}) Ich will zu den Eckpunkten des Haushalts 2012 kommen. Lassen Sie mich dazu einen Bogen schlagen und auf den Etat generell eingehen. Der Etat steigt um etwa 6,5 Prozent. Dadurch entstehen neue Handlungsspielräume für das AA, die genutzt werden müssen. Wir begrüßen das uneingeschränkt. Insofern ist es schön, dass der Etat in diesem Jahr so deutlich wächst. Damit werden essenzielle Außenpolitikfelder wie zum Beispiel die Sicherung von Frieden und Stabilität wieder gestärkt. So wurden zum Beispiel die Mittel für den Titel für Krisenprävention und friedenserhaltende Maßnahmen von 90 Millionen Euro auf 120 Millionen Euro angehoben. Das entspricht einer langjährigen Forderung der Sozialdemokraten. Wir begrüßen dies ausdrücklich. Aber ich will an dieser Stelle gleich sagen, dass bei allen neuen Handlungsspielräumen in diesem Bereich durch die Kooperationsvereinbarung zwischen BMZ und AA im Titel des BMZ 15 Millionen Euro wieder abgezogen werden sollen, ohne zu wissen, welche Maßnahmen betroffen sind, die dann nicht mehr oder nur noch eingeschränkt durchgeführt werden können. Es fehlt letztlich an einem schlüssigen Konzept. Ein solches ist dringend anzumahnen. Ich bin dankbar, dass auch die Koalitionskollegen auf Initiative des Kollegen Frankenhauser einen entsprechenden Änderungsantrag in der nächsten Haushaltsausschusssitzung einbringen werden, um schnellstens das Programm für diese Vereinbarung zu erhalten, damit wir entsprechend politisch agieren können. Ich möchte nun auf die Transformationspartnerschaft mit Nordafrika und dem Nahen Osten zu sprechen kommen. Ausdrücklich begrüße ich, auch als Vorsitzender der Deutsch-Ägyptischen Parlamentariergruppe, dass für 2012 und 2013 zusätzlich 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Aber auch das sind wiederum ODA-Mittel. Wenn die Kernkompetenzen für diese Aufgaben beim BMZ liegen und nicht mehr beim AA, dann muss man sich fragen, wie diese Aktivitäten, die wichtige Projekte und Maßnahmen zur Förderung der jungen Demokratie auf den Weg bringen, zukünftig erfolgen können. ({5}) Ich gehe jedenfalls davon aus, meine Damen und Herren, dass hier dringend für Klarheit gesorgt werden muss; denn der Demokratisierungs- und Transformationsprozess braucht einen langen Atem. Er braucht im Übrigen auch längere Finanzierungszeiträume als, wie zurzeit angepeilt, zwei Jahre. Wir Sozialdemokraten stehen dafür, dass Deutschland über mehrere Jahre hinweg als verlässlicher Partner diesen Prozess unterstützt und auch in Zukunft weiter unterstützen wird und will. ({6}) Ich möchte noch den Bereich der auswärtigen Kulturund Bildungspolitik ansprechen. Auch hier kann erfreulicherweise eine Rücknahme der im Regierungsentwurf angekündigten Kürzungen bei den Schulen im Ausland festgestellt werden. Ich freue mich sehr, dass Sie endlich Einsicht gezeigt und etwas gegen die mittlerweile chronische Unterfinanzierung der Schulen im Ausland getan haben. Aber ich will an dieser Stelle auch sagen: Das darf nicht davon ablenken, dass die Finanzierung dieses Bereichs im Kern einer Täuschung unterliegt. Denn die schwarz-gelbe Koalition hat in ihrem politischen Programm vorgesehen, dass in dieser Legislaturperiode 12 Milliarden Euro für Bildung und Forschung ausgegeben werden sollen. Der Anteil daran für auswärtige Bildung und Forschung im Haushalt des AA ist aber nicht extra ausgewiesen, sondern verschwindet im Gesamtetat und dient damit als Verfügungsmasse. Wir bestehen darauf, dass die Mittel sichtbar gemacht werden und an der richtigen Stelle ankommen. ({7}) Die SPD hat - das möchte ich an dieser Stelle ansprechen - einen Pakt für Bildung und Entschuldung aufgestellt. Dieser setzt verlässliche Schwerpunkte. Er stärkt die deutschen Auslandsschulen, aber auch die Mittlerorganisationen. Durch diesen Pakt würden im nächsten Jahr 80 Millionen Euro zusätzlich fließen und bei den vielen renommierten Bildungsinstitutionen im Ausland ankommen. Wir hoffen darauf, dass wir bald wieder die politische Mehrheit haben, um solche Vorhaben in die Tat umsetzen zu können. Denn Verlässlichkeit ist ein wichtiges Zeichen unserer Außenpolitik. Dazu gehört auch die auswärtige Kulturpolitik, für die wir uneingeschränkt stehen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Einzelplan 04 - Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes - bekannt: abgegebene Stimmen 580, mit Ja haben 319 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 261. Es gab keine Enthaltung. Der Einzelplan 04 ist damit angenommen. Vizepräsidentin Petra Pau Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 580; davon ja: 319 nein: 261 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann ({0}) Manfred Behrens ({1}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer ({2}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({7}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({10}) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({11}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({12}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({13}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({14}) Anita Schäfer ({15}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({16}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({17}) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({18}) Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({19}) Lena Strothmann Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Vogel ({20}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({21}) Peter Weiß ({22}) Sabine Weiss ({23}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Elisabeth WinkelmeierBecker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Vizepräsidentin Petra Pau Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({24}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({25}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({26}) Michael Link ({27}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({28}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({29}) Hans-Joachim Otto ({30}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({31}) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({32}) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({33}) Gerd Bollmann Willi Brase ({34}) Marco Bülow Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({35}) Kerstin Griese Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({36}) Hubertus Heil ({37}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({38}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Daniela Kolbe ({39}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({40}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({41}) Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({42}) Axel Schäfer ({43}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({44}) Werner Schieder ({45}) Ulla Schmidt ({46}) Silvia Schmidt ({47}) Carsten Schneider ({48}) Swen Schulz ({49}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({50}) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Vizepräsidentin Petra Pau Kathrin Vogler Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({51}) Volker Beck ({52}) Cornelia Behm Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({53}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Uwe Kekeritz Memet Kilic Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Markus Kurth Monika Lazar Nicole Maisch Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller ({54}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Claudia Roth ({55}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler In der Debatte zum Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt hat nun der Kollege Dr. Rainer Stinner für die FDP-Fraktion das Wort. ({56})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch außenpolitisch stellt die Euro-Schuldenkrise sicherlich die größte Herausforderung dar, der wir uns gegenwärtig gegenübersehen. Wenn ein kanadischer Kollege zu mir sagt, er habe sich den Wecker gestellt, um mitzubekommen, wie der Deutsche Bundestag zur EFSF abstimmt, wenn uns chinesische Finanzpolitiker sagen, dass Deutschland der Anker ist, an dem das Weltfinanzsystem hängt, dann erkennen wir die außenpolitische Dimension dieser Debatte. Deshalb ist es ganz wichtig, dass ich für meine Fraktion eingangs feststelle: Selbstverständlich liegt die Zukunft Deutschlands nur in Europa. ({0}) Selbstverständlich kann deutsche Außenpolitik nur europäisch eingebettet denkbar sein. Selbstverständlich werden wir unsere Verantwortung für die Stabilität der europäischen Währung entsprechend wahrnehmen. Etwas anderes ist für die liberale Partei nicht denkbar. ({1}) Das sind wir vor unserer Geschichte schuldig, vor allem aber vor den Anforderungen der Zukunft, die nur europäisch denkbar ist. Das zweite wichtige Thema ist sicherlich der Umbruch in der arabischen Welt. Hier möchte ich gleich eingangs mit einem Missverständnis - um es höflich auszudrücken - aufräumen, nämlich dem Missverständnis im Rahmen der Anschuldigung, deutsche Außenpolitik sei hier isoliert. Genau das Gegenteil ist der Fall. ({2}) Von Marokko über Tunesien bis nach Libyen und Ägypten wird Deutschland als wichtiger Partner zur Problemlösung angesehen und herangezogen. Das können Sie überall in diesen Ländern erkennen. ({3}) - Aber selbstverständlich. Fahren Sie doch nach Kairo, fahren Sie nach Tunis, dann werden Sie sehen, dass man dort auf Deutschland schaut. - Nicht ohne Grund ist in Libyen gefordert worden, dass Deutschland vom ersten Tage an ein wichtiges Mitglied der Libyen-Kontaktgruppe bleibt. Daher geht der Anwurf der Opposition, wir seien hier isoliert, völlig ins Leere. ({4}) Ein weiteres Markenzeichen deutscher Außenpolitik ist die zunehmende Zahl von bilateralen Kooperationen mit China, Russland, Palästina oder Israel. Eine solch intensive Kooperation hat es vorher nie gegeben. Das ist eine neue Qualität deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Die deutsche Außenpolitik ist in den letzten zwei Jahren, bezogen auf das deutsch-polnische Verhältnis, einen großen Schritt weitergekommen. Ein Signal dafür ist das gemeinsame Vorgehen von Herrn Westerwelle und Herrn Sikorski gegenüber Russland. Ich möchte deutlich sagen, dass die Bemühungen unserer Staatsministerin Pieper zur Verbesserung des deutsch-polnischen Verhältnisses nur in den höchsten Tönen zu würdigen sind. ({5}) Auf diesem Gebiet haben wir viel erreicht. Wir können sagen, dass das deutsch-polnische Verhältnis so gut ist wie noch niemals zuvor. Das stellen wir mit Freude fest. In Bezug auf Afghanistan haben diese Bundesregierung und insbesondere dieser Außenminister ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die Londoner Konferenz im Ja16952 nuar 2010 hat erstmals - zu spät, aber immerhin - ermöglicht, dass wir in der NATO ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Strategie für das Afghanistan-Problem entwickelt haben. Der Bundesaußenminister hat zu Beginn dieses Jahres zwei Ankündigungen gemacht: zum einen, dass der Übergang der Verantwortung zur Mitte dieses Jahres beginnen sollte, und zum anderen, dass zum Ende des Jahres 2011 mit einer verantwortbaren Reduzierung der deutschen Soldaten in Afghanistan begonnen wird. Beide Versprechen werden eingehalten. Bei dem Mandat, das wir im Dezember erstmals beraten werden, ist die Obergrenze, wie Ihnen mitgeteilt worden ist, deutlich reduziert worden. Die Afghanistan-Konferenz in Bonn ist ein weiteres Zeichen dafür, welche Rolle Deutschland international bei der Problemlösung spielt. Wir können stolz darauf sein, dass die ganze Welt nach Deutschland bzw. nach Bonn kommt, um an diesem schwierigen Problem weiterzuarbeiten. ({6}) Damit befinden wir uns an einem wesentlichen Kernpunkt deutscher Außenpolitik, nämlich dem Einsatz der Bundeswehr. Wir sind dafür. Wir wissen, dass es wichtig, notwendig und verantwortungsvoll ist, deutsche Soldaten einzusetzen. Das tun wir in Afghanistan, im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina, vor Libanon und am Horn von Afrika. Aber wir alle wissen, dass endgültige Lösungen natürlich nur auf politischem Wege erreichbar sind. Es ist ein Kernpunkt deutscher Außenpolitik, dass wir diesen Ansatz weiterentwickelt haben. Nicht umsonst haben wir in dieser Legislaturperiode erstmals einen Unterausschuss „Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit“ eingerichtet. Das entspricht der Denkrichtung der Bundesregierung. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Natürlich haben wir bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union noch ein dickes Brett zu bohren; das stimmt ohne jeden Zweifel. Es ist aber auch ohne jeden Zweifel richtig - damit komme ich zu dem zurück, was ich eingangs gesagt habe -: Ohne Europa wird Deutschland in Zukunft nicht bestehen können. Wir müssen uns entscheiden, ob wir und unsere nachfolgenden Generationen in Zukunft als Einzelstaat Objekt weltpolitischer Entscheidungen sein wollen oder ob wir im Rahmen europäischer Solidarität, eines europäischen Verbundes, weiter Subjekt dieser Entscheidungen sind, ({7}) das heißt, ob wir weiter an den weltpolitischen Entscheidungen teilnehmen wollen. Wir wollen Letzteres. Das will auch die Bundesregierung. Dabei unterstützen wir sie. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, von meiner Seite recht herzlichen Dank an Sie und an die Berichterstatter für die Informationen und die fairen Verhandlungen. Ich möchte am Anfang ein Lob aussprechen: Es gibt jedes Jahr zu jedem Ministerium eine Bemerkung des Bundesrechnungshofes. Ihr Ministerium sticht durchaus positiv hervor: Wenn es Probleme gibt, werden sie schnell beseitigt. Ich muss Ihnen allerdings sagen: Das war es dann auch schon mit Lob. Denn wenn man sich die Zahlen einmal anschaut, muss man feststellen: In Ihrem Bereich herrschen einigermaßen chaotische Zustände. Ich möchte das gerne darstellen. Es gibt bei Ihnen ein Auf und Ab: Im letzten Jahr sind die Mittel des AA um 90 Millionen Euro gekürzt worden, 2012 gehen die Mittel wieder um 203 Millionen Euro nach oben, in der mittelfristigen Finanzplanung sehen wir, dass es wieder um 208 Millionen Euro nach unten gehen soll. Das zeigt sich natürlich auch bei den einzelnen Haushaltstiteln, die uns sehr wichtig sind, zum Beispiel bei den Mitteln für humanitäre Hilfe und Krisenprävention: Letztes Jahr sind die Mittel um 96 Millionen Euro gekürzt worden, jetzt steigen sie um 82 Millionen Euro an. Bezüglich der mittelfristigen Finanzplanung haben wir eine Vermutung; ich komme gleich darauf zurück. Ich möchte zunächst einmal auf eine neue Entwicklung eingehen. Am 17. Oktober hatten wir unser Berichterstattergespräch. Am 8. November hatten wir die Bereinigungssitzung. Zwei Tage später, am 10. November, bekamen wir ein Papier auf den Tisch: eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem BMZ und dem Auswärtigen Amt. Nun weiß ich nicht, was Ihr Ziel ist; vielleicht sind es die ersten Schritte zur Auflösung des BMZ, die Sie einmal angekündigt hatten. Fest steht: Sie haben in diesem Papier auch angekündigt, dass von den Mitteln für die zivile Krisenprävention wiederum 15 Millionen Euro weggenommen werden sollen. Da tauchen bei mir natürlich einige Fragen auf. Die erste Frage ist: Warum führen wir dann überhaupt noch Berichterstattergespräche? Die zweite Frage ist: Welche Projekte sollen denn überhaupt zum BMZ überführt werden? Wir hatten seinerzeit eigentlich einen Aufwuchs der Mittel im Haushalt für diesen Bereich geplant. Da stellt sich für mich die dritte Frage: War das eigentlich eine Irreführung von uns Haushältern? Die Kürzung der Mittel für die Projekte, die zum BMZ überführt werden sollen, war nämlich schon eingeplant. Es sieht aber nicht nur im Haushalt so aus, sondern auch bei einigen Programmen. Ich möchte hier beispielhaft das Aussteigerprogramm für die Taliban nennen. Vor knapp zwei Jahren, letztes Jahr im Januar, wurde hier groß angekündigt: Es gibt einen Kurswechsel; wir haben sozusagen ein Wundermittel für Afghanistan gefunden; 50 Millionen Euro sollen für das sogenannte Taliban-Aussteigerprogramm bereitgestellt werden. - Jetzt, nach zwei Jahren, ist es so: Wir haben nicht wirklich genaue Erkenntnisse darüber, welche Ergebnisse vorliegen. Wir können so viel sagen: Es gibt ungefähr 30 000 Aufständische. Von denen sind angeblich 2 000 integrationswillig. Das Ergebnis ist jetzt, dass in den knapp zwei Jahren 170 ehemalige Aufständische in Lohn und Brot gebracht worden sind, im Übrigen im Bereich der Minenräumung. Selbst der ehemalige Innenminister von Afghanistan hat kürzlich der Welt erklärt, er sehe den Friedensprozess als gescheitert an. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linke schlägt vor, etwas mehr Ordnung in diesen Bereich hineinzubringen. Ich möchte Ihnen vorschlagen: Schließen Sie doch bitte demnächst eine Kooperationsvereinbarung mit dem Verteidigungsministerium ab. Dabei geht es um Folgendes: Wir schlagen vor - dazu liegen auch Anträge der Linken vor -, dass der Haushalt des Auswärtigen Ausschusses ein klar ziviler Haushalt ist. Alles Militärische hat aus diesem Haushalt zu verschwinden. ({0}) Damit meinen wir die über 47 Millionen Euro, die für den NATO-Zivilhaushalt oder die Erweiterung des NATO-Hauptquartiers vorgesehen sind. Außerdem schlage ich vor, noch einmal in Betracht zu ziehen - darüber haben wir schon vor zwei Jahren gesprochen -, die Rückerstattungen der UN in Bezug auf Militärauslandseinsätze, die im Verteidigungsetat landen, an das Auswärtige Amt zurückzubuchen; denn die Beiträge an die UN werden ebenfalls aus dem Etat des Auswärtigen Amts gezahlt. Wir schlagen außerdem vor, dass Sie die Kürzungen beim Titel „Maßnahmen der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitungszusammenarbeit“ zurücknehmen. Das ist eine Sache, die uns extrem wichtig ist. Seit Ihrem Amtsantritt wurde dieser Titel von 64 Millionen Euro auf 40 Millionen Euro heruntergefahren. Wenn wir die derzeitige Situation betrachten, können wir Folgendes feststellen: In Libyen tauchen G-36-Gewehre aus deutscher Produktion auf, die eigentlich für Ägypten bestimmt waren. Der Spiegel meldete am 13. November: Maschinenpistolen von Heckler & Koch aus deutscher Produktion wurden in Indien an Polizeieinheiten ausgegeben, die in Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind. - Es werden Leopard-Panzer deutscher Produktion nach Saudi-Arabien geliefert. Mittlerweile ist es so, dass die ehemalige Kanzlermaschine im Iran herumfliegt, wahrscheinlich mit Ahmadinedschad. Wenn ich diese Entwicklung betrachte, dann muss ich sagen: Wir brauchen diese Gelder in Zukunft für Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung und Abrüstung. ({1}) Wenn Sie diesen Vorschlägen der Linken folgen könnten, dann könnten wir eventuell diesem Haushalt zustimmen. Ich vermute allerdings, Sie werden auf Ihren Pfaden weiterwandeln. Deshalb kann ich Ihnen nur sagen: Wir müssen den Haushalt ablehnen. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die Unionsfraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor einem Jahr waren alle Augen auf die Geschichte und den Wandel in Europa gerichtet. Wir feierten das Jubiläum des Einigungsvertrages, den Zweiplus-Vier-Vertrag und letztendlich unsere deutsche Einheit. Der Europäische Auswärtige Dienst war gerade frisch geschaffen und das neue Strategische Konzept der NATO verabschiedet worden. Deutschland war mit sehr großer Unterstützung in den Weltsicherheitsrat gewählt worden. Es hatte zu einer sehr erfolgreichen Konfliktdiplomatie und dank unseres Bundesaußenministers zu einer Entspannung der Lage zwischen Serbien und dem Kosovo beigetragen. Unmittelbar zu der Zeit, als wir über den Haushalt diskutiert haben, ereignete sich südlich Europas etwas, womit wir alle nicht gerechnet hatten. Im Dezember 2010, beginnend mit der Selbstverbrennung eines jungen Mannes, entstand im Nahen und Mittleren Osten Unruhe. Daraus erwuchs der arabische Frühling, mit dem wir so nicht gerechnet hatten. Das stellt die Außenpolitik Deutschlands vor eine besonders große Herausforderung. Schon früh haben gerade die Koalitionsfraktionen und auch die Bundesregierung - an der Spitze unser Außenminister - deutliche Initiativen ergriffen. Sie sind in Tunesien, in Ägypten und, wie wir aktuell sehen, in Syrien tätig geworden, wo wir an führender Stelle versuchen, dem Unrecht entgegenzutreten und deutlich zu machen, wo unsere wertebezogene Außenpolitik in diesem Zusammenhang steht. Das ist nicht einfach; denn die Erwartungshaltung, die wir gerade in Bezug auf den arabischen Frühling hatten, ist an vielen Stellen schon jetzt - das kann man zumindest als Zwischenbilanz hier so sagen - enttäuscht worden. Es gab viele naive Haltungen. Manche Fehleinschätzung gibt es nach wie vor. Wir freuen uns über Demokratisierungsprozesse, machen uns aber gleichzeitig über Radikalisierungstendenzen große Sorgen. Trotzdem darf man nicht alles über einen Kamm scheren. Die Menschen in Tunesien beispielsweise haben bewusst eine Entscheidung für alNahda getroffen. Deshalb lohnt es sich auch, genau hinzuschauen, mit welchen handelnden Personen man es dort zu tun hat. Da gibt es Moderate, da gibt es zum Teil Extremisten. Deshalb ist gerade der persönliche Einsatz all derjenigen, die sich in der Region besonders engagieren, notwendig. Es ist wichtig, sich dort einzubringen, um die jungen und sich herausbildenden Demokratien aufzubauen und dafür zu sorgen, dass das, was wir an demokratischen Werten vertreten, dort Einzug hält. Das funktioniert nur, wenn man behilflich ist, eine funktionierende Parteiendemokratie und damit eine parlamentarische Demokratie aufzubauen. Diesen Beitrag leistet das Auswärtige Amt in hervorragender Art und Weise. ({0}) Wenn wir in die Region insgesamt blicken, stellen wir fest: Wir machen uns an vielen Stellen große Sorgen. Die Schwierigkeiten unseres tagtäglichen Handelns liegen darin, dass es eben nicht Schwarz und Weiß gibt. Saudi-Arabien ist vorhin schon angesprochen worden. Ich glaube, keiner von uns hat ein gutes Gefühl dabei, wenn man sich in diesen Regionen bewegt, weil keiner sagen kann: Man weiß immer alles zu 100 Prozent, und man hat immer mit all dem recht, was man sagt. Trotzdem sind außenpolitische Entscheidungen häufig nicht nur emotionale Entscheidungen, sondern in erster Linie natürlich auch interessengeleitete Entscheidungen. Gerade dann, wenn man nicht von einer SchwarzWeiß-Einteilung sprechen kann, muss man gewisse Grauzonen benennen und auch in Kauf nehmen. So befindet sich diese Bundesregierung mit unserer parlamentarischen Unterstützung auf dem Weg zahlreicher Vorgängerregierungen, die sich im Übrigen auch mit den Realitäten arrangieren mussten; denn gerade im Nahen Osten ist tatsächlich nicht alles so, wie wir es uns wünschen würden. Im Hinblick auf den Irak wünschen wir uns, dass nach dem Abzug der Amerikaner, der unmittelbar bevorsteht, mehr Frieden und mehr Freiheit Einzug halten. Das gilt allerdings nur für einen Teil des Irak. Es gibt eine kleine, engagierte Region, nämlich Nordirak bzw. Kurdistan, die dafür sorgt, dass das, was wir voranbringen wollen, beispielsweise die Religionsfreiheit, eine Chance bekommt. Das gilt für den größeren Teil des Irak leider nicht. Unser Engagement, das sich vor allem auf die Länder des arabischen Frühlings konzentriert, gilt der gesamten Region. Wir hoffen natürlich, dass der Irak kein zweiter Libanon wird. Wir müssen mit den Möglichkeiten, die wir haben, umgehen. Das Auswärtige Amt und die Entwicklungshilfe machen dies. Die sehr erfolgreiche Reise von Bundesminister Niebel zu Beginn dieses Jahres zeigt, dass wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und in die Region zu gehen. Mit einem wirtschaftlichen Austausch können wir teilweise mehr bewirken als mit Worten, die wir hier zu diesem Thema finden. ({1}) Eine der maßgeblichen Leitlinien unserer Nahostpolitik - deshalb freue ich mich auch, dass sich die Bundesregierung in den vergangenen Wochen so engagiert eingesetzt hat - ist und bleibt, den Nahost-Friedensprozess voranzubringen. Da die Erwartungshaltung insbesondere in Israel wesentlich höher geworden ist, als das noch vor einigen Jahren der Fall war - damals haben israelische Politiker vor allem auf Amerika gesetzt -, wird uns allen eine besondere Verantwortung zuteil. Dieser müssen wir gerecht werden. Deswegen wiederhole ich hier, was unsere Bundeskanzlerin 2008 in ihrer historischen Rede in der Knesset gesagt hat: Für uns steht unumstößlich fest, dass die Sicherheit Israels ein Teil der deutschen Staatsräson ist. - Danach richtet sich ein Großteil unserer Außenpolitik in dieser Region und darüber hinaus. ({2}) Das bedeutet, dass es für uns zu keinem Zeitpunkt akzeptabel ist, dass sich das Mächtegewicht weiter verschiebt. ({3}) Es ist auch nicht akzeptabel, dass es ein Land wie der Iran unter dem Deckmantel eines zivilen Programms wagt - wie wir heute durch die Berichte der Internationalen Atomenergie-Organisation wissen -, eine hegemoniale Stellung einzunehmen, und zwar mit der strategischen Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen. Wir sagen ganz klar Nein zu einer atomaren Aufrüstung dieser Region. Es sollten alle diplomatischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Dazu gehören auch weiter gehende Sanktionen, um den Iran von diesem Weg abzubringen. ({4}) Hier ist Deutschland besonders gefragt, und zwar nicht in erster Linie als Vermittler, sondern als ein Land, das vorangeht und deutlich macht - trotz zahlreicher guter Erfahrungen im bilateralen Handel mit dem Iran; er hat über Jahre stattgefunden -, dass hier politisch schon längst eine rote Linie überschritten worden ist. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass der amerikanische Präsident, der französische Präsident und der britische Premierminister härtere Sanktionen auf den Weg bringen wollen, um deutlich zu machen, dass der Iran uns schon viel zu lange an der Nase herumführt. Ich glaube, die Bundesregierung ist auf dem richtigen Weg, wenn sie diese Bemühungen unserer Verbündeten unterstützt. ({5}) Wir blicken voller Sorge in einige Regionen. Bleiben wir einen kurzen Moment bei den Veränderungen im Nahen Osten und den Umwandlungsprozessen in der arabischen Welt. Wir wollen, dass die universellen Menschenrechte wie Freiheit für alle Menschen gelten. Die Frauenrechte kommen teilweise zu kurz. Diesbezüglich waren die Hoffnungen weitaus größer. Die Realisierung dieser Rechte in dieser Region bleibt hinter den Hoffnungen zurück. Ferner möchte ich ansprechen, dass gerade die Fraktion der Christdemokraten und der Christsozialen voller Solidarität und voller Mitgefühl an der Seite der verfolgten Christen in dieser Region steht. Mit großer Sorge blicken wir - vor allem unser Fraktionsvorsitzender engagiert sich in dieser Frage sehr stark - auf die Situation der Christen in der Region, sei es im Irak, sei es in Ägypten. Wir beobachten die Situation der christlichen Minderheit dort mit großer Sorge. Zu Demokratie und Freiheit gehört für uns eben auch Religionsfreiheit. Das will ich hier deutlich zum Ausdruck bringen. ({6}) Unsere Außenpolitik ist in erster Linie wertegebunden. Natürlich steht sie immer in einem Spannungsverhältnis zu einer interessengeleiteten Außenpolitik, gerade im Falle einer wichtigen Exportnation, die Deutschland nun einmal ist. ({7}) - Zu den Panzern sage ich gerne noch etwas. Wir haben hier ja schon mehrmals darüber diskutiert. Sie persönlich tragen für frühere Entscheidungen zwar nicht die Verantwortung, aber ich weise Sie trotzdem noch einmal darauf hin, dass sich auch andere Regierungen in einem schwierigen Spannungsverhältnis befanden und schwierige Abwägungsentscheidungen zu treffen hatten. Ich denke, dass die strategischen Argumente, die wir hier mehrmals angeführt haben, am Ende überwiegen. Natürlich bewegt man sich in einer Grauzone, wenngleich klar ist, dass das Verfahren genauso transparent, genauso demokratisch und genauso abgewogen durchgeführt wurde wie bei allen anderen schwierigen Waffenexporten der Vergangenheit. Der Unterschied ist nur, dass wir weniger Waffen exportieren, als die Herren und die Damen von der Grünen-Fraktion es früher getan haben. Zum Abschluss möchte ich an ein vergessenes Thema erinnern, an Weißrussland. Wir engagieren uns - das ist ganz klar - auch für die in weißrussischen Gefängnissen verbliebenen Gefangenen, die vom letzten Diktator in Europa unterdrückt werden. ({8}) Diesbezüglich sollten wir als Deutscher Bundestag weitaus mehr tun und uns viel stärker engagieren. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren hat diese schwarz-gelbe Koalition im Bereich des Haushalts des Auswärtigen Amtes gerade bei der Menschlichkeit gekürzt, ({0}) nämlich in der Titelgruppe 07, bei Krisenprävention, Friedenserhaltung und humanitärer Hilfe. Wenn ich jetzt in den Haushaltsentwurf schaue, stelle ich fest, dass unser Druck und unsere Anträge Wirkung gezeigt haben: Sie nehmen einen Teil dieser brutalen Kürzungen wieder zurück. Das ist auch gut. Was ich aber nicht verstehe, ist Folgendes: Herr Minister Westerwelle, Sie sagen immer, dass Abrüstung einer Ihrer Schwerpunkte sein soll, weil Sie sie besonders wichtig finden. Warum haben Sie dann nicht die Kürzung im Bereich der Abrüstung korrigiert? Warum fristet die Abrüstung immer noch ein Nischendasein im Haushalt? Warum wird in diesem Haushalt kein Schwerpunkt beim Thema Abrüstung gesetzt? ({1}) Aber auch bei den Ansätzen in den Bereichen zivile Krisenprävention und humanitäre Hilfe bleiben Sie hinter den Notwendigkeiten zurück. Das ist eine zaghafte Fehlerkorrektur. Was wir brauchen, ist ein langfristiges Konzept zur Absicherung von humanitärer Hilfe und Krisenprävention. Wir haben dafür einen Finanzierungsvorschlag unterbreitet: Wir wollen die Ticketabgabe im Flugverkehr erhöhen und damit eine langfristige Finanzierung erreichen. Die Koalition hat das abgelehnt. Weiterhin brauchen wir eine nachhaltige Finanzierung. Gerade im Bereich der Krisenprävention wirkte sich dieses Hin und Her, dieses Auf und Ab, diese Kürzung fatal aus. Dadurch wurde massiv Vertrauen zerstört, in der Szene, aber auch international. ({2}) Wenn wir den Blick nach Nordafrika und den Nahen Osten werfen, so wissen wir, dass Außenpolitik nachhaltig sein muss. Die Menschen aus verschiedenen arabischen Ländern sind für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit auf die Straße gegangen. Diese verdienen unseren Respekt, unsere Solidarität, aber auch unsere finanzielle Unterstützung. Denn wir wissen, dass das Ende einer Diktatur oder Gewaltherrschaft nicht bedeutet, dass es sofort Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gibt. Deswegen ist es wichtig, dass Transformationsgelder in diesem Haushalt bereitgestellt werden. Das große Problem ist nur - daran zeigt sich die mangelnde Nachhaltigkeit Ihrer Politik -: Es ist nicht richtig finanziert. Die ODAMittel sind nicht in die Finanzplanung eingestellt. Weil demokratischer Aufbau Zeit braucht, müssen Sie sich dafür einsetzen, Herr Westerwelle, dass die Gelder langfristig und nachhaltig finanziert werden. ({3}) Überhaupt nicht nachhaltig und verlässlich für die Demokratisierung der arabischen Welt ist, wenn Sie als Regierung Diktaturen, in denen Menschenrechte und Demokratie mit Füßen getreten werden, und Gewaltherrscher unterstützen. Einerseits Reden für mehr Demokratie halten, andererseits 200 Kampfpanzer nach SaudiArabien liefern wollen, das ist keine Grauzone, Herr Mißfelder, sondern eine schizophrene und zynische Außenpolitik. ({4}) Ins Bild passt auch, dass Ihre Haushälter, Herr Westerwelle, alle Gelder für die UNESCO in der Bereinigungssitzung sperren wollten. Die Arbeit der UNESCO in vielen Krisenregionen der Welt hätte Schaden genommen. Aber dies hätte auch dem Multilateralismus insgesamt schweren Schaden zugefügt. Deswegen war es sehr gut, dass auf massiven Druck von uns diese Sperrung verhindert wurde. ({5}) Diese peinliche Geschichte zeigt wieder einmal erschreckenderweise, wie inkompetent und unzuverlässig die schwarz-gelbe Außenpolitik ist. Zur Kompetenz der Außenpolitik. Mit dem Staatsminister Hoyer verlässt jetzt ein erfahrener Außenpolitiker diese Regierung. Man muss sich fragen: Welches Gewicht hat die deutsche Außenpolitik bald in der Welt? Dazu muss man sich einmal vergegenwärtigen, wer die neue Spitze des Auswärtigen Amtes ist: Herr Westerwelle, Frau Pieper, Frau Homburger. Daran kann man klar sehen, welche Rolle Deutschland zukünftig außenpolitisch in der Welt spielen wird. Wir haben gerade in der Debatte zum Bundeskanzleramt gehört, welche Relevanz die Energiewende für unsere Gesellschaft hat. Das ist eine ganz wichtige Frage. Nach dem nuklearen Super-GAU in Fukushima sind hunderttausend Menschen hier auf die Straße gegangen, haben den Atomausstieg erzwungen und dafür gesorgt, dass alte Schrottreaktoren abgeschaltet wurden und die Laufzeitverlängerung zurückgenommen wurde. Doch was macht diese Regierung international? Diese Regierung will international weiter neue Atomkraftwerke bauen. Der interministerielle Ausschuss, in dem Sie Mitglied sind, Herr Westerwelle, hat erst im September die Grundsatzzusage für die Hermesbürgschaft für das AKW Angra 3 verlängert, obwohl wir längst wissen, dass es für Angra 3 kein Sicherheitskonzept, kein Evakuierungskonzept gibt, es in einem erdbeben- und erdrutschgefährdeten Gebiet errichtet werden soll, es keine unabhängige Atomaufsicht in Brasilien gibt und inzwischen die Menschen in Brasilien in Umfragen nach Fukushima gegen den Bau von Angra 3 sind. Deswegen fordere ich Sie auf, Herr Westerwelle: Sorgen Sie im interministeriellen Ausschuss dafür, dass die Hermesbürgschaft nicht gegeben wird. Ihre Außenpolitik ist schon schizophren und unzuverlässig genug. Machen Sie das nicht noch schlimmer, sondern sorgen Sie dafür, dass dieser Hochrisikomeiler Angra 3 endgültig beerdigt wird. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Djir-Sarai das Wort. ({0})

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir eine Debatte über den Haushalt des Auswärtigen Amts führen, so ist klar, dass diese Debatte mehr sein muss als das einfache Vortragen des reinen Zahlenwerkes. Daher ist es wichtig, dass wir bei einer solchen Debatte auch die wichtigsten außenpolitischen Ereignisse des Jahres betrachten und daraus Schlussfolgerungen für die deutsche Außenpolitik ziehen. Das für mich nach wie vor unglaublichste außenpolitische Ereignis des Jahres bis zu diesem Zeitpunkt ist der Aufstand in der arabischen Welt. Dieses Ereignis und die damit verbundene politische Entwicklung wird nicht nur Nordafrika, nicht nur die arabischen Länder, sondern die gesamte Welt nachhaltig beeinflussen. Der Aufstand in der arabischen Welt ist daher eine Herausforderung für die deutsche und die europäische Außenpolitik. Auf diese Herausforderung muss eine kluge europäische Außenpolitik vorbereitet sein. Ich bin dankbar, dass die deutsche Außenpolitik auf diese Herausforderung vorbereitet ist. Ich bin auch dankbar, dass die deutsche Entwicklungspolitik auf diese Herausforderung bestens vorbereitet ist. ({0}) Ich bin dankbar und sehr zufrieden, dass für 2012 zusätzlich Mittel für Maßnahmen der Demokratieförderung in diesen Regionen bereitgestellt wurden. Es werden neue Mittel in Höhe von 50 Millionen Euro für die Transformationsländer zur Verfügung gestellt. Dabei werden wichtige Projekte, angefangen bei guter Regierungsführung, Institutionenberatung und Korruptionsbekämpfung bis hin zu Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung, unterstützt. Das ist sehr gut und auch notwendig. Genauso notwendig ist es nach wie vor, sich intensiv und aufmerksam mit Afghanistan zu beschäftigen. Auch zehn Jahre nach Einsatzbeginn ist die zukünftige Entwicklung dieses Landes trotz der vielfältigen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft schwer vorherzusehen. Afghanistan ist und bleibt ein schwieriges Thema. Besonders der Abzug der deutschen Truppen, der bald ansteht, wird das Land vor eine große Herausforderung stellen. Auch hier bin ich sehr dankbar, dass das finanzielle Engagement für Afghanistan in 2012 auf dem bisherigen hohen Niveau fortgesetzt wird. Wir wollen und können nicht ewig in Afghanistan bleiben. Wir wollen und können Afghanistan aber weiterhin zur Seite stehen. ({1}) Vor diesem Hintergrund sind der gewählte Ansatz und die damit verbundenen Projekte der Bundesregierung völlig richtig. Wir sind nicht nur Gastgeber einer KonfeDr. Bijan Djir-Sarai renz, sondern wir haben eine Führungsrolle bei der Gestaltung der Zukunft Afghanistans. Deutschland wird den politischen Prozess der Aussöhnung und Reintegration nicht nur begleiten, sondern auch unterstützen. Unterstützenswert finde ich es aber auch - ich komme zu einem anderen Bereich -, dass bei den Mitteln für auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nicht gespart wird. Im Haushalt 2012 werden wir den größten Posten für auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in der Geschichte des Auswärtigen Amtes haben. ({2}) Das ist - Kollege Brandner, das haben Sie gerade bestätigt - eine wesentliche Säule der deutschen Außenpolitik. Das Auswärtige Amt hält an der Maxime fest: keine Mittelkürzungen bei Bildung und Forschung. Dabei konnten die Ansätze für Stipendien, Wissenschaftsbeziehungen und die deutsche Sprache auf dem hohen Niveau der Vorjahre gehalten werden. Das ist, wie ich finde, ein richtiger Ansatz. ({3}) Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung zum Haushalt machen. Das Auswärtige Amt trägt, wie auch die anderen Ressorts, zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes bei. Das Auswärtige Amt nimmt seine originären Aufgaben erfolgreich wahr und trägt gleichzeitig solidarisch zur Erreichung der Kriterien der Schuldenbremse bei. Das ist gut und muss bei solchen Debatten ebenfalls lobend erwähnt werden. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Edelgard Bulmahn für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In einer Haushaltsdebatte geht es in erster Linie um Zahlen - scheinbar. In Wirklichkeit geht es um politische Zielsetzungen, es geht um politische Strategien - in diesem Fall um außenpolitische Strategien -, und es geht um Schwerpunktsetzungen. Deshalb freue ich mich, Herr Bundesminister, dass Sie jetzt doch in dieser Debatte reden werden, obwohl dies ursprünglich offensichtlich nicht geplant war. Als Parlament erwarten wir, dass Sie Ihre politischen Zielsetzungen und Strategien darlegen. Das ist das gute Recht des Parlaments. ({0}) Wenn ich auf die Zahlen schaue, kann ich sagen, dass sie auf den ersten Blick erfreulich sind. Das Budget des Auswärtigen Amtes wächst um 6 Prozent. Gerade im Bereich der zivilen Krisenprävention und der auswärtigen Kulturpolitik gibt es Aufwüchse; das haben meine Kollegen bereits gesagt. Man könnte meinen, alles sei gut. Ich würde mich freuen, wenn es so wäre. Das ist aber leider nicht der Fall. Das zeigt ein Blick auf die mittelfristige Finanzplanung. Die Steigerungen sind von nur sehr kurzer Dauer. Bereits für das Jahr 2013, also das übernächste Jahr, sind Kürzungen um 5 Prozent geplant. Ich will auch an die Tatsache erinnern, dass es in diesem Jahr, im Jahr 2011, besonders große und, offen gesagt, auch sehr fatale Kürzungen gerade im Bereich der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung gab. Dort fehlten im Vergleich zum Jahre 2010 mehr als 80 Millionen Euro. Wenn ich das zusammenfasse, dann muss ich leider sagen, dass die Zahlen des Haushalts zeigen, dass es nicht mehr als ein kurzes Aufflackern ist, wenn Sie nicht langfristig und dauerhaft die Mittel für die zivile Krisenprävention und humanitäre Aufgaben aufstocken. Erst dann, meine sehr geehrten Herren und Damen, wird es wirklich zu einer überzeugenden Strategie. ({1}) Ein kurzfristiges Auf und Ab hilft leider niemandem. Deshalb sage ich ausdrücklich: Notwendig ist eine langfristige Aufstockung dieser Haushaltstitel. Was die jetzige Regierungskoalition betrieben hat, ist eine Schadensbegrenzung. Die Nichtregierungsorganisationen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und, wie ich denke, nicht zuletzt auch die Opposition sind gegen die Haushaltskürzungen in diesem Jahr Sturm gelaufen. Die Proteste sind scheinbar auch bei der Bundesregierung angekommen. Das ist gut. Aber: Bitte nicht nur für ein Jahr, sondern auf Dauer! ({2}) Ich finde, Sie müssten hier Mut haben und gerade in den Bereichen der zivilen Krisenprävention und der humanitären Hilfe die Akzente richtig setzen und die Haushaltsmittel auf Dauer, auch in der mittelfristigen Finanzplanung, aufstocken. Ich will als weiteren Punkt ausdrücklich den arabischen Frühling nennen, weil der arabische Frühling, die Umbrüche in Nordafrika und die Rufe nach Demokratie und Menschenrechten im Nahen Osten für uns alle - über alle Fraktionen hinweg - ein ganz wichtiges und auch ein ermutigendes Signal darstellen. Ich will aber auch sagen, dass die Nachrichten, die uns aus Syrien oder aktuell aus Kairo erreichen, deutlich machen, dass der Wunsch nach Demokratie und politischer Selbstbestimmung in diesen Ländern auf massiven Widerstand stößt. Menschen werden verfolgt und getötet. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Demokratiebewegung, diejenigen, die wirklich für mehr Selbstbestimmung und Demokratie eintreten, eine starke Unterstützung aus der Bundesrepublik Deutschland erhalten ({3}) und dass sie diese Unterstützung - wiederum - nicht nur kurzfristig erhalten. Ein solcher Transformationsprozess ist nicht in zwei Jahren abgeschlossen; er dauert länger. Deshalb muss auch hier die Hilfe langfristig geleistet werden, und sie muss schwerpunktmäßig gegeben werden; denn sonst hat Außenpolitik keinen Erfolg. Eine außenpolitische Strategie hat nur dann Erfolg, wenn sie langfristig verfolgt wird, wenn auch die langen Linien stimmen und wenn die Schwerpunkte richtig gesetzt sind. ({4}) Nur dann können wir - und das müssen wir auch - unsere Beiträge leisten: zum wirtschaftlichen Aufbau, zum Aufbau demokratischer Strukturen, zum Aufbau von Justiz, Polizei und Verwaltung in diesen Ländern, um nur einige Beispiele zu nennen. Dazu braucht es zweifelsohne eine finanzielle Grundlage, aber eben auch den politischen Gestaltungswillen und eine politische Konzeption. Das, meine sehr geehrten Herren und Damen, gilt im Übrigen auch für Afghanistan. Es reicht eben nicht, nur finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Notwendig ist auch das politische Konzept. Da stelle ich schon die Frage - auch an Sie, Herr Bundesminister -: Wo ist das politische Konzept für die Afghanistan-Konferenz, die schon in zwei Wochen in Bonn stattfinden wird? ({5}) Wir haben im Auswärtigen Ausschuss noch nicht ein einziges Wort dazu gehört. Wir haben auch im Bundestag dazu noch keine Aussagen gehört. Wenn man zwei Wochen vorher nicht weiß, wohin man will, dann habe ich große Sorge, ob diese Konferenz zu dem Erfolg führen wird, den wir alle wollen. Wir alle wollen einen Erfolg dieser Konferenz, weil wir wissen, dass dies für die Entwicklung in Afghanistan von immenser Bedeutung ist. Aber dazu gehört auch, dass der Bundesaußenminister und die Regierung wissen, was sie erreichen wollen, und durch Verhandlungen den Weg dazu bereiten, sodass sie dann auch praktisch prüfen können: Haben wir eigentlich das erreicht, was wir uns vorgenommen haben? Bisher müssen wir hier ein großes Fragezeichen setzen; denn wir zumindest wissen davon nichts. Es kann ja sein, dass Sie das mit Ihren Mitarbeitern erörtert haben. Aber ich denke, zum politischen Prozess gehört auch, dass man Verbündete und Mitstreiterinnen und Mitstreiter hat. Nur dann kann man einen politischen Erfolg erzielen. ({6}) Sie, Herr Westerwelle, haben immer - ich finde: zu Recht - darauf hingewiesen, dass man mit militärischen Mitteln keine Konflikte lösen kann, sondern dass man dafür Politik und zivile Mittel braucht. Wir, die SPD-Fraktion, haben schon vor etwa einem Jahr Vorschläge für die Weiterentwicklung einer an zivilen Mitteln orientierten Außenpolitik gemacht und dargestellt, wie hier unseres Erachtens Fortschritte erzielt werden können. Es ist schade, dass es bisher keine Stellungnahme und auch keine Positionierung der Regierungsfraktionen dazu gibt. Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen, dass dies geleistet wird, weil wir sonst nicht vorankommen. Ich glaube, es ist gut, wenn man gerade bei diesen Fragen miteinander um die richtigen Wege, um die richtigen Instrumente und auch um die richtigen Lösungen streitet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Bulmahn, Sie können gerne weiterreden, aber das geschieht dann auf Kosten Ihrer Fraktionskollegen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich will dann wie folgt schließen: Es muss darum gehen, die außenpolitische Strategie und die Konzeption nicht nur für die Afghanistan-Politik, sondern insgesamt für die nächsten zwei Jahre darzulegen, anstatt zum Beispiel über fachliche Kompetenzen und ein Hin- und Hergeschiebe zwischen den beiden Häusern BMZ und Auswärtiges Amt zu streiten. Ich habe die Hoffnung, dass das in dieser Debatte vielleicht noch gelingen wird. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach für die Unionsfraktion. ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Bulmahn, Sie irren. Die Bundesregierung macht eine kontinuierlich menschenrechtskonforme Politik - auch hinsichtlich der Krisenprävention. ({0}) Diese Bundesregierung hat noch keinen Präsidenten zum lupenreinen Demokraten erklärt, der ein solcher niemals gewesen ist. Das muss ich auch einmal deutlich hinzufügen. ({1}) Außenpolitik ist auch Menschenrechtspolitik. Das ist heute in allen Redebeiträgen zu erkennen gewesen. Die Herausforderungen, denen sich Deutschland im Bereich der Menschenrechte gegenübersieht, sind in den letzten Jahren nicht kleiner geworden. Im Gegenteil: In vielen Bereichen prallen religiöse, ethnische oder ideologische Vorstellungen nach wie vor sehr aggressiv aufeinander, und es gibt im Bereich der Menschenrechte leider auch, wie am Beispiel von Russland zu erkennen ist, dramatiErika Steinbach sche Rückentwicklungen - dort, wo man es nicht vermuten sollte und wo man sich anderes erhofft hätte. Die Einhaltung von Menschenrechten ist ethisches Fundament für die demokratische, für die kulturelle und sogar auch für die wirtschaftliche Entwicklung eines jeden Landes. Dafür engagieren wir uns hier im Deutschen Bundestag, und dafür engagiert sich die deutsche Außenpolitik dieser Regierung kontinuierlich - von Anbeginn an. Wir leben in sehr turbulenten Zeiten. Der gesamte Nahe Osten ist im Umbruch. Die Hoffnungen der Menschen, die dort leben, sind gewachsen. Durch die tunesische Revolution wurde der arabische Stein ins Rollen gebracht. Volksbewegungen in Ägypten, Libyen und Bahrain folgten und gaben den Anstoß für den politischen Wandel in diesen Ländern, allerdings - auch das ist heute in den Beiträgen schon deutlich geworden - mit noch offenem Ausgang. Bei aller Euphorie ist auch Skepsis durchaus angebracht: So hat der Übergangsrat in Libyen nach dem Tode Gaddafis angekündigt, die zukünftige Verfassung an der Scharia ausrichten zu wollen. Was das bedeutet, weiß jeder, der sich damit beschäftigt. In Tunesien wurde im vergangenen Monat gewählt, und die islamistische Ennahdha-Partei ist jetzt mit großem Vorsprung stärkste Kraft im Parlament geworden. Die Ennahdha-Partei spricht von Freiheit und Demokratie. Wir hoffen sehr, dass dies auch umgesetzt wird. Gleichzeitig fordert sie aber die Einhaltung einer strengen religiösen Linie, und es gibt vor diesem Hintergrund Übergriffe von Salafisten auf Kinos und Fernsehstationen, die Filme von Regisseurinnen ins Programm aufgenommen haben. Die Möglichkeiten der Frauen sind also deutlich eingeschränkt. Welche Rechte werden die Frauen und die anderen Menschen, die nach ihren Überzeugungen in diesem Land leben wollen, dort denn zukünftig haben? All das ist völlig offen. In Ägypten werden in der kommenden Woche die ersten freien Parlamentswahlen seit sehr, sehr langer Zeit beginnen. Das ist hocherfreulich, aber auch in Ägypten - das können wir nun Abend für Abend, Tag für Tag beobachten - wollen islamistische Kräfte, die sich derzeit im Hintergrund halten, die Wahlen gewinnen, und sie machen mobil. Überschattet werden die Vorbereitungen der Wahlen zudem durch Unruhen und Repressionen durch das Militär, durch den Geheimdienst und durch die Polizei. Anfang November titelte Zeit Online wörtlich: „Für Kopten gibt es keinen Arabischen Frühling“. Weiter schrieb sie: Die Christen sind die Verlierer der Revolution: Sie werden verfolgt und getötet. Es gab am 9. Oktober ein Massaker in Kairo. Im Anschluss an diese grausame Tat wurde - das ist gut - das neue Antidiskriminierungsgesetz auf den Weg gebracht, mit dem Benachteiligungen aufgrund religiöser Zugehörigkeiten unter Strafe gestellt werden. Das ist ein wichtiges Zeichen, wie ich meine. Viele Ägypter hoffen nun auf Freiheit und Menschenrechte nach den Wahlen. Ich glaube, wir alle hier im Hause hoffen mit ihnen, dass sich diese Sehnsüchte in Ägypten am Ende erfüllen werden. Mit großer Sorge sehen wir die Entwicklung in Syrien. Aber die Menschen haben trotz des brutalen Vorgehens des Assad-Regimes die Angst vor den syrischen Geheimdiensten überwunden und gehen Tag für Tag auf die Straße und versuchen, sich ihre Freiheit zu erkämpfen. Das ist für ein Volk, das über Jahre hinweg nur ein Leben im Ausnahmezustand kannte, das sich jetzt wehrt, das inzwischen 3 500 Tote und mehr als 10 000 Verhaftete, Gefolterte und Gequälte zu beklagen hat, sehr bewundernswert. Auch dieser Freiheitsbewegung wünschen wir viel Erfolg und danach einen verantwortungsvollen Umgang mit ihrer Freiheit. ({2}) Aber die Instabilität der gesamten Region wird auch von der transnational organisierten Kriminalität genutzt. Überall, wo es die Möglichkeiten dazu gibt, kann man das beobachten. Erst in den vergangenen Tagen erreichten uns Meldungen von Organentnahmen an Flüchtlingen auf der Sinaihalbinsel in einem ganz erschreckenden Ausmaß. Medienberichten zufolge sind Tausende davon betroffen. In diesem Zusammenhang kann man nicht nur von korrupten Ärzten oder Medizinern sprechen. Dahinter steckt organisierte Kriminalität. Der Einsatz für Menschenrechte ist über den arabischen Raum hinaus weltweit nach wie vor dringend geboten. Es ist Kern unserer werteorientierten Außenpolitik, dass wir uns für Menschenrechte einsetzen. Wir befinden uns in den Haushaltsberatungen. Geld ist wohl wichtig; es wird mit diesem Haushaltsplan ausreichend Geld zur Verfügung gestellt. Aber noch wichtiger ist, dass wir diese Themen immer wieder aufgreifen. Die Bundesregierung, der Außenminister, die Bundeskanzlerin sprechen überall dort, wo sie das Wort ergreifen, immer wieder Menschenrechte mit der entsprechenden Sensibilität an; wir hier im Hause - davon nehme ich niemanden aus - versuchen in Gesprächen mit Menschen aus anderen Ländern immer wieder, zu erklären, was Menschenrechte bedeuten. Wir können nicht davon ausgehen, dass alle ihren Wert sofort erkennen, etwa diejenigen, die nicht so wie wir in Freiheit leben durften. Daran können wir alle gemeinsam mitarbeiten - über den Haushaltsplan hinaus. Danke schön. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, hat das Wort. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich nicht nur für die konstruktive Debatte, wie sie bislang stattgefunden hat, sehr herzlich zu bedanken, sondern ausdrücklich auch allen Berichterstattern meinen Dank auszusprechen. Ich glaube, dass die Zusammenarbeit mit den Berichterstattern und dem Haushaltsausschuss sachorientiert gewesen ist und dass die aufgeworfenen Fragen, die wir gestern, Herr Kollege Brandner, mit den Berichterstattern erörtert haben, beantwortet werden können. Über die zeitliche Abfolge habe ich Ihnen gestern das Notwendige gesagt. In der Sache will ich die Frage beantworten, die Sie als Vertreter der Haushälter der größten Oppositionsfraktion hier im Hohen Hause angesprochen haben: Warum legen wir die Strukturen der humanitären Hilfe zusammen? Warum ist das unsere politische Absicht? Warum arbeiten wir daran? Das hat einen ganz einfachen Grund: Es soll die Effizienz unserer Arbeit erhöhen. Es ist nicht logisch und auch nicht sinnvoll, dass beispielsweise bei einer humanitären Katastrophe das Kochgeschirr über das Auswärtige Amt angeliefert wird und die Nahrung, die darin gekocht wird, über ein anderes Ministerium bezogen wird. Wenn solche Strukturen zusammengelegt werden, bündelt das unsere Kräfte und erhöht die Effizienz. ({0}) Dieser Gedanke steckt dahinter; es sind keine geheimen Absichten. Deswegen sage ich das hier noch einmal. Frau Kollegin Bulmahn, Sie haben die Frage gestellt, warum ich nur kurz bzw. am Schluss der Debatte spreche. Ich will es Ihnen sagen: Bei uns ist es übliches Parlamentsverständnis, dass die Minister nur auf Wunsch in der zweiten und dritten Beratung sprechen und dass das Parlament Priorität hat. ({1}) Bei Ihnen ist das offensichtlich anders. Sie wünschen sich etwas anderes. Wir haben - übrigens gerade in der Zeit der Opposition - immer großen Wert darauf gelegt, dass die zweite und dritte Beratung die Stunde des Parlaments ist. Aber wenn Sie es möchten, werde ich selbstverständlich das Wort ergreifen. Weil wir den Haushalt in der ersten Beratung mit einer ausführlichen Einbringungsrede von mir vorgestellt haben, rege ich aber an, dass Sie, wenn Sie ein Defizit sehen, interfraktionell eine strategische Debatte zur Außenpolitik vereinbaren, die dann auch etwas mehr Redezeit für alle Beteiligten mit sich bringt. In Anbetracht der Umbrüche in der Welt glaube ich: Hohe Zeit wäre es. ({2}) Aber das ist Ihre Entscheidung als Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Ich möchte zwei sachliche Anmerkungen machen, die mir besonders wichtig sind. Das betrifft zunächst einmal den arabischen Frühling. Wir sprechen von einem arabischen Frühling; das ist aber in Wahrheit eine unscharfe Begrifflichkeit. Der arabische Frühling, wenn wir ihn so nennen wollen, hat übrigens auch nicht in Tunesien begonnen, sondern mit der Farbe Grün im Iran. Wir sollten niemals vergessen, dass es im Iran nicht nur ein Nuklearprogramm gibt, das wir zu besprechen haben, sondern auch viele freiheitsliebende Menschen, die unterdrückt wurden und werden. Wir wollen sie nicht vergessen, nur weil die Scheinwerfer zurzeit nicht dorthin gerichtet sind. ({3}) Das ist das Selbstverständnis: zu differenzieren statt nur zu dem etwas zu sagen und zu tun, was gerade in den Abendnachrichten besonders wichtig ist. Das bewegt mich genauso wie Sie. Ein Beispiel: Mit etwas Glück und Konsequenz könnte es sein, dass der Friedensplan des Golfkooperationsrates endlich auch durch Präsident Salih für Jemen angenommen wird. Es wäre allerhöchste Zeit, dass das tatsächlich geschieht. Zurzeit schaut man nicht dorthin, aber die Menschen im Jemen haben immer noch berechtigte Wünsche und Sehnsüchte. Man hat auch nicht im Blick, was evolutionär vorangeht: die Reformen, die in den drei Monarchien Marokko, Jordanien und Oman eingeleitet worden sind. Man schaut nicht dorthin, weil es keine entsprechenden Bilder gibt. Trotzdem unterstützt die Bundesregierung den Transformationsprozess in den evolutionären Ländern genauso wie in den revolutionären Ländern. Das ist meiner Meinung nach der richtige Ansatz. ({4}) Wenn Sie sich selbst prüfen, dann müssten Sie sich auch dahinter versammeln und sagen: Das ist die richtige Politik. In Tunesien gibt es doch positive Signale, nämlich dass diese Wahlen friedlich stattgefunden haben. Dort wird Geschichte geschrieben. Nach Jahrzehnten der Herrschaft von Ben Ali ist das, was dort stattgefunden hat, Geschichte. Das Ende der Geschichte ist noch nicht klar. Aber es ist ein Anfang gemacht. Deswegen müssen wir das konstruktiv unterstützen, aber auch immer und immer wieder hinschauen. Für Ägypten gilt, was ich in Ägypten gesagt habe, auf dem Tahrir-Platz und an anderen Orten: Die Revolution in Ägypten hängt an einem seidenen Faden. Wir müssen unsere ganze Kraft einsetzen, damit aus einem Transformationsprozess ein wirklicher Wandel wird. Die Menschen in diesen Ländern haben nicht nur gegen alte Diktatoren und autokratische Regime, sondern auch für etwas demonstriert: für Lebenschancen, Demokratie, Freiheit und Pluralität. Dabei müssen sie zu jeder Stunde unsere Unterstützung haben, egal welcher Partei wir angehören. Das ist die Gemeinsamkeit der Demokraten. Das ist die werteorientierte Außenpolitik, Frau Kollegin Steinbach, die Sie zu Recht angesprochen und eingefordert haben. ({5}) Zu Afghanistan habe ich bereits Regierungserklärungen abgegeben. Wir verfolgen den mit Ihnen besprochenen Weg. Darauf haben Sie sich öffentlich positiv eingelassen. Warum soll hier Schärfe hineingebracht werden? Ich will eine Schlussbemerkung zu einem aus meiner Sicht zentralen Thema machen. Viele Fragen sind wichtig, auch zum Thema Nahost, aber dazu fehlt mir die Zeit. Ich will abschließend nur noch eine Bemerkung machen. Wir haben heute Morgen eine lebendige und wichtige Diskussion über das Krisenmanagement in Europa geführt. Ich möchte als Außenminister nur einen Gedanken hinzufügen: Ich glaube, es reicht nicht, wenn wir die Menschen in Europa und auch in Deutschland mitnehmen wollen, dass wir uns ausschließlich über das Krisenmanagement austauschen, sondern es ist ebenso notwendig, dass wir alle gemeinsam eine europäische Geschichte schreiben und erkennen, dass es hier in Wahrheit nicht nur um die europäische Frage geht, sondern auch um die deutsche Frage. Es geht darum, ob Deutschland unbeirrt Teil der europäischen und internationalen Gemeinschaft sein will, und ich glaube, wir sollten uns nicht nur mit der Lösung der Krise auseinandersetzen und kontrovers darüber streiten, sondern wir sollten alle gemeinsam auch die Meinung vertreten: Wir sind eingebettet in Europa, und diesbezüglich darf niemand Zweifel säen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Westerwelle, es reicht einfach nicht aus, dass Sie sich hier hinstellen und positiv über den arabischen Frühling sprechen; denn Sie haben auf der anderen Seite bis kurz vor Schluss an der Seite von Diktatoren wie Mubarak gestanden. ({0}) Es ist auch nicht akzeptabel, dass Sie, wie jetzt aktuell, beharrlich zu den über 30 Toten auf dem Tahrir-Platz geschwiegen haben. Ihr Schweigen war eine Schande, Herr Minister. Überhaupt hat die Regierung lange gebraucht, um über die Massaker auf dem Tahrir-Platz zu sprechen. Es war auch nur die Rede von Nachrichten, und es erging ein Appell an beide Seiten, keine Gewalt mehr anzuwenden. Ich empfinde das als beschämend. ({1}) Der vorgelegte Haushalt, Herr Minister, ist gerade in Bezug auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr einfach nur unseriös. Insbesondere nennen Sie nicht die wirklichen Kosten des NATO-Kriegs in Afghanistan. Seit zehn Jahren führt die Bundeswehr nunmehr Krieg am Hindukusch. Es ist nicht nur für die zahlreichen Opfer der deutschen Kriegspolitik fatal, was dort in unserem Namen geschieht. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft kostete der deutsche Anteil an diesem schmutzigen Krieg bisher bis zu 33 Milliarden Euro. Jährlich schlage der deutsche Kriegseinsatz mit bis zu 3 Milliarden Euro zu Buche. Das ist auch vor dem Hintergrund der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise einfach unerträglich. Was könnte mit diesem Geld alles getan werden? ({2}) Wenn man diese Kriegskosten beispielsweise auf meinen Wahlkreis Bochum umrechnet, wird die ganze Dimension klar. Die Kriegskosten treffen nämlich auch unsere Kommunen. Umgerechnet bezahlt die Stadt Bochum über 13 Millionen Euro jährlich für den Afghanistan-Krieg. Das ist doppelt so viel, wie die Stadt Bochum bisher jährlich für die Gesundheitsvorsorge ausgibt. Während in den Städten und Gemeinden Theater, Bibliotheken, Schwimmbäder, ganze Schulen bis hin zu Krankenhäusern geschlossen werden, steht diese Bundesregierung dafür, dass dies noch viele Jahre so weitergehen soll. Wir als Linke sagen: Hier ist eine Umkehr nötig. Jeder Euro und jeder Cent für diesen verbrecherischen Krieg ist einer zu viel. ({3}) Ihre Rede vom Abzugsdatum 2014 ist, wie sich jetzt erneut herausstellt, eine Legende, eine glatte Lüge. Im Vorfeld der Petersberg-II-Konferenz nächste Woche in Bonn wird über ein Stationierungsabkommen verhandelt, das eine Präsenz von NATO-Truppen über das Jahr 2024 hinaus vorsieht. Diskutiert wird über bis zu 50 000 ausländische Soldaten, die dauerhaft am Hindukusch bleiben sollen. Allein um die Bevölkerung hier in Deutschland zu täuschen, erzählen Sie das Märchen vom Abzug. ({4}) Sie reden vom Abzug und vom Frieden, aber Sie führen Krieg. Hören Sie endlich auf, den Menschen Sand in die Augen zu streuen! ({5}) Krise und Krieg sind lediglich zwei Seiten ein und derselben Medaille. Der NATO-Krieg in Afghanistan muss beendet werden. Die Bundeswehr muss umgehend abgezogen werden. Diesen Krieg können wir uns im Wortsinne nicht mehr leisten. Deshalb unterstützt die Linke die Proteste gegen die Petersberg-Konferenz, auf der wieder in alter kolonialistischer Manier fernab von Afghanistan über die Zukunft und auch über die Menschen Afghanistans mit korrupten Regierungen und Kriegsverbrechern wie Karzai entschieden werden soll. Während Sie diese Kriegsverbrecher hofieren, wird sich die Linke an der Seite der hiesigen Bevölkerung an den Protesten gegen diesen Krieg beteiligen. ({6}) Wie sehr diese Bundesregierung weiterhin auf die Militarisierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik setzt, lässt sich an Details des Haushaltsentwurfs deutlich erkennen. So lässt sich die Bundesregierung ihre zivilen Ausbildungspartnerschaften für Jugendliche in Drittstaaten gerade einmal 1,3 Millionen Euro kosten. 24 Millionen Euro hingegen stellt sie für die Ausbildung und Ausrüstung afrikanischer Soldaten und Polizisten im Rahmen der G-8-Initiative bereit. Ähnlich sieht es bei den deutschen Beiträgen zu den Vereinten Nationen aus. Von den knapp über 600 Millionen Euro, die an die UN fließen, gehen über 400 Millionen Euro direkt an deren Militärmissionen. Davon kosten allein die UN-Missionen in der Demokratischen Republik Kongo, im Südsudan und auch in Somalia die Hälfte, wo Sie wieder einmal völlig illegitime, korrupte Regierungen absichern. Wir brauchen aber eine Stärkung der Vereinten Nationen mit ihren zivilen Strukturen und keine Militarisierung der UNO. Die Linke will deshalb die Stärkung des Völkerrechts und nicht seine Aushöhlung. ({7}) Diese Aushöhlung sieht man auch bei Ihrer aktuellen Sanktionspolitik gegen den Iran. Nicht nur, dass Ihre Sanktionen die Bevölkerung im Iran schwer treffen werden. Das erinnert auch fatal an die Politik gegenüber dem Irak vor dem Angriff der Koalition der Willigen 2003. Viele fühlen sich an die Kriegsvorbereitungen von damals erinnert. Wieder einmal werden die Berichte von Geheimdiensten für bare Münze genommen, wie es Herr Mißfelder hier dargestellt hat, obwohl man doch spätestens seit dem Irakkrieg sehr vorsichtig mit derlei Informationen umgehen sollte. Die Bundesregierung muss sich hier klar positionieren. Es ist zweifelhaft, wenn Sie sich auf der einen Seite gegen einen Krieg gegen den Iran erklären, aber auf der anderen Seite eine konfliktverschärfende Sanktionspolitik mittragen, die einen möglichen Krieg mit dem Iran näher rücken lässt. Wir brauchen hier eine politische Lösung. Ein neuer Krieg im Nahen und Mittleren Osten wäre wirklich verheerend. Sie haben hier die Möglichkeit, zu erklären, dass Krieg für Sie nicht weiter, wie in der Vergangenheit, ein Mittel der Politik ist. ({8}) Ich komme zum Schluss. Ziel der Linken ist es, dass deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wieder Friedenspolitik wird. Doch statt Frieden exportieren Sie immer weiter Krieg und auch deutsche Rüstungsgüter in alle Welt. Ich finde, eine andere und friedliche Außenpolitik ist möglich. Das sind wir den Menschen in Afghanistan, in Saudi-Arabien, im Jemen, in Ägypten und auch anderswo schuldig. Aber vor allem sind Sie das der großen Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland schuldig. Verwenden wir die vielen Milliarden Euro Kriegskosten endlich für soziale und ökonomische, für zivile und vernünftige Projekte, hier und anderswo. Die Sicherheitspolitik muss im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung sein und nicht im Interesse der Rüstungsindustrie und der Eliten. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Manuel Sarrazin das Wort.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Herr Minister, Sie haben eben Europa und die Geschichte, die wir erzählen müssen, angesprochen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass wir uns angewöhnt haben, die wichtigen Debatten über die Zukunft der Europäischen Union mit dem Finanzminister oder mit Beamten im Kanzleramt zu führen und nicht mit Ihnen. Ich muss Ihnen auch ganz ehrlich sagen, dass ich das nicht gut finde. ({0}) - Herr Stinner, tun Sie mir bitte den Gefallen und lassen Sie mich diesen Punkt zu Ende bringen. - Ich habe niemals einen Europaminister erlebt, der in einer solchen Krise monatelang so wortlos zur Zukunft Europas gewesen ist. ({1}) Ich habe in der Geschichte Europas bisher keine liberale Partei erlebt - außer vielleicht Fidesz, die einmal eine liberale Partei gewesen ist -, die es in dieser entscheidenden Frage nicht geschafft hat, zusammenzuhalten und die Minderheit in ihrer Partei auch einmal zur Räson zu bringen. ({2}) Ich nehme es Ihnen nicht ab, wenn Sie mir jetzt zurufen, das liege an mir. ({3}) Ich muss Ihnen noch etwas sagen: Der Minister ist in der letzten Sitzungswoche in den Ausschuss gekommen und hat gesagt, dass er in den Ratsformationen seit Monaten für Vertragsänderungen werbe. ({4}) Aber wir sind zum ersten Mal im Oktober in einem Drahtbericht darüber unterrichtet worden. Er hat uns offen ins Gesicht gesagt, er sei an unseren Anregungen interessiert. Das Strategiepapier des AA lag aber schon längst vor. ({5}) Deshalb möchte ich Ihnen ganz deutlich sagen: Dieser Außenminister wird der Rolle als Europaminister, als zuständiger Minister für Europapolitik nicht gerecht. ({6}) Sevim DaðdelenSevim Dağdelen Ich kann Ihnen noch etwas sagen, was Sie bei diesem Strategiepapier falsch machen. Sie haben mit Herrn Rösler in der Welt geschrieben - das bezog sich auf Vertragsänderungen; ich zitiere -: Nichts ist für uns wichtiger, als die Bürgerinnen und Bürger auf diesem Weg anzuhören, zu beteiligen und zu überzeugen. Ihnen fällt das schon bei uns schwer. Sie haben tage-, wochenlang in Brüssel Ihr Strategiepapier und Ihre Vorstellungen vorgetragen, ohne es uns zuzuleiten. Irgendwann habe ich eine entsprechende Anforderung gestellt, nachdem in den Zeitungen darüber berichtet wurde. Daraufhin wurde uns dieses Papier zugeleitet. Aber das hat nichts mit dem zu tun, was Sie angekündigt haben, nämlich die Bürger auf dem Weg anzuhören, zu beteiligen und zu überzeugen. Das ist Hinterzimmerpolitik, die wir sonst eher aus dem Kanzleramt gewohnt sind. ({7}) Herr Minister, das, wofür Sie sich einsetzen, ist ein Grundfehler, den wir nicht wiederholen sollten. Wir brauchen Vertragsänderungen - ich hoffe, dass die Kollegen im Europäischen Parlament dieses Thema noch einmal auf die Tagesordnung setzen werden -, die in einem echten europäischen Konvent und vor allen Dingen unter Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner zustande kommen und die zu mehr europäischer Demokratie unter Berücksichtigung sozialer Fragen führen. Solche Änderungen dürfen nicht einfach nur von irgendwelchen Beamten in Brüssel, im Kanzleramt oder vielleicht noch im Élysée ausverhandelt werden. ({8}) Die Europäische Union ist - das haben wir immer betont - mehr als eine Wirtschaftsunion; darüber sind wir uns einig. Umso wichtiger ist es jetzt, den Menschen zu erklären, dass wir - um die Wirtschafts- und Solidarunion, um die Union des Rechts und der Freiheit zu bewahren - mehr Wirtschaftsunion brauchen werden. Die Wahrheit ist - da haben Sie recht, Herr Stinner -: Kleinstaaterei wird nicht der Weg aus der Krise sein. Wenn jeder Nationalstaat in Europa seinen eigenen Weg geht, wird uns die Krise einholen und überholen. Das kann nicht der Weg in die Zukunft sein. Wir müssen unser Glück, als Deutsche in Europa eingebunden zu sein, deutlicher zum Ausdruck bringen. Wir brauchen daher keinen schwachen Europaminister, der sich monatelang zu den angesprochenen Themen im Wesentlichen ausschweigt. ({9}) Wenn wir angesichts der Schlagzeilen sehen, dass wir vielleicht am Vorabend der entscheidenden Zuspitzung der Krise stehen, und da es vielleicht schon in den nächsten Tagen und Wochen darauf ankommen wird, ob wir in dieser Situation zusammenhalten oder nicht, muss ich sagen: Hören Sie auf, plump rote Linien zu benennen! Sagen Sie zuallererst, dass Deutschland alles tun wird, um den Euro zu retten und die Europäische Union zusammenzuhalten. Dann können Sie Maßgaben formulieren. Hören Sie auf, wie Herr Westerwelle und Herr Brüderle rote Linien zu ziehen, die den Zweifel daran nähren, dass wir dabei sein werden, wenn es darum geht, dieses Europa zusammenzuhalten. ({10}) Die Unsicherheit, die Ihre Regierung verbreitet, ist fatal. Ihr Krisenmanagement hat Europa nicht auf das vorbereitet, was in den nächsten Tagen und Wochen kommen wird. Sie haben die europäischen Institutionen, die handeln könnten, geschwächt. Sie haben die Parlamente nicht ausreichend beachtet und beteiligt. Wir werden den notwendigen Weg ohne starke Unterstützung des Außenministers gehen. Ich wünsche mir, Herr Westerwelle, dass auf Ihrem Stuhl ein echter Europäer sitzt. Es ist Pech für uns, dass Sie bislang nicht haben liefern können. Ich wünsche mir, dass Sie eine europäische Stimme in der Bundesregierung sind. Allein mir fehlt der Glaube. Ich hoffe, dass Sie die Zeit, die Ihnen noch bleibt, nutzen, um es besser zu machen. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Link das Wort.

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Sarrazin, unsere Zusammenarbeit ist im Ausschuss und auch sonst sehr konstruktiv. Das ändert sich periodisch immer wieder, wenn hier im Plenum Reden gehalten werden. Ich bin sehr erstaunt darüber, in welcher Form Sie dargelegt haben, was diese Koalition in der gesamten Zeit der Euro-Krise gemacht hat. Unsere Prämisse ist, die Euro-Zone zusammenzuhalten und die Währungsunion dort fortzuentwickeln, wo wir dringend Änderungen brauchen. Exakt das tun wir mit Anträgen und tut der Bundesaußenminister durch entsprechendes Werben seit der Zuspitzung der Krise. Er hat insbesondere dafür geworben, die Lehre aus dem zu ziehen, was wirklich falsch gelaufen ist. Rot-Grün hat - daran möchte ich erinnern - 2002, 2003 und 2004 den Stabilitäts- und Wachstumspakt entkernt. Daraus müssen wir dringend Lehren ziehen. Der Bundesaußenminister wirbt deshalb gemeinsam mit der Bundesregierung für entsprechende Vertragsänderungen. ({0}) Wir gehen das konsequent an. Wir erwarten bei diesem Punkt, dass immer dann, wenn es ernst wird, wenn nämlich Sanktionen tatsächlich verhängt werden sollen, von der Grünen-Fraktion mehr kommt als nur ein Kuschelkurs, ein Weiter-so, ein Ganzschnell-die-Schleusen-Öffnen. Wir sollten nicht nur ein Wunschkonzert machen, sondern deutlich sagen, dass wir wirklich bereit sind, die Lehren aus dieser Krise zu ziehen. Da würde ich mir von den Grünen mehr Beiträge Michael Link ({1}) wünschen. Morgen zum Beispiel hätten sie die Gelegenheit dazu. Morgen diskutieren wir den EU-Haushalt. Ich warte bis zum jetzigen Moment auf einen Antrag der Grünen-Fraktion dazu. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Kollege Link, wir arbeiten im Ausschuss wirklich sehr gut zusammen, und das kann man auch sagen. Ich glaube aber, dass wir uns dessen bewusst sein müssen, in welcher Lage wir sind. Ich glaube, dass in der Lage, in der wir sind, gewisse Fragen des Klein-Klein - 2004, 2005 - ({0}) - Frau Homburger, Entschuldigung! Wenn Sie jetzt hier so reinblöken, möchte ich Sie einmal darauf hinweisen: ({1}) Wir haben im Juli hier den Antrag gestellt, automatische Sanktionen einzuführen. Den haben Sie abgelehnt. Sie haben es in Brüssel gekippt. ({2}) Ich wollte nur gerade darauf hinweisen, dass es aus meiner Sicht zwei große Schwierigkeiten gibt: Erstens brauchen wir Vertragsänderungen; darüber reden wir schon lange. Wir brauchen weiter gehende Vertragsänderungen als die, die diese Bundesregierung, wie ich glaube, vorschlagen wird. Wir brauchen vor allem die Verbindung der künftigen Wirtschaftsunion oder Wirtschaftsregierung, wie auch immer wir es nennen, mit der Frage der Demokratie. Wir werden die Menschen auf diesem Weg nicht mitnehmen können, wenn wir nicht dazu stehen, das demokratisch zu machen, das zu legitimieren und die europäische Demokratie damit zu verbessern. Ich glaube, dass ich mir mit vielen Liberalen im Europäischen Parlament und in Europa in dieser Frage einig bin. Aber ich sehe nicht, dass dieser Außenminister dieses Thema auf die Tagesordnung bringt; er lässt es sich von den Finanzministerien diktieren. ({3}) Zweitens. Sie sehen doch, dass wir ohne eine Governance nicht aus dieser Krise kommen werden. Aber diese Bundesregierung hat die europäischen Institutionen, die die Governance liefern können, auf den Marschbefehl der Kanzlerin in der Rede von Brügge hin kleingehalten. Da hätte ich mir gewünscht, dass der Außenminister dagegenhält und ein Plädoyer dafür abgibt, dass wir ohne das Europäische Parlament, ohne die Europäische Kommission nicht aus dieser Krise herauskommen werden. Wir werden in den nächsten Tagen - vielleicht auch erst in den nächsten Wochen - erleben, dass viel größere Herausforderungen und Anforderungen auf uns zukommen werden, als wir bisher glauben. Diese Herausforderungen werden alle in diesem Haus, auch uns, vor große Fragen stellen. Ich möchte einfach, dass die Unsicherheit, die über die Position dieser Regierung und vor allem der FDP bisher besteht - ich weiß: nicht alle von Ihnen können etwas dafür -, nicht neu genährt wird über rote Linien, die Sie ziehen und an die wir stoßen werden. Das ist meine Sorge, weil ich genau weiß: Das, was auf uns zukommt, werden wir nicht mit einfachen Mehrheiten, Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb, lösen können; da wird mehr gefordert sein. Darum bitte ich Sie, keine roten Linien zu ziehen, zumindest nicht als Erstes, sondern zunächst die Aussage zu machen: Wir werden alles tun, was nötig ist, um Europa zusammenzuhalten und den Euro zu retten. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor es in der Debatte weitergeht: Ich nehme an, dass alle Fraktionen wie auch diejenigen, die uns zuhören, die Belebung der Debatte begrüßen. Wir sollten trotzdem, wenn wir bestimmte Reaktionen von Kolleginnen und Kollegen bewerten, bei unserer Wortwahl an die parlamentarische Ausdrucksweise denken. ({0}) Für die Unionsfraktion hat der Kollege Michael Stübgen das Wort. ({1})

Michael Stübgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will am Anfang ganz kurz auf Ihren Beitrag eingehen, Herr Sarrazin. Sie haben sich gerade nachdrücklich darüber beschwert, dass der Bundesaußenminister sich - angeblich - nicht um Europapolitik kümmert. Das ist Ihr Vorwurf; Sie sehen das so. Das wundert mich allerdings, da es keine zwei Wochen her ist, dass Sie sich sowohl bei uns im Europaausschuss als auch öffentlich heftig darüber beschwert haben, dass der Außenminister europapolitisch tätig geworden ist. Er hat Grundlinien für eine Vertragsänderung entworfen, von der Sie gesagt haben, dass sie gut und richtig wäre. Sie haben allerdings gesagt, er dürfe das nicht, bevor er mit Ihnen geredet hat. Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen, das eine oder das andere. Beides zu kritisieren, ist aber ein bisschen merkwürdig. ({0}) Wir sind überhaupt nicht der Meinung - es stimmt auch nicht -, dass das Auswärtige Amt und der Bundesaußenminister europapolitisch nicht aktiv sind. Natürlich gibt es immer Fragen, die aktuell im Ecofin und in der Euro-Gruppe geklärt werden müssen. Das hat etwas mit der Substanz der Probleme zu tun. Aber wir wissen sehr genau und beraten auch im EU-Ausschuss regelmäßig darüber, wie wichtig die Arbeit des Auswärtigen Amts ist. Das sieht man auch an der mittelfristigen Finanzplanung. Bei dem mehrjährigen Finanzrahmen der EU für die Jahre 2014 bis 2020 geht es um einen Billionenhaushalt, wie Sie alle wissen. Über diese Arbeit des Auswärtigen Amts steht in der Tat nicht jeden Tag etwas in der Zeitung; dennoch ist sie von fundamentaler Bedeutung. ({1}) Damit bin ich bei meinem ersten Thema. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung verstärkt ein Augenmerk auf den Haushaltsvollzug seitens der Europäischen Kommission richten. Wir als Koalitionsfraktionen werden morgen einen Antrag, der sich substanziell und detailliert mit den Vorschlägen für den nächsten Finanzrahmen der Europäischen Union beschäftigt, einbringen. Ich will nur ein Detail herausgreifen, das uns als Haushaltsgesetzgeber nicht beim Haushalt 2012, aber im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung sehr direkt treffen könnte. Es geht um den Sachverhalt, dass die Europäische Kommission vor ungefähr einem halben Jahr festgestellt hat, dass sich im Bereich der sogenannten RAL - reste à liquider -, also nicht ausgeführter Verpflichtungsermächtigungen, eine „Bugwelle“ aufbaut, die ein Ausmaß erreicht, das seinesgleichen bisher nicht kennt. Was sind sogenannte nicht ausgeführte oder nicht vollendete Verpflichtungsermächtigungen? Die Europäische Union gibt - anders als die nationalen Haushaltsgesetzgeber - für bestimmte Projekte in den Mitgliedsländern Teilfinanzierungen oder Vollfinanzierungen als Verpflichtungsermächtigungen. Die Projekte dauern manchmal mehrere Jahre; manche Projekte verschieben sich auch. Dadurch entstehen nicht vollendete Verpflichtungsermächtigungen. Insoweit ist das normaler europäischer Haushaltsvollzug. Bisher war es so, dass sich beim Übergang von einer Finanzplanung zur nächsten Verpflichtungsermächtigungen in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrages angesammelt hatten. Auch dies war normaler Haushaltsvollzug; sie konnten im laufenden Haushalt berücksichtigt werden. Die Europäische Kommission hat allerdings festgestellt, dass diese Entwicklung dazu führen könnte, dass wir bis zum Jahr 2014, also bis zum Beginn der neuen mittelfristigen Finanzplanung, nicht ausgeführte Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von bis zu 250 Milliarden Euro haben; das wäre knapp ein Viertel des gesamten Haushalts von 2014 bis 2020. Wenn dies eintritt, wird Folgendes passieren: Wir, die Geberländer, die Nettozahlerländer, haben dann nicht nur den Beitrag für das neu anlaufende Finanzprogramm zu zahlen, was völlig normal wäre - das wird ausgehandelt und einstimmig beschlossen -, sondern zusätzlich, ohne dass wir uns vorher darauf einstellen können, diese 250 Milliarden Euro, sodass die ersten Jahre, die Jahre 2014 bis 2016, unkalkulierbar werden. Dies würde bedeuten, dass für uns als Haushaltsgesetzgeber nicht nur unsere Beiträge an die Europäische Union für die mittelfristige Finanzplanung, sondern auch die Haushalte für das jeweils nächste Jahr unkalkulierbar würden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das komplexe Ursachengeflecht für diese Entwicklung ist wohl überwiegend objektiv zu erklären. Ich erhebe hier also nicht den Vorwurf, dass die Europäische Kommission dafür verantwortlich ist - vielleicht zum Teil; es gibt aber objektive Gründe, die im Wesentlichen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Jahre herrühren. Nicht akzeptabel ist allerdings die Tatsache, dass wir seit dem Zeitpunkt vor mehr als sechs Monaten, als die erste Mitteilung der Europäischen Kommission über ausstehende Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 250 Milliarden Euro ergangen ist, keine konkrete Analyse - zumindest wurde sie uns nicht vorgelegt - darüber bekommen haben, welche es sind und mit welchen Laufzeiten, geschweige denn irgendwelche Vorschläge gemacht wurden, wie wir dieses Problem bis 2014 beheben oder zumindest stark reduzieren können. Ich halte dies allerdings für ein eklatantes Versäumnis der Kommission. Sie ist für die Haushaltsdurchführung verantwortlich und hat daher die Verpflichtung, solchen Entwicklungen entgegenzuwirken. Sie kann nicht sagen: Darüber sollen sich die Mitgliedsländer einmal Gedanken machen. Das halte ich für uns als deutschen Gesetzgeber nicht für hinnehmbar. Ich erwarte daher von der Europäischen Kommission, dass sie erstens umgehend die Analyse des konkreten Problems fortsetzt und uns das Ergebnis vorlegt und uns zweitens sehr bald konkrete Vorschläge dazu macht, wie wir diesem Problem begegnen können. ({2}) Anstatt dass sich die Europäische Kommission mit diesen und anderen dringenden Problemen beschäftigt, meint der Präsident der Kommission, Herr Barroso, uns mit allerlei Variationen von Euro-Bonds beglücken zu müssen. Ich bin überrascht, dass das bei dieser Debatte noch keine Rolle gespielt hat. Wir haben gelernt, dass es inzwischen einen neuen Begriff hierfür gibt: Stabilitätsanleihen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Kürze der Zeit will ich hierzu nur ein paar Anmerkungen machen. Seit gut anderthalb Jahren haben wir es mit Menschen zu tun, die sich berufen fühlen, immer wieder neue Vorschläge und Rettungspläne zu machen, ohne einmal darauf einzugehen, was bei der vorliegenden Beschlusslage überhaupt umgesetzt werden muss. Da gibt es so einiges: Wir müssen die Guidelines im Zusammenhang mit EFSF II umsetzen. Das ist sowieso längst überfällig und muss noch in diesem Jahr geschehen. Ich gehe davon aus, dass das passiert. Außerdem müssen wir das Griechenland-II-Paket mit der Gläubigerbeteiligung spätestens Anfang nächsten Jahres vorstellen. Wir brauchen insofern keine Vorschläge zu Euro-Bonds oder diversen Variationen. Ich will aber noch auf einen weiteren Punkt eingehen. Auf die deutschen Haushalte - und zwar auf die von Bund, Ländern und Gemeinden - würden bei der Einführung von Euro-Bonds, egal in welcher Form, immense Kosten zukommen. Das Hauptproblem ist aber Folgendes: Wenn wir bei der Einführung von EuroBonds einen ganz massiven Aufwuchs der Gewährleis16966 tungen der Euro-Länder - gerade derjenigen, die noch Triple-A sind - hätten, würden dabei mit Sicherheit einige Euro-Länder - vielleicht nicht sofort Deutschland in das Downgrading beim Rating geraten. Das würde mit erhöhten Zinsgebühren einhergehen und würde die Verschuldenssituation noch verschlechtern. Damit würden wir die Situation noch weiter verschlimmern. ({3}) Selbst wenn man das alles für hinnehmbar hält, bleibt ein weiteres Problem der Euro-Bonds, das sich in den letzten Jahren und insbesondere in den letzten Wochen ganz besonders an Griechenland gezeigt hat: Man konnte beobachten, dass die Entwicklung in den letzen anderthalb Jahren sehr schleppend vorangegangen ist. Sie ist aber nur deshalb überhaupt vorangegangen, weil das Land nach den Vorgaben des bisherigen Hilfsprogramms alle drei Monate nachweisen muss, dass es die Konditionalitäten einhält und seine eigenen Reformbemühungen mit allen Anstrengungen umsetzt. Sobald in Griechenland bisher der Eindruck entstanden ist, jetzt habe man erst einmal für drei Monate Luft, sind die Reformanstrengungen liegengeblieben. Wir haben jetzt mit einer neuen Regierung die Chance auf Veränderung. Ich hoffe, dass diese Regierung es endlich schafft, das enorme Ungleichgewicht der griechischen Reformpolitik abzuschaffen - bislang wurde nämlich nur bei Renten, Arbeitslosengeld, Sozialversicherung etc. eingespart, aber die großen Einkommensbezieher und Vermögensbesitzer zahlen nach wie vor fast keine Steuern. Das Ganze ist aber nur durch den direkten Druck der ständigen Kontrolle erfüllbar. Euro-Bonds würden diese Kontrolle unmöglich machen. ({4}) Deswegen wären sie der falsche Weg. Wir können nur auf dem Weg weitergehen, den wir bisher gegangen sind. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Axel Schäfer hat für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der heutigen Debatte geht es, insbesondere was Europa anbelangt, um eine Frage, über die wir 2010, 2009, 2008, 2007 und davor nie diskutieren mussten. Es geht nicht mehr um die Frage: Wie werden wir die Vertiefung und Erweiterung der EU gestalten? Jetzt geht es um die Frage: Wie werden wir die EU erhalten? Das ist eine Debatte, die wir in 60 Jahren noch nicht führen mussten. Deshalb muss unsere Debatte in diesem Hause dem auch angemessen sein. Weil das so ist, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP nur an zwei Punkten kritisieren: Der erste Punkt betrifft das, was Kollege Stübgen zum Thema Griechenland gesagt hat. In Griechenland besteht das Problem zurzeit darin, dass die Vereinbarungen, die unter den Parteien und mit der Troika in Europa getroffen worden sind, von einer Kraft nicht getragen, nicht unterzeichnet werden und deshalb nicht umgesetzt werden können, nämlich von der christdemokratischen Opposition, also von Ihren Parteifreunden. Das ist das aktuelle Problem in Griechenland. Deshalb bitte ich Sie: Reden Sie mit Herrn Samaras. Sie kritisieren auch Herrn Barroso. Auch er ist einer Ihrer Parteifreunde. Sie können doch hier nicht sagen, es gebe bei diesen Themen eine Kakofonie, obwohl es doch letztlich immer um Ihre Leute geht. ({0}) Der zweite Punkt. Kollege Stinner, die Rede, die Sie gehalten haben, betraf weniger den Bundestag als die Mitglieder Ihrer eigenen Partei. Ich kann nur hoffen, dass die europäischen Überzeugungen, die Sie hier vorgetragen haben, von den Mitgliedern Ihrer Partei tatsächlich getragen und bei der Abstimmung entsprechend zur Geltung gebracht werden. Denn es ist wichtig, dass wir die FDP an dieser Stelle an Bord behalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wir über Demokratie reden: Es geht nicht, dass ein Ministerpräsident in Europa, der die mutigsten Sparmaßnahmen, die es bisher überhaupt gab, und die schwierigsten Einschnitte, die man sich vorstellen kann, vorgenommen hat - dagegen waren Hartz IV und alles andere in unserem Lande nur ein leises Säuseln -, auch von der Bundesregierung beschämt und beschädigt wird. Papandreou hat gesagt: Ich trete vor die Bürgerinnen und Bürger und mache mein eigenes Schicksal von der Volksabstimmung abhängig. Sie tun so, als wäre es etwas Unrechtes, den Bürgerinnen und Bürgern in einem Volksentscheid die Entscheidung über elementare Fragen zu überlassen. ({1}) Ich will auf etwas hinweisen, was in Europa, abgesehen vom luxemburgischen Parlament, wahrscheinlich nur für den Bundestag gilt: Wir haben in diesem Hause seit 40 Jahren bei allen wichtigen, grundlegenden Entscheidungen zur EU bzw. davor zur EG eine Übereinstimmung zwischen den Christdemokraten, den Sozialdemokraten, der FDP und - seit 1983 - den Grünen. Dieses kostbare Gut, dass wir, egal in welcher Konstellation oder Koalition wir waren, dieses Europa gemeinsam entwickelt und vorangebracht haben, müssen wir in der jetzigen Situation erhalten; darum wird es gehen. Ich bin überzeugt: Wir werden 2012 vor ganz andere Fragen gestellt als vor die, über die wir heute diskutieren. Wir werden nämlich vor die Frage gestellt werden: Ist es tatsächlich vorstellbar, dass die Euro-Zone zusammenbricht, oder können wir das verhindern? Schauen Sie sich bitte die Analysen der SWP und anderer seriöser Wissenschaftler an: Sie stellen Projektionen auf, die uns wirklich Sorge machen sollten. Die Politik muss an der Stelle agieren und darf nicht nur reagieren. Axel Schäfer ({2}) Was Aktion anbelangt, ist Folgendes das Wichtigste - und es ist gut, dass sich Sozialdemokratinnen, Sozialdemokraten und Grüne da einig sind -: Wir dürfen nicht mehr Dinge ausschließen, von denen wir wissen, dass wir sie gebrauchen könnten. Wir müssen auf den Erfahrungen der letzten 15 Monate aufbauen, in denen immer wieder Sachen ausgeschlossen wurden, die dann am nächsten Tag realisiert worden sind. So werden wir in der Europapolitik nicht weitermachen können. ({3}) Deshalb müssen wir auch aussprechen, worum es hierbei geht. Es darf nicht ausgeschlossen werden, so wie es heute der Präsident der Europäischen Kommission - wie gesagt: ein Christdemokrat - vorgeschlagen hat: Euro-Bonds, oder wie auch immer man gemeinschaftliche Anleihen nennt. Am Schluss darf natürlich auch nichts ausgeschlossen werden, was die Aktivitäten im Bereich des Geldes bei der Europäischen Zentralbank anbelangt, und zwar nicht, weil die SPD jetzt sagen würde „Prima, möglichst schnell Euro-Bonds!“ oder die Grünen vielleicht sagen würden „Prima, die EZB muss jetzt geldpolitisch tätig werden!“ ({4}) Die Frage der Notenbank wird dann eine Rolle spielen, wenn es darum geht, ob Europa erhalten werden kann oder zerstört wird. Das müssen wir uns bewusst machen. ({5}) In der Situation, in keiner anderen, werden wir sein. Wir sind im Jahre 2012 - zum Glück gibt es da so wenige Wahlen - nicht mehr in der Situation, über ökonomische Dogmen zu reden; wir werden über politische Handlungsfähigkeit reden. Wir müssen weniger, als es heute geschehen ist, über Preise reden; wir müssen mehr über Werte reden. Wir müssen nicht wie die Kanzlerin über Demoskopie reden, sondern über Demokratie. ({6}) Um diese europäische Demokratie wird es im Jahre 2012 gehen. Ich kann, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der FDP, nur an Sie appellieren: Denken Sie an den Weg, den wir von Mai 2010 bis jetzt, zum November 2011, gegangen sind. Sie mussten alle Vorschläge, die wir gemacht haben, entweder übernehmen oder stillschweigend annehmen. Verschließen Sie sich nicht den Notwendigkeiten des Jahres 2012. Es geht um unser gemeinsames Europa, um das, was uns in dieser Gesellschaft zusammenhält. In dieser Hinsicht werden nicht nur Grüne und Sozialdemokraten, sondern auch Christdemokraten und Liberale in Deutschland wie in ganz Europa ihre Verantwortung anders wahrnehmen müssen, als sie das bisher getan haben. ({7}) Wir sind noch in der Opposition, haben aber diese Verantwortung wahrgenommen und werden sie auch in Zukunft wahrnehmen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Frankenhauser für die Unionsfraktion. ({0})

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Den Letzten beißen die Hunde. Ich versuche aber trotzdem, als Haushälter in die Niederungen des Haushaltes einzusteigen, nachdem hier fast eineinhalb Stunden lang prächtige „tours d’horizons“ gefahren worden sind. Herr Kollege Schäfer, Sie sehen, wie schnell sich die Zeiten ändern. Herr Samaras hat schriftlich zugesagt, dass er die Auflagen mittragen wird. ({0}) Es stellt sich die Frage, ob er Phoenix sieht oder ob es unsere Außenpolitik war. Ich stelle das anheim. Gestatten Sie mir, dass ich noch ein paar Minuten lang etwas zum Haushalt sage. Wenn ich richtig informiert bin, soll es sich um eine Haushaltsdebatte handeln. Wie es ohne Geld in der Außenpolitik aussehen würde, werde ich am Schluss meiner Ausführungen zum Besten geben. Zunächst möchte ich mich beim Auswärtigen Amt sehr herzlich bedanken. Das betrifft an erster Stelle den Minister, aber auch Herrn Dr. Morhard. Er ist für die Haushälter immer ein idealer Ansprechpartner. Die Zusammenarbeit hat hervorragend funktioniert. Genauso herzlich möchte ich mich für die exzellente Zusammenarbeit unter den Kolleginnen und Kollegen bedanken. An der Stelle möchte ich dem Auswärtigen Amt auch für die vorzügliche Betreuung danken, die viele unserer Kolleginnen und Kollegen bei den Botschaften im Ausland erfahren. Selbst Kolleginnen und Kollegen aus dem Europäischen Parlament nehmen die Einrichtungen der deutschen Botschaften viel lieber in Anspruch als die des merkwürdigen Europäischen Auswärtigen Dienstes. ({1}) Ich kann erfreulicherweise mitteilen, dass der Haushalt des Auswärtigen Amtes im Verlaufe des Bereinigungsverfahrens auf nunmehr 3,324 Milliarden Euro erhöht werden konnte. Übrigens sei den Kolleginnen und Kollegen der Opposition ins Stammbuch geschrieben, dass dies der höchste Haushalt ist, den das Auswärtige Amt jemals hatte. Lieber Herr Kollege Kindler, es ist nicht so, dass wir Ihretwegen einen Schrecken bekommen und gezittert haben, vielmehr haben wir das aus ei16968 genem Antrieb gemacht. Wir setzen gerne eine vernünftige, den Notwendigkeiten angepasste Haushaltspolitik durch. Wie weit wir mit Ihnen kommen würden, lässt sich an folgenden Zahlen ablesen: Die Linken haben Zusatzausgaben in Höhe von 155,9 Millionen Euro ohne Deckung gefordert. Bündnis 90/Die Grünen waren etwas bescheidener: Bei ihnen waren es 139,7 Millionen Euro ohne Deckung. ({2}) - Das waren letztes Jahr irgendwelche Abgaben auf Flugtickets. Das ist auch in die Hose gegangen, Herr Kollege Kindler. - Bei der SPD sind es immer noch 80 Millionen Euro. ({3}) - Nein, nicht mit Deckung, Herr Kollege. Wir machen noch einmal ein Privatissimum in Addition und Subtraktion. ({4}) Dann wird sich herausstellen, dass es 80 Millionen Euro ohne Deckung sind. Wir betreiben keine Außenpolitik nach Kassenlage, sondern wir machen sie mit der notwendigen finanziellen Ausstattung. Zum Beispiel haben wir - was, glaube ich, eine ganz wichtige Maßnahme war - den Schulfonds um 15 Millionen Euro erhöht. ({5}) Ich möchte mich noch einmal an die voll besetzte Bundesratsbank wenden. ({6}) Die Länder erklären uns ständig, wie dringend notwendig die Auslandsschulen sind, aber aus der Finanzierung haben sie sich mittlerweile völlig zurückgezogen. Es wäre doch eine schöne Geschichte, wenn sich die Herrschaften vielleicht im Bundesrat treffen würden, ({7}) um darüber nachzudenken, uns zu unterstützen. Um einer Mär vorzubeugen: Wir haben den größten Ansatz für auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Immer wieder wird das Gegenteil behauptet. ({8}) Die Konsolidierung des Bundeshaushaltes ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sie kann nicht nur von wenigen gemacht werden, und sie kann auch nicht vor Kulturträgern haltmachen. Als besonders inakzeptabel empfinde ich es, wenn sich sogenannte Zuwendungsempfänger an dem, was wir an Zuwendungen aufbringen - und zwar sehr reichlich - öffentlich Kritik üben. Wir haben in einem ersten Schritt versucht, die notwendige Personalausstattung für das Auswärtige Amt bereitzustellen; denn es kann nicht sein, dass wir aus politischen Erwägungen sehr viele Auslandsvertretungen neu eröffnen, diese aber keine adäquate Personalausstattung haben. Zum versöhnlichen Abschluss - ich bin der letzte Redner zu diesem Einzelplan - möchte ich Ihnen ein Gedicht von Alice von Gaudy aus der Zeit Friedrichs des Großen vortragen, in dem es darum geht, wie es ohne adäquate Mittelausstattung aussehen könnte. Ich zitiere - mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin -: … Auch unterbreite ich ehrfürchtigst Eure Majestät, dass es mit solchener Sparsamkeit nicht weiter geht. Die Gelder zur Repräsentation gehorsamst zu melden - sind allzu knapp. Erhalt ich keine Subvention, ich schaffe - gehorsamst - die Pferde ab, ingleichen die Equipage. Soll man am Londoner Hofe sehn Preußens Gesandten zu Fuße gehen, wegen sumissest zu pauvrer Gage? Der König - ich könnte auch sagen: Haushaltsausschuss ({9}) liest es und lächelt fein. Dann taucht er den spitzen Gänsekiel ein, und schreibt an den Rand des Gesandtenberichts: Subvention - jetzt und künftig - nichts. Er möge sans ĝene zu Fuße spazieren … In diesem Sinne kann man nur feststellen: Das Auswärtige Amt ist bei dieser Koalition bestens aufgehoben. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.12 auf: Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung - Drucksachen 17/7113, 17/7123 Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Bernhard Brinkmann ({0}) Dr. Gesine Lötzsch Vizepräsidentin Petra Pau Zum Einzelplan 14 liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Bernhard Brinkmann für die SPD-Fraktion.

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, dass ich mich zu Beginn meiner Ausführungen bei den Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern sowie beim Ministerium für die in den vergangenen Wochen uns zur Verfügung gestellten Unterlagen sehr herzlich bedanke. Alle Fragen sind bestens beantwortet und alle Wünsche erfüllt worden. Die Unterlagen, die uns zur Verfügung gestellt worden sind, haben uns die Beratung über den Einzelplan 14 einfacher gemacht. Es war wie immer eine angenehme und zielorientierte Zusammenarbeit. Der Einzelplan 14 für das Haushaltsjahr 2012 bildet zum ersten Mal die neuen Strukturen, die Neuausrichtung unserer Bundeswehr ab. Hierfür sind entgegen der Planung Ihres Vorgängers, Herr Minister de Maizière, 31,9 Milliarden Euro vorgesehen. Ich stelle erneut fest: Die vollmundigen und nicht haltbaren Sparvorgaben des Herrn zu Guttenberg sind damit endgültig Makulatur, und das ist auch gut so. ({0}) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen seit jeher für eine moderne und leistungsfähige Bundeswehr ein, die fest in unserer Gesellschaft verankert ist. Wir stehen dafür, dass unsere Streitkräfte - neue Strukturen hin oder her - eine Parlamentsarmee sind und bleiben. Heute Morgen, im Zusammenhang mit dem Einzelplan des Bundeskanzleramts, sind Sie, Herr Minister de Maizière, für das, was Sie auf den Weg gebracht haben, gelobt worden. Das teile ich uneingeschränkt. Eine Aussage der Bundeskanzlerin aber wird uns in den nächsten Wochen, Monaten, vielleicht auch erst in Jahren einholen. Die vollmundigen Sparversprechen des Herrn zu Guttenberg sind kaschiert worden. Die Frau Bundeskanzlerin hat erklärt: Durch diese Reform wird es mittelfristig zu Einsparungen kommen. - Ich stelle hier einmal fest: Belastbare Zahlen liegen bis heute nicht vor. Ich gehe davon aus, dass sie uns in den nächsten Jahren auch nicht geliefert werden können. Wer den Einzelplan und seine Strukturen kennt, wer weiß, wie sich das auf der Ausgabenseite letztendlich auswirkt, der muss zur Kenntnis nehmen, dass hier nur ein sehr geringes Einsparpotenzial vorhanden ist. Die umfassende Neuausrichtung der Bundeswehr, das Ende der Wehrpflicht, der damit verbundene Umbau der Streitkräfte hin zu einer Freiwilligenarmee sowie die Standortschließungen werfen weiterhin zahlreiche Fragen auf und stellen uns vor die eine oder andere Herausforderung. Es steht außer Frage, dass all diese Neuerungen nicht ohne eine entsprechende Anschubfinanzierung zu realisieren sind und dafür noch etwas länger Vorsorge getroffen werden muss. Meine Fraktion ist fest davon überzeugt, dass eine erfolgreiche Reform nur gelingen kann, wenn die Menschen, die in der Bundeswehr Dienst tun, aktiv eingebunden, also mitgenommen werden. Die Zuversicht und Motivation derer, die von den Veränderungen unmittelbar betroffen sind, gilt es unbedingt zu erhalten. In 2012 und in den folgenden Jahren wird sich zeigen, ob diese Zahlen nur der Anfang sind, wenn es darum geht, den bevorstehenden Prozess erfolgreich voranzubringen. Unsere Soldatinnen und Soldaten sowie die zivilen Angestellten sind das zentrale Kapital der Bundeswehr. Höchst professionell und pflichtbewusst leisten sie ihren Dienst im In- und Ausland. Man kann nicht oft genug betonen, dass ihre Aufgaben mit einem hohen Risiko verbunden sind. Dieses Risiko bedeutet in manchen Fällen auch den Einsatz von Gesundheit und Leben, nicht zu vergessen die persönlichen Entbehrungen für die im Einsatz Befindlichen selbst und in einem hohen Maße auch für deren Familien. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, hierfür einmal meinen persönlichen Dank, meine Anerkennung und meinen Respekt zum Ausdruck zu bringen. Ich würde mich freuen, wenn sich dem alle Fraktionen anschließen. ({1}) Es ist mir ein Anliegen, zu betonen - ich denke, dass auch dies große Zustimmung findet -, dass wir hinter unseren Soldatinnen und Soldaten sowie hinter den zivilen Mitarbeitern und Helfern stehen. In diesem Kontext dürfen auch die Reservisten nicht vergessen werden, die einen ganz hervorragenden Job machen, die eine ganz hervorragende Arbeit leisten. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer bei der Bundeswehr arbeitet, der hat ein Recht darauf, fair behandelt zu werden. Dies gilt namentlich auch für die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die angesichts einer vorgesehenen Stellenreduzierung auf 55 000 Dienstposten einen Anspruch auf ein angemessenes Maß an Sozialverträglichkeit haben. Davon abgesehen, dass diese Stellenkürzungen aus Sicht der SPD-Fraktion unverhältnismäßig hoch sind und deutlich moderater ausfallen müssen, ist es uns ein unbedingtes Anliegen, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben darf. Meine Fraktion wird sich daher bei den bevorstehenden Beratungen und Entscheidungen vehement dafür einsetzen, dass bei diesem Vorhaben nicht die Zahlen, sondern die Menschen im Vordergrund stehen. Natürlich kostet eine solche Maßnahme Geld - das steht außer Frage. Es bleibt abzuwarten, ob der angedachte Ansatz der Versetzung von Bundeswehrmitarbeiterinnen und -mitarbeitern in andere Bernhard Brinkmann ({3}) Ministerien in diesem Zusammenhang eine geeignete Maßnahme sein wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch nichts weiter als eine Hilfsbrücke, wenn die Personalreduzierungen dadurch finanziert bzw. realisiert werden sollen, dass man 1 Milliarde Euro in den Einzelplan 60 umbucht. Ein solches Konstrukt, das mit Haushaltswahrheit und -klarheit nichts zu tun hat, wird von der SPD klar abgelehnt. Meine Fraktion ist der festen Überzeugung, dass es nach dem genannten Grundsatz wesentlich sinnvoller und transparenter gewesen wäre, wenn man hierfür eine separate Haushaltsstelle mit der Bezeichnung „Neuausrichtung der Bundeswehr“ im Einzelplan 14 eingestellt hätte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Minister hat Ende Oktober sein Konzept für Schließungen von Bundeswehrstandorten vorgestellt. Die hierin festgelegten Schließungen und Reduzierungen von Standorten betreffen Tausende von Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Wechsel des Dienstorts wird mit unterschiedlicher Härte auch bei deren Familien ankommen. Es steht aus Sicht der SPD außer Frage, dass dies nur dann angemessen abgefangen werden kann, wenn hierfür ausreichende finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Auch hierfür ist im Haushalt bisher keine entsprechende Hinterlegung erfolgt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus den bisherigen Reformen ist uns bekannt, dass auch die Veräußerung der nicht mehr benötigten Liegenschaften einen ungeheuren Kraftakt bedeutet. Die hiervon betroffenen Städte und Gemeinden können die frei werdenden Flächen nicht alleine vermarkten. Hierfür ist die für den Februar 2012 geplante Informationsveranstaltung der BImA ein erster wichtiger Schritt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend noch einige positive Ergebnisse für den Verteidigungshaushalt 2012 ansprechen. Wir haben gemeinsam erreicht, dass 25 Millionen Euro für Kleinwaffenmunition und 30 Millionen Euro unter der Überschrift „Infanterist der Zukunft“ in den Haushalt eingestellt worden sind. Das sind Dinge, die wir gemeinsam in den Beratungen und auch in der Bereinigungssitzung auf den Weg gebracht haben. Ich finde, dass alle diese gemeinsamen Entscheidungen einmal hervorgehoben werden sollten. Denn bei allen gegensätzlichen Ansätzen von Koalition und Opposition wollen wir doch alle nur eines, nämlich die richtigen Impulse für unsere Bundeswehr, unseren Haushalt und unser Land setzen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Minister, die letzten Wochen - eigentlich das ganze Jahr, das hinter uns liegt - waren für alle, die sich für die Bundeswehr interessieren, unstreitig eine ziemlich spannende Zeit. Das hat natürlich Auswirkungen auf das, was auf uns zukommt. Wir haben das Thema „Strukturreform der Bundeswehr“ in all seinen Facetten bearbeitet. Das Ministerium hat hier eine vorbildliche Arbeit geleistet. Was die Begleitung unserer Arbeit als Berichterstatter im Haushaltsausschuss anbelangt, kann ich mich dem Dank, den der Kollege Brinkmann gegenüber dem Haus ausgesprochen hat, ausdrücklich anschließen. Das war wie immer exzellent. Unsere Fragen wurden schnell, zuverlässig und zutreffend beantwortet. In dieser Zusammenarbeit fehlt es an nichts. Das spiegelt die Auffassung, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, gut wider. Das funktioniert hervorragend. Danke dafür. ({0}) Ich will auch dafür danken, Herr Minister de Maizière, dass Sie sich die nötige Zeit genommen haben, um die anstehenden Standortfragen mit der gebotenen Zügigkeit, aber eben auch der notwendigen Gründlichkeit vorzunehmen. Wir alle sind schon lange genug im Haushaltsausschuss, um zu wissen, dass wir nicht nach Milchmädchenrechnung sagen können: 31 geschlossen, 90 reduziert, das ergibt einen Einsparbetrag x. Kollege Brinkmann hat dankenswerterweise signalisiert, dass er diesem Trugschluss nicht aufsitzt, sondern weiß, dass ein Umbau erst einmal Geld kostet. Nun gibt es, wie immer, wenn Standortentscheidungen anstehen, natürlich fröhliche und weniger fröhliche Gesichter. In meinem eigenen Wahlkreis befindet sich kein Bundeswehrstandort mehr, dort ist nur noch ein Depot, das abgewickelt wird. Aber wir haben natürlich gespannt auf die Nachbarschaft, auf Diez, geschaut und uns gefreut, dass das Schloss Oranienstein weiterhin Sanitätsstandort bleiben wird. Wir müssen aber genauso zur Kenntnis nehmen, dass die Freiherr-vom-Stein-Kaserne keine Zukunft mehr haben wird. Das ist nun einmal so. Daher ist es wichtig, dass die Entscheidungen nach rationalen und ordentlichen Maßstäben getroffen werden. Das ist, glaube ich, hier geschehen. Klare Kriterien wurden angelegt: die Eignung der Liegenschaft für die Auftragserfüllung, die Anbindung an geeignete Ausbildungs- und Übungsmöglichkeiten, die Verkehrsanbindung des Standortes, die räumlichen Zusammenhänge im Rahmen des Aufgaben- und Übungsverbundes, die Liegenschaftsbetriebskosten, also Bauunterhaltung, Bewirtschaftung und Bewachung, Erfordernis und Kosten von Infrastrukturmaßnahmen, bisherige mittelfristig und langfristig erforderliche Infrastrukturinvestitionen und Verfügbarkeit und Vielfalt von Bildungseinrichtungen, öffentlichen Betreuungs-, Freizeit- und Fürsorgeeinrichtungen. Ich glaube, das ist ein umfassender Strauß an Indikatoren, die man angelegt hat, um zu den richtigen Entscheidungen zu kommen. Jeder von uns, der in seiner Nähe einen betroffenen Standort hat, bekommt natürlich Post vom Bürgermeister, der Konversion fordert, aber auch von Soldaten und anderen Personen, deren persönliche Lebensplanung durch die Standortschließungen oder Entscheidungen intensiv betroffen wird. Daher ist es gut, dass man darauf verweisen kann, dass hier nach einem sehr rationalen und nüchternen Maßstabsystem vorgegangen wurde. Lassen Sie mich noch etwas zu unserer Detailarbeit im Haushaltsausschuss sagen. Wir haben noch ein paar kleinere Änderungen vorgenommen. Eine Auswirkung der Abschaffung der Wehrpflicht ist natürlich, dass es den Zivildienst als automatischen Zusatznutzen der Wehrpflicht nicht mehr gibt. Aber mit dem Bundesfreiwilligendienst ist für die Träger von ehrenamtlicher gemeinnütziger Arbeit im Sozial- und Umweltbereich sowie in anderen Bereichen die Möglichkeit geschaffen worden, Ersatz zu bekommen. Wir haben durch einen Haushaltsvermerk dafür Sorge getragen, dass überschüssiges Material, das in der Bundeswehr abgängig ist, übernommen werden kann, und zwar nicht nur durch das THW, sondern auch durch andere anerkannte Katastrophenschutzorganisationen. Ich denke, dass wir damit nicht nur den freiwilligen Wehrdienst, sondern auch andere Organisationen, die dem Motto „Wir.Dienen.Deutschland.“ verpflichtet sind, unterstützen. Durch die Entscheidungen, die getroffen worden sind, verfolgen wir das Ziel, eine Armee zu haben, die mit bis zu 185 000 Soldaten dem zukünftigen Einsatzspektrum gerecht werden kann und wird. Es geht in der Zukunft nicht mehr um die Verteidigung der Landesgrenzen, sondern zukünftige Einsätze erfolgen vor allem an der Seite unserer Partner innerhalb der EU und innerhalb der NATO. Dabei steht die Sicherung der Seewege zum Schutz unserer Handelsschifffahrt genauso auf der Tagesordnung wie Einsätze gegen den international operierenden Terrorismus, die von hoher Intensität und mit hohen Risiken verbunden sind. Wir brauchen natürlich eine schlagkräftige Truppe, die schnell und flexibel einsatzbereit und verlegefähig ist und deren Ausbildung in Deutschland sich darauf konzentriert, sie bestmöglich auf ihr Einsatzspektrum vorzubereiten. Wir haben, damit dieser Umbau gut gelingen kann, versucht, auch im Personalbereich - dazu wird Jürgen Koppelin noch etwas sagen - Vorsorge zu treffen. Wir wollten unter anderem verhindern, dass im Bereich der Portepeeträger Beförderungsstaus eintreten. Daneben haben wir auch besonders an die zivilen Beschäftigten im mittleren Dienst gedacht. Bei internationalen Einsätzen und bei der Zusammenarbeit mit unseren Partnern kommt es natürlich auch darauf an, dass wir kooperationsfähig sind. Deshalb haben wir gesagt - das geht über das, was das Haus dazu vorgeschlagen hat, hinaus -: Wir brauchen einen Einstieg in das Vorhaben „Infanterist der Zukunft - Erweitertes System“ und wollen hierfür eine Anschubfinanzierung; Kollege Brinkmann hat diesen Aspekt dankenswerterweise angesprochen und auch mit unterstützt. Es ist nämlich Ausdruck einer Parlamentsarmee, dass wir die wesentlichen Entscheidungen hier im Parlament und in der Regel zusammen treffen. Für das Projekt „Infanterist der Zukunft“ haben wir daher mit einer Anschubfinanzierung von 30 Millionen Euro Vorsorge getroffen. Das Thema Munition ist ebenfalls angesprochen worden. Die entsprechenden Mittel, die für Munition für kleine Waffen gedacht sind, werden um 25 Millionen Euro erhöht. Wir haben die Berichte von Soldaten, die aus einem Einsatz zurückgekehrt sind, und die Anregungen, die uns über den Wehrbeauftragten, auf dem Dienstweg gleichermaßen, erreicht haben, aufgenommen. Wir sagen: Wenn wir unsere Armee in einen Einsatz schicken, dann muss sie ordentlich ausgerüstet und ordentlich ausgebildet sein. - Wir als Parlament fühlen uns in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, auch wenn das bei dem einen oder anderen Item vielleicht noch nicht der Fall sein sollte. Wir müssen uns darüber hinaus natürlich auch über andere Themen Gedanken machen. Wir wissen, dass Gespräche über langfristige Programme der Beschaffung und über die Spielräume, die wir in diesem Bereich brauchen, laufen. Sie alle kennen das von der Europäischen Verteidigungsagentur angestoßene Konzept „Pooling & Sharing“. Hier geht es um die Frage: Welche Eigenschaften und Fähigkeiten fassen wir auf einer geeigneten Aggregatstufe zusammen und sagen: „Das erledigen verschiedene Länder gemeinsam“, und bei welchen Fähigkeiten spezialisieren sich die Armeen der einzelnen Nationen? Dieser Ansatz muss im Umfeld einer schwierigen Budgetsituation in allen Partnerländern sicherlich verstärkt verfolgt werden. Wir sind da zu allen Diskussionen bereit. Wir wissen auch: Wenn wir im Hinblick auf Ausrüstung und Verträge Entgegenkommen erzielen und mit der Industrie Möglichkeiten erörtern wollen, die Größe des einen oder anderen Beschaffungsauftrags zu variieren, dann sollten wir ihr auch auf anderen Märkten helfen. ({1}) Dabei sind natürlich die strikten Kriterien, die wir dafür entwickelt haben, einzuhalten. ({2}) Es gibt genügend Nachfrage nach ordentlicher deutscher Präzisionstechnologie und Wertarbeit. Das Parlament und die Regierung können hier also helfen. Das sollte für uns alle eine wichtige Aufgabe sein, nicht zuletzt angesichts von 80 000 Arbeitsplätzen in diesem Bereich und des Rufs, den Deutschland auf diesem Feld hat, weil es auch hier über exzellente Spitzentechnologien verfügt. ({3}) Sie sehen: Es bleibt viel zu tun. Aber der Zug fährt in die richtige Richtung. Ich bedanke mich nochmals ausdrücklich für das gute Miteinander, auch innerhalb der Berichterstattergruppe. Mein Dank gilt aber auch dem Ministerium. Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Einzelplan 14 natürlich zustimmen. Danke sehr. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Christine Buchholz von der Fraktion Die Linke. ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst müssen wir feststellen, dass die Bundesregierung offensichtlich beschlossen hat, das Verteidigungsministerium von den Sparbemühungen des Bundes auszunehmen. Sie hatten uns versprochen, dass auch beim Militär gespart werden muss; das war eine zentrale Begründung für die Bundeswehrreform. Aber jetzt stellen wir fest: Der Etat des Verteidigungsministeriums ist nicht verkleinert worden. Aber nicht nur das: Wenn wir die NATO-Kriterien dafür, was Verteidigungsausgaben sind, anlegen, dann müssen noch weitere 3,7 Milliarden Euro aus anderen Haushaltstöpfen dazugezählt werden. Das sind 1 Milliarde Euro mehr als noch im laufenden Jahr. Auf diese Weise versteckt, wächst das Verteidigungsbudget 2012 im Vergleich zu 2011 um 1,2 Milliarden Euro auf 35,4 Milliarden Euro an. Seien Sie so ehrlich, das den Steuerzahlern zu sagen! ({0}) Aber auch diese Rechnung ist noch lange nicht vollständig. Ich möchte das einmal anhand der Kosten für den Krieg in Afghanistan deutlich machen: Die reinen einsatzbedingten Kosten für ISAF im Verteidigungsetat belaufen sich auf rund 800 Millionen Euro. In Wirklichkeit ist es aber mehr als das Vierfache. Die erste Mogelpackung. Die Regierung rechnet sogar innerhalb des Verteidigungsetats die Kosten für den Einsatz runter. Beispielsweise wird der Grundsold für die eingesetzten Soldaten nicht dem Einsatz zugeschrieben. Dabei könnte die Zahl der Soldaten drastisch reduziert werden, wenn die Regierung endlich damit aufhören würde, Soldaten ins Ausland zu schicken. ({1}) Dasselbe gilt auch für die Transportflugzeuge, Schützenpanzer, Tornados, AWACS und andere Sachen. Sie wollen in Zukunft ja zwei dieser Einsätze durchführen können. Das können wir uns sparen. ({2}) Die zweite Mogelpackung. Die Kosten für den Einsatz werden in andere Ressorts ausgelagert, seien es die Kosten für die Nachversorgung der Verwundeten und Hinterbliebenen, die Kosten für die Entschädigung der zivilen afghanischen Opfer - wenn sie denn überhaupt bezahlt wird und nicht, wie im Fall des Kunduz-Massakers, nicht bezahlt wird - und auch die Kosten für den Polizeieinsatz, der eng mit dem Militäreinsatz verwoben ist. Die dritte Mogelpackung. Die gesellschaftlichen Folgekosten, zum Beispiel durch die Schäden, die die beteiligten Soldatinnen und Soldaten an Körper und Seele erlitten haben, werden im Haushalt überhaupt nicht berücksichtigt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kommt nach Einrechnung all dieser Kosten zu folgendem Ergebnis - ich zitiere -: … kostet jedes weitere Jahr, in dem Deutschland am Einsatz in Afghanistan teilnimmt, zusätzliche 2,5 bis 3 Milliarden Euro. Und das alles für einen Krieg, der den Menschen in Afghanistan Tod und Leid bringt, das alles zur Stabilisierung einer Regierung, die korrupt, unbeliebt und vollständig abhängig von der internationalen Schutztruppe ist. Schauen wir uns den Präsidenten Karzai an, mit dem der Außenminister im Dezember gemeinsam eine Konferenz in Bonn veranstalten wird. Citha Maaß von der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte kürzlich: Die Drogenindustrie durchdringt Politik und Wirtschaft in Afghanistan wie ein Krebsgeschwür. Der Halbbruder des Präsidenten galt bis zu seiner Ermordung im August als der Pate von Kandahar. Ein anderer Bruder Karzais ist in die dubiosen Geschäfte der Kabul Bank verstrickt, durch die er und seine Geschäftsfreunde sich auf Kosten der Geberländer um Hunderte Millionen Dollar bereichert haben. Derweil ist laut der Hilfsorganisation Oxfam jedes dritte Kind in Afghanistan unterernährt. Dieser Winter könnte sich zu einer Katastrophe entwickeln. Wie dramatisch die Lage der Bevölkerung ist, zeigt auch das Beispiel der Millionenstadt Kabul. Es gibt dort kein Abwassersystem, und laut der Kreditanstalt für Wiederaufbau wäre es dort nötig, Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar zu tätigen. Dafür ist aber kein Geld da. Es gäbe viel zu tun, aber die Bundesregierung bevorzugt es, beim Aufbau und bei der Entwicklung zu kleckern. Geklotzt wird nur beim Militär, und das machen wir nicht mit. ({3}) So ist es auch kein Wunder, dass laut einer im Oktober veröffentlichten Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung 56 Prozent der afghanischen Bevölkerung die NATO-Truppen als Besatzungsmacht empfinden. Auch in Deutschland hat die Mehrheit das falsche Spiel der Bundesregierung mit Afghanistan durchschaut. Weil Töten und Sterben für einen sinnlosen Krieg nicht attraktiv sind, gibt die Bundesregierung dann auch noch 200 Millionen Euro für ein Attraktivitätsprogramm der Bundeswehr aus, um die Rekrutierungsziele der Bundeswehr erreichen zu können. Wir sagen: Beenden Sie die Auslandseinsätze der Bundeswehr, allen voran die Beteiligung am Krieg in Afghanistan! ({4}) Nutzen Sie die freiwerdenden Mittel für friedliche und soziale Maßnahmen, die den Menschen in Afghanistan und in Deutschland zugutekommen! Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe von den Linken natürlich keinen anderen Redebeitrag erwartet, aber ich möchte mich beim Kollegen Brinkmann und auch beim Kollegen Willsch für ihre Beiträge recht herzlich bedanken, zeigen sie doch, dass wir wirklich Gemeinsamkeiten haben. Kollege Brinkmann hat darauf aufmerksam gemacht: Die Bundeswehr ist unsere Parlamentsarmee. Die Berichterstattergespräche - darin schließe ich die Kollegin Lötzsch als Berichterstatterin ausdrücklich mit ein; Ihr Beitrag, Frau Buchholz, hat das leider nicht wiedergegeben - waren davon getragen, dass wir uns für die Bundeswehr und für die Angehörigen der Bundeswehr verantwortlich fühlen. Ich finde, die Angehörigen der Bundeswehr müssen das Gefühl und die Sicherheit haben, dass wir ihre Sorgen und Nöte kennen und dass wir gemeinsam versuchen, diese Probleme zu lösen, auch wenn das manchmal nicht von heute auf morgen geht. ({0}) Die Angehörigen der Bundeswehr haben Anspruch darauf, angesichts eines solchen Haushalts zu wissen: Wie sieht zukünftig ihr Dienst aus? Davon waren auch unsere Beratungen geprägt. Es gab - das will ich ausdrücklich sagen; das finde ich sehr angenehm - sehr viele Übereinstimmungen. Zum Beispiel waren wir uns alle darüber einig - dabei schließe ich den Kollegen Lindner mit ein -, dass die Bundeswehrsoldaten im Ausland das beste Material bekommen müssen, das vorhanden ist, und dass wir uns darum bemühen. Dafür möchte ich mich bei allen recht herzlich bedanken, bei Ihnen, Frau Buchholz, natürlich nicht. ({1}) Das Thema Afghanistan, Herr Bundesminister, durchzieht die Debatte am heutigen Tag. Deswegen lassen Sie mich direkt einen Punkt ansprechen, der mir bei den Haushaltsberatungen aufgefallen ist und dem ich weiter nachgehen werde. Da wir über Ihren Etat sprechen, will ich ganz klar sagen, dass mir das große Sorgen macht. 2010 hatten wir 100 Fälle, in denen hohe Geldbußen gegen Soldaten im Auslandseinsatz verhängt wurden. Immerhin kam es hier zu Einnahmen von insgesamt 112 000 Euro. Das sind im Durchschnitt 1 000 Euro pro Soldat als Geldstrafe. In diesem Jahr geht das genauso weiter. Ich wäre sehr dankbar, wenn man diesen Dingen nachgeht. Nach meiner Auffassung scheint da irgendetwas nicht in Ordnung zu sein. Nicht nur ich, sondern sicherlich auch die Berichterstatter hätten gerne eine umfassende Aufklärung darüber, warum es dort so hohe Geldstrafen gibt. Natürlich, wenn man hier im Deutschen Bundestag über Auslandseinsätze beschließt, dann muss nach zehn Jahren Afghanistan darüber nachgedacht werden: Wann kann der Abzug erfolgen? Ich bin sehr froh, auch als jemand, der diesem Einsatz in Afghanistan immer sehr kritisch gegenübergestanden hat, dass nun Schritt für Schritt - in der Debatte zum Haushaltsplan des Auswärtigen Amts ist darauf schon hingewiesen worden - der Rückzug eingeleitet wird. Ich möchte an dieser Stelle auch sagen: Wenn die Bundeswehr aus Afghanistan zurückgekehrt ist, sollten und dürfen wir Afghanistan auch nach 2014 nicht vergessen. Das wird auch weiterhin unsere Aufgabe bleiben. Wenn wir von Gemeinsamkeiten sprechen, hätte wenigstens dies der Linken eine kleine Bemerkung wert sein sollen: Ich bin sehr froh, dass es uns mit diesem Haushalt endlich gelungen ist, dass die Radargeschädigten der Bundeswehr und, das sage ich in Richtung der Linken, auch die Radargeschädigten der NVA einen Ausgleich bekommen. ({2}) Ich möchte mich bei Staatssekretär Schmidt ausdrücklich dafür bedanken - das war eine gute gemeinsame Arbeit -, dass wir jetzt endlich zu einer Lösung gekommen sind. Ich sage allerdings auch: Wenn man weiß, dass manche Fälle 40 Jahre alt sind, dann schämt man sich ein bisschen, auch hier für uns, für den Bundestag. Wir hätten schneller reagieren müssen. ({3}) Mit diesem Verteidigungsetat sind etwa 500 Stellenanhebungen im militärischen Bereich und etwa 300 Stellenanhebungen im zivilen Bereich verbunden. Dabei geht es vor allem darum, die langen Wartezeiten für die Feldwebellaufbahn endlich zu verkürzen. Solche Wartezeiten darf es nicht mehr geben. Damit folgen wir auch dem Vorschlag des Ministeriums. Im Haushaltsentwurf waren zusätzlich Verbesserungen bei 6 000 Planstellen vorgesehen. Das ist ein guter Vorschlag gewesen. Zu den Grünen muss ich sagen: Die von euch gestellten Anträge kann ich nicht verstehen. Das, was ihr fordert, hätten wir nie machen können. So soll die Zahl der Soldatinnen und Soldaten auf 160 000 gesenkt werden. Ich will die anderen Forderungen gar nicht mehr vorlesen. Ich dachte, dass diese Zeiten bei den Grünen vorbei seien. Aber mit euren vielen Kürzungsvorschlägen fallt ihr in eurer Entwicklung wieder ein paar Jahre zurück. Ihr solltet noch einmal schauen, ob das wirklich so notwendig war. Wir haben eine Verbesserung der Versorgung der im Ausland verletzten Soldaten beschlossen. Damit ist die soziale und finanzielle Versorgung unserer Bundeswehrangehörigen erheblich verbessert worden. Das trifft übrigens auch auf traumatisierte Soldaten zu. Ihnen gilt nach wie vor unsere Fürsorge. Die Bundeswehr wird verkleinert; darüber ist schon gesprochen worden. Das haben wir hier im Bundestag beschlossen. Es ist selbstverständlich, dass wir dann auch finanzielle Mittel bereitstellen müssen, um den Abbau sozialverträglich zu gestalten. Den Betroffenen, Kollege Brinkmann, ist es übrigens egal, ob diese Mittel aus dem Einzelplan 60 oder dem Einzelplan 14 kommen. Durch die Verkleinerung der Bundeswehr - das musste jedem klar sein - müssen auch Standorte geschlossen werden. Für die betroffenen Orte ist das oft bitter. Das weiß ich. Die Entscheidungen sind schmerzhaft, aber notwendig. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass wir Standorte schließen. Wenn jetzt der Ruf kommt, diesen Orten finanziell zu helfen, dann finde ich diese Forderung durchaus berechtigt. Ich darf allerdings die Sozialdemokraten und andere daran erinnern, dass es in früheren Fällen - in meinem Wahlkreis gab es drei große Standorte - null finanzielle Hilfe gab. Meine Leute an den drei Standorten haben nie etwas gesehen. Damals haben Sozialdemokraten Standorte geschlossen. Ich habe allerdings gelernt - das will ich Ihnen nicht vorenthalten, Herr Minister -: Eigentlich ist nur einer schuld daran, dass die Standorte geschlossen werden. Das sind nicht Sie. Wir haben einen Kollegen, der auch Landesvorsitzender der SPD in Bayern ist, nämlich Herr Pronold. Ich dachte, er wäre heute anwesend, um sich zu engagieren. Er ist der Auffassung, dass die Standortschließung durch Herrn Seehofer erfolgt ist. ({4}) Ich habe die Presseerklärung mitgebracht. Darin heißt es, Herr Seehofer habe damals dem Koalitionsvertrag zugestimmt, in dem die Bundeswehrreform beschlossen wurde. Hätte er nicht zugestimmt, dann würden auch Standorte in Bayern nicht geschlossen werden. Es kommt aber noch stärker: Damit habe Herr Seehofer die Wehrpflichtarmee geopfert. Nun kommt noch etwas. Das hätte ich nie von den Sozialdemokraten gedacht. Kollege Pronold schreibt weiter: Es war ein kapitaler Fehler von Seehofer und der CSU, das Verteidigungsministerium nach dem Rücktritt von Guttenberg aufzugeben. Ich hätte nie gedacht, dass sich Sozialdemokraten dafür einsetzen, dass das Verteidigungsministerium auch weiterhin christlich-sozial geführt wird. Aber man lernt dazu und hört das gern. ({5}) Es ist schon gesagt worden: Alle Rüstungs- und Beschaffungsmaßnahmen werden überprüft. Bundesminister de Maizière hat zu Recht am 14. Oktober die Berichterstatter informiert und gesagt, wohin die Reise gehen soll. Es wird erhebliche Reduzierungen geben. MEADS war immer ein Steckenpferd von uns. Insoweit ist der Antrag der Grünen auch in diesem Punkt überflüssig. Ihr braucht nur nachzulesen, was der Rechnungshof geschrieben und der Minister uns mitgeteilt hat. Dann seht ihr genau, wohin die Reise gehen soll. Das Problem sind allerdings - das ist keine leichte Aufgabe für den Verteidigungsminister -, die Gespräche mit der Industrie. Damit komme ich zum Schluss, Herr Präsident. Denn es geht überwiegend um Beschlüsse und lange Verträge, die ihr seinerzeit unter Rot-Grün eingetütet habt und die wir jetzt versuchen müssen zu korrigieren. Ich bin aber sehr optimistisch, dass wir einen sehr starken Verteidigungsminister haben, der mit der Industrie sprechen wird. Denn wir brauchen nicht die Sachen, die ihr irgendwann bestellt habt, sondern wir brauchen modernes Gerät. Herzlichen Dank für Ihre Geduld. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat der Kollege Dr. Tobias Lindner von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon mehrfach erwähnt worden: Wir beraten heute den ersten Verteidigungshaushalt im Lichte, vor allem aber in Kenntnis der Details der Bundeswehrreform. Es gibt mehrere Gründe dafür, unsere Streitkräfte zu reformieren. Ein Grund sind die haushaltspolitischen Rahmenbedingungen. Ihr Vorgänger, Herr Minister - das ist der mit der neuen Frisur -, hat bereits im Mai 2010 festgestellt, dass der - ich zitiere - „mittelfristig höchste strategische Parameter …, unter dem die Zukunft der Bundeswehr gestaltet werden muss“, die Schuldenbremse sei. Das Sparziel, mit dem Sie die aus unserer Sicht durchaus vernünftige Abschaffung der Wehrpflicht begründen, wurde im Jahr 2010 mit 8,3 Milliarden Euro angegeben. Auch Sie, Herr de Maizière, haben dieses Ziel mitgetragen, wenn auch in anderer Funktion. Aber auch Sie saßen damals mit am Kabinettstisch. Ein Blick in den Entwurf zum Einzelplan 14 zeigt, dass von diesem Sparziel nicht einmal die Hälfte übriggeblieben ist. Begonnen hat das Ende des Sparens mit der Streckung des Sparziels. Anfang dieses Jahres wurde beschlossen, dass wir erst im Jahr 2015 den vollen Sparbeitrag erbringen sollen. Als Nächstes - auch das wurde erwähnt - wurden mehr als 1 Milliarde Euro in den Einzelplan 60 eingestellt, sodass es möglich ist, Personalausgaben für Zivilbedienstete dorthin auszulagern. Mit anderen Worten: Das ist nichts anderes als 1 Milliarde Euro zusätzlich im Verteidigungsbereich. Mit den Grundsätzen von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit hat dieser Verschiebebahnhof nichts gemein. ({0}) Dass Sie Ihr eigenes Sparziel offenbar selbst nicht sehr ernst nehmen und für glaubwürdig halten, wird erst recht deutlich, wenn man versucht, sich auf Ihre mittelfristige Finanzplanung, also auf den 44. und 45. Finanzplan der Bundeswehr, einen Reim zu machen. Im 44. Finanzplan finden sich noch die erwähnten Einsparungen von 8,3 Milliarden Euro. Schaut man in den 45. Finanzplan, so findet man Einsparungen von nur noch 2,3 Milliarden Euro. Allein 2014 wollen Sie 3 Milliarden Euro mehr ausgeben. Mit Haushaltskonsolidierung hat das nichts zu tun. ({1}) Wenn man nachfragt - so wie ich dies getan habe -, warum das Ganze so ist, dann bekommt man von dieser Regierung allen Ernstes die Antwort, dass das geringere Sparziel alleine den Mietzahlungen, die die Bundeswehr von diesem Jahr an zu leisten hat, geschuldet ist. Das ist der Punkt, an dem spätestens Schönreden beginnt. Es war letztes Jahr bekannt, dass die Bundeswehr ihre Liegenschaften übertragen muss, Mietzahlungen zu leisten hat und eine Kompensation erhält. Es war bekannt, dass diese Zahlungen anfallen werden, und es war im letzten Jahr noch möglich, Einsparungen auszuweisen. In diesem Jahr ist plötzlich nichts mehr möglich. Das ist in etwa so, als wenn man Anfang Dezember plötzlich merkt, dass am 24. Weihnachten ist und das Geld nicht reicht. Ähnlich überraschend kommen nämlich diese Mietzahlungen. ({2}) Nein, Herr Minister, mit Ihrer Sparankündigung sind Sie bei der Reform als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. ({3}) Es gibt aber neben dem Sparbeitrag auch andere Notwendigkeiten, warum wir eine Reform unserer Streitkräfte brauchen. Wir müssen die Bundeswehr an die sicherheitspolitischen Realitäten anpassen. Es ist richtig, Herr de Maizière: Sie krempeln den Laden mit Ihrer Bundeswehrreform kräftig um. Aber dennoch greifen Sie viel zu kurz. Sie verharren in alten Denkmustern und haben die Chance vertan, unsere Streitkräfte auf ihre wahrscheinlichsten Kernaufgaben zu konzentrieren. Mit Ihrem Anspruch „Breite vor Tiefe“ zwingen Sie die Bundeswehr, an überflüssigen und kostspieligen Fähigkeiten, wie beispielsweise der nuklearen Teilhabe, festzuhalten. Das muss ein Ende haben. ({4}) In der Konsequenz ist die Bundeswehr mit 185 000 Soldatinnen und Soldaten viel zu groß und zu teuer. Wir Grüne fordern eine fokussierte Bundeswehr mit 160 000 Soldatinnen und Soldaten. ({5}) - Warum? Das sind Forderungen des Generalinspekteurs, dessen eigene Berechnungen, die wir übernehmen und anpassen. ({6}) Ich komme zum Schluss. Ihr Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg veröffentlicht in diesen Tagen ein neues Buch. Sein Titel, also nicht der Titel von Herrn zu Guttenberg, sondern der des Buches, passt wie ein Fazit zu Ihrer Reform. Er lautet: Vorerst gescheitert. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Thomas de Maizière. ({0})

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2011, das jetzt schon fast zu Ende geht, war in der Tat ein Jahr vieler sehr, sehr wichtiger Entscheidungen für die Bundeswehr. Es begann mit der Aussetzung der Wehrpflicht. Das Zweite war die Vorlage der Verteidigungspolitischen Richtlinien im Mai. Es folgte im Zusammenhang damit die Festlegung des Gesamtumfangs der Streitkräfte - es war schon die Rede davon - bis zu 185 000: 170 000 plus 5 000 plus x. Der nächste Schritt war die Beschlussfassung über den Haushalt auf Regierungsebene mit dem 45. Finanzplan, der hier sehr unterschiedlich bewertet wird. Ich finde das Ergebnis gut. Darauf komme ich gleich noch einmal zurück. Es folgte dann die Entscheidung über die Grobplanungen im Einzelnen: Wie groß soll das Heer sein, wie groß die Luftwaffe oder wie groß die Marine? In der Tat, Herr Lindner, haben wir uns für den Grundsatz „Breite vor Tiefe“ entschieden. Wir sind zum Beispiel dem Vorschlag des von mir im Übrigen wirklich sehr geschätzten Vorsitzenden der sogenannten Weise-Kommission, Herrn Weise, nicht gefolgt und haben nicht gesagt: Wisst ihr was? Wir können im Rahmen von „Pooling & Sharing“ auf die Marine verzichten; denn Großbritannien hat eine Marine. ({0}) - Na ja, so ähnlich schon. Das würde nicht nur bei Herrn Bartels, Herrn Koppelin, Herrn Gädechens usw. auf Probleme stoßen, sondern das wäre auch falsch. Der Grundsatz „Breite vor Tiefe“ ist, wenn die Breite eine vernünftige Form hat, richtig. In dieser Auffassung unterscheiden wir uns. Es folgten die Entscheidung zur Verkleinerung und Umstrukturierung des Ministeriums, das Reservistenkonzept, die Liste mit Angaben zu den Großgeräten, die Aufsetzung eines neuen Beschaffungs- und Rüstungs16976 prozesses - dazu sage ich gleich noch ein paar Worte und schließlich die Stationierungsentscheidung am 26. Oktober. Diese war - Herr Willsch und einige andere haben es bereits gesagt - eine Folge der vorhergehenden Entscheidung. Die Stationierungsentscheidung ist nicht die Neuausrichtung, sondern eine logische Folge von alldem. Ich verstehe die Sorgen und Nöte der Betroffenen vor Ort, ob es die Angehörigen, der Bäcker um die Ecke oder der Bürgermeister sind. Darüber wird zu sprechen sein. Die Entscheidung selbst war notwendig. Ich bedanke mich für die - jedenfalls im Großen und Ganzen damit verbundene Akzeptanz. ({1}) Ausgangspunkt unserer Überlegung war das Ziel, über Streitkräfte zu verfügen, die dem Stellenwert und der Verantwortung unseres Landes entsprechen und bei denen Auftrag und Mittel zusammenpassen. Die Neuausrichtung ist - wir haben darüber diskutiert - sicherheitspolitisch begründet. Sie ist mit Blick auf unsere kleiner werdenden Jahrgänge demografisch abgesichert, und sie ist solide finanziert. Wir brauchen die Neuausrichtung, um die Herausforderungen und Gefährdungen unserer Sicherheit zu meistern. Die Finanzausstattung mit 31,9 Milliarden Euro ist nicht üppig. Aber sie ist angemessen, und sie ist - soweit das angesichts der Zeit, in der wir leben, überhaupt möglich ist - mittelfristig gesichert. Folgendes ist uns gelungen - ich will nur ein paar Beispiele nennen; einige sind schon genannt worden -: Wir werden ein zusätzliches Reformbegleit- und Attraktivitätsprogramm in Höhe von 200 Millionen Euro aufstellen. Es wird in den nächsten Jahren etwas aufwachsen. Wir haben die Ausgaben für die internationalen Einsätze um 250 Millionen Euro erhöht. Frau Buchholz, das wollten wir tun, weil wir finden, dass der Schutz der Soldaten, die in unserem Auftrag tätig sind, oberste Priorität hat. ({2}) Wir haben die Ausgaben für die Materialerhaltung gegenüber der bisherigen Planung um 212 Millionen Euro verstärkt; denn da gab es immer einen Engpass. Das war auch immer eine Art Sparbüchse: Wenn es nicht gereicht hat, dann wurde beim Benzin gespart. Das wollen wir ändern. Darüber hinaus nehmen wir - Herr Koppelin hat darauf hingewiesen; dafür bin ich besonders dankbar 6 000 Planstellenverbesserungen für die Mannschaftsdienstgrade und rund 500 Stellenhebungen für Soldaten und zivile Mitarbeiter im unteren Bereich vor. Gestern hat Herr Schneider im Zusammenhang mit der ersten Lesung des Etats des Finanzministeriums Stellenhebungen kritisiert. ({3}) Einige haben ihn mit Zwischenrufen darauf hingewiesen, dass das zumindest für diesen Bereich nicht gelten kann. Wenn man für die Kleinverdiener etwas macht, dann verdient das Lob und nicht Tadel. ({4}) Ich werde den Dank an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium weitergeben. Gerne erwidere ich den Dank, und zwar nicht nur an die Berichterstatter aller Fraktionen, sondern auch an deren Mitarbeiter und an den Haushaltsausschuss im Ganzen. Ein solcher Stil und ein solches Klima in diesen Debatten, nämlich dass nicht mit Leidenschaft um die großen Themen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gerungen wird, sondern dass es hier eine große Einigkeit gibt, ist, zumindest wenn man sich einmal die Geschichte der westdeutschen Bundesrepublik anschaut, nicht selbstverständlich. Die PDS-Linken schließen sich da aus. Um es einmal so zu sagen: Ich wäre aber auch besorgt, wenn es anders wäre. ({5}) Bei allen anderen freue ich mich darüber. Vielleicht denken die Grünen einmal darüber nach, ob Sie bei aller Kritik im Einzelnen, die man natürlich haben kann und die auch wir haben - die SPD kritisiert die Reduzierung auf nur noch 55 000 zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; die Grünen plädieren sogar für eine noch kleinere Armee mit 160 000 Soldaten; sie haben allerdings nie gesagt, ob etwa auch die freiwillig Wehrdienstleistenden und andere dazugerechnet werden sollen -, nicht doch wieder zu einem Konsens zurückkommen wollen. Wenn ich die momentanen Differenzen ausblende, muss ich feststellen: Dass Union, FDP und SPD in Bundeswehrfragen einen Konsens hatten, hat dieser Republik in den letzten 60 Jahren ziemlich gutgetan. Ich möchte, dass das so bleibt. ({6}) Ein Wort zur Rüstungsindustrie. Herr Koppelin hat bereits darauf hingewiesen, dass wir schwierige Gespräche geführt haben. Man muss wissen, dass die Entwicklung in anderen Staaten ähnlich verläuft. Aber ich muss wiederholen - das sagen alle meine Kollegen; der französische Verteidigungsminister kommt nachher in den Verteidigungsausschuss -: Unsere Beschaffungsprozesse sind absolut unzureichend. Das liegt an der Bestellerseite, aber auch an der Unternehmensseite. Die Qualität stimmt oft nicht. Preisabsprachen werden nicht eingehalten, und es wird nicht pünktlich geliefert. So können wir nicht weitermachen. Wir werden sehr harte Gespräche führen, mit dem Ziel, das zu ändern, aber nicht um einzusparen, sondern um überhaupt wieder Spielraum für neue Beschaffungen zu bekommen. Ein Wort zum Reformbegleitprogramm. Wir reden viel über Strukturen. Aber es geht hier in erster Linie um Menschen, um die Soldatinnen und Soldaten sowie um die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für sie alle wollen wir etwas tun, und zwar sowohl für diejenigen, Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der VerteidigungBundesminister Dr. Thomas de Maizière die bleiben - sie sollen eine Erhöhung der Vergütung für besondere zeitliche Belastungen erhalten -, als auch für diejenigen, die die Bundeswehr verlassen müssen. Das kann man angesichts des Personalabbaus bei den zivilen Beschäftigten in den vergangenen 20, 30 Jahren vielleicht großzügig nennen. Aber ich halte es für angemessen. Derjenige, von dem viel verlangt wird, kann auch ein besonderes Maß an Fürsorge erwarten. Das wollen wir hiermit bieten. Ich hoffe, dass wir über den entsprechenden Gesetzentwurf, sobald er vorliegt, zügig beraten werden. So viel zu den Entscheidungen in diesem Jahr. Das war, ehrlich gesagt, noch der leichtere Teil der Übung; denn jetzt geht es um die Umsetzung. Sie wird schwierig und ist nicht in einem Jahr zu machen. Dafür brauchen wir Jahre. Wir müssen das alles kontinuierlich umsetzen, Mentalitäten verändern, den Spaß an Verantwortung fördern und so arbeiten, dass Führen mit Auftrag auf allen Ebenen Realität und nicht nur Anspruch ist; das dauert. Die Mühen der Ebenen sind oft größer als die Mühen des Aufstiegs. Wir müssen das alles bei laufenden Einsätzen tun. Wir werden im Dezember in erster Lesung über den ISAF-Einsatz in Afghanistan beraten; Herr Koppelin und andere haben davon in der außenpolitischen Debatte schon gesprochen. Ich würde mich freuen, wenn auch hier große Einigkeit über Ziel und Umsetzung bestünde. ({7}) - Darüber freue ich mich. ({8}) Wir werden später die Anträge auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an Atalanta und an Active Endeavour diskutieren. Der französische Verteidigungsminister kommt nachher in den Verteidigungsausschuss. Wie gesagt, wir müssen alles bei laufenden Einsätzen machen. Es handelt sich quasi um eine Operation am offenen Herzen. Wir wollen bündnisfähig bleiben und unseren Verpflichtungen nachkommen und gleichzeitig Umstrukturierungen vornehmen. Das verlangt viel Kraft, viel Aufmerksamkeit, viel Fürsorge und viel Unterstützung. Ich spüre diese Unterstützung für die Soldatinnen und Soldaten sowie die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier und außerhalb des Hauses. Dafür bedanke ich mich. Ich bitte darum, dabeizubleiben, auch wenn es bei der Umsetzung das eine oder andere Problem gibt. Ich freue mich über die Zustimmung zum Einzelplan 14, die wir hoffentlich gleich erleben werden. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die SPD spricht nun der Kollege Rainer Arnold.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit dem Positiven beginnen: Es ist in der Tat so, Herr Minister, dass seit dem Ministerwechsel im Frühjahr dieses Jahres der Grundkonsens in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zumindest zwischen der Mehrheit der Fraktionen hier im Hause wieder deutlicher ist und einfacher herzustellen ist. Wir haben das, glaube ich, in den letzten Wochen bewiesen, als es darum ging, die Einsatzversorgung für die Soldaten, die Entschädigungsregelungen für die Radargeschädigten und - ich hoffe, dass das gelingt - die Kommunikation der Soldaten im Auslandseinsatz mit der Heimat zu verbessern. Ich bin sehr dankbar, dass diese Verantwortung bei einer Reihe von wichtigen Entscheidungen sichtbar wurde, die die Haushälter getroffen haben. ({0}) Ich möchte unserem Haushälter Bernhard Brinkmann ein besonderes Dankeschön aussprechen, der nicht nur einen Blick für Zahlen, sondern auch einen Blick für das, was die Soldaten brauchen, hat. Herzlichen Dank, Kollege Brinkmann! Herr Minister, manche Journalisten schreiben, nachdem Sie am heutigen Tag 266 Tage im Amt sind: Ja, der Minister administriert sicherlich konsequenter als sein Vorgänger, der eher Überschriften produziert hat. - Das ist gut; ich will das gar nicht bekritteln. Aber ich glaube, es ist zunehmend berechtigt, zu fragen, ob jenseits der Administration auch die notwendigen politischen Impulse von Ihnen gesetzt werden. Es ist an der Zeit, dass sie gesetzt werden. Ich nenne nur zwei Beispiele. Wir kommen nicht voran bei der Debatte in unserer Gesellschaft, auch nicht parlamentarisch, über die Frage: Welche Rolle und welche Verantwortung hat das größte Wirtschaftsland nicht nur in der Finanz-, sondern auch in der sicherheitspolitischen Welt? ({1}) Hier gibt es noch viel zu klären. Hätten wir das geschafft, wäre es einfacher, über Einsätze zu reden und zu entscheiden. Ich glaube, Sie sind schon in einer besonderen Verantwortung, solche Debatten voranzubringen. Die Sozialdemokraten hätten Sie bei dieser Diskussion als Partner. Dasselbe gilt für die Frage: Welche Chancen bietet die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf europäischer Ebene in einer Situation, in der alle Länder sparen müssen? Wir haben wiederholt darüber gesprochen. Sie sagen, Sie machten lieber konkrete kleine Schritte, als großen Reden zu halten. Ich will auch gar nicht sagen, dass diese kleinen Schritte falsch sind. Das ist die eine Seite. Aber nachdem Frankreich und Großbritannien, zwei Länder, die in ihrer Vorgehensweise strategisch übereinstimmen, eine aus ihrer Sicht gute Vereinbarung getroffen haben und in Europa vorangehen, brauchen wir natürlich eine Antwort Deutschlands. Es ist schön, dass der französische Verteidigungsminister heute hier ist; das reicht aber nicht aus. Wir brauchen auch auf europäischer Ebene jenseits der kleinen Schritte eine strategische Debatte. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der VerteidigungBundesminister Dr. Thomas de Maizière Eines ist ganz besonders wichtig: Bei den militärischen Fähigkeiten der Europäer, auch in der Vernetzung, ist man weiter und fortschrittlicher als bei den politischen Prozessen in Europa. Deshalb wäre es Aufgabe des Außenministers, der Bundeskanzlerin und des Verteidigungsministers, Impulse für diese politischen Prozesse zu geben. ({2}) Lassen Sie mich bei dieser Haushaltsberatung ein paar Sätze zu den Finanzen sagen. Herr Minister, die Sozialdemokraten hatten recht: Ein Einsparvolumen von 8,3 Milliarden Euro ist nicht zu erbringen. Das ist deutlich geworden. Es wäre schön und ein Zeichen von Größe, wenn auch Sie sagen könnten: Ja, auch ich habe mich in Neuhardenberg blenden lassen; ich habe geglaubt, dass man 8,3 Milliarden Euro einsparen kann. - Sie sagen aber in Wirklichkeit: Wir können 8,3 Milliarden Euro einsparen; aber ich brauche mehr Geld. Das passt nicht zusammen. Das steigert auch nicht das Vertrauen in die finanziellen Vorgaben für die Streitkräfte in den nächsten Jahren. Sie praktizieren „linke Tasche - rechte Tasche“, indem Sie Kosten, die eigentlich im Verteidigungsressort anfallen, zum Beispiel für die Berechnung der Gehälter, in andere Ministerien verlagern. Sie sind mehr als ein Verteidigungsminister: Bundesminister der Verteidigung. Für den Gesamthaushalt ist es kein Gewinn, wenn Sie so vorgehen. Was Sie da machen, ist vielleicht taktisch klug; es ist aber, fürchte ich, ein Fehler. Es ist deshalb ein Fehler, weil der größte Personalkörper sein eigenes Personal nicht mehr bei der Hand hat und damit Kompetenzen sowie das Verständnis für den Soldatenberuf geringer werden. Das ist ein strategischer Fehler. Ich sehe schon vor mir, wie irgendwann einmal ein Finanzminister sagt: Moment, ihr Verteidigungspolitiker, wir erbringen für euch mit der Gehaltsabrechnung und allem, was daran hängt, Leistungen, und die stellen wir dem Verteidigungsressort in Zukunft selbstverständlich sichtbar, der Haushaltsklarheit wegen, in Rechnung. Herr Minister, wenn Sie in solchen Fragen schon nicht auf die Opposition hören wollen, sehen Sie wenigstens von dem Schritt ab, die Verantwortung für das Personal auszulagern. Lassen Sie das. Hören Sie auf die Personalvertretung. Nehmen Sie auch die gesetzlichen Bedenken in diesem Bereich ernst. ({3}) Nun haben Sie viel über die Reform geredet. Ich will ausdrücklich sagen: Vieles von dem, was hier angestoßen wurde, findet unsere Unterstützung. Ich kann hier nicht mit Klein-Klein jeden einzelnen Punkt herausgreifen. Aber eines, Herr Minister, ist nicht richtig, nämlich wenn Sie sagen: Die Reform ist sicherheitspolitisch begründet, gut finanziert und demografiefest. - Die Reform ist sicherheitspolitisch nicht begründet. Die Welt hat sich, was die Sicherheitspolitik angeht, in den letzten zwei, drei Jahren nicht wirklich verändert. Das Geld ist knapper. Das ist gar kein Vorwurf; es wäre auch knapp, wenn die Sozialdemokraten regieren würden. Aber wir sollten es ehrlicherweise auch sagen. Die Reform ist auch nicht solide nachhaltig finanziert. Wir werden am Ende weniger Soldaten, weniger Ausstattung und weniger Fähigkeiten haben, und die Schere zwischen den Ansprüchen, die wir Politiker an die Streitkräfte und ihre Fähigkeiten haben, und den finanziellen Möglichkeiten der Bundeswehr wird nicht geschlossen. Das Problem wird auf niedrigerem Niveau in die Zukunft transferiert. Darüber sind wir sehr unglücklich. Wir sind auch nicht froh über Ihre These „Breite vor Tiefe“, die Sie hier geäußert haben. So kann man in vielen Bereichen vorgehen, aber nicht in allen. Manchmal ist diese These ganz bequem, weil man keine Prioritäten setzen muss. In Wirklichkeit führt „Breite vor Tiefe“ aber dazu, dass die Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte in vielen Bereichen beschädigt wird und dass eher wieder einige hohle Strukturen entstehen werden. Wir hätten uns sehr gewünscht, dass man mit Blick auf mangelnde Fähigkeiten in den Vereinten Nationen und in der Europäischen Union wenigstens die Fähigkeiten, die wirklich knapp sind und mit denen Deutschland Gewicht, Einfluss und Interessen einbringen könnte, nicht eindampft. Das gilt für Hubschrauber, für Feldjäger, auch für maritime Fähigkeiten und für manches andere mehr. Ich glaube, hier macht man einen großen strategischen Fehler. Lassen Sie mich zum Schluss ganz kurz einige bedeutsame Punkte ansprechen. Sie sagen, Sie wollen die Menschen mitnehmen. Das ist wichtig. Auch wir wollen alles tun, damit die Soldaten Vertrauen in die Bundeswehr und in deren konzeptionelle Gestaltung finden. Aber wir müssen aufpassen. Eine Armee im Einsatz mit hohen Belastungen, die von Soldaten im Alter von 23 Jahren getragen werden, verdient unsere Anerkennung und unseren Respekt. Deshalb ist es gut, wenn die Opposition zusammen mit der Regierung das Mandat für Afghanistan erteilt. Wir können aber nicht erwarten, dass das zwangsläufig spurlos an den Menschen und damit an den Streitkräften vorübergeht. Deshalb muss man bei der Personalgewinnung und der Präsentation der Bundeswehr nach außen sehr sorgfältig vorgehen. Ich will gar nicht über die Vorfälle in der letzten Woche reden. Wir müssen darauf achten, dass nach außen ein korrektes Bild des Soldatenberufes präsentiert wird, das der Vielfalt und der Kompliziertheit dieses Berufes - der Soldat muss nicht nur kämpfen können, sondern in Zukunft auch vieles andere beherrschen - gerecht wird. Denn nur wenn wir Menschen finden, die verstehen, was die Bundeswehr und ihre Aufträge in der Demokratie bedeuten, werden wir auch in Zukunft noch die Bundeswehr haben, die wir alle miteinander wollen. Unsere dringende Bitte ist, das noch einmal sorgfältig zu reflektieren. Wir sollten darüber auch im Verteidigungsausschuss eine gründliche Debatte führen. Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Joachim Spatz von der FDP-Fraktion. ({0})

Joachim Spatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeswehrreform, die wir zurzeit durchführen, hat eigentlich mehr Aufmerksamkeit verdient, als sie in diesen bewegten Zeiten erhält, weil sie nämlich auf neuen verteidigungspolitischen Herausforderungen basiert. Es ist, Kollege Arnold, überhaupt kein Widerspruch, wenn Sie sagen, dass die sicherheitspolitischen Herausforderungen heute dieselben sind wie vor einigen Jahren. Dann hätten Sie die Bundeswehrreform ja auch damals schon durchführen können, Herr Kollege Arnold. ({0}) Sie haben Truppenreduzierungen vorgenommen, wir machen eine Strukturreform. Deswegen unterscheidet sich diese Reform von Reformen in früheren Jahren. Am Ende werden nicht nur Reduzierungen herauskommen, sondern auch klare Schwerpunktverlagerungen. Es gibt eine klare Schwerpunktbildung beim Heer, weil dort, wie wir alle wissen, die Einsatzformen der Zukunft liegen. Meine Damen und Herren, obwohl auch diesmal wieder Standorte betroffen waren, ist die Diskussion nach meiner Wahrnehmung sehr sachlich, kriterienorientiert und dadurch ohne große Widerstände verlaufen. Deshalb ganz herzlichen Dank an das Ministerium und alle Fraktionen, die diesen Prozess unterstützt haben! Es ist eine - jedenfalls im Moment - gelungene Reform. Wir hoffen, dass die Umsetzung genauso konsequent stattfindet. Wir haben, was die Einsatzversorgung angeht, in diesem Jahr mit sehr breitem Konsens etwas für die Soldatinnen und Soldaten, aber auch für die zivilen Bediensteten der Bundeswehr im Ausland getan. Es ist zugesagt, die letzten noch offenen Fragen im Rahmen des Reformbegleitgesetzes zu klären. Das werden wir aufmerksam verfolgen und gegebenenfalls konsequent einfordern. Ich denke, eines ist klar: Das Parlament steht mit breitem Konsens hinter den Soldatinnen und Soldaten sowie hinter den Zivilen, die wir ins Ausland entsenden. Dies gilt nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch, wenn es konkret um Verwundungen an Leib und Seele geht oder darum, Folgen für Familien einzudämmen. Dazu dem Hohen Hause ganz herzlichen Dank! ({1}) Die Einsätze im Ausland, geprägt durch den Afghanistan-Einsatz, sind immer besonderer Aufmerksamkeit wert. Es ist mir in diesem Zusammenhang wichtig, noch einmal zu betonen, dass wir in Afghanistan den Zenit unseres militärischen Einsatzes überschritten haben. Es muss klar sein - das wird auch durch die Mandate, die die entsprechenden Reduzierungen vorsehen, deutlich -, dass die Übergabe in Verantwortung konsequent vorgenommen werden muss und dass sich unsere Partner in Afghanistan darauf einstellen werden. In diesem Zusammenhang noch ein Wort zum Thema Industrie; das ist vorhin bereits angesprochen worden. Ich gebe eines sehr deutlich zu bedenken: Die Zusage der Amerikaner, die Hubschrauber in unserem RC North präsent zu halten, gilt nur bis zum September 2012. Es ist wichtig, dass wir den Partnern auf industrieller Seite klarmachen: Wenn sie diese Dinge mit uns auch in Zukunft auf Augenhöhe diskutieren wollen, ist es notwendig, dass wir auch nach dem September 2012 in unserem RC North entsprechend handlungsfähig bleiben. ({2}) Das muss eine klare Botschaft an diese Adresse sein. Zum Schluss noch ein Wort zur internationalen Ausrichtung. Herr Kollege Arnold, Sie haben mit Recht die europäische Perspektive angesprochen. Nur ist es Ihnen wahrscheinlich entgangen, dass die Außenminister des Weimarer Dreiecks, also Frankreichs, Polens und Deutschlands, unter Federführung unseres Außenministers einen Brief an Frau Ashton geschrieben haben, um die europäische Zusammenarbeit einzufordern, und dass Italien und Spanien diesem Schreiben mittlerweile beigetreten sind. Auch wenn das Ganze in diesem Fall nicht vom Verteidigungsminister, sondern vom Außenminister ausgegangen ist, halte ich das für genau die Zielrichtung, die wir verfolgen müssen. Ihnen ist das, wie gesagt, leider entgangen. Trotzdem ist es die Realität. Wir müssen an dieser Stelle konsequent fortfahren. Eines ist aber klar: Wir haben es damit zu tun, dass aus völlig verschiedenen Denkschulen und Erlebnistraditionen stammende Armeen und politische Führungen unter einen Hut gebracht werden müssen. Das wird einige Zeit dauern. Die Notwendigkeit für ein solches Vorgehen ist allerdings gewachsen. Wer die Äußerungen des US-Präsidenten in Canberra ernst nimmt, in denen es um die Schwerpunktverlagerung der amerikanischen Aufmerksamkeit in den pazifischen Raum geht, und das in den Zusammenhang stellt mit den Äußerungen des früheren Verteidigungsministers Gates, wird erkennen, dass das den Europäern mehr Eigenverantwortung in ihrem engeren Umfeld abverlangt. Aufgrund der Haushaltslage wird das nur mit Kooperationen gehen können. Das heißt, wir sind an dieser Stelle zum Erfolg verurteilt, weil es die allumfassende Hilfestellung aus Amerika wahrscheinlich auch aus finanziellen Gründen nicht mehr geben wird. Experten schätzen, dass die Amerikaner 54 Milliarden Dollar in ihrem Verteidigungshaushalt einsparen werden müssen. Dieses Geld wird fehlen, besonders in den Bereichen, auf denen früher die Schwerpunkte der Amerikaner lagen, und die heute für sie nicht mehr ganz so wichtig sind. Ich sage es noch einmal: Wir sind dazu verurteilt, an dieser Stelle Erfolg zu haben. Es ist aber besser, die Regierung hier nicht mit dem Schwarzen Peter zu versehen, sondern bei unseren europäischen Partnern und in unseren Parteien dafür zu werben, dass es in diesem Bereich eine stärkere Kooperation gibt. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Linke hat jetzt das Wort der Kollege Paul Schäfer.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Abschluss der Haushaltsberatungen bleibt nur eine Feststellung: Die Nöte der öffentlichen Haushalte werden immer größer, die Sparvorgaben für das Bundesministerium der Verteidigung immer kleiner. Das ist schon bemerkenswert. Denn am Anfang der Bundeswehrreform, mit der wir es zu tun haben, stand keine Festlegung im Koalitionsvertrag, kein großer Wurf, sondern ein großes Loch: das durch Bankenrettungen und Finanzmarktkrise entstandene Riesenloch im Bundeshaushalt, weswegen ein Konsolidierungsbeitrag aus dem Rüstungshaushalt geleistet werden sollte; immerhin 10 Prozent der Steuergelder fließen dorthin. Davon ist nun wirklich nicht mehr viel, wenn überhaupt noch etwas, übrig geblieben; das ist schon gesagt worden. Wir hören jetzt wieder die alten Töne - „Bei der Sicherheit darf nicht gespart werden“ -, als ob wir uns wieder in der Bedrohungssituation des Kalten Krieges befänden. Absonderlich! ({0}) Die Zahlen sind hier genannt worden: Aus dem ursprünglichen Sparziel - 8,3 Milliarden Euro - wurde schnell ein kleineres Sparziel: 4,3 Milliarden Euro. Der Verteidigungsminister darf sich beim Finanzminister sehr großzügig bedienen: Er erhält im nächsten Jahr 2 Milliarden Euro zusätzlich für den Umbau der Bundeswehr. Ja, der Strukturwandel muss sozialverträglich gestaltet werden; das kostet Geld. Insofern ist es sogar zu loben, dass das Weihnachtsgeld für Beamte, Richter und Soldaten, das gekürzt werden sollte - damit wären Sie wortbrüchig geworden -, doch gezahlt wird; es wird aus diesen Mitteln finanziert. Aber Sie sparen nicht an den Stellen ein, an denen energisch gespart werden muss. ({1}) Die Rede ist von den irrsinnigen Beschaffungsvorhaben aus den 90er-Jahren: Eurofighter, Tiger und A400M. Jetzt haben Sie festgestellt: Das ist selbst für Sie zu viel. Sie wollen also die Stückzahlen reduzieren. Was macht man? Man schickt die Minister dieser Regierung im Interesse der Rüstungsindustrie auf Werbereise; sie sollen für Absatz sorgen. So sieht die Abrüstungsagenda dieser Bundesregierung aus. ({2}) Die Rede ist auch vom Einstieg in neue Rüstungsprojekte: EuroHawk, Fregatte 125, Schützenpanzer. Die Rede ist von der strikten Ausrichtung der gesamten Bundeswehr auf die Auslandseinsätze. Das hat seinen Preis. Etwas mehr als 1 Milliarde Euro sind ausgewiesen; den wahren Preis hat meine Kollegin Buchholz hier genannt. Das ist etwas, was wir uns nicht mehr leisten können und sollten. Herr Koppelin, an dieser Stelle eine Anmerkung zu Ihnen - nicht nur zu Ihnen -: Ja, dieses Parlament trägt Verantwortung für die Bundeswehr und für die Entsendung der Bundeswehr ins Ausland. Wir sind ein Teil dieses Parlaments. Deshalb sind auch wir betroffen, wenn Soldaten tot nach Hause gebracht werden oder sie mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung zurückkommen. Wir fragen uns nach dem Sinn und Zweck dieser Einsätze: Was erreicht man damit? Was richtet man damit an? Aus genau diesem Grund sagen wir: Holen Sie die jungen Leute aus Afghanistan zurück! So sieht unsere Vorstellung von Verantwortung aus. ({3}) Meine Damen und Herren, es ist richtig: Die Streitkräfte bedürfen einer grundsätzlichen Reform; aber sie muss in die richtige Richtung gehen. Wir sind nicht mehr militärisch bedroht - das sagen Sie selber -, und wir brauchen die dafür eingesetzten Mittel an anderer Stelle: für die Bewältigung globaler Probleme. Genau deshalb sagen wir - das liegt in einem Entschließungsantrag vor -: Halbieren wir die Mittel für die Bundeswehr, richten wir die Streitkräfte defensiv aus, beenden wir die Auslandseinsätze, und rüsten wir jährlich um 5 Prozent ab! Das wäre sicherheitspolitisch und volkswirtschaftlich vernünftig; das sollte hier beschlossen werden. ({4}) Es ist schön und gut, dass Sie, Herr Minister de Maizière, hier ein Reformbegleitgesetz angekündigt haben, bei dem es um die Sicherung der Interessen der Beschäftigten geht. Was Sie aber nicht vorlegen wollen, ist ein ordentliches Konversionsgesetz; da ist Fehlanzeige. Die Reduzierung der Zahl der Soldaten, der Zivilbeschäftigten und der Standorte muss aber mit einer zielgerichteten Konversionspolitik verbunden werden. Strukturbrüche dieser Art sind nur zu bewältigen, wenn sie langfristig geplant sind, aktiv gestaltet sind, ausreichend finanziert sind und zwischen Bund und Ländern intensiv abgestimmt werden. Nicht zu vergessen ist, dass die Bürgerinnen und Bürger gründlich einbezogen werden müssen. Ein solcher Strukturwandel ist kein normaler gesellschaftlicher Prozess, sondern ein extrem wünschenswerter Prozess. Jede Photovoltaik- oder Windkraftanlage, die einen Schießplatz ersetzt, ist ein gesellschaftlicher Fortschritt. ({5}) Jeder Technologiepark anstelle eines Munitionsdepots bedeutet Innovation statt Stillstand. Jede Wohnanlage anstelle eines Hangars für Kampfhubschrauber bedeutet mehr Lebensqualität für die Menschen. ({6}) Das gilt es jetzt zu begreifen, auch in den betroffenen Kommunen und Regionen. Die zivile Nachnutzung der Liegenschaften eröffnet neue Möglichkeiten für Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung. Jetzt folgt das große Aber: Diese Chancen können von den Kommunen nur genutzt werden, wenn ihnen geholfen wird, wenn sie finanziell unterstützt werden. Herr de Maizière, da reicht es eben nicht, zu sagen: In meiPaul Schäfer ({7}) nem Topf ist nichts; darum soll sich doch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben kümmern. - Nein, so funktioniert das nicht. Wir brauchen einen gut ausgestatteten Konversionsfonds des Bundes; wir brauchen die Bereitstellung verbilligter Kredite für die Gemeinden; wir brauchen eine veränderte Geschäftsgrundlage für die BImA, die primär am Verwertungsinteresse der Gemeinden ausgerichtet ist und nicht an der Gewinnmaximierung für den Bund; ({8}) und wir brauchen die Wiederbelebung von Strukturen, die alle Ebenen umfassen, um diesen Konversionsprozess wirklich zu steuern. Darum geht es in unserem zweiten Entschließungsantrag - um nicht mehr und nicht weniger. Wir wollen die Bundesregierung zwingen, an dieser Stelle endlich ihre Pflicht zu tun. Sie sollten unserem Antrag zustimmen. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Omid Nouripour von Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass ich die nächsten Sätze im Namen aller im Hohen Hause sprechen darf. Wir haben heute die Meldung erhalten, dass zwei Soldaten in Baglan bei einem Sprengstoffanschlag verletzt worden sind. Ich denke, dass wir alle ihnen beste, schnellstmögliche und vor allem vollständige Genesung wünschen. Vor allem ihren Familien wünschen wir gerade in diesen schwierigen Stunden viel Kraft. ({0}) Lieber Herr Koppelin, vor etwa drei Jahrzehnten ist einmal ein Hubschrauber bestellt worden, der für den Einsatz gegen die Panzerarmee aus dem Osten gedacht war. ({1}) Das war der Tiger. Ich weiß, dass Sie sich damals schon gewünscht haben, dass die Grünen endlich wieder mitregieren mögen. Aber selbst heute fliegt das Ding noch nicht. Der Tiger - das hat der Kollege Spatz gerade dezent angemerkt - war für ganz andere Aufgaben vorgesehen zu der Zeit, als er bestellt wurde, als die, die heute zu bewältigen sind. Der Tiger ist in der Beschaffung deutlich teurer geworden. Vor allem ist er, wie gesagt, noch nicht da. Seine Beschaffung ist teuer, spät und chaotisch. Das ist ein Beispiel für viele Beschaffungsprojekte. Man kann noch einige andere nennen. Ich weiß, Sie würden da MEADS sagen. ({2}) - Verehrter Kollege von der FDP, ich würde mir heute echt Zwischenrufe dazu ersparen, wie es ist, der kleine Koalitionspartner zu sein und sich nicht in allem durchsetzen zu können. Als Grüner würde ich auf den MH-90, den NH-90 und den A400M verweisen. All das ist am Ende immer wieder teuer, spät und chaotisch gewesen. Genauso trifft das auch auf die jetzige Bundeswehrreform zu. Die Bundeswehrreform trug am Anfang die Überschrift „Größte Reform aller Zeiten“. Das war eine Idee. Damals gab es einen Minister, der dafür bekannt war, dass er Ideen hatte. Danach kamen Sie, Herr Minister. Sie haben diese Ideen - das muss man zugeben - geordnet. Sie haben einige Dinge zusammengeführt, die vorher nicht zusammengepasst haben. Das ist erst einmal alles andere als falsch. Die Geburtsfehler der Reform sind aber immer noch vorhanden. Wenn man eine große Organisation reformieren will, steht die Aufgabenkritik am Anfang und nicht die Festsetzung einer Gesamtgröße, wie es damals geschehen ist. Das haben Sie ja jetzt revidiert. Hinzu kommt, dass alles extrem teuer ist. Es geht dabei nicht nur um die öffentliche Hand in toto, sondern auch um die Frage: Tut man der Bundeswehr heute einen Gefallen, wenn man die Einsparungen, die demnächst sowieso fällig werden, nicht jetzt vornimmt, indem man neue und effizientere Strukturen schafft? Das ist in vielen Teilen leider bisher nicht geschehen. Deshalb gibt es in vielen Fragen noch nichts Konkretes. Wer mit den Soldatinnen und Soldaten redet, entdeckt eine riesengroße Verunsicherung, weil wir nicht die größte Reform aller Zeiten, sondern die langwierigste aller Zeiten hatten. Es gab Ankündigungen, danach wartete man auf Entscheidungen. Man wusste nicht, was hinten herauskommt. Natürlich ist man verunsichert, wenn die Bundeskanzlerin persönlich verspricht, dass das Weihnachtsgeld im nächsten Jahr kommen wird, aber doch nichts passiert. Auch das hilft nicht unbedingt dabei, Vertrauen zu gewinnen und sicherzustellen, dass eine große Reform sozialverträglich abläuft. Es ist eigentlich schon ein kleiner Skandal und alles andere als vertrauensbildend, wenn Sie, Herr Minister, zulassen, dass Kommandeure aus der Presse oder durch Anrufe vom Bürgermeister erfahren, dass ihr Standort betroffen ist und geschlossen werden soll. Das ist nicht wirklich verantwortungsvoll. Das bringt keine Ruhe in die Bundeswehr. ({3}) Wir bleiben dabei, dass wir in vielen Bereichen immer noch vor einem riesengroßen Fragezeichen stehen. Die Bundeswehrreform ist weiterhin - und nicht nur in der Umsetzung - ein Gerüst. Wo bleibt denn eigentlich die ressortübergreifende Zusammenarbeit bei dieser Bundeswehrreform? Ich kann sie nicht erkennen. Wo ist denn eigentlich eine Veränderung der Beschaffungsstruktur zu erkennen? Sie wollen bestehende Verträge auflösen und neue abschließen. Wie aber in Zukunft neue Beschaffungen durchgeführt werden sollen, da die veränderten Strukturen so nicht mehr funktionieren, ist mir bisher überhaupt nicht klar. Die Kommission, die Sie selbst zitiert haben, hat damals festgestellt, dass das BWB so nicht mehr weiterexistieren sollte. Was sich nun aber ändert, außer dass zwei nicht ganz effiziente Strukturen zusammengelegt werden, verstehe ich ohnehin nicht. Mannschaftsdienstgrade beschäftigt die zentrale Frage: Wie können Laufbahnen flexibler und damit attraktiver gestaltet werden? Es ist mir nicht wirklich klar, wie die Attraktivität der Bundeswehr so konzeptioniert werden kann, dass die Breite der Gesellschaft auch nach der Aussetzung der Wehrpflicht von ihr widergespiegelt werden kann. Die Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerrinnenrechte sind ein Thema, das im 21. Jahrhundert wohl auch bei der Bundeswehr auf die Tagesordnung gesetzt werden sollte. Die Perspektive der inneren Führung, über die wir Grüne sehr häufig diskutieren, wirft Fragen auf: Wohin wollen Sie mit der Bundeswehr? In welche Richtung soll das Konzept der inneren Führung weiterentwickelt werden? Das alles ist nicht klar. Es ist alles so unglaublich vage, dass ich überhaupt nicht zu sagen vermag, ob diese Reform wirklich von hinten bis vorne Sinn macht. Wir werden Sie weiterhin kritisch begleiten. Wir hoffen, dass wir am Ende eine Armee haben werden, die nicht größer ist, als sie sein muss, eine Armee, die im Dienste der Vereinten Nationen ihrem aus dem Grundgesetz abgeleiteten Auftrag nachgehen kann. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst-Reinhard Beck von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der uns vorliegende Verteidigungshaushalt mit seinen rund 31,8 Milliarden Euro musste unterschiedlichsten Vorgaben Rechnung tragen. Ich erinnere noch einmal kurz daran: Da ist zum einen die Bundeswehrreform, da sind zum anderen die nicht unerheblichen Kosten für die laufenden Einsätze, und da ist nicht zuletzt die Notwendigkeit von Einsparmaßnahmen im Bereich Haushaltskonsolidierung. Das sind die drei Ausgangspunkte. Wesentliche Bestandteile der Konsolidierungsmaßnahmen sind die Aussetzung der Wehrpflicht, die Schaffung effizienterer Strukturen bei der Bundeswehr, die Reduzierung von Standorten und der sozial verträgliche Abbau von Personal. Trotz schwieriger Ausgangslage ist es gelungen, einen Finanzrahmen festzulegen, mit dem weiterhin eine angemessene und verantwortungsvolle Sicherheitspolitik für unser Land möglich ist. Dem Bundesminister für Verteidigung ist es gelungen, die Neuausrichtung nicht nur sicherheitspolitisch zu begründen, sondern auch ausreichend solide zu finanzieren. Herr Kollege Arnold, in diesem Punkt sind wir unterschiedlicher Auffassung. Mit dem Standortkonzept ist ein wichtiger Zwischenschritt für die Reform erreicht. Im Namen meiner Fraktion danke ich allen, die an der Neukonzeption der Bundeswehr aktiv mitgewirkt haben. Zeit zum Ausruhen gibt es aber nicht. Mit der Umsetzung steht uns allen noch ein hartes Stück Arbeit bevor, das vor allem das Personal bis an die Leistungsgrenzen fordern wird. Herr Minister, Sie haben vorhin von den Mühen der Ebenen gesprochen, die jetzt vor uns liegen. Eben dieses Personal als wichtigste Ressource der Bundeswehr bedarf unserer besonderen Aufmerksamkeit und Fürsorge. Die Menschen in der Bundeswehr müssen nun sehr schnell erfahren, wohin die Reise geht: Ändert sich mein Aufgabenfeld? Wo ist mein Standort? Wo kann meine Familie leben? Wo gehen meine Kinder in die Schule? Habe ich in der Bundeswehr noch eine Perspektive, oder lohnt es sich für mich, die Streitkräfte zu verlassen? Das Gleiche gilt übrigens auch für die betroffenen Kommunen. Auch sie brauchen entsprechende Perspektiven und Planungssicherheit. Denjenigen, die die Bundeswehr verlassen wollen, müssen rasch Perspektiven aufgezeigt werden. Dem Reformbegleitgesetz - das ist schon mehrfach angesprochen worden - wird dabei eine Schlüsselfunktion zukommen. Es darf nicht alles im Klein-Klein zerredet werden, wenn wir die Bundeswehr attraktiv erhalten wollen. Deshalb sind zeitlich begrenzte, gesetzliche Übergangsregelungen zum Abbau des militärischen und des zivilen Personalkörpers notwendig. Sollten die Zuwendungen des Bundes auf einem vergleichsweise moderaten Niveau bleiben - ich befürchte, dass dies der Fall sein wird -, müssen die Betroffenen selbst die Möglichkeit haben, in ihrem weiteren Arbeitsleben die entstandenen Versorgungslücken zu schließen oder darüber hinaus mehr zu verdienen. In diesem Zusammenhang darf die Hinzuverdienstgrenze nicht zum Tabu erklärt werden. ({0}) Geradezu sträflich wäre es aber, jene zu vernachlässigen, die bei der Bundeswehr bleiben, auf deren Dienst und Leistung wir tagtäglich angewiesen sind und auf die wir uns verlassen können müssen. Ihnen hat unsere Aufmerksamkeit ebenso zu gelten - und nicht nur während des Übergangs zur neuen Struktur. Die Bundeswehr steht auf dem Arbeitsmarkt im Wettbewerb mit großen und mittelständischen Unternehmen. Dies ist eine andauernde Herausforderung. Die Bundeswehr muss sich, so meine ich, in diesem Wettbewerb nicht verstecken. Aber sie kann in einigen Bereichen besser werden. Die Forderungen nach mehr Fürsorge, zum Beispiel hinsichtlich einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Dienst - Stichwort „Kinderbetreuung“ -, müssen jetzt konsequent angegangen und erfüllt werden. Ich nenne exemplarisch die Wahlmöglichkeit zwischen Ernst-Reinhard Beck ({1}) Umzugskostenvergütung und Trennungsgeld sowie die Bereitstellung geeigneter Pendlerunterkünfte. Aber auch die Anhebung der Sätze für mehrgeleisteten Dienst ist ein wichtiges Signal für unsere Soldatinnen und Soldaten. In diesem Zusammenhang - das ist vorhin kurz angesprochen worden - möchte ich auch die Wiedereinführung der Sonderzuwendung, im Volksmund „Weihnachtsgeld“ genannt, besonders positiv hervorheben. Hier hat die Koalition ein wichtiges Versprechen eingelöst und dadurch, wie ich meine, an Glaubwürdigkeit zurückgewonnen. ({2}) Es gilt aber auch, die Ausrüstung der Bundeswehr auf die aktuellen und die wahrscheinlichen künftigen Einsätze abzustimmen. Es gibt noch immer Defizite bei der vorhandenen Ausrüstung, die rasch behoben werden müssen. Handlungsbedarf besteht aber auch bei der in Beschaffung befindlichen Ausrüstung. Es ist vorhin schon mehrfach gesagt worden: Sie wurde zum Teil noch in der Zeit des Kalten Krieges beschafft, und zwar in zu großer Stückzahl für die nun kleinere Bundeswehr. Diese Großprojekte schnüren uns die Luft ab, sodass wir jene Ausrüstung, die wir für zukünftige Aufgaben brauchen, nicht beschaffen können. Hier müssen Freiräume geschaffen werden. Der Minister steht mit den Unternehmen im Gespräch, was wir ausdrücklich unterstützen. Letztlich geht es nicht nur um Finanzmittel und Rüstungsgüter, sondern auch um industrielle Kernkompetenzen in unserem Land. Beide Seiten müssen im Interesse der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz eine Lösung finden. Das richtige Gerät zur rechten Zeit im Einsatz zur Verfügung zu haben, das muss die Richtschnur unseres Handelns sein. ({3}) Voraussetzung dafür ist, dass das Beschaffungswesen der Bundeswehr zukünftig schneller und kostengünstiger Ausrüstung zur Verfügung stellt. Dies ist eine besondere Herausforderung für das Gelingen der gesamten Reform. Die ersten Ansätze stimmen mich hier durchaus optimistisch. In den Haushaltsberatungen konnten wir beim Titel für Handwaffenmunition eine Verbesserung erzielen; Kollege Willsch hat vorhin ausdrücklich darauf hingewiesen. Der Verbrauch im Einsatz und die einsatznahe Schießausbildung haben zu einem signifikanten Mehrbedarf geführt. Ich hebe dies hervor, weil in diesem Bereich den Bitten aus den Truppen im Einsatz und in der Ausbildung unmittelbar Rechnung getragen werden konnte. ({4}) Auch hinsichtlich der Beschaffung eines leichten Mehrzweckhubschraubers zur Verbringung von Spezialkräften bei Nacht und unter Bedrohung sind wir auf einem guten Weg. Nachdem die Neuausrichtung der Bundeswehr in den wichtigsten Schritten planerisch vollzogen ist, müssen wir unser Augenmerk in Zukunft auch auf die europäische Dimension unserer Sicherheitspolitik lenken. Ich nenne hier exemplarisch einige Themen: AGS, Luftbetankung, Air Policing, ein mögliches Joint Support Ship. Hier gibt es Möglichkeiten, knappe Ressourcen gemeinsam zu organisieren. Diesem Ziel dient auch das Konzept „Pooling & Sharing“, das nun zumindest in Konturen Gestalt annehmen muss. Seit einer Woche liegt auch die „Konzeption der Reserve“ vor. Reservisten sind wichtige Multiplikatoren für die Bundeswehr. Sie üben verantwortungsvolle Tätigkeiten in Bundeswehr und Zivilleben aus. Ihre zivilen Qualifikationen sind nun noch besser nutzbar zu machen für die Bedürfnisse der Streitkräfte. Wenn das gelingt, können unsere Reservisten Botschafter für die Bundeswehr sein und zum positiven Bild der Streitkräfte in der Gesellschaft beitragen. Wir haben, wenn ich das kurz anmerken darf, eine neue Spitze des Reservistenverbandes. Ich darf an dieser Stelle dem Kollegen Kiesewetter als neuem Präsidenten ({5}) und seinen Stellvertretern Erdel und Groschek herzlich gratulieren. Mit diesem Glückwunsch verbinde ich den Dank an alle Reservistinnen und Reservisten. ({6}) Die Verbundenheit der Gesellschaft mit den Soldatinnen und Soldaten ist wichtig für das gegenseitige Verständnis. Gerade vor dem Hintergrund der Einsatzrealität ist dies unverzichtbar. Mit dem Beruf des Soldaten ist Risiko für Leib und Leben verbunden. Dies ist wahr. Herr Kollege Nouripour, Sie haben darauf hingewiesen, dass wir heute wieder zwei verwundete Soldaten zu beklagen haben, denen wir von hier aus unsere besten Genesungswünsche übermitteln. Das ist schrecklich, kann aber trotz bester Ausrüstung und bester Ausbildung nie völlig verhindert werden. Umso wichtiger ist der Umgang mit dieser Situation. Bestmögliche Versorgung und Absicherung, auch von Hinterbliebenen und Angehörigen, verlangen Fingerspitzengefühl und Großzügigkeit. Viele Veteranen kommen gezeichnet aus dem Einsatz zurück. Die sanitätsdienstliche Versorgung von Verwundungen, körperlich wie seelisch, steht daher ganz oben auf unserer Agenda. Das Parlament hat mit dem Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz darauf reagiert und entscheidende Verbesserungen erzielt. Wir sind hier auf dem richtigen Weg. Ich danke noch einmal allen, die daran Anteil hatten. Zum Abschluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehen meine Gedanken zu unseren Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Auch dieses Jahr werden Tausende von ihnen die Weihnachtstage fernab der Heimat und getrennt von ihren Familien feiern müssen. Sie tun dies in dem Bewusstsein, unserer Sicherheit zu dienen. Sie die16984 Ernst-Reinhard Beck ({7}) nen Deutschland. Sie verdienen unseren Dank und unsere volle Unterstützung. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer differenzierten Debatte ist es wichtig, über Gemeinsamkeiten und über Unterschiede zu reden. In den Fragen der äußeren Sicherheit unseres Landes suchen wir Sozialdemokraten so viel Konsens wie möglich, aber wir müssen auch vor Fehlentwicklungen aus unserer Sicht warnen und Alternativen vorschlagen. Es hat keinen Sinn, mit jedem Regierungswechsel die Bundeswehr ganz neu zu erfinden. Die Bundeswehr, die Soldatinnen und Soldaten sowie die Zivilbeschäftigten brauchen Kontinuität. Deshalb war es schlecht, dass Ihr Vorgänger, Herr Minister, Hals über Kopf eine Bundeswehrreform angekündigt hat, ohne dass die vorherige schon abgeschlossen war und ohne zu wissen, wohin er überhaupt will. Das hat Vertrauen kaputtgemacht. Darunter leidet die Reform jetzt noch. Sie hätten eine europäische Perspektive entwickeln müssen: Was sollen deutsche Streitkräfte in Europa können? Was können die Partner machen? Wo sind unsere Schwerpunkte? Das ist unterblieben, und das ist teuer. Deshalb haben wir künftig immer noch eine Universalarmee, die fast alles können soll, nur eben mit immer weniger Personal. Wir begrüßen, dass Sie unter diesen Umständen die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung jedenfalls nicht aufgegeben haben. Ihr Vorgänger hat das prüfen lassen. Wir wollen keine Bundeswehr, die eine reine Expeditionsarmee wäre. Es ist deshalb richtig, dass das Heer weiter in Divisionen und Brigaden gegliedert ist. Auch den Rückgriff auf gekaderte Verbände halten wir für richtig. Ob allerdings Deutschland und Europa auf lange Sicht die Stärkung der deutschen Infanterie brauchen, wage ich zu bezweifeln. Das ist Ausfluss Ihrer ganz aktuellen Afghanistan-Politik. Hier wird der gegenwärtig schwierigste Einsatz zum Modell für die Zukunft der Bundeswehr. Damit wäre ich vorsichtig. Wenn Ihre neue Infanteriestärke eines Tages hergestellt sein wird, ist hoffentlich der Einsatz kämpfender Truppen in Afghanistan Geschichte. ({0}) Genau über diese Zukunft des Landes in eigener Verantwortung berät in wenigen Tagen die internationale Afghanistan-Konferenz in Bonn. Wir wünschen uns, dass der Übergang gelingt. Wir begrüßen, dass die Führungsstrukturen der Teilstreitkräfte schlanker werden. Aus je drei Stäben wird jeweils einer - das war überfällig. Verglichen mit anderen Teilstreitkräften schrumpft unsere schon kleine Marine am wenigsten, die Luftwaffe am stärksten. Dafür gibt es gute Gründe. Aber es hätte auch gute Gründe für eine stabile oder sogar leicht aufwachsende Marine gegeben. Nach den Einsätzen auf dem Balkan und in Afghanistan wird sie immer noch ein wesentlicher Träger der Auslandseinsätze unserer Bundeswehr sein. Ihre Bedeutung nimmt eher zu. Hier hätten Sie einen Schwerpunkt setzen können. ({1}) - Die Marinefraktion versteht, was gemeint ist. Über den freiwilligen Wehrdienst haben wir schon einige Male diskutiert. Ich bleibe dabei: Mit diesem Dienst ist es Ihnen nicht ernst. Im Haushalt 2012 sind - das erkennt man, wenn man genau hinschaut - keine 15 000, sondern nur 12 500 Dienstposten für freiwillig Wehrdienstleistende reserviert. Sie fangen schon an, den Dienst wegzusparen. Das ist keine große Strategie der Freiwilligkeit, das ist kleinmütig. Wo wir Ihnen vor allem energisch widersprechen müssen, Herr Minister, ist Ihr Umgang mit den Zivilbeschäftigten. Hier haben Sie eine Strategie, und diese heißt Outsourcing: Outsourcing in andere Ressorts der Bundesregierung, Stichworte: Gebührniswesen und Travel Management. Die Mitarbeiter bekommen neue Türschilder. Frage: Was spart das? Es ist dann zwar nicht mehr der Einzelplan 14, aber immer noch der gleiche Bundeshaushalt, aus dem diese Bundeswehrangehörigen bezahlt werden müssen. Outsourcing ans Militär, Stichwort: gemischte Verwaltungsämter. Wieder stellt sich die Frage: Spart das etwas, oder sollen hier nur verfassungsrechtliche Schranken eingerissen werden? Outsourcing an die Wirtschaft. Das ist Outsourcing im klassischen Sinn. Wenn Sie einen von zwei Marinearsenalbetrieben schließen, wer macht dann die Arbeit? Die Marine wird ja bekanntermaßen und richtigerweise nicht halbiert. Also kürzen Sie auf lange Sicht bei den Personalkosten und schichten um zu Sachposten. Was spart das? Es wird teurer. Ich warne vor Reformen um der Reform willen, Veränderungen um der Veränderung willen, Umzügen um des Umziehens willen. Wenn Sie nicht erklären können oder wollen, welchen Vorteil eine Veränderung hat, dann unterlassen Sie diese Veränderung. Lassen Sie als Bundesregierung die Kommunen mit den Folgen von Arbeitsplatz- und Kaufkraftverlust in den betroffenen Regionen nicht allein. Sie haben angekündigt, hier etwas zu tun. Wir warten auf Vorschläge. Verkehrsminister Ramsauers Idee, aus Liegenschaftsverkäufen ganz schnell Geld dafür zu mobilisieren, kommt mir irgendwie bekannt vor. Die Erfahrungen damals waren ernüchternd. Verhandeln Sie lieber mit Ihren KolleDr. Hans-Peter Bartels gen Schäuble und Ramsauer darüber, dass existierende Programme wie „Die soziale Stadt“ stärker und nicht schwächer ausgestattet werden! Machen Sie die vorhandenen Bundesprogramme nutzbar für die Konversionskommunen! Sorgen Sie für eine schnelle, preisgünstige Abgabe der Liegenschaften, am besten zunächst an die Kommunen selbst! Suchen Sie das Gespräch mit den Beschäftigten und den Gemeinden! Lassen Sie uns bei der Umsetzung der Reform so viel Konsens wie möglich wahren! Sie haben gesagt, das Motto sei: Der Sack ist zu. Ich glaube, dass wir auch nach der heutigen Debatte sage können: Das Fass ist auf. - Und das ist keine Drohung. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat nun das Wort der Kollege Dr. Reinhard Brandl von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der heute hier zur Debatte stehende Verteidigungshaushalt ist ein wichtiger Meilenstein bei der laufenden Reform der Bundeswehr. An ihm wird deutlich, dass wir als christlich-liberale Koalition es ernst meinen, wenn wir sagen, dass wir eine Bundeswehr aufstellen wollen, die strukturell besser auf ihre Aufgaben ausgerichtet ist, die für die Soldaten attraktiver ist, die besser ausgerüstet und die nachhaltig finanziert ist. Der Verteidigungshaushalt 2012 umfasst 31,87 Milliarden Euro. Im Vergleich: Im Jahr 2011 waren es 31,55 Milliarden Euro. Der Aspekt „nachhaltige Finanzierung“ wird erst recht deutlich, wenn man die mittelfristige Finanzplanung betrachtet: 2013: 31,35 Milliarden Euro, 2014: 30,95 Milliarden Euro, und 2015: 30,43 Milliarden Euro. Die Bundeswehr wird deutlich kleiner werden, aber die Finanzierung bleibt in etwa auf dem jetzigen Niveau. Dass uns das gelungen ist, ohne an anderer Stelle gegen die Einsparauflagen der Schuldenbremse zu verstoßen, zeigt die Bedeutung, die wir als Koalition einer gut ausgerüsteten und attraktiven Bundeswehr zumessen. Genau in diesem Sinne, lieber Herr Kollege Willsch, wurden ja in den parlamentarischen Beratungen weitere Verbesserungen für die Soldaten erzielt: bei den Planstellen, aber auch - Sie haben das Thema Munition angesprochen - bei der Ausrüstung. Dafür auch von meiner Seite herzlichen Dank! Man kann, wenn man nicht in der Verantwortung steht, natürlich immer fordern, dass man an der einen oder anderen Stelle noch mehr hätte einsparen oder mehr hätte ausgeben müssen; in der heutigen Debatte hört man ja beides. Aber ich finde, mit diesem Haushalt ist es uns gelungen, eine vernünftige Balance zu finden, auch und vor allem im Sinne der Bundeswehr. Das ist insbesondere ein Verdienst des Verteidigungsministers Thomas de Maizière, der die Reform, die sein Vorgänger, KarlTheodor zu Guttenberg, eingeleitet hat, in hervorragender Weise fortgeführt hat. ({0}) Meine Damen und Herren, der Haushalt 2012 und die mittelfristige Finanzplanung sind aber nur ein Meilenstein in diesem Reformprozess. Wir sind noch lange nicht am Ziel. Viele strukturelle Probleme sind noch nicht gelöst. Ich denke hier - das ist heute bereits mehrfach angesprochen worden - zum Beispiel an den langwierigen Zulassungs- und Beschaffungsprozess, der dazu führt, dass Material entweder viel zu spät oder in einer Konfiguration und Stückzahl kommt, die sich längst überholt hat. Der Prozess bindet über viele Jahre hinweg Geld, das dann an anderer Stelle wieder fehlt, um die Bundeswehr mit dem zu versorgen und das zu beschaffen, was die Truppe heute viel dringender bräuchte. Hier bleibt noch viel zu tun. Was bereits entschieden ist, ist das zukünftige Stationierungskonzept der Bundeswehr. Auch hier möchte ich dem Minister und all denjenigen, die das Konzept im Hintergrund vorbereitet haben, meinen höchsten Respekt aussprechen. Das Ergebnis und die Art und Weise, wie es vorbereitet worden ist, waren erstklassig. Ich sage das als jemand, der in seiner Heimat selbst von Standortschließungen betroffen ist, der auch vor Ort danach gefragt wird und sie rechtfertigen muss. Ich weiß - ich kann da mit allen Kollegen mitfühlen -: Das ist nicht einfach. Aber verantwortungsvolle Politik darf nicht nach dem Motto vorgehen: Wasch mir den Pelz, aber mach mich bitte nicht nass. ({1}) Eine Verkleinerung der Bundeswehr bedeutet automatisch auch weniger Standorte. Wenn ich das Ergebnis insgesamt betrachte, stelle ich fest: Das Ziel, dass die Bundeswehr auch in Zukunft in der Fläche präsent bleibt, wurde weitestgehend erreicht. ({2}) Trotzdem gibt es Bereiche, die besonders hart getroffen wurden. Es geht jetzt darum, gemeinsam mit den betroffenen Kommunen und Regionen möglichst passgenaue Lösungen zu erarbeiten, damit sie den Weggang der Bundeswehr vor Ort möglichst angemessen kompensieren können. In dem ganzen schwierigen Prozess, gerade bei der Vorbereitung der Stationierungsentscheidungen, gab es für mich persönlich immer wieder auch positive Momente. Diese positiven, erfreulichen Momente waren immer dann, wenn ich miterleben durfte, wie sich ganze Regionen - an der Spitze oft die Bürgermeister, aber auch viele Vereine und Menschen aus der Zivilgesellschaft mit ihren Soldaten vor Ort solidarisiert und für deren Verbleib in der Region gekämpft haben. Dabei wurde nicht nur deren Bedeutung für die regionale Wirtschaftskraft betont. Herausgehoben wurden immer wieder auch die Leistungen, die die jeweilige Einheit, insbesondere im Einsatz, für unser Land erbringt. Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass es uns gelingt, die sichtbare Solidarität mit der Bundeswehr, die wir an vielen Orten erlebt haben, auch in der Zukunft in dieser Form aufrechtzuerhalten. ({3}) Neben den ganzen strukturellen Herausforderungen - eine ganze Reihe von ihnen wurde heute angesprochen - ist es ja die große Aufgabe der Zukunft, genügend qualifizierten Nachwuchs für die Bundeswehr zu gewinnen. Das entscheidet sich auch, aber eben nicht nur an den materiellen Rahmenbedingungen. Das entscheidet sich nämlich auch daran, ob die Gesellschaft sichtbar hinter dem Dienst und dem Einsatz der Soldaten steht. Dazu können wir auch vonseiten des Parlaments einiges beitragen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung - in der Aus- schussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 14 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte X a bis e sowie g und h auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul Schäfer ({0}), Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Umbenennung von Bundeswehrkasernen und Straßennamen auf den Bundeswehrliegenschaften - Drucksache 17/7485 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({1}) Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zum Beitrittsantrag der Republik Montenegro zur Europäischen Union und zur Empfehlung der EU-Kommission vom 12. Oktober 2011 zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - Drucksache 17/7768 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zur Empfehlung der EU-Kommission vom 12. Oktober 2011 zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Montenegro hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - Drucksache 17/7809 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({3}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Volker Beck ({4}), Marieluise Beck ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zur Empfehlung der EU-Kommission vom 12. Oktober 2011 zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Montenegro hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - Drucksache 17/7769 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({6}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Bei der Vergabe von Exportkreditgarantien auch menschenrechtliche Aspekte prüfen - Drucksache 17/7810 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7}) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({8}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Federführung strittig g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wissenschaftszeitvertragsgesetz wissenschaftsadäquat verändern - Drucksache 17/7773 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({9}) Ausschuss für Arbeit und Soziales h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck ({10}), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine Strategie zur europäischen Integration der Länder des westlichen Balkans - Drucksache 17/7774 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({11}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu einer Überweisung, bei der die Federführung strittig ist. Tagesordnungspunkt X e. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7810 zur Vergabe von Exportkreditgarantien an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die Fraktion der SPD wünscht Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der SPD - Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP - Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen: Tagesordnungspunkt X a bis d sowie g und h. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt XI a bis k auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt XI a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Juni 2010 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Ministerrat der Republik Albanien über die Seeschifffahrt - Drucksache 17/7237 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({12}) - Drucksache 17/7683 Berichterstattung: Abgeordneter Uwe Beckmeyer Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7683, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/7237 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt XI b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Überschuldung privater Personen ({13}) - Drucksache 17/7418 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({14}) - Drucksache 17/7698 Berichterstattung: Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker Christel Humme Florian Bernschneider Heidrun Dittrich Katja Dörner Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7698, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/7418 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Jetzt kommen wir zum Tagesordnungspunkt XI c bis k, also zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Tagesordnungspunkt XI c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 337 zu Petitionen - Drucksache 17/7656 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 337 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt XI d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 338 zu Petitionen - Drucksache 17/7657 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 338 ist ebenfalls einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt XI e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 339 zu Petitionen - Drucksache 17/7658 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 339 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt XI f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 340 zu Petitionen - Drucksache 17/7659 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 340 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt XI g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 341 zu Petitionen - Drucksache 17/7660 Wer ist dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Sammelübersicht 341 ist bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt XI h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 342 zu Petitionen - Drucksache 17/7661 Wer ist dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Sammelübersicht 342 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt XI i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 343 zu Petitionen - Drucksache 17/7662 Wer ist dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Sammelübersicht 343 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt XI j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 344 zu Petitionen - Drucksache 17/7663 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 344 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen von SPD und Linke angenommen. Tagesordnungspunkt XI k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23}) Sammelübersicht 345 zu Petitionen - Drucksache 17/7664 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 345 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt II.13. auf: Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Drucksachen 17/7119, 17/7123 Berichterstattung: Abgeordnete Volkmar Klein Lothar Binding ({24}) Dr. Dietmar Bartsch Priska Hinz ({25}) Hierzu liegen ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Außerdem liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Lothar Binding von der SPD-Fraktion das Wort. ({26})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe der Presse des BMZ gestern entnommen, dass wir uns in einer schwierigen Haushaltslage befinden. Die Zinsen sind jetzt einmalig niedrig. Auch die Arbeitslosigkeit ist niedrig - dank Olaf Scholz. Was wäre, wenn es die Kurzarbeiterregelung nicht gegeben hätte? Das Wachstum ist komfortabel - dank Steinmeier und Steinbrück. Wo wären wir heute ohne die Konjunkturprogramme? Die Steuereinnahmen sind unerwartet hoch. Es wird gegen den Geist der Schuldenbremse gehandelt. Jedenfalls ist das die Schlussfolgerung, wenn man sich darauf verständigen kann, dass 26 Milliarden Euro Schulden mehr als 22 Milliarden Euro Schulden sind. Trotz dieser schwierigen Haushaltslage, von der Sie selbst sprechen, haben Sie 6 Milliarden Euro für Steuersenkungen übrig, die keiner braucht und keiner will. ({0}) Das hat heute Morgen unser Vorsitzender sehr schön ausgeführt. Aber Sie haben keine Milliarde für ihren Bereich zusätzlich übrig, um bezüglich der ODA-Quote wenigstens strukturell etwas zu tun, damit den Ärmsten geholfen werden kann. ({1}) Ich frage mich: Was wollen Sie eigentlich machen, wenn die Haushaltslage wirklich schwierig wird? Zunächst einmal möchte ich mich bei dem Ministerium, also bei Dirk Niebel, dem Staatssekretär Beerfeltz und auch bei Herrn Schmidt für die wirklich gute Kooperation im Rahmen der Haushaltsberatungen bedanken. Auch bei Priska Hinz als Hauptberichterstatterin und bei meinen Kollegen Dietmar Bartsch, Volkmar Klein und Jürgen Koppelin möchte ich mich bedanken und last, but not least auch beim Fachausschuss, der von den Haushältern natürlich immer viel mehr verlangt, als wir unter haushalterischen Gesichtspunkten gewähren können. Das ist ein natürliches Spannungsverhältnis. Ich finde, dass Sascha Raabe und Bärbel Kofler das immer sehr fair machen, auch wenn wir zum Schluss einen schwierigen Kompromiss schließen müssen. Ich bedanke mich bei allen für die gute Information, den harmonischen Verlauf, die offene Atmosphäre und das faire Miteinander. Wir haben viele Wochen gelernt, gestritten und Ideen ausgetauscht. Wir haben noch bis 2 Uhr nachts in der Bereinigungssitzung um Zahlen gefochten und über Strukturen debattiert. Wenige Stunden - Stunden! - später erfährt das Parlament ({2}) - die meisten von uns übrigens aus der Presse -, dass der mit 129 Millionen Euro ausgestattete Titel „Entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe“ im BMZHaushalt ganz plötzlich aufgelöst werden soll. In den Wochen davor war davon keine Rede: geheime Verschlusssache. Wir erfahren es direkt nach der Haushaltsbeschlussfassung im Haushaltsausschuss und wundern uns. 95 Millionen Euro sollen an das Auswärtige Amt gehen. Westerwelle soll - wer mag dabei an Wahlkampf denken? - als Katastrophenhelfer im Ausland für schöne Bilder sorgen. 34 Millionen Euro werden im BMZ umgruppiert. Sechs Stellen gehen an das Auswärtige Amt. Die Zuständigkeit für politische Stiftungen in Osteuropa soll auch an das Auswärtige Amt gehen. Was das für die Arbeit der Stiftungen bedeutet, wage ich mir nicht vorzustellen. Vielleicht fragen Sie die Stiftungen danach. Im Auswärtigen Amt sollen 46 neue Stellen in den Botschaften geschaffen werden, vom BMZ besetzt. Es sollen auch 12 Stellen in Leitungspositionen geschaffen werden. Vor der nächsten Wahl sollen so viele wie möglich abgesichert werden, war in der Presse zu lesen. Ja, wer wohl? Wenn zwei Minister mit dem Parlament so umgehen und diese beiden zufällig in einer Partei sind, dann könnte man dahinter mehr vermuten. ({3}) Auf dieser Basis lohnt es sich eigentlich nicht, über einen Haushalt zu reden, der schon wenige Stunden, nachdem wir ihn beschlossen haben, obsolet ist. Was aber lese ich in der Zeitung? Da heißt es: „der größte Etat in der Geschichte des Ministeriums, der größte historische Personalzuwachs“ und „ein neues Zeitalter der Kooperation“ zwischen Auswärtigem Amt und BMZ. Ich bin mir da nicht ganz so sicher. Ich habe auch gelesen - das hätte von Heidemarie Wieczorek-Zeul sein können -: Dennoch dürfen wir unsere Partner nicht mit immer neuen Konzepten überfordern. … Konzepte wie „Hilfe zur Selbsthilfe“ … gibt es schon lange. Weiter heißt es: Entwicklungspolitik begründet sich auch aus einer moralischen Verpflichtung, aus Solidarität und Nächstenliebe heraus. Das hat übrigens Herr Bundespräsident Wulff anlässlich der 50-Jahr-Feier des BMZ gesagt. Ich glaube, wir geben ihm recht. Dirk Niebel spricht unter dem Stichwort „Eigeninteressen“ von Ökonomisierung, aber auch von symbolischer Militarisierung. ({4}) - Ich habe „symbolisch“ gesagt. Lothar Binding ({5}) Es gibt eine Anzeige mit dem Titel „wirtschaft. entwickelt. global“. Wer sich an das alte Logo der FDP erinnert, weiß noch, dass es dort auch solche Punkte gab: F.D.P. In der Anzeige heißt es: „Wir wollen erreichen, dass Entwicklungspolitik und deutsche Wirtschaft Hand in Hand arbeiten.“ Ich glaube, da ist was dran: Eine Hand wäscht die andere. Auf dieser Basis wird zurzeit Entwicklungspolitik gemacht. ({6}) Dabei ist es aber so, dass - ich zitiere - „Entwicklungspolitik sich im Kern immer auf einen überparteilichen Konsens“ stützt. ({7}) Auch das hat nicht Heidemarie Wieczorek-Zeul gesagt, sondern unser Bundespräsident. Niebel allerdings, habe ich in demselben Artikel gelesen, arbeitet daran, SPDSpuren im Ministerium zu tilgen. Das bedeutet eine ganz andere Arbeitsrichtung in der Entwicklungspolitik. Ihm geht es darum, Spuren anderer zu tilgen. Aber woran arbeitet er noch? Ich meine, wir müssen dafür ein bisschen Verständnis haben: Er kümmert sich um die FDP. ({8}) Es werden zum Beispiel Mitarbeiter befristet eingestellt; diese Stellen werden aber nach kurzer Zeit entfristet. Das heißt dann im Ministerium „Auswahlverfahren light“. Dieser Zusatz ist auch nötig; denn wenn das Parteibuch vor Qualifikation geht, dann braucht man ein Light-Verfahren. Es gibt allerdings auch andere Verfahren. Statt bestehende Referate zu stärken, werden neue geschaffen. Bisher gab es ein Referat für den Bereich private Wirtschaft; jetzt sind es zwei. Bisher gab es zwei Referate für Zivilgesellschaft. Jetzt sind es drei. Früher gab es ein Referat für Personal. Heute sind es zwei. Was ist die Idee? Sie verdoppeln sozusagen ein Referat und können damit personalpolitisch schön jonglieren, insbesondere wenn Sie aus anderen Ministerien und der GIZ 300 Stellen bekommen und sie in einer gewissen Weise zu einer freien Verfügungsmasse in Ihrem Ministerium machen. Es kommt noch etwas Besonderes hinzu: Durch die vielen neuen Strukturen gibt es einen erhöhten Abstimmungsbedarf. Was folgt daraus? Man braucht neue Abteilungskoordinatoren. Das ist völlig klar. Ich weiß auch, wie sie besetzt werden sollen ({9}) jedenfalls liegt die Vermutung nahe -; denn es werden Referatsleiter verschoben. Wem das zu abstrakt ist, dem rufe ich ein paar Namen in Erinnerung: Pätz, Vorstandsmitglied in der GIZ, mit einer Rückfallstelle auf B-Ebene im Ministerium. Einen peinlichen Vorgang gab es um van Bebber - hier muss man sich einmal im Ministerium umhören -, Kreisvorsitzender der FDP in Ahrweiler. Dreimal dürfen Sie raten, wer Exekutivdirektor der Weltbank geworden ist: ein ehemaliger Mitarbeiter von Genscher, rein zufällig. Dann kommt Christian Lüth, Friedrich-Naumann-Stiftung, zum BMZ, nachdem er Deutschland in Honduras auf das Peinlichste blamiert hat. Da merkt man schon, in welche Richtung es geht. Ich meine, wir brauchen Verstärkung in ganz anderen Bereichen: in den Regionen, in den Sektoren. Wir brauchen Antworten auf die Frage, wie die GIZ wirklich gesteuert werden soll. Wir müssen die Armutsbekämpfung verstärken. Wir brauchen wenigstens einen Pfad zum Aufbau der ODA-Quote. Im Haushalt ist dazu nichts zu finden. Das sind die wesentlichen Themen, um die wir uns kümmern müssen. Ich bin froh, dass meine Kollegen dazu noch das Wort ergreifen. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christiane RatjenDamerau für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Christiane Ratjen-Damerau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004204, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Binding, im Gegensatz zu Ihnen möchte ich heute zu der Frage Stellung nehmen, wie wir jene Menschen auf dieser Welt unterstützen können, die nicht das Glück haben, in einem der reichsten Länder dieser Welt geboren zu sein. ({0}) Entwicklungszusammenarbeit gibt es noch nicht sehr lange. Es gibt sie seit 50 Jahren. Die Vorstellung, dass wir eine Mitverantwortung für das Schicksal aller Menschen dieser Welt tragen, ist ein neuzeitliches Konzept. In der Entwicklungspolitik gibt es noch viele ungelöste Aufgaben, und somit bleibt sehr viel Raum für kontroverse und auch innovative Diskussionen. Für mich heißt Entwicklungspolitik, anderen Chancen zu eröffnen, aber gleichzeitig die eigenen Chancen zu nutzen. ({1}) Der diesjährige Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gibt den Anspruch wieder, dass Globalisierung eine Chance für alle Menschen auf dieser Welt ist. Der Haushalt des Bundesministeriums wächst in diesem Jahr um knapp 2 Prozent auf 6 332 900 000 Euro an. Das sind 114 Millionen Euro mehr als im vergangenen Jahr. 114 Millionen Euro mehr investiert die Bundesregierung in die Zukunft unserer Welt. ({2}) Trotz enger haushalterischer Spielräume haben wir damit den dritten Rekordhaushalt in Folge in diesem Jahr. Dass es die gesamte Bundesregierung ernst meint mit der Entwicklungspolitik, zeigt sich an diesem Haushalt. Der Anteil des BMZ am Bundeshaushalt steigt auf 2,1 Prozent an. Das Ziel der ODA-Quote, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Entwicklungshilfe zu investieren, haben wir zwar noch nicht erreicht, aber ich möchte an dieser Stelle für uns alle betonen, dass wir an dieser Vereinbarung der Weltgemeinschaft festhalten. ({3}) Die christlich-liberale Koalition hat 2009 - damals lag die ODA-Quote bei 0,35 Prozent - die Regierungsverantwortung übernommen. 2010 lag sie bereits bei 0,39 Prozent, und das bei einem um 3,6 Prozent höheren Bruttoinlandsprodukt in Deutschland. Ein wichtiger Aspekt einer zeitgemäßen Entwicklungspolitik ist allerdings: Mit Geld alleine ist keine sinnvolle und langfristige Entwicklungspolitik möglich. Die Qualität und die Schwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit sind hier entscheidend. Wir Entwicklungspolitiker und Entwicklungspolitikerinnen der Koalition sind der festen Überzeugung, dass eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in den Entwicklungsländern nicht durch eine dauerhafte Alimentation erzielt werden kann. ({4}) Für 2012 kann der Haushalt des BMZ als ein Wirksamkeitshaushalt beschrieben werden, weil sich in ihm die Zusammenführung der vormaligen Durchführungsorganisationen, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, der InWEnt und des Deutschen Entwicklungsdienstes, zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit wiederfindet. Dies ist die größte Strukturreform in der Entwicklungspolitik seit der Gründung des BMZ und damit seit genau 50 Jahren. ({5}) Zudem setzt das Bundesministerium auf die Evaluierung der eigenen Arbeit. Dafür wird im Jahr 2012 ein eigenes Institut gegründet. Für mich als Liberale ist es selbstverständlich, dass die Arbeit des Ministeriums auf den Prüfstand eines unabhängigen Evaluierungsinstitutes gestellt wird. Wirksam ist der Haushalt auch deshalb, weil er den Aufbau der Zivilgesellschaften durch private Träger wie die Kirchen und Stiftungen in den Entwicklungsländern mehr als je zuvor stärkt und fördert. Denn um das Ziel einer nachhaltigen Bekämpfung der Armut und Strukturdefizite in den betroffenen Ländern zu erreichen, benötigen wir die Anstrengung und das Wissen gerade dieser Institutionen. Ihre Arbeit beginnt meistens dort, wo staatliches Handeln nicht möglich ist. Den Schwerpunkt der Entwicklungspolitik legen wir weiterhin auf Afrika. Die Armut in den betroffenen Staaten in Afrika lässt sich nur über Generationen hinweg und insbesondere durch Investitionen in die Bildung der Menschen verringern. Daher verdoppeln wir die Anzahl der Bildungsmaßnahmen im Süden des Kontinents bis 2013 gegenüber dem Jahr 2009. ({6}) Dies ist nachhaltig und sorgt für die Chancen, die dann Wohlstand schaffen. Wir geben zusätzliche Mittel zur Vergabe von Krediten und investieren in Ausbildung und gute Regierungsführung. Gleichzeitig sorgen wir mit dem Haushalt und der Arbeit des Bundesministeriums dafür - da möchte ich gerne Bundesminister Niebel zitieren -, dass die Entwicklungszusammenarbeit stärker in der Gesellschaft verankert wird. Entsprechend organisiert sich das BMZ neu und geht andere Wege. ({7}) So schafft es aus einer Vielzahl von unübersichtlichen Angeboten eine einzige Servicestelle mit Ansprechpartnern zu allen Fragen des bürgerschaftlichen Engagements und der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit. Vieles kann jedoch ohne neue Mittel geleistet werden, und zwar allein durch eine bessere Koordinierung und einen effizienteren Einsatz der Mittel. Aber für bestimmte Maßnahmen brauchen wir mehr Geld. Deswegen bin ich mit dem Haushalt des Bundesministeriums sehr zufrieden und danke an dieser Stelle allen Beteiligten, die an diesem Haushalt mitgewirkt haben. ({8}) Dieser Haushalt steht für die neue Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit und lässt uns gleichzeitig einen Schritt hin zur Einlösung unseres Versprechens an die Welt - die Erfüllung der ODA-Quote - gehen. Es gibt noch viel zu tun. Wir, die Politiker der westlichen, wohlhabenden Welt, müssen gemeinsam an einem Strang ziehen. ({9}) - Vielleicht hören Sie einmal zu! ({10}) Wir müssen so lange an einem Strang ziehen, Frau Koczy, solange Menschen nicht genug zu essen haben und solange täglich Menschen an den Folgen von Armut und Unterernährung sterben. Lassen Sie uns daher gemeinsam die Menschen unterstützen, die eben nicht das Glück hatten, in dem reichsten Land der Welt geboren zu werden. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Heike Hänsel von der Fraktion Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Aus aktuellem Anlass möchte ich von hier aus zuerst eine Solidaritätsadresse an die Menschen in Kairo schicken, die im Moment auf dem Tahrir-Platz sitzen und versuchen, die Demokratie dort zu verteidigen, ({0}) und die im Grunde genommen eine zweite Revolution gegen die Militärregierung beginnen. Herr Niebel, es wäre schon gut gewesen, von Ihnen aktuell etwas dazu zu hören. Es reicht nicht, dass Sie und Herr Westerwelle sich dort feiern lassen. Jetzt braucht die Bevölkerung die Solidarität von uns allen. ({1}) Zum Haushalt. Ich lese, dass Sie dieses Jahr einen Rekordhaushalt verabschieden. Das steht auf Ihrer Webseite. ({2}) Das ist sehr interessant. Ich kann mir das nur so erklären, dass es für Sie, Herr Niebel, ein Rekord ist, trotz der großen Unterstützung, die Sie hier aus dem Parlament erfahren haben, trotz der vielen Unterschriften aus der Bevölkerung und trotz der vielen Appelle der Hilfsorganisationen einen solch mickrigen Aufwuchs für das nächste Jahr zu organisieren, das ist wirklich ein Rekord, Herr Niebel. ({3}) Die Halbzeitbilanz Ihrer Amtszeit ist katastrophal. Sie machen viel Show, organisieren viele Events und sprechen von einer ganz neuen Ausrichtung der Entwicklungspolitik. Wenn man sich das aber genau anschaut, dann stellt man fest, dass nicht viel dahinter ist. Sie wollen zum Beispiel über eine neue Servicestelle mehr Bürgerbeteiligung organisieren und die Zivilgesellschaft in die Entwicklungspolitik stärker einbinden. Das ist schön und gut. Aber zu den vielen Menschen, die bereits aktiv sind, wenn es um Entwicklungsfragen geht, und auf die Straße gehen, um das Erreichen des 0,7-Prozent-Ziels, die Einführung einer Finanztransaktionsteuer und eine strengere Regulierung der Finanzmärkte zu fordern und die Bankenmacht zu brechen, gibt es von Ihnen keine Reaktion, Herr Niebel. Diese Menschen werden systematisch ignoriert. Da brauchen Sie nicht von Bürgerbeteiligung zu sprechen. Das ist ein Witz. ({4}) Sie machen Politik wie bisher, verkaufen sie aber neu. Sie sprechen von Eigenverantwortung und Wirtschaftspartnerschaften, meinen aber im Grunde die Förderung deutscher Wirtschafts- und Rohstoffinteressen. Ich habe gelesen - das ist interessant -, dass die neue Rohstoffallianz, gegründet vom Bundesverband der Deutschen Industrie, jetzt auch vom Entwicklungsministerium begrüßt und unterstützt wird. ({5}) Das ist also Ihre neue Entwicklungsausrichtung. Sie machen Politik für die deutsche Großindustrie. ({6}) Sie sprechen von Liberalisierung, neuen Märkten und neuen Chancen. Aber im Grunde handelt es sich um nichts anderes als um den Griff in die neoliberale Mottenkiste. ({7}) Denn genau diese Politik hat bislang Entwicklung in den Ländern des Südens verhindert. ({8}) Viele Arbeitsplätze und kleinbäuerliche Existenzen wurden dadurch vernichtet. Sie kommen mit den ewig alten Rezepten des letzten Jahrhunderts und haben bis heute nicht bemerkt, dass der Kapitalismus nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist. ({9}) Wir brauchen eine solidarische Weltwirtschaftsordnung, wenn wir nicht nur den reichen Eliten, die ab und zu der FDP Parteispenden zukommen lassen, sondern allen auf dieser Welt eine menschenwürdige Existenz ermöglichen wollen. Sie sehen sich als großer Reformer und haben intelligenterweise die Not- und Übergangshilfe in das Auswärtige Amt zur humanitären Hilfe verlagert. Das ist die entwicklungspolitische Fehlleistung des Jahres. Es wäre wichtig gewesen, die Not- und Übergangshilfe zusammen mit der humanitären Hilfe im Entwicklungsministerium anzusiedeln, weil die Übergänge sehr schwierig sind und wir das entwicklungspolitisch gut organisieren müssen. Statt die Not- und Übergangshilfe im Auswärtigen Amt quasi zu versenken, wäre es vor allem wichtig gewesen, die Mittel dafür massiv zu erhöhen, ({10}) und zwar wegen der vielen Katastrophen, die wir haben, sei es in Pakistan, in Haiti oder in Ostafrika. Da sieht man nichts von Ihnen. Sie haben nur neue Posten für die FDP im Außenministerium organisiert. Am unrühmlichsten ist sicherlich Ihre Halbzeitbilanz, wenn es um Afghanistan geht. Sie haben leider die schon unter Rot-Grün begonnene zivil-militärische Zusammenarbeit massiv vorangetrieben und die Hilfsorganisationen, die staatliche Unterstützung bekommen, gezwungen, mit der Bundeswehr zusammenzuarbeiten. Diese Militarisierung schreitet voran, zum Beispiel bei den Kooperationsverträgen zwischen der GIZ und der Bundeswehr. Dabei geht es nicht nur um Afghanistan, sondern auch um zukünftige Militärinterventionen. Wir hingegen haben uns immer gegen eine Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit ausgesprochen. ({11}) Die soziale Situation in Afghanistan ist nach wie vor schwierig, nicht nur aufgrund von Korruption, sondern auch aufgrund des dort herrschenden Krieges; denn unter den Bedingungen eines Krieges ist keine Entwicklung in einem Land möglich. ({12}) Nun findet nächste Woche in Bonn die große Afghanistan-Konferenz statt. Überall ist vom Abzug der Truppen die Rede. Dazu kann ich nur sagen: Das ist schlicht eine Lüge. Es wird keinen kompletten Abzug der Truppen geben, allenfalls einen Teilabzug. Die Kanzlerin hat heute Morgen davon gesprochen, dass wir über 2014 hinaus in Afghanistan präsent sein werden. Genau deswegen gehen immer mehr Menschen, insbesondere Friedensgruppen, in Afghanistan auf die Straße. Sie fordern: Wir wollen keine Dauerbesatzung in Afghanistan. Wir wollen über unser Land selbst bestimmen. Diese Gruppen werden von uns unterstützt. Auch sie kommen nächste Woche nach Bonn. ({13}) Sie werden einen Gegenpunkt setzen. Sie werden in Bonn auf der Demonstration am 3. Dezember und auf der Gegenkonferenz am 4. Dezember sprechen. ({14}) Sie stehen für die Forderung nach einem wirklichen Abzug der Truppen, sie stehen für die Forderung nach einem 100-prozentigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan; denn nur so gibt es wirkliche Entwicklungschancen für die Bevölkerung dort. Danke. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist der Kollege Volkmar Klein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Klar, das ist hier eine Haushaltsberatung. ({0}) Trotzdem muss ich sagen: Man hat jetzt fast den Eindruck - das war auch in den letzten Wochen so -, als sei Geld das Wertvollste, was Deutschland zu bieten hat; je mehr davon, umso besser. Dabei legt doch schon der Name des Ministeriums, über das wir hier reden, eigentlich anderes nahe. Es geht um wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich denke, wichtiger noch sind Austausch, Zusammenarbeit, Weitergeben von Erfahrung und Teilhaben-Lassen an Erfahrungen. ({1}) Das gilt im Übrigen aber auch wechselseitig. Das wird jeder von uns so bestätigen können. Ich persönlich habe langjährige Verbindungen nach Ghana. Wenn ich von dort zurückkomme, dann fühle ich mich immer wieder auch selbst bereichert. Insofern ist das natürlich ein ganz krasser Widerspruch zu dem, was wir gerade von meiner Vorrednerin gehört haben. Ich denke, das Wertvollste, was wir in Deutschland weiterzugeben haben, ist unsere positive Erfahrung mit der sozialen Marktwirtschaft. ({2}) Es wäre grandios, wenn es gelingt, in allen Teilen der Welt eine sich selbst tragende Entwicklung anzustoßen: sich selbst tragend, ökonomisch, ökologisch und sozial. ({3}) Das ist genau das, was wir unter Nachhaltigkeit verstehen. ({4}) Das heißt nicht, dass es darum geht, anderen irgendwie eine Kopie unserer Lösungen zu oktroyieren, aber das heißt, dass wir die Erfahrung weitergeben müssen, dass klare Regeln gebraucht werden sowie Verlässlichkeit, Spielräume für die Menschen, Ausgleich zwischen den Menschen. Das heißt auch, dass wir eine klare Erwartung formulieren müssen. Egal welche Lösungen in einem Land gefunden werden - wir erwarten von den dortigen Eliten zumindest, dass sie selber Vertrauen in ihre Lösungen haben. Das ist, glaube ich, ein großes Problem, über das wir viel zu wenig reden. Natürlich geht das nicht ohne Geld; insofern waren die Zwischenrufe ja richtig. Es gibt das schöne russische Sprichwort: Durch Umrühren allein wird der Tee nicht süßer, da muss Zucker hinein. - Das ist, finde ich, ein tolles Sprichwort. Deutschland liefert ziemlich viel Zucker in alle Welt. Fast 6,4 Milliarden Euro umfasst der Einzelplan 23, der Haushalt des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Das ist sehr viel Geld. Fakt ist, dass wir alle uns dafür gegenüber unseren Wählern verantworten müssen. ({5}) Wir müssen begründen, weshalb es richtig ist, so viel Geld zur Unterstützung anderer auszugeben. Ich finde, man kann das auch sehr gut begründen. Es ist richtig, weil unsere Verantwortung für den Nächsten nicht an unseren Grenzen endet. Wir müssen einen Teil unserer Erfahrungen, auch unseres Reichtums abgeben und mit dem Nächsten jenseits unserer Grenzen teilen. ({6}) - Ich bedanke mich für den breiten Applaus. Ein solcher wird sicherlich bei meinem nächsten Punkt erneut aufbranden. Die Steigerung um 2,6 Prozent im Einzelplan 23 ({7}) - da ist ja der Beifall - ist angesichts der Steigerung des Gesamthaushalts natürlich exorbitant groß. Wir haben nämlich ein insgesamt stagnierendes Budget, das um nur 0,1 Prozent steigt. Die Vorrednerin könnte sich vielleicht vom Kollegen Binding, der von Mathematik viel Ahnung hat, genau erklären lassen, dass damit der Einzelplan 23 praktisch die 26-fache Steigerung im Vergleich zum Gesamthaushalt erfährt. ({8}) - Gleich noch einmal von Lothar Binding erklären lassen. Die Budgetsteigerung, meine Damen und Herren, ermöglicht uns eine Ausweitung unseres Handelns. Bei vielen einzelnen Positionen im Einzelplan 23 gibt es Aufwüchse. Ich will einmal zwei Punkte herausgreifen. Wir haben schon oft über die Situation in Ostafrika geredet. Insgesamt sind wir auf der Basis unserer Haushalte in der Lage, Ostafrika mit 205 Millionen Euro zu unterstützen, inklusive - auch das muss erwähnt werden, gerade von denen, die die Bedeutung der internationalen Organisationen immer hochhalten - des deutschen Anteils am Europäischen Entwicklungsfonds und bei der Weltbank. Das ist ein stolzes Ergebnis - auch angesichts der enormen Not, die dort herrscht. Als zweites Beispiel möchte ich erwähnen, dass es uns möglich sein wird, unter dem Stichwort „Yasuní“, das inzwischen quasi zu einem Synonym für Regenwaldschutz geworden ist, eine ganze Menge zu tun. ({9}) Der Schutz des Regenwaldes im Amazonasgebiet ist durchaus auch für uns wichtig, weil die klimatischen Auswirkungen weltweit eine Rolle spielen. Auf der Basis unserer Haushalte - dafür haben sich viele, insbesondere unser Kollege Christian Ruck, aber auch Kollegen aus anderen Fraktionen intensiv eingesetzt - wird es jetzt möglich sein, einiges in den Regenwaldschutz in Ecuador zu investieren. ({10}) Es gibt einige berechtigte Zweifel daran, ob eine einfache Einzahlung in den ecuadorianischen Fonds langfristig ausreicht, gerade unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten. Deswegen ist der jetzt von den beiden zuständigen Ministerien gefundene Kompromiss, Mittel aus dem Einzelplan 23 und darüber hinaus aus dem Energie- und Klimafonds zur Verfügung zu stellen, ein gutes Ergebnis; dadurch können wir hier einiges bewegen. Aber nicht nur die Budgetsteigerung ermöglicht uns eine Ausweitung des Handelns, sondern auch die Effizienzsteigerung. Im Haushalt 2012 ist die Fusion von DED, InWEnt und GTZ zur GIZ abgebildet. Das ist ein klarer Erfolg, auch des zuständigen Ministers. ({11}) Lange, auch schon in der früheren Regierung, hat die CDU/CSU gefordert, das in Angriff zu nehmen. Die damalige Ministerin hat es aber nicht geschafft. Jetzt wird auf der Basis dieser Fusion unsere Arbeit mit Sicherheit effektiver. Insofern möchte ich an dieser Stelle dem zuständigen Minister Dirk Niebel ganz herzlich gratulieren. ({12}) Vielleicht sollte ich eher uns allen hier gratulieren, dass wir einen solchen Minister haben. ({13}) Ein agiler und erfolgreicher Minister agiert manchmal unter Umständen etwas voreilig. Das haben wir gerade bei der Vereinbarung mit dem Auswärtigen Amt erlebt; darüber werden wir auch im Haushaltsausschuss noch beraten. Kollege Binding hat eben schon etwas dazu gesagt. Wenn er das nicht in so viel Oppositionsgetöse verpackt hätte, wäre sogar etwas Richtiges daran gewesen. Wir werden sehen, ob die Frau Kollegin Hinz das gleich sachlich darstellt. ({14}) - Wir werden es sehen. Insgesamt muss jenseits dieser Reformen mehr als bisher darauf geachtet werden, wie erfolgreich wir arbeiten. Wir müssen nämlich unser Geld - auch das sind wir dem Steuerzahler schuldig - wirklich effizient einsetzen. Deshalb ist es wichtig, das eben schon genannte Evaluierungsinstitut zu gründen, weil wir, so glaube ich, noch viel zu wenig über die tatsächliche Wirksamkeit unserer Maßnahmen wissen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist es - auch das ist eben schon angeklungen -, sich nicht nur an die staatlichen Strukturen der Partnerländer zu wenden. Denn die Analysen besagen für viele Länder, dass dort die Regierungen selbst Teil des Problems sind. Eine besonders eindrucksvolle Analyse hat uns die sambische Wissenschaftlerin Dambisa Moyo vor zwei Jahren geliefert. ({15}) Deshalb ist es so wichtig, dass wir auch andere Bereiche deutlich stärker unterstützen, die nicht an die staatlichen Strukturen anknüpfen. Die Mittel für die Bereiche der Kirchen, der Wirtschaft und der Bürgergesellschaft werden mit 8,5 Prozent wesentlich stärker ausgeweitet als der durchschnittliche Haushalt. Zum Abschluss noch zwei Punkte: Erstens. Der Dank an die Beteiligten hier im Hause ist schon ausreichend artikuliert worden. Ich möchte mich an dieser Stelle aber auch bei all denjenigen bedanken, die in aller Welt - teilweise unter harten Bedingungen Hilfe vor Ort leisten. Das ist im Interesse der Menschen dort ganz toll, und es ist zugleich eine gute Visitenkarte für Deutschland. Dafür ganz herzlichen Dank. ({16}) Zweitens. Das wird Sie jetzt nicht wirklich überraschen: Die CDU/CSU wird diesem Einzelplan zustimmen. Herzlichen Dank. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Priska Hinz hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Klein, Ihr letzter Satz war wirklich völlig überraschend. Meine Damen und Herren von der Koalition, es reicht nicht aus, sich nur mit Worten an dem 0,7-Prozent-Ziel festzuhalten, sondern man muss das Ziel dann auch erreichen wollen. Man muss es tatkräftig ansteuern. ({0}) Es reicht nicht aus, die internationalen Versprechungen vor sich her zu tragen, eine Koalitionsvereinbarung zu unterschreiben und dann in dem Haushalt, den die Regierung vorlegt, nur noch ein wenig hin und her zu schieben, aber nicht wirklich den Willen kundzutun, das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen oder sogar noch etwas draufzusetzen. Das haben Sie versäumt, und Sie müssen ertragen, dass wir Ihnen das immer wieder vorhalten werden. ({1}) Positiv ist, dass die KfW-Mittel jetzt unter den Gewährleistungsrahmen des Bundes fallen werden. Damit kann die ODA-Quote gesteigert werden. Das haben wir Grünen ja schon im letzten Jahr gefordert. Insofern sind Sie uns gefolgt. Das ist wunderbar. Es reicht aber leider nicht aus; denn die Barmittel müssen ebenfalls gesteigert werden. Wenn man sich die Finanzplanung anschaut, dann erkennt man, dass im Jahr 2013 etwa 10 Prozent des Etats wegfallen sollen. Das heißt, wir wären dann unter dem Status von 2010. Wie wollen Sie denn da das 0,7-Prozent-Ziel erreichen? ({2}) Diese Erklärung hätte ich gerne von Ihnen. ({3}) Herr Minister, wir von der Opposition haben Ihnen sogar zugestanden, dass Sie im Zuge der Fusion der Vorfeldorganisationen mehr Personal brauchen. Wir sind der Meinung, es hätte nicht ganz so viel sein müssen; wir haben Ihnen aber zugestanden, dass Sie für die Steuerung mehr Personal bekommen; denn eine politische Steuerung muss schon sein. Nur frage ich mich dann - und ich frage es auch die Koalitionäre -: Was soll denn das Personal bitte steuern, wenn es nicht auch mehr Barmittel gibt? Was sollen die denn bitte schön machen? ({4}) Die Projekte und Programme müssen finanziell ausgestattet sein, damit man überhaupt steuern kann. Um es mit einem ganz lapidaren Satz zusammenzufassen, den wir schon in den 80er-Jahren benutzt haben: Ohne Moos nix los. Ohne Geld werden Sie nicht weiterkommen. Da können Sie zwar die Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit anmahnen, man kann aber nur dann effizient und effektiv helfen, wenn man dafür auch genügend Geld hat. ({5}) Ich komme zum Globalen Fonds. Wir sind uns ziemlich einig darüber, dass er dringend notwendig ist, um Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose und Aids vorzubeugen. Die Kanzlerin hat in internationalen Regierungsverhandlungen wieder die Bereitstellung der Mittel zugesagt. Und was macht der Entwicklungsminister? Er bekommt von der Organisation selbst einen Bericht über mögliche Korruptionsfälle und sperrt dann erst einmal die Mittel. Da haben wir noch gesagt: Das ist okay; da muss man nachschauen. - Inzwischen will er auch die letzte Tranche freigeben. Sehr gut! Aber was ist mit den Mitteln für das nächste Jahr? Dann gibt es für diese Gelder keinen eigenen Titel mehr. Die Gelder werden in den Titel „Bilaterale Finanzielle Zusammenarbeit“ eingestellt. Da gehören sie nicht hin; ({6}) denn die Mittel sollen nicht nach Gutsherrenart verteilt, sondern je nach Notwendigkeit freigegeben werden. Da wäre es sinnvoll gewesen, dass der Haushaltsausschuss eine Sperre einrichtet. Priska Hinz ({7}) ({8}) Dann hätten wir nach den Berichten sagen können: Das Parlament will, dass die Mittel jetzt freigegeben werden. - Aber es entspricht nicht unserer Auffassung von demokratischer Kontrolle der Regierung durch das Parlament, dass Sie die Mittel nach Gutsherrenart sperren oder freigeben können. Das kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht ersparen. Wir haben den Minister bei der Fusion der Vorfeldorganisationen unterstützt. Wir haben ihn bei der Einrichtung eines Evaluierungsinstituts und einer Serviceagentur unterstützt, wobei wir bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Serviceagentur durchaus Probleme sehen, weil die Zivilgesellschaft nicht ausreichend eingebunden wurde. Herr Minister, es geht aber nicht - damit haben Sie alle Vertreter des Hauses, die mit diesen Themen befasst sind, verärgert -, dass Sie kurz nach der Bereinigungssitzung gemeinsam mit dem Außenminister eine Vereinbarung auf den Weg bringen, wonach Mittel und Stellen vom BMZ ins Außenministerium und wieder zurück verschoben werden. ({9}) Wenn es so kommt, wie Sie es vorhaben, ist Ihr Rekordhaushalt im Übrigen kein Rekordhaushalt mehr, weil dann die Aufwüchse beim Auswärtigen Amt landen. Man kann es ja so wollen, wie Sie es vorhaben; aber - ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin - es wäre das Mindeste gewesen, die Parlamentarier, die monatelang über diesen Haushalt beraten haben, die jeden Titel durchgegangen sind und mit Ihnen besprochen haben, die deutlich gemacht haben, wo vielleicht nur 10 000 Euro draufkommen und wo 10 000 Euro runterkommen sollen, ausreichend zu informieren, und zwar bevor Sie solch eine Vereinbarung treffen. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie den Haushaltsausschuss in dieser Sache weiterhin auf dem Laufenden halten und die Zustimmung dazu einholen. Danke schön. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Bundesminister Dirk Niebel. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Minister:in)

Politiker ID: 11003198

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind in dieser Regierung angetreten, um die Wirksamkeit und Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen. Dieser dritte Rekordhaushalt in Folge ({0}) gibt uns die Möglichkeit, unsere erfolgreiche Arbeit fortzusetzen. ({1}) Ich möchte mich bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern ausdrücklich für die - obwohl es in der Debatte im Deutschen Bundestag manchmal etwas anders klingt - hervorragende Zusammenarbeit bedanken. Wir haben einen sehr ergiebigen Diskussionsprozess geführt. Ich möchte mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Hauses, des Bundesrechnungshofes und der anderen beteiligten Organisationen bedanken, die dazu beigetragen haben, dass wir diesen guten Haushalt hier heute beschließen können. Die Kolleginnen und Kollegen haben die Stellen angesprochen. Doch mein guter Freund Sigmar Gabriel hat heute Morgen in der Generaldebatte versucht, zu skandalisieren, und gesagt, ich würde das Haus mit 166 Stellen aufblähen. ({2}) Um der Wahrheit Genüge zu tun, muss man darauf hinweisen: Es sind 182 Stellen; im nächsten Jahr kommen noch einmal 30 hinzu. Das hat gute Gründe - Sie alle haben es beschlossen -: Es geht um die Wiedererlangung der politischen Steuerungsfähigkeit gegenüber den Durchführungsorganisationen. In diesem Prozess haben wir den Bundeshaushalt - jetzt hören Sie bitte besonders gut zu trotz der Einrichtung der Servicestelle, der Gründung des Evaluierungsinstituts und der Schaffung der politischen Steuerungsfähigkeit des Hauses um 300 Stellen netto entlastet. Das ist der größte Bürokratieabbau im Rahmen der größten Strukturreform, die diese Legislaturperiode gesehen hat. Ich ahne, dass es in den nächsten zwei Jahren keine wesentlich größere geben wird. ({3}) Die Kollegin Hinz hat gerade beklagt, dass Stellen verschoben würden und sie davon überrascht gewesen sei. ({4}) Wir können gerne über die Frage des Zeitpunktes streiten - das haben wir gestern sehr intensiv getan -, nicht aber über die Inhalte. Sie wissen, dass ein Bestandteil der Fusion darin besteht, die politische Steuerungsfähigkeit zu erlangen. Deswegen gibt es auch in Bezug auf die Außenstruktur der deutschen Entwicklungszusammenarbeit die Notwendigkeit einer Veränderung. Das ist übrigens auch im Kabinettsbeschluss zur Fusion so vorgesehen. Die 46 Stellen an Botschaften für sogenannte WZ-Referenten - das sind die Mitarbeiter meines Hauses, die dort für die Umsetzung der Entwicklungspolitik sorgen sind genauso gestaltet, wie es schon heute der Fall ist. Unsere Mitarbeiter werden an die Botschaften abgeordnet. Unsere Stellen werden dann vom Auswärtigen Amt bewirtschaftet. Ich wundere mich schon sehr, dass man die Inhalte der wegweisendsten Verwaltungsvereinbarung zwischen den beiden Häusern kritisiert. Damit wird endlich das hergestellt, was dieses Parlament - übrigens über alle Fraktionsgrenzen hinweg - immer wieder gefordert hat. ({5}) Es wurde mehr Kohärenz bzw. die Einhaltung dessen gefordert, was die OECD schon lange von uns verlangt hat: Klarheit bei humanitärer Hilfe und entwicklungsorientierter Nothilfe. Lieber Kollege Lothar Binding, zu behaupten, wir hätten diese Klarheit bei humanitärer Hilfe, bei der Übergangs- und Nothilfe geschaffen, damit der Außenminister schöne Bilder von Katastrophen liefern kann, ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten. ({6}) Ich kenne überhaupt keine einzige Katastrophe, die ein einziges schönes Bild liefert. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns nicht über Geld reden, sondern über Verantwortung. Lassen Sie uns über die Verantwortung reden, die wir in der Welt wahrnehmen. Wir haben auf die Demokratiebewegungen in Nordafrika unmittelbar reagiert: mit drei Fonds, die ich aufgelegt habe. Ich möchte mich hier ganz besonders bei den Kirchen und vor allem den politischen Stiftungen bedanken, die uns dabei unterstützt haben, Demokratieprozesse begleiten zu können, damit die Welt auch hier ein Stückchen besser wird. Lassen Sie uns über die Entwicklung ländlicher Räume reden, die in den vergangenen 10, 15 Jahren schmählich vernachlässigt worden sind. Wir haben bei der Katastrophe am Horn von Afrika sofort reagiert und mit über 160 Millionen Euro kurz- und mittelfristig geholfen. Wir machen mehr, weil wir dafür sorgen wollen, dass die nächste Dürre, die kommen wird, nicht gleich wieder zu einer Katastrophe führt. Deswegen entwickeln wir ländliche Räume. Das stellte sich in der Vergangenheit vielleicht weniger charmant dar, weil die Ergebnisse längere Zeit brauchen und man sie nicht gleich mediengerecht vermarkten kann. Wir wollen dazu beitragen, die Menschen nicht nur zu versorgen, sondern für sie vorzusorgen. ({8}) Wir übernehmen auch Verantwortung für den Reichtum dieser Erde. Zum Beispiel schützen wir die Biodiversität, indem wir der Regierung in Tansania helfen, andere Routen für die Straßen zu finden, die gebraucht werden, damit die Serengeti nicht zerschnitten wird. Hierzu kann man sagen: Dank deutscher Entwicklungszusammenarbeit muss die Serengeti nicht sterben. Weiterhin haben wir den KAZA-Nationalpark erfunden. KAZA bedeutet Kavango-Zambesi-Nationalpark. Das ist der größte Nationalpark der Welt. Er ist ungefähr so groß wie Italien und erstreckt sich über fünf Staatsgrenzen hinweg. Bei diesen Staaten handelt es sich um Namibia, Angola, Sambia, Simbabwe und Botswana. Diese fünf Staaten versuchen, Biodiversität und wirtschaftliche Entwicklung, den Schutz von indigenen Völkern sowie der Natur unter einen Hut zu bringen. Das sind fünf Staaten, die in der Vergangenheit oftmals sehr viele unterschiedliche politische Interessen hatten. Jetzt haben sie eine Vereinbarung über eine Art Schengen-Abkommen unterschrieben. Danach wird es ein einheitliches Visum für diesen Nationalpark geben. Das hätte es ohne deutsche Entwicklungszusammenarbeit nicht gegeben. ({9}) Wir verbinden Werte mit Interessen. Manch ein linker Ideologe mag es nicht glauben: Werte und Interessen können sich hervorragend ergänzen. In diesem Sinne werden wir auch in den nächsten Jahren die Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland reformieren, damit die Menschen als Partner angesehen werden und gute Ergebnisse für die Zukunft erzielt werden. Ich danke ganz herzlich für die freundliche Aufmerksamkeit. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Bärbel Kofler das Wort. ({0})

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Es ist immer spannend, nach dem Herrn Minister zu reden. Er hat wieder mit bescheidenen Worten sein eigenes Arbeiten in den Mittelpunkt gestellt. Ich hätte mir angesichts des vorliegenden Haushalts eine bescheidenere Rede von Ihnen gewünscht, und zwar aus zwei Gründen. Der eine ist ein haushalterischer Grund. Es ist leider kein Rekordhaushalt. Dieser Haushalt wächst sehr bescheiden auf. ({0}) Sie haben ihn in den vergangenen Jahren und Monaten immer schöngerechnet, indem Sie die mittelfristige Finanzplanung herangezogen und gesagt haben: Von der ausgehend ist das ein ganz toller Rekordhaushalt. Das ist so, als würde man von seiner Firma eine Gehaltskürzung angedroht bekommen, die, nachdem andere für einen gekämpft haben, wieder zurückgenommen wird, und als würde man dann behaupten, man hätte ein Rekordgehalt. Genau das machen Sie in Bezug auf diesen Haushalt, das ist aber falsch. ({1}) Ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie den Drive, den Ihnen das Parlament in Form einer fraktionsübergreifenden Initiative für die Haushaltsverhandlungen mitgegeben hat - Kollegin Hänsel hat es erwähnt -, genutzt hätten, die Mittel zur Armutsbekämpfung, die dringend erforderlich sind, bei Ihren Kollegen einzuwerben. ({2}) Ich hätte mir gewünscht, dass Sie hier und heute erklären, wie der Aufwuchspfad aussehen soll; Kollegin Priska Hinz hat es angesprochen. Frau Kollegin RatjenDamerau, es ist schön, wenn Sie im Koalitionsvertrag und auch heute in Ihrer Rede am 0,7-Prozent-Ziel festhalten, aber ich hätte schon gerne gewusst, wann Sie es mit welchen Haushaltsmitteln erreichen wollen. Auch dazu muss der Minister Stellung nehmen. ({3}) Zum zweiten Grund, warum ich glaube, dass Bescheidenheit angemessener gewesen wäre. Sie vermitteln den Eindruck, als hätten wir alle Probleme auf dieser Welt bereits gelöst. Seit Ende Oktober sind wir 7 Milliarden Menschen auf der Erde. Laut World Food Programme leidet immer noch jeder siebte Mensch auf der Welt Hunger. Knapp 800 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu Bildung. Hunderte von Millionen Menschen haben keinen Zugang zu Gesundheits- und sozialen Sicherungssystemen. Künftig werden Millionen und Abermillionen Menschen von den Folgen des Klimawandels betroffen sein: von Überschwemmungen, Dürre, Vertreibung aus den angestammten Wohngebieten, aus den Gebieten, wo sie ihre Nahrungsmittel anbauen und sich dadurch selbst ernähren können. Auf diese Probleme haben Sie in den Haushaltstiteln und im Rahmen der Mittel, die diesem Haushalt zur Verfügung stehen, keine Antwort gegeben. Ich möchte an dieser Stelle auf Folgendes hinweisen: Sowohl das Umweltministerium als auch das BMZ loben sich selbst sehr gerne, wenn es darum geht, welche Summen man für den Klimaschutz eingestellt hat. Ich möchte daran erinnern, dass man beim Energie- und Klimafonds für die nächsten Jahre eine Haushaltssperre in Höhe von 900 Millionen Euro in Bezug auf die Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen hat. Das ist kein wegweisender Pfad. Ich hätte, ehrlich gesagt, gerne gehört, wie Sie das den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ländern in Durban erklären möchten. ({4}) Sie haben das Thema Wirksamkeit angesprochen. Ich hätte gerne etwas zur bevorstehenden Konferenz in Busan gehört, bei der es um die Wirksamkeit in der Entwicklungszusammenarbeit gehen soll. Es wird immer so getan, als sei das ein Thema, das Sie persönlich erfunden haben und das es vorher noch nie gegeben hat. Ich sage nur: Rom 2003, Paris 2005, Accra 2008. Um was geht es dabei? Es geht um die Stärkung der Eigenverantwortung der Partnerländer, um eine bessere Geberabstimmung, eine gegenseitige Rechenschaftspflicht und um die tatsächliche Umsetzung des Beschlossenen. Ich wiederhole: Dazu gehören auch Geberzusagen. ({5}) Hier ist keine immer flachere Debatte gefordert, nach dem Motto: Weniger ist mehr, wir gestalten das nur ein bisschen effektiver. Nun haben wir auch noch die TZ zusammengelegt. Damit haben wir der Wirksamkeit Genüge getan. Eigentlich hätte ich an dieser Stelle von Ihnen als Minister gerne gehört, wie Sie sich im Lichte von Geberharmonisierung und internationaler Zusammenarbeit in die Debatte in Busan einbringen, wenn es um die Fragen geht: Wie finanzieren wir zum Beispiel den internationalen Strukturaufbau - Stichworte: soziale Sicherung, Steuerbehörden, Verwaltungen - in den verschiedenen Ländern? Wie stellen wir uns eine weltweite Bekämpfung von Steuerhinterziehung vor, die die Finanzstruktur besonders der Länder des Südens ganz entscheidend positiv beeinflussen würde? Wo stehen wir bei dem Thema „Bekämpfung der Nahrungsmittelspekulation“? Was sagen Sie zu dem Thema „Finanzierung durch eine weltweite Finanztransaktionsteuer“? Wie werden Sie sich in diese ganzen Diskussionen einbringen? Zu all diesen Themen hört man von Ihnen leider nichts. Dabei haben diese Themen sehr viel mit der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zu tun. ({6}) Es gibt ein gutes Beispiel - die Kollegin Hinz hat das bereits angesprochen -, an dem deutlich wird, dass Sie in den letzten zwei Jahren Entwicklungspolitik nach Gutsherrenart betrieben haben: der Global Fund. Der Kollege Sascha Raabe wird das Thema Yasuní noch einmal ansprechen. Ich finde, das ist das zweite Beispiel, das zeigt, dass Sie versuchen, Ihre Befindlichkeiten in Politik umzusetzen. Zwei renommierte Institute, das Center for Global Development und Global Economy and Development, haben im Vorfeld der Konferenz zum Thema Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit in Busan festgestellt, dass der Global Fund insbesondere auf den Gebieten Effizienz, Transparenz und Lernen aus dem eigenen Handeln ganz hervorragende Noten verdient. In dieser Hinsicht ist der Global Fund im Übrigen besser bewertet worden als Deutschland; das sollte uns zu denken geben. Außerdem haben die Fachpolitiker Ihrer eigenen Fraktion im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Ausdruck gebracht, dass sie Ihren Regierungsentwurf an nur einer Stelle korrigieren würden, nämlich an der Stelle, an der es um den Global Fund geht. Sie haben gesagt: Dieser Titel mit einem Volumen von 200 Millionen Euro muss erhalten bleiben. Das entspricht im Übrigen auch den Zusagen der Kanzlerin auf internationaler Ebene. Angesichts all dessen bin ich wirklich mehr als verblüfft und irritiert, dass Sie es mithilfe Ihrer Haushälter geschafft haben, den Titel zum Global Fund aus dem Haushalt herauszunehmen. Sie nutzen einfach einen kleinen Buchhaltertrick - jetzt kommt es -: Sollten Sie feststellen, dass die Korruptionsvorwürfe doch nicht stichhaltig sind, dann könnte man der Finanziellen Zusammenarbeit wieder 200 Millionen Euro wegnehmen und zu diesem Titel schieben. Das ist weder für den Bereich der Finanziellen Zusammenarbeit zumutbar noch für die Vertreterinnen und Vertreter des Global Fund, die hervorragende Arbeit leisten und zur Aufklärung von Korruptionsfällen beigetragen haben und nicht Korruptionsvorwürfe verdienen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie kommen zum Ende?

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. - Ich glaube, dass Sie mit diesem Haushalt viele Chancen, die Ihnen vom Parlament gegeben worden sind, verpasst haben, dass Sie Ihrer internationalen Verantwortung nicht gerecht werden. Sie versäumen es leider auch, Beiträge zu der Debatte auf internationaler Ebene zu liefern. Man kann nur hoffen, dass in den nächsten Jahren andere Weichenstellungen vorgenommen werden. Danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat Dagmar Wöhrl das Wort. ({0})

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Dr. Kofler, ich weiß nicht, was ein Minister in sechs Minuten alles beantworten soll. Ich finde es phänomenal, was Sie hier erwarten. ({0}) Man muss wirklich sagen: Alle Punkte, die Sie angesprochen haben, haben wir im Ausschuss behandelt. ({1}) Die Bundesregierung hat zu jedem dieser Punkte Rede und Antwort gestanden. ({2}) Ich will jetzt keine Argumente dafür anführen, wie der Haushalt im Einzelnen aufwächst. Er wächst, und das ist in der heutigen Situation das Wichtige. ({3}) Wir leben in nicht einfachen Zeiten; das wissen wir. Wir haben mit einer Schuldenkrise in anderen Ländern zu kämpfen. Wir wollen den nachfolgenden Generationen einen ausgeglichenen Haushalt hinterlassen. Wir sind auf einem guten Weg dorthin, und das ist das Wichtige. Ferner haben wir einen Haushalt, der wächst, und das haben andere nicht, und dafür sind wir sehr dankbar. ({4}) Sicher, auch wir hätten gerne mehr Geld. Es wäre gelogen, wenn wir das Gegenteil behaupten würden. Wir müssen uns fragen, wo wir neue Spielräume finden können. Vielleicht können wir zukünftig den Garantierahmen erweitern oder andere Dinge tun. Die Vorstellung „mehr Geld ist gleich mehr Entwicklung“ ist eindimensional. Die Summe des ausgegebenen Geldes sagt nichts über die Wirksamkeit und den Wert einer Hilfe aus. Das Wichtigste für uns ist, das Geld richtig einzusetzen. Wir wissen, dass falsch eingesetztes Geld Eigeninitiative lähmen kann. Das ist das Schlimmste, was wir damit erreichen können. Vor allem wollen wir eines nicht: Wir wollen nicht etwas mit einer Hand geben, was mit der anderen Hand wieder genommen wird. Ich spreche hier - da sind wir uns im Hause sicherlich einig - faire Wettbewerbsbedingungen an. Das ist der Schlüssel für die Bekämpfung von Armut in der Welt. Hier haben wir noch sehr viel zu tun. Wir wissen, dass die Entwicklungsländer alleine aufgrund unfairer Handelsbedingungen mehr als 700 Milliarden Dollar im Jahr verlieren. Das ist das Sechsfache von dem, was international für die gesamte Entwicklungshilfe ausgegeben wird. Hier müssen wir zukünftig ansetzen. Wir müssen faire Handelsbedingungen schaffen und wettbewerbsverzerrende Maßnahmen beseitigen. ({5}) Das heißt, nicht nur behandeln, sondern auch handeln. Dazu gehört auch mehr Wirksamkeit. Der Terminus ist richtig. Dazu gehören auch mehr Kohärenz und mehr Transparenz. Mit der Vorfeldreform sind wir den richtigen Weg gegangen. Auch mit dem Evaluierungsinstitut ist der Minister den richtigen Weg gegangen. Die Problemlagen in der Welt ändern sich permanent. Wir haben jetzt das Jubiläum „50 Jahre Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ gefeiert. Diejenigen, die damals in dem Ministerium zuständig waren, konnten sich gar nicht vorstellen, mit welchen Problemen in der Welt wir in diesem Jahrzehnt zu kämpfen haben. Deswegen ist es wichtig, dass man eine Entwicklungsarchitektur hat. Diese darf nicht so aussehen wie in der Vergangenheit, sondern man muss sie immer wieder reformieren, man muss sie modernisieren, man muss sie immer wieder an die Gegebenheiten anpassen. Und das wird von dieser Regierung gemacht. Wir sind keine Kolonialherren - so fühlen wir uns auch nicht -, die jemandem vorschreiben, was das Beste für ihn ist. Aber wir wollen eines sein: Chancengeber in dieser Welt. Und für uns stellt sich dann die schwierige Frage: Wie ist man am besten Chancengeber? Es ist wirklich naiv zu glauben, mit einer staatlichen Entwicklungspolitik oder mit staatlichen Institutionen würde man das ganze Elend und die ganze Armut in dieser Welt beseitigen. Das sind immense Aufgaben. Frau Dr. Kofler hat die Zahlen genannt: Es sind 7 Milliarden Menschen auf der Welt. 2050 werden es 9 Milliarden Menschen sein. Ein Mensch braucht täglich durchschnittlich 2 400 Kilokalorien. Dies würde bedeuten, dass 50 Prozent mehr Nahrungsmittel auf der Welt benötigt werden. Wie will man das zukünftig erreichen? Mit diesen Dingen müssen wir umgehen. Jetzt schon hungern 925 Millionen Menschen auf der Welt. Wie erreicht man zukünftig Ernährungssicherung? Wir nehmen uns deswegen zu Recht erstmals des Themas Landwirtschaft richtig an. Dafür bin ich dem Herrn Minister sehr dankbar. ({6}) Dieses Thema ist nicht nur von uns vernachlässigt worden, sondern auch international, auch von den Entwicklungsländern selbst. Hier müssen wir die Entwicklungsländer viel mehr in die Pflicht nehmen. Auf das Thema „Land Grabbing“ will ich nicht näher eingehen. Auch hier sind es die Länder selbst, die bei diesem Monopoly mitspielen. Deswegen ist es wichtig, auch hier international zu einem verbindlichen Rahmen zu kommen. Damit sind weitreichende sozio-ökonomische Risiken verbunden: Seit 2001 sind weltweit bis zu 227 Millionen Hektar erworben worden, 80 Prozent davon werden überhaupt nicht bebaut. Es warten Banken, Fonds auf der ganzen Welt, dass die Lebensmittelpreise steigen, um diese Grundstücke zu verwerten. Hier also haben wir sozio-ökonomische Risiken von Vertreibung, von Umsiedlung und vielem mehr. Es geht darum, wie wir es schaffen, dass die Kleinbauern mehr Einkommen haben. Aber es geht auch darum, wie man die stark schwankenden Nahrungsmittelpreise stabilisiert. Wir wissen, dass gerade in den ärmeren Ländern 70 Prozent des Einkommens für Nahrung ausgegeben werden. In Deutschland sind es 10 Prozent. Wenn nun die Nahrungsmittelpreise steigen, dann wird in anderen Bereichen gespart. Dann gibt es kein Gesundheitswesen, keine Schulen usw. mehr. Derzeit erleben wir - da sind wir uns sicherlich im ganzen Hause einig - eine Metamorphose des Lebensmittelmarktes zu einem Finanzmarkt. Und das ist ein Unding. Inzwischen gibt es ein internationales Zocken mit Grundnahrungsmitteln, wie man es sich vorher nicht vorstellen konnte. ({7}) Viele Fonds und Banken haben in diesem Rohstoffmonopoly ein immens großes Spielfeld entdeckt. Ich glaube, wir müssen dieses Thema angehen. Wir müssen dafür eintreten, dass nicht an den Börsen, zum Beispiel in Chicago, New York und London, entschieden werden darf, was die Menschen in Zukunft zu essen haben oder nicht. ({8}) Allein in Chicago ist im Mai dieses Jahres virtuell mit über 350 Millionen Tonnen Weizen gehandelt worden. Das ist die Hälfte der ganzen Weizenproduktion der Welt. Da muss man sich schon Gedanken machen und fragen: Moment, wie kann ich diesen exzessiven Spekulationen Grenzen setzen? Darf man mit wichtigen Nahrungsmitteln wie Mais, Weizen und Soja, die gerade in den ärmeren Ländern gebraucht werden, spekulieren? Kann ich Positionslimits festlegen? Deswegen bin ich dankbar, dass man sich jetzt Gedanken darüber macht, eine internationale Datenbank zu den Nahrungsmittelmärkten auf der Welt aufzubauen, sodass man endlich Informationen über Angebot und Nachfrage hat. Bis jetzt hat man diese nicht. Bis jetzt kann man nicht überblicken, wo auf der Welt Nahrungsmittel noch zur Verfügung sind, die an einem anderen Ort auf der Welt gebraucht werden. Wir wissen: Almosen verändern keine Strukturen. Wir wollen die produktiven Fähigkeiten der Menschen stärken. Ich glaube, wir sind uns einig: Die deutsche Entwicklungspolitik ist werteorientiert. Darf sie aber nicht auch interessenorientiert sein? Diese Diskussion ist mir fremd. Wir haben perspektivisch immer einen Dreiklang: Bildung, Demokratie und Wirtschaft. Wir wissen ganz genau, dass wirtschaftliche Interessen keinen Vorrang haben, sondern den entwicklungspolitischen Interessen dienen. ({9}) Das muss im Mittelpunkt stehen. Liebe Kollegen und Kolleginnen von der Opposition, die Wirtschaft - das muss klar sein - ist ein unverzichtbarer Partner für eine erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit. ({10}) Wir sind in diesem Bereich stark; daher können wir den Schwächeren helfen. Wir investieren in Ausbildung, in Arbeitsplätze, in technisches Know-how, in Umweltstandards und Sozialstandards. Das können wir den Ärmeren bieten und sie so unterstützen. Damit bin ich voll auf der Linie unseres Ministers. Dieses Schubladendenken - für die Armen, für den Hunger ist das Entwicklungsministerium zuständig und für die Außenwirtschaftsförderung, die Exportförderung das Wirtschaftsministerium - ist so nicht mehr möglich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diese Dinge sind verzahnt, und unsere Politik muss dem Rechnung tragen, wenn wir die Zukunft gestalten wollen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich dachte, das war der Auftrittsapplaus. - Das Wort hat der Kollege Niema Movassat für die Fraktion Die Linke. ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für mich ist das Unwort des Jahres „Systemrelevanz“. Warum? Alle fünf Sekunden stirbt auf der Welt ein Kind an Hunger, gleichzeitig wurden in den letzten Jahren Milliarden und Abermilliarden Euro in den Industrieländern aufgebracht, um Banken zu retten, wie auch derzeit in der Euro-Krise. Der Widerspruch ist offensichtlich: Die einen, die Banken, werden als systemrelevant angesehen, die anderen, die Menschen, nicht. Wäre die Menschheit eine Bank, hätte man sie längst gerettet. Das ist die traurige Wahrheit. ({0}) Sie, Herr Niebel, haben flapsig gesagt, das Entwicklungsministerium solle nicht mehr Weltsozialamt sein. Das ist es niemals gewesen. Dieses Ministerium subventionierte schon immer mit Entwicklungsgeldern deutsche Großunternehmen. Ich habe hier eine Liste des Entwicklungsministeriums. Auf 100 Seiten werden alle laufenden Projekte mit deutschen Unternehmen im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften in den Entwicklungsländern genannt: Firmen wie Bayer, Shell, Daimler, Nestlé, BASF und der Bundesverband der Deutschen Industrie, um nur einige wenige zu nennen. Sie alle bekommen Entwicklungshilfegelder. Insgesamt sind es über 1 600 Projekte. Dass das Instrument der öffentlich-privaten Partnerschaften schon bei uns in Deutschland erwiesenermaßen gescheitert ist, müsste sich eigentlich sogar bis zur FDP herumgesprochen haben. ({1}) Bei diesem Modell profitieren fast immer nur die Unternehmen und nicht die breite Bevölkerung. Die Bereiche, die für nachhaltige Entwicklung wichtig sind, wie kostenloser Zugang zu Bildung, Gesundheit und Wasser, machen gerade einmal 15 Prozent der Gelder aus. Dennoch geben Sie im neuen Haushalt schon wieder mehr für die öffentlich-privaten Partnerschaften aus. Sie treiben damit die Außenwirtschaftsförderung auf die Spitze. Bei Ihnen gilt: Was gut für deutsche Unternehmen ist, ist gut für die Entwicklung. ({2}) Dabei muss gelten: Was gut für die Menschen ist, ist gut für die Entwicklung. ({3}) Geht es um die Ursachen von Armut, behaupten Sie, Korruption und schlechte Regierungsführung seien hierfür maßgeblich. Sie behaupten also, die Entwicklungsländer seien selber schuld an ihrer Situation. Doch wer hat die korrupten Regierungen oftmals erst an die Macht gebracht oder sie korrumpiert? Wer hat den Daumen gehoben oder gesenkt über Regierungen und so über Aufstieg und Fall entschieden? Wer hat den Entwicklungsländern strukturelle Anpassungsmaßnahmen aufgezwungen und damit Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsysteme zerstört? Das waren nicht die Völker Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas. Das war der Westen. ({4}) Keinen Funken sind Sie bereit, die Verantwortung der Industrieländer für die Armut im Süden einzugestehen. Das ist wirklich ein Armutszeugnis. Neulich haben Sie, Herr Niebel, betont, Sie wollten bis 2015 das 40 Jahre alte Versprechen, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, einhalten. Sie feiern die aktuellen 0,39 Prozent als Erfolg. Abgesehen davon, dass ein guter Teil davon in die Förderung der deutschen Wirtschaft fließt, ist es lächerlich, das zu feiern. Wenn Sie das 0,7-Prozent-Ziel wirklich erreichen wollen, müssten laut Europäischer Kommission ab sofort jedes Jahr knapp 2 Milliarden Euro zusätzlich in Ihren Haushalt fließen. Legen Sie also einen Stufenplan vor, wie Sie das Ziel erreichen wollen, statt hier Nebelkerzen zu werfen! ({5}) Die Bevölkerung haben Sie dabei hinter sich. 92 Prozent der Bundesbürger sind laut einer aktuellen Umfrage für Entwicklungshilfe; ({6}) das ist ein Auftrag an Sie, Herr Niebel. Allerdings: Wer soll Ihnen überhaupt glauben, dass Sie das 0,7-ProzentZiel erreichen wollen, wenn Sie, wie jüngst geschehen, die Finanztransaktionsteuer ablehnen? ({7}) Während Ihre Koalition Ja dazu sagt, ist sie Ihnen nicht kreativ genug. Herr Niebel, das ist kein Malwettbewerb. Kommen Sie raus aus der Nein-Ecke! ({8}) Die Finanztransaktionsteuer kann die nötigen Mittel einbringen, um den Entwicklungshaushalt deutlich aufzustocken. ({9}) Deutliche Mittelerhöhungen sind auch für Westafrika nötig. Dort bahnt sich die nächste Hungersnot an. Bei dem Besuch einer Delegation des Entwicklungsausschusses in Niger schlug der dortige Premierminister Alarm. Deshalb fordert die Linke heute, 60 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, um die sich anbahnende Hungerkatastrophe in Westafrika zu verhindern. Organisationen wie das Welternährungsprogramm und die Welthungerhilfe können mit dieser vergleichsweise kleinen Summe Menschenleben retten. Lassen wir nicht zu, dass sich die schrecklichen Bilder aus Ostafrika wiederholen! ({10}) Das Entwicklungsministerium scheint die Warnungen diesmal ernst zu nehmen. Es hat die Ursachen benannt: nicht nur zu geringe Niederschläge, sondern auch Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln auf den Weltmärkten. Die Nahrungsmittelpreise steigen wegen Nahrungsmittelspekulationen; Frau Wöhrl hat es angesprochen. Man muss endlich gegen diese Zockerei mit Nahrungsmitteln vorgehen. Hierzu sind viele Worte gefallen. Es müssen endlich Taten folgen. ({11}) Sogar die USA sind mit einem Transparenzgesetz einen ersten Schritt gegen Nahrungsmittelspekulationen gegangen. Auch in Deutschland brauchen wir Maßnahmen, bis hin zum kompletten Verbot der Spekulation mit Nahrungsmitteln. Dies wäre ein erster wichtiger Schritt, damit kein Mensch mehr an Hunger sterben muss, und es kostet keinen Cent. Danke schön. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Thilo Hoppe hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe festgestellt, dass ich heute ein kleines Jubiläum habe: Ich spreche zum zehnten Mal in der Schlussdebatte, also in der zweiten Lesung zum Einzelplan 23. ({0}) Wenn man die ersten Lesungen dazuzählt, dann wird das die 18. oder 19. Rede zum Entwicklungshaushalt sein. Es ist gar nicht so einfach, hier immer etwas Neues zu sagen. ({1}) Ich kann aber sagen: Es gibt eine Kontinuität. Ich habe immer kritisiert, dass zu wenig in diesen Haushalt eingestellt wurde - auch in rot-grünen Zeiten. Ich habe mir diese Reden noch einmal angeschaut, durchgelesen - eine kann man sich sogar bei YouTube anschauen - und festgestellt: Es gab meistens einen Stimmungsumschwung von der ersten zur zweiten Lesung. Die meisten Reden in der ersten Lesung habe ich nach dem Prinzip Hoffnung gehalten: ({2}) Möge es uns gelingen, im Haushaltsverfahren gemeinsam noch mehr für den Entwicklungshaushalt herauszuschlagen. In der zweiten Lesung kam dann fast immer - bis auf eine Ausnahme - die Ernüchterung. 2004 gab es die Ausnahme: Da gab es einen erfolgreichen Aufstand der Entwicklungspolitiker gegen den Finanzminister und gegen die Chefhaushälter. Damals haben wir eine Plafond-Erhöhung von etwa 100 Millionen Euro erreicht. ({3}) Das war keine Verschiebung innerhalb des Haushalts, sondern das waren im Vergleich zum Regierungsentwurf etwa 100 Millionen Euro mehr, allerdings auf einem insgesamt zu geringen Niveau. ({4}) Ich muss zugeben, dass in diesem Jahr die Enttäuschung bei der zweiten Lesung besonders groß ist. Das hängt natürlich mit der Aufbruchstimmung im März zusammen, als wir den entwicklungspolitischen Konsens vorgestellt haben und die Presse gewettet hat: Das kommt über den Kreis der sogenannten Gutmenschen gar nicht hinaus. - Es gab damals unglaublich viel Unterstützung: nahezu alle NGOs, die Kirchen, Prominente, Andris Piebalgs. Viele haben diesen Aufruf also unterstützt. Zum Schluss haben ihn 372 Parlamentarier aller Fraktionen auch unterschrieben. Wir haben also zwar eine Mehrheit hier im Hause, aber leider nicht die Mehrheit in den Koalitionsfraktionen. Trotzdem möchte ich mich bei den Kollegen von Union und FDP bedanken, die sich für diesen Aufruf eingesetzt haben, denen es aber leider nicht gelungen ist, in ihren jeweiligen Fraktionen eine Mehrheit dafür zu bekommen. ({5}) - Ja, das verdient natürlich Dank und Applaus. Insgesamt ist es aber schon bitter. Wir haben wirklich gehofft, dass es uns gemeinsam gelingen würde, zu einem ernsthaften Aufwuchs zu kommen. Man kann das zwar immer wieder als Rekordhaushalt bezeichnen, aber nichts täuscht darüber hinweg: Wenn wir heute bzw. am Freitag darüber abstimmen, dann ist die Entscheidung definitiv gefallen - das wird uns auch durch den Entwicklungsausschuss der OECD bescheinigt -, dass wir das 0,7-Prozent-Ziel nicht mehr fristgerecht bis 2015 erreichen können; denn die ODA-Lücke wird zu groß. Man kann in nachfolgenden Jahren dann nämlich nicht ohne Weiteres auf einmal so viel Geld zur Verfügung stellen, dass das Ziel doch noch bis 2015 erreicht wird, selbst dann nicht, wenn man jetzt Lottoscheine ausfüllen würde und unverschämt viel Glück hätte; ({6}) denn bei den Programmen und Projekten geht es ja auch darum, dass sie anständig geplant werden müssen und dass eine Vorlaufzeit notwendig ist. Man kann nicht jede x-beliebige Summe auf die Schnelle absorbieren. ({7}) Deswegen wäre es wichtig gewesen, dass wir nicht nur deutlich mehr Barmittel einstellen. Im Konsens haben wir ja nicht nur allgemein 0,7 Prozent gefordert, sondern eine ganz konkrete Summe, nämlich 1,2 Milliarden Euro mehr für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe. Es geht darum, die ODA-Quote ressortübergreifend gemeinsam zu erreichen. Nur so wäre es möglich gewesen, das Ziel doch noch zu erreichen. Wie gesagt: Dies ist jetzt eigentlich die letzte Ausfahrt von der Autobahn, von der abschüssigen Strecke, die uns zum Wortbruch führt. Das ist, wie gesagt, schade; das ist bitter. Sagen Sie jetzt bitte nicht, diese Summe sei unrealistisch gewesen. Wir haben in diesen Monaten hier in diesem Hause ganz andere Summen bewegt. Das ist einzig und allein eine Frage der Prioritätensetzung. Diese Frage hat die Mehrheit von Union und FDP - ich spreche ja nicht von allen - leider auf eine Art und Weise beantwortet, die, wie ich glaube, eine Mehrheit hier im Parlament und auch in der Bevölkerung nicht in Ordnung findet, enttäuschend findet, als Armutszeugnis empfindet. ({8}) Wir haben einen Haushalt vorgelegt, der durchgerechnet ist, in dem alle Einzelposten abgefragt wurden und der auch mit den Durchführungsorganisationen durchgesprochen ist. Er wäre realistisch gewesen. Damit hätten wir den notwendigen Schritt getan, aber leider wird es keine Zustimmung dafür geben. Das finde ich sehr enttäuschend. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Jürgen Klimke hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere der Opposition! Es ist eine alte Tradition und Ihr gutes Recht, gerade bei den Haushaltsberatungen, also bei der Abrechnung, nur die Fehlleistungen der Regierung zu sehen und aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen. Aber die verbale Aufrüstung und die Polemik führen uns nicht weiter. Es geht vielmehr darum, die Zukunft der Entwicklungspolitik strategisch zu gestalten. Hier würde ich mich über die Anerkennung des Mutes freuen, mit dem wir unsere Entwicklungspolitik versuchen zukunftsfähig zu machen. Wenn Anerkennung vielleicht zu viel sein sollte, dann wären konstruktive Gegenvorschläge gut. Aber wenn überhaupt keine Alternativen kommen oder die Alternativen meistens von gestern sind, dann ist das keine konstruktive Diskussion. ({0}) Die Feiern zum 50-jährigen Jubiläum der Entwicklungszusammenarbeit liegen nur wenige Tage zurück. Aber es ist aus meiner Sicht eine Zeitenwende. Es geht mir darum, die strategische Ausrichtung unserer Entwicklungszusammenarbeit in diesem Zusammenhang zu analysieren und deutlich zu machen, dass sich die Entwicklungszusammenarbeit mehr als andere Bereiche im Umbruch befindet.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Herr Raabe möchte Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das machen wir hinterher bei einem Kaffee. Hier ist die Handschrift der christlich-liberalen Koalition deutlich zu spüren, auch wenn wir von der Union sicherlich nicht alle Spuren der Vorgängerregierung tilgen konnten, was wir, vielleicht anders als der Herr Minister, auch nicht unbedingt wollten. Wir versuchen, kräftig umzubauen. Die Stichworte dieses Umbaus bzw. Aufbaus sind inzwischen schon gefallen, also: Vorfeldreform, Konzentration der Länderliste, die Effektivierung unserer Arbeit, die Kohärenz, die stärkere Nachhaltigkeit bei den Maßnahmen und vor allen Dingen auch eine bessere Serviceorientierung. Auf all diese Punkte könnte man ausführlich eingehen. Ich möchte jedoch drei weitere Themen kurz ansprechen. Ein Thema hat die Kollegin Wöhrl - das ist der erste Aspekt, die Einbeziehung der Wirtschaft - bereits angesprochen. Deshalb will ich darauf nur kurz eingehen. Man kann es aus unserer Sicht nicht oft genug sagen: Die richtige Nutzung der Finanzkraft der Wirtschaft auf der einen Seite und die Schaffung von Chancen für deutsche Unternehmen auf der anderen Seite, beispielsweise für einen Marktzugang, sind nicht ehrenrührig. Wenn das richtig angegangen wird, kann das beiden Seiten dienen, also auch den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Das gilt im Übrigen auch für die Rohstoffversorgung. Hier sei nur das Konzept der Rohstoffpartnerschaft genannt. Gleichzeitig kann die Einbindung der Wirtschaft in die Entwicklungszusammenarbeit massiv zur Erhöhung menschenrechtlicher, ökologischer und sozialer Standards in den Entwicklungsländern beitragen, vor allen Dingen auch im Zusammenhang mit der Unternehmensverantwortung der Wirtschaft vor Ort. Zudem verfügt unsere Wirtschaft über ein Know-how, das wir entwicklungspolitisch noch viel mehr nutzen sollten und können. Lassen Sie mich zum Beispiel auf das duale System verweisen, die berufliche Bildung. Hier wie auch bei den PPP-Programmen gibt es viele Förderinstrumente, die eine noch sehr viel intensivere Zusammenarbeit ermöglichen, auch zum Vorteil der Entwicklungsländer. Ein zweites Thema, das ich für die Zukunft der deutschen Entwicklungszusammenarbeit für ebenso wichtig halte, ist die Evaluierung unserer Arbeit, oder anders formuliert: die starke Fokussierung auf die erzielten Wirkungen. Das erfordert eine ganz andere Herangehensweise und ist auch nicht so einfach wie die Über17004 wachung der Durchführung von Leistungen. Zukünftig wollen wir nicht die Umsetzung von Maßnahmen evaluieren, sondern wir wollen beurteilen, ob der erhoffte entwicklungspolitische Nutzen eingetreten ist. Das macht die Entwicklungszusammenarbeit effizienter und nachhaltiger. Auf nationaler Ebene haben wir die Schaffung eines unabhängigen Evaluierungsinstituts vor uns. Das ist ein wichtiger Schritt in eine richtige Richtung. Wir werden versuchen, sehr intensiv an der konkreten Ausgestaltung mitzuarbeiten. Eine dritte Herausforderung, die aus meiner Sicht mit der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit in Verbindung steht, betrifft die Frage der Konditionierung von Entwicklungsmaßnahmen. Der Begriff „Konditionierung“ bedeutet in unserem entwicklungspolitischen Kontext die Erteilung von Auflagen an den Empfänger der Mittel. Eine in diesem Sinne von den Staaten zu erfüllende Bedingung ist vor allem eine gute Regierungsführung, Stichwort „Good Governance“. Es sollte selbstverständlich sein, dass wir in Staaten, in denen diese Voraussetzungen fehlen und auch keine positive Entwicklung in dieser Hinsicht feststellbar ist, bestimmte Formen der Entwicklungsarbeit nicht ohne Weiteres durchführen können und vor allen Dingen wollen. Diese Erkenntnis haben die Parteien des linken Spektrums aus meiner Sicht noch nicht verinnerlicht. ({0}) Ich möchte das an zwei Beispielen deutlich machen. Zunächst geht es mir um die Verknüpfung von Menschenrechten und entwicklungspolitischen Maßnahmen. Niemand stellt in Abrede, dass die Einhaltung von Menschenrechten in der Entwicklungszusammenarbeit schon länger eine Rolle spielt. Aber erst die christlich-liberale Regierung hat es fertiggebracht, ein verbindliches, kohärentes Menschenrechtskonzept vorzulegen. Alle Entwicklungsprojekte werden zukünftig einem Menschenrechts-TÜV unterzogen. Diese entwicklungspolitische Vorgabe des BMZ umfasst unter anderem einen Kriterienkatalog, mit dem die Regierungsführung und die Menschenrechtssituation in den Partnerländern bewertet und beurteilt werden. Grundlage sind die Umsetzung der Menschenrechtskonvention in nationales Recht, die Schaffung entsprechender Institutionen und Verfahren sowie die Ergebnisse der Umsetzung zentraler Menschenrechte. Die Ergebnisse der Bewertung sind dann Grundlage für Art und Ausgestaltung unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Hiermit haben wir ein völlig neues Instrument geschaffen, das aus meiner Sicht auch das Zeug zu einer Vorbildfunktion gegenüber unseren europäischen Partnern hat. Das habe ich im Übrigen in Brüssel sehen können, als wir dort kürzlich mit den Menschenrechtlern, den Entwicklungspolitikern und den Außenpolitikern der EU zusammengetroffen sind. Der MenschenrechtsTÜV ist somit eine Entwicklung, die unter der SPD-Führung des BMZ verschlafen wurde, auch weil die Ministerin dies damals nicht wollte. Dass eine solche Konditionierung wirksam ist, zeigt das Beispiel Uganda. Als dort die Todesstrafe auf Homosexualität eingeführt werden sollte, haben wir angekündigt, dass wir dann die Entwicklungszusammenarbeit beenden würden. Das Land hat das Vorhaben dann zurückgezogen. Wir wollen die Rolle der Konditionierung sogar noch stärken. Denn die geplante Verdoppelung der Mittel auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens - das wollen wir erreichen - und die Konzentration auf die Hälfte der Anzahl der Partnerländer werden rein rechnerisch die Mittel pro Land vervierfachen. Das bedeutet, dass wir, wenn mehr Geld fließt, auch verstärkt Konditionen an die Vergabe des Geldes knüpfen können. ({1}) Im Übrigen gilt alles, was ich eben sagte, auch für die Korruption. Wir haben das im Zusammenhang mit dem GFATM ausführlich diskutiert. Ich glaube, dass das Einfrieren der Mittel durch das BMZ zunächst richtig war; denn wir sind als Parlamentarier den Steuerzahlern verpflichtet. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder deutlich machen, dass wir bei jedem einzelnen Cent, der irgendwohin fließt, darauf achten, dass er richtig angelegt ist. ({2}) Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass wir Steuergelder zum Fenster hinauswerfen, nur weil internationale Organisationen ihre Aufgaben nicht richtig gemacht haben. ({3}) Hier haben wir die Notbremse gezogen, und das ist auch richtig. Meine Damen und Herren, die genannten Beispiele zeigen, dass wir in der Entwicklungszusammenarbeit nicht unbedingt das Rad neu erfinden müssen. Aber wir können ganz entschieden Akzente setzen, und wir können vor allen Dingen durch neue Herangehensweisen deutlich machen, dass unsere Arbeit wirksamer und nachhaltiger ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das haben wir uns, vor allem als Union, für die Zukunft in der Entwicklungszusammenarbeit vorgenommen. Danke sehr. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Sascha Raabe das Wort. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Hoppe, auch ich bin nun schon eine Weile bei Haushaltsdebatten dabei. In der Tat war es noch nie so einfach wie in diesem Haushaltsjahr für einen Entwicklungsminister, mit der Unterstützung von 372 Kolleginnen und Kollegen einen deutlichen Schritt hin auf das 0,7-Prozent-Ziel im Jahr 2015 zu machen. Aber dieser Minister - das ist eine Schande - hat das nicht einmal versucht. ({0}) Dieser Minister hat sich nicht hinter das Parlament gestellt, er hat sich auch nicht hinter die Ärmsten der Armen gestellt, sondern er hat einfach gesagt: Das, was die Mehrheit des Deutschen Bundestags möchte, interessiert mich nicht. - Es interessiert ihn nicht, dass er in der Pflicht steht, 1 Milliarde hungernden Menschen zu helfen, denen man natürlich auch mit Geld helfen muss. Er hat das einfach ignoriert und auch nicht aufgenommen, was Sie, Herr Kollege Klimke, gesagt haben. Sie haben behauptet, es gebe keine Alternativen. In diesem Jahr war die Finanztransaktionsteuer, die wir als Entwicklungspolitiker vor 10, 20 Jahren - damals noch unter dem Namen „Tobin-Tax“ - immer wieder eingefordert haben, so greifbar nahe wie noch nie auf europäischer Ebene. Anstatt dass der Entwicklungsminister jetzt den parteiübergreifenden Rückhalt des Parlaments aufnimmt und sich dafür einsetzt, den Aufwuchs, den wir brauchen, mithilfe der Finanztransaktionsteuer zu finanzieren, also die besten Bedingungen nutzt, ist er derjenige in der Bundesregierung, der die Finanztransaktionsteuer bis heute ablehnt, weil ihm freie Märkte und Gewinne für Banken und Spekulanten wichtiger sind als Hilfe für die Armen. Herr Minister, das ist schäbig. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Raabe, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer zulassen?

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Raabe, auch ich gehöre zu den über 300 Kolleginnen und Kollegen, die diesen Appell unterschrieben haben. Wir haben diesen Appell natürlich unterschrieben, weil das unsere Zielsetzung ist. Aber es ist für jeden von uns, der unterschrieben hat, vollkommen klar, dass das nicht ausschließlich eine Aufforderung an den Minister ist, sondern dass diese Frage in die finanzielle Gesamtsituation dieses Landes eingepasst werden muss. Wer heute Herrn Steinmeier oder Herrn Gabriel hat reden hören, hat gehört, wie die finanzielle Lage insgesamt ist und welche finanziellen Möglichkeiten bestehen. Es gehört zur Redlichkeit, Folgendes - ich habe das gerade ausgerechnet - zu erwähnen: 3,9 Milliarden Euro standen im Haushalt 1998. Wenn der Aufwuchs während Ihrer Regierungszeit so wie der während der Großen Koalition und der darauffolgenden Koalition gewesen wäre, hätten wir bereits im Jahre 2005 einen Haushaltsansatz von 7,4 Milliarden Euro gehabt, und wir hätten jetzt mit dem Zuwachs, den wir in den vergangenen Jahren zu verzeichnen hatten, 9,4 Milliarden Euro. Damit hätten wir fast das 0,7-Prozent-Ziel erreicht. Es kommt immer auf die Basiswerte an. Ich möchte Sie um Redlichkeit bitten und darum, anzuerkennen, dass Sie in der Zeit, in der Sie Verantwortung getragen haben, nichts in Sachen Aufwuchs erreicht haben. Im Gegensatz dazu steht das, was wir seit 2005 erreicht haben. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fischer, gerne beantworte ich Ihre Frage. Zum ersten Teil, nämlich wie die Kollegen Steinmeier und Gabriel dazu stehen, sage ich Ihnen: Sowohl der Kollege Sigmar Gabriel als auch der Kollege FrankWalter Steinmeier haben den entwicklungspolitischen Konsens unterschrieben. Sie stehen damit in vorderster Front der Fraktion und der Partei für dieses Konzept, welches besagt, in den nächsten vier Jahren jeweils 1,2 Milliarden Euro mehr zur Verfügung zu stellen. Der Entwicklungsminister, der eigentlich der Erste sein müsste, der so etwas unterschreibt, hat nicht unterschrieben. Wir als SPD sind uns einig, dass wir diesen Pfad gehen wollen. Wir haben bewusst gesagt, dass wir auch uns selbst in die Pflicht nehmen, weil wir davon ausgehen, dass wir ab 2013 dem schwarz-gelben Spuk ein Ende machen und wieder an der Regierung sein werden. Wir haben gesagt, dass wir auch dann 1,2 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stellen werden. Ich möchte auch auf Ihre Behauptung antworten, dass wir in den vergangenen Jahren, als wir Regierungsverantwortung getragen haben, keinen Aufwuchs bei der ODA-Quote gehabt hätten. Zu dem, was Sie über die Jahre 2002 bis 2005 gesagt haben - Sie haben nur die Zahl im Einzelplan 23 genannt -, muss man wissen, dass wir einen enormen Schuldenerlass hatten. Dieser basierte auf unserer Initiative in Köln beim G-8-Gipfel. Wir haben Tausenden von Kindern in Afrika ermöglicht, in die Schule zu gehen, weil wir afrikanischen Ländern die Schulden erlassen haben. Das war ODA-anrechnungsfähig. Deswegen mussten wir den Ansatz im Einzelplan 23 nicht so stark steigern. Wir haben dann in der Großen Koalition von 2005 bis 2009 - Herr Fischer, deswegen wundern mich Ihre Äußerungen und die Ihrer Kollegen von der CDU -, als die Europäische Union im Jahr 2005 auf Druck von Heidemarie Wieczorek-Zeul erstmals völkerrechtlich verpflichtend den Beschluss gefasst hat, den ODA-Stufenplan verbindlich zu machen, beschlossen, im Jahr 2010 0,51 Prozent und im Jahr 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Damals haben wir Aufwüchse gehabt. ({0}) Ich lese Ihnen das gerne einmal vor: im Jahr 2006 8,2 Prozent, ({1}) im Jahr 2007 unter Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul und Finanzminister Peer Steinbrück 7,6 Prozent, ({2}) im Jahr 2008 14,3 Prozent ({3}) und im Jahr 2009 13,2 Prozent. Sie haben gerade gesagt, in diesen Jahren sei nichts passiert. ({4}) - Herr Kollege, seit es den Stufenplan gibt, haben wir in den letzten beiden Jahren vor Herrn Niebels Amtszeit Aufwüchse im Bereich von 14,3 Prozent und 13,2 Prozent gehabt. Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht - Frau Merkel ist noch immer Bundeskanzlerin; da haben Sie recht -, ({5}) warum diese Kanzlerin das, was sie auf jedem Kirchentag sagt, nämlich dass sie zu diesem Versprechen steht, mit diesem Minister nicht umsetzt. Herr Niebel, ich verstehe nicht - Sie sind doch sonst immer so großspurig, sage ich einmal -, dass Sie es nicht schaffen, mit der Kanzlerin zu vereinbaren, dass Sie wenigstens die gleichen Aufwüchse bekommen, wie sie Ihre Vorgängerin bekommen hat. Es ist wirklich sehr schwach, Herr Minister, wenn Sie sich da mit ein paar Prozent zufrieden geben. Es wären jetzt 1,8 Prozent gewesen, wenn man die Goldreserven herauslässt, die dazugekommen sind. Das „Projekt 18“, das die FDP einmal vorhatte, hätten Sie lieber auf den Haushalt übertragen sollen. Da sind Sie bei 1,8 Prozent gelandet, genauso wie mit Ihrer Partei in Berlin. Da gehören Sie mit diesem Haushalt auch hin.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hätte Frau Pfeiffer noch eine Zwischenfrage. Möchten Sie auch diese zulassen?

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Raabe, ich habe gar keine Frage, sondern möchte folgende Feststellung machen: Wir haben diesen 0,7-Prozent-Aufruf zum Großteil unterschrieben, und zwar mit dem Vermerk, dass wir etwas vermeiden wollen, nämlich genau das, was hier passiert und was ich beobachte: dass wir uns nach wie vor gegenseitig Vorwürfe machen, wer was wann getan hat, nicht getan hat, hätte tun sollen und was weiß ich was.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, der Kollege Fischer.

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich behaupte: Das, was heute hier passiert und was wir die ganze Zeit beobachten, ist rein theoretisch die Aufkündigung dieser Vereinbarung. Wir haben gesagt, dass wir genau das vermeiden wollen. Sie haben den Aufwuchs nicht geschafft, und auch wir werden das nur bedingt schaffen. Wir hatten in den letzten Jahren einen Aufwuchs, aber nie so hoch, wie wir es gewollt haben. Wir alle haben gesagt, dass wir einen Aufwuchs auf 0,7 Prozent wollen. Irgendwann werden wir ihn mit meiner Unterstützung hoffentlich auch bekommen. Die Aufkündigung dieses Konsenses ist meiner Meinung nach hier und heute passiert, indem wir das getan haben, was Hauptbestandteil des Konsenses war; denn eigentlich wollten wir uns gegenseitig keine Vorwürfe machen. Sie brauchen nicht darauf zu antworten, Herr Kollege. Ich wollte das nur einmal feststellen.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Doch, ich antworte gerne darauf, Frau Kollegin. Bei dem Konsens - auch ich habe ihn unterschrieben - ging es doch nicht darum, dass wir etwas herbeibeten, uns etwas herbeiwünschen oder dass wir „Friede, Freude, Eierkuchen“ sagen nach dem Motto: Wir machen uns keine Vorwürfe. - Wir haben den Konsens vielmehr gemacht, um in die Zukunft zu gucken und zu sagen: Im Haushalt 2012 fangen wir an, bis 2015 jeweils 1,2 Milliarden Euro mehr zur Verfügung zu stellen. Frau Kollegin, ich muss sagen: Es ist wirklich unkollegial und ein Hammer von Ihnen, dass Sie sagen, der Konsens sei daran gescheitert, dass wir beklagen und anprangern, dass dieser Minister unseren gemeinsamen Konsens einfach nicht umsetzt und anstatt 1,2 Milliarden Euro nur ein paar Millionen Euro in den Haushalt einstellt. Der Konsens ist heute hier in diesem Hause endgültig gescheitert, weil dieser Minister das Geld im Haushalt 2012 nicht zur Verfügung stellt. Frau Kollegin, die Grundrechenarten werden wohl auch Sie ein bisschen können. Das darf doch nicht wahr sein! Rechnen Sie doch einmal nach, welche Lücke zwischen 1,2 Milliarden Euro und den nun vorgesehenen 163 Millionen Euro klafft! Ich mache es Ihnen einfach, Frau Kollegin: Über 1 Milliarde Euro fehlt. Damit ist der Konsens aufgekündigt. Das können Sie doch nicht in Abrede stellen. Es ist sehr schade, dass der Minister den Konsens aufgekündigt hat. ({0}) Der Minister hat auch den Konsens über andere parteiübergreifenden Initiativen des Hauses, für die wir gemeinsam zwei, drei Jahre gekämpft haben, mit diesem Haushalt aufgekündigt. Ich erinnere daran, dass 2008 eine Delegation des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nach Ecuador gereist ist. Ich habe damals die Ehre gehabt, diese Delegation zu leiten. Wir sind nach Ecuador gereist, um zu schauen, ob es möglich ist, ein armes Land wie Ecuador zu unterstützen, wenn es darauf verzichtet - das geht auf einen Vorschlag der dortigen Regierung zurück -, Erdöl in einem Regenwaldgebiet zu fördern, das aufgrund seiner Biodiversität, also seiner Artenvielfalt, einmalig ist. Der Präsident von Ecuador hat gesagt, wenn die internationale Gemeinschaft die Hälfte der möglichen Einnahmen aus der Erdölförderung ersetze, sei er bereit, auf die Erdölförderung zu verzichten, den Lebensraum für die indigene Bevölkerung bestehen zu lassen und die Artenvielfalt zu schützen. Alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien haben damals gesagt: Ja, wir wollen diesen Vorschlag unterstützen. - Dann wurden viele technische Fragen geklärt. Es gab viele Gespräche, auch direkt mit Vertretern der ecuadorianischen Regierung. Schließlich haben die damalige Ministerin und ihr Staatssekretär Ecuador mitgeteilt, dass das Land für dieses Projekt mit ungefähr 50 Millionen US-Dollar pro Jahr rechnen könne. Das entspricht der Größenordnung, die Deutschland in ähnlichen internationalen Vereinbarungen festgelegt hat. Ich bin sehr froh, dass alle - CDU/CSU, FDP, Linke, Grüne und SPD - gesagt haben: Ja, das wollen wir. Ähnlich wie beim entwicklungspolitischen Konsens ist es enttäuschend, dass Minister Niebel nun sagt, das interessiere ihn nicht, da werde ein Präzedenzfall geschaffen. Da könne auch Saudi-Arabien kommen und fordern, dass seine Einnahmen ersetzt werden, wenn es auf die Erdölförderung verzichtet. ({1}) Herr Minister, wenn Sie schon nicht die Artenvielfalt in der Wüste von der Artenvielfalt im Regenwald unterscheiden können, dann sollten Sie wenigstens in der Lage sein, einen reichen Ölstaat von einem Entwicklungsland zu unterscheiden. ({2}) Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Völlig daneben! Dass Sie auch noch die Stirn haben, Italien dafür zu kritisieren, dass es Schulden umwandelt, um in den entsprechenden Fonds einzuzahlen, ist erbärmlich. Das ist auf der gleichen Linie wie damals, als Sie, als wir während der Bankenkrise den Entwicklungsländern 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben, gesagt haben, dafür solle man lieber 2 500 Grundschullehrer einstellen. Sie spielen die Schuldenkrise in Europa oder soziale Probleme in Deutschland gegen die Probleme und den Hunger in der Welt aus. Das ist schäbig, Herr Minister. Das ist Stammtischniveau. Das haben diese Diskussion und der Entwicklungsausschuss nicht verdient. ({3}) Mit dem Thema Artenvielfalt scheinen Sie in der Tat ein gewisses Problem zu haben. Sie schützen nicht nur nicht die Artenvielfalt des Regenwaldes. Wenn man sich die Personalstruktur Ihres Hauses anschaut, dann stellt man fest - Herr Kollege Binding hat das schon angesprochen -, dass Sie nicht die roten oder die grünen, sondern nur die gelben Vögel fördern, um im Bild des Regenwaldes zu bleiben. Angesichts der Personalstruktur, die Sie geschaffen haben, schreiben die Zeitungen, dass das nichts anderes als Vetternwirtschaft ist und dass das Ministerium zu einem Versorgungsamt für FDP-Funktionäre verkommen ist. Vor diesem Hintergrund werden wir den Haushalt, den Sie hier vorgelegt haben, Herr Minister, leider ablehnen müssen. Im Anschluss werden wir auch über unsere Änderungsanträge abstimmen. Wir wollen gemäß dem entwicklungspolitischen Konsens 1,2 Milliarden Euro mehr für Entwicklungszusammenarbeit, und wir wollen im Interesse der Artenvielfalt und des Regenwaldes in Ecuador, dass der Yasuní-Nationalpark geschützt wird. Ich hoffe, dass möglichst viele Kolleginnen und Kollegen im Parlament dem zustimmen, auch wenn der Minister seine Zustimmung leider verweigert und blockiert, anstatt die Sache zu befördern. Danke schön. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention geht das Wort an den Kollegen Thilo Hoppe.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte als einer der Mitinitiatoren des entwicklungspolitischen Konsenses gern eines klarstellen: Zum Geist dieses Konsenses gehört es, dass wir aufhören mit gegenseitigen Schuldzuweisungen in die Vergangenheit hinein. ({0}) - Das haben viele heute gemacht, aus mehreren Fraktionen. - Die Wahrheit ist: Von keiner Regierung sind bisher die Aufwüchse in den Haushalt eingestellt worden, die notwendig gewesen wären, um dem 0,7-Prozent-Ziel ernsthaft näher zu kommen. Der Streit darüber, welche Regierung das Wort etwas mehr oder etwas weniger gebrochen hat, führt überhaupt nicht weiter. - Das ist das eine. ({1}) Das andere ist: Es steht nicht in dem Konsens, dass irgendwann einmal 0,7 Prozent erreicht werden sollen, wenn die Haushaltslage gut ist, sondern es ist eine Art Selbstverpflichtung gewesen, sich mit allen Kräften dafür einzusetzen, dass im Haushalt 2012 für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe 1,2 Milliarden Euro mehr eingestellt werden. Darüber, dass dies nicht erfolgt ist, kann man zu Recht enttäuscht sein. ({2}) Ein Punkt noch: Bei aller berechtigten Kritik - nicht der Entwicklungsminister allein bestimmt den Etat. Man kann fragen, ob er hart genug dafür gekämpft hat, ob er den Konsens unterstützt oder ob er diesen Rückenwind genutzt hat. Heidemarie Wieczorek-Zeul hat sich für mehr Geld für ihr Ressort eingesetzt, hat sich aber oft nicht durchsetzen können. Man kann also nicht allein den Entwicklungsminister dafür verantwortlich machen. Aber er hätte mehr kämpfen können und diesen Rückenwind mehr nutzen können. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Johannes Selle für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Johannes Selle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen und Monaten hat das Thema Sparen in unseren Beratungen zum Haushalt 2012 eine große Rolle gespielt. Heute Morgen wurde uns von der Opposition vorgehalten, wir würden das nicht konsequent genug machen. Konsolidierung bleibt unsere Verpflichtung. Heute Morgen war auch vom intelligenten Sparen die Rede. Für mich ist das kein Schimpfwort, sondern die Anerkenntnis, dass nicht jedes politische Anliegen die gleiche politische Bedeutung beanspruchen kann. Die Not anderer Menschen zu sehen und sich zu fragen: „Was können wir tun?“, ist menschlich und von größter Bedeutung. Der entwicklungspolitische Haushalt steigt gegenüber dem Vorjahr um 2,63 Prozent und damit wesentlich stärker als der Gesamthaushalt, der fast konstant bleibt. Dass die Bedeutung der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit für Deutschland gewachsen ist, kann man daran zum Teil ablesen. Ein Parlamentarier weiß, dass für eine solche Entwicklung immer wieder mit guten Argumenten geworben werden muss, um eben Mehrheiten - hier für fast 164 Millionen Euro mehr - zu finden. Liebe Kollegin der Opposition, Sie haben richtig bemerkt, dass nicht alle Wünsche der Entwicklungspolitiker der christlich-liberalen Koalition in Erfüllung gegangen sind. ({0}) Lieber Kollege Hoppe, herzlichen Dank für die nachträgliche moderate Einschätzung der ganzen Geschichte. An den Kollegen Raabe eine Bemerkung: Herr Fischer hat vollkommen recht. Eine große Differenz aufzuholen, ist sehr viel schwerer, als eine kleinere Differenz aufzuholen. Wir agieren inzwischen in einem internationalen Umfeld, in dem wir die Balance halten müssen. Lassen Sie mich dennoch allen Kollegen Dank sagen, die mit guten Anträgen und mit Argumenten dazu beigetragen haben, dass der Etat mehrheitlich Zustimmung findet. Dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stehen knapp 2,1 Prozent des Gesamthaushalts zur Verfügung. Über 50 Prozent des Gesamthaushalts geben wir für soziale Zwecke in Deutschland aus. Ich sage das, weil ich immer wieder die Frage beantworten muss, warum wir so viel Geld ins Ausland geben, obwohl wir im eigenen Land genügend soziale Probleme haben. Ich denke, wir können diese Proportionen gut vertreten; denn neben der Menschlichkeit, die wir den Mitmenschen schuldig sind, tragen diese Mittel zu Frieden, zur Verringerung des Migrationsdrucks und zu wirtschaftlicher Entwicklung bei. ({1}) Wir kennen viele Beispiele, die uns lehren, dass Geld allein die Probleme nicht lösen kann. Einmal geschaffene Fährverbindungen brechen zusammen, weil es keine Ersatzinvestitionen gibt, einmal geschaffene Brunnen verfallen, weil Wartung und Pflege nicht stattfinden. Die Effizienz zu erhöhen und wirklich Nachhaltigkeit zu erreichen, bleibt Daueraufgabe, umso mehr, da die Probleme durch Wachstum der Bevölkerung und Veränderung des Klimas objektiv wachsen. Durch die Globalisierung kommen weitere Faktoren hinzu; das haben wir heute schon zur Kenntnis nehmen können. Es wird immer wieder die Frage gestellt, ob wir unserer internationalen Verantwortung gerecht werden können. Diese Frage kann schwer plausibel beantwortet werden, weil nur schwer angegeben werden kann, wie hoch unsere internationale Verantwortung zu veranschlagen ist. Wie wir gerade gehört haben, können wir trotz der beachtlichen Steigerung noch nicht unsere Selbstverpflichtung erfüllen. Wir geben die Zielstellung trotzdem nicht auf. ({2}) Mit begründeter Sicherheit kann man feststellen, dass wir nicht alle Erwartungen, die an Deutschland gestellt werden, erfüllen können. In diesem Jahr war ich mit dem geschätzten Kollegen Kekeritz von den Grünen in der Zentralafrikanischen Republik, einem Land, das beim Human Development Index auf Platz 178 von 179 Plätzen rangiert. In fast allen Gesprächen mit Regierungsvertretern und der Zivilgesellschaft wurden wir um ein umfassendes Engagement gebeten. Unsere Expertise, unser Ansatz der nachhaltigen Entwicklung, unsere faire Partnerschaft und unsere wirtschaftliche Stellung in der Welt genießen hohe Wertschätzung. Ähnliches könnte ich von der neuen Republik Südsudan, aber auch von der Republik Sudan berichten, und auf den Wunsch nach stärkerem Engagement treffen wir nicht nur in Afrika. Aus meiner Sicht ist es an der Zeit, dem Gedanken eines stärkeren dauerhaften Engagements in einem Land oder einer Region in der Form näherzutreten, dass ein Projekt mit Modellcharakter oder eine Patenschaft möglich wird. Das bedeutet neben finanzieller Zusammenarbeit eine vielfach höhere personelle Präsenz. Albert Schweitzer ist für uns bis heute ein Beispiel dafür, dass Erfolg vom Vormachen und Mitmachen abhängt. Das Wohl der Menschen darf uns nicht nur aus der Ferne interessieren, sondern das Interesse daran muss zu mehr und intensiverer Nähe führen. Dadurch könnten langfristig der Verwaltungsaufbau und damit eine gute Regierungsführung unterstützt werden. Gleichzeitig würden ganzheitliche Konzepte zur Förderung der Landwirtschaft oder Nutzbarmachung heimischer Ressourcen zum Wohle des Volkes leichter möglich. Zudem würde die Zivilgesellschaft in Deutschland und im Partnerland ebenso motiviert wie die wirtschaftlichen Partner, ohne die eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung nicht funktionieren wird. Aber genau das soll das Ziel wirtschaftlicher Kooperation und Entwicklung sein. Ich finde deshalb den Ansatz des Bundesministers richtig, Menschen aus unserem Land, die es zu einem persönlichen Anliegen gemacht haben, sich in Kirchen und Nichtregierungsorganisationen der Entwicklung in Partnerländern zu widmen, besonders zu unterstützen. Sie tun das sehr verdienstvoll. Dafür wollen wir auch an dieser Stelle Dank sagen. ({3}) Die Haushaltsansätze belegen diese Anerkennung. Wenn wir über mehr Effizienz der eingesetzten Gelder sprechen, dann heißt das nicht nur, im Partnerland darauf zu achten, sondern auch, die eigene Tätigkeit zu hinterfragen. Das hat Bundesminister Niebel gemacht und mit der Vorfeldreform auch erfolgreich umgesetzt. Das sollte bei einer solchen Debatte anerkannt werden, hilft es doch, Entwicklungspolitik dem Bürger gegenüber besser vertreten und die zur Verfügung gestellten Mittel effektiver zur Armutsbekämpfung einsetzen zu können. In diesem Sinne ist auch die Fokussierung auf 50 Partnerländer, die schon zu zahlreichen Diskussionen geführt hat, zu begrüßen. Frau Kofler, eine Bemerkung möchte ich noch machen. Sie müssen wissen, dass die 200 Millionen Euro für den GFATM in dem Haushaltstitel 866 01 untergebracht sind und deshalb auch zur Verfügung stehen. An die Kollegin Hinz möchte ich den Satz richten, dass nach § 50 der Bundeshaushaltsordnung die Ministerien unter Zustimmung des Bundesfinanzministeriums Verschiebungen von Planstellen, Mitteln und Haushaltsstellen vornehmen können. ({4}) Möglicherweise ist der Zeitpunkt unglücklich - das kann sein -, in der Sache gibt es aber durchaus interessante, diskussionswürdige Aspekte. Wir werden das weiterhin kritisch begleiten. Insofern ist auch diese Kritik aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Johannes Selle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie waren schon vor geraumer Zeit fertig.

Johannes Selle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit diesem Haushalt senden wir positive Signale, was unser Engagement in der Welt anbelangt. Sie alle haben die Chance, einem guten Einzelplan 23 zustimmen zu können. Diese Chance sollten Sie sich nicht entgehen lassen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - in der Ausschussfassung. Hierzu liegen uns drei Änderungsanträge vor, über die wir zunächst abstimmen. Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7814. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt bei Zustimmung durch SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. CDU/CSU und FDP haben dagegen gestimmt. Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7812. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt bei dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei dem vorherigen Änderungsantrag. Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 17/7813. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit dem gleichen Ergebnis abgelehnt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 23 - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 23 ist somit angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen haben abgelehnt. Interfraktionell ist verabredet, den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/7874 zu Einzelplan 32 - Bundesschuld - heute zu behandeln und jetzt darüber abzustimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist einstimmig angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt III auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814 ({0}) vom 15. Mai 2008, 1816 ({1}) vom 2. Juni 2008, 1838 ({2}) vom 7. Oktober 2008, 1846 ({3}) vom 2. Dezember 2008, 1897 ({4}) vom 30. November 2009, 1950 ({5}) vom 23. November 2010 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der Europäischen Union vom 30. Juli 2010 und dem Beschluss 2010/766/GASP des Rates der Europäischen Union vom 7. Dezember 2010 - Drucksache 17/7742 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({6}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer Verabredung zwischen den Fraktionen ist es vorgesehen, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Dr. Guido Westerwelle. ({7})

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Die Pirateriebekämpfung vor dem Horn von Afrika durch Atalanta ist nicht nur breit in diesem Hause getragen, sondern sie ist auch erfolgreich. Seitdem Atalanta vor knapp drei Jahren die Arbeit aufgenommen hat, haben wir über 120 Schiffstransporte des Welternährungsprogramms schützen können, und die Schiffe haben ihre somalischen Zielhäfen sicher erreichen können. Über 700 000 Tonnen Nahrungsmittel und weitere wichtige Hilfsgüter konnten so nach Somalia gebracht werden. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind insgesamt 4 Millionen Menschen auf diese Hilfe angewiesen. Damit gehört Somalia zu den größten humanitären Krisengebieten weltweit. Die humanitäre Hilfe durch Lieferungen des Welternährungsprogramms und anderer Hilfsorganisationen erfolgt fast vollständig auf dem Seeweg. Dass diese Hilfe bei den Menschen auch wirklich ankommt, ist schon ein enormer Erfolg von Atalanta. Deswegen möchte ich zuallererst den Frauen und Männern der Bundeswehr und auch den anderen Bürgern Deutschlands, die bei dieser Aktion ohne Uniform engagiert sind, herzlich danken. Ich glaube, wenn man die Bilder gesehen und sich ein wenig mit der Lage vor Ort befasst hat, dann erkennt man: Das ist wirklich ein humanitärer Auftrag; es ist ein Gebot der Mitmenschlichkeit, dass wir die Hilfslieferungen vor Piraterie schützen. Eigentlich müsste jeder in diesem Hohen Hause, wenn er nachdenkt und seinem Herzen folgt, diesem Mandat zustimmen. ({0}) Meine Damen und Herren, Atalanta ist erfolgreich. Aber ich will hinzufügen: Die Pirateriebekämpfung vor dem Horn von Afrika ist unzweifelhaft noch nicht am Ziel. Immer noch befinden sich zehn Schiffe und etwa 240 Personen in der Gewalt von Piraten. Immer noch sind die Schiffe des Welternährungsprogramms und die Handelsschifffahrt durch die Piraterie bedroht. Zwar können aufgrund des robusteren Vorgehens im Rahmen von Atalanta und der Umsetzung von Selbstschutzmaßnahmen in der zivilen Schifffahrt immer mehr Angriffe abgewehrt werden; die Zahl der Angriffe durch Piraten auf die Schifffahrt aber bleibt hoch. Die Gefahr, die von den Piraten in den somalischen und den angrenzenden Gewässern ausgeht, ist noch nicht gebannt. Wir alle wissen um die großen Schwierigkeiten in Somalia; wir alle wissen um die Not der Menschen. Aber daraus die einfache Schlussfolgerung zu ziehen, dass man die Piraterie entschuldigen oder erklären könnte, halte ich für einen schweren Fehler. Wir sollten den Aspekt der organisierten Kriminalität, die hinter dieser Piraterie steckt, nicht ignorieren und erst recht nicht verharmlosen. ({1}) Wir sind darüber einig, dass wir gleichzeitig vor Ort vieles tun müssen, weil die Lage weiterhin extrem fragil ist und durch die organisierte Kriminalität weiterhin gefährdet ist. Somalia wird noch lange nicht in der Lage sein, die Piraterie vor seiner Küste in eigener VerantworBundesminister Dr. Guido Westerwelle tung wirksam zu bekämpfen. Dies wird unzweifelhaft zunächst die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft bleiben müssen. Für die Bundesregierung bitte ich daher um Ihre Zustimmung zu der Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der EU-geführten Operation Atalanta. Atalanta handelt im Auftrag der Vereinten Nationen und auf Bitten der somalischen Übergangsregierung. Der Rat der Europäischen Union hatte bereits am 7. Dezember 2010 die Verlängerung von Atalanta bis zum 12. Dezember 2012 beschlossen. Das heißt, das, was wir tun, ist nicht nur völkerrechtlich gedeckt, sondern auch europäisch und international eingebettet. Die Freiheit der Meere und die Sicherung der Seewege sind von besonderer strategischer Bedeutung. Das zu ignorieren, wäre ein Fehler. Es würde übrigens auch das internationale Recht auf den Kopf stellen. Meine Damen und Herren, Europa profitiert wie kein anderer Kontinent vom freien Fluss globaler Handelsströme: Durch das Seegebiet vor Somalia, vor allem durch den Golf von Aden, führt die wichtigste Handelsroute zwischen Europa, der arabischen Halbinsel und Asien. Diese Route offen zu halten, ist eine wichtige Aufgabe internationaler Sicherheitspolitik und liegt im unmittelbaren deutschen Interesse. Ich kann nichts Schlechtes daran erkennen, dass wir die Schiffe der internationalen Gemeinschaft, auch unsere Schiffe, schützen. Das ist unser Recht. Ich glaube sogar: Es ist auch unsere Pflicht, unsere Schiffe und Besatzungen zu schützen. ({2}) Meine Damen und Herren, Deutschland gehört bei Atalanta kontinuierlich zu den führenden Beitragstellern und stellt gegenwärtig den Kommandeur der Kräfte im Einsatzgebiet. Wir werden damit unserer Verantwortung gegenüber unseren Partnern auch in der Europäischen Union gerecht. Wir flankieren die Bekämpfung der Piraterie auf See natürlich durch Bemühungen zur Bekämpfung der Ursachen von Piraterie an Land und durch Unterstützungsleistungen für den Wiederaufbau des somalischen Staates. Wir leisten humanitäre Hilfe, um das unmittelbare Leid von Millionen Menschen zu lindern. Wir tragen mit der Beteiligung an der European Training Mission Somalia, in deren Rahmen bislang rund 2 000 Soldaten der somalischen Übergangsregierung ausgebildet worden sind, zur Schaffung eines sicheren Umfeldes bei. Wir unterstützen die Ausbildung afrikanischer Polizisten, die als Trainer und Berater der somalischen Polizei eingesetzt werden. Wir beteiligen uns an den Anstrengungen der Europäischen Union, gemeinsam mit den afrikanischen Partnern regionale Küstenwachen aufzubauen, zu deren Aufgaben auch der Gewässer- und Fischereischutz zählen wird. Wir unterstützen mit erheblichen Mitteln die Finanzierung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia. Den Verfassungsprozess in Somalia fördern wir durch eine vom Max-Planck-Institut für Völkerrecht durchgeführte rechtliche Beratung. Wir helfen den Vereinten Nationen, die rechtsstaatlichen Kapazitäten in den Staaten der Region auszubauen. Atalanta fügt sich ein in eine Vielzahl von Maßnahmen, die ein gemeinsames Ziel haben, nämlich die fragile Region am Horn von Afrika zu stabilisieren. Das soll die Voraussetzung für eine bessere Lebenssituation der Menschen vor Ort und die nachhaltige Entwicklung Somalias schaffen. Sie sehen also, dass wir sehr wohl auch die zivilen und entwicklungspolitischen Aspekte der Stabilisierung mit Ernst und Energie anpacken. Derzeit ist aber auch der militärische Schutz notwendig. Zusammen wird ein Schuh daraus. Das ist, zusammen genommen, überzeugende Politik. Ich bitte den Bundestag - wie bisher auch geschehen - um eine breite Unterstützung dieses Mandates. Am heutigen Tag wurde leider die Nachricht übermittelt, dass wieder zwei Soldaten in Afghanistan verletzt worden sind. Von daher sollte man jeden Augenblick voller Dankbarkeit auf die Menschen schauen, die wir alle schon persönlich besucht haben und die ganz persönlich ihren Körper und ihre Seele - ihre ganze Persönlichkeit - dafür einsetzen, dass wir bei uns sicher leben und auch anderen helfen können, die ohne uns ein ganz schreckliches Schicksal haben würden. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Rolf Mützenich hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, Atalanta ist in erster Linie eine zivile und humanitäre Maßnahme. Ich glaube, wir sollten in diesem Hause gemeinsam überlegen - das ist an alle Fraktionen gerichtet -, wie das Leid der Menschen in Somalia gemindert und die aktuelle Hilfe dort gesichert werden kann. Vier Millionen Menschen sind davon betroffen. Die Vereinten Nationen haben um Unterstützung gebeten. Ich finde schon, dass es zur Respekterweisung dazugehört, dass alle Fraktionen eine Antwort darauf geben, damit insbesondere in Bezug auf die aktuellen Herausforderungen, denen sich dieses Land gegenübersieht, diese Hilfe auch gewährleistet werden kann. Für meine Fraktion komme ich zu der Schlussfolgerung, dass natürlich auch ein Schutz insbesondere für die Hilfstransporte erfolgen muss, die vonseiten der Vereinten Nationen angefordert werden und die vielen Menschen helfen. Deswegen unterstützen wir das, was der Bundesaußenminister hinsichtlich dieses Mandates als Gesamtmission angesprochen hat. Ich würde gerne, Herr Minister, noch auf weitere Punkte eingehen. Wir werden in der Zukunft über einige Punkte sicherlich in ein wenig stärkerem Maße diskutieren müssen. Ich verstehe schon, dass man das vonseiten der Bundesregierung hier nicht so offen sagen kann - Parlamentarier sollten das aber tun -: Das Problem Somalias besteht auch darin, dass einzelne Nachbarstaaten in der Vergangenheit - das gilt aber offensichtlich auch für die aktuelle Situation - Einfluss genommen haben bzw. weiter nehmen. Sie nehmen letztlich auch mit Gewalt Einfluss. Dabei kommt es auch zu schwierigen Situationen. Wir müssen, finde ich, insbesondere die Nachbarstaaten dazu aufrufen, nicht mit Gewalt von außen in dieses Land einzugreifen, sondern am Aufbau Somalias aktiv mitzuwirken. Das gehört zu der Diskussion, die wir hier führen, genauso dazu wie das Debattieren über den sozialen und politischen Aufbau in Somalia. In der Tat ist es richtig - das wird hier immer wieder angesprochen -, dass Armut und Piraterie zusammengehören. In dem Zusammenhang ist auch die Situation zu nennen, vor die Somalia in den letzten Jahren und Jahrzehnten gestellt wurde. Gleichzeitig will ich darauf aufmerksam machen, mit welchem Respekt wir den Menschen begegnen sollten, die sich in Somalia ganz bewusst gegen Piraterie entscheiden und sagen: Das wird unserem Land, unserer Kultur und Tradition nicht gerecht. Deswegen warne ich vor vereinfachenden Schlussfolgerungen. Insbesondere nehme ich das auf, was Jack Lang, der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, festgestellt hat. Er sagte, das Problem der Piraterie bestehe insbesondere darin - Herr Außenminister, Sie haben das angesprochen -, dass sie von der organisierten Kriminalität bzw. von den internationalen Netzwerken unterstützt wird, indem diese das Geld waschen, das die Piraterie erbringt. Es gehört zu einer ehrlichen Diskussion in der Europäischen Union dazu, festzustellen, dass wir die Piraterie insbesondere durch internationale Maßnahmen bekämpfen müssen, um organisierte Kriminalität weiterhin zurückzudrängen. Man muss hinzufügen: Sie findet auch in westlichen Handelsstädten statt. Wir sollten uns immer wieder vergegenwärtigen: Piraterie ist nicht das Problem Somalias oder am Horn von Afrika, sie ist auch in anderen Regionen ein Problem. Sie ist auch ein historisches Phänomen, was mit dem einen oder anderen Land, das heute als Partner bezeichnet wird, durchaus in einem Zusammenhang gestanden hat. Ich würde gerne in dieser Runde aus einer gültigen Verfassung zitieren, die der eine oder andere vielleicht kennt. Da heißt es: Die Volksvertretung hat das Recht … Kaperbriefe auszustellen und Vorschriften über das Prisen- und Beuterecht zu Wasser und zu Lande zu erlassen. Das ist keine Verfassung eines Landes im Südpazifik, das ist auch nicht die Verfassung der Malediven, sondern es ist die amerikanische Verfassung. Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass dies durchaus noch aktuelles Recht ist. ({0}) - Ich glaube nicht, dass die Kolleginnen und Kollegen davon Gebrauch machen, aber will ich auf das historische Phänomen aufmerksam machen, weil das zu einer politischen Diskussion dazugehört. Regierungen und Parlamente haben die Piraterie zurückgedrängt. Gerade in einzelnen Staaten Asiens ist es gelungen, die Probleme, die dort seit Jahrzehnten existieren, einzudämmen, und zwar durch bessere Regierungsführung, aber auch durch Sicherungsmaßnahmen, die sie zum Schluss selbst ergriffen haben. Damals wurden sie international unterstützt. Das beste Momentum, das diese Länder darin unterstützt, die Piraterie zu bekämpfen, ist die regionale Zusammenarbeit. Deswegen müssen wir nach meinem Dafürhalten noch viel stärker das regionale Zusammenwirken am Horn von Afrika stärken. Dazu müssen wir die Regierungen ermutigen. Ich möchte auf eine innenpolitische Diskussion eingehen - auch das gehört zu diesem Thema -: Auch die deutschen Reeder tragen Verantwortung. Die haben sie in der Tat auch wahrgenommen. Es kann aber nicht sein, dass deutsche Reeder deutsche Schiffe ausflaggen und damit ihrer sozialen Verantwortung in Deutschland nicht mehr gerecht werden, aber gleichzeitig vom deutschen Staat Sicherheitsmaßnahmen verlangen. Das müssen wir in einer solchen Debatte offen benennen; denn auch die Reeder tragen Verantwortung. Ein weiterer Aspekt, den ich in Ihrer Rede gänzlich vermisst habe, war die Diskussion, die die Bundesregierung im August dieses Jahres hier geführt hat. Es geht darum, private Sicherheitsdienste, unter Umständen schwer bewaffnet, auf Schiffen zuzulassen. Dazu haben Sie heute nichts gesagt. Ich hätte zumindest gerne gewusst, ob diese Angelegenheit im Kabinett vom Tisch ist, ob das staatliche Gewaltmonopol möglicherweise durch derartiges Vorgehen weiter ausgehöhlt werden soll, ob es weiterhin von der Initiative der Bundesregierung getragen ist oder ob es eine neue Entwicklung gibt? Das sollte in zweiter und dritter Lesung zu diesem Mandat noch einmal angesprochen werden. Wir vonseiten der SPD-Fraktion sehen beim Vorhaben der Bundesregierung große Probleme. Die Pläne sehen vor, dass private Sicherheitsfirmen zertifiziert und überwacht werden sollen. Ich frage mich, ob das auch für andere private Sicherheitsdienste, die es im internationalen Umfeld gibt, gelten soll. Wir werden darüber eine Debatte führen. Ich kündige hier schon an, dass wir in der nächsten Woche im Deutschen Bundestag intensiver über die privaten Sicherheitsfirmen debattieren werden. Wir, die SPD-Fraktion, haben dazu einen Antrag vorgelegt. Zur letzten Frage, die Sie am Rande angesprochen haben. Rechtliche Fragen spielen in der Tat eine große Rolle. Im Zusammenhang mit diesem Mandat wurde auch darüber diskutiert, ob ein spezieller Strafgerichtshof für Piraterie eingerichtet oder zumindest eine weitere Kammer beim Internationalen Seegerichtshof in Hamburg angesiedelt werden sollte; ({1}) denn wir haben diesbezüglich rechtliche Schwierigkeiten. Das Verwaltungsgericht Köln hat in einem besonderen Fall dargelegt, dass die rechtlichen Umgangsformen in Kenia - darum ging es in diesem Fall - nicht unseren Standards entsprechen. Deswegen fordere ich die Bundesregierung insbesondere vor dem Hintergrund der derDr. Rolf Mützenich zeitigen Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat auf, weitere Initiativen zu ergreifen, um hierzu im internationalen Recht Änderungen herbeizuführen. Insbesondere fordere ich sie aber auf, zu diesem Thema im Parlament Stellung zu beziehen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Thomas Kossendey ergreift jetzt das Wort für die Bundesregierung. ({0})

Thomas Kossendey (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001188

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EU-Operation Atalanta steht letztendlich für den Willen und die Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft, Piraterie am Horn von Afrika, aber auch im Golf von Aden zurückzudrängen. Gleichzeitig macht sie die Schiffsverkehre in dieser Region sicherer, und das ist im Interesse der Menschen, die dort leben, weil 90 Prozent der Hilfslieferungen, die die Vereinten Nationen über das Welternährungsprogramm dort hinbringen, auf dem Seeweg transportiert werden. Der Außenminister hat mit eindrucksvollen Zahlen deutlich gemacht, dass diese Hilfslieferungen die Menschen vor Ort erreichen. Die Hungersnot, über die in den letzten Wochen insbesondere aus Somalia und vom Horn von Afrika berichtet wurde, zeigt, dass diese Hilfe notwendiger denn je ist. Seit 2008 sind alle diese Hilfstransporte angekommen; das ist anders als vorher. Daneben leistet Atalanta einen ganz wichtigen Beitrag dazu, die Handelsschiffe auf sichere Seeverbindungslinien zu bringen. Ich will noch etwas ins Gedächtnis rufen: Die Zahl der Überfälle durch Piraten liegt in etwa auf dem Niveau der letzten Jahre, die Zahl der erfolgreichen Entführungen konnte allerdings halbiert werden. ({0}) Dafür gibt es viele Ursachen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Reeder ihr Verhalten geändert haben; der Kollege Mützenich hat das ja angesprochen. Um Ihnen das mithilfe von Zahlen zu verdeutlichen: Wir haben am Horn von Afrika ungefähr 25 000 bis 30 000 Schiffspassagen jedes Jahr, davon ungefähr 3 000 unter deutscher Flagge. Natürlich haben Sie recht, Herr Kollege Mützenich, wenn Sie sagen, dass die Reeder für ihre Schiffe und die Menschen auf ihren Schiffen eine besondere Verantwortung tragen. Diese fordern wir ein. Alle zuständigen Stellen unserer Regierung stehen im ständigen Gespräch mit den Reedern. Dabei spielt natürlich auch die Frage der privaten Sicherheitsdienste eine Rolle. Dieses Thema geht nicht in erster Linie das Verteidigungsministerium an. Ich kann aber sagen: Der Verkehrsminister und der Innenminister - beide sind dafür zuständig - klären im Augenblick den rechtlichen Rahmen, in dem diese Dienste erfolgen können. Ich sage aber auch: Deutsche Soldaten auf Schiffen, die nicht unter deutscher Flagge fahren - dieses Thema haben Sie auch angesprochen -: Das geht völkerrechtlich nicht. Dafür brauchen wir Abkommen mit den Flaggenstaaten. Sie wissen, dass das nicht ganz leicht ist. Neben den Maßnahmen, die die Reeder ergriffen haben, um ihre Schiffe besser zu sichern - ich sage in Klammern: Manchmal ist es betrüblich, festzustellen, dass das längst nicht alle Reeder tun -, haben wir natürlich auch durch die Änderung der Operationspläne bei Atalanta dazu beigetragen, dass wir jetzt energischer durchgreifen können. Wir haben mehr Möglichkeiten, die sogenannten Vessel Protection Detachments an Bord zu bringen. Wir haben mehr Möglichkeiten, das Pirateriematerial, das wir an Bord nehmen, sofort zu vernichten, auch ohne große Beweisbeschlüsse. Wir haben auch mehr Möglichkeiten, um uns um Mutterschiffe zu kümmern; das ist ein Thema, das der Kollege Stinner mehrfach angesprochen hat. ({1}) Von den Ländern der Europäischen Union, die sich an Atalanta beteiligen, stellte die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren neben Spanien den stärksten Anteil, nicht, weil die anderen nicht wollten, sondern schlichtweg, weil die anderen Länder im maritimen Bereich zum Teil so stark reduziert haben, dass sie sich gar nicht beteiligen können. Von den 27 Mitgliedstaaten beteiligen sich im Wesentlichen Deutschland, Spanien, Frankreich, die Niederlande und Luxemburg an diesen Aktivitäten. Wir wollen uns auch in Zukunft beteiligen. Für 2012 haben wir durchgängig eine Fregatte bereitgestellt. Wir werden einen Einsatzgruppenversorger hinunterschicken und ab April 2012 wieder ein Seeraumüberwachungsflugzeug. In den letzten Wochen sind häufig Berichte durch die deutsche Presse gegeistert, nach denen die deutschen Kräfte zwar Piraten an Bord ihrer Schiffe festsetzen, sie dann aber mit Nahrungsmitteln auf einem kleinen Schlauchboot aussetzen und wieder nach Somalia zurückschicken. Lassen Sie mich dazu einiges sagen. Zunächst einmal: Das Primärziel von Atalanta ist ja nicht die Piratenjagd. Wer das Mandat liest, weiß, dass das nicht so ist. Das wird zwar häufig in der Öffentlichkeit so diskutiert, aber es steckt mehr dahinter. Wir haben die Rules of Engagement geändert. Wir können intensiver eingreifen. Aber da, wo kein Kläger ist, werden wir auch keinen Richter finden. Deswegen ist es in einigen Fällen auch nach dem internationalen Recht nicht unüblich, diejenigen, die man auf frischer Tat ertappt hat, zurückzubringen. Wir haben noch keinen Gerichtshof, der international diese Straftaten aburteilt. Ich glaube, niemand in diesem Hause wird einer Art und Weise das Wort reden, die menschenverachtend wäre. Die Piraten werden nicht einfach in ein Schlauchboot gesetzt mit den Worten: Kommt irgendwie nach Hause. - Ich bin sicher, dass es hier sonst Diskussionen gäbe, die wir alle nicht wollen. Der Internationale Strafgerichtshof, den Sie, Herr Mützenich, angesprochen haben, müsste ja in den Vereinten Nationen seine Ursache finden. Auch da wissen wir, dass das im Augenblick sehr schwer ist, weil längst nicht alle Länder der Vereinten Nationen das für sinnvoll halten. Sie haben das Urteil vom Verwaltungsgericht Köln angesprochen. Sie wissen, dass sich das auf einen Fall bezieht, der sich ereignete, bevor wir mit Kenia ausgemacht haben, dass die Gefangenen, die wir dorthin bringen, in Umständen gefangen gehalten werden, die menschenrechtlich für uns verantwortbar sind. Sie wissen auch, dass unser Botschafter diese Prozesse und die Umstände, unter denen die Gefangenen dort festgehalten wurden, sehr intensiv beobachtet hat. Eines muss aber klar sein: Das, was wir mit der deutschen Marine auf See machen, ist nur ein Bekämpfen von Symptomen. Wir brauchen jenseits dessen, was der Verteidigungsminister an Beitrag zu liefern hat, eine weitaus breitere Palette an Aktionsmöglichkeiten, um den Sumpf der Piraterie dort auszutrocknen. ({2}) Ich meine, wir sollten das insgesamt anpacken. All den Soldatinnen und Soldaten, die sich in den letzten Jahren dort engagiert haben, und zwar unter Bedingungen, die weiß Gott nicht immer so sind, wie man sich das hier vorstellt, wenn man die Sonne über Dschibuti scheinen sieht, sollten wir herzlich danken und sie mit einem Mandat ausstatten, das von einer breiten Mehrheit im Parlament getragen wird. Herzlichen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Christine Buchholz hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit drei Jahren ist die Bundeswehr im Rahmen der EU-Militäroperation Atalanta vor der Küste Somalias unterwegs. ({0}) Das Ziel der Mission, so schreibt die Regierung im Mandatstext, sei die Bekämpfung der Piraterie und die Sicherung der Versorgung der notleidenden Menschen Somalias. Das Mandat ermächtigt die Bundeswehr zur „Durchführung der erforderlichen Maßnahmen, einschließlich des Einsatzes von Gewalt, zur Abschreckung …“. Wie das in der Praxis aussieht, konnten wir wieder einmal Ende September sehen: Eine deutsche Fregatte versenkte zwei Schiffe in somalischen Gewässern und setzte die Besatzung an Land ab. ({1}) Die Unschuldsvermutung gilt anscheinend nicht in somalischen Gewässern. Der Kommandeur vor Ort richtet und setzt auch gleich die Strafe um. Das entspricht nicht unseren Vorstellungen von rechtsstaatlichen Grundsätzen. ({2}) Die Strategie der Regierung hat keinen Erfolg. Hier muss ich Ihnen widersprechen, Herr Westerwelle, das belegen auch die Zahlen. Auch nach drei Jahren Atalanta müssen wir in diesem Jahr wieder konstatieren: Die Überfälle von Piraten sind auf einem neuen Höchststand. ({3}) Die Zahl der geglückten Entführungen stagniert auf hohem Niveau, und die Piraten haben ihr Operationsgebiet weiter ausgedehnt. Von einer erfolgreichen Bekämpfung der Piraterie kann keine Rede sein. ({4}) Dabei sind sich alle einig, dass Piraterie zur See nicht militärisch zu bekämpfen ist. Das ist schon rein technisch unmöglich. Dafür sind der zu überwachende Seeraum und die Zahl der zu schützenden Schiffe viel zu groß.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stinner zulassen?

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, möchte ich nicht. Ich rede jetzt die vier Minuten durch, und anschließend kann der Kollege Stinner gerne etwas sagen. ({0}) Wer Piraterie wirklich bekämpfen will, muss die sozialen und politischen Ursachen angehen. Hier ist die Bundesregierung keinen Schritt weiter als letztes Jahr. Denn immer noch beharrt sie darauf, eine von außen eingesetzte Regierung in Somalia an der Macht zu halten. Ihr Ansatz ist, Verhandlungen aus der Position der militärischen Stärke zu führen. Die wichtigsten Rebellengruppen werden von den diplomatischen Gesprächen ausgeschlossen. Die Menschen in Somalia brauchen dringend Hilfe, aber sie brauchen zivile, humanitäre Hilfe. ({1}) Sie brauchen eine Abkehr von der menschenverachtenden neoliberalen Handelspolitik ({2}) und den Spekulationen mit Nahrungsmitteln, die auch zentrale Ursachen für die Krise und den Hunger in Somalia sind. ({3}) Sie brauchen keine Eskalation des Krieges, wie sie momentan stattfindet. Der Einmarsch kenianischer und äthiopischer Truppen in den letzten Wochen wird die Lage der Menschen in Somalia nur noch weiter verschlimmern. Wegen der Militäroperationen im Grenzgebiet können die vor der Dürre Flüchtenden nicht in die Flüchtlingslager in Kenia gelangen. Deswegen und weil wir eine grundsätzliche Umorientierung der Politik in Bezug auf Somalia fordern, sagen wir: Herr Westerwelle, ändern Sie den eingeschlagenen Kurs! ({4}) Hören Sie auf, an einer korrupten Marionette festzuhalten! ({5}) Beenden Sie die Ausbildung von Bürgerkriegssoldaten durch die Bundeswehr! ({6}) Denn das schafft kein sicheres Umfeld. ({7}) Setzen Sie auf gleichberechtigte Verhandlungen aller Bürgerkriegsparteien, und geben Sie das Geld für humanitäre Hilfe statt für den Marineeinsatz aus! ({8}) Zeigen Sie, dass Ihnen die Somalier wirklich wichtig sind und nicht, wie es in einem aktuellen Papier des EU-Rates heißt, die „geostrategische Bedeutung der Region“. Wir lehnen den Einsatz des Militärs zur Sicherung von Handelsinteressen ab. Wir werden uns auch in diesem Jahr klar gegen die Mission Atalanta stellen. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Omid Nouripour hat jetzt das Wort für Bündnis 90/ Die Grünen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich ist es das Ziel jeder Militärmission, dass sie sich so schnell wie möglich überflüssig macht. Dass wir jetzt bereits das vierte Mal über Atalanta entscheiden, zeigt, wie groß und schwer die Aufgabe ist, die zu bewältigen ist, und dass wir vom Ziel immer noch weit entfernt sind. Die Zahl der Angriffe steigt nicht mehr. Es ist gut, dass es immer weniger erfolgreiche Angriffe gibt, aber man kann nicht einfach sagen, dass Atalanta bisher ein riesengroßer Erfolg ist; denn Atalanta allein kann die Probleme nicht lösen. Wir als Grüne haben in den letzten Jahren dem Mandat mehrheitlich zugestimmt, weil wir gesagt haben: Es ist eine notwendige Symptombekämpfung, nicht mehr und nicht weniger. In diesem Zusammenhang möchte ich, Herr Außenminister, eines hier empört zurückweisen. Man macht es sich zu einfach, wenn man sagt: Denkt einfach nach, dann müsst ihr zustimmen. - In unserer Fraktion gibt es viele, die sich sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt haben und aus diversen Gründen zu dem Ergebnis gekommen sind, dass sie Atalanta nicht zustimmen. Das ist also nicht nur eine Frage des Nachdenkens. Da werden Sie Ihren eigenen Aufgaben nicht gerecht. Wir werden hier gleich Operation Active Endeavour behandeln, eine Mission, die am Anfang Sinn gemacht hat, aber in der Form, wie die Bundesregierung den Mandatstext verhunzt, nicht wirklich zustimmungsfähig ist. Man kann hier nicht einfach nur arrogant rufen: Denk doch einmal nach, dann musst du doch meiner Meinung sein. - So wird man der Ernsthaftigkeit eines Militäreinsatzes nicht gerecht. ({0}) Die notwendige Symptombekämpfung wirft angesichts des jetzt vorliegenden Mandatstexts einige Fragen auf. Antworten darauf kenne ich noch nicht; diese Fragen werden Thema in den Ausschussberatungen sein. Warum kostet die Mission jetzt das Doppelte? Warum ist die Mandatsobergrenze weiterhin dreimal so hoch wie die Zahl der tatsächlich eingesetzten Soldatinnen und Soldaten? Welche „präventiven Maßnahmen“, wie es im Mandatstext heißt, sind jetzt erlaubt? Diese waren im letzten Mandat noch nicht vorgesehen. Was bedeutet die Aussage aus den Koalitionsreihen, dass man jetzt auch schwer bewaffnete Mitarbeiter privater Sicherheitsfirmen an Bord der Schiffe zulassen möchte? Wird das jetzt gemacht? Das wäre für uns ein Punkt, bei dem wir ernsthaft darüber nachdenken müssten, unsere Zustimmung zum Mandat zu verweigern. Oder ist die Bundesregierung bereit, zu sagen, dass Herr Uhl da wieder einmal nur vor sich hin redet? Es geht auch um die Frage, wie mit den Festgesetzten zu verfahren ist. Herr Staatssekretär, da müssen Sie eine Lösung bieten. Es gibt derzeit keine. Die Lösung, die Kollege Mützenich genannt hat, wird hoffentlich eines Tages umgesetzt. Aber was passiert jetzt? Was machen Soldatinnen und Soldaten heute mit Festgesetzten? Es gibt derzeit keine Lösung. Das ist für die Soldatinnen und Soldaten zutiefst frustrierend. Das ist auch sehr teuer. Diese Situation muss schnellstmöglich verbessert werden. Wenn dieses Problem nicht gelöst wird, wird der ganze Einsatz ein wenig absurd. Aber die politischen Lösungen sind natürlich die zentralen. Wir reden über eine der größten Hungerkatastrophen, die es in dem Land je gegeben hat. Im Übrigen, Frau Kollegin Buchholz: Sie müssen bitte - um Gottes willen auch einmal ein Wort dazu sagen, wie die Lebensmittel des World Food Programme ohne einen militärischen Schutz tatsächlich an das Horn von Afrika kommen sollen. Dazu haben Sie kein Wort gesagt. ({1}) Wir haben natürlich weiterhin das Riesenproblem der illegalen Fischerei. Wir haben einen regionalen Konflikt, der deutlich zugenommen hat. Somalia wird auch immer mehr zum Battleground regionaler Mächte. Dabei ist ein Riesenproblem, dass die EU nicht unbedingt einheitlich agiert. Die Franzosen unterstützen gerade die Intervention Kenias, die Briten sind in Uganda involviert, Eritrea hat eine eigene Agenda, die Äthiopier ebenfalls, auch mit amerikanischer Unterstützung. Ich vermisse innerhalb der EU ein wenig die Stimme der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Thema. Es wäre gut, wenn Deutschland sich dafür einsetzte, dass die Europäische Union einheitlicher agiert, damit wir zum Beispiel das, was die UN seit Jahren beschließt, endlich konsequent umsetzen, nämlich ein Waffenembargo gegen Somalia. Dafür brauchen wir die Nachbarstaaten. Die sind aber zurzeit nicht damit betraut, mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Dieses Problem kann in Brüssel nicht gelöst werden. Aber in Brüssel können Lösungen dafür entwickelt werden, wie man diese Länder besser unter Druck setzen kann. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Philipp Mißfelder hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nur ein Satz zu Frau Buchholz: Mir ist bei Ihrer Rede wieder einmal klar geworden, dass bei Ihnen - ich beziehe das gar nicht auf Ihre Gesamtfraktion, weil es ja auch bei Ihnen viele gibt, die im Ausschuss vernünftig mitarbeiten - wirklich der Satz gilt: Ideologie vor Hilfe. ({0}) Das fällt mir an jedem Ihrer Beiträge auf. Ich verstehe auch gar nicht, wieso sich Ihre Fraktion nicht einen Gefallen tut und auf die Beiträge an dieser Stelle einfach verzichtet. Zum Kollegen Nouripour möchte ich nur sagen: Ich glaube, der letzte Punkt ist ein ganz wichtiger. Ich glaube auch, dass sich die Bundesregierung dort zu Recht besonders engagiert und dass es in der Afrika-Politik nur europäisch geht. Einzelmaßnahmen von Deutschland oder Willenserklärungen unsererseits dürften hier also nur relativ wenig bringen. Es ist tatsächlich so: Wenn wir über die Ursachen in der Region selber reden, dann muss man feststellen: Natürlich muss hier europäisches Engagement entwickelt werden. Die Vielstimmigkeit auch früherer Kolonialmächte an dieser Stelle ist gerade schon angesprochen worden. Dies bedaure ich natürlich sehr. Aber ich glaube, dass der Hinweis richtig war: Wenn man das Problem wirklich an der Wurzel packen will, ist dort natürlich auch weiterhin Engagement notwendig. Wir engagieren uns auch. Denn der Erfolg wird nur an den Ergebnissen gemessen, und zwar zu Recht. Deutschland steht als Mitglied der EU und der westlichen Wertegemeinschaft für grundlegende Werte. Dazu gehört natürlich die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit, von Menschenrechten und des Völkerrechts insgesamt. Dazu gehören auch freie Handelswege. Es ist kein Selbstzweck, nur Exportinteressen oder Importinteressen durchzusetzen. Es ist in der Debatte schon sehr plastisch geschildert worden, meine Damen und Herren, wie wichtig es ist, das World Food Programms zu unterstützen und auch das Völkerrecht durch die Mission Atalanta weiter durchzusetzen, weil es im Endeffekt natürlich auch darum geht, zu zeigen, dass wir die Region insgesamt für wichtig halten und nicht nur die Handelswege im Blick haben. ({1}) Trotzdem: Als Exportnation und im Spannungsbogen einer interessengeleiteten und werteorientierten Außenpolitik spielt auch dieses Thema immer eine Rolle; wir lassen es auch gar nicht unter den Tisch fallen. Es ist wichtig, auch den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zu sagen, warum die 558 Frauen und Männer - bei ihnen haben wir uns gerade schon bedankt - mit ihrem Einsatz einen wirklich wichtigen Beitrag leisten und warum wir dieses Mandat jetzt erneut verlängern müssen. Ihre Aufgabe ist bei weitem noch nicht erledigt und ihre Mission noch nicht zu Ende. Sie leisten an dieser Stelle wirklich Hervorragendes. Ich möchte auch für meine Fraktion noch einmal unterstreichen: Wir sind den Soldatinnen und Soldaten, auch und gerade deshalb, weil sie ihren Dienst unter sehr schwierigen Bedingungen tun, sehr dankbar für das, was sie dort tun. ({2}) Die Mission Atalanta und die Aufgabe, die damit zu bewältigen ist, bleiben schwierig. Die Piraten bedrohen die Versorgung der hungernden Menschen in Somalia. Wenn die Lieferungen des Welternährungsprogramms auf dem Seeweg nicht durchkommen, dann geht die letzte Hoffnung - wirklich die letzte Hoffnung - verloren. Insofern ist dies auch ein wichtiger Aspekt des humanitären Beitrags, der im Zentrum dieser Mission steht. Die Bedrohung durch die Piraten ist nicht gebannt; die Zahlen sind vorhin schon vorgetragen worden. Es gibt tatsächlich immer mehr Zwischenfälle, selbst wenn die Aufklärungsquote vor allem dank des militärischen Engagements erhöht werden konnte. Ich selbst finde auch, dass es richtig war, dass die Reeder einen Beitrag dazu geleistet haben. Wir haben immer darauf gedrungen, dass wir die Aufgabe nicht per se übernehmen wollen. Gerade auch die Problematik der Beflaggung ist vorhin schon geschildert worden. Ich finde es richtig, dass der Verband Deutscher Reeder auch eigene Maßnahmen ergriffen hat. Zum Einsatz von privaten Diensten an dieser Stelle möchte ich ganz klar sagen, dass wir solche Lösungen grundsätzlich natürlich nicht bevorzugen. Ich finde es auch richtig, dass wir uns hier im Bundestag darüber weitestgehend einig sind. Ich finde es nicht richtig, wie dies in anderen Ländern gehandhabt wird, dass beispielsweise in den USA - in der Debatte in der nächsten Woche wird sich das zeigen - auch aus Kostengründen mehr und mehr auf private Sicherheitsdienste zurückgegriffen wird. Wir haben heute Haushaltsberatungen. Wir leisten uns eine teure Bundeswehr, die gut ausgestattet, aber unter schwierigen Bedingungen auch in Einsätze geschickt wird. Selbst wenn das die teurere Variante ist: Zur Durchsetzung unserer Interessen ist das bei weitem die bessere Variante, als diesen Sektor zu privatisieren und damit auch einer demokratischen Kontrolle zu entziehen. Ich stimme den Vorbehalten ausdrücklich zu. ({3}) Nichtsdestotrotz werden die Reeder dadurch nicht aus der Verantwortung entlassen, auch selber einen Beitrag zu leisten und selbst zu überlegen, wie sie für Sicherheit sorgen können. Dafür gibt es auch technische Möglichkeiten, die teilweise auch genutzt werden. Das ist ja auch der richtige Weg, aber ich glaube, dass wir hier nicht alleine die politische Verantwortung für die Sicherung der Seehandelswege übernehmen sollten, sondern dass tatsächlich auch ein Beitrag der Reeder selbst notwendig ist. Darum haben wir auch sehr lange und sehr intensiv mit den Reedern diskutiert. Meine Damen und Herren, ich bitte auch im Namen meiner Fraktion, dass wir diesem Mandat in der zweiten Lesung zustimmen. Ich halte es auf jeden Fall für sinnvoll, diesen Einsatz fortzuführen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte im Weiteren um Unterstützung. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/7742 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Vorlage finden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt IV auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({0}) und 1373 ({1}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksache 17/7743 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Verabredet ist es, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Bundesminister Dr. Guido Westerwelle. ({3})

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Nouripour, ich möchte zu Ihrem Beitrag von eben noch einen Nachsatz machen. Sie haben mich zitiert und gesagt, Sie seien ein bisschen empört. Ich bitte, mich dann auch umfassend zu zitieren. Ich habe niemandem den Verstand abgesprochen, sondern ich habe gesagt: Wer ein bisschen nachdenkt und sein Herz bewegt, der wird vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die 700 000 Tonnen Lebensmittel fast ausschließlich über den Seeweg zu den Hungernden gelangt sind, zu der Entscheidung kommen müssen - aus meiner Sicht jedenfalls -, dass man diesem Mandat zustimmt. Sie werden es mir nachsehen: Als Außenminister - auch schon vorher - bin ich sehr viel unterwegs. Ich sammle sehr viele Spendengelder. Gerade bei solchen humanitären Katastrophen - das ist mit Abstand eine der größten, die wir weltweit derzeit kennen - möchte ich denen, die spenden - auch den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland, die spenden -, sagen können: Wir tun alles dafür, dass Ihre Spendengelder in Form von Nahrungsmitteln auch wirklich bei den Betroffenen ankommen. ({0}) Ich finde, das muss man einfach sehen. Es bleibt Ihnen aber unbenommen: Nur so habe ich das gesagt, und ich habe niemandem seine andere Meinung abgesprochen. Ich bitte Sie! Wir kommen nun zu einem weiteren Mandat, einem schwierigen Mandat; das will ich hier unumwunden auch zum Ausdruck bringen. Unter dem Eindruck der furchtbaren Terroranschläge des 11. Septembers hat der Deutsche Bundestag im November des Jahres 2001 erstmalig ein Mandat erteilt, damit sich deutsche Streitkräfte an den Einsätzen zum Schutz gegen den internationalen Terrorismus beteiligen können. Seit dem Sommer des Jahres 2010 ist dieses auf die Operation Active Endeavour begrenzt. Viele von Ihnen bewegt die Frage - bei uns, bei Ihnen -, ob dieser Einsatz zehn Jahre nach dem 11. September nicht abgeschlossen werden kann. Für diesen Abwägungsprozess - das möchte ich hier ausdrücklich sagen - habe ich großes Verständnis. Auch ich habe mir diesen Abwägungsprozess nicht leicht gemacht und die völkerrechtliche Frage mit unseren Experten und der Völkerrechtsbeauftragten nachdrücklich erörtert. Aber ich denke, dass sich die Bundesregierung bewusst sein muss und bewusst ist, dass der Einsatz im Hause nicht unumstritten ist. Die Notwendigkeit einer umfassenden Bekämpfung des internationalen Terrorismus bleibt aber bestehen. Sie ist weiterhin eine der zentralen Herausforderungen für die internationale Staatengemeinschaft. Das hat erst kürzlich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 1989 vom 17. Juni 2011 unzweideutig erneut zum Ausdruck gebracht. Das ist eine neue Resolution vom Sommer dieses Jahres. Ein wichtiger Bestandteil der gemeinsamen Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft bleibt die Bereitstellung entsprechender militärischer Fähigkeiten. Die NATO-geführte Seeraumüberwachungsoperation steht für den gemeinsamen Handlungswillen der Staatengemeinschaft gegen die Bedrohung des internationalen Terrorismus. Die deutsche Beteiligung an OAE dient der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion der NATO auf die terroristischen Angriffe gegen die Vereinigten Staaten von Amerika. Das heißt, wir haben bei dem Mandat nicht nur die Geschichte, sondern selbstverständlich auch die Bündnisaspekte zu berücksichtigen. Erst vor wenigen Wochen hat Präsident Obama einen Brief an den NATO-Generalsekretär Rasmussen geschrieben. In diesem Brief bedankt er sich im Namen des amerikanischen Volkes ausdrücklich für die Solidarität, die die NATO-Partner durch ihre Teilnahme an OAE bis heute zeigen. Auch dieser Aspekt muss mit erwogen werden, wenn man hier zu einer Entscheidung kommen möchte. ({1}) Deutschland ist ein verlässlicher Partner. Wir zeigen mit unserer Beteiligung an der Operation Solidarität im Bündnis. Ich muss Ihnen das so sagen, weil Sie alle wissen, dass wir in diesem Jahr einiges versucht und bewegt haben. Alle unsere Partner, und zwar ohne Ausnahme, halten eine Fortsetzung von Active Endeavour für erforderlich. Ich bitte Sie, dies bei Ihrer Abwägungsentscheidung mit zur Kenntnis zu nehmen. Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern aber überprüft die Bundesregierung, ob und wie die Operation Active Endeavour mittelfristig in ständige NATO-Operationen integriert werden kann. Ich habe bereits mehrfach meine Sympathie für diese Richtung zum Ausdruck gebracht, beim letzten Mal auch hier. Ich muss aber hinzufügen: Wir können das nicht alleine tun. Es gibt Fortschritte. Die werden Sie anerkennen. Wir brauchen den Konsens in der NATO. Um den zu erreichen, müssen wir auch mit der notwendigen Umsicht vorgehen. Das neue Strategische Konzept der NATO definiert kollektive Verteidigung und kooperative Sicherheit als Kernaufgaben des Bündnisses. Beide Kernaufgaben werden bei OAE miteinander verbunden. Die Operation dient der kollektiven Verteidigung gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages; auf diesen völkerrechtlichen Zusammenhang weise ich noch einmal hin. Darüber hinaus verfolgt sie den Ansatz der kooperativen Sicherheit. Mehrere Partnerstaaten der NATO beteiligen sich an OAE, so etwa Russland, die Ukraine und Marokko. Damit dient die Operation auch der Vertrauensbildung zwischen den Partnerstaaten. Auch diesen Gesichtspunkt dürfen wir nicht ignorieren. ({2}) Die NATO legte bei OAE einen Schwerpunkt auf Informationsgewinnung und Informationsverarbeitung. Alle Beteiligten profitieren durch ein verbessertes Lagebild. Auch das darf nicht ignoriert werden. Wer würde bestreiten, dass ein solches Lagebild gerade im Süden unseres Bündnisgebietes und gerade zu diesen Zeiten notwendiger denn je ist? Schließlich gibt es Entwicklungen, die wir noch nicht zu Ende kalkulieren können, gerade im Bereich des südlichen Mittelmeeres. Das Mittelmeer ist eine der Hauptadern des internationalen Seeverkehrs. Die Unsicherheiten in der Region südlich des Mittelmeeres nehmen derzeit leider nicht ab, sondern die Unsicherheiten nehmen zu. Präsenz und Überwachung vor Ort sind daher weiter erforderlich. Auch wenn die Anwendung militärischer Gewalt in der Vergangenheit überwiegend nicht zum Tragen gekommen ist, was eine gute Nachricht ist, so sieht der Operationsplan von OAE entsprechende Befugnisse weiter vor. Darum ist es richtig, dass der Deutsche Bundestag über dieses Mandat entscheidet. Die NATO-geführte Seeraumüberwachungsoperation ist sinnvoll und notwendig, und zwar aus sicherheitspolitischen wie aus bündnispolitischen Überlegungen. Das sage ich deshalb, weil ich weiß, dass das im Ausschuss ein Thema ist, und es war natürlich auch im letzten Jahr ein wichtiges Thema. Das wissen Sie, und Sie wissen, dass das bei uns erwogen und genauestens erörtert worden ist. Damit wir die richtige Geschäftsgrundlage unserer Entscheidung haben, möchte ich es noch einmal für die Bundesregierung gewissermaßen amtlich einführen: Durch Art. 51 der UN-Charta und die Resolutionen 1368 und 1373 sowie entsprechende Folgeresolutionen, von denen ich eine bereits genannt habe, ist die Operation völkerrechtlich eindeutig legitimiert. Das klarzustellen, sind wir auch den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr schuldig, die an dieser Mission mitwirken und denen wir aufrichtig danken und unsere Anerkennung zum Ausdruck bringen möchten. Ich bitte daher den Bundestag, dem Mandat zuzustimmen. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ullrich Meßmer hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Ullrich Meßmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Außenminister, schon Ihre Begründung zeigt, dass das, was Sie am Schluss zum Thema Sicherheit gesagt haben, nämlich dass das Mandat völkerrechtlich abgesichert ist, offensichtlich nicht zutrifft. Ich würde mir das wünschen, was wir vor einem Jahr angeboten haben, nämlich in der Ausschussberatung darüber zu reden, wie man ein Mandat formuliert, das nicht zu einer völkerrechtlichen Diskussion führt, das wir dann vielleicht im Deutschen Bundestag gemeinsam zustande bekommen. Auch wir haben ein Interesse daran, dass die neue NATO-Strategie greift. Das will ich alles gar nicht bestreiten. Aber wir reden über ein Mandat, das, wie ich finde, eine Geschichte hat, die ursprünglich dadurch entstanden ist, dass auch im Mittelmeerraum eine aktive Bekämpfung des Terrorismus stattfinden sollte. Wir reden über ein Mandat, das gemeinsam mit einer anderen Operation, der Operation Enduring Freedom, entstanden und hier schon mehrfach gemeinsam verlängert worden ist. Man hätte an dieser Stelle, wenn man sich Mitte 2010 den wie so oft, auch von uns, vorgetragenen Argumenten, aus dem Mandat auszusteigen, gebeugt hätte oder sie eingesehen hätte, auch dieses Mandat, über das wir jetzt reden, neu definieren und andere Begründungszusammenhänge herstellen müssen. Lassen Sie mich zwei Punkte nennen, die ich zum Teil als widersprüchlich empfinde. Ich weiß, dass mir gleich wieder erklärt wird, was in den Resolutionen steht. Aber ich denke, eine Mission, die ausschließlich auf Präsenz und Informationsgewinnung ausgelegt ist, verdient es nicht mehr, dass noch ein Kampfauftrag für die Soldaten formuliert wird. Fast alles, auch die gesamte Begründung zu diesem Antrag, spricht davon, dass man Präsenz zeigen, überwachen und helfen will. Aber nirgendwo, auch in der Begründung nicht, steht ein direkter Kampfauftrag. Am Ende steht ein Satz, Herr Staatssekretär, in dem darauf hingewiesen wird, dass dies möglich werden könnte. Grundlage für den Einsatz war aber nicht, dass irgendetwas möglich werden könnte, sondern, wie der Außenminister zu Recht feststellte, der Anschlag im September 2001. Die Grundlage war, dass ein Bündnisfall gegenüber einem Partnerland der NATO festgestellt wurde und dass damit alle verpflichtet sind, entsprechend zu helfen. Jetzt, nach zehn Jahren, stellt sich die Frage, wie weit wir von dem Thema weg sind oder ob man beliebig oft neue Begründungen finden kann. Ich denke, damit müssen wir langsam Schluss machen. Wir müssen sagen, was wir wollen, statt uns nur auf eine einmal getroffene Begründung zu berufen. Ich will dazu auch deutlich sagen - die Frage wird sich stellen, auch wenn es jetzt nicht unser Thema ist -: Wir wissen seit 2001, wie man einen Bündnisfall feststellt. Aber wir haben keine Regeln und Wege, wie man aus dem Bündnisfall herauskommt. Ich hätte mir gewünscht, Herr Westerwelle, dass Sie etwas dazu gesagt hätten, welche Aktivitäten die Bundesregierung innerhalb der NATO ergriffen hat, um auch diese Fragen zu klären, damit wir im Parlament darüber informiert sind. Bei uns überwiegen die Bedenken. Wir halten das Mandat in der Form, in der es beantragt wird, für überholt. Wir möchten festhalten, dass wir keine aktuelle Terrorgefahr oder terroristische Aktivitäten im Mittelmeerraum sehen. Wenn wir sagen, dass wir diese Gefahren nicht sehen, so wollen wir uns nicht dem Vorwurf aussetzen, bündnisuntreu zu werden. Ich glaube, wir zeigen jeden Tag, zum Beispiel mit unseren Entscheidungen zu UNIFIL und zu ISAF, deutlich, dass wir bündnistreu sind. Aber - das sage ich in Richtung der Regierung - wenn wir im Mittelmeer hätten etwas mehr Präsenz zeigen und Bündnistreue beweisen wollen, dann hätten wir das im Zusammenhang mit der Entscheidung zu Libyen tun können. Dann hätten wir jetzt eine andere Situation, über die wir sprechen könnten. Wir stimmen dem Antrag in der derzeitigen Fassung nicht zu, weil wir ihn nicht für zustimmungsfähig halten. Wir sind der Meinung, dass es sicherlich richtig und sinnvoll ist, weiterhin den Terrorismus zu bekämpfen und eine vernetzte Sicherheit herzustellen. Das sollte aber nicht auf dieser Rechtsgrundlage geschehen; wir sollten vielmehr darüber reden, wie ein solches Mandat aussehen kann. Dafür werden wir sicherlich passende Gesprächspartner sein. Es treibt uns schon die Sorge um, dass man nicht weiß, wann ein Bündnisfall, der vielleicht demnächst wieder eintritt, eigentlich beendet ist. Wir müssen dringend klären, wann ein Bündnisfall, der einmal eingetreten ist, beendet ist. Wir sind der Meinung, dass es sinnvoll wäre, dann das Gespräch weiterhin zu suchen. Es wäre auch gut, wenn es uns gelingen würde, gemeinsam ein tragfähiges, der aktuellen Lage entsprechendes Mandat zu formulieren. Aber ich habe den Eindruck, dass diese Chance möglicherweise erneut vertan wird, es sei denn, wir finden in den nächsten Beratungen eine Formulierung. Nachdem ich aber schon im letzten Jahr der Debatte gefolgt bin, habe ich die Befürchtung, dass wir auch in einem Jahr wieder an derselben Stelle stehen werden. Ich möchte noch einmal deutlich sagen: Die Beobachtung, die Überwachung und das Sammeln von Informationen im Mittelmeerraum sind etwas anderes als das Bekämpfen. Bündnissolidarität steht für uns zweifelsohne ganz oben an, aber sie hat - das ist unsere Position nichts mit dem Ursprung und der Grundlage dieses Mandats zu tun. Deshalb werden wir voraussichtlich, je nachdem wie die Beratungen ausgehen, diesem Mandat unsere Zustimmung nicht erteilen können. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Thomas Kossendey hat jetzt das Wort für die Bundesregierung. ({0})

Thomas Kossendey (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001188

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Operation Active Endeavour ist ein deutlich sichtbares Zeichen unserer Bündnissolidarität, insbesondere - auch das gilt noch nach zehn Jahren - gegenüber den Vereinigten Staaten. Sie ist die einzige Artikel-5-Operation der NATO, und sie dient der Abschreckung terroristischer Aktivitäten im Mittelmeerraum. Falls erforder17020 lich - deswegen bitten wir Sie um Zustimmung zu diesem Mandat -, kann das auch bedeuten, dass diese Aktivitäten terroristischer Art aktiv bekämpft werden müssen. Kollege Meßmer hat angedeutet, er sehe im Augenblick keine Gefahr im Mittelmeerraum. Lieber Kollege Meßmer, wenn Sie sich vor Augen führen, dass sich der nordafrikanische Raum von Ost bis West im Augenblick in einem fundamentalen Umbruch befindet und diese Länder selber im Mittelmeerraum nicht für Sicherheit sorgen können, dann müsste sich eigentlich bei Ihnen ein anderes Bild einstellen. ({0}) Für uns und für alle, die bei der Operation Active Endeavour mitmachen, sendet diese Aktion ein ganz wichtiges Signal der Entschlossenheit. Das wird auch durch die Resolution der Vereinten Nationen sehr deutlich, von der Außenminister Westerwelle gesprochen hat. Es sollte für uns ein Anlass zum Nachdenken sein, dass alle Bündnispartner in der NATO das genauso sehen. Wir werden unsere Politik deshalb weiterhin an dieser Linie ausrichten. Wir werden den Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch terroristische Aktivitäten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen Einhalt gebieten, und zwar im Wesentlichen nach wie vor präventiv. Darum geht es ja bei Active Endeavour. Diese Operation stützt sich auf das Maritime Kommando der NATO in Neapel. Deutsche Soldaten sind an diesem Kommando beteiligt. Die Operation Active Endeavour wirkt allein schon durch die maritime Präsenz im Mittelmeer und durch die Überwachung. Ich glaube, dass die Lagebilderstellung und die Kontrolle des Seeverkehrs ein ganz wichtiger Beitrag sind, wenn wir Terror präventiv bekämpfen wollen. Natürlich darf dabei, um abschreckend zu wirken, das exekutive Element nicht fehlen. Deswegen bleibt es ein integraler Bestandteil unseres Mandats. Aufklärung und Abschreckung sind das erste Ziel, ohne dass deswegen militärische Aktivitäten auszuschließen sind. ({1}) Wer schon einmal in Neapel zu Gast war, dem steht die Fortentwicklung dieses Mandats geradezu direkt vor Augen. Diese Operation wird zu einer netzwerkbasierten Seeraumüberwachung fortentwickelt. Das wollen wir dann im Rahmen einer ständigen NATO-Mission weiterführen. Ich glaube, darüber gibt es im Bündnis Konsens. Was wir allerdings brauchen, ist eine sehr präzise Ausarbeitung dieser Seeraumüberwachung. Was noch notwendiger ist: Wir brauchen die technischen Möglichkeiten dafür. Das wird in diesem und im nächsten Jahr so schnell nicht zu schaffen sein. Deswegen bitte ich Sie auch heute wieder, diesem Mandat zuzustimmen. Für Sie sollte auch ein Anlass zum Nachdenken sein, dass Russland und die Ukraine an dieser Aufgabe, an der Operation Active Endeavour, mitwirken. Das ist durchaus ein deutliches Signal dafür, dass wir damit auch für Länder jenseits der NATO Sicherheit schaffen. Ich nenne zum Beispiel Marokko als beteiligtes Land. Wir haben uns im letzten Jahr beteiligt und werden uns im nächsten Jahr beteiligen mit zwei Fregatten und einem U-Boot. Nach dem Ende der Operation Unified Protector beteiligen sich deutsche Soldatinnen und Soldaten auch wieder im Rahmen des Einsatzes der AWACS-Aufklärungsflugzeuge. Die Integration von Fregatten auf dem Weg zu weiter entfernten Einsatz- und Übungsgebieten im Rahmen der Operation Active Endeavour hat sich bewährt und ist letztendlich ein sinnvoller Umgang mit unseren knappen Ressourcen. Auch das sollten wir hier genügend respektieren. Wir werden also, was das Mandat angeht, den bisherigen vernünftigen, völkerrechtlich eindeutig legitimierten Ansatz konsequent fortführen. Das künftige Mandat ist im Wesentlichen unverändert, beinhaltet allerdings auch Anpassungen an die Lage. Kollege Meßmer, wenn Sie sich den Punkt „4. Auftrag“ einmal genau anschauen, werden Sie feststellen, dass wir im ersten und letzten Absatz durchaus Änderungen vorgenommen haben, die sinnvoll sind und schon deutlich darauf hinweisen, in welche Richtung dieses Mandat weiterentwickelt werden soll, damit wir es eines Tages in eine ständige NATO-Operation überführen können. Die Beteiligung an der Operation Active Endeavour unterstreicht unsere Bündnisfähigkeit. Die Operation hat nichts von ihrer Bedeutung verloren. Wir tun unseren Soldaten, die auf Schiffen und in Flugzeugen Dienst tun, einen Gefallen, wenn wir die Diskussion hier sachlich und sachgerecht führen und am Ende mit möglichst breiter Mehrheit zustimmen. Herzlichen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Paul Schäfer hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Jahre wieder: Zehn Jahre nach den Terroranschlägen von New York und Washington sollen für die Antiterrormission Active Endeavour 700 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Mittelmeer eingesetzt werden können. Der Einsatz von Gewalt ist gestattet - wozu, bleibt mehr als unklar. Ursprünglich sollten Al-Qaida-Terroristen Rückzugsmöglichkeiten versperrt werden und sollten Terroranschläge auf strategisch wichtige Transportschiffe unterbunden werden. Ernsthafte Belege, dass man mit dieser Mission tatsächliche Bedrohungen und Gefahren abgewendet hat oder abwenden könnte, gibt es keine. ({0}) Paul Schäfer ({1}) An der Antiterrormission Enduring Freedom beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland aus guten Gründen nicht mehr. Warum also sollten wir der Beteiligung an der Operation Active Endeavour zustimmen? Zu welchen gedanklichen Verrenkungen und Verbiegungen die Bundesregierung greifen muss, um dieses Mandat zu begründen, zeigt der vorliegende Antrag: Der Terrorangriff von New York dauere quasi bis heute an, da es ja immer wieder Anschläge gegeben habe. Entschuldigung, aber wie man mit den Marineeinheiten im Mittelmeer die Anschläge in London, Madrid oder Detroit hätte vereiteln können, das bleibt wirklich das exklusive Geheimnis dieser Bundesregierung. ({2}) Noch einmal: Es gibt keine militärische Bedrohung, gegen die sich der Marineeinsatz richten könnte. Die NATO sagt doch selbst, dass es bei Active Endeavour im Kern um etwas anderes geht: Ihr primäres Interesse gilt der Etablierung eines umfassenden Systems der Seeraumüberwachung. ({3}) Staatsminister Hoyer hat schon im letzten Jahr von einem innovativen Zentrum und einem Sicherheitsnetzwerk gesprochen. Das klingt harmlos, ist aber alles andere als harmlos. Es geht um eine machtpolitische Demonstration, um Machtausübung und um eine Anmaßung: Ohne Mandat der UNO, ohne Zustimmung der Anrainerstaaten will die NATO im gesamten Mittelmeerraum quasi dauerhaft polizeiliche Aufsichts- und Kontrollfunktionen ausüben. Man verspricht sich davon Vorteile wie die umfassende Kontrolle des Seehandels. Man will sich damit auch neue Optionen auf schnelle militärische Reaktionen auf unliebsame politische Entwicklungen in den Anrainerstaaten erschließen. Beim Libyen-Einsatz der NATO hat Active Endeavour nur in den Anfangstagen eine kleine Rolle gespielt. Das kann sich aber beim nächsten Anlass ändern. Im Antrag der Bundesregierung deutet man zumindest an, dass aus der passiven Überwachung großer Räume auch offensive militärische Handlungen werden können. In Ihrem Antrag ist von der „Unterstützung spezifischer Operationen der NATO … in Reaktion auf mögliche terroristische Aktivitäten im Mittelmeer“ die Rede. Das ist ein weites Feld. Damit lässt sich vieles rechtfertigen, ohne dass dieses Parlament es kontrollieren kann. Und einem solchen Mandat sollen wir zustimmen? Niemals! ({4}) Es scheint überhaupt gängige Praxis zu werden, gestützt auf Art. 5 des NATO-Vertrages allgemeine Ermächtigungen für Militäreinsätze aller Art zu erteilen. Beim jüngsten Besuch des Verteidigungsausschusses in Brüssel haben wir auch mit dem damaligen Direktor des Militärausschusses, Herrn Di Paola, gesprochen. - Ja, er ist der neue Verteidigungsminister Italiens. Auf meine Frage, wann denn die atlantische Allianz den Bündnisfall aufzuheben gedenke, hat er sich völlig erstaunt gezeigt und gesagt, das sei doch ein symbolischer Akt der Solidarität gewesen, und natürlich gelte diese Solidarität über den Tag hinaus. So gesehen stellt sich in der Tat die Frage nach der Aufhebung des Bündnisfalles ebenso wenig wie nach der Beendigung von Active Endeavour. Dann kann man diese militärischen Aktionen endlos weiterlaufen lassen und sie je nach Bedarf umfunktionieren. Genau das passiert hier. Dass damit de facto Kontroll- und Mitentscheidungsrechte des Parlaments ad absurdum geführt werden, ist Ihnen offensichtlich entgangen. ({5}) Die Perspektive wird nicht deutlich, sondern diffus formuliert. Man wird über die Bedrohung, gegen die sich der Einsatz richtet, im Unklaren gelassen. Das Ziel des Marineeinsatzes ist so umfassend und unspezifisch, dass alles und jedes einbezogen werden kann. Die Risiken, sich in andere Einsätze zu verstricken, deuten Sie nur an; Sie benennen sie aber nicht klar. Daher ist die Notwendigkeit einer deutschen Beteiligung an einer solchen Militärmission mitnichten gegeben. Wir können zu diesem Militäreinsatz nur Nein sagen. Danke. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Katja Keul hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, Sie legen uns ein Mandat für einen bewaffneten Einsatz von bis zu 700 Soldaten vor, um im Mittelmeer einen terroristischen Angriff auf die Bündnispartner abzuwehren. Als völkerrechtliche Grundlage für diesen Einsatz verweisen Sie auf das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht gegen die terroristischen Angriffe auf die USA vom 11. September 2001. Dieser Angriff, so heißt es im Mandat, dauere bis heute an. Ich will hier keine juristischen Ausführungen zur Definition und zur Unmittelbarkeit eines Angriffs oder zur Definition und zum Umfang des Selbstverteidigungsrechts machen. Aber zu behaupten, die terroristischen Angriffe auf die USA im Jahr 2001 dauerten bis heute an und man dürfe deshalb überall auf der Welt für unbegrenzte Zeit bewaffnete Einsätze ohne Mandat des Sicherheitsrates auf den Weg bringen, das haben wir Ihnen schon bei OEF nicht durchgehen lassen, und das machen wir auch bei Active Endeavour nicht mit. ({0}) Diesem Einsatz fehlt es an einer völkerrechtlichen Legitimation, was allein schon Grund genug wäre, das Mandat abzulehnen. Es gibt aber noch mehr gute Gründe. Der Einsatz der Bundeswehr im Mittelmeer steht weder in einem zeitlichen noch in einem geografischen noch in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Anschlag auf das World Trade Center. Der Auftrag lautet: aktive Bekämpfung möglicher terroristischer Aktivitäten im Mittelmeer. Was Sie hier seit zehn Jahren für möglich halten, hat es bislang allerdings nicht gegeben. Herr Kossendey, wenn Sie an dieser Stelle auf Nordafrika und die Demokratiebewegung verweisen, finde ich das eigentlich mehr als bedenklich. Brauchen wir einen bewaffneten Einsatz, um die Demokratiebewegung zu überwachen? Das kann doch wohl nicht sein. ({1}) Durch den Einsatz, so heißt es weiter, werde - angeblich - ein Beitrag zur maritimen Sicherheit geleistet. Nun wissen wir alle, dass wir in der Tat ein massives Problem mit der maritimen Sicherheit am Horn von Afrika haben. Deshalb befürwortet meine Fraktion ganz überwiegend den Atalanta-Einsatz der Marine zur Piratenbekämpfung. ({2}) Von Piraten im Mittelmeer war allerdings bislang noch nie die Rede, zumal es auch erstaunlich wäre, Piraten ausgerechnet mit einem U-Boot bekämpfen zu wollen. ({3}) Obwohl seit Beginn des Einsatzes keine Terroristen im Mittelmeer gefunden wurden, sieht der Operationsplan nach wie vor die Anwendung militärischer Gewalt zur Erfüllung des Auftrages vor. Wozu soll das gut sein? Um Lagebilder zu gewinnen oder auszutauschen, braucht es keinen bewaffneten Einsatz. ({4}) Als letzter Spiegelstrich steht bei den Aufgaben - Zitat -: Unterstützung spezifischer Operationen der NATO oder weiterer Partner in Reaktion auf mögliche terroristische Aktivitäten im Mittelmeer. Was für spezifische Operationen sollen das sein? Wenn Sie von uns ernsthaft eine Zustimmung erwarten, dann müssen Sie sich schon etwas genauer ausdrücken. Ich habe den Mandatstext immer wieder gelesen, auf der Suche nach dem tieferen Sinn dieses Antiterroreinsatzes, und habe schließlich in der Begründung tatsächlich noch etwas gefunden. Dort heißt es nämlich - Zitat -: Operation Active Endeavour bietet somit einen Ansatzpunkt zur Implementierung der aktuellen Maritimen Strategie der NATO … Das ist die einzig schlüssige Begründung, die der Text enthält. Aber leider ist sie nicht geeignet, einen bewaffneten Einsatz zu legitimieren. ({5}) Ich denke, es ist an der Zeit, dass Sie sich gegenüber den Bündnispartnern endlich offen dafür einsetzen, diesen Einsatz ebenso zu beenden, wie Sie auch OEF beendet haben. Sie haben übrigens schon wieder vergessen, die Mandatsobergrenze angemessen herabzusetzen. Im letzten Jahr schwankte die Zahl der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz zwischen 0 und 430. Wieso beantragen Sie trotz Beendigung von OEF nach wie vor unvermindert 700 Soldatinnen und Soldaten? Im Mandatstext berufen Sie sich auf die anhaltende Bedrohung des Weltfriedens. Sie können sicher sein, dass uns Grünen der Weltfrieden ganz besonders am Herzen liegt. ({6}) Um den Weltfrieden zu schützen, brauchen Sie aber andere, politische Lösungen. Mit einem zeitlich und geografisch unbegrenzten Antiterrorkrieg wird Ihnen das nicht gelingen, auch nicht mit U-Booten im Mittelmeer. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Philipp Mißfelder hat das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Hinweis auf den Weltfrieden haben Sie viel Zustimmung aus unseren Reihen ausgelöst. ({0}) Es schadet aber auch nicht, sich mit der Sache noch einmal zu beschäftigen; denn das, was Sie zum Thema Terrorismusbekämpfung gesagt haben, trifft nicht ganz zu. Natürlich, wenn man im Bündnis zu einer gemeinsamen Einschätzung kommt, ist das zeitlich nicht unbegrenzt; darüber brauchen wir hier gar nicht zu diskutieren. Wir nehmen eine Mandatierung vor. Wir erneuern ein Mandat. Es ist ja nicht so, dass wir das ohne Parlamentsbeteiligung oder am Parlament vorbei tun. Wir diskutieren das Ganze zu einer für parlamentarische Verhältnisse späten Stunde. Die Erneuerung dieses Mandats geschieht hier absolut transparent. Wir tauschen hier sachliche Argumente aus. Die Beurteilung im Bündnis selber ist nun einmal eine andere als die, die Sie gerade vorgenommen haben, auch indem Sie versucht haben, zu persiflieren, etwa durch den Hinweis auf die U-Boote. Wenn man den internationalen Terror als Bedrohung ernst nimmt, dann muss man tatsächlich bereit sein, sich auf bestimmte Szenarien einzulassen. Die NATO ist bereit, sich darauf einzulassen und sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Gerade vor dem Hintergrund der Umbrüche in der arabischen Welt ist überhaupt nicht auszuPhilipp Mißfelder schließen, dass der Ansporn für Terroristen an manchen Stellen zunehmen wird. Darauf reagiert die NATO adäquat und maßvoll, wie ich finde. Deshalb steht dieses Mandat zu Recht vor der Verlängerung. ({1}) Dieses Mandat ist völkerrechtlich legitimiert; daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Ich möchte auch an dieser Stelle den Soldatinnen und Soldaten danken. Die Obergrenze ist bewusst gewählt: 349 Frauen und Männer sind aktuell für Active Endeavour im Einsatz. Für den Fall, dass ein Schiff durch das Einsatzgebiet fährt - der Kollege Hardt hat das hier schon vor zwölf Monaten sehr plastisch geschildert -, gibt es unterschiedliche rechtliche Bewertungen, welche Reaktion darauf von diesem Mandat gedeckt ist. Die Mandatsobergrenze ist also bewusst so hoch gesetzt worden, um nämlich rechtlichen Problemen aus dem Weg zu gehen. Das ist hier schon im vergangenen Jahr deutlich gemacht worden. Damals gab es darüber einen Streit zwischen dem Kollegen Hardt und dem Kollegen Nouripour. Dennoch wollte ich das an dieser Stelle gerne noch einmal aufgreifen und Ihnen erklären; denn es schadet ja nicht, festzustellen: Was vor einem Jahr richtig war, ist nach wie vor gültig. ({2}) Es gibt für uns drei Gründe, das Mandat fortzusetzen: Der erste Grund ist die Sicherheit. Zweitens ist die Fortsetzung notwendig, um im Mittelmeerraum präsent zu sein, gerade weil wir in der Lageeinschätzung dazu kommen, dass wir nicht davon ausgehen können, dass die Sicherheit auf den Seewegen automatisch gegeben ist. Der dritte Grund - das ist ein wichtiges Argument, und wir haben es auch an anderer Stelle schon häufig bemüht - ist die Bündnissolidarität. Das ist kein Selbstzweck. Aber dort, wo es maßvoll und geboten ist und wo der Einsatz und die Kosten des Einsatzes in einem überschaubaren Verhältnis stehen, ist es richtig, den Wünschen der NATO-Partner nachzukommen, selbst wenn Sie persönlich hier zu einem anderen Urteil kommen. Wir sollten eine solche Frage nicht allein entscheiden. Es ist eine Frage der Teilhabe am Bündnis. Vor diesem Hintergrund werbe ich dafür, dass wir als Deutscher Bundestag eine solche Mission nicht einseitig für beendet erklären, wie Ihre Fraktionen es leider getan haben. Vielmehr müssen wir unserer Verantwortung im Bündnis gerecht werden. Bündnissolidarität bedeutet für uns eben auch, in Abstimmung mit den NATO-Partnern zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen und sie im Deutschen Bundestag gemeinsam zu vertreten. ({3}) Zur Erinnerung möchte ich sagen: Die Terrorgefahr ist überhaupt nicht gebannt. In den vergangenen zehn Jahren hat es fast jedes Jahr erhebliche Terrorbedrohungen gegeben, ob durch die Sauerland-Bomber, die Attentate in Madrid, den vereitelten Anschlag am Detroiter Flughafen oder den sogenannten Times-Square-Bomber. Das Phänomen des internationalen Terrorismus ist weltweit nicht gebannt. Wenn Sie hier sagen, im Mittelmeer sei noch nichts passiert, möchte ich darauf hinweisen, dass die Präsenz der NATO, auch wenn es sich nur um eine geringe Präsenz handelt, vielleicht ein Grund dafür ist, dass die Terroristen bei ihrer Einschätzung der Lage zu dem Ergebnis kommen, dass es sich nicht lohnt, dort aktiv zu werden oder Terroristenlinien aufzubauen. Die Terroristen wissen, dass die NATO an dieser Stelle robust durchgreifen könnte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Keul zulassen?

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, dass Sie um diese Uhrzeit noch Zwischenfragen zulassen. - Herr Kollege Mißfelder, wenn Anschläge in New York, Madrid oder sonst wo auf der Welt die bewaffnete Präsenz der NATO im Mittelmeer erfordern, heißt das dann in der logischen Konsequenz, dass diese Präsenz überall auf der Welt erforderlich ist? Wo sind die Grenzen des Einsatzes, wenn ein Anschlag in New York einen bewaffneten Einsatz im Mittelmeer rechtfertigt? Wo sehen Sie die Grenzen für eine solche Reaktion?

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das kann ich Ihnen erklären. Die Einschätzung der Lage liegt dem zugrunde. Darüber wird innerhalb der NATO natürlich diskutiert. Zu Ihrer Erinnerung: Die Anschläge, mit denen wir am 11. September 2001 konfrontiert worden sind, sind nicht in einem Vorort von New York konzipiert worden, sondern sie sind in Hamburg, in Pakistan, in Afghanistan und an ganz anderen Orten, von denen wir zum Teil gar nichts wissen, konzipiert worden. Wenn man weiß, dass irgendwo eine terroristische Bedrohung vorhanden sein könnte - die Einschätzung der Lage im Mittelmeerraum ist in der NATO weitestgehend unumstritten -, ({0}) schadet es nicht, Präsenz zu zeigen und auch robust aufzutreten. Ich möchte die Frage einmal andersherum beantworten. Sie müssen sich eines vor Augen führen: Sollte es tatsächlich hier in Deutschland oder anderswo in Europa zu einem Anschlag kommen und dabei jemand nachweislich über den Seeweg nach Europa gekommen sein, sollten terroristische Gruppierungen beispielsweise Seehandelswege im Mittelmeer einschränken und dort einen Anschlag vornehmen können, nur weil wir damit nicht gerechnet haben, dann - das sage ich Ihnen ganz klar bin ich nicht bereit, mich vor dem Hintergrund der heuti17024 gen Debatte hier hinzustellen und zu sagen: Meine Damen und Herren, wir haben es nicht gewusst; dieses Szenario war überhaupt nicht denkbar. In Wirklichkeit handelt es sich nämlich um ein durchaus denkbares Szenario. Auch wenn es bisher nicht eingetreten ist, ist man im Bündnis zu der Einschätzung gekommen, dass es eintreten kann. Deswegen werden wir unserer Bündnisverpflichtung an dieser Stelle gerecht werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie auch noch die Zwischenfrage von Herrn Nouripour zulassen?

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Ich möchte jetzt meinen Beitrag beenden und zum Schluss einfach um die Zustimmung zu diesem Mandat bitten, wenn wir hier darüber abstimmen werden. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/7743 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung. Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. November 2011, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.