Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich zu unserer Plenarsitzung.
Ich habe zunächst einige Mitteilungen zu machen:
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, unser Kollege Dr. Werner Hoyer, hat vor wenigen Tagen seinen
60. Geburtstag gefeiert. Dazu möchte ich ihm im Namen
des gesamten Hauses auch auf diesem Wege noch einmal herzlich gratulieren und alle guten Wünsche übermitteln.
({0})
Der Kollege Alexander Süßmair hat sein Schriftführeramt niedergelegt. Als neuen Schriftführer schlägt die
Fraktion Die Linke den Kollegen Thomas Lutze vor.
Sind Sie damit einverstanden? ({1})
Heftige Zustimmung aus den Reihen der Fraktion Die
Linke, wohlwollende Akzeptanz bei den anderen Fraktionen. Dann ist der Kollege hiermit gewählt.
Der Tagesordnungspunkt X f wird abgesetzt. Sind Sie
auch damit einverstanden? - Ja. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I auf:
Vereinbarte Debatte
Mordserie der Neonazi-Bande und die Arbeit
der Sicherheitsbehörden
Hierzu liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag
aller Fraktionen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
({2})
Im Namen des ganzen Hauses, aller Mitglieder des
Deutschen Bundestages will ich unsere Trauer, Betroffenheit und Bestürzung zum Ausdruck bringen über die
erschreckende Serie von Morden und Anschlägen einer
kriminellen neonazistischen Bande. Wir sind beschämt,
dass die Sicherheitsbehörden der Länder wie des Bundes
die über Jahre hinweg geplanten und ausgeführten Verbrechen weder rechtzeitig aufdecken noch verhindern
konnten. Den Angehörigen gelten unsere Anteilnahme
und eine besondere Bitte der Entschuldigung für manche
Verdächtigungen von Opfern und Angehörigen, die sie
während der Ermittlungen vor Ort erleben mussten.
Wir wissen um unsere Verantwortung. Wir sind fest
entschlossen, alles mit den Mitteln des Rechtsstaates
Mögliche zu tun, die Ereignisse und ihre Hintergründe
aufzuklären und sicherzustellen, dass der Schutz von
Leib und Leben und die von unserer Verfassung garantierten Grundrechte in diesem Land Geltung haben - für
jeden, der hier lebt, mit welcher Herkunft, mit welchem
Glauben und mit welcher Orientierung auch immer.
Ich danke Ihnen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesminister des Innern, Dr. Friedrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen mit Entsetzen und mit Trauer vor den täglich zahlreicher werdenden Erkenntnissen über die Mordserie einer terroristischen Bande. Sehr verehrter Herr Präsident, ich glaube,
Sie haben soeben sehr würdevoll das zum Ausdruck gebracht, was in uns allen vorgeht: unsere Gedanken, die
bei den Angehörigen sind, die damals ihren Schmerz
empfunden haben, der durch die Hintergründe, die jetzt
Stück für Stück zum Vorschein kommen, einmal mehr
verstärkt wird.
Meine Damen und Herren, was uns bleibt, ist das Versprechen, aufzuklären, das Versprechen, diejenigen, die
schuldig sind, und ihre Helfershelfer zu bestrafen, und
das Versprechen, den geistigen Sumpf, der diesen Untaten zugrunde liegt, mit aller Kraft auszutrocknen.
({0})
Diese Morde sind nicht nur Angriffe auf einzelne
Menschen, sondern ein Angriff auf unsere Gesellschaft,
auf unsere freiheitliche Ordnung, auf unsere Demokratie. Ich denke, wir müssen deutlich machen, dass die
Frage der Achtung der Würde des Menschen nicht nur
eine staatliche Aufgabe, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, vor der wir nun gemeinsam stehen. Für Extremismus, für politische Gewalt und für
Fremdenfeindlichkeit darf in unserem Land kein Platz
sein.
({1})
Meine Damen und Herren, 1998 sind drei Verdächtige, denen schon damals Gewalttaten angelastet wurden, spurlos verschwunden, und sie sind verschwunden
geblieben. Momentan wird in Thüringen von einem Sonderermittler unter Federführung des dortigen Innenministers mit aller Kraft daran gearbeitet, die Hintergründe, die Umstände und die Zusammenhänge dieser
Tatsachen aufzuklären. Die Aufklärung der Verbrechen
dieser Mordserie war schwierig. Sie war deswegen
schwierig, weil es zu keiner Zeit ein Bekenntnis zu diesen Taten gab. Das mag eine Erklärung sein; aber ich
gebe zu: Befriedigend ist diese Erklärung nicht, und sie
ist keine Entschuldigung. Deswegen müssen wir ein
Stück tiefergehen und weiterfragen.
Das Bundeskriminalamt hat am 11. November im
Auftrag des Generalbundesanwaltes seine Arbeit mit einer Sondereinheit von 170 Mann begonnen. Inzwischen
arbeiten insgesamt über 400 Polizeikräfte des Bundes
und der Länder an dem Fall, man muss sagen: an den
Fällen. Denn es ist eine ganze Serie von Fällen, die auch
auf der DVD, die die Täter angefertigt haben oder haben
anfertigen lassen, im Einzelnen aufgelistet ist.
Die Ermittlungen bewegen sich in zwei Strängen:
Der eine Strang umfasst die polizeilichen Ermittlungen des Bundeskriminalamts im Auftrag des Generalbundesanwaltes und der Landeskriminalämter; die Polizeien des Bundes und der Länder arbeiten zusammen.
Der zweite Strang umfasst den Verfassungsschutz. Im
Bereich des Bundes ist das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig. Wir haben bereits am Sonntag vor einer Woche eine Arbeitsgruppe konzipiert - wir haben sie
am Montag eingesetzt -, die zunächst einmal in alle
noch vorhandenen Akten über den Zeitraum Einblick
nimmt, in dem die Morde stattgefunden haben: 1996,
1997 und 1998 sowie die Folgezeit. Die Verfassungsschutzämter der Länder unterstehen der dortigen Kontrolle durch die Länder. Aber sie arbeiten eng mit dem
Bundesverfassungsschutz zusammen und tauschen jetzt
ihre Informationen und die aktuellen Erkenntnisse aus,
die jeweils zutage treten. Ich denke, dass wir sowohl
über das Bundesamt für Verfassungsschutz wie auch
über die Polizeiermittlungsbehörden der Länder rasch
ein Gesamtbild bekommen werden. Der Generalbundesanwalt, dem ich an dieser Stelle ganz herzlich für seine
Arbeit danken möchte - er hat in seiner neuen Funktion
gerade erst begonnen -, ist bereits ein gutes Stück vorangekommen.
Meine Damen und Herren, am Ende, wenn wir alle
Erkenntnisse haben, werden wir über Konsequenzen reden können. Aber wir sollten nicht zögern, schon die
Defizite und die Mängel, die jetzt erkennbar sind, abzustellen und sofort zu handeln. Frau LeutheusserSchnarrenberger und ich hatten deswegen für vergangenen Freitag die Innen- und Justizminister von Bund und
Ländern nach Berlin eingeladen. Wir haben über die ersten Maßnahmen bzw. über die ersten Neuregelungen organisatorischer und gesetzlicher Art beraten, die wir uns
vorstellen können und die wir einleiten wollen.
Erstens. Folgendes war und ist, glaube ich, Konsens
zwischen allen: Wir brauchen eine bessere Verzahnung
von Polizei und Verfassungsschutz. Wir brauchen aber
auch eine bessere Verzahnung zwischen der Ebene Bund
auf der einen Seite und der Ebene Länder auf der anderen Seite. Wir haben so etwas vor zehn Jahren im Bereich des islamistischen Terrors eingerichtet. Seit dieser
Zeit gibt es eine Verbunddatei, in welche die unterschiedlichen Behörden, die unterschiedliche Aufgaben
und Rechtsgrundlagen haben, ihre Informationen, die
auch für die anderen relevant sind, einspeisen können.
Diese Verbunddatei hat sich bewährt. Wir planen, etwas
Ähnliches im Bereich des rechtsextremistischen Terrors
auf den Weg zu bringen, wobei wir wissen, dass es Modifizierungen geben muss; beispielsweise gibt es keine
internationalen Bezüge. Darüber hinaus müssen wir etwas weiter greifen als bis zum Terrorismus: Wir müssen
bereits den Extremismus erfassen. Noch in dieser Woche
wird eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern darangehen, die Einzelheiten, wie diese Verbunddatei ausgestaltet werden soll, zu klären.
Zweitens. Wir haben, was den Bereich des terroristischen Islam angeht, ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum gegründet, in dem alle Behörden aus Bund und
Ländern ihre Erkenntnisse einspeisen und in dem laufend ein Erkenntnisbild der Terrorsituation und der Bedrohung erstellt wird. Das Gleiche - ähnlich wie das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum - wollen wir auch
in Bezug auf den Rechtsextremismus etablieren. Ein solches Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus soll
schon bald seine Arbeit aufnehmen, in der Hoffnung,
dass sich alle Länder daran beteiligen werden.
Drittens. Das Gesetz unterscheidet heute bei der
Frage, welche Informationen über Extremisten gespeichert werden dürfen, zwischen gewaltbereiten und gewaltfreien Extremisten. Ich halte diese Unterscheidung
für anachronistisch. Denn wir stellen fest, dass der Übergang zwischen Gewalt und gewaltfrei, gewaltfrei und
Gewalt fließend ist. Wir müssen deswegen dafür sorgen,
dass auch diese Unterscheidung aufgehoben wird und
wir ein Lagebild aller Extremisten erstellen können.
Viertens. Es liegt in der Hand der Innenminister der
Länder, auch für den Bereich des Rechtsextremismus
das zu tun, was man vor zehn Jahren im Hinblick auf den
islamistischen Bereich getan hat, nämlich die Federführung in Angelegenheiten des BundesverfassungsschutBundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
zes eindeutig und klar dem Verfassungsschutz des Bundes zuzuordnen, das heißt, die Länder zu verpflichten,
den Behörden des Bundes Erkenntnisse ihrer Verfassungsschutzbehörden ungefiltert und unbewertet, sozusagen in Rohform, zu liefern. Ich halte das für zentral
und wichtig. Wir werden das im Kreis der Innenminister
der Länder besprechen, wenn die Innenministerkonferenz übernächste Woche ihre Arbeit aufnimmt.
In diesem Zusammenhang ist einmal mehr die Rede
von einem NPD-Verbotsverfahren. Ich denke, wir sollten
diesen Aspekt jetzt nicht in den Mittelpunkt rücken. Jetzt
geht es vielmehr darum, die Konsequenzen zu ziehen.
Gleichwohl wird sich die Diskussion über ein solches
NPD-Verbotsverfahren nicht vermeiden lassen.
({2})
Ich selber habe keine Zweifel, dass es sich bei der NPD
um eine verfassungsfeindliche Partei handelt. Die Frage
lautet: Ist es sinnvoll, eine solche Partei zu verbieten?
Hat man mit einem Verbot bereits den geistigen Sumpf,
der dort herrscht, ausgerottet? Nein, natürlich nicht.
Dennoch glaube ich, dass ein Verbotsverfahren oder ein
Verbot, wenn es denn erreichbar wäre, sinnvoll ist, weil
man damit zumindest schon einmal verhindert hätte,
dass eine solche Partei auch noch aus dem Bereich der
Parteienfinanzierung unterstützt wird.
({3})
Gleichwohl ist es nicht einfach, ein solches Verbotsverfahren erfolgreich durchzuführen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat uns 2003 Hinweise gegeben, welche Qualität verwertbarer Beweise es erwartet. Es hat
klipp und klar gesagt: Ihr müsst die Quellen, die ihr zumindest in den Führungsbereichen dieser Partei habt, abschalten. - Das ist mit einem Risiko verbunden. Ich
möchte in diesem Zusammenhang sagen, dass wir das
Thema V-Leute zwar diskutieren müssen, dass ich die
V-Leute aber grundsätzlich für ein wichtiges und unverzichtbares Frühwarnsystem in der Szene halte.
({4})
Wir sehen, dass es notwendig ist, entsprechende Informationen aus den verschiedenen Organisationen zu bekommen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass seit 1990 über
30 rechtsextremistische Organisationen verboten worden
sind. Diese Verbote waren möglich, weil man Informationen und verwertbare Beweise hatte. Ich glaube, dass
die V-Leute da eine wichtige Rolle spielen. Dennoch
wird man im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsverfahren unter Abwägung von Risiko und Nutzen prüfen
müssen, ob man ein solches Verbotsverfahren durchführen kann, und zwar mit Erfolg; denn darauf wird es ankommen. Wir werden das im Kreise der Innenminister
von Bund und Ländern beraten. Eine Arbeitsgruppe ist
bereits eingesetzt und wird ihre Arbeit unverzüglich aufnehmen.
Meine Damen und Herren, am Ende ist wichtig - das
muss das Signal von Bundestag und Bundesregierung
gleichermaßen sein -, dass wir, Gesellschaft, Politik, Sicherheitsbehörden, uns im 21. Jahrhundert gemeinsam
den Problemen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt in unserem Land - all dies muss ein für
allemal geächtet werden - widmen und dass wir das mit
Entschlossenheit nach draußen tragen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort erhält nun der Kollege Frank-Walter
Steinmeier für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident, ich danke Ihnen für die Erklärung zu
Beginn dieser Debatte, die diesem Parlament wirklich
würdig war. Herzlichen Dank!
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Fassungslos stehen wir vor den Taten junger Deutscher,
die offenbar über Jahre hinweg mit bestialischem Eifer
gemordet haben, das gemordet haben, was aus ihrer
Sicht nicht deutsch oder nicht lebenswert war. Entsetzt
stellen wir fest, dass der alte Geist von Rassismus und
Fremdenhass erneut viele Opfer in diesem Lande gekostet hat. Mir fällt es schwer, zu glauben, dass eine Mordbande von Neonazis über Jahre hinweg durch Deutschland reist, planmäßig Menschen geradezu hinrichtet und
dass sie bei all dem nicht einmal unerkannt, aber wahrscheinlich über zehn Jahre hinweg unbehelligt blieb. Das
kann man - das sage ich Ihnen offen - kaum ertragen,
und das erfüllt einen mit Trauer und mit Scham.
({1})
Fassungslosigkeit, Entsetzen, Scham - das sind die
Worte, nach denen vermutlich wir alle in den letzten Tagen gesucht haben, um Ausdruck für das Unglaubliche
zu finden. Ich sage Ihnen: Bei mir kommt noch eines
hinzu, und das ist vor allen Dingen Wut. Wut kommt
hinzu, wenn ich sehe, dass über diese beispiellose Serie
brutalster Verbrechen bei uns über Tage hinweg - eigentlich bis heute - unter der Überschrift „Döner-Morde“ berichtet wird.
({2})
Sprache ist oft verräterisch. Ich habe mich in den letzten Tagen wirklich häufiger gefragt: Was soll das eigentlich heißen, Döner-Morde? Heißt das, das hat nichts mit
uns zu tun, das ist irgendwie Milieu? Mafia? Drogenumfeld? Irgendetwas, das nicht in der Mitte der Gesellschaft stattfindet, sondern vor den Toren der Stadt? Nein,
meine Damen und Herren, da sind Menschen in hass16760
erfülltem Nationalismus hingerichtet worden, Menschen, die unter uns, mit uns lebten, die zu uns gehörten.
Das festzustellen, gehört an den Anfang, bevor die Aufklärung wirklich beginnt.
({3})
Mehr noch: Diese Truppe von Neonazis hat brutal
Menschenleben ausgelöscht. Uns muss darüber hinaus
aber eines klar sein: Wenn das über Jahre hinweg geschieht - ganz offenbar systematisch -, dann ist das noch
mehr als ein Angriff auf Einzelne, auf Ausländer oder
auf Menschen, die irgendwie anders waren. Das ist ein
Angriff auf die Art und Weise, wie wir in diesem Lande
zusammenleben. Das ist ein Angriff auf uns alle, auf das
demokratische Gemeinwesen selbst!
({4})
Ich bin nicht, wie viele in diesem Hohen Hause, überrascht davon, dass es Rechtsextremismus in diesem
Lande gibt. Ich bin, wie viele in diesem Hause, ständig
gefragt, bei Auftritten in Schulen, an Gedenkstätten, bei
Veranstaltungen zu reden gegen die rechte Gefahr. Ich
bin in der Tat überrascht - ich sollte sagen: es sprengt
alle meine Vorstellungen -, wozu Neonazis in diesem
Lande fähig sind, ohne dass Sicherheitsbehörden das
mitbekommen oder einschreiten. Es ist Aufgabe des
Staates - darüber streiten wir hier nicht -, dafür zu sorgen, dass Bürger in Sicherheit leben können. In zentralen
Funktionen hat unser Staat auf beschämende Art und
Weise versagt, und das muss Konsequenzen haben.
({5})
Wenn jetzt überall nach dem Aufstand der Anständigen gerufen wird, dann sage ich: Wir brauchen erst einmal den Anstand der Zuständigen, und davon kann doch
keine Rede sein.
({6})
Davon kann doch keine Rede sein, wenn wir hören, dass
in der Vergangenheit ganz offensichtlich diejenigen oder
Einzelne von denen, die man bekämpfen wollte, zunächst einmal massenhaft mit Geld ausgestattet worden
sind: allein 200 000 D-Mark für einen der gefährlichsten
Neonazis im Osten. Das ist kein Anstand, meine Damen
und Herren, auch nicht der Zuständigen. Das ist ein
Skandal, und da brauchen wir lückenlose Aufklärung im Interesse aller hier im Hause.
({7})
Aber es ist ja nicht nur das. Wenn nur die Hälfte von
dem wahr ist, was wir in den letzten Tagen gelesen haben, dann ist der Verfassungsschutz in diesem Land in
einer schweren Glaubwürdigkeitskrise. Es ist ein ungeheuerlicher Verdacht, dass einzelne Ämter nicht nur
nichts gesehen haben, sondern dass V-Leute bei Anschlägen offenbar auch noch dabei gewesen sind oder
die Stätten erst kurz vorher verlassen haben, dass Verhaftungen, die geplant waren, die vorbereitet worden
waren, offenbar später abgebrochen worden sind.
Das Warum steht im Raum. Es hängt viel von der
Antwort auf dieses Warum ab. Die notwendige Aufklärung, die dazu stattfinden muss, darf nicht nur hinter verschlossenen Türen stattfinden. Wenn wir uns von diesem
Schock, der uns alle ergriffen hat, erholen wollen, dann
brauchen wir eine öffentliche Art der Aufklärung. Die
Bürger müssen miterleben können, sich überzeugen können, dass Staat und Politik die ganze Wahrheit wirklich
schonungslos ans Licht bringen. Das ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass wir Glaubwürdigkeit
zurückgewinnen.
({8})
Aufklärung ist notwendig. Aber es geht nicht nur um
Aufklärung, es muss auch Schluss sein mit der Verharmlosung rechtsextremer Gewalt.
({9})
Sie haben das alle gelesen: Annähernd 140 Opfer soll es
seit 1990 gegeben haben. Trotzdem blieb die Grundphilosophie der Sicherheitsbehörden ganz offenbar: Es gibt
keinen organisierten gewalttätigen Rechtsterrorismus in
diesem Lande. Das war die Überschrift, unter der dann
vieles eingeordnet wurde.
Wenn Sie einmal auf die Ermittlungen in der Vergangenheit schauen: Es sind - egal was geschehen ist - immer Einzeltäter, es sind Verirrte, oder es sind Waffennarren. Dies galt, sofern solche Zuordnungen überhaupt
stattgefunden haben. Selbst brutalste Körperverletzungen tauchen in den Statistiken nicht als rechte Gewalt
auf, sondern sie werden schlicht dem kriminellen Milieu
zugerechnet, selbst wenn man bei den Tätern zu Hause
massenhaft rechtsextremes Propagandamaterial gefunden hat. Es durfte nicht sein, was nicht sein konnte. Deshalb wurden die Augen verschlossen, und deshalb wurde
das Ausmaß rechtsextremer Gewalt kleingeredet. Dieser
Verdacht drängt sich auf, und damit muss Schluss sein.
({10})
Stattdessen hätten sämtliche Horden von V-Leuten
doch berichten können, wie missliche Personen gezielt
eingeschüchtert werden, wie sie Jugendliche verführen,
wie sie sich in manchen Regionen inzwischen als Ordnungsmacht aufspielen. Diese braune Brut hat doch
überall dort Chancen, wo sich staatliche Strukturen zurückziehen, wo sie ausfallen, wo Kommunen ausbluten,
wo es kein Gegengewicht mehr gibt. Nazis haben überall
dort eine Chance, wo man sie gewähren lässt. Wir dürfen
sie nicht gewähren lassen.
({11})
Das muss aufhören.
Herr Friedrich, ich bin Ihnen deshalb dankbar, dass
Sie hier eine - zwar, wie ich finde, zu vorsichtige, aber
immerhin vollzogene - Öffnung hin zu einem NPD-Verbot angedeutet haben. Wir müssen das überdenken, auch
mit Blick auf das Verfassungsgerichtsurteil. Das bedeutet zunächst einmal, dass wir alle Hindernisse beseitigen
müssen, die aus unserer Sicht gegen eine Wiederholung
des Verbotsverfahrens bestehen. Deshalb müssen die
V-Leute, die dort im Übermaß vorhanden sind, abgeschaltet werden. Das ist der erste Schritt.
({12})
Zweitens. Ich habe in diesen Tagen versucht, meinen
eigenen Blick in Richtung dieser rechten Szene zu schärfen. Wenn man sich die Biografien der Haupttäter ansieht, dann drängt sich doch die Einsicht auf: Die Trennung, die wir in der Vergangenheit fehlerhaft gemacht
haben, die sich auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zieht, nämlich hier die ordentliche NPD auf der einen Seite und dort der gewaltbereite
Rechtsextremismus auf der anderen Seite, war offensichtlich immer eine Schimäre. Da gibt es ein ganz eng
persönlich verflochtenes Netzwerk: auf der einen Seite
die Nazis in Bügelfalten, die an den Wahlen teilnehmen,
in Parlamente einziehen, über die Parteienfinanzierung
Geld ins rechte Lager holen, und auf der anderen Seite
der rechtsextreme Untergrund. Es ist aber ein und dasselbe Lager! Das gehört alles zusammen. Das muss die
Sichtweise sein, mit der wir das Verbotsverfahren vorbereiten.
({13})
Ich sage - das habe ich, Herr Kauder, bereits heute
Morgen in der Besprechung über die gemeinsame Entschließung getan -: Wir sind auch mit Blick über die
deutschen Grenzen hinweg gut beraten, die Mittel, die
uns gegen rechten Terror und rechte Gewalt zur Verfügung stehen, tatsächlich auszuschöpfen. Wenn wir jetzt
darüber hinweggehen und über das NPD-Verbot überhaupt nicht mehr diskutieren, dann bleiben viele Irritationen, auch bei unseren Freunden im Ausland.
Besonders aufmerksam werden wir in den nächsten
Tagen und Wochen - das will ich Ihnen auch sagen - auf
das Haus von Frau Ministerin Schröder schauen.
({14})
Frau Schröder, es ist ja noch nicht so lange her - ich
habe das in guter Erinnerung -, da haben Sie vor allen
Dingen im Fernsehen über Rassismus gegen Deutsche
gesprochen. Sie waren es, die die jungen Leute, die mit
viel Mut - schauen Sie einmal nach Mecklenburg-Vorpommern und in einige andere Regionen, wo das wirklich schwierig geworden ist - und teilweise auch unter
Eingehung eigener Gefahren für Leib und Leben gegen
die rechtsextreme Gewalt, gegen die rechtsextreme Propaganda einstehen, unter linksextremen Generalverdacht
gestellt haben. Dies wiederholen Sie heute in den Zeitungen.
({15})
Ich finde, es ist der Demokratie nicht würdig, all diejenigen, die das tun, die diesen Mut aufbringen, einem
Gesinnungs-TÜV zu unterziehen. Dieses Vorgehen ist
falsch - das ist das Entscheidende -, weil man so tut, als
hätten wir beides in gleicher Art und Weise: auf der einen Seite Rechtsextremismus, gewalttätig und in den
Parlamenten, und auf der anderen Seite Linksextremismus. Es gibt keine linksextremen Schlägertrupps in diesem Lande, die ganze Regionen terrorisieren.
({16})
Lesen Sie doch die Berichte des Verfassungsschutzes,
die unter Ihrer Regierung entstanden sind.
({17})
Es gibt sie nicht, die linksextremen Schlägertrupps, die
ganze Regionen terrorisieren, die mit dieser Haltung in
Parlamente einziehen. Das, was Sie miteinander vergleichen wollen, ist nicht vergleichbar.
({18})
Ich sage Ihnen: Wer das schlicht und einfach ignoriert, wer trotz der Unterschiede, Frau Schröder, auf
Äquidistanz bei Links und Rechts schaut, wer nicht beachtet, dass wir 140 Opfer rechtsextremer Gewalt seit
1990 haben, der - ({19})
- Lesen Sie es noch einmal nach! Es stand gestern in der
SZ - Äquidistanz kann auch Verharmlosung sein, meine
Damen und Herren!
({20})
Deshalb: Wenn Sie, wie wir, daran interessiert sind, dass
in diesem Land nicht nur Aufklärung stattfindet, sondern
dass zivilgesellschaftliche Gruppen auch weiterhin ermutigt werden, gegen rechte Parteien und Gruppierungen anzutreten, dann nehmen Sie - und erklären Sie das
hier im Parlament! - die Kürzungen der Mittel für zivilgesellschaftliche Gruppen zurück, und hören Sie auf mit
den Gängelungen. Ermutigen Sie die Leute!
({21})
Bei allen Unterschieden, die wir in der Sichtweise haben werden: Sorgen wir dafür, dass in diesem Land
({22})
Fremdenhass und Rassismus, ganz gleich, ob er mit Bügelfalten oder Springerstiefeln daherkommt, nie wieder
eine Chance haben und dass wir diesen braunen Sumpf
in diesem Lande endlich austrocknen! Es ist Zeit dafür.
({23})
Das Wort erhält nun die Bundesministerin der Justiz,
Frau Leutheusser-Schnarrenberger.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist die Stunde der Demokraten,
die Stunde der Verteidiger des demokratisch verfassten
Rechtsstaats und die Stunde der Verteidiger der Unantastbarkeit der Menschenwürde. Unsere Aufmerksamkeit und unser Einsatz und unser Bewusstsein richten
sich gegen alle Gefahren unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung, egal aus welcher Ecke der Gesellschaft diese Gefahren kommen.
({0})
Wir müssen immer dann aufmerksam und wachsam
sein, wenn sich extremistisches, fremdenfeindliches, antisemitisches, aber auch grundsätzlich ideologisch aufgeladenes Denken gegen die Werte, die wir in unserer
Verfassung verankert haben, in Deutschland - in unterschiedlichen Strukturen, mit unterschiedlichen Hintergründen - breitmacht. Ich glaube, es bringt uns nicht
weiter, Gefährdungen und Entwicklungen gegeneinander auszuspielen.
({1})
Es geht darum, einen sehr klaren Blick auf die sich jetzt
immer deutlicher abzeichnende Situation, dass wir auch
rechtsextremistische Netzwerke, Strukturen, Organisationen in Deutschland haben, zu richten. Auf keinem
Auge sind wir blind, meine Damen und Herren, und wir
dürfen es auch nicht sein.
({2})
Das heißt, es wird keine Gefahr verharmlost.
Wir werden aber den Blick genau auf die Frage richten: Wie sind denn die rechtsextremistisch begründeten
Strukturen in Deutschland? Lassen Sie mich an dieser
Stelle Arthur Schopenhauer zitieren:
Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir
tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos
hinnehmen.
Wir nehmen nicht hin, weder die Bundesregierung noch
die sie tragenden Fraktionen, dass sich Strukturen und
Gedankengut so breitmachen und ausprägen können,
dass es zu Verletzungen von Bürgerinnen und Bürgern
anderer Herkunft, anderen Glaubens, anderer Ethnie
kommt. Deshalb sind wir uns darin einig, dass es als Erstes eine wirklich umfassende und schonungslose Analyse und Aufklärung, auch eine Analyse von Fehlern,
Defiziten und Versäumnissen, geben muss.
Wir reden hier immer auch über die Sicherheitsstrukturen in Bund und Ländern. Es wäre sehr schön, wenn
wir diesen Dialog nicht nur, wie letzten Freitag, auf gemeinsamen Konferenzen führen könnten. Ich hätte mir
gewünscht, wir hätten ihn auch hier und heute mit Vertretern des Bundesrates führen können.
({3})
Meine Damen und Herren, wir müssen den Blick auf
die Frage lenken: Sind die Strukturen des islamistischen
Terrorismus, den wir erleben mussten - er hatte ja fürchterliche Auswirkungen -, mit denen des Rechtsextremismus vergleichbar? Ich glaube, wir müssen auch auf die
Unterschiede achten. Rechtsextremismus ist in Deutschland regional unterschiedlich verortet. Es gibt NeonaziTruppen, es gibt Kameradschaften, es gibt die NPD, es
gibt andere Organisationen - also in dieser Form eine
ganz andere Strukturierung und Verortung in unserer Gesellschaft, als es bei dem mehr international ausgerichteten islamistischen Terrorismus - natürlich auch mit Auswirkungen und Gefährdungen in Deutschland - der Fall
ist. Das muss bei der Suche nach Antworten auf die
Frage: „Wie können nach schonungsloser Analyse Defizite und Schwächen beseitigt werden?“, mitberücksichtigt werden.
Ich glaube nicht, dass man einfach eine Eins-zu-einsBlaupause anlegen darf, dass alles, was beim Vorgehen
gegen islamistischen Terrorismus wichtig war, auch auf
andersgeartete Strukturen, verbunden mit Rechtsextremismus in Deutschland, passt.
({4})
Deshalb werden wir, die Innenminister und die Justizminister von Bund und Ländern, sehr sorgfältig überlegen, wie die richtigen Antworten lauten.
({5})
Ohne Zeitverzögerung und mit Nachdruck werden
wir überlegen: Warum hat es Informationsdefizite - das
ist ja unstreitig - gegeben, innerhalb des Verfassungsschutzverbundes von Bund und Ländern, aber auch zwischen Polizei und Verfassungsschutz auf den unterschiedlichen Ebenen, obwohl doch im Gesetz festgelegt
ist, dass eine Verpflichtung zur Information besteht,
wenn es beim Verfassungsschutz entsprechende Anhaltspunkte für die Strafverfolgung gibt? Aus dieser Analyse
und aus dieser Bewertung werden dann die richtigen
Konsequenzen gezogen. Wir alle sind uns doch einig,
dass das natürlich immer nur unter Beachtung des Trennungsgebotes erfolgen und geschehen kann. Das verhindert nicht besseren Informationsaustausch, beinhaltet
aber ein ganz klares Nein zu gemeinsamen operativen
Aktionen von Polizei auf der einen Seite und Verfassungsschutz auf der anderen Seite.
Herr Steinmeier, Sie haben das NPD-Verbotsverfahren angesprochen. In Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz steht,
dass eine Partei nur vom Bundesverfassungsgericht für
verfassungswidrig erklärt werden kann. Wir sind uns einig, dass eines auf keinen Fall wieder passieren darf:
dass erneut ein Verfahren so wie das damalige, das ja
von Bund, Ländern und Bundesregierung in gemeinsamen Anträgen eingeleitet wurde, beim Bundesverfassungsgericht wegen Verfahrenshindernissen scheitert.
Wir dürfen auf keinen Fall ein Verfahren einleiten, das
nicht ausreichende Aussicht auf Erfolg hat.
({6})
Wenn die Analyse besagt: „Wir haben heute Verfahrenshindernisse, wie sie auch damals bestanden, mit
Strukturen von V-Leuten in verschiedenen Führungsebenen“, dann, glaube ich, müssen wir uns unserer Verantwortung stellen und sagen: Wir können den grundlegenden Schritt der Einleitung eines Verbotsverfahrens nur
dann gehen, wenn diese Verfahrenshindernisse beseitigt
werden. Wenn es Gründe dafür gibt, das nicht zu tun,
dann muss auch über diese gesprochen werden; denn wir
werden nicht sehenden Auges in ein Verfahren gehen,
das nicht wirklich die Aussicht auf Erfolg hat, die nötig
ist.
({7})
Sonst würde es ja ein zweites Mal zu einer Niederlage all
derjenigen kommen, die aus tiefer Überzeugung gegen
nationalsozialistisches Gedankengut und entsprechend
verfestigte Strukturen vorgehen.
({8})
Herr Präsident, lassen Sie mich ein letztes kurzes
Wort zu der kleinen Geste sagen, die wir versuchen zu
geben. Im Bundeshaushalt gibt es im Einzelplan 07, in
meinem Haushalt, einen Titel - bei jeder Haushaltberatung beraten wir mit den Haushältern immer sehr intensiv darüber - für die Entschädigung von Opfern extremistischer Gewalt, egal aus welcher Richtung diese
extremistische Gewalt kommt. Aus diesem Titel sind in
der Vergangenheit nur wenig Gelder abgeflossen, weil es
so gut wie keine Anträge gab.
({9})
Ich glaube, das Mindeste, was wir jetzt tun müssen,
ist, mit diesem Titel, für den 1 Million Euro zur Verfügung stehen, wie es die Haushälter bei der letzten Haushaltsaufstellung für 2011 festgelegt haben, alles zu tun,
um auf diese Art und Weise unbürokratisch - so ist dieser Titel angelegt - ein kleines Zeichen zu setzen und
den Opfern und ihren Angehörigen eine Entschädigung
zu geben. Dafür haben Sie den Titel geschaffen.
({10})
Frau Ministerin, lassen Sie dazu eine Zwischenbemerkung oder -frage des Kollegen Beck zu?
Halten Sie es für möglich, dass insbesondere bei den
Haushaltstiteln, die Frau Schröder zu verantworten hat,
der Mittelabfluss deshalb nicht funktioniert, weil hier
mit der Extremismusklausel, mit der Pflicht zur Beantragung über die Kommunen und mit dem Zwang zur Kofinanzierung Hindernisse aufgebaut wurden? Wir wissen
ja einerseits, dass sich die Leute diesen Generalverdacht
nicht gefallen lassen wollen, und andererseits, dass es
bei den kommunalen Entscheidungsträgern in den Kommunen, in denen diese Initiativen besonders notwendig
sind, manchmal nicht das Bewusstsein gibt, dass sie diesen Antrag befördern und vielleicht auch die Kofinanzierung zur Verfügung stellen müssen.
Dieser Titel ist nicht so angelegt, dass eine Unterstützung durch Organisationen und Initiativen notwendig
ist, sondern wir konzentrieren uns damit ganz bewusst
- das wurde gemeinsam hier im Hause beschlossen - auf
die Opfer extremistischer Gewalttaten und deren Angehörige.
({0})
Deshalb hat dieser Haushaltsansatz nichts mit Organisationen, einer finanziellen Unterstützung oder einer entsprechenden Zusammenarbeit zu tun.
({1})
Frau Ministerin, darf die Kollegin Hendricks noch
eine ergänzende Frage stellen?
Frau Ministerin, sehen Sie hier einen Zusammenhang
zu dem Sachverhalt, dass die Behörden bisher 47 Mordopfer durch rechtsextremistische Gewalttaten annehmen,
während Zählungen aus der Zivilgesellschaft auf bis zu
180 Opfer kommen? Könnte es nicht sein, dass die geringe Inanspruchnahme dieses Titels daran liegt, dass die
Nichtanerkennung, Opfer einer extremistischen Gewalttat gewesen zu sein, unmittelbar dazu führt, dass Angehörige keinen Antrag auf Opferentschädigung stellen
können?
({0})
Es gibt unaufgeklärte Gewaltverbrechen. Die zuständigen Ermittlungsbehörden nehmen sich jetzt ja alle
Fälle, bei denen man meint, sie mit einem rechtsextremistischen Hintergrund irgendwie in Verbindung bringen zu können, noch einmal vor und untersuchen sie erneut.
({0})
Wir haben gemeinsam mit den Haushältern gerungen
und für den Haushalt 2012 einen Vermerk aufgenommen, um besser über das zu informieren, was der Staat
auch hier in kleinem Umfang leisten will.
({1})
Das ist bei vielen nicht bekannt. Wir stehen deshalb in
Kontakt mit allen Initiativen und Verbänden. Sie alle
können sich an uns wenden. Ich denke, von daher ist es
jetzt nicht angebracht, anzunehmen - wir können das
nicht belegen -, dass es hier einen solchen Zusammenhang gäbe, sozusagen eine Grundstimmung nach dem
Motto: Es gibt keine rechtsextremistisch oder extremistisch motivierten Taten.
({2})
Von daher tun wir das, was wir aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse tun können. Damit das auch 2012
erfolgen kann, wird es ausreichend Mittel dafür geben.
Ich glaube, diesbezüglich gibt es in diesem Haus überhaupt gar keine Bedenken. Auch da sind wir uns einig.
Vielen Dank.
({3})
Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ereignisse des Rechtsterrorismus haben uns schockiert. Sie
lösen bei den meisten Menschen, so auch bei mir, gleichermaßen Trauer wie auch Empörung aus.
Das Bemühen der Bundesregierung und der Ermittlungsbehörden, die Morde und die Verstrickungen staatlicher Stellen, insbesondere der Verfassungsschutzämter,
aufzuklären, kommt spät, für bestimmte Menschen leider auch zu spät, ist und bleibt aber dringend erforderlich.
({0})
Nicht durch Aufklärung der Ermittlungsbehörden, sondern durch den Tod von zwei Tätern aus einer neonazistischen Terrorgruppe wurde bekannt, dass es bei uns seit
über einem Jahrzehnt Rechtsterrorismus gibt.
Es ranken sich Fragen über Fragen. Es verwundert
zum Beispiel sehr, dass bei der abgebrannten Wohnung
nach und nach Sticks und DVDs fast im Neuzustand gefunden werden. Was treibt da jemand warum mit uns? Vor
allem aber fragen wir uns alle: Warum wurde dieser Terrorismus nicht aufgeklärt? Trotz, Herr Bundesinnenminister, Rasterfahndung, trotz Onlineüberwachung,
trotz Späh- und Lauschangriffen, trotz Hunderter V-Leute
des Inlandsgeheimdienstes bei den Nazis?
Weitere Fragen: Die neun Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden mit derselben Tatwaffe ermordet. Die
Neun waren allesamt Menschen ausländischer Herkunft.
Dennoch wurde nur die Spur verfolgt, es handele sich
um sogenannte milieuinterne Verbrechen. Mal wurde
nach Verbindungen der Opfer zur kurdischen PKK, mal
im Umfeld der Mafia und der Drogenszene gesucht. Warum wurde so etwas Naheliegendes wie rechtsextreme
Täter eigentlich ausgeschlossen?
({1})
Seit Jahren gibt es ein Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum. Es existieren Zentraldateien für islamistische Straftäter. Es gibt schon längst - seit 1992! - auf
Beschluss der Innenminister von Bund und Ländern, die
- ich zitiere wörtlich - „Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer/-terroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte“, abgekürzt IGR. Zu deren Aufgaben zählen die
Fortschreibung bestehender und die Entwicklung neuer
Beobachtungs- und Bekämpfungskonzepte gegen rechtsextremistische bzw. rechtsterroristische Gewaltakte sowie die Intensivierung des diesbezüglichen Erkenntnisaustausches zwischen den beteiligten Behörden. „Was
hat diese Informationsgruppe die ganzen Jahre hindurch
eigentlich getrieben?“, lautet meine Frage.
({2})
Mit den von Ihnen, Herr Bundesinnenminister, geplanten neuen Dateien werden noch lange keine Straftaten
und Straftäter ermittelt. Hierfür sind immer noch Menschen zuständig. Die vollständigsten Dateien können gar
nicht helfen, wenn die zuständigen Politikerinnen und
Politiker und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ermittlungsbehörden nicht über das nötige Bewusstsein
hinsichtlich der Gefahren des Rechtsextremismus und
des Rechtsterrorismus verfügen,
({3})
sondern für viele in der Politik und noch mehr und deutlicher im Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ die
Gefahren vornehmlich von links ausgehen.
Wie kommt es eigentlich, dass die Bundesregierung
nach wie vor, auch nach der Beantwortung der Großen
Anfrage unserer Fraktion, von einer Zahl von 48 Opfern
ausgeht, die seit 1990 durch rechtsextreme Gewalt sterben mussten? Der Tagesspiegel und die Zeit gehen von
138 diesbezüglich getöteten Personen aus. Nach Recherchen von Anetta Kahane, Vorsitzende der AmadeuAntonio-Stiftung, wurden sogar 182 Menschen Opfer
rechtsextremer Gewalt. Zwei Beispiele:
Am 14. Juni 2000 wurden die Polizisten Thomas
Goretzky, Matthias Larisch-von-Woitowitz und die Polizistin Ivonne Hachtkemper mit gezielten Kopfschüssen
bei einer Fahrzeugkontrolle ermordet. Bei dem Täter
handelte sich um den auch den Behörden bekannten
Neonazi Michael Berger. Die Behörden fanden in seiner
Wohnung weitere Waffen und Munition. Warum taucht
dieser Mann nicht in der Statistik der rechtsextremen
Gewalttäter auf?
({4})
Am 7. Oktober 2003 ermordete der Neonazi Thomas
A. einen Anwalt, dessen Ehefrau und dessen Tochter. Die
Richter bescheinigten dem Mann seine nationalsozialistische Gesinnung. Aber auch dieser Fall wird bis heute weder von der Bundesregierung noch der Landesregierung
in Nordrhein-Westfalen dem Rechtsextremismus und
Rechtsterrorismus zugeordnet. Wir warten auf ein Zeichen, dass die Bundesregierung die von Journalistinnen
und Journalisten sorgfältig recherchierten Mordfälle mit
rechtsextremem Hintergrund endlich als solche erfasst
und sich diesbezüglich korrigiert.
({5})
Es ist bemerkenswert, dass die NPD und ihr rechtsextremes, auch rechtsterroristisches Umfeld seit Jahren,
seit Jahrzehnten mit V-Leuten durchsetzt sind. Wenn
über 13 Jahre lang keine einzige Information zu den bisher bekannten Mordfällen von den V-Leuten kam, ist das
Beweis genug für die ganze Nutzlosigkeit dieser Strategie.
({6})
Wenn es allerdings - lassen Sie mich das sagen - von
diesen V-Leuten Informationen gegeben haben sollte,
wäre es noch viel schlimmer.
({7})
Diese V-Leute sind Personen mit teils kriminellem
Hintergrund, auf jeden Fall aber mit nazistischen Einstellungen, vor allem mit rassistischen. Ihr Job ist für sie
nicht, brauchbare Informationen über die Nazi-Szene zu
liefern, sondern die eigene Szene zu decken, Nazitum zu
fördern und mit reichlich Steuergeldern zu finanzieren.
Noch schlimmer: Sie prahlen teilweise damit, dass ihre
Straftaten vom Verfassungsschutz und damit von den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, also von uns allen,
finanziert werden.
Der Inlandsgeheimdienst findet keine demokratischen, antifaschistischen Kräfte, die sich rechtsextrem
verstellen und jahrelang zur Informationsgewinnung in
rechtsextremen Kreisen leben könnten. Tatsächlich ist
das ja auch gar nicht seine Methode. Er sucht nur nach
Schwächemomenten bei den Nazis, um sie dann mit
Geld zu locken. Nun ist aber erwiesen: Es kommt nichts
Vernünftiges dabei heraus, und es kann auch nichts Vernünftiges dabei herauskommen.
({8})
So gab der V-Mann Tino Brandt aus Thüringen an, insgesamt 200 000 D-Mark für seine Tätigkeit erhalten und
für rechtsextremistische Aktionen verwendet zu haben.
Es geht um mehr als ein Versagen der Sicherheitsbehörden, das auch von Bundesinnenminister Friedrich
eingeräumt wird. Die Frage ist: Warum haben die Sicherheitsbehörden bzw. Teile von ihnen so versagt? Verfassungsschützer treiben teilweise Kumpanei mit der
rechtsextremen Szene. Sie sind selbst rechts. Wenn ich
mir ansehe, wie der ehemalige Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Thüringen, Herr Roewer,
mit dieser Szene umgegangen ist, dann wird mir
schlecht, aber eben auch einiges klar.
Roewer warb V-Leute aus der Szene an und entlohnte
sie fürstlich. Er ließ Unterrichtsmaterial herstellen, in
dem die Antifa als gewalttätig, die Nazis dagegen als gemäßigt erscheinen. Er hob die angeblich guten Seiten
des Nationalsozialismus hervor, und er veröffentlicht
heute in Verlagen aus dem extrem rechten Umfeld.
Wenn in Hessen jemand Verfassungsschützer ist, der
selbst offensichtlich einer rechtsextremen Gesinnung nahesteht, da er von allen der „kleine Adolf“ genannt wird,
und an einem Mordtatort zugegen war, ist das mehr als
erschreckend.
({9})
Der Frage wird nachzugehen sein: Wer führt eigentlich wen? Die Neonazis den Verfassungsschutz oder der
Verfassungsschutz die Neonazis?
Das ganze V-Leute-System hat versagt. Es ist gescheitert, und es war und bleibt ein ernsthaftes Hindernis
für ein dringend notwendiges neues Verbotsverfahren
gegen die NPD. Deshalb müssen die V-Leute unverzüglich, wie es so schön heißt, abgeschaltet werden.
({10})
War der Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“
auf dem rechten Auge blind, oder sah er, aber handelte
nicht? Menschen stellen sich gegen den Rechtsextremismus, wenden sich gegen ihn und werden verfolgt, auch
unser Fraktionsvorsitzender im Landtag von Sachsen,
André Hahn. Der Sächsische Landtag hob mit den Stimmen von Union, FDP und NPD seine Immunität auf. Ich
bitte Sie: Denken Sie darüber nach.
({11})
Mit welchem Eifer und mit welcher Akribie die sächsischen Ermittlungsbehörden vorgehen, zeigt, dass sie
die Wohnung des Jenaer Jugendpfarrers Lothar König
durchsuchten, jenes Pfarrers, der sehr frühzeitig vor dem
Treiben der Jenaer Neonazi-Szene und dem Heimatschutzbund warnte. Nun stellt sich weiter heraus, dass
Holger Apfel, Landtagsabgeordneter der NPD im Sächsischen Landtag und neuer Bundesvorsitzender der
NPD, ein Wahlkreisbüro in Chemnitz eröffnete. Der Eigentümer des Hauses dieses Wahlkreisbüros ist zugleich
der Produzent der Nazi-Rock-CD, auf der die sogenannten Döner-Morde verherrlicht und gefeiert werden.
({12})
Wir fordern:
Erstens. Schnell und großzügig eine Entschädigung
für die Angehörigen der Opfer und die Verletzten.
Zweitens. Eine vollständige und schonungslose Aufklärung dieses Rechtsterrorismus und aller Umstände
einschließlich des Handelns der Sicherheitsbehörden,
insbesondere des Inlandsgeheimdienstes.
Drittens. Eine Abschaltung der V-Leute und anschließende Einleitung eines NPD-Verbotsverfahrens.
Herr Kollege.
Ich bin sofort fertig, Herr Präsident. - Viertens. Alle
Programme und Projekte gegen Rechtsextremismus sind
dergestalt zu ändern, dass linke und andere demokratische Kräfte nicht mehr ausgeschlossen werden. Die Extremismusklausel muss gestrichen werden.
({0})
Es ist zu begrüßen, dass wir uns heute fraktionsübergreifend geeinigt haben, die Mittel dafür wenigstens nicht zu
kürzen.
Fünftens. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister
und die Gegnerinnen und Gegner der Neonazis in sogenannten national befreiten Zonen bedürfen sofortiger
ideeller und materieller Unterstützung. Es darf keine
Dörfer und Ortsteile in den Händen der Neonazis geben.
({1})
Sechstens. Wir müssen deutlich mehr in Bildung investieren. Über die Verbrechen des Nazi-Regimes müssen unsere Kinder so aufgeklärt werden, dass rechtsextreme Anschauungen in der kommenden Generation
endlich marginalisiert werden.
Siebtens. Die Überwachung der Linken im Bundestag
und in den Landtagen durch diesen Inlandsgeheimdienst
ist unverzüglich einzustellen.
({2})
- Ja!
Herr Präsident, meine Damen und Herren, zu begrüßen ist trotzdem - das ist mein letzter Satz - die erste gemeinsame Erklärung hoffentlich aller Abgeordneten des
Deutschen Bundestages. Die Bedeutung besteht darin,
dass wir trotz unterschiedlichster Auffassung in vielen
Fragen den Rechtsterroristen in Deutschland sagen: Ihr
scheitert an uns gemeinsam - von der CSU bis zur Linken.
({3})
Das Wort hat nun die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein beschämendes Thema heute: Es ist beschämend, dass unser
Land vielen Menschen keinen Schutz vor rechtsterroristischen Verbrechen geboten hat. Deshalb sind unsere
Gedanken bei den Angehörigen der Opfer, die ein Familienmitglied oder einen Freund oder eine Freundin verloren haben,
({0})
die lange vor einem Rätsel standen, dem Rätsel der Tat,
und sich sogar selber angegriffen fühlten, weil man behauptet hat, dass die Opfer selber in Straftaten verstrickt
waren. Die Dauer und der Zufall der Aufklärung sind
ebenfalls beschämend.
Wir müssen heute feststellen, dass wir dem Ziel, dass
jeder, der in diesem Land lebt, sich auch sicher in seiner
Existenz fühlen kann, nicht nahe gekommen sind. Man
muss heute den Eindruck haben, dass Institutionen der
Sicherheit in Deutschland auf dem rechten Auge blind
sind oder zumindest mit dem rechten Auge nicht genau
hinsehen. Auch das empfinde ich heute als beschämend.
({1})
Es gibt eine Legitimationskrise der Sicherheitsbehörden, der Verfassungsschutzämter und der Polizei. Schlimm
ist dabei: Wenn man hätte wissen wollen, hätte man wissen können, wenn man hätte sehen und hören wollen,
hätte man sehen können. Aber bei uns sind die Verfassungsschutzämter nach dem Ende des Kalten Krieges
noch immer in einer Art nacheilendem Gehorsam viel
mehr auf den Linksextremismus fokussiert, den sie sehen wollen. Sie haben eine Ignoranz und Blindheit gegenüber der rechten Seite.
Ich muss an dieser Stelle wirklich sagen: Wenn man
hätte wissen und sehen wollen, dann hätten insbesondere
das Ministerium von Frau Schröder und die Ministerin
Frau Schröder viel früher sehen können und müssen. Auch
das ist eine beschämende Tatsache des heutigen Tages.
({2})
Auf der Besuchertribüne sitzen Vertreterinnen und
Vertreter verschiedener Organisationen. Ich möchte
gleich darauf zurückkommen.
Herr Ziercke, der BKA-Chef, hat gesagt, bis zuletzt
habe es keine Erkenntnisse über rechtsterroristische
Strukturen oder Anschlagsplanungen gegeben. Auch
dazu sage ich: Man hätte wissen und sehen können. Warum war der Nationalsozialistische Untergrund nicht bekannt? Warum hat man nicht gesehen, dass es Geldsammlungen gegeben hat? Überall waren V-Leute. Aber
auch auf Musikveranstaltungen hat es Geldsammlungen
gegeben. Und niemand will es gesehen haben? Da wird
bei Demonstrationen mit großen Transparenten herumgelaufen, auf denen „Nationalismus sucht Taten“ steht,
aber niemand hat das gesehen. Überall waren V-Leute.
Die Gruppe „Gigi & die braunen Stadtmusikanten“ ist
2009 mit dem Lied vom „Döner-Killer“, wie es hieß, herausgekommen. Das ist eine beliebte Band. Dem Verfassungsschutz soll sie nicht bekannt sein? Aber wenige
Tage nach dem Klarwerden dieser Vorfälle ist das Fernsehen in der Lage, in einer Sendung Liveauftritte dieser
Gruppe zu zeigen. Wir sehen einen Text, in dem sich die
Musiker über diese Mordtaten freuen, indem sie diese
sogenannten Döner-Killer sozusagen für ihren rechtsextremen Hass in ihre Szene einbeziehen. Die Botschaft
in die Szene des Rechtsextremismus ist offensichtlich
verstanden worden: Es waren Leute von ihnen, die Menschen, die anders aussahen, ermordet haben. Aber der
Verfassungsschutz will das nicht gesehen und nicht gehört haben. Das glaube ich nicht. Wenn man hätte sehen
und wissen wollen, dann hätte man sehen und wissen
können. Das ist das Beschämende dieses Tages.
({3})
„Sehen und Hören“ hätte auch geheißen, das festzustellen, was die Amadeu-Antonio-Stiftung festgestellt
hat, nämlich 182 Todesopfer rassistischer oder rechtsextremer Gewalt seit 1990. Die Amadeu-Antonio-Stiftung ist übrigens nach einem Mann benannt, der 1990
nicht weit von hier, in Eberswalde, von rassistischen Jugendlichen zu Tode geprügelt wurde. Viele Fälle aus deren Liste tauchen in offiziellen Statistiken nicht auf: eine
dreiköpfige Familie aus Sri Lanka, die in Lampertheim in
einem brennenden Flüchtlingsheim umkam, ein 48-jähriger Homosexueller, Klaus-Peter B., der 1995 von Skinheads in die Vils geworfen wurde und dort ertrank. In
dem Urteil wird ausgeführt, dies sei an Scheußlichkeit
und Menschenverachtung nicht zu überbieten und erinnere an die düsteren Zeiten der deutschen Geschichte.
Aber auch dieses Verbrechen ist nicht in der offiziellen
Statistik enthalten.
Schulklassen machen keine Ausflüge in bestimmte
Regionen, weil man Sorge um das Leben der Kinder hat.
Das sind „national befreite Zonen“ - so nennen es
Rechtsextreme -, wo Rechtsextreme die Vorherrschaft
im Zentrum haben. Das alles hätte man sehen können
und müssen.
Deshalb brauchen wir jetzt eine vorbehaltlose, transparente und öffentliche Aufklärung. Wir wollen wissen,
wer was wusste und wer was unternommen hat oder
nicht. Dafür reicht uns kein Ermittler. Wir wollen Untersuchungsausschüsse und schriftliche Berichte, in die jeder schauen kann. Das sind wir den Opfern schuldig.
({4})
Dahinter steht dann auch die schonungslose, tabulose
Debatte über die Frage: Wie weiter mit dem Verfassungsschutz? Ist es so, dass V-Männer geführt und mit so
viel Geld ausgestattet werden, sodass das quasi eine institutionelle Projektförderung ist? Es kann nicht sein,
dass jemand über Jahre hinweg 200 000 D-Mark bekommt. Wie Horst Mahler immer sagt: Wir wissen doch,
wer V-Mann ist, und wir benutzen dieses Geld für uns. Das stört die gar nicht weiter. Es gibt V-Mann-Führer,
die besondere Vorkommnisse und ihr Wissen nicht an
ihre Chefs, zum Beispiel die Innenminister, weiterleiten.
Schonungslose Aufklärung heißt auch, dass wir schonungslos schauen, wie der Sicherheitsbereich neu zu organisieren ist.
({5})
Zur aktuellen Aufklärung: Wenn ein hessischer Innenminister, weil der Generalbundesanwalt zum dortigen Verfassungsschutz kommt, um Akteneinsicht zu
nehmen, von einem feindlichen Akt spricht, sage ich
ganz klar: Verfassungsschutzämter, die jetzt nicht mithelfen, Bund und Länder gemeinsam zu einer schonungslosen Aufklärung und Offenlegung zu führen, begehen einen feindlichen Akt gegen unsere Verfassung
und Demokratie.
({6})
Wir lassen uns auch nicht auf sofortige Debatten ein,
ob man Ämter zusammenlegen sollte oder nicht. Was
hilft uns die Zusammenlegung von zwei nicht gut arbeitenden Ämtern, die keine ordentliche Anweisung für die
V-Mann-Führung haben, oder was helfen uns Menschen,
die selber etwas rechts gesonnen sind? Wir wollen die
Zivilgesellschaft in die Aufklärung einbeziehen. Eines
ist doch klar: Die Zivilgesellschaft und insbesondere die
Mitarbeiter der vielen Projekte gegen rechts wissen offensichtlich mehr, als der Verfassungsschutz je wusste.
Deshalb brauchen wir ein zivilgesellschaftliches Monitoring.
({7})
Wir haben in unserem gemeinsamen Entschließungsantrag formuliert, dass zu prüfen ist - die Koalitionsfraktionen wollten nicht mehr -, wo für Organisationen und
Vereine, in denen Menschen seit Jahren auch ihr Leben
im Kampf gegen den Rechtsextremismus einsetzen, Hindernisse bestehen. Ich sage Ihnen: Wir wissen, wo Hindernisse sind.
({8})
Die Extremismusklausel, wonach diejenigen, die gegen
Rechtsextreme kämpfen, selber erst erklären müssen,
dass ihre Mitkämpfer auf dem Boden des Grundgesetzes
stehen, ist nichts anderes als eine Anfeindung gegenüber
den Betreffenden. Sie muss weg, weil sie das zentrale
Hindernis ist.
({9})
Die Kofinanzierung von 50 Prozent bei den Projekten
muss weg, Frau Schröder, weil sie ein Hindernis ist. An
dieses Geld kommt man gar nicht heran. Ich frage an der
Stelle: Frau Bundesministerin Schröder, wo sind Sie eigentlich, wenn es entsprechend dem von Ihnen geleisteten Amtseid darum geht, jungen Menschen oder auch
Geschäftsinhabern und Vereinen in diesem Land die
Hand zu reichen und sie zu unterstützen? Bei Ihnen ist
ein Mangel an Herzensbildung festzustellen, Frau
Schröder,
({10})
ein Mangel an Herzensbildung, wenn es darum geht, solche Menschen zu unterstützen. Wir werden dazu einen
Antrag stellen, der darauf abzielt, die bestehenden Hindernisse zu beseitigen, und darüber namentlich abstimmen lassen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Den Opfern sind wir aus Respekt schuldig, schonungslos aufzuklären, es öffentlich darzulegen, dann zu
Strukturveränderungen zu kommen und alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die gegen rechts wirklich beharrlich kämpfen, zu unterstützen. Der beste Verfassungsschutz ist noch immer eine wachsame Gesellschaft, sind wachsame Bürgerinnen und Bürger.
Frau Kollegin Künast!
Eines sollten wir uns heute gegenseitig versprechen:
Diesmal darf es nicht so sein wie sonst, nämlich dass wir
uns aufregen und dann die Opfer vergessen. Ich sage Ihnen: „Nie wieder vergessen“ muss die Devise sein.
({0})
Hermann Gröhe ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Steinmeier, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede
dem Herrn Präsidenten für eine würdige, für eine angemessene Erklärung gedankt. Ähnliches lässt sich leider
über Ihre Rede nicht sagen.
({0})
Das war in jeder Hinsicht unangemessen. Gerade weil
ich Ihr Gefühl der Fassungslosigkeit, der Trauer und der
Wut teile, ist es unangemessen, hier in das parteipolitische Klein-Klein zu verfallen.
({1})
Frau Künast, wer diese Trauer mit billiger Polemik
mischt, der nimmt das Wort „Herzensbildung“ besser
nicht in den Mund; das war alles andere als überzeugend.
({2})
Im Einzelnen. Herr Steinmeier sagte: Die linksextreme Gefahr wurde aufgebauscht. - Es war der Innensenator von Berlin, der im Frühjahr dieses Jahres angesichts von Gewalttaten die Frage stellte, ob man
linksextreme Gewaltbereitschaft unterschätzt habe - ein
Sozialdemokrat.
Sie regen sich auf über die Bindung öffentlicher Förderung in der Extremismusbekämpfung an ein Bekenntnis zur Demokratie. Sie sollten einmal der Frage nachgehen, wer denn der Urheber solcher Mahnung an die
Politik auch im Bereich der Extremismusbekämpfung
war. Es war der Staatssekretär Lutz Diwell im SPD-geführten Innenministerium, der 2004 an alle Ministerien,
übrigens auch an das Bundeskanzleramt, Herr Steinmeier,
({3})
schrieb und erklärte, man müsse - er nahm dabei ausdrücklich Bezug auf staatliche Leistungen im Rahmen
der Extremismusbekämpfung - genauer darauf achten,
dass durch diese Mittel nicht Gruppen finanziert werden,
die selbst extremistisch sind.
({4})
Ich zitiere aus diesem Schreiben von Herrn Diwell:
Die Gewährung von Vorteilen an Organisationen
und Personen, zu denen verfassungsschutzrelevante
Erkenntnisse vorliegen, steht im Widerspruch zu einer Strategie der ganzheitlichen Bekämpfung von
Extremismus und Terrorismus.
({5})
Sie steht nicht im Einklang mit der auf Stärkung der
inneren Sicherheit gerichteten Politik der Bundesregierung.
({6})
Lutz Diwell hat das allen geschrieben. Er hat angemahnt,
noch entschiedener vorzugehen. Jetzt regen Sie sich daHermann Gröhe
rüber auf, dass wir der Überzeugung sind: Wer den Extremismus bekämpft und dafür gefördert wird, der muss
sich auch unzweideutig zur Demokratie und zur Menschenwürde bekennen.
({7})
Ich hätte mir in der Tat gewünscht - unser gemeinsamer Entschließungsantrag gibt die Grundlage dafür -,
dass heute das Gemeinsame in der Abwehr des braunen
Terrors im Vordergrund steht. Da muss an erster Stelle
das Leid der Opfer stehen. Nach dem derzeitigen Stand
hat die Neonazi-Bande zehn Menschen getötet. Da ist
das Leid der Angehörigen, die ihre Liebsten verloren haben und die erfahren mussten, wie sie in schäbigster
Weise verhöhnt oder selbst ungerechtfertigten Verdächtigungen ausgesetzt wurden. Wir müssen erfahren, dass
eine Gruppe rechtsextremer Terroristen über Jahre unentdeckt durch unser Land gezogen ist und eine Blutspur
schrecklicher Mordtaten hinter sich hergezogen hat.
Jedes menschliche Leben hat den gleichen unschätzbaren Wert. Wir trauern um jeden Menschen, gleich aus
welchen Motiven er ermordet wird. Wir erwarten bestmöglichen Schutz einer freiheitlichen Demokratie, zügige Aufklärung und angemessene Bestrafung solcher
Straftaten.
({8})
Wo Menschen aufgrund von rechtsextremer Gesinnung, Rassismus und Antisemitismus ermordet werden,
gilt dieser Angriff - über die schreckliche Mordtat hinaus - dem entscheidenden Eckpfeiler unserer demokratischen Ordnung, dem Bekenntnis zur gleichen Würde
aller Menschen. Rechtsextremistische Verbrechen richten sich daher immer auch gegen unser Gemeinwesen
insgesamt. Sie richten sich gegen uns alle.
({9})
Über die entschiedene Strafverfolgung hinaus ist daher eine politische Antwort von uns allen gefordert, und
die muss lauten: Brauner Terror ist eine Schande für unser Land. Wir treten diesem Terror mit ganzer Kraft und
gemeinsam entgegen.
({10})
Wir sind uns alle einig: Die entsetzlichen Verbrechen,
die jetzt offenbar wurden, sind lückenlos aufzuklären.
Wir müssen aufklären, warum diese Verbrecherbande
jahrelang weitgehend unentdeckt blieb und wo es dabei
zu Versäumnissen bei den zuständigen Behörden gekommen ist. Wir sind uns alle einig: Aus solchen Ermittlungsfehlern und aus einer unzureichenden Zusammenarbeit, wo immer wir sie feststellen, müssen wir lernen
und die richtigen Konsequenzen ziehen. Dazu gehört
auch eine aufmerksame Untersuchung aller Verbindungen zwischen rechtsextremer Politik und Parteien und
rechtsterroristischer Gewalt. Deswegen gilt, dass im
Zuge dieser Ermittlungen auch die Erfolgsaussichten eines erneuten NPD-Verbotsverfahrens zu prüfen sind.
Wir wollen alles tun, Rechtsextremisten Einhalt zu gebieten.
({11})
Es ist richtig, dass das Bundesinnenministerium und
die Länder zügig handeln und beispielsweise mit einer
Anti-Neonazi-Datei und einem Abwehrzentrum gegen
rechtsextremistische Gefahren zusammenführen, was an
Erkenntnissen offensichtlich nicht in ausreichender
Weise zusammengeführt wurde. Wo Fehler in Polizeibehörden passiert sind, müssen sie aufgeklärt und Konsequenzen gezogen werden.
Ich sage aber auch: Wir stehen an der Seite der Polizisten und Ermittlungsbehörden. 300 Polizisten aus
Bund und Ländern ermitteln derzeit mit hohem Aufwand
in diesen schrecklichen Fällen. Wir stärken ihnen gerade
in dieser Zeit bewusst den Rücken.
({12})
Konsequenz ist jetzt gefragt; dazu gehört ein zügiges
Ermitteln. Das sind wir den Opfern und ihren Angehörigen schuldig. Konsequenz ist dabei wichtiger als Lautstärke oder Schnelligkeit; denn wir müssen die richtigen
Konsequenzen ziehen.
Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage der
Kollegin Roth - und offenkundig die Bereitschaft Ihrerseits, sie zu akzeptieren.
Danke, Herr Präsident. - Lieber Hermann Gröhe, du
hast gesagt: den Rücken stärken. - Ja, wir müssen den
Rücken derer stärken, die Aufklärung leisten, aber auch
den Rücken derer, die in der Zivilgesellschaft gegen jede
Form von Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus und Islamophobie vorgehen.
Du hast davon gesprochen, dass man extremistischen
Gruppen misstrauen muss. Da stimme ich dir zu. Aber
wie erklärst du dir dann, dass zum Beispiel DGB-Organisationen oder Organisationen der evangelischen Kirche mit Anwendung der Extremismusklausel verdächtigt
werden, selbst nicht auf der Basis des Grundgesetzes zu
stehen? Wie erklärst du dir, dass viele Initiativen in
Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Hessen,
Bayern und Sachsen-Anhalt durch diese Extremismusklausel eher demotiviert worden sind und viele Projekte
darüber eingegangen sind? Ist das Rückenstärkung von
zivilgesellschaftlichem Engagement, das unsere Demokratie so dringend braucht?
({0})
Ich antworte gerne auf diese Frage; denn sie gibt mir
Gelegenheit, außerhalb meiner Redezeit etwas näher
auszuführen, was ich ohnehin ausgeführt hätte, nämlich
dass es neben der Untersuchung der Sicherheitsbehörden
und dem Ziehen von Konsequenzen aus Fehlern, die dabei aufgedeckt werden, selbstverständlich darum gehen
muss, ein Klima der Ermutigung und der Stärkung für
alle zu schaffen, die in der Zivilgesellschaft - häufig unter Inkaufnahme eigener Gefährdung - gegen rechtsextreme Gewalt vorgehen. Das steht in unserem gemeinsamen Entschließungsantrag, und darin steht auch die
Bereitschaft, über Hindernisse zu reden. Aber noch einmal: Ein Bekenntnis zur Demokratie
({0})
zur Grundlage für öffentliche Förderung zu machen, hat
nichts mit einem Generalverdacht zu tun.
({1})
Das zu behaupten, ist eine Vereinfachung und bewusste
Verängstigung.
Wir reden mit den zivilgesellschaftlichen Gruppen
gerne darüber, wie wir ihnen in angemessener Weise helfen können. Wir haben zugesagt, dass entsprechende
Programme in keiner Weise eine Kürzung erfahren. Aber
noch einmal: Wo kommen wir eigentlich hin, wenn man
schon unter Verdacht gestellt wird, nur weil man ein Demokratiebekenntnis für angemessen hält? Das ist eine
merkwürdige Verdächtigung.
({2})
Ich habe sehr deutlich gesagt: Wir sind zur Überprüfung des NPD-Verbots und zur Überprüfung der V-Leute
bereit. Aber da gilt es, genau hinzuschauen: Welche Erkenntnisse verdanken wir ihnen - da gibt es nach dem,
was wir jetzt wissen, sehr berechtigte Fragen -, und wo
geht es darum, ein NPD-Verbot leichter herbeiführen zu
können, indem wir die V-Leute abziehen bzw. abschalten, wie das dort genannt wird?
Lassen Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen
Beck zu?
Gerne.
Ich will nur zwischendurch den Hinweis geben: Wir
haben jetzt das Ende der vereinbarten Debattenzeit erreicht. Es stehen noch drei gemeldete Redner auf der
Liste, und es gibt eine Reihe von Kurzinterventionswünschen. Ich bitte, bei aller Bedeutung des Themas, die
weitere Tagesordnung nicht ganz aus dem Auge zu verlieren und sich auf konzentrierte Bemerkungen zu beschränken. - Herr Kollege Beck.
Ich möchte die Debatte auf die Extremismusklausel,
die ja keine Demokratieerklärung im einfachen Sinne ist,
fokussieren.
Herr Gröhe, ich verstehe nicht, dass der Bund der
Vertriebenen eine solche Klausel nicht unterschreiben
muss, obwohl Jugendorganisationen der Mitgliedsverbände zum Teil vom Verfassungsschutz beobachtet werden, während ein Generalverdacht gegen die Initiativen
gegen rechts ausgesprochen wird, und zwar mit der Erklärung, dass man nicht mit Extremisten zusammenarbeiten darf. Abgesehen davon, dass kein Mensch
wissen kann, was „Extremist“ in diesem zuwendungsrechtlichen Sinne eigentlich bedeuten soll, ist es eine
einseitige Diskriminierung dieser Initiativen. Wenn Sie
von jedem Zuwendungsempfänger dasselbe verlangen meinetwegen. Aber warum nur ausgerechnet bei den Initiativen gegen Rechtsextremismus? Das würde ich gerne
einmal wissen.
Ich dachte, wir seien in der Diskussion weiter. Sind
Sie bereit, über eine Aufhebung der Extremismusklausel
zu reden? Bekenntnis zur Demokratie - meinetwegen,
dann aber von jedem Mann und jeder Frau.
({0})
Kollege Beck, es ist schon bemerkenswert, dass Sie
eine Debatte vor einem solch erschütternden Hintergrund dazu missbrauchen, jetzt weitere Lieblingsthemen
zu traktieren,
({0})
wie Ihre „Zuneigung“ zum Bund der Vertriebenen, der
nun wahrlich nichts damit zu tun hat.
({1})
Wir haben uns ausdrücklich zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten und zur Überprüfung etwaiger
Hindernisse im Gespräch auch mit diesen Gruppen bekannt. Das gilt nach wie vor. Ich weise aber die Auffassung zurück, dass ein Bekenntnis zur Demokratie als
Voraussetzung für öffentliche Förderung ein Generalverdacht hinsichtlich Extremismus ist.
Ich habe deutlich gemacht, dass es eine rot-grüne
Bundesregierung war - ich habe schon Herrn Diwell erwähnt -, die unter ausdrücklichem Hinweis auf das
Thema Extremismusbekämpfung davor gewarnt hat,
dass Mittel in falsche Kanäle gehen. Entsprechende
Briefe sind auch bei Ihnen eingegangen.
({2})
Wir reden darüber, aber wir sollten uns heute nicht in
dieser Weise einseitig an bestimmten Fragestellungen
abarbeiten. Denn viel zu ernst ist das, was uns in ganz
Deutschland fordert.
Mir liegt daran, zum Abschluss meines Beitrags eines
deutlich zu machen: Auch wenn wir heute über die
Zwickauer Terrorzelle reden, handelt es sich tatsächlich
um ein Phänomen, das mit Taten - nicht nur in jüngster
Zeit - einhergeht, die in Rostock, Hamburg, Dortmund,
Kassel, Nürnberg, München, Heilbronn, vermutlich in
Köln und Saarbrücken verübt wurden. Schon seit über
zwei Jahrzehnten hat es in allen Regionen der Bundesrepublik Deutschland entsprechende Vorkommnisse gegeben. Wir diskutieren derzeit öffentlich lediglich die
schlimmsten Fälle extremistischer Gewalt. Der Verfassungsschutz hat 2010 rund 16 000 rechtsextremistische
Straftaten registriert; das sind in etwa 40 pro Tag. Dies
fordert uns als Politik und als Gesetzgeber, in der Polizei
und in der Zivilgesellschaft. Wir unterstützen diesen
Kampf gegen Rechtsextremismus nach Kräften. Wir stehen für diesen gemeinsamen Antrag.
Herzlichen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Oppermann
für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen erst am Beginn der Aufklärung dieser Verbrechen.
Wir können aber schon jetzt sagen - es ist ein durch und
durch deprimierender Befund -: Die deutschen Sicherheitsbehörden haben es den rechten Terroristen einfach
gemacht, diese Morde zu begehen. Das ist das Ergebnis
einer systematischen Unterschätzung des Rechtsextremismus in Deutschland. Wir müssen uns fragen: Was ist
eigentlich der Kern dieser Fehleinschätzung? Wer das
erkennen will, der muss sich die Entstehungsgeschichte
dieser Terrorgruppe genau anschauen.
Der Nationalsozialistische Untergrund ist entstanden
in der Neonazi-Szene, in der freien Szene. Er ist entstanden aus rechtsextremen Kameradschaften, aus der Sektion des sogenannten Thüringer Heimatschutzes. Das
heißt, es ist genau das passiert, was die Verfassungsschutzbehörden ausgeschlossen hatten, nämlich dass bei
den rechtsextremen Kameradschaften die aggressive Gewalt und die menschenverachtende Ideologie in rechten
Terror umschlagen können. Wenn das aber so ist, dann
können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
Wenn diese Kameradschaften hochgefährlich sind, dann
brauchen wir jetzt eine härtere Gangart gegenüber diesen
Kameradschaften.
({0})
Es gibt in Deutschland 5 000 bis 6 000 Neonazis. Insgesamt gibt es über 9 000 gewaltbereite Rechtsextremisten. Es ist nach meinem Verständnis die Aufgabe des
Staates, die Menschen vor diesen Rechtsextremisten zu
schützen. Deshalb, Herr Bundesinnenminister Friedrich,
habe ich die Bitte an Sie, jetzt gemeinsam mit Ihren Kollegen in den Ländern ein Konzept zu entwickeln, wie der
Fahndungs- und Beobachtungsdruck auf potenzielle
neonazistische Gewalttäter in Deutschland massiv erhöht werden kann.
({1})
Wir brauchen mehr Polizeipräsenz in den Regionen, in
denen diese Personen auf dem Vormarsch sind und glauben, den Ton angeben zu können.
Als Anfang der 60er-Jahre die schwarzen Kinder in
Atlanta nicht zur Schule gehen konnten, weil Rassisten
das verhindert haben, da hat der amerikanische Präsident
die Nationalgarde in die Stadt geschickt, und sie ist dort
so lange geblieben, bis die Kinder wieder zur Schule gehen konnten. So muss jetzt der deutsche Staat in den Regionen handeln, in denen Rechtsextreme glauben, das
Kommando übernommen zu haben.
({2})
Zu einer härteren Gangart gegen rechts gehört aber
auch, dass wir jetzt wieder ein NPD-Verbotsverfahren in
Gang bringen. Die Bundeskanzlerin hat zugesagt, das zu
prüfen. Ich gehe davon aus, dass das nicht nur eine taktische Äußerung war, um auf das Entsetzen zu reagieren,
sondern dass es ernst gemeint war. Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei. Die NPD ist ausländerfeindlich. Sie ist antisemitisch, antidemokratisch und in Teilen gewaltbereit. Es gibt nicht den geringsten Zweifel
daran, dass diese Partei verfassungsfeindlich ist. Ich sage
ganz klar: Wir brauchen keine V-Leute, um diesen Befund belegen zu können.
({3})
Herr Kollege Oppermann, darf der Kollege Hartmann
Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Ja.
Herr Kollege Oppermann, ich bitte um Verständnis
für die Unterbrechung Ihrer Rede. Aber sind Sie nicht
mit mir der Meinung, dass angesichts der sehr passenden
Worte unseres Bundestagspräsidenten und angesichts
der Dramatik der Debatte, die wir insgesamt zu führen
haben, der Bundesinnenminister gefälligst von Anfang
bis Ende an dieser Debatte teilzunehmen hätte?
({0})
Das wäre wünschenswert; denn ich glaube, es kommt
jetzt darauf an, dass wir ein gemeinsames Verständnis
von der Gefährlichkeit der NPD entwickeln. Auch der
Bundesinnenminister muss erkennen, dass die NPD nicht
irgendeine legale Partei ist; die NPD ist als legale Partei
der legale Arm einer Vielzahl von rechtsextremistischen,
gewalttätigen, illegalen Gruppen in diesem Land. Wir
müssen den Gesamtkomplex sehen; auch Herr Friedrich
muss ihn sehen.
({0})
Frau Justizministerin, Sie haben davon gesprochen,
dass die V-Leute ein Verfahrenshindernis sind. Das ist
so. Aber es kann doch nicht sein, dass wir, der demokratische Staat, in einer verfassungsfeindlichen Partei Verfahrenshindernisse platzieren. Die V-Leute in der NPD
dürfen doch jetzt nicht zu einer Entwicklungs- und Bestandsgarantie für diese rechtsextreme Partei werden.
({1})
Ein NPD-Verbot fällt nicht vom Himmel; es muss
hart erarbeitet werden. Die Arbeit muss sofort beginnen.
Wir brauchen jetzt einen Masterplan für ein neues Verbotsverfahren. Wir brauchen einen Plan, wie die V-Leute
aus dieser Partei systematisch abgezogen werden.
Ich will gerne einräumen, dass ein kluger, dosierter
Einsatz von V-Leuten in gewalttätigen Gruppen außerhalb der NPD durchaus auch in Zukunft notwendig ist.
Aber es ist doch nicht hinnehmbar, wenn an der Spitze
rechtsextremistischer Organisationen hasserfüllte neonazistische Gewalttäter stehen und dann auch noch vom
Staat finanziert werden.
({2})
So war es beim „Thüringer Heimatschutz“.
Wenn sich jetzt bei den Ermittlungen herausstellen
sollte, dass staatliche Zuwendungen am Ende dazu beigetragen haben, dass diese Terrorgruppe in den ersten
Monaten nach dem Untertauchen ihr Leben im Untergrund finanzieren konnte, dann wäre das der größte anzunehmende Unfall für unseren Rechtsstaat; denn dann
hätte am Ende der Staat selber mit dazu beigetragen,
dass diese schrecklichen Verbrechen möglich geworden
sind. Deshalb sage ich ganz klar: Wir müssen das System der V-Leute im deutschen Verfassungsschutz und in
den Nachrichtendiensten generell überdenken. Im Zweifel müssen wir uns gegen die V-Leute und für den
Rechtsstaat, für die Demokratie entscheiden.
({3})
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich will eine Schlussbemerkung machen, Herr Präsident. - Erstens. Kein Bundesamt kann den stärksten Verfassungsschutz bieten. Den stärksten Verfassungsschutz
kann nur eine wachsame, aktive demokratische Zivilgesellschaft bieten. Deshalb noch einmal: Die Aktivitäten
aus dieser Zivilgesellschaft dürfen nicht gegängelt, sie
müssen gefördert werden, und sie müssen ermuntert
werden.
({0})
Zweitens. Noch wichtiger oder genauso wichtig wie
Repression ist Prävention. Wir müssen unsere Bildungs-,
unsere Jugend- und unsere Familienpolitik darauf ausrichten, dass Kinder und Jugendliche - insbesondere
schwache Kinder aus schwierigen Familien - gestärkt
und gefördert werden. Diese Kinder müssen ertüchtigt
werden. Sie müssen am Ende so stark werden, dass die
braunen Rattenfänger in diesem Lande keine Chance haben, Einfluss auf die Menschen zu bekommen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort erhält jetzt der Kollege Christian Lindner
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die schockierenden Informationen, die uns dieser Tage
erreichen, stellen vielleicht zu bequeme Gewissheiten
infrage. Wir hätten es uns vermutlich alle nicht vorstellen können, dass über Jahre Mitmenschen aus rassistischer Ideologie heraus ermordet werden, ohne dass
Rechtsterrorismus als Motiv überhaupt in Erwägung gezogen wird. Wir hätten es uns nicht vorstellen können,
dass in Deutschland Gewalttäter mitten unter uns über
Jahre im Untergrund leben können. Wir hätten uns nicht
vorstellen können, dass die Sicherheitsbehörden von
Bund und Ländern über Jahre systematisch versagt haben.
Diese unbequemen Gewissheiten müssen wir nun zur
Kenntnis nehmen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen,
dass es ein systematisches Versagen von Sicherheitsbehörden gegeben hat und dass wir alle umdenken müssen.
Der Schock des Augenblicks darf aber nicht zu reflexhaften Reaktionen führen. Erst recht ist er nicht Anlass für parteipolitisches Klein-Klein.
({0})
Ich habe mich doch sehr wundern müssen über die
Schärfe des Tons von Herrn Steinmeier und auch zuletzt
von Herrn Oppermann. Wir wollen es zumindest einmal
während dieser Debatte gesagt haben: Die Mehrzahl der
Fälle fiel in die Verantwortungszeit von Otto Schily.
Auch Ihre einfachen Rezepte haben nicht funktioniert.
({1})
Deshalb sind wir gemeinsam vor Verantwortung und Herausforderungen gestellt. Ich hätte mir gewünscht, dass
diese Gemeinsamkeit in Bezug auf die Herausforderung
in dieser Debatte stärker zum Ausdruck gekommen
wäre.
({2})
Die Morde haben das Vertrauen in unseren Rechtsstaat erschüttert. Gerade die Millionen Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte, die zufällig zu Opfern
hätten werden können, müssen sich fragen, ob sie hinreichend geschützt werden. Jeder in Deutschland hat das
Recht, in Frieden und Freiheit zu leben. Deshalb haben
wir als Gemeinschaft der Demokraten die Pflicht, das
Recht mit Mitteln des Rechtsstaats zu verteidigen. Die
Verantwortung des Staates und unsere Scham angesichts
seines Versagens hat die Bundesjustizministerin dadurch
zum Ausdruck gebracht, dass sie jetzt schnell und unbürokratisch eine Opferentschädigung ermöglicht hat. Dafür, Frau Justizministerin, gehört Ihnen der Dank des
ganzen Hauses.
({3})
Wir müssen die Sicherheitsarchitektur in Deutschland
in den Blick nehmen. Die föderale Struktur hat ihre Stärken; im Bereich der Sicherheitspolitik - das haben wir
gesehen - hat sie sich allerdings nicht bewährt. Wir müssen den Rechtsstaat so effizient machen, dass er trotzdem weiter dem Recht unterworfen bleibt. Für uns ist es
eine Lehre der Geschichte, dass Geheimdienstarbeit und
Polizei getrennt bleiben. Für uns ist es eine Lehre der
Geschichte, dass der Rechtsstaat selbst an das Recht und
den Schutz der Privatheit der Menschen gebunden ist.
Deshalb heiligt auch jetzt nicht der Zweck die Mittel.
Auf Rechtsstaatlichkeit, auch bei den Reaktionen, werden wir bestehen.
({4})
Ein letzter Gedanke, Herr Präsident, ich habe die Uhr
gesehen. - Wir führen eine Debatte über ein Verbot der
NPD. Fraglos ist diese Partei verfassungsfeindlich. Demokraten dürfen sich aber nicht hinter dem Verbot einer
Partei verstecken. Die eigentliche Aufgabe ist nämlich
eine andere: Die NPD spricht inzwischen von einem bürgerlichen, einem seriösen Radikalismus. Sie infiltriert
die soziale Infrastruktur in manchen Landschaften
Deutschlands. Da ist unsere Herausforderung als Demokraten, uns dem Umfeld und den Sympathisanten der
NPD und aller anderen Extremisten entgegenzustellen.
Dafür wird die Koalition die Mittel für eine wehrhafte
Demokratie in der Haushaltsplanung wieder erhöhen.
Wir können auch über Hürden sprechen, die Sie bei der
Förderung beklagt haben. Trotzdem muss eines für uns
klar sein: Die Demokratie verteidigen, das können wir
nur mit Demokraten.
Ich danke Ihnen.
({5})
Alexander Dobrindt ist für die CDU/CSU der letzte
Redner zu diesem Tagesordnungspunkt.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neben dem Mitgefühl, das wir für die Opfer und die Angehörigen haben, und neben der Trauer, die wir alle bezüglich dieser schrecklichen Ereignisse verspüren, müssen
wir darauf hinweisen, dass die Mitglieder der Zwickauer
Terrorgruppe einen Angriff auf den gesamten gesellschaftlichen Frieden unseres Landes geplant und durchgeführt haben. Genau dieser innere Friede ist die Voraussetzung für die persönliche Freiheit, ist die Grundlage
für das Vertrauen der Bürger in unsere Demokratie. Nur
wenn die Politik gemeinschaftlich jede Form von Extremismus und Fundamentalismus ablehnt und bekämpft,
dann können das nötige Selbstbewusstsein und ein
Klima von Toleranz und Solidarität in unserem Land erhalten bleiben.
Das ist eine Errungenschaft nach den schrecklichen
Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der zweiten
Chance, die Deutschland bekommen hat. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass wir in der Welt wieder
Ansehen errungen haben, dass wir anerkannt sind, dass
wir in der Welt einen Freund darstellen. Dies ist auch
deswegen geglückt, weil wir uns immer gemeinschaftlich gegen jede Art von Extremismus gestellt haben.
Deswegen haben wir heute einen Entschließungsantrag formuliert, in dem wir sehr deutlich gemacht haben, dass es eine äußere Grenze gibt, innerhalb der wir
uns einig sind. Diese Einigkeit wird wie folgt beschrieben:
Dem Extremismus muss entschieden entgegengetreten werden. … Wir stehen ein für ein Deutschland, in dem alle ohne Angst verschieden sein können und sich sicher fühlen - ein Land, in dem
Freiheit und Respekt, Vielfalt und Weltoffenheit lebendig sind.
Wir haben in dem Entschließungsantrag deutlich gemacht, dass Extremismus in einem demokratischen
Deutschland keinen Platz hat und die Würde des Menschen unantastbar ist. Umso unverständlicher ist das,
was Sie, Herr Steinmeier und Frau Künast, gesagt haben. - Beide sehe ich im Augenblick nicht. Offensichtlich ziehen sie es vor, der Debatte nicht mehr beizuwohnen.
({0})
- Umso unverständlicher ist es, dass Sie, Herr
Steinmeier, die Gelegenheit nutzen wollen, um eine parteipolitische Diskussion über linken und rechten Extremismus aufzumachen. Sie wollen offensichtlich eine
parteipolitische Diskussion darüber führen, wer oder
was diesem Land und den Menschen wie schadet. Ich
kann Ihnen an dieser Stelle sagen: Wir treten gegen jede
Art von Extremismus an. Wir bekämpfen jede Art von
Extremismus.
({1})
Wir haben erwartet, dass in diesem Entschließungsantrag ein Schulterschluss aller gegen den Rechtsextre16774
mismus formuliert wird, so wie dieser jetzt enthalten ist.
Deswegen: Bitte unterlassen Sie an dieser Stelle einfach
Ihre Schwachheiten, um anderen zu unterstellen, sie
würden wegschauen. In dieser Debatte ist kein Platz für
Ihre parteiideologische Selbstfindung. Lassen Sie diese
Unterstellungen. Das verbietet sich hier für Demokraten.
({2})
Wir sind schockiert über die skrupellosen Taten der
rechtsradikalen Bande, die glaubte, dass sie sich raubend
und mordend außerhalb des demokratischen Rechtsstaates bewegen kann, dass sie sich über den demokratischen
Rechtsstaat stellen kann. Darüber, dass man solchen Tätern nur mit der Stärkung des zivilgesellschaftlichen
Engagements begegnen kann, sind wir uns einig.
Ich denke, auch darüber, dass die Ermittlungsarbeit
mit voller Härte geführt werden muss, herrscht in vielfacher Hinsicht Einigkeit. Das heißt, dass wir uns durchaus
auch über die Frage des Verfassungsschutzes und der
V-Männer unterhalten können. Wir können uns Gedanken darüber machen, ob und wie sie ihre Arbeit erledigen und welche Erkenntnisse sie uns bringen. Aber wir
können uns nicht darüber unterhalten, ob sie grundsätzlich sinnvoll sind, weil es nun einmal die Aufgabe des
Verfassungsschutzes ist, Auskünfte, Nachrichten und
Unterlagen darüber zu sammeln, ob es Bestrebungen
gibt, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung in unserem Land gerichtet sind, ob es in unserer
Gesellschaft das Bestreben gibt, das friedliche Zusammenleben zu untergraben. Deswegen sollten wir darauf
achten, dass wir uns als Staat nicht blind machen, indem
alle Verfassungsschützer und alle V-Leute an dieser
Stelle abgezogen werden. Wir müssen auch dafür sorgen
- auch das ist unsere Verantwortung -, dass sich diese
Extremisten nicht auf einmal sicher fühlen, weil sie das
Gefühl haben, der Staat beobachte sie nicht mehr mit
seinen V-Leuten.
Meine Damen und Herren, wir müssen festhalten:
Jegliche Unterstützung extremistischen oder fundamentalistischen Gedankenguts bedeutet eine Absage an die
Demokratie, an die Würde und an die Freiheit der Menschen. Die Extremisten suchen immer nach irgendeiner
Art von Sündenbock, manchmal laut auf der Straße,
wenn sie in Städten, Kommunen oder Gemeinden aufmarschieren. Ganz viele Gruppen nehmen das zur Gelegenheit, sich aktiv zur Wehr zu setzen; diese Gruppen
haben unsere Unterstützung.
Manchmal agieren die Extremisten aber klammheimlich: zu Hause oder mit modernen Kommunikationsmethoden. Deswegen müssen wir auch darüber reden, in
welcher Art und Weise sich radikale Elemente des Internets bemächtigen. Wir können alle feststellen, dass
Volksverhetzung, dass der Aufruf zu Straftaten heute
auch im Internet erfolgt. Dagegen kann man nur dann
wirksam vorgehen, wenn man einen erweiterten Zugriff
auf diese Daten bekommt. Deswegen müssen wir eine
Debatte auch darüber führen, was notwendig ist. Wir
wollen keine flächendeckende Kontrolle über die Internetdienste, aber wir wollen im Zweifelsfall aufklären
können, wann wer mit wem eine Straftat, ein Verbrechen, den Aufbau einer terroristischen Organisation
plant. Auch diesen Informationen dürfen wir uns nicht
verschließen.
({3})
Es klingt immer selbstverständlich, wenn man sagt,
dass die Wahrung unserer freiheitlich-demokratischen
Grundordnung uns alle angeht. Aber der Grundsatz der
wehrhaften Demokratie beschreibt auch eine Forderung,
nämlich dass die Bürger in die Lage versetzt werden
müssen, ihre freiheitliche Ordnung zu verteidigen, und
dass sie sich aktiv gegen den Missbrauch der Grundrechte stellen dürfen. Karl Popper hat das einmal, als er
über das Konzept der wehrhaften Demokratie gesprochen hat, mit einer Abwehr gegen den politischen Extremismus beschrieben. Er hat es so formuliert:
Wenn wir die unbeschränkte Toleranz sogar auf die
Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind,
eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden
die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz
mit ihnen.
Meine Damen und Herren, das heißt natürlich, dass
wir denjenigen, die aktiv gegen unsere Gesellschaftsordnung antreten, die ideologische Basis und den Nährboden entziehen müssen. Deswegen ist es richtig, jetzt
auch darüber nachzudenken und zu prüfen, wie ein
NPD-Verbotsverfahren aussehen kann. Wir haben auch
an dieser Stelle die Pflicht, dafür zu sorgen, dass sich der
Rechtsstaat nicht zur Beute seiner Bekämpfer macht.
Deswegen müssen wir die Grundlagen dafür schaffen,
dass am Schluss ein NPD-Verbotsverfahren erfolgreich
sein kann. Wir haben dies 2000 mit initiiert.
Herr Kollege Dobrindt, wollen Sie noch eine Frage
des Kollegen Ströbele beantworten? Ihre Redezeit ist
um.
Ich beantworte die Frage gerne.
Herr Kollege Ströbele, bitte schön.
Danke, Herr Präsident, dass Sie die Frage noch zugelassen haben.
Herr Kollege, Sie sprechen von wehrhafter Demokratie und haben schöne Zitate gebracht. Ich erinnere mich,
dass bereits vor zehn, zwölf Jahren eine ähnliche Wortwahl, ähnliche Zitate im Deutschen Bundestag zu hören
waren.
({0})
Ich höre den ganzen Vormittag die Empörung darüber,
was jetzt deutlich geworden ist, nämlich dass es einen
aggressiven rechtsradikalen Terrorismus in Deutschland
gibt. Wir vergessen dabei, dass es auch in den 90er-Jahren terroristische Anschläge in Deutschland gegeben hat.
Ich erinnere an Hoyerswerda, an Rostock, an Mölln und
an Solingen. Das waren schlimmste terroristische Taten.
({1})
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum nach dieser
Empörung, die einige Jahre angedauert hat, die Gelder
gekürzt wurden, das Interesse schwand, die Aufmerksamkeit bei den Ermittlungsbehörden und Verfassungsschutzbehörden nachgelassen hat? Plötzlich wollte man
das nicht mehr wahrhaben. In allen Verfassungsschutzberichten der letzten Jahre steht der zentrale Satz: Eine
terroristische rechtsextreme Gefahr gibt es nicht. - Das
heißt, wenn wir nicht immer wieder wohlfeile Worte
bringen wollen,
Herr Ströbele, ich glaube, die Frage ist angekommen.
- dann müssen wir irgendwann die Frage beantworten, wie wir uns kontinuierlich und ohne die Vergangenheit zu leugnen gegen solche Erscheinungen, gegen solchen Terrorismus auf den Straßen und in den Lokalen
zur Wehr setzen können. Haben Sie darauf eine Antwort?
({0})
Herr Ströbele, unterlassen Sie doch an dieser Stelle
den Versuch, einen Schwarzen Peter durch den Saal zu
schieben. Herr Ströbele, wir haben uns wie kein anderes
Land in Europa in den vergangenen Jahrzehnten mit umfangreichen finanziellen Mitteln dafür eingesetzt, um gegen extremistische Gewalt, gegen Rechts- und gegen
Linksextremismus, gegen alles, was dieser Gesellschaft
massiv schadet, zu mobilisieren.
({0})
Das macht die Einigkeit an dieser Stelle aus, die uns
große Anerkennung in der Welt gebracht hat. Wer heute
in solch einer Stunde im Deutschen Bundestag den Versuch unternimmt, den Schwarzen Peter in einem KleinKlein zwischen den politischen Parteien hin und her zu
schieben und zu fragen,
({1})
wo man im Detail etwas anders machen könnte, der begeht einen großen Fehler; denn er kündigt die Einigkeit
auf, wenn es darum geht, sich gegen Extremisten in diesem Lande zu wehren, Herr Ströbele.
({2})
Wir stehen für diesen freien demokratischen Rechtsstaat. Ich mache es noch einmal deutlich: Wir müssen
die Lehren der Vergangenheit ernst nehmen und dafür
sorgen, dass eine Partei, die unsere Verfassung ganz offen missachtet, eine Partei, die unsere Verfassung bekämpft, dafür nicht noch finanzielle Unterstützung vom
Staat und Rechtsfreiheiten durch unser Grundgesetz und
das Parteiengesetz bekommt. Deswegen, glaube ich,
müssen wir nicht nur ernsthaft prüfen, sondern in der Tat
auch dafür sorgen, dass die Grundlagen dafür geschaffen
werden, dass ein NPD-Verbotsverfahren am Schluss erfolgreich sein kann.
Danke schön.
({3})
Für eine letzte Kurzintervention erhält der Kollege
Röhlinger das Wort. - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und
Herren! Die Stadt Jena ist in den vergangenen Wochen
wiederholt als Ausgangspunkt des Terrorismus der rechten Szene genannt worden. Ich bin in der Zeit von 1990
bis 2006 Oberbürgermeister dieser Stadt gewesen und
kann Folgendes sagen: Ja, es gab dort von Beginn der
90er-Jahre an Ausländerfeindlichkeit. Wir hatten in zunehmendem Maße auch mit Rechtsextremismus zu tun.
Aber wir haben auf der Grundlage des Rechtsstaates versucht, Versammlungen und Demonstrationen von rechts
zu verhindern, häufig durch eine Gegendemonstration.
Wir haben gesagt: Die Straße gehört uns, den Bürgern,
den Familien, der Universität, der Wirtschaft usw. Das
ist uns gelungen. Aber wir hatten nicht damit gerechnet,
dass wir es mit Mördern und Terroristen zu tun haben,
die sich nicht scheuen, das Leben anderer infrage zu stellen.
Ich habe in der vergangenen Woche mit einem der
Verhandlungsführer gesprochen, der mir Folgendes gesagt hat: Ich bin manchmal mit großer Sorge nach Hause
gegangen. Unter anderem hat einer von denen, die zu
dieser Szene gehörten und heute noch leben, zu mir gesagt: Herr Pfeiffer, warum quälen Sie uns? Sie haben
doch zwei nette kleine Kinder. - Ich will Ihnen damit
deutlich machen, unter welchem Druck die Kommunen
stehen. Wir haben uns gemeinsam mit der Polizei und
mit der Justiz auf den Weg gemacht und haben, so glauben wir, Schlimmeres verhindert. Tatsächlich sind diese
Bombenleger ja aus Jena weggegangen, vielleicht auch
vor dem Hintergrund, dass sie sich beobachtet fühlten
und das Netzwerk in Jena nicht spannen konnten. Wir
waren damit nicht zufrieden, sondern haben auch in den
Nachbarstädten, zum Beispiel in Gera, in Rudolstadt und
anderen, an den Demonstrationen gegen rechts teilgenommen.
Ich will damit sagen: Unter den Städten, zum Beispiel
auch Dresden, gibt es eine Solidarität in diesen Dingen.
Deswegen unterstütze ich diese Erklärung zur Stärkung
der Zivilgesellschaft, die wir heute gehört haben. Wir
können nicht alles auf den Staat verlagern. Wichtig ist,
die Zivilgesellschaft zu stärken, sie sensibel zu halten
und nicht die Gleichgültigkeit, das Wegsehen zu unterstützen. Sensibilität muss weiter unterstützt werden, damit uns die Zivilgesellschaft mit der Unterstützung des
Staates vor solchen Dingen künftig bewahren kann.
Danke.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu dem gemeinsamen Entschließungs-
antrag aller Fraktionen auf der Drucksache 17/7771.
Hierzu liegt mir eine schriftliche Erklärung zur Ab-
stimmung des Kollegen Hunko von der Fraktion Die
Linke vor.1)
Wer stimmt für den gerade aufgerufenen gemeinsamen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist dieser Entschließungsantrag einstimmig angenommen. Ich bedanke mich.
({0})
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte II a und b auf:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2012 ({1})
- Drucksachen 17/6600, 17/6602 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2011 bis 2015
- Drucksachen 17/6601, 17/6602, 17/7126 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({3})
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz ({4})
Wir kommen nun zur Beratung der Einzelpläne, und
zwar zunächst zur Beratung der drei Einzelpläne, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
({5})
- Ich bitte darum, wieder Platz zu nehmen, damit wir zu
den Abstimmungen über die Einzelpläne, die ohne Aus-
sprache zur Abstimmung stehen, kommen können.
Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt II.1 auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 17/7101, 17/7123 -
1) Anlage 2
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Carsten Schneider ({6})
Dr. Dietmar Bartsch
Omid Nouripour
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 01
in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist dieser Einzelplan einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.2 auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 17/7102, 17/7123 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Johannes Kahrs
Roland Claus
Priska Hinz ({7})
Auch hier stimmen wir über den Einzelplan 02 in der
Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Einzelplan
mit erkennbar hinreichender Mehrheit angenommen bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und einzelnen
Gegenstimmen aus der Fraktion der SPD.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.3 auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 17/7123, 17/7124 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Stefanie Vogelsang
Klaus Brandner
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Tobias Lindner
Auch hier stimmen wir über den Einzelplan in der
Ausschussfassung ab. Wer dem zustimmt, den bitte ich
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Der Einzelplan 03 - Bundesrat - ist damit
einstimmig angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte II.4 a und b
auf:
a) Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 17/7108, 17/7123 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Brackmann
Carsten Schneider ({8})
Dr. Gesine Lötzsch
Dr. Tobias Lindner
Präsident Dr. Norbert Lammert
b) Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 17/7123, 17/7124 Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Kruse
Bernhard Brinkmann ({9})
Dr. Claudia Winterstein
Sven-Christian Kindler
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zu diesen beiden Einzelplänen 90 Minuten vorgesehen. Können wir so verfahren? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.
({10})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beginnen die Debatte über den Bundeshaushalt 2012,
wie ihn der Haushaltsausschuss vor zwei Wochen beschlossen hat.
Wir befinden uns im zweiten Jahr der schwarz-gelben
Koalition
({0})
in einem europäischen Umfeld, das durch eine kritische
Situation der Staatsfinanzierung - darum geht es ja beim
Bundeshaushalt - gekennzeichnet ist, in einem Umfeld,
in dem Länder mit hoher Verschuldung Probleme haben,
sich dauerhaft am Kapitalmarkt zu refinanzieren, und in
einem Umfeld, in dem der Fraktionsvorsitzende der
CDU/CSU Deutschland als fiskalisches Vorbild für
Europa gepriesen hat. Er tat das auf dem Leipziger Parteitag mit folgenden Sätzen:
Wir spüren, dass wir dieses Europa in eine neue
Zeit führen müssen.
Weiter sagte er:
Auf einmal wird in Europa Deutsch gesprochen.
Er forderte einheitliche Prinzipien der EU: Schuldenbremse, Haushaltsdisziplin und stärkere Kontrolle.
Abgesehen von dem diplomatischen Geschmäckle
- ich hätte so nicht formuliert - schließe ich daraus, dass
sich die Bundesregierung als Vorreiter für Solidität in
Europa sieht. Ich frage mich natürlich: Stimmt das? In
ganz Europa wird gekürzt, gespart, und die Defizite werden reduziert. Was ist die Situation in Deutschland?
Wenn ich mir den Haushalt 2012 ansehe, dann erkenne
ich: In Deutschland werden die Defizite beim Bund - die
Verantwortung dafür tragen Sie - nicht reduziert, sondern erhöht und ausgeweitet.
({1})
- Herr Kollege Barthle, ich wusste, dass Sie das jetzt sagen. Deshalb habe ich Ihnen einmal eine Grafik mitgebracht, damit Sie es richtig erkennen.
({2})
- Hier sind die Zahlen für das Jahr 2011, dieses Jahr,
dargestellt. Die Nettokreditaufnahme beträgt 22 Milliarden Euro. Was haben Sie für nächstes Jahr beschlossen?
Das steht hier am Freitag dieser Woche zur Abstimmung: 26,1 Milliarden Euro. Jetzt frage ich Sie: Was ist
höher?
({3})
22 oder 26?
Mit dieser Entscheidung, sehr geehrter Herr Finanzminister, liebe schwarz-gelbe Koalition, haben Sie jede
finanzpolitische Autorität in Europa verwirkt. Das Gegenteil ist der Fall.
({4})
Wer in Europa Wasser predigt und zu Hause Wein trinkt,
der muss sich nicht wundern, wenn seine Autorität verwirkt ist und wenn letztendlich nicht mehr auf ihn gehört
wird. Sie tun das insbesondere vor dem Hintergrund einer ausgezeichneten konjunkturellen Lage in Deutschland.
Verglichen mit den Planungen 2009/2010 ist das Defizit gering; das will ich zugestehen. Für 2011 wurde mit
knapp 48 Milliarden Euro geplant, im Ist sind es voraussichtlich 22 Milliarden Euro im Jahre 2011. Die Frage ist
nur: Warum ist es von 2010 auf 2011 gesunken? Das ist
ganz einfach: Weil die Konjunktur brummt, weil wir
Steuermehreinnahmen haben, weil die Leute in Deutschland fleißig sind, weil wir gute Unternehmen und einen
guten Mittelstand sowie ein gutes Handwerk haben, steigen die Steuereinnahmen, sinkt die Arbeitslosigkeit und
haben wir mehr in der Kasse und weniger Ausgaben.
Das ist der Grund, warum das Defizit sinkt. Das sind
aber Selbstläufer, das sind automatische Stabilisatoren,
an denen Sie keinerlei Anteil haben.
({5})
Vor eineinhalb Jahren haben Sie ein Sparpaket vorgelegt. Wir als Sozialdemokraten haben hier immer kritisiert, dass es dadurch zu einer ganz eindeutigen sozialen
Schieflage kommt; denn von den 80 Milliarden Euro, die
Sie über einen Zeitraum von vier Jahren sparen wollten,
betrafen 40 Milliarden Euro nur den Sozialbereich: Kürzungen beim Elterngeld, Kürzung beim Arbeitslosengeld II - Stichwort „Rentenversicherung“ - etc. Alle anderen Maßnahmen sind mittlerweile versandet. Ich
nenne hier nur einmal die ambitionierte Bundeswehrreform und die Finanztransaktionsteuer, die Sie einführen
wollten, wozu Sie Ihren Koalitionspartner aber nicht
bewegen können. Das Einzige, was von dem vor eineinhalb Jahren mit brachialer Rhetorik angekündigten Spar16778
Carsten Schneider ({6})
paket übrig geblieben ist, sind die Kürzungen im Sozialbereich in Höhe von 40 Milliarden Euro. Alles andere ist
weg. Hier zeigt sich, dass Sie das soziale Gewissen in
Deutschland nicht mehr verkörpern.
({7})
In Ihrem Koalitionsvertrag steht:
Wir stellen den Mut zur Zukunft der Verzagtheit
entgegen.
({8})
Ich weiß nicht, ob Sie ab und zu einmal den Koalitionsvertrag lesen. Ich schaue manchmal hinein und vergleiche. Mit Blick auf die Haushaltsberatungen kann ich nur
sagen: Sie sind so etwas von verzagt. Daher müsste es
heißen: Mit unserer Verzagtheit stellen wir uns dem Mut
zur Zukunft entgegen.
({9})
Ihre Etatplanung ist voller Löcher. Nehmen Sie nur
einmal die Beschlüsse des Koalitionsausschusses von
vor drei Wochen. Bei Ihnen hat zwar alles nur eine geringe Halbwertszeit, aber ich versuche, das einigermaßen ernst zu nehmen. Sie haben schon Beschlüsse für
die Jahre 2013 und 2014 gefasst. Wir sind allerdings
noch im Jahre 2011. Daher frage ich mich: Warum muss
man das jetzt schon beschließen? Aber bitte schön! Bei
Ihnen ist schon jetzt Weihnachten. Im Juni feiern Sie
schon Weihnachten. Sie verteilen Geschenke für die
nächste Legislaturperiode, die dann andere zu bezahlen
haben, aber okay.
Sie haben beschlossen, die Steuern zu senken, und
zwar im Volumen von 6 Milliarden Euro, davon betreffen 4 Milliarden den Bund. Sie haben beschlossen, ein
Betreuungsgeld in Höhe von 2 Milliarden Euro für Männer oder Frauen einzuführen, die zu Hause bleiben und
ihre Kinder erziehen.
({10})
Makroökonomisch sinnvoll wäre zwar, die Arbeitskräfte
gerade jetzt zur Verfügung zu haben und angesichts der
demografischen Entwicklung in den Kitaausbau zu investieren, aber das sei einmal dahingestellt. Ihre Politik
führt jedoch dazu - ich zeige Ihnen die Grafik noch einmal -, dass die im Jahre 2014 von Ihnen geplante Kreditaufnahme von 18 Milliarden Euro um 6 Milliarden Euro
Koalitionskitt steigen wird. Hinzu kommt, dass darin
noch eine globale Minderausgabe von 5 Milliarden Euro
enthalten ist. Das heißt, nach jetziger Planung haben Sie
ein Defizit, optimistisch geschätzt, von knapp 30 Milliarden Euro: 22 Milliarden Euro in 2011, 30 Milliarden
Euro in 2014. Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Sie sind finanzpolitisch gescheitert!
({11})
- Wenn Sie mir das nicht glauben, sehr geehrter Herr
Wissing, dann lesen Sie die Kommentare dazu in der
FAZ, in der Süddeutsche Zeitung und im Handelsblatt.
Ich will aus dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, die Sie schätzen, vom gestrigen Tage zitieren:
Vor diesem Hintergrund
- es wird dabei auf die langfristige Tragfähigkeit der
Finanzen eingegangen sollte die strukturelle Defizitrückführung Priorität
haben. Die an mehreren Stellen erfolgte Aufweichung des ursprünglich vereinbarten Konsolidierungskurses - wie jüngst mit den Beschlüssen des
Koalitionsausschusses … - weist allerdings in eine
andere Richtung. Dabei werden insbesondere die
schrittweisen Aufwärtsrevisionen der Steuereinnahmenprognose im Konjunkturaufschwung zum Anlass genommen, die Beseitigung der strukturellen
Haushaltschieflage zu verzögern.
Auf Seite 74 heißt es:
Mit dem Bundeshaushalt 2012 ist eine merkliche
Abkehr von den Konsolidierungsbeschlüssen vom
Juni 2010 verbunden.
Sechs, setzen. Diese Sätze sind der Beleg für Ihre finanzpolitische Unsolidität.
({12})
Wenn das nicht so bitter wäre, könnte man mit Humor
darüber hinwegsehen. Aber wir haben derzeit in Europa
eine Existenzkrise. Statt Ihrer Vorbildfunktion nachzukommen - Sie wollen die Schuldenbremse exportieren,
alle anderen sollen sie implementieren; ganz abgesehen
davon, dass Sie, liebe FDP, damals nicht zugestimmt haben -, weichen Sie die Schuldenbremse in Deutschland
auf.
({13})
Sie setzen die Regeln nicht so um, wie sie der Deutsche
Bundestag beschlossen hat und wie es dem Geist des Gesetzes angemessen wäre. Das sagen Ihnen der Bundesrechnungshof, der Sachverständigenrat und auch die
Deutsche Bundesbank. Sie veranschlagen 50 Milliarden
Euro - das werden wir im März 2012 sehen - als höhere
Kreditaufnahme, sodass Sie die Möglichkeit haben,
irgendwann weitere Steuersenkungen zu finanzieren.
Wer so handelt, der wird der Verantwortung Deutschlands und auch seiner Führungsrolle in Europa überhaupt nicht gerecht.
({14})
Wir Sozialdemokraten setzen dem einen Pakt für Bildung und Entschuldung entgegen. Mit den Vorschlägen,
die wir hier präsentieren und auf die ich eingehen werde,
halten wir die Schuldenbremse nach genauer Anwendung der Regelungen ein. Wir kommen damit in diesem
Jahr auf eine Kreditaufnahme von 20 Milliarden Euro.
Wir schaffen Vorsorge in Höhe von 1,5 Milliarden Euro
für mögliche Ausfälle bei den internationalen Krediten,
zum Beispiel für Griechenland.
Carsten Schneider ({15})
Vorsorge bei Ihnen: Null! Sie fahren sehenden Auges
mit Vollgas auf eine Wand zu. Sie wissen noch nicht einmal, wie Sie in diesem Fall reagieren sollen. Das ist
abenteuerlich! Das ist nicht nach Art der schwäbischen
Hausfrau! Das ist letztendlich eine Vollkaskoversicherung. Es bedeutet, dass der Bund am Ende zahlt und die
Steuerzahler in der Zukunft, wenn die Steuereinnahmen
nicht mehr so sprudeln wie bisher, mit höheren Zinsen
belastet werden.
Ich glaube, es ist logisch und entspricht der ökonomischen Theorie: Man muss als Staat auch in schlechten
Zeiten handeln können. Wir haben das 2009 im Rahmen
der Konjunkturprogramme getan. Man muss zusätzlich
investieren und die automatischen Stabilisatoren walten
lassen.
({16})
- Sie haben damals nicht zugestimmt, sehr geehrter Herr
Fricke. Sie profitieren heute von diesen Maßnahmen, die
dazu geführt haben, dass wir Deutschland aus der Krise
herausgebracht haben und ein Wachstum erzielen, von
dem Sie nicht einmal geträumt haben.
({17})
Wissen Sie, was die Kehrseite der Medaille ist? Wenn
es gut läuft, muss man die Mittel dafür einsetzen, die
Schulden zu reduzieren. Das tun Sie aber nicht.
({18})
Nein, Sie machen den klassischen Fehler: In guten Zeiten prassen Sie, Sie erhöhen die Ausgaben, machen
Steuergeschenke und führen das Defizit nicht im notwendigen Maße zurück. Das ist brandgefährlich, weil
kein anderes Land in Europa in einer konjunkturellen
Schwächephase zu expansiver Finanzpolitik in der Lage
ist. Ich will es nicht herbeireden, aber wir befinden uns
in einer fragilen Situation im Euro-Raum, von dem wir
abhängig sind. Sie werden keine Kraft mehr haben, um
gegenzusteuern. Das ist der dramatische Punkt, an dem
wir heute stehen.
Deshalb ist diese Finanzpolitik nicht weitsichtig, sondern kurzsichtig. Sie ist - das sieht man auch heute - gescheitert, weil sie keine Vorsorge trifft.
({19})
Wie bauen wir das Defizit ab? Ich will zwei Punkte
nennen. Erstens durch Subventionsabbau. Wir haben Ihnen eine exakte Liste vorgelegt, auf der wir zum einen
ökologisch schädliche Subventionen aufgeführt haben
und zum anderen die Subventionen im Einkommensteuerrecht, mit denen wir nach der Rasenmähermethode
verfahren wollen.
({20})
- Das kommt noch, sehr geehrter Herr Kollege.
Bisher haben Sie im Subventions- und Bürokratieabbau nichts bewirkt. Sie haben in den Ministerien
480 neue Stellen geschaffen. Die FDP hat besonders
heftig zugelangt.
({21})
Nehmen wir nur Herrn Niebel als Entwicklungshilfeminister. Vor der Wahl wollte er das Ressort abschaffen.
Nach der Wahl wird es mit 160 Stellen erst richtig aufgepumpt. Dass Sie sich nicht ein bisschen schämen, meine
Damen und Herren!
({22})
Zweitens. Die Defizite, die wir in den Staatshaushalten haben, gehen vor allem auf die Finanzkrise und
die Rettungsmaßnahmen zurück, die wir als Bundesrepublik für den Finanzsektor und letztendlich für die
Sparer mitgetragen haben.
Herr Kollege Schneider, Herr Koppelin würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gerne.
Lieber Herr Kollege Carsten Schneider, fangen wir
mit dem Entwicklungshilfeministerium an: Ist dir bekannt, dass vorher 700 Stellen gestrichen worden sind
und dass wir gemeinsam beschlossen haben, diese Stellen zu schaffen, um die Reform im Entwicklungshilfeministerium zusammen mit der GIZ durchzuführen? Das
war das Entscheidende: 700 Stellen wurden gestrichen.
Wir haben immer den Abbau von Stellen im öffentlichen Bereich gefordert, etwa 1,5 Prozent in den Ministerien. Kannst du dem Hohen Hause erklären, warum die
Sozialdemokraten in ihrem Antrag gefordert haben,
diese Stellen nicht abzubauen? Es geht um 3 000 Stellen.
Wir ziehen das durch. Ihr wart dagegen.
Das kann ich Ihnen exakt sagen, lieber Kollege
Koppelin. Sie machen eines: Oben in den Ministerien
wird kräftig aufgebaut, in der höchsten Besoldungsstufe
ab A 16 aufwärts. Da geht es um 5 000 bis 6 000 Euro
brutto. In den unteren Chargen rasieren Sie gnadenlos
weg.
({0})
Nehmen Sie den Zoll oder die Bundespolizei. In all diesen Bereichen, in denen wir die Leute vor Ort brauchen,
die mit ihrer Arbeit die Aufgaben des Staates wahrnehmen - wir brauchen sie auch bei der Kontrolle der
Schwarzarbeit -, wird rasiert. Die Stellen bei den untersten Einkommen werden weggestrichen, und bei den
obersten wird in ihren Ressorts dicke zugelangt. So etwas habe ich in allen Haushaltsberatungen bisher nicht
Carsten Schneider ({1})
erlebt: Es wird dicke zugelangt, und vor allem: Die
Hälfte aller Stellen geht in die FDP-Ressorts.
Man kann nun denken: Rette sich, wer kann. Ob das
für Deutschland gut ist, mag dahingestellt sein. Sie sollten zumindest dazu stehen, dass Sie in den Ministerien in
den Stäben und Grundsatzabteilungen Personal aufbauen
und in den untersten Bereichen Stellen streichen. Das
machen wir Sozialdemokraten nicht mit. Damit haben
Sie recht.
({2})
Möchten Sie eine zweite Frage des Kollegen
Koppelin zulassen?
Ja.
Bitte schön, Herr Koppelin.
Lieber Kollege Carsten Schneider, darf ich dich einladen, morgen an der Debatte über den Verteidigungsetat
teilzunehmen? Wir haben im unteren Bereich der Besoldungsgruppen über 700 Stellen angehoben, damit die
Soldaten endlich befördert werden können.
({0})
Lieber Kollege Koppelin, in diesem Punkt geht es um
die Frage der Stellenhebung, also um die Eingruppierung. Wenn jemand in einer A-8-Stelle eingruppiert ist
und diese Stelle angehoben wird, dann wird keine neue
Stelle geschaffen. Das Einkommen, das in diesen Besoldungsgruppen sehr gering ist, wird erhöht. Dem haben
wir zugestimmt. Das will ich ganz klar sagen. Der entscheidende Punkt ist aber, dass Sie pauschal Stellen im
unteren Besoldungsbereich bei den nachgeordneten Behörden, die Deutschland zusammenhalten und für Recht
und Ordnung sorgen, einsparen und sich selbst die
Pfründe in den Ministerien schaffen. Das machen wir
nicht mit. Das ist doch ganz klar.
({0})
Es tut mir leid, dass ich das so sagen muss, aber es ist
letztendlich das, was Sie beschlossen haben.
Meine Damen und Herren, einen zweiten Bereich
möchte ich noch kurz ansprechen. Es geht um die Frage
von Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Ein Teil
unserer Gegenfinanzierung ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro. Wir sind der
Auffassung, dass wir Billigstlöhne in Deutschland nicht
mehr subventionieren sollten.
({1})
Wer arbeiten geht, muss von seiner Arbeit auch leben
und seine Familie ernähren können. Es kann nicht sein,
dass einem Menschen, der eine Arbeitsstelle in einem
Unternehmen antritt, gesagt wird: Du erhältst 6 Euro,
und wenn das nicht reicht, weil du zwei Kinder hast,
dann geh zum Amt und lass dir dort zusätzlich Unterstützung geben. - Das wollen wir nicht. Da soll ein Schlussstrich gezogen werden. Deswegen sind wir für einen gesetzlichen Mindestlohn.
({2})
Ich hoffe, dass der Minimindestlohn, den die CDU
auf ihrem Parteitag beschlossen hat, auch in den Bundestag eingebracht wird. Dann könnten wir die Ungerechtigkeit in der Vermögens- und Einkommensverteilung,
die es in diesem Land gibt, nämlich dass die Reichen immer reicher werden und für die Ärmsten nichts übrig
bleibt, beseitigen und für die nötigen Staatseinnahmen
sorgen, die notwendig sind, um sauber und solide durch
diese Finanzkrise zu kommen.
Vielen Dank.
({3})
Der Kollege Norbert Barthle hat das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schneider, eine
Frage müssen Sie sich stellen: Was wollen Sie eigentlich
damit erreichen, wenn Sie nicht nur den Bundeshaushalt,
sondern ganz Deutschland, vor allem auch im europäischen Kontext, deutlich schlechter reden, als es tatsächlich ist? Was wollen Sie damit erreichen?
({0})
Diese Frage sollten Sie sich einmal stellen. Auf die Fakten gehe ich nachher noch ein.
Der Haushalt, den wir in dieser Woche in zweiter und
dritter Lesung beraten, steht nach wie vor unter dem Eindruck einer verschärften Staatsschuldenkrise in Europa.
Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Die Nervosität
auf den Anleihemärkten wächst noch, anstatt abzunehmen. Am Konjunkturhimmel zeigen sich nicht nur
europaweit die ersten dunklen Wolken. Die aktuelle
Herbstprognose der EU zeigt, dass die Krise in der Realwirtschaft angekommen ist. Der Aufschwung in der EU
ist sozusagen zum Stillstand gekommen. Für uns in
Deutschland erwächst dadurch eine doppelte Herausforderung; denn wir müssen als stärkste Volkswirtschaft in
Europa sowohl Wachstumsmotor als auch Stabilitätsanker sein. Dieser Verantwortung stellen wir uns. Ein Blick
auf die Zahlen zeigt nämlich ganz deutlich, dass wir auf
dem richtigen Weg sind.
({1})
Die christlich-liberale Koalition bleibt auf dem
wachstumsfreundlichen Konsolidierungskurs. Das zahlt
sich für uns und für Europa aus. Das deutsche Wachstum
ist nach den Schätzungen der Europäischen Kommission
das höchste in der Euro-Zone. Auch im nächsten Jahr
werden wir trotz der Eintrübung das zentrale Kraftzentrum in Europa sein. Daraus leitet sich die Zahlenbasis
ab: Wir sind beim Abbau unseres Defizits einen wesentlichen Schritt vorangekommen. Laut EU-Kommission
beträgt es in diesem Jahr 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - es ist damit das niedrigste Defizit in der
Euro-Zone -, im nächsten Jahr wird es 1,0 Prozent und
im darauffolgenden Jahr 0,7 Prozent betragen. Unter
Rot-Grün lag es drei Jahre hintereinander bei über 3 Prozent. Daran wollen wir erinnern.
Mit dem Haushalt 2012 gehen wir diesen Weg konsequent weiter. 26,1 Milliarden Euro Neuverschuldung:
Damit bleiben wir deutlich unter der maximal zulässigen
Grenze der Schuldenregel von 40 Milliarden Euro. Auch
im kommenden Jahr werden wir die Schuldenregel strikt
einhalten. Damit geben wir ein klares, deutliches und
wichtiges Signal der Stabilität und der Verlässlichkeit für
ganz Europa aus.
Lassen Sie mich einmal die Herbstprognose der Europäischen Kommission zitieren: Wir bleiben in den Jahren 2012 und 2013 mit 1,0 bzw. 0,7 Prozent Defizit deutlich unter der Drei-Prozent-Grenze.
Bei den Haushaltsberatungen haben wir immer nach
dem Grundsatz der Vorsicht agiert. Deshalb ist es uns
gelungen, den schon guten Haushaltsansatz des Bundesfinanzministers mit 27,2 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme nochmals um 1,1 Milliarden Euro abzusenken.
({2})
Wir hätten den Etat auch aufhübschen können; keine
Frage. Man hätte Planansätze aufbessern, Hoffnungswerte und Schätzansätze hineinschreiben und damit die
NKA noch drücken können. Aber das tun wir nicht. Im
Gegenteil: Wir bleiben auf dem vorsichtigen Weg und
schließen dann am Ende des Jahres lieber besser ab, anstatt Nachtragshaushalte aufzulegen.
Wer schon länger dabei ist, erinnert sich noch an rotgrüne Regierungszeiten. Damals gab es in jedem Jahr einen auf Kante genähten Haushalt. Herr Kollege
Schneider, die von Ihnen zitierte schwäbische Hausfrau
weiß ganz genau: Wer auf Kante näht, der riskiert, dass
die Naht bei der ersten Belastung ausreißt. Das machen
wir nicht. Wir bleiben solide. Lieber haben wir am Jahresende Reserven - wie auch dieses Jahr -, anstatt zu optimistisch zu planen.
({3})
Jetzt zu Ihrer Argumentation und Ihren komischen
Balken, die nicht wahrer werden, auch wenn sie schön
bunt sind.
({4})
Wer seriös argumentiert, der vergleicht Haushaltssoll mit
Haushaltssoll und Haushaltsist mit Haushaltsist. Der
Planwert für das Jahr 2010 betrug damals 80 Milliarden
Euro. Das Ist hingegen lag bei 44 Milliarden Euro. Der
Planwert für 2011 betrug 48 Milliarden Euro. Im Ist werden wir irgendwo zwischen 20 und 25 Milliarden Euro
landen, vielleicht näher bei 20 Milliarden Euro, wenn es
weiterhin gut läuft. Wer weiß, was in den nächsten vier,
fünf Wochen noch passiert.
Aber das voraussichtliche maximale Soll des Jahres
2012 mit dem Ist des Jahres 2011 zu vergleichen, ist ein
Vergleich von Äpfeln mit Birnen, der nicht zulässig ist;
denn Sie wissen nicht, wo wir Ende des Jahres 2012 landen werden. Auch wissen Sie nicht, wo wir Ende dieses
Jahres landen werden. Deshalb ist dieser Vergleich unseriös.
Ich wiederhole: Wer auf die Sollzahlen der vergangenen zwei Jahre schaut, der sieht eine klar abfallende Linie der Nettokreditaufnahme. Wer auf die Istzahlen der
vergangenen zwei Jahre schaut, der sieht ebenfalls eine
klar abfallende Linie und keine steigenden Balken. Deshalb: Wer so argumentiert, der verrechnet sich entweder
bewusst oder unbewusst. Würde ich mit Balken argumentieren, dann würde dieses Pult noch ausreichen, um
26 oder 27 Milliarden Euro abzubilden. Die 80 Milliarden Euro wären aber irgendwo dort oben an der Decke.
Deshalb lasse ich das mit den Balken.
({5})
Wir hören von der Opposition immer wieder den Vorwurf, wir müssten noch mehr sparen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle erlaube ich mir den Hinweis, dass wir die Wachstumsprognose für das kommende Jahr auf 1 Prozent zurücknehmen mussten. Das sind rund 2 Prozent weniger als in
diesem Jahr. In dem Entwurf des Finanzministeriums
waren aber schon 2 Milliarden Euro zusätzliche Steuermehreinnahmen durch Wachstum eingepreist. Das muss
man zur Kenntnis nehmen.
Deshalb würde ich mir wünschen, dass solche Sparappelle nicht bei uns, bei der Koalition, die wirklich
spart, und nicht beim Finanzminister anlanden, sondern
dass Sie in den Ländern für Disziplin sorgen,
({7})
vor allem in den Ländern, die bisher noch sehr zögerlich
sind, sich der Schuldenbremse anzunehmen. Das wäre
wesentlich hilfreicher.
({8})
Der Haushalt 2012 ist ein guter Haushalt. Das zeigt
sich insbesondere an der Ausgabenentwicklung. Wenn
Sie sich die Ausgabenentwicklung einmal anschauen,
dann stellen Sie fest, dass wir praktisch stabil sind. Wir
haben hier nur 0,1 Prozent Zuwachs gegenüber dem Vorjahr. Das ist nahezu stabil.
Wenn man 1,8 Prozent Inflationsrate hinzurechnet,
dann ist die Ausgabensituation real betrachtet sogar
rückläufig. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
Das Geheimnis unserer Konsolidierungsstrategie ist,
die Ausgaben zu begrenzen und damit die Haushalte
nachhaltig zu konsolidieren. Das war bei Ihnen immer
ganz anders: Sie wollten mehr ausgeben und dafür die
Steuern erhöhen. Das ist nicht unser Weg. Unser Weg ist
die nachhaltige Konsolidierung der Haushalte durch eine
Begrenzung der Ausgaben. Damit sind wir erfolgreich.
({9})
Lassen Sie mich noch ganz kurz erwähnen, dass wir
während der Haushaltsberatungen auf Initiative des Parlaments noch einige Schwerpunktverschiebungen vorgenommen haben, dass aber die Mittel immer an anderer
Stelle, entweder im selben Etat oder in anderen Etats,
entsprechend eingespart wurden. Wir erhöhen die Mittel
für Investitionen in die Infrastruktur in den Jahren 2012
und 2013 im Vergleich zum Regierungsentwurf um
1 Milliarde Euro. Das ist ein deutliches Signal in das
Land hinein. Wir wollen den Substanzverzehr aufhalten
und tun etwas für die Infrastruktur, auch für die Zukunft
unseres Landes. Wir geben im Vergleich zum Vorjahr
11 Prozent mehr für Bildung und Forschung aus. Auch
das ist ein deutliches Signal. Wir haben zudem einen
Energie- und Klimafonds geschaffen, der für eine sichere Finanzierungsbasis sorgt, und die Ausgaben entsprechend veranschlagt.
({10})
Wir haben die Ansätze für die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und
den Städtebau etwas besser ausgestattet, genauso wie für
den Luftfrachtsicherheitsbereich. Wir haben aber immer
für einen entsprechenden Ausgleich im selben Etat oder
in anderen Etats gesorgt.
Das sind die Schwerpunktsetzungen im parlamentarischen Verfahren. Da wir im Laufe der Woche darauf
noch ausgiebig eingehen werden, will ich es damit bewenden lassen.
CDU/CSU und FDP handeln immer nach dem Dreiklang: konsolidieren, investieren, wo es notwendig ist,
und steuerlich entlasten, wo es angebracht ist.
Herr Kollege!
Wir nehmen keine Steuererhöhungen vor, um mehr
Ausgaben tätigen zu können. Das ist nicht unser Weg.
Herzlichen Dank.
({0})
Der Kollege Dietmar Bartsch hat das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Barthle, hier redet niemand das Land schlecht. Aber das
Parlament ist nun einmal der Ort, wo die Realität beleuchtet werden soll. Wir von der Opposition reden sehr
wohl diese Regierung ob ihrer Haushaltspolitik schlecht.
Dafür gibt es aber auch wirklich gute Gründe.
({0})
Denn der Haushalt 2012 ist ungerecht, unsozial und unsolide. Er steht vor allen Dingen unter drei Aspekten in
einer unrühmlichen Kontinuität. Die erste Kontinuität ist
das Schuldenmachen. Die Bundesregierung spielt sich
völlig zu Unrecht in Europa als Musterschüler beim Sparen und in der Haushaltskonsolidierung auf. Von wegen
fiskalisches Musterland! Jean-Claude Juncker bezeichnet die deutschen Staatsschulden völlig zu Recht als besorgniserregend. Er kritisiert, dass unsere Schulden, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, höher als die
spanischen sind. Der Mann hat recht.
Wie sieht die konkrete Situation aus? Die Neuverschuldung im Jahre 2012 steigt im Vergleich zu diesem
Jahr um 4,1 Milliarden Euro. 4,1 Milliarden Euro mehr
Schulden wollen Sie aufnehmen. Das ist die konkrete Situation.
({1})
- Weil ihr das so plant. Deswegen ist es so.
({2})
Für die gesamte Legislaturperiode, meine Damen und
Herren von der Koalition, sollen 123,7 Milliarden Euro
neue Schulden aufgenommen werden. 123,7 Milliarden
Euro neue Schulden! Da muss mir einer einmal erklären,
was das mit der klugen schwäbischen Hausfrau zu tun
haben soll. Das hat rein gar nichts damit zu tun.
({3})
Sie sind ein Schuldenminister, Herr Schäuble.
({4})
Der Haushalt des Jahres 2012 ist auch deshalb unrealistisch und unseriös, weil Sie entscheidende Haushaltsrisiken nicht abgebildet haben. Der Konjunkturabschwung ist
bereits sichtbar. Vielleicht gibt es ein Nullwachstum. Sogar ein sinkendes Bruttoinlandsprodukt ist möglich. Die
Finanzkrise und die daraus entstehenden Krisenprozesse
sind in keiner Weise berücksichtigt. Was passiert, wenn
sich die Entwicklung in Griechenland weiter verschärft?
Was passiert im nächsten Jahr in Italien? Was passiert
bei den Banken und insbesondere bei den LandesbanDr. Dietmar Bartsch
ken? Welche Haushaltsrisiken sind damit verbunden?
Das alles bilden Sie nicht ab. Die Zinsprognose ist reichlich optimistisch gehalten.
({5})
Wenn wir sehen, dass schon heute die Belastung des
Bundes durch die Zinsen auf die 1,3 Billionen Euro
Schulden 38,4 Milliarden Euro beträgt, dann wissen wir,
in welcher Situation wir hier in Deutschland sind. Wenn
Sie der linken Opposition aus ideologischen Gründen
schon nicht glauben: Angesichts von 800 Milliarden
Euro Gewährleistungen und Bürgschaften des Bundes
verweist der Bundesrechnungshof auf die riskanten Verpflichtungen, die sich daraus ergeben.
Der Haushalt ist finanzpolitisch und haushaltspolitisch falsch. Deutschland hat ein Einnahmeproblem, kein
Ausgabeproblem. Und es ist eben nicht so, Herr Barthle,
dass Sie in die Zukunft investieren. Sie sparen bei den
Investitionen in die Zukunft. Wichtige Zukunftsinvestitionen werden sogar zurückgefahren. Sie verweigern
erforderliche Mittel für eine kommunale Investitionspauschale. Sie reduzieren die Mittel für die Städtebauförderung, insbesondere die für den erfolgreichen
Stadtumbau Ost, von dem im Übrigen auch Regionen in
den alten Bundesländern profitieren können.
({6})
Sie verweigern die Mittel für die Beseitigung des Investitionsstaus in Krankenhäusern und vieles andere mehr.
Sie setzen mit diesem Haushalt die ungerechte und
unsoziale Umverteilungspolitik von unten nach oben fort.
Die Krisenverursacher und die Nutznießer der Krise werden weiter nicht in die Pflicht genommen. Es ist wahr,
dass in der tiefsten Krise die Zahl der Vermögensmillionäre in Deutschland weiter gestiegen ist: 924 000 Vermögensmillionäre gibt es in Deutschland. Die Zahl der Milliardäre in Deutschland steigt.
Zugleich geht die Schere zwischen Arm und Reich
weiter auseinander. In Deutschland sind 12,6 Millionen
Menschen von Armut bedroht. Weil keiner hier im Plenum, mich eingeschlossen, aus eigenem Erleben weiß,
was Armut heute heißt, will ich Ihnen das sagen: Aus finanziellen Gründen können 16,2 Prozent dieser Menschen ihre Wohnung nicht angemessen warm halten.
Rund 30 Prozent dieser Menschen können sich nicht jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit leisten. Eine
Woche Urlaub im Jahr, woanders als zu Hause, können
sich 60,5 Prozent der von Armut bedrohten Menschen
nicht leisten. Die Linke wird diesem Haushalt nicht zustimmen, weil diese Schere für uns inakzeptabel ist.
({7})
Nun will ich zu den wirklich aberwitzigen Steuersenkungsplänen der Regierung in dieser Haushaltssituation
kommen. Wenn es denn nur darum ginge, die kalte Progression abzuschaffen oder den Freibetrag anzuheben,
was ja verfassungsrechtlich geboten wäre, dann könnten
Sie sogar auf unsere Zustimmung rechnen,
({8})
wenn Sie das durch höhere Einnahmen kompensieren
würden.
({9})
Aber das genau tun Sie nicht. Sie setzen einen Weg fort,
der seit dem Jahr 2000 gegangen worden ist, wo durch
eine falsche Steuersenkungspolitik, die immer bei den
Konzernen, bei den Reichen und Superreichen ankommt, Einnahmeverluste in Höhe von 400 Milliarden
Euro zu verzeichnen sind.
Eine gerechte Steuerpolitik muss erkennbar anders
aussehen. Sie muss nämlich Entlastung bei denjenigen
bringen, die wenig haben. Da mehr netto vom Brutto,
das wäre der richtige Ansatz.
({10})
Wer sind aber bei Ihnen die Nutznießer? Das sind die
Gutverdienenden. Viele Menschen mit geringem Einkommen, Rentnerinnen und Rentner, Studentinnen und
Studenten, werden von diesen Maßnahmen überhaupt
nicht profitieren.
Carsten Schneider, du hast gesagt, dass das mit Weihnachten zu tun hat. Das hat nichts mit Weihnachten zu
tun, sondern das hat damit zu tun, dass Parteitage bevorstanden. Weil es Parteitage gab, musste das entschieden
werden. Die Bundeskanzlerin müsste es eigentlich besser wissen. Sowohl schuldenfinanzierte Steuersenkungen als auch ökonomisch nicht gedeckte Parteitagsgeschenke einer Regierungspartei im Geiste der „Einheit
von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ haben eines gemeinsam: Sie sind ökonomisch und haushaltspolitisch falsch,
und sie verfehlen das versprochene Ziel. Es ist letztlich
ein untauglicher Versuch, hier einen Rettungsschirm für
die FDP aufzuspannen.
({11})
Wir haben in Deutschland ein Einnahmeproblem. Die
Steuersenkungen sind falsch. Ich frage mich, warum Sie
steuerpolitisch nicht auf folgende Ideen kommen - ich
habe die Zahl der Vermögensmillionäre genannt -: Warum ist eine Millionärsteuer in dieser Situation denn so
abwegig? Bei einem Freibetrag von 1 Million Euro sind
vergleichsweise viele schon einmal heraus. Ein Steuersatz von 5 Prozent würde zweistellige Milliardenbeträge
in die öffentlichen Haushalte bringen. Warum kommen
Sie nicht mal auf den Gedanken, den Spitzensteuersatz
in Richtung 50 Prozent anzuheben? Warum kommen Sie
nicht mal auf die Idee, die Erbschaftsteuer so zu reformieren, dass die wirklich großen Erbschaften - wieder
bei hohen Freibeträgen - tatsächlich zur Konsolidierung
der Haushalte beitragen? Warum wird die Finanztransaktionsteuer nicht mit größerem Nachdruck vertreten?
Sie müssen unsere englischen Freunde etwas mehr bedrängen, damit nicht nur geredet wird, sondern damit wir
wirklich zu höheren Einnahmen kommen.
({12})
Ich will ein Wort zum Schuldenabbau und zu Einsparmöglichkeiten sagen. Früher, als die FDP noch in der
Opposition war, gab es hier immer ein dickes Liberales
Sparbuch.
({13})
- Gelb, gelb-blau. - Davon ist wirklich nichts geblieben.
Wenn Sie sich die Vorschläge der Opposition anschauen,
dann wissen Sie, dass wir mehrere Bände mit Sparvorschlägen herausgeben könnten. Das ist die reale Situation. Allein die Linke hat über 160 konkrete Änderungsvorschläge gemacht.
({14})
Ich will nur zwei benennen, die aus meiner Sicht erwägenswert sind:
Erstens. Wenn wir das Berlin/Bonn-Gesetz ändern
würden, hätten wir dauerhafte Einsparmöglichkeiten.
({15})
Die Bundesregierung gehört nach Berlin. Allein die
Flugkosten belaufen sich auf 3,3 Millionen Euro. Wir
fordern die Wiedervereinigung der Bundesregierung hier
in Berlin.
({16})
Ich will einen zweiten Vorschlag ansprechen, der mir
wichtig ist und der interessanterweise jetzt auch bei der
CDU angekommen ist - darauf ist verwiesen worden -:
das Thema Mindestlohn. Gegen Hungerlöhne und prekäre Beschäftigung ist die Linke ohne Wenn und Aber.
Aber ich will darauf hinweisen, dass bei einem angemessenen Mindestlohn auch die Aufstockerkosten wegfallen
würden. Das wäre gut für die Sozialkassen, und es würde
nach allen Studien auch mehr Einnahmen in die öffentlichen Kassen bringen. Deshalb darf hier nicht nur geredet, sondern muss auch gehandelt werden, meine Damen
und Herren von der CDU. Bringen Sie doch Ihren Antrag auf einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ein! Sie haben im Deutschen Bundestag dafür eine
Mehrheit.
({17})
Herr Kollege, der Kollege Koppelin würde Ihnen gern
eine Zwischenfrage stellen.
Der Kollege Koppelin immer gerne.
Du redest so schnell, dass man gar nicht dazwischenkommt. - Ich habe eine Frage zum Thema Bonn/Berlin.
Habe ich es richtig zur Kenntnis genommen, dass laut einem Pressebericht ein Abgeordneter der Linken, der aus
Bonn kommt, genauso massiv wie alle anderen aus Bonn
Kommenden gegen das ist, was du hier gerade vorgeschlagen hast?
({0})
Die Linke hat in dieser Frage eine klare und eindeutige Position: Wir wollen die Wiedervereinigung der
Bundesregierung in Berlin. Das ist Beschlusslage der
Fraktion. Mir ist eigentlich kein Bonner Abgeordneter
- da muss ich mal Richtung NRW schauen - bekannt,
der dagegen ist. Herr Weise hat doch, wie wir alle wissen, einen guten Vorschlag für das Verteidigungsministerium gemacht. Warum werden die Ministerien, die in
Bonn sind, nicht hierher geholt? Allein die Flugkosten,
der Transport von Papier usw. sind aberwitzig. Wir sollten gemeinsam sehr sensibel, aber endlich dieses Gesetz
modifizieren und die Bundesregierung komplett nach
Berlin holen.
({0})
Da ich Frau Schröder hier gesehen habe, möchte ich
eine Bemerkung zum Thema Rechtsextremismus machen. Es ist gut, dass alle Fraktionen heute früh vereinbart haben, die Kürzungen in diesem Bereich zurückzunehmen. Es ist auch sehr gut, dass wir über dieses
Thema eine Debatte geführt und dazu einen gemeinsamen Antrag verabschiedet haben. Das ist höchst löblich.
Aber eines will ich doch kritisieren: dass überhaupt über
solche Kürzungen nachgedacht worden ist und dass wochenlang eine Tatenlosigkeit und Sprachlosigkeit der
Ministerin zu beobachten war. Das ist wirklich inakzeptabel, sehr geehrte Frau Schröder.
({1})
Gestatten Sie mir eine Bemerkung in Richtung CDU.
Ich habe auf Ihrem Parteitag von der Kanzlerin viel gehört, von dem Kompass, den sie hat und der in die richtige Richtung weist. Dieser Kompass ist sozusagen das
wichtigste Hilfsmittel der Bundeskanzlerin. Ich will Ihnen sagen: Ein Kompass taugt überhaupt nichts, wenn
man nicht weiß, wo man ist.
({2})
Er taugt auch nichts, wenn man nicht weiß, wie man dahin gekommen ist. Das ist die Situation, in der sich die
Bundesregierung befindet.
({3})
Sie werden am Ende der Legislatur eine Riesenschuldenlast aufgehäuft haben. Sie werden am Ende der Legislatur die Spaltung zwischen Arm und Reich - ich habe Ihnen die Zahlen genannt - weiter vertieft haben. Und Sie
werden am Ende der Legislatur einen Riesenproblemstau hinterlassen. Das alles ist in der Finanzplanung
für das nächste Jahr festgemacht. Es ist die falsche RichDr. Dietmar Bartsch
tung, wenn Sie immer wieder bei den Reichen nichts abholen und bei den Armen viel zu wenig machen.
Frau Bundeskanzlerin und Herr Schäuble, von der
Linken können Sie zu dieser Haushaltspolitik und zu
diesem Haushalt deshalb selbstverständlich keine Zustimmung erwarten. Es ist ein unsozialer, ungerechter
und unsolider Haushalt. Wir werden unsere Vorschläge
und unsere Forderungen weiterhin in die Parlamentsdebatte einbringen, und wir werden sie auch außerhalb des
Parlaments sehr deutlich machen.
Herzlichen Dank.
({4})
Otto Fricke hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was heißt eigentlich Haushalt?
({0})
Worüber reden wir heute, und was beschließen wir
heute? Für die Bürger scheint es so zu sein: Da wird beschlossen, wie viel Geld im nächsten Jahr ausgegeben
wird. Ich möchte das noch einmal klarstellen, weil wir
gerade von Herrn Bartsch und von der SPD gehört haben
und nachher sicher auch von den Grünen hören werden,
dass alle ganz genau wissen, wie viel die Koalition im
nächsten Jahr ausgibt. Das ist schlicht falsch.
({1})
- Das ist der Unterschied, liebe Kollegin. Für Sie und für
die Opposition heißt Haushaltsplan: Das ist das Geld,
das zumindest ausgegeben werden muss.
({2})
Für die Koalition ist es das Geld, das höchstens ausgegeben werden darf. Da unterscheidet sich Ihre Ausgabenpolitik von unserer vorausschauenden Haushaltspolitik.
({3})
Wenn Sie jetzt sagen: „Das stimmt doch gar nicht; das
ist ja alles ganz anders“, dann empfehle ich Ihnen:
Schauen Sie sich einmal die Haushaltsdebatte vor einem
Jahr an. Was hat uns die Opposition nicht erzählt: Wir
würden nicht sparen,
({4})
das funktioniere alles nicht, der Verschuldensansatz sei
viel zu günstig gewählt, die Risiken seien hoch - alles
ganz schrecklich. Und was ist anschließend herausgekommen?
({5})
- Ja, die konjunkturelle Rendite. - Es zählt doch das,
was herausgekommen ist. Wir sind jedes Jahr - 2010,
2011, und das werden wir auch 2012 schaffen - mit dem,
was wir tatsächlich ausgegeben haben, unter dem geblieben, was wir im Haushalt als Maximum veranschlagt haben.
({6})
Das ärgert euch, und darüber seid ihr frustriert. Das wird
in diesem Jahr wieder ganz genauso sein.
({7})
Für den Bürger ist eine Frage wichtig: Geht die Verschuldung zurück, und ist sie im Vergleich zur Verschuldung, die noch zu Zeiten von SPD-Finanzministern geplant wurden, niedriger?
({8})
Ich will darauf hinweisen, wie die Zahlen aussehen:
2010 - geplant: 80 Milliarden Neuverschuldung; tatsächlich wurden es dann 44 Milliarden. Das ist immer
noch zu viel, es sind aber 36 Milliarden weniger als veranschlagt. 2011 - geplant: 47 Milliarden. In jeder Debatte haben Sie gesagt: Das schafft ihr nicht. - Wir
schaffen es aber unter 25 Milliarden; das gebt ihr sogar
selber zu.
({9})
Also wieder derselbe Effekt: über 20 Milliarden weniger. In diesem Jahr sagen wir: Für 2012 planen wir
26 Milliarden. Das Ergebnis - daran muss man nachher
messen - wird dasselbe sein. Bei der nächsten Haushaltsdebatte werdet ihr wieder sagen: Es reicht aber
nicht, was ihr gespart habt.
({10})
Was hat denn die SPD in der letzten Planung, für die
sie noch verantwortlich war, für das Jahr 2012 vorgesehen? Daran kann der Bürger das Ganze messen. Was waren Herrn Steinbrücks Pläne für die Neuverschuldung im
Jahr 2012? Wissen Sie es noch, wie viel das war? Die
SPD hatte für das Jahr 2012 57 Milliarden vorgesehen.
({11})
In unserer Planung gehen wir von 26 Milliarden aus.
({12})
- An der Lautstärke der Zwischenrufe merkt man immer: Treffer, versenkt. - Hier kann man den Unterschied
erkennen. Sie haben eine Planung, die nach oben läuft,
unsere Planung weist nach unten. Hieran muss gemessen
werden. Darüber können Sie sich ärgern; aber wir betreiben eben vorausschauende Haushaltspolitik.
({13})
Nächster Punkt. Wir halten die Schuldenbremse gemäß Verfassung ein. Es gibt die ewige Diskussion über
den richtigen Ansatz. Ich kann Ihnen nur eines sagen:
Die Einstellung der SPD zur Schuldenbremse können
Sie in allen Ländern erkennen, in denen die SPD regiert.
Da geht es mit der Verschuldung nämlich nicht nach unten,
({14})
sondern da läuft es waagerecht. Das Land NRW ist das
beste Beispiel. Wir schaffen es hier in diesem Jahr, die
Neuverschuldung enorm abzubauen. Und was macht das
Land NRW? Das Land NRW erhöht die Neuverschuldung im Jahr 2011. In einem Jahr mit einem tollen Wirtschaftswachstum - das haben Sie gerade selber gesagt wird in NRW die Neuverschuldung ausgebaut. Das ist
der Unterschied. An den Zahlen muss man Sie messen,
und nicht an irgendwelchen Ideen oder an der Frage, was
möglicherweise in der Zukunft kommt.
Ihre Zahlen in Ihren Ländern sind schlecht. Unsere
sind gut. Das kann man im Übrigen auch daran erkennen, dass - wenn man sich ein wenig von parteipolitischer Taktik wegbewegt - wir als Deutsche die Kritik
bekommen: Ihr sollt doch ein bisschen mehr ausgeben;
ihr müsst doch etwas tun, wenn im nächsten Jahr die
Nachfrage nachlässt. Dann gebt doch mehr Geld aus!
({15})
Das sind ja eure Ideen: Hartz IV erhöhen, Arbeitslosengeld erhöhen,
({16})
- Ja, Löhne erhöhen, egal, irgendjemand wird das ja
schon bezahlen. - Die Vorstellung ist: Alles erhöhen,
und irgendeiner bezahlt es dann. Die Einstellung dieser
Koalition ist eben anders. Ich kann nicht einfach irgendjemandem immer weiter in die Tasche greifen. Ich muss
auch dafür sorgen, dass diejenigen, die diesen Staat tragen, das auch weiterhin tun können. Diese Personen sind
aber aus Ihrem Blickfeld schon längst verschwunden.
({17})
Wir haben - der Kollege Barthle hat es gesagt - einen
ganz wesentlichen Punkt bei der Frage, was vorausschauende Haushaltspolitik ist, eingehalten: Wir sind bei
den Ausgaben nicht hochgegangen; wir haben es nicht
getan. Egal welche Regierung der letzten 20 Jahre Sie
sich anschauen, Sie werden sehen: Die Ausgaben sind
immer gestiegen.
Jetzt glaubt die Opposition - das werden wir gleich
wieder hören -, dass man Neuverschuldung dadurch abbauen kann, dass man die Einnahmen erhöht; die Linken
mit 60 Milliarden, die SPD mit 15 bis 20 Milliarden und
auch die Grünen mit einigen Milliarden. Sie sollten klüger werden und sich überlegen, ob in der Vergangenheit
eigentlich einmal bei einer Erhöhung der Steuern durch
die Politik die Neuverschuldung heruntergegangen ist.
Dann würden Sie feststellen: Nein, das ist nicht passiert.
Denn jedes Mal, wenn man der Politik mehr Geld gibt
({18})
und damit dem Bürger Geld nimmt, ist am Ende dabei
herausgekommen, dass die Politik mehr Geld ausgibt.
Diese Politik verfolgt diese Koalition nicht, und das ärgert Sie.
({19})
Wir erleben jetzt wieder die wunderschöne Debatte,
dass einerseits gesagt wird: Ihr spart nicht richtig. - In
den kommenden Debatten werden wir dann das genaue
Gegenteil davon erleben. Wenn man sich die Presseerklärungen der Kollegen der Opposition anschaut, dann
liest man: Hier wird gespart, dort wird kaputtgespart, da
wird totgespart, das ist unverantwortlich. - Andererseits
werden wir in den Fachdebatten wieder hören: Hier
müsst ihr mehr ausgeben, usw. - Ihr müsst euch in der
Opposition irgendwann einmal einigen: Sagt ihr den
Bürgern: „Wir wollen weniger ausgeben“, oder sagt ihr
den Bürgern: „Wir wollen euch mehr Geld wegnehmen
und es, nachdem wir 10 Prozent davon durch die Umverteilung verloren haben, irgendwo zurückgeben, und zwar
nur denen, bei denen wir es für richtig halten, dass sie
das Geld empfangen“? Das ist eine Politik, die gescheitert ist und die diese Koalition nicht verfolgt. Diese Koalition betreibt eine vorausschauende Haushaltspolitik.
({20})
Meine Damen und Herren, vielleicht noch etwas zu
den berühmten Alternativen. Ich habe mir da einmal die
Drucksache 17({21})3893 der SPD im Haushaltsausschuss
angeschaut; ich kann das jedem nur empfehlen. Da kann
man einmal nachvollziehen, wie die Führung der Opposition - so sieht sich die SPD - das so sieht. Sie sagt:
Kürzungen machen wir nicht, Ausgabenerhöhungen machen wir, Stellenerhöhungen machen wir. - Der Kollege
Schneider hat das so ein bisschen verblümt gesagt. Die
pauschale Stellenkürzung zu streichen - das hört sich
technisch an -, heißt nichts anderes, als dass die Stellen
über die ganze Bandbreite - vom Staatssekretär bis zum
berühmten Pförtner ({22})
nicht gekürzt werden. Diese Koalition hat gesagt: Nein,
wir werden in dem gesamten Bereich kürzen, unabhängig von der Frage, wer wo wie viel verdient. Sie werden
es am Ende der Legislatur und auch jetzt wieder erleben:
Beim Bund werden Ende dieses Jahres weniger Leute arbeiten als Ende des letzten Jahres. Daran muss man es
messen, nicht an irgendwelchen vertrackten Anträgen, in
denen Sie das Ganze verstecken.
Zum Schluss etwas zum Thema Steuererhöhungen.
Was will die SPD da eigentlich? Abgesehen von der Anhebung des Spitzensteuersatzes, geht es da um kleine
Dinge: Steuererhöhungen beim Agrardiesel, Steuererhöhungen beim Firmenwagen, Steuererhöhungen für Leute,
die in den Urlaub fliegen, Steuererhöhungen bei der KfzSteuer, Steuererhöhungen für die Landwirtschaft, Streichung bei der Arbeitnehmersparzulage, Kürzung der
Einkommensteuerfreibeträge usw. Mit diesen ganzen
Ideen betreiben Sie keine vorausschauende Haushaltspolitik.
({23})
Mit diesen Ideen kommen Sie über kurz oder lang nur zu
einer höheren Neuverschuldung, anders als diese Koalition.
Herzlichen Dank.
({24})
Priska Hinz hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Otto Fricke, das war eine Rede nach dem Motto „Angriff
ist die beste Verteidigung“. Wenn ich hier die Verabschiedung eines solchen Haushaltsplans verantworten
müsste, würde ich auch lieber über vieles andere reden
als über das, was ich da selber veranstalte. Man kann nur
sagen: Der Haushaltsplan, wie er Ende der Woche verabschiedet werden soll, ist das Dokument des Scheiterns
jeglicher Haushaltspolitik und jeglichen Gestaltungswillens der Koalition.
({0})
Kollege Barthle, wenn es wirklich so sein sollte, dass
es eine doppelte Herausforderung gibt, dann ist die Koalition hier doppelt gescheitert.
({1})
Der Haushalt setzt einerseits keine Schwerpunkte bei der
Bewältigung der Zukunftsaufgaben. Andererseits gibt es
nicht den Willen, überhaupt noch zu sparen und auf dem
Pfad des Schuldenabbaus weiter voranzugehen.
({2})
Das ist das Problem dieses Haushaltsplans; das ist das
Problem dieser Koalition.
({3})
Zugegeben: Die Haushaltskonsolidierung ist eine
schwierige Aufgabe; sie kann nur gelingen, wenn alle
Mitglieder der Gesellschaft solidarisch dazu beitragen.
({4})
Dafür muss man aber die Rahmenbedingungen setzen
und den Willen haben, Solidarität einzufordern. Auch
dies tut die Koalition nicht. Sie macht das Gegenteil, indem sie die Ausgaben nur im Sozialbereich senkt, während sich alle anderen im letzten Jahr im sogenannten
Sparpaket festgelegten Einsparungen als Luftbuchungen
erwiesen haben. Es wird nirgendwo gekürzt, außer im
Sozialbereich. Das ist Ihre Haushaltspolitik der Zukunft.
({5})
Meine Damen und Herren, die Nettokreditaufnahme
wird dieses Jahr voraussichtlich bei 22 Milliarden Euro
liegen. Im nächsten Jahr soll sie dann, im Vergleich
dazu, bei 26,1 Milliarden Euro liegen. Das heißt, es geht
die Treppe wieder hoch. Das widerspricht dem Geist der
Schuldenbremse.
({6})
Solange die Konjunktur noch einigermaßen gut ist, muss
man jede Milliarde, die man aufgrund einer positiven
Steuerentwicklung bekommt, in den Schuldenabbau einbringen und darf nicht das Geld sofort wieder verfrühstücken, so wie Sie es tun.
Kommen wir einmal zur haushaltspolitischen Leistung bei der Senkung der Nettokreditaufnahme. Liebe
Koalitionäre, Sie haben die Nettokreditaufnahme im
Rahmen der Bereinigungssitzung - Kollege Barthle hat
das eben gefeiert - immerhin um 1,1 Milliarden Euro abgesenkt;
({7})
das ist die Differenz zwischen der Zahl im Regierungsentwurf und der Zahl im jetzt vorliegenden Plan. Dabei
ist überhaupt kein eigenes Vermögen zu erkennen. Sie
haben dazu überhaupt nichts beigetragen. Das Verdienst
der Koalition ist schlicht und einfach, dass Sie aufgrund
der Zinsentwicklung die Ausgaben um 1,7 Milliarden
Euro senken konnten.
({8})
So erklärt sich der Teil der Nettokreditaufnahme, der gesenkt wurde. Das allein ist Ihr Gestaltungswille in Bezug
auf diesen Haushalt, und ich sage Ihnen: Das ist zu dürftig.
Priska Hinz ({9})
({10})
Der Minister Schäuble hat im Entwurf - auch das ist
ein ungewöhnlicher Vorgang gewesen - das Ergebnis der
Steuerschätzung vom November mit 2 Milliarden Euro
vorweggenommen, und die 700 Millionen Euro, die die
Novemberschätzung darüber hinaus erbracht hat, haben
Sie auch gleich wieder verfrühstückt. Die hat zum großen Teil der Verkehrsminister bekommen, obwohl der
nicht nur im Wasser- und Schifffahrtsamt unser Geld
verschleudert, sondern, wie wir gehört haben, auch bei
Bahnstrecken. Das wird sicher bei der Debatte in dieser
Woche noch eine Rolle spielen.
Letzte Woche hat auch der Bundesrechnungshof ganz
deutlich gemacht, dass es nicht sinnvoll ist, das Ergebnis
dieser positiven Steuerschätzung, diese Milliarden, sofort wieder zu verfrühstücken. Im Gegenteil, die müsste
man zur Senkung der Nettokreditaufnahme verwenden.
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, wie Sie
Ihren Haushaltsplan aufhübschen: indem Sie die Privatisierungserlöse in die Höhe treiben. Im Haushalt stehen
5,1 Milliarden Euro. Wir wissen, dass etwa 3,5 Milliarden Euro hinterlegt sind. Der Rest ist eine Luftbuchung.
Das ist wie mit Botox: Für einen kurzen Moment
({11})
können Sie sich und andere täuschen; aber wenn Sie länger hinsehen, werden Sie sehen, dass diese Falten - auch
was diesen Haushaltsplan angeht - nicht verborgen bleiben.
({12})
Völlig absurd ist angesichts der geplanten Nettokreditaufnahme die Steuersenkung, die Sie für die Jahre
2013 und folgende verabredet haben. Zu Recht warnt die
Bundesbank in ihrem jüngst erschienenen Monatsbericht
davor, dass das Mittelfristziel eines strukturell ausgeglichenen Staatshaushalts mit solchen Maßnahmen nicht
erreicht werden wird. Auch der Rechnungshof hat moniert, dass das Geld schon wieder verfrühstückt wird.
Liebe FDP, dieses Notpaket reicht auch nicht zu Ihrer
Rettung aus. Im Gegenteil, Ihre Umfragewerte dümpeln
weiter im Keller. Es hätte solcher Zusagen nicht bedurft.
Sie müssen schon etwas anderes bringen, um wieder auf
das Niveau einer seriösen Regierungspartei zu kommen.
Mit solchen Plänen jedenfalls wird es mit Ihnen nichts
mehr werden.
({13})
Die Schuldenkrise zeigt uns, wie wichtig eine wirkliche wirtschafts- und finanzpolitische Koordination in
Europa sowie nachhaltige Staatsfinanzen sind. Wir liegen mit unseren Schulden immer noch bei 80 Prozent
des BIP.
({14})
- Wir würden nicht mithilfe von Statistiktricks heruntergehen, sondern wir haben - lieber Kollege Fricke, das
wissen Sie - Anträge vorgelegt, wie man tatsächlich
Schwerpunkte im Haushalt setzen, soziale und ökologische Investitionen finanzieren, Zukunftsaufgaben bewältigen, den Haushalt konsolidieren und bei einer Nettokreditaufnahme von geplant 21,7 Milliarden Euro landen
kann. Das wäre weniger als die Summe, mit der wir in
diesem Jahr abschließen. Davon sollten Sie sich eine
Scheibe abschneiden.
Wenn die Kanzlerin jetzt in Europa herumläuft und
überall zum Sparen auffordert, kann doch jeder nur noch
darüber lachen. Wenn es in der eigenen Koalition keine
Mehrheit mehr dafür gibt, den Sparwillen tatsächlich
auch im Haushalt auszudrücken, kann sie sich ihre ganzen Ermahnungen auf europäischer Ebene sparen. Wir
sind auf europäischer Ebene schlicht und einfach nicht
mehr verhandlungsfähig auf diesem Gebiet. Ich glaube,
dass es insgesamt für uns ein dramatischer Vorgang ist,
dass Schwarz-Gelb auch in diesem Bereich den Erschöpfungszustand erreicht hat.
Schwarz-Gelb versagt beim Abbau ökologisch schädlicher Subventionen. Anstatt zum Beispiel durch die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs oder durch die Beendigung der Steuervergünstigung von Kerosin auch ein
ordnungspolitisches Signal in Richtung einer ökologischen Neuausrichtung zu setzen, planen Sie sogar neue
Subventionen für energieintensive Betriebe mithilfe des
Energie- und Klimafonds.
({15})
Das ist wirklich ein Skandal.
Der Energie- und Klimafonds ist noch aus einem weiteren Grund völlig unnötig: Er ist nicht nur ein Schattenhaushalt, sondern er ist auch noch völlig unterfinanziert.
({16})
Zurzeit sind die Zertifikatepreise im Keller. Sie wurden
mit 17 Euro kalkuliert, zurzeit liegen sie bei 10 Euro; das
bedeutet, dass Sie schlicht und einfach die ökologische
Gestaltungsmacht aufgegeben haben,
({17})
weil der Bundesfinanzminister darüber entscheiden
wird, wie die Energiewende eingeleitet und finanziert
wird. Es reicht nicht aus, den Atomausstieg nur zu beschließen und über die Energiewende zu reden, sondern
man muss die Energiewende dann auch wollen und ausfinanzieren.
({18})
Sie versagen bei der Neuausrichtung der Wirtschaft
nach ökologischen Maßstäben. Die Fördertöpfe im Wirtschaftsministerium bleiben gleich. Man müsste sie aber
tatsächlich an die neuen Rahmenbedingungen anpassen,
wenn es darum geht, wie das Wirtschaften in unserem
Land ökologisch gestaltet werden kann. Statt auch noch
Priska Hinz ({19})
bei EADS einzusteigen und nicht einmal Stimmrechte zu
verlangen, könnte man bei der zivilen Luftfahrt einsparen. Dazu haben wir Anträge eingebracht, die aber abgelehnt worden sind.
({20})
Es wird in absehbarer Zeit keine Dividende aus der
Bundeswehrreform geben. Anstatt die Verkleinerung der
Streitkräfte zügig voranzutreiben und die Materialbeschaffung auf den Prüfstand zu stellen, haben Sie ohne
Not den Reformdruck von der Bundeswehr genommen.
Sie versagen, weil Sie mit Ausgabenreduzierungen
schlicht und einfach nur den Sozialetat belasten. Das
trifft diejenigen, die durch Wiedereingliederungsmaßnahmen angesichts der positiven Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt in den nächsten Monaten eigentlich noch
den Anschluss finden könnten. Auch das würde insgesamt zur nachhaltigen Finanzierung des Bundeshaushaltes beitragen, weil die Menschen dann aus dem ALG-IIBezug herauskämen. Auch hier haben Sie ein völlig einseitiges Bild vom Sparen.
({21})
Sie schröpfen immer nur die Kleinen, und Sie schaffen
es nicht, eine gerechte Steuerverteilung in diesem Land
hinzubekommen und denjenigen auf die Beine zu helfen,
die es tatsächlich nötig haben.
({22})
Frau Hinz, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme zum Schluss. - Nur über den Fachkräftemangel zu reden, hilft nicht weiter, man muss auch etwas dagegen tun.
Es bleibt mir nur, am Ende festzustellen: Von nachhaltiger Finanzpolitik und Haushaltspolitik verstehen Sie
nichts. Das sollten Sie künftig lieber uns überlassen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen,
Dr. Wolfgang Schäuble.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir führen diese Haushaltsdebatte in einer Zeit
ungewöhnlicher Beunruhigungen an den Finanzmärkten.
Wir wissen, dass sich die Unruhe an den Finanzmärkten
allmählich in die Realwirtschaft umsetzt. Daran kann
leider kein Zweifel bestehen; der Kollege Norbert
Barthle hat das zu Beginn dieser Haushaltsdebatte angesprochen.
Wir werden alles daransetzen, die Gefahren für die
Stabilität des Euro als Ganzen zu bekämpfen, aber wir
werden das nur auf eine Weise tun: Wir werden sicherstellen, dass die gemeinsame europäische Währung eine
stabile Währung bleibt - das ist das Versprechen der gemeinsamen europäischen Währung, das wir gegeben haben -, mit einer unabhängigen Notenbank, die nicht als
Staatsfinanzierer zur Verfügung steht.
({0})
Wir werden dabei nicht darum herumkommen - um
auch diese Bemerkung zu machen -, das Instrumentarium zur Durchsetzung der verabredeten Begrenzung im
Bereich der nationalen Finanz- und Haushaltspolitik zu
schärfen, und ich bin davon überzeugt, dass wir dafür innerhalb der Euro-Zone kurzfristig Vertragsänderungen
brauchen.
Das ist die eine Seite, die wir sehr klar benennen müssen. Darüber hinaus können wir aus anderen, aus globalen
Gründen eine Abschwächung der Konjunktur feststellen.
Auch dies spiegelt sich in der wirtschaftlichen Entwicklung wider. Nichtsdestoweniger ist unsere reale wirtschaftliche Situation - in einer Haushaltsdebatte muss
man eine wirtschaftliche Einordnung vornehmen; wir stehen ja am Beginn dieser Haushaltswoche - nach wie vor
eine starke. Norbert Barthle hat ja den jüngsten Konjunkturbericht der EU-Kommission erwähnt. Nach wie vor
sind wir die Wachstumslokomotive in Europa. Wir sind
der Stabilitätsanker. Gerade in dieser krisenhaften, von
großer Beunruhigung geprägten Situation fällt uns daher
eine besondere Verantwortung in Europa zu, auch eine
Führungsverantwortung. Wir stellen uns dieser Verantwortung auch mit diesem Haushaltsentwurf, über den wir
in dieser Woche beraten. Ich bitte schon jetzt darum, ihn
zu beschließen.
Zum Thema Verantwortung gehört im Übrigen auch,
dass wir im europäischen und im G-20-Rahmen andere
Debatten, die unter dem Stichwort „Imbalances“ geführt
werden, auszuhalten haben. Dieses Stichwort habe ich in
Ihren Wortbeiträgen überhaupt nicht gefunden, Herr
Kollege Schneider. Von Ihren Kollegen im Europäischen
Parlament bin ich in den letzten Wochen richtig gequält
worden. Wir mussten vermeiden, dass aufgrund von
Überschüssen Sanktionsverfahren gegen uns geführt
werden. Diese Debatte führen wir im globalen Bereich
übrigens schon seit Beginn dieser Legislaturperiode. Sie
werden sich an die Debatten erinnern, die wir vor einem
Jahr mit dem amerikanischen Finanzminister geführt haben. Es wurde behauptet, wir würden mit einer zu
schnellen Reduzierung unseres Defizits - das war der
Vorhalt - das globale Wachstum gefährden. Ich habe immer gesagt: Nein, wir machen das, was wir immer gesagt
haben. Wir machen eine wachstumsfreundliche Politik
der Defizitreduzierung. - Der Haushalt 2012, der im
Entwurf zur Beschlussfassung vorliegt, entspricht genau
dieser Linie. Wir setzen die Konsolidierungspolitik fort,
aber auf eine Weise, die die ohnedies nicht besonders
starke Konjunktur nicht gefährdet, sondern zur Versteti16790
gung beiträgt. Das ist wachstumsfreundliche Defizitreduzierung.
({1})
Mit Zahlenspielen - da geht es endlos rauf und runter - kann man die Öffentlichkeit verwirren. Den Versuch unternehmen Sie; aber auch durch Wiederholung
werden falsche Zahlen nicht richtig. Sie vergleichen bei
Soll und Ist wirklich Äpfel mit Birnen.
({2})
- Aber natürlich.
Wir haben angefangen mit dem Haushalt 2010. Der
erste Entwurf, den ich vorfand, war noch von meinem
Vorgänger: 86,1 Milliarden Euro Neuverschuldung.
({3})
Dann haben wir den Entwurf mit 85,8 Milliarden Euro
aufgestellt. Wir haben ihn mit knapp 80 Milliarden Euro
Neuverschuldung verabschiedet. Im Ist waren es dann
für 2010 48 Milliarden Euro.
({4})
- 44 Milliarden Euro. - Gleichzeitig haben wir den
Haushaltsentwurf für 2011 mit 48,4 Milliarden Euro
Neuverschuldung im Parlament verabschiedet. Am Ende
dieses Jahres werden das - das ist jetzt absehbar - vermutlich 22 Milliarden Euro tatsächliche Neuverschuldung sein. Nun stellen wir einen Haushalt mit 26,1 Milliarden Euro Neuverschuldung als Obergrenze auf.
Der Kollege Fricke hat auf den grundlegenden Unterschied in der Betrachtungsweise hingewiesen: Ihnen
geht es immer darum, möglichst viel Geld auszugeben.
({5})
Uns geht es darum, eine möglichst vernünftige, verantwortliche, solide Finanzpolitik zu betreiben.
({6})
- Ich sage Ihnen zu, Frau Kollegin Hinz: Sie werden auch
im Jahre 2012 erleben, dass die Bundesregierung, die Koalition und der Bundesfinanzminister sehr darauf achten,
dass wir auch im Haushaltsvollzug mit dem Geld der
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sorgsam und verantwortungsvoll umgehen. Wie hoch die Neuverschuldung
am Ende des Jahres sein wird, wissen wir nicht. Aufgrund
der Erfahrungen sage ich aber: Bei uns ist das Prinzip der
Vorsicht angesagt.
({7})
Sie brauchen sich doch nur anzuschauen, wie sich die
Ausgaben im Bundeshaushalt in dieser Legislaturperiode entwickelt haben. Es hat seit den 70er-Jahren keine
Legislaturperiode gegeben, in der wir Jahr für Jahr bei
den Ausgaben eine durchschnittliche Steigerungsrate
von unter 1 Prozent hatten, und zwar bei einer Geldentwertungsrate, die maßvoll, aber doch höher ist. Das ist
doch die entscheidende Zahl. Wenn unsere Ausgaben
Jahr für Jahr real rückläufig sind, dann ist das maßvoll.
({8})
- Um Himmels willen! Es ist doch erfreulich, dass sich
der Arbeitsmarkt so positiv entwickelt hat. Das ist doch
auch ein Erfolg der Politik dieser Bundesregierung, und
dazu gehört auch die Finanzpolitik.
({9})
Die Bundesbank hat uns aufgefordert - das steht im
jüngsten Bundesbankbericht; Sie haben ihn erwähnt -,
das Mittelfristziel eines strukturell annähernd ausgeglichenen Staatshaushalts früher zu erreichen. Dazu will
ich sagen: Das Mittelfristziel des annähernd ausgeglichenen Haushalts nach dem europäischen Stabilitätsund Wachstumspakt sieht ein strukturelles Defizit von
maximal einem halben Prozent vor. Dieses Ziel werden
wir nach den jetzt vorliegenden Planungen im kommenden Jahr erreichen. Wir sind weit vor dem Plan. Von daher werden wir unserer Verantwortung als Wachstumslokomotive und als Stabilitätsanker in Europa gerecht.
({10})
Ich möchte noch eine Bemerkung machen. Bereits in
der Einbringungsrede zum Bundeshaushalt habe ich beschrieben, dass wir keine vom Gesetzgeber nicht beschlossenen Steuererhöhungen - das nennt man „kalte
Steuerprogression“ - wollen. Deswegen haben wir verabredet, dass wir so, wie es von Verfassung wegen notwendig ist, das Existenzminimum erhöhen und darüber
hinaus darauf achten werden, dass sich durch das Zusammenwirken von Steuerprogression im Lohn- und Einkommensteuerbereich und Geldentwertungsrate nicht
eine höhere prozentuale Belastung der Einkommen ergibt. Daraufhin hat ein Kollege der Opposition gesagt,
wir würden die Steuerpolitik nicht für die kleinen Leute
machen,
({11})
die seien davon gar nicht betroffen. Das ist wahr. Menschen, die keine Steuern zahlen, sind weder von der
Steuerprogression noch von Steuerentlastungen betroffen.
({12})
Dass das Zerrbild, das Sie von unserem Steuersystem gezeichnet haben, nicht stimmt, zeigt sich gerade darin, dass
ein erheblicher Teil unserer Bevölkerung von Lohn- und
Einkommensteuer befreit ist und bleibt, und zwar auch
durch unsere Steuerpolitik, nämlich durch eine maßvolle
Anhebung des steuerfreien Existenzminimums.
({13})
Würden wir nicht eine solche Entscheidung treffen,
dann würde man uns unterstellen, dass wir darauf setzen,
dass durch das Zusammenwirken von weniger Preisstabilität und Steuerprogression Mehreinnahmen entstehen.
({14})
- Genau die, die wir vorgerechnet haben.
({15})
- Wir werden demnächst einen Gesetzentwurf einbringen. Dann werden wir darüber sehr ausführlich reden.
({16})
- Die Fakten haben wir schon. Das hat sein geordnetes
Verfahren. Das ist im Grundgesetz und in der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt. Dann werden wir
von Ihnen hören wollen, ob Sie entgegen den verfassungsrechtlichen Anforderungen gegen eine Anhebung
des steuerfreien Existenzminimums sind.
({17})
Ich sage Ihnen: Die glaubwürdigste Entscheidung einer Regierung für Preisstabilität ist, dass sie dauerhaft
auf die kalte Progression, auf die Vorteile einer heimlichen Besteuerung verzichten will.
({18})
Die Auswirkungen sind jetzt aufgrund der niedrigen
Preissteigerungsrate nur gering; das ist wahr. In der Entscheidung, dass wir dies in Zukunft als strukturelle Maßnahme wieder und wieder machen, liegt der eigentliche
Reformansatz dieser Verabredung. Deswegen ist es ein
Bekenntnis zur Stabilität.
Sie wollen mit all dem, was Sie finanzpolitisch vorschlagen, in Wahrheit Steuererhöhungen. Steuererhöhungen helfen hier nicht weiter. Wenn Sie das Geld zur
Verfügung haben, wird es auch ausgegeben. Wenn Sie zu
einem vernünftigen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler kommen wollen, müssen Sie die Einnahmen
knapp halten. Das ist notwendig. Nur in diesem Rahmen
können wir die entsprechende Gestaltungsverantwortung
tragen.
Letzte Bemerkung. Wir arbeiten daran, unsere gemeinsame europäische Währung stabil zu halten, weil
wir eine Verantwortung für Europa haben und Europa
eine Verantwortung in der globalen Welt hat. Diese Verantwortung kann Europa nur erfüllen, wenn wir für
Nachhaltigkeit eintreten. Wenn wir Nachhaltigkeit wollen, müssen wir in der Finanzpolitik für Stabilität sorgen.
Der Haushaltsentwurf, so wie er zur Beschlussfassung
vorliegt, entspricht diesen Anforderungen. Ich bitte um
Ihre Zustimmung.
({19})
Der Kollege Michael Meister hat das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, die Menschen in Deutschland schauen in dieser
Stunde auf unser Parlament; denn die Sorge um das
Geld, die Sorge um solide Finanzpolitik war noch nie so
groß wie heute.
({0})
Ich glaube, es gibt in vielen Parlamenten auf dieser Welt
Kollegen, die uns, wenn sie über Haushalte diskutieren
müssen, um die Situation, in der wir uns befinden, beneiden,
({1})
weil sie nicht die Möglichkeit haben, derart zu gestalten,
sondern sich in Notlagen befinden und keinerlei Handlungsoptionen mehr haben. Insofern sollten wir uns
glücklich schätzen, an welchem Punkt wir stehen.
Zum Zweiten. Wir sorgen dafür, dass Deutschland zukunftsfest gemacht wird. Wir haben für einen deutlichen
Anstieg der Beschäftigung gesorgt; das zeichnet sich
auch für das nächste Jahr ab. Dies ist ein massiver Erfolg,
der uns hilft, unsere Haushalte strukturell zu konsolidieren. Wir haben trotz Eintrübung der Konjunktur eine
positive Entwicklung beim realen Wachstum. Wir wollen
etwas dafür tun, lieber Herr Schneider, dass es so bleibt.
Wir sorgen einerseits dafür, dass wir auf der Ausgabenseite sparen; andererseits setzen wir aber auch Impulse
für die Zukunft - ich nenne hier Bildung und Infrastruktur
sowie die Strukturreform der Bundeswehr -, damit sich
Beschäftigung und Wachstum positiv entwickeln werden.
Das ist das Fundament, auf dem wir aufbauen müssen.
({2})
Diese Debatte findet vor dem Hintergrund der internationalen Krise der Staatsschulden statt. Ich glaube, wir
müssen an dieser Stelle drei Dinge tun: Erstens. Wir
müssen glaubwürdig als Vorbild unseren Haushalt konsolidieren, wenn wir von allen anderen einfordern, dass
auch sie konsolidieren, um diese Krise zu bewältigen.
Zweitens. Wir müssen eine gemeinsame Anstrengung
unternehmen, um zu einer besseren Regulierung der internationalen Finanzmärkte zu kommen. Drittens. Wir
brauchen eine Vertiefung der Europäischen Union, um in
der Krise handlungsfähig zu werden. - Das sind die drei
Aufgaben, die wir angehen müssen, um diese Krise bewältigen zu können.
Kollege Schneider hat vorhin vorgetragen, dass er das
Problem mit Steuererhöhungen lösen möchte.
({3})
Sein Parteivorsitzender Gabriel möchte eine Haftungsgemeinschaft über Euro-Bonds einführen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle eindeutig: Wenn wir diesen Vorschlägen folgen würden, dann müssten wir mehr Geld
allein für zusätzliche Zinszahlungen ausgeben, als wir
durch die Steuererhöhung einnehmen würden.
({4})
Wir wollen mit dem Geld handeln und es nicht für Zinszahlungen, für eine Scheinlösung hinauswerfen. Diese
Scheinlösung löst nicht das Problem und führt nicht zu
solider Haushaltsführung, sondern würde Fehlanreize
setzen und dafür sorgen, dass wir noch tiefer in die
Staatsschuldenkrise rutschen.
({5})
Kommen Sie endlich von diesen Scheinlösungen ab, die
Sie präsentieren! Kommen Sie zu uns, zu richtigen Lösungen, um das Problem an der Wurzel anzupacken!
({6})
Um den Vorschlag von Herrn Gabriel einmal durchzurechnen: Wir müssten die Neuverschuldung, die wir
heute haben, etwa verdoppeln, wenn wir Ihrem Weg in
die Euro-Bonds folgen würden. Das ist ein Irrweg. Kehren Sie um!
({7})
Schulden sind wie eine Droge. Am Anfang mögen sie
ein Stück weit Spaß und Freude machen.
({8})
Man braucht aber immer mehr. Irgendwann ist man so
abhängig, dass es eine Entziehungskur braucht, um davon loszukommen. Was wir momentan machen, ist, ein
Stück weit weltweit eine solche Entziehungskur durchzuführen.
({9})
Ich will den Vorwurf aufgreifen, wir würden dabei
nicht sozial handeln. In dem Haushalt, der Ihnen vorliegt, geben wir 160 Milliarden Euro von knapp über
300 Milliarden Euro für den sozialen Bereich aus. Noch
nie wurde in Deutschland so viel Geld für Soziales ausgegeben wie in diesem Bundeshaushalt. Da muss uns
niemand vorwerfen, er sei nicht sozial.
({10})
Wir denken auch an diejenigen, die uns überhaupt erst
die Chance geben, dass wir Sozialpolitik ernsthaft gestalten können. Das heißt, wir denken auch an diejenigen, die arbeiten gehen, die Unternehmen führen und dafür sorgen, dass wir Steuereinnahmen generieren, um
dann Sozialpolitik machen zu können. Deshalb: Es war
richtig - es trug nämlich dazu bei, dass wir uns heute
über eine tolle konjunkturelle Entwicklung freuen können -, dass wir vor zwei Jahren das Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschlossen haben.
({11})
Es war richtig, dass wir Unternehmen und Steuerzahlern
Steuervereinfachungen gewährt haben.
({12})
Es ist auch richtig, dass wir die Menschen nicht durch
Inflationswirkungen im Steuerrecht bestrafen, sondern
ein Stück weit Leistungsgerechtigkeit schaffen und damit dafür sorgen, dass sie gerne dazu beitragen, dass unser Gemeinwesen funktioniert.
({13})
Insofern ist die Anhebung des Existenzminimums bzw.
die Verschiebung des Tarifs richtig. Ich bin sehr gespannt, wie die Sozialdemokraten und die Grünen mit
diesem Thema umgehen; denn an dieser Stelle geht es
darum, das Verfassungsrecht einzuhalten. Nach meiner
Kenntnis ist die steuerliche Freistellung des Existenzminimums ein Grundrecht. Ich bin sehr gespannt, ob Sie,
wenn Sie sich am Ende des Tages in dieser Frage positionieren, innerhalb oder außerhalb der Verfassung stehen.
({14})
Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Haushalt auch das Thema Kommunalfinanzen aufgegriffen.
Die Grundsicherung im Alter werden wir - ansteigend in
drei Schritten von 2012 bis 2014 - von den Kommunen
übernehmen. Solide Finanzpolitik umfasst nämlich nicht
nur den Bundesetat, sondern auch die Etats von Ländern
und Kommunen. Wir schaffen damit die Grundlage dafür, dass auch die Kommunalhaushalte gesunden können.
Ich möchte allerdings anmahnen, dass wir, was die
Einhaltung der Schuldenbremse betrifft, nicht nur auf
den Bundesetat blicken dürfen. Der Schuldenbremse zufolge ist 2012 maximal eine Nettokreditaufnahme von
etwa 40 Milliarden Euro zulässig. Die geplante Neuverschuldung soll im kommenden Jahr rund 26 Milliarden
Euro betragen. Es besteht also ein Abstand zwischen geplanter Nettokreditaufnahme und maximal zulässiger
Schuldenbremse.
({15})
Das heißt, wir haben einen deutlichen Puffer. Ich mache
mir allerdings erhebliche Sorgen, ob die Verantwortung,
die der Bundestag lebt, auch in den einzelnen Bundesländern gelebt wird.
({16})
Wir können nicht auf europäischer Ebene die Schuldenbremse anpreisen, wenn wir sie in unserem eigenen Verantwortungsbereich in Deutschland nicht leben. Deshalb: Auch in den Bundesländern muss an dieser Stelle
Verantwortung gelebt werden.
({17})
Jetzt komme ich zu den Zukunftsinvestitionen. Ich
glaube, im Hinblick auf die Zukunftsinvestitionen ist es
dringend geboten, dafür zu sorgen, dass wir die Bildung
stärken. Ich glaube, wir werden unseren Wohlstand nur
dann wahren können, wenn wir besser ausgebildete
Menschen haben, wenn wir für mehr Akzeptanz dafür
sorgen, dass Menschen früher und länger im Berufsleben
stehen, und wenn wir den Erwerbsanteil von Frauen steigern. Nur dann wird es möglich sein, dass genügend
Menschen in Arbeit sind, die unseren Wohlstand, indem
sie Steuern zahlen, auf Dauer finanzieren.
({18})
Wir sind dabei, die bestehenden Strukturen zu verändern.
Ich will Ihnen eines sagen: Unser Hauptproblem wird
in Zukunft nicht die explizite Verschuldung sein; darüber
haben wir heute viel diskutiert. Unser zentrales Problem
wird zukünftig die implizite Verschuldung des Staates
sein.
({19})
Wir haben sie in den letzten sechs Jahren von rund
350 Prozent auf 290 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
reduziert. Aber diese Zahl kann uns noch nicht stolz machen. Es geht in die richtige Richtung. Dennoch müssen
wir hier noch mehr erreichen. Das ist im Hinblick auf die
Zukunft unseres Staatshaushalts unsere eigentliche Aufgabe. Deshalb wäre es richtig, uns gemeinsam dieser
zentralen Aufgabe zuzuwenden, statt über Nachkommastellen zu streiten, die am Ende nicht die Grundfrage,
ob unser Land in freiem Willen und selbstgestaltend in
die Zukunft gehen kann, beeinflussen werden.
In diesem Sinne hoffe ich auf eine breite Unterstützung für diesen Haushalt. Ich hoffe, wir tragen damit
dazu bei, dass wir gemeinsam ein gutes Jahr 2012 erleben werden.
Danke schön.
({20})
Nicolette Kressl hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Für solide Haushaltspolitik müssen beide Seiten betrachtet werden, die Einnahme- und die Ausgabenseite. Ich
will gleich ganz kurz etwas zur Ausgabenseite anmerken. Ich hatte aber eigentlich gehofft, dass im Zusammenhang mit der Steuerpolitik nicht schon wieder die
völlig verwirrenden Aussagen von Ihrer Seite hinterfragt
und klargestellt werden müssen.
({0})
Herr Minister Schäuble, uns hat schon sehr irritiert
- und wir wissen nicht genau, ob das Absicht war, um zu
vernebeln; denn wir können nicht glauben, dass es
Nichtwissen ist -, dass Sie ständig den Grundfreibetrag,
das steuerliche Existenzminimum, und die Einschränkung der kalten Progression durcheinanderwerfen. Das
sind zwei verschiedene Dinge, und ich finde, es ist eine
Frage der politischen Ehrlichkeit, das auch klarzumachen.
({1})
Die kalte Progression entsteht im Übrigen nicht allein
durch Inflation. Das haben Sie gerade wieder so beschrieben. Schauen Sie einmal auf Ihre eigene Internetseite. Dort steht, dass Inflation und Lohnsteigerungen
Voraussetzungen dafür sind. Sie haben uns auch auf
mehrfache Nachfrage hin noch nicht darlegen können,
wie hoch die kalte Progression im Moment durch das
Zusammenwirken von volkswirtschaftlichen Lohnsteigerungen und Inflation ist. Ich finde, Sie sollten nicht
ständig mit etwas argumentieren, wozu Sie nicht einmal
Fakten vorlegen können. Das ist nicht real, das ist nicht
solide. So geht das einfach nicht.
({2})
Herr Meister, das gilt auch für Ihre Behauptung: Wir
wollen einmal sehen, wie die Sozialdemokraten zu der
Verfassung stehen. - Wir haben schon immer deutlich
gemacht, dass das steuerfreie Existenzminimum im Gesetz verankert werden muss.
({3})
Sie müssten aber doch auch wissen, lieber Herr Meister,
dass wir mit dem Grundfreibetrag im Moment deutlich
über den Berechnungen liegen, dass die nächsten Berechnungen erst 2012/2013 erfolgen und wir dann über
2014 reden. Sie orientieren sich doch nicht an der Verfassung, sondern verpacken Wahlgeschenke in Form des
Existenzminimums.
({4})
Ich finde, Sie sollten das nicht durcheinanderbringen
und die Menschen nicht so hinter die Fichte führen. Das
lassen wir nicht mit uns machen. Steuerpolitik muss analytisch, logisch und stringent sein. Das, was Sie tun, ist
einfach nicht in Ordnung.
({5})
Mir ist noch etwas aufgefallen - das ist mir jetzt
schon noch einmal wichtig -: Herr Fricke, Sie stellen
sich ernsthaft hierher und sagen,
({6})
man dürfe der Politik keine Steuermehreinnahmen geben.
({7})
Ich finde, 1,8 Prozent rechtfertigen diesen Populismus
nicht.
({8})
- Was für 1,8 Prozent? Ich meinte die Umfragewerte, die
offensichtlich zu grandiosem Populismus führen.
({9})
Ich finde schon, dass Sie darüber nachdenken sollten,
was Sie hier sagen.
Es ist doch hoffentlich richtig, dass wir alle der Meinung sind, dass Steuereinnahmen kein Selbstzweck sein
dürfen. Es gibt nicht die Politik, die irgendwie Geld einsackt. Diesen Eindruck haben Sie aber doch vermittelt.
({10})
Sie schneiden sich damit, was das Demokratieverständnis angeht, mittelfristig übrigens ganz übel in Ihr eigenes
Fleisch.
({11})
Es geht bei den Steuereinnahmen darum, dass wir als
Staat dafür sorgen müssen, dass zum Beispiel die Kommunen ihre Aufgaben mit dem Geld, das sie haben, auch
wahrnehmen können.
({12})
Hier geht es auch um Chancen für Menschen, beispielsweise durch Bildung, und um Wirtschaftsentwicklung.
Das sind die Aufgaben, die wir erfüllen müssen. Ich
finde, Häme ist hier fehl am Platz.
({13})
Steuerpolitik muss sich durch Verlässlichkeit und Stabilität auszeichnen - und dieser Haushalt auch.
Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zur Ausgabenseite machen. Ich frage mich ernsthaft, worin die Logik bzw. die Stringenz besteht, wenn diese Koalition wider besseres Wissen Ausgaben für das Betreuungsgeld in
Höhe von jährlich 2 Milliarden Euro beschließt.
({14})
Ich will den bildungspolitischen Irrsinn, den Sie hier betreiben, nicht beschreiben; darüber ist oft genug geredet
worden. Lassen Sie mich das aber einmal finanzpolitisch
anschauen: Wir geben im Moment und ab 2013 dauerhaft 770 Millionen Euro pro Jahr an die Länder, um damit - über die Umsatzsteuer - den Ausbau der Kinderbetreuung mitzufinanzieren. Diese Verantwortung haben
wir in der Großen Koalition gemeinsam übernommen.
Dass Sie aber gleichzeitig 2 Milliarden Euro ausgeben,
um das Gegenteil zu erreichen,
({15})
indem Sie Anreize setzen, die Kinderbetreuung nicht zu
nutzen, ist so widersprüchlich, dass einem die Haare
hochstehen. Ich verstehe das nicht.
({16})
Dass die FDP, die sich einmal die Bildungspolitik auf die
Fahnen geschrieben hatte, dem auch noch zustimmt,
schlägt dem Fass den Boden aus. Das ist nur noch durch
die Tatsache erklärbar: Gibst du mir, geb ich dir. So
kommen dann am Schluss große Summen heraus, die
verpulvert werden.
Sie vernachlässigen im Übrigen auch die Basis, auf
der Steuern gezahlt werden; das kommt noch dazu. Es
gehört auch zu einer Haushaltsdebatte, zu sagen: Wir
achten darauf, dass die Steuermehreinnahmen stabil sind
und die Löcher, die die Große Koalition beispielsweise
durch die Unternehmensteuerreform geschlossen hat,
nicht wieder aufgerissen werden. Sie haben ganz still
und heimlich durch mehrere Gesetze wieder die Möglichkeit eröffnet, Gewinne über die Grenzen zu schaffen,
und damit wieder Löcher aufgerissen.
({17})
- Ein Beispiel ist die Funktionsverlagerung. Wir hatten
dazu gemeinsam eine Anhörung, Herr Flosbach. Die
Kommunen haben gesagt: Durch diese Funktionsverlagerung wird uns über 1 Milliarde Euro fehlen. Das kann
man in den Protokollen zur Anhörung nachlesen. Sie haben sich diesen Argumenten verweigert und die entsprechenden Regelungen in ein Post-Umsatzsteuergesetz gepackt, damit es niemand merkt. Das wollen wir hier nur
einmal festhalten.
Sie haben bei der Brennelementesteuer wider besseres Wissen darauf verzichtet, eine konkrete Vorlage zu
machen, die wirklich gerichtsfest ist. Stattdessen sagen
Sie immer: Da wird schon nichts passieren.
({18})
Wir hoffen nun, dass die Gerichte entsprechend entscheiden.
Das sind einige der Punkte, mit denen Sie an die Bemessungsgrundlage herangehen. Ich sage Ihnen: Solide
Haushaltspolitik basiert auch auf einer stringenten
Steuerpolitik. Davon sind Sie weit entfernt. Deshalb
kann auch dieser Haushalt nichts werden.
Vielen Dank.
({19})
Der Kollege Volker Wissing hat jetzt für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Besten Dank! - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der Bundesfinanzminister hat zu Recht
darauf hingewiesen, dass die Krise langsam in der Realwirtschaft ankommt. Die Menschen machen sich Sorgen. Deswegen ist es wichtig, dass wir in der Finanzund Steuerpolitik dafür sorgen - das sollen wir eigentlich gemeinsam tun -, dass private Träume hinsichtlich
gesellschaftlicher Aufstiegschancen dort gesichert werden, wo sie vorhanden sind, und dort, wo sie noch nicht
vorhanden sind, ermöglicht werden. Dazu gehört auch,
dass man dafür sorgt, dass unser Steuersystem dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit Rechnung trägt.
({0})
Bei einer Inflation von 2,5 Prozent und Lohnerhöhungen von 1,8 Prozent, liebe Frau Kollegin Kressl, stellt
sich bei unserem linear-progressiven Tarif schon die
Frage nach der Steuergerechtigkeit. Ein Staat - ich bin
dankbar, dass der Finanzminister darauf hingewiesen hat -,
der glaubhaft Geldwertstabilität zusichert, muss dafür
sorgen, dass die öffentlichen Kassen nicht einseitig an
der Inflation verdienen. Genau das tun wir mit unserer
Steuerpolitik, wenn wir einerseits die Grundfreibeträge
der Preisentwicklung anpassen und damit das Existenzminimum steuerfrei stellen und andererseits den Tarif
entsprechend korrigieren. Das ist aber nicht alles; der
Finanzminister hat es hier gesagt. Es geht nicht um einen
Einmaleffekt. Wir wollen, dass künftig durch die kalte
Progression Steuererhöhungen nicht mehr intransparent
und heimlich geschehen, sondern dass man einen Progressionsbericht vorlegt und analysiert, wie hoch die
Progressionsentwicklung ist, und dann vor der Öffentlichkeit darüber entscheidet, wie man damit umgeht. Wir
stehen dafür, dass man die kalte Progression dauerhaft in
regelmäßigen Abständen beseitigt.
({1})
Die Aufregung, die Sie verbreiten, und die Krokodilstränen, die Sie in der Öffentlichkeit über die Steuerpolitik vergießen, sind völlig unangemessen. Es gibt überhaupt keinen sachlichen Grund für Ihre Aufregung. Sie
haben kein fachliches und schon gar kein rechtliches Argument, dagegen in den Ländern eine Blockade aufzubauen.
Dass ausgerechnet SPD und Grüne glauben, man
könne sich damit schmücken, dass man die kalte Progression aufrechterhält, ist ein Schlag ins Gesicht der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie vermitteln
den arbeitenden Menschen in Deutschland mit Ihrer
Position nämlich Folgendes: Erstens. SPD und Grüne
wollen nicht, dass Arbeitnehmer einen verfassungskonformen Steuerfreibetrag behalten. Zweitens. Rot-Grün
will, dass Lohnerhöhungen in die Kassen des Staates
fließen und nicht den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zugutekommen.
({2})
Sie begründen Ihre unfaire Haltung damit, dass es
keine Geschenke geben dürfe. Das haben der Kollege
Schneider und auch Frau Kressl heute gesagt.
({3})
Das ist blanker Zynismus.
({4})
Lohnerhöhungen sind keine Geschenke. Es sind Zahlungen, die sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch eigene Anstrengung und Leistung verdient
haben. Deshalb ist es richtig und auch wichtig, dafür zu
sorgen, dass den Menschen etwas von dem bleibt, was
sie verdient haben. Die Arbeitgeber schenken den Arbeitnehmern nichts, wenn die Löhne erhöht werden, und
der Staat schenkt den Arbeitnehmern auch nichts, wenn
er ihnen die Lohnerhöhung belässt, statt sie durch die
kalte Steuerprogression einzukassieren.
({5})
Hören Sie deswegen endlich auf, von Geschenken zu
reden! Sie verhöhnen mit diesem zynischen Bild die fleißigen Menschen, die in Deutschland den Aufschwung
erarbeitet haben.
({6})
Es ist erschreckend, was das linke Parteienspektrum
in der Finanzpolitik zu bieten hat. In der letzten Legislaturperiode haben Sozialdemokraten die Arbeitnehmer
mit der Mehrwertsteuererhöhung belastet. Zur Haushaltssanierung hat das nichts beigetragen, und da fordern
Sie heute ernsthaft weitere Steuererhöhungen, weil der
Haushalt saniert werden müsse. Das Gegenteil ist richtig: Der Haushalt muss endlich auf der Ausgabenseite
saniert werden. Das tut die christlich-liberale Koalition.
({7})
Ihnen fällt als Antwort auf die Euro-Krise nur noch
eines ein: Steuererhöhungen, Steuererhöhungen, Steuererhöhungen. Wie ein Mantra tragen Sie das durch die
ganze Republik. 60 Milliarden Euro durch Steuererhöhungen will die Linke, zig Milliarden wollen die Grünen
und die SPD. Nichts haben Sie mit Ihrer Steuererhöhungspolitik in der Vergangenheit erreicht, und nichts
werden Sie in Zukunft erreichen. Sie machen damit nur
Politik auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Die Beschäftigten sollen höhere Sozialabgaben zahlen, zusätzlich privat Vorsorge treffen und obendrein
auch noch höhere Steuern an den Staat abführen. Das
Schlimme ist, dass Sie mit dieser Politik den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht nur in die Tasche
greifen, sondern obendrein auch noch ihre Arbeitsplätze
gefährden.
({8})
Die Grünen beschließen auf ihren Parteitagen große
Steuererhöhungskonzepte. In dem Moment, in dem sie
der Regierungsverantwortung näherkommen, bekommen sie Angst vor ihrer eigenen Politik. Frau Künast
sagte vor der Berlin-Wahl, man müsse aufpassen; ein höherer Spitzensteuersatz sei schwierig für den Mittelstand. Herr Kretschmann sagte, die Einkommensteuerpolitik, vor allen Dingen beim Spitzensteuersatz, müsse
mit dem Mittelstand kompatibel sein.
Denken darf man nicht erst, wenn es zu spät ist. Man
muss vorher wissen, was die richtige Politik ist.
({9})
Deswegen verweigern wir diese mittelstandsfeindliche
Steuererhöhungspolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihre finanzpolitische Antwort auf die Herausforderungen der Euro-Krise
ist zu wenig:
({10})
Steuererhöhungen, Steuererhöhungen, Steuererhöhungen.
Das ist keine Lösung. Deswegen bleiben wir bei dem
Kurs der Stabilitätspolitik sowohl was unser Steuersystem als auch die Währungsstabilität angeht.
Frau Kressl, ich finde, was die SPD mit der kalten
Progression aufführt, ist ein Affentanz. Sie fragen immer: Gibt es die wirklich? Schauen Sie sich die Lohnsteigerungszahlen und die Inflationsraten an! Dann können Sie sich das ganz einfach beantworten.
Herr Steinbrück hat nichts gegen die kalte Progression gemacht. Einmal sagt er, das sei ein aufgebauschtes
Problem. Das versuchen Sie ja auch, der Öffentlichkeit
klarzumachen. An anderer Stelle sagt er: Wenn man sie
komplett abschaffen würde, dann würde das 25 Milliarden Euro kosten. - Das passt nicht zusammen. Wenn es
ein aufgebauschtes Problem ist, dann kann es nicht um
25 Milliarden Euro gehen.
Ich finde es bemerkenswert, dass die linken Parteien
kein Gespür für die Situation der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer haben. Die Menschen machen sich
Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Sie wollen nicht, dass die
Konjunktur durch die falsche Politik gefährdet wird.
Deswegen sind sie bei der christlich-liberalen Koalition
gut aufgehoben. Wir werden moderat und wachstumsorientiert vorgehen, und wir werden dafür sorgen, dass
sich Leistung in Deutschland weiterhin lohnt und dass
die Menschen keine Angst vor Inflation haben müssen.
Wir sind der Schutzwall gegen Inflation in der EuroZone,
({11})
und wir sind der Schutzwall gegen ein inflationäres
Steuersystem. Das bringen wir jetzt auf den Weg. Sie
wären gut beraten, dem zuzustimmen.
({12})
Bartholomäus Kalb hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Ich darf auf den Beitrag des
Kollegen Carsten Schneider zu Beginn der Debatte zurückkommen. Mittlerweile hat mir Kollege Schirmbeck
mit seinen technischen Möglichkeiten erlaubt, den Entschließungsantrag zu lesen, den Sie zur zweiten und dritten Beratung eingebracht haben.
({0})
Überschlägig berechnet fordern Sie damit im Haushalt 2012 Mehrausgaben in einer Größenordnung von
5 Milliarden bis 10 Milliarden Euro. Gleichzeitig kritisieren Sie, dass wir zu wenig sparen. Sie wollen Steuern
erhöhen und mehr ausgeben, aber Sie wollen nicht solide
arbeiten und nicht sparen. Frau Kollegin Kressl, Ihre
Einlassung zum Thema Steuerpolitik kann ich nun überhaupt nicht verstehen; Sie sind doch eigentlich vom
Fach. Es geht hier nicht darum, was in der Koalition vereinbart worden ist und dass wir irgendwelche Steuergeschenke mir nichts, dir nichts verteilen wollten; wir tun
vielmehr nichts anderes als das, was verfassungsrechtlich geboten ist und was sich gehört: Wir muten den
Menschen nicht zu, insbesondere nicht denen in den unteren und mittleren Einkommensbereichen, dass sie
überproportional steuerlich belastet werden. Das ist der
eigentliche Kern dieser Vereinbarung.
Zu der Kritik, die Carsten Schneider vorhin geübt hat,
kann ich nur sagen: Es gibt unter uns Haushältern den
Spruch, dass Haushaltsansätze nicht zum Ausgeben verpflichten, sondern nur zum Ausgeben berechtigen. Es
war auch in den zurückliegenden Jahren so, dass Haushalte besser abgeschlossen werden konnten, als zunächst
vorgesehen war. Gott sei Dank sind wir auf unserem
Weg der Konsolidierung deutlich schneller und besser
vorangekommen. So ist auch dieser Haushalt, über den
wir jetzt beraten, wieder ein wesentlicher Schritt zur
Haushaltskonsolidierung. Er ist ein Beispiel für die gesamte Europäische Union. Wir können von den anderen
Ländern nicht erwarten, dass sie eine Schuldenbremse
einführen, solide wirtschaften und strukturelle Reformen
durchführen, wenn wir selber uns nicht besonders ehrBartholomäus Kalb
geizigen Zielen verschreiben. Dies wiederum ist notwendig, damit wir einer Kultur der Stabilität in Europa
zum Durchbruch verhelfen; denn wir stehen in einer
ganz besonderen Verantwortung für unsere Währung.
Das erwarten die Menschen. Die Menschen kritisieren durchaus hier und da die Maßnahmen, die wir zur
Stabilisierung des Euro und zur Behebung der Schuldenkrise in Europa ergreifen. Nur, in einem stimmen die
Menschen vollkommen mit uns überein: Sie verlangen
von uns, dass wir alles in unserer Kraft Stehende tun, für
die Stabilität der Währung zu sorgen. Der Euro ist unsere
Währung. Wir haben keine andere Währung. Deswegen
fordern die Menschen von uns zu Recht, dass wir alles
für die Stabilität dieser Währung tun.
({1})
Wir müssen daran arbeiten, dass bald die neuen Instrumente EFSF, der vorläufige Rettungsschirm und
dann auch der dauerhafte Rettungsschirm in Kraft treten
können. Wir können zwar kritisieren, was die Europäische Zentralbank in ihrer Unabhängigkeit tut, aber wir
müssen auch dafür sorgen, dass neben dem Einsatzfahrzeug Europäische Zentralbank auch andere funktionsfähige Einsatzfahrzeuge geschaffen werden, die wir zur
Stabilisierung der Währung einsetzen können.
Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Zinsbelastung für unseren Bundeshaushalt auf die Dauer so
günstig sein wird, wie sie im Moment ist.
({2})
Im Verlauf der letzten 90 Jahre lag die durchschnittliche
Zinsbelastung - die Kriegszeit herausgerechnet - bei
5,7 Prozent, wenn ich das richtig gelesen habe. Wir haben im Moment eine außerordentlich günstige Zinssituation, aber darauf können wir auf die Dauer nicht setzen.
Daher müssen wir sehen, dass wir von der Gesamtverschuldung und insbesondere der Neuverschuldung herunterkommen. Das ist wiederum in deutschem wie
europäischem Interesse. Wir haben in den zurückliegenden Jahren bessere Entwicklungen verzeichnen dürfen,
nicht zuletzt auch aufgrund der Maßnahmen, die wir in
der Krise ergriffen haben. Ich nenne die Konjunkturprogramme usw. Ich hätte mich schon gefreut, wenn auch
die Länder und die Gemeinden, die an den höheren Steuereinnahmen partizipieren, sich gemeinschaftsorientierter verhalten hätten, als es um wichtige Aufgaben ging.
Richtig ist, dass wir Beschäftigung sichern konnten
und dass wir im Moment eine außerordentlich günstige
Situation am Arbeitsmarkt haben. Noch nie hatten wir so
wenige Arbeitslose: 2,7 Millionen. Noch nie hatten wir
eine so hohe Zahl von Erwerbstätigen: über 41 Millionen. Noch nie hatten wir in Deutschland einen so hohen Stand an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
und offenen Stellen.
Dies alles hat zur Konsequenz, dass die Einnahmesituation der öffentlichen Hände günstiger geworden ist,
weil wir mehr Steuer- und Beitragszahler und weniger
Leistungsempfänger haben.
Herr Kollege.
Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin. - Auch der
Haushalt, über den wir jetzt entscheiden, verfolgt genau
das Ziel, dass wir auf der einen Seite sparen, aber auf der
anderen Seite auch die Wachstumskräfte stärken, damit
kein Strömungsabriss erfolgt.
Danke schön.
({0})
Norbert Brackmann erhält jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Haushaltsberatungen und der Haushalt selbst
sind kein Selbstzweck, sondern der Haushalt hat eine
dienende Funktion. Deswegen kann man mit dem Haushalt den Puls messen. Der Puls dieses Haushalts stimmt,
er ist im Takt. Das ist die erste und wichtige Feststellung.
({0})
Woran können wir das deutlich machen? Wenn ich „kein
Selbstzweck“ gesagt habe, dann ist doch klar, dass wir
beim Haushalt nicht über ein Kassenwesen reden, sondern darüber, wie es unserem Staat insgesamt geht. Es
kommt darauf an, eine kluge Wirtschaftspolitik mit einer
klugen Finanzpolitik und einer klugen Haushaltspolitik
zu verzahnen. Messen lassen müssen wir uns dann an
den Ergebnissen. Wir alle sind von den Menschen, von
den Bürgern gewählt und müssen zunächst einmal messen, wie es ihnen geht.
Mein Kollege Kalb hat gerade schon darauf hingewiesen, dass wir noch nie eine so gute Arbeitslosenentwicklung hatten, wie wir sie im Moment haben. Wir hatten noch nie so viele sozialversicherungspflichtig
Beschäftigte. Wir haben nur noch halb so viele Langzeitarbeitslose - das ist eine bestimmte Klientel, die bei einigen immer besonders im Fokus steht - wie 2005. Alle
Menschen in der Bundesrepublik Deutschland profitieren von dieser klugen Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik.
({1})
Wir stellen auch etwas anderes fest, nämlich dass der
Aufschwung bei den Menschen ankommt. Wir haben in
2011 bei den Löhnen einen Zuwachs von im Durchschnitt 3,2 Prozent. Das merken die Menschen. Wir
konnten heute Morgen zur Kenntnis nehmen, dass in der
Stahlindustrie ein Pilotabschluss mit 3,8 Prozent getätigt
worden ist, was darauf hindeutet, dass die Menschen
auch im nächsten Jahr von dieser sicheren Entwicklung
profitieren werden, die wir in Deutschland gerade nehmen. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass eine solide Haushalts- und Finanzpolitik bei uns die Grundla16798
gen für eine wirtschaftlich vernünftige Entwicklung in
Deutschland schafft, die die Menschen merken und von
denen die Menschen profitieren.
({2})
Dabei setzen wir auf die Zukunft. Wir machen hier
nicht nur Kassenwart-Politik und sprechen über Einnahmereduzierungen, sondern wir müssen auch dafür sorgen, dass die Menschen in Zukunft von diesen Vorteilen
profitieren können.
Deswegen ist es wichtig, zu sagen, dass die Zinssätze
in Deutschland aufgrund der soliden Politik, die wir gemacht haben, so niedrig sind; denn nur dadurch ist es
möglich, dass Firmen günstig an Geld kommen und dass
die Entwicklung am Arbeitsmarkt in die nächsten Jahre
weiter trägt, obwohl wir europaweit die eine oder andere
Eintrübung hinnehmen müssen.
Deswegen, lieber Carsten Schneider, habe ich überhaupt keine Skrupel, zu sagen, dass es Deutschland gut
geht. Sie predigen Wasser und trinken selbst Wein. Der
Erfolg unserer Politik besteht darin, dass wir angesichts
der Superergebnisse und Superzahlen den Menschen in
Deutschland mehr bieten können als Länder in Südeuropa ihren Bevölkerungen. Das ist für uns der Anreiz, so
weiterzumachen wie bisher.
({3})
Nehmen Sie doch die erwähnten Zahlen zur Kenntnis.
Sie stellen in Abrede, dass wir erfolgreich sind, und verweisen dabei auf die Entwicklung bei der Nettokreditaufnahme. Wir sind immerhin in der Lage, für 2012 einen Haushalt vorzulegen, der ein Delta zwischen der
nach dem Grundgesetz erlaubten Nettokreditaufnahme
in Höhe von 40 Milliarden Euro und der tatsächlichen
Nettokreditaufnahme in Höhe von rund 26 Milliarden
Euro vorsieht. Das heißt, wir geben ungefähr 14 Milliarden Euro weniger aus, als wir könnten.
({4})
Das straft Sie doch Lügen, wenn Sie sagen, wir betrieben
Ausgabenpolitik. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Wir
sichern Handlungsfähigkeit für die Zukunft, weil wir so
zügig vorangehen.
({5})
Wir sind auch im europäischen Kontext hervorragend
aufgestellt. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt beträgt
die Verschuldung in diesem Jahr nur noch 0,6 Prozent.
Das sucht in Europa seinesgleichen. Vergleichbar gute
Zahlen werden Sie nur ganz selten finden. Unsere Stabilitätspolitik ist im Sinne der Menschen in Deutschland
- für die sind wir zuallererst da - erfolgreich. Dieser
Haushalt schafft die Voraussetzungen dafür, dass das
nicht nur 2012, sondern auch darüber hinaus so bleibt. In
diesem Sinne ist das ein erfolgreicher Haushalt, vorgelegt von einer Koalition, die erfolgreich Politik betreibt.
Herzlichen Dank.
({6})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Wir stimmen
zuerst über den Einzelplan 08, Bundesministerium der
Finanzen, in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Einzelplan 08 ist angenommen bei Zustimmung durch
die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen haben abgelehnt.
Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, in der Ausschussfassung: Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Einzelplan 20 einstimmig angenommen.
Ich rufe jetzt Punkt II.5 auf:
Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
- Drucksachen 17/7110, 17/7123 Berichterstattung:
Abgeordnete Georg Schirmbeck
Heinz-Peter Haustein
Katja Dörner
Zum Einzelplan 10 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Verabredung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu
sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen, und wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Wilhelm Priesmeier für die SPD-Fraktion.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie an meinen Gehhilfen erkennen, bin ich heute ein bisschen indisponiert. Aber ich
glaube, das tut meiner Rede keinen Abbruch.
Wer sich mit dem Haushalt auseinandersetzt, erkennt,
dass sich nach den Ausschussberatungen im Kern nichts
am Entwurf geändert hat, erst recht nicht zum Besseren.
Man kann nur ein Fazit ziehen: wenig Licht, viel Schatten. In vielen Bereichen ist ein zukunftsweisendes Konzept für die deutsche Agrarpolitik und die Fragen, die
uns in Zukunft bewegen werden, sowie die Entscheidungen, die mit Blick auf 2020 zu treffen sind - dafür müssten jetzt eigentlich die Grundlagen gelegt werden -,
nicht zu erkennen. Ihnen fehlt ein zukunftsfähiges Konzept für die Entwicklung des ländlichen Raums. Sie verwalten nur. Gestalten wollen Sie mit diesem Haushalt offensichtlich nichts.
({0})
- Danke für den Beifall.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass
dieser Haushalt in seinen Ansätzen in wesentlichen Teilen von Klientelinteressen bestimmt ist.
({1})
Ich habe auch den Eindruck, dass die Ministerin sich
gern vom Deutschen Bauernverband umarmen lässt.
({2})
Da kann man vielleicht ein bisschen weich liegen und
kann Konfrontationen, die notwendig wären und die
man auch durchstehen müsste, aus dem Weg gehen.
({3})
Aber ich kann dazu nur sagen: In diesem Zusammenhang ist der Deutsche Bauernverband sicherlich der falsche Liebhaber. Er ist an Geld interessiert, und wenn er
das hat, dann macht er sich davon, so wie es ein Heiratsschwindler immer macht.
({4})
- Nein. Der tritt bald ab; insofern ist das nicht die Fragestellung für die Zukunft.
Es ist wichtig, dass wir auf die Entwicklung des ländlichen Raums ein besonderes Schwergewicht legen. Da
hätte ich für die Finanzierung ein bisschen mehr erwartet. Ist die Ministerin da? - Doch, Gott sei Dank, sie ist
da.
({5})
- Hervorragend. Dann kann ich Sie auch persönlich ansprechen. - Sie waren am Freitag letzter Woche auf dem
Kreisbauerntag des Bayerischen Bauernverbands in Königsdorf.
({6})
- Ich gehe einmal davon aus, dass das in Ihrem Wahlkreis ist. - Ich freue mich natürlich, dass Sie da entsprechende Aussagen zur deutschen Agrarpolitik getroffen
haben. Der Vizekreisobmann, der Herr Fichtner, hat Sie
ganz konkret mit den Problemen des ländlichen Raums
konfrontiert. Ich zitiere einmal:
Der ländliche Raum blutet aus, die Betriebe geben
auf, die Infrastruktur wie beispielsweise die ärztliche Versorgung auf dem Land bricht weg.
Ihre Antwort darauf: Die Regionen müssen gestärkt
werden. Die Wertschöpfung muss in der Region bleiben.
Wohl wahr! Aber an Ihrem Haushalt kann ich nicht
erkennen, dass Sie darauf einen Schwerpunkt legen. Das
Gegenteil ist der Fall. Sie haben die Gemeinschaftsaufgabe als gestaltendes Instrument für die Politik im
ländlichen Raum schon 2010 im Vergleich zu 2009 entscheidend beschnitten, nämlich um 85 Millionen Euro;
das sind 15 Prozent. Wir als Sozialdemokraten halten dagegen, weil uns der ländliche Raum in besonderer Weise
am Herzen liegt. Wir wollen den ländlichen Raum zielgerichtet und konsequent entwickeln. Dafür bedarf es
natürlich einer entsprechenden Ausstattung im Haushalt.
Das bedeutet: nicht Kürzungen vornehmen, sondern
Kürzungen rückgängig machen. Deshalb fordern wir die
Erhöhung der Mittel um 85 Millionen Euro. Das haben
wir in zwei Anträgen gefordert. Diese Anträge sind von
Ihnen ohne weitere Debatte gnadenlos niedergestimmt
worden.
({7})
Das zeigt Ihre Position und Ihr Verhältnis zum ländlichen Raum.
({8})
In diesem Zusammenhang mache ich noch einmal darauf aufmerksam, wo Sie die zentralen finanziellen
Spielräume in den letzten Jahren verspielt haben. Ich erinnere an die 750 Millionen Euro, die Sie einfach aus
dem Fenster geworfen haben: in wesentlichen Bereichen
unstrukturiert, ohne entsprechendes Konzept, einfach
konsumtiv verausgabt. Damit hätte man Politik auch für
die Zukunft gestalten können. Mit diesen Ressourcen
wären wir in der Lage gewesen, ein innovatives Konzept
zur Entwicklung des ländlichen Raums zu erarbeiten und
politisch umzusetzen. Aber das haben Sie nicht getan.
Im Haushaltsentwurf findet sich im Gegenzug ein
läppisches Trostpflaster von 6 Millionen Euro für Projekte: „LandZukunft“. Wohl wahr! Wichtig ist das. Aber
das bietet bestimmt gute Gelegenheiten, um sich bei der
Vergabe vor Ort gebührend feiern zu lassen.
({9})
Ich will Ihnen da nichts unterstellen, aber das ist weiß
Gott keine strukturierte Politik. Der Ansatz ist richtig,
aber in der Konsequenz viel zu gering.
({10})
Greifen Sie doch endlich einmal die Kritik der OECD
an der Politik und an dem Entwicklungskonzept für den
ländlichen Raum in Deutschland auf! Stellen Sie sich
doch einmal der Aufgabe, und sagen Sie, wie Sie das angehen möchten: auch im Hinblick auf 2020, auch im
Hinblick auf die Kofinanzierungsfunktion der Bundesländer, die aufgrund der Schuldenbremse weitestgehend
infrage gestellt ist. Ich kann da von Ihrer Seite kein klares Konzept erkennen.
({11})
Meine Antwort darauf lautet: weniger Flächenprämie,
mehr Geld für den ländlichen Raum und mehr Engagement des Bundes, um in diesen Bereichen die Politik gestaltungsfähig zu halten. Sonst läuft die Politik für den
ländlichen Raum in Zukunft ins Leere, und wir werden
am Ende vor den Trümmern der Entwicklung stehen und
uns vielleicht fragen, was wir hätten anders machen
müssen.
Wir als Sozialdemokraten plädieren für eine integrierte Entwicklungspolitik, die alle Fördertöpfe berücksichtigt. Wir plädieren für ein Konzept, das regionale
Entwicklungsfonds beinhaltet und bei dem aus allen
Töpfen synergistisch gefördert werden kann, damit die
an sich bescheidenen vorhandenen finanziellen Ressourcen optimal genutzt werden können. Das ist eine vernünftige Politik für den ländlichen Raum. Darum fordern wir die Weiterentwicklung der GAK zu einer
Gemeinschaftsaufgabe für den ländlichen Raum. Dazu
wird es vielleicht in zwei Jahren Gelegenheit geben,
wenn wir Sozialdemokraten hoffentlich wieder gestaltend an Koalitionsverhandlungen beteiligt sind.
({12})
Ich sehe das voraus. Dann ist Zeit und Gelegenheit, Ballast abzuwerfen, neue Konzepte zu entwerfen und diese
Konzepte auch umzusetzen, im Sinne des ländlichen
Raums und vor allen Dingen für die Menschen im ländlichen Raum.
({13})
Wenn man einmal ein Fazit Ihrer bisherigen Politik
- nicht nur der Politik, die aus diesem Haushalt spricht,
sondern Ihrer Politik insgesamt - ziehen darf, dann lautet dieses: Schwarz-gelbe Agrarpolitik lässt in der Regel
weitestgehend jeglichen Gestaltungsanspruch vermissen. Schwarz-gelbe Agrarpolitik bleibt häufig Klientelpolitik. Schwarz-gelbe Agrarpolitik für den ländlichen
Raum findet so gut wie gar nicht statt.
Vielen Dank.
({14})
Der Kollege Georg Schirmbeck hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen zunächst der Bundesministerin, den Staatssekretären, aber
auch dem Haushaltsausschuss und eigentlich dem ganzen Hause sehr herzlich danken für die exzellente Zusammenarbeit, und zwar nicht nur in den letzten Wochen. Unsere Zusammenarbeit zeichnet sich dadurch
aus, dass wir das ganze Jahr über eng kooperieren und
uns nicht wechselseitig überraschen. Wir informieren
und unterstützen uns gegenseitig. Das gilt ganz besonders für den Kollegen Peter Haustein. Wir arbeiten so
zusammen, wie es sich in einer Koalition gehört.
({0})
Ich glaube, das ist für den einen oder anderen beispielhaft. Aber auch in Richtung Christel Happach-Kasan
und Franz-Josef Holzenkamp, also der Fachpolitiker,
kann ich nur sagen: Wir sind nicht immer einer Meinung, aber dann hocken wir uns zusammen und sprechen
miteinander. Ich habe das schon im Haushaltsausschuss
gesagt, und warum sollte man es nicht auch in der Öffentlichkeit sagen: Wenn man besonders erfolgreich ist,
bekommt man von der einen oder anderen Kollegin sogar einen Kuss.
({1})
Das zeigt doch, dass die Harmonie nicht nur gespielt ist.
Meine Damen und Herren, ich sage das ein bisschen
scherzhaft am Anfang, weil die Zusammenarbeit wirklich
gut ist. Das zeigt sich auch daran, dass die Bundesministerin, die vorher Haushälterin war, die also das gemacht
hat, was ich jetzt für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
machen darf, uns ihre Redezeit zur Verfügung gestellt hat.
Sie hat also Vertrauen in das Parlament und lässt uns über
den Haushalt diskutieren. Das ist eine beispielhafte Haltung, die durchaus Schule machen könnte.
Herr Kollege Priesmeier, wenn man das gehört hat,
was Sie hier gesagt haben, müsste man Deutschland eigentlich fluchtartig verlassen.
({2})
Die Lage ist doch ganz anders. In unserer gemeinsamen
Landeshauptstadt Hannover hat gerade die Agritechnica
stattgefunden. Wenn man dort mit der Szene spricht,
stellt man fest, dass sie sehr zufrieden ist, dass eigentlich
alles zu gut ist. Wenn man sieht, dass in einem Bereich
etwas hervorragend läuft, dann gehört es zur politischen
Größe, sich herauszuhalten und nicht irgendetwas zu unternehmen, was einer guten wirtschaftlichen Entwicklung im Wege steht.
Ich weiß - das habe ich auch in der ersten Beratung
gesagt -, dass es in den einzelnen Bereichen des ländlichen Raums ganz unterschiedlich aussieht. In manchen
ländlichen Räumen gibt es einen richtigen Boom, und in
anderen läuft es nicht so toll, obwohl die gesetzlichen
Voraussetzungen die gleichen sind. Wir Politiker sollten
uns einmal die Frage stellen, woran das liegt. Liegt das
vielleicht daran, dass es in unterschiedlichen ländlichen
Räumen unterschiedliche politische Ansätze gibt, weil
dort andere politische Mehrheiten herrschen? Liegt es
vielleicht nur an den Menschen, die dort leben, weil sie
eine andere Entwicklung haben wollen?
In den ländlichen Räumen, in denen ich im Laufe des
Jahres immer wieder bin, stelle ich einen Boom fest im
Hinblick auf Solaranlagen, Biogasanlagen und Windmühlen. Dort werden Ställe und Fabriken für die Ernährungswirtschaft gebaut. Da wird Grund und Boden
plötzlich teuer, weil viele ein Interesse daran haben, etwas zu unternehmen und zu investieren. Hintergrund für
diese Investitionen sind politische Entscheidungen, die
wir getroffen haben und die den ländlichen Raum offensichtlich nach vorne bringen. Ist das falsch? Wird das
von Ihnen kritisiert?
Wenn Sie sagen: „Die Haushaltsansätze müssten hier
oder dort besser sein“, dann verweise ich auf die Zeit, in
der es eine legendäre Ministerin namens Renate Künast
gab.
({3})
Ich habe es an dieser Stelle schon einmal gesagt: Wenn
ich auf einer Veranstaltung bin, auf der viel gemotzt
wird, und dort an den Minister Trittin, Stichwort Dosenmaut, und an die Ministerin Künast erinnere, dann
sind plötzlich alle wach und rufen: Das ja nicht wieder!
Georg, macht ihr so weiter! Ihr macht eine gute Politik. ({4})
Irgendwie sind dann alle zufrieden.
Sie sagen bei entsprechendem Anlass immer, was
noch alles gemacht werden sollte. Ich weiß gar nicht,
wer von Ihnen einmal zur Kenntnis genommen hat, dass
wir zurzeit das Internationale Jahr der Wälder begehen.
({5})
Deutschland ist das größte Forstland Europas. Man
sollte sich bei den Haushaltsberatungen vielleicht einmal
30 Sekunden Zeit nehmen, um darüber zu sprechen, was
in diesem Bereich geleistet wird. Wir als Koalition machen das. Wir wollen, dass nicht nur im Jahr 2011 über
das Internationale Jahr der Wälder gesprochen wird,
sondern dass die Kampagne fortgesetzt wird, weil das
eine positive Entwicklung für die ländlichen Räume fördert. In der Forstwirtschaft gibt es 2 Millionen Arbeitsplätze. Auf diese Arbeitsplätze kommt es an, und wir unterstützen deren Erhalt durch zusätzliche Haushaltmittel.
Diese haben wir eingestellt, und darauf sind wir stolz.
({6})
Sie können hier viel kritisieren und sagen, was alles
nicht so gut läuft. Wenn Sie Deutschland aber einmal
verlassen und sich im Ausland aufhalten - beispielsweise dort, wo es Menschen gibt, die wirklich wissen,
was Hunger bedeutet und was Armut ist -, dann werden
Sie sehr demütig, wenn Sie wieder nach Hause kommen
und erkennen, wie gut es uns in Wirklichkeit geht.
({7})
Es hilft langfristig überhaupt nicht, wenn wir im Falle
von großen Katastrophen Lebensmittel an den Unglücksort bringen. Das muss im Einzelfall geschehen, um akute
Not abzuwenden. Wenn wir aber dauerhaft helfen wollen, dann müssen wir unser Know-how, das wir in allen
Bereichen der Ernährungswirtschaft, der Landwirtschaft,
der Forstwirtschaft und der Fischerei haben, in diese
Länder bringen. Wir müssen dort ausbilden und qualifizieren. Das kann man mit vergleichsweise geringen
Summen tun. Man braucht geeignetes Personal, um den
Hunger in der Welt zu bekämpfen. Hier wollen wir beim
nächsten Haushalt, aber auch in den Folgejahren einen
Schwerpunkt setzen. In den nächsten Jahren wollen wir
8,75 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen,
um den Hunger in der Welt konkret - nicht mit Worten,
sondern mit Taten - zu bekämpfen.
({8})
Wir wissen, dass sich die Welt an der einen oder anderen Stelle verändert hat. Das gilt auch für Deutschland,
beispielsweise beim Tierschutz. Wir wissen auch, dass
es in unserer Gesellschaft unterschiedliche Anforderungen und Ansichten gibt und dass in der Tat an der einen
oder anderen Stelle korrigiert werden muss. Ich sage Ihnen: Es hilft nichts, wenn wir uns da etwas einbilden,
wenn wir Vorurteile unter die Leute bringen. Wenn wir
im Tierschutz wirklich etwas verbessern wollen, dann
geht das nur auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Wir werden Mittel zur Verfügung stellen, um die
Forschung auf diesem Gebiet voranzubringen. Nur auf
Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse werden wir gesetzliche Änderungen herbeiführen.
({9})
Das gilt auch für den Verbraucherschutz: Auch dort
kann man natürlich immer sagen, dass das eine oder andere neu geregelt werden muss. Wir werden aber feststellen, dass es trotz aller gesetzlichen Maßnahmen immer Dinge geben wird, die wir so nicht wünschen,
Fehlentwicklungen, die wir uns so nicht vorgestellt haben.
Ich glaube, die wirkungsvollste Maßnahme, die man
beispielsweise in der Landwirtschaft und in der Ernährungswirtschaft ergreifen kann, ist folgende: Wenn es
wirklich Betriebe gibt, die boshaft und vorsätzlich Fehlentwicklungen zu verantworten haben, müssen sie gewissermaßen gebrandmarkt werden, sodass sie in der
Branche einfach nicht mehr akzeptiert werden. So entstehen in den verschiedenen Bereichen Selbstheilungskräfte: Es führt dazu, dass solche Unternehmen auf dem
Markt überhaupt nicht mehr tätig werden können. Das
ist wirklich abschreckend und führt dazu, dass das eine
oder andere nicht mehr passiert. Es ist im Übrigen überhaupt keine Frage, dass hier das Strafrecht gelten muss.
Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen - das haben wir beispielsweise im Falle von Ehec gesehen -,
dass es zwar das eine oder andere zwischen den Ländern, dem Bund und verschiedenen Forschungseinrichtungen neu zu koordinieren gibt, dass es aber trotz aller
Regelungen, zu denen es zukünftig kommen muss, Entwicklungen geben kann - das haben uns die Fachleute,
ohne dass die Medien darauf eingestiegen sind, deutlich
gemacht -, die man einfach zur Kenntnis nehmen muss
und die man wissenschaftlich nicht erklären kann.
Herr Kollege Schirmbeck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Priesmeier?
Gerne, Wilhelm. Du bist ein gescheiter Mensch. Warum sollte man dich nicht reden lassen?
Zunächst einmal danke für die Vorschusslorbeeren. Lieber Kollege Schirmbeck, wenn du schon einmal den
Tierschutz erwähnst, dann kannst du mir vielleicht auch
sagen, warum die beiden von uns eingebrachten Anträge
zum Tierschutz - darin ging es vor allen Dingen um die
Indikatorenforschung im Tierschutz und um die Ausgestaltung eines Konzeptes, das als Forschungsgrundlage
für die Tierschutzindikatorenforschung international
tragfähig ist - in den entsprechenden Ausschussberatungen seitens der Koalition abgelehnt worden sind.
({0})
Verehrter Herr Kollege, wir haben parallel zu den
Haushaltsplanberatungen im Fachausschuss - ich war
zugegen - einen Entschließungsantrag eingebracht, in
dem wir das, was ich hier ausgeführt habe, deutlich gemacht haben; wir gedenken das umzusetzen. Ich sage es
noch einmal: Wir wollen in diesem Bereich die wissenschaftlichen Erkenntnisse gewinnen, die dort zu gewinnen sind. Wenn uns diese wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, werden wir darauf entsprechend reagieren.
Ich wiederhole: Gerade im Zusammenhang mit dem
Tierschutz sind in der Gesellschaft Dinge im Umlauf, bei
denen es aber eher - da sind insbesondere wir beide uns
einig - um Tierquälerei geht. Solche Dinge müssen verhindert werden. Wir wollen nicht zurück, sondern nach
vorne. Dort, wo wir auf wissenschaftlicher Basis feststellen, dass Korrekturen vorzunehmen sind, werden wir
diese vornehmen. Aber es wird zuerst geforscht und erst
dann entwickelt und gesetzgeberisch gehandelt, nicht
umgekehrt. Ich glaube, das ist sachliche Politik. Der
Tierarzt, der hier die Frage gestellt hat, und die anderen
Tierärzte in Deutschland erwarten das in diesem Bereich
von uns.
Manch einer, der im guten Sinne von Tierschutz redet,
hat von artgerechter Tierhaltung überhaupt keine Vorstellung; denn immer weniger Menschen in unserer Gesellschaft kommen mit Tieren direkt in Kontakt. Ich
glaube, dass da ein großes Defizit besteht. Wir tun gemeinsam gut daran, die wissenschaftlichen Erkenntnisse
abzuwarten und dann zu handeln.
({0})
Meine Damen und Herren, schließlich und endlich
möchte ich sagen: Der Einzelplan 10 ist eigentlich ein
großer Sozialhaushalt. Der Sozialhaushalt im Rahmen
des Einzelplans 10 gewährleistet mit einem Umfang von
fast 4 Milliarden Euro die soziale Sicherheit im ländlichen Raum. Das sollte man immer wieder deutlich machen; das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Wir haben es mehrfach angesprochen: Wir wissen, dass in der
landwirtschaftlichen Unfallversicherung Reformbedarf
besteht. Es muss dort einen Bundesträger geben. Das ist
mittlerweile unstrittig. Es gibt eine Vorstellung davon,
wie das im Einzelnen ablaufen soll. Wir werden diese
Reformen mit weiteren 150 Millionen Euro begleiten;
aber diese 150 Millionen Euro werden so lange vom
Haushaltsausschuss nicht freigegeben, bis die Sache gesetzgeberisch geregelt, bis also das entsprechende Gesetz beschlossen ist. Erst dann können wir sagen: Die
Reform ist da.
Ich habe für den einen oder anderen, der demnächst
zu einer Anhörung vorgeladen wird, die Anregung, sich
selber zu fragen, ob es eigentlich - wenn wir als Gesetzgeber eine so lange Übergangsfrist haben wollen, wie sie
in den Entwürfen jetzt festgeschrieben ist - nicht besser
wäre, diese Frist zu verkürzen; denn zum Schluss kommen die Ressourcen, die gespart werden, den Menschen
im ländlichen Raum, also den Versicherten, zugute. Ich
glaube, darauf sollte unser Streben ausgerichtet sein.
Was ich damit sagen will: Es gibt auch morgen noch
viel zu tun - und das ist auch gut so. Wenn wir aber in einem Jahr wieder zusammenkommen, um einen weiteren
Bundeshaushalt zu beschließen, und wenn die Lage im
ländlichen Raum in Deutschland dann immer noch so
gut wie zurzeit ist, dann werden wir gemeinsam etwas
geleistet haben. Darauf könnten wir dann gemeinsam
stolz sein. Mit Blick darauf sage ich: Vielen Dank für die
Beratungen im Haushaltsausschuss und im Fachausschuss! Ich freue mich, dass wir dieses Werk so beschließen können.
Herzlichen Dank.
({1})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege
Roland Claus das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundesministerin, mein Vorredner ist auf das gute Einvernehmen bei den Haushaltsberatungen zu sprechen gekommen. Das kam überhaupt nicht unerwartet und geht
auch in Ordnung. Dies hat auch mit sympathischen Berichterstatterinnen und sympathischen Berichterstattern
zu tun. Ich glaube, dass das aber vor allem darauf zurückzuführen ist, dass wir mit diesem Etat nicht wirklich
etwas zu sagen haben. Nachhaltige Agrarpolitik findet
mit diesem Etat wenig bis gar nicht statt.
Ich will das vorrechnen: Wenn man den Sozialetat aus
diesem Plan herausrechnet, bleiben etwa 1,5 Milliarden
Euro zur Verteilung übrig. Allein der weltweit agierende
Nestlé-Konzern erzielt jährlich über 100 Milliarden Euro
Umsatz.
({0})
Jetzt komme ich zu dem Punkt, den wir hier prinzipiell
zu kritisieren haben: Landwirtschaftspolitik findet inzwischen nicht mehr in Parlamenten und Regierungen
statt, sondern an Börsen, in Lebensmittelkonzernen und
in Discounterketten. Das ist genau das, was wir nicht unwidersprochen hinnehmen dürfen.
({1})
Dass Agrarwirtschaft und marktwirtschaftliche Grundsätze nichts mehr miteinander zu tun haben, dem werden
nicht einmal mehr Sie widersprechen. Dass Ihnen dies
aber hin und wieder ein Sozialist sagen muss, sollte Ihnen zu denken geben.
Wir hätten uns gewünscht, dass diese Beratung genutzt worden wäre, um zu sagen: Spekulationen mit
Nahrungsgütern und agrarischen Rohstoffen gehören
verboten. Das ist unsere Forderung.
({2})
Wenn es zu der auch inzwischen von Bundesfinanzminister Schäuble geforderten Einführung der Finanztransaktionsteuer gekommen wäre, wäre der zweite
Schritt ein Verbot der Spekulationen mit Nahrungsgütern
an den Börsen - zur Eindämmung der Macht der Börsen
und der Finanzmärkte - gewesen. Das ist ein wesentlicher Schritt, der hier notwendig wäre.
({3})
Das Ergebnis dieses Diktates der Lebensmittelkonzerne und Kaufhausdiscounter ist eine schleichende
Preiserhöhung für Verbraucherinnen und Verbraucher.
Auch darf nicht unterschlagen werden: Es gibt eine
wachsende Selbstausbeutung der Bäuerinnen und Bauern, egal ob in großen oder kleinen Unternehmen. Das ist
ebenfalls nicht hinzunehmen.
({4})
Alternativen finden Sie auch im neuen Programm der
Linken, über das hier heute noch gar nicht gesprochen
wurde; das vermisse ich regelrecht.
({5})
Ich will Ihnen sagen, wofür die Linke steht: Sie steht für
eine Agrar- und Verbraucherschutzpolitik, die dem Konsumenten eine gesunde und bezahlbare Ernährung und
dem Produzenten ein nachhaltiges und angstfreies Wirtschaften sichert. Kleiner geht es nicht, meine Damen und
Herren.
({6})
Auch da wird die CDU/CSU eines Tages von uns abschreiben, so wie sie das beim Mindestlohn, bei der Bankenregulierung oder beim NPD-Verbot gemacht hat.
({7})
Die Linke tritt in besonderem Maße für die Chancengleichheit der ostdeutschen Agrarunternehmen ein; denn
es setzt sich folgende Erkenntnis mehr und mehr durch:
Die ostdeutschen Agrarunternehmen sind Vorreiter im
sozialökologischen Wandel. Anstatt diesen Erfahrungsvorsprung endlich anzuerkennen, wird er leider immer
noch diskriminiert und nicht bundesweit genutzt.
Die Gegenseite ist, dass der Bioenergieboom dazu geführt hat, dass die Pachtflächenpreise im Osten seit dem
Jahre 2007 auf über 300 Prozent angestiegen sind.
({8})
In einer solchen Situation können die agrarischen Unternehmen einfach nicht mitbieten. Das muss Ihnen doch
zu denken geben. Es muss zur Sprache kommen, dass
man eine solche Entwicklung ändern muss und dass man
gerne wüsste, wie man sie ändern kann.
({9})
Der größte Posten ist - das wurde schon angesprochen - die Landwirtschaftliche Sozialversicherung, deren Reform ansteht. Aus acht Versicherungen plus einer,
der Gartenbau-BG, wollen Sie eine machen. Gute Erfahrungen der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft
Mittel- und Ostdeutschland werden nach unserer Auffassung viel zu wenig beachtet. Nun kommen Sie als Gesetzgeber und sagen: Zuschüsse gibt es nur, wenn die
Fusion nach den Wünschen von Bundesregierung und
Koalition erfolgt.
({10})
Wenn man eine bestimmte politische Entwicklung mit so
viel Druck belegt, ist das dann nicht - das fragen sich die
Bäuerinnen und Bauern, ich traue mich nicht, das zu fragen - so etwas wie eine Zwangsvereinigung? Das muss
man doch einmal fragen dürfen.
({11})
Zum guten Schluss. Wenn Sie schon die landwirtschaftlichen Sozialkassen vereinigen wollen, warum
dann nicht auch Ihr Ministerium, das immer noch auf die
Standorte Bonn und Berlin aufgeteilt ist?
({12})
Solange es ein geteiltes Ministerium gibt, haben Sie ein
Glaubwürdigkeitsproblem. Wir denken, ein jegliches hat
seine Zeit; aber die Zeit dieser Teilung ist eigentlich vorbei.
({13})
Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz-Peter Haustein
von der FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Deutschland ist ein schönes Land.
({0})
Der Einzelplan 10 dieses Haushalts ist grundsolide aufgestellt und zukunftsweisend.
Zuerst möchte ich mich bei den Berichterstattern für
die angenehme Zusammenarbeit bedanken, besonders
beim kernigen Schorsch Schirmbeck. Ich möchte mich
auch beim Ministerium bedanken: sehr kompetent, sehr
charmant. Frau Ministerin Aigner, vielen herzlichen
Dank an Ihr Haus! Es waren gute Beratungen. Der Haus16804
halt spiegelt das wider, was bei uns in der christlich-liberalen Koalition Herzenssache ist: Soziales.
({1})
68 Prozent der 5,28 Milliarden Euro des Einzelplanes 10
dieses Haushaltes sind Sozialausgaben.
({2})
Ob Zuschüsse zur Rente, Zuschüsse zur Unfallkasse und
zur Krankenkasse oder andere Zuschüsse: Die sozialen
Ausgaben bestimmen diesen Einzelplan.
52 Prozent der im Gesamthaushalt 2012 veranschlagten Ausgaben in Höhe von 306 Milliarden Euro sind für
Sozialausgaben vorgesehen. Die Linken sagen immer:
Teile dieses Hauses seien nicht sozial. Da kann ich nur
sagen: Da lachen ja die Hühner. Es hat noch nie einen
sozialeren Haushalt als den für 2012 gegeben.
({3})
Ein zweiter Punkt, der für uns Herzenssache ist: Wir
sehen die Landwirte als Unternehmer und legen die Strecken so fest, dass der Landwirt als Unternehmer bestehen kann, und zwar sowohl im weltweiten Wettbewerb
als auch unter den ungewissen Wetterbedingungen, die
auf ihn hereinprasseln. Wir setzen die richtigen Planken
ein. Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist
der Agrardiesel. Ja, es stimmt: Wir subventionieren den
Agrardiesel.
({4})
Das entspricht Steuermindereinnahmen in einer Größenordnung von circa 395 Millionen Euro. Doch wir sagen:
Das ist richtig, und zwar deshalb, weil ein intakter Bauernhof, der Gewinne macht, besser ist als einer, der keine
erwirtschaftet.
({5})
Ich wiederhole: Wir sehen die Landwirte als Unternehmer und tun alles, um sie darin zu stärken.
({6})
Herr Kollege Haustein, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Priesmeier?
Ja, gerne.
Bitte schön, Herr Priesmeier.
Herr Kollege, Sie haben den Bereich der agrarsozialen Sicherheit angesprochen. Das ist ein Bereich, der den
Sozialdemokraten immer in besonderer Weise am Herzen gelegen hat.
({0})
Insofern ist es richtig, dass wir die alte Last tragen.
Schauen wir uns aber einmal die Perspektiven an. Als
Haushälter müssten Sie doch wissen, dass wir in diesem
Bereich 400 Millionen Euro aus Veräußerungserlösen investiert haben, über den Haushalt aus Steuermitteln zusätzlich 400 Millionen Euro in den letzten Jahren und
100 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket. Können
Sie mir angesichts dieser Größenordnung erklären, warum es notwendig ist, diesen Bereich in den nächsten
drei Jahren zusätzlich mit 150 Millionen Euro zu unterstützen, obwohl die klare Perspektive lautete, zumindest
die Ausgaben für den Bereich der Unfallversicherung
- darüber rede ich jetzt - auf eine Zuführung von
100 Millionen Euro zu begrenzen? Bei der anstehenden
Fusion zum Bundesträger kommen alle, die fusioniert
werden, nicht ganz ohne Mitgift. Ich halte das für einen
Ansatz, der nicht tragfähig ist.
({1})
Danke, Herr Kollege. - Wir sehen das natürlich anders. Wenn man im Glashaus sitzt, sollte man nicht mit
Steinen werfen.
({0})
Schauen Sie sich einmal die Zeit der rot-grünen Regierung an. Sie haben von 1998 bis 2005 300 Milliarden
Euro Schulden gemacht, die wir heute abbauen müssen.
Wir sagen: Der Bauer, der Landwirt, ist zu unterstützen.
({1})
Das, was Sie hier vorbringen, würde das Problem
nicht lösen. Wir haben im Grundgesetz eine Schuldenbremse eingebaut. Wir sagen: Haushaltskonsolidierung
geht vor. Wir sparen auch mit diesem Haushalt. Eine
Einsparung in Höhe von 211 Millionen Euro im Vergleich zum Haushaltsplan 2011 bildet dies ab.
({2})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in diesem
Haushaltsentwurf sind auch Ausgaben für unsere Institute vorgesehen. Ich möchte ein paar nennen, die eine
richtig gute Arbeit machen: Das Bundessortenamt, zuständig für Sortenschutz und Sortenzulassung, bekommt
24 Millionen Euro; das Julius-Kühn-Institut, zuständig
für Pflanzengenetik, Pflanzenbau und Pflanzenernährung,
bekommt 76 Millionen Euro; das Friedrich-Loeffler-Institut, das sich um landwirtschaftliche Nutztiere kümmert,
bekommt 106 Millionen Euro; das Max-Rubner-Institut,
das für den gesundheitlichen Verbraucherschutz im Ernährungsbereich zuständig ist, bekommt 46 Millionen
Euro. Nicht zu vergessen ist das Johann-Heinrich-vonThünen-Institut - es ist für die Entwicklung im ländlichen
Raum zuständig -, das 79 Millionen Euro bekommt. Wir
tun also etwas in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei.
Ich möchte mich ganz herzlich bedanken, erst einmal
beim Steuerzahler; denn das Geld, das wir ausgeben, haben die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler erwirtschaftet. Herzlichen Dank dafür!
({3})
Zweitens möchte ich mich bedanken bei unseren Instituten für die gute Arbeit. Nicht zuletzt: Liebe Fischereifreunde, liebe Förster, liebe Winzer, liebe Bauern, herzlichen Dank, dass ihr dieses Land ernährt. Es ist nicht
selbstverständlich, dass man immer genug zu essen und
zu trinken hat. Herzlichen Dank dafür! Wir als christlich-liberale Regierung, als christlich-liberale Koalition
tun alles, damit es euch gut geht. Wir schaffen die Rahmenbedingungen. In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge.
({4})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die
Kollegin Katja Dörner.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich habe Anfang Oktober bei den Festivitäten zum Einheitstag in der wunderschönen Bundesstadt Bonn auch den Informationsstand des Ministeriums
für Landwirtschaft besucht. Was bekam man dort zu sehen? Schöne Äpfelchen, natürlich bio und aus der regionalen Vermarktung.
({0})
Da gab es schöne Flyer mit Informationen über die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft, und im Hintergrund
hingen Poster, auf denen zufriedene Bauern mit der Mistgabel in der Hand vor ihren schnuckeligen Höfen abgebildet waren. Es ist einfach unverfroren, wie hier den Bürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen gestreut wird;
denn mit der tatsächlichen Agrarpolitik dieser Regierung
haben diese schönen Flyer überhaupt nichts zu tun.
({1})
Die schwarz-gelbe Agrarpolitik setzt weiter auf Massentierhaltung.
({2})
Sie setzt weiter auf Industrialisierung und auf Exportförderung zulasten bäuerlicher Strukturen. Initiativen für
Nachhaltigkeit, für mehr Klimaschutz und für biologischen Landbau werden gerade nicht gefördert. Ich kann
nur sagen: Schwarz-gelbe Agrarpolitik ist außen hui und
innen pfui.
({3})
Der Einzelplan 10 des Haushalts für 2012 macht das in
Zahlen ganz deutlich.
Dabei ist die Art und Weise, wie wir in Deutschland
Landwirtschaft betreiben, von enormer Bedeutung nicht nur für unser Land, sondern auch weltweit.
Frau Kollegin Dörner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poland?
Ja.
Bitte schön.
Frau Kollegin Dörner, würden Sie mir bitte den Begriff der Massentierhaltung noch einmal erklären?
({0})
Sie müssen schon stehen bleiben. - Massentierhaltung sehen wir da, wo riesige Ställe sind, wo Tierschutz,
wie wir ihn uns vorstellen, nicht stattfindet, wo Tiere auf
engstem Raum mit Antibiotika behandelt werden. Die
ganze Antibiotikathematik ist ein sehr schönes Thema,
das heute noch gar nicht angesprochen wurde. Der Begriff der Massentierhaltung ist uns allen, die wir uns im
Agrarbereich bewegen, völlig klar. Dass es hier in den
letzten Jahren in der Regentschaft von Schwarz-Gelb zu
einer deutlichen Ausweitung gekommen ist, lassen die
Zahlen erkennen. Darüber müssen wir uns hier nicht länger unterhalten.
({0})
Das Recht auf Nahrung weltweit durchzusetzen, der
Klimaschutz, der Erhalt der biologischen Vielfalt und
der Schutz des Wassers sind zentrale globale Herausforderungen unserer Zeit. Die Landwirtschaft darf nicht
länger zur Verschärfung dieser Probleme, sondern muss
zu ihrer Lösung beitragen.
({1})
Natürlich ist hier - das ist bereits angesprochen worden - die EU gefragt. Wir wissen, dass die Ministerin
aktuell in intensiven Beratungen über die Gemeinsame
Agrarpolitik der EU nach 2013 ist. Die Kommission hat
einige richtige und wichtige Vorschläge in diesem Bereich gemacht. Jetzt ist unsere Ministerin, Frau Aigner,
dringend aufgerufen, beispielsweise bei der Einführung
einer Ökologisierungskomponente in die Direktzahlun16806
gen nicht auf die Bremse zu treten. An dieser Stelle müssen wir uns aber leider Sorgen machen.
Für die Förderung nach 2013 muss zudem die Chance
genutzt werden, das Prinzip „öffentliche Gelder für öffentliche Güter“ tatsächlich umzusetzen. Jegliche Fördergelder müssen an die Erbringung von gesellschaftlichen Leistungen beim Klima- und Umweltschutz, beim
Tierschutz, beim Erhalt der Biodiversität, beim Verbraucherschutz und natürlich beim Erhalt von Arbeitsplätzen
geknüpft werden. Fördermaßnahmen, die dem zuwiderlaufen, müssen rigoros eingestellt werden.
({2})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, selbstverständlich
ist auch die Bundesrepublik gefragt. Wir als Grüne haben im Haushaltsverfahren mit diversen Anträgen deutlich gemacht, wie Schritte nach vorne vollzogen und finanziert werden können. Ich möchte einige Stichworte
nennen:
Stichwort „Eiweißstrategie“. Viele wissen nicht, dass
die Bundesrepublik rund 3 Millionen Hektar Ackerfläche außerhalb der EU zum Anbau von Eiweißpflanzen,
vornehmlich von Sojapflanzen, nutzt. Der Anbau der
Futtermittel in den Ländern des Südens führt dort zu
massiven sozialen und ökologischen Verwerfungen.
Kleinbauern werden von ihrem Land vertrieben. Um
Ackerflächen zu gewinnen, muss sogar der Regenwald
gerodet werden. Dagegen wird die Züchtung im Bereich
der heimischen Eiweißpflanzen bei uns in der Bundesrepublik, aber auch in der EU seit Jahren vernachlässigt.
Hier haben wir ein Förderprogramm beantragt, um die
Eigenversorgung zu verbessern.
({3})
Stichwort „Energieeffizienz“. Die Landwirtschaft muss
in die Anstrengungen zur CO2-Reduktion natürlich noch
stärker einbezogen werden. Deshalb brauchen wir ein
Förderprogramm zur Entwicklung und Verwendung
treibstoffsparender und pflanzenöltauglicher Traktoren.
Ich sage hier ganz klar, weil das Stichwort „Agrardiesel“
schon gefallen ist: Selbstverständlich muss die Subventionierung des Agrardiesels wegen ihrer klimapolitisch
und technologisch negativen Lenkungswirkung drastisch
zurückgeführt werden.
({4})
Stichwort „Bundesprogramm Ökologischer Landbau“. Durch die Aufhebung der Zweckbindung an die
Förderung des ökologischen Landbaus im vergangenen
Jahr hat die Bundesregierung gerade die nachhaltigste
und klimafreundlichste Anbaumethode in der Landwirtschaft massiv geschwächt. Das ist vor allem angesichts
der immer weiter steigenden Nachfrage nach Biolebensmitteln in Deutschland nicht nachvollziehbar und muss
zurückgenommen werden.
({5})
Frau Kollegin Dörner, auch der Kollege Schirmbeck
hätte noch das Bedürfnis zu einer Zwischenbemerkung.
Bitte schön.
Bitte.
Verehrte Frau Kollegin, Stichwort „Agrardiesel“. Es
ist Ihnen sicherlich bekannt, dass die Steuersätze für
Agrardiesel in der Europäischen Union sehr unterschiedlich sind. Ich sage Ihnen, dass wir auf die Subventionierung des Agrardiesels verzichten könnten, wenn wir einen einheitlichen Agrardieselsteuersatz in Europa
hätten.
({0})
Diesen bekommen wir aber nicht so einfach. Darauf
müssen Sie reagieren. Wie wollen Sie, wenn Sie die
Subventionen zurückfahren, die Einkommensausfälle
und die Wettbewerbsnachteile, die durch diese Verwerfung in Europa bestehen, ausgleichen?
Zum einen kann man das sehr wohl sozialverträglich
umsetzen
({0})
- natürlich kann man das -,
({1})
zum anderen ist es absolut wichtig, dass wir als Bundesrepublik an dieser Stelle vorangehen;
({2})
denn der Agrardiesel ist total umweltschädlich und stellt
im Zusammenhang mit dem Klimawandel ein Problem
dar. Wir können da vorangehen: Unterm Strich stehen
nämlich die deutschen Bauern im europäischen Vergleich auch ohne subventionierten Agrardiesel gut da.
({3})
Ich hoffe, dass Frau Aigner diese Anregung unseres Kollegen Georg Schirmbeck, der ja selber sagt, man könne
diese Subvention deutlich reduzieren, aufnimmt und
dass sie das auf EU-Ebene in die Beratungen einspeist,
damit wir zu einer Lösung kommen. Das wäre natürlich
schön.
({4})
Ich komme zu meinem letzten Stichwort, zur GAK.
Hier ist - das ist angesprochen worden - eine Weiterentwicklung dringend geboten. Gerade angesichts der notKatja Dörner
wendigen Haushaltskonsolidierung ist eine Konzentration der Agrarstrukturmittel auf wirksame Maßnahmen
zur ländlichen Entwicklung dringend geboten. Wir sind
der Ansicht, dass die Pflichtaufgaben der Länder im
Rahmen der Flurneuordnung und des Wegebaus nicht
länger über die Gemeinschaftsaufgabe gefördert werden
sollten. Wir wollen bei der GAK nicht sparen - das ist
wichtig -, sondern wir wollen die Mittel für die Förderung des Ökolandbaus, für Klimaschutzmaßnahmen und
Verbesserungen beim Wassermanagement umwidmen.
Diese und andere Ansätze - das sind alles wichtige
Impulse für den Klimaschutz, für den Artenerhalt, für
eine nachhaltige Lebensmittelproduktion und für die
Entwicklung im ländlichen Raum - sind von der Koalition leider alle sang- und klanglos abgelehnt worden.
({5})
Ich muss leider sagen: Agrarfabriken statt Bauernhöfe
bleibt die schwarz-gelbe Devise. Das ist sehr traurig. Ich
denke, dass die Menschen in Deutschland und weltweit
dafür in vielerlei Hinsicht bitter bezahlen werden. Diese
schlechten Aussichten sind im Einzelplan 10 für 2012
klar dokumentiert. Deshalb werden wir ihn ablehnen.
Vielen Dank.
({6})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege FranzJosef Holzenkamp von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte
zeigt einmal mehr, wie groß auch in der Agrar- und Verbraucherpolitik die Unterschiede zwischen Koalition
und Opposition sind. Deshalb möchte ich unsere Leitlinie in einem Satz zusammenfassen: Unsere Leitlinie ist
die Weiterentwicklung einer modernen Landwirtschaft
auf Basis der Schöpfung und der Nachhaltigkeit. Das
will ich dick unterstreichen. Das hat natürlich mit Idylle
und Romantik nichts zu tun.
({0})
Frau Dörner, vielleicht sollten Sie einfach den einen oder
anderen landwirtschaftlichen Betrieb besuchen, dann erfahren Sie, was Realität ist.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir in Deutschland
haben herausragende Standards in der Landwirtschaft, in
der Forstwirtschaft und in der Fischereiwirtschaft. Wir
wollen dieses herausragende Niveau nicht nur erhalten;
wir wollen es weiterentwickeln, wir wollen es weiter
ausbauen, und zwar hier bei uns in Deutschland.
({2})
Wir wollen unsere Spitzenposition in Europa und in der
Welt ausbauen. Das ist unser Anspruch. Das ist auch in
der Landwirtschaft der Anspruch der Koalition.
({3})
Deshalb sagen wir Ja zu einer unternehmerischen, familiengeführten, mittelständisch orientierten Land- und
Ernährungswirtschaft in Deutschland, die vielen Menschen
({4})
- Wilhelm, das weißt du eigentlich - Beschäftigung bietet: immerhin 5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland.
Ich sage auch ganz bewusst Ja zu der Nutzung unserer
Exportchancen für unsere tollen Produkte. Rufen Sie es
sich noch einmal in Erinnerung: Wir haben eine negative
Bilanz. Wir importieren mehr Nahrungsmittel, als wir
exportieren.
({5})
Ich habe den Eindruck, Sie wissen manchmal gar nicht,
worüber Sie reden. Wenn Sie Export pauschal ablehnen,
weil wir damit Ihrer Ansicht nach Entwicklungsländern
schadeten, dann möchte ich Ihnen raten: Schauen Sie
sich doch einmal an, was tatsächlich passiert. Wir orientieren uns an Ländern, in denen eine hohe Kaufkraft besteht und in denen man unsere Produkte will.
Ein Beispiel: Molkereiprodukte. Hier haben wir einen
Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent; aber
40 Prozent werden importiert. Also müssen wir nach
Adam Riese auch ein bisschen exportieren. Sonst geht
die Rechnung einfach nicht auf. Das sollten Sie, meine
Damen und Herren von der Opposition, doch auch einmal einsehen.
({6})
Wir sagen auch Ja zu weiteren Verbesserungen im Bereich des Verbraucherschutzes und zu höheren Standards
beim Tier- und Naturschutz; dazu bekennen wir uns ausdrücklich.
({7})
Nur: Im Gegensatz zu Ihnen gibt es bei uns keine Denkverbote.
Diesen Grundsätzen wird auch der Haushalt des
BMELV gerecht. Dort, wo es problematische Bereiche
gibt, werden wir uns diese vornehmen, uns der Probleme
annehmen und sie durch Weiterentwicklung sicherlich in
Teilen beseitigen können. Das zeigt sich zum Beispiel
am hohen Ansatz für die Ressortforschung. Dazu gehört
auch die Forschung nach weiteren Verbesserungen der
Bedingungen in der Tierhaltung, egal ob es um Kastration, das Kupieren von Schwänzen, das Kürzen von
Schnäbeln usw. geht. Wir entwickeln Lösungen. Wir ma16808
chen das aber mit der Landwirtschaft. Nur so erreicht
man nachhaltige Fortschritte.
({8})
Aus aktuellem Anlass zum Thema Antibiotika - das
wurde vorhin auch schon angesprochen -: Gesunde
Tiere müssen und dürfen nicht mit Antibiotika behandelt
werden; da sind wir uns alle einig. Kranke Tiere müssen
jedoch behandelt werden; das gebietet schon der Tierschutz. Aber ich habe den Eindruck, Sie vermischen
- bewusst oder unbewusst - die Problematik multiresistenter Keime in Krankenhäusern mit der des Antibiotikaeinsatzes in der Landwirtschaft.
({9})
Ich kann Ihnen nur raten: Lesen Sie sich einmal in Ruhe
die Studien und Expertisen des BfR, des Bundesinstituts
für Risikobewertung, durch. Das hilft auch Ihnen - vielleicht.
({10})
Meine Damen und Herren, ich greife noch einmal das
Thema Agrardiesel auf, verbunden mit einem ausdrücklichen Dank an unsere Ministerin. Schorse Schirmbeck
hat es gerade schon deutlich gemacht: Wir haben beim
Agrardiesel immer noch einen großen Wettbewerbsnachteil in ganz Europa. Wir gleichen nur einen Teilbereich aus. Sie wollen die deutschen Bauern in diesem
Bereich wieder einmal schröpfen. Das ist der Unterschied zwischen uns. Dafür sind wir einfach nicht zu haben, meine Damen und Herren.
({11})
Herr Kollege Holzenkamp, der Herr Kollege
Ostendorff würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Holzenkamp, Sie haben betont, es sei
richtig, Antibiotika bei kranken Tieren einzusetzen. Ja,
das ist völlig klar. Das gebietet auch das Gesetz. Sie unterstellen damit, dass 96 Prozent der Tiere, die nach der
nordrhein-westfälischen Studie mit Antibiotika behandelt wurden, kranke Tiere waren. Verstehe ich Sie richtig, dass Sie annehmen, dass all diese Tiere krank waren?
({0})
Ich weiß, dass es eine Studie aus NRW gibt. Ich habe
dazu eine Zusammenfassung gesehen.
({0})
- Ja, natürlich. - Ich kenne natürlich nicht alle einzelnen
Betriebe. Ich kann deutlich sagen: Tierarzneimittel dürfen eingesetzt werden für die Behandlung kranker Tiere,
nicht als Leistungsförderer. Leistungsförderer sind, wie
Sie sicherlich wissen, seit über fünf Jahren, wie ich
glaube, in Deutschland verboten. Es ist auch gut, dass
das so ist.
Ich will auch daran erinnern, dass die Regierungskoalition schon im April, wie ich glaube, Experten im Ausschuss gehört hat und sich dieses Themas offensiv angenommen hat, mit dem Ziel, beim Einsatz von
Tierarzneimitteln mehr Transparenz zu schaffen und den
Umfang insgesamt zu minimieren. Das ist unser Ziel.
Das ist das Ziel der Koalition. Hier sind wir gut unterwegs.
({1})
Zum Stichwort „Agrardiesel“ - ich bin bereits darauf
eingegangen; auch Schorse hat es vorhin deutlich gemacht -: Wir können weitere Benachteiligungen nicht
akzeptieren. Da können Sie rufen, was Sie wollen.
Zum Stichwort „Sozialversicherung“.
Herr Kollege Holzenkamp, jetzt würde Ihnen auch die
Kollegin Behm von den Grünen gerne eine Zwischenfrage stellen.
({0})
Ich würde aber bitten, liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Zahl der Zwischenfragen etwas zu begrenzen.
Vielleicht kann man sie auch bündeln; das wäre gar
nicht schlecht.
({0})
Aber meinetwegen; okay, Frau Behm.
Das geht schwer, weil die Kolleginnen und Kollegen
nicht wissen, wer von ihnen eine Zwischenfrage stellen
will. - Bitte, Frau Behm.
Vielen Dank, Herr Präsident! - Lieber Kollege
Holzenkamp, ich muss hier noch einmal nachsetzen. Sie
haben ja noch einmal ausdrücklich betont, dass Sie es für
richtig halten, Antibiotika nur bei kranken Tieren einzusetzen. Nun liegt die Untersuchung vor; danach sind
96 Prozent der Hähnchen offensichtlich krank gewesen.
Welche Rückschlüsse lässt das aus Ihrer Sicht auf die
Haltungsform zu? Denn in der gleichen Untersuchung ist
ja auch festgestellt worden, dass in kleinen Betrieben
deutlich weniger Antibiotika eingesetzt worden sind und
sie dort vor allen Dingen über einen längeren Zeitraum
eingesetzt worden sind, wie es sich bei einer ordentlichen Behandlung einer Krankheit auch gehört, und nicht
nur kurzzeitig. Da Sie ja ein ausgemachter Agrarpolitiker sind,
({0})
hätte ich von Ihnen gerne einmal eine Erklärung für
diese erschreckend hohe Zahl.
Noch einmal: Arzneimittel werden eingesetzt, wenn
Tiere erkrankt sind.
({0})
Wenn ich die Studie richtig im Kopf habe, dann enthält
sie hinsichtlich der Betriebsgrößen eine Staffelung: ganz
kleine weniger, mittlere mehr, ganz große noch mehr
Antibiotika. Ich kann mich aber natürlich nur dann im
Detail dazu äußern, wenn mir auch wirklich alle Details
vorliegen.
Für uns als Koalition, aber, denke ich, auch für die
Bundesregierung kann ich nur noch einmal grundsätzlich deutlich machen: Wir arbeiten daran, mehr Transparenz und mehr Informationen zu bekommen, um damit
insgesamt - das ist das Ziel - den Einsatz an Tierarzneimitteln zu reduzieren. Das sind ganz vielfältige Aufgaben, die mit Tierarzneimitteln alleine nur wenig, aber
mit ganz vielen anderen Fragestellungen viel zu tun haben. Denen stellen wir uns selbstverständlich auch, Frau
Kollegin.
({1})
Meine Damen und Herren, Stichwort „Sozialversicherung“: Herr Priesmeier, vieles ist gesagt worden. Ich
will das nicht alles wiederholen. Es ist wirklich eine gute
Investition, das Geld in die Entlastung von aktiven Bauern zu investieren. Dadurch werden die Bauernfamilien
entlastet. Wir schaffen hier einen Bundesträger. Dafür
mein Lob an das ganze Haus und alle Fraktionen. Diesen
Bundesträger wollen wir letztendlich auch zusammen
auf den Weg bringen. Ich lade Sie zur Mitgestaltung ein;
dann muss aber ein bisschen mehr kommen, als nur dagegen zu sein. Das will ich gleich dazusagen.
({2})
Auch in der Verbraucherpolitik sind wir gut dabei.
Dafür gibt es viele Beispiele. Frau Heil wird nach mir
noch auf einige Dinge eingehen. Wir lernen auch: zum
Beispiel über Dioxin und über Ehec. In diesem Zusammenhang ein zweites Dankeschön an unsere Ministerin
dafür, dass sie nicht, wie viele andere, in so einer Krise
in Hysterie verfällt, sondern dass sie diese Dinge sachlich bearbeitet, wie es sich gehört, damit der Verbraucher
wirklich Informationen bekommt, mit denen er letztendlich etwas anfangen kann.
({3})
Wir wollen den eigenverantwortlich handelnden mündigen Verbraucher stärken; das tun wir. Wir wollen, dass
der Verbraucher selbst entscheidet und nicht, dass über
ihn entschieden wird.
({4})
Wir setzen - das will ich ganz bewusst ansprechen
und ausdrücklich betonen; die Fragen der Grünen tendierten vorhin schon in diese Richtung - auf ein Nebeneinander verschiedener Bewirtschaftungsformen, also
von Ökolandwirtschaft und konventionellen Betrieben.
Im Übrigen - der Titel „Ökologischer Landbau/nachhaltige Landwirtschaft“ ist angesprochen worden - verstehe
ich überhaupt nicht, was Sie dagegen haben, dass der Titel um den Begriff „Nachhaltigkeit“ erweitert wird. An
dem Topf mit GAK-Mitteln können alle Betriebsformen
übrigens unendlich partizipieren. Das zu sagen, gehört
zur gesamten Wahrheit auch dazu, aber das lassen Sie ja
geschickterweise einfach weg. Wir wollen jedenfalls
keine Spaltung, sondern wir wollen unabhängig jeglicher Produktionsausrichtung alle Marktchancen nutzen.
Das ist eben der Unterschied: Sie gängeln, wir schaffen
die Voraussetzungen dafür, eigene Verantwortung zu
übernehmen.
Unsere Land- und Ernährungswirtschaft in Deutschland muss übrigens auch ihren Beitrag zur Sicherung der
Welternährung leisten. Es ist eben so - das muss man
einfach verstehen -, dass nicht überall auf der Welt jede
Pflanze wächst. Wenn uns das Recht auf Nahrung wichtig ist - ich gehe davon aus, dass das für uns alle ein sehr
wichtiges Thema ist -, dann muss uns klar sein, dass das
einfach einen Welthandel bedingt. Sonst bekommen wir
es nicht hin. Wir können keinen Hirngespinsten nachjagen. Das hilft uns nichts. Wir brauchen eine deutliche
Steigerung der Produktion. Wir wissen, dass wir in wenigen Jahrzehnten 70 Prozent mehr Produktion von Nahrungsmitteln brauchen, und zwar bei einer ständig
schrumpfenden Verfügbarkeit der Ackerfläche pro Erdenbewohner. Deshalb mein Appell an Sie alle: Wir
müssen auch in Deutschland die Ackerflächen schützen.
Meine herzliche Einladung: Unterstützen Sie uns dabei!
Zu diesem Thema habe ich von Ihnen überhaupt noch
nichts gehört.
Ich greife noch kurz das Thema Gemeinsame Agrarpolitik auf, und zwar deshalb, weil ich kein Verständnis
für wesentliche Teile der Vorschläge der EU-Kommission habe.
({5})
Man kann über vieles reden, etwa über die klare Trennung der ersten und zweiten Säule. Man kann auch über
Fruchtfolgen reden. Aber dass man zu Maßnahmen aus
der Vergangenheit wie zu einer obligatorischen Flächenstilllegung zurückkehrt, von denen ich dachte, dass wir
sie überwunden hätten, ist nun wirklich blanker Unsinn.
Wir sollen mehr Nahrungsmittel produzieren, gleichzeitig aber Flächen stilllegen, und zwar wertvolle Ackerflächen. Das ist einfach bekloppt! Das Vorhaben muss
wirklich gestutzt werden.
({6})
Ich kann der Kommission nur sagen: Kehren Sie um!
Sie sind auf dem falschen Weg. Sorgen Sie für eine klarere Trennung der ersten und zweiten Säule. In der zweiten Säule können wir vieles machen. Der Opposition
rufe ich zu: Setzen Sie sich nicht für Umverteilungspolitik und damit für Klientelpolitik ein,
({7})
was Sie ja immer besonders betonen, sondern setzen Sie
sich bitte einmal für die gesamte deutsche Landwirtschaft ein. Die deutschen Bauern werden es Ihnen danken.
Neben dem Politikrisiko und dem Marktrisiko, das
die Bauern in Deutschland haben, gibt es eine weitere
zunehmende Herausforderung, nämlich die, dass die
Menschen in Deutschland nicht mehr wissen, wie Landwirtschaft funktioniert. Wir brauchen einen stärkeren
Dialog mit der Bevölkerung. Den hat unsere Bundesministerin mit der „Charta für Landwirtschaft und Verbraucher“ angestoßen. Liebe Ilse Aigner, sehr geehrte
Frau Ministerin, herzlichen Dank für die respektvolle
und freundschaftliche Streitkultur auch bei diesem
Thema. Dafür noch einmal danke schön.
({8})
Für die Arbeit der Koalition - das sehen Sie hier wieder gilt: Miteinander reden ist immer besser als übereinander. Das zeichnet ganz einfach die christlich-liberale Koalitionsarbeit aus.
({9})
- Hören Sie zu! Sie wissen es einfach nicht.
({10})
Ich halte fest: Wir haben eine Land- und Ernährungswirtschaft, die hochinnovativ, leistungsfähig und erfolgreich ist. Daraus resultiert, dass Nahrungsmittel so günstig sind wie noch nie - meine Damen und Herren gerade
von der SPD und der Linken, das stellt auch eine wichtige soziale Komponente dar - und in einer nie gekannten Vielfalt in höchster Qualität in den Supermarktregalen auf Käufer warten - allen Krisen zum Trotz.
({11})
Damit dies so bleibt, braucht es eine vernünftige, eine
verlässliche, eine bürgerliche Politik. Das können nur
wir.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Schwanitz von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine
große deutsche Tageszeitung schrieb in der letzten Woche angesichts der Tatsache, dass die Neuverschuldung
für 2012 satte 4 Milliarden Euro über dem Wert von diesem Jahr liegen soll,
({0})
Folgendes - ich will zitieren -:
Von einer konsequenten Haushaltskonsolidierung,
gar einem echten Schuldenabbau, kann angesichts
dieser Zahlen keine Rede sein.
({1})
Im Gegenteil, während Merkel, Schäuble & Co. in
Brüssel lautstark die ungebremste Schuldenpolitik
der Euro-Partner anprangern, setzen sie zu Hause
trotz der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse die unselige Politik auf Pump fort.
Der Einzelplan 10 ist ein Paradebeispiel für diese unsolide Haushaltspolitik.
({2})
Denn zum eigentlichen Herzstück des Einzelplanes 10
sollen 2012 abermals der Ausbau und die Verstärkung
der passiven Subventionen in der Landwirtschaft werden,
({3})
während andere wichtige Themen und Aufgaben sträflich missachtet und vernachlässigt werden. Dazu gehört
beispielsweise die Strukturpolitik. Dazu gehören beispielsweise Investitionen, Investitionsförderungen in der
Landwirtschaft und der Tierschutz im Bereich Massentierhaltung. Dazu gehört Verbraucherschutz. Dazu gehört auch Innovationspolitik. Das ist die magere
Schlussbilanz dieser Haushaltsberatungen zum Einzelplan 10.
({4})
Zum Thema Agrarsubventionen an der Stelle nur so
viel: Nach dem Willen der Koalition sollen im Haushaltsjahr 2012 nochmals zusätzlich - über die Basisgrößen will ich gar nicht reden - 335 Millionen Euro an
passiven Agrarsubventionen ausgebracht werden, nämlich 260 Millionen Euro im Bereich Agrardiesel und
75 Millionen zusätzlich im Bereich der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Dagegen sind die Ausgaben
für die Innovationsförderung im Einzelplan 10 geradezu
kümmerlich. Der Betrag soll in 2012 bei noch nicht einmal 35 Millionen Euro liegen.
Man muss sich das einmal klarmachen: All das, was
2012 zusätzlich an passiven Agrarsubventionen ausgebracht werden soll, wird insgesamt das Zehnfache dessen ausmachen, was an Innovationsförderung im Einzelplan enthalten ist. Das ist die Situation.
Wir haben Ihnen von der Koalition vorgeschlagen,
diese Subventionitis zu begrenzen
({5})
und stattdessen die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zu stärken. Kollege Priesmeier hat schon darauf hingewiesen:
Sie haben 85 Millionen Euro rausgeschossen, um die
Agrardieselsubvention gegenzufinanzieren.
({6})
Sie haben das abgelehnt und stattdessen in den Haushaltsberatungen bei der Gemeinschaftsaufgabe die Verpflichtungsermächtigungen nochmals um 1,8 Millionen
Euro gekürzt. Sie haben also nicht nachgebessert und gemildert, sondern die Situation zusätzlich verschärft.
Frau Aigner, Sie werden der deutschen Öffentlichkeit
sicherlich als Subventionsministerin, aber nicht als Verbraucherschutzministerin, Tierschutz- oder Innovationsministerin, wahrscheinlich noch nicht einmal als gute
Landwirtschaftsministerin in Erinnerung bleiben.
({7})
Der Drang zur Subventionitis macht sich auch in
Brüssel im Zusammenhang mit der Neustrukturierung
der EU-Agrarsubventionen besonders gut. Ich muss das
noch einmal ansprechen. Den osteuropäischen Ländern
Maßhalten predigen und im Inland die Subventionen
hochfahren bis zum Gehtnichtmehr:
({8})
Diese Doppelzüngigkeit wird bei unseren osteuropäischen Nachbarschaftsländern durchaus bemerkt werden
und in Erinnerung bleiben.
({9})
Beim Thema Tierschutz besteht fast ein Komplettversagen.
({10})
Wie beim Verbraucherschutz agiert und reagiert Frau
Ministerin Aigner nur, wenn es aufgrund des Außendrucks unvermeidbar ist. Mehr noch: Ich habe den Eindruck, dass das Thema Tierschutz im Zusammenhang
mit Massentierhaltung so lange tabuisiert wird, bis es
nicht mehr geht.
Es bedurfte, um dies noch einmal anzusprechen, der
Ansage des Landwirtschaftsministers aus NordrheinWestfalen, dass der Antibiotikaeinsatz bei der Hühnermast nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist.
({11})
Erst danach gab es Aussagen von Frau Aigner. Öffentlichkeitswirksamer Aktionismus war zu beobachten. Ich
glaube, dass diese Zurückhaltung gegenüber dem Thema
Massentierhaltung und Tierschutz System hat; sie hat
auch etwas mit der Nähe zwischen dem Ministerium und
großen Unternehmen in diesem Bereich zu tun. Eine solche Nähe halte ich grundsätzlich für problematisch.
Der Auftrag des Ministeriums lautet, Anwalt beim
Tierschutz zu sein. Deshalb finde ich es auch problematisch, wenn Massentierhalter selbst zu Sponsoren ministerieller Forschungsleistungen werden
({12})
und beispielsweise Tierschutzaspekte quasi als Anhängsel eines netten Events in Erscheinung treten, wie es bei
der kürzlich erfolgten Einladung der Tönnies-Forschung
der Fall war. Die Einladung ist ja allen Mitgliedern des
Haushaltsausschusses zugegangen. Ausweislich der Einladung der Tönnies-Forschung philosophiert Peter Harry
Carstensen in einem Vortrag über Ethik und Moral der
modernen Nutztierhaltung, eingerahmt von einem Sektempfang und einem festlichen Dinner, mit dabei auch
das Max-Rubner-Institut und das Friedrich-Loeffler-Institut, die von der Tönnies-Forschung offensichtlich Forschungsgelder beziehen.
Sie kennen den Volksspruch, meine Damen und Herren: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“. Solche Veranstaltungen halte ich für nicht unproblematisch, um es zurückhaltend zu formulieren, für die Unabhängigkeit des
Ministeriums.
({13})
Das gehört auf den Prüfstand, und zwar umso mehr, weil
zugleich der eigene Forschungsbereich nicht zum Laufen kommt.
Ich will an das 12-Milliarden-Euro-Programm für
Forschung und Innovation der Bundesregierung erinnern. Die Mittel daraus fließen auch in den Einzelplan
von Frau Aigner. Die Mittel werden in 2012 sogar noch
aufgestockt. Aber mit Blick auf den Titel „Förderung
von Innovationen im Bereich Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucher“ sind die Aussichten düster. Wir haben
zu Beginn des vierten Quartals 2011 die Situation, dass
drei Viertel der Mittel im nichtinvestiven Bereich nicht
verausgabt worden sind. Wenn ich mir den investiven
Bereich bei diesem Titel anschaue, dann stelle ich fest,
dass die Nichtverausgabung sogar bei 78 Prozent liegt.
Frau Schavan lässt sich für Fördermillionen feiern, aber
Frau Aigner weiß nicht, welche Aufgaben sie mit dem
Geld erfüllen soll. Das ist die Realität im Einzelplan 10.
({14})
Es ist in den letzten Tagen im Zusammenhang mit
dem Parteitag in Leipzig viel von einer angeblichen Sozialdemokratisierung der Union geredet worden.
({15})
- Ich habe so etwas gelesen. Im ZDF ist die Bundeskanzlerin sogar gefragt worden, was die CDU eigentlich
noch alles von der SPD übernehmen will.
({16})
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich kann
Sie beruhigen: Für den Einzelplan 10 gilt das ausdrücklich nicht.
({17})
Der ist genauso miefig und verstaubt, wie es die konservativen Unionisten lieben. Die Menschen haben auch die
Hoffnung aufgegeben, dass sich das vor 2013 noch ändert.
Herzlichen Dank.
({18})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege HansMichael Goldmann das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man die Diskussion im Ausschuss mit der Diskussion über den Haushalt vergleicht, dann meint man, es
handele sich um zwei verschiedene Welten. Frau Dörner,
was Sie in der Sache sagen, ist Ihre Sache, aber wenn Sie
dem ganzen Bereich die Überschrift „Nach außen hui,
nach innen pfui“ geben, dann rate ich Ihnen: Denken Sie
einmal in Ruhe darüber nach, ob das möglicherweise
auch auf die Situation in Ihrem Herkunftsland Nordrhein-Westfalen zutrifft. Sind Sie wirklich der Meinung,
dass die Land- und Ernährungswirtschaft in NordrheinWestfalen nach dem Motto „Nach außen hui, nach innen
pfui“ verfährt? Das kann doch wirklich nicht Ihr Standpunkt sein.
({0})
Sie, Herr Schwanitz, sprechen von passiven Subventionen. Mir ist nicht ganz klar, was das eigentlich ist. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass Sie die Leistungen des
Haushalts für die Rentensicherung in Deutschland als
eine passive Subventionierung betrachten. Sie sollten
vielleicht einmal darüber nachdenken, ob der Begriff der
passiven Subventionierung auf das zutrifft, was zum
Beispiel im sozialen Bereich für die Agrarwirtschaft getan wird.
Liebe Freunde, können wir uns nicht darauf verständigen, dass wir ein Land sind, in dem das Bauernwohl,
das Verbraucherwohl und das Tierwohl in vorbildlicher
Weise, mit Verbesserungsbedarf an der einen oder anderen Stelle, im Einklang stehen?
({1})
Können wir uns nicht gemeinsam darauf verständigen,
dass wir Freude empfinden, wenn wir nach Kasachstan
oder China fahren und dort hören: „Ihr habt in vielen Bereichen Akzente gesetzt und Dinge vorangetrieben, die
wir gerne von euch übernehmen möchten“? Können wir
nicht unsere Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass
die Agritechnika hunderttausend Ausländerinnen und
Ausländer besuchen,
({2})
junge Leute zwischen 20 und 35 Jahren, die diese für die
stärkste Messe in der Welt halten? Das bezieht sich zum
Beispiel darauf, den Pflanzenschutzmitteleinsatz zu minimieren oder den Stallbau so zu betreiben, dass das
Tierwohl berücksichtigt wird. Ich freue mich über solche
Botschaften. Wir sollten gemeinsam diese Dinge vorantreiben.
({3})
Ich finde die Haltung, jemanden danach zu beurteilen,
in welcher Form er produziert, rückwärtsgewandt. Ich
habe überhaupt kein Problem mit ökologischer Landwirtschaft, ganz im Gegenteil. Ich habe auch kein Problem mit regionaler Landwirtschaft. Ich habe auch kein
Problem mit intensiver Landwirtschaft, wenn dabei Bedingungen eingehalten werden, die uns im Grundgesetz
vorgegeben sind. Das ist überhaupt keine Frage. Der Uraltkampf - öko ist gut und modern, konventionell ist
schlecht ({4})
wird doch der Situation überhaupt nicht gerecht.
({5})
Stehen wir vor der Herausforderung, dass wir dazu
beitragen müssen, dass in der Welt jetzt 7 Milliarden und
zukünftig 9 Milliarden Menschen sicher ernährt werden,
oder nicht?
({6})
Können wir darauf mit den unterschiedlichen Säulen unserer Landwirtschaft nicht Antworten bieten? Solche erarbeiten wir doch gerade auch im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
({7})
Wir hatten ein Problem - das war ein Riesenproblem;
überhaupt keine Frage -, in dessen Folge Menschen getötet wurden. Ich meine die Ehec-Problematik. Aber was
machen wir? Wir reagieren darauf, indem wir das System infrage stellen und überarbeiten und indem wir unsere Anstrengungen, was die Forschung auf diesem Gebiet angeht, intensivieren. Ich denke, das sind die
richtigen Antworten, die wir da geben.
Bei allen Sorgen, die wir in diesen Bereichen haben,
kann man zu dem Fazit kommen, dass unsere Lebensmittel weltweit die sichersten und in der Gesamtqualität
die besten sind, um es einmal vorsichtig auszudrücken.
({8})
Natürlich müssen wir über die Sache mit den Antibiotika reden. Damit bin ich sofort einverstanden. Aber wir
müssen dann aus Studien, die erstellt werden, die Konsequenzen ziehen. Ich bin sehr gespannt, was NordrheinWestfalen demnächst hierzu auf den Tisch legt.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Tierschutz sagen.
Ich finde es richtig - mir ist egal, wer darüber diskutiert;
es kann auch das Schlachtbetriebsunternehmen Tönnies
sein, das keine Tiere hält -, dass wir über die Frage diskutieren: Wie können wir die zukünftige Entwicklung
des Tierwohls auf eine fachliche Basis stellen?
Ich sage Ihnen ganz deutlich, auch für die FDP insgesamt: Wir müssen uns an gesellschaftlichen Grenzen
orientieren. Ich bin sehr wohl der Meinung, dass wir
zum Beispiel bei den Schnäbeln und Ballen sowie bei
der Kastration Verbesserungen erreichen müssen. Darüber sind wir uns doch einig. Aber wir sollten bei diesen Dingen den Weg der Fachlichkeit nicht verlassen.
Vielmehr sollten wir diese Punkte abarbeiten, und zwar
auf Augenhöhe mit den wirtschaftlichen Interessen von
Landwirten und mit den Verbraucherwünschen, die es in
dieser Gesellschaft gibt. Die klare Botschaft ist, dass wir
in möglichst vielen Bereichen eine tiergerechte Haltung
und eine tiergerechte Produktion auf den Weg bringen.
Der Haushalt - dies ist vorhin angesprochen worden hat gerade im Bereich der ökologischen und tierschutzorientierten Forschung ein ganz besonderes Gewicht.
Das sollten Sie einmal anerkennen und sollten diesem
Haushalt Ihre Zustimmung nicht verweigern.
Herzlichen Dank.
({9})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Caren Lay das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Dieser Haushalt hat weder etwas mit einer nachhaltigen Agrarpolitik zu tun, noch wird er der Aufgabe
einer verantwortungsvollen Verbraucherpolitik gerecht.
Allerdings wäre jede Menge Handlungsbedarf vorhanden.
Im letzten Jahr haben Verbraucherinnen und Verbraucher jede Menge Geld verloren. Allein durch unseriöse
Finanzprodukte bzw. Falschberatung waren es 20 bis
30 Milliarden Euro. Viele von uns kennen das Problem
der Abzocke bei Handyrechnungen und im Internet.
Oder nehmen wir ein ganz aktuelles Thema, nämlich die
überhöhten Strompreise. Die Preise haben sich in zehn
Jahren fast verdoppelt. Gleichzeitig sind die Gewinne
der Konzerne enorm gestiegen, und zwar um das Siebenfache im selben Zeitraum. Erst gestern haben wir wieder
mit Erschrecken lesen dürfen, dass Schwarz-Gelb
Stromgeschenke an die Großindustrie macht und diese
dann auch noch von den Verbraucherinnen und Verbrauchern sponsern lässt. Ich finde das wirklich skandalös.
({0})
Was tut nun die Bundesregierung, um die Verbraucherinnen und Verbraucher vor dieser Abzocke zu schützen?
Halten Sie sich fest: Sie kürzt die Mittel für Verbraucherarbeit.
({1})
Das wird in diesem Haushalt ohnehin nur als Nebensache behandelt.
({2})
Im laufenden Haushaltsjahr sind gerade einmal noch
3 Prozent der Mittel des Ministeriums, über das wir in
dieser Debatte reden, für die Verbraucherpolitik vorgesehen. Das sind die Fakten. Im kommenden Jahr sollen es
noch einmal 12 Millionen Euro weniger werden. Ich
halte das für nicht angemessen.
({3})
Ich finde, das darf wirklich nicht wahr sein: Für den
Bankenrettungsschirm schöpft diese Regierung aus dem
Vollen, und bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern
wird jeder Cent umgedreht.
({4})
- So ist es doch!
({5})
Belegen Sie doch bitte das Gegenteil! Darunter leiden
auch die Verbraucherverbände. Ab nächstem Jahr müssen die Verbraucherverbände für ihre Beratung den erhöhten Mehrwertsteuersatz anwenden. Das heißt konkret: Der Bundesfinanzminister darf sich über mehr Geld
freuen,
({6})
während die Verbraucherinnen und Verbraucher für unabhängige Beratung mehr zahlen müssen.
({7})
Ich finde, eine solche Verbraucherpolitik hat ihren Namen wirklich nicht verdient.
({8})
Wir sind jetzt im vierten Jahr nach der Pleite der
Lehman-Bank. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass
es notwendig wäre, den einen oder anderen Haushalt in
den Genuss einer unabhängigen Finanzberatung durch
die Verbraucherzentralen kommen zu lassen. Es würde
30 Jahre dauern, bis jeder Haushalt eine unabhängige
Finanzberatung erhielte. Ich finde, das ist nicht angemessen.
({9})
Wir hatten das Thema Sponsoring und Unabhängigkeit gerade an einer anderen Stelle. Offensichtlich wird
es selbst im zuständigen Ministerium langsam klamm.
Die Ministerin hat sich noch im letzten Jahr eine Kampagne von der Drogeriekette dm sponsern lassen. Die Wettbewerbszentrale musste hier einschreiten.
({10})
Ich finde es wirklich beschämend, dass sich ausgerechnet die Verbraucherministerin eine Kampagne durch ein
Unternehmen finanzieren ließ. Ich finde, diese Art von
Sponsoring darf einfach nicht sein.
({11})
Eine gute Verbraucherpolitik sieht anders aus. Wir
fordern, den Verbraucherzentralen endlich mehr Geld für
eine unabhängige Finanzberatung zu geben.
({12})
Wir fordern, die Verbraucherzentralen als Finanzmarktwächter zu stärken. Das heißt, sie brauchen endlich Mittel, um die Finanzmärkte umfassend beobachten und
Verstöße aufdecken zu können. Das hat in der letzten Legislaturperiode übrigens auch die Union beschlossen.
Passiert ist seitdem aber nichts.
({13})
Wir fordern als Linke außerdem einen Finanz-TÜV.
Aus unserer Sicht dürfen nur die Produkte auf den Markt
kommen, die seriös sind. Ich finde es nicht angemessen,
dass noch immer viel zu wenig kontrolliert wird, welche
Finanzprodukte auf die Märkte kommen. Im letzten Jahr
wurde zudem die Deutsche Stiftung Verbraucherschutz
gegründet. Wir fordern, das Stiftungskapital aufzustocken.
Nehmen wir ein anderes aktuelles Thema als Beispiel.
Fast wöchentlich gibt es einen neuen Facebook- oder
Apple-Skandal. Die bisher projektgebundene Finanzierung im digitalen Verbraucherschutz wird dem Handlungsbedarf beim Schutz persönlicher Daten in keiner
Weise gerecht. Es sind noch nicht einmal zusätzliche
Planstellen bei den Verbraucherverbänden drin.
({14})
Ebenso dringlich ist, dass Verbraucherverbände ein Verbindungsbüro in Brüssel eröffnen. Das sollten Sie verstärkt unterstützen. Wie wir wissen, gehen 85 Prozent aller Verbrauchergesetze von der Europäischen Union aus.
Frau Aigner hat schon vor zwei Jahren angekündigt,
Kartellstrafen für die Verbraucherarbeit zu verwenden.
Das begrüßen wir. Immerhin handelt es sich um
180 Millionen Euro im Jahr.
({15})
Aber auch hier wurde nur angekündigt. Passiert ist seitdem nichts.
Frau Aigner haben wir in dieser Legislaturperiode
sehr häufig als Ankündigungsministerin kritisiert. Jetzt
verzichtet Frau Aigner auch noch auf die Ankündigungen. Frau Ministerin, hier haben Sie unsere Kritik falsch
verstanden. Es ging nicht darum, dass Sie auf Ankündigungen verzichten sollten. Wir wollten eigentlich, dass
Sie endlich die richtigen Maßnahmen umsetzen.
({16})
Durch diesen Haushalt werden die Unternehmen geschont und die Verbraucherinnen und Verbraucher weiter
belastet. Ich empfehle Ihnen die Ablehnung dieses Entwurfs.
({17})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Max Lehmer von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Verehrte Gäste! Die drei Bereiche,
die im BMELV zusammengefasst sind - Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz -, gehen uns alle
in der Tat an. So haben uns in diesem Jahr Ereignisse
wie Dioxin im Futtermittel oder die Ehec-Krise sehr beschäftigt. Wer sich noch an die vielen Ausschusssitzungen und Anhörungen erinnert, der weiß, dass wir uns
diesen Themen ernsthaft gewidmet haben. Ein ausdrücklicher Dank geht an unsere Ministerin, die zum Beispiel
bei der Ehec-Krise eine Taskforce zur Bekämpfung und
für schnelle Hilfen an die betroffenen Landwirte und
Gärtner eingerichtet hat!
Nun zum Einzelplan 10 des Haushaltes 2012.
Ich kann die Aussagen und negativen Beurteilungen
vieler Vorredner nicht teilen. Ich bin der Meinung: Der
Einzelplan 10 bietet eine solide Grundlage für die Weiterführung einer verlässlichen Agrar- und Verbraucherpolitik.
Die Ausgaben für den sozialen Bereich in Höhe von
3,7 Milliarden Euro - das sind 70 Prozent der gesamten
BMELV-Ausgaben - unterstreichen die Bedeutung der
sozialen Belange, die wir in der Landwirtschaftspolitik
berücksichtigen.
Der Haushaltsentwurf bringt unser Ziel klar zum Ausdruck - das ist auch vom Kollegen Holzenkamp ganz
deutlich gesagt worden -, eine wettbewerbsfähige, unternehmerisch und mittelständisch ausgerichtete Landund Ernährungswirtschaft weiter auszubauen. Unsere
Betriebe sollen und müssen in die Lage versetzt werden,
mit ihren hervorragenden Produkten die Lebensmittelversorgung in Deutschland zu sichern, die Exportchancen zu nutzen und sich auf dem Weltmarkt zu behaupten.
Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist
nicht zielführend und führt auch nicht zu einer höheren
Akzeptanz unserer hochwertigen Lebensmittel, wenn
Sie jeden kleinen Fall hochspielen und das Thema
schlechte Lebensmittelqualität bei uns immer in den
Vordergrund stellen.
({0})
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, was das BVL, das BfR,
alle Forschungsinstitute der Bundesrepublik Deutschland zur Lebensmittelqualität in Deutschland sagen! Vergleichen Sie diese mit der Qualität der Importware!
Schauen Sie sich internationale Vergleiche an! Nehmen
Sie das bitte ernst, und reden Sie die hohe Qualität unserer erzeugten Produkte nicht kaputt!
({1})
Nun zum Thema Welternährung. Die Welternährung
ist sicher eine große Herausforderung für die Zukunft;
darüber sind wir uns alle einig. Unsere Land- und Ernährungswirtschaft muss ihren Beitrag dazu auch leisten
können. Es ist unbestritten, dass nur eine hocheffiziente
und ressourcenschonende Nahrungsmittelerzeugung auf
Dauer bestehen kann. Ich sage: Jede Produktionsform ist
zugelassen. Ob Ökolandbau oder konventionell, das ist
hierbei egal, weil es darum geht, dass alle Produktionsrichtungen die gleichen Ziele und Kriterien einhalten:
({2})
ökologische Nachhaltigkeit, Qualität, Tierhaltungsnormen. Das gilt für alle. Es gibt nicht eine gute und eine
schlechte Produktion.
({3})
Ich möchte kurz die für die Welternährung wichtigen
Bereiche ansprechen, die allgemein bekannt sind. Der
weitere starke Anstieg der Weltbevölkerung auf 10 Milliarden Menschen in 2050 und die damit verbundene
Halbierung der verfügbaren Ackerfläche pro Erdenbürger führen zu Herausforderungen in drei wichtigen Lebensbereichen: Ernährungssicherung, Energiesicherung
und Erfüllung ökologischer Ziele wie CO2-Bindung,
Sauerstoffproduktion, Wassermanagement, Effizienz der
Produktionsverfahren. Letzteres ist ein wichtiger Punkt,
weil nur dadurch Ressourcenschonung und eine nachhaltige Nutzung erreicht werden können.
({4})
Dazu bedarf es leistungsfähiger Pflanzen und leistungsfähiger Anbauverfahren. Nicht Extensivierung,
sondern Optimierung ist der Weg.
({5})
Mit dem Einzelplan 10 zeigen wir in diesem Bereich
Verantwortung und verstärken die Mittel für die Innovationsförderung und die Förderung nachwachsender Rohstoffe gegenüber 2011 mit jeweils 6 Millionen Euro. Zusätzlich werden Mittel des Energie- und Klimafonds
zum Ausbau der nachhaltigen Bioenergienutzung als
Beitrag zur Energiewende bereitgestellt. Biomasse ist
ein wertvoller Baustein im Energiemix, weil sie grundlasttauglich und lagerbar ist und dezentral erzeugt werden kann; das müssen wir immer wieder herausstellen.
Ähnlich wie in 2011 werden wieder Projekte zur Ernährungssicherung zusammen mit der FAO gefördert.
Gerade die bilateralen Projekte, zum Beispiel mit Äthiopien, sind hier zu nennen, wo wir mehr als 1 Million
Euro mehr investieren.
Nun kurz zum heißen Thema Tierschutz. Deutschland
ist beim Tierschutz international Vorreiter. Es ist nicht
gut, wenn, wie durch die Vorredner der Opposition geschehen, unser hoher Standard kaputtgeredet wird; das
ist, finde ich, einfach nicht in Ordnung.
({6})
Die deutschen Bauern - ich gehöre zu denen, die seit
50 Jahren Landwirtschaft betreiben - erfüllen gewissenhaft die strengen Auflagen unseres nationalen Tierschutzrechts. Das Tierwohl - das vergessen viele - ist
naturgemäß auch höchstes Ziel von Tierhaltern und Produzenten. Sie sind nämlich auf das Wohlbefinden und
die Gesundheit ihrer Nutztiere angewiesen. Das vergessen Sie in der Diskussion immer. Als ob ein Landwirt
oder ein Verarbeiter Interesse hätte an kranken Tieren
oder an Tieren, die falsch gehalten werden! Wir treten
für das Tierwohl ein, weil es für die gute Qualität entscheidend ist.
Aber - das vergessen viele immer - ohne wirtschaftliche Nutzungs- und Haltungsformen ist das hohe Niveau
des Tierschutzes finanziell nicht leistbar. Das haben wir
im Zusammenhang mit der veränderten Haltungsform
bei den Legehennen gesehen. 50 Prozent der Eierproduktion sind ins Ausland gewandert. Diese Produktion
findet dort unter Bedingungen statt, die mit unseren
Standards im Tierschutz nicht vergleichbar sind.
({7})
Wir fordern für diesen Bereich Wettbewerbsgleichheit, um die Nutztierhaltung in Deutschland auch in Zukunft in hohem Maße sichern zu können. Einschränkungen durch einseitige Verbote lehnen wir ab, genauso wie
den unterschiedlichen Vollzug in den Mitgliedstaaten. Es
besteht noch viel Prüfungsbedarf in Bezug auf die Einhaltung von Regeln auf internationaler Ebene bzw. innerhalb der EU.
Es kann nicht sein, dass unsere Landwirte beim Tierschutz in Vorleistung gegangen sind und dafür nun mit
Wettbewerbsnachteilen bestraft werden. Geeignete Haltungs- und Nutzungstechniken müssen dringend auf eine
wissenschaftliche Basis gestellt werden. Ideologische
und emotionale Beweggründe dürfen beim Tierschutz
nicht im Vordergrund stehen. Wir brauchen pragmatische Lösungen in allen Bereichen wie beispielsweise bei
der gegenwärtigen Diskussion um die Ladehöhe und um
die tiergerechte Neugestaltung von Tiertransportern.
Tiertransporte sind unvermeidbar. Es geht darum, die
Transporte tiergerecht zu gestalten und daran die Qualität auszurichten. Daher haben wir uns in unserem Entschließungsantrag dafür ausgesprochen, die Forschung
mit dem Ziel zu stärken, den Tierschutz in der Nutztierhaltung praxisgerecht weiterzuentwickeln.
({8})
Kurz zur GAP nach 2013. Das ist eine große Herausforderung. Ich kann nur darum bitten, dass die Ministerin unsere Vorstellungen bei den Verhandlungen in Brüssel mit Nachdruck unterstützt. Wir fordern den Erhalt
der Zweisäulenstruktur und eine angemessene Mittelausstattung, eine starke erste Säule ohne neues Greening mit
entkoppelten Direktzahlungen, ein Sicherheitsnetz zum
Ausgleich des volatilen Marktes sowie eine konsequente
Harmonisierung der EU-Vorgaben und eine weitestgehende Eins-zu-eins-Umsetzung in allen Bereichen.
({9})
Wir wollen keine neue Bürokratie mit weiteren Kosten,
keine neuen Kriterien für benachteiligte Gebiete - das
würde viele deutsche Anbauregionen erheblich treffen und keine weiteren Flächenstilllegungen; diese sind absolut kontraproduktiv und werden der aktuellen Marktlage nicht gerecht.
Der vorliegende Haushalt, meine Damen und Herren,
setzt die richtigen Schwerpunkte und fördert eine positive Entwicklung im ländlichen Raum. Landwirtschaftliche Betriebe brauchen zuverlässige Weichenstellungen,
um die großen Herausforderungen erfüllen zu können.
Nur so gelingt die Ernährungssicherung sowohl hinsichtlich Menge als auch hinsichtlich Qualität.
Es wäre auch gut, wenn wir die gesellschaftliche
Leistung häufiger honorieren würden. Eine große gesellschaftspolitische Leistung der Landwirtschaft ist, dass
der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel inzwischen
bei unter 10 Prozent liegt.
Auf diesem Wege wollen wir weitermachen: hohe Effizienz, hohes Niveau beim Verbraucherschutz und eine
effiziente Landwirtschaft zur Sicherung der Welternährung und der Energieversorgung sowie zur Bewältigung
der ökologischen Herausforderungen.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicole Maisch von
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schirmbeck hat am Anfang gesagt, das
Schöne an Schwarz-Gelb sei, dass es keine Überraschungen gibt. Das stimmt.
({0})
Wenn man sich die Zahlen in diesem Haushalt anschaut,
stellt man fest, dass es wie in den vergangenen Jahren ist:
Der Verbraucherschutz kommt zu kurz. Im Vergleich zum
vergangenen Jahr schrumpft der Ansatz sogar, und zwar
sowohl materiell als auch konzeptionell. Angesichts der
steigenden Herausforderungen wäre es klug gewesen, zu
investieren, um volkswirtschaftliche Schäden - etwa
durch Übergewicht oder durch Falschberatung - zu minimieren. Das geschieht nicht; Sie knausern wie in den vergangenen Jahren an der falschen Stelle.
Die Kreativität von Schwarz-Gelb erschöpft sich im
Zweckentfremden von Mitteln, die für den Ökolandbau
bestimmt waren, oder im Erschließen neuer Töpfe für die
Exportförderung. Beim Verbraucherschutz sieht man bei
Ihnen eher eine konzeptionelle Wüste. Dabei ist es gerade
auf den Finanzmärkten notwendig, dass nicht nur die großen Player, die Banken, unterstützt werden, sondern auch
die Verbraucher, zum Beispiel durch ein Bundesprogramm „Verbraucherorientierte Finanzaufklärung“. Aber
das steht nicht im Haushalt; das steht nur in unseren Änderungsanträgen.
({1})
Frau Aigners Ministerium geht von Schäden durch
Falschberatungen in Milliardenhöhe aus. Unser Finanzmarktwächter würde nur 10 Millionen Euro kosten.
30 Milliarden im Vergleich zu 10 Millionen Euro: Das
ist, so denke ich, ein vernünftiges Geschäft. Hier sollte
man investieren, um Schäden zu minimieren.
({2})
Auch beim Thema Ernährung haben Sie leider nicht
besonders viel zu bieten. Herr Lehmer, es wundert mich
schon, dass Sie die Bundesregierung im Zusammenhang
mit der Ehec-Krise so gelobt haben. Wir haben heute ein
Gutachten des Bundesrechnungshofes auf dem Tisch liegen, in dem der Bundesregierung und auch einigen Bundesländern ein verheerendes Zeugnis ausgestellt wird.
({3})
Heute wäre eine gute Gelegenheit gewesen, hierzu Stellung zu nehmen.
({4})
- Wir haben es gelesen. Lesen bildet bekanntlich. Was
darin steht, ist im Hinblick auf das Krisenmanagement
der Bundesregierung nicht erfreulich.
({5})
Auch beim Thema Ernährung - vor allem beim
Thema Übergewicht - haben Sie nicht viel zu bieten.
Wir fordern ein Bundesprogramm „Ernährung und Bewegung“
({6})
mit einem besonderen Schwerpunkt auf arme Menschen
und auf Schul- und Kitaernährung. Ich frage die Bundesregierung: Wo sind Ihre Konzepte? Was hat Frau Aigner
bisher getan, damit jedes Kind ein gesundes Mittagessen
bekommt? Wo sind Ihre Erfolge beim Kampf gegen
Übergewicht und Adipositas bei Kindern? Sie verstecken sich hinter Zuständigkeiten und gehen dieses gigantische gesellschaftliche Problem nicht an.
({7})
Leider sind die Fraktionen von FDP und Union keine
große Hilfe, wenn es um den Verbraucherschutz geht.
Während Sie sich in anderen Bereichen durchaus aktiv
mit vielen Änderungsanträgen und Entschließungen eingebracht haben, befinden Sie sich beim Thema Verbraucherschutz zusammen mit der Bundesregierung im
Dornröschenschlaf.
({8})
Wir haben einen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen vorliegen - neun dürre Zeilen mit allgemeinen Absichtserklärungen zum Thema europäische
Projekte. Vor allem die FDP hat sich weit aus dem Fenster gelehnt und versprochen, es würde eine europäische
Vertretung des vzbv in Brüssel geben. Sie haben die
Mehrheit; Sie hätten einen Änderungsantrag stellen können, den wir sogar unterstützt hätten. Ich sehe aber keinen Änderungsantrag, ich sehe lediglich eine allgemeine
Absichtserklärung zu europäischen Projekten. Ein allgemeines Projekt bedeutet aber noch keine Vertretung. Ich
glaube, hier hat die FDP wieder einmal eine krachende
Niederlage eingefahren.
({9})
Man muss Ihnen aber zugutehalten, dass Sie - im Gegensatz zu den vergangenen Jahren - überhaupt keine
verbraucherpolitischen Ambitionen vorgetäuscht haben.
In der Vergangenheit war es immer so: Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet. Diesmal sind Sie von Anfang an einfach liegen geblieben.
({10})
Das ist zwar ehrlich, aber politisch nicht besonders hilfreich.
({11})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Professor Dr. Erik Schweickert.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Verbraucherinnen und Verbraucher haben in dieser christlich-liberalen Koalition
einen Vorkämpfer für ihre Rechte; denn wir schaffen
mehr Transparenz und bessere Informationen für die
Verbraucherinnen und Verbraucher, um eigenverantwortlich Produkte und Dienstleistungen am Markt erwerben zu können. Dort, wo es notwendig ist, greifen
wir ein, um windigen Unternehmen den Garaus zu machen. Das ist in meinen Augen effizienter Verbraucherschutz.
({0})
Sehr geehrter Herr Kollege Schwanitz, effiziente
Haushaltsführung ist auch ein Markenzeichen der
schwarz-gelben Koalition. Denn wir führen durch einen
effizienten Einsatz der Ressourcen die Ausgaben zurück
und sorgen dafür, dass nicht länger überbordende Schulden zulasten künftiger Generationen - also auch zulasten
künftiger Verbraucherinnen und Verbraucher - aufgeschichtet werden. Wir haben in diesem Einzelplan 4 Prozent eingespart, das sind etwa 211 Millionen Euro.
Noch einmal zurück zu den Zahlen, weil hier der Eindruck erweckt wird, wir würden nicht sparen: Für 2010
hatten wir 80 Milliarden Euro Neuverschuldung geplant
und hatten im Ergebnis 44 Milliarden Euro. Für 2011
hatten wir 47 Milliarden Euro Neuverschuldung geplant
und hatten im Ergebnis 22 Milliarden Euro. Für 2012
planen wir nun 26 Milliarden Euro Neuverschuldung
und werden sehen, wo wir am Ende stehen werden. Lieber Herr Kollege Schwanitz, ich weiß nicht, wie Sie das
in der Opposition sehen, aber wir sehen es so: Die
Ministerien können, müssen aber nicht das Geld ausgeben.
({1})
Ich sage Ihnen: Messen Sie uns an den Ergebnissen;
denn die Ergebnisse, die wir abliefern, sind sehr gut.
({2})
Frau Kollegin Lay, wir sparen nicht beim Verbraucherschutz, auch wenn das Volumen der Mittel für diesen Bereich kleiner ausfällt, weil wir zweimal 10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben: Wir haben im
vergangenen Jahr die Deutsche Stiftung Verbraucherschutz ins Leben gerufen und mit einem Startkapital von
10 Millionen Euro ausgestattet. Die Stiftung Warentest
erhält jetzt eine letzte Tranche, also noch einmal 10 Millionen Euro - insgesamt also 50 Millionen Euro -, um
von zukünftigen Haushalten unabhängig zu werden.
Meine Damen und Herren, hier setzen wir sehr wohl
Schwerpunkte.
({3})
Wir haben großartige Stiftungen und Institutionen in
der Verbraucherpolitik. Der Verbraucherzentrale Bundesverband leistet genau wie die Stiftung Warentest mit
der täglichen Beratung, mit Informationsbroschüren und
Vergleichstests eine gute Arbeit. Deswegen gilt ihnen
mein besonderer Dank. Sie legen immer wieder einmal
den Finger in die Wunde und weisen auf Punkte hin, die
wir Verbraucherpolitiker der Regierungskoalition ändern
sollten.
Wir finanzieren aus diesem Haushalt in bewährter Manier das Bundesinstitut für Risikobewertung sowie das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Das sind zusammen 100 Millionen Euro, die
eine große Bedeutung haben - das wurde bereits gesagt -,
und das nicht nur bezüglich Ehec und Dioxin. Das BfR
leistet bei Grenzwerten für Chemikalien in Spielzeugen
und bei Druckfarben in Lebensmittelverpackungen sowie
bei der Risikoeinschätzung im Zusammenhang mit Nanomaterialien eine wichtige Grundlagenarbeit. Evidenzbasierte Politik wird also von uns unterstützt. Das ist besser
als die Schaufensterpolitik der Opposition, die bisweilen
wirklich auf der Klaviatur des Populismus spielt und hier
unberechtigte Ängste schürt.
({4})
Frau Maisch, unser Ziel sind aufgeklärte Verbraucher.
Deswegen wollen wir 20 Millionen Euro für die Information der Verbraucher ansetzen. Zu dem, was Sie vorher erwähnt haben, möchte ich sagen: Messen Sie uns an
den Ergebnissen! Wir sorgen mit einer guten Vertretung
dafür, dass das bewährte deutsche Recht auf europäischer Ebene durchgesetzt wird.
Wir haben gezeigt, dass effizienter Verbraucherschutz
nicht teuer sein muss: bei der Einführung eines verpflichtenden Bestätigungsfeldes, des sogenannten Internetbuttons, bei der Einführung kostenloser Warteschleifen und des Anbieterwechsels innerhalb eines Tages und
der Schaffung von mehr Preistransparenz beim Call-byCall im Rahmen des TKG. Ich fordere den Bundesrat
auf, am Freitag die TKG-Novelle anzunehmen und sie
nicht in die Warteschleife des Vermittlungsausschusses
zu überführen. So kann man etwas für Verbraucherschutz tun.
({5})
Verbraucherschutz kann auch ganz praktisch erfolgen.
Nicht nur bei mir im Wahlkreis, sondern auch in Bayern
hat in der letzten Zeit das Unternehmen Lotto 3000 die
Leute abgezockt: Das Unternehmen hat sie einfach angerufen und unerlaubte Telefonwerbung betrieben. Dann
gibt es Mahnschreiben eines Anwalts namens Georg
Meyer-Wahl aus Heidelberg, der mit einem Schufa-Eintrag droht. Da wird versucht, die Leute hinter die Fichte
zu führen. Wir sorgen für Aufklärung, indem wir darauf
hinweisen, dass weder Anwalt noch Unternehmen Mitglied der Schufa ist, sodass keine Einträge erfolgen können. Damit durchbrechen wir die Drohkulisse dieser Abzocker.
Meine Damen und Herren, das ist gelebter Verbraucherschutz. Dafür braucht man nicht unbedingt viel Geld
in den Haushalt einzustellen. Das bringt den Menschen,
den Verbraucherinnen und Verbrauchern, etwas; da wollen wir am Ergebnis und nicht an den Ankündigungen,
auf die Sie verwiesen haben, gemessen werden. Messen
Sie uns also an den Ergebnissen, und Sie werden sehen:
Wir sind die Vorkämpfer für einen effizienten Verbraucherschutz.
Herzlichen Dank.
({6})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Kerstin
Tack das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz lässt in erster Linie eines erkennen: die Konzeptionslosigkeit, die
dahintersteckt.
({0})
In der Koalition gibt es eben keine Strategie für die Verbesserung der Verbraucherpolitik. Wir brauchen aber
dringend eine Strategie für eine evidenzbasierte und forschungsgeleitete Verbraucherpolitik. Herr Kollege, sie
ist mitnichten zu erkennen.
({1})
Nur wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher Produktkennzeichnungen und Beipackzettel wirklich verstehen und nachvollziehen können, kann sich etwas verändern.
Das Verbraucherschutzbudget ist sehr klein: Nicht einmal 3 Prozent des Haushaltes des BMELV werden dafür
verwendet. Um einmal das Verhältnis zu verdeutlichen:
Einer Studie zufolge verlieren Verbraucherinnen und Verbraucher aufgrund frühzeitiger Kündigung von Lebensoder Rentenversicherungen rund 16 Milliarden Euro im
Jahr. Das sind 16 Milliarden Euro, die nicht für die Altersvorsorge zur Verfügung stehen. Es sind 16 Milliarden
Euro verlorener Wirtschaftskraft. Es ist mehr als das
Zehnfache dessen, was für Verbraucherpolitik ausgegeben wird. Zusätzlich - auch das haben wir schon gehört haben wir mehr als 20 Milliarden Euro Verlust durch
Fehlberatungen der Verbraucherinnen und Verbraucher
im Anlagebereich.
Die Bundesregierung geht vor, als handele es sich um
eine Autobahnbaustelle: ankündigen, abwarten, vielleicht einen Bauzaun errichten; aber zu den ReparaturKerstin Tack
arbeiten kommt es nicht. In dieses Bild passt es auch,
dass im vorliegenden Haushalt kein einziges neues Projekt, kein einziger neuer verbraucherpolitischer Ansatz
ausgewiesen worden ist.
Zu den Beispielen Dioxin und Ehec. Da gab es Gift
im Essen, und Frau Aigner machte erst einmal - nichts.
Erst als der Druck zu groß wurde, übernahm sie fix den
kompletten Maßnahmenkatalog der Opposition und tat
so, als wäre es ihrer.
({2})
Während der Ehec-Epidemie gab es sogar viele Tote.
Gehandelt hat man auch hier viel zu spät. Auch hier ging
es nur wieder darum, Bauzäune zu errichten, um zu suggerieren, man sei effektiv tätig.
({3})
Das Rahmenprogramm aber, das als Ausfluss der EhecKrise von Frau Aigner vorgelegt wurde, besteht ausschließlich aus Ankündigungen und Prüfaufträgen. Mehr
ist es nicht.
({4})
Nun hat sich der Bundesrechnungshof mit genau diesem Krisenmanagement auseinandergesetzt - Frau
Aigner hat ihn ja selber darum gebeten - und gibt Ihnen
ein verheerendes Zeugnis.
({5})
- Nein, er gibt auch der Ministerin ein verheerendes
Zeugnis. Ich möchte dazu etwas zitieren, Frau HappachKasan:
Bezogen auf das Lebensmittelrecht gibt das Grundrecht … auf körperliche Unversehrtheit dem Staat
auf, durch wirksame Gesetze, Behördenstrukturen
und Kontrollsysteme für unbedenkliche Lebensmittel zu sorgen.
So der Bundesrechnungshof.
Im Klartext heißt das: Es ist Aufgabe der Bundesregierung, für Sicherheit zu sorgen und dies nicht in die
Verantwortung der Länder abzuschieben. Das geht jetzt
nicht mehr.
In der Pressemitteilung, die heute dazu herausgegeben wurde, findet sich von der eigenen Verantwortung
nichts. Ausschließlich die Länder seien hier in der Verantwortung. Wieder einmal sagt man, man wolle jetzt
mehrere Monate mit den Ländern darüber reden. Dazu
sagen wir: Das reicht nicht.
({6})
In puncto Finanzmarktkrise konzentriert sich die
Bundesregierung ausschließlich auf Schadensbekämpfung und kümmert sich nicht um die Präventivmaßnahme Verbraucherschutz. Wir brauchen aber eine unabhängige Finanzberatung, bei der die Beratung und nicht
der Abschluss des Produkts im Vordergrund steht. Wann
wird denn die Bundesregierung diese Probleme anpacken? Das BMELV hat 2008 eine Studie hervorgebracht,
in der ausdrücklich steht, dass wir eine unabhängige
Finanzberatung benötigen. Das war 2008. Aus der Studie wurde eine Kampagne, aus der Kampagne ein Eckpunktepapier. Nun wurde uns mitgeteilt, dass dies auf
den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wurde. Wieder
ist die Baustelle ersichtlich: ankündigen, abwarten, Bauzaun errichten. Nein, diese Zeit haben wir nicht. Jetzt
fangen Sie bitte schön an! Viel Zeit haben Sie ja nicht
mehr.
({7})
Auch gibt es - die BaFin wird es in den nächsten Tagen öffentlich machen - Defizite bei den Produktinformationsblättern. Des Weiteren ist die nicht ausreichende
Dokumentation der Beratung im Anlegerschutz zu nennen. All das sind bekannte Missstände, die wir in den
letzten Monaten immer wieder benannt haben. Gemacht
wurde aber nichts.
Zudem ist es ein völlig falsches Signal, dass die Verbraucherzentralen künftig ihre Leistungen mit dem höheren Mehrwertsteuersatz anbieten müssen. Es ist doch
ein Skandal, wenn die Koalition zwar für die Hoteliers
die Steuer reduzieren kann, aber nicht in der Lage ist, in
Bezug auf die Verbraucherberatung dafür zu sorgen, dass
es nicht zu einer Erhöhung der Umsatzsteuer kommt, um
den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine günstige
Beratung anbieten zu können.
({8})
Wir sehen: Es gibt Baustellen über Baustellen, die
nicht angegangen worden sind. Frau Aigner bzw. ihr
Ministerium ist, was die Verbraucherpolitik angeht, mit
einer erschreckend überschaubaren Bilanz in diese
Haushaltsberatung gegangen, ohne ein einziges neues
Konzept zu haben und ohne der Verbraucherpolitik einen
nennenswerten Umfang zu geben. Das reicht in unserem
Lande nicht.
Herzlichen Dank.
({9})
Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan erteile ich
das Wort der Kollegin Mechthild Heil von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verbraucherpolitik gehört für die CDU/CSU
ins Zentrum politischer Diskussion. Wir als christlich-liberale Koalition kennen unsere Verantwortung gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern und brauchen heute daher keine Belehrungen von Ihnen.
({0})
Wir wollen mit guter Information die Verbraucher stärken, damit sie ihre eigenen Entscheidungen treffen
können: keine Bevormundung, keine Gängelung, keine
Ideologie.
Meine sehr verehrten Zuhörer auf der Tribüne, hier
im Saal und auch an den Bildschirmen, die CDU/CSU
bringt die Verbraucherthemen mitten in die Haushaltsdebatte - zur besten Sendezeit, mitten am Tag; denn genau da gehört der Verbraucherschutz hin: mitten in die
Politik und mitten in die Gesellschaft.
({1})
Haushaltsdebatten sind auch immer Grundsatzdebatten. Für uns gilt der Grundsatz: Verbraucherschutz ist
keine politische Randerscheinung. Wir benutzen die Verbraucherpolitik nicht als Deckmäntelchen, um Landwirte und Industrie zu verunglimpfen, wie es die Opposition heute und auch in den vergangenen Debatten
leider immer wieder versucht hat.
Sehen Sie es doch weniger verbissen,
({2})
aber dafür ein bisschen klarer. Es kann doch nicht sein,
dass für Sie, die Grünen - Frau Dörner hat es angeführt -,
immer nur gut ist, was bio ist. Warum üben Sie nicht ein
ganz klein wenig Toleranz gegenüber anderen Anbautechniken, und warum blenden Sie Fehlentwicklungen,
die es beim Biolandbau durchaus gibt, zum Beispiel bei
der Ehec-Krise, ständig aus?
({3})
Das verbindet heute die Grünen mit den Roten hier im
Haus: Unternehmer und traditionelle Landwirte stehen
für Sie allzu schnell unter einem Generalverdacht.
({4})
Je erfolgreicher Bauern, Winzer und Hersteller sind,
desto suspekter werden sie Rot-Grün.
({5})
Wir lassen nicht zu, dass die redlich wirtschaftenden Familien in der traditionellen Landwirtschaft beschimpft
werden.
({6})
Diese Menschen tragen seit Jahrhunderten Verantwortung für den Boden, den sie bewirtschaften,
(Dr. Hermann E. Ott ({7})
für die Produkte, die sie erzeugen und auf den Märkten
verkaufen.
({8})
Sie liefern Lebensmittel in einer Qualität, die weltweit
ihresgleichen sucht. Sie ernähren ihre Familien und viele
Menschen darüber hinaus. Sie schaffen Arbeitsplätze,
und sie erhalten unsere Kulturlandschaft.
({9})
Ich finde Ihr Aburteilen der Landwirte, der Winzer und
der Unternehmer furchtbar und unerträglich falsch.
({10})
Sie führen immer das Wort der Nachhaltigkeit im
Munde, aber nachhaltiges Handeln und Wirtschaften erkennen Sie nicht. Nachhaltiges Wirtschaften ist auf die
Zukunft gerichtet. Nachhaltigkeit können Sie bei den Familienunternehmen und Landwirten lernen, die über
lange Zeit erfolgreich waren, weil sie die Weinberge, die
Böden und die Wälder so bewirtschaftet haben, dass sie
auch noch nach Jahrzehnten gute Erträge bringen. Sie
handeln heute so, dass auch unsere Kinder und Enkel
noch Entwicklungschancen haben. Das ist nachhaltiges
Wirtschaften, das ist nachhaltige Landwirtschaft, egal ob
mit oder ohne Bio-Siegel.
({11})
Die Haltung des nachhaltigen Wirtschaftens spiegelt
sich auch im Haushaltsplan für das Jahr 2012 wider. Uns
liegt ein Sparhaushalt vor, mit dem das Ministerium zu
Einschnitten von insgesamt 211 Millionen Euro verpflichtet wird. Es sind immerhin 4 Prozent weniger Mittel als noch in diesem Jahr. Dazu stehen wir, weil wir mit
diesem Haushalt unseren Teil dazu beitragen, die Schuldenbremse einzuhalten und die Spielräume für die nachfolgende Generation nicht weiter einzuengen.
Dennoch bleiben die Ausgaben für einen besseren,
schnelleren und effizienteren Verbraucherschutz unangetastet. Die Mittel für den Verbraucherschutz steigen sogar noch, Frau Lay; Herr Schweickert hat auf die Zahlen
hingewiesen. Auch die Ausgaben für die Verbraucherforschung steigen. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache - egal was Sie heute sagen -: Verbraucherpolitik ist
und bleibt ein Schwerpunkt unserer christlich-liberalen
Koalition.
({12})
Nun zu Ihnen, Frau Tack. Sie haben eine Kleine Anfrage gestellt und sich darüber empört, dass die Verbraucherzentralen ihren Ländervergleichsindex einstellen,
um sich stärker in Brüssel zu engagieren. Damit unterstellen Sie, wir würden die Verbraucherzentralen finanziell schlechterstellen. Das ist falsch, und ich bin mir sicher: Sie wissen das selber auch. Die Förderung der
Verbraucherzentralen durch den Bund wird um keinen
einzigen Euro gekürzt. Welche Prioritäten die Verbraucherzentralen setzen, das ist zum Glück nicht unser
Thema. Das ist die Aufgabe der Organisation selber.
({13})
Wir wollen von der Tagespolitik unabhängige und
starke Verbraucherzentralen.
({14})
Sie neigen dazu - das muss ich Ihnen ins Stammbuch
schreiben -, die Verbraucherzentralen für Ihre Zwecke
zu instrumentalisieren. Aber das wird mit uns nicht gelingen.
({15})
Ich halte eine stärkere Fokussierung auf den europäischen Verbraucherschutz und eine Präsenz in Brüssel für
richtig, wichtig und unterstützenswert.
({16})
Deshalb ist es sinnvoll, ab 2012 einen Teil der Finanzmittel für die Stärkung der deutschen Verbraucherinteressen in Europa bereitzustellen.
Ein aktuelles Beispiel für ein gelungenes Engagement
auf europäischer Ebene ist die Button-Lösung. Ein deutscher Alleingang wäre weniger erfolgreich gewesen.
Unser deutsches Modell stand Pate für Europa. Unsere
Bundesregierung mit Frau Aigner hat es geschafft, unseren hohen Standard nach Brüssel zu exportieren und damit europaweit ein Zeichen im Bereich des digitalen
Verbraucherschutzes zu setzen. Dafür brauchen wir
keine Haushaltsstelle. Wir brauchen nicht immer mehr
Geld, sondern wir brauchen eine Ministerin wie Ilse
Aigner, die engagiert und durchsetzungsfähig ist.
({17})
Auch bei den sozialen Netzwerken wie Facebook und
Google zeigt sich, wie wichtig die europäische Ebene für
den Verbraucherschutz geworden ist. Jeder, der an die
Daten eines Nutzers will, muss erst dessen Einwilligung
einholen, und zwar aktiv. Er muss den Nutzer auch darüber informieren, was mit diesen Daten geschieht. Jeder
Bürger sollte europaweit das Recht haben, seine Daten
jederzeit zu löschen. Dafür werden wir uns bei der Novellierung der Europäischen Datenschutzrichtlinie einsetzen.
Zum Thema Finanzindustrie.
({18})
Vor allem unter der rot-grünen Regierung wurde daran
zu viel herumgedoktert. Im Zuge der Finanzkrise stand
deshalb mancher Anleger bereits 2008 und 2009 vor einem Scherbenhaufen. Wir haben reagiert und mit dem
Anlegerschutzgesetz und dem Gesetz zur Regulierung
des grauen Kapitalmarkts ein Paket geschnürt, mit welchem dem Missbrauch Einhalt geboten werden kann.
Lassen Sie mich als Beispiel die Produktinformationsblätter nennen.
Als nächster logischer Schritt wird ein Gesetz zur
Stärkung der Honorarberatung als Alternative zum Provisionsmodell folgen. Ein Beispiel zum Provisionsmodell: In der Vergangenheit konnte es sein, dass ein Patient beim Wechsel in eine private Krankenkasse bis zu
14 Monatsbeiträge als Provision zahlen musste. Damit
soll Schluss sein, das werden wir ändern.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den
letzten Jahren vieles zum Nutzen der Verbraucherinnen
und Verbraucher auf den Weg gebracht. Ich bin froh,
dass wir auf Basis des nun vorliegenden Haushaltsentwurfs unsere Arbeit auch im kommenden Jahr erfolgreich fortsetzen können, zum Nutzen der heutigen Generation, aber auch in Verantwortung vor der folgenden
Generation.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10 - Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/7778 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der Fraktion Die Linke
und Enthaltung von SPD und Grünen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 10 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für Einzelplan 10 in der Ausschussfassung? - Gegenstimmen? Enthaltungen? ({0})
Der Einzelplan 10 ist angenommen mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt II.6 auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
- Drucksachen 17/7114, 17/7123 Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Karl
Otto Fricke
Katja Dörner
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Zu Einzelplan 15 liegen drei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Karl Lauterbach von der
SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Haushaltsdebatten sind ein Moment, wo
man bilanziert. Ich will mich auf eine kurze Bilanz beschränken. Auf die Einzelheiten des Haushaltes wird
nachher der Kollege Schurer eingehen.
Die Bilanz fällt nüchtern aus,
({0})
wenn man offen ist. Es ist fast eine Bilanz dessen, was
nicht erreicht wurde.
Ich fange einmal mit der in unserer Gesellschaft immer
wichtigeren Vorbeugemedizin, der Prävention, an. Was
ist es, was diese Regierungskoalition in der Vorbeugemedizin vorzuweisen hat? Hat sich etwas für die Kinder, für
die nächste Generation, für die Schüler verbessert? Ist irgendetwas beschlossen worden, was die Vorbeugemedizin verbessert? Nichts ist beschlossen worden. Ein Präventionsgesetz, Herr Zöller, das wir in der Großen
Koalition im Prinzip fertig hatten, ist aus ideologischen
Gründen nicht umgesetzt worden, obwohl wir es dringend gebraucht hätten. Ist es in der heutigen Zeit vertretbar, ist es verantwortbar, dass wir nach wie vor in unserem Umfeld das einzige Land sind, welches kein
Vorbeugegesetz hat? Ich sage: Das ist falsch. Das wäre
die notwendige Investition in die Gesundheit der nächsten Generation. Da ist von Ihrer Seite nichts gekommen.
Das ist eine Schande, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({1})
Hat es in der Qualität der Versorgung Impulse gegeben? Hat es eine Qualitätsinitiative gegeben? Nicht ein
einziger Impuls! Zu erwähnen ist: Es hat im Bereich der
onkologischen Versorgung, der Versorgung von Krebspatienten, die eine oder andere Verschlechterung gegeben. Es ist jetzt leichter geworden, schwere Krebsfälle in
der ambulanten Medizin zu versorgen, ohne dass die interdisziplinäre Arbeit eines Krankenhauses zum Tragen
kommt. Mittlerweile werden 90 Prozent der Krebspatienten in Deutschland ambulant versorgt, auch die
schwersten Fälle. Die Zulassung von Krebsmedikamenten ist beschleunigt und vereinfacht worden und somit
weniger sicher geworden. Selbst die Fachgesellschaft für
Onkologie betrachtet dies als eine Verschlechterung der
Versorgungsqualität. Das betrifft 40 bis 50 Prozent aller
Deutschen. Im Laufe seines Lebens erkrankt, statistisch
gesehen, fast jeder Zweite - auch hier im Saal - an einer
Krebserkrankung.
Ich frage Sie: Was ist das für eine Gesundheitspolitik,
wenn sich die Versorgung von Krebspatienten nicht nur
nicht verbessert, sondern nach Einschätzung der zuständigen Fachgesellschaft auch noch verschlechtert? Um es
klar zu sagen: Es ist ein Armutszeugnis, dass für die
wichtigste chronische Erkrankung in unserer Gesellschaft nichts Brauchbares beschlossen wurde und wir
von einer Verschlechterung der Versorgung ausgehen
müssen.
({2})
Ich komme zu weiteren Qualitätsproblemen, zum
Beispiel zu Hygieneproblemen. Es sterben Kinder in den
ersten Monaten ihres Lebens, weil wir die Versorgung
solcher Kinder in Deutschland nicht zentralisieren. Dazu
hört man vom Minister überhaupt nichts. Ab und zu gibt
es eine Pressemitteilung der einen oder anderen betroffenen Landesregierung. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass es dazu vom Bundesgesundheitsminister auch
nur eine einzige Verlautbarung gegeben hätte. Was sagt
denn der Minister zu den Umständen beispielsweise in
Bremen oder an anderen Orten, wo wir eine notwendige
Zentralisierung der Versorgung nicht hinbekommen?
Dabei haben wir schon zu rot-grüner Zeit die Mindestmengenregelung eingeführt. Sie wird von der Selbstverwaltung nicht ausreichend umgesetzt. Vom Minister
kommt nichts. Selbst bei aktuellen Hygiene- und Qualitätsdefiziten hat man den Eindruck: Diese Regierungskoalition läuft den Ereignissen hinterher. Sie ist nicht
handelnd, sie ist nicht gestaltend. Sie erfährt von diesen
Problemen wahrscheinlich aus der Presse. Das ist nicht
genug für eine gestaltende Gesundheitspolitik.
({3})
Was ist bei der Kostenkontrolle passiert? Die Kosten
steigen ungebremst in allen Bereichen: Krankenhaus,
Arzneimittel, ambulante Versorgung, Hilfs- und Heilmittel. Kein einziger Kostenbereich ist derzeit unter Kontrolle. Das vielgefeierte AMNOG führt nicht dazu, die
Kostensteigerung bei den neuen Arzneimitteln in den
Griff zu bekommen. Man stellt jetzt fest, dass das Gesetz
enttäuscht. Das haben wir damals vorhergesagt. Das Gesetz war handwerklich nicht so gut, als dass man hätte
viel mehr erwarten können. Die Kostensenkungen bleiben hinter dem, was sich die Regierung selbst davon versprochen hat, weit zurück. Durch den Zwangsrabatt gab
es einen Einmaleffekt. Der Zwangsrabatt war das einzig
Brauchbare, das damals von Ihnen beschlossen wurde.
({4})
Strukturkomponenten im Hinblick auf die Kostenbegrenzung sind entweder nicht beschlossen worden oder
waren ein Flop. Somit ist nichts gekommen. Es gibt
keine strukturelle Verbesserung der Versorgung oder der
Kostenkontrolle bei den Arzneimitteln. In diesem Bereich gibt es ausgesprochen viel Dynamik, aber keine
Qualitätsverbesserung. Auch dies ist aus meiner Sicht
ein Armutszeugnis.
({5})
Bezüglich des Bürokratieabbaus ist nichts passiert.
Messen Sie sich an Ihren eigenen Ankündigungen. Der
Bundesgesundheitsminister hat damals davon gesprochen, dass er sich an den Erfolgen messen werde. Wenn
er keine gute Reform mache, dann wolle er nicht mehr
gewählt werden. Man muss ehrlich sagen: Die FDP hat
sich selbst überflüssig gemacht. In keinem Bereich geht
man - traurigerweise, so muss man fast sagen - davon
aus, dass die FDP noch handelt.
({6})
Die Steuerreform ist eine Nichtreform, die Gesundheitsreform ist eine Nichtreform. Der jetzige Gesundheitsminister kündigte das Jahr der Pflege an. Bisher ist
nichts beschlossen worden. Zum Ende des Jahres kommt
nun ein Reförmchen, über das sich die Presse lustig
macht. Mittlerweile ist die FDP in einem bemitleidenswerten Zustand.
({7})
Von der FDP wird nichts mehr erwartet. Die FDP ist
mittlerweile eine Partei großer, dramatischer Ankündigungen; es kommt aber nichts. Das Jahr der Pflege
wurde ausgerufen. Wir haben bis jetzt nichts außer einem erbärmlichen Reförmchen gesehen. Steuersenkungen gab es nicht. Im Rahmen der Gesundheitsreform gab
es keinen Bürokratieabbau, keine Effizienzverbesserung,
überhaupt nichts. Da fragt sich die FDP, wieso nur noch
2 bis 3 Prozent der Bevölkerung bereit sind, sie zu wählen.
({8})
Wenn man, wie Kollege Rösler gesagt hat, nicht liefert,
dann hat man es nicht verdient, gewählt zu werden. Ich
glaube, an dem Punkt sind wir jetzt angekommen. Der
Bürger hat das verstanden.
({9})
Ich komme zum Schluss.
({10})
Es ist der FDP - das muss man ihr lassen - von der
Union nie leicht gemacht worden. Davon, wie es ist, mit
der Union zusammen zu regieren, kann ich selbst ein
Liedchen singen.
({11})
Das ist nie leicht; das ist ganz klar. Die Union ist die
Schwarze Witwe in der deutschen Politik.
({12})
Nichtsdestotrotz, die FDP war diesbezüglich vorgewarnt. Sie hätte mehr leisten können. Von der FDP ist
nichts übrig geblieben. Es ist schade, dass wir in der Gesundheitspolitik hiervon direkt betroffen sind. Der Bürger hätte in diesem wichtigen Politikfeld mehr verdient
als dieses - ich nenne es einmal so - erbärmliche Ergebnis.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({13})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege
Otto Fricke.
({0})
Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Lauterbach, bei Ihnen gilt weiterhin der Spruch: Eine Schwalbe macht noch keinen
Sommer, und eine Fliege macht noch lange nicht gute
Gesundheitspolitik.
({0})
Ich muss sagen: Bei dem, was Sie im ersten Teil Ihrer
Rede zur Onkologie gesagt haben, gebe ich Ihnen vollkommen recht. Das ist ein Bereich, der uns alle betrifft.
Wir alle sind uns, glaube ich, einig, dass wir hier etwas
tun wollen. Darüber, wie wir etwas tun, können wir uns
streiten. Im zweiten Teil Ihrer Rede haben Sie, weil Sie
wohl inhaltlich zum Haushalt nichts zu sagen haben,
versucht, den politischen Gegner anzugreifen; das können Sie gerne machen, aber das hat nichts mit Politik zu
tun.
({1})
In der Haushaltspolitik, beim Gesundheitshaushalt geht
es immer um den Zuschuss von gegenwärtig 14 Milliarden Euro für - das sage ich ausdrücklich - die Krankenversicherten. Sie stehen dahinter, wenn es um den Zuschuss an den Gesundheitsfonds geht. Für die Haushälter
ist dies immer ein schwieriger Punkt. Es ist aber - das will
ich ausdrücklich sagen - ein in die Zukunft gerichteter
Punkt. In der Gesundheitspolitik, bei den Fragen, die wir
bezüglich der Möglichkeiten von Gesundheitspolitik stellen, haben wir weiterhin hohe Anforderungen.
In einer sozialen Marktwirtschaft hat das auch die Bedeutung, dass wir hier einen Ausgleich finden. Der findet statt. Wir müssen immer wieder sagen, dass selbst
diejenigen Eltern, die privatversichert sind und Kinder
haben, mit ihrer Steuerleistung dafür sorgen, dass gesetzlich Versicherte, die Kinder haben, unterstützt werden, während sie selber nicht unterstützt werden. Das ist
ein Teil des Ausgleichs; in Ordnung. Aber wir müssen
hier aufpassen.
Ich will für die Haushälter deutlich sagen: 14 Milliarden Euro, das ist nicht irgendeine Summe. 14 Milliarden
Euro, aus Steuerzahlergeld, sind sehr, sehr viel, weit
mehr, als uns der Solidaritätszuschlag an Ertrag bringt,
um einmal die Größenverhältnisse darzustellen. Wir erwarten - auch das will ich ausdrücklich sagen -, dass
diese Gelder gut und richtig verwendet werden. Da - das
sage ich Ihnen ganz ehrlich - war der Haushaltsausschuss damals sehr froh, als der Bundesrechnungshof
durch die Einführung des Zuschusses Zugriff auf das
Verhalten der gesetzlichen Krankenkassen bekommen
hat. Ich bin auf der einen Seite erfreut darüber, was dabei
immer wieder herauskommt, auf der anderen Seite aber
sehr enttäuscht.
Man muss lesen, dass die Krankenkassen viel zu teure
Bürogebäude mieten, dass eine Krankenkasse 18 900 Quadratmeter anmietet, aber nur 8 000 braucht. Wir sind uns
doch wohl alle darin einig, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch von der SPD, dass wir das nicht wollen. Denn
es ist das Geld des Steuerzahlers, und es ist das Geld der
Krankenversicherten. Da müssen wir doch ansetzen. Ich
erwarte, dass das auch weiter passiert. Ich bin dankbar,
dass der Bundesrechnungshof dem nachgeht. Ich darf
ihn - hoffentlich im Namen des gesamten Hauses bitten, dies weiter zu tun, damit an dieser Stelle kein
Missbrauch und keine Fehlverwendung von Geldern erfolgen, weder von Steuergeldern noch von Krankenversicherungsgeldern.
({2})
Ich will noch ein Zweites sagen - das macht mir schon
ein wenig Sorge -: Heute ist in den Zeitungen von der Fusionskontrolle bei Krankenkassen zu lesen. Damals hat,
wie ich glaube, auch die SPD gesagt: Bei der Fusionskontrolle kann das Kartellamt genau kontrollieren und dafür
sorgen, dass da kein Schmu passiert. - Jetzt hat das Landessozialgericht Hessen gesagt: Nein, Krankenkassen
sind nicht im Sinne der Wettbewerbskontrolle zu kontrollieren. - Damit kann das Kartellamt hier auf einmal nicht
mehr mit dem scharfen Schwert kommen. Das - ich
glaube, da sind wir uns einig - wollen wir nicht, sondern
wir wollen - wenn ich Ihr Kopfschütteln richtig deute,
sieht das auch die SPD so -, dass hier Wettbewerbskontrolle stattfindet; denn wir wollen einen effektiven Einsatz der Mittel.
Auch hierzu gibt es Berichte. Nur als Hinweis: Das
Erste, was bei einer Fusion passiert, ist - das gilt für fast
alle Krankenkassen -, dass die Vorstandsgehälter erhöht
werden.
({3})
Das Erste, was man hört, ist: Erhöhung der Vorstandsgehälter um 25 Prozent bei einzelnen Krankenkassen bei
einer Fusion. Kann das der Sinn sein? Können Abfindungen in Millionenhöhe bei gesetzlichen Krankenkassen der Sinn sein? Das kann nicht der Sinn sein.
({4})
- Sehr schön. Sie finden das nicht schlimm. Ich finde
das schlimm.
({5})
Ich will für meine Partei eines ausdrücklich und klar
sagen - ich hoffe auf die Unterstützung des Koalitionspartners -: In Zukunft brauchen wir, wenn wir wollen,
dass wir effektive Krankenkassen haben und der Zuschuss aus dem Haushalt gut verwendet wird, nicht nur
den Rechnungshof als Kontrolleur, sondern weiterhin
auch das Kartellamt.
({6})
Denn nur so können wir garantieren, dass das Geld am
Ende möglichst effektiv eingesetzt wird, damit es - das
will ich zum Schluss sagen - auch für solche Fälle, wie
sie vom Kollegen Lauterbach genannt worden sind, ausreicht und wir nicht in den Bereich der Mangelverwaltung kommen.
({7})
Eine letzte Bitte zum Schluss. Wir haben bei der Prävention - ich bedanke mich beim Kollegen Schurer, aber
auch beim heutigen Geburtstagskind MdB Karl, das
nachher noch etwas sagen wird - etwas erreicht. Nicht
genug, wird der Kollege Schurer sagen; aber es war immerhin viel. Wenn wir - das ist meine Bitte - auch beim
Thema Masern, wo ein enormes Bedürfnis vorhanden ist
und wo es eine große Verunsicherung gibt, etwas tun
könnten, wäre ich sehr glücklich.
Ich danke insoweit für die Aufmerksamkeit.
({8})
Für die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin
Dr. Martina Bunge.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
Otto und Marie werden mit diesem Haushalt die Chancen nicht besser, gleichberechtigt, gesund und munter
am Leben teilzuhaben. Sie werden fragen: Wer sind
Marie und Otto? Es sind Kinder von Eltern, die mit mehreren Jobs zusehen müssen, dass sie überhaupt über die
Runden kommen. Nun kommt hinzu, dass in Maries
Kindergarten das Projekt „Gesund durch den Tag“ eingestellt wird, weil die Finanzierung des Modells nur drei
Jahre läuft,
({0})
dass der Papa die nach langem Zögern beantragte, vom
Arzt dringend empfohlene Reha nicht genehmigt bekommt und die Mutter-Kind-Kur für Mama mit Marie
und Otto abgelehnt wird. So sehen plastisch die Ergebnisse Ihrer Politik aus, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition.
({1})
So geht es weiter. Im Einzelplan 15 des Bundeshaushalts wurde der Mittelansatz für Prävention gekürzt,
auch für Projekte, die sich bewährt haben.
In der gesetzlichen Rentenversicherung gibt es für
Rehamaßnahmen einen Deckel, obwohl solche Maßnahmen angesichts hoher Arbeitsbelastungen und von Ihnen
verordneter längerer Lebensarbeitszeit dringend zur
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gebraucht werden. Bei den Krankenkassen wird auf Teufel komm raus
gespart, und das geht zulasten der Leistungen, die genehmigt werden müssen. Die Sorgen mit den Mutter-KindKuren kennen wir ja alle hier im Raum.
Die Krankenkassen sparen, um keine Zusatzbeiträge
erheben zu müssen. Sie wissen nämlich, dass dann die
Riesengefahr besteht, dass junge, gesunde Versicherte,
die guten Risiken, die Kasse verlassen und die Situation
noch schlechter wird bis hin zur drohenden Insolvenz.
Das ist inzwischen nicht nur eine Befürchtung der Linken, sondern bittere Realität. Das beweist aber auch,
dass Wettbewerb zwischen den Krankenkassen nicht zu
einer besseren Versorgung führt, sondern der Gesunderhaltung der Bevölkerung schadet.
({2})
Maßnahmen, mit denen die Gesundheit gefördert werden könnte, werden einfach vorenthalten. Der Markt
richtet es hier halt nicht. Gesundheit ist keine Ware!
({3})
Nach der Kritik der Opposition in den Haushaltsberatungen haben Sie den Mittelansatz für Prävention wieder
um 1,5 Millionen Euro erhöht - vor allem für Aufklärungsmaßnahmen. Wir legen Ihnen heute zum wiederholten Male den Antrag vor, für Gesundheitsförderung
und Prävention mit jährlich 1 Milliarde Euro einen
Fonds zu gründen, mit dem endlich ein Paradigmenwechsel in der Gesundheits- und Pflegepolitik eingeleitet werden könnte.
Es geht nicht, das gesundheitsbewusste Verhalten nur
etwas zu befördern und ansonsten zu beklagen, dass das
Ausmaß an medizinischen und an Pflegeleistungen
durch den demografischen Wandel und die Alterung der
Bevölkerung ins Unermessliche steigen wird. Das ist
kein Automatismus. Wenn die Verhältnisse im Arbeitsund Lebensumfeld eine Stärkung der Ressourcen zulassen, dann ist längeres Leben bei guter Gesundheit möglich.
({4})
Anstatt nach einer ausgewogenen Finanzierung für
die Zukunft zu suchen, bürden Sie die finanziellen Belastungen allein den Versicherten auf. Zur Kopfpauschale bei der gesetzlichen Krankenversicherung soll
nun die Pflege einen Kapitalstock durch die Versicherten
erhalten. Ihr Mini-Bahr, Herr Minister, ist bei der sich
zuspitzenden Finanzmarktkrise aberwitzig. Das muss
hier ganz deutlich gesagt werden.
({5})
Im Ausschuss für Gesundheit haben Sie sich darüber
echauffiert, dass wir für unsere Anträge - 1 Milliarde
Euro für Gesundheitsförderung und Prävention, 2,5 Milliarden Euro für den Abbau des Investitionsstaus in den
Krankenhäusern und eine halbe Milliarde Euro für unabhängige Gesundheitsforschung - keine Gegenfinanzierung hätten. Meine Damen und Herren der Koalition, Sie
können versichert sein, dass meine Fraktion ein Gesamtkonzept dafür hat, wie sie diese inhaltlichen Forderungen auch finanziell untersetzen kann.
({6})
Wir wollen die seit Jahren praktizierte Umverteilung
von unten nach oben umkehren. Es muss Schluss sein
mit den permanenten Kürzungen von Sozialleistungen
und dem Leerfegen von öffentlichen Kassen, vor allem
in den Kommunen. Um nur ein paar Stichworte zu sagen: Dazu brauchen wir eine Millionärsteuer,
({7})
eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eine Sonderabgabe auf Boni in der Finanzmarktbranche. Das ist unseres Erachtens überfällig.
({8})
Das bringt die Finanzen, die für eine gerechte Politik gebraucht werden.
Sie werfen uns hinsichtlich unseres Antrags zur Beteiligung des Bundes am Abbau des Staus bei den Krankenhausinvestitionen vor, das sei ordnungspolitisch
nicht möglich. Die Länder dürften nicht aus der Pflicht
entlassen werden. Ich kann hier nur fragen: Funktioniert
Ihr Gedächtnis nicht mehr? Zu Beginn der 1990er-Jahre
wurde durch das GSG, das Gesundheitsstrukturgesetz,
das Artikel-14-Programm zum Abbau des Nachholbedarfs an Krankenhausinvestitionen in den neuen Bundesländern aufgelegt. Durch die bereitgestellten Bundesmittel wurde die Landeskofinanzierung „gezogen“. Da
wurde keine Mark und kein Euro verschenkt.
Durch ein neues Programm des Bundes würde garantiert, dass die Länder hier stimuliert würden, tätig zu
werden. Es soll ja keine Dauerlösung sein, aber wir haben eine besondere Situation. Jetzt haben wir in den alten Bundesländern baulichen Nachholbedarf, vor allem
bei den kommunalen Krankenhäusern. In den neuen
Bundesländern haben wir einen riesigen Erneuerungsbedarf bei den Gerätschaften. Schließlich wurde in den
90er-Jahren alles komplett ausgetauscht. Hier besteht
Handlungsgefahr.
({9})
- Handlungsbedarf, Entschuldigung. - Die Notwendigkeit einer guten Versorgung der Bevölkerung im Krankenhaus verbietet es, in dieser Situation einfach nur mit
dem Finger auf die Länder zu zeigen. Das löst die Probleme nicht. Stimmen Sie unseren Anträgen zu! Ansonsten können wir dem Einzelplan 15 nicht zustimmen.
({10})
Das Wort hat der Kollege Johannes Singhammer für
die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Menschen in Deutschland erwarten eine
gute ärztliche Versorgung in Stadt und Land, kurze Wartezeiten und eine sichere finanzielle Grundlage der
Krankenversorgung.
({0})
Unsere Krankenversicherung steht auf gesunden Beinen. Der Zustand der gesetzlichen Krankenversicherung
in Deutschland ist das glatte Gegenteil der griechischen
Staatsfinanzen. Voraussichtlich über 3 Milliarden Euro
Überschuss erwartet der Gesundheitsfonds am Ende dieses Jahres. Mit den gesetzlichen Rücklagen und der Vorsorge für einen Sozialausgleich können es sage und
schreibe über 8 Milliarden Euro werden.
Wir haben einen scheinbar unaufhaltsamen Trend in
Defizit und Minuszahlen gestoppt und umgedreht und
sind erstmals in der Lage, Rücklagen für schwierigere
Zeiten zu bilden. Warum? Weil wir eine Erfolgsbilanz
aufzuweisen haben.
({1})
- Jawohl, Herr Kollege Lauterbach, diese christlich-liberale Koalition hat neuen Schwung in die Gesundheitspolitik gebracht.
({2})
Noch nie sind in so kurzer Zeit so viele Projekte erfolgreich abgeschlossen worden.
({3})
Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz haben
wir die Kosten für Arzneimittel dauerhaft und wirksam
gesenkt. Wir haben ein neues Kriterium für neue Arzneimittel eingeführt, den Zusatznutzen. Mit dem Gesetz zur
nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der
Gesetzlichen Krankenversicherung haben wir ein
Gleichgewicht von Ausgaben und Einnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung geschaffen. Mit dem Infektionsschutzgesetz werden wir dazu beitragen, die
Zahl der Menschen, die sich in Kliniken anstecken, erheblich zu reduzieren. Mit dem Patientenrechtegesetz
sollen die Rechte der Patientinnen und Patienten transparenter und offener gestaltet werden.
({4})
Mit dem Versorgungsstrukturgesetz, bei dem wir uns
in der Schlussphase der Beratungen befinden, werden
wir die ärztliche Versorgung der Menschen in Stadt und
Land flächendeckend besser gestalten. Wir werden in
den nächsten Wochen und Monaten auch den pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen ein höheres
Maß an Sicherheit anbieten können.
({5})
- Ich habe schon darauf gewartet, dass hier vonseiten der
Opposition Kritik und Geschmäckle kommt.
({6})
Es war eine christlich-liberale Koalition, die 1995 erstmals die Pflegeversicherung eingeführt und damit etwas
geschaffen hat, was vorher Generationen von Politikern,
aber auch von Betroffenen gehofft haben.
({7})
Bundeskanzlerin Merkel hat 2008 - damals in einer anderen Koalition - durchgesetzt, dass in der Pflegeversicherung erhebliche Verbesserungen erreicht wurden.
({8})
Wir haben das geschafft.
({9})
Jetzt werden wir die Pflegereform in entscheidenden
Punkten erweitern.
Frau Bunge hat eben gesagt, für Vorsorge und Prävention seien 1 Milliarde Euro notwendig.
({10})
Wir sagen: Wir verbessern jetzt erst einmal mit 1 Milliarde Euro die Pflegeversicherung. Sie halten das wieder für viel zu wenig.
({11})
Ich sage: 1 000 Millionen Euro für 2,3 Millionen Pflegebedürftige und 1,6 Millionen Menschen, die Angehörige
pflegen, sind nicht wenig. Sie sind als ein erster Schritt
angemessen und richtig. Allein durch diese Maßnahme
gibt es exakt 5 Prozent Zuwachs bei den Ausgaben in
der Pflegeversicherung.
({12})
Ich darf Ihnen ankündigen: Wir prüfen nicht, sondern
handeln.
({13})
Ich habe nachgelesen, was Sie seinerzeit vorhatten.
({14})
- Ja, Rot-Grün. Ich habe auf den Zwischenruf gewartet.
Ich habe nachgelesen, was Sie 1998 in der Koalitionsvereinbarung angekündigt haben. Sie haben den Wählern versprochen, einen Teilkapitalstock zu bilden. Daneben haben Sie angekündigt, zu prüfen, wie die
Betreuung Demenzkranker bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit berücksichtigt werden kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir prüfen
nicht; wir handeln. Wir werden Folgendes tun: Wir werden zur Unterstützung der Angehörigen die Möglichkeiten der Unterbrechung der Pflege eines Angehörigen zu
Hause stärken. Pflegende müssen mehr als nur eine
kurze Auszeit bekommen.
({15})
Pflegende Angehörigen sollen erleichterte Möglichkeiten zur Rehabilitation bekommen. Die Pflege von
gleichzeitig mehreren Pflegebedürftigen wird rentenrechtlich mehr Berücksichtigung finden. Selbsthilfegruppen auch für pflegende Angehörige sollen besser
gefördert werden.
Für die Pflegebedürftigen werden wir die Leistungen
vor allem in folgenden konkreten Punkten verbessern:
Im Vorgriff auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff erhalten Demenzkranke nachhaltig bessere Leistungen.
Die Leistungen werden insbesondere insoweit flexibler
ausgestaltet, als Pflegebedürftige künftig zwischen Leistungspaketen und Zeiteinheiten frei wählen können.
Wir werden die Rehabilitation stärken, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Das ist die beste Form der Vorsorge. Mit dem Grundsatz „Ambulant vor stationär“
werden wir neue Wohnformen fördern. Die medizinische
Versorgung in den Heimen wird verbessert. Außerdem
werden wir die Begutachtung durch den Medizinischen
Dienst der Krankenkassen servicefreundlicher gestalten
und finanzielle Vorsorge betreiben; denn wir wissen,
dass sich die Zahl der Pflegebedürftigen erhöhen wird.
Wir werden die private Vorsorge so attraktiv gestalten,
({16})
dass viele Menschen von diesem zusätzlichen Angebot
Gebrauch machen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie machen
einen Fehler: Sie reden das Gesundheitswesen immer
schlecht. Achten Sie einmal darauf, wie in den Nachbarländern das dortige Gesundheitswesen bewertet wird.
({17})
Wir werden auch in Zukunft dafür sorgen,
({18})
dass die Menschen in Portugal oder Griechenland von
dem Gesundheitswesen träumen, das wir in Deutschland
haben und noch ausbauen werden.
({19})
Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Dass wir in unserem Gesundheitssystem
vor enormen Herausforderungen stehen, dürfte in diesem Kreis wohl unbestritten sein. Ich will nur stichwortartig auf den demografischen Wandel, der deutlich veränderte Krankheitsbilder und einen zunehmenden
Kostendruck in den Versicherungen mit sich bringt, auf
den Fachkräftemangel und auch auf die zunehmende
Spaltung in unserem Gesundheitssystem hinweisen.
Diese Entwicklungen bedingen und verschärfen sich
teils gegenseitig und erfordern neue Antworten.
Der Bundesgesundheitsminister hat tatsächlich einen
sehr richtigen Satz gesagt, den ich hier zitieren möchte.
Er hat gesagt:
Für mich steht fest: Wenn wir heute nicht handeln,
wird es teurer und bestimmt nicht besser.
Wann hat er diesen richtigen Satz gesagt? Hier muss ich
zugeben, dass es mit meiner Begeisterung jetzt schon
wieder steil bergab geht. Er hat den Satz anlässlich der
ersten Beratung des Versorgungsstrukturgesetzes im
Bundestag und Bundesrat gesagt. Gibt dieses Versorgungsstrukturgesetz die notwendigen neuen Antworten?
Wohl kaum. Fehlanzeige bei der dringend notwendigen
Aufwertung der Primärversorgung, die beispielsweise
auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen dringend einfordert.
Fehlanzeige mit Blick auf eine veränderte Arbeitsteilung
zwischen ärztlichen und nichtärztlichen Gesundheitsberufen. Gerade die Potenziale der nichtärztlichen Gesundheitsberufe werden hier schlicht ausgeblendet. Fehlanzeige auch bei Anreizen für neue Versorgungsformen,
stattdessen werden innovative Versorgungslösungen
eher behindert denn befördert. Das sind tatsächlich keine
innovativen Antworten.
({0})
Das Versorgungsstrukturgesetz wird zu erheblichen
Mehrausgaben führen, ohne die Versorgung der Versicherten tatsächlich zu verbessern. Die Versorgungsengpässe werden nicht beseitigt. Die schwarz-gelbe Gesundheitspolitik macht also weiter wie bisher. Sie
schüttet zweifelhafte Wohltaten über die eigene Klientel
aus. Diese Gesundheitspolitik ist nun wirklich nicht akzeptabel.
Klar ist auch, dass die steigenden Kosten von den
Versicherten letztlich über Zusatzbeiträge finanziert werden müssen. Aber nicht nur das: Die Koalition hat auch
ihr Versprechen einkassiert, den Sozialausgleich, den
Menschen mit geringem Einkommen erhalten sollen,
vollständig über Steuern zu finanzieren. Ich finde, das ist
eine üble Geschichte; denn letztlich werden Leistungsempfänger einen Teil der Zuschüsse, die sie erhalten sollen, mit ihren eigenen Beitragszahlungen selbst finanzieren müssen. Hier zeigt die Koalition einmal mehr, wes
Geistes Kind sie ist, immer voran nach dem Motto: „Wer
hat, dem wird gegeben“, auch und gerade in der Gesundheitspolitik.
({1})
Den Begriff der Fehlanzeige musste ich in meiner
Rede schon einige Male verwenden. Ich muss es noch
einmal tun, und zwar mit Blick auf Prävention und Gesundheitsförderung. Wir sind uns sicherlich einig, dass
ein Gesundheitssystem, das rein auf die Behandlung von
Krankheiten ausgerichtet ist, die Herausforderungen der
Zukunft nicht lösen kann. Vor diesem Hintergrund muss
es uns doch zu denken geben, dass wir - über alle Sozialleistungsträger hinweg - rund 270 Milliarden Euro
für die Gesundheit ausgeben, davon aber gerade 2,3 Prozent für Prävention und Gesundheitsförderung. Ich will
einmal flapsig sagen: Dieses Verhältnis ist ungesund und
darf so auch nicht bleiben.
({2})
Es ist eine besondere Herausforderung, den Zusammenhang von Gesundheitsrisiken und sozialem Status zu
knacken. Statistisch gesehen haben einkommensschwache Bevölkerungsgruppen - Arbeitslose, Alleinerziehende mit ihren Kindern, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund - durchschnittlich deutlich höhere
Gesundheitsrisiken als andere. Das sind gerade die
Gruppen, die die Krankenkassen nicht in ihre Präventionskurse bekommen und an denen gut gemeinte Appelle in Richtung mehr Eigenvorsorge eher vorbeigehen.
Das macht sehr deutlich, dass wir die Förderung von
Settingansätzen mit einem direkten Lebensweltbezug,
klare Finanzierungsverantwortung und Leistungsstrukturen dringend brauchen.
Es ist hinlänglich bekannt, dass Schwarz-Gelb einem
Präventionsgesetz eine Absage erteilt hat. Das ist bedauerlich
({3})
und ohne Frage das Gegenteil einer zukunftsweisenden
Gesundheitspolitik. Die Koalition hat aber auch keine
anderen Vorstellungen, wie sie Prävention und Gesundheitsförderung nach vorne bringen will. Das ist tatsächlich ein Armutszeugnis.
({4})
Abschließend: Nach so viel Kritik möchte ich aber
auch nicht unterschlagen, dass es bei den Haushaltsberatungen durchaus einen kleinen Lichtblick gegeben hat.
Es ist uns interfraktionell in der Bereinigungssitzung gelungen, Mittel umzuschichten und für Aufklärungsmaßnahmen im Bereich des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs, im Bereich der sexuell übertragbaren
Krankheiten und der gesundheitlichen Aufklärung von
Kindern und Jugendlichen um rund 1,5 Millionen Euro
zu erhöhen. Ich möchte mich hier ganz besonders bei unserem Kollegen Ewald Schurer bedanken, der dafür die
Initiative übernommen hat. Ich möchte mich aber auch
bei meinen Mitberichterstattern für den Einzelplan dafür
bedanken, dass es sofort die Bereitschaft gegeben hat,
für diese sachgerechte und, wie ich finde, sinnvolle Lösung Wege zu finden.
Auch wenn wir in den großen Linien der Gesundheitspolitik garantiert nicht so schnell zusammenkommen werden, freue ich mich auf die weitere Zusammenarbeit im Haushaltsausschuss und hoffe, dass wir an der
einen oder anderen Stelle zumindest kleine Schritte positiv auf den Weg bringen können.
Vielen Dank.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Jens Spahn für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege Lauterbach, besser Schwarze
Witwe als rote Schlaftablette; denn das, was wir bis jetzt
in der Debatte von Ihnen erlebt haben - das ist im
Grunde genommen eine Debatte über die Halbzeitbilanz
der christlich-liberalen Gesundheitspolitik dieser Koalition -, ist eher ein laues Lüftchen und wenig kurzweilig
gewesen.
({0})
Aber dies ist vielleicht einfach Ausdruck des Umstands,
dass es an dem umfangreichen Arbeitsprogramm, das
wir uns in dieser Legislaturperiode vorgenommen haben,
wenig zu kritisieren gibt. Es ist ein gutes Zeichen, dass
Sie wenig finden, was Sie grundsätzlich kritisieren können.
Schauen Sie einmal, was in den letzten zwei Jahren
gelungen ist: Da ist zum einen die Stabilisierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich
möchte nur daran erinnern, dass es Ihnen, als wir über
das GKV-Finanzierungsgesetz geredet haben, ganz besonders darum ging, dass wir den Krankenhäusern mehr
Geld lassen sollten. Manche haben vermutet, das hinge
auch mit anderen Funktionen zusammen, die Sie ausüben. Jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen, wir würden bei den Krankenhäusern zu wenig tun. Sich innerhalb eines Jahres so zu drehen, je nachdem wie es gerade
in der politischen Debatte passt, ist schon bemerkenswert.
Unabhängig davon ist es uns gelungen, mit dem
GKV-Finanzierungsgesetz durch kurzfristige Maßnahmen für die Jahre 2011 und 2012 eine solide Finanzbasis
für die gesetzliche Krankenversicherung zu schaffen, indem wir alle beteiligen. Ich möchte dazu sagen: Den
größten Beitrag dazu leisten sowohl Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die Rückkehr zum alten Beitragssatz
von 15,5 Prozent als auch Sparmaßnahmen bei Krankenhäusern, Ärzten, Apotheken und insbesondere der PharJens Spahn
maindustrie, verbunden mit einer langfristigen Finanzierungskomponente, die da lautet: Wir können das Ganze
nicht auf Dauer nur lohnabhängig über Beiträge finanzieren, sondern wir wollen - das haben wir in der Großen Koalition begonnen - über den Zusatzbeitrag eine
Basis für eine lohnunabhängige Finanzierung schaffen.
Also: Finanzen in Ordnung gebracht, Operation gelungen.
({1})
Ein zweites grundsätzliches Thema, das uns in dieser
Koalition sehr wichtig ist, das trägt, das wir umgesetzt
haben und das ein wirklicher Bruch mit bisheriger
Politik war - im Übrigen aller Koalitionen und
Regierungen - ist das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz gewesen, an dem Sie am Ende des Tages auch wenig Kritik gefunden haben. Denn das Prinzip, für neue
Arzneimittel tatsächlich nur so viel Geld mehr zahlen zu
wollen, wie sie im Vergleich zu dem, was schon auf dem
Markt ist, an zusätzlichen Nutzen haben, ist richtig. Sie
haben sich bis heute nicht von dem Schrecken erholt,
dass es dieser Koalition gelungen ist, das, wovon Sie
jahrelang geredet haben, am Ende umzusetzen. Auch
hier können wir sagen: Operation gelungen. Das ist ein
Erfolg christlich-liberaler Gesundheitspolitik.
({2})
Nachdem wir uns die Finanzen und die Frage, wofür
wir das Geld eigentlich ausgeben, angeschaut und neben
kurzfristiger Konsolidierung ein langfristiges Finanzierungselement geschaffen haben, haben wir gesagt: Wir
nehmen die gesundheitliche Versorgung in Deutschland
in den Blick.
Der erste Schritt war das Krankenhausinfektionsschutzgesetz, bei dem es insbesondere um die hygienischen Zustände in den Krankenhäusern geht. Wir haben
ganz aktuell die Vorfälle in Bremen, bei denen wir sehen, dass ein deutlicher Nachholbedarf vorhanden ist
und dass noch immer viel zu viele Menschen wegen Infektionen in Krankenhäusern sterben müssen. Mit Blick
auf Ihre Äußerungen zum Stichwort Bremen sage ich Ihnen: Mein Eindruck nach allem, was wir nach derzeitigem Kenntnisstand haben, ist, dass es vor allem die Behörden im Land Bremen selbst waren, die das, was
mittlerweile bundesgesetzlich geregelt ist, bis heute
nicht vernünftig umgesetzt haben und vor allem die Meldewege nicht einhalten und die Kontrollen in den Krankenhäusern nicht entsprechend durchführen. Wenn Sie
schon Schwarze-Peter-Spiele machen wollen, dann
schieben Sie den Schwarzen Peter zur Gesundheitssenatorin nach Bremen, im Zweifel auch nach Berlin. Fordern Sie mit uns gemeinsam die Länder auf, die ihnen
übertragene Aufgabe, für gute hygienische Zustände in
den Krankenhäusern zu sorgen, auch tatsächlich umzusetzen. Der Finger zeigt jedenfalls auf die Länder.
({3})
Nach dem Krankenhausinfektionsschutzgesetz haben
wir dieses Jahr die Versorgung der Menschen zum
Schwerpunkt gemacht, Stichwort Versorgungsstrukturgesetz. Wir müssen uns insbesondere mit der Frage befassen - ich selbst komme aus dem Münsterland -, wie
wir die medizinische und insbesondere die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum auf Dauer sicherstellen
können, und zwar gerade in einer Zeit, in der es für
junge Medizinerinnen und Mediziner immer weniger attraktiv wird, auf dem Land zu praktizieren.
Wir haben uns der Wartezeiten bei Facharztterminen
- dieses Thema bewegt die Menschen zu Recht sehr angenommen und wollen durch richtige Anreize und
Veränderungen zu kürzeren Wartezeiten kommen. Wir
haben uns auch der Krankenhausentlassungen angenommen. Es darf nicht sein, dass ein Patient am Freitagnachmittag das Krankenhaus verlässt und sich niemand darum gekümmert hat, wie es weitergeht. Wir wollen
lebenspraktische Dinge regeln wie die Einführung einer
einheitlichen Notdienstrufnummer in der Bundesrepublik.
Nachdem wir die finanziellen Grundlagen der gesetzlichen Krankenversicherungen gesichert haben, wollen
wir mit einem Versorgungsgesetz die Versorgungsstrukturen verändern. Wir lassen uns dabei von der Frage leiten, wie wir in einem der besten Gesundheitssysteme der
Welt zu Verbesserungen kommen und den Menschen im
Gesundheitswesen den Alltag erleichtern können. Wir
befinden uns bei der Erarbeitung dieses Gesetzes im
Endspurt. Wir können bald zum dritten Mal sagen: Operation gelungen, Versprechen gehalten! Auch das ist ein
Aktivposten christlich-liberaler Gesundheitspolitik.
({4})
Zu einer Halbzeitbilanz gehört auch ein Ausblick auf
das, was noch ansteht. Ein Thema, das schon angesprochen wurde, ist die Pflegereform, die viele Menschen bewegt, weil fast jeder mittlerweile Erfahrungen mit dem
Schicksal Pflegebedürftiger in der eigenen Familie, der
Nachbarschaft oder der Bekanntschaft sammelt und
merkt, welche - auch persönliche - Herausforderung die
Pflege eines Angehörigen darstellt und wie viel Kraft
man dafür braucht. Es ist dringend notwendig, dass wir
insbesondere dort unterstützend tätig werden, wo es um
Menschen geht, die an Demenz erkrankt sind. Diese
werden bislang in der Pflegeversicherung zu wenig berücksichtigt, genauso wie die pflegenden Angehörigen.
Wir wollen entsprechende Schwerpunkte setzen und zusätzliche Leistungen und einen flexibleren Umgang mit
Leistungen in der gesetzlichen Pflegeversicherung ermöglichen. Eine Leistungssteigerung um 5 Prozent - das
ist 1 Milliarde Euro zusätzlich zu den gut 20 Milliarden
Euro - ist ein deutliches Plus für die Betroffenen. Das
werden wir entsprechend umsetzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Marlies Volkmer von der SPD-Fraktion?
Bitte.
Herr Kollege Spahn, ich wüsste gerne, ab wann Sie
die Leistungen für Demenzkranke und ihre Angehörigen
wie angekündigt verbessern wollen.
War das das Ende der Frage?
Ab wann?
Das Ende der Frage war noch nicht erkennbar. Ich
dachte, es käme noch etwas.
Ich möchte gerne eine weitere Zusatzfrage stellen.
Aber zuerst möchte ich wissen, ab wann Sie die Leistungen verbessern wollen.
Wollen Sie jetzt noch eine Frage stellen? Sind Sie fertig, oder geht es noch weiter?
Das kommt drauf an. Ich würde gerne eine weitere
Zwischenfrage stellen.
Kollege Spahn, Sie entscheiden natürlich, ob Sie weitere Zusatzfragen zulassen wollen.
Ich habe doch eine ganz einfache Frage gestellt.
Ich kann auch zwei Zwischenfragen im Zusammenhang beantworten. Ich bitte, das bei meiner Redezeit zu
berücksichtigen.
Die Zeit ist längst angehalten.
Wir wollen ein normales Gesetzgebungsverfahren
durchführen und spätestens am 1. Januar 2013 zusätzliche Leistungen für demenzkranke Menschen und pflegende Angehörige zur Verfügung stellen. Ideal wäre es,
wenn das schon früher möglich wäre. Darüber werden
wir beraten.
Ich habe danach gefragt, weil Herr Bahr angekündigt
hat, dass diese Leistungen kurzfristig zur Verfügung stehen werden, also vor dem 1. Januar 2013. Sie haben das
gerade relativiert. Wenn die Leistungen schon früher zur
Verfügung stehen, hätte ich gerne gewusst, mit welchem
Geld Sie sie bezahlen wollen.
({0})
Solange wir den Euro haben, natürlich in Euro. Wie
Sie gehört haben, soll der Beitragssatz in der Pflegeversicherung zum 1. Januar 2013 erhöht werden. Die
Pflegeversicherung verfügt im Moment noch über ausreichend finanzielle Mittel. Wie ich gerade gesagt habe,
sollen die angesprochenen Leistungen spätestens zum
1. Januar 2013 zur Verfügung stehen. Wenn es sich finanziell darstellen lässt, kann das gerne auch früher geschehen. Wir wollen, dass die Betroffenen, die demenzkranken Menschen und die pflegenden Angehörigen,
möglichst frühzeitig in den Genuss zusätzlicher Leistungen kommen; denn sie haben das verdient.
({0})
Kollege Spahn, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Bitte schön.
Ich kündige an, dass das die letzte Zwischenfrage ist,
die ich im Rahmen dieses Beitrags zulasse. - Bitte.
Vielen Dank. - Herr Kollege Spahn, wenn Sie jetzt
ankündigen, dass die Leistungen für Menschen mit Demenz verbessert werden sollen, was ja dringend nötig ist,
können Sie bitte auch sagen, ob das dann bei den Leistungen für Menschen mit Körperbehinderung weggenommen wird oder ob es da wenigstens so etwas wie einen Bestandsschutz gibt?
Natürlich wird nirgendwo etwas weggenommen.
({0})
Ich habe ja gesagt: Es geht um zusätzliches Geld, das zur
Versorgung zur Verfügung steht. Sie spielen vielleicht
ein wenig auf den Pflegebedürftigkeitsbegriff und die
Umsetzung desselben an. Jeder weiß natürlich, dass es,
je nachdem, wie man den Pflegebedürftigkeitsbegriff
umsetzt, unterschiedliche Modelle gibt, nicht von uns,
sondern vom Pflegebeirat; er hat die Modelle erarbeitet
und Szenarien vorgelegt. Einige Modelle sehen vor, Verbesserungen auf der einen Seite durch Verschlechterungen etwa bei den Leistungen für Menschen mit körperlichen Einschränkungen zu finanzieren. Wir haben aber
gesagt: Wir wollen jetzt in einem ersten Schritt deutliche
Leistungsverbesserungen kurzfristig möglich machen
und werden dann an dem Pflegebedürftigkeitsbegriff so
weiterarbeiten, dass die Arbeiten in dieser Legislatur abgeschlossen werden können.
Dazu will ich Ihnen eines sagen, weil Sie das gleich
wieder ansprechen werden: Jeder, zumindest jeder, der
sich ein bisschen in der Pflegeszene auskennt, weiß, dass
mit dem, was wir im Moment vorliegen haben, eine soJens Spahn
fortige Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs nicht möglich wäre - das sagt im Übrigen auch der
Beiratsvorsitzende, Herr Gohde -, sondern dass es weitere Vorarbeiten, weitere Vorbereitungen braucht. Wir
machen keine Versprechungen ins Blaue hinein, wie der
eine oder andere im Hohen Hause das gern tut, sondern
wir machen es solide: kurzfristige Verbesserungen, die
leicht umzusetzen sind, jetzt und das weitere Arbeiten
am Pflegebedürftigkeitsbegriff in den nächsten Monaten,
damit wir eine vernünftige und solide Basis für die weitere Arbeit haben und so alle Fragen, die anstehen, miteinander klären können.
({1})
Was ansonsten die weiteren Vorhaben für die zweite
Legislaturperiode angeht,
({2})
steht für uns neben der Frage der Pflegeversicherung das
Patientenrechtegesetz im Mittelpunkt. Wir wollen die
Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung gesetzlich regeln.
({3})
Das gilt auch für Fragen wie: Wo kommen Patienten in
den Strukturen der gesetzlichen Krankenversicherung
vor? Welche Rechte haben sie? Welche Transparenz gibt
es für sie? Können sie die Entscheidungen nachvollziehen? Wie lange müssen sie auf Entscheidungen von
Krankenkassen warten?
Weil wir das regeln wollen, werden wir zu Beginn des
nächsten Jahres einen Gesetzentwurf dazu vorlegen. Wir
sind sehr dankbar für die Vorarbeiten, die der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, unser Freund Wolfgang
Zöller, geleistet hat.
({4})
Ich glaube, er ist Garant dafür, dass wir mit einem guten
Erfolg für die Patienten und Patientinnen in Deutschland
rechnen können.
({5})
Wir laden Sie herzlich ein, diese Arbeit gemeinsam mit
uns anzugehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Abschließend möchte ich Sie einladen, einigermaßen
fair - das ist Ihnen in dieser Debatte bis jetzt nicht so
ganz gelungen ({7})
einmal den Blick auf das zu werfen, was in den letzten
zwei Jahren christlich-liberaler Gesundheitspolitik vor
allem in Bezug auf Qualität und Quantität erreicht worden ist. Wenn Sie nach den vier Jahren - wir bewerben
uns dann um mindestens weitere vier Jahre ({8})
einen Strich darunter ziehen, werden Sie sehen, dass
diese Koalition in der Gesundheitspolitik und in der
Pflegepolitik deutlich mehr umgesetzt haben wird als andere Koalitionen in mehreren Legislaturperioden vorher.
Es ist aller Mühe wert, im Sinne der Patientinnen und
Patienten in Deutschland diese erfolgreiche Arbeit
- Schaffung einer soliden Finanzgrundlage; Antwort auf
die Fragen des Versorgungsalltags der Patienten und die
Frage, wie wir gute Strukturen hinbekommen - fortzusetzen und hier stringent weiterzuarbeiten, sodass am Ende
deutlich wird: Christlich-liberale Gesundheitspolitik ist
die bessere Gesundheitspolitik für Deutschland.
({9})
Das Wort hat der Kollege Ewald Schurer für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Zunächst einmal darf ich mich, wie bei Haushältern üblich, beim Ministerium herzlich bedanken. Die Unterlagen sind zwar manchmal etwas spät,
({0})
aber dann doch in aussagekräftiger Form zugeleitet worden. So konnten wir die Beratungen im Haushaltsausschuss und in den Berichterstatterrunden gut vorbereiten.
Weil Otto Fricke gerade dazwischenruft, darf ich, lieber Kollege, eine Aussage gleich anfügen: Die Kostengestaltung der gesetzlichen Kassen sieht derzeit so aus:
5,8 Prozent sind Verwaltungskosten; bei den privaten
Kassen sind es 15 Prozent. Das ist also ein signifikanter
Unterschied, auch pro Versicherten in Deutschland. Das
sollte man wissen, um etwas mehr Genauigkeit bei den
Zahlen in das Thema zu bringen.
Der Einzelplan ist schon in der ersten Lesung dargestellt worden. Deshalb möchte ich nur ganz wenige signifikante Zahlen nennen. Der reguläre Zuschuss an den
Gesundheitsfonds liegt mittlerweile bei 14 Milliarden
Euro. Der materielle Kern für die Arbeit des Ministeriums und seiner nachgelagerten Behörden liegt bei
485 Millionen Euro. Das sind die Mittel, mit denen man
gestalten kann.
Herr Minister, Sie sprechen ja nach mir noch. Interessant ist, dass Sie für 2015 ankündigen, zusätzlich
700 Millionen Euro für den Sozialausgleich zahlen zu
wollen. Ich habe recherchiert, aber bisher keine Kalkulationsgrundlage dafür gefunden. Die Frage ist: Soll dieser
Betrag von 700 Millionen Euro für den Sozialausgleich
einmalig gezahlt werden? Soll er dynamisiert werden?
Ist das eine Schätzgröße? Ich habe jedenfalls bei meinen
Recherchen nur ein Glossar zum Sozialausgleich auf der
Webseite des BMG gefunden. Da ist in den ersten drei
Punkten nur von Zusatzbeiträgen die Rede. Aber eine inhaltlich profunde Ausführung dazu, wie der Sozialausgleich systemtechnisch funktionieren soll, habe ich nicht
gefunden. Sie haben nachher die Gelegenheit, Herr
Minister, mich und uns hier klüger zu machen.
Die Einnahmen steigen immerhin auf 92 Millionen
Euro, vor allen Dingen durch Mehreinnahmen beim Bundesamt für Arzneimittel- und Medizinprodukte; eine interessante Geschichte. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass das Ministerium einen materiellen Kern von
485 Millionen Euro hat. Ich stelle fest, dass SchwarzGelb - es wird ja immer von schwarz-gelber Politik gesprochen; Sie müssten, werter Kollege Singhammer und
andere, sagen: „Politik der Mitte“, um das in Ihrem Sinne
wirklich präzise herüberzubringen - bei den Titeln mit
Programmcharakter und insgesamt im Präventionsbereich in fast allen Bereichen markige Kürzungen durchgeführt hat.
({1})
Ich möchte aufgreifen, was die Kollegin Dörner gesagt hat: Im Bereich sexuell übertragbarer Krankheiten,
im Bereich Drogen- und Suchtmittelmissbrauch und
beim Haustitel der BZgA in Köln - das ist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung - sind die Kürzungen teilweise zurückgenommen worden. Ich möchte
dem Kollegen Karl, dem Kollegen Fricke und der Kollegin Dörner dafür danken, dass wir es geschafft haben,
Kürzungen in Höhe von 1,5 Millionen Euro zurückzunehmen. Das wäre ohne die Bereitschaft der Koalition
nicht möglich gewesen.
Ansonsten gilt ganz eindeutig, dass die Kürzungen im
Programmbereich zu stark sind. Hier ist für mich ein Gestaltungswille der Koalition nicht erkennbar. Es gibt, wie
der Kollege Lauterbach gesagt hat, eine ordnungspolitische Funktion. Diese wird im Rahmen der Möglichkeiten des Haushalts nicht wirklich genutzt. Stattdessen
zieht man sich auf Verwaltungsaufgaben zurück. Es ist
interessant, wenn der Kollege Spahn die Infektionsschutzgesetzgebung in den Mittelpunkt seiner ordnungspolitischen Ausführungen stellt. Was das angeht, sind
wir einer Meinung: Jeder katastrophale Fall, dass zum
Beispiel Kinder an einer Infektion, die sie sich in einer
Klinik geholt haben - egal in welcher Klinik und in welchem Bundesland -, sterben, ist durch die Länderbehörden scharf zu bekämpfen, und man muss Vorsorge treffen, dass das nicht mehr passiert. Aber das ersetzt, Herr
Kollege Spahn, nicht den großen ordnungspolitischen
Rahmen, auf den die Fachwelt, die Versicherten und die
Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande seit zwei
Jahren warten.
({2})
Das ist im Wesentlichen die Bilanz, die ich ziehe. Sie
bringen in den großen Bereichen nichts.
Sie haben die ökonomische Stabilisierung angesprochen, Herr Kollege Spahn. Gut, wir alle sind froh, dass
wir im Augenblick noch einen relativ starken Arbeitsmarkt haben.
({3})
Durch die Beiträge haben wir auch eine Stabilisierung
für den Gesundheitsfonds erreicht. Das ist der wesentliche Stabilisierungs- und Einnahmefaktor für die GKV
und die Kassen. Das muss man ganz sachlich feststellen.
Sie versuchen stattdessen, da herumzubasteln.
({4})
Sie haben die Pflege angesprochen. Ihr Vorgänger, der
Herr Rösler
({5})
- jetzt Wirtschaft, vormals Gesundheit -, hat damals angekündigt: Wir brauchen keine Pflegegesetzgebung;
stattdessen werden wir eine Pflegestrategie ins Leben rufen. Die gibt es heute noch nicht. Immer nur auf die Arbeit der Pflegekommission zu verweisen, ist keine starke
Leistung; das hat bereits der Kollege Lauterbach gemeint. Die ordnungspolitische Dimension ist für die im
Gesundheitswesen Tätigen nicht erkennbar, auch wenn
es jetzt - man höre und staune - seit dem 16. November
dieses Jahres immerhin Eckpunkte gibt, die Sie auf der
Webseite Ihres Ministeriums darstellen.
Diese Eckpunkte sind aber noch keine Strategie. Eckpunkte heißen so, weil sie die ersten rudimentären Bausteine sind, aus denen man eine Konzeption erst erarbeiten muss.
({6})
Ich habe so meine Befürchtung, dass Sie hier weit im
Hintertreffen sind. Herr Kollege Spahn, darüber hätten
Sie reden müssen. Zur Zweijahresbilanz dieser Koalition
gehört es, dass sie hier im Wesentlichen nicht weitergekommen ist.
({7})
Mein letzter Punkt ist der große Bereich der Prävention. Alle internationalen Studien - von der OECD und
anderen - zeigen - wir sind ja in Deutschland im kurativen Bereich, im stationären und ambulanten Versorgungswesen, leistungsmäßig insgesamt relativ gut aufgestellt -: Für Prävention geben wir zu wenig aus. Wir
haben zu wenig Konzepte. Das ist der Schwachpunkt des
deutschen Gesundheitswesens.
In diesem Zusammenhang stelle ich fest, dass Sie für
die Prävention bisher nicht sehr viel getan haben. Sie haben die Präventionskampagne bei den Programmtiteln
sogar auf fast null heruntergefahren. Das heißt also, dort,
wo man mit Modellprojekten in diesem Bereich arbeiten
könnte, haben Sie nichts getan.
Mein Fazit ist ganz eindeutig: Sie schieben die großen
Probleme der Gesundheits- und Pflegepolitik so lange
vor sich her, bis eine neue Koalition - mutmaßlich nicht
mehr mit Ihrer Beteiligung - diese gesamtgesellschaftlichen Probleme lösen muss. Das ist die Bilanz nach zwei
Jahren Schwarz-Gelb, der von Ihnen sogenannten Politik
der Mitte. Sie werden mit Sicherheit abgelöst werden
müssen durch fachlich profunde und aktive Politik im
September 2013.
({8})
Glauben Sie mir: Wir werden das wuppen; wir liefern
nämlich. Sie hingegen liefern in homöopathischen Dosen. Das ist zu wenig.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich möchte einen kleinen Hinweis an alle nachfolgenden Redner geben: Die Ankündigung des Redeschlusses
ersetzt nicht den Redeschluss. Wir sind hier gehalten, die
vereinbarte Redezeit entsprechend zu übertragen.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister für Gesundheit,
Daniel Bahr.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte die Rede beginnen mit einem Dank an die
Haushälter und an die federführenden Berichterstatter
für die sehr konstruktiven Beratungen, die wir erneut zur
Erarbeitung dieses Haushalts des Bundesministeriums
für Gesundheit geführt haben.
Der größte Teil des Etats für das Bundesministerium
für Gesundheit ist der Zuschuss für versicherungsfremde
Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Daneben wirkt der eigentliche Etat des Bundesministeriums für Gesundheit deutlich kleiner.
Ich möchte zwei Themen stellvertretend herausgreifen, die uns im Parlament, so glaube ich, im Moment
sehr bewegen.
Das erste Thema ist die Frage: Was können wir tun,
um die Bereitschaft der Menschen in Deutschland für
mehr Organspenden zu erhöhen? Im Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit stehen 2,5 Millionen
Euro zur Verfügung, die wir nutzen wollen, um Aufklärungsarbeit zu leisten und Informationen an die Bevölkerung zu bringen. Denn wir wissen aus Umfragen, dass
Menschen sich gerne darauf verlassen möchten, dass ein
Organ zur Verfügung steht, wenn sie denn eines brauchen. Wir wissen leider aber auch, dass trotzdem nicht
ausreichend Menschen bereit sind, einen Organspendeausweis auszufüllen und sich als Organspender
bereit zu erklären.
Deswegen bin ich sehr froh, dass wir derzeit im Deutschen Bundestag partei- und fraktionsübergreifend beraten, wie wir die Bereitschaft zu mehr Organspenden erhöhen können. Ich glaube, wir sollten über die
Fraktionsgrenzen hinweg den Ehrgeiz haben, die Spendenbereitschaft zu erhöhen, und den Menschen im
Lande signalisieren: Jeder, der sich bereit erklärt, einen
Organspendeausweis auszufüllen, ist ein Lebensretter.
Er kann Menschenleben retten. Etwa 12 000 Menschen
stehen derzeit auf den Wartelisten. Sie warten dringend
auf ein Organ. Wir sollten gemeinsam an dem richtigen
Weg arbeiten, um die Menschen zu überzeugen, einen
Organspendeausweis auszufüllen.
({0})
Zweitens möchte ich das Thema HIV/Aids herausgreifen; das hat bereits meine Vorgänger und Vorvorgänger beschäftigt. Es zeigt uns, dass Präventionsarbeit
Erfolg bringt. In dieser Woche sind die neuesten Schätzungen des Robert-Koch-Instituts bekannt geworden,
die uns deutlich machen, dass unsere Präventionsarbeit
in Deutschland im Bereich HIV/Aids Erfolg hat; sie wird
international anerkannt. Gerade gestern haben Kollege
Dirk Niebel vom Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung sowie ich zu einer internationalen Konferenz eingeladen, auf der von anderen
Ländern gelobt wurde, dass es uns gelungen ist, die international niedrigste Neuinfektionsrate bei HIV/Aids zu
erreichen, was ein großer Erfolg ist. Ich kann heute vermelden, dass es uns gelungen ist, die niedrige Zahl der
Neuinfektionen noch einmal zu senken: Im Jahr 2006
gab es etwa 3 400 Neuinfektionen; es ist uns gelungen,
die Zahl der Neuinfektionen im Jahre 2011 auf etwa
2 700 zu senken.
Das ist ein gemeinsamer Erfolg. Ich möchte mich deshalb an dieser Stelle an alle Gesundheitsministerinnen
und -minister vor mir wenden und ihnen für das Engagement danken, das sie für die Aidsprävention in Deutschland geleistet haben, insbesondere Frau Professor Rita
Süssmuth, die damit begonnen hat und sich gegen viele
Widerstände in Politik und Gesellschaft durchgesetzt
und viel dazu beigetragen hat, dass wir heute so große
Erfolge in der HIV- und Aidsprävention haben.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Umfragen bestätigen uns, dass die Menschen - bei allem, was im Gesundheitssystem in Deutschland noch besser werden kann
- mit dem zufrieden sind, was ihnen das Gesundheitssystem bietet.
({2})
Im Ausland schauen viele neidvoll nach Deutschland. Es
ist die Herausforderung, das zu erhalten: freie Arztwahl,
freie Krankenhauswahl, freie Krankenversicherungswahl, Therapiefreiheit, eine wohnortnahe Versorgung,
die sich, gemessen an anderen Ländern, nicht zu verstecken braucht. Angesichts eines medizinischen und eines
medizinisch-technischen Fortschritts in Kombination mit
einer alternden Bevölkerung besteht die Herausforderung darin, dies auch für kommende Generationen zu gewährleisten. Genau das hat sich die christlich-liberale
Koalition vorgenommen. Sie fühlt sich verpflichtet, die
wohnortnahe Versorgung für kommende Generationen
zu gewährleisten. Daran messen wir all unsere Gesetzgebungsinitiativen.
Ich darf die Kolleginnen und Kollegen von SPD und
Grünen bei all den Ratschlägen auch in dieser Debatte,
was wir noch besser machen könnten - wir nehmen sie
gerne auf -, nur daran erinnern, dass diese Koalition in
dieser Legislaturperiode ein Arbeitspensum bewältigt,
das andere Regierungskonstellationen, insbesondere
Rot-Grün - die Linken haben erfreulicherweise in der
Bundesrepublik noch nie regiert -, in zwei Legislaturperioden nicht geschafft haben. Es lässt sich sehen, was
wir bis heute schon auf den Weg gebracht haben und was
wir noch auf den Weg bringen werden.
({3})
- Es scheint offensichtlich zu schmerzen. Ihre Reaktionen deuten darauf hin, dass Sie da einen wunden Punkt
haben. Sie können das nicht ertragen. - Wir haben ein
Gesundheitssystem übernommen, in dem wir das größte
Milliardendefizit der gesetzlichen Krankenversicherung
erlebt haben.
({4})
Dieses Milliardendefizit haben wir bewältigt,
({5})
nicht etwa mit einer Gesundheitsreform, bei der die
Leistungen für die Menschen gekürzt oder gestrichen
wurden - ich schaue in die Reihen und sehe einige Brillenträger -, nicht etwa, indem wir denjenigen, die im
Gesundheitswesen arbeiten, den Beschäftigten, signalisiert haben: Wir kürzen euer Honorar oder machen Nullrunden. - Nein, wir haben dieses große Defizit mit einer
gemeinsamen Kraftanstrengung bewältigt,
({6})
indem wir den Beitragssatz auf das alte Niveau zurückgeführt haben. Ja, das war eine unangenehme Entscheidung; aber wir haben sie gemeinsam getroffen, um Stabilität und Verlässlichkeit ins Gesundheitswesen zu
bringen.
({7})
Wir können heute mit Fug und Recht stolz darauf
sein, dass das deutsche Gesundheitssystem finanziell
stabil ist. Selbst wenn sich die Konjunktur verschlechtert
und sich die Risiken bei der wirtschaftlichen Entwicklung bestätigen sollten, können wir weiterhin festhalten,
dass das deutsche Gesundheitssystem solide finanziert
ist. Das ist ein Stück Verlässlichkeit für die Patientinnen
und Patienten, für die Versicherten, die sich tagtäglich
auf das Gesundheitssystem verlassen, und auch für die
Beschäftigten, die tagtäglich im Gesundheitswesen ihre
Leistungen erbringen.
({8})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Lauterbach?
Gerne.
Meine Frage ist: Erinnern Sie sich denn nicht mehr,
dass die gesetzlichen Krankenversicherungen zu dem
Zeitpunkt, als Herr Rösler, Ihr Vorgänger, das Ministerium übernahm, einen Überschuss von 1,85 Milliarden
Euro hatten?
Ich erinnere mich gut, weil ich im Gegensatz zu anderen offensichtlich nicht an politischer Vergesslichkeit
leide. Wir wussten im Herbst 2009 die Zahlen für die
Jahre 2010 und 2011. Das war die Schätzung, die noch
unter SPD-Führung des Ministeriums vorbereitet wurde.
Wir haben erlebt, dass viele Krankenkassen verschuldet
waren und hohe Schulden hatten. Wir haben jetzt dafür
gesorgt, dass die Krankenkassen solide finanziert sind,
dass dieses Milliardendefizit bewältigt wurde. Hätten
wir nichts getan, lieber Kollege Lauterbach - Sie suggerieren, dass alles solide war -, und hätten wir alles einfach so belassen, wie es uns von Ihnen hinterlassen
wurde, hätten wir einen Kaskadeneffekt von Kasseninsolvenzen erlebt. Wir haben bei der City BKK in Berlin und Hamburg gerade gesehen, dass Krankenkassen
geschlossen wurden und die Versicherten sich nicht
mehr darauf verlassen konnten, von einer anderen Krankenkasse aufgenommen zu werden. Stellen Sie sich vor,
was passiert wäre, wenn das großen Krankenkassen wie
beispielsweise Allgemeinen Ortskrankenkassen passiert
wäre. Das hätte das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihr Gesundheitssystem erschüttert.
Ihr Finanzierungssystem wäre nicht in der Lage gewesen, dieses Milliardendefizit zu schultern. Wir hätten
massenweise Kasseninsolvenzen gehabt. Es brauchte
diese Koalition, um dieses Problem zu lösen. Wir haben
mit unseren Entscheidungen Verlässlichkeit für die Menschen in Deutschland geschaffen.
({0})
Sie haben das angesprochen, was wir gemacht haben.
- Mit dem Versorgungsstrukturgesetz greifen wir die Bedürfnisse der Menschen vor Ort auf. Sie wollen sich daBundesminister Daniel Bahr
rauf verlassen, dass es vor Ort noch eine Ärztin oder einen Arzt bzw. eine medizinische Versorgung gibt. Sie
wollen, dass der Landarzt nicht nur in einer idyllischen
Vorabendserie kommt, sondern dass man den Haus- und
Facharzt des Vertrauens vor Ort wählen kann. Dazu leisten wir mit unserem Versorgungsstrukturgesetz einen
wesentlichen Beitrag.
Wir wollen, dass die Ärzte von Tätigkeiten entlastet
werden, dass sie ärztliche Tätigkeiten auf andere übertragen können. Frau Kollegin Dörner, lesen Sie das Gesetz. In ihm steht nämlich, dass eine Liste delegationsfähiger Leistungen erstellt werden kann, damit sich der
Arzt auf den Patientenkontakt konzentrieren kann und er
von anderen Tätigkeiten entsprechend entlastet wird.
Wir setzen Anreize für neue Versorgungsformen, damit auch etwas ausprobiert und geschaut wird, wie die
Versorgung in Deutschland besser gemacht werden
kann. Wir tragen dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
auch im Gesundheitswesen gelebte Realität werden
kann. Die Strukturen im Krankenhaus wie in der niedergelassenen Ärzteschaft gehen noch von einem alten Familienbild aus, nach dem der Mann in der Regel 60 bis
70 Stunden arbeitet und die Frau sich um die Kinder
kümmert. Das ist nicht mehr das Gesellschaftsbild der
kommenden Medizinerinnen und Mediziner. Auch hier
schaffen wir im Rahmen des Versorgungsstrukturgesetzes wesentliche Veränderungen, um diesem neuen Bild
Rechnung tragen zu können.
({1})
Weiter leisten wir mit dem Versorgungsstrukturgesetz
einen Beitrag zu einer Kultur des Vertrauens im Gesundheitswesen. Nein, wir wollen nicht immer mehr Bürokratie. Wir wollen nicht immer mehr Kontrollen und immer mehr Regelung, sondern wir wollen vernünftige, mit
Augenmaß gewählte Verwaltungsvorschriften, damit die
Ärztinnen und Ärzte, die Arzthelferinnen und Arzthelfer, die Pflegerinnen und Pfleger sich darauf verlassen
können, dass Dokumentation Teil der täglichen Arbeit
ist, aber nicht zu einem Selbstzweck verkommt, und
damit sie nicht das Gefühl haben, dass damit qualitativ
hineinregiert wird.
Deswegen will ich ganz konkret sagen, lieber Herr
Lauterbach: Der Tod der Frühchen in Bremen erschreckt
uns alle. Das habe ich auch öffentlich kritisiert. Ich gehöre nicht zu den Politikern, die, wie manch andere, sofort vor die Kameras treten und gleich wissen, woran es
liegt. Es gibt keinen Mangel an gesetzlichen Regelungen. Vielmehr erwarten wir, dass man sich, wenn durch
diese Koalition beim Infektionsschutzgesetz Regelungen
getroffen werden, an diese Regelungen hält.
({2})
Das wird jetzt entsprechend geschehen.
Was den Bereich der Pflege angeht: Rot-Grün hat in
zwei Legislaturperioden bei der Pflege überhaupt nichts
vorangebracht. Wir leisten jetzt mit unserer Pflegereform einen wesentlichen Beitrag, machen Schritte in
die richtige Richtung. Erstmals wird Demenz bei der
Pflegebedürftigkeit berücksichtigt. Bisher orientiert sich
der Pflegebedürftigkeitsbegriff allein an den Verrichtungen. Wir tragen jetzt dem besonderen Betreuungsaufwand bei dementen Menschen Rechnung, indem wir
möglichst schnell den Menschen zusätzliche Leistungen
zur Verfügung stellen.
Wir wollen aber nicht nur etwas im Bereich der Demenz tun, sondern wir wollen auch etwas für die Angehörigen machen. Dabei geht es um Reha und Pflege, um
die Förderung neuer Wohnformen und um den Grundsatz „ambulant vor stationär“. All diese Leistungen sollten so schnell wie möglich - am besten schon im nächsten Jahr - in Kraft treten. Das wird aber zu beraten sein.
Ich erinnere Sie, was den Pflegebedürftigkeitsbegriff angeht, daran; denn Sie sagen, dass das alles viel schneller
gehen könne. Lesen Sie das aktuelle Interview einer ehemaligen Gesundheitsministerin, die nicht im Verdacht
steht, eine Freundin dieser christlich-liberalen Koalition
zu sein. Ulla Schmidt hat gesagt: Wer den Pflegebedürftigkeitsbegriff ändern will, braucht dafür einen Zeitraum
von drei bis vier Jahren. - Wir verzögern nicht, sondern
wir gehen das jetzt an, damit diese Verbesserungen möglichst schnell für die Menschen wirksam werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute abschließend über das Budget des
Gesundheitsministers. Das heißt, wir sprechen über
14,5 Milliarden Euro. Es wurde hier schon mehrmals gesagt: Allein 14 Milliarden Euro davon fließen in den
Gesundheitsfonds. Das bedeutet, dass wir das eigentlich
an die Krankenkassen durchreichen. Das ist natürlich
Grund genug, sich einmal damit zu beschäftigen, wie die
Steuergelder dort verwendet werden. Das hat sich auch
der Bundesrechnungshof gedacht und in der letzten Woche seine jährlichen Bemerkungen dazu abgegeben. Es
lohnt sich durchaus, einen Blick in das 300 Seiten umfassende Werk zu werfen. Es ist allerdings zum Teil erschreckend.
Bevor ich dazu komme, möchte ich etwas dazu sagen,
wie sich die Situation für den normalen Bürger darstellt.
Es gab mehrere Loblieder auf die derzeitige Gesundheitspolitik; begonnen hat damit der Kollege Singhammer. Ich
weiß nicht, vielleicht leben wir in unterschiedlichen
Ländern. Für den normalen Menschen in unserem Land
stellt sich die Situation so dar: Er zahlt Monat für Monat
seine Krankenkassenbeiträge, von seinen Steuergeldern
wird der Extrazuschuss zum Gesundheitsfonds gezahlt,
und seit 1993 hat er insgesamt zwölf Gesundheitsreformen erlebt. Diese Gesundheitsreformen bedeuteten für
ihn: Zuzahlungen für Medikamente, Kürzungen beim
Zahnersatz, Kürzungen beim Krankengeld, Kürzungen
beim Zuschuss für Brillengestelle, Streichung des Sterbegeldes, Streichung des Entbindungsgeldes, Einführung der Praxisgebühr und letztendlich Einführung von
Zusatzbeiträgen, also die Minikopfpauschale. So sieht es
für den normalen Menschen in unserem Land aus. Das
alles muss er unter der Überschrift „Reform“ ertragen.
Die Schlagworte „Kosteneffizienz“, „Wirtschaftlichkeitsgebot“ und „Wettbewerb stärken“ waren im Prinzip
die Losung, die zu einer Lösung führen sollten.
Im jetzt vorliegenden Bericht des Bundesrechnungshofes kann man allerdings auch die andere Seite sehen,
nämlich wie die Krankenkassen mit den Mitgliedsbeiträgen und den Milliarden an Steuergeldern umgehen. Es
wäre eigentlich anzunehmen, dass sie sparsam damit
umgehen, dass sie sich der Situation bewusst sind, aber
leider ist dem nicht so. Vielmehr kann man neben Unregelmäßigkeiten bei Krankenkassenfusionen, ungerechtfertigten und überhöhten Gehältern und Abfindungen für
Vorstände unter anderem auch die Überschrift lesen
- Herr Kollege Fricke hatte es angesprochen -: Millionenverluste bei Krankenkassen durch hohe Mieten und
nicht benötigte Büroflächen. - Krankenkassen haben
noch nicht errichtete Bürogebäude angemietet, und zwar
langfristig. „Langfristig“ heißt in diesem Fall über
20 Jahre, und zwar ohne Kündigungsoption. Angemietet
wurden diese Objekte zu Mietpreisen, die doppelt so
hoch waren wie die ortsüblichen Vergleichsmieten. Es
wurden 14 Euro pro Quadratmeter statt 7 Euro pro Quadratmeter gezahlt. Es wurden sogar Flächen angemietet,
die gar nicht benötigt wurden. Beispielsweise wurden
statt 8 000 Quadratmeter, die eigentlich nur benötigt
wurden, 19 000 Quadratmeter angemietet. Die wurden
dann untervermietet, natürlich zu den ortsüblichen Mieten, oder sie standen leer. Man hat also Verluste eingefahren. Allein bei diesen Vermietungsgeschäften sprechen wir über Verluste von insgesamt 14 Millionen
Euro.
Was hier beschrieben wird, ist nicht nur einfach ein
Versehen, sondern es ist schlicht Veruntreuung. Es ist
kriminell, was hier passiert ist.
({0})
Das ist ein Fall für den Staatsanwalt. Herr Kollege Fricke,
es tut mir leid: Man kann den Minister, ihren Parteifreund, doch nicht einfach so aus der Verantwortung lassen. Das Ministerium sieht in den vom Bundesrechnungshof aufgeführten Fällen keinen Handlungsbedarf,
sondern es heißt: So wie es passiert ist, ist es in Ordnung. Auf der anderen Seite ist es so, dass die Versicherten, die die Reformen erlebt haben und immer wieder
wegen Kostenexplosion auf Leistungen verzichten oder
mehr zahlen mussten, in den letzten Jahren nicht einmal
die ihnen zustehenden Leistungen bekommen.
Besonders geschmacklos ist es dann, wenn es um die
Kinder geht: Ich meine die Mutter-/Vater-Kind-Kuren;
das Thema dürfte bekannt sein. Obwohl es gesetzliche
Regelungen dazu gibt, verweigern die Krankenkassen in
vielen Fällen die Bewilligung. Der Bundesrechnungshof
spricht in diesem Fall sogar von „Willkür von Entscheidungen“. Allein durch diese Praxis der Willkür haben
die Krankenkassen in den letzten Jahren 11 Millionen
Euro eingespart. Noch einmal zum Vergleich: Auf der
einen Seite werden 14 Millionen Euro für dubiose Mietgeschäfte verpulvert, auf der anderen Seite werden
11 Millionen Euro für Mutter-/Vater-Kind-Kuren nicht
genehmigt. Das halte ich für einen Skandal.
({1})
Herr Minister, wenn Sie nicht in der Lage sind, diese
Probleme in Ihrem Zuständigkeitsbereich zu lösen,
möchte ich Sie zum Schluss noch auf eine Sache aufmerksam machen, die auch das Gesundheitssystem betrifft. Ihr Koalitionspartner hat vor einigen Wochen den
Mindestlohn entdeckt.
({2})
Durch die ganzen Reformen sind natürlich auch die
Krankenhäuser mehr und mehr gezwungen, ihre Kosten
zu senken, zum Beispiel indem sie Dienstleistungen ausgliedern. Das führt dazu - so viel zum Alltag; Sie haben
davon gesprochen -, dass insbesondere die Beschäftigten im Bereich Service zu Tiefstlöhnen arbeiten müssen.
Sie haben keine Tarifverträge, und die Politik hilft diesen Menschen nicht, indem sie einen Mindestlohn einführt. 400 Meter von hier entfernt streiken deshalb die
Beschäftigten der CFM an der Charité seit nunmehr
72 Tagen. Von hier aus die herzlichsten Grüße an die
Kollegen dort. Die Linke wünscht viel Durchhaltevermögen und Erfolg.
({3})
Kollege Leutert, achten Sie bitte auf die Zeit.
An Sie, Herr Minister, kann ich nur appellieren: Helfen Sie den Beschäftigen im Gesundheitssystem, indem
Sie sich als FDP-Minister in Ihrer Partei für den Mindestlohn einsetzen. Damit würden Sie den Beschäftigten
einen großen Dienst erweisen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Scharfenberg für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! 2011 ist das Jahr der Pflege, und Schwarz-Gelb ist
grandios gescheitert. Eine umfassende Reform der Pflegeversicherung wurde uns und im Übrigen auch allen
Pflegebedürftigen in Aussicht gestellt. Liefern wollten
Sie. Seit ein paar Tagen wissen wir: Ihre Lieferung ist
armselig.
Sie planen ein paar Leistungsverbesserungen, ja, aber
bitte Vorsicht; denn beschlossen ist ja noch nichts. Es ist
an sich richtig, dass Sie die Leistungsansprüche für demenziell Erkrankte kurzfristig verbessern wollen. Dass
diesbezüglich Bedarf besteht, ist keine Neuigkeit. Dennoch packen Sie die wirklichen Probleme erst gar nicht
an, zum Beispiel die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Es ist richtig: Das geht nicht kurzfristig; das wissen wir alle. Der Bericht liegt aber bereits seit zwei Jahren vor. Dieses Problem muss jetzt endlich einmal
angepackt werden. Ein anderes Beispiel: Eine nachhaltige und gerechte Finanzierung der Pflegeversicherung
wurde verpennt und vertagt auf die nächste Wahlperiode,
in der Sie - so hoffen es viele in diesem Haus und viele
draußen im Land - keine Verantwortung mehr tragen
werden.
({0})
Sie kleistern die Probleme zu. Dieses Ignorieren der
Lebensrealitäten und der Bedürfnisse der pflegebedürftigen Menschen wird die Versicherten noch teuer zu stehen kommen. Ich sage es einmal ganz deutlich: Mit kleinen Wahlgeschenken wollen Sie kaschieren, dass Sie
beim grundsätzlichen Reformbedarf der Pflegeversicherung nicht einen Schritt weitergekommen sind.
({1})
Sie geben mehr Geld für die Pflegeversicherung aus
- das ist im Grundsatz richtig und absolut notwendig -,
Sie machen sich aber keinerlei Gedanken darüber, wo in
Zukunft dieses Geld herkommen soll. Das ist kurzsichtig, und das ist verantwortungslos.
Der Bundesgesundheitsminister ist der Auffassung,
dass er - bei seinem Verständnis von einer nachhaltigen
Finanzierung ist das wohl so - sehr wohl die Lösung aller Probleme gefunden hat. Diese Lösung ist der sogenannte Pflege-Bahr. Pflege-Bahr heißt: Die freiwillige
private Vorsorge für die Pflege soll künftig ähnlich wie
bei der Riester-Rente steuerlich gefördert werden. Es ist
aber noch völlig unklar, wie das genau funktionieren
soll, und es ist auch noch völlig unklar, wie das bezahlt
werden soll. Ich frage mich aber - und viele andere
auch -, wie der Pflege-Bahr letztendlich dazu beitragen
soll, die Finanzierung der Pflegeversicherung auf eine
„nachhaltigere Grundlage“ zu stellen; so steht es in dem
Eckpunktepapier der Bundesregierung.
Das hat mit der systematischen Lösung der Finanzierungsprobleme der Pflegeversicherung nichts zu tun;
denn eine solche Lösung muss für alle Versicherten gelten.
({2})
Lieber Herr Minister Bahr, Ihren Pflege-Bahr werden
sich nicht alle Versicherten leisten können, sondern nur
diejenigen, die genug Geld dafür übrig haben. Geringverdienerinnen und Geringverdiener, um die es uns hier
in besonderer Weise gehen sollte, gucken in die Röhre;
denn ihnen fehlt das Bare für den Pflege-Bahr.
({3})
Der Pflege-Bahr gestaltet sich ähnlich wie eine Minibar,
die wir aus jedem Hotel kennen.
({4})
Auch in der Minibar ist kaum etwas drin. Das, was drin
ist, ist viel zu teuer, und nur gut Betuchte können sich an
dem Inhalt laben.
({5})
Mit dem Pflege-Bahr wird der privaten Versicherungsindustrie noch ein schönes Zusatzgeschäft zugeschanzt.
Meine Damen und Herren, wir brauchen keinen
Schnickschnack. Wir brauchen die Pflege-Bürgerversicherung. Wir haben vor kurzem ein Gutachten dazu vorgelegt. Dieses Gutachten zeigt ganz deutlich: Wenn alle
Bürgerinnen und Bürger in einer Versicherung zusammengefasst werden, dann ist das nicht nur gerechter,
sondern dann werden die Pflegekosten - die natürlich in
Zukunft steigen werden - abgemildert und solidarisch
geschultert.
({6})
Selbst bei einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff mit
der erforderlichen Leistungsausweitung plus einer Dynamisierung würde der Beitragssatz laut unserer Berechnung bis 2050 auf etwas über 3 Prozent ansteigen. Ich
denke, das ist wirklich zu schultern. Hier braucht uns
nicht angst und bange zu werden.
({7})
Nachhaltig, solide und vor allem gerecht - das schafft
der Pflege-Bahr, Herr Minister, nicht. Das geht nur mit
einer solidarischen Pflege-Bürgerversicherung.
Vielen Dank.
({8})
Der Kollege Alois Karl hat sich entschlossen, seinen
heutigen Geburtstag mit uns gemeinsam zu verbringen,
({0})
und hat nun das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke
mich zunächst für die freundliche Aufforderung, vor
dem Gang zu Ossi die Pflichten zu erfüllen. Wenn Sie
alle unserem Haushalt zustimmen, dann überlege ich
mir, Sie alle einzuladen.
({0})
Das ist natürlich ein Unterschied zu der Minibar, Frau
Scharfenberg, die Sie gerade angesprochen haben. Da
geht es dann schon zur Sache. Sie kommen ja auch aus
Bayern, zumindest aus Franken. Das ist ja schon ein halber Weg zur Besserung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Ende
der Haushaltsberatungen könnte man sagen: Ende gut,
alles gut.
({1})
So könnte man es überschreiben, wenn man der Meinung wäre, es hätte nach einem etwas holprigen Beginn,
nach Irrungen und Wirrungen zum Schluss ein einigermaßen gutes Ende gegeben. Das ist hier nicht der Fall;
denn bei uns ist es schon mit den Beratungen gut losgegangen. Wir haben unsere Grunddaten hervorragend eingearbeitet. Wir fügen uns in den Rahmen der Bemühungen um die Konsolidierung des Bundeshaushaltes ein
und leisten dazu unseren besten Beitrag.
Sie wissen, dass wir bis 2016 erreichen wollen, was
eigentlich bei jedem normalen Haushalt beabsichtigt
wird, nach 47 Jahren in Deutschland, einer Zeit der
Schuldenmacherei, wo der Bund in jedem Jahr mehr
Geld ausgegeben als eingenommen hat, zu einem Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben zu kommen. In
den wenigen Jahren bis 2016 - wir sind guten Mutes,
dass wir das schon 2015 schaffen - wollen wir dorthin
kommen. Dazu leistet auch der Haushalt des Bundesgesundheitsministers seinen Beitrag.
Meine Damen und Herren, es ist nicht selbstverständlich, dass wir heute davon ausgehen können. Schauen
wir einmal zwei Jahre zurück. Der damalige Finanzminister Steinbrück hat 2009 einen Haushaltsentwurf für
2010 mit 86 Milliarden Euro neuen Schulden vorgelegt.
Diese Regierung ist Gott sei Dank abgelöst worden.
({2})
Die christlich-liberale Regierung hat die Schulden im
Haushalt 2010 unter Ihrer Führung, liebe Frau Merkel,
im Haushaltsausschuss deutlich gesenkt. Wir haben im
letzten Jahr nicht 86 Milliarden Euro, sondern - man
muss sagen: nur - 44 Milliarden Euro neue Schulden
machen müssen. Wir meinen schon, dass das ein hervorragendes Ergebnis war.
({3})
Herr Schäuble hat sich mit uns gemeinsam auf diesen
beschwerlichen Weg der Haushaltskonsolidierung gemacht. Dieser positive Trend hält auch 2011 ganz unvermindert an. Noch vor Jahresfrist sind wir davon ausgegangen, dass wir in diesem Jahr 48 Milliarden Euro neue
Schulden machen müssen. Wir werden den Haushalt
aber mit einer Neuverschuldung von etwa 23 Milliarden
Euro abrechnen, also weniger als die Hälfte dessen, was
wir angenommen haben.
Meine Damen und Herren, das sind gute Ergebnisse.
Dies werden wir 2012 fortsetzen. Auch da werden wir
deutlich weniger neue Schulden aufnehmen, als es uns
die Schuldenobergrenze gebietet. Das ist ein großartiger
Ansporn für uns. Wir sind auf dem richtigen Weg zur
Solidität unseres Haushaltes und haben der unverantwortlichen Schuldenmacherei abgeschworen. Was passiert, wenn Staaten immer mehr Schulden aufnehmen,
sieht man in Europa. Wir sollten nicht mit dem Finger
auf andere zeigen; denn auch wir haben uns jahrzehntelang daran beteiligt. Ich muss sagen: Es ist ein Skandal,
dass wir immer noch jeden Tag 100 Millionen Euro für
Zinszahlungen aufbringen müssen. Dies ist unverantwortlich und unethisch gegenüber den nächsten Generationen. Wie gesagt, wir sind auf dem besten Weg und
werden 2016 - möglicherweise ein Jahr früher - einen
ausgeglichenen Haushalt vorlegen können.
Mit dem Gesundheitshaushalt leisten wir unseren
Beitrag dazu, allerdings nicht durch eine Reduzierung
der Qualität oder durch Minderung der Leistungen. Wir
geben 1,3 Milliarden Euro weniger aus, weil wir keine
Sonderbeiträge an den Gesundheitsfonds leisten müssen.
2010 mussten wir hierfür 3,9 Milliarden Euro aufwenden, in diesem Jahr sind es noch 2 Milliarden Euro, im
nächsten Jahr zahlen wir keinen Zuschuss mehr. Das gibt
uns Freiheiten, zu gestalten. Wir sparen, und wir gestalten - das ist für Haushälter eine durchaus komfortable
Situation.
Das hängt damit zusammen, dass wir in Deutschland
eine hohe Beschäftigungsrate haben, was übrigens einer
hervorragenden Sozialpolitik geschuldet ist. 41 Millionen Menschen sind in Arbeit,
({4})
sie zahlen Steuern und Sozialversicherungsabgaben.
({5})
Das alles beflügelt uns, den Haushalt in dieser Form vorzulegen. Meine Damen und Herren, wir haben 2 Millionen Arbeitslose weniger als zu Zeiten der rot-grünen Koalition; dies spart dem Staat 50 Milliarden Euro jährlich.
Da müssen Sie doch selber sagen: Jeglicher Gedanke an
einen ausgeglichenen Haushalt wäre reine Makulatur,
reine Utopie, wenn Sie noch an der Regierung wären.
({6})
Das ist in der Regierungszeit der christlich-liberalen Koalition erreicht worden. Lieber Herr Schurer - vielleicht
könnten Sie Ihr Telefonat kurz unterbrechen -, Sie haben
vorhin gesagt, dass sich die Regierung möglicherweise
ändert. Das ist für Sie natürlich ein Wunschtraum. Für
uns und für Deutschland insgesamt, Herr Schurer, wäre
das ein Albtraum. Etwas anderes kann ich dazu nicht sagen.
Wir erhöhen die Rücklagen im Gesundheitsfonds allein in diesem Jahr um 4,4 Milliarden Euro. Die Liquiditätsreserve und mögliche Ausgaben im sozialen Ausgleich sind bis 2015 gesichert. Wir sind besser gerüstet,
als wir es erwartet haben.
Der Gesundheitsmarkt ist groß. 4,7 Millionen Menschen arbeiten dort. Zusätzlich gibt es 1,2 Millionen
Menschen, die ehrenamtlich pflegen, insbesondere ihre
Angehörigen. Ihnen allen gilt unser ausdrücklicher
Dank. Sie leisten Großartiges.
({7})
600 000 Mitarbeiter sind in den letzten zehn Jahren dazugekommen. In den nächsten zehn Jahren werden weitere 600 000 Menschen in diesem Bereich Arbeit finden.
In diesem Umfeld sparen wir; wir haben aber auch
Möglichkeiten des Gestaltens. Im Haushalt sind mehr
Mittel für die Forschung vorgesehen, mehr Mittel für
Baumaßnahmen beim Paul-Ehrlich-Institut und für Investitionen beim Robert-Koch-Institut. Wir haben es geschafft, beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in diesem Jahr 60 bisher befristete Stellen in
unbefristete umzuwandeln. In diesem Institut wird - wie
auch im Ministerium selber, Herr Bundesminister, und in
allen anderen nachgeordneten Behörden - hervorragende
Arbeit geleistet. Es erwirtschaftet mehr als 80 Millionen
Euro Einnahmen, indem es neue Arzneimittel und Medizinprodukte auf den Markt bringt und deren Risiken
bzw. Risikofreiheit bewertet. Wir werden in den nächsten Jahren die Mitarbeiterzahl des Instituts erhöhen, da
dessen Einnahmen dauerhaft gewährleistet sind.
Ende gut, alles gut. In der Tat: Wir haben - Herr Kollege Schurer, Sie sind darauf eingegangen - die Haushaltstitel für Aufklärungsmaßnahmen auf dem Gebiet
des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs erhöhen können, ebenso wie die Mittel für Aufklärungsmaßnahmen
auf dem Gebiet von sexuell übertragbaren Krankheiten.
Wir haben auch den Mittelansatz für die Bundeszentrale
für gesundheitliche Aufklärung deutlich erhöht. Ich sage
ganz offen: Unser Blick - der des Kollegen Otto Fricke
und meiner - ist auch durch Ihre Beiträge durchaus geschärft worden. Wie Sie gesehen haben, ist uns keine
Perle aus der Krone gefallen. Wir haben die Ansätze in
der Tat erhöht; Frau Dörner hat das freundlicherweise erwähnt.
Meine Damen und Herren, wir legen einen Haushalt
vor, der Spielräume für Investitionen, für Forschung und
für Aufklärung bietet. Wir wünschen Ihnen, lieber Herr
Bundesgesundheitsminister, alles Gute und gute Arbeit.
({8})
Wir liefern, glaube ich, gute Ergebnisse ab. Wir brauchen zur Erfüllung unserer Aufgaben keine faulen Kredite und keine ungedeckten Wechsel. Wir liefern sofort,
und wir liefern bar.
({9})
Ich wünsche Ihnen einen guten Haushalt und ein gutes Jahr. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend, und ich
danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich möchte gerne
sehen, wie Sie abstimmen. Danach richtet sich mein Einladungsverhalten.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Bärbel Bas für die SPDFraktion.
({0})
Lieber Kollege Karl, auch von mir herzlichen Glückwunsch! Ich muss Ihnen trotzdem widersprechen;
({0})
es bleibt mir nichts anderes übrig. Das wird mir wahrscheinlich Ihre Einladung verhageln, aber damit werde
ich leben müssen.
Wenn man sich den Haushalt genau ansieht, stellt
man fest: Er ist Ausdruck von Ziel- und Planlosigkeit.
Erst lassen Sie sich von Ihrem eigenen Finanzminister
den Schneid abkaufen, dann kürzen Sie wahllos die Ansätze von Aufklärungstiteln,
({1})
und dann wollen Sie für Haushaltstitel, bei denen Sie
schon in den vergangenen beiden Jahren nicht mehr als
die Hälfte der Mittel ausgeschöpft haben, deutlich mehr
Geld ausgeben.
Sie wollen 15 Millionen Euro für die Forschungsförderung ausgeben. Dieses Jahr standen über 9 Millionen
Euro, die Sie nicht ganz ausgegeben haben, zur Verfügung. 2010 waren am Ende des Jahres noch Forschungsgelder in Höhe von 2 Millionen Euro im Topf. Es ehrt
Sie, wenn Sie hierfür mehr Geld ansetzen. Man kann sagen: Versorgungsforschung ist ein wichtiges Element.
Aber leider fehlt mir - Ihnen scheinbar auch - die Vorstellung davon: Was wollen Sie damit eigentlich machen? Was wollen Sie in der Versorgungsforschung fördern? Welche Projekte gibt es? - Dazu haben wir bis
heute nichts gehört.
Die Haushälterkollegen sind heute von allen Seiten
gelobt worden, weil die gröbsten Schnitzer bei Prävention und Kindergesundheit ausgemerzt worden sind. Das
war nicht die Idee der Fachpolitiker aufseiten der Koalition, sondern - das muss man deutlich sagen - diesen
Weitblick hatten die Haushälter. Den Dank der Fachpolitiker der Opposition dafür, dass man an der einen oder
anderen Stelle bei Prävention und Aufklärung etwas geradegezogen hat, gebe ich gerne zurück.
Leider muss man aber sagen, dass in diesen Bereichen
nach wie vor weiter gekürzt worden ist und die Gelder
für den Aktionsplan „Gesunde Ernährung und Bewegung“ ersatzlos gestrichen werden. Ich weiß: Das Projekt läuft aus. Aber auch hier sieht man von Ihrer Seite
keine Konzepte. Es wabert immer eine ominöse Präventionsstrategie durchs Haus. Aber niemand kennt sie, und
niemand weiß, wo Sie hinwollen.
({2})
Herr Singhammer, Ihre gesundheitspolitische Halbzeitbilanz kann sich nach meiner Meinung überhaupt
nicht sehen lassen. Es ist schlimm genug, dass Ihre einzige Entscheidung, die wirklich bei den Menschen angekommen ist, eine Beitragssatzerhöhung war. Wenn Sie
strukturelle Entscheidungen getroffen haben, dann waren es die falschen. Ich muss sie noch einmal in Erinnerung rufen.
Bei Einführung Ihrer Kopfpauschale haben wir Ihnen
noch vorgeworfen, dass Sie die GKV ruinieren wollen.
Nach dem AMNOG dachten wir noch, Sie seien im entscheidenden Moment vor der Pharmalobby eingeknickt.
Beim Infektionsschutzgesetz haben wir Ihnen noch Mutlosigkeit vorgeworfen. Das Ergebnis der Hängepartie im
sogenannten Jahr der Pflege hielten wir nur noch für ein
Förderprogramm im Sinne der Finanzdienstleistungsindustrie. Aber spätestens nach der desolaten Beratung des
Versorgungsstrukturgesetzes, nach den unzähligen Änderungsanträgen, die interessanterweise übrigens in vielen Fällen aus Ihrer eigenen Koalition kommen, und
nach einer für Sie desaströsen Anhörung, in der Sie von
allen Fachleuten zu hören bekommen haben, dass dieses
Gesetz vollkommen überfrachtet worden ist
({3})
mit Dingen, die Sie angeblich korrigieren wollen, muss
auch ich mich heute korrigieren: Sie verfolgen überhaupt
kein Ziel und keinen Plan. Sie haben überhaupt keinen
Plan. Wenn Herr Spahn von einer großen christlich-liberalen Idee redet, muss ich Ihnen sagen: Ich weiß nicht,
wo sie sein soll. Vielleicht haben Sie sie entdecken können, ich persönlich nicht.
Was wir in den letzten beiden Jahren in der Gesundheitspolitik erlebt haben, war das Vor-sich-hin-Wurschteln einer Koalition ohne Ziel, ohne gemeinsamen Nenner und ohne Kompass.
({4})
Für die kranken- und pflegeversicherten Menschen und
für die Leistungserbringer im System waren die vergangenen beiden Jahre eine Zumutung. Sie waren Gäste einer politischen Achterbahnfahrt dieser Koalition. Zu keinem Zeitpunkt war zu erkennen, wo die Reise überhaupt
hingehen soll. Ständig wurden Geschwindigkeit und
Richtung geändert. Das nenne ich nicht gelungene Operation, sondern überflüssige Operation.
Vielleicht muss man einmal ein Beispiel nennen, an
dem man das deutlich sieht. Die Finanzierung der GKV
- für die Sie sich hier in den Haushaltsberatungen schon
den ganzen Tag selbst Lob aussprechen - steht laut den
Experten auf tönernen Füßen. Sie selbst sagen, es brauche mehr Eigenbeteiligung und Eigenverantwortung.
Deshalb haben Sie auch den Zusatzbeitrag aufgebohrt
und Ihre kleine Kopfpauschale geschaffen - natürlich
mit einem steuerfinanzierten Sozialausgleich. Dann aber
haben Sie Angst vor der eigenen Courage bekommen
und die Beiträge ordentlich erhöht, mit dem Ergebnis,
dass trotzdem 10 Millionen Menschen Zusatzbeiträge
zahlen müssen, aber kein Sozialausgleich gezahlt wird.
Das ist aus meiner Sicht eine verfehlte Politik, eine Politik ohne Sinn und Verstand und Plan.
Noch ein Beispiel, weil Sie auch Ihr GKV-Versorgungsstrukturgesetz so gelobt haben: Die Versorgung und
die Finanzierung werden zu starr geplant und organisiert;
an dieser Stelle sind wir uns einig. Leistungen und Geld
müssen dem Bedarf folgen; auch das ist richtig. Morbiditätsorientiert sollten sie sein: die Vergütung der Ärzte, die
Versorgungsstruktur und der Finanzausgleich der Krankenkassen. Dafür braucht es mehr Qualität bei der Erhebung der Morbidität und auch belastbarere Daten. Gerade
die aber wollen Sie den Krankenkassen und KVen nicht
geben, weil Sie die Kodierrichtlinien wieder außer Kraft
setzen. Sie müssen mir einmal erklären, wie Sie es bei
diesem Blindflug hinsichtlich der Daten, ohne ordentliche Kodierrichtlinien organisieren wollen, dass das Geld
entsprechend der Morbidität dorthin verteilt wird, wo es
hingehört.
({5})
Weder das Zustandekommen noch die Ergebnisse genügen Ihren eigenen Ansprüchen, die Sie sich selbst zu
Beginn der Legislaturperiode gesetzt haben. Der Kollege
Karl - ich weiß, er hat heute Geburtstag - hat beim letzten Mal gesagt, er habe das Ende meiner Rede herbeigesehnt. Ich kann Ihnen versichern: Ich sehne mir das Ende
Ihres gesundheitspolitischen Blindfluges herbei.
({6})
Das Wort hat der Kollege Willi Zylajew für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Weiterentwicklung der Pflege und der Pflegeversicherung ist ein stetiger Prozess, und diesen Prozess werden
wir auch im kommenden Haushaltsjahr fortsetzen. Wir
haben zu respektieren, dass uns die demografische Entwicklung und die Veränderung der Anforderungsstrukturen einiges abverlangen, für das wir Zeit brauchen und
das wohlbedacht erledigt werden muss.
Uns ist es wichtig, dass wir pflegende Angehörige unterstützen. Dazu haben wir in diesem Jahr schon einiges
auf den Weg gebracht. Ich denke hier an die Familienpflegezeit. Das ist ein kleines Segment, das nach unserer
Einschätzung in der Palette der Hilfsangebote aber schon
eine deutliche Verbesserung darstellt.
Wir haben den Entwurf des Versorgungsgesetzes in
den nächsten Tagen zu beraten und zu konkretisieren.
({0})
Ein Beispiel sind Angebote zur aufsuchenden Hilfe
durch Zahnärzte. Wir werden dort finanziell eine weitere
Förderung vornehmen, um zu ermöglichen, dass Menschen, die ambulant oder stationär pflegerisch versorgt
werden, auch Behinderte, Hilfe erhalten. Insbesondere
unsere Kollegin Maag hat sich für diesen Bereich sehr
starkgemacht. Ich denke, von dieser aufsuchenden Hilfe
profitieren pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen.
({1})
Es sind nicht nur finanzielle Dinge, mit denen wir uns
bei der Pflege beschäftigen. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Befassung mit diesem Thema. Pflegepolitik bezieht sich nicht nur auf das Sozialgesetzbuch XI.
Ganz wesentlich sind die Fragen: Wie finden wir vernünftige Fachkräfte? Wie können wir die jungen Menschen, die Interesse haben, ausbilden? - Wir müssen uns
mit der Frage auseinandersetzen, wie stationär und ambulant miteinander verzahnt werden, indem klargemacht
wird, dass stationäre Pflege genutzt werden kann, aber
ambulante Versorgung Vorrang besitzt. Auch Angebote
für Rehamaßnahmen sind notwendig. Wir werden mit
den geringen finanziellen Mitteln, die wir zur Verfügung
haben, aber auch mit vernünftigen Ideen Rehamaßnahmen für Angehörige und für Pflegebedürftige fördern.
Wir werden - auch das ist uns ein Anliegen - Pflegeleistungen auf dem Rentenkonto der bzw. des Pflegenden
stärker berücksichtigen. Da werden Sie Interessantes beobachten können. Ich denke auch an das Initiativprogramm zur Unterstützung älterer Menschen in ihrem
Wohnumfeld. Wir werden unser Augenmerk auf den
MDK, auf eine fristgerechte Begutachtung und auf
schnelle Bescheide legen. Diese Punkte sind uns wichtig.
Es wird Hilfen und bessere Leistungen für Demenzkranke geben. Schon bei der Pflegestufe 0 werden Demenzkranke Berücksichtigung finden. Das ist eine ganz
entscheidende Herausforderung. Am Ende werden wir
gemeinsam mit dem Gesundheitsminister und den Kolleginnen und Kollegen der Koalition zu guten Ergebnissen
kommen.
Wir laden alle redlichen Kräfte bei den Leistungserbringern, den Krankenkassen und den Sozialverbänden
ein, mit uns in diese Beratung einzutreten. Wir haben einen finanziellen Rahmen verabredet. Diesen finanziellen
Rahmen werden wir nutzen. Aber auch über diese Finanzmittel hinaus haben wir die Chance, eine Verbesserung der Situation zu erreichen. Wir gehen dies an und
laden auch Sie von der Opposition herzlich zur Mitarbeit
ein.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Karin Maag für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am Ende der Einzelplan-15-Debatte will ich noch einmal
zusammenfassen - Kollege Karl hat es bereits zitiert -:
Die Haushaltskonsolidierung funktioniert. Die Nettokreditaufnahme für den Gesamthaushalt liegt mit 26 Milliarden Euro sogar unter dem Regierungsentwurf, und zwar
um 1,1 Milliarden Euro. Damit erfüllen wir die Anforderungen der Schuldenbremse bereits heute uneingeschränkt.
({0})
- Liebe Frau Kollegin, zum Gender wollte ich eigentlich
nichts sagen, aber wenn Sie Bedenken haben, komme
ich gerne darauf zu sprechen.
({1})
Ich bin mir sicher, dass wir mit dem, was wir vorgelegt
haben, besser sind, als Sie sich jemals erträumt haben.
Der Haushalt 2012 zeigt vor allem klar und deutlich,
dass die Koalition in der Wirtschafts- und Finanzkrise
die richtigen Entscheidungen getroffen hat und dass
Deutschland, wie versprochen, gestärkt aus der Krise herausgekommen ist.
({2})
Jetzt sind wir beim Einzelplan 15. Wir sind mit der
Führung des BMG sehr einverstanden. Die gesetzlichen
Krankenkassen sind, natürlich als Folge des Ansteigens
der GKV-pflichtigen Lohnsummen und auch der Beiträge, aber vor allem durch eine richtige Gesundheitspolitik, endlich solide finanziert. Das heißt, es sind für
den Gesundheitsfonds kein Sonderzuschuss und deutlich
weniger Steuerzuschüsse notwendig.
Frau Bas, wir haben es zum Wohl der Patienten geschafft, dass erstmals mit den Beteiligten im System entspannt diskutiert wird, dass sich alle Beteiligten im System endlich wieder ernst genommen fühlen und dass
Patienten nicht wegen Ärztestreiks vor geschlossenen
Praxen stehen, wie es zu Zeiten von Ulla Schmidt der
Fall war, sondern dass sie ärztlich behandelt werden. Wir
sind dafür auch an die Strukturen gegangen. Wir haben
Effizienzreserven gehoben und damit eine plumpe Kostendämpfung vermieden.
({3})
Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz haben wir für stabile Finanzen gesorgt. Mit dem AMNOG haben wir das
Preismonopol der Pharmaindustrie gebrochen und den
Kassen zu Einsparungen im Milliardenbereich verholfen.
({4})
Mit dem anstehenden Versorgungsstrukturgesetz sichern wir dauerhaft die gute und ausreichende medizinische Versorgung in Deutschland. Diese dauerhafte Versorgung der Menschen ist - wir haben es gehört - auch
bei der Pflegereform das oberste Ziel. Wir legen dort den
gesetzgeberischen Grundstock, wo Rot-Grün zwei Legislaturperioden lang gescheitert ist.
({5})
Schließlich wird es ein Patientenrechtegesetz geben.
({6})
- Als Fachpolitikerin hätten Sie einfach im Ausschuss
zuhören müssen. Das ist mir jetzt zu doof.
({7})
Wir werden mit dem Patientenrechtegesetz den Patienten zur Partnerschaft auf Augenhöhe im System verhelfen. Das ist wichtig und gut, und es ist mehr, als Sie
jemals geschafft haben.
Aber vor allem investieren wir mit diesem Haushalt
gezielt in die uns wichtigen Zukunftsfelder. Wir haben in
den Beratungen den verfügbaren Etat des BMG nochmals um 2,6 Millionen Euro netto erhöhen können. Der
Dank geht an die Haushälter. Frau Bas, Sie müssen nicht
erstaunt sein. Wir haben uns als Fachpolitiker selbstverständlich für das Notwendige eingesetzt.
Wir lassen deswegen insgesamt vor allem auch beim
Thema HIV/Aids nicht nach. Für die Bekämpfung sexuell übertragbarer Krankheiten stehen im Jahr 2012 nach
den Haushaltsberatungen rund 350 000 Euro mehr und
damit 12,35 Millionen Euro insgesamt zur Verfügung.
Wie schon im letzten Jahr gehen rund 1,6 Millionen
Euro in die Aidsforschung.
Wir stehen auch weiterhin für eine sinnvolle Drogenund Suchtpolitik. Wir stellen den Menschen mit seinen
spezifischen, meist suchtstoffübergreifenden Problemen
in den Mittelpunkt. Unser christliches Menschenbild
geht vor allem von einem freien, unabhängigen Menschen aus. Wer abhängig ist, kann nicht frei über sein
Leben entscheiden. Folgerichtig haben wir zum einen
den Etat der Drogenbeauftragten angehoben und zum
anderen in den Haushaltsberatungen die Mittel für die
Aufklärungsmaßnahmen auf insgesamt 7,25 Millionen
Euro erhöht.
Ich fasse zusammen: Das sind die richtigen Ansätze
sowohl für den Gesamthaushalt als auch für den Einzelplan 15. Wir bleiben auch im nächsten Jahr dabei.
Ich danke Ihnen.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15, Bundesministerium für Gesundheit, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen drei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wir beginnen mit dem Änderungsantrag auf Drucksache 17/7779. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und
der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
({0})
- Gut. Ich korrigiere mich: Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat dagegen gestimmt. Dann habe ich
das Abstimmungsverhalten nicht eindeutig wahrgenommen.
({1})
Änderungsantrag auf Drucksache 17/7780. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/7781. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Unionsfraktion, der FDP-Fraktion, der SPD-Fraktion
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir kommen nun zu der Abstimmung über den Einzel-
plan 15 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzel-
plan ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.7 auf:
a) Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
- Drucksachen 17/7107, 17/7123 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Funk
Stephan Thomae
Manuel Sarrazin
b) Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 17/7124 Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Funk
Dr. Stefan Ruppert
Manuel Sarrazin
Zu dem Einzelplan 07 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Ewald Schurer für die SPD-Fraktion.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Zunächst einmal auch hier beim Einzelplan 07 der Dank
als Hauptberichterstatter an das Bundesministerium, an
die Frau Ministerin, Dank an die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, an die Leitungsebene für sehr gute und informative Beratungsgrundlagen, die umfassend und
rechtzeitig gegeben wurden. Auch bei Rückfragen erhielten wir stets sehr schnelle und ausführliche Antworten. Dies war eine sehr gute Behandlung der Haushälter.
Dank auch an die Kolleginnen und Kollegen der anderen
Fraktionen, an die Mitberichterstatter zum Einzelplan 07.
Die Bereinigungssitzung vom 10. November 2011,
also von vorletzter Woche, brachte das Ergebnis, dass
wir in diesem Haushalt Einnahmen von insgesamt immerhin 441,5 Millionen Euro haben, ein Novum, wenn
man die bisherigen Haushaltsansätze betrachtet. Das entspricht einer Deckung von 80 Prozent für die insgesamt
knapp 508 Millionen Euro Ausgaben, die dem aktuellen
Entwurf des Einzelplans Justiz für das Jahr 2012 zugrunde liegen. Allein 68 Prozent werden durch das Deutsche Patent- und Markenamt mit 303 Millionen Euro erbracht. Das ist die Behörde, die als Kompetenzzentrum
auf dem Gebiet der gewerblichen Schutzrechte bekannt
ist und die auch mit 50 Stellen einen moderaten Stellenaufbau bekommt. Dieser wird sich gegenfinanzieren,
weil es einen Bearbeitungsstau bei neu angemeldeten
Patenten und Schutzrechten gibt. Das rechnet sich also
und ist ökonomisch vertretbar. Damit können gewerbliche Schutzrechte schneller erteilt werden.
Politisch wichtig ist mir, Frau Ministerin und werte
Kolleginnen und Kollegen, ein Vorgang aus dem Haushalt 2011. Damals wurden nämlich für die MagnusHirschfeld-Stiftung 10 Millionen Euro ausgebracht. Das
halte ich für erwähnenswert. Jetzt endlich, im Jahr 2011,
sind wir so weit, dass die Verbrechen Nazi-Deutschlands
gegenüber Menschen mit homosexueller Disposition
aufgearbeitet und dokumentiert werden können. Dies
zeigt im Übrigen auch, wie schwer wir uns in der
Rechtsgeschichte der deutschen Demokratie über Jahrzehnte getan haben, mit den Verbrechen in NaziDeutschland umzugehen. Erst im Jahr 2011 kommen wir
dazu, dieser Stiftung zu ermöglichen, ihre Arbeit aufzunehmen. Sie haben, glaube ich, erst letzte Woche den
Vorstand für die Stiftung bestellt. Das ist politisch von
größter Bedeutung. Der Vorgang zeigt, wie schwer sich
das Nachkriegsdeutschland über Jahrzehnte mit diesen
grausamen Verbrechen von 13 Jahren Hitler-Deutschland getan hat. Das ist für mich auch deswegen wichtig,
weil wir wissen, dass die aktuellen Vorgänge, die in den
letzten Wochen ans Tageslicht kamen, damit etwas zu
tun haben.
Die neue politische Rechte - ich meine damit die
Rechtsradikalen -, die in den letzten Jahren mit terroristischer Gewalt vorgegangen ist, beschäftigt uns auch
deswegen, weil es im Einzelplan 07 im Kapitel 07 08
den Titel 681 01, Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe, gibt. Ich sage mit einem kritischen Unterton dazu, dass diese Härteleistungen 2010 auf Betreiben der Union gegen die Meinung von Sozialdemokraten und Grünen in einem Titel zusammengefasst worden sind, was ich politisch für grundfalsch gehalten
habe. Der Titel ist zwar insgesamt erst einmal erhöht,
aber dann wieder abgesenkt worden.
Ich höre heute die Nachricht, Frau Ministerin, dass
der Titel von 500 000 Euro im Ansatz 2012 mit Verstärkungsmitteln des BMF auf 1 Million Euro hochgefahren
werden soll. Das finde ich löblich. Aber das Zusammenfassen dieser Härteleistungen in einem Titel war nach
meiner Meinung politisch, auch ordnungspolitisch falsch.
({0})
Warum war das falsch? Ich muss dazu sagen, Frau
Ministerin, bei aller Wertschätzung: Ich fand Ihre heutigen Ausführungen zu der gegenwärtigen Diskussion
über die Gewalt im Land nicht akzentuiert genug.
({1})
Ich habe nicht verstanden, wieso Sie die schreckliche
Domäne des Rechtsradikalismus und der extremistischen Gewalt heute nicht mehr und prononcierter herausgestellt haben.
In der Tat gibt es auch andere Formen, nämlich linksradikale Gewalt. Es gibt natürlich auch islamistische Gewalt im Land, die an keiner Stelle und von keiner Fraktion kleingeredet wird. Aber dass die öffentliche
Diskussion und auch das Geschehen extremistischer Gewalt im letzten Jahrzehnt durch eine grausame Art und
Weise von der rechtsradikalen Dimension beherrscht
wird, kann, bei Licht besehen, auch in dieser Diskussion
nicht geleugnet werden.
Deswegen setze ich mich dafür ein - auch beim Haushalt 2013; ich denke, auch mit Unterstützung manch anderer Fraktionen und ganz ohne Ideologie -, die Entschädigungsleistungen für die Opfer von rechtsradikaler
Gewalt wieder in einem eigenen Titel aufzuführen. Das
hat politisch mehr als nur einen Symbolcharakter.
({2})
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass dieser Titel für Opferleistungen bisher einen
sehr schlechten Abfluss hat. Frau Ministerin, Sie werden
heute in der Frankfurter Rundschau unter anderem zitiert, dass es im letzten Jahr nur 96 Anträge dazu gab.
Weiterhin werden Sie zitiert, dass Sie jetzt daran denken,
diesen Titel für Entschädigungsleistungen für diejenigen
Menschen zu nutzen, die durch die Ermittlungen bekannt geworden und Opfer sind.
Ich muss Ihnen Folgendes zugutehalten: Das Ministerium hat versucht, auch mit den Opferverbänden eine
gute Kommunikation aufzubauen. Aber dass eine Vielzahl von Gewaltübergriffen aus dem rechtsextremistischen Lager gegen Menschen - nicht nur in Ostdeutschland, sondern in ganz Deutschland, auch bei mir in
München und sonst wo - bekannt ist und dass wir trotzdem nicht in der Lage waren, entsprechende Leistungen
für Opfer auszureichen, macht mich in vielerlei Hinsicht
nachdenklich. Da ist irgendwo in der Kommunikation
noch nicht das nötige Maß an Offenheit vorhanden.
Ich sage auch dazu - das ist für mich der entscheidende Punkt -: Wir brauchen uns hier nicht gegenseitig
zu überzeugen, dass Gewalt in jeder Form mit Präventionsmaßnahmen bekämpft werden muss. Aber wir brauchen für die jetzige Situation einen gesamtgesellschaftlichen Konsens über alle Fraktionsgrenzen hinweg. Auf
die einzigartige Herausforderung des Lächerlichmachens des Rechtsstaates, gerade aus rechtsradikalen
Kreisen, nach dem Motto: „Mit eurer Toleranz gehen wir
so um, wie wir damit umgehen wollen, nämlich indem
wir mit Verbrechen auf diesen Rechtsstaat antworten und
indem wir Menschen konspirativ und aus der Tiefe des
Raums gezielt töten“, kann man - das muss man als Haushälter hier einmal gesellschaftspolitisch intonieren - nur
mit einem Höchstmaß an Entschlossenheit antworten.
Die Szene, die ich meine, nimmt sehr wohl äußerst
sensibel zur Kenntnis, wie weit wir in der Lage sind, mit
einem Minimalkonsens zu sagen: Da kann nur noch ein
hohes Maß an Konsequenz und entsprechender Durchschlagskraft des Rechtsstaates helfen. Das muss politisch von der Bundesregierung als Erstes intoniert werden. Frau Ministerin, die Dominanz rechtsradikaler
Gewalt muss öffentlich geächtet werden. Wir müssen
darüber nachdenken - vom NPD-Verbot bis hin zu anderen geeigneten Maßnahmen -, wie wir künftig der Verhöhnung der Opfer - denken wir an die Aufmachung im
Internet - wie auch der Gewalt gegen Menschen wirksam begegnen können, und zwar nicht irgendwann, sondern sofort. Das muss demokratischer Konsens sein.
Auch der Herr Innenminister hat hier eine große Verantwortung.
({3})
Zum Schluss möchte ich sagen: Wichtig ist mir eine
Bildungsoffensive. Es ist sicherlich wichtig, dass es Polizeieinheiten gibt, die wirksam öffentliche Räume wieder
angstfrei machen, sodass sich die Menschen bewegen
können. Aber noch wichtiger ist - ganz zum Schluss eine Bildungsoffensive über alle Ländergrenzen hinweg,
die die grausame Dimension des sogenannten Dritten
Reiches klarmacht und die grausame Ableitung der heutigen rechtsradikalen Szene aufzeigt. Nur mit offenen
Maßnahmen der Bildung werden wir schon im Vorfeld
pädagogisch in der Lage sein, die Menschen zu erreichen
- laut Sozialforschung beträgt ihr Anteil bundesweit fast
15 Prozent -, die rechtsradikale Anwandlungen zumindest teilweise für hoffähig halten oder rassistischen Strukturen geistig etwas nähertreten. Wir alle haben die große
Aufgabe, diesem Teil der Gesellschaft eine entschlossene
Haltung entgegenzusetzen. Dazu sollte auch der Einzelplan 07 beitragen.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich weiß, ich wiederhole mich. Ich sage es trotzdem
noch einmal: Die Ankündigung des Schlusses der Rede
ersetzt nicht den Schluss der Rede. Wir werden jetzt gemäß unserer Verabredung die Redezeiten der Fraktionen
entsprechend berücksichtigen.
Das Wort hat der Kollege Stephan Thomae für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich dem Dank
des Kollegen Schurer an das Haus, an seine Leitung, an
seine Mitarbeiter und an die Kollegen Mitberichterstatter
für die kollegiale Zusammenarbeit anschließen, die mir
stets eine Freude gewesen ist.
Wir setzen im Haushalt des BMJ einen gewissen Akzent auf dem Feld der internationalen Zusammenarbeit.
Damit wollen wir als Deutsche eine noch aktivere Rolle
bei internationalen Konferenzen und der internationalen
Zusammenarbeit im Rechts- und Justizbereich spielen.
Immer mehr Rechtsfragen sind international geprägt,
zum Beispiel bei der Rechtsdurchsetzung und des Internetrechts, aber auch bei der Kapitalmarktregulierung.
Viele rechtliche Inhalte sind internationaler Prägung.
Deswegen wollen wir hier einen kleinen Akzent setzen.
Aber auch im Inland haben wir immer mehr Berührung
mit fremden Rechtsordnungen, sei es im Bereich des Gesellschaftsrechts oder seien es Rechtsvorstellungen von
Angehörigen fremder Kulturen in Deutschland, die in ihrem heimatlichen Rechtskreis etwa die Scharia oder
fremdes Zivil- und Strafrecht anwenden.
Wir wollen vor diesem Hintergrund die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit etwas
besser ausstatten. Der ursprüngliche Auftrag dieser Stiftung war, nach dem Zusammenbruch vieler mittel- und
osteuropäischer Staaten dort rechtsberatend tätig zu werden, Anfragen zu beantworten und ein Netzwerk mit
Bewegungen aufzubauen, die demokratisch und rechtsstaatlich orientiert sind. Heute stellen sich für diese Stiftung neue Herausforderungen im Zusammenhang mit
den Entwicklungen in Nordafrika, wo leider in vielen
Ländern Islamisten auf dem Vormarsch sind. Unser Anspruch bzw. unser Ehrgeiz sollte es sein, dort präsent zu
sein, rechtsstaatliche und demokratische Bewegungen zu
unterstützen und zu fördern und dort ein Netzwerk aufzubauen, ohne mit erhobenem Zeigefinger zu belehren.
({0})
In den mittel- und osteuropäischen Staaten gibt es aber
nicht nur Fortschritte in puncto Rechtsstaatlichkeit, sodass die Berechtigung dieser Stiftung auch dort noch besteht.
Erlauben Sie mir, Herr Kollege Schurer, den von Ihnen
angesprochenen Fonds für die Opfer extremistischer
Übergriffe aufzugreifen. Sie halten es für einen Fehler,
die bisherige Unterscheidung zwischen links- und rechtsextremen Übergriffen aufzugeben. Ich bin der Meinung,
dass Übergriffe für die Opfer immer gleich schlimm sind,
egal von wem sie ausgehen. Deshalb sollten wir im BeStephan Thomae
reich des justiziellen Ausgleichs eine solche Unterscheidung nicht treffen. Ich erkenne kein Bedürfnis dafür.
({1})
Es ist völlig in Ordnung, dass wir zum Punkt Entschädigung sagen: Wir wollen diese Mittel bereitstellen. Wir
hatten zunächst vor, den Ansatz abzusenken, einfach deswegen, weil in den zurückliegenden Jahren wenig Mittel
abgeflossen sind. 2010 waren es 8 000 Euro. 2011 sind,
soweit ich sehe, bislang noch keine Mittel abgeflossen.
Unter dem Eindruck der Erkenntnisse der letzten Tage
und Wochen werden wir mit dem Änderungsantrag, der
Ihnen vorliegt, den Ansatz wieder auf 1 Million Euro,
also wie im laufenden Haushalt 2011, erhöhen. Wir meinen, dass diese Anhebung angemessen ist und ausreichend sein wird.
Ich möchte noch ein paar Worte zum Thema Sicherheitsarchitektur sagen. Auch das gehört in diesen Bereich. Wir ertüchtigen das Ministerium, weitere Aufgaben zu erfüllen, weil wir der Meinung sind, dass es
Aufgabe des Justizministeriums ist, die Demokratie und
den Rechtsstaat mit geeigneten und wirksamen rechtsstaatlichen Mitteln zu verteidigen. Zu klären, welche
Mittel geeignet und notwendig und möglich sind, das ist
gerade vor dem Hintergrund der Debatte des heutigen
Vormittags eine Aufgabe. Deswegen wollen wir das
Ministerium in diesem Bereich etwas stärken.
Ich möchte mich noch einmal bei Ihnen allen für die
Mitarbeit bedanken. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Jens Petermann für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die
heutige Debatte über die Haushalte des Bundesjustizministeriums und des Bundesverfassungsgerichts für
2012 führen wir denknotwendig im Lichte einer Bilanz
nach zwei Jahren schwarz-gelber Rechtspolitik. Da sehen wir leider nicht viel Glanz, dafür umso mehr Schatten.
Es fällt auf, dass Bundesregierung und Bundesjustizministerium immer wieder Gesetze auf den Weg bringen, die zur Überprüfung beim Bundesverfassungsgericht landen und dort allzu häufig kassiert werden
müssen. Das Bundesverfassungsgericht muss also immer wieder aufs Neue die Suppe auslöffeln, die ihm eine
an Privatinteressen oder konservativen Ideologien orientierte Lobbypolitik einbrockt.
Es agiert dabei übrigens ausgesprochen unaufgeregt
und erstaunlicherweise ohne sich über zu wenig Personal
oder Ausstattung zu beklagen. Stattdessen scheint es den
Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichtern zunehmend Freude zu bereiten, der Politik, insbesondere dem
Deutschen Bundestag, eklatante Versäumnisse bei Gesetzgebungsverfahren und mangelnde Verfassungstreue
ins Stammbuch zu schreiben.
({0})
Mittlerweile ist es Usus, dass in Normenkontrollverfahren die Parlamentarier zu den Terminen nach Karlsruhe
eingeladen werden, um sich die Hinweise der Richterinnen und Richter anzuhören. Das sollte uns allen zu denken geben, natürlich besonders den Regierungsfraktionen.
({1})
Mit einem Etat von 29,95 Millionen Euro - das entspricht 0,000098 Prozent des Gesamtetats von 306 Milliarden Euro - muss am Bundesverfassungsgericht ein
jährliches Aufkommen von 6 500 Verfahren durch die
16 Richterinnen und Richter bewältigt werden. Langwierige Prozesse sind da leider an der Tagesordnung.
Dieser Umstand führte übrigens in der Vergangenheit
schon öfter zu Verurteilungen wegen überlanger Verfahrensdauer vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und für die Betroffenen zu Entschädigungszahlungen.
Da ist normalerweise der Ruf nach mehr Personal und
einem dritten Senat unvermeidlich. Das Bundesverfassungsgericht hat sich aber für eine andere Strategie entschieden: Es bestellt die Politikerinnen und Politiker zu
den Verhandlungen ein, um sie an ihre Verantwortung
für die Verabschiedung verfassungsgemäßer Gesetze in
einem transparenten Verfahren zu erinnern; ein aktuelles
Beispiel ist das Verfahren zum Euro-Rettungsschirm. In
Person des Präsidenten Voßkuhle schlägt es vor, eine sogenannte Querulantengebühr zu erheben, um die Bürgerinnen und Bürger von mutmaßlich aussichtslosen Anträgen abzuhalten. Den Abgeordneten ein paar Hinweise
zu ihrer Arbeitsweise zu geben, halten wir durchaus für
legitim; die Erhebung einer Eintrittsgebühr indes lehnen
wir als unsozial und unter Gerechtigkeitsaspekten als
fragwürdig ab.
({2})
Wir sind da übrigens einer Meinung mit der Frau Ministerin.
Falls die Koalition aber weiterhin an ihrer verfassungswidrigen Gesetzgebung festhält, zeichnet sich eine Kraftprobe zwischen der Regierungskoalition und dem Bundesverfassungsgericht ab. Wer dann am längeren Hebel
sitzt, wird sich zeigen. Die Linke wird jedenfalls nicht
nachlassen, diese Missstände zu kritisieren und qualifizierte Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren zu unterbreiten.
({3})
Der immer wieder zu hörende Ruf nach einer Verschlankung der Justiz indes ist fatal. Eine schlanke Justiz
bietet nämlich keine Gewähr für eine gute Justiz; das
Gegenteil ist der Fall. Nur wenn die Gerichte ordentlich
ausgestattet sind und das Personal seiner Verantwortung
entsprechend entlohnt wird, kann die Justiz ihrer grundgesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung von Rechtsschutz auf Dauer gerecht werden. Die bundesrechtlichen
Rahmenbedingungen dafür müssen dringend verbessert
werden.
({4})
Die rechtsprechende Gewalt und gerade das Bundesverfassungsgericht haben im Rahmen der Gewaltenteilung eine zentrale Bedeutung. Umso wichtiger ist die
wirkliche Unabhängigkeit der Rechtsprechung von den
anderen Gewalten. Die Richterinnen und Richter werden
in einem Verfahren gewählt und befördert, bei dem neben der fachlichen Qualifikation auch die parteipolitische Ausrichtung von Bedeutung ist. Das ist vor dem
Hintergrund der Kontrollfunktion gegenüber den beiden
anderen Gewalten problematisch und bedarf gerade im
Kontext der europäischen Entwicklung einer weiteren
Demokratisierung.
Zu guter Letzt, Frau Ministerin, möchte ich Ihnen
noch eine Bitte ans Herz legen, die sicherlich von Millionen von Demokratinnen und Demokraten in diesem
Land mitgetragen wird: Setzen Sie sich dafür ein, dass
Nazi-Gegner nicht weiter kriminalisiert werden
({5})
und dass insbesondere die skandalösen Strafverfahren
gegen die Fraktionsvorsitzenden Willi van Ooyen, Bodo
Ramelow und André Hahn unverzüglich eingestellt werden.
({6})
Setzen Sie Ihren liberalen Einfluss dafür ein, dass die
Verfassungsschutzämter nie wieder Neonazi-Strukturen
durch Einsatz von Spitzeln finanzieren und einer solch
monströsen Mordserie, wie sie gerade ans Tageslicht gekommen ist, Vorschub leisten. Setzen Sie sich insbesondere für den sofortigen Abzug aller V-Leute aus der
rechten Szene ein, dies auch, damit Sie mit einem NPDVerbotsverfahren nicht wieder scheitern. Das würde sicherlich auch das Bundesverfassungsgericht erfreuen.
Die Linksfraktion wird Sie dabei unterstützen.
Ich danke Ihnen. - Punktlandung!
({7})
Ich würdige ausdrücklich die Punktlandung, was die
Einhaltung der Redezeit betrifft. - Das Wort hat der Kollege Alexander Funk für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Als wir vor einigen Wochen in erster Lesung den Justizetat beraten haben, bei den Berichterstattergesprächen
und auch in der Bereinigungssitzung des Haushaltausschusses, konnte niemand von uns ahnen, welche Aktualität einzelne Titel des Einzelplans 07 plötzlich gewinnen würden. Ich denke hier an den Ansatz für den
Generalbundesanwalt, den sogenannten Opferfonds und
die Mittel, mit denen wir die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit, kurz IRZ, unterstützen wollen.
Bevor ich auf diese Titel und damit auch auf den
Rechtsextremismus in Deutschland sowie den bedrohten
arabischen Frühling, speziell in Ägypten, eingehe,
möchte ich einige Worte zum Haushalt des Justizministeriums generell sagen, der nun ein Volumen von rund 507
Millionen Euro erreicht und damit um knapp 17 Millionen Euro angestiegen ist. Bei allen Beratungen haben wir
uns - trotz dieser Erhöhung - an das Gebot der Sparsamkeit gehalten, und dies weitgehend fraktionsübergreifend.
Dafür danke ich allen Kolleginnen und Kollegen sehr
herzlich; denn es zeigt, dass gerade der Justizetat kein
Spielball der Parteipolitik geworden ist.
({0})
Ich erspare es uns, den Justizhaushalt im Detail vorzustellen. Aber ich möchte einmal mehr das Deutsche
Patent- und Markenamt in München einschließlich seiner Berliner Außenstelle lobend hervorheben. Wenn der
Justizetat sich wiederum zu einem großen Teil selbst
trägt, dann ist das diesem Amt zu verdanken. Rund
303 Millionen Euro Einnahmen werden allein 2012 von
der Isar an die Spree fließen.
Aber so wichtig dieser Betrag auch ist, entscheidender ist, dass das Deutsche Patent- und Markenamt ganz
wesentlich zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Wirtschaft beiträgt.
Im Folgenden beschränke ich mich auf einige wenige
Aspekte, die meines Erachtens von Bedeutung sind und
die Politik der Regierungskoalition verdeutlichen. Wir
haben mit ihnen ganz bewusst unübersehbare Akzente
gesetzt.
An erster Stelle nenne ich die Unterstützung der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit, die wir um 500 000 Euro auf nun 4,3 Millionen
Euro angehoben haben. Damit soll, wie es im Amtsdeutsch heißt, Beratungshilfe für den Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft geleistet werden. Was verbirgt sich dahinter? Ich hatte das Stichwort arabischer
Frühling bereits genannt. Wer dieser Tage die Berichte
aus der ägyptischen Hauptstadt Kairo sieht, muss sich
aber fragen, ob dieser Frühling tatsächlich bereits gesichert ist. Die Auseinandersetzungen auf dem TahrirPlatz lassen eher Schlimmes befürchten. Umso wichtiger
ist die Arbeit der IRZ, die dazu beiträgt, das demokratische Fundament in Ägypten zu festigen.
Es geht dabei um die Ausbildung von ägyptischen
Anwälten, indem sie unter anderem mit internationalen
Menschenrechtsabkommen, Abkommen zu bürgerlichen
und politischen Rechten, mit Programmen zur Bekämpfung der Diskriminierung oder zur Einführung und Gewährleistung gewerkschaftlicher Freiheiten vertraut gemacht werden. Dasselbe gilt für Tunesien und Libyen.
Zumindest in Tunesien sollen 2012 ähnliche Programme
realisiert werden, außerdem in Jordanien. Ohne RechtsAlexander Funk
staatlichkeit kann es keine Demokratie geben. Wer den
Demokratiebewegungen im arabischen Raum angesichts
der aktuellen Gefährdungen eine Chance geben will,
muss gleichzeitig dazu beitragen, rechtsstaatliche Grundsätze durchzusetzen. Deshalb kann die Tätigkeit der IRZ
gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Ein weiteres Thema, das uns unter den Nägeln brennt,
ist das des Rechtsextremismus bzw. Rechtsterrorismus.
In dem Entwurf für den Justizetat war seitens der Regierung noch eine Ausgabenminderung von 1 Million Euro
für den Ansatz beim Generalbundesanwalt vorgesehen.
Diese Kürzung haben wir kräftig abmildern können, und
darüber bin ich außerordentlich froh.
Wir haben bei den Beratungen der vergangenen Wochen nicht einmal andeutungsweise ahnen können, welche Dimensionen der Rechtsterrorismus teilweise angenommen hat. Die Aufdeckung der terroristischen Zelle
Nationalsozialistischer Untergrund, NSU, bedeutet für
den Generalbundesanwalt erhebliche Mehrarbeit; denn
gerade ihm kommt bei der Aufklärung rechtsextremistischer Gewalttaten bzw. bei der Bekämpfung des Rechtsterrorismus eine herausragende Stellung zu. Soweit es in
unserer Macht steht, müssen wir als Abgeordnete ihn darin unterstützen.
Ich warne allerdings davor, die Gefahren des Terrorismus nun nur noch auf der rechtsextremistischen Seite zu
sehen, auch wenn die veröffentlichte Meinung ein solches Bild zeichnet.
({1})
Wer jetzt dem Verfassungsschutz pauschal unterstellt, er
trage Mitverantwortung für die Verbrechen des NSU,
macht es sich ungeachtet aller heute bereits erkennbaren
und völlig unverständlichen Pannen und Versäumnisse
zu leicht. So bequem es auch sein mag, einen Prügelknaben gefunden zu haben: Terrorismus hat in diesem Land
generell keinen Platz, egal wie er begründet wird.
({2})
In diesem Zusammenhang möchte ich einige wenige
Worte zum sogenannten Opferfonds verlieren. Angesichts der unvorstellbaren rechtsextremistisch motivierten Morde und weiterer brutaler Gewalttaten, deren Ausmaß leider erst jetzt nach und nach bekannt wird, ist es
in noch größerem Maße als bisher notwendig, Opfern
dieser Übergriffe und ihren Hinterbliebenen aus humanitären Gründen Hilfe zukommen zu lassen. Daher belassen wir diesen Titel bei dem, was im vergangenen Jahr
veranschlagt war: bei 1 Million Euro. Damit setzen wir
auch ein deutliches Zeichen für die Ächtung solcher Taten in unserer Gesellschaft.
Aber auch hier gilt nach meiner Überzeugung, dass
Härteleistungen den Opfern von Links- wie von Rechtsextremisten zustehen. Ich bin nicht bereit, eine
Zwei-Klassen-Opfer-Gesellschaft entstehen zu lassen
oder sie gar zu fördern.
({3})
Wenn einigen Institutionen in diesem Land vorgeworfen wird - ob zu Recht oder zu Unrecht -, sie seien in
der Vergangenheit auf einem Auge, dem rechten nämlich, blind gewesen, kann das nicht durch Blindheit auf
dem linken Auge kompensiert werden. Wichtiger ist es,
Strategien zu entwickeln, die den Extremismus an der
Wurzel packen und sein Entstehen bereits im Vorfeld
verhindern. Dies ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Dies erfordert aber auch die Wachsamkeit aller und nicht zuletzt - hier spreche ich die Länder an die Bereitschaft, alte Zöpfe abzuschneiden. Als Stichwort mögen hier die 16 Ämter für Verfassungsschutz genügen, die, wie sich gezeigt hat, oft genug nebeneinanderher arbeiten.
Prävention ist das Gebot der Stunde und eine Daueraufgabe. Es gibt durchaus Bereiche, in denen wir Erfolg
damit haben, so bei der normalen Kriminalität. Auch
deshalb haben wir eine Verpflichtungsermächtigung in
Höhe von 1,5 Millionen Euro in den Haushalt aufgenommen. Damit wird die Errichtung eines Lehrstuhls für
Kriminalprävention an der Universität Tübingen ermöglicht und seine Finanzierung vorerst bis 2017 gesichert.
Der Lehrstuhl wird eng mit dem Deutschen Forum für
Kriminalprävention, dem Bundesinnenministerium und
dem Bundesjustizministerium verknüpft. Die Forschungsergebnisse werden in die sicherheitspolitischen Erwägungen der Bundesregierung einbezogen, und sie werden wesentlichen Einfluss auf ihre Präventionsstrategien
haben.
Prävention und Aufklärung sind auch die vorherrschenden Elemente des Projekts Dunkelfeld, das mir besonders am Herzen liegt. Da unsere Zeit so schnelllebig
ist, darf ich daran erinnern, dass es sich hierbei um ein
Präventionsprojekt der renommierten Berliner Charité
handelt, das sich mit dem Missbrauch von Kindern befasst. Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge haben
bis zu 1 Prozent der Männer auf Kinder gerichtete sexuelle Fantasien. Das bedeutet, dass bei ihnen eine teilweise oder ausschließliche sexuelle Neigung im Sinne
einer Pädophilie vorliegt. Demnach fühlen sich in
Deutschland circa 250 000 Männer zwischen 18 und
75 Jahren sexuell zu Kindern hingezogen. Ziel der Therapie im Rahmen des Projekts Dunkelfeld ist es, Probleme im Umgang mit der sexuellen Neigung zu bewältigen. Erste Schritte haben wir finanzieren können. Wir
werden diesen Weg weitergehen.
Es gilt aber: Was verharmlosend als „Kinderpornografie“ bezeichnet wird, wird im öffentlichen Bewusstsein im Hinblick auf die Traumatisierung der Opfer noch
gar nicht adäquat wahrgenommen. Hier sollten und müssen wir bereit sein, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen; denn bei den Opfern handelt es sich um
die Schwächsten unserer Gesellschaft: um Kinder.
Wenn ich einmal vom DPMA absehe, habe ich Ihnen
in den zurückliegenden Minuten ausschließlich Problemfelder aufgezeigt, die uns alle bedrücken. Der Justizetat ist zwar einer der kleinsten Etats, aber auch einer
der wichtigsten. Das zeigen die genannten Beispiele. Ein
geordnetes und harmonisches gesellschaftliches Miteinander kann es nur dann geben, wenn Rechtsstaatlichkeit garantiert ist.
({4})
Dafür sind auch wir Abgeordnete verantwortlich. Ich
bitte Sie, durch Zustimmung zu dem vorliegenden Entwurf Ihren Beitrag dazu zu leisten.
({5})
Vielen Dank, Kollege Alexander Funk. - Nächste
Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Ingrid Hönlinger. Bitte schön, Frau Kollegin Hönlinger.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin! Der Rechtsterrorismus in Deutschland
ist eine Bedrohung; er ist eine konkrete Bedrohung. Er
fordert uns alle heraus, alle Demokraten. Wir lassen aber
unsere demokratische Wertehaltung nicht durch die
schrecklichen Ereignisse infrage stellen. Es ist gut, dass
hier alle demokratischen Parteien eindeutig und klar
Position bezogen haben. Dieses Thema ist unser aller
Thema.
({0})
Die Frage, ob Opfer rechtsextremistischer Gewalt
hätten vermieden werden können, können wir anhand
der bisherigen lückenhaften Aufklärung nicht eindeutig
feststellen. Auch in einem Wahlkreis, den ich betreue, ist
einer der Anschläge passiert: die Tötung der Polizistin in
Heilbronn, die mich tief betroffen gemacht hat und betroffen macht. Eines ist klar: Wir können rechtsextremistische Angriffe nicht vermeiden, indem wir das Problem
ignorieren. Meine Damen und Herren, rechtsextremistische Angriffe sind nicht bloß Teil genereller extremistischer Angriffe; sie haben eine ganz eigene Dimension.
Das Justizressort, über dessen Haushalt wir heute debattieren, hat wichtige Möglichkeiten zum Einfluss auf
Politik und Gesellschaft. Es kann und muss gesellschaftliche Entwicklungen aufnehmen. Es muss dabei aber
auch seine Schutzfunktion aktiv wahrnehmen. Diese
Bundesregierung hat leider kurz nach ihrem Amtsantritt
die „Härteleistungen für Opfer rechtsextremistischer
Übergriffe“ in „Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ umbenannt.
({1})
Wenn wir uns anschauen, wie sich die Anträge auf
diese Leistungen verteilen, stellen wir fest: Von Januar
2010 bis Juli dieses Jahres stellten sechs Opfer sonstiger
extremistischer Straftaten einen Antrag auf Härteleistungen beim Bundesamt für Justiz. Im gleichen Zeitraum
gab es aber 134 Opfer rechtsextremistischer Gewalt, die
einen solchen Antrag stellten. Die Zahlen sprechen also
eine andere Sprache als die, die uns der Titel suggerieren
will. Die Umbenennung wird den Fakten nicht gerecht.
Sie verharmlost rechte Gewalt. Wir Grünen finden diese
Umbenennung irreführend.
({2})
Wir sollten an dieser Stelle Klarheit schaffen und zum
bisherigen Haushaltstitel zurückkehren; denn dieser Titel beinhaltet eine klare Botschaft, die lautet: Härteleistungen an Opfer rechtsextremistischer Übergriffe.
Nun wollte die Bundesregierung im Haushaltsplan für
das kommende Jahr auch noch das Budget für diesen
Haushaltstitel mit der Begründung um die Hälfte kürzen,
diese Leistungen würden nicht abgerufen. Diese Kürzung soll nun doch nicht erfolgen. Und das ist auch gut
so; denn man muss sich fragen, welches Signal für die
Demokraten, aber auch für die Rechtsextremisten von
der Kürzung ausgegangen wäre.
Es gibt aber noch weitere Defizite im Justizressort
- darauf habe ich schon in meiner letzten Haushaltsrede
vor einigen Monaten hingewiesen -: Sehr geehrte Frau
Ministerin, ich muss leider feststellen, dass sich in den
letzten Monaten nichts, aber auch gar nichts bewegt hat.
Immer wieder führt der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte in Straßburg Deutschland in seinen Urteilen vor. Was macht die Bundesregierung? Nichts. Es
geschieht einfach nichts. Ein gutes Beispiel hierfür ist
das Sorgerecht für Kinder, deren Väter nicht mit deren
Müttern verheiratet sind. Trotz Ankündigung von Koalitionsseite geschieht seit jetzt zwei Jahren nichts. Hier
müssen Sie endlich Nägel mit Köpfen machen.
({3})
Die Untätigkeit dieser Regierung zeigt sich auch beim
unzureichenden Schutz von Whistleblowern. Ein Whistleblower-Schutzgesetz wird international gefordert. Die
Antwort auf unsere Kleine Anfrage zeigt aber, dass Sie
sich noch nicht einmal entschieden haben, ob Sie den
Whistleblower-Schutz stärken wollen oder nicht. Das ist
- auch angesichts des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - nicht hinnehmbar.
({4})
Wir Grünen haben inzwischen gehandelt und einen
Gesetzentwurf zum Whistleblower-Schutz formuliert.
Diesen haben wir ins Internet gestellt. Wir diskutieren
ihn mit den Bürgerinnen und Bürgern. Nächste Woche
führen wir ein öffentliches Fachgespräch zum Thema
Whistleblowing durch. Damit beteiligen wir die Menschen noch stärker am demokratischen Meinungsbildungsprozess. Auch Sie auf der Regierungsbank sollten
endlich aktiv werden. Ich würde hier am liebsten die
Whistleblowerin für die Regierung spielen und ganz laut
in diese Pfeife hier in meiner Hand blasen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Gut, Frau Kollegin, dass Sie es nicht
gemacht haben, weil dann der Präsident eingeschritten
wäre.
Die nächste Rednerin ist für die Bundesregierung Frau
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Bitte schön, Frau Bundesministerin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich zunächst für die
wirklich sehr guten und sehr intensiven Gespräche mit
den Haushaltsberichterstattern aller Fraktionen. Diese
Berichterstatter haben eine große Offenheit für die Fragen, die sich zum Haushalt des Justizministeriums stellen.
Darüber hinaus haben wir gemeinsam nach Wegen
gesucht - auch mit dem jeweiligen Versuch der Kompensation im eigenen Haushalt -, Schwerpunkte zu setzen; sie sind von Ihnen schon angesprochen worden. Neben dem Haushalt, der vorwiegend ein Personalhaushalt
ist - er setzt sehr klare Akzente bei der Innovation und
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit -, gibt es noch einige wichtige politische Bereiche, die auch dank des
Einsatzes der Berichterstatter immer wieder im Mittelpunkt der Beratungen stehen. Ich bedanke mich sehr
herzlich für den Haushalt, so wie er sich jetzt nach der
Bereinigungssitzung darstellt.
Ich kann manche Kritik, die hier geäußert wurde,
überhaupt nicht nachvollziehen. In dieser Legislaturperiode ist aus meinem Haus als federführendem Ressort
kein verfassungswidriges Gesetz eingebracht worden.
Ich habe eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, gerade was überlange Gerichtsverfahren angeht,
seit Jahren angemahnt - zehn Jahre lang ist unter den
Vorgängerregierungen nichts passiert - und aufgegriffen.
Der entsprechende Gesetzentwurf wurde hier im Bundestag verabschiedet, und auch der Bundesrat hat zugestimmt. Wir haben die Schwachstellen beseitigt, die sich
dadurch ergeben haben, dass man in früheren Regierungen jahrelang einen falschen Weg beschritten hat, zum
Beispiel den der Untätigkeitsklage.
({0})
Gerade weil wir den Weg gehen müssen, nicht nur
hier im Bundestag ein Gesetz zu verabschieden, sondern
auch die Anliegen der Länder zu berücksichtigen, sind
überlange Gerichtsverfahren, die Belastungen der Bürgerinnen und Bürger und die Verweigerung des Rechtsschutzes ganz entscheidende Themen.
Ein zweiter wichtiger Bereich ist das Thema Sicherungsverwahrung. Das Bundesverfassungsgericht hat im
Mai dieses Jahres eine Entscheidung getroffen, die im
Kern darauf beruht, dass in den Bundesländern die Anforderungen an eine Unterbringung in Sicherungsverwahrung, wie sie im Abstandsgebot vorgeschrieben ist,
seit Jahren nicht beachtet werden.
({1})
Weil das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen bereits mehrmals kritisiert hat, dass der
Bund es nicht selbst in der Hand hat, die Umsetzung zu
regeln, sind sämtliche Regelungen außer Kraft gesetzt
worden, um dem Anliegen des Bundesverfassungsgerichts entscheidenden Nachdruck zu verleihen. Es ist
dem Urteil ausdrücklich zu entnehmen, dass im Kern
nicht das angegriffen wurde, was im Januar dieses Jahres
als eine Neukonzeption der Sicherungsverwahrung im
Rahmen eines totalen Paradigmenwechsels in Kraft getreten war. Es wurde das aufgegriffen, was in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand der Entscheidungen oberer und oberster Gerichte geworden ist.
({2})
Herr Petermann, ich werde Ihrer Aufforderung nicht
nachkommen und zur Telefonjustiz greifen.
({3})
Ich werde nicht mal eben anrufen und sagen: Bitte, erledigt gewisse Verfahren richtig. - Wir kritisieren zu
Recht, dass das in anderen Ländern der Fall ist. Wir haben uns intensiv damit beschäftigt und meinen deshalb:
Das ist nicht der richtige Weg.
({4})
- Herr Bockhahn, ich sollte mich darum kümmern, dass
die Verfahren - das haben, glaube ich, alle so verstanden - schleunigst eingestellt werden.
({5})
- Dass das in der Hand der Gerichte liegt, zeigt doch,
dass wir in Deutschland eine Gewaltenteilung haben,
dass Exekutive und Judikative getrennt sind.
({6})
Wenn einem eine Entscheidung im Ergebnis nicht gefällt, dann kann man das mit aller gebotenen Vorsicht
und sehr wohl mit Recht kritisieren. Das hat man sowohl
als Abgeordneter als auch als engagierte Bürgerin bzw.
als engagierter Bürger unserer Zivilgesellschaft in der
Hand. Ich glaube nicht, dass das die Aufgabe der Bundesministerin der Justiz ist.
Wir haben, auch dank Ihrer Unterstützung, die MagnusHirschfeld-Stiftung mit 10 Millionen Euro ausgestattet,
von denen 5 Millionen Euro aus Haushaltsresten kommen. Sie wurde in diesem Jahr - das ist wichtig und notwendig, damit wir keine Sonderentscheidungen treffen
müssen - eingerichtet; der Vorstand ist bestellt. Im
nächsten Jahr wird die erste Kuratoriumssitzung stattfinden - dort werden wir uns zum Teil wiedertreffen -, bei
der man sich mit der Umsetzung der in der Satzung vorgegebenen Aufgaben intensiv zu beschäftigen haben
wird.
In der Koalitionsvereinbarung gibt es natürlich auch
solche Themen, die bisher nicht umgesetzt worden sind.
Lassen Sie mich deshalb zum Schluss meiner Rede kurz
das Mietrecht erwähnen. Wir haben den Ländern einen
Entwurf vorgelegt. Sie sollen sich einbringen. Das ist ein
normales Verfahren, wenn ein Referentenentwurf konzipiert ist und in die Beratung kommen soll. Das ist unser
Beitrag zur energetischen Sanierung und deren Berücksichtigung im Mietrecht, und zwar unter angemessener
Berücksichtigung der Anliegen der Mieter und Vermieter. Wir wollen Anreize zur energetischen Sanierung geben, mit Duldungspflicht für eine begrenzte Zeit. Aber
wir wollen, wenn es zu Sanierungen kommt, keine Belastungen der Mieter, die nicht auch unmittelbar zur Entlastung an anderer Stelle führen. Ich denke, dass hier ein
ausgewogener Vorschlag auf den Weg gebracht worden
ist. So, wie wir es bei den 30 Gesetzen, die in diesem
Haus in der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode unter
meiner Federführung verabschiedet worden sind, gehalten haben, werden wir es auch in den nächsten zwei Jahren halten.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Frau Bundesministerin. - Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Burkhard Lischka. Bitte schön, Kollege Lischka.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin, wenn man Sie hier so reden hört,
({0})
könnte man meinen, die Rechtspolitik in unserem Land
sei derzeit eine einzigartige Erfolgsgeschichte.
({1})
- Warten Sie einmal ab. Es kommen noch mehr Stellen,
an denen Sie klatschen können. - Das hat mit der Realität natürlich überhaupt nichts zu tun. Gerade die Rechtspolitik liefert im Augenblick im Wochentakt Beispiele
dafür, dass es in dieser Bundesregierung drunter und
drüber geht. Frau Ministerin, das stellen Sie schon gar
nicht mehr in Abrede. Sie haben beispielsweise vor einigen Wochen dem Tagesspiegel ein Interview gegeben, in
dem Sie wörtlich gesagt haben - ich darf zitieren -:
Manche Zurufe aus der Union tragen nicht eben zu
einem guten Koalitionsklima bei, denken Sie nur an
den Stil der Auseinandersetzung in der Innen- und
Rechtspolitik.
Recht haben Sie, Frau Ministerin; aber dann versuchen Sie hier auch nicht permanent, den Eindruck einer
erfolgreichen Regierungsarbeit zu erwecken. Das nimmt
Ihnen in diesem Land ohnehin schon lange keiner mehr
ab.
({2})
Vor elf Wochen haben wir das erste Mal über diesen
Justizhaushalt hier im Deutschen Bundestag debattiert.
Frau Ministerin, allein in den vergangenen elf Wochen
sind Sie auf so manches Fettnäpfchen zugesteuert. Ich
will Ihnen einmal drei Beispiele nennen.
Fettnäpfchen Nummer eins war vor wenigen Wochen
Ihr Versuch, einen Parteifreund, Herrn Schmalzl, in das
Amt des Generalbundesanwalts zu hieven. Er verfügt
zwar über keinerlei strafrechtliche Erfahrung, aber er ist
FDP-Mitglied, und das war in Ihren Augen offensichtlich ausreichend für dieses herausragende Amt. Sie sind
mit diesem Personalvorschlag gescheitert. Frau Ministerin, es ist gut, dass in diesen wirklich schwierigen Tagen
ein erfahrener Strafjurist die wichtigste Strafverfolgungsbehörde unseres Landes leitet und nicht jemand,
der sich vorher mit Ortsumgehungen und Luftreinhalteplänen beschäftigt hat.
({3})
Fettnäpfchen Nummer zwei - Sie haben dieses
Thema eben elegant gestreift - ist Ihr wirklich vollkommen unsinniger Streit mit den Bundesländern über die
künftige Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung.
({4})
Er ist ärgerlich, weil der Schutz unserer Bürgerinnen und
Bürger vor gefährlichsten Gewalt- und Sexualstraftätern
wahrscheinlich das wichtigste rechtspolitische Thema
überhaupt ist. Auch Ihre Wählerinnen und Wähler, Frau
Leutheusser-Schnarrenberger, erwarten von uns, von der
Politik, übrigens auch von der Bundesjustizministerin,
dass Menschen, bei denen man mit weiteren schwersten
Gewalt- und Sexualstraftaten rechnen muss, nicht auf
freiem Fuß herumlaufen. Das ist eigentlich selbstverständlich, für Sie aber möglicherweise nicht. Jedenfalls
weigern Sie sich bis zum heutigen Tage, eine verfassungskonforme Regelung auch im Hinblick auf diejenigen psychisch gestörten Gewalt- und Sexualstraftäter
vorzulegen, bei denen sich die Gefährlichkeit erst nach
der Verurteilung, nämlich im Verlauf der Strafhaft, herausstellt. Wurde eine Sicherungsverwahrung bei solchen Tätern nicht angeordnet oder vorbehalten, müssen
diese künftig entlassen werden. Ich halte das für unverantwortlich, Frau Ministerin.
Die Justizministerkonferenz hat Sie erst vor wenigen
Tagen, und zwar parteiübergreifend, mit großer Mehrheit nochmals aufgefordert, endlich eine Regelung zu erarbeiten, um die drohende Schutzlücke zu schließen.
Von Ihnen kam nur der Kommentar, dass es eine hundertprozentige Sicherheit nicht gebe und ein Restrisiko
immer vorhanden sei.
({5})
Ich halte das für zynisch, Frau Ministerin. Natürlich
kann der Staat, auch wenn er alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpft, nie für einen hundertprozentigen
Schutz garantieren. Die Tatsache, dass ein Restrisiko immer vorhanden ist, kann doch aber nicht bedeuten, dass
sich der Staat gar nicht erst die Mühe macht, diese Möglichkeiten auszuschöpfen.
({6})
Die Menschen erwarten zu Recht von der Bundesjustizministerin, dass sie nicht nur blockiert und nicht nur
belehrende Referate über die Rechtspolitik hält, sondern
sich ernsthaft und energisch darum bemüht, in verfassungskonformer Weise für den bestmöglichen Schutz
unserer Bevölkerung zu sorgen. Das sind wir nicht zuletzt den Opfern von Gewalt- und Sexualdelikten schuldig. Ich weiß, an dieser Stelle würden eigentlich auch
Sie von der CDU/CSU gerne klatschen. Ich sehe es Ihnen nach, wenn Sie das im Augenblick nicht machen.
({7})
Fettnäpfchen Nummer drei, Frau Ministerin: die Debatte über die Staatstrojaner. Als vor wenigen Wochen
der Chaos Computer Club offengelegt hat, dass die entsprechende Software teilweise rechtswidrig eingesetzt
wurde, haben Sie Forderungen nach einer klaren gesetzlichen Grundlage zunächst einmal wahlweise als absurd
oder abstrus bezeichnet. Als dann der Bundesinnenminister ebenfalls keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sah, drehten Sie eine Pirouette und haben auf einmal einheitliche gesetzliche Regelungen gefordert. Was
denn nun, Frau Ministerin? Das ist wirklich ein schönes
Chaos in dieser Bundesregierung. Sie tragen einen erheblichen Teil der Verantwortung dafür. Eine erfolgreiche Rechtspolitik, Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
sieht jedenfalls anders aus.
Das waren nur drei Beispiele. Nach dem sogenannten
Three-Strikes-Modell bedeuten drei Verfehlungen im Internet, dass man aus demselben herausfliegt. Auf Sie
übertragen bedeutet das, Sie müssten jetzt eigentlich aufhören. Das wäre das Beste. Sie aber werden weiterwurschteln, und das ist nicht gut, weder für die Rechtspolitik noch für unser Land.
({8})
Vielen Dank, Kollege Burkhard Lischka. - Jetzt hat
für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Andrea
Voßhoff das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin Andrea
Voßhoff.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lischka, Sie erwähnten
vorhin die erste Lesung des Haushaltsgesetzes von vor
elf Wochen. Da haben Sie das Bild einer Baustelle bemüht, was die Rechtspolitik der Koalition betrifft; sie sei
marode. Heute benutzen Sie das Wort „Fettnäpfchen“.
Herr Kollege Lischka, schauen Sie sich einmal an, was
alles in der Zwischenzeit von uns umgesetzt wurde - ich
habe es Ihnen schon gesagt -: etwa die Insolvenzrechtsreform und die gesetzliche Regelung zu überlangen Verfahren. Wir haben eine Vielzahl von Vorhaben abgeschlossen. Ich weiß, dass man in der Opposition
kritisiert; das ist ihre Aufgabe. Demzufolge sei es Ihnen
gegönnt. Die Ergebnisse, die die christlich-liberale Koalition in der Rechtspolitik bisher geliefert hat, können
sich sehen lassen.
({0})
Natürlich gibt es unterschiedliche Auffassungen. Lassen Sie sich einmal von dem Kollegen Montag erzählen,
wie die Rechtspolitik unter Rot-Grün gewesen ist. Herr
Kollege Montag, das war sicherlich auch nicht immer
einfach. Wir haben Ihre Beiträge im Zusammenhang mit
der Sicherungsverwahrung dazu gehört. Koalitionäre
müssen unterschiedlicher Auffassung sein. Das Ergebnis
zählt, und das kann sich bisher sehen lassen.
({1})
Meine Damen und Herren, in der heutigen Haushaltsdebatte zum Einzelplan Justiz möchte ich drei Themenfelder ansprechen, einmal das leider sehr aktuelle Thema
des rechtsextremen Terrorismus - das ist im Zusammenhang mit dem Haushalt schon mehrfach genannt worden -,
sodann einen rechtspolitischen Dauerbrenner und abschließend ein europäisches Projekt, nämlich den Vorschlag der EU-Kommission zum europäischen Kaufrecht.
Es muss auch bei einem Haushaltsplan Justiz möglich
sein - ich bin insofern meinen Vorrednern dankbar, je
nach Aussage -, die aktuell bekannt gewordenen Ereignisse der vergangenen Tage zum rechtsextremen Terror
in Deutschland anzusprechen. Es ist mir ein Bedürfnis,
dies ebenso wie meine Vorredner zu tun. Es ist bereits
mehrfach gesagt worden, wie sehr wir alle von dem Bekanntwerden der rechtsextremistischen Terrorzelle in
Deutschland erschüttert sind. Ich danke dem Bundestagspräsidenten Lammert sehr herzlich für die notwendigen und treffenden Worte, die er zu diesem Ereignis gefunden hat.
({2})
Ich bedauere es umso mehr, dass die heutige Debatte
dazu von einigen Rednern auf eine Ebene gezogen
wurde, auf die sie nicht gehört.
({3})
Dass es keine hundertprozentige Sicherheit für die
Menschen in diesem Land geben kann - das wissen nicht
nur die Innen-, sondern auch die Rechtspolitiker -, ist
vollkommen klar. Ich spreche sicherlich im Namen aller
- die heutigen Beiträge der Kollegen haben es gezeigt -,
wenn ich sage, dass wir alle grenzenlos betroffen und
fassungslos sind, dass rechtsextreme brutale Täter über
Jahre hinweg unentdeckt und unerkannt aus rechtsextremen und rassistischen Gründen Menschen ermorden und
Straftaten begehen konnten. Wer hätte sich das vorstellen können, meine Damen und Herren? Deshalb sind wir
den Opfern und den Angehörigen eine rückhaltlose und
restlose Aufklärung schuldig.
({4})
Ich begrüße es sehr, dass der Generalbundesanwalt
die Ermittlungen zu den Vorgängen an sich gezogen hat.
Wir sollten ihn diese Aufklärungsarbeit in Ruhe und mit
Sorgfalt tun lassen. Ich begrüße es auch und bedanke
mich beim Bundesinnenminister und bei der Bundesjustizministerin, dass sie gemeinsam mit den Länderministern schnell gehandelt und eine gemeinsame Koordinierung der Aufklärung in Angriff genommen haben.
Wir sollten uns davor hüten, mit vorschnellen Schuldzuweisungen aufzuwarten und sie für parteipolitische
Taktiken zu nutzen. Deshalb bedauere ich manche Wortbeiträge von heute Vormittag. Es ist wieder deutlich geworden - das muss man einmal klarstellen dürfen; das ist
von meinen Kollegen, etwa vom Kollegen Funke, teilweise schon gesagt worden -: Dass wir im Justizministerium den Fonds für Opfer extremistischer Gewalt und
damit sowohl für Opfer rechtsextremistischer als auch
für Opfer linksextremistischer Gewalt eingeführt haben,
hat überhaupt nichts mit einer Relativierung von rechtsextremen Taten zu tun - in keiner Weise, Herr Kollege
Montag! Es geht uns um die Gleichbehandlung der Opfer.
({5})
Dem Opfer ist es egal, ob es der Springerstiefel oder der
Skinhead war. Es geht überhaupt nicht um die Relativierung rechtsextremer Gewalttaten. Das war nie die Intention. Die Argumentation von Ihnen an dieser Stelle ist,
so darf ich sagen, unsäglich und nicht in Ordnung.
({6})
Wir brauchen eine vollständige und transparente Aufklärung der Vorgänge. Erst dann sollten wir darüber diskutieren, welche Rückschlüsse wir daraus ziehen. Ich
stimme meinen innenpolitischen Fachkollegen zu, wenn
sie grundsätzlich an dem Einsatz von V-Leuten festhalten. Aber man muss sich auch fragen dürfen, wie wir
diesen Einsatz künftig gestalten sollten. Ich - viele der
Kollegen sicherlich auch - habe noch Fragen zum Sinn
des Einsatzes von V-Leuten in der rechtsextremen
Szene. Ich halte es deshalb für verfehlt, jetzt vorschnell
Vorschläge zu präsentieren und Schnellschüsse zu fordern. Das ist weder hilfreich noch dient es der Aufklärung.
({7})
Wir müssen uns, wenn die Aufklärung geleistet ist,
fragen, welche rechtspolitischen Folgerungen wir neben
den innenpolitischen Konsequenzen ziehen können und
wollen, wenn die Sachverhalte aufgeklärt sind. Das werden wir - ich denke, wir werden im Rechtsausschuss Gelegenheit haben, darüber zu sprechen - je nach Erkenntnisstand in ordnungsgemäßer Weise tun. Dass die
Bundesjustizministerin schon jetzt - auch das ist heute
thematisiert worden - die Opfer der rechtsterroristischen
Straftaten aus dem Haushalt des BMJ, aus dem Opferfonds, entschädigt, ist nicht nur zu begrüßen, sondern,
Frau Ministerin, dabei haben Sie unsere volle Unterstützung.
({8})
Wir haben uns im Rechtsausschuss die aktuellen Zahlen der bisherigen Anträge von Opfern extremistischer
Gewalttaten geben lassen und darüber diskutiert, wie wir
den Fonds ausgestalten und wie wir auf den Fonds besser aufmerksam machen können, damit er von Opfern in
Anspruch genommen wird. Nahezu von einer zur anderen Sekunde stehen wir erschüttert und sprachlos vor der
Tatsache, dass der bestehende Fonds so plötzlich in den
Mittelpunkt rückt. Die Regelungen des Fonds sind unbürokratisch und flexibel; die Mittel sollten jetzt als Hilfe
für die Opfer und deren Angehörigen eingesetzt werden.
Ich bin auch dankbar, dass es gelungen ist, den gleichen
Etatansatz für den Fonds wie 2011, nämlich 1 Million
Euro, beizubehalten.
Ich will an dieser Stelle aber auch deutlich machen
- ich sagte es vorhin -: Wenn die Aufklärung erfolgt ist,
und zwar in vollem Umfang, sollten wir miteinander darüber diskutieren, welche Rückschlüsse wir daraus ziehen. Wir müssen dabei auch darüber sprechen, welche
Instrumente zur Aufklärung, aber auch zur Verbrechensbekämpfung dienlich sind. Erste Handlungsfelder haben
die Innen- und Justizminister bereits genannt; das ist
klug und richtig.
Eine Kernfrage ist insbesondere, in welchem Umfang
diese Täter Hintermänner, Helfer und Sympathisanten
hatten. In diesem Zusammenhang muss man auch entsprechend den bisher vorliegenden Informationen fragen,
welche Instrumentarien im rechtspolitischen Bereich zur
Verfügung stehen. Ich will jetzt nicht vorschnell auf das
Thema Vorratsdatenspeicherung zu sprechen kommen,
zumal Sie dann gleich betonen werden, das sei eine reflexhafte Reaktion der Union.
({9})
Aber da es ja im Rahmen der Aufklärungsarbeit auch darum geht, Verbindungen aufzudecken und Hintermänner
dingfest zu machen, erwarte ich, dass wir über dieses Instrument zumindest sachlich diskutieren und schauen, ob
und inwieweit durch dieses Instrument künftig solche
Taten verhindert werden können.
({10})
Ich hatte einen zweiten Punkt genannt - dies ist auch
schon vom Kollegen Lischka angesprochen worden -:
Ja, es ist richtig, wir haben mittlerweile einen Referentenentwurf zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung.
Ich bin der Justizministerin und den Ländern dankbar,
die in zielführenden Sitzungen schnell und klug - wir
alle wissen, dass wir unter Zeitdruck stehen ({11})
gemeinsam Regelungen zur Umsetzung des Abstandsgebots gefunden haben. Da liegen wir gut in der Zeit.
Auch wir von der Union - das darf ich durchaus betonen - sehen in dem von Ihnen angesprochenen Punkt,
Herr Lischka, noch Beratungs- und Klärungsbedarf. Wir
unterstützen die Forderung der Justizminister der Länder
und sagen: Wenn uns das Verfassungsgericht jetzt diese
Möglichkeit bezüglich der nachträglichen Sicherheitsverwahrung gibt, die wir mit der damals noch unter RotGrün konstruierten Regelung nicht umsetzen konnten,
dann sollten wir sie nutzen und ausschöpfen. Das werden wir in den Beratungen zu thematisieren haben.
({12})
An der Stelle sieht die Union die Justizminister auf dem
richtigen Weg. Wir werden es auch in der Koalition thematisieren.
Leider bleibt mir für den dritten Punkt, den ich noch
ansprechen möchte, nicht mehr in ausreichendem Maße
Zeit; das ist bedauerlich, weil wir Rechtspolitiker hier im
Parlament eigentlich viel zu wenig über europäische
Rechtsetzungsvorhaben diskutieren.
({13})
Mir ist es nämlich ein Anliegen, auf den Vorschlag
der Europäischen Kommission zum EU-Kaufrecht hinzuweisen. Wir hatten dazu gestern eine sehr informative
und aufschlussreiche Anhörung. Hier, meine Damen und
Herren, sollten die Rechtspolitiker, ähnlich wie wir es
auch bei der Euro-Krise machen, ihre Kompetenz einbringen und wir als nationales Parlament Verantwortung
wahrnehmen. Wir sind hier gemeinsam im Gespräch.
Wir sagen: Es gibt für dieses Vorhaben keine geeignete
Kompetenzgrundlage der Europäischen Union. Wir sind
deshalb miteinander im Gespräch, ob wir in dieser Frage
eine Subsidiaritätsrüge erheben. Darüber freue ich mich.
Ich hoffe, es gelingt auch. Ich denke, hier haben wir als
nationales Parlament aus vielerlei Gründen, die ich jetzt
nicht mehr vortragen kann, eine entsprechende Verantwortung.
Ich darf mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.
({14})
Vielen Dank, Frau Kollegin Andrea Voßhoff. - Jetzt
für die Fraktion Die Linke unser Kollege Steffen
Bockhahn. Bitte schön, Kollege Steffen Bockhahn.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Ministerin, ich muss zugeben: Ich habe
heute schon zwei Enttäuschungen von Ihnen erlebt. Das
hatte ich sehr lange nicht.
({0})
- Da muss keiner Mitleid haben. - Ich habe Sie immer
für eine Linksliberale und für eine Verteidigerin der Bürgerrechte gehalten. Aber Ihre Rede heute Morgen hat
diesen Glauben bei mir zugegebenermaßen schwer erschüttert.
({1})
Dass Sie eben in Ihrer Rede den Kollegen Petermann
aus meiner Fraktion entweder bewusst missverstehen
wollten oder ihn einfach nur missverstanden haben, ist
für mich das nächste Problem. Natürlich hat er nicht von
Ihnen verlangt, sich in die Justiz einzumischen; darum
ging es überhaupt nicht, und das hat er auch nicht gesagt.
({2})
Er hat aber sehr wohl gesagt - wie ich finde: völlig zu
Recht -, dass man von einer Justizministerin erwarten
darf, dass sie sich dazu positioniert, ob es richtig ist, dass
Menschen, die sich friedlich für Demokratie, Freiheit
und Toleranz einsetzen, auch auf Anti-Nazi-Demos, kriminalisiert werden. Dazu hat er von Ihnen eine Stellungnahme verlangt, und die sind Sie schuldig geblieben.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute
schon viel über die Opfer des rechtsextremen Terrors in
Deutschland gesprochen. Die Ministerin hat auch schon
auf die Möglichkeit der Entschädigung durch das Justizministerium hingewiesen. Die Mittel des Fonds werden
jetzt wieder auf 1 Million Euro erhöht, und das ist gut so.
Schlecht ist der Mittelabfluss aus diesem Fonds. Dies hat
verschiedene Ursachen.
In diesem Jahr ist de facto noch so gut wie kein einziger Cent aus dem Fonds abgerufen worden, bzw. der
Fonds ist nach wie vor mit 1 Million Euro prall gefüllt.
Nun könnte man sagen: Das ist eine gute Nachricht, weil
das Geld nicht erforderlich ist. - Das ist natürlich nicht
die Wahrheit. Erstaunlich ist aber die insgesamt niedrige
Zahl der Anträge; wir reden über jeweils etwa 85 bis
120 Anträge in den letzten drei Jahren. Die Bewilligungsquote war immer relativ hoch; etwa zwei Dritteln
bis drei Vierteln der Anträge wurde stattgegeben. Aber
die Auszahlungen gestalten sich wegen der Beweispflicht aufseiten der Opfer - sie müssen nachweisen,
Opfer einer extremistischen Straftat geworden zu sein ziemlich schwierig, und die Auszahlungssummen, die
gezahlt werden, sind eher gering.
Das Problem ist dabei vor allen Dingen die Frage,
wann eine Straftat tatsächlich eine politisch motivierte
Straftat ist. Das hat insbesondere mit den Statistiken, die
in der Bundesrepublik Deutschland geführt werden, zu
tun; auch dies war heute Vormittag schon mehrfach
Thema. Insofern ist es gut, dass der Bundesinnenminister schon da ist; denn das betrifft natürlich auch seinen
Bereich ganz massiv.
Es steht also die Frage im Raum: Wann ist eine Straftat
in der Statistik der Bundesregierung eine rechtsextreme
Straftat? Die Linksfraktion hat dazu eine Große Anfrage
gestellt. Am 27. September dieses Jahres gab es die Antwort; zum Nachlesen: Bundestagsdrucksache 17/7161.
Auf Seite 21 stehen die wirklich relevanten Dinge, die
ich für Sie wie folgt übersetzen möchte: Wenn ein offenkundiger Nazi ein paar Mal Bier im Späti geklaut hat, ist
er ein Ladendieb im Bereich der Allgemeinkriminalität.
Das ist natürlich logisch; denn Bier zu klauen ist keine
rechtsextreme Straftat. Wenn dieser Nazi dann aber eine
schwere Straftat im Bereich der politisch motivierten
Kriminalität begeht, zum Beispiel, indem er einen Migranten zusammenschlägt, dann taucht er in der Statistik
nicht als politisch motivierter Straftäter auf; denn in Ihrer Statistik ist er schon als Allgemeinkrimineller festgehalten.
({4})
Das heißt also, dass das Opfer dieses Nazis zwar aus
politischen Gründen von dem Nazi zusammengeschlagen wurde, dass es aber in Ihrer Statistik kein Opfer einer politisch motivierten Straftat ist, weil es laut Ihrer
Statistik schon das Opfer eines Allgemeinstraftäters ist.
Damit entgeht dem Opfer aber auch die Möglichkeit,
Leistungen aus dem Härtefallfonds zu beziehen.
Was brauchen Sie eigentlich noch, um eine rechtsextreme Straftat auch als eine solche zu erkennen? Muss
denn der Täter wirklich in der einen Hand die Waffe halten und mit der anderen eine Hakenkreuzfahne schwenken? Das kann doch nicht Ihre Absicht sein.
({5})
Wir brauchen endlich eine ehrliche Statistik und opferfreundlichere Auszahlungskriterien für den Fonds.
Das Ausmaß rechter Gewalt in Deutschland ist erschreckend, und es tritt jeden Tag ein Stück mehr zutage.
Wir alle wollen, dass die Opfer und auch ihre Angehörigen unterstützt werden. Es geht natürlich nicht nur um
die Angehörigen von Todesopfern. Es gibt so viele Verletzte, und auch denen stehen Hilfeleistungen zu.
Deswegen beantragt die Fraktion Die Linke die Aufstockung des Fonds nicht nur auf 1 Million Euro, sondern auf 3 Millionen Euro. Wir fürchten, dass auch das
noch immer zu wenig wäre, aber ich denke, es wäre ein
Schritt in die richtige Richtung.
({6})
Vor allem brauchen wir aber natürlich eine neue Richtlinie für die Auszahlung aus diesem Fonds.
Lassen Sie mich noch kurz zu einem zweiten Thema
kommen, das ich ausdrücklich, meine Damen und Herren, nicht in einen Sinnzusammenhang stelle:
In den vergangenen Jahren wurden große Anstrengungen unternommen, um die Geschichte des Auswärtigen Amtes während der NS-Diktatur aufzuarbeiten.
Zweifelsfrei wurden im Justizministerium schon einige
Vorarbeiten in diesem Bereich geleistet, aber eine unabhängige Untersuchung der Rolle des Justizministeriums
in der NS-Zeit liegt bis heute nicht vor. Sie wäre aber
wichtig, weil wir alle wissen, dass die Justiz in der Zeit
eine unrühmliche Rolle spielte.
({7})
Eine Konferenz ist für 2012 vorgesehen. Das ist gut,
aber leider nicht genug. Seien wir konsequent und stellen wir die Mittel bereit, um nun objektiv und wissenschaftlich die Geschichte des Justizministeriums in der
Zeit der NS-Diktatur aufzuarbeiten. Eine stärkere Initiative des Hauses dazu wäre wünschenswert. Das Gleiche
- das kann man auch schon wieder sagen - gilt auch für
das Innenministerium.
Ich danke Ihnen.
({8})
Vielen Dank, Kollege Steffen Bockhahn. - Jetzt
spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser
Kollege Jerzy Montag. Bitte schön, Kollege Montag.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Sehr geehrte Frau Ministerin, ich fange mit den Punkten
an, bei denen wir Grüne Sie ausdrücklich zu loben haben.
Als Erstes ist die Vorratsdatenspeicherung zu nennen.
Wir finden es völlig in Ordnung und völlig richtig, dass
Sie dem Verlangen der Union standhalten
({0})
und nicht die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland betreiben, die ja vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden
ist.
({1})
Frau Ministerin, wir haben Sie daneben auch für Ihre
Position hinsichtlich der Sicherungsverwahrung zu loben. Ich will das hier für uns Grüne ganz eindeutig sagen: Die Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung zum 1. Januar 2011 war richtig, bleibt richtig,
und es ist richtig, dass Sie sich dagegen wehren, dass die
nachträgliche Sicherungsverwahrung durch die Hintertür
wieder eingeführt werden soll.
Herr Kollege Lischka, zur Position, die Sie vorgetragen haben: Die Interessen und Ängste der Länder sowie
die Probleme, die es dort gibt, erkenne ich an, die diskutiere ich auch nicht weg; aber es geht nicht an, dass dem
mit dem Vorschlag begegnet wird, selbst für Entlassene
nachträglich noch irgendeine Form der Freiheitsentziehung vorzusehen. Das ist der Vorschlag der Justizministerkonferenz. So geht es nicht. Frau Ministerin, auch in
diesem Punkt haben Sie also unsere Zustimmung. Wir
bleiben dabei: Keine nachträgliche Sicherungsverwahrung durch den Bund!
Ansonsten haben wir aber festzustellen: Gegenüber
der Situation im September 2011, als wir schon einmal
über den Haushalt und die Rechtspolitik gesprochen haben, hat sich nicht viel geändert. Es gab viele Ankündigungen, aber das meiste, was angekündigt ist, wird in
der Koalition entweder auf Eis gelegt oder bleibt im völligen Streit hängen.
({2})
Ich nenne einige Beispiele: Die Beseitigung von Internetsperren ist eigentlich eine Leichtigkeit, aber immer
noch nicht aus dem Gesetz gestrichen. Das sogenannte
Rote-Linien-Gesetz hätte aufgrund von Google Street
View eine große Bedeutung. Ein Entwurf wurde angekündigt, bisher aber nicht vorgelegt. Hinsichtlich der
Kostenfallen im Internet wurden Regelungen angekündigt, aber nichts vorgelegt. Die bisherige Regelung zur
unerlaubten Telefonwerbung hat sich als nicht durchgriffsstark erwiesen. Sie haben angekündigt, nachzubessern. Wir warten da auf Ihre Vorschläge.
Zum Abmahnwesen ist im Zweiten Korb des Urheberrechts etwas geschehen. Diese Maßnahme hat sich als
nicht schlagkräftig erwiesen. Die Ministerin schlägt vor,
einen Gesetzentwurf vorzulegen. Bisher liegt nur einer
von den Linken vor.
Der Gesetzentwurf zum Arbeitnehmerdatenschutz
wird wohl in dieser Legislaturperiode nicht mehr bearbeitet.
Zur Korruptionsbekämpfung legen Sie nichts vor. Die
Koalition weigert sich, zum Thema Abgeordnetenbestechung irgendetwas vorzulegen.
({3})
Selbst das kleine Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit wird im Rechtsausschuss von einer Sitzung zur
nächsten geschoben und ist immer noch nicht im Bundesgesetzblatt. Das ist die Situation der schwarz-gelben
Rechtspolitik in dieser Zeit.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will noch auf
ein anderes Thema zu sprechen kommen. Ich hatte in
den letzten zwei Wochen Anlass, darüber nachzudenken,
was uns in diesem Parlament eint und was uns trennt. Es
ist nicht alltäglich, vom Bundeskriminalamt die Bestätigung zu bekommen, dass der eigene Name auf der Liste
einer rechtsterroristischen Gruppe steht, die 14 Jahre
lang unerkannt in Deutschland bombte, raubte und mordete, einer Liste mit 88 Einträgen - die Zahl 88 steht bei
den Rechtsradikalen für „Heil Hitler!“ -, zusammen mit
dem Namen des Kollegen Dr. Uhl von der CSU.
Es beschäftigt mich weiterhin: Was eint uns und was
trennt uns in diesem Hause?
Was uns trennt, sind unsere politischen Programme,
unsere politischen Grundüberzeugungen, die politische
Auseinandersetzung, die im demokratischen Diskurs
notwendig ist.
Wir sollten aber mehr darauf achten, zu zeigen, was
uns eint. Wir haben das heute Vormittag in der Debatte
über den Rechtsradikalismus und den rechten Terror versucht. Uns eint die Trauer um die Opfer. Uns einen die
Scham und der Zorn über das Ausmaß dieser blutigen,
rechtsterroristischen Taten. Was uns eint, ist auch die
Aussage, die im letzten Absatz unseres Entschließungsantrages vom heutigen Tag steht, nämlich der erste Satz
unseres Grundgesetzes:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
({5})
Deswegen will ich Ihnen sagen: Wir sollten diese allgemeinen und hehren Grundsätze, die in diesem Entschließungsantrag stehen, auch dann beachten, wenn wir
an die konkrete Umsetzung in der Tagespolitik gehen.
({6})
Ich hätte an dieser Stelle gerne darüber gesprochen,
ob wir uns noch einmal vernünftig und rational - ohne
Polemik und auf dieser Grundlage ({7})
über die Tatsache unterhalten können, dass im Titel des
Entschädigungsfonds das Wort „rechtsextremistisch“ gestrichen worden ist. Die Opferperspektive ist klar. Diese
teile ich. Aber das Streichen dieses Begriffes aus dem
Titel war ein Signal, im Nachhinein ein falsches Signal.
({8})
Denken Sie an mein Signal.
Letzter Satz. - Ich würde gerne mit Ihnen auch über
den Kofinanzierungsschlüssel reden. Warum lautet er 10
zu 90 bei Projekten gegen Linksradikalismus und 50 zu
50 bei Projekten gegen Rechtsradikalismus?
Ein anderer Punkt ist die Extremismusklausel. Ich
habe sie mir heute Nachmittag angeschaut. Sie ist in der
Sache nicht begründet, sondern sie beinhaltet die Forderung nach einem Kotau der Leute, bevor sie Geld für
bürgerschaftliches Engagement gegen rechts bekommen.
Das können wir gemeinsam nicht wollen. Ich bitte Sie:
Bedenken Sie das noch einmal!
({0})
Vielen Dank, Kollege Jerzy Montag. - Für die Fraktion der FDP unser Kollege Christian Ahrendt. Bitte
schön, Kollege Ahrendt.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Herr Kollege Montag, ich teile das,
was Sie eben zur Debatte heute Morgen gesagt haben.
Ich will aber einen Aspekt herausgreifen, den ich anders
unterstreichen möchte.
Ich halte es für richtig, dass aus dem Haushaltstitel
der Begriff „rechtsextremistisch“ gestrichen worden ist.
Es kann am Ende des Tages keinen Unterschied machen,
ob jemand Opfer islamistischen, rechten oder linken Terrors geworden ist. Opfer ist Opfer,
({0})
und wenn jemand Opfer extremistischen Terrors ist,
dann hat er auch Anspruch darauf, entschädigt zu werden. Das sollten wir im Titel des Fonds deutlich machen.
({1})
In erster Linie möchte ich aber zur Rechtspolitik sprechen. Ich wende mich ganz bewusst an die Ministerin
und an die Kollegen der Koalition. Wenn ich die Debatte
verfolge, dann darf ich sagen: Mit dieser Koalition ist
Glanz in die Rechtspolitik zurückgekehrt.
({2})
Zu den Debattenbeiträgen der Kollegen aus der Opposition kann ich nur feststellen: Hier ist nicht viel kritisiert
worden. Unsere Ergebnisse können sich nämlich sehen
lassen.
Wir haben § 522 ZPO geändert und damit den Rechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger, die bis zum BGH
hin ihr Recht verfolgen wollen, verbessert.
Wir haben - die Ministerin hat es gesagt - den
Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren verbessert. Auch das ist ein wesentlicher Fortschritt, den wir
erzielt haben.
({3})
Wir haben das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen auf den Weg gebracht. Die Opposition konnte sich sozusagen nur schamvoll enthalten,
weil ihr die Zustimmung nicht möglich war. So viel Anerkennung wollte sie nicht leisten.
Diese Rechtspolitik hat einen Paradigmenwechsel
herbeigeführt, und da gibt es, wie heute deutlich wurde,
nicht viel, was die Opposition kritisieren kann.
({4})
Das Schlimme, meine Kolleginnen und Kollegen aus
der Opposition, ist: Es geht so weiter.
Das Zugangserschwerungsgesetz, Herr Kollege Montag,
steht nächste Woche auf der Tagesordnung des Rechtsausschusses. Wir haben uns geeinigt.
Wir werden in der nächsten Woche im Rechtsausschuss einen weiteren Meilenstein bei der Mediation bestreiten. Der Kollege Sensburg und ich sind da recht
weit. Wir haben auch mit dem Justizministerium einen
überzeugenden Weg eingeschlagen. Er ist überzeugend,
weil wir die außergerichtliche Mediation stärken wollen
- das haben wir auch deutlich in den Gesetzestext hineingeschrieben -, aber gleichzeitig genauso das stärken
wollen, was die Richter im Bereich der Mediation leisten; das ist nämlich gut. Wir wollen es nur als Güterichtermodell ausgestalten. Auch das ist vernünftig. Damit
die Menschen, die ein Mediationsverfahren zur Streitschlichtung wünschen, auf gut ausgebildete Mediatoren
treffen, sagen wir auch ganz klar, wie die Mediatorenausbildung künftig aussehen soll. Sie werden das
nächste Woche sehen. Die Rechtspolitik wird im Sinne
dieses Paradigmenwechsels hin zu den Bürgern deutlich
weiterentwickelt.
Schließlich ist die Justizministerin - auch dafür muss
man sie ausdrücklich loben - die erste Ministerin, die
aus den Ergebnissen des Runden Tisches Konsequenzen
gezogen und einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren vorgelegt hat. Auch den Gesetzentwurf werden wir in den nächsten Wochen zu
Ende beraten. Die Anhörung ist abgeschlossen.
An all dem zeigt sich, dass die Rechtspolitik viel weiter ist, als dass die Opposition etwas Substanzielles kritisieren konnte.
Lassen Sie mich insofern zum Schluss sagen: Die
Rechtspolitik ist mit dieser Ministerin und dieser Koalition auf gutem Wege. Wir arbeiten erfolgreich.
({5})
Das werden wir auch in den nächsten zwei Jahren erfolgreich zusammen tun.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Kollege Ahrendt. - Jetzt für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Christine
Lambrecht. Bitte schön, Frau Kollegin Lambrecht.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Ministerin! Lassen Sie uns einmal über den
Glanz der Rechtspolitik reden, Herr Ahrendt. Wenn Sie
beobachten, wie diese Koalition auftritt und wer wann
wechselseitig klatscht oder stattdessen betreten auf den
Boden schaut, dann stellen Sie fest, dass es mit dem
Glanz nicht so weit her ist.
({0})
Ich möchte das gerne an zwei oder drei Themen festmachen.
Die Aufarbeitung der widerlichen Nazi-Morde war
dringend notwendig. Die Begleitumstände dieser Morde
standen zu Recht heute im Vordergrund. Ich persönlich
halte es für besonders wichtig, dass es endlich gelungen
ist, die Opfer und ihre Angehörigen von dem Stigma, das
die ganze Zeit an ihnen gehaftet hat, zu befreien, dass die
Opfer in ein kriminelles Milieu verwickelt wären. Das
war ja zum Teil der Vorwurf. Man hat im Mafiamilieu,
im Schutzgeldmilieu und wer weiß wo ermittelt. Es hat
sich herausgestellt, dass der Vorwurf, mit dem die Opfer
zusätzlich belegt wurden, unhaltbar ist. Sie haben nun
endlich Gerechtigkeit erfahren. Deswegen fand ich die
Debatte heute Morgen sehr angemessen.
({1})
Was mindestens genauso angemessen ist - Frau
Voßhoff, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das angesprochen haben -, ist die lückenlose Aufklärung. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen; denn das, was da
zutage tritt, ist unfassbar. Wir stehen da, schütteln zum
Teil verwundert den Kopf und fragen uns, wie es möglich sein kann, dass ein Durchsuchungsbeschluss, der
auch noch erfolgreich durchgeführt wird, nicht zu einem
Haftbefehl führt, und wie es möglich ist, danach noch
unterzutauchen. Die ganzen Begleitumstände müssen
aufgeklärt werden.
Anhand eines Punktes, den ich jetzt anspreche, will
ich einmal testen, ob die Rechtspolitik tatsächlich so einheitlich ist, wie Sie, Herr Ahrendt, es eben dargestellt
haben; ich bin da sehr gespannt. Uns wurde ja in zahlreichen Sitzungen dargelegt, wie schwierig es ist, die Hintergründe aufzuklären und aufzuzeigen, wer im Umfeld
dieser Täter agierte, wer ihnen zugearbeitet und wer sie
unterstützt hat. Dazu wäre es notwendig, die entsprechenden Rückschlüsse aus Daten zu ziehen. Ich will gar
nicht auf die peinliche Diskussion eingehen, dass wir in
Deutschland mittlerweile wegen der Nichtumsetzung der
EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ein Vertragsstrafenverfahren an der Backe haben und die Bundesregierung auf europäischer Ebene in diesem Bereich nichts
einbringen kann: Weil sie nämlich keine einheitliche
rechtspolitische Position hat, kann sie in Brüssel nicht
verhandeln. Das ist aber nicht mein Thema.
Was ich wirklich unerträglich finde, Frau Ministerin
- ich bitte deshalb Sie und Herrn Montag, es sich nicht
ganz so einfach zu machen, sondern einmal darüber
nachzudenken -, ist, dass das BKA, als es im Rahmen
der Aufklärung dieser Morde bei verschiedenen Providern anfragte, welche Telefonverbindungen es gegeben
hat, völlig unterschiedliche Reaktionen bekam: Von einem Provider erhielt das BKA eine Antwort, weil er die
Daten zwei Wochen speichert, der andere Provider sagte
überhaupt nichts, ein dritter Provider gab an, die Daten
noch länger zu speichern. Das heißt, ob und wie lange
Telefonverbindungsdaten in diesem Land gespeichert
werden, entscheidet nicht das Parlament, das entscheiden nicht wir als Gesetzgeber, sondern das entscheiden
private Unternehmen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich
halte das rechtsstaatlich für unerträglich.
({2})
Es geht nicht, dass in einem Rechtsstaat Unternehmen
darüber entscheiden, weil sich die Ministerin und die
Rechtspolitik - ich weiß nicht, ob alle damit gemeint
sind - wegducken, weil sie keine einheitliche Position
finden.
Herr Montag, Sie haben gesagt, das Bundesverfassungsgericht hätte das verboten.
({3})
- Es kam aber ein bisschen so herüber.
({4})
Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich nicht
gesagt, dass Vorratsdatenspeicherung in diesem Land
nicht möglich sei, sondern es hat gesagt, dass diese nur
unter ganz engen Voraussetzungen möglich sei.
({5})
Lassen Sie uns doch diese engen Voraussetzungen genau
anschauen, damit die Aufklärung von solchen widerlichen Morden und Straftaten - auf wesentliche Straftaten
muss sie beschränkt sein - möglich wird.
({6})
Wir als SPD bieten Ihnen eine konstruktive Zusammenarbeit an.
({7})
Wir haben das bei der Sicherungsverwahrung auch gemacht. Ich bin nicht hier, um nur zu kritisieren. Das ist
ein bisschen zu einfach. Dafür gibt es zu viele Möglichkeiten. Ich bin auch hier, um Ihnen die Zusammenarbeit
anzubieten.
Lassen Sie mich noch ein weiteres Thema ansprechen; denn die Redezeit ist heute sehr begrenzt.
({8})
Sie haben die Chance, die Redezeit zu verlängern.
Ich würde jetzt gern zu einem anderen Thema kommen, das mir mindestens genauso wichtig ist. Ich bin
nämlich gespannt, ob die Rechtspolitik der Koalition
auch bei diesem Thema einheitlich aufgestellt ist.
Wir warten seit langer Zeit auf eine Aussage, wie die
Ausgestaltung der elterlichen Sorge von nicht verheirateten Eltern aussehen soll. Frau Kollegin Hönlinger hat
es angemahnt, völlig zu Recht. Dieser Aufgabe sollten
wir uns stellen. Das ist keine einfache Frage, das ist
nicht einfach zu klären; denn es stoßen unterschiedliche
Interessen aufeinander. Es ist positiv zu vermerken, dass
es immer mehr Väter gibt, die ihrer Verantwortung gerecht werden wollen. Diese wollen natürlich ihre Rechte
durchsetzen. Deswegen sollten wir uns genau überlegen,
ob es nicht Sinn macht, Eltern dazu zu bringen, eine Regelung zu treffen, wie die elterliche Sorge aussehen soll.
Wir sollten sie auch darüber aufklären, was diese Sorgeregelung beinhaltet. Bei zwei Dritteln aller nicht Verheirateten gelingt das ja auch. Für diejenigen, bei denen das
nicht gelingt, weil sie zerstritten sind, muss es ein vorgelagertes Verfahren beim Jugendamt geben. Dabei stellt
sich die Frage, was passieren soll: Muss der Vater einen
Antrag stellen, oder muss die Mutter widersprechen?
Das ist das große Dilemma, vor dem wir stehen.
Vielleicht sollten wir uns bewegen und darüber nachdenken, ob es auch ohne Antrag oder Widerspruch geht,
damit niemand unter Zugzwang gesetzt wird. Vielleicht
sollte nach einem gescheiterten Verfahren vor dem Jugendamt automatisch das Familiengericht eine Entscheidung über die elterliche Sorge treffen, sodass weder Väter noch Mütter über Gebühr belastet werden.
({0})
Ich möchte Sie bitten, über einen solchen Vorschlag
einmal nachzudenken. Auch da bieten wir Ihnen eine
konstruktive Zusammenarbeit an. Denn ich glaube, es ist
nicht mehr erträglich, dass wir nicht in der Lage sind,
hier eine Regelung zu finden, auch wenn das eine
schwierige Materie ist. Es ist auch nicht ausreichend,
dass wir nur darauf zurückblicken, dass uns das Bundesverfassungsgericht diese Antragslösung, die niemanden
richtig glücklich macht, mit auf den Weg gegeben hat.
Ich finde, auch in dieser Frage stehen wir als Rechtspolitiker in der Verantwortung.
Ich bin auf den Glanz der Rechtspolitik gespannt. Wir
warten schon lange darauf, dass er kommen möge. Vielleicht kommt er in den nächsten Tagen, nachdem diese
Zusammenarbeit von Ihnen, Herr Ahrendt, geradezu
beschworen wurde.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat unser Kollege
Dr. Konstantin von Notz. Bitte schön, Kollege von Notz.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Lambrecht, eine ganz kurze, knackige Frage, die Sie
vielleicht auch ganz kurz und ohne lange Ausführungen
beantworten können: Ist die SPD-Fraktion bzw. die SPD
als Partei für die Vorratsdatenspeicherung und für die
nachträgliche Sicherungsverwahrung? So kam das nämlich herüber.
Das Wort zu einer Antwort hat Frau Kollegin
Christine Lambrecht. Bitte schön.
Herr von Notz, ich kann Ihnen ganz kurz und knapp sagen, dass die SPD-Fraktion eine abgestimmte Position
hat, die besagt: Wir können uns eine Vorratsdatenspeicherung unter den ganz engen Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht uns vorgegeben hat, vorstellen.
({0})
- Nein, ich habe nicht von der Partei gesprochen, weil
ich keine Parteivorsitzende und auch keine stellvertretende Parteivorsitzende bin, sondern ich bin stellvertretende Fraktionsvorsitzende für den Bereich Recht und
Innen. Somit kann ich nur für die Fraktion sprechen.
Wir stellen uns sehr enge Voraussetzungen wie eine
deutlich kürzere Speicherfrist von unter sechs Monaten
- von circa drei Monaten - vor, weil alle sagen, dass
man eine längere Frist überhaupt nicht braucht.
({1})
- Herr von Notz, ich bin durchaus mit einer entsprechenden Prokura ausgestattet, diese Position hier zu vertreten.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns deutliche Vorgaben gegeben: Beschränkung auf schwerste Straftaten,
Gefährdung von Leben, sexueller Selbstbestimmung und
körperlicher Unversehrtheit sowie Richtervorbehalt. Bei
Berufsgeheimnisträgern soll es Ausnahmen geben. Ich
kann Ihnen den kompletten Katalog zusenden. Dazu gibt
es ein ganz ausführliches Positionspapier, das zwischen
den Rechts-, den Innen- und den Netzpolitikern der
SPD-Bundestagsfraktion abgestimmt ist. Ich lasse Ihnen
das gerne zukommen.
({2})
- Vielleicht machen wir das später. Dann kann ich Ihre
anderen Fragen auch noch beantworten.
({3})
Jetzt wird es ein seltsamer Dialog, der ohne Mikrofon
weitergeführt wird. Das ist eine moderne Art des Parlamentarismus.
({0})
Vielen Dank an die beiden Kollegen.
Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU/
CSU unser Kollege Norbert Geis das Wort. Bitte schön,
Kollege Norbert Geis.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube schon, dass die Koalition bis jetzt
Hervorragendes in der Rechtspolitik geleistet hat. Es ist
zwar erst ein wenig mehr als die Hälfte der Legislaturperiode vorüber, aber es sind bereits 30 Gesetze verabschiedet worden, wie die Frau Justizministerin erklärt
hat. Das hatte in der Vergangenheit nicht jede Koalition
aufzuweisen, jedenfalls nicht in einem solchen Zeitraum.
Außerdem glaube ich, dass eine große Übereinstimmung in der Koalition besteht. Natürlich gibt es auch
Unterschiede. Das hängt auch damit zusammen, dass wir
unterschiedliche Parteien sind und deshalb in manchen
Fragen unterschiedliche Auffassungen haben. Da müssen wir uns noch zusammenraufen. Im Interesse der Sache werden wir uns auch noch zusammenfinden.
Ich möchte mich dafür bedanken, dass im Rechtsausschuss über Jahre hinweg - ich bin schon lange genug
Mitglied dieses Ausschusses - immer eine kollegiale, offene Atmosphäre vorherrscht und dass wir gegensätzliche Meinungen offen und ohne Polemik diskutieren können. Das ist nicht in allen Ausschüssen der Fall.
Deswegen, so meine ich, sollte dies bei dieser Gelegenheit einmal gesagt werden. Man sollte sich auch dafür
bedanken.
({0})
Das Thema Rechtsextremismus hat heute natürlich
Vorrang. Auch die Rechtspolitik ist damit behaftet. Ich
möchte dieses Thema unter rechtspolitischen Gesichtspunkten aufgreifen und die Fragen aufwerfen: Erstens.
Reicht das, was vorliegt, für eine Klage aus? Zweitens.
Wie ist es um den Einsatz von V-Leuten bestellt? Drittens. Ist eine Klage entgegen dem Urteil von 2003 möglich, obwohl V-Leute eingesetzt wurden? Ich möchte mit
der Beantwortung dieser Fragen beginnen, bevor ich auf
andere Themen zu sprechen komme.
Der Innenminister hat erklärt, dass er die NPD für
eine verfassungswidrige, eine für unsere rechtsstaatliche
Ordnung gefährliche Partei hält. In der Tat hat die NPD
starke Verknüpfungen mit neonazistischen Kreisen. Sie
bietet ihnen eine Plattform, von der immer wieder neonazistische Aktivitäten ausgehen, welche zu starken Unruhen führen. Das ist vielleicht schon ein Hinweis darauf, dass hier eine Belastung der NPD vorliegt, die
Gründe dafür liefert, eine entsprechende Klage einzureichen.
Der Innenminister lässt die entsprechenden Fragen
prüfen. Er tut recht daran; denn es besteht die Gefahr
- das wurde heute schon erwähnt -, dass es dann, wenn
eine Klage erneut scheitert, unter Umständen zu einer
Stärkung des rechtsextremistischen Bereichs kommt.
Das muss nicht, kann aber so sein. Das ist zu bedenken,
wenn darüber zu entscheiden ist, ob es sinnvoll und erfolgversprechend ist, eine solche Klage einzureichen.
Wenn eine solche Klage scheitert, finden rechtsextremistische Kreise sozusagen neue Munition und entfalten
Aktivitäten, die unter Umständen von der Bevölkerung
eher geduldet werden, weil der Bannstrahl der Verfassungswidrigkeit dann nicht gegeben ist. Das alles ist sehr
wohl zu prüfen.
Wie ist es um den Einsatz von V-Leuten bestellt?
Kann man im Rahmen des Verfassungsschutzes V-Leute
überhaupt einsetzen? Das war zu allen Zeiten der Fall.
Natürlich kann man V-Leute einsetzen. Das tun alle demokratischen Länder, und das ist auch unter allen Regierungen bei uns der Fall gewesen. Der Einsatz von
V-Leuten ist nach dem Urteil aller Fachleute unverzichtbar. Auf ihren Einsatz können und dürfen wir
nicht verzichten.
({1})
Wir würden sonst Gefahr laufen, bestimmte Vorfeldaufklärungen gar nicht durchführen zu können. V-Leute haben den Auftrag, Informationen aus den Hinterzimmern
extremistischer Kreise zu liefern. Diese Informationen
muss der Verfassungsschutz verwerten dürfen. Diese
Informationen muss man eigentlich auch in einer Klage
verwerten dürfen.
Damit komme ich auf die dritte Frage zu sprechen.
Ich glaube nicht, dass wir dem Urteil von 2003 unbedingt folgen müssen. Auch ein verfassungsgerichtliches
Urteil ist nicht sakrosankt. Es kann und soll auch kritisiert werden. Die Tatsache, dass damals nur eine Minderheit von drei Richtern für die Einstellung des Verbotsverfahrens gegen die NPD war - aufgrund der
Verfahrensregelungen konnten sie sich mit ihrer Position
durchsetzen -, während die Mehrheit der Richter des
Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts dagegen
war und die Auffassung vertrat, dass V-Leute durchaus
eingesetzt werden dürfen und dass der Einsatz solcher
Leute nicht zu einem Verfahrenshindernis werden darf
- viele Innenminister, auch der bayerische, sind ähnlicher Auffassung -, ist für mich Anlass, zu sagen: Es
kann eine Klage eingereicht werden, ohne befürchten zu
müssen, dass ein Verfahrenshindernis besteht.
({2})
Aber ich gestehe Ihnen zu: Dies ist zu prüfen. Es besteht
unter Umständen ein Risiko. Wie gesagt, sollte man Risiken in dieser Frage eigentlich nicht eingehen. Aber ich
wollte darauf zu sprechen kommen, um eine Lanze für
die V-Leute, ihre Tätigkeit und ihren Einsatz zu brechen.
Ich komme nun auf die Sicherungsverwahrung zu
sprechen; sie ist hier schon erwähnt worden. Es besteht
überhaupt kein Zweifel, dass wir hier noch nicht zu einem Ergebnis gekommen sind und dass das Bundesverfassungsgericht damals die gesetzlichen Regelungen zur
Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt
hat, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen muss von
einem Täter - das ist in der Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts klar zum Ausdruck gekommen eine große Gefahr ausgehen, Gewalttaten und schwere
Sexualtaten zu begehen. Zum anderen muss eine psychische Belastung des Täters im Sinne des Therapieunterbringungsgesetzes gegeben sein. Es muss schließlich
eine vernünftige Therapiemöglichkeit vorausgesetzt werden.
Damit kommen wir zum Abstandsgebot. In der Tat ist
das Abstandsgebot bisher nicht gewahrt worden. Die
Länder haben dem nicht Rechnung getragen; die Ministerin hat darauf hingewiesen. Das Abstandsgebot ist eine
wichtige Voraussetzung. Die Therapie muss immer darauf ausgerichtet sein, dass der Untergebrachte wieder in
Freiheit kommt. Die Sicherungsverwahrung ist keine
Fortsetzung des Strafvollzugs. Die Strafe ist verbüßt.
Der Untergebrachte bringt sozusagen ein Sonderopfer
für die Sicherheit der Gesellschaft, und dieses Sonderopfer kann nur gerechtfertigt werden, wenn eine Therapie gegeben ist.
({3})
Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen wollte
- das darf ich vielleicht noch ausführen -, ist die Problematik der Datenspeicherung. Auch hier müssen wir uns
zusammenraufen. Auch hier gibt es ein verfassungsgerichtliches Urteil. Hier müssen wir - das ist heute noch
nicht gesagt worden - die EU-Richtlinie mit bedenken,
die uns vorschreibt, Vorratsdatenspeicherung zu betreiben, um zu einer vernünftigen Verbrechensbekämpfung
zu kommen. Ich bin der Meinung, dass wir hier so bald
wie möglich im Interesse der Verbrechensbekämpfung
eine Einigung finden müssen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Vielen Dank, Kollege Norbert Geis. - Jetzt für die
Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Professor
Dr. Patrick Sensburg. Bitte schön, Kollege Professor
Sensburg.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lassen Sie mich an erster Stelle der Bundesjustizministerin für einen exzellenten Einzelplan und für
die konstruktiven Gespräche der letzten Wochen danken.
Lassen Sie mich auch den Haushältern und den Rechtspolitikern danken, und zwar dafür, dass gemeinsam an
diesem Haushalt gearbeitet werden konnte - in konstruktiver Stimmung, über alle Fraktionen hinweg.
Auch wenn bestimmte Punkte heute natürlich strittig
waren - das ist richtig -, kann sich das Ergebnis sehen
lassen. Es ist ein exzellenter Einzelplan. Wenn wir wieder,
wie auch im letzten Jahr, eine Deckungsquote von weit
über 80 Prozent haben - 85 Prozent oder 86 Prozent -,
dann ist das ein Erfolg. Das kann sich sehen lassen. Der
Dank gilt Ihnen, Frau Justizministerin, den Haushältern
und den Rechtspolitikern.
({0})
Lassen Sie mich nur wenige Punkte ansprechen. Herr
Kollege Bockhahn, Sie sind noch einmal auf die Forderung, die von Ihrer Seite kam, eingegangen, die Justizministerin möge sich in Justizverfahren der Staatsanwaltschaften einmischen.
({1})
Ich muss sagen: Die Justizministerin hat gut reagiert. Sie
hat klar gesagt: Wir mischen uns nicht in einzelne Verfahren ein.
({2})
Das ist Gewaltenteilung, die wir respektieren.
({3})
Es kann einfach nicht sein, dass die Bundesjustizministerin von parlamentarischer Seite aufgerufen wird,
({4})
sich an dieser Stelle in Strafverfahren einzumischen. Das
geht einfach nicht, meine Damen und Herren.
({5})
- Danke schön für die Zurufe. Sie können ja eine Frage
stellen, wenn Sie an dieser Stelle irgendetwas vermissen.
Die Rechtspolitik der christlich-liberalen Koalition richtet sich nach den Obersätzen „Freiheit und Sicherheit Durch Bürgerrechte und starken Staat“. So steht es im
Koalitionsvertrag. Das sind auch die einzelnen Punkte,
die ich ansprechen möchte.
Unter dem Stichwort „Freiheit und Sicherheit“
möchte ich einen Punkt aufgreifen, der bisher noch nicht
genannt worden ist, und das ist das Thema SchariaRecht. Wir haben in diesem Einzelplan zu Recht eine
Stelle vorgesehen - es ist eine A-13-Stelle -, die sich
dem Thema Scharia-Recht widmen soll. Wenn Sie die
Diskussion in den letzten Wochen mitbekommen haben,
wissen Sie: Es gibt immer wieder Fälle, in denen sich
bestimmte Gruppen nicht dem deutschen Recht unterwerfen wollen, sondern möglicherweise lieber zu einem
Friedensrichter gehen. Es gab einen sehr schönen Beitrag von Wilfried Goebels in der Westfalenpost vom
30. August 2011. Ich zitiere daraus:
Die Justiz muss sich wehren, wenn Friedensrichter
in Moscheen oder Teehäusern Recht sprechen und
mit dem Hinweis, dass die Familie über dem Gesetz
steht, hier die deutsche Justiz umgehen.
Von daher wollen wir dieses Phänomen beleuchten.
Wir wollen wissen, ob es sich wirklich um eine große
Anzahl von Fällen handelt, um dann die richtigen
Schritte unternehmen zu können.
Vor dem Hintergrund der Taten, der rechtsterroristischen Morde, über die wir heute diskutiert haben, halte
ich es auch für richtig, zu debattieren, ob wir nicht mehr
Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat schaffen müssen.
Denn wenn das Vertrauen in die deutschen Behörden
nachlässt, dann muss man sich entsprechende Fragen
stellen.
({6})
- Herr Kollege Ströbele, gerade diese Fragen wollen wir
beantworten, auch mit dem Programm zum SchariaRecht. Wir wollen schauen: Gibt es da möglicherweise
eine Hemmschwelle, die deutsche Justiz in Anspruch zu
nehmen?
({7})
Deswegen ist es so wichtig, dass wir diesen Bereich einmal richtig beleuchten und dass wir es nicht bei Vermutungen und bei Aufsätzen in Zeitschriften belassen. Mit
dieser neu geschaffenen Stelle schauen wir genau hin. Es
ist gut, dass wir die entsprechenden Mittel dafür in diesen Einzelplan eingestellt haben.
({8})
Ebenso ist es richtig und gut, dass wir die beim Generalbundesanwalt vorgesehenen Kürzungen in Höhe von
1 Million Euro nicht in vollem Umfang durchgeführt,
sondern davon wieder 400 000 Euro für die gute Arbeit
der Generalbundesanwaltschaft eingestellt haben. Der
Dank gilt an dieser Stelle Frau Professor Harms, die als
Generalbundesanwältin gute Arbeit geleistet hat. Ich
glaube, es ist ein richtiges Zeichen, wenn wir an dieser
Stelle 400 000 Euro mehr einstellen, als im Entwurf vorgesehen. Ich habe das auch schon in meiner Rede zur
ersten Lesung gefordert. Damit wird ein Zeichen für die
gute Arbeit von Harald Range gesetzt, der jetzt das Amt
des Generalbundesanwalts übernommen hat. Damit zeigen wir auch, dass wir die Arbeit der Generalbundesanwaltschaft unterstützen.
({9})
Lob verdient an dieser Stelle auch der Kollege
Montag, der eben gesagt hat: Wir sollten das betrachten,
was uns eint, und nicht das, was uns entzweit. Was den
Fonds für Opfer extremistischer Übergriffe angeht, so
eint uns sehr viel in Bezug auf Sinn und Zweck dieses
Fonds. Ich glaube, es ist kein guter Weg, wenn wir hier
mit Zahlen messen; vielmehr müssen wir auf die Menschen schauen. Entscheidend sind die Menschen, die
Opfer von Gewalttaten mit terroristischem oder extremistischem Hintergrund werden. Wir wollen den einzelnen Menschen, der Opfer geworden ist, betrachten und
nicht mit Zahlen abwägen. Deswegen glaube ich, dass
wir den Opferfonds richtig ausgestaltet haben.
({10})
Im Zusammenhang mit der Forderung nach einer Erhöhung auf 3 Millionen Euro sage ich: Es gibt keinen
Flexibilisierungsvermerk an der Stelle. Wenn die Gelder
nicht abgerufen werden, sind sie weg; sie können nicht
übertragen werden. Von daher muss man viel mehr dafür
werben, dass die Gelder in Anspruch genommen werden. Das ist der richtige Weg.
Wichtig bei den Ermittlungen zu diesen Taten ist natürlich auch, dass die Ermittlungsbehörden effizient handeln können. Daher ist es gut, dass wir heute wieder über
das Thema Vorratsdatenspeicherung diskutiert haben.
Frau Kollegin Lambrecht, es ist hilfreich, dass Sie hier
Ihre Unterstützung anbieten. Ich bin mir aber ganz
sicher, dass das in der christlich-liberalen Koalition, also
mit unserem Partner FDP, besser gelingen wird.
({11})
Wir haben den Evaluierungsbericht der Europäischen
Kommission abgewartet. Wir werden ihn uns ganz
genau anschauen, und dann wird die christlich-liberale
Koalition zu einer Lösung kommen, unter Berücksichtigung dessen, was das Bundesverfassungsgericht an
Möglichkeiten aufgezeigt hat.
Als letzten Punkt lassen Sie mich noch die Mediation
ansprechen. Der Kollege Ahrendt hat es schon ausgeführt: Wir sind hier auf einem sehr guten Weg, ein Verfahren zu etablieren, das den Bürgern die Möglichkeit
gibt, im Wege einer sogenannten Win-win-Situation außerhalb eines streitigen Verfahrens Recht zu bekommen,
und zwar im Rahmen des Güterichtermodells, das wir
als vorzugswürdig erachten. Im Verhältnis zu einem
Kostenmodell besteht die Möglichkeit, dass die Bundesländer, die schon Mediationsprojekte haben, an dieser
Stelle ihre guten Ansätze in das Güterichtermodell überführen können. Wir schaffen Mindeststandards für die
Ausbildung, um qualitativ gut ausgebildete Mediatoren
zu haben, und wir etablieren damit ein Verfahren, das in
vielen anderen Ländern schon erfolgreich ist, endlich
auch im deutschen Recht. Die Mediation wird durch dieses Gesetz guten Erfolg haben.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie an dieser
Stelle um Unterstützung für den Einzelplan 07 bitten.
Ich glaube, dass die christlich-liberale Koalition im Bereich der Rechtspolitik gute Arbeit geleistet und einen
guten Einzelplan vorgelegt hat, von dem ich hoffe, dass
er Ihre breite Unterstützung finden wird.
Danke schön.
({12})
Vielen Dank, Kollege Professor Patrick Sensburg.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 07, Bundesministerium der Justiz, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen drei Änderungsanträge vor, über
die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktionen
CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/7815? - Das
sind alle Fraktionen. Wer stimmt dagegen? - Niemand.
Enthaltungen? - Keine. Der Änderungsantrag ist angenommen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/7782? - Das ist die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Sozialdemokraten
und Bündnis 90/Die Grünen. Der Änderungsantrag ist
abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/7783? - Das sind die Fraktion Die Linke, die Sozialdemokraten und Bündnis 90/
Die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Keine. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zum Einzelplan 07, Bundesministerium der Justiz, in der Ausschussfassung mit der soeben
beschlossenen Änderung. Wer stimmt dafür? - Das sind
Vizepräsident Eduard Oswald
die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion.
Enthaltungen? - Keine. Der Einzelplan 07 ist angenommen.
Bevor wir zur Abstimmung über den Einzelplan 19
kommen, müssen wir über einen weiteren Änderungsantrag abstimmen. Wegen des Sachzusammenhangs mit
der soeben beschlossenen Änderung zu Einzelplan 07 ist
interfraktionell vereinbart, jetzt sofort über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf
Drucksache 17/7826 zu Einzelplan 17 abzustimmen.
Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Das sind alle
Fraktionen des Hauses. Vorsichtshalber frage ich: Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Keine. Der Änderungsantrag ist angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Das sind alle Fraktionen des
Hauses. Vorsichtshalber die Gegenprobe: Wer stimmt
dagegen? - Niemand. Enthaltungen? - Keine. Der Einzelplan 19 ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.8 auf:
Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 17/7106, 17/7123 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Herrmann
Dr. Peter Danckert
Florian Toncar
Katja Dörner
Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der
SPD, fünf Änderungsanträge der Fraktion Die Linke sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Erster Redner in unserer Debatte ist unser Kollege
Dr. Peter Danckert.
({0})
Ich freue mich, lieber Peter, dass wir dich so frisch und
voller Ehrgeiz und Elan wiedersehen, und gebe dir das
Wort.
({1})
Lieber Herr Präsident! Meine Damen und Herren
Kollegen! Das ist in der Tat für mich ein bewegender
Augenblick. Es ist heute meine erste Rede nach dem
Schlaganfall im März dieses Jahres. Ich bin froh, dass
ich heute hier wieder einen Versuch starten kann. Die
Zeit war nicht einfach.
({0})
Ich darf mich nicht nur für den Beifall bedanken, sondern überhaupt für die Unterstützung meiner Bundestagskollegen Jürgen Herrmann, Florian Toncar, Steffen
Bockhahn und Katja Dörner. Ihr habt mir die Rückkehr
leicht gemacht. Das ist für mich eine schöne Situation.
Da darf ich auch Herrn Bundesminister Friedrich ausdrücklich einbeziehen. Ich finde diese Art der Kollegialität sehr angenehm.
Zu Beginn meiner Rede möchte ich mich in meiner
Funktion als Hauptberichterstatter, wie das üblich ist,
beim Ministerium, also bei Herrn Palm, der anwesend
ist, und bei seinen Truppen sowie bei Herrn Burbaum
und bei allen, die im Ministerium für uns zuständig waren, herzlich bedanken. Das war eine gute Zusammenarbeit. Wir hatten natürlich - das überrascht nicht - unterschiedliche Auffassungen zu manchen Themen; das
gehört zum Tagesgeschäft einfach dazu. Wir sind aber zu
jeder Zeit - ich würde beinahe sagen: bevorzugt - bedient worden. Das ging schnell, zügig und vollständig.
Da ich gerade Dank ausspreche: Nehmen Sie es mir
bitte nicht übel, wenn ich jetzt einen Dank persönlicher
Art an meine Familie und meine Therapeuten richte. Ich
danke meiner Frau und meinen Kindern, die mir das Leben wieder lebenswert gemacht haben, und meinen Therapeuten - ich nenne jetzt einfach die Vornamen: Anne,
Susanne, Frank, Nicole und Matthias -, die mir das
Leben wirklich leicht gemacht haben und die dafür gesorgt haben, dass ich wieder auf die Beine gekommen
bin. In diesen Dank - damit ist dann Schluss - möchte
ich vor allen Dingen auch das Pflegepersonal einbeziehen; denn es leistet wirklich eine sagenhafte Hilfe, ohne
die man überhaupt nicht zurechtkommen würde.
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an die Debatte von heute Morgen anknüpfen, die mir zum größten
Teil sehr gut gefallen hat; da beziehe ich alle Redner ein.
Es gehört mit dazu, dass es an der einen oder anderen
Stelle unterschiedliche Auffassungen gab. Da fiel das
eine oder andere harte Wort; aber das würde ich nicht so
tragisch nennen.
Herr Bundesinnenminister Friedrich, ich will Ihnen
sagen: Gestern habe ich einen Anruf vom Berliner Landeskriminalamt, Abteilung Staatsschutz, bekommen, das
mir mitgeteilt hat, dass auch ich auf der besagten Liste
stehe; bisher wurden immer nur - was heißt „nur“! - die
Namen Uhl und Montag genannt. Nun bin ich jemand,
der sich keine Angst einjagen lässt; aber ich bitte Sie
ganz persönlich, alles zu veranlassen, um die Sicherheit
der Menschen in Deutschland allgemein - insofern sind
wir alle gleich -, aber auch die Sicherheit der Abgeordneten zu gewährleisten.
Wenn ich von dem Gesprächspartner aus dem Landeskriminalamt, Abteilung Staatsschutz, höre, es bestehe
keine akute Gefahr, dann führt mich das zu dem Gedanken, dass die Behörden auch die heute diskutierten zehn
Morde nicht mitbekommen haben und da keine Vorstellung von der akuten Gefahr für die Menschen hatten, die
grausam ermordet worden sind. Ich will mich nicht in
die Reihe stellen; aber ich bitte Sie ganz persönlich, alles
zu veranlassen, um die Sicherheit auch von uns Abgeordneten zu gewährleisten, damit da kein Fanal gesetzt
wird. Meine Güte, mit 71 könnte man vielleicht auch
Abschied nehmen; aber es muss nicht auf diese Weise
sein. Ich bitte Sie also sehr herzlich darum.
Was mir heute Morgen gefehlt hat - das will ich ganz
deutlich sagen -, war der Hinweis der Rednerinnen und
Redner auf die Kontinuität, in der dieses Terrornetzwerk
in Deutschland steht. Wir haben über die grauenhafte
Mordserie in den letzten 10, 11, 12 oder 13 Jahren geredet. Aber das, was sich in den letzten Jahrzehnten in
Deutschland vor den Augen unserer Dienste, unserer
Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamts abgespielt hat, ist eine Geschichte, die es wirklich aufzuarbeiten gilt, und zwar rückhaltlos.
({2})
Ich will Ihnen, um die Kontinuität aufzuzeigen, nur
ein paar wenige Beispiele geben; ich könnte die Aufzählung auf die nächste halbe Stunde verlängern. Es gab
1968 das berüchtigte Dutschke-Attentat, ein Attentat,
von dem man sagt, das sei ein Einzeltäter gewesen. Der
Einzeltäter Bachmann, der inzwischen verstorben ist, hat
aber seine Waffe von einem Herrn Sachse erhalten; ich
nenne jetzt ausdrücklich die Namen, selbst wenn ich damit ein Risiko persönlicher Art eingehe. Das hat nie zu
einer Strafverfolgung geführt, obwohl es bei den Diensten und den Landeskriminalämtern aktenkundig ist, dass
es Herr Sachse war.
Herr Sachse ist dann Mitglied der Braunschweiger
Gruppe geworden, die in Braunschweig Bomben gebaut
hat. Auch das ist nicht weiter verfolgt worden. Dann gibt
es einen V-Mann namens Lepsien, der die Bomben von
Braunschweig nach Hamburg, zur Hamburger Gruppe,
und nach Berlin, zur Gruppe Priem, gebracht hat. Auch
das ist nicht weiter verfolgt worden. Übrigens spielt da
- soweit ich weiß, zum einzigen Mal - die Stasi eine
positive Rolle, weil sie die Bombe, die nach Berlin gebracht wurde, unschädlich gemacht hat. Das ist in den
Unterlagen nachzulesen; ich kann sie Ihnen geben.
Ein Verfassungsschutzmann namens Lepsien hatte die
Bomben in der Bundesrepublik von einem Ort zum anderen gebracht. Das ist wirklich ein Unding. Seine Akten
sind noch heute in Niedersachsen unter Verschluss. Ich
bitte Sie - denn Sie haben vielleicht keinen unmittelbaren Zugriff darauf -, dringend zu klären, was in diesen
Akten steht.
Dann gab es das Oktoberfest-Attentat. Ich habe mit
Ihrer Kollegin, der Frau Justizministerin, auch darüber
gesprochen. Es ist zwar gelungen, die Bundesanwaltschaft halbwegs zu überreden - halb zog sie ihn, halb
sank er hin -, in diesem Zusammenhang noch einmal Ermittlungen durchzuführen. Dieser Kreis, der im Umfeld
des Oktoberfest-Attentats aktiv war, lässt einen schaudern. In diesem Zusammenhang wurden Personen genannt, die Riesenwaffenlager in der Bundesrepublik
angelegt haben. Das ist keine Fantasie, sondern aktenkundig. An dieser Stelle wird deutlich, in welchem Umfeld sich diese braunen Banden in Deutschland tummeln,
ohne dass wirklich energisch eingegriffen wird.
Verehrter Herr Bundesminister, die Einschätzung der
Landeskriminalämter bzw. der Landesverfassungsämter
überzeugt mich nun leider überhaupt nicht mehr. Ich will
mich hier nicht zu der Formulierung versteigen, dass sie
gemeinsame Sache machen. Aber dass sie weggucken,
wo es etwas gibt, dass sie zulassen, dass ihre V-Leute
kriminelle Handlungen höchsten Ausmaßes - bis hin zu
Toten - begehen, das ist nicht hinnehmbar. Ich bitte Sie
sehr, Herr Friedrich, dass wir jetzt nicht lange interne
Abklärungen vornehmen. Ich meine, wir sollten den Beteiligten nicht die Chance geben, sich auf die Situation
einzurichten. Am Ende des Tages wird es vielleicht einen Untersuchungsausschuss geben müssen. Anders
wird das nicht gehen. Aber jetzt lange abzuwarten, bis
sich die Beteiligten abgesprochen und darauf eingerichtet haben, wäre, finde ich, nicht die richtige Konsequenz
aus dem, was wir offensichtlich aus den letzten 10 bis
13 Jahren wissen. Der braune Sumpf ist viel verbreiteter,
als wir an dieser Stelle angenommen haben.
({3})
So viel vielleicht zu dem Terrornetzwerk und den Dingen, die wir unbedingt angehen müssen.
Wir haben heute Morgen über den Kampf gegen den
Extremismus gesprochen. Ich gehöre zu denjenigen, die
sagen: Extremismus ist Extremismus, ob er von links
oder von rechts kommt. Das ist meine persönliche Auffassung.
({4})
- Vorsichtig! - Ich glaube aber, dass der Extremismus
von rechts sehr viel gefährlicher ist als der von links.
({5})
Heute Morgen ist auch darüber kurz diskutiert worden.
Die einen rechnen dem rechtsextremen Spektrum knapp
50 Morde zu. Andere wie Tagesspiegel und Zeit Online
sagen, es seien knapp 150 Morde. Ich will die eine Zahl
nicht zu sehr gegen die andere ausspielen. Man muss
dem aber nachgehen. Diese Zahlen machen deutlich,
dass das eine Sache ist, die man in jedem Fall ernst nehmen und - das haben Sie, glaube ich, auch angedeutet neu bewerten muss.
Die Mittel für das Bundesprogramm „Zusammenhalt
durch Teilhabe“, das zu Ihrem Haushalt gehört, sind gekürzt worden. Ich verstehe das, ehrlich gesagt, nicht. Wir
können nicht an einer Stelle, wo es verbreitet rechtsextreme Strukturen gibt, die Bürgergesellschaft, die sich
darum kümmert, bestrafen, indem die Mittel an dieser
Stelle gekürzt werden. Das geht meines Erachtens unter
keinen Umständen. Wir müssen die präventive Aufklärungsarbeit und die Bildungsarbeit in diesem Fall verstärken. Wir reden ja nicht über viele Millionen, schon
gar nicht über Milliarden. Wir reden über einige Millionen, die in diesem Bereich bestens angesiedelt sind.
({6})
Ich will nicht all das wiederholen, was wir heute Morgen dazu gehört haben. Das ist sicherlich eine nützliche
Aufgabe. Dazu gehört auch - das wird meine Kollegin
Fograscher oder Daniela Kolbe nachher noch einmal sagen - die Bundeszentrale für politische Bildung. Die
Kürzungen auf diesem Gebiet können wir nicht einfach
hinnehmen. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Wir
müssen gemeinsam handeln. Ich appelliere an die
Freunde in der Koalition - in der Zusammenarbeit kann
man das so sagen -, dass sie das noch einmal neu bedenken, nicht heute bei der Beschlussfassung, aber vielleicht
bis Freitag. Wir haben noch einige Anträge einzubringen. Das ist meines Erachtens eine wichtige gemeinschaftliche Aufgabe.
Ich will keine weiteren Ausführungen machen, weil
ich sehe, dass meine Redezeit abgelaufen ist, und selbst
der wohlwollendste Präsident ist irgendwann einmal
nicht mehr bereit, sie zu verlängern.
Wir haben das Thema der Verbesserung im Bereich
der IT-Kommunikation schon angesprochen; mehr will
ich an dieser Stelle nicht sagen. Das muss mit echten
Strukturveränderungen einhergehen, sonst sind wir nicht
in der Lage, dieses Problem für die Zukunft zu lösen. Ich
meine jetzt nicht nur bis 2013; das wird auch ein Problem für die nächste Regierung sein, von der ich hoffe,
dass wir dann mit Verantwortung tragen.
Das Kompetenzzentrum für informationstechnische
Überwachung - CC IT-Überwachung - wäre vielleicht
ein erster Anfang, aber es gibt an dieser Stelle noch nicht
die richtigen Strukturen. Auch das Nationale Cyber-Abwehrzentrum ist etwas, das wir stärker in den Blick nehmen müssen. Sie müssen auch operative Verantwortung
haben und dürfen nicht nur ein Klub sein, in dem man
sich über das Lagebild austauscht.
Ein letztes Wort zur Bundespolizei. Die Bundespolizei ist die Einrichtung, die uns die äußere Sicherheit garantiert. Die Beamten der Bundespolizei haben einen
verdammt harten Job. Ich habe bei den Demonstrationen
der Rechten in Königs Wusterhausen erlebt, wie sie sich
zwischen die aufgebrachte Bevölkerung und den braunen Block gestellt haben. Wenn man ihn nur einmal aus
der Nähe gesehen hat, dann weiß man, welche Kriminalität und Brutalität diese Menschen ausstrahlen. Ich habe
auf dem Soldatenfriedhof in Halbe ebenfalls solche Demonstrationen erlebt. Es ist wirklich ein verdammt harter Job, den sie machen. Ich bitte, das zu honorieren und
ihnen nicht nur 150 Stellenanhebungen von A 8 nach
A 9 anzubieten, sondern das etwas großzügiger zu gestalten bzw. die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass wir ihnen sozusagen nicht hinterherlaufen
müssen. Die Situation ist heute so - damit komme ich
zum Schluss -, dass die Beamten bereit wären, auf Gehaltserhöhungen zu verzichten, wenn sie wenigstens den
dritten Stern auf ihr Schulterstück bekommen würden.
So weit sind sie schon; Jürgen Herrmann, du weißt das.
Er spricht gleich als Nächster. Er kann darauf gleich
eingehen.
Er soll sich jetzt einmal darauf einrichten.
Ich freue mich, dass ich diese Rede, die mir bevorstand, einigermaßen zügig und völlig anders als die
letzte über die Runden gebracht habe. Danke, dass Sie
mir so lange zugehört haben und dass der Präsident so
nachsichtig war, wie er sonst zu anderen Kollegen nicht
ist.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Kollege Dr. Peter Danckert. Lieber
Peter Danckert, weiterhin alles Gute und viel Erfolg auf
dem weiteren Genesungsweg.
({0})
Den nächsten Redner brauche ich nicht aufzurufen, er
steht schon am Pult. - Kollege Jürgen Herrmann, bitte
schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Peter, auch im Namen der Berichterstatter wünsche ich dir ein herzliches Willkommen. Wir haben
schon in der ersten Lesung darauf gewartet, dass du
sprichst. Damals hat es noch nicht ganz geklappt, aber
heute bist du da. Du zeigst: Der Sachverstand ist immer
noch da, du bist genauso bissig. Deshalb werden wir es
dir auch nicht leichter machen. Wir freuen uns alle auf
die Zusammenarbeit. Dir noch einmal ein herzliches
Willkommen!
({0})
Ich will die Debatte von heute Morgen über den Bereich Rechtsterrorismus nicht noch einmal komplett führen. Wir haben eben bei der Justizdebatte schon gesehen,
dass uns das Thema weiter bewegt. Peter, du hast es gerade angesprochen: Es ist schon sehr wichtig, dass wir
diese Diskussion ausgiebig führen.
Ich danke dem Bundestagspräsidenten noch einmal
für seine würdevollen Worte der Anteilnahme und Entschuldigung, mit dem gleichzeitigen Versprechen, den
Hinterbliebenen der Opfer beizustehen und zu helfen.
Ich glaube, das ist die vorrangige Aufgabe. Dieser Dank
gilt im Übrigen auch all jenen Rednern, die heute Morgen versucht haben, dieses Thema ohne parteipolitische
Argumentation aufzuarbeiten; denn eines steht für mich
fest: Dieses Thema muss besprochen werden, aber es
darf nicht parteipolitisch besetzt werden. Es kann nicht
Sinn und Zweck sein, den Menschen in der Bevölkerung, die davon betroffen sind, zu schaden. Nein, wir
müssen uns bemühen, gemeinsam aufzuklären, die Menschen in unserem Land zu schützen, Strukturen zu erkennen und aufzubrechen und diesen braunen Sumpf
letztendlich zu zerschlagen. Daran sollten wir alle gemeinsam arbeiten.
Es bleiben genug Fragen hinsichtlich der Rolle der
Verfassungsschutzbehörden auf Länderebene, aber auch
auf Bundesebene. Auch die polizeiliche Ermittlungsarbeit ist sicherlich zu hinterfragen. Wie konnte es dazu
kommen, dass diese Fälle nicht in Zusammenhang gebracht worden sind und letztendlich mit einem Ergebnis
abgeschlossen worden sind, das sich von unserer heutigen Einschätzung deutlich unterscheidet? Das Zusammenspiel bzw. der Informationsaustausch hat offensichtlich nicht geklappt. Sie können sich vorstellen, dass ich
als Polizeibeamter mir viele Gedanken darüber gemacht
habe, woran es gemangelt hat. Aus der Ferne kann man
das wahrscheinlich sehr schlecht beurteilen. Ich danke
meinen Vorrednern, die es bereits angesprochen haben:
Eine Vorverurteilung der zuständigen Behörden, der
Kolleginnen und Kollegen, die ihre Arbeit gewissenhaft
gemacht haben, sollte auf jeden Fall unterbleiben.
Deshalb ist es aus meiner Sicht richtig, dass der Bundesinnenminister gemeinsam mit der Justizministerin die
ersten korrespondierenden Maßnahmen eingeleitet hat.
Ich begrüße es außerordentlich, dass wir im Bundesamt
für Verfassungsschutz eine Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung und Neubeleuchtung sämtlicher Fälle ins Leben gerufen haben. Das Miteinander der Innen- und Justizbehörden muss zu einem extremen Erkenntnisgewinn
führen, um die Sachverhalte abschließend beurteilen zu
können.
Es bleibt aber auch die Frage - darüber müssen wir in
Zukunft diskutieren -, wie wir mit der Verzahnung von
Polizei und Verfassungsschutzdiensten umgehen. Eine
ganz klare Aussage dazu: Das Trennungsgebot muss erhalten bleiben, aber die Arbeit muss auf ein gutes Fundament gestellt werden, damit wir die bestmöglichen Erfolge erzielen können. Erste Maßnahmen sind bereits
angedacht. Herr Minister, ich halte das, was Sie bisher
initiiert haben bzw. noch auf den Weg bringen wollen,
für absolut richtig: eine Verbunddatei, die einen Datenabgleich ermöglicht, ein Abwehrzentrum gegen Rechtsterrorismus, das ähnlich wie das Terrorabwehrzentrum
aufgebaut sein soll, ein Lagebild zu erstellen - bundesweit und einheitlich -, in dem aufgezeigt wird, wo wir
eine gewaltbereite bzw. nicht gewaltbereite rechte Szene
haben, sowie eine Verbesserung des Informationsaustausches - das habe ich eben schon angesprochen; das ist
ebenfalls wichtig - zwischen den Ländern und dem
Bund. Hier kommen wir als Haushälter wieder ins Geschäft. Diese Dinge müssen in finanzieller und personeller Hinsicht untermauert werden. Ich bin mir sicher, dass
wir im Haushaltsausschuss und gemeinsam mit den Kollegen des Innenausschusses ein entsprechendes Agreement finden würden.
Wir könnten uns hier wahrscheinlich stundenlang
über ein NPD-Verbotsverfahren unterhalten. Ich glaube,
darüber werden wir in Zukunft noch reichlich diskutieren. Für mich steht fest: Wir sollten an einem Verbotsverfahren festhalten. Ich warne aber eindringlich: Wir
müssen alles berücksichtigen, damit es nicht wieder zu
einem Scheitern kommt; denn damit wäre diesem braunen Block letztendlich mehr geholfen als uns.
({1})
Deshalb müssen wir das rechtsfest machen. Ich glaube,
daran können wir gut arbeiten.
Wir haben am heutigen Tag aber auch noch den - ich
sage das in Anführungsstrichen - normalen Haushalt zu
besprechen, den Einzelplan 06. Peter Danckert hat als
Hauptberichterstatter bereits gedankt. Auch ich bedanke
mich für die super Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern
des Ministeriums, die uns immer zugearbeitet haben,
egal welcher Fraktion wir angehören. Ich danke auch
den Kollegen Berichterstattern, die immer konstruktiv
mitgearbeitet haben, um Lösungen zu erarbeiten. In den
Bereinigungssitzungen des Haushaltsausschusses haben
wir zum Teil gemeinsam abgestimmt, um diese Lösungen auf den Weg zu bringen. Mein Dank gilt aber auch
meinen Kollegen vom Innenausschuss, die mir immer
mit fachlicher Expertise, mit Rat und Tat zur Seite standen. Ich glaube, man darf den Bereich der operativen Arbeit nicht getrennt von dem betrachten, was haushalterisch läuft. So haben wir gute Beschlüsse hinbekommen.
Wir haben es geschafft, das Volumen des Haushalts
noch einmal um 40 Millionen Euro anzuheben. Ein
Großteil dieses Geldes ist für den Bereich der inneren Sicherheit vorgesehen. Der Haushalt hat jetzt ein Volumen
von insgesamt 5,5 Milliarden Euro, wovon 3,75 Milliarden Euro in den Sicherheitsbereich fließen. Das ist eine
Zahl, die sich sehen lassen kann. Das spiegelt wider, wofür wir stehen: für die innere Sicherheit in unserem
Land.
Wir haben in den letzten Wochen umfangreiche Diskussionen insbesondere über ein Thema geführt: über
den Einsatz von Trojanern. Wir haben sehr kontrovers
diskutiert, insbesondere über die Fragen: Was kann diese
Software überhaupt? Wer hat Einsicht in die Ergebnisse?
Worin besteht der Quellcode? Denn das ist ja letztendlich das Wesentliche, worauf es in diesem Bereich
ankommt. Aufgrund dieser Diskussionen hat Herr
Friedrich die Einrichtung eines Kompetenzzentrums „Informationstechnische Überwachung“ vorgeschlagen.
Dem sind wir im Haushaltsausschuss gerne nachgekommen. Wir stellen 2,2 Millionen Euro zusätzlich an Sachmitteln und 30 Stellen, die zusätzlich finanziell unterlegt
sind, zur Verfügung. Das zeigt, wie wichtig uns dieser
Bereich ist.
Zum Datenabgleichsverfahren im Zusammenhang
mit der Visawarndatei. Wir haben es bisher geschafft, die
Errichtung einer Visawarndatei aus den normalen Haushaltsmitteln zu bewältigen, auch mit dem Personalansatz. Das war beim Datenabgleichsverfahren leider nicht
mehr möglich. Wir haben noch einmal 8,7 Millionen
Euro in die Hand genommen, um dieses wichtige Projekt
mit Sachausgaben, einem Bauvorhaben und Dienstleistungen zu untermalen, weil wir sonst hier nicht weitergekommen wären.
Im Haushaltsausschuss hat uns ein weiterer Bereich
beschäftigt: der Bereich Personal bzw. Personalgewin16866
nung. Es mögen manchmal nur Kleinigkeiten, kleine
Stellschrauben sein, aber diese machen deutlich, wie
wichtig uns dieser Bereich ist. Auszubildende zu übernehmen, ist ein Riesenproblem nicht nur im Bereich des
BMI, sondern auch in anderen Teilbereichen der Regierung. Wir haben gesagt: Wir möchten den leistungsstarken Auszubildenden die Übernahme garantieren. Denn
der Kampf um die Guten, die nachher die Arbeit in den
Ministerien machen müssen, wird sich zuspitzen. Wir
haben 23 kw-Stellen geschoben. Das bedeutet, diese
23 jungen Leute werden auch in Zukunft im Bundesinnenministerium ihren Dienst versehen können, und das
ist gut so.
Peter, deine Kritik bezüglich der Beförderung von
A 8 nach A 9 kann ich nicht gelten lassen. Wir haben zusätzlich zu den Beförderungsstellen im mittleren, gehobenen und höheren Dienst, die wir im Bereich der Bundespolizei haben, 150 Stellen zur Verfügung gestellt, um
die Kolleginnen und Kollegen von A 8 nach A 9 befördern zu können. Wir sind da bis an die Stellenplanobergrenze gegangen. Im nächsten Jahr werden wir vielleicht
noch einmal darüber nachdenken. Für uns war es wichtig, den Kolleginnen und Kollegen, die draußen vor Ort
eine wichtige Arbeit machen, die dem schwarzen Block
gegenüberstehen, ob es im linksextremistischen Bereich
oder auf der rechten Seite ist, die ihren Kopf für unsere
Sicherheit hinhalten, die Möglichkeit zu geben, nach A 9
befördert zu werden. Das haben wir geschafft, und darauf können wir gemeinsam stolz sein.
Ein Thema liegt mir noch am Herzen: Nach dem
Wegfall der Ersatzdienste - der Kollege Stephan Mayer
wird sicherlich gleich etwas näher darauf eingehen - und
dem Aussetzen der Wehrpflicht werden wir im Bereich
der Freiwilligendienste Probleme bekommen. Bei der
Bundeswehr, beim Bundesfreiwilligendienst wird eine
Menge Geld in die Hand genommen, um zu werben. Für
den Bereich der Sicherheitsarchitektur Deutschlands ist
natürlich das THW sehr wichtig. Weil wir die Notwendigkeit sehen, Lücken erst gar nicht entstehen zu lassen,
haben wir 2 Millionen Euro für Nachwuchsgewinnung
und Öffentlichkeitsarbeit in die Hand genommen, damit
das THW werben kann, damit sich junge Menschen dem
THW anschließen. Auch dies ist ein gelungener Eingriff,
ein Zeichen für die Haushaltshoheit unseres Ausschusses. Damit tun wir Gutes.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir neben den
Dingen, die wir mit auf den Weg gebracht haben und mit
viel Geld unterlegt haben, zum Beispiel Fortschreibung
BOS-Digitalfunk oder Luftfrachtsicherheit, einen sehr
guten Haushalt aufgestellt haben. Wir werden investiv
tätig und stellen sicher, dass die Kernaufgaben des BMI
und der nachgeordneten Behörden gut erfüllt werden.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in ein gutes
Jahr 2012 gehen. Auf die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen freue ich mich weiterhin.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank, Kollege Jürgen Herrmann. - Jetzt für
die Fraktion Die Linke unser Kollege Steffen Bockhahn.
Bitte schön, Kollege Steffen Bockhahn.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Einzelplan beinhaltet eine wirklich gute
Nachricht: 2 Millionen Euro mehr für die Ortsgruppen
des Technischen Hilfswerks. Das ist unbedingt notwendig, und das ist richtig so. Wir, die Linke, haben diesen
Antrag in den Haushaltsausschuss eingebracht. Die Koalition hat zwei Wochen darüber nachgedacht und ihn
dann übernommen. Das war auch gut so. Herzlichen
Glückwunsch zu dieser Erkenntnis!
({0})
Wofür geben wir im Einzelplan 06 - Innenministerium - noch Geld aus? Vor allen Dingen für digitale
Großprojekte: den Digitalfunk, ELENA, den Bundestrojaner, Körperscanner und das neue Cyber-Abwehrzentrum. Allen gemein ist, dass sie sehr teuer sind und
selten funktionieren, dafür aber teilweise erheblich in
Freiheitsrechte eingreifen.
({1})
Meist geht es dabei tatsächlich um die innere Sicherheit, allerdings aufgrund von Bedrohungslagen, die eher
von außen kommen. Bei allem Engagement in diesem
Bereich, Herr Minister, haben Sie offensichtlich die Bedrohung im eigenen Land übersehen. Ihre Antwort auf
die aktuellen Ereignisse sind wieder neue Behörden oder
Zentraldateien, sind größere Befugnisse der Behörden.
Sie wollen eine engere Zusammenarbeit von Polizei und
Geheimdiensten als Antwort auf den braunen Terror.
Meine Damen und Herren, eine der wichtigsten Lehren aus der deutschen Geschichte ist, dass beide, Geheimdienste und Polizei, strikt voneinander zu trennen
sind. Die Erfahrungen der NS-Diktatur sind der Grund
für das Trennungsgebot in unserer heutigen Verfassung.
Weil grüne Polizei und Gestapo Hand in Hand gearbeitet
haben und damit Schreckliches angerichtet haben, sollte
es nie wieder eine solche Zusammenarbeit von Polizei
und Geheimdiensten geben, so der Wille der Väter und
Mütter unserer Verfassung. Daran sollten wir uns halten.
({2})
Wenn diese engere Zusammenarbeit jetzt aber Ihr
Vorschlag ist, Herr Minister, dann gibt es da offenkundig
ein großes Problem. Wir brauchen nicht neue Kompetenzen. Es wäre schon damit geholfen, wenn endlich alle
einmal ordentlich ihre Arbeit machen würden. Das
scheint in den vergangenen Jahren leider nicht der Fall
gewesen zu sein. Es gibt inzwischen - es tut mir leid, das
sagen zu müssen; denn es wirft kein gutes Licht - in
Deutschland Gegenden, in denen die Menschen Angst
haben und das Vertrauen in den Staat verloren haben. Da
hilft weder ein Cyber-Abwehrzentrum noch ein Körperscanner.
In den Beratungszentren für die Opfer rechter Gewalt
- das habe ich mir heute versichern lassen - stehen die
Telefone in diesen Tagen nicht still, weil diejenigen, die
schon einmal Opfer geworden sind, jetzt erst recht Angst
haben, dass sie wieder zu Opfern werden, weil der Terror
weitergeht. Herr Minister, ich bitte Sie: Kümmern Sie
sich schnell darum, dass die Menschen wieder Vertrauen
darin haben, dass der Staat für ihre Sicherheit sorgt.
({3})
Dass es eine Aufgabe des Staates ist, für Sicherheit zu
sorgen, das sagen selbst die härtesten Neoliberalen; dafür muss man nicht einmal ein Linker sein. Noch einmal:
Wir brauchen dafür nicht neue Befugnisse, sondern es ist
notwendig, dass endlich alle ordentlich ihre Arbeit machen.
Was ist eigentlich passiert? Wie kann es sein, dass so
lange so viel schiefgeht? V-Leute bekommen Geld, mit
dem sie dann Aktionen finanzieren, die sich gegen den
Staat richten, für den sie eigentlich arbeiten sollen. Damit prahlen sie dann auch noch. Das ist unfassbar. Das
kann doch nicht richtig sein.
({4})
Nun sagen Sie, Herr Minister, es bestehe die Gefahr,
dass uns wichtige Informationen verloren gehen, würden
keine V-Leute mehr in der NPD eingesetzt. Worin bestand denn bisher der Nutzen dieser V-Leute? Ich darf
Ihnen sagen: Udo Pastörs und Udo Voigt sind verurteilte
Straftäter. Der Straftatbestand hieß: Volksverhetzung.
Das alles war für jeden öffentlich zugänglich. Dafür
brauchte man nicht einmal V-Leute. Was bringen diese
V-Leute zusätzlich? Welche Gefahren werden durch sie
tatsächlich abgewehrt? Diese Fragen müssen beantwortet werden. Mir scheint - es tut mir leid, das so attestieren zu müssen -, dass Sie die Bedrohungslage nicht richtig einschätzen. Bei Demos und Bündnissen gegen Nazis
sind die Behörden ganz aktiv und mit vollem Einsatz dabei, auch mit V-Leuten. Auf der anderen Seite wird aber
seit Jahren Offenkundiges ignoriert.
Eine kleine Geschichte: In Lalendorf bei Güstrow in
Mecklenburg-Vorpommern haben Nazis den Bürgermeister des Ortes auf seinem Grundstück mit Eisenstangen bedroht. Er hatte sich offen gegen Nazis engagiert,
die in seinem Ort leben. Würde Ihr V-Leute-System tatsächlich funktionieren, hätte man dem Bürgermeister
und seiner Familie viel Angst ersparen können. Diejenigen, die ihn bedroht haben, waren unter anderem die
Spitzen der Landes-NPD in Mecklenburg-Vorpommern.
Es hat nicht funktioniert, und ich möchte, dass wir wissen, warum nicht.
({5})
Geheimdienste scheinen sich nur schwer kontrollieren zu lassen. Daher - das wird hier wenig Zustimmung
finden; aber es ist unsere Position - fordern wir weiter
ihre Abschaffung.
({6})
Wenn Sie diesen Weg nicht mit uns gehen wollen, dann
lassen Sie uns wenigstens eine ordentliche parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste durchsetzen. Das bedeutet dann auch, dass es nicht länger sein kann, dass
Abgeordnete des Deutschen Bundestages von dem Geheimdienst überwacht werden, den sie überwachen sollen. Das ist aber heute immer noch der Fall.
({7})
Vielen Dank, Kollege Steffen Bockhahn. - Jetzt für
die Fraktion der FDP unser Kollege Hartfrid Wolff. Bitte
schön, Kollege Hartfrid Wolff.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zweieinhalb Monaten habe ich hier im Hause bei den Haushaltsplanberatungen gesagt:
Nicht der Islam, nicht irgendeine Religion und nicht
die Zuwanderung, sondern die ideologische Verblendung Einzelner ist die Ursache von Terror.
Wir sind in den letzten Wochen mit einer Serie
schrecklicher Straftaten konfrontiert worden, die offenbar aus rechtsextremistischer Gesinnung heraus begangen worden sind. Ein Großteil der Opfer waren Mitbürger mit Herkunftswurzeln im Ausland. Die Täter haben
das Gegenteil von dem erreicht, was sie mutmaßlich
wollten: Diese Verbrechen wecken ein verbreitetes Mitgefühl und Anteilnahme für die Hinterbliebenen.
Die Reaktionen der letzten Tage machen die Zusammengehörigkeit aller Menschen in unserem Land deutlich. Die anhaltende öffentliche Empörung drückt nicht
nur die Unzufriedenheit mit dem offenkundigen Versagen von Sicherheitsbehörden aus, sondern auch den
Konsens über die Ablehnung von Gewalt. Seit vielen
Generationen leben muslimische Zuwanderer in
Deutschland. Sie gehören zu uns. Wer dies, womöglich
gewalttätig, infrage stellt, stellt sich gegen den Grundkonsens in unserer Gesellschaft.
({0})
Gewaltverbrechen, die gegen Zuwanderer nach Deutschland gerichtet sind, sind deshalb Taten gegen Deutschland insgesamt.
Für die Koalition aus Union und FDP wird die deutsche Gesellschaft durch Zuwanderer bereichert. Deutschland braucht im eigenen wirtschaftlichen und demografischen Interesse gut ausgebildete Zuwanderer. Integration
braucht positives Denken. Wir werden noch weiter gehen, um Integrationsleistungen zu unterstützen und zu
honorieren. Fördern und Fordern gehören zusammen,
meine Damen und Herren.
Hartfrid Wolff ({1})
({2})
Die Enthüllungen der letzten Tage haben das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Sicherheitsbehörden, insbesondere der Verfassungsschutzämter, nachhaltig beschädigt. Ideologische Verblendung ist die
Ursache von Terror und extremistischer Gewalt. Das gilt
unabhängig von der ideologischen Herkunft der konkreten Wahnideen, die zu solchen Verbrechen geführt haben.
Mich hat es entsetzt, dass sich schon bei Bekanntwerden der ersten Enthüllungen zu den rechtsextremistischen Straftaten einige gleich genötigt gefühlt haben,
diese zur Relativierung extremistischer Gewalt anderer
Provenienz anzuführen; gerade die Äußerungen von
Herrn Steinmeier heute Morgen gingen in diese Richtung. Es hat keinen Sinn, rechten gegen linken oder muslimisch motivierten Extremismus auszuspielen. Es ist
ebenso falsch, Linksextremisten zu verharmlosen, wie es
falsch ist, Rechtsextremisten und rechtsextremistische
Gewalttäter zu verharmlosen.
({3})
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht von uns,
dass demokratische Politiker gemeinsam gegen totalitäre
Gewaltverbrecher vorgehen.
Meine Damen und Herren, Sicherheit ist ein menschliches Bedürfnis. Innenpolitik kann nur erfolgreich sein,
wenn sie als gemeinsames Anliegen der Gesellschaft
verstanden wird. Innenpolitik ist Gesellschaftspolitik.
Eine reife demokratische Gesellschaft ist verantwortlich
für die Normen und Werte, die sie lebt und verteidigt,
auch in der Auseinandersetzung mit anderen Parteien.
Diese Aufgabe kann nicht nur an Polizei und Sicherheitskräfte delegiert werden. Die Werte eines demokratischen Rechtsstaates müssen von allen täglich und selbstbewusst verteidigt werden. Freiheit, Demokratie,
Toleranz, Mitverantwortung und rechtsstaatliche Prinzipien müssen in den Köpfen verankert werden, nicht nur
in Paragrafen.
({4})
Innere Sicherheit erfordert eine Politik, in der Freiheit
und Sicherheit in eine dauerhaft akzeptierte Balance gebracht werden, sodass auch ein Amokschütze, braune
Extremisten oder auch ein Terrorist diese Balance zwischen Freiheit und Sicherheit nicht erschüttern können.
Einen wesentlichen Beitrag dazu kann die Prävention
vor Ort, im Elternhaus oder in Schulen, leisten.
Die Sicherheitsbehörden müssen ihre Rolle als Ansprechpartner der Bürger bei Bewältigung ihrer Ängste
und Sorgen wieder zurückgewinnen. Dazu heißt es auch,
effektiver und effizienter zu werden. Doppelarbeit und
Doppelstrukturen sind ineffektiv. Deshalb will die FDP
die Organisationsstruktur der Sicherheitsbehörden weiterentwickeln.
({5})
Wir haben es schon lange gefordert: Das Nebeneinander von Verfassungsschutzämtern muss genau unter die
Lupe genommen werden, und auch die Zahl der Verfassungsschutzämter selbst darf kein Tabu sein. Der MAD
ist verzichtbar, und der Zollvollzugsdienst ist als Sicherheitsbehörde mit der Bundespolizei enger zusammenzuführen.
Freiheit und Sicherheit in einer Gesellschaft des Miteinanders - diesem Leitbild für die innenpolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre bleiben wir verpflichtet.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Kollege Wolff. - Nun spricht für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Wolfgang
Wieland. Bitte schön, Kollege Wolfgang Wieland.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
gesagt: Angesichts der Situation, in der wir seit zwei
Wochen sind, können wir uns nicht routinemäßig mit
dem Haushalt des Bundesministeriums des Innern auseinandersetzen. Wir sagen heute also nichts zu Trojanern, nichts zur Visa-Warndatei und nichts zu dem, was
hier alles sonst schon gesagt wurde.
So viel Zeit muss aber dennoch sein: Auch wir bedanken uns für die Informationen aus dem Haus des Innenministeriums, insbesondere auch von Staatssekretär
Bergner. Das war wie jedes Jahr sehr kollegial.
Nach der notwendigen Debatte heute Morgen, nach
dem Zeigen von Empathie für die Opfer und nach der
Bekundung von Solidarität mit der türkischen Community, aber auch mit anderen Minderheiten in diesem
Land - ich denke an die jüdischen Mitbürger bei uns, die
auch beunruhigt sind; das habe ich auch erfahren -, müssen wir alle noch mehr tun. Es ist letztlich Aufgabe einer
jeden Parlamentarierin und eines jeden Parlamentariers,
jetzt und in den nächsten Tagen auf diese Gruppen zuzugehen, zu bekunden, dass man erfasst hat, was hier geschehen ist, dass man den Schock erfasst hat, unter dem
sie stehen, und deutlich zu zeigen: Sie gehören zu dieser
Gesellschaft, und wir wollen alles tun, dass sich das
nicht wiederholt.
({0})
Als jemand, der seinerzeit nach Hoyerswerda gefahren ist, als dort der Mob tobte - als einziger Landtagsparlamentarier überhaupt -, als jemand, der in Rostock-Lichtenhagen war, als dort das Flüchtlingsheim
sogar brannte - da waren wir schon ein paar mehr; aus
Berlin sind einige mitgefahren -, und als jemand, der etliche Nazi-Aufmärsche nicht nur begleitet, sondern auch
blockierend verhindert hat - wahrlich nicht alle, aber etliche -, der also den Anspruch hat, dass er hier genau
hinsieht und weiß, was Extremismus und was Rassismus
ist, muss ich sagen: Auch ich hätte mir nicht vorstellen
können, dass es in unserem Land eine zehnjährige klanWolfgang Wieland
destine Mordspur gibt und weder die Sicherheitsbehörden noch wir, die wir hier sitzen, sagen: Das ist rechtsextremistischer Terror. Auch wir haben nicht gesagt: Das
ist eine neue Braune-Armee-Fraktion oder anderes.
Deswegen sage ich hier wirklich ganz ohne Häme:
Wenn der Bundesinnenminister Vorschläge dafür macht,
wie das in Zukunft besser werden kann, prüfen wir sie
alle und sagen a priori zu keinem Nein. Natürlich sagen
wir als Grüne: Wir legen die gleichen Standards, die
gleichen Datenschutzstandards und die gleichen rechtsstaatlichen Standards an, die wir immer anlegen. Aber
unter dieser Prämisse muss etwas geschehen. Hier sind
Sie jetzt auch im Wort, Herr Friedrich.
({1})
Es kann nicht sein, dass es im föderalen Konzert sozusagen „zerleppert“. Hier sind Sie im Wort, und das begleiten wir dann. Das tragen wir dann auch mit.
Das kann dann auch ein gemeinsames Abwehrzentrum sein, wobei mir ein Angriffszentrum lieber wäre;
das sage ich einmal ganz deutlich. Wir müssen Gegenden in unserem Land zurückgewinnen. Dort müssen wir
wieder angstfreies Leben möglich machen.
({2})
Es geht hier nicht wie beim Islamismus um Terroristen,
die man am Einreisen und am Bomben hindern muss.
Hier geht es um eine Szene, die sich festgesetzt hat und
zum Teil schon in der zweiten Generation da ist. Da
muss eine Rückeroberung der Demokraten stattfinden.
Das steht jetzt auf der Tagesordnung.
({3})
Ein Wort zur Frage des Trennungsgebotes, Herr Kollege Bockhahn. Das ist uns sehr wichtig; das können Sie
sich vorstellen. Aber das Trennungsgebot bedeutet doch
kein Informationsverbot zwischen Nachrichtendiensten
und Polizei. Im Gegenteil: Je strikter man sie trennt,
desto mehr muss man regeln, wie sie sich informieren
und wie sie zusammenarbeiten. Man muss das Ganze auf
eine gesetzliche Grundlage stellen. Darum geht es.
({4})
Dann kann ein solches Zentrum sehr nützlich sein. Dabei
geht es nicht um neue Befugnisse. Das ist doch gar kein
Thema.
Hier wurde schon richtig die Frage der V-Leute gestellt.
({5})
- Ja, man muss einmal lesen, was das Bundesverfassungsgericht dazu gesagt hat. Es hat deutlich gemacht,
dass die V-Leute als Voraussetzung für ein neues Verbotsverfahren aus der Führungsebene abgezogen werden
müssen. Aber es hat nicht verlangt, dass sämtliche
V-Leute aus der NPD abgezogen werden müssen. Die
Frage ist: Nutzen sie etwas, bringen sie etwas? Wie argumentieren Sie? Sie argumentieren: Wir wissen zu wenig,
die Nachrichtendienste versagen. Dann fordern Sie im
nächsten Satz deren Abschaffung.
({6})
Das ist völlig kurzschlüssig.
Es kommt darauf an, sie demokratisch zu kontrollieren.
({7})
Es kommt darauf an, den Einsatz aller V-Leute in diesem
Bereich auf den Prüfstand zu stellen und hier zu besseren
rechtsstaatlichen Ergebnissen zu kommen. Das ist die
Aufgabe.
({8})
Ansonsten begehen Sie hier einen großen Fehler,
({9})
einerseits dazu aufzurufen, in diesem Bereich erfolgreich zu kämpfen, den Sumpf trockenzulegen, andererseits diese Erkenntnisquelle verschließen zu wollen. Das
ist ein Irrweg. Wir sagen: Wir müssen zeigen, dass der
Rechtsstaat nicht wehrlos ist. Das ist er nicht. Es ist vor
allem Zeit, dies den braunen Gesellen eindeutig ins
Stammbuch zu schreiben.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Kollege Wolfgang Wieland. - Als
Nächstem gebe ich das Wort dem Bundesminister des
Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich. Bitte schön, Kollege
Dr. Hans-Peter Friedrich.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich zunächst bei
den Haushältern und den Berichterstattern für die gute
Zusammenarbeit und die Gespräche über das, was in
diesem Haushalt notwendig ist, ganz herzlich bedanken.
All das mündete dann in den Eckwertebeschluss. Darüber hinaus bedanke ich mich auch bei den Mitarbeitern
der Fraktionen, die mit dem Bundesinnenministerium
hervorragend zusammengearbeitet haben.
Die Vorgänge und die Diskussionen in den letzten
zehn Tagen machen deutlich, dass die innere Sicherheit
der Kernbestand und die Kernaufgabe des Staates überhaupt ist. Es ist ein Teil von Lebensqualität, zu wissen,
dass man in einem Land sicher ist. Diese Lebensqualität
ist sofort eingeschränkt, wenn man das Gefühl haben
muss, dass das vielleicht nicht so ist.
Lieber Kollege Danckert, vielleicht ein Wort zu der
Liste, die gefunden worden ist. In den Zeitungen ist alles
Mögliche darüber geschrieben worden, was es mit dieser
Liste auf sich hat. Auf dieser Liste stehen viele Tausend
Namen, die wohl aus dem Internet heruntergeladen worden sind. Es gibt außer diesen etwa 10 000 Namen keinerlei Hinweise auf irgendeine akute Bedrohung. Aber
allein die Tatsache, dass diese Liste existiert und dass
jetzt alle informiert werden müssen, löst eine verständliche Verunsicherung aus.
Wie viel mehr mögen doch diejenigen verunsichert
sein, die im Migrantenbereich plötzlich spüren: Nur weil
ich anders aussehe und weil man mir ansieht, dass ich einen Migrationshintergrund habe, befinde ich mich vielleicht in einer Gefahr, von der ich bisher gar nicht ausgegangen bin. - Deswegen ist richtig, was hier schon
gesagt wurde: Wir müssen im Migrantenbereich klarmachen, dass dieser Staat, dass dieses Land für die Sicherheit aller Menschen, die hier leben, sorgen will und dass
wir gemeinsam alles tun werden, um das in der Zukunft
sicherzustellen.
({0})
Aus diesem Grund habe ich auch angeordnet, dass
alle Altfälle aufgearbeitet werden. Sie haben das angesprochen. Sind Vorgänge in der Vergangenheit vielleicht
falsch zugeordnet worden? Hat man Dinge, die als einzelne Verbrechen oder Taten einzelner Täter angesehen
wurden, vielleicht nicht in einen Zusammenhang gebracht, obwohl ein solcher Zusammenhang besteht und
man jetzt vielleicht darauf kommt, weil man andere Informationen hat?
Das alles wird geprüft. Es sind überall viele Mitarbeiter und Ermittler bei der Arbeit.
Ich bin überzeugt, dass das die Länder auch tun. Kollege Schünemann aus Niedersachsen kam schon letzte
Woche mit einer Meldung aus dem Jahr 2000 oder 2001.
Es ist also ein wirklich alter Aktenbestand, der nun überall aufgearbeitet wird. Ich glaube, die Länder tun in dieser Sache ihre Pflicht. Man muss deshalb kein Misstrauen haben und auch kein Misstrauen säen.
Angesichts der Tatsache, dass die innere Sicherheit
einmal mehr ins Zentrum des Geschehens und der Betrachtung tritt, glaube ich, dass es richtig ist, dass der
Haushaltsentwurf eine Aufstockung der Mittel im Sicherheitsbereich um 25 Millionen Euro vorsieht. Das
kann sich, glaube ich, schon sehen lassen und wird, Kollege Herrmann hat darauf hingewiesen, durch den Haushaltsausschuss noch in vielen Bereichen zusätzlich aufgestockt. Ganz herzlichen Dank dafür!
Wir haben neue Formen der Herausforderungen: neue
Formen der Technologie, neue Medien und neue Kommunikationsformen. Das führt auch immer wieder zu
Reaktionen, Veränderungen und Modernisierungsbedarf
bei den Sicherheitsbehörden. Das Thema Software zur
Überwachung von kriminellen Strukturen ist angesprochen worden.
Aber ich frage Sie: Wollen wir wirklich, dass man
künftig nicht mehr, wie es in den letzten 50 Jahren im
Bereich der organisierten Kriminalität mit Rauschgifthändlern, Waffenhändlern und Menschenhändlern möglich war, auf richterlichen Beschluss die Kommunikation
abhören kann, nur weil es jetzt Skype gibt und man mit
dem Telefon nicht weiterkommt? Das kann doch nicht
sein. Das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung besteht
doch weiter.
({1})
Insofern bedanke ich mich ganz herzlich, dass es
- das war wirklich erstklassig - in ganz kurzer Zeit möglich war, dass wir diese Kompetenzen, die in den modernen Technologien notwendig sind, in einem Kompetenzzentrum selber aufbauen können und dafür die Mittel
zunächst für den Personalbereich, aber auch für die sachliche Ausstattung zur Verfügung gestellt worden sind.
Neue Technologien bedeuten neue Chancen, Kollege
Bockhahn. Durch das Internet entstehen Produktivitätsfortschritte, aber auch neue Risiken. Das alles baut auf
einer unglaublich aufwendigen Technologie auf. Wenn
wir diese Technologie und alles, was uns in unserem täglichen Leben Lebensqualität, aber auch Wohlstand bringt
- die kritische Infrastruktur, unsere Stromversorgung,
die Kommunikation, die Wasserversorgung, die Logistik
und das Finanzwesen -, schützen wollen, dann müssen
wir die Sicherheitsbehörden, insbesondere das BSI, in
die Lage versetzen, all die Möglichkeiten der Abwehr
vorzuhalten und mit den technologischen Herausforderungen Schritt zu halten.
Das ist teuer, aber es gibt keine Alternative dazu. Wir
müssen in der Lage sein, unsere Bevölkerung, unsere
Systeme und unsere Daseinsvorsorge zu schützen. Deswegen ist es richtig, das BSI zu stärken.
({2})
Die innere Sicherheit spielt nicht nur in der digitalen
Welt eine Rolle, sondern sie ist leider auch in der analogen Welt immer wieder gefährdet. Was unsere Bundespolizisten an den Bahnhöfen und Flughäfen leisten, können Sie alle, die Sie auch ständig im Lande unterwegs
sind, selber gut beurteilen. Wir tun alles, um ihnen zu signalisieren: Wir stehen nicht nur an eurer Seite, sondern
wir wollen euch auch in eurer persönlichen Lebenssituation - dies ist auch immer mit Einkommensmöglichkeiten
und Fortkommen im Beruf verbunden - entgegenkommen. Ich glaube, das war auch dem Haushaltsausschuss in
allen Beratungen sehr wichtig.
Ich bin dankbar für die Möglichkeit, 150 Stellen zu heben. Natürlich ist es auf die Masse der 40 000 Polizisten
gerechnet nur ein kleiner Betrag. Aber es ist die Möglichkeit, die wir angesichts der bestehenden StellenobergrenBundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
zen ausschöpfen konnten. Der Kollege Herrmann hat es
angesprochen.
Unsere Aufgabe und unser Bestreben muss jetzt sein,
weitere Stellenhebungsmöglichkeiten zu schaffen und
die Obergrenzen für die nächsten Haushalte zu ändern.
Ich denke, das sollten wir gemeinsam angehen.
Ich glaube, dass unsere Bundespolizei jede Unterstützung verdient hat; denn sie steht auch jetzt wieder vor
neuen Herausforderungen. Eine Paketbombe aus dem
Jemen führte sofort zu neuen Bedarfen im Bereich der
Luftfrachtsicherheit. Vielen Dank dafür, dass die haushaltsrechtlichen Grundlagen geschaffen wurden, damit
wir dort weiter aufbauen können. Wir haben am 15. September mit den Kontrollen von Luftfracht auf dem Flughafen Leipzig begonnen. Wir werden die Kontrollen
Stück für Stück aufbauen. Dafür ganz herzlichen Dank.
Ich glaube, dies ist ein wichtiger Punkt.
Aber es geht nicht nur um Sicherheit, sondern es geht
auch um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, der
ein wichtiges Anliegen des Bundesministeriums des Innern ist. Es wurde das Programm „Zusammenhalt durch
Teilhabe“ angesprochen. Es ist, glaube ich, heute auch
deswegen im Fokus, weil es zu unserem Thema passt. Es
ist genau zugeschnitten auf die rechtsextremistischen
und rechtsradikalen Strukturen, die wir in den neuen
Ländern vorfinden.
({3})
- Nein, Herr Danckert, auch wenn Sie es immer wieder
sagen. Wir haben 18 Millionen Euro zur Verfügung, die
auf die Jahre bis 2013 verteilt sind. Es wurde nicht gekürzt.
Ich will auf etwas hinweisen, weil immer wieder von
Programmkürzungen die Rede ist. Frau Kolbe ist noch
nicht da.
({4})
- Frau Kolbe, Sie werden gleich noch reden und behaupten, wir würden alle Programme kürzen, die jetzt notwendig werden. - Deswegen zähle ich die Programme
auf, die wir in allen Bereichen des Haushalts haben: „Toleranz fördern - Kompetenz stärken“ im Familienministerium mit 24 Millionen Euro. Dann gibt es ein Sonderprogramm zum Ausstieg aus der Szene und gegen
Fremdenfeindlichkeit in Höhe von 1,5 Millionen Euro.
Unser Programm im BMI ist „Zusammenhalt durch Teilhabe“. Das Xenos-Programm „Integration und Vielfalt“
vom BMAS hat für die Zeit von 2008 bis 2012 ein
Fördervolumen in Höhe von 132 Millionen Euro, das
Xenos-Sonderprogramm „Ausstieg zum Einstieg“, auch
vom BMAS, ein Fördervolumen von 9,4 Millionen
Euro. Ich glaube, man muss den Haushalt über die ganze
Breite aller Ressorts sehen und kann nicht an einer
Stelle, wo etwas umgeschichtet worden ist, sagen: Das
ist eine Kürzung, und die ist nicht hinnehmbar.
({5})
- Nein, wir versuchen auf ganzer Breite genau das zu erreichen, was Herr Wieland angesprochen hat, nämlich
die Gebiete zurückzuerobern, die verloren gegangen
sind. Das sind leider ganze Dörfer.
Herr Minister, lassen Sie noch eine Zwischenfrage
zu?
Ich weiß, was das Ganze bedeutet. In meinem Wahlkreis liegt Wunsiedel. Wir haben jahrelang gekämpft.
Wenn Sie sich einmal das Lagezentrum der Polizei angesehen hätten, Herr Bockhahn, dann wüssten Sie, wie dort
auch mit polizeilichen Mitteln gegen den Ansturm dieser
braunen Horden aufgerüstet wird, und dann würden Sie
nicht behaupten, die Polizei sei auf dem rechten Auge
blind. Dort ist wirklich hervorragend und professionell
gearbeitet worden, um diese braunen Angreifer abzuhalten. Da ist nichts unter den Tisch gekehrt worden. Da ist
nichts verharmlost worden.
({0})
Wir kennen die Problematik, und ich weiß, dass es notwendig ist, dass die ganze Bevölkerung - ({1})
- Nein, Sie haben nicht gesagt, dass die Polizei auf dem
rechten Auge blind ist, aber Sie haben gesagt: Wenn es
die Linken gewesen wären, wäre die Polizei da gewesen.
({2})
Ich will Ihnen nur sagen: Überall, wo diese Bedrohungen stattfinden, ist die Polizei da und geht generalstabsmäßig vor.
({3})
Insofern sind wir mit diesem Haushalt hervorragend
aufgestellt.
Ich bedanke mich ganz herzlich.
({4})
Eine Bemerkung zur Geschäftsordnung: Zwischenfragen lasse ich dann zu, wenn sie innerhalb der vorgesehenen Redezeit erfolgen, und nicht, wenn die Redezeit
ohnehin aus sicher verständlichen Gründen bereits überschritten ist, damit wir einigermaßen in unserem Zeitmanagement bleiben.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Kolbe für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Herr Minister, Sie haben tatsächlich gut erraten, worum es mir heute in meinem Beitrag geht. Es geht
mir um zwei Aspekte, für die ich gerne noch einmal werben möchte. Ich möchte Sie auffordern, dass Sie sie stärker in Ihr Herz und das Herz Ihres Ministeriums aufnehmen, obwohl sie vordergründig nichts mit innerer
Sicherheit zu tun haben. Es geht mir um die Integrationskurse, und es geht mir um die Bundeszentrale für politische Bildung. Das sind nämlich zwei unverzichtbare Instrumente für den Zusammenhalt in unserem Land.
({0})
Leider bekommen sie nicht die gebührende Aufmerksamkeit und auch nicht ausreichende Finanzmittel.
Beispiel Integrationskurse: Das ist ein Erfolgsinstrument. Hunderttausende haben davon profitiert. Wir alle
feiern dieses Instrument. Der Wert eines Instruments bemisst sich aber auch daran, wie es bezahlt wird. Wie
wird es bezahlt? Im Durchschnitt erhält eine Lehrkraft in
Deutschland 18 Euro pro Unterrichtseinheit, Honorar
wohlgemerkt. Das heißt, sie muss sich selbst versichern
- Krankenversicherung und Pflegeversicherung - und
kommt in vielen Fällen nicht über das ALG-II-Niveau
hinaus. Das ist ein Armutszeugnis in doppelter Hinsicht.
Wir wollen einen Schritt in die richtige Richtung tun.
Wir wollen einen Aufwuchs um 50 Millionen Euro für
die Bezahlung der Lehrkräfte. Ginge das alles auf deren
Konto, dann kämen wir auf einen Durchschnitt von
26 Euro. Davon könnten sie gut leben.
Zweiter Punkt: die Bundeszentrale für politische Bildung. Das ist eine auch von Ihnen hochgeschätzte Institution. Das kann man in Ihren Publikationen nachlesen,
zum Beispiel im Jahresbericht der Bundesregierung zum
Stand der deutschen Einheit 2010, der im Gegensatz
zum Bericht aus diesem Jahr lesenswert ist. Darin wird
die Bundeszentrale gleich an drei Stellen in den Himmel
gelobt. Ich zitiere einmal aus dem Punkt „Vielfalt, Toleranz und Demokratie gegen Extremismus“. Dort ist zu
lesen:
Ein bedeutendes Arbeitsfeld der Bundeszentrale
besteht in der Erprobung strategischer Bildungsmaßnahmen gegen Extremismus in den neuen Bundesländern … Das soll die Menschen vor Ort ermutigen und befähigen, den eigenen sozialen Raum
auf gewaltfördernde Strukturen zu untersuchen, ihn
aktiv zu verändern und so selbstverantwortlich an
der Gestaltung des Lebensumfeldes mitzuwirken.
Wie wahr und wie wichtig. Gerade in diesen Zeiten
wird deutlich, wie wichtig politische Bildung ist. Angesichts der Zwickauer Zelle schauen wir alle in einen tiefen Abgrund, der uns zeigt, wohin es führen kann, wenn
Rechtextremismus und Menschenfeindlichkeit herrschen, wenn weggeschaut wird und wenn man Nazis
Räume eröffnet. Die Geschehnisse werfen ein Schlaglicht auf das eigentliche Problem. Das Problem, über das
wir hier reden müssen, heißt Rechtsextremismus.
({1})
Wir alle in diesem Haus stehen vor der Herausforderung, dass sich Menschen mit Migrationsgeschichte in
diesem Land nicht sicher fühlen. Das muss uns alle betroffen machen und zum Handeln ermutigen.
Aber das Problem geht noch tiefer als reiner Rechtsterrorismus. Wir sehen Gemeinden, in denen es eine
rechtsextreme Hegemonie gibt, in denen selbst Jugendliche, die nicht rechts sind, Angst haben müssen. Wir sehen, dass sich die rechtsextremen Einstellungsmuster
tief bis in die Mitte der Gesellschaft vorgegraben haben.
In der Tat: Die Bundeszentrale ist ein richtiges Instrument dagegen. Leider muss man fast sagen, sie wäre ein
richtiges und wichtiges Instrument dagegen gewesen;
denn Sie kürzen bei der Bundeszentrale fast 4 Millionen
Euro. Das reiht sich in eine Politik ein, die sich bei Ihnen
über Jahre hinweg so zieht. In der Rhetorik nehmen Sie
den Rechtsextremismus ernst. Aber leider kommt bei Ihnen kein Satz zum Rechtsextremismus ohne „aber“ aus.
({2})
Immer wenn jemand über Rechtsextremismus spricht,
muss er im gleichen Satz auch über Linksextremismus
und Islamismus reden, so als hätten wir es mit einem Extremismus-Brei, mit Extremis-Mus zu tun.
Ich hoffe, dass Ihnen die aktuellen Geschehnisse zeigen, dass wir Rechtsextremismus als eigenständiges
Phänomen betrachten müssen, dass wir ihn analysieren
und eigenständig bearbeiten müssen. Hören Sie bitte mit
der Extremismus-Gleichmacherei auf und schauen Sie
sich die Realität an!
({3})
Zur Realität gehört auch, dass sich die Menschen, die
sich gegen Rechtsextremismus einsetzen, an vielen Orten nicht die Unterstützung erhalten, die sie bräuchten.
Ich erspare Ihnen jetzt an dieser Stelle den Hinweis auf
die Extremismusklausel, Frau Dr. Schröder. Ich möchte
aber darauf hinweisen, dass auch Sie, Herr Dr. Friedrich,
ganz haushaltsneutral etwas tun könnten: Nehmen Sie
die Extremismusklausel in Ihrem Programm zurück! Das
geht ganz einfach.
({4})
Nehmen Sie die Kürzungen bei der Bundeszentrale
zurück! Das ist das Präventionsinstrument, das die Bundesregierung hat. Fast 5 Millionen Euro weniger seit
2009 - das ist eine schlichte Katastrophe. Wir brauchen
eben nicht nur innere Sicherheit und Repressionen; wir
brauchen auch dringend die Prävention. In diesen Tagen
möchte man sagen: Wir brauchen mehr politische Bildung, nicht weniger.
Daniela Kolbe ({5})
({6})
Gisela Piltz ist die nächste Rednerin für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sparsam ist diese schwarz-gelbe Koalition nicht nur
beim Haushalt, sondern nach wie vor auch bei der Sicherheitsgesetzgebung. Beides ist gut und richtig. Sparsam zu wirtschaften, ist das Gebot der Stunde. Die Haushaltskonsolidierung ist das zentrale Ziel. Erst recht in
Zeiten, in denen wir es mit überschuldeten Nachbarn zu
tun haben, ist es richtig, dass Deutschland mit gutem
Beispiel und außerordentlichem Sparwillen vorangeht.
({0})
Das gilt auch für den Bereich des Innenministeriums.
Bei knappen Mitteln ist es besonders wichtig, entsprechende Schwerpunkte zu setzen und die vorhandenen
Gelder klug zu verwenden. Dass Mittel für die reibungslose Arbeit der Sicherheitsbehörden benötigt werden,
zeigt nicht zuletzt die alles beherrschende, traurige
rechtsextremistische Mordserie. Es ist deshalb gut und
richtig, dass der Haushalt im Bereich der Vollzugsbeamten der Sicherheitsbehörden im Geschäftsbereich des
BMI keine Einsparungen vorsieht. Das gilt auch für das
BKA und die Bundespolizei. Wir sparen nicht an der inneren Sicherheit, selbst in Zeiten nicht, in denen im öffentlichen Dienst der Rotstift regieren muss. Der erste
Bundespräsident, Theodor Heuss, hat einmal gesagt - als
Liberale zitiere ich ihn besonders gern -: „Sparen ist die
richtige Mitte zwischen Geiz und Verschwendung.“ Ich
persönlich finde, dass wir auf einem guten Weg sind.
Es ist gut, dass wir trotz knapper Kassen das Versprechen einlösen, die befristete Aussetzung der Sonderzulage für Beamte - besser bekannt als Weihnachtsgeld rückgängig zu machen. Die Beamtinnen und Beamten
haben mit dem Verzicht auf das Weihnachtsgeld in der
Vergangenheit ihren Beitrag geleistet. Dafür sollten wir
ihnen gemeinsam unseren Dank und unsere Hochachtung aussprechen. Es ist ein guter und richtiger Schritt,
zum Weihnachtsgeld zurückzukehren.
({1})
Sparsam sind wir nicht nur mit dem Geld, sondern
auch mit neuen Sicherheitsgesetzen. Das liegt - anders
als viele hier behaupten - nicht daran, dass wir uns nicht
einigen können, sondern daran, dass wir in der Koalition
der Auffassung sind, dass die Gleichung „Mehr Eingriffsbefugnisse gleich mehr Sicherheit“ nicht stimmt;
denn Sicherheit schaffen Sie nicht durch ein ständiges
Überbieten mit neuen Befugnissen, sondern mit gut ausgebildeten und ausgestatteten Polizistinnen und Polizisten. Dementsprechend arbeiten wir. Es ist gut, dass wir
bei der Sicherheitsarchitektur einen kleinen, aber nichtsdestotrotz richtigen Schritt gegangen sind. Wir von der
FDP-Fraktion hätten uns mehr gewünscht. Aber immerhin haben wir schon jetzt Synergieeffekte bei Beschaffung und Ausbildung nutzen können.
Gerade die aktuelle Diskussion zeigt - selbst nach der
viereinhalbstündigen Unterrichtung gestern im Innenausschuss ist für viele von uns das, was passiert ist, unverständlich und unfassbar geblieben -, dass wir unsere
Sicherheitsbehörden besser aufstellen müssen. Die Probleme können wir teilweise auf Bundesebene lösen. Wir
müssen aber auch mit den Ländern sprechen; denn die
Reflexe sind die gleichen wie immer. Oft ist aus den
Ländern zu hören: Unsere Verfassungsschutzbehörde aufgeben? Das kommt gar nicht infrage! - Wir müssen sicherlich auch eine Diskussion über den Einsatz von V-Leuten
führen. Aber die ersten Ministerpräsidenten haben schon
signalisiert, dass sie dazu nicht bereit sind. Ich glaube, es
ist an der Zeit - das hat auch die heutige Diskussion gezeigt -, dass wir das gemeinsam angehen; denn das, was
in den letzten 13 Jahren passiert ist, können wir uns auf
Dauer nicht leisten.
({2})
Man sollte eigentlich nicht mit dem Finger auf andere
zeigen. Wie lautet doch gleich der Spruch: Wer mit dem
Finger auf andere zeigt, zeigt immer mit drei Fingern auf
sich selbst. Aber ich glaube schon, dass sich die Länder
- genauso wie der Bund - darüber Gedanken machen
müssen, ob sie gut aufgestellt sind. Aufklärung und die
notwendigen Konsequenzen sind das Gebot der Stunde.
Ich würde mich freuen, wenn wir die Probleme gemeinsam lösen könnten. Genau das erwarten die Menschen.
Sie erwarten gleichermaßen Freiheit und Sicherheit. Wir
müssen ihre Sorgen und Nöte ernst nehmen. Wenn wir
uns hier nur streiten, beweisen wir genau das Gegenteil.
Herzlichen Dank.
({3})
Die Kollegin Ulla Jelpke spricht nun für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
schon im Innenausschuss gesagt, dass die Debatte erst
ganz am Anfang ist. Zurzeit kann man im Grunde genommen wirklich nicht von einer parlamentarischen, geschweige denn politischen Aufklärung sprechen.
Ich meine, dass das Versagen der Sicherheitsbehörden
in der politischen Einschätzung natürlich nicht erst seit
14 Tagen oder den Morden durch die NSU besteht, die
jetzt aufgedeckt worden sind. Herr Danckert beispielsweise hat recht damit, dass wir auch die Jahre davor aufarbeiten müssen, dass es dafür sehr viele Anhaltspunkte
gibt.
Ich habe nicht sehr viel Redezeit, aber ich will nur
noch einmal daran erinnern: Über 141 Menschen sind
bei rassistischen Übergriffen ermordet worden. Es hat
Anfragen zu Waffenfunden gegeben, wo man sich wirklich fragt: Wieso haben dort die Behörden nicht reagiert?
Es ist nicht verständlich, wie es überhaupt sein kann,
dass es in einem Land wie Deutschland so etwas gibt
wie „Angstzonen“ oder „national befreite Zonen“, die
von den Neofaschisten in diesem Land immer wieder
ausgerufen werden, nicht nur im Osten. Auch in meinem
Wahlkreis in Dortmund gibt es einen Stadtteil, Dorstfeld,
wo die Menschen Angst haben, die Menschen mit Migrationshintergrund, aber eben auch alle, die dort wohnen. Man traut sich nicht mehr, etwas gegen Nazis zu sagen, und das kann einfach nicht sein. Das muss zu einem
Umdenken in der gesamten Gesellschaft und natürlich
vor allen Dingen in der Sicherheitspolitik führen. Ich
meine, dass dieses im Moment nicht zu erkennen ist.
Herr Wieland, bevor überhaupt eine Analyse gemacht
worden ist und eine Aufarbeitung durchgeführt worden
ist, sind Sie mit einem Zehn-Punkte-Katalog an die Öffentlichkeit gegangen; Sie wissen schon, wie man das alles besser macht. Wir wissen, dass es beispielsweise
1992 ganz ähnliche Instrumente gegeben hat. Da sollten
Arbeitsgruppen zwischen BKA, Verfassungsschutz und
Polizeibehörden dafür sorgen, dass man sich besser koordiniert. Jetzt soll wieder ein solches Instrument geschaffen werden. Da frage ich Sie: Wie können Sie einfach so darüber hinweggehen und so tun, als wenn das
etwas völlig Neues wäre?
Ich will Ergebnisse sehen. Ich will, dass wirklich
Analysen stattfinden, dass Neofaschismus und Rechtsextremismus in diesem Land nicht weiter verherrlicht
und verharmlost werden.
({0})
Frau Jelpke, darf der Kollege Wieland Ihnen eine
Zwischenfrage stellen?
Ja, gerne.
Liebe Frau Kollegin Jelpke, Sie haben mir eben eine
Frage gestellt. Ich darf Ihnen hier nicht antworten. Andersherum: Ich darf Ihnen eine Frage stellen.
Haben Sie denn nicht bemerkt, dass das, was der Bundesinnenminister vorgeschlagen hat, eine andere Qualität haben soll? Er hat ein gemeinsames Abwehrzentrum
vorgeschlagen, das auch operativ tätig werden soll. Das
ist etwas anderes als die Arbeitsgruppe, die wir bisher
hatten, wo man sich zweimal im Jahr getroffen hat, Analysepapiere ausgetauscht hat und dann wieder auseinandergegangen ist. Halten nicht gerade Sie, die Sie die
rechtsextremistischen Umtriebe immer sehr genau und
sehr kritisch beobachtet und kommentiert haben, es aufgrund des Umstandes, dass viel zu wenig passiert ist,
dass viel zu oft die Staatsorgane nicht gehandelt haben,
für notwendig, hier zu einer neuen Qualität zu kommen
und auch einmal Ja zu sagen, selbst wenn der Vorschlag
von einem CSU-Innenminister kommt?
({0})
Lieber Kollege Wieland, wenn die Vorschläge gut und
richtig sind, dann will ich sie auch gern unterstützen.
Aber erstens liegt uns alles das schriftlich ausführlich
bisher gar nicht vor. Wir wissen nicht, was dieses operative Eingreifen letztendlich bedeutet. Zweitens hat auch
dieser Innenminister in der Süddeutschen Zeitung politisch davon gesprochen - das habe ich ihm im Innenausschuss auch vorgehalten -: Wir haben ein neues Phänomen. - Ich sage: Nein, wir haben kein neues Phänomen.
Es ist die Fortsetzung eines Nazi-Terrors, der in diesem
Land seit vielen Jahren wütet, und das muss erst einmal
erkannt werden.
Die Instrumente werden wir genauso prüfen, wie die
Grünen es für sich angekündigt haben. Immer wenn es
besondere Höhepunkte gegeben hat, zum Beispiel Angriffe der Nazis auf Migranten, auf Asylwohnheime oder
auf eine Synagoge in Düsseldorf, gab es sofort einen
Aufstand der Anständigen; dann hat man sehr viel geredet, genau wie heute Vormittag und jetzt. Danach ist alles wieder verplätschert, und nichts ist passiert.
({0})
- Ich habe ja gesagt: Wir werden das gerne prüfen.
({1})
Wenn nun ein Minister von einem „neuen Phänomen“
spricht, aber nicht in Betracht zieht, dass es auch eine
Geschichte dahinter gibt, wenn dieser Minister heute
wieder einen Haushalt vorlegt, in den beispielsweise für
den Verfassungsschutz 14 Millionen Euro mehr, also insgesamt 188 Millionen Euro, eingestellt sind, dann frage
ich mich vor dem Hintergrund der jetzigen Ereignisse
doch: Wieso stoppt man das nicht erst einmal, wenn man
wirklich eine ernsthafte Analyse und eine Aufarbeitung
will?
({2})
Das Bundesverfassungsgericht hat übrigens gesagt,
wenn man ein Verbotsverfahren einleiten wolle, sei das
Mindeste, dass die V-Leute auf der Führungsebene abgeschaltet würden.
({3})
Aber nicht einmal dazu sind die Behörden bereit. Schon
2006, als eine Arbeitsgruppe der Innenminister zum
Thema NPD-Verbot eingerichtet worden ist, haben alle
Innenminister der Länder festgestellt: Das Material muss
erst einmal gesäubert werden; es ist verseucht. Dazu
brauchen wir mindestens zwei Jahre. - Außerdem haben
die Minister gesagt: Die V-Leute müssen abgeschaltet
werden.
({4})
Sonst komme man nicht an sauberes Material, geschweige denn an Material für ein neues VerbotsverfahUlla Jelpke
ren heran. Da sehe ich nicht, dass eine Entwicklung und
auch ein Umdenken eingesetzt hätten. Im Grunde wird
weitergemacht wie bisher. Es wird nicht darüber nachgedacht, V-Leute abzuschalten.
Dass man in dieser Situation nicht bereit ist, die Extremismusklausel zurückzunehmen, ist für mich ein
deutlicher Beweis. Sie ist mit ein Grund des Übels, und
zwar nicht nur, weil man damit Initiativen unter einen
Generalverdacht stellt. Die Gleichstellung macht es den
Nazis sehr leicht, bestimmte Gruppen und Gruppierungen zu bekämpfen, unter anderem die Initiativen, die
tagtäglich Opferberatung und Ähnliches machen.
Natürlich finden wir es gut, dass die Bundesregierung
den Opferfonds um 500 000 Euro aufgestockt hat. Aber
ich will ganz klar sagen: Es kann bei der Opferentschädigung nicht nur um die Menschen und die Familien gehen, die von den Nazi-Morden unmittelbar betroffen
sind. Es muss beispielsweise auch um die Menschen in
Köln gehen, die von der Nagelbombe getroffen worden
sind, Menschen, die verletzt worden sind oder die ihre
Existenz verloren haben, weil sie beispielsweise gegen
die Schäden nicht versichert waren. Ein Friseurladen
musste zum Beispiel dichtmachen. Ich meine also, die
Opferhilfe muss weiter gehen.
Zum Schluss möchte ich - meine Kollegin Frau
Kolbe hat es schon angesprochen - noch etwas erwähnen, was mir besonders wichtig ist. Wenn in diesem
Haushalt bei der Integrationspolitik gespart wird, sparen
wir am falschen Ende. Ich bin der Meinung, dass es dringend nötig ist, die finanziellen Mittel für die Fahrtkostenerstattung, die Kinderbetreuung und die Alphabetisierungskurse wieder aufzustocken. Vor allen Dingen
können wir - das ist ein ganz wichtiger Punkt - es nicht
zulassen, dass den in diesem Bereich tätigen Lehrerinnen und Lehrern, die eine Art Scheinselbstständigkeit
haben, 16 oder 18 Euro pro Stunde gezahlt werden, wovon sie Steuern, Versicherungen und Krankenkassenbeiträge bezahlen müssen. Das geht nicht.
Frau Kollegin!
Wir fordern 30 Euro pro Stunde, damit ein bestimmter
Lebensstandard erreicht werden kann. Es kann nicht
sein, dass man hier sagt: Augen zu und durch. - Die
Menschen müssen von ihrer Arbeit leben können. Wenn
man gute Integrationskurse will, dann muss man auch
entsprechend bezahlen.
Danke schön.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Memet Kilic für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister
Friedrich, Sie haben die Sicherheitsbehörden verteidigt
und betont, dass sie auf dem rechten Auge nicht blind
sind. Mag sein; aber wem nutzt ein Auge, das nicht
sehen will oder darf? Ansonsten können Sie sich bundesweit 10 Morde und 14 Banküberfälle durch diesen braunen Spuk nicht erklären. Sie sollten nichts herunterspielen, sondern aufklären.
Sie sollten aufklären,
({0})
wie es passieren konnte, dass bei einer Hausdurchsuchung einer aus dieser Bande einfach kurz vor die Tür
geht, um eine zu rauchen, und dann verschwindet. Sie
sollten aufklären, wie ein anderer einfach ins Auto steigen und davonfahren konnte. Sie sollten aufklären, wie
diese Leute sogar mit gefälschten Papieren heiraten und
ihre Identität verbergen konnten - und das Ganze mehr
als zehn Jahre lang. Sie sollten nichts herunterspielen,
sondern aufklären. Das ist unser Anspruch.
({1})
Gestern hatten wir im Innenausschuss eine fast fünfstündige Sondersitzung. Zwei Sachen sind mir bei dieser
Sitzung klar geworden:
Erstens. Eine gute Nachricht: Wir haben keinen Überwachungsstaat - aber nur, was den Rechtsextremismus
betrifft.
({2})
Für alle anderen Bereiche kann man das nicht so einfach
sagen. Gestern musste ich feststellen, dass weder unsere
Verfassungsschützer noch das Bundeskriminalamt genügend Kenntnisse über das rechtsextremistische Milieu
haben. Sie haben erklärt, was sie alles nicht wissen, aber
nicht, was sie wussten.
Zweitens. Die Nebelmaschine der Bundesregierung
wird jedes Mal eingeschaltet, wenn es um Rechtsextremismus geht. Angesichts dieser terroristischen Mordfälle sehe ich meine jahrzehntelange öffentlich kundgetane Befürchtung bestätigt. Ich habe immer wieder
erlebt, dass die Sicherheitsbehörden einen rechtsextremistischen Hintergrund ausgeschlossen haben, bevor sie
am Tatort waren. Sie wurden von der Politik dazu verleitet, weil sich die Politik schon immer um das Image der
Bundesrepublik Deutschland auf der internationalen
Bühne große Sorgen gemacht hat.
Dieses Image war ihr wichtiger als die Opfer des
Rechtsextremismus. Um das eigene Ansehen in der Welt
zu schützen, hat der Staat die Sicherheitsbehörden dazu
gebracht, rechtsextremistische Straftaten nicht als solche
zu behandeln.
({3})
Sie werden regelmäßig als einfache Beleidigungen oder
Schlägereien in die Kriminalstatistik aufgenommen; ansonsten können Sie diese Differenz bei den entsprechenden Mordfällen seit 1990 - die einen sprechen von
49 Mordfällen, andere reden von 183 Mordfällen - nicht
erklären. Daher brauchen Sie nicht zu nörgeln, Herr Kollege.
Das Vertrauen der Einwanderer in den Rechtsstaat ist
in seinen Grundfesten erschüttert. Viele von ihnen sind
entsetzt, wie vorurteilsbeladen die Sicherheitsbehörden
in der Vergangenheit ermittelt haben. Sobald ein Einwanderer ermordet wurde, haben die Sicherheitsbehörden lieber die Frage gestellt, ob es sich um ein Drogengeschäft oder um einen Ehrenmord handelt.
Darüber hinaus haben die Sicherheitsbehörden ihre
schräge Ansicht auch noch mit solchen Begriffen wie
Ermittlungsgruppe „Bosporus“ oder „Döner-Morde“ unterfüttert. Es ist ein wichtiger Einschnitt, dass ab jetzt
nicht mehr die Einwanderer in Erklärungsnot stecken,
sondern die Sicherheitsbehörden und der Staat.
({4})
Wer Rechtsextremismus bekämpfen will, muss auch
die Opfer stärken. Damit Einwanderer eine starke
Stimme bekommen, müssen wir beispielsweise die Integrationskurse verbessern. Wir fordern in diesem Zusammenhang 52,3 Millionen Euro mehr, 1 Millionen Euro
mehr für Frauenkurse. Wir müssen das kommunale
Wahlrecht auf Nicht-EU-Bürger erweitern, aber auch die
Einbürgerungen erleichtern.
({5})
Für den Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus bedarf es außerdem einer guten Bildungspolitik.
Daher fordern wir eine Aufstockung der Mittel um
3,5 Millionen Euro für die politische Bildungsarbeit der
Bundeszentrale für politische Bildung.
Wir müssen mehr in die Prävention investieren. Anstatt in die Prävention zu investieren, hemmt jedoch die
Bundesregierung motivierte Bürgerinnen und Bürger in
ihrem Engagement für eine demokratische und friedliche
Gesellschaft. Sie verlangt von Menschen, die sich gegen
Rechtsextremismus einsetzen, sich einer Gesinnungsprüfung zu unterziehen. Frau Schröders Extremismusklausel dient allein dazu, engagierten Personen Misstrauen entgegenzubringen und sie abzuschrecken. Eine
andere Funktion hat diese Schikane nicht.
({6})
Die ideologische Haltung der Bundesregierung geht aber
noch einen Schritt weiter: Die Bundesregierung fördert
Projekte gegen Linksextremismus weit großzügiger als
solche gegen Rechtsextremismus:
({7})
Während sie Projekte gegen den Linksextremismus zu
90 Prozent kofinanziert, verlangt sie bei Projekten gegen
Rechtsextremismus Eigenmittel in Höhe von 50 Prozent.
Es ist beschämend, aber nicht überraschend, dass Roland
Kochs Mädchen, die Bundesfamilienministerin, den
Kampf gegen rechts derart abgewertet hat. Statt bei Projekten gegen Rechtsextremismus zu kürzen, sollte die
Bundesregierung das braune Netzwerk rund um die NPD
zerschlagen.
({8})
Herr Kollege.
Das angedachte NPD-Verbotsverfahren ist lediglich
eine Nebelkerze, um das Ausland zu beruhigen. Diese
Nebelkerze werden wir nicht in die Hand nehmen.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Der braune Spuk ist weit größer: Unzählige rechtsextreme Vereine, Burschenschaften, Kameradschaften
und rechtsextreme Internetseiten arbeiten aktiv der NPD
zu. Diese Organisationen dürfen nicht mehr als Heimatschutzvereine toleriert werden. Die Bundesregierung
muss aus ihrem Schlaf erwachen und dieses Netzwerk
bekämpfen.
Vielen Dank, liebe Freundinnen und Freunde.
({0})
Stephan Mayer ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich persönlich
habe den Eindruck, dass wir bisher eine sehr sachliche,
vernünftige Debatte zum Etat des Innenministeriums geführt haben. Vor dem Hintergrund kann ich es wirklich
nicht verstehen, dass Sie, Herr Kilic, gerade in der sehr
schwierigen, angespannten Situation, in der wir uns derzeit in Deutschland befinden,
({0})
hier der Versuchung erlegen sind, diese Situation für fadenscheinige, populistische Anschuldigungen und Vorwürfe auszunutzen, die jeglicher Grundlage entbehren.
({1})
Stephan Mayer ({2})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der
Einzelplan des Bundesinnenministeriums ist kein großer
Einzelplan - er umfasst weniger als 2 Prozent des Gesamthaushaltes -, aber er ist für das friedliche Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland
und den friedlichen inneren Zusammenhalt unseres Landes elementar. Ich glaube, das war uns nie so bewusst
wie in diesen Zeiten, in diesen Tagen, aber auch in diesem Jahr. Ich möchte da natürlich auf den gravierendsten
und widerwärtigsten Fall eingehen: die schrecklichen,
barbarischen, für uns nach wie vor unfassbaren Morde
der Zwickauer Nazi-Zelle. Wenn man im Laufe des Jahres weiter zurück blickt, dann erkennt man: Es gab auch
andere Vorfälle. Ende April dieses Jahres kam es rechtzeitig zur Aufdeckung der Düsseldorfer Terrorzelle, die
kurz davor war, Anschläge auf das Nahverkehrsnetz in
Düsseldorf zu unternehmen. Anfang März gab es erstmals in diesem Jahr Tote aufgrund extremistischer Straftaten in Deutschland: Zwei US-Soldaten sind am Frankfurter Flughafen auf bestialische Art und Weise umgebracht worden.
Gerade die jetzt erwähnten drei Ereignisse zeigen,
dass Deutschland nicht mehr nur Rückzugsraum für extremistische Straftäter ist, sondern leider auch unmittelbares Anschlagsziel. Die unterschiedlichen, in der Bewertung in Nuancen durchaus unterscheidbaren Ereignisse in diesem Jahr haben uns gezeigt, dass wir, insbesondere unsere Sicherheitsbehörden, vor neuen Herausforderungen stehen. Die Strukturen und Netzwerke des
Terrorismus sind dezentraler geworden. Deshalb ist es
von entscheidender Wichtigkeit, dass wir unsere Sicherheitsbehörden - die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt, aber auch das Bundesamt für Verfassungsschutz - sowohl personell als auch materiell ausreichend
ausstatten. Ich bin froh, dass diese Anforderung mit dem
jetzt vorliegenden Etat des Bundesinnenministeriums erfüllt wird.
Ich darf Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, herzlich dafür danken, dass Sie gerade in der sehr
schwierigen Situation in den vergangenen Tagen nicht
der Versuchung erlegen sind, aktionistisch vorzugehen
und sich vorschnell zu artikulieren: Sie haben sich Zeit
gelassen und haben jetzt ein Maßnahmenpaket vorgeschlagen, das plausibel und ausgewogen ist. Dies zeigt
sich schon allein daran, dass selbst der Kollege Wieland
mittlerweile den Mehrwert erkannt hat, der in einem gemeinsamen Terrorabwehr- oder -angriffszentrum - es ist
egal, wie man es formuliert - gegen den Rechtsextremismus liegt.
({3})
Wenn selbst der Kollege Wieland mittlerweile erkannt
hat, wie gut und richtig diese Maßnahme ist, dann zeigt
das, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, dass Sie
richtig gehandelt haben. Ich darf Ihnen namens der Fraktion der CDU/CSU, aber auch der christlich-liberalen
Koalition insgesamt dafür ganz herzlich danken.
({4})
Es bedarf jetzt einer ausgewogenen und vernünftigen
Debatte. Wie gesagt, es ist nicht die Zeit für vorschnelle
und populistische Vorschläge und Maßnahmen. Aber ich
glaube, dass dieses angedachte gemeinsame Abwehrzentrum im Bereich des Rechtsextremismus ein richtiger
Meilenstein ist.
Es muss aber von anderen Maßnahmen begleitet sein.
Richtig ist auch, wenn Sie, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, eine gemeinsame Verbunddatei für die Bekämpfung des Rechtsextremismus in Deutschland - ähnlich wie beim islamistischen Extremismus, wo sich diese
gemeinsame Verbunddatei mittlerweile bewährt hat vorschlagen. Auch hier kann ich, was selten der Fall ist,
nahtlos an die Ausführungen des Kollegen Wieland anknüpfen, der meines Erachtens deutlich gemacht hat,
dass wir gut daran tun, in Deutschland weiterhin an dem
Trennungsgebot festzuhalten. Ich gebe Ihnen auch insofern vollkommen recht, Herr Kollege Wieland, dass das
Trennungsgebot in Deutschland, das eine Trennung zwischen den Polizeien und den Geheimdiensten vorsieht,
kein Hemmnis dafür sein darf, hochkriminelle Straftaten
aufzuklären oder extremistische bzw. terroristische Angriffe in Deutschland zu verhindern.
Weiterhin glaube ich, dass es richtig ist, durchaus ergebnisoffen über ein mögliches zweites NPD-Verbotsverfahren zu debattieren. Darin stecken Chancen. Ganz
offen sage ich aber auch, dass darin ebenfalls Risiken
stecken. Ich möchte mir nicht ausdenken, was passieren
würde, wenn wir erneut in Karlsruhe unterliegen würden. Das wäre Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten in Deutschland. Es wäre genau das Gegenteil
dessen, was wir eigentlich erreichen wollen. Gerade ein
Blick in die deutsche Geschichte zeigt sehr deutlich,
dass man mit Parteiverboten noch nie diese üble und widerwärtige Gesinnung ausmerzen und abschalten konnte.
Das Gegenteil ist der Fall: Diejenigen, die dieser Gesinnung nachhängen, driften in andere Organisationen ab
und gründen neue Parteien. Wir wären als, glaube ich,
doch gefestigte Demokratie schlecht beraten, wenn wir
uns hier hinter einem Parteienverbot verstecken würden.
Zu einem anderen Thema. Ich will es als außerordentlich positiv bezeichnen, dass die Erhöhung der Sonderzulage für Bundesbeamte durch diesen neuen Etat des
Bundesinnenministeriums erreicht wird. An der Stelle
möchte ich ein herzliches Dankeschön an alle Bundesbeamten sagen, die in den letzten Jahren schweren Herzens auf diese Sonderzulage, auf das Weihnachtsgeld,
verzichtet haben. Sie haben damit aber - das sage ich an
dieser Stelle anerkennend - auch zur Konsolidierung des
Bundeshaushaltes beigetragen.
({5})
Jetzt finde ich es aber auch richtig, dass wir die Bundesbeamten entsprechend am wirtschaftlichen Aufschwung
teilhaben lassen, den wir Gott sei Dank in Deutschland
zu verzeichnen haben.
Ich möchte noch kurz auf einen Etat eingehen, der im
Einzelplan des Bundesinnenministeriums zwar nicht die
große Rolle spielt, aber durchaus wichtig ist, nämlich auf
den Etat des Technischen Hilfswerks. Das Technische
Stephan Mayer ({6})
Hilfswerk ist die größte Bundesbehörde im Ressortbereich des BMI. 99 Prozent aller derjenigen, die im
THW tätig sind, arbeiten ehrenamtlich. Es handelt sich
insgesamt um 80 000 Frauen, Männer und Jugendliche
in Deutschland. Insbesondere den Haushaltspolitikern
möchte ich ganz herzlich dafür danken, dass es im Rahmen der parlamentarischen Befassung noch möglich
war, den Etat des Technischen Hilfswerks um 2 Millionen Euro zu erhöhen.
Lieber Herr Kollege Bockhahn, dafür haben wir als
christlich-liberale Koalition die Linken nicht gebraucht.
({7})
Dass Sie noch Nachholbedarf in Sachen THW haben,
haben Sie in Ihrer Rede eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die örtlichen Gruppierungen des THW heißen
nämlich nicht „Ortsgruppen“, sondern „Ortsverbände“.
({8})
Die Kolleginnen und Kollegen der christlich-liberalen
Koalition sind wirklich nah am THW. Deswegen sage
ich ein herzliches Dankeschön für die angemessene Ausstattung des Technischen Hilfswerks.
Wenn man den THW-Haushalt auf einen aktiven Helfer - in Deutschland gibt es ungefähr 45 000 - herunterbricht, sieht man, dass er, der dem Bund an 365 Tagen
im Jahr und 24 Stunden am Tag zur Verfügung steht, etwas mehr als 4 000 Euro kostet. Da sind alle Kosten mit
eingerechnet: Mietkosten, Personalkosten und Gerätschaften. Ich glaube, dass der Bund insoweit mit dem
Technischen Hilfswerk sehr günstig fährt. Wir sind gut
beraten, den insgesamt 80 000 freiwilligen Helferinnen
und Helfern in Deutschland dafür dankbar zu sein.
Die Aussetzung der Wehrpflicht bedeutet eine Zäsur
für das Technische Hilfswerk. Ich sage das auch mit
Blick über den Haushalt 2012 hinaus: Wir werden mit
Sicherheit noch weitere Anstrengungen unternehmen
müssen, um die Herausforderungen der Aussetzung der
Wehrpflicht zu meistern. Wir haben jetzt einen auskömmlichen Haushalt. Ich sage aber ganz offen: Bisher
war ein Drittel der aktiven THW-Helfer in der Mindestverpflichtungszeit. Wir werden mit Sicherheit in den
nächsten Jahren noch mehr Geld für die Helfergewinnung und das Halten der Helfer aufwenden müssen. Ich
möchte all denjenigen herzlich danken, die sich maßgeblich und produktiv für das THW eingesetzt haben.
Man kann festhalten: Der Haushalt des BMI ist auskömmlich. Er ist nicht üppig - damit leisten wir einen
notwendigen Beitrag zur Konsolidierung des Gesamthaushaltes -, aber er ermöglicht allen Beteiligten und allen Unter- und Oberbehörden ein vernünftiges und gutes
Arbeiten.
Ein herzliches Dankeschön für die Aufmerksamkeit.
({9})
Die Kollegin Gabriele Fograscher ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Es ist staatliche Kernaufgabe, es ist Legitimation des
Staates, die Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt und
Terror jeglicher Extremisten zu schützen. Wenn aber im
gleichen Atemzug rechter, linker und islamistischer Extremismus genannt wird, dann verstellt das den Blick auf
die unterschiedlichen Ursachen, auf die unterschiedlichen Gefährdungslagen und auch auf die Notwendigkeit unterschiedlicher Bekämpfungsstrategien.
({0})
Herr Innenminister, Sie haben verschiedene Vorschläge gemacht: Verbunddatei, gemeinsames Terrorabwehrzentrum für Gewalt von rechts, Verbot der NPD.
Wir sind bei all diesen Fragen gesprächsbereit und bereit, Sie bei Ihren Vorhaben zu unterstützen. Das Problem ist nur, dass Sie sich innerhalb der Regierung nicht
einig sind. Zwischen dem BMI und dem BMJ gibt es
eine Sparsamkeit an Gemeinsamkeiten.
({1})
Es gibt unterschiedliche Meinungen. Dadurch sind Sie in
diesem Bereich nicht handlungsfähig.
({2})
Sie haben die innere Sicherheit als Kernaufgabe genannt und die Personen, die die innere Sicherheit garantieren, zum Beispiel die Bundespolizei, mit hoher Wertschätzung bedacht. Das ist richtig, das teilen wir; denn
sie sorgen für Sicherheit an den Grenzen, Bahnhöfen
und Flughäfen. Genau deshalb halten wir es eben nicht
für ausreichend, jetzt jene 150 Stellen anzuheben. Wir
halten es auch nicht für ausreichend, was Sie in Aus- und
Fortbildung und in Ausstattung, zum Beispiel Fahrzeuge
oder bessere technische und moderne IT-Ausstattung, investieren. Wir haben hierzu Anträge auf Erhöhung der
Mittel gestellt, auf die Sie leider nicht eingegangen sind.
Das THW als wichtige Behörde ist schon genannt
worden. In diesem Bereich konnten wir Verbesserungen
erreichen. Ich nenne in diesem Zusammenhang auch das
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Es ist nicht gelungen, dort eine bessere Personalausstattung zu erreichen. Auch die Beschaffung der
Feuerwehrautos ist nicht mehr gelungen.
Zum Bereich des Bundesinnenministers gehört auch
der Sport. Herr Innenminister, ich glaube, Sie sind der
erste Minister, der weder in der ersten noch in der zweiten Lesung auch nur ein Wort darüber verloren hat.
({3})
Es gibt von Ihnen keine Aussage zur gesellschaftspolitischen Bedeutung des Sports, zur Integrationsleistung,
die im Sport erbracht wird. Es gibt keine Agenda in diesem Bereich; Sie setzen keine Prioritäten. Vielmehr werden die Investitionen für den Sportstättenbau im kommenden Jahr wiederum um 3 Millionen Euro gekürzt,
sodass nur noch rund 15 Millionen Euro zur Verfügung
stehen. Das sind fast 10 Millionen Euro weniger als im
rot-grünen Haushalt von 2005.
Es ist enttäuschend, dass Sie die Bedeutung des
Sports nicht mit einem Wort würdigen. Es ist ebenso enttäuschend, dass die Sportpolitiker von CDU/CSU und
FDP aus Verärgerung über schlechte Medienberichterstattung die Öffentlichkeit von den Ausschusssitzungen
ausschließen.
({4})
Das schadet nicht nur ihnen selbst, sondern dem gesamten Ausschuss. Das kommt in einem offenen Brief der
Interessenvertretungen deutscher Basketball- und Handballspieler, der europäischen Sportlervereinigung und
anderer Verbände zum Ausdruck. Ich will aus diesem
Brief zitieren:
Das Demokratieverständnis der Mehrheit Ihres
Ausschusses zeichnete sich zudem am Donnerstag,
dem 27.10.2011, dadurch aus, die Öffentlichkeit bei
allen zukünftigen Sitzungen auszuschließen. Dieser
Beschluss fördert die ohnehin bestehende Intransparenz der Sportpolitik und senkt das bereits erschütterte Vertrauen in die politischen Prozesse
({5})
sowie die Überwachungsfunktion der Politik hinsichtlich der Entscheidungsfindung in der durch
Bundesmittel mitfinanzierten Verbands- und Arbeitgeberstruktur des deutschen Sportsystems.
Sie sollten diesen Beschluss überdenken.
({6})
Auch mit dem Kampf gegen Doping meinen es diese
Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen nicht
wirklich ernst. Unsere Anträge, die NADA und die
WADA im Kampf gegen Doping entschiedener zu unterstützen, wurden abgelehnt. Ab 2013 will die Koalition
die Zuschüsse für die NADA ganz streichen. Das
schwächt die Arbeit der NADA. Der Bund kann sich unserer Ansicht nach nur dann aus der Finanzierung zurückziehen, wenn sich die gesellschaftlichen Kräfte und
die Bundesländer im Bereich der Dopingbekämpfung
ausreichend engagieren.
Ich will noch einmal auf die aktuelle Diskussion über
den Rechtsterrorismus und den Rechtsextremismus hinweisen. Auch an dieser Stelle muss der Sport einbezogen
werden. Der Sport ist ein Spiegel der Gesellschaft. Es
gibt Rechtsextremisten, die Stadien und Vereine für ihre
Propagandazwecke missbrauchen wollen. Wir haben vor
kurzem einen Antrag zu diesem Thema gestellt. Sie haben erklärt, das sei alles schon durch Handeln erledigt.
Wir halten dieses Thema nicht für erledigt. Für uns gilt
weiterhin, Sportlerinnen und Sportler, Fans und Funktionäre zu sensibilisieren, Aufklärungsarbeit zu leisten und
bestehende Probleme öffentlich zu machen.
Frau Kollegin, Sie kommen bitte zum Schluss?
Ich komme zum Schluss. - Ich will Ihnen sagen, dass
der Einzelplan 06 für uns nicht zustimmungsfähig ist.
Danke schön.
({0})
Der Kollege Haustein hat nun für die FDP-Fraktion
das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Der Einzelplan 06 umfasst natürlich
auch die Bereiche Sport und Aufbau Ost. Über beide Bereiche möchte ich als Berichterstatter kurz sprechen.
Zuerst aber bedanke ich mich. Ich bedanke mich bei
den Berichterstattern, besonders bei Norbert Barthle und
Florian Toncar. Ich bedanke mich beim Innenausschuss,
stellvertretend bei Gisela Piltz, beim Sportausschuss,
stellvertretend bei Joachim Günther, und natürlich ganz
besonders bei Ihnen, Herr Minister Friedrich, und bei Ihnen, Frau Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Angesichts dessen, was Sie und Ihre Ministerien leisten,
sage ich: Hut ab! Danke schön!
({0})
…
Sport stärkt Arme, Rumpf und Beine,
Kürzt die öde Zeit,
Und er schützt uns durch Vereine
Vor der Einsamkeit,
…
({1})
Mit diesen Zeilen von Joachim Ringelnatz möchte ich
meine Rede zum Sportetat beginnen. Es stimmt: Das
Geld ist nicht gerade üppig, aber ausreichend. Immerhin
gibt es 90 000 Vereine und 27 Millionen organisierte
Mitglieder. Einer davon ist der FC Bundestag, in dem
ich mitspiele. Jeder kennt unseren prominentesten Mitspieler: Präsident Lammert kämpft auch mit.
Dessen größter Beitrag zur Leistungsfähigkeit der
Mannschaft darin besteht, dass er selten aufläuft.
({0})
Danke. - Sport ist auch für die Charakterbildung gut
und wichtig. Sport ist auch eine Art Prävention.
Bleiben wir bei den Zahlen. Es ist ein Querschnittsetat. Im Einzelplan 06 stehen genau 154 Millionen Euro
zur Verfügung. Insgesamt, über alle Haushalte verteilt,
sind es 239 Millionen Euro. Das sind 4,4 Prozent mehr
Mittel für den Sport und nicht weniger, Frau Kollegin
Fograscher. Das zeigt, dass für diese Regierung Sport
eine Herzenssache ist. Wir haben für den Sport mehr
Geld zur Verfügung gestellt.
({0})
Beim Sport gibt es aber auch ein paar Dinge, die mir
nicht so gut gefallen. Ich nannte gerade die 239 Millionen Euro vom Bund. Im Süden Deutschlands gibt es einen Verein, der einen Etat von 350 Millionen Euro hat.
Das ist ein Fußballverein; er spielt sogar heute Abend.
({1})
Dann kommt es immer wieder vor, dass es Randale,
Ausschreitungen gibt und dass unsere Polizisten ihren
Kopf und ihre Haut hinhalten müssen. Ich finde, es wird
Zeit, einmal Tacheles zu reden und etwas zu unternehmen. Dank an unsere Polizisten bei der Bundes- und
Landespolizei für diese Arbeit!
({2})
Ich komme nun zum anderen Punkt: Aufbau Ost. Das
ist, liebe Kollegen, wirklich eine Erfolgsgeschichte. Wenn
man sich einmal das Geld ansieht, das im Einzelplan 06
dafür veranschlagt ist, dann ist es keine Erfolgsgeschichte, aber wenn man sich vergegenwärtigt, was seit
1990 bis heute in der ehemaligen DDR alles passiert ist,
dann sehr wohl. Ich habe einmal einige Zahlen herausgesucht. Es sind Unsummen von Geld; man glaubt das
kaum. Allein für die Infrastruktur wurden fast 100 Milliarden Euro ausgegeben. In die Sozialsysteme wurden mehr
als 500 Milliarden Euro investiert. Das heißt, der Aufbau
Ost ist eine Erfolgsgeschichte sondergleichen. Das muss
auch hier einmal ganz klar gesagt werden.
({3})
Es wird ja immer über den Solidarbeitrag diskutiert.
Natürlich hätte ich es gerne, wenn er abgeschafft würde.
Zahlte jemand ab einer Größe von 40 000 Euro Soli,
würde bei 90 Prozent der Bevölkerung der Soli in der
Gehaltsabrechnung nicht mehr erscheinen. Aber das ist
im Moment politisch noch nicht gewollt. Es wird aber
noch kommen. Der Soli wird übrigens von Ost und West
gezahlt. Deshalb bedanke ich mich bei unseren Freunden
im Westen, dass sie zur Einheit stehen und diese Einheit
mit uns gemeinsam finanziert haben. In diesem Sinne
ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge.
({4})
Klaus Riegert von der CDU/CSU-Fraktion ist der
letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich meinem Vizekapitän anschließen: Aus sportpolitischer Sicht haben
wir einen guten Haushalt. Über alle Ressorts verteilt sind
es 239 Millionen Euro, im Kernhaushalt des BMI
131,7 Millionen Euro. Dieses Geld kommt vor allem
dem Spitzensport, aber auch den behinderten Sportlern
zugute. Vielschichtig ist in der Tat die Wirkung, von der
Vorbildfunktion für unsere Jugendlichen - Spitzensportlerinnen und Spitzensportler haben eine solche Vorbildfunktion - bis zur Außendarstellung Deutschlands als offenes, modernes, erfolgreiches und sympathisches Land.
Das leistet der Spitzensport in Deutschland.
({0})
Wir bekennen uns zur Autonomie des Sports und bedanken uns beim Deutschen Olympischen Sportbund für
die gute Zusammenarbeit, auch wenn man im einen oder
anderen Fall über einzelne Fragen diskutiert. Ich halte
unsere Sportkultur für richtig, nämlich die Breite in der
Spitze zu fördern und sich nicht wie früher in der DDR
auf medaillenträchtige Sportarten zu beschränken. Wir
fördern die Breite in der Spitze, freuen uns schon auf die
nächsten Olympischen Spiele und die Paralympics in
London 2012 und wünschen unseren Athletinnen und
Athleten viel Erfolg, damit wir uns in der Weltspitze halten können.
({1})
Die Bewerbung Münchens um die Olympischen Winterspiele 2018 war sehr gut und gelungen. Leider hat das
IOC anders entschieden. Wir sind der Meinung: Nach einer so guten Bewerbung sollten wir uns weiter bewerben
und Ja sagen zu Olympischen Spielen in Deutschland.
({2})
Wo wir Steuergelder investieren, da verlangen wir einen manipulationsfreien, sauberen Sport. Deswegen ist
für uns die Dopingbekämpfung ein wichtiges Anliegen.
Dazu haben wir die NADA aufgebaut. Wir haben sie mit
Stiftungskapital ausgestattet. Das Stiftungskapital stammt
überwiegend aus Bundesmitteln. Deshalb appellieren wir
an die Länder, an den Sport und an die Wirtschaft, etwas
zum Stiftungskapital der NADA für die Dopingbekämpfung beizutragen.
Der Sport ist das Spiegelbild der Gesellschaft. Kollege Haustein hat zu Recht auf die positiven Seiten hingewiesen. Es gibt natürlich auch bedenkliche Seiten,
zum Beispiel die Kommerzialisierung. Ich denke an den
Unfalltod der Handballschiedsrichter, der Zwillinge
Methe, und an den Suizidversuch des Schiedsrichters
Rafati in Köln am Samstag. Ich glaube, wir müssen hin
und wieder sehr feinfühlig sein und darauf achten, dass
die Kommerzialisierung nicht zu etwas führt, was wir so
nicht wollen.
Auch die Bekämpfung der Gewalt und des Extremismus im Sport sollte unsere volle Aufmerksamkeit haben.
Deshalb begrüßen wir den Runden Tisch, der von Innenminister Friedrich einberufen wurde. Es gibt keine Patentrezepte; aber wir sollten über Gespräche und Absprachen
versuchen, alles zu tun, um Gewalt und Extremismus im
Sport zu bekämpfen.
({3})
Bezüglich des Sportstättenbaus, liebe Frau Fograscher,
teile ich Ihre Bedenken. Ich habe aber schon früher immer
wieder auf die Probleme hinweisen müssen; denn in rotgrüner Zeit wurde bei diesem Titel leider am stärksten gekürzt. Unsere Sportstätten müssen auf dem neuesten
Stand sein. Wir konnten das über das Konjunkturprogramm ein bisschen überbrücken, aber in Zukunft müssen wir verstärkt auf die Sportstätten achten.
Das wissenschaftliche Verbundsystem IAT/FES und
das Bundesinstitut für Sportwissenschaft haben gute Arbeit geleistet. Das zeigt die hohe Nachfrage. Deshalb
werden im Haushalt 500 000 Euro draufgelegt.
Ich möchte noch auf das positive Wirken von „Jugend
trainiert für Olympia“ hinweisen, weil dort hinsichtlich
des Nachwuchses einiges Gutes getan wird. Gerade etabliert sich „Jugend trainiert für Paralympics“. Das sollten wir mit aller Kraft unterstützen. Wir wünschen dem
Behindertensport, dass er ähnlich erfolgreich ist wie „Jugend trainiert für Olympia“. Unser herzlicher Dank gilt
dem Deutschen Behindertensportverband.
({4})
Der Reigen der internationalen Sportbeziehungen, der
Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband und die
Fair-Play-Initiative zeigen, dass es eine ganze Menge an
Themen im Sport gibt, die von uns betrieben werden und
die wir unterstützen. Daher werden wir darauf achten,
dass wir das hohe Niveau, das der Haushalt für das Jahr
2012 ausweist, auch in Zukunft halten können.
Mein herzlicher Dank geht an das BMI, an die Sportabteilung unter Herrn Böhm und auch an Sie, Herr Innenminister Friedrich, sowie an unseren Haushälter
Norbert Barthle, der es sich trotz seiner vielen Arbeit
nicht nehmen lässt, den Sporthaushalt zu bearbeiten.
Herzlichen Dank! Wir werden diesem Haushalt mit voller Überzeugung zustimmen.
Danke schön.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 06,
Bundesministerium des Innern, in der Ausschussfas-
sung. Hierzu liegen neun Änderungsanträge vor, über
die wir zuerst abstimmen. Wir beginnen mit zwei Ände-
rungsanträgen der SPD-Fraktion.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/7784. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich
der Stimme? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit
abgelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/7785. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Gleiche Mehrheiten. Der Änderungsantrag ist
abgelehnt.
Wir kommen jetzt zu fünf Änderungsanträgen der
Fraktion Die Linke.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/7786. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit ab-
gelehnt.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/7787. Wer ist
dafür? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Auch
dieser Antrag findet keine Mehrheit.
Auf Drucksache 17/7788 folgt der nächste Ände-
rungsantrag. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser An-
trag ist abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache
17/7789. Wer ist dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Schließlich zum Änderungsantrag auf Drucksache
17/7790. Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Dieser Änderungsantrag hat ebenfalls keine
Mehrheit gefunden.1)
Nun wollen wir sehen, wie es den Änderungsanträgen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ergeht.
({0})
Zunächst zum Änderungsantrag auf Drucksache
17/7791. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache
17/7792. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Auch dieser Änderungsantrag hat
keine Mehrheit gefunden.
Wir kommen schließlich zur Abstimmung über den
Einzelplan 06 in der Ausschussfassung. Wer dieser Be-
schlussempfehlung zustimmt, den bitte ich um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Einzelplan 06 mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenom-
men.
1) Anlage 3
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt II.9 auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
- Drucksachen 17/7123, 17/7124 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Michael Leutert
Ich verabschiede alle Kolleginnen und Kollegen aus
dem Innenausschuss und alle anderen interessierten Mitstreiterinnen und Mitstreiter und wünsche noch einen angenehmen Abend. Ich begrüße jetzt herzlich die Umweltpolitiker sowie die diensthabenden Geschäftsführer.
Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie fünf Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Brauchen wir
die wirklich? - Ich stelle fest: Wir fassen das ins Auge,
bemühen uns aber, es notfalls vielleicht ein bisschen zügiger zu machen. Dann haben wir das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Matthias Miersch für die SPDFraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube schon, dass wir uns die 90 Minuten nehmen sollten; denn die Umweltpolitik hätte eigentlich einen viel
größeren Stellenwert verdient.
({0})
Das, was wir heute Abend erleben - dass wir sozusagen
die Letzten sind -, ist ein bisschen symbolisch für den
heutigen Tag und für Ihre Art, Umweltpolitik zu machen. Schwarz-gelbe Umweltpolitik ist im Moment
nämlich das Letzte und am Ende.
({1})
Herr Umweltminister, wo sind Sie eigentlich
({2})
in all den letzten Wochen gewesen? Im Ausschuss waren
Sie nicht zu sehen, im Parlament nur wenig, und Sie haben es noch nicht einmal geschafft, einen Vertreter Ihres
Ministeriums zu der Anhörung zum Thema Fracking,
das die Leute nun wirklich landauf, landab bewegt, zu
schicken.
({3})
Auch dies ist ein Zeichen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Dabei hätten Sie in diesem Auditorium sehr viel mehr
Unterstützer als in dem Kreis, mit dem Sie heute zusammensaßen. Sie saßen heute mit Herrn Ramsauer zusammen, Sie saßen heute mit Herrn Pofalla zusammen, und
Sie saßen mit Herrn Rösler zusammen. Sie haben wieder
einmal eine Abfuhr bekommen. Auch dies ist für die
schwarz-gelbe Bundesregierung leider ein schlechtes
Zeichen.
({5})
Ich glaube, es zeigt sich ganz eindeutig - nicht nur
heute, sondern auch in den nächsten Wochen und Monaten -, dass Sie mit den großen Worten, die Sie immer
verkünden, an jemanden erinnern, der Seifenblasen
bläst: große Seifenblasen, bunt, farbig, gut aussehend.
Aber wenn sie auf dem Boden aufkommen, dann zerplatzen sie, und teilweise zerplatzen sie schon in der
Luft.
({6})
Ich will ein paar Beispiele nennen, Herr Meierhofer, an
denen deutlich wird, dass es dabei leider um ganz fatale
Entscheidungen geht.
Punkt eins. In den letzten Wochen war zu vernehmen,
dass zwei Atomkonzerne beabsichtigen, gegen die
Rücknahme der hier beschlossenen und von Ihnen
durchgesetzten Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke zu klagen. Dies wird ein Damoklesschwert für
nachfolgende Parlamente und Regierungen sein, die Sie
dann wahrscheinlich nicht mehr symbolisieren. Daran
zeigt sich aber: Es war fatal, dass Sie sich mit den vier
Großen ins Bett gelegt und Geheimverträge geschlossen
haben und hier dachten, Sie könnten dealen.
({7})
- Ja, ich weiß, Sie regen sich auf; aber das ist die Wahrheit. Sie werden erleben, dass Sie ganze Behördenapparate beschäftigen müssen, um die Angriffe abzuwehren,
die sowohl in Washington als auch in Karlsruhe anhängig sein werden. - Was wäre eigentlich gewesen, wenn
Sie auf uns gehört und diesen wirklich fatalen Fehler
nicht gemacht hätten? Sie hätten sich vieles ersparen
können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Ein zweites Beispiel. Sie richten einen Klimafonds
ein. Aber wie speisen Sie diesen Klimafonds? Die Absichten sind okay. Aber wie sind die Einnahmen gesichert?
({9})
Durch nichts.
({10})
- Frau Kollegin Flachsbarth, die erste Einnahmequelle,
nämlich sogenannte Abgaben, haben Sie in dem Geheimdeal mit den großen vier Atomkonzernen vereinbart. Diese Vereinbarung ist null und nichtig. Das heißt,
die erste Einnahmequelle ist schon einmal versiegt.
Die zweite Einnahmequelle sind die sogenannten Zertifikate, bei denen Sie im Augenblick mit 17 Euro pro
Tonne CO2 kalkulieren. 10 Euro sind es zurzeit. Herr
Röttgen, das sind alles Luftnummern. Auch hier müssen
wir Sie leider bremsen und sagen: Das ist keine verlässliche Politik. So geht die Politik in die falsche Richtung.
({11})
Ein drittes Beispiel. Wir fahren in wenigen Tagen zusammen nach Südafrika.
({12})
- Ja, ich komme mit. - Dort wollen wir versuchen, andere Nationen, andere Kontinente zu überzeugen. Das,
was Sie hier heute vorlegen, ist aber leider kein Vertrauensschritt, der im internationalen Kontext doch so wichtig wäre. Es ist eine Missachtung, weil Sie die Zusagen
in Bezug auf die Fast-Start-Mittel, die Sie in Kopenhagen gemacht haben, nicht einhalten.
({13})
Obwohl es so wichtig wäre, beim Klimaschutz mit
gutem Beispiel voranzugehen, zögern Sie. Sie riskieren
das Schlimmste, was bei internationalen Verhandlungen
passieren kann, nämlich einen Glaubwürdigkeits- und
Vertrauensverlust. Das, was wir bei den Fast-Start-Mitteln erleben, ist genau der falsche Schritt. Das ist keine
gute Basis, um Schwellen- und Entwicklungsländer auf
unsere gemeinsame Ebene zu ziehen.
Ein weiterer Punkt, der heute ganz aktuell ist, ist die
Frage, wie es eigentlich mit den großen Programmen
weitergeht, die die Große Koalition zu großen Teilen
noch mit aufgelegt hat. Wie geht es weiter mit dem
Marktanreizprogramm, mit dem kommunalen Klimaschutz und mit der Energieeffizienz? Ihre Regierung
kriegt es nicht einmal hin, die Minimalziele der Europäischen Union zu unterstützen. Das ist ein Armutszeugnis
von Schwarz-Gelb, das Sie hier abliefern.
({14})
Wenn Sie mir nicht glauben, dann nehmen Sie doch
wenigstens zur Kenntnis, dass einer Ihrer Vorgänger,
Herr Röttgen, nämlich Professor Töpfer, heute gesagt
hat, er sehe die Energiewende in Gefahr. Was muss denn
noch passieren, bis Schwarz-Gelb endlich aufwacht und
mit dieser Politik aufhört, die in die völlig falsche Richtung geht?
({15})
Nein, ich glaube, es ist noch viel schlimmer. All diejenigen, die die Energiewende nur aufgrund des öffentlichen
Drucks mit beschlossen haben - pauschal, symbolisch -,
kommen jetzt aus den Löchern und setzen darauf, dass
Sie es nicht hinkriegen. Das ist das falsche Signal.
An diesem Haushalt sehen wir, dass es null Substanz
in der schwarz-gelben Umweltpolitik gibt. Deswegen
können wir Ihnen nur sagen: Bitte ändern Sie Ihren
Kurs! Gehen Sie in eine andere Richtung, und machen
Sie substanziierte Umweltpolitik!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Nun erhält der Kollege Bernhard Schulte-Drüggelte
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
hatte mich beim letzten Mal zu den Miersch-Pirouetten
geäußert und mir einen bösen Zwischenruf eingehandelt.
- Jetzt möchte ich mich als Hauptberichterstatter bei
Stephan Thomae, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, der
jetzt sein Nachfolger ist, Sven Kindler und Michael
Leutert für die sehr überwiegend sachorientierte Beratung und die Debatte im Haushaltsausschuss ganz herzlich bedanken. Allen Berichterstattern dafür ganz herzlichen Dank.
({0})
Der Einzelplan 16 ist auf den ersten Blick wirklich
klein; das will ich nicht abstreiten. Er hat einen Anteil
von nur 0,5 Prozent am Gesamthaushalt. Aber er bildet
eben nur einen Teil des Gesamten ab. Da Sie den Stellenwert angesprochen haben, möchte ich einmal die Summe
nennen, die im Bundeshaushalt 2012 insgesamt zur Verfügung steht. Das sind 7,4 Milliarden Euro.
({1})
Diese Größe zeigt den wirklichen Stellenwert. Dieser
kleine Haushalt macht davon nur 22 Prozent aus. Aber
man muss einmal die Gesamtsumme sehen.
Sie haben angesprochen, dass der Deutsche Bundestag das Zeitalter der erneuerbaren Energien beschlossen
hat. Um die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen
- das möchte ich deutlich sagen -, bedarf es einer finanziellen Ausstattung. Aber es bedarf auch guter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien und in den
nachgeordneten Behörden. Ich will sie einmal nennen:
Das sind das Umweltbundesamt, das Bundesamt für Naturschutz und das Bundesamt für Strahlenschutz.
Ein Schritt in diese Richtung wurde mit dem Haushaltsplan, der uns jetzt vorliegt und den wir verabschieden wollen, erreicht. Das bedeutet natürlich neue
Stellen, wenn man die Aufgabe bewältigen will. Das bedeutet auch, dass Zeitkräfte in Planstellen überführt werden. Ich meine, dass es wichtig ist - das wird in den
nächsten Jahren immer wieder angesprochen -, dass
Zeitarbeitskräfte nach Möglichkeit feste Stellen bekommen, um wirklich qualifiziertes Personal zu gewinnen
und auch zu halten. - Der ehemalige Umweltminister
nickt dabei.
({2})
Ich möchte mich an dieser Stelle bei den Mitarbeitern
im Umweltministerium ganz herzlich bedanken für die
Zusammenarbeit und die ausführlichen Informationen,
die von der Linken teilweise in großen Mengen angefordert worden sind, deren Wünschen aber stetig, genau
und gewissenhaft entsprochen wurde. Herzlichen Dank
dafür!
Auch dieser Etat steht im Einklang mit den haushaltspolitischen Zielvorgaben. Ein Ziel ist natürlich die Konsolidierung des Haushaltes. Da wundert es nicht, wenn
das Gesamtvolumen des Haushaltes im Jahr 2012 sinkt:
von 1,63 Milliarden Euro auf 1,59 Milliarden Euro. Das
ist eine leichte Veränderung, die aber zeigt, dass wir
auch im Umweltbereich mit dem Geld der Steuerzahler
sorgfältig und verantwortungsbewusst umgehen. Deshalb möchte ich die Anträge, die von der Linken und von
der SPD eingebracht worden sind - das sind wohlfeile
Erhöhungsanträge - deutlich zurückweisen.
({3})
- Du hast ein wunderbares Konzept geschrieben; ich
habe es gelesen. Es geht um 3 Milliarden Euro. Das ist
natürlich auch ein bisschen viel.
({4})
- Das ist ein Gesamtkonzept; das ist etwas ganz anderes.
Im Programmhaushalt gab es allerdings eine Veränderung, und zwar die Möglichkeit, die Nachrüstung mit
Partikelfiltern bei Dieselkraftfahrzeugen wieder zu fördern. Es gab in den Jahren 2009 und 2010 schon einmal
einen Barzuschuss für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.
Das soll es jetzt wieder geben. Dafür ist ein Betrag von
30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden. Das
betrifft ungefähr 90 000 Fahrzeuge. Diese Maßnahme
soll dazu beitragen, dass der gesundheitsschädliche Partikelausstoß sinkt, die Luftqualität besonders in den Innenstädten verbessert und auch kleineren Unternehmen
der Zugang zu den Umweltzonen erleichtert wird.
({5})
Die Förderung dieser Partikelfilter geht nur auf den
ersten Blick zulasten des Marktanreizprogramms, weil
es um 30 Millionen Euro reduziert wird. Aber das Bundesumweltministerium kann bestehende Ausgabereste
nutzen, sodass effektiv dieselbe Summe zur Verfügung
steht. Das ist also insgesamt eine sehr positive Entwicklung in diesem Bereich.
Sie hatten den Energie- und Klimafonds angesprochen. Ich halte diese Maßnahme für sehr vernünftig, weil
zusätzliche Programmausgaben möglich sind. Alleine
beim Marktanreizprogramm werden zusätzlich 100 Millionen Euro möglich. Auch das ist ein Erfolg. Wenn irgendetwas gut gemacht wird, dann kann man doch sagen, dass das in die richtige Richtung geht. Das sind
insgesamt 350 Millionen Euro.
({6})
Wir haben in den letzten Jahren - Herr Kelber weiß
das - immer darüber diskutiert, wo die Erlöse aus den
veräußerten Emissionsrechten verbucht werden sollen.
Ist es richtig, die Erlöse als Sondervermögen zu verbuchen, oder sollen sie in den allgemeinen Haushalt fließen? Sie sind jetzt im Sondervermögen. Der Haushaltsausschuss hat einen Betrag von 780 Millionen Euro
festgestellt. Davon fließen 235 Millionen Euro in den
Einzelplan des Umweltministeriums. Auch das ist eine
gute und richtige Maßnahme.
Daneben werden Maßnahmen zum Ausbau der Elektromobilität mit 300 Millionen Euro gefördert. Im Bereich der erneuerbaren Energien ist die Erhöhung des
Ansatzes für Forschung besonders wichtig. Das ist eine
Zukunftsentscheidung. Das sind wichtige Maßnahmen,
die in diesem Bereich getroffen werden.
({7})
Dafür stehen im BMU-Haushalt insgesamt 148 Millionen Euro zur Verfügung. Dieser Betrag kann sich sehen
lassen.
Ich möchte aber noch einen anderen Bereich ansprechen: die Endlagerung. In der ersten Beratung habe ich
die Endlagerung schwachradioaktiver Abfälle angesprochen. Mittlerweile gibt es auch Anzeichen, dass eine Lösung für die Endlagerung hochradioaktiver Stoffe gefunden werden kann.
({8})
- Ich wollte es nur eben ansprechen.
Vor zwei Wochen hat der Bundesumweltminister mit
Vertretern der Länder über einen Endlagerkonsens gesprochen. Minister Röttgen mahnte bei der Standortsuche eine weiße Landkarte an, also eine völlig offene Suche ohne Tabus. Nach diesem Treffen besteht zumindest
für mich die Hoffnung, dass ein Endlagersuchgesetz im
Konsens erarbeitet werden kann. Die Möglichkeit besteht.
Es ist eine Vielzahl von Fragen zu klären, etwa ob es
ein Tiefenlager geben soll, ob der radioaktive Müll in
Salz, Ton oder Granit eingelagert wird, ob die Lagerung
rückholbar oder nichtrückholbar gestaltet werden soll
oder ob es vielleicht doch besser ein Kurzzeitendlager
werden soll, wie es Professor Schilling vom Karlsruher
Institut für Technologie anregt.
Es gibt viele Möglichkeiten, aber die Endlagerfrage
wird im Konsens gelöst oder gar nicht. Dieser Aussage
des Umweltministers stimme ich ausdrücklich zu und
möchte betonen, dass der Bundeshaushalt 2012 darauf
vorbereitet ist, indem die Mittel für die Endlagersuche
auf 3,5 Millionen Euro erhöht werden. Das war, glaube
ich, ein richtiger Schritt, um auch da ein positives Signal
zu setzen.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich registriere mit besonderem Respekt, dass es der
Berichterstatter fertiggebracht hat, einen so komplexen
Etat in weniger als der ihm zugestandenen knappen Redezeit angemessen zu behandeln.
({0})
Ich empfehle das als leuchtendes Beispiel und erteile
nun der Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die
Linke das Wort.
({1})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der
Haushalt spiegelt nach unserer Einschätzung die Irrfahrt
in der Frage der Atommüllverwahrung der letzten Jahre
und Jahrzehnte wider.
({0})
Da haben wir keinen Konsens, Herr Kollege SchulteDrüggelte. Ich bin nicht so optimistisch, und ich möchte
das hier an einigen Punkten deutlich machen.
Sie haben recht: In der letzten Zeit ist immer wieder
betont worden, dass ergebnisoffen nach einem Standort
für die dauerhafte Verwahrung des Atommülls gesucht
werden soll, dass Gorleben ergebnisoffen erkundet und
ein neues Suchverfahren angestrebt wird. Wenn wir allerdings wirklich ergebnisoffen nach einem bestmöglichen Standort suchen wollen - das wird tagtäglich im
Untersuchungsausschuss deutlich -, dann muss als Allererstes Gorleben aus dem Topf der möglichen Standorte heraus.
({1})
Es gibt weltweit keine für 1 Million Jahre sichere Verwahrung. Wir müssen erst einmal überlegen, wie wir mit
der Verantwortung, die wir 40 Jahre lang nicht wahrgenommen haben, umgehen und welche Schritte wir unternehmen. Das wird nur mit einer öffentlichen Beteiligung
und mit einer breiten gesellschaftlichen Debatte funktionieren. Wir müssen als Allererstes das Vertrauen der
Menschen in die Politik und in die Sachverständigen
wiederherstellen. Dazu ist ein transparentes und gerichtlich nachprüfbares Such- und Auswahlverfahren notwendig.
({2})
Sie haben recht: Für die Standortsuche stehen zum
ersten Mal 3,5 Millionen Euro zur Verfügung. Früher
stand immer nur 1 Million Euro zur Verfügung, nämlich
für technisches Equipment, also für Behälter etc. Somit
haben wir jetzt 2,5 Millionen Euro mehr. Aber wenn wir
uns vor Augen führen, welche Aufgaben wir vor uns haben, sind 2,5 Millionen Euro deutlich zu wenig. Deswegen beantragt meine Fraktion, 5 Millionen Euro im
Haushalt anzusetzen. Wenn wir wirklich ergebnisoffen
suchen und die Frage der Rückholbarkeit klären wollen,
werden wir mit 3,5 Millionen Euro nicht weit kommen.
({3})
Ich möchte im Einzelnen einige der Projekte, über die
wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer
wieder diskutiert haben, beleuchten. Erstens: Gorleben.
Sie sehen einen Ansatz von 73 Millionen Euro vor. Wohl
wahr, ein Teil davon wird über die EVUs zurückkommen. Ich habe zugegebenermaßen den Bundesanteil in
dieser Summe nicht gefunden. Wenn dem nicht so ist:
Wo ist die Rückzahlung der EVUs verbucht? Wenn wir
wirklich ergebnisoffen suchen wollen, dann brauchen
wir keinen Weiterbau von Gorleben. Dann reichen Mittel, um eine bergtechnische Sicherung von Gorleben
vorzunehmen. Dafür reichen 25 Millionen Euro. Daher
ist es falsch, wenn Sie sagen, wir wollten immer nur
mehr Geld ausgeben. Da ließe sich sehr gut etwas einsparen. Dass Gorleben ungeeignet ist, was das Deckgebirge, den Grundwasserkontakt oder das Gas betrifft, ist
in den letzten Monaten hinlänglich im Untersuchungsausschuss deutlich geworden.
({4})
Zweitens: Schacht Konrad. Ich kann ihn nicht ganz so
ausführlich behandeln. Dafür haben Sie 209 Millionen
Euro vorgesehen. Wir sagen: Auch dort sind nur Maßnahmen zur Grubensicherheit notwendig. Nicht nur die
Linke, sondern auch die Menschen vor Ort, die sich sehr
intensiv mit diesem Thema befassen, auch die Betriebsräte in den Werken in Salzgitter, halten den Schacht
Konrad für ungeeignet. Es handelt sich um ein altes
Bergwerk mit großen sicherheitstechnischen Problemen.
Damals ist nicht der bestmögliche Standort, sondern ein
politisch opportuner Standort ausgewählt worden. Also,
auch dort gibt es Einsparmöglichkeiten. Ich möchte Sie
noch auf eines hinweisen: Sie stellen 700 000 Euro für
den Salzgitter-Fonds ein. Diese Summe ist erstmalig
nicht gesperrt. Wenn Sie aber immer behaupten, der
Schacht Konrad sei so sicher, dann frage ich Sie, warum
es einen Nachteils- und Gefahrenausgleich für die örtlichen Kommunen geben muss. Da beißt sich die Argumentation in den Schwanz. Diese 700 000 Euro könnten
weggelassen werden.
({5})
Drittens und zu guter Letzt: die Asse. Sie haben dafür
einen Ansatz von 100 Millionen Euro. Der größte Teil
davon ist für die Grubensicherung und für die Vorbereitung der Vollverfüllung vorgesehen, nur 22 Millionen
Euro für Planungen zur Rückholung. Da stellen sich mir
schon einige Fragen: Wann wollen Sie denn konkret darangehen, diese Rückholung und das, was damit zusammenhängen wird, in Angriff zu nehmen? Wenn wir dem
Optionenvergleich folgen und wirklich eine Rückholung
in Angriff nehmen, werden wir oberirdisch ein Zwischenlager, zumindest für ein gewisse Zeit, brauchen.
Wir werden eine Konditionierungsanlage brauchen. All
diese Dinge wollen geplant werden. Dafür braucht es
Grundstücke und Vorbereitung. Das ist mit 22 Millionen
Euro nicht zu schaffen. Oder warten Sie ab, bis die Asse
nicht mehr standsicher ist und gar keine Option zur
Rückholung mehr bleibt? Da kann man doch sehr misstrauisch werden.
Fazit: Der Haushalt spiegelt nicht den vermeintlichen
Erkenntnisgewinn der schwarz-gelben Bundesregierung
nach oder durch Fukushima wider. Es drängt sich der
Eindruck auf, es handelt sich doch in weiten Teilen um
Lippenbekenntnisse. Die Menschen merken das. Die
Menschen erlangen so kein weiteres Vertrauen. Dies
schafft kein Zutrauen, dass Politik verantwortungsvoll
mit den Gefahren umgeht.
Sie ahnen: Jeder weitere Castor im schon vollen Zwischenlager Gorleben macht es wahrscheinlicher, dass der
Schwarzbau eines Tages zum Einsatz kommt. Deswegen
werden sie am Wochenende zu Tausenden demonstrieren und Widerstand leisten, und die Linke mit ihnen.
Ich danke.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Thomae für
die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Ich möchte mich dem Dank anschließen,
den der Kollege Schulte-Drüggelte schon an Ihr Haus,
Herr Bundesminister, ausgesprochen hat. Auch Ihren
Mitarbeitern und selbstverständlich auch den Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern aus dem Haushaltsausschuss möchte ich herzlich danken. Es war ein
sehr angenehmes Arbeiten, für mich mit sehr vielen
neuen Informationen und Erkenntnissen gepflastert. Ich
freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen.
Das Bundesministerium für Umwelt, Energie und Reaktorsicherheit ist in diese drei Hauptabteilungen gegliedert. Das macht die Sache anspruchsvoll und interessant.
Aus dem Bereich der Umweltpolitik hat der Kollege
Schulte-Drüggelte schon darauf hingewiesen, dass wir
ein neues Programm für die Förderung des Einbaus und
der Nachrüstung mit Rußpartikelfiltern bei älteren Fahrzeugen wieder aufleben lassen wollen. Der Kollege hat
die Summe bereits genannt. Insgesamt 30 Millionen
Euro ist die Summe, mit der dieses Projekt ausgestattet
wird. Damit soll erreicht werden, dass ab 2012 Fahrzeuge mit 330 Euro gefördert werden können, wenn sie
mit Rußpartikelfiltern nachgerüstet werden. Neu ist, dass
auch leichte Nutzfahrzeuge bis zu 3,5 Tonnen Gesamtgewicht in den Genuss einer solchen Förderung kommen
sollen. Damit wollen wir erreichen, dass Fahrzeuge älteren Baujahrs, die nicht außer Dienst gestellt werden und
noch durch die Gegend fahren, die Umwelt geringer belasten und dass insbesondere die Feinstaubbelastung in
den Städten zurückgeht.
({0})
Das ist ein Beitrag zur Umweltpolitik, den man nicht unbedingt sehen kann; denn der Feinstaub ist etwas Unsichtbares.
Aber das Schöne ist, dass Umweltpolitik auch sichtbare Dinge umfasst. Dabei bin ich im Etat des Umweltministers auf die Allgäuer Moorallianz gestoßen. Wenn
ich für meine Rede keine zeitliche Beschränkung hätte,
dann würde ich jetzt anfangen, von meiner Allgäuer Heimat zu schwärmen. Aber ich will es bei einigen wenigen
Worten belassen. Das zeigt, dass Umweltpolitik etwas
ist, was für die Menschen wirklich sichtbar werden kann.
Dabei geht es darum, dass wir ein Projekt mit
526 000 Euro ausstatten, das Moorgebiete in einen naturnahen Zustand zurückversetzen soll. Gerade in meiner Allgäuer Heimat gibt es sehr viele Hochmoore, auch
im Übergang zwischen dem Alpenvorland und den Allgäuer Hochalpen, wo eine ganz besonders spezifische
Fauna und Flora vorhanden ist. Das sind die sichtbaren
Dinge der Umweltpolitik.
({1})
In dem Bereich der Energiepolitik will ich nicht den
Fachpolitikern ins Handwerk langen. Aber lassen Sie
mich Ihnen sagen, dass die Dimension des Ausstiegs aus
der Kernenergie und des Umstiegs in erneuerbare Energien schon deutlicher sichtbar wird. Vor zehn Jahren gab
es die Prognose, dass ein signifikant sinkender Energieverbrauch und ein rasch steigender Anteil erneuerbarer
Energien irgendwann zusammengeführt werden und
dass der Energiebedarf irgendwann in naher Zukunft allein aus erneuerbaren Energien gedeckt werden kann.
Das tritt leider nicht ganz so rasch ein wie damals erhofft. Nun haben wir die Aufgabe, die berechtigte ökologische Euphorie mit ökonomischer Vernunft zu flankieren. Dafür steht Minister Dr. Röttgen.
({2})
Die Infrastruktur und insbesondere die Transportnetze
müssen ausgebaut werden. Wir müssen die Menschen
beim Bau von Windkraftanlagen, die landschaftsverändernde Auswirkungen nach sich ziehen, einbinden und
sie davon überzeugen, welche Bedeutung und Dimension die Energiewende hat. Das ist manchmal die unhübsche Seite der Energiewende. Aber dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. In der Vergangenheit sind
manche Sachverhalte wie etwa die Auswirkungen von
Offshorewindanlagen in der Nordsee auf Meeressäugetiere vielleicht unterschätzt worden. Es gibt aber auch
sehr positive Seiten der Energiewende wie etwa die Dezentralisierung der Stromerzeugung, die Entoligopolisierung der Stromwirtschaft, Chancen für mittelständische
Energieerzeuger und Aufträge für das Handwerk.
({3})
Im Zusammenhang mit dem Thema Reaktorsicherheit
haben Sie, Frau Menzner, den Salzgitterfonds angesprochen. Ich weiß nicht genau, was Sie dagegen haben. Die
Nutzer des Endlagers, sowohl die Ablieferungspflichtigen aus der privaten Wirtschaft als auch der Bund, werden verpflichtet, in diesen Fonds einzuzahlen. Bislang
waren die Mittel für den Salzgitterfonds - es handelt sich
um eine Stiftungsgesellschaft mit beschränkter Haftung mit einer Haushaltssperre versehen. Mittlerweile sind die
Voraussetzungen für die Aufhebung der Haushaltssperre
erfüllt, sodass kein Grund mehr besteht, die Mittel länger
zurückzuhalten. Nun wird der Salzgitterfonds zunächst
mit 700 000 Euro ausgestattet.
({4})
So viel zu den drei Teilbereichen Umwelt, Energie
und Reaktorsicherheit.
Das Thema Umwelt wird nicht nur im Etat des Bundesumweltministers behandelt. Es gibt viele andere Etats
- etwa den Einzelplan 12 des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung oder den Einzelplan 23
des Entwicklungshilfeministers -, in denen hohe Mittel
für den Umweltschutz eingestellt sind. Es handelt sich
hierbei um eine echte Querschnittsaufgabe.
Ich möchte Ihnen, Herr Bundesminister, eine glückliche Hand für die weitere Amtszeit wünschen. Ich freue
mich auf die weitere Zusammenarbeit, auch mit meinen
Kollegen Mitberichterstattern zu diesem Einzelplan.
Vielen Dank.
({5})
Sven-Christan Kindler ist der nächste Redner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2010 war
global betrachtet das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das zeigt ganz klar: Der Klimawandel ist nicht nur die größte ökologische, sondern auch die
größte soziale und ökonomische Herausforderung unserer Zeit. Diese Herausforderung ist riesig. Dieser müssen
wir uns stellen. Es reicht nicht, Herr Röttgen, immer nur
schöne Reden zu halten. Wir müssen endlich handeln.
Mit diesem Bundeshaushalt vergrößern Sie nicht nur die
fiskalische Verschuldung, sondern auch die ökologische
Verschuldung.
({0})
Herr Röttgen, wie ich gelesen habe, feiern Sie und
Ihre Haushälter sich für den neuen Schattenhaushalt
„Energie- und Klimafonds“. Schauen wir uns einmal genau an, was aus diesem Fonds finanziert werden soll.
Aus dem sogenannten Klimafonds soll der Neubau von
Kohlekraftwerken finanziert werden. Dabei ist bekannt,
dass Kohle ein Riesenklimakiller ist. Ihre Devise lautet
also: Raus aus dem Atom, rein in die schmutzige Kohle. Das zeigt, Herr Minister Röttgen, ganz deutlich, dass Sie
noch immer nicht verstanden haben, wie Klimaschutz
funktioniert.
({1})
Man sieht an Ihrem Haushalt, dass Sie beim Subventionsabbau keinen Schritt weiterkommen. Ihr eigenes
Umweltbundesamt hat 2008 errechnet, Herr Röttgen,
dass es 48 Milliarden Euro umweltschädliche Subventionen gibt, zum Beispiel beim Flugverkehr, bei Ausnahmen
von der Ökosteuer, bei der LKW-Maut oder bei fetten
Dienstwagen. Wir haben mit unserem Klimaschutzhaushalt im Haushaltsverfahren gezeigt, dass wir kurzfristig
klimaschädliche Subventionen in Höhe von 10 Milliarden abbauen können. Sie von der Koalition haben alles
abgelehnt. Sie wollten bei den Subventionen nichts einsparen. Was haben Sie stattdessen gemacht? Sie wollen
- das ist das Schärfste - eine neue umweltschädliche Subvention zugunsten der Großindustrie beim Stromverbrauch einführen. Das zeigt, dass Sie haushaltspolitisch,
wettbewerbspolitisch und vor allen Dingen umweltpolitisch beim Subventionsabbau versagen.
({2})
Auch der Energie- und Klimafonds ist - das hat Kollege Miersch schon gesagt - massiv überbucht. Das haben die Haushaltsberatungen klar ergeben. Wir wissen,
die Zertifikateerlöse sind an den Klimafonds gekoppelt.
Es ist grundsätzlich richtig, Gelder aus dem Emissionshandel für den Umweltschutz zu verwenden. Aber Sie
rechnen für das nächste Jahr mit 17 Euro pro Tonne - das
ist Ihre Planung -; am Markt sind es momentan 10 Euro
pro Tonne. Das heißt, im schlimmsten Fall muss 2012 der
Fonds im laufenden Verfahren um fast die Hälfte gekürzt
werden, und zwar unter der Regie des Bundesfinanzministeriums. Da sitzt Staatssekretär Kampeter. Der wird
nachher darüber entscheiden, wo die Gelder hauptsächlich gekürzt werden. Das hängt mit der Konstruktion dieses Schattenhaushalts zusammen. Es gibt kein Gesamtdeckungsprinzip wie im Haushalt; der Fonds ist allein von
den Einnahmen abhängig. Das heißt, Sie sind bei der
Haushaltspolitik unsolide, und das ist auch schlecht für
die Umwelt- und die Klimapolitik.
({3})
Was versteckt sich noch in Ihrem Sondervermögen?
Da gibt es einen Titel „Internationaler Klima- und Umweltschutz“. Da sind 42,5 Millionen Euro eingeplant.
Reife Leistung! 10 Prozent der Gelder, die in Kopenhagen versprochen worden sind, stellen Sie in den Haushalt ein. In Kopenhagen haben Sie den Entwicklungsländern noch vollmundig 420 Millionen Euro versprochen.
({4})
Sie brechen wieder das Kopenhagen-Versprechen.
Außerdem haben Ihre eigenen Leute, Herr Röttgen,
Ihre eigenen Haushälter von CDU/CSU und FDP, in der
Bereinigungssitzung 900 Millionen Euro an Verpflichtungsermächtigungen gesperrt. Das ist wirklich einfach
nur noch peinlich, Herr Röttgen. Es ist eine peinliche
Klimapolitik, die Sie auf internationalem Parkett machen. Auf der Klimakonferenz in Durban wird klar werden: Ihre Politik ist international nicht zuverlässig und
nicht glaubwürdig.
({5})
Sie, Herr Röttgen, reden immer von einem Konsens in
der Endlagersuche. Nur, von einem solchen Konsens finden wir in diesem Haushalt nichts. Gegenüber 2010 verdreifachen Sie die Mittel für den Weiterbau in Gorleben
auf 73 Millionen Euro. Das ist das Gegenteil einer offenen und wissenschaftlichen Endlagersuche. Sie schaffen
weiter Fakten in Gorleben, Sie treiben den Schwarzbau
weiter voran, obwohl längst klar ist, dass das Endlagerprojekt in Gorleben gescheitert ist. Diese Gelder müssen
zurückgeführt werden. Wir brauchen endlich einen Baustopp in Gorleben.
({6})
Es ist jetzt auch schon klar: Die Strahlengrenzwerte
für dieses Jahr im Zwischenlager sind längst überschritten. Deswegen muss der Castortransport abgesagt werden.
({7})
Wir werden Ihren Atommurks auch nicht unwidersprochen stehen lassen. Diese Woche rollt wieder ein
Castortransport ins Wendland. Wir Grüne werden im
Wendland sein. Viele Tausend Menschen werden sich im
Wendland wieder querstellen, werden friedlich und entschlossen diesen Castortransport blockieren. Denn für
uns ist klar: Gorleben soll nicht strahlen, Gorleben soll
leben.
Vielen Dank.
({8})
Und nun hat der Bundesminister das Wort, Kollege
Röttgen.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Auch ich möchte mich zunächst für die gute
und konstruktive Zusammenarbeit bei Herrn Leutert, bei
Herrn Beckmeyer, bei Herrn Kindler, bei Bernhard
Schulte-Drüggelte und bei Herrn Thomae bedanken. Das
ist eine gute, eine unterstützende Zusammenarbeit. Dass
man hier auch Unterschiede darstellt, ist völlig in Ordnung, aber es gibt eben eine ganz konstruktive und sachliche Zusammenarbeit. Ich möchte mich dafür ehrlich
bedanken, weil sie der Sache dient. Herzlichen Dank für
die gute Kooperation an alle, an Opposition und Koalition in gleicher Weise!
({0})
Es ist schon vielfach die Energiewende als das herausragende Thema dieser Legislaturperiode angesprochen worden. Bis auf eine Fraktion ist sie von allen
Fraktionen hier beschlossen worden. Es gibt aber noch
andere Themen. Ich glaube, dass wir gemeinsam darauf
achten sollten, dass auch der klassische Naturschutz und
andere Themen in der Öffentlichkeit vorkommen. Die
Biodiversität ist ebenfalls ein herausragendes Thema.
Wir hatten gerade eine große Konferenz in Bonn zum
Zusammenhang von Wasser, Ernährung und Energie.
Also, es gibt auch noch andere Themen.
Weil wir aufeinander eingehen wollen, miteinander
reden wollen, möchte ich natürlich auch auf die Energiewende als das ganz sicher herausragende umweltpolitische Thema dieser Legislaturperiode eingehen.
Herr Miersch, ich wollte Ihnen eigentlich ersparen, das
Thema noch einmal in Erinnerung zu rufen; aber irgendwie zieht diese Peinlichkeit Sie immer an. Sie haben gesagt, Sie haben den Ausstieg, der Teil der Energiewende
ist - es gibt einen Ausstieg und einen Einstieg -, durch
Verträge mit den Energieversorgungsunternehmen beschlossen. Gerade darin besteht der Unterschied. Die
Energiewende ist hier im Parlament durchgesetzt und beschlossen worden, und hier gehörte sie auch hin. Rot und
Grün, Ihre beiden Fraktionen, haben einen Vertrag über
den Ausstieg geschlossen, und das wird Sie immer begleiten. Das gehört ins Parlament; hier ist es beschlossen
worden, und das ist auch richtig.
({1})
Ich will auf die weiteren Peinlichkeiten der vertraglichen Regelungen hier nicht weiter eingehen.
({2})
Ich habe sie schon mehrfach erwähnt. Sie können gern
immer wieder darauf zu sprechen kommen. Ich werde
immer wieder darauf hinweisen, dass diese Energiewende im Parlament beschlossen worden ist.
({3})
Die rot-grüne Energiewende ist durch einen Vertrag mit
Betroffenen beschlossen worden.
Herr Minister, Sie beantworten doch sicher gerne
Zwischenfragen.
({0})
Ich höre einen gewissen Unterton der Ungeduld, Herr
Präsident. Aber ich komme dem Wunsch gerne nach.
Das habe ich doch ausdrücklich erwartet. - Bitte
schön, Herr Kollege Kelber.
({0})
Ich werde mich kurzfassen.
Herr Minister, ist Ihnen bewusst, dass der Kollege
Miersch nicht die Beschlüsse vom Juni 2011 angesprochen hatte, sondern die von Ihnen vorbereiteten Beschlüsse vom Oktober 2010, deren Bestandteil die Verträge mit den Energiekonzernen über Zahlungen für die
Laufzeitverlängerung waren, wo Sie nach eigener Aussage den Saal verlassen hatten, bevor diese Verträge abgeschlossen wurden?
Es mag ja sein, dass Sie sich immer noch damit beschäftigen. Sie können auch gerne noch längere Zeit in
der Vergangenheit leben. Wir leben in der Gegenwart
und für die Zukunft.
({0})
Wir haben hier einen Ausstieg beschlossen. Es mag Ihnen schwerfallen, das zu akzeptieren. Wir haben diesen
Ausstieg in einem anderen Verfahren beschlossen, eben
nicht durch Vertrag, sondern durch Gesetz. Wir haben
ihn auch erstmalig terminiert. Wir sind da übrigens weiter, als Sie jemals waren, auch was den Einstieg anbelangt. Damit haben Sie Probleme. Ihnen geht ein Thema
verloren, wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen. Ich
suche immer: Wo ist eigentlich der Vorschlag der Opposition? Hat sie überhaupt eine Idee? Gibt es da auch eine
Gestaltungsinitiative oder irgendetwas? Sie sind - eigentlich zu meinem Bedauern; das muss ich wirklich sagen - umwelt- und energiepolitisch ziemlich blank,
meine Damen und Herren von der Opposition. Sie sollten vielleicht auch ein bisschen an die Gestaltung denken.
({1})
Ich will Ihnen einen zweiten Unterschied zwischen
unserer Energiewende und Ihrem Ausstieg darstellen.
Dieser besteht in dem hier schon angesprochenen Thema
des neuen nationalen Konsenses in Bezug auf die Endlagersuche.
({2})
Wahrscheinlich ist Ihnen entgangen, dass ich vor zwei
Wochen die Länder eingeladen habe und wir zusammengesessen haben. Das war übrigens das erste Zusammentreffen von Ländern und Bund seit über 30 Jahren, meine
Damen und Herren. Das ist die Wirklichkeit.
({3})
Sie haben - das ist das zweite große Versagen, das Sie
lange begleiten wird - parallel zu Ihrem Ausstieg ein
Moratorium für die Erkundung beschlossen. Sie haben
dezidiert gesagt: Wir suchen nicht nach einem Endlager.
Wir verweigern uns der Aufgabe, strahlenden, hochradioaktiven Müll für Hunderttausende Jahre sicher zu entsorgen. Das schieben wir der nächsten Generation vor
die Füße, weil es unbequem ist. - Das ist ein weiterer
großer Unterschied zwischen unserer Energiewende und
Ihrem Ausstieg.
({4})
Sie haben sich weggeduckt, weil Ihnen die Aufgabe zu
schwer war.
Wir haben gemeinsam - Bund und Länder - etwas erreicht. Es sind dadurch also alle Parteien beteiligt, auch
die Linkspartei. Dieser Konsens wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht der Ministerpräsident von BadenWürttemberg sein Land für die Erkundung geöffnet
hätte.
({5})
Das war eine wichtige Veränderung; gar keine Frage. Der
bayerische Ministerpräsident hat die Position Bayerns
verändert. Jetzt sind wir aus nationalem Verantwortungsbewusstsein zusammengekommen und haben gesagt: Die
sicherstmögliche Entsorgung von hochradioaktiven Abfällen ist kein lokales und kein regionales Thema, auch
kein Thema allein für Niedersachsen, sondern ein Thema,
das in deutsche Verantwortung fällt, und zwar in die Verantwortung unserer Generation. Es wäre unmoralisch,
den Müll ins Ausland zu schicken. Es wäre unmoralisch,
das Problem der nächsten Generation ungelöst vor die
Füße zu schieben. Wir haben jetzt in Deutschland den sichersten Ort zu suchen, und wir werden das Problem in
nationaler Verantwortung und - wie zugesichert mit Bürgerbeteiligung - in transparenter Weise lösen. Ich bin für
diese parteiübergreifende Bereitschaft zur Übernahme
von Verantwortung sehr dankbar. Vielleicht bringen auch
Sie sich konstruktiv ein und begleiten das Ganze nicht nur
destruktiv.
({6})
Machen Sie mit bei einem Verantwortungs- und Sicherheitskonsens für Deutschland. Dazu lade ich Sie ein; es
liegt in unser aller Verantwortung.
({7})
Ich komme zu weiteren Elementen der Energiewende,
die wir nun konkret vollziehen. Sie ist beschlossen worden. Mit diesem Beschluss ist die Energiewende aber
noch nicht vollzogen, sondern erst eröffnet worden. Die
Gesellschaft befindet sich in einem Aufbruch. Die Basis,
die Kommunen, die Ingenieure, die Hochschulen, die
Universitäten, die Unternehmen - sie alle machen mit.
Auch hier lade ich Sie ein: Machen Sie ebenfalls mit.
Sonst stehen Sie weiter außen vor.
({8})
- Ich sage Ihnen einfach, was wir machen und wo Sie
auch etwas tun könnten. Ich komme nämlich zu den
zwei Säulen der Energiepolitik: der Energieeffizienz und
den erneuerbaren Energien.
({9})
Im Bereich der Energieeffizienz gibt es zwei herausragende Themen. Das eine ist die Gebäudesanierung.
Hier im Bundestag ist Folgendes beschlossen worden:
Erstens. 1,5 Milliarden Euro für das KfW-Programm
- mehr als Sie je beschlossen haben, mehr als wir in der
Koalition beschlossen haben -, und zwar nicht als Konjunkturprogramm, sondern dauerhaft für Deutschland.
Das ist die Politik von CDU/CSU und FDP.
({10})
Zweitens. Der Wiedereinstieg in die steuerliche Förderung von energetischen Sanierungen - ein wirksames
Instrument, hier im Hohen Hause beschlossen worden,
verweigert von den Ländern, die von SPD und Grünen
regiert werden. Mit welchem Argument? Sie sagen: Das
ist ja gut und schön; aber wir wollen für energetische Sanierung, für Klimaschutz nichts bezahlen. Das ist Ihre
Position. Reden Sie doch einmal mit den Ländern, in denen SPD und Grüne regieren.
({11})
Oder haben Sie bei denen nichts zu sagen?
({12})
Setzen Sie sich doch einmal bei Ihren eigenen Leuten
dafür ein, dass sie etwas machen. Hier klopfen Sie große
Sprüche, und in Ihren eigenen Ländern wird die Durchführung einer solchen Politik verweigert.
Heute Abend hat der Vermittlungsausschuss getagt,
und schon wieder haben die von SPD und Grünen regierten Länder gesagt: Nein, wenn wir etwas bezahlen müssen, ist für uns das Ende von Umweltschutz erreicht. Das
ist unglaubwürdig, das ist peinlich, was SPD und Grüne
sich hier leisten.
({13})
So geht das nicht weiter. Sie müssen jetzt auch einmal
zeigen, ob Sie wirklich etwas zu sagen haben oder hier
nur Sprüche klopfen!
Bleiben wir bei der Energieeffizienz. Energieeffizienz
ist die intelligenteste Form der Energiepolitik.
({14})
Darum stellen wir sie in den Vordergrund. Darum haben
wir in unserem Energiekonzept eine Reduzierung von
20 Prozent verabredet. Darum unterstützt die Koalition
die Vorschläge von EU-Kommissar Oettinger, europaweit bis 2020 20 Prozent Energieeffizienz zu realisieren.
({15})
Das werden wir - darüber sind sich der Bundeswirtschaftsminister, die Bundesregierung und der Bundesumweltminister einig - natürlich nur mit der verbindlichen Zielsetzung durchsetzen können, jedes Jahr
1,5 Prozent Energie zu reduzieren.
({16})
Das ist die Politik, die wir betreiben werden. Ich lade Sie
ein, bei der Durchsetzung dieser erstmals verbindlichen
Reduzierungsziele mitzumachen. Wir werden die entsprechenden nationalen Maßnahmen hier im Parlament
noch beschließen.
({17})
Es liegt nämlich in unserem Interesse, die intelligenteste
Form der Energiepolitik voranzutreiben. Wir sind das
Land der Effizienztechnologien. Darum werden wir sie
durchsetzen. Wir wollen sie auch europaweit realisieren.
Wir haben oft über die erneuerbaren Energien gesprochen. Ich will Ihnen ein paar Fakten nennen, weil es gerade ein bisschen durcheinandergeht.
({18})
Erstes Faktum: Das neue EEG, so wie wir es gegen
Ihren Widerstand beschlossen haben, wirkt kostensenkend. Es ist erfolgreich. Wir haben einen dynamischen
Ausbau der erneuerbaren Energien, und wir haben Preisstabilität. Das haben wir immer gegen Sie durchgesetzt.
({19})
2008, ein Jahr vor meinem Amtsantritt, war die kleine
Dachanlage für Photovoltaik noch mit 46 Cent überfördert. Es war eine Überförderung, die mein Vorgänger
hier durchgesetzt hatte.
({20})
Inzwischen sind wir bei 24 Cent. Es wird wieder 15 Prozent Degression geben, weil wir ein neues System eingeführt haben. Damit wird die Photovoltaik bald zu einem
der Kostensenker gehören. Sie war einmal Kostentreiber
und kurz davor, die Akzeptanz zu verlieren. Wir haben
das Ganze gedreht, indem wir eine vernünftige, intelligente Förderpolitik auf den Weg gebracht haben,
({21})
eine Politik mit mehr Marktorientierung, die zum Erfolg
führt.
Die Stromversorgung in Deutschland ist sicher, sie
bleibt sicher, und sie muss sicher sein, und zwar zu jeder
Stunde im Jahr. Wir haben einen Kapazitätspuffer.
Ebenso gibt es übrigens bei der EEG-Umlage einen Kostenpuffer, einen Sicherheitspuffer. All das ist konservativ
berechnet.
Meine Damen und Herren, das Strompreisniveau ist
stabil. Wir haben zurzeit sogar etwas niedrigere Börsenpreise am Spotmarkt als vor der Energiewende. Alle, die
behauptet haben, die Netze kollabierten und die Preise
explodierten, sind durch die Realität widerlegt worden.
({22})
Es ist unsere Energiewende, die erfolgreich ist; wir werden hier weitermachen.
({23})
Das gilt auch für das Kreislaufwirtschaftsgesetz, dem
die von SPD und Grünen regierten Länder am Freitag
hoffentlich zustimmen.
({24})
Alle kommunalen Spitzenverbände, die kommunale Basis in Deutschland, haben zugestimmt; die SPD und die
Grünen sind schon wieder dabei, sich vom Acker zu machen. Sie müssen einmal Farbe bekennen, wenn es darum geht, Recycling und Klimaschutz zu realisieren.
({25})
Wir werden das Erneuerbaren-Energien-Wärmegesetz, die KWK-Förderung und ein nationales Ressourceneffizienzprogramm auf den Weg bringen. Wenn Sie
tatsächlich nach Durban kommen sollten - ich habe gerade mit Freude zur Kenntnis genommen, dass wir gemeinsam dort sein werden -, dann reden Sie vielleicht
einmal mit den Vertretern anderer Länder.
({26})
Dann werden Sie etwas feststellen, was ich weder mir
noch dieser Koalition ans Revers hefte - die Regierungen unseres Landes haben das über Legislaturperioden
hinweg gemeinsam aufgebaut, angefangen bei Klaus
Töpfer bis hin zu Sigmar Gabriel und bis in die heutige
Zeit -: Deutschland steht für eine glaubwürdige Klimaschutzpolitik. Wir sind nicht die, die im Ausland nur reden und im Innern nicht handeln.
({27})
Vielmehr setzen wir die internationalen Verpflichtungen,
die wir im Ausland verlangen - sie sind unser Ziel -, im
Inland um. Das ist die Basis der Glaubwürdigkeit unserer internationalen Klimapolitik.
({28})
Dafür sind wir anerkannt; das wird auch so weitergehen.
Es ist gut so, dass das deutsche Konsenspolitik ist, dass
es zum Konsens deutscher Politik zählt, internationale
Klimaschutzpolitik zu betreiben.
({29})
Insofern kann man sagen: Umweltpolitik, Energiepolitik und Klimapolitik sind dank des Bemühens vieler
endlich im Zentrum der deutschen und internationalen
Politik angekommen. Das ist gut; denn es geht darum,
eine Lebens- und Wirtschaftsweise zu entwickeln, die
sich zu Wachstum und Fortschritt bekennt, ohne die Lebensgrundlagen der nächsten Generationen aufzuzehren.
Das ist die konkrete Vision, an der wir arbeiten. Wir
kommen ihr immer ein bisschen näher, auch mit Ihrer
Unterstützung.
Vielen Dank.
({30})
Marco Bülow ist der nächste Redner für die Fraktion
der SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Röttgen, es ist in der Öffentlichkeit still um Sie
geworden.
({0})
Man hat manchmal den Eindruck, dass Sie sich bei den
wichtigen Themen verstecken. Doch wenn es Ihr Ziel
sein sollte, in Vergessenheit zu geraten, dann sind Sie auf
dem richtigen Weg. Wenn es aber Ihr Ziel sein sollte,
dass wir vergessen, dass es eine Energiewende geben
soll, die wirklich nachhaltig ist und von der man in Zukunft wirklich etwas hat, dann sollten Sie lieber nicht
vergessen, dass wir noch da sind, um Sie daran zu erinnern, so wie wir es heute bei der Haushaltsdebatte tun.
({1})
Herr Röttgen, ich möchte Ihren tollen Reden zu den
erneuerbaren Energien und dazu, wie super sie seien, sowie zur Endlagersuche etwas entgegenhalten. Sie erinnern sich vielleicht nicht mehr daran, dass Sie einmal,
beispielsweise 2006, Geschäftsführer Ihrer Fraktion waren; das ist noch gar nicht so lange her. Ich erinnere mich
gut daran, dass Sie in diesem Haus zweimal gegen das
Erneuerbare-Energien-Gesetz gesprochen und gestimmt
haben und den Widerstand Ihrer Fraktion gegen die Erneuerbaren organisiert haben. Ich erinnere mich auch gut
daran, dass sogar Sie persönlich - nicht jemand anders
aus Ihrer Fraktion - dafür gesorgt haben, dass eine ergebnisoffene Endlagersuche, so wie wir sie vorgeschlagen haben, von der CDU/CSU abgelehnt worden ist. Das
ist die Wahrheit; das ist im Protokoll nachzulesen.
({2})
Sprechen wir heute davon, dass Sie immer noch so
viel Geld für Atomenergie und für die Forschung in diesem Bereich und immer weniger für erneuerbare Energien ausgeben. Sprechen wir davon, dass bei der Atomenergie - mein Kollege Matthias Miersch ist schon auf
den Haushaltsposten eingegangen - sehr viele finanzielle Risiken bestehen, die wir heute nicht überblicken
können, beispielsweise weil es Klagen der großen Energiekonzerne gibt und wir nicht wissen, wie sie ausgehen;
schließlich hatten Sie den Atomausstieg zurückgenommen, anstatt ihn unangetastet zu lassen. Ansonsten hätten wir diese Klagen jetzt nicht am Hals. Auch das müssen Sie sich selber ankreiden. Sprechen wir eben nicht
nur davon, dass wir einen Atomausstieg haben, der eine
Energiewende bringt, sondern auch davon, dass wir bei
den erneuerbaren Energien vorwärtskommen müssen.
Dazu liegt aber nichts auf dem Tisch.
Herr Schulte-Drüggelte, ich spreche gerne darüber,
dass es den Posten Umwelt nicht nur im Haushaltsbereich, sondern auch in anderen Bereichen gibt. Schauen
wir uns diese anderen Bereiche einmal genauer an. Ich
glaube, Sie haben Kernfusion, Atomforschung usw. dort
eingerechnet. Das ist für mich aber keine optimale Umweltpolitik, sondern eine Politik von gestern. Gerade
wenn wir uns den internationalen Bereich ansehen, stellen wir fest, dass wir immer noch sehr viel Geld in Euratom stecken. Euratom aber ist immer noch atomzentriert.
Genau das wollen wir ändern.
Wir sprechen immer noch darüber, dass von Ihrer Regierung weiterhin Hermes-Bürgschaften für Atomkraftwerke geleistet werden. Das geschieht in einem Zeitalter, in dem wir aus der Atomenergie ausgestiegen sind.
Auch sprechen wir immer noch davon, dass wir in anderen Bereichen nicht das tun, was wir eigentlich machen
sollten. Ich nenne das Beispiel Yasuní. Es gibt die riesige
Chance, eines der artenreichsten Gebiete dieser Welt zu
retten und es nicht der Ölindustrie preiszugeben, die dort
nicht nur das Öl herauspumpt, sondern auch die Wälder
abholzt, das Gebiet verseucht und die dort lebenden
Stämme - es handelt sich um indigene Völker - vertreiben wird. Diese Chance haben wir. Auch Sie in der
Union haben zugestimmt. Ich weiß, dass es viele Unionspolitiker gibt, die Yasuní retten wollen. Warum machen Sie es denn dann nicht? Wenn es der zuständige
Minister von der FDP nicht gebacken bekommt, Herr
Röttgen, warum übernehmen Sie dann nicht den Posten,
wie es beispielsweise von den Grünen vorgeschlagen
worden ist?
({3})
Ich möchte noch einmal auf die Kosten eingehen, die
uns eventuell im Atombereich erwarten. Viele glauben:
Die Atomenergie ist jetzt am Ende, da die Atomkraftwerke in zehn Jahren abgeschaltet werden; das war’s.
Ich möchte daran erinnern, dass uns ein langer Abriss
bevorsteht, der nicht in einigen Jahren zu bewältigen ist.
Die ersten Rechnungen gehen davon aus, dass dieser
Abriss 18 Milliarden Euro kostet. Wenn heute von
18 Milliarden Euro gesprochen wird, können wir uns gut
vorstellen, wie hoch die Summe in 10 oder 20 Jahren
sein wird. Davon werden dann null Cent in die Endlagersuche bzw. in das Endlager geflossen sein. Die steuerfreien Rücklagen der Atomindustrie betragen aber nur
30 Milliarden Euro. Ich frage: Wer bezahlt den Rest?
Man kann, glaube ich, an einer Hand abzählen, dass
auch das dann auf unseren Haushalt zukommen wird.
Das betrifft nicht diese Generation, aber die nächsten.
Wir können über weitere Kosten sprechen. Die Asse
wird 1,5 Milliarden Euro kosten, selbst wenn wir nichts
machen und sie versiegeln. Wenn wir die Sachen herausholen, liegen die Schätzungen bei einem Betrag zwischen 3 und 6 Milliarden Euro. Morsleben wird 2 Milliarden Euro kosten. All das summiert sich und zeigt,
wie teuer die Atomenergie ist. Dadurch wird aufgezeigt,
dass das Märchen von der billigen Atomenergie, das Sie
jahrelang erzählt haben, eine große Lüge ist. Das wird
uns bei der Diskussion über den Haushalt einholen.
({4})
Ich spreche das ITER-Projekt an. Es würde noch einmal um 1,3 Milliarden Euro teurer werden, und es wird
andere Forschungsprojekte verdrängen, die wir in Europa dringend benötigen. Es wird auch all das verdränMarco Bülow
gen, was in 40 Jahren vielleicht einmal zu Forschung im
Energiebereich führen wird. Aber auch das hat man
schon vor 20 Jahren gesagt.
Ich möchte jetzt gerne - weil es zur Situation passt ein Zitat des leider viel zu früh gestorbenen Hermann
Scheer vortragen. Er hat gesagt:
Auch auf dem Weg zur solaren Weltwirtschaft wird
es Umwälzungen geben, die nahezu alle bestehenden Interessen tangieren. Es wird zahlreiche Konflikte geben. Um ihnen auszuweichen, bleiben viele
vor der entscheidenden „Quellenfrage“ stehen oder
stellen sie nur leise - erst für spätere Zeiten. Aber je
länger die Weltwirtschaft von den fossilen Energieund Rohstoffquellen abhängig bleibt, desto schwerwiegender werden die Folgen sein.
Das sagte er 1999, also vor zwölf Jahren.
Dies war sehr weitsichtig. Diese Worte könnten auch
heute der Maßstab für unsere Debatte sein. Genau diese
Worte galten in den letzten zwölf Jahren. Sie in der
Union und in der FDP haben die Erneuerbaren lange bekämpft. Als der Erfolg und die Beliebtheit der Erneuerbaren bei der Bevölkerung nicht mehr zu leugnen waren,
sind Sie auf den Zug aufgesprungen. Dennoch schaffen
Sie es nicht, auf die Konflikte einzugehen, um die Erneuerbaren wirklich durchzusetzen und um sie nicht nur
dahindümpeln zu lassen.
Genau das müssen wir machen. Wir müssen auch beginnen, im Wärmebereich weiterzukommen, und wir
müssen bei der Energieeffizienz vorankommen. Auch
müssen wir endlich damit beginnen, die restriktiven
Grenzen, die es in einigen Ländern gibt, abzubauen. Des
Weiteren müssen wir zum Beispiel die Binnenkraft von
Wind weiterentwickeln. Zu all dem gibt es keine Vorschläge in Ihrem Haushaltsbereich; aber genau diese
brauchen wir.
Ich komme zum Schluss. Eins ist klar: Wir werden
Sie weiterhin dazu antreiben, Vorschläge zur Energieeffizienz und zu den erneuerbaren Energien zu machen.
({5})
Sie können diese Vorschläge weiterhin ablehnen; aber
am Ende wird es so sein, dass sie sich durchsetzen werden, so wie sich die erneuerbaren Energien durchgesetzt
haben, obwohl Sie sie lange bekämpft haben. Dafür werden wir weiterhin kämpfen.
Danke schön.
({6})
Michael Kauch ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Bülow,
wir sind fast im gleichen Alter; Sie sind ein bisschen
jünger. Es ist immer schwierig, wenn man in Geschichte
nicht aufgepasst hat.
({0})
Wenn der Kollege Bülow das Thema Morsleben oder
das Thema Asse und die Folgekosten dieser Bundesregierung anlastet, dann ist das völlig neben der Sache.
({1})
Morsleben ist - wenn wir das schon parteipolitisch zuordnen - eine Altlast der Linkspartei; das ist nämlich ein
DDR-Bergwerk.
({2})
Auf der anderen Seite geht es beim Thema Asse um Einlagerungen, für die jede Bundesregierung seit 1965 Verantwortung trägt.
({3})
Der frühere Forschungsminister von Dohnanyi - in
Klammern: SPD - hat im Jahr 1972 erklärt, dass das
Eindringen von Wasser mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Deshalb sollten
wir uns nicht um die Vergangenheit kümmern, in der wir
alle Fehler gemacht haben, und zwar alle politischen Lager. Vielmehr sollten wir uns um die Zukunft kümmern.
Genau das tut diese Bundesregierung.
({4})
Herr Kollege Kauch, darf Ihnen der Kollege Lenkert
eine Zwischenfrage stellen?
Nein.
({0})
Wir als christlich-liberale Koalition setzen mit dem
vorliegenden Bundeshaushalt erneut ein wesentliches
Zeichen für den Naturschutz. Diese Koalition gibt im
Naturschutzbereich mit dem Bundesprogramm „Biologische Vielfalt“ etwa doppelt so viel Geld aus wie der rote
Umweltminister Gabriel während seiner Regierungszeit. Das ist ein Fortschritt für den praktischen Naturschutz in Deutschland, den diese Koalition erreicht hat.
({1})
Wir beschränken uns bei unseren Naturschutzmaßnahmen nicht auf Deutschland, sondern wir setzen gerade im Bereich des internationalen Klima- und Umweltschutzes klare Zeichen. Sie picken sich einzelne
Etatpositionen aus dem Energie- und Klimafonds und
sagen: Das sind nur 39 Millionen. Ich weise Sie darauf
hin, dass Entwicklungsminister Niebel über 1 Milliarde
Euro für den internationalen Umwelt- und Klimaschutz
aufbringt, und zwar gemeinsam mit den Kollegen aus
der Unions- und der FDP-Fraktion. Er ist der Klimaschutzminister im Bereich des internationalen Umweltschutzes.
({2})
Das sind die Mittel, über die wir hier reden müssen.
({3})
Es ist völlig abwegig, wenn hier so getan wird, als
würde sich die Problematik des globalen Biodiversitätsschutzes und des globalen Klimaschutzes an der Frage
entscheiden, auf welchem Weg man das Yasuní-Gebiet
schützt.
({4})
Diese Koalition hat sich darauf verständigt: Wir werden
Projekte in Yasuní fördern.
({5})
Wir werden sie nach den Maßstäben fördern, die die Vereinten Nationen im Zuge des Mechanismus REDD+ vereinbart haben.
({6})
Das haben wir parteiübergreifend mit Erfolg verabschiedet.
Es ist völlig abwegig, wenn Sie sagen: Nur mit dem
Yasuní-Fonds, den die ecuadorianische Regierung vorschlägt, kann man den Regenwald schützen. Es müsste
auch Sie stutzig machen, wenn die italienische Regierung der ecuadorianischen einen Brief schreibt und erklärt: Wir möchten gerne in den Fonds einzahlen, aber
wir fordern Transparenz. Wir möchten wissen, wie mit
dem Geld umgegangen wird. - Daraufhin sagte Ecuador:
Nein, das wollen wir aber nicht. - Da müssen wir uns
doch fragen, wie Steuermittel ausgegeben werden sollen.
({7})
Wir gehen den Weg, den die Vereinten Nationen vorgeben. Wir richten uns nach den Treibhausgasemissionen. Das gilt für alle Länder gleichermaßen, für die armen und für die ressourcenreichen. Der Wald in einem
nicht rohstoffreichen Land ist nicht weniger wert als der
in einem Land, in dem Öl und Gas unter den Wäldern
liegen. Das ist auch eine Frage der globalen Gerechtigkeit.
({8})
Die sozialdemokratische Partei sollte sich diesbezüglich
einmal positionieren.
({9})
Herr Kollege Kauch, darf der Kollege Kindler eine
Zwischenfrage stellen?
Ich möchte keine Zwischenfragen zulassen.
({0})
Wir kommen zum Energie- und Klimafonds. Diese
Koalition hat sichergestellt, dass die Versteigerungserlöse vollständig in den Energie- und Klimafonds eingestellt werden. Das hat das Parlament früher immer gefordert. Parteiübergreifend haben wir dafür gesorgt, dass
der Widerstand von Sigmar Gabriel gebrochen wurde. Er
wollte den Energieversorgern die Emissionsrechte weiterhin kostenlos zuteilen. Dieses Parlament hat gemeinsam durchgesetzt, dass sie versteigert werden, und zwar
in dem Maße, wie die Europäische Union dies zulässt.
({1})
Wir haben damals gemeinsam gesagt: Wir wollen, dass
diese Mittel dem Klimaschutz zugutekommen. Genau
das hat diese Koalition beschlossen. Seien Sie doch nicht
so neidisch, sondern freuen Sie sich mit uns über diesen
Erfolg dieses Parlaments.
({2})
Wir werden diesen Weg weitergehen. Wir werden in
guten und in schlechten Zeiten von der Entwicklung der
Preise für die CO2-Emissionszertifikate profitieren. Das
Finanzministerium wollte 2010 eine Deckelung. Es
wollte, dass der zusätzliche Gewinn, den man in guten
Zeiten aufgrund eines hohen Preises für CO2-Emissionszertifikate erzielen kann, in den allgemeinen Haushalt
fließt. Das haben die Koalitionsfraktionen, die Fraktionen von FDP und Union, verhindert. Wir haben erreicht,
dass dieses Geld vollständig in den Klimaschutz geht, in
guten und in schlechten Zeiten.
({3})
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Nein.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben
das Gebäudesanierungsprogramm auf drei Jahre befristet. Wir haben es entfristet. Wir haben es dauerhaft
finanziert. Wir haben es mit 1,5 Milliarden Euro Programmvolumen ausgestattet. Deshalb sind wir diejenigen, die die Energieeffizienz in diesem Land vorangebracht haben.
Vielen Dank.
({0})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Lenkert
das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr
Kollege Kauch, ich möchte Sie für den Fall, dass es Ihnen entgangen ist, ganz kurz informieren: Das Endlager
Morsleben hatte nur eine vorübergehende Genehmigung
erhalten. Diese ist 1989 ausgelaufen. Die Evaluierung
fand nie statt. Im Gegenteil: Die damalige schwarz-gelbe
Bundesregierung hat die Genehmigung ungeprüft verlängert. Sie hat sogar dafür gesorgt, dass inzwischen an
die 60 Prozent des Atommülls der Atomkonzerne der alten Bundesländer kostengünstig in Morsleben entsorgt
werden konnten. In der Anhörung haben wir gefragt
- das wissen Sie, falls Sie zugehört haben -, welche
Kosten für die Einlagerung zugrunde gelegt wurden.
Uns wurde gesagt: Natürlich die Kosten für das Herunterbringen und für das Bewachen des Lagers für die
Dauer von 20 Jahren, mehr nicht. Ich fragte: Warum
nicht? Die Antwort: Wir konnten es ja nicht kalkulieren,
und weil wir es nicht kalkulieren konnten, konnten wir
es nicht ausrechnen.
All dies wurde unter Schwarz-Gelb eingeführt. Jetzt
betragen die Kosten für die Sanierung von Morsleben
mehrere Milliarden Euro. Das hat definitiv SchwarzGelb zu verantworten.
({0})
Damals waren Sie an der Regierung. Bitte nehmen Sie
das zur Kenntnis, und erklären Sie hier nicht, dass das
eine Altlast der DDR sei. Sie haben das erst zu einer Altlast werden lassen. Es war vorgesehen, das zu überprüfen. Sie haben das verhindert. Sie haben die billige Gelegenheit genutzt, Ihre Atompolitik umzusetzen und ein
Lager zu schaffen.
Ich erinnere auch daran, dass vor kurzem Atommüll
des Forschungsschiffs „Otto Hahn“ und des Kernforschungszentrums Karlsruhe nach Lubmin transportiert
worden ist, obwohl ursprünglich zugesagt war, dass dort
nur Atommüll aus alten DDR-Anlagen eingelagert wird.
All dies sind Versprechen, die Sie gebrochen haben.
All dies geschah im Interesse der Atomindustrie. Wenn
Sie mit dieser Politik weitermachen, haben Sie all das
verdient, was Sie erwartet.
({1})
Ich danke Ihnen.
({2})
Lieber Herr Kollege, Sie können noch so sehr versuchen, den Atommüll umzudefinieren:
({0})
Die DDR hat Atommüll in das vereinte Deutschland eingebracht. Die Regierung der DDR war jahrzehntelang
geprägt von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Ihrer Vorgängerpartei. Wenn wir hier über historische Verantwortung reden, dann gehört auch das zur
Wahrheit. Wir können uns jetzt gegenseitig Vorhalte machen. Mir geht es darum, dass wir endlich eine Lösung
finden. Die Suche nach einer Lösung, zum Beispiel der
Probleme mit wärmeentwickelnden Abfällen und der
Endlagerproblematik, wird von der Opposition hier im
Deutschen Bundestag verweigert.
Von Herrn Miersch haben wir in einem Zwischenruf
gehört: Hören Sie mit Gorleben auf, dann sind wir dabei!
({1})
Meine Damen und Herren, genau das ist der Punkt. Der
Ministerpräsident von Baden-Württemberg und sein
Umweltminister von den Grünen haben einen aus meiner
Sicht wichtigen Schritt gemacht, indem sie erklärt haben, dass das Ende von Gorleben keine Vorbedingung
für Konsensgespräche ist.
({2})
Sie, die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, sollten sich einmal vor Augen führen, welche Verantwortung die Landesregierungen haben. Sie als Opposition
tun hier so, als wäre das alles nichts wert. Es hat einen
großen Wert, wenn wir endlich einen nationalen Konsens über die Endlagerung bekommen. Ich erwarte von
der Opposition in diesem Bundestag, dass sie sich in
Konsensgespräche begibt, sich nicht verweigert und sich an
der baden-württembergischen Landesregierung orientiert,
in der sie anscheinend in der Tat nichts zu sagen hat - zum
Glück.
({3})
Kollegin Sabine Stüber ist die nächste Rednerin für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mir geht es heute um zwei Dinge: um den YasuníRegenwald in Ecuador und um das Weltnaturerbe „Alte
Buchenwälder Deutschlands“.
Ich war vor sechs Wochen in Ecuador und habe dort
den Naturreichtum im Yasuní-Nationalpark gesehen und
mit den Menschen gesprochen. Ob ich den Taxifahrer
oder die Kassiererin im Supermarkt fragte: Alle wollen,
dass der Regenwald gerettet wird. Hier geht es im
wahrsten Sinne um Sein oder Nichtsein. Es geht darum,
ob der Regenwald im Yasuní mit seiner einmaligen Artenvielfalt erhalten bleibt oder ob er für ein weiteres Ölfeld geopfert wird.
Außerdem geht es um die Glaubwürdigkeit Deutschlands. Warum? Ecuador hat den Vorschlag gemacht, die
riesigen Erdölvorkommen unter dem Yasuní-Nationalpark für den Klimaschutz und den Erhalt der biologischen Vielfalt im Boden zu lassen. Bedingung ist, dass
die internationale Gemeinschaft die Hälfte der Einnahmen, auf die das Land verzichtet, aufbringt. Auch auf
Betreiben Deutschlands wurde dafür ein internationaler
Fonds eingerichtet. Mit dem eingezahlten Geld - hören
Sie zu, Herr Kauch - sollen Projekte für erneuerbare
Energien und Aufforstung finanziert werden.
({0})
Die Menschen sollen ein Recht auf ihre traditionelle
Lebensweise haben. So versucht Ecuador, eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft einzuleiten. Für die
Bevölkerung Ecuadors liegt so viel Hoffnung darin, dass
erstmals der Regenwald in seiner Bedeutung über die
Ölausbeutung gestellt wird. Ich finde es großartig, Kolleginnen und Kollegen, dass die mehrheitlich arme Bevölkerung bereit ist, von dem wenigen, was sie hat,
selbst in den Fonds einzuzahlen.
({1})
Zur Erinnerung: 2008 fasste der Deutsche Bundestag
den Beschluss, diese Idee zu unterstützen und Gelder bereitzustellen. Unterdessen gibt es den Fonds, der von den
Vereinten Nationen verwaltet wird. Aber es gibt hierzulande auch den Entwicklungsminister Niebel. Der wiederum will das alles nicht mehr, was vor wenigen Jahren
Konsens im gesamten Deutschen Bundestag war.
({2})
In dem Haushaltsplan, um den es heute geht, findet sich
kein einziger Euro für die Yasuní-Initiative. Es kann
doch nicht sein, dass Deutschland auf Wunsch eines einzelnen Herrn einen Beschluss des Bundestages kippt.
({3})
Deshalb wollen wir Linken, dass die bereits zugesagten
Gelder für den Yasuní-Regenwald auch in diesen Haushalt eingestellt werden.
({4})
Nun zurück zu unserem Land: Wir sind in der glücklichen Lage, Kolleginnen und Kollegen, dass im letzten
Sommer 4 400 Hektar Buchenwald zum Weltnaturerbe
erklärt wurden. Um auf die Weltnaturerbeliste der
UNESCO zu kommen, muss ein Gebiet für die Welt einzigartige Naturwerte besitzen, und diese müssen zudem
durch gute Schutzmaßnahmen gesichert sein. Vor zwei
Jahren wurde das Wattenmeer zum Weltnaturerbe erklärt,
({5})
nun sind es die alten Buchenwälder Deutschlands, und
zwar die fünf wertvollsten naturnahen Buchenwälder,
die wir haben. Bei mir in der Uckermark gehört der
Grumsiner Wald dazu.
Es freut mich übrigens, Herr Röttgen, vom Stolz der
Regierung auf die Anerkennung der alten Buchenwälder
Deutschlands als Naturerbe zu hören. Nur: So ein Erbe
bringt auch Verpflichtungen mit sich.
({6})
Wie heißt es doch? Eigentum verpflichtet.
({7})
Das kostet meistens Geld. Allerdings taucht im Etat des
zuständigen Bundesumweltministeriums das Weltnaturerbe nicht einmal als Begriff auf. Das soll sich ändern.
({8})
Wir Linken halten einen eigenen Titel „Weltnaturerbe“
für dringend geboten.
Vielen Dank.
({9})
Bärbel Höhn ist die nächste Rednerin für Bündnis 90/
Die Grünen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsdebatten
sind immer Debatten von großen Inhalten. Heute geht es
um die Energiewende, und zwar um all die Punkte, Herr
Minister, die Sie eben in Ihrer Rede erwähnt haben.
({0})
Ich will dabei die Kollegen von der SPD unterstützen.
Wir alle - außer der Linken - haben im Juni dieses Jahres gemeinsam den Atomausstieg beschlossen.
Wenn ich hier höre, wie Sie, Herr Minister, sich zum
Beispiel zur Klage der Energiekonzerne äußern, dann
habe ich den Eindruck, dass Sie die auf die leichte
Schulter nehmen. Das sollten Sie nicht tun.
({1})
Das, was Rot-Grün vor zehn Jahren beschlossen hat - im
Übrigen in einem offenen Prozess mit den Energiekonzernen und nicht in Geheimverhandlungen -, hatte den
Vorteil, dass die Konzerne ihre Unterschrift darunter gesetzt haben und deshalb nicht mehr klagen konnten. Jetzt
habe ich den Eindruck die Klagen, die nehmen Sie auf
die leichte Schulter. - Wir haben doch gerade in diesem
Jahr erlebt, was passiert, wenn die Bundesregierung eine
Klage der Energiekonzerne auf die leichte Schulter
nimmt. Dabei ging es um die Netzproduktivität. Für die
Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet dies nun im
nächsten Jahr bei den Energiekosten 1 Cent pro Kilowattstunde mehr. Deshalb sage ich: Nehmen Sie die Klagen nicht auf die leichte Schulter, sondern tun Sie als
Bundesregierung etwas, damit Sie diese Klagen gewinnen und nicht verlieren.
({2})
Zu den nächsten Punkten: Damit, dass Energieeffizienz und erneuerbare Energien, wie Sie, Herr Röttgen,
hier sagen, die zwei Säulen der zukünftigen Politik
seien, haben Sie recht. Aber Sie müssen auch die ganze
Wahrheit sagen. Dabei geht es zum Beispiel auch um
Gebäudesanierung: Da haben Sie gesagt, die rot-grünen
Länder würden sich im Vermittlungsausschuss nicht bewegen. Ich entgegne Ihnen: Während der Debatte habe
ich über Facebook die Meldung bekommen: „Ein Vermittlungsausschuss der besonderen Art: Koalition ohne
irgendein Angebot bei CCS und CO2-Gebäudesanierung …“. Sagen Sie die ganze Wahrheit, wenn Sie hier
eine Rede halten, und nicht nur die halbe! Das erwarte
ich von Ihnen.
({3})
- Das hat Volker Beck gesagt, der immer fleißig beim
Twittern ist und, gerade was Twitter angeht, immer auf
dem neuesten Stand ist.
({4})
Ich komme nun zu der Regelung, die Sie heute mit Ihrem Kollegen Rösler getroffen haben. Diese interessiert
mich; diese habe ich mir nämlich genau angesehen. Sie
schreiben zum Beispiel in einer Passage: „Deutschland
unterstützt das Ziel der Kommission, in Europa 20 Prozent Einsparung bis 2020 zu erreichen.“ Was sagen Sie
eigentlich zu einem verbindlichen Ziel?
({5})
Es geht nicht darum, dass Sie das begrüßen. Es geht darum, dass Sie sagen: Dieses Ziel muss verbindlich festgelegt werden. - Wird es jetzt verbindlich festgelegt: ja
oder nein?
({6})
Ich sehe das nicht. Deshalb ist das eine Luftblase, Herr
Röttgen. Sie formulieren immer große Ziele,
({7})
sogar bis 2020, wenn Sie nicht mehr im Amt sind; aber
diese Luftblasen zerplatzen schneller, als Sie denken.
Das ist ein großes Problem bei Ihnen.
({8})
Jetzt zu den erneuerbaren Energien. Ich hätte mir gewünscht, Herr Röttgen, dass Sie Ihren Kollegen Rösler
heute in die Schranken verwiesen hätten.
({9})
Vor wenigen Tagen hat er nämlich die Branche der Erneuerbaren enorm verunsichert. Mit seinen Aussagen
über einen festen Deckel bei 1 000 Megawatt bei der
Photovoltaik gefährdet dieser Wirtschaftsminister Zehntausende von Arbeitsplätzen im Bereich der erneuerbaren Energien, und zwar in kleinen und mittelständischen
Unternehmen.
({10})
Herr Rösler nennt sich „Bundeswirtschaftsminister“ und
will angeblich ein besonderer Freund der kleinen und
mittleren Unternehmen sein!
Kommen wir zu dem nächsten Punkt, den Sie angesprochen haben: zum Thema Endlager und zu Gorleben.
Man muss sagen, Herr Röttgen: Solange Sie weiterhin so
viel Geld, nämlich 73 Millionen Euro, in den Ausbau
des Standortes Gorleben stecken, sind Sie an einer Suche, die sich auf ganz Deutschland erstreckt, gar nicht
interessiert. Stattdessen wollen Sie den Standort Gorleben nach vorne treiben. Das ist nicht in Ordnung, Herr
Bundesumweltminister.
({11})
Sehen wir uns den Klimafonds an. Die Einnahmen
schmelzen wirklich wie Butter in der Sonne. Der Zertifikatspreis beträgt eben nicht 17 Euro, sondern nur
10 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Das bedeutet, dass wir
mit ungefähr einem Drittel, vielleicht sogar mit 40 Prozent weniger Einnahmen rechnen müssen. Das wirkt
sich auf alle Projekte im Zusammenhang mit der Energiewende aus.
Auch hier könnte man anders vorgehen. Sie könnten
zum Beispiel das, was Sie vor anderthalb Jahren gesagt
haben, in die Tat umsetzen. Damals haben Sie gesagt:
20 Prozent CO2-Reduktion vor der Wirtschaftskrise
2009 sind wie 30 Prozent CO2-Reduktion nach der Wirtschaftskrise 2009. - Warum fordert Deutschland in der
EU nicht offensiv eine CO2-Reduktion um 30 Prozent?
Das wäre das, was wir von Ihnen erwarten.
({12})
Dann würden wir durch die Zertifikate auch erheblich
mehr Einnahmen erzielen. Warum also sagen Sie nicht
einfach, wie es auch Großbritannien getan hat: „Wir legen bei den CO2-Zertifikaten einen Mindestpreis fest“?
({13})
Sie hätten viele Möglichkeiten, ehrgeiziger zu sein. Sie
sind es aber nicht.
Ich komme zum Schluss.
({14})
Herr Röttgen, Sie reden hier jedes Mal über Naturschutz.
Sie reden auch jedes Mal über Biodiversität. Wenn Ihnen
die Biodiversität wirklich am Herzen liegt, dann fordere
ich Sie auf: Stoppen Sie Ihre Kollegin, die Bundeslandwirtschaftsministerin, die mit ihrer Landwirtschaftspolitik Maismonokulturen fördert, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass wir jeden Tag an Biodiversität
verlieren! Also: Reden Sie nicht nur, sondern handeln
Sie endlich!
({15})
Christian Ruck ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit den diesjährigen Haushaltsberatungen befinden wir uns in der Tat in einer historischen Phase der
deutschen Umweltpolitik, die jedoch vor allem bei Ihnen
von Rot-Grün - das zeigt Ihre doch etwas kleinkarierte
Polemik - nicht den entsprechenden Widerhall gefunden
hat.
Frau Höhn, der Beschluss zum Atomausstieg und zur
Energiewende, den die christlich-liberale Koalition und
das Parlament getroffen haben - Sie haben ihn ja mitgetragen -, hat natürlich etwas Visionäres. Der Kraftakt,
den Minister Röttgen, das Bundeskabinett und wir alle
unternommen haben, reicht bis ins Jahr 2050. Ich verstehe nicht, wieso Sie kritisieren, wir hätten immer sehr
weitschweifende Pläne. Für die Energiewende brauchen
wir natürlich Pläne bis zum Jahr 2050. Ich danke vor allem dir, lieber Norbert Röttgen, für die Hartnäckigkeit
und für die Ausdauer, mit der du die Energiewende betrieben hast.
Unsere Beratungen finden am Vorabend richtungsweisender internationaler Klima- und Umweltkonferenzen in Südafrika und Brasilien statt. All dies, meine Damen und Herren, spiegelt sich in der Weichenstellung
unseres Haushalts wider.
Das gilt nicht nur - das wurde auch schon von Kollegen Schulte-Drüggelte und anderen deutlich gemacht für den eigentlichen Haushalt, den Einzelplan 16, sondern für alle Umweltausgaben im Gesamthaushalt. Ich
möchte schon noch einmal betonen, dass im Jahre 2011
das Soll aller Umweltausgaben im Haushalt 7,15 Milliarden Euro betrug, während wir jetzt bei 7,4 Milliarden
Euro sind. Hinzu kommen noch die Mittel für den neu
eingerichteten Energie- und Klimafonds in Höhe von
780 Millionen Euro.
({0})
Ich verstehe nicht, wie Sie angesichts von 780 Millionen
Euro sagen können, das sei nichts. Schauen Sie sich darüber hinaus die Verpflichtungsermächtigungen für den
internationalen Bereich in Höhe von 950 Millionen Euro
an.
({1})
Ich muss sagen: Ich bin auch für meine Fraktion stolz
auf das, was wir hier eingerichtet und durchgesetzt haben.
({2})
Sie haben nichts gemacht. Schauen Sie sich doch einmal an, wie Sie den BMZ-Haushalt und den Umwelthaushalt hinterlassen haben, als die Grünen noch mitregieren durften. Das waren alles Peanuts - vor allem auch
im internationalen Bereich.
({3})
- Herr Kelber, wissen Sie, warum das gesperrt ist?
({4})
Das kann ich Ihnen sagen. Das BMF sagt nämlich natürlich völlig zu Recht: Wir warten erst einmal die internationalen Verhandlungen ab,
({5})
und wir wollen die Pläne für die langfristigen Projekte
des BMZ sehen. Das würde ich genauso machen. Da Sie,
Herr Kelber, und auch Sie, Herr Bülow, sich offensichtlich im BMZ nicht auskennen: Die Kollegen im BMZ
arbeiten mit Hochdruck an diesen Plänen und diesen
konkreten Projekten.
({6})
So viel Zeit muss man ihnen lassen.
({7})
Ich möchte an etwas erinnern, was auch Kollege
Kauch schon gesagt hat, dass wir nämlich allein im
Haushalt des BMZ 1,5 Milliarden Euro für den internationalen Klima- und Waldschutz zur Verfügung stellen.
Unter der rot-grünen Regierung, also als die Grünen
noch mitregierten, war das nur ein Zehntel dieser
Summe. Das sollten Sie sich auch einmal hinter die Ohren schreiben.
({8})
Ich möchte auch daran erinnern, dass wir im Haushalt
des Bundesbauministeriums fast 800 Millionen Euro für
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm veranschlagt haben. Daneben erinnere ich an die Mittel für sparsame
Energienutzung im Haushalt des BMWi und auch - das
ist meiner Ansicht nach besonders wichtig - an die fast
900 Millionen Euro für die Umwelt- und Klimaforschung im Haushalt des Forschungsministeriums.
Mit diesen über 7,4 Milliarden Euro pushen wir erstens die internationale Agenda, und zweitens investieren
wir dort, wo wir für die Umwelt und für Arbeitsplätze
gleichzeitig am meisten bewirken können, nämlich in
die Energieeffizienz, in Forschung und Technologie, in
den internationalen Klimaschutz und in die CO2-Senkung.
({9})
Wir wollen nicht nur die Energiewende im eigenen
Land, sondern wir wollen sie weltweit, und zwar nicht
als Selbstzweck, sondern um zukünftigen Generationen
eine lebenswerte Umwelt zu sichern. Diese Herausforderung ist aber so gewaltig - ich erinnere an den jüngsten
Klimabericht des amerikanischen Energieministeriums -,
dass wir sie nur dann meistern können, wenn unsere
Energiepolitik vorbildlich ist und sie unsere Wirtschaftspolitik nicht gleichzeitig ruiniert. Das heißt, sie muss effizient und bezahlbar sein.
Deswegen ist auch der Ausbau der erneuerbaren
Energien kein Selbstzweck. Wir alle haben gesagt: Ein
entscheidender Pfeiler der Energiewende sind die erneuerbaren Energien. Gerade in den letzen zwei Jahren haben wir unter der christlich-liberalen Koalition gewaltige
Ausbaufortschritte erzielt.
({10})
Wir haben nämlich ihren Anteil am Stromverbrauch von
16 Prozent auf 21 Prozent erhöht. Das ist ein gewaltiger
Sprung.
Ich weiß gar nicht, warum hier immer Geschichtsklitterung betrieben wird.
({11})
Es ist doch eindeutig, wer für das erste Stromeinspeisungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland gesorgt
hat.
({12})
- Ja, es ist ja auch nicht schlecht, wenn Sie bei unseren
guten Ideen mitstimmen. Das können Sie auch weiterhin
tun.
({13})
Bei einem Fördervolumen von bis zu 130 Milliarden
Euro in 20 Jahren müssen wir uns hinsichtlich der erneuerbaren Energien immer wieder die Frage stellen, ob wir
sie effizient nutzen. Deswegen finde ich es auch richtig,
dass wir in gewissen Abständen immer wieder hinterfragen, ob wir durch das EEG noch das Richtige fördern,
ob wir sinnvoll fördern und ob wir zum Teil auch Dinge
nicht fördern, die sinnvoll wären. Wir dürfen uns nicht in
Klein-Klein verlieren, sondern wir müssen europaweit
denken und zum Beispiel auch die Photovoltaik in Nordafrika im Blick haben. All diese Dinge packen wir im
Rahmen der Energiewende an. Sie sind gut und richtig.
Ich möchte am Schluss noch zwei Dinge sagen.
Kurz und bündig.
Erstens. Ich halte unsere Politik zur Verbesserung der
Energieeffizienz in der Industrie, im Verkehrsbereich
und auch in der Gebäudesanierung für das Schlüsselthema zur Erreichung unserer Klimaschutzziele.
({0})
Deswegen sollten wir hier, zum Beispiel im Gebäudebereich oder bei den Maßnahmen, die uns von Brüssel vorgeschlagen werden, vorsichtig und, wenn es irgendwie
geht, im Konsens vorangehen. Ich glaube auch, dass die
Vorschläge, die Günther Oettinger gemacht hat, in einem
Punkt vollkommen richtig sind: Wir brauchen - dabei
unterstütze ich Norbert Röttgen - den Willen, verbindliche Energieeffizienzziele festzulegen, und zwar verbindlich für Europa, nicht nur für Deutschland. Dabei hat er
unsere Unterstützung.
Zweitens. Ich freue mich sehr, dass wir nicht nur bei
Schutz und Erhaltung der internationalen Biodiversität
auf bestem Wege sind - damit liegen wir genau im
Plan -, sondern auch unseren Beitrag von 500 Millionen
Euro pro Jahr leisten können, zum Beispiel für den
Yasuní-Nationalpark.
Herr Kollege, jetzt können wir nicht noch alle Regionen, für die das Thema Anwendung finden könnte, der
Reihe nach aufzählen.
({0})
Ich bin beim letzten Satz; das bekomme ich noch hin. Ich helfe Ihnen gerne bei der Suche danach, wo die Mittel für den Yasuní-Nationalpark zum Tragen kommen.
({0})
Ich bin sehr stolz darauf, dass wir das geschafft haben.
Ich finde es auch gut, was Norbert Röttgen, sein Team
und die Haushälter für die Biodiversität im eigenen Land
neu auf die Beine gestellt haben,
({1})
nämlich den Waldklimafonds und den neuen Fonds für
die Biodiversität im eigenen Land, zusätzlich zu unserem äußerst erfolgreichen großen Naturschutzprojekt.
Darüber können wir uns freuen. Das ist etwas für das
Herz. Das dient der Erhaltung der Schöpfung im eigenen
Land. Insofern ist gerade der Umweltteil des Haushaltes
ein Grund, dem Gesamthaushalt zuzustimmen.
({2})
Uwe Beckmeyer hat nun das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Ist der Minister schon gegangen?
({0})
- Ich habe nur ein paar Beispiele aus Illustrierten mitgebracht, weil das hier so langweilig ist.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedaure es, dass der Herr Minister unsere Sitzung verlassen hat.
({1})
- Er kommt schon wieder? Das ist gut. - Das, was wir
vorhin gehört haben, war nämlich beachtenswert. Der
Minister zeichnete dabei ein virtuelles Bild dessen, was
Umweltpolitik in Deutschland ausmacht.
Ich habe ja einige Zeit am Verkehrshaushalt mitgewirkt. Im Vergleich dazu ist der Einzelplan 16 ein langweiliger Haushalt. Er ist klein und nicht so beachtlich.
({2})
Aber er wird so dargestellt, als sei er der Nabel dieser
Welt.
Der entscheidende Punkt ist, Herr Minister, Sie werden in verschiedenen Zeitungen, so im Focus der vorletzten Woche, als Klassenbester und als Modernisierer
dieser Republik dargestellt,
({3})
der im edlen Wettstreit mit einer seiner Kolleginnen um
die Nachfolge von Frau Merkel streitet.
({4})
Der Punkt ist, dass Sie sich seit zwei Tagen als Entsorger
der Ministerin darstellen, indem Sie ihr einen Europajob
anbieten oder den Europajob zumindest so attraktiv machen, dass sie von sich aus geht. Ich frage mich die
ganze Zeit: Weshalb tun Sie das eigentlich alles? Machen Sie doch erst einmal Ihre Aufgabe als Umweltminister so, dass man mit dem zufrieden sein kann, auch
wenn es sich nur um das Nötigste handelt.
({5})
Sie haben eine Frage zur Energiewende aufgegriffen,
die in der Republik landesweit diskutiert wird. Das ist
die Frage, wie wir mit den erneuerbaren Energien umgehen. Darum geht es bei dem 5-Milliarden-Euro-Förderprogramm der KfW für erneuerbare Energien. Wissen
Sie, was in der Szene dazu gesagt wird, wie gestritten
wird? Kennen Sie die Anregungen, wie erneuerbare
Energien zum Beispiel offshore realisiert werden können
und was dafür alles zusätzlich notwendig ist? Null Reaktion aus dem Hause des Bundesumweltministers zu
der Frage, wie man die Offshoreenergie tatsächlich nutzen und in der Energiegewinnung einsetzen kann. Es
gibt Anlagen im Offshorebereich, für die man im letzten
Jahr Energie gebraucht hat, damit sie nicht kaputtgehen.
Das heißt, dort ist keine Energie gewonnen, sondern verbraucht worden. Derzeit sind Energieunternehmen dabei, Rechnungen zu bezahlen, statt sie zu schreiben, weil
die Frage, wie der Strom an Land kommt, bis zum heutigen Tag nicht abschließend geklärt ist.
({6})
Ich frage mich, ob Sie als Minister in dieser Frage in irgendeiner Form aktiv geworden sind. Haben Sie Initiativen gezeigt?
({7})
Das virtuelle Bild, das Sie zeigen und das Sie auch in
diesem Hause heute Abend abgegeben haben, scheint,
was die Form des Schönredens angeht, wunderbar zu
sein. Die Frage ist nur: Was ist konkret dahinter? In diesem Punkt stelle ich eine Nullstellung fest. Das laste ich
Ihnen persönlich an.
Einen entscheidenden Punkt habe ich in den Beratungen ausgemacht - ich bin ja in den letzten Wochen in das
Thema eingestiegen -, nämlich dass Sie im Hause Aufgaben haben, bei denen ich mich frage, ob Sie als verantwortlicher Minister dazu in der Lage sind, sie umzusetzen. Sie haben in Ihrem Hause zu wenig Personal und
bedienen sich durch Abordnungen von Personal aus den
Ihnen nachgeordneten Ämtern. Das ist ein Umstand, der
möglicherweise aus Ihrer Sicht nachvollziehbar ist. Aber
wenn Sie Ihre Aufgaben verantwortlich wahrnehmen,
dann müssen Sie zumindest in Ihrer Fraktion dafür werben, dass Ihr Personalkörper besser ausgestattet wird, als
es zurzeit der Fall ist.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Haushaltsausschuss einen Antrag eingebracht, in dem sie fordert, dass
die verbindlichen Einsparungen von 1,5 Prozent pro Jahr
endlich aufgegeben werden sollen. Mir ist keine Reaktion
aus dem Kreis der Koalition bekannt, dass dieses Thema
endlich beerdigt wird. Stattdessen wird weiter gespart. Es
werden zugleich mehr Aufgaben geschaffen, und dafür
wird das Personal aus den nachgeordneten Ämtern geholt. Ich finde, dieser Umstand ist einer verantwortlichen
Amtsführung nicht adäquat. Ich bitte, zu überdenken, ob
es nicht auch in Ihrem Sinne ist, dass in dieser Angelegenheit in der Bundesregierung anders gehandelt wird.
Denn sonst halten Sie wirklich nur noch schöne Reden,
ohne Ihre Aufgaben erfüllen zu können.
({8})
Ich will an dieser Stelle noch etwas zum CO2-Gebäudesanierungsprogramm hinzufügen. Sie haben vorhin
launig dargestellt, wie toll das ist. Ich muss Ihnen ehrlich
sagen: Das ist gar nicht toll. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm hatte 2009 schon ein Volumen von
2,25 Milliarden Euro.
({9})
Das muss man sehen. Wir haben jetzt ein Programm mit
einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro. Der Punkt ist:
Sie gehen zurück. Sie haben in dieser Frage eben nicht
zugelegt, sondern Sie sparen in den Bereichen Verkehr,
Bauen und Wohnen. Sie haben entsprechend reduziert
und gekürzt.
({10})
Jetzt kommt das KfW-Programm obendrauf, und Sie tun
so, als wäre das eine Verbesserung. Auch das ist Schönrederei. Dies ist nicht akzeptabel.
Wir werden es auch nicht durchgehen lassen, dass Sie
mit wunderbaren Ausführungen von diesem Platz aus
die Öffentlichkeit und die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland hinters Licht führen. Das geht nicht.
Wenn Sie sich schon in dieser Angelegenheit engagieren
wollen, dann sorgen Sie dafür, dass zumindest die alten
Größenordnungen bei der Haushaltsausstattung erreicht
werden.
Die Förderungen werden ja nachgefragt. Wir haben
2009 die gesamten 2,25 Milliarden Euro ausgeben können. Alle Gelder waren gebunden. Das sollte von Ihrer
Seite wieder angestrebt werden. Nur so können Sie die
Chancen der Gebäudesanierung voll ausschöpfen; denn
der Wohnungsbereich und der Verkehrsbereich sind die
Bereiche, die am meisten CO2 ausstoßen. Sie müssen alles dafür tun, dass die CO2-Minderungsziele erreicht
werden.
({11})
Der Präsident gibt mir bereits ein Zeichen wegen meiner Redezeit.
Sie haben die Gelegenheit zu einem letzten Satz.
Genau. - Ich werde jetzt schließen.
({0})
Ich hoffe, dass Sie, Herr Bundesumweltminister, sich
bei den nächsten Haushaltsberatungen mehr in Ihrer Koalition durchsetzen und sich Ihren Haushalt vernünftiger
ausstatten lassen. Das betrifft vor allen Dingen die Ausstattung mit Personal; da ist wirklich mehr notwendig.
Herzlichen Dank.
({1})
Zum Abschluss und Höhepunkt der heutigen Haushaltsdebatten erhält jetzt die Kollegin Marie-Luise Dött
das Wort. Bitte schön.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Das Thema der Weitererkundung des Standorts
Gorleben ist heute mehrfach angesprochen worden. Es
wurde kritisiert, dass für Erkundungsarbeiten in Gorleben im nächsten Jahr zusätzlich 26,2 Millionen Euro bereitgestellt werden. Dazu kann ich nur sagen: Ein Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik.
({0})
Unsere Politik war immer die, Verantwortung für die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle zu übernehmen.
({1})
Wir haben immer gesagt, dass die ergebnisoffene Erkundung von Gorleben zu Ende geführt wird. Bei Gorleben
gibt es jetzt einen Mehrbedarf für den Fahrzeug- und Gerätepark sowie einen höheren Aufwand für die Betriebsüberwachung und die Beweissicherung; außerdem ist die
Ertüchtigung der Steuerung der Schachtförderanlage 1
aufgrund der Anforderungen an die Betriebssicherheit
erforderlich. Das veranschlagte Geld ist also erforderlich, um genau die Verantwortung zu übernehmen, vor
der Sie sich während Ihrer Regierungszeit mit dem Moratorium gedrückt haben.
({2})
Auch der Ministerpräsident von Baden-Württemberg,
Herr Kretschmann, akzeptiert doch die Erkundungen in
Gorleben.
({3})
Ich zitiere: „Da Salzstöcke grundsätzlich infrage kommen, bleibt Gorleben erstmal drin.“ Genau so ist es.
({4})
Meine Damen und Herren, im Jahr 2012 steht der
Einzelplan 16 deutlich im Zeichen der Klima- und Energiepolitik; denn Klima- und Energiepolitik bleiben die
Schlüsselfelder unseres umweltpolitischen Handelns in
den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Keine Frage: Wir
stehen mit dem Umbau unserer Energieversorgungsstruktur vor enormen Herausforderungen. Aber Deutschland wird den Übergang in das Zeitalter der erneuerbaren Energien schaffen.
Weil wir heute die Haushaltsdebatte führen, möchte
ich darauf hinweisen, dass der Ausbau der erneuerbaren
Energien nicht aus dem Bundeshaushalt gefördert wird.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien finanziert sich
über die Einspeisevergütung für die erneuerbaren Energien. Die Kosten in Höhe von immerhin 8,6 Milliarden
Euro allein im Jahr 2010 tragen die Bürger über die
EEG-Umlage, die sie mit der Stromrechnung bezahlen.
Man findet diese Summen deshalb nicht im Bundeshaushalt, und die Erfolge, die wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien erzielen, spiegeln sich dort nicht wider.
Es gab in den vergangenen Tagen - Frau Höhn sprach
es an - auch in der Presse einige diffuse Diskussionen
über die Haltung der Koalition zur Förderung der erneuerbaren Energien.
({5})
Ich sage hier klipp und klar: Wir stehen zu unseren anspruchsvollen Zielen für einen schnelleren Übergang in
das Zeitalter der erneuerbaren Energien.
Wir wollen den Übergang in das Zeitalter der Erneuerbaren nicht nur möglichst schnell, sondern für die Bürger auch möglichst günstig erreichen. Christian Ruck hat
schon darauf hingewiesen. Wichtiger Indikator für die
Kostenentwicklung der erneuerbaren Energien ist die
EEG-Umlage, sind also die Mehrkosten, die die Bürger
für die Erneuerbaren mit ihrer Stromrechnung zahlen
müssen. Unser Ziel ist es, die EEG-Umlage in der Größenordnung von 3,5 Cent pro Kilowattstunde zu halten.
Aber das Erreichen dieses Ziels ist kein Selbstläufer.
Eine aktuelle Prognose der Übertragungsnetzbetreiber geht für 2013 von einer weiter steigenden Kostenumlage für die erneuerbaren Energien aus. Danach werden
die Bürger mit der Stromrechnung im Jahr 2013 zwischen 3,66 und 4,74 Cent pro Kilowattstunde zusätzlich
für den Ausbau der erneuerbaren Energien zahlen. Man
kann zwar über Prognosen trefflich streiten, und der
Bundesumweltminister geht davon aus, dass die Kostenumlage zu hoch bemessen ist. Aber die Zahlen machen
deutlich, dass wir beim Ausbau stärker als bisher auf das
Kosten-Nutzen-Verhältnis achten müssen. Laufen uns
die Kosten für den Ausbau der erneuerbaren Energien
aus dem Ruder, dann laufen wir alle Gefahr, die Akzeptanz für die erneuerbaren Energien zu verlieren. Das
kann nicht in unserem Interesse sein.
Deshalb ist es unsere Aufgabe, die Kostenentwicklung ständig zu beobachten und gegebenenfalls die Einspeisevergütung für bestimmte Anlagen nachzujustieren.
({6})
Dieses Monitoring ist eine Daueraufgabe, auch jenseits
des dreijährigen EEG-Erfahrungsberichts, Herr Kelber.
({7})
Gerade auch nach Inkrafttreten des novellierten EEG im
Januar 2012 ist es wichtig, die Wirkungen der neuen Regelungen genau zu beobachten. Genau das haben wir in
der Koalition verabredet: die Fortsetzung eines kontinuierlichen Monitorings der Einspeisevergütungen und der
Wirkung der Mechanismen für eine stärkere Marktintegration der erneuerbaren Energien - nicht mehr und
nicht weniger.
Wer über Kostensenkungspotenziale bei den Erneuerbaren redet, der muss bei Forschung und Entwicklung
handeln. Wir haben gehandelt. Ein wichtiger Punkt im
Bereich der erneuerbaren Energien im Einzelplan 16 ist
die Erhöhung des Ansatzes für Forschung. Hierfür stehen im BMU-Haushalt für das Jahr 2012 insgesamt
149 Millionen Euro zur Verfügung. Dazu kommen
16 Millionen Euro aus dem Energie- und Klimafonds.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist und bleibt
ein Schwerpunkt unserer Politik. Allein im Haushalt des
BMU haben wir die Mittel für Forschung und Entwicklung um 20 Millionen Euro erhöht: 10 Millionen Euro
mehr als 2011 für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben und 10 Millionen Euro zusätzlich für Investitionszuschüsse.
Die Nutzung erneuerbarer Energien bezieht sich nicht
nur auf den Stromsektor. Auch im Bereich der Wärmeerzeugung werden wir zunehmend auf die Nutzung erneuerbarer Energien umsteigen. Um auch hier den Übergang zu beschleunigen, werden wir im nächsten Jahr das
Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz novellieren. Wir
werden weitere Anreize schaffen, um Investitionen in
Technologien in diesem Bereich zu initiieren.
Mit dem Marktanreizprogramm haben wir bereits ein
wirkungsvolles Förderinstrument, das im Jahr 2012 mit
250 Millionen Euro ausgestattet wird. Das ist auf den
ersten Blick weniger als im laufenden Jahr.
({8})
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass im Energie- und
Klimafonds weitere 100 Millionen Euro zur Verfügung
stehen. Somit kommen wir im nächsten Jahr auf
350 Millionen Euro.
Ich komme zum Schluss. In jedem Haushalt gibt es
Wünsche, die aber nicht erfüllt werden können, erst
recht nicht in Zeiten einer strikten Haushaltskonsolidierung. Wir haben zwar die Mittel für die KfW-Gebäudesanierungsprogramme auf 1,5 Milliarden Euro aufgestockt. Es ist aber aus meiner Sicht nicht akzeptabel,
dass wir beim Thema steuerliche Förderung der energetischen Wohngebäudesanierung bislang keinen gemeinsamen Weg mit den Ländern gefunden haben. Wir haben
hier noch enormes Potenzial.
Viele Bürger sind bereit, zu investieren. Es kann doch
nicht sein, dass alle über Kosten-Nutzen-Verhältnisse
von Klimaschutzmaßnahmen diskutieren und gerade die
preiswertesten Maßnahmen, nämlich die energetische
Sanierung der Gebäude, vom Bundesrat blockiert werden.
({9})
Ich fordere Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, auf, mitzuwirken. Der Bundesrat ist hier gefragt.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Nun haben wir übrigens über diesen wichtigen Einzeletat nicht 90 Minuten wie vereinbart, sondern gut
zwei Stunden diskutiert - wir hätten das sicherlich noch
fortsetzen können -, was hoffentlich beim Kollegen
Kampeter die Besorgnis ausräumt, es könne eine Verkürzung der vereinbarten Redezeiten angestrebt oder beabsichtigt sein.
({0})
- Eindrücke können offenkundig täuschen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die zum Einzelplan 16 vorliegenden Änderungsanträge. Zuerst stimmen wir über den Änderungsantrag der SPD auf
Drucksache 17/7793 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die fünf Änderungsanträge der Fraktion Die Linke. Zuerst stimmen
wir über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7801
ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7802. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7803. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Auch dafür gibt es keine Mehrheit.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 17/7804. Wer ist für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen schließlich zur Abstimmung über den
Änderungsantrag auf Drucksache 17/7805. Wer ist für
diesen Änderungsantrag? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Änderungsantrag hat keine
Mehrheit gefunden.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 16 in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dem Einzelplan in dieser
Fassung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist dieser Einzelplan mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 23. November
2011, 9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen für den verbleibenden Abend viel
Vergnügen. Schlafen Sie gut, und kommen Sie gut ausgeruht und gut gelaunt morgen früh wieder.
Die Sitzung ist geschlossen.