Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich
begrüße Sie herzlich zur 140. Sitzung des Deutschen
Bundestages.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Sie darauf
aufmerksam machen, dass die für heute verlangte
Aktuelle Stunde zu den Steuersenkungsplänen der Bundesregierung entgegen der Ankündigung nicht stattfindet. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat diesen Antrag zurückgezogen.
Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung
darauf verständigt, während der Haushaltsberatungen
in unserer nächsten Sitzungswoche ab dem 22. November, wie es unserer ständigen Übung entspricht, keine
Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und
keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Darf ich hierzu
Ihr Einverständnis feststellen? - Das ist offensichtlich
der Fall. Dann können wir so verfahren.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 sowie die Zusatzpunkte 8 bis 10 auf:
28 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Effektive Regulierung der Finanzmärkte nach
der Finanzkrise
- Drucksachen 17/6313, 17/7250 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Björn Sänger
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausPeter Flosbach, Dr. Michael Meister, Peter
Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing,
Dr. Hermann Otto Solms, Björn Sänger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ratingagenturen besser regulieren
- Drucksache 17/7638 ZP 9 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Neuer Anlauf zur Finanzmarktregulierung erforderlich
- Drucksache 17/7641 ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick, Fritz Kuhn, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Einsetzung einer Kommission des Deutschen
Bundestages zur Regulierung der Großbanken
- Drucksachen 17/7359, 17/7665 Berichterstattung:
Abgeordnete Björn Sänger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Also verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Flosbach für die CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben in den letzten drei, vier Jahren drei Krisen nacheinander erlebt: zunächst eine Bankenkrise, dann eine
Weltwirtschaftskrise und anschließend eine Staatsschuldenkrise. Wir können heute im Jahr 2011 festhalten: Wir
sind froh darüber, dass wir diese Bundesregierung haben, die mit weiteren Stabilitätsmaßnahmen entschlossen diese Krise angeht. Sie wird zwar nicht von der Opposition, aber von ausländischen Besuchern immer
wieder als der Stabilitätsanker, als die Stabilitätsgarantie
in Europa angesehen. Deswegen ein Dank an die Bundesregierung.
({0})
Das war nicht immer so. Gerade in den Jahren von
2002 bis 2005 wurde Deutschland gemeinsam mit
Frankreich immer als Defizitsünder bezeichnet. Damals
wurde vier Jahre in Folge der Stabilitätspakt gebrochen;
das ist nach wie vor verheerend. Die heutige Staatsschuldenkrise ist nicht denkbar ohne das Verhalten von RotGrün in jenen Jahren. Das wird Ihnen noch lange anhängen.
({1})
2005 ist Angela Merkel Bundeskanzlerin geworden.
Gemeinsam mit dem damaligen Koalitionspartner SPD
wurde geplant, dass bis 2010/2011 ein Haushaltsausgleich erfolgen soll. Das war der richtige Weg. Dann
kam es im Jahr 2007 zur Schieflage der IKB, der Industriekreditbank; ein Jahr später wurde durch den Zusammenbruch von Lehman Brothers eine Finanzkrise ausgelöst, die alle Kräfte gefordert hat. An den Märkten
wurden immer größere Risiken eingegangen. Es wurde
nicht mehr nachhaltig finanziert. Kurzfristige und langfristige Finanzierungen wurden gegeneinander ausgetauscht, und damit wurden enorme Risiken ausgelöst.
Gerade der Handel mit Wertpapieren hat zu der Erkenntnis geführt, dass nicht länger von nachhaltigen Wertpapieren gesprochen werden konnte, sondern von Schrottpapieren gesprochen werden musste. Dabei denke ich an
die Hypo Real Estate und auch an die Landesbanken.
Vor zwei Jahren ist die christliche und liberale Koalition an die Regierung gekommen.
({2})
Seitdem halten wir an dem Grundsatz fest, dass kein
Markt, kein Produkt und auch kein Akteur unreguliert an
den Finanzmärkten agieren soll. Was wir in diesen zwei
Jahren erreicht haben, ist deutlich mehr als das, was die
SPD unter Führung eines SPD-Finanzministers in elf
Jahren erreicht hat.
({3})
Gestern hat die Bundesbank ihren Stabilitätsbericht
vorgelegt. Darin hat sie deutlich gemacht, dass die
Schuldenbremse eines der entscheidenden Merkmale ist,
das - nachdem es in Deutschland etabliert wurde - auch
in anderen europäischen Ländern eingeführt werden
muss.
Seit Beginn der Finanzkrise haben wir immer einen
besonders hohen Wert auf eine nachhaltige Eigenkapitalunterlegung bei Banken gelegt. Eigenkapital ist das
wichtigste Instrument, um Verluste auszugleichen und
um widerstandsfähig zu sein. Sowohl der Euro-Gipfel
als auch der Europäische Rat haben deutlich gemacht,
dass die 100 größten europäischen Banken - darunter die
13 größten deutschen Banken - deutlich intensiver mit
Eigenkapital unterlegt werden müssen. Die Bundesbank
hat gestern festgehalten, dass die Eigenkapitalquote der
13 größten deutschen Banken von 2008 bis 2011 von
8,1 Prozent auf 13,1 Prozent angehoben wurde. Auch
der Gipfel in Cannes in der letzten Woche hat noch einmal deutlich gemacht, dass die großen systemischen
Banken deutlich mehr Eigenkapital unterlegen müssen.
Man fordert zusätzlich 1,5 Prozentpunkte Kernkapital.
Das ist wichtig; denn es ist von entscheidender Bedeutung für die Stabilisierung der Finanzmärkte.
Dennoch wissen wir natürlich nicht, was in den
nächsten Jahren auf uns zukommen wird. Wir können
nicht in die Zukunft blicken. Die Koalition war jedoch in
Europa wegweisend auf dem Gebiet der Abwicklung
oder Restrukturierung von Banken, die in Schieflage geraten. Dazu haben wir das sogenannte Restrukturierungsgesetz umgesetzt. Das heißt: Wir können Banken
umbauen, wir können sie retten, aber wir können sie
auch abwickeln. Wichtig ist, dass die Aufsicht deutlich
mehr Eingriffsrechte erhält. Auch hier sind wir mit dieser Koalition in Europa wieder führend, wenn es darum
geht, die Umsetzung dieser Maßnahme auch von den anderen Ländern zu fordern.
Wir beschäftigen uns seit einigen Jahren sehr intensiv
mit den Aufsichtssystemen. Es gibt inzwischen ein
neues europäisches Aufsichtssystem, nämlich einen
Ausschuss für Systemrisiken. Auch die Bereiche Banken, Versicherungen und Wertpapiere stehen unter einer
anderen Form der Beobachtung.
Im Bereich der Ratingagenturen haben wir über die
europäische Wertpapieraufsichtsbehörde erstmals eine
Kontrolle eingeführt. Am Montag fand ein Finanzkongress zum Thema Ratingagenturen statt. Herr Sanio als
Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat deutlich gemacht, dass es hier nach wie vor
zu wenig Regulierung gibt. Wenn wir weltweit nur drei
große Ratingagenturen haben, dann müssen sie genauso
wie die großen systemischen Banken behandelt werden
und einer deutlich schärferen Kontrolle unterliegen.
({4})
In der letzten Nacht haben wir einen Skandal erlebt:
Standard & Poor’s hat Frankreich aufgrund eines Irrtums, wie es heißt, für zwei Stunden herabgestuft, natürlich gefolgt von den entsprechenden Verwerfungen an
den Märkten. Wir von der Union und auch von der Koalition haben deutlich gemacht, dass wir in diesem Bereich eine deutliche Verschärfung brauchen. Wir brauchen ein größeres internes Rating bei den Banken, nicht
nur das externe Rating der Ratingagenturen. Wir sollten
uns auch intensiv mit dem Thema der Haftung von Ratingagenturen beschäftigen. Im geschilderten Fall ist
grob fahrlässig gehandelt worden. Wir brauchen bei grob
fahrlässigem Verhalten oder bei Vorsatz der Ratingagenturen eine klare Haftung.
({5})
Es wird gerne argumentiert, dass viele Probleme eigentlich nur international zu lösen sind. Aber ich denke,
wer hier in Europa am Finanzmarkt tätig werden will,
der muss sich an die europäischen Regeln halten; wer
hier in Deutschland tätig werden will, der muss sich an
die deutschen Regeln halten. Wir sind kritisiert und teilweise belächelt worden, als wir das Verbot ungedeckter
Leerverkäufe durchgesetzt haben. Es hat für kurze Zeit
auch unter dem SPD-Finanzminister ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe gegeben; aber wir sind weiter
gegangen: Wir haben ein Verbot des Handels mit ungedeckten Leerverkäufen ausgesprochen - hochspekulative Wetten auf fallende Kurse von Wertpapieren, ohne
dass sie im Eigentum sind -, und zwar nicht nur bei Aktien, sondern auch bei Staatsanleihen und Kreditversicherungen. Auch das war ein Alleingang von uns; aber
wir sind sehr froh, dass der Europäische Rat, die Europäische Kommission und auch das Europäische Parlament dies inzwischen übernommen haben. Ich kann nur
sagen: Hier sieht man deutlich, wie viel Mut und Weitsicht diese Bundesregierung gezeigt hat.
({6})
Meine Damen und Herren, wir können eine ganze
Liste weiterer regulierender Maßnahmen ansprechen,
die in der Zwischenzeit ergriffen worden sind, ob es die
Durchsetzung transparenter Vergütungssysteme und einer langfristigen Ausrichtung der Vergütungen bei Finanzinstituten oder die Einführung eines Selbstbehalts
der Banken von 5 Prozent oder demnächst 10 Prozent
bei Verbriefungen, beim Weiterverkauf von Krediten, ist.
Wir haben beim Anlegerschutz - mit dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz - und auch bei den Finanzvermittlern und den Vermögensanlagen deutliche Verschärfungen durchgeführt. Mein Kollege Brinkhaus
bezeichnet das, was wir hier durchgeführt haben, immer
als „Quantensprung im Verbraucherschutz“.
Dennoch wird es wichtig sein, auf internationaler
Ebene sehr intensiv zusammenzuarbeiten. Das größte
Problem - das ist auch in Cannes deutlich geworden sind die Schattenbanken, der unregulierte Bereich am Finanzmarkt. Es heißt, in Deutschland seien etwa 10 Prozent des Finanzmarktes unreguliert. Hier werden wir in
wenigen Wochen mit dem Gesetz gegen die Geldwäsche
einen weiteren entscheidenden Schritt tun. Es ist aber
auch sehr wichtig, dass wir die anderen Länder betrachten. Beispielsweise spricht man im Falle der USA von
einem unregulierten Markt, der größer ist als der regulierte Markt.
Wir müssen sehen, was wir kurzfristig in Europa zu
erledigen haben. Der wichtigste Punkt ist meines Erachtens der außerbörsliche Derivatehandel, der auf die Plattformen der Börsen gebracht werden muss.
Wir sollten bei all diesen Maßnahmen immer beachten: Was muten wir dem regulierten Markt zu? Was muten wir den anderen zu? Der regulierte Markt, gerade der
Bankenbereich, wird jetzt durch die höheren Eigenkapitalforderungen belastet; das brauchen wir aber. Wir belasten die Banken auch mit der Bankenabgabe. Wir stehen zur Finanztransaktionsteuer, die wir umsetzen
wollen, auch wenn es hier noch Widerstände gibt,
({7})
nicht nur im internationalen Bereich - ich denke an die
USA und Großbritannien -, sondern auch in anderen europäischen Staaten wie beispielsweise den Niederlanden.
Frau Lautenschläger-Peiter hat gestern in einer Pressemitteilung geäußert, dass sie keinerlei Hoffnung hat,
dass ein Trennbankensystem in Deutschland irgendein
Problem lösen werde.
Herr Kollege!
Ich komme zum Ende, Herr Präsident. - Ich bitte Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, nicht mit der
Holzhammermethode an dieses Thema heranzugehen.
({0})
Wir werden sicherlich viele Ihrer angesprochenen Fragen aufgreifen. Aber Ihr heutiger Antrag enthält im Wesentlichen die Maßnahmen, die wir in den letzten zwei
Jahren umgesetzt haben,
({1})
die wir auf der Tagesordnung haben und die derzeit auf
den internationalen Konferenzen gemeinsam behandelt
werden.
Vielen Dank.
({2})
Peer Steinbrück ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es mutete rührend bis hilflos an, Herr Flosbach, wie
Sie hier versucht haben, Geschichtsklitterung zu betreiben. Es war eine rot-grüne Bundesregierung, die als erste
in den internationalen Gremien das Thema der Finanzmarktregulierung aufgegriffen hat, vor allen Dingen in
Gleneagles.
({0})
Es war eine Große Koalition, die dieses Thema sehr viel
ehrgeiziger, insbesondere während der deutschen EURatspräsidentschaft und der G-7-Präsidentschaft, vorangetrieben hat. Demgegenüber nimmt sich die Bilanz Ihrer Koalition in den letzten zwei Jahren ziemlich dünn
aus - das war wenig ehrgeizig.
({1})
Der Antrag, den Sie vorgelegt haben, lässt sich an Inhaltslosigkeit nicht übertreffen. Er steht in absolutem
Gegensatz zu dem Selbstlob, das Sie hier verteilt haben.
({2})
Wenn ich Ihren Antrag lese, komme ich zu dem Schluss,
dass er dem Muster folgt: Eine gute Grundlage ist die
beste Voraussetzung für eine solide Basis. - Das ist alles,
was Sie sagen.
({3})
Jede Übertreibung, jeder Exzess, jede Maßlosigkeit
schafft sich eine Gegenbewegung. Diese Gegenbewegung können wir zunehmend öffentlich durch die derzeitigen Demonstrationen beobachten. Diese Gegenbewegung, diese Demonstrationen sind die Reaktion darauf,
dass die Zustände auf den Finanzmärkten Exzesse hervorgebracht und viele Gesellschaften sowie viele Länder
an den Abgrund herangeführt haben. Diese Gegenbewegung, diese Demonstrationen vieler Menschen sowie ihre
Nervosität und Unruhe sind Belege dafür, dass sie Vertrauen in die Gestaltungs- und Steuerungsfähigkeit von
Politik verloren haben. Deshalb ist das Thema der Finanzmarktregulierung so bedeutend, nämlich zunächst,
um den Gestaltungsanspruch für die Politik zurückzugewinnen und damit wieder Vertrauen bei den Menschen zu
gewinnen. Über diesen gesellschaftlich-politischen Stellenwert hinaus hat es auch einen ökonomisch-finanziellen; denn mit Blick auf den jetzigen Stand der Finanzmarktregulierung sage ich Ihnen voraus, dass eine
Wiederholung dieser Exzesse überhaupt nicht ausgeschlossen ist.
Das Paradigma der Deregulierung ist gescheitert.
Mindestens eine Fraktion sitzt in diesem Saal, die dem
Paradigma der Deregulierung in ordnungspolitischer
Versessenheit gefolgt ist: die FDP.
({4})
Sie haben die Monstranz der Deregulierung, der Entfesselung der Märkte und der Marktradikalität - der Markt
wird alles richten - vor sich hergetragen; dies hat zu einem Exzess geführt. Sie haben alle Gesetze abgelehnt,
die mein Vorgänger zur Finanzmarktregulierung eingebracht hat - und zwar nicht, weil Ihnen dies zu wenig
Regulierung gewesen ist, sondern Sie haben all diese
Gesetze abgelehnt, weil Ihnen dies zu viel Regulierung
gewesen ist.
({5})
Sie haben mich noch kritisiert, als ich auf der Regierungsbank saß - auch bei den jüngsten Maßnahmen, als
es zum Beispiel um die Real Estate Investment Trusts
ging, also um die Zuführung von Immobilien zur Tätigkeit von Investoren. Sie haben mich kritisiert, weil ich
die Wohnimmobilien ausgenommen und dies nur auf die
Gewerbeimmobilien bezogen habe.
({6})
Ihre Vorstellung eines Ordnungsmodells ist spätestens
durch diese Finanzkrise massiv gescheitert.
({7})
Dass Sie sich jetzt als Sachwalter der Finanzmarktregulierung aufspielen, ist, höflich gesprochen, eine ziemliche Chuzpe. Mit härteren politischen Bandagen ausgedrückt: Es ist eine nackte Unverschämtheit.
({8})
Festzustellen, dass etwas zu dieser Finanzmarktkrise
geführt hat, das auch staatlich induziert war und über ein
politisches Versagen führte, nämlich die Verschuldung
von Staaten, ist richtig. Die Verschuldungskrise hat übrigens vor der Finanzmarktkrise begonnen, ist aber durch
das beschleunigt worden, was wir in den letzten drei bis
vier Jahren erlebt haben. Aber wie man in dieser Situation, in der wir über eine Verschuldungskrise reden, in
Deutschland Steuergeschenke in Höhe von 6 Milliarden
Euro auf Pump verteilen kann und das Land damit noch
weiter in die Verschuldung treibt - die Umsetzung Ihrer
Vorschläge wird jährlich zu zusätzlichen Zinszahlungen
in Höhe von 180 Millionen Euro führen -, während die
Vergünstigung, die bei den Bürgern ankommt, gerade
einmal den Wert zweier Tassen Kaffee hat, müssen Sie
mir erklären.
({9})
Herr Kollege Steinbrück, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schick zu?
Sehr gerne.
({0})
- Das glaube ich nicht.
Herr Steinbrück, ich stimme Ihnen völlig zu,
({0})
dass die Kritik vonseiten der CDU/CSU und der FDP
scheinheilig ist. Ich möchte Sie aber trotzdem fragen,
warum Sie als Bundesfinanzminister noch im Krisenjahr
2008 mit dem Verweis auf das Vorbild London eine Ausweitung des deutschen Finanzsektors für richtig empfunden haben, warum Sie in Ihrer Amtszeit die Regulierung
von Zertifikaten zum Beispiel von Lehman Brothers, die
manchen Menschen Verluste gebracht haben, und die
Regulierung von geschlossenen Fonds und anderen Produkten des grauen Kapitalmarktes explizit abgelehnt haben, wie Sie heute zu diesen Forderungen stehen und
warum sich in Ihrer Amtszeit die West-LB massiv mit
Geld vollgepumpt hat und schwierige Investments getätigt hat, die heute in einer Bad Bank abgewickelt werden
müssen.
({1})
Nein, da war ich nicht Ministerpräsident. Wir wollen
hier keine Geschichtsklitterung betreiben, nur weil das
für Sie bequem ist.
Was die West-LB betrifft: Die West-LB hat sich ab
Juli 2005, nach dem Wegfall der beiden Staatsgarantien
Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, mit solchen Produkten vollgepumpt. Da hieß der Ministerpräsident
Rüttgers.
({0})
Bezogen auf Ihre anderen Hinweise, ist mir nicht
ganz klar, worauf Sie konkret abheben.
({1})
Es ist richtig - diesen Schuh ziehe ich mir gerne an -,
dass wir uns vor dem Hintergrund des anglo-amerikanischen Konkurrenzmusters der Finanzmärkte auch in
Deutschland - selbstkritisch gesehen - zu früh und zu
weitgehend dem Muster einer deregulierten Finanzmarktwelt ergeben haben. Dies ist zuzugeben. Abgesehen davon hat es auch zu meiner Zeit keinen Sinn gemacht, nur auf nationalstaatliche Reichweite bezogene
Instrumente einzusetzen, weil man wusste, dass das sofort zu Ausweichmanövern an anderen Finanzmarktstandorten in Europa führen würde. Ich habe keine
Mühe, zuzugeben, dass es aufgrund der Entwicklung ab
2007 einen Lerneffekt gegeben hat. Bezogen auf die
heutige Debatte frage ich mich allerdings: Wie weit gehen die Lerneffekte bei Ihnen, und wie weit gehen die
Lerneffekte bei uns?
({2})
Mit Blick auf die Finanzmarktregulierung ist festzustellen, dass es durchaus eine Reihe von Fortschritten
gegeben hat - das will ich gar nicht in Abrede stellen -,
insbesondere über die Gesetzgebung der Europäischen
Union, übrigens maßgeblich angelegt in Zeiten der Großen Koalition. Aber das reicht nicht. Das wesentliche
Prinzip, welches die Bundeskanzlerin übrigens jüngst zitiert hat, nämlich das auf den ersten beiden Finanzgipfeln entwickelte Prinzip, dass jedes Finanzmarktprodukt,
jeder Finanzmarktteilnehmer und jeder einzelne Finanzmarkt einer Regulierung und Aufsicht unterworfen werden soll, ist bisher nicht umgesetzt worden. Wir haben
- noch einmal selbstkritisch gesprochen - das sehr günstige Fenster zwischen dem Herbst 2008 und dem Frühjahr 2009 für eine ehrgeizigere, massivere Finanzmarktregulierung nicht genutzt - weder Sie noch wir.
({3})
Deshalb sind weitere Schritte erforderlich.
Wenn ich mir angucke, wie harmlos und zahnlos der
Antrag der CDU/CSU ist, dann habe ich den Eindruck,
dass im SPD-Antrag die Ziele stehen,
({4})
die, wie ich glaube, sehr viel ehrgeiziger angestrebt werden müssen. Ich halte es für richtig, dass wir zu einer
Trennung von Geschäftsbanken, Kreditbanken und Investmentbanken sowie Schattenbanken kommen. Herr
Flosbach, das Argument, dass dadurch Finanzkrisen nicht
abgewendet werden können, ist deshalb völlig abwegig,
weil das niemand behauptet. Wir behaupten aber, dass wir
endlich eine Wechselwirkung zwischen Risiko und Ertrag, zwischen den klassischen Kreditbanken und den
hochspekulativ tätigen Investmentbanken herstellen
müssen. Wir müssen diesem System durch eine solche
Trennung quasi den Treibstoff für riskante und spekulative Geschäfte entziehen.
({5})
Das hat schon funktioniert, jedenfalls teilweise. In
den USA hat das bis 1998 auf der Grundlage eines Gesetzes aus den alten Zeiten von Herrn Roosevelt funktioniert, dem Glass-Steagall-Act von 1933, der 1998 aufgelöst worden ist.
({6})
Wenn Sie sich historisch vergegenwärtigen, wann die
Übertreibungen begonnen haben, dann kommen wir
ziemlich genau auf den Zeitpunkt Ende der 90er-Jahre,
als Deregulierungsarien gesungen worden sind, auch vor
dem Hintergrund, dass damals Investmentbanken mit
den Einlagen der Kreditbanken, die ihnen zugeordnet
waren, spekulieren konnten.
({7})
- Lehman ist ein anderer Fall.
({8})
- Entschuldigen Sie bitte, es gab vorher andere Fälle. Es
behauptet niemand, dass das Trennbankensystem die allein selig machende Lösung ist.
({9})
- Was regen Sie sich denn künstlich auf! Das ist doch lächerlich. Ich sage nur: Das ist ein Baustein, den wir für
die Regulierung brauchen.
({10})
Ich nenne Ihnen weitere Bausteine. Ich glaube, dass
der Handel von Derivaten und Rohstoffen nur noch über
transparente Handelsplattformen abgewickelt werden
sollte.
({11})
Ich glaube, dass die sogenannten Over-the-Counter-Geschäfte verboten werden müssen. Es kann nicht sein, dass
wir derzeit ein globales Volumen an Derivaten in Höhe
von 600 Billionen US-Dollar jährlich haben - Derivate
sind Wetten auf zukünftige Preise, um das umgangssprachlich zu formulieren; Sie können auf Schweinehälften, Nickel, Gold oder Devisen wetten -, die jährliche
Wirtschaftsleistung der Welt, also der Wert der hergestellten Produkte und der Dienstleistungen, hat demgegenüber aber nur ein Volumen von 60 Billionen US-Dollar
jährlich. Das heißt, die monetäre Welt hat sich um den
Faktor 10 von der realen Welt getrennt. Da wollen Sie
nicht ran.
({12})
- Von Ihnen kommt doch kein Vorschlag.
Ich bin dafür, dass Banken nicht mit Rohstoffen handeln dürfen.
({13})
Ich bin dafür, dass sie Rohstoffe nicht lagern dürfen.
({14})
- Merkwürdig, Ihre Nervosität gibt zu erkennen, dass
Sie getroffen sind.
({15})
Ihre ganze Nervosität ist der Tatsache geschuldet, dass
Sie noch immer keine konkreten Vorstellungen haben.
Ihr Antrag bewahrheitet das. Das merke ich, wenn ich
ihn lese. Da steht nichts Konkretes drin.
Ich bin dafür, dass der Handel mit Kreditversicherungsscheinen für diejenigen verboten wird, die sich gar
nicht gegen einen konkreten Kreditausfall versichern.
Das, was dort passiert, ist grotesk. Um auch das umgangssprachlich zu formulieren: Das ist so, als würden
Sie die Ansprüche aus einer Gebäudeversicherung gegen
Brand - viele von denen, die uns zuhören, haben eine
Gebäudeversicherung gegen Brand - verkaufen. Die
Käufer haben ein Interesse daran, dass das Haus abbrennt, weil sie dann Geld verdienen, weil sie dann das
Geld von der Versicherung ausgezahlt bekommen. So ist
das auch bei Kreditversicherungsscheinen. Die Leute haben Kreditversicherungsscheine, wollen sich aber gar
nicht gegen einen konkreten Kreditausfall versichern.
({16})
Wir stehen vor einem entscheidenden Schritt. Wir
dürfen uns nicht länger von dem Killerargument beeindrucken lassen, man müsse die Finanzmarktregulierung
im G-20-Kreis oder im Kreis der EU der 27 durchsetzen.
({17})
Wir sind jetzt aufgefordert, mit dem Gewicht der Bundesrepublik Deutschland und vor dem Hintergrund der
konkreten Leistungen, die wir im Augenblick zur Stabilisierung Europas erbringen, im Kreis der Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion mit Maßnahmen
zur Finanzmarktstabilisierung zu beginnen.
({18})
Die Bundesregierung hat dazu bisher nichts Substanzielles vorgelegt. Das mache ich ihr massiv zum Vorwurf.
({19})
Ich sage Ihnen voraus: Diese Krise kann sehr viel
mehr als Geld kosten. Sie kann das Vertrauen in unsere
demokratische und soziale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung kosten. Es kann sein, dass Menschen
sich abwenden, weil sie den Eindruck haben, dass die
Politik nur noch getrieben und erpressbar ist.
({20})
All Ihre Hinweise weisen darauf hin, dass man sich Ihrer
Meinung nach erpressen lassen muss. Das Motto „Too
big to fail“ bedeutet doch: Du musst alle Banken stabilisieren. Herr Flosbach, um auch das einmal richtigzustellen: Das Restrukturierungsgesetz geht maßgeblich auf
Vorarbeiten aus der Zeit der Großen Koalition zurück.
({21})
Das waren Frau Zypries und ich.
({22})
Die Politik muss die Steuerungsfähigkeit zurückgewinnen und deshalb mit großem Ehrgeiz an die Verbesserung der Regulierung und der Aufsicht von Finanzmärkten herangehen. Wir dürfen uns nicht erpressen
lassen, weder von Ratingagenturen noch von großen
Banken noch durch die Drohung mit einem Standorthopping nach dem Motto: Sonst wandern wir ab.
({23})
Wir dürfen uns auch nicht von der Überlegung, dass Kapital scheu wie ein Reh ist, beeindrucken lassen; denn
auch dadurch können wir erpresst werden, auf die Forderungen der Lobbyisten einzugehen, die an dieser Finanzmarktregulierung kein Interesse haben.
Wenn eine globale Finanzmarktregulierung im Rahmen der G-20-Staaten blockiert wird oder wir sie gegenüber dem Finanzstandort London nicht durchsetzen können, dann müssen wir im Nahbereich der Europäischen
Währungsunion damit anfangen.
({24})
Darauf müssen wir uns konzentrieren. Hier erwarten wir
deutlich mehr, als die Bundesregierung bisher vorgelegt
hat.
({25})
Der Kollege Volker Wissing ist der nächste Redner
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal zu Ihnen, Herr Kollege Steinbrück: Die
heftigen Zwischenrufe der Kolleginnen und Kollegen
({0})
während Ihrer Rede hatten nichts damit zu tun, dass hier
jemand nervös war. Das hatte etwas mit einem Satz zu
tun, den Sie hier selbst gesagt haben: Jede Maßlosigkeit
schafft sich eine Gegenbewegung.
({1})
Man fragt sich ernsthaft, weshalb ausgerechnet Sie
sich hier hinstellen, als Sozialdemokrat und als sozialdemokratischer Finanzminister a. D., der nichts von all
dem, was Sie heute fordern, auf den Weg gebracht hat.
({2})
Sie haben damals nichts von dem, was Sie zusätzlich zu
dem, was wir umgesetzt haben, fordern, auch nur ansatzweise gefordert. Es mag vielleicht den einen oder anderen in den Reihen der Sozialdemokraten geben, der hier
glaubwürdig über Finanzmarktregulierung reden kann,
aber Sie, Herr Steinbrück, können es nicht.
({3})
Da Sie sich in den letzten Monaten so gerne auf Meinungsforschungsinstitute bezogen haben und auch mit
Häme auf andere blicken, möchte ich einmal zitieren,
was das Meinungsforschungsinstitut Forsa über Sie,
Herr Steinbrück, ermittelt hat. Es sind drei wesentliche
Punkte.
({4})
Erstens. Er wird überhaupt nicht der SPD zugerechnet. - Das wundert einen nicht; denn in Regierungsverantwortung haben Sie nichts von dem umgesetzt, was
die SPD heute an Finanzmarktregulierung fordert.
({5})
Sie haben keine Finanzmarktsteuer eingeführt, Sie haben
auch keine Vermögensteuer eingeführt, und Finanzmarktregulierung haben Sie eher in die andere Richtung
betrieben. Deswegen glaubt Ihnen kein Mensch, dass Sie
hier ernsthaft sozialdemokratische Politik vertreten können.
({6})
Zweitens. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat
über Herrn Steinbrück ermittelt: Der Mittelstand hat
Steinbrück die ganzen Verschlimmerungen im Steuerrecht nicht vergessen. - Auch das kann ich nachvollziehen. Sie lagen mit Ihrer Steuerpolitik in allen Punkten
falsch. Wir mussten dies korrigieren,
({7})
weil Sie das Land mit Ihrer verfehlten Hinzurechnungsbesteuerung, Zinsschranke und dem ganzen Zeug tiefer
in die Krise geführt hätten.
({8})
Drittens. Da Sie sich mit Ihrem durchaus erstaunlichen Selbstbewusstsein hier heute hingestellt haben,
möchte ich Ihnen den dritten Punkt nicht ersparen. Herr
Güllner vom Institut Forsa sagt: Peer Steinbrück wurde
in der Krise als Hilfsreferent und nicht als Krisenlöser
wahrgenommen. - Wie wahr.
({9})
Wir können uns noch an dieses Herumschwadronieren
erinnern.
({10})
Als die HRE noch börsennotiert war, da sprach er von
Abwicklung und davon, dass sie plattgemacht wird. Die
Rettung der Hypo Real Estate war nicht Peer Steinbrück
zu verdanken, sondern der Kommunikation der Bundeskanzlerin mit den Banken. Peer Steinbrück war nicht
einmal anwesend, als sich die Rettungsnacht zuspitzte.
Als Berichte der Bankenaufsicht bei Ihnen in Ihrem
Ministerium eingingen, Herr Steinbrück, haben Sie sie
nicht einmal gelesen. Sie wussten gar nicht, was an den
Finanzmärkten tatsächlich läuft. Deswegen lagen Sie mit
Ihrer Regulierungspolitik vollkommen daneben.
({11})
Wenn Sie von Lerneffekten sprechen, dann hat das etwas
Komisches.
Ich möchte jetzt auf Ihre Vorgänger eingehen. Sie waren nicht der erste sozialdemokratische Finanzminister,
der sich rückwirkend gerne als Finanzmarktregulierer
darstellt. Hans Eichel, Ihr Vorgänger, sagte bei einer Tagung im Jahr 2003: „Hedgefonds sollen gegenüber herkömmlichen Investmentfonds nicht mehr diskriminiert
werden.“
({12})
Das sagte Ihr sozialdemokratischer Vorgänger Hans
Eichel. Das war sozialdemokratische Realfinanzpolitik.
Das ist nicht das, was Sie der Öffentlichkeit heute an
wahrheitswidriger Geschichtsklitterung erzählen.
({13})
Sie haben von den segensreichen Verbriefungsmärkten geschwärmt. Es gibt einen Antrag von SPD und Grünen vom 7. Mai 2003, Drucksache 15/930; vielleicht
möchte das jemand nachlesen. In diesem Antrag haben
Sie geschrieben, man brauche jetzt „weitere Maßnahmen
zur Schaffung eines leistungsfähigen, internationalen
wettbewerbsfähigen Verbriefungsmarktes in Deutschland“.
({14})
Das war reale sozialdemokratische Finanzpolitik. Das
hat nichts mit der Regulierung der Finanzmärkte zu tun.
Wovon reden Sie denn?
({15})
Sie haben doch alles auf den Weg gebracht, was wir
heute wieder rückgängig machen müssen. Wir sind die
Koalition,
({16})
die die Finanzmärkte reguliert. Wir haben den Verbriefungsmarkt reguliert. In Deutschland gibt es den höchsten Selbstbehalt bei Verbriefungen. Das haben wir
durchgesetzt. Es gibt in Deutschland ein Verbot von
Leerverkäufen. Das haben wir durchgesetzt.
({17})
- Sie haben das temporär mit angezogener Handbremse
gemacht.
({18})
Sie haben mit angezogener Handbremse reguliert, und
dort, wo Sie Hedgefonds zulassen konnten, haben Sie es
getan.
Herr Steinbrück, Sie werden Ihre Verantwortung für
das, was Sie in Regierungsverantwortung getan haben,
nicht los. Sie können tun, was Sie wollen, Sie werden es
nicht los. Deswegen werden Sie nicht glaubwürdig das
vertreten können, was Ihre Genossinnen und Genossen
gerne hätten; denn Sie haben das Gegenteil gemacht.
Das wird Ihnen immer anhaften, Herr Steinbrück.
({19})
Die Bürgerinnen und Bürger sind bei dieser christlich-liberalen Koalition in guten Händen. Wir haben all
die Dinge auf den Weg gebracht, die notwendig sind.
Wir bleiben dabei nicht stehen. Der Bundesfinanzminister verhandelt mit vollem Engagement auf internationaler Ebene. So, wie Herr Steinbrück es den Deutschen
hinterlassen hat, konnte es nicht bleiben. Deswegen sagt
die FDP: Wir müssen mit Maß und Ziel verhandeln, aber
immer das richtige Ziel vor Augen haben.
({20})
Deswegen sagen wir auch: Ja, eine Finanzmarktsteuer
kann kommen. Aber sie darf nicht zulasten des regulierten deutschen Marktes gehen. Wir haben die Finanzmärkte in Deutschland nicht reguliert, damit die Finanztransaktionen nach Großbritannien oder Singapur
abwandern. Wenn wir regulieren, dann wollen wir auch,
dass der regulierte Markt in Deutschland funktioniert.
Auch das ist etwas, das wir den Bürgerinnen und Bürgern als Beweis schuldig sind. Deswegen wird hier weiter mit Maß und Ziel international verhandelt.
Vieles, was Sie nicht in Angriff nehmen wollten, haben wir in Angriff genommen. Ein Beispiel ist das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz.
({21})
Auch hier haben Sie nichts erreicht, weil Sie überhaupt
nicht die Fähigkeiten besitzen, um sich international
durchzusetzen. Sie formulieren nur irgendwelche merkwürdigen Drohungen;
({22})
ich erinnere nur an Ihre Aussage mit der „Kavallerie in
Fort Yuma“.
({23})
Sonst haben Sie nichts erreicht. All diese Dinge haben
wir auf den Weg gebracht. Deutschland steht heute mit
einem wesentlich besser regulierten Finanzmarkt da als
zu Ihrer Zeit und als zu rot-grüner Zeit. Darauf sind wir
auch ein Stück weit stolz. Aber wir ruhen uns darauf
nicht aus.
({24})
Wir arbeiten weiter daran,
({25})
weil wir der festen Überzeugung sind, dass an den Finanzmärkten wieder das Prinzip, dass diejenigen, die Risiken eingehen, auch haften, gelten muss. Das setzen wir
Schritt für Schritt um, und das ist gut für dieses Land.
Das bringt Stabilität in die Märkte. Deutschland könnte
sich eine weitere Ära sozialdemokratischen Versagens in
der Finanzpolitik schlicht und einfach nicht leisten. Wir
müssen heute die Scherben dieser verfehlten, irrgeleiteten sozialdemokratischen Politik zusammenkehren.
({26})
Das ist ein großer Aufwand; aber wir leisten das.
Herr Kollege.
Ich finde, wir sind sehr gut vorangekommen. Ein
herzliches Dankeschön für das Verhandlungsgeschick
der Bundesregierung! Die sie tragenden Fraktionen unterstützen sie, wo sie können.
({0})
Das Wort erhält nun der Kollege Richard Pitterle für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ratingagenturen werden neben
Hedgefonds und Heuschrecken am häufigsten genannt,
wenn über die Finanzkrise gesprochen wird. Ratingagenturen sind bekanntlich private Unternehmen, die nichts
anderes machen, als die Kreditwürdigkeit von Unternehmen aller Branchen sowie von Staaten zu bewerten. Damit verdienen sie selbst viel Geld. Die Agenturen fassen
das Ergebnis ihrer Untersuchung in einer Buchstabenkombination zusammen, die in der Regel von AAA
- beste Qualität - bis D - zahlungsunfähig - reicht. Der
Wirtschaftsweise Peter Bofinger sagt - Zitat -:
Es ist eine Katastrophe, dass ({0}) Ratingagenturen über Wohl und Wehe von Ländern entscheiden.
Recht hat der Mann.
({1})
Die Regierungskoalition kritisiert im vorliegenden
Antrag, viele Marktteilnehmer orientierten sich mechanistisch, wie es da heißt, an externen Ratings. Warum ist
das so? Darf ich Sie daran erinnern, dass es zuallererst
die Aufsichtsbehörden sind, die sich und andere Marktteilnehmer von den Ratingagenturen abhängig machen?
Das betrifft die Kapitalpuffer von Banken als auch die
Anlagevorgaben für Versicherer. Bei beidem müssen Ratings von externen Agenturen beachtet werden. So haben
Sie es ins Gesetz geschrieben und dadurch den Ratingagenturen eine enorme Macht gegeben. Kein Wunder
also, dass Banken und Versicherungsgesellschaften die
Ratings der Agenturen bei ihren Investitionsentscheidungen zugrunde legen. Sie werden dazu verpflichtet.
Da liegt der Hund begraben.
({2})
Sie fordern die eigene Bundesregierung auf - ich zitiere -, „die Verknüpfung regulatorischer Vorgaben mit
externen Ratings zu vermindern“. Ihre Analyse der Situation scheint mir dann doch ein schwerer Fall von
Bewusstseinsstörung zu sein. In allen internationalen
Regulierungsvorschriften, sowohl in den neuen Eigenkapitalvorschriften für Banken, Basel II und im Nachfolger
Basel III, als auch bei der Versicherungsregulierung,
Solvency II, werden die Bewertungen der Agenturen
doch immer unersetzlicher.
Selbst die Europäische Zentralbank verlangt Ratings.
Für die Vergabe von Krediten an Geschäftsbanken will
sie Sicherheiten in Form von Wertpapieren, die gewisse
Mindeststandards erfüllen müssen. Einer dieser Mindeststandards - ich betone das „Mindest“ - ist ein externes Rating einer Ratingagentur. Die Ratingagenturen zu
entmachten, die selbst nach Einschätzung im Antrag der
Regierungskoalition für die Finanzkrise eine Mitverantwortung tragen, dazu fehlt Ihnen der Mut. Jetzt kommen
Sie mir nicht damit, dass viele der Vorschriften, die ich
erwähnt habe, aus Brüssel kommen. So ganz ohne Einfluss ist die Bundesregierung in Brüssel nicht.
({3})
Alles in allem stehen wir in Deutschland kein bisschen besser da als zu Beginn der Finanzkrise. Die Ratingagenturen raten munter und unbehelligt weiter, mit
Erlaubnis derer, die sie kontrollieren sollen.
Statt uns hier Anträge vorzulegen, in denen Sie
schreiben, wie toll Sie die Finanzmärkte reguliert haben,
sollten Sie lieber endlich handeln.
({4})
Gäbe es eine Ratingagentur für Anträge, dann würden
Sie mit Ihrem Antrag auf der Skala ganz unten rangieren.
Vielen Dank.
({5})
Zu einer Kurzintervention - - Das hat sich erledigt?
({0})
- Gesagt hatten Sie mir gerade etwas anderes, gemeint
war offenkundig dies. Okay. Ich bedanke mich.
Der nächste Redner ist der Kollege Gerhard Schick
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde, es geht nicht, bei der Regulierung der Finanz16690
märkte nur nach hinten zu gucken, wie das Volker
Wissing gerade gemacht hat, sondern es sind jetzt Aufgaben zu erfüllen.
Wir würden uns einmal dafür interessieren, warum
die FDP bei dem Thema Finanztransaktionsteuer eigentlich über Wochen und Monate und heute noch immer
bremst.
({0})
Da Sie schon zurückschauen, würde uns auch interessieren, warum aus der FDP-Fraktion in den letzten Jahren
lauter Deregulierungsvorschläge kamen, die bei Ihrem
Rückblick völlig gefehlt haben. So geht es nicht.
({1})
Es gibt im Moment sehr viele verschiedene Initiativen
mit dem Ziel, zu regulieren. Ich finde, in dem SPD-Antrag, der heute vorliegt, wird das richtig aufgegriffen.
Deswegen werden wir ihm auch zustimmen. Wir sind
hier an vielen Stellen gemeinsam unterwegs und sehen
auch gemeinsam die Defizite der Koalition.
Wir Grünen wollen heute insbesondere auf zwei
Punkte hinweisen; denn bei diesen ganzen Diskussion
darüber, was international alles getan wird, geht häufig
unter, was in Deutschland getan werden muss. Darüber
reden Sie in der Koalition herzlich wenig.
({2})
Erster Punkt. Ein Faktor, mit dem Deutschland international heraussticht, ist die Tatsache, dass deutsche
Banken ganz besonders wenig Eigenkapital haben. Im
„Global Financial Stability Report“ des Internationalen
Währungsfonds wird verglichen, in welchem Land der
Schuldenhebel der Banken am größten ist. Raten Sie,
welches Land im Report vom September 2011, also ganz
aktuell, am schlechtesten dasteht! Es ist Deutschland.
Hier kann man nicht auf irgendeine internationale Regulierung verweisen, sondern wir brauchen in Deutschland
endlich eine Schuldenbremse für Banken.
({3})
Wenn Sie das nicht glauben, dann können Sie das gerne
noch einmal nachlesen.
Interessant ist ja: Das European Systemic Risk Board,
das neueingerichtete Gremium, das die großen Risiken
am Finanzmarkt in Europa aufdecken soll, empfiehlt
endlich die Einführung einer verbindlichen Leverage
Ratio, einer Schuldenbremse für Banken. Der Sachverständigenrat fordert in seinem neuen Gutachten, dass
man bis 2019 schrittweise eine ungewichtete Eigenkapitalquote, also eine Leverage Ratio, von 5 Prozent einführt.
Warum verhandelt dann bitte die Bundesbank für die
Bundesrepublik Deutschland in Basel, dass diese Schuldenbremse für Banken nicht kommt?
({4})
Warum verhandelt dann die Bundesregierung in Brüssel,
dass es keine verbindliche Schuldenbremse für Banken
gibt? Diese Bundesregierung macht sich zurzeit zum
Büttel der deutschen Banken, statt endlich eine stabile
Aufstellung des deutschen Bankensektors durchzusetzen. Dazu müssten Sie endlich einmal etwas sagen.
({5})
Ich möchte zu einem zweiten Thema kommen. Damit
die Diskussion einmal vorankommt, haben wir heute einen konkreten Antrag dazu vorgelegt.
Überall heißt es, jetzt müssen wir einmal über Trennbanken reden, „too big to fail“ ist wichtig. Bisher hat
sich Deutschland dieser Frage aber nicht gestellt. Um
was geht es? Große Banken haben praktisch eine implizite Versicherung des Staates. Sie sind so groß, dass niemand riskieren kann, dass sie pleitegehen könnten. Das
wissen die Märkte, und sie preisen das ein. Das ist wie
eine Subvention. So sagt Avenir Suisse, nicht gerade ein
wirtschaftsfeindlicher Thinktank in der Schweiz, dass
die Schweizer Großbanken jährlich Subventionen in
Höhe von 3 bis 6 Milliarden Schweizer Franken bekommen. Ich zitiere:
… das sind mehr Subventionen für die Banker als
für die Bauern.
Das ist in Deutschland nicht anders.
({6})
Genau diese Subventionierung, die Banken dadurch
bekommen, dass sie zu groß sind und deswegen kostenlos versichert werden, wollen wir abschaffen. Das ist der
Kern des Problems „too big to fail“.
({7})
- Das stimmt überhaupt nicht, dass Sie das mit der Bankenabgabe machen.
({8})
- Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. Dann
kann ich dazu Ausführungen machen. - Das wollen Sie
wohl doch nicht.
({9})
- Genau. Sie haben Angst, dass ich es richtig erkläre und
dass die Menschen merken, dass meine Antwort die
richtige ist und Ihre Zwischenfrage Mumpitz ist.
({10})
Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht der Bank of England. Sie sagt: Die Großbanken
haben eine letztlich von der Allgemeinheit zu tragende
Größenprämie von 250 Milliarden Dollar pro Jahr. - Genau das passiert ständig: dass die Steuerzahler kostenlos
Bankrisiken versichern. Genau das möchten wir abschaffen.
({11})
Damit haben wir Grünen gute Erfahrungen. Wir kennen nämlich die kostenlose Subventionierung von systemischen Risiken aus einem anderen Themenfeld. Wir
kennen das vom Thema Atomenergie. Auch da ist viel
zu lange akzeptiert worden, dass der Steuerzahler kostenlos Großrisiken versichert. Es hat eine lange Zeit
gedauert, aber wir Grünen haben es beharrlich gemeinsam mit den sozialen Bewegungen geschafft, dieses
Thema auf die Tagesordnung zu setzen und Sie zu einer
180-Grad-Wende gezwungen. Genau dasselbe werden
wir bei dem Thema kostenlose Subventionen für Großbanken machen. Das Thema muss in Deutschland endlich auf den Tisch. Daran werden wir festhalten, und
zwar so lange, bis wir die „too big to fail“-Thematik
endlich gelöst haben.
({12})
Deswegen legen wir heute einen Antrag vor. In der
Schweiz hat man erfolgreich vorgemacht, dass man an
dieses Thema herangehen kann. In der Schweiz wurde
eine Kommission vom Parlament eingesetzt, um die
volkswirtschaftlichen Risiken von Großbanken zu untersuchen. Sie hat gute Vorschläge gemacht und dafür gesorgt, dass zusätzliche Eigenkapitalpuffer für Großbanken eingeführt wurden.
In Großbritannien hat die Vickers-Kommission, die
Independent Commission on Banking, Vorschläge für
ein Trennbankensystem gemacht. Das sind sinnvolle
Vorschläge. Diese Bundesregierung und diese Koalition
verweigern sich bis heute dieser Debatte. Das sieht man
daran, dass Sie unseren Antrag heute ablehnen wollen.
Wir Grünen werden daranbleiben; denn in der Frage, ob
der Steuerzahler immer wieder in die Situation kommt,
erpresst zu werden oder nicht, lassen wir nicht locker.
Darauf können Sie sich verlassen.
({13})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Hans Michelbach das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Bankenkrise der Jahre 2008/2009 und die daraus für die
öffentlichen Haushalte entstandenen finanziellen Belastungen haben deutlich gemacht, dass die Finanzmärkte
strukturell reformiert werden müssen. Dieser Aufgabe
widmet sich die CDU/CSU-Fraktion mit großer Energie.
Dabei lassen wir uns von niemandem überbieten,
schon gar nicht von Rot und Grün, die fälschlicherweise
Griechenland in die Euro-Gruppe mit aufgenommen haben, die den Stabilitätspakt gebrochen und den Hedgefonds Tür und Tor geöffnet haben. Das ist die Wahrheit.
({0})
Diese Koalition reguliert, Rot-Grün hat dereguliert. Das
sind die Tatsachen.
({1})
Der vorliegende SPD-Antrag ist teilweise ein Plagiat
unseres Antrags. Unser Antrag, so sagt Herr Steinbrück,
sei eine „nackte Unverschämtheit“. Das ist aber hier der
Versuch, die eigene Nacktheit aus seiner Zeit als Finanzminister zu verbergen. Das ist die Situation. In unserem
Antrag schauen wir nach vorne, und er beinhaltet klare
Regulierungen für die Zukunft. Das ist der richtige Weg.
({2})
Herr Kollege Michelbach, darf Ihnen der Kollege Poß
eine Zwischenfrage stellen?
Ja.
Lieber Herr Kollege Michelbach, ist Ihnen bekannt,
dass wir diejenigen waren, die bei der damaligen Gesetzgebung die Hedgefonds so konditioniert, kontrolliert, beaufsichtigt und mit Regeln versehen haben, dass die
meisten es vorgezogen haben, gleich zur City of London
zu gehen? Können Sie sich daran erinnern, dass entweder Ihre Fraktion oder Stimmen aus Ihrer Fraktion, vielleicht gar Sie persönlich, die damalige Gesetzgebung für
viel zu stringent und zu eng gefasst hielten und Sie eine
Weiterung im Sinne einer Deregulierung gefordert haben?
({0})
Herr Kollege Poß, das Problem liegt woanders.
({0})
Sie haben in der Finanzpolitik immer nur national gedacht. Das will ich Ihnen noch einmal verdeutlichen.
({1})
Sie haben im Deutschen Bundestag gesagt, durch eine
europäische Lösung würde die Bundesregierung die
Kontrolle über die internationale Bankenpolitik verlieren. Herr Steinbrück als Ihr Minister hat damals am
25. September in einer Regierungserklärung gesagt
- bleiben Sie stehen, Herr Poß; ich bin noch nicht fertig -,
({2})
der Zusammenbruch von Lehman Brothers sei ein rein
amerikanisches Problem. Das zeigt, dass Sie in der Finanzpolitik nur national gedacht haben.
({3})
Sie haben die internationale Vernetzung völlig verkannt.
Das war die größte Fehleinschätzung eines deutschen Finanzministers. Das ist eine Tatsache.
({4})
Sie haben national Dinge getan, die aber international
null wert waren. Das war die Situation.
({5})
Herr Kollege Michelbach, jetzt möchte auch der Kollege Pronold noch eine Frage stellen.
Ein bayerischer Kollege darf das immer.
Diese Differenzierung sieht unsere Geschäftsordnung
übrigens nicht vor, Herr Kollege. - Bitte sehr.
Die bayerischen Kollegen haben auch ein sehr gutes
Gedächtnis. Wir waren lange gemeinsam im Finanzausschuss. Darum verwundert mich Ihre neue Performance
heute außergewöhnlich. Denn in der Zeit, als wir gemeinsam im Finanzausschuss waren, waren Sie immer
der Deregulierer.
({0})
Wenn Sie über die nationalen Handlungen reden,
dann darf ich Sie an ein altes Streitthema zwischen uns
erinnern, nämlich die Real Estate Investment Trusts und
die Frage, ob auch die ehemals gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften einbezogen werden. Es war die
SPD-Fraktion, die verhindert hat, dass die Wohnungen
den Heuschrecken ausgeliefert werden. Sie waren an
vorderster Front dafür, das nicht in nationaler Regulierung zu machen, sondern den Heuschrecken noch Futter
zu geben. So war es.
({1})
Herr Kollege Pronold, es ist eine Tatsache, dass ich
immer gegen Wettbewerbsverzerrungen zulasten des
Landes und der Arbeitsplätze war.
({0})
Diesen Vorwurf mache ich Ihnen: Sie haben Finanzpolitik aus nationaler Sicht gemacht, ohne global zu denken
und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.
Sie haben weder eine G-20-Lösung noch eine EU-Lösung oder eine Euro-Zonen-Lösung vorgelegt.
({1})
Diesem Vorwurf müssen Sie sich stellen, Herr
Steinbrück.
({2})
Aber schauen wir nach vorne. Denn die Risiken sind
gestiegen. Es gibt zweifellos eine Vertrauenskrise und
mit Griechenland und Italien einen starken Vertrauenseinbruch.
Europa kann nicht auf Pump leben. Jede Solidarität
muss mit einer Eigenanstrengung der Länder gekoppelt
werden. Wir wollen eine neue Architektur der Glaubwürdigkeit in Europa. Wir haben jetzt die Aufgabe, diese
Maßnahmen in nationaler Geschlossenheit durchzusetzen. Das Vertrauen in die langfristige Tragfähigkeit der
öffentlichen Haushalte und in das Finanzsystem muss
neu hergestellt werden. Das ist jetzt unsere Aufgabe. In
der Währungsunion muss die Glaubwürdigkeit aller
Länder wiedergewonnen werden, weil unsere Zukunft in
einem gemeinsamen Europa und in der Euro-Zone liegt.
Deswegen gilt es jetzt, diese Aufgaben gemeinsam
anzugehen und zu schultern. Wir wollen Sanktionsverfahren. Wir wollen keine Vergemeinschaftung von
Schulden und Zinsen. Wir wollen keine monetäre Staatsfinanzierung. Wir wollen die Unabhängigkeit der EZB
und die Widerstandsfähigkeit der Banken durch Rekapitalisierung. Das sind die Aufgaben, die sich jetzt auf der
europäischen Ebene stellen. Die Politik verliert ihre
Glaubwürdigkeit, wenn sie die Märkte nicht noch besser
in den Griff bekommt. Genau das - die Märkte besser in
den Griff zu bekommen - versuchen wir mit unserem
Antrag zu erreichen. Schließen Sie sich deswegen unserem Antrag an!
({3})
Wir können eine positive Bilanz bezüglich der Finanzmarktregulierung ziehen. Auf diese Regulierung
üben in Deutschland wir, der Deutsche Bundestag, durch
direkte Beschlussfassung Einfluss aus. Man sollte wiederholen, was wir gemacht haben. Natürlich können wir
hier im Deutschen Bundestag nicht beschließen, was andere Länder zu tun haben. Letzten Endes können wir nur
Beschlüsse durchsetzen, die für uns gelten, und wir müssen die Bundesregierung bitten, diese Beschlüsse in die
G 20 und in die Euro-Zone weiterzutragen.
Wir haben Regulierungen zum Rating und zur Vergütungsstruktur getroffen. Wir haben Regelungen zu Leerverkäufen und zu Verbriefungen geschaffen. Wir haben
die Verhandlungen zu den Eigenkapitalanforderungen
im Rahmen von Basel III offensiv begleitet. Wir haben
das Restrukturierungsgesetz und die damit verbundene
Bankenabgabe beschlossen. Dadurch sind wir in der Situation, dass wir international weitere Erfolge brauchen.
Das steht außer Frage: Wir brauchen international weitere Erfolge. Dies müssen wir gemeinsam im deutschen
Interesse angehen.
({4})
Jetzt müssen die Regulierungen am Finanzmarkt global zur Stabilisierung des Währungssystems und der
Weltwirtschaft weitergeführt werden, damit dem verantwortungslosen Treiben einzelner Finanzmarktteilnehmer
ein Ende gesetzt wird. International muss es klare Absprachen und Vorgaben zur Umsetzung geben. Hier geht
es um die systemrelevanten Banken, um die Schattenbanken, um die Derivate, um die Reform des Weltwährungssystems. Das sind die Kernpunkte, die wir jetzt angehen müssen. Unser Antrag zeigt, welche Maßnahmen
wir zur Reform des Finanzmarktes schon umgesetzt haben und welche Erweiterungen jetzt notwendig sind. Das
ist eine Zwischenbilanz, die letzten Endes zu einer Gesamtlösung, zu einer Gesamtkonzeption führt. Dieser
Antrag ist zielführend, und deswegen wurde er zu Recht
gestellt.
Lassen Sie uns bei den Entscheidungen über das
Trennbankensystem, über den Hochfrequenzhandel,
über das Risikomanagement beim Investmentbanking
und beim Eigenhandel, über die Finanzmarktspekulationen im Rohstoffbereich einschließlich der Nahrungsmittel reden. Lassen Sie uns über das Schattenbankensystem sprechen. Lassen Sie uns auch über die
Finanztransaktionsteuer reden, aber natürlich nicht mit
Emotionen, sondern mit gezieltem Sachverstand. Lassen
Sie uns außerdem über die außerbörsliche Derivateentwicklung reden. Das sind die Punkte, über die es international zu entscheiden gilt.
Neue Glaubwürdigkeit entsteht nur durch einen transparenten Weg in der Finanzwirtschaft und einen konsequenten Krisenbewältigungsmechanismus insgesamt in
dieser Währungsunion und in der gesamten Finanzwirtschaft. Wir werden dafür kämpfen, dass Finanzmarktrisiken sowie Inflationsgefahren vermieden werden. Die
Akteure auf den Finanzmärkten sollen nicht wieder in
alte Verhaltensmuster zurückfallen dürfen, wie sie vor
der Krise zu beobachten waren. Wir werden weitere Initiativen ergreifen, um auf europäischer und internationaler Ebene eine Vorreiterrolle bei der Vermeidung zukünftiger Krisen wahrzunehmen.
Unser Land, Deutschland, dient als Vorbild. Unsere
Wirtschaft ist stark. Wir haben die höchste Beschäftigung. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit in Europa, was vergleichbare Industrieländer angeht. Deswegen können wir als Vorbild dienen. Wir müssen aber die
Solidarität, die wir gerne geben, durch Eigenanstrengungen auch einfordern. Das ist der Weg, den wir einschlagen und der letzten Endes zu bewältigen ist.
Die Exzesse, die wir auf den Finanzmärkten erlebt haben, dürfen sich nicht wiederholen. Da werden wir klare
Schranken und Begrenzungen einführen. Das, was Sie
nicht gemacht haben, werden wir jetzt tun. Es ist einfach
die Situation - das müssen Sie sich natürlich hinter die
Ohren schreiben -: Rot-Grün hat dereguliert, und diese
Koalition reguliert und wird letzten Endes Deutschland,
die Euro-Zone und Europa wirtschaftlich und finanzpolitisch auf den richtigen Weg führen. Das ist die Situation.
Herzlichen Dank.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Carsten Sieling für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben ein Mirakel heute Morgen. Wenn man sich die
Debatte anhört und den Antrag der Koalitionsfraktionen
anschaut, fragt man sich: Was soll das eigentlich alles?
Was wollen Sie uns sagen? Wie kommen Sie überhaupt
zu einem solchen inhaltsleeren und perspektivlosen Antrag? Die Antwort auf diese Frage findet sich in der Geschichte. Der Antrag ist im Juni dieses Jahres entstanden. Damals hat die CDU/CSU-Fraktion eine große
Konferenz hier im Deutschen Bundestag veranstaltet
und dazu illustre Herren eingeladen: Herrn Blessing von
der Commerzbank, den Herrn Vorstandsvorsitzenden
Francioni von der Deutschen Börse und natürlich Herrn
Ackermann, der in diesem Zusammenhang erstmalig die
Luft des Bundestages schnuppern durfte und nicht nur
die Zimmer im Kanzleramt gesehen hat. Dort ist beraten
worden, wie weit man denn sei und was man denn erreicht habe. Man hat also - jetzt greife ich ein Wort auf,
das der amtierende Bundesfinanzminister häufiger gesagt hat - nichts anderes getan, als die Frösche einzuladen und mit ihnen zu beraten, wie man den Sumpf trockenlegen kann. Ihr Antrag ist nichts anderes als das
Dokument dafür, dass das nicht funktioniert. Ihr Antrag
lässt die Frösche munter weiterquaken. Das ist das Problem Ihrer Regulierungspolitik. Sie führt zu nichts und
bringt leider nicht die Maßnahmen auf den Weg, die erforderlich sind.
({0})
Jetzt behaupten Sie in der Debatte, Sie hätten mehr erreicht als in elf Jahren SPD-Regierungsbeteiligung und
die SPD-Finanzminister.
({1})
Man muss sich fragen, woher das kommt, was Sie da auflisten. Ich sage Ihnen, was das Einzige ist, was Sie treibt:
Entweder greifen Sie auf die Maßnahmen zurück, die in
der Großen Koalition vorbereitet worden sind - Peer
Steinbrück hat hier schon auf das Restrukturierungsgesetz verwiesen -, oder Sie machen nichts anderes, als Verordnungen und Richtlinien der EU umzusetzen. Eigene
Impulse, die Kraft der viertgrößten Wirtschaftsmacht der
Welt für Regulierungsmaßnahmen zu nutzen, kommen
von Ihnen nicht. Eigene Initiativen und Vorschläge fehlen
bei Ihnen.
({2})
Ich will das gerne anhand der hier angesprochenen
Punkte aufzeigen. Die Wahrheitsverzerrung heute Morgen ist unglaublich.
({3})
Ich greife das Thema Hedgefonds auf. Kollege Pronold
hat darauf hingewiesen, dass die Oberderegulierer von
damals jetzt nach mehr Regulierung schreien. Die Wirklichkeit ist: Wir alle wissen, dass es in Deutschland um
die zehn Hedgefonds gibt. Warum gibt es so wenige?
Weil wir die strengste Regulierung haben und die
Hedgefonds alle nach Großbritannien verschwunden
sind.
({4})
Das ist der Erfolg der Politik, die Sie damals beklagt haben. Heute stellen Sie sich hierhin und behaupten, Sie
hätten keine nationalen Sonderwege gewollt. Ich bin
froh, dass der nationale Sonderweg gewählt worden ist;
denn er hat Schaden vom deutschen Finanzmarkt abgewendet.
({5})
Dann wurde hier - das ist das Allergrößte - das
Thema Leerverkäufe angesprochen. Sie tun so, als hätten
Sie heldenhaft im Juni 2010 hier ein Gesetz verabschiedet. Ich möchte erst einmal darauf hinweisen, dass im
September 2008 Leerverkäufe per Anweisung des damaligen Bundesfinanzministers verboten worden sind.
({6})
- Ja, aber das Verbot ist verlängert worden. Das Verbot
war wirksam bis zum 31. Januar 2010, als Sie schon im
Amt waren.
Wir haben Sie immer aufgefordert, dieses Verbot zu
verlängern. Das haben Sie nicht gemacht.
({7})
Sie haben es am 18. Mai 2010 wieder aufgegriffen, um
dann im Juni das Gesetz zu verabschieden. Es gab eine
Zeit, in der Sie fahrlässigerweise Leerverkäufe zugelassen haben, die vorher von uns verboten worden waren.
Das war genau die Zeit, in der die Griechenland-Krise
ausgebrochen ist. Darauf will ich an dieser Stelle einmal
verweisen.
({8})
Mit Ihrem Gesetz haben Sie weniger im Bereich der Verbote von Leerverkäufen reguliert, als es vorher der Fall
war.
({9})
Sie haben damals das Verbot auf ungedeckte Leerverkäufe begrenzt. Sie haben Ausnahmen geschaffen und
bestimmte Geschäfte weiterhin ermöglicht. Ihr Gesetz
geht nicht so weit wie das, welches das Europäische Parlament in wenigen Tagen hoffentlich verabschieden wird
und auch die ungedeckten Kreditausfallversicherungen
umfasst.
({10})
Das ist notwendig. Hier hätten Sie vorangehen und etwas leisten können. Aber das passt ins Bild: Sie tun
nichts. Sie bringen nichts in Gang. Sie vollziehen nur
nach, meine Damen und Herren.
({11})
Es ist eigentlich eine unendliche und unglaubliche
Geschichte. Vorhin sind die Vergütungen angesprochen
worden. Gesetzliche Maßnahmen zur Regulierung der
Vergütungen sind bereits durch die Großen Koalition auf
den Weg gebracht worden. In Ihrer Zeit ist es allerdings
möglich gewesen, gegen diese gesetzlichen Einschränkungen zu verstoßen. Ich verweise nur auf die HRE. Sie
ist ein weiteres Beispiel dafür, was Sie alles zugelassen
haben, wie wenig Sie hier gemacht haben und wie Sie in
Attentismus und Blockadehaltung verharren.
Nun haben Sie die Erkenntnis gewonnen, die Ratings
müssten verboten werden. Herr Sanio fordert dies seit
vielen Monaten und hat Sie auch unterrichtet. Nun kommen Sie stolz ins Parlament und verkünden, dass es eine
Einschränkung geben müsse. Meine Güte! Da kann ich
an diesem Freitag nur sagen: Guten Morgen, meine Damen und Herren! Es ist gut, dass Sie auch bei dieser
Frage endlich aufwachen.
({12})
Unser Antrag enthält einen Katalog der Maßnahmen,
die ergriffen werden müssen. Wir sagen gerade nach den
Ergebnissen des G-20-Gipfels, auf dem nicht viel mehr
- so heißt es in den Dokumenten - als die Dossierung
von Ergebnissen, also die Erstellung von Protokollen,
beschlossen wurde: Die notwendigen Taten müssen auf
europäischer Ebene erfolgen. Hier kommt es darauf an,
zu handeln.
(Klaus-Peter Flosbach ({13}): Aha, sehr
wichtig!
Das Thema Finanztransaktionsteuer ist hier schon
häufiger angesprochen worden. Herr Michelbach, der
hier viele Reden gegen die Finanztransaktionsteuer geDr. Carsten Sieling
halten hat, redet jetzt ganz machtvoll und kraftvoll für
die Einführung einer solchen Steuer.
({14})
Sie haben die Chancen verpasst. Wir haben im Januar
2010 mit den anderen Oppositionsfraktionen einen Antrag eingebracht. Sie als Koalition haben ihn abgelehnt.
Wir haben in der Diskussion im Mai 2010, als es um die
erste Griechenland-Tranche ging, gesagt, dass diese mit
einer strikten Regulierung verbunden werden müsse,
was auch die Einführung der Transaktionsteuer bedeute.
Was hat die Koalition gemacht? Sie hat es abgelehnt.
Wir haben im Juni 2011 einen Antrag eingebracht, der
auch im französischen Parlament behandelt worden ist.
Hier ist er abgelehnt worden. Die Konservativen im
französischen Parlament unter Präsident Sarkozy haben
zugestimmt. Sie haben wieder abgelehnt, meine Damen
und Herren von der Union. Sie haben sich durchgängig
verweigert und nicht die Kraft entwickelt, die notwendig
gewesen wäre. Der Grund ist doch ganz klar. Der Grund
sitzt ganz rechts außen in diesem Parlament. Die FDP
zieht Sie am Nasenring durch die politische Arena. Erst
vorgestern hat ein FDP-Vertreter im Wirtschaftsausschuss erklärt: Eine Finanztransaktionsteuer gibt es mit
uns nur weltweit. - Ich möchte einmal wissen, wie lange
Frau Merkel und Herr Schäuble sich das noch gefallen
lassen.
Sie müssen auch an dieser Stelle handeln. Das wäre
wirksame Finanzmarktregulierung. Diese Regierung
bringt wenig. Wir haben unsere Vorschläge vorgelegt
und unterstützen auch den Antrag der Grünen, der darauf
abzielt, ein Trennbankensystem einzuführen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Björn Sänger für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die christlich-liberale Regierungskoalition legt Ihnen hier eine stolze Halbzeitbilanz in der Finanzmarktregulierung vor.
({0})
Zahlreiche Regelungen mit europaweiten und sogar
weltweiten Alleinstellungsmerkmalen sind enthalten. Es
ist wichtig, dass wir über dieses Thema auch einmal in
der Kernzeit des Deutschen Bundestages diskutieren
können, damit sich draußen nicht der falsche Eindruck
verfestigt,
({1})
es würde in der Finanzmarktregulierung nichts getan
werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, während der
frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel, der in Fragen
der Deregulierung nicht frei von Fehleinschätzungen
war, gegen meine Geburtsstadt Kassel klagt, um weitere
6 000 Euro zu seinen bisher 8 000 Euro als Pension zu
bekommen, hat die Regierungskoalition die Vergütungen
geregelt, um unter anderem auch der Gier Einhalt zu gebieten. Wir haben die Möglichkeit geschaffen, zu Unrecht ausgezahlte Vergütungen bzw. Boni zurückzuholen.
Da haben Sie sich von der SPD im Übrigen enthalten. In
Ihrem Antrag sagen Sie jetzt, man müsse das regulieren.
Während Herr Steinbrück auf Lesereise durch Deutschland ist oder vielleicht im Stall nach den Pferden schaut
- wegen der Kavallerie -,
({2})
hat diese Regierungskoalition Zug um Zug den Bereich
der Verbriefungen geregelt. Auch da haben Sie sich enthalten. Die Neuregelungen für Verbriefungen - es ist
schon wichtig, einmal darauf hinzuweisen - haben wir
im nationalen Alleingang durchgesetzt.
({3})
Hier haben wir europaweit die besten und wirksamsten
Regelungen für Kreditverbriefungen geschaffen, indem
wir einen Eigenanteil in Höhe von mindestens 10 Prozent festgeschrieben haben.
({4})
Auch mit dem Verbot von bestimmten Leerverkäufen
haben wir etwas geschaffen, was in dieser Form in Europa einmalig ist. Es handelt sich um eine intelligente
Lösung: Wir ermöglichen weiterhin den Intraday-Handel und erhalten damit die positiven Effekte, die es bei
Leerverkäufen durchaus gibt, zum Beispiel hinsichtlich
der Marktinformation und der liquiditätsspendenden
Wirkung. Zugleich haben wir aber unterbunden, dass
hier spekuliert werden kann; denn für spekulative Geschäfte benötigt man mehr als einen Tag.
Darin unterscheiden wir uns von Ihnen: Wir sorgen
für intelligente Lösungen bei der Finanzmarktregulierung,
({5})
Sie möchten die Stammtische bedienen.
({6})
Das kann man auch beim Banken-Restrukturierungsgesetz sehen. Herr Steinbrück hat eben gesagt, dabei
handle es sich im Prinzip um ein Plagiat. In Ihrem eigenen Antrag schreiben Sie aber, es sei zu kompliziert.
Nein, es ist genau richtig so, weil es die Prinzipien der
sozialen Marktwirtschaft in die Finanzindustrie und die
Bankenwelt zurückbringt. Dem Gesetz wurde höchste
Aufmerksamkeit zuteil, in den USA und weltweit, und
es dient als Blaupause für die entsprechende Richtlinie
auf EU-Ebene, die demnächst auf uns zukommt.
({7})
Sie müssen sich jetzt entscheiden, ob es sich hierbei um
ein Plagiat Ihrer Ideen handelt oder ob es zu kompliziert
ist. Das wird hier nicht ganz klar.
Wir sollten bei all dem auch nicht vergessen, dass wir
das Finanzsystem für die Realwirtschaft brauchen. Es
besteht da ein ganz enger Zusammenhang. Die Realwirtschaft kann ohne eine funktionierende Bankenlandschaft
nicht existieren. In diesem Zusammenhang muss man
auch sehen, dass Banken Unternehmen sind, die Gewinne erwirtschaften wollen. Mit anderen Worten: Der
Frosch muss noch genug Wasser im Sumpf haben, um
quaken zu können. Wenn Sie keine Frösche mehr haben,
wird ganz schnell eine Wüste entstanden sein. Das wollen wir eben nicht.
({8})
Das bedeutet nichts anderes, als dass man bei den notwendigen Eingriffen in den Finanzmarkt wie mit einem
Skalpell wohlüberlegt operieren muss. Man hantiert gewissermaßen an der Schlagader der deutschen Wirtschaft.
Da kann man nicht das machen, was Sie vorhaben, nämlich so eine Art Luftröhrenschnitt mit der Kettensäge.
Dann entstünde sehr schnell ein Massaker. Aber da sind
wir glücklicherweise vor.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben
viel erreicht. Das kann man unserem heute vorgelegten
Antrag entnehmen. Dem Antrag zu den Ratingagenturen
kann man aber auch entnehmen, dass eben noch nicht alles erreicht ist
({10})
und noch viel zu tun bleibt. Ich lade Sie ein, uns dabei zu
unterstützen. Sie haben sich Dutzende Male enthalten
bzw. dagegen gestimmt. Ich fordere Sie auf, sich an dieser Stelle einmal klar zu erklären.
Herzlichen Dank.
({11})
Für die Fraktion der Linken spricht jetzt der Kollege
Axel Troost.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
vorliegende Antrag „Effektive Regulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise“ der Koalitionsfraktionen
trägt schon einen verräterischen Begriff im Titel, nämlich „nach der Finanzkrise“. Welche Finanzkrise ist denn
vorbei?
Der ganze Antrag strotzt nur so vor selbstgefälligem
Eigenlob. Er bringt absolut glaubwürdig in Form von
Selbstbeweihräucherungen zum Ausdruck, dass Sie davon überzeugt sind, Sie hätten die wesentlichen Probleme angegangen und könnten mit sich und mit dem
Fortgang der Ereignisse zufrieden sein. Aber wir sagen
Ihnen: Das ist mitnichten so! Nein, die aus der Krise notwendigen Schlussfolgerungen sind nicht gezogen. Nein,
die Krise ist nicht vorbei. Nein, es sind keine konsequenten Strukturreformen sichtbar.
({0})
Was ist - es wurde heute schon angesprochen - von
dem vielzitierten Beschluss der G 20, kein Akteur und
kein Instrument auf dem Finanzmarkt dürfe ohne angemessene Regulierung bleiben, übrig geblieben? Die
Spatzen pfeifen es von den Dächern, und auch Herr
Flosbach hat es angesprochen: Von der Regulierung der
Schattenbanken sind wir nach wie vor sehr weit entfernt.
Wann kommt denn da was von Ihnen - nach der übernächsten Finanzmarktkrise? Und was kommt dann?
Sicher, Finanzmarktregulierung auf internationaler
Ebene ist ein mühsames Geschäft. Aber die Frage ist
doch: Wo sind Ihre originellen Ideen und weitreichenden
Konzepte, mit denen Strukturveränderungen im Finanzsystem eingeleitet werden können? Ihr Motto lautet:
Maßvoll regulieren und nicht über das Ziel hinausschießen. - Herr Sänger war da gerade wieder ein gutes Beispiel. Aber Ihr Ziel ist eben nicht eine grundlegende Veränderung des Finanzsystems. Sie wollen, dass die
Banken weiterhin auf eigene Rechnung im Finanzkasino
zocken dürfen, dass die inkompetenten Bewertungen
privater Ratingagenturen weiterhin als Grundlage für
den Umgang mit Staatsschulden dienen und dass Banken
weiterhin so groß sein dürfen, dass sie bei Schieflagen
von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern um jeden
Preis gerettet werden müssen.
Wer Angst hat, er könne den großen Finanzmarktakteuren zu starke Fesseln anlegen, der hat überhaupt nicht
verstanden, was sich auf den Finanzmärkten seit Jahrzehnten tut. Großbanken sind Entfesselungskünstler. Ich
habe noch von keiner Regulierung gehört, die die Banken nicht wenigstens teilweise umgangen hätten. Wie
kann man da vor Überregulierung warnen?
Aus unserer Sicht hat sich im Finanzsystem nichts
Grundlegendes zum Besseren verändert. Sie haben lediglich die wenigen schwachen Bremsen, die es auf den
Finanzmärkten gibt, angezogen, aber mehr eben auch
nicht. Zum Beispiel beim Eigenkapital: Natürlich ist es
nicht falsch, wenn die Banken in Zukunft mehr eigenes
Kapital vorhalten müssen, um Verluste aus riskanten Finanzmarktwetten ohne Staatshilfe besser verkraften zu
können. Aber es muss doch darum gehen, diese Wetten
zu verbieten. In dieser Richtung passiert überhaupt
nichts.
({1})
Wir fordern einen grundlegenden Paradigmenwechsel
in der Finanzmarktregulierung. Dazu dient auch unser
Finanz-TÜV. Statt - wie heute - auf den Finanzmärkten
alles als erlaubt zu betrachten, was nicht verboten ist,
müsste alles verboten sein, solange es nicht explizit erlaubt ist.
({2})
Im Straßenverkehr kann sich auch nicht jeder ein beliebiges Siebenrad mit 300 PS zusammenbauen und damit
im Straßenverkehr herumfahren. Auch Arzneimittel dürfen nicht einfach so zusammengebraut und unter die
Leute gebracht werden, sondern es gibt komplizierte Zulassungsverfahren. Der Finanz-TÜV wäre dafür zuständig, Finanzakteure, -instrumente und -praktiken zu prüfen und ihnen nur bei Unbedenklichkeit eine Zulassung
zu erteilen. Ohne Zulassung kein Geschäft, so muss das
endlich auch auf den Finanzmärkten sein.
({3})
Die Menschen nicht nur in Deutschland können es
immer noch nicht glauben, dass von den verantwortlichen Großbankern kaum einer zur Rechenschaft gezogen wurde und die meisten weiterhin dicke Gehälter und
Boni einstreichen. Diese Banker haben, unterstützt durch
die Deregulierungspolitik der letzten Jahre, die Gesellschaft um Milliarden geschädigt und sind dabei selbst zu
Millionären geworden. Wenn ich als kleiner Selbstständiger mein Geschäft so gefährlich und dilettantisch betrieben hätte, wie es die Investmentbanker in den Großund Landesbanken gemacht haben, dann würde ich zu
Recht für den Rest meines Lebens oder mindestens für
sieben Jahre bis zum Ende meiner Privatinsolvenz Schadenersatz an meine Kunden bzw. an den Staat zu zahlen
haben.
Wir - und ich glaube, auch die Menschen da draußen erwarten, dass von Ihnen politische Signale gesendet
werden, dass sich die Politik nicht länger auf der Nase
herumtanzen lässt und dass die Verantwortlichen in der
Finanzbranche für ihre Fehler geradestehen müssen.
({4})
Jeder weiß, dass uns diese Krise Milliarden kosten
wird und dass das nicht aus den bisherigen Staatseinnahmen zu finanzieren ist. Wir treten deshalb ganz entschieden für eine Vermögensteuer ein, damit diejenigen, die
während der Krise profitiert haben, in die Finanzierung
eingebunden werden.
({5})
Abschließend noch ein paar Worte zum SPD-Antrag.
Vieles von dem, was dort gefordert wird, fordern wir seit
langem. Vor der Finanzkrise standen diese Punkte bereits auf unserer Agenda. Wir lehnen diesen Antrag
trotzdem ab, weil wir das von Ihnen geforderte Trennbankensystem in dieser Form für falsch halten. Es ist
zwar völlig richtig, das spekulative Finanzmarktgeschäft
der Banken vom seriösen Einlagen- und Kreditgeschäft
zu trennen. Ich will dies mit Blick auf die Deutsche
Bank mit folgendem Bild beschreiben: ein Turm für das
normale Kredit- und Einlagengeschäft und ein Turm für
das spekulative Geschäft. Wir sind aber der Meinung,
dass der zweite Turm geschlossen und nicht nur separiert
werden sollte; denn wir glauben, dass das spekulative
Geschäft der Banken gänzlich dichtgemacht werden
muss.
Danke schön.
({6})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Meine Damen und Herren! Ich bin sichtlich bewegt,
dass sich der „schlaueste Finanzminister aller Zeiten“
heute in die Niederungen der Tagespolitik begeben hat.
Herzlich willkommen, Herr Steinbrück. So oft haben wir
Sie hier noch nicht gesehen. Ich kann mir aber einige
Bemerkungen zu Ihren Ausführungen nicht verkneifen.
Stichwort „schlauester Finanzminister aller Zeiten“:
Es gibt Leute, die behaupten, dass Sie ein guter Finanzminister waren. Sie sind es aber nicht mehr; denn was
Sie heute geboten haben, war in keiner Weise fachlich
fundiert. Sie haben schlichtweg zwei Jahre verpasst.
Vielleicht hätten Sie an der einen oder anderen Beratung
des Finanzausschusses teilnehmen und weniger Vorträge
halten sollen. Schachbretter und ähnliche Sachen waren
Ihnen anscheinend wichtiger.
({0})
Ich muss schon sagen: Der Kurs für Ihre Vorträge ist
nach dieser Rede nicht gestiegen.
Ich möchte zunächst kurz auf den Antrag der SPD
eingehen. Herr Sieling, Ihr Antrag wäre in der Tat ein
Fall für VroniPlag; denn Sie haben alles aufgenommen,
was wir schon längst bearbeitet haben. Bei Ihnen kommt
aber ein weinerlicher Unterton „Ihr strengt euch nicht
genug an“ hinzu.
Ich will Ihnen einmal erläutern, was wir in den letzten
zwei Jahren, also in der Nach-Steinbrück-Zeit, gemacht
haben.
({1})
Es ist nicht gut, wenn in den Finanzinstitutionen zu viele
Fehler gemacht werden. Deswegen haben wir sinnvolle
Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Fehleranfälligkeit von Managemententscheidungen in Finanzinstituten zu verringern. Wir haben die Vergütungsstrukturen
und die Ratingstrukturen angepackt. Außerdem haben
wir die Grenzen für Großkredite und die Verbriefungen
neu geregelt. Hinzu kommt, dass wir zusammen mit unseren europäischen Partnern Basel III, was im nächsten
Jahr unter dem Titel „CRD IV“ umgesetzt wird, auf den
Weg gebracht haben. Das heißt, wir haben Regelungen
für den Treibstoff der Banken, also für Eigenkapital und
Liquidität, geschaffen.
Nichtsdestotrotz ist es so, dass Banken und Versicherungen weiterhin Fehler machen werden. Es ist auch im
Sinne der Marktwirtschaft, dass Institutionen Fehler machen können. Es ist aber nicht gut, wenn die Fehlertragfähigkeit nicht groß genug ist, wenn also kleinere Fehler
dazu führen, dass Institute in Schieflage geraten. Auch
da haben wir Maßnahmen auf den Weg gebracht.
Beispielsweise haben wir durch CRD IV, also durch
Basel III, dafür gesorgt, dass durch mehr Eigenkapital
und durch mehr Liquidität der Banken die Fehlertragfähigkeit vergrößert wird. Wir haben durch Umsetzung der
Kapitaladäquanzrichtlinie den Eigenkapitalbegriff geschärft. Wir haben offene Immobilienfonds tragfähiger
gemacht, indem wir Auszahlungsbegrenzungen eingeführt haben. Da ist also eine Menge geschehen.
Wir haben also dafür gesorgt, dass in den Institutionen weniger Fehler gemacht werden und dass die Fehlertragfähigkeit höher wird. Außerdem sind wir zu der
Einsicht gelangt, dass das alles noch vernünftig beaufsichtigt werden muss. Denn was 2008 passiert ist, war
auch eine Folge von Aufsichtsversagen. Warum hat die
Aufsicht nicht gesehen, was bei der HRE passiert? Die
Erkenntnis, die wir daraus gewonnen haben, ist: Wir
müssen Aufsicht erst einmal überhaupt ermöglichen, indem wir für Transparenz in den Märkten sorgen. All das
haben wir gemacht.
({2})
Herr Schick, Sie haben behauptet, es sei nichts geschehen. Jetzt hören Sie einmal gut zu: Wir haben uns
auf europäischer Ebene dafür eingesetzt, dass die OTCDerivaterichtlinie auf den Weg gebracht wird und im
nächsten Jahr umgesetzt wird.
({3})
Wir haben mit unserem Gesetz zu Leerverkäufen Transparenz geschaffen. Vor diesem Gesetz wusste doch niemand, was auf den Märkten passiert. Das ist von uns geändert worden.
({4})
Aufsicht braucht Struktur. Wir haben aus der Tatsache
gelernt, dass sich deutsche Finanzinstitute der Aufsicht
dadurch entzogen haben, dass sie nach Irland gegangen
sind. Wir haben daher ein europäisches Aufsichtssystem
auf den Weg gebracht und haben die Defizite, die es bei
der Abstimmung der europäischen Aufsichtsbehörden
gab, beseitigt. Wir haben jüngst im letzten Gesetz die
Strukturen in Deutschland diesem Aufsichtssystem angepasst. Das ist gut und richtig.
Wir haben noch etwas gemacht. Wir haben nämlich
dafür gesorgt, dass Bereiche, die bisher nicht beaufsichtigt wurden, nun beaufsichtigt werden. Wir haben die
AIFM-Richtlinie auf den Weg gebracht, und wir haben
jüngst das Finanzanlagevermittlergesetz verabschiedet,
mit dem wir dafür sorgen, dass Produkte und Vertriebswege, die bisher nicht beaufsichtigt wurden, nun beaufsichtigt werden.
({5})
Ich fasse zusammen: Wir haben dafür gesorgt, dass
die Institute besser handeln. Wir haben dafür gesorgt,
dass die Fehlertragfähigkeit höher ist. Wir haben dafür
gesorgt, dass die Aufsicht besser geworden ist. Nichtsdestotrotz wird es weiterhin passieren, dass Finanzinstitute vom Markt verschwinden - und zwar unfreiwillig -,
weil schwere Managementfehler gemacht worden sind.
Das ist gut und richtig so; denn es ist ein essenzieller Bestandteil der Marktwirtschaft, das Marktteilnehmer aufgrund eigener Fehler vom Markt verschwinden können.
Das war aber bis dato nicht möglich - zumindest bei
größeren Marktteilnehmern nicht -, weil die Schieflage
eines mittelgroßen Institutes dafür gesorgt hätte, dass
das ganze System kollabiert. Deswegen haben wir im
Jahr 2008 die Rettungsfonds einrichten müssen.
Was haben wir daraus gelernt? Deutschland hat als eines der ersten Länder dieser Welt ein Banken-Restrukturierungsgesetz erlassen. Dieses Gesetz ist die Blaupause
für sehr viele Restrukturierungsgesetze auf der ganzen
Welt. Das muss man an dieser Stelle einmal sagen.
({6})
Dieses Banken-Restrukturierungsgesetz wird das Vorbild für einen europäischen Bankenrestrukturierungsmechanismus werden. Wir hatten die Ideen und haben sie
auch umgesetzt.
({7})
Wir hatten nicht nur die Idee, dass Banken vom Markt
verschwinden oder in die Insolvenz gehen können, ohne
dass das ganze System kollabiert, sondern wir haben
auch entsprechend gehandelt. Das ist ein Meilenstein,
den wir in der deutschen Rechtsgeschichte gesetzt haben
und der nicht hoch genug zu bewerten ist.
({8})
Wir müssen unsere Anstrengungen natürlich noch ergänzen. Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die
die Krise verursacht haben, auch an den Kosten der
Krise beteiligt werden.
({9})
Dafür haben wir die Bankenabgabe eingeführt; die
wurde von Ihnen bekämpft. Wir werden auf europäischer Ebene weiter für die Finanztransaktionsteuer
kämpfen. Es ist schlichtweg falsch, dass sich diese Bundesregierung nicht dafür einsetzt. Keine Bundesregierung hat im Bereich Finanztransaktionsteuer so große
Anstrengungen unternommen wie die Regierung unter
Bundesfinanzminister Schäuble.
({10})
Das lassen wir uns von Ihnen in keiner Art und Weise
plattreden.
Man muss allerdings bedenken, dass die bisher in Angriff genommenen Operationen nicht ausreichen. Es gibt
noch offene Baustellen; das will ich nicht beschönigen.
Eine offene Baustelle ist die Too-big-to-fail-Problematik. Im Übrigen sind auf dem G-20-Gipfel in Cannes die
ersten Maßnahmen, um die Too-big-to-fail-Problematik
in Angriff zu nehmen, nicht nur diskutiert, sondern konkret für die Umsetzung vorbereitet worden.
({11})
Globale, systemimmanente Finanzinstitute müssen
mehr Eigenkapital haben. Entsprechende Regelungen
sind bereits auf den Weg gebracht worden. Herr Schick,
insofern waren Ihre Einlassungen, dass die Bundesregierung zu wenig getan habe, falsch. Sie war sogar der Treiber in diesem Prozess.
({12})
- Regen Sie sich ruhig auf, Herr Schick.
Kommen wir jetzt zu der Verhandlungsführung der
Bundesregierung auf internationaler Ebene. Ja, die Bundesregierung verhandelt. Die meisten Verhandlungen,
die die Bundesregierung führt, dienen dazu, unsere Sparkassen und Volksbanken im internationalen Vergleich
wettbewerbsfähig zu halten. Auch das sollten Sie einmal
anerkennen, anstatt eine globale Beschmutzung all dessen vorzunehmen, was von dieser Bundesregierung geleistet worden ist. Ihr Verhalten ist schlichtweg falsch.
({13})
Da wir beim internationalen Kontext sind: Wir müssen
auch darüber reden, dass es einen Bereich gibt, der noch
nicht reguliert ist. Das sind die Schattenbanken. Genau
dieses Thema wird von der CDU/CSU und den Liberalen immer wieder angesprochen. Auf dem G-20-Gipfel
in Cannes ist es von der Bundesregierung vorangetrieben
worden. Das Financial Stability Board, das im Übrigen
gestärkt worden ist, wird in fünf Arbeitsgruppen internationale Lösungen zu diesem Problem erarbeiten.
Sie haben immer gesagt, Deutschland müsse vorangehen. Wir sind in Deutschland vorangegangen mit dem
Verbot von Leerverkäufen, mit dem Banken-Restrukturierungsgesetz und vielen anderen Maßnahmen; dabei
haben wir Maßstäbe gesetzt. Das alles nutzt aber nichts,
wenn es uns nicht gelingt, die Regulierungen auf internationaler Ebene annähernd anzugleichen;
({14})
denn alle Geschäfte, die wir in Deutschland verbieten,
werden sonst im Ausland abgewickelt. Sie werden dann
- das geht ganz schnell - beispielsweise in der Schweiz,
an irgendwelchen Offshoreplätzen oder vielleicht auch
in den USA getätigt. Die große Herausforderung besteht
darin, einen möglichst breiten internationalen Konsens
für entsprechende Maßnahmen herzustellen. Daran arbeitet die Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, wir führen sämtliche Operationen im laufenden Betrieb durch. Alle Anpassungen,
die von den Banken und Versicherungen vorgenommen
werden müssen, werden im laufenden Geschäft erbracht.
Wir wollen, dass die Finanzinstitutionen die Realwirtschaft weiterhin mit Geld versorgen und dass es möglich
ist, Geld anzulegen. Wir arbeiten praktisch wie in der
Formel 1: Wir nehmen einen Reifenwechsel bei laufendem Rennen vor. Das ist eine große Herausforderung.
({15})
Ich wünsche mir, dass wir in diesem schwierigen Prozess mehr Unterstützung von der Finanzbranche erhalten. Das sage ich hier im Deutschen Bundestag schon
seit zwei Jahren. Die Branche hilft uns bei dieser ganzen
Geschichte nicht. Egal, was wir machen: Es findet sich
immer irgendjemand, der sagt: Das ist aber jetzt nicht
richtig für uns. - Meistens wird uns gesagt: Wenn ihr
jetzt das und das macht, dann wird die Welt bzw. die
Kreditversorgung oder Ähnliches zusammenbrechen.
({16})
- Herr Troost, das glauben wir nicht, und das glauben
wir auch der Branche nicht. - Wir müssen das an dieser
Stelle einmal sehr kritisch bemerken, denn das geht so
nicht.
({17})
Jetzt haben Sie uns gesagt, dass wir ein schönes Bild
zeichnen. Nein, wir zeichnen kein schönes Bild; wir
zeichnen ein Bild vieler kleiner Maßnahmen und Anstrengungen.
({18})
Denn wir haben eines erkannt - das ist die Lehre aus dieser Krise -: Die eine große Maßnahme gibt es nicht.
Deswegen sind die verzweifelten Versuche der SPD
nach dem Motto „Mit einer Finanztransaktionsteuer und
einem Trennbankensystem wird alles gut“
({19})
im Prinzip nicht richtig;
({20})
das wird uns nicht weiterführen. Regulierung ist eine
Aufgabe, die harte Tagesarbeit bedeutet. Sie ist ein unangenehmes Geschäft, erfordert sehr viel Detailarbeit und
beinhaltet mühsame internationale Verhandlungsprozesse.
({21})
Jetzt komme ich zum Anfang zurück. Herr
Steinbrück, wir würden uns freuen, wenn Sie sich in
diese Arbeit einbrächten, anstatt hier krampfhaft zu versuchen, staatstragende Reden zu halten, die dann missglücken.
({22})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Finanzausschusses zum Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU und FDP mit dem Titel
„Effektive Regulierung der Finanzmärkte nach der
Finanzkrise“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf der Drucksache 17/7250, den
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf
Drucksache 17/6313 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit
der Mehrheit der Koalition angenommen.
Unter dem Zusatzpunkt 8 geht es um die Abstimmung
über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
auf der Drucksache 17/7638 mit dem Titel „Ratingagen-
turen besser regulieren“. Wer stimmt diesem Antrag zu? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser An-
trag ist mit Mehrheit der Koalition angenommen.
Zusatzpunkt 9. Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7641 mit dem Titel
„Neuer Anlauf zur Finanzmarktregulierung erforder-
lich“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt da-
gegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mehrheitlich
abgelehnt.
Zusatzpunkt 10. Hier geht es um die Beschlussemp-
fehlung des Finanzausschusses zum Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Einsetzung einer
Kommission des Deutschen Bundestages zur Regulie-
rung der Großbanken“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/7665,
diesen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab-
zulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Stimmen der
Koalition angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 29 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Richard Pitterle, Dr. Axel
Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Verlustverrechnung einschränken - Steuerein-
nahmen sicherstellen
- Drucksache 17/5525 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll,
Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Auswege aus der Krise: Steuerpolitische Gerechtigkeit und Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen
- Drucksachen 17/2944, 17/7555 Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache wiederum 75 Minuten vorgesehen. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Barbara Höll für die Fraktion Die Linke.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer.
Das spüren die Menschen in unserem Land. Viele beziehen Niedriglöhne. Rund 1,4 Millionen Menschen müssen trotz Arbeit zum Amt, um aufzustocken. Viele sind
in Leiharbeit. Die Einkommensverteilung geht immer
weiter auseinander, infolgedessen auch die Vermögensverteilung.
Die vermögendsten 10 Prozent der Bevölkerung verfügen mittlerweile über 66 Prozent des Gesamtvermögens, also gehören fast zwei Drittel des Vermögens
10 Prozent der Bevölkerung. Die Zahl der Einkommensmillionäre steigt stetig an. 2001 waren es 12 504 Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, 2007 schon 16 681.
Seit 2002 wurde in unserem Land von Ihnen gemeinsam die Niedriglohnpolitik forciert. Infolgedessen
schrumpfte die Mittelschicht. Die Reallöhne fast aller
Einkommensbezieherinnen und -bezieher sind kontinuierlich gesunken - nochmals massiv in den letzten fünf
Jahren. Das Bruttoeinkommen eines mittleren Angestellten zum Beispiel ist allein in den letzten fünf Jahren inflationsbereinigt um 7 Prozent - um 7 Prozent! - gesunken. Bei Höchstverdienern sieht das allerdings anders
aus; denn sie hatten in den letzten fünf Jahren reale
Lohnzuwächse. Das sind die nackten Tatsachen, vor denen Sie die Augen nicht verschließen dürfen.
({0})
Dieses Auseinanderdriften, zunehmende Armut und
zunehmender Reichtum - zwei Seiten einer Medaille -,
muss endlich gestoppt werden.
({1})
Hören Sie hierzu endlich auf die Stimmen aus der Wissenschaft wie von Herrn Professor Gert Wagner, Chef
des DIW, der eine Vermögensteuer sowie eine höhere
Erbschaftsteuer fordert! Hören Sie auf Stimmen Vermögender wie Marius Müller-Westernhagen, der eine Millionärsbesteuerung gefordert hat! Hören Sie auf Ihre
eigenen Politiker! Norbert Barthle, Ihr haushaltspolitischer Sprecher, erwähnte das letztens. Der niedersächsische Justizminister, Bernd Busemann von der CDU, forderte einen Spitzensatz von 50 Prozent.
({2})
Meine Damen und Herren, dieses Auseinanderdriften
von Arm und Reich spaltet die Gesellschaft in allen europäischen Ländern. Das können wir auch am Beispiel
Griechenland sehen. Die Luft brennt. Ich frage mich
wirklich, wie lange Sie noch zusehen wollen. Hierbei
muss Deutschland vorangehen und endlich eine Vorreiterrolle einnehmen.
({3})
Wir kennen seit Jahren genügend wirksame Maßnahmen. Aber Sie wollen sie nicht hören. Sie wollen sie
nicht umsetzen. Ich nenne Ihnen deshalb noch einmal
die vier wichtigsten: Reformieren Sie die Erbschaftsteuer, sodass eine Erhöhung herauskommt. Erheben Sie
die Vermögensteuer wieder. Wir brauchen eine Reform
der Einkommensteuer, die tatsächlich zu einer Entlastung unterer und mittlerer Einkommen führt.
Und wir brauchen eine Umwandlung der Gewerbesteuer in eine Gemeindewirtschaftsteuer.
Sie sagen immer, Sie wollten keine Neuverschuldung;
es gehe doch nicht, untere und mittlere Einkommen zu
entlasten, da wir kein Geld hätten.
({4})
Aber jeder weiß: Die Millionäre fassen Sie mit Samthandschuhen an. Aber wenn ein Facharbeiter etwas
mehr verdient, schlägt bei ihm die kalte Progression zu,
sodass er sich wundert, warum manchmal weniger als
das im Lohnbeutel ist, was er vorher hatte.
Wenn wir aber über Steuern reden - das tun wir, und
wir haben Ihnen mit unserem Antrag Vorschläge unterbreitet -, sollten wir über alle Steuern reden, nicht nur
über die direkten Steuern, sondern auch über die indirekten Steuern. Ursprünglich sollte die Verteilung des Aufkommens aus direkten und indirekten Steuern etwa hälftig sein. Das ist ausgehebelt worden.
Wir haben eine massive Verschiebung hin zu den indirekten Steuern. Die indirekten Steuern zahlen nun einmal alle in der Bevölkerung, vom Säugling bis zum
Rentner, zum Beispiel auf Windeln und auf Kleidungsstücke. Auch Schulessen unterliegt der Mehrwertsteuer.
Überall werden diese indirekten Steuern gezahlt. Dadurch haben wir von vielen Menschen, auch solchen mit
einem geringen Einkommen, ein hohes Steueraufkommen.
Bei der Einkommensteuer ist wohl wahr, dass 53 Prozent des Aufkommens im Jahr 2007 die obersten 10 Prozent der Einkommensbezieherinnen und -bezieher gezahlt haben. Aber sie haben natürlich auch den höchsten
Anteil an den Einkommen.
40 Prozent der Leute, die arbeiten, verdienen so wenig, dass sie gar keine Steuern zahlen können. Darin
liegt das Problem.
({5})
Das Problem liegt in Ihrer Niedriglohnpolitik und in den
viel zu geringen Löhnen. Hier müssen wir endlich umsteuern.
Wir haben positiv zur Kenntnis genommen, dass Sie
mit dem Mindestlohn endlich das Thema der Linken aufgegriffen haben. Frau Merkel eiert zwar schon wieder
ein bisschen herum,
({6})
aber Sie wollen sich da bewegen.
Bei der Flugticketabgabe haben Sie etwas gemacht.
Aber jetzt kommen Sie wieder mit Vorschlägen, die an
der Ursache, am Wesentlichen vorbeigehen, da diese
sich nur auf die Frage der kalten Progression und die
dementsprechenden Regelungen beschränken.
Sie sagen: Eigentlich können wir das nicht finanzieren. Dabei muss man sagen: Kommunen und Länder haben recht, sie haben kein Geld, sie können das nicht finanzieren. Der Bund ist hier gefragt; denn der Bund ist
verantwortlich für die katastrophale Situation in den
Kommunen und auch bei den Menschen; denn die Niedriglohnpolitik ist von Ihnen politisch gewollt worden.
Deshalb sind Sie dafür verantwortlich. Hier muss also
auch der Bund einstehen.
Wir brauchen kein Herumdoktern und keine halbherzigen Bekenntnisse; wir brauchen ein tatsächliches Herangehen an die Probleme.
({7})
Dazu legen wir Ihnen unseren Vorschlag vor. Lösen Sie
endlich das Problem des Tarifs in der Einkommensteuer!
Natürlich brauchen wir eine Anhebung des Grundfreibetrages. Wir schlagen 9 300 Euro vor.
({8})
Wir brauchen endlich einen durchgehend linear-progressiven Tarif,
({9})
dann hätten wir eine wirkliche Entlastung im unteren
und mittleren Einkommensbereich.
Ich habe es Ihnen bereits vorgerechnet und kann das
gern noch einmal tun, damit das endlich einmal bei Ihnen ankommt.
({10})
Nach unserem Vorschlag kommt es erst ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 70 000 Euro zu einer
monatlichen Steuermehrbelastung von 7 Euro. Bis zu
diesem Betrag gäbe es eine massive Entlastung. Bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 26 000 Euro
beispielsweise müssten nach unserem Tarif 1 086 Euro
weniger Einkommensteuer gezahlt werden. Das ist eine
wirkliche Entlastung.
({11})
Sie machen viel weniger. Was die reale Steuerersparnis angeht, ist es so, dass es durch Ihren Tarif bei den
oberen Einkommensgruppen zu einer wesentlich höheren absoluten Entlastung kommen würde als im unteren
und mittleren Einkommensbereich. Dazu bieten wir Lö16702
sungsvorschläge. Das braucht Kraft, und das braucht
Mut. Das braucht nicht nur Lippenbekenntnisse zu sozialer Gerechtigkeit, sondern es braucht auch Taten, um
das Vorhaben tatsächlich umzusetzen.
({12})
Ich möchte etwas zur Vermögensbesteuerung sagen.
Deutschland ist im europaweiten Vergleich am unteren
Ende, was den Anteil der Steuern auf Vermögen am
Bruttoinlandsprodukt betrifft. Der Anteil der Steuern auf
Vermögen, der zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen wird, liegt hier bei unter 1 Prozent. Das ist
doch einfach skandalös. Anders kann man das nicht bezeichnen.
({13})
Nehmen wir nur einmal die Zahl der Vermögensmillionäre: 2006 waren es 798 000, 2008 810 000. 2009 waren es bereits 862 000 und 2010, nach der Krise,
924 000. Unser Vorschlag ist, wieder eine Vermögensteuer zu erheben - wir können das, die gesetzlichen Voraussetzungen sind gegeben, wir müssen nur den Erhebungsmodus ändern - und festzulegen, dass 1 Million
Euro steuerfrei bleibt. Ich finde, das ist ein großzügiges
Angebot.
({14})
Ob es 1 Prozent oder 2 Prozent werden - wir schlagen
Ihnen 5 Prozent vor; darüber können wir gerne verhandeln -: Fangen wir doch erst einmal an! Wenn man ein
Vermögen von über 1 Million Euro hat, dann ist es zumutbar, so meinen wir, dass man den ersten Euro, der darüber liegt, mit 5 Prozent besteuert. Bei 1 000 001 Euro
sind das 5 Cent im Jahr. Ich finde, das geht.
({15})
Wir haben Ihnen für heute einen zweiten Antrag vorgelegt. Es geht darum, die Verlustverrechnung einzuschränken. Der Antrag ist vom April. Nun haben Sie sich
dieses Problems endlich irgendwie angenommen. Man
muss aber dazusagen: Uns drohen Einnahmeausfälle unter anderem durch Steuersparmodelle von Unternehmen,
bei denen Verluste und Gewinne verschoben wurden, um
Steuern zu sparen. Der Bericht Ihrer Arbeitsgruppe besagt, dass das ein Ergebnis von Steuersparmodellen ist.
Wenn es zu Einnahmeausfällen in Höhe von 150 Milliarden Euro kommt, dann stellt das wieder eine Bedrohung
der Finanzierung des Gemeinwesens dar. Deshalb fordern wir Sie auf: Handeln Sie endlich! Wir haben Ihnen
Frau Kollegin, ich Ihnen auch.
- und zwar mehr als genug. Legen Sie endlich auch
uns und nicht nur der Zeitung den Bericht vor, den Ihre
Arbeitsgruppe erstellt hat! Lassen Sie uns schnell zu einer Regelung kommen! Wir fordern Sie auf: Machen Sie
das! Ich glaube, das tut mehr als not.
({0})
Kollege Mathias Middelberg ist der nächste Redner
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Lieber Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will mich auf
vier Punkte beschränken. Ich starte mit dem Thema Verlustverrechnung, das Sie, Frau Höll, angesprochen haben.
Der Bericht liegt vor und wird jetzt sorgfältig ausgewertet. Das, was Sie in Ihrem Antrag vorschlagen, ist überhaupt nicht verwertbar. Das ist überhaupt nicht brauchbar.
Das würde den Unternehmensstandort Deutschland
schlichtweg ruinieren.
({0})
Wir wären dann überhaupt nicht mehr wettbewerbsfähig
in Europa.
Diese einäugige, linke Logik, die Sie an den Tag legen
- einfach die Bemessungsgrundlagen verändern und die
Steuersätze anheben; dann hat man mehr Steuereinnahmen -, ist völlig blödsinnig. Ich sage das einmal so: Wenn
ich Schafe locken will, brauche ich eine grüne Wiese. Ich
muss meine Kühe vernünftig pflegen, wenn ich sie melken will. Wenn ich mit gewetzten Messern zum Abledern
auf der Wiese stehe - so wäre das bei Ihren Steuervorschlägen -, dann geht kein vernünftiges Nutztier auf die
Wiese.
({1})
Wir möchten, dass sich Unternehmen gerne in
Deutschland engagieren, dass sie hier gerne wirtschaften. Sie sollen sagen: Deutschland ist ein vernünftiger
Standort, an dem ich erstklassige Arbeitnehmer habe, an
dem ich eine gute Infrastruktur vorfinde, und auch in
steuerlicher Hinsicht ist Deutschland im europäischen
Vergleich wettbewerbsfähig.
({2})
Das ist doch das Entscheidende: Wir müssen im europäischen Vergleich wettbewerbsfähig sein, auch was die
Steuerpolitik angeht. Deswegen begrüße ich es außerordentlich, dass die Bundesregierung mit der französischen Regierung intensiv an Projekten arbeitet, um das
Steuerrecht in Europa weiter anzugleichen - ich nenne
zum Beispiel die gemeinsame Bemessungsgrundlage für
die Körperschaftsteuer -, um dadurch Wettbewerbsnachteile einzuebnen.
Deutschland muss als Unternehmensstandort und hinsichtlich der Investitionen wettbewerbsfähig sein. In diesem Zusammenhang gilt die Weisheit des Kollegen
Steinbrück - er hat unsere Runde leider schon verlassen -,
der einmal gesagt hat: Lieber 30 Prozent von x als
40 Prozent von nix.
({3})
Man muss aufpassen, dass man das Rad nicht überdreht. Ich kann nicht, wie Sie es tun, fordern, dass der
Verlustabzug nach drei Jahren auf null gesetzt wird, dass
er nach drei Jahren nicht mehr möglich sein soll. Das ist
doch völlig blödsinnig. Wenn Sie in einem Unternehmen
heute ein Produkt entwickeln, dann haben Sie erst einmal Entwicklungskosten. Sie haben Forschungskosten.
Sie bauen einen Prototyp. Dann bauen Sie die ersten
Produkte. Irgendwann gehen Sie an den Markt. Dann
müssen Sie die Produkte verkaufen. Und nach Jahren
kommen Sie in eine Phase, in der Sie Geld verdienen
und Gewinne machen.
Ihr Vorschlag läuft darauf hinaus, dass die Unternehmen ihre Forschungs- und Entwicklungskosten in Zukunft nicht mehr verrechnen können.
({4})
Die Verluste, die sie im Vorfeld gemacht haben, sollen
sie mit den Gewinnen, die sie mit dem Verkauf des Produktes später erzielen, nicht mehr verrechnen können.
Ein solcher Vorschlag ist doch kompletter Blödsinn. Darüber kann man nicht einmal vernünftig nachdenken.
({5})
In Ihrem Antrag haben Sie schön formuliert, es
müsste etwas getan werden, um die desaströse Situation
der kommunalen Haushalte aufzuarbeiten. In den letzten
Wochen ist Ihnen wirklich etwas entgangen: Denn es ist
diese Bundesregierung, die die größte Entlastung der
Städte, Gemeinden und Kreise in Deutschland seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebracht hat.
({6})
- Es ist schön, dass Sie feststellen, dass Sie das schon
einmal gehört haben. Es ist trotzdem sinnvoll, das zu
wiederholen; denn das ist richtig.
Herr Kollege Middelberg, darf Frau Kollegin Höll Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Ja, sehr gerne.
Danke, Herr Präsident. - Danke, Herr Kollege, für die
Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen.
Ich weiß nicht, ob Ihnen entgangen ist, dass die Situation der Kommunen wirklich desaströs ist. Wenn ich
Ihnen ein Beispiel nennen darf: Meine Heimatstadt Leipzig hatte im vergangenen Jahr ein Gewerbesteueraufkommen, wie jede Stadt. Allerdings ist das gesamte Gewerbesteueraufkommen für die Kosten der Unterkunft
draufgegangen.
Sie sprachen von einer großen Entlastung, weil der
Bund in Zukunft die Kosten der Grundsicherung im Alter übernehmen wird. Wir wissen aber noch nicht, ob der
Bund bereit ist, diese Kosten zeitnah zu übernehmen.
Diese Ausgaben werden in Zukunft permanent steigen.
Nach Ihrem bisherigen Vorschlag sollen die Kosten der
Unterkunft zwei Jahre rückwärts abgerechnet werden.
Das heißt, dass die Kommunen nach wie vor in Vorleistung gehen müssen.
Man muss in Rechnung stellen, dass eine hohe Anzahl von Menschen von Hartz IV leben müssen, für die
die Kosten der Unterkunft getragen werden. Dass dafür
das gesamte Gewerbesteueraufkommen der Stadt aufgewendet werden muss, ist das Ergebnis Ihrer Politik, Ihrer
Niedriglohnpolitik, Ihrer Lohnsenkungspolitik und Ihrer
verfehlten Steuerpolitik. Daher liegt es tatsächlich in der
Verantwortung des Bundes, etwas zu machen.
({0})
Man muss auch in Rechnung stellen, dass die Konjunktur nicht mehr wunderbar am Laufen ist
({1})
und wir nicht einmal wissen, wie das Gewerbesteueraufkommen im nächsten und übernächsten Jahr sein wird.
Man muss ebenfalls berücksichtigen, dass die Menschen, die schon heute in Hartz IV und Langzeitarbeitslose sind, in der Zukunft im Alter natürlich überproportional viel Hilfe brauchen. Dies möchten Sie sozusagen
gegenfinanzieren,
({2})
indem Sie der Bundesagentur für Arbeit die Gelder streichen. Dazu muss ich sagen, dass auch das meine Stadt
überproportional treffen wird; denn die Mittel, um Langzeitarbeitslose aus Hartz IV herauszuholen und in Arbeit
zu bringen, fehlen dann.
Jetzt ist aber gut.
Ich glaube, das ist eine desaströse Situation. Ich bitte
Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. Vielleicht sollten Sie
einmal nachfragen, wie viele Kommunen bereits heute
nicht mehr selbst über ihr Geld entscheiden können, weil
sie der Kommunalaufsicht unterstehen.
Danke.
({0})
Liebe Frau Kollegin Höll, ich werte Ihren Beitrag als
Frage
({0})
und antworte darauf wie folgt:
({1})
Ich glaube, die Situation der Kommunen in Deutschland ist durchaus unterschiedlich. Es gibt auch Kommunen, die in der Lage sind, ausgewogen zu haushalten,
beispielsweise Braunschweig in Niedersachsen, weil sie
entsprechende Sanierungsmaßnahmen in ihrem kommunalen Bereich vorgenommen haben. Die Situation ist
also durchaus unterschiedlich. Es gibt auch Kommunen,
die sich um wirtschaftliche Ansiedlung bemüht haben
und denen es deshalb sehr gut geht, weil sie in ihrem
kommunalen Bereich ein hohes Maß an Wertschöpfung
haben. Das macht strukturelle Unterschiede aus und
kennzeichnet vielleicht auch Unterschiede in der Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern.
({2})
Das kann ich im Einzelnen nicht beurteilen und möchte
darauf auch nicht eingehen.
Ich will nur ganz generell feststellen: Sie sehen doch
im Moment am deutlich steigenden Gewerbesteueraufkommen, dass sich unsere Politik - Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Entlastung der mittleren Unternehmen,
mehr Kindergeld, höherer Kinderfreibetrag und anderes in besseren Konjunkturzahlen, in Wachstumszahlen
- 3,8 Prozent im letzten Jahr, knappe 3 Prozent in diesem Jahr - niederschlägt; dies ist auch gut für die kommunalen Kassen. Ich finde es mutig, dass der Bund gerade die Grundsicherung im Alter - ich habe es eben
erwähnt - übernimmt. Denn die Ausgaben in diesem Bereich werden in Zukunft am stärksten wachsen. Ich
glaube, das ist eine gewaltige Entlastung der Kommunen.
({3})
Ich würde gern fortfahren und möchte etwas zum
Thema Steuerpolitik generell und zu Ihrem Antrag sagen.
Ihrem Beitrag konnte man in Teilen, zumindest bei der
Analyse, folgen. Sie haben von ungerechter Steuerpolitik
in Deutschland gesprochen. Wenn Sie das wirklich ernst
meinen, dann müssten Sie eigentlich mit Begeisterung
unserem Vorhaben zustimmen, den Grundfreibetrag in
zwei Schritten anzuheben und die kalte Progression in
Deutschland abzubauen. Ihr Beitrag ist doch ein Plädoyer
für unseren Vorschlag.
({4})
- Absolut.
({5})
Ich möchte Ihnen die geplanten Entlastungen darlegen. Sie sind durchaus ausgewogen. Nach der Grundtabelle wird jemand mit 9 000 Euro zu versteuerndem Einkommen, der vorher im Jahr 148 Euro Steuern zahlte,
nur noch 94 Euro Steuern zahlen. Es spart 54 Euro. Das
hört sich nicht nach wahnsinnig viel an,
({6})
bedeutet aber eine Entlastung um 37 Prozent.
({7})
Der Spitzensteuerzahler in Deutschland jenseits der
250 000 Euro wird demgegenüber nur um 0,38 Prozent
entlastet. Das ist also ein Hundertstel davon.
({8})
Das heißt, wir entlasten im unteren Bereich um das
100-Fache dessen, um das wir im oberen Bereich entlasten. Das ist eindeutig eine Entlastung der unteren und
mittleren Einkommen; das möchte ich hier klar und
deutlich feststellen.
({9})
Das ist eindeutig ein Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland.
Da es in der Debatte immer wieder um die kalte Progression geht, muss ich Ihnen sagen: Das haben wir Ihnen schon mehrfach erklärt.
({10})
- Nein. Das habe ich Ihnen beim letzten Mal richtig
schön und zutreffend erklärt. Sie hören nur nicht sorgfältig zu. - Ich habe das Beispiel des Facharbeiters genannt,
der eine Lohnsteigerung bekommt. Er verdient dann
zwar nominal gut 800 Euro mehr, rückt aber durch die
Lohnsteigerung in der Steuerprogression weiter nach
oben, wird also höher besteuert. Gleichzeitig verliert er
durch die Inflation an Kaufkraft. Er zahlt auch noch höhere Sozialabgaben. Das heißt: Er hat zwar nominal gut
800 Euro mehr, an Kaufkraft aber tatsächlich ungefähr
130 Euro weniger in der Tasche. Diese Kaufkraft wollen
wir den Menschen jetzt zurückgeben. Wir wollen, dass
das Geld, das die Arbeitnehmer in Deutschland zusätzlich verdienen, die Lohnsteigerungen, die sie erhalten, in
den Taschen der Arbeitnehmer und nicht in der Steuerkasse des Staates ankommt. Das ist unsere Politik.
({11})
Ich glaube, dass wir in Deutschland steuerpolitisch
sehr vernünftig handeln und auf dem richtigen Weg sind.
Das zeigen auch die Daten, die wir vorweisen können.
Ich habe eben die Wachstumsdaten genannt und auf das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz hingewiesen, das Sie
ja immer ein bisschen heruntergemacht haben. Es führte
allerdings zu einer Riesenentlastung, gerade für die Familien in Deutschland.
({12})
Die Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes war der mit Abstand größte Posten in diesem Gesetz.
({13})
- Die Geschichte mit den Hotels hake ich an dieser
Stelle ab;
({14})
das fand auch ich nicht so toll. Aber der größte Posten
dieses Gesetzes waren, wie gesagt, Entlastungen für Familien.
Die nächstgrößeren Posten waren Entlastungen für
die kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland.
Das hat die Wirtschaft in diesem Land noch weiter beflügelt und mit dazu beigetragen, dass wir hervorragende
Wachstumszahlen haben. Wir haben in Deutschland die
geringste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren und endlich
auch einen spürbaren Rückgang bei den Langzeitarbeitslosen. Die Bundesagentur für Arbeit hat festgestellt, dass
wir bei den Langzeitarbeitslosen seit Einführung von
Hartz IV - hören Sie genau zu! - noch nie einen so starken Rückgang hatten wie jetzt unter dieser Regierung.
Ich glaube, es wird in dieser Regierung ein bisschen
viel gestritten. Aber was die Arbeitsergebnisse angeht
- eben haben wir auch über die guten Resultate im Bereich des Finanzmarktes gesprochen -, ist diese Regierung hervorragend aufgestellt.
Vielen Dank.
({15})
Lothar Binding ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Manchmal erschreckt
das einfache Weltbild, das aus einem Antrag spricht.
Barbara Höll hat eben gesagt: Viele Leute zahlen keine
Steuern, und darin liegt das Problem. - Darin liegt sicher
auch ein Problem. Nur: Es zahlen viele Reiche keine
Steuern, weil sie ihr Einkommen „weggestalten“,
({0})
und es zahlen viele Arme keine Steuern, weil die Löhne
zu gering sind. Das stimmt. Die Antwort, die Sie darauf
geben, lautet: Steuern anheben. Eine so einfache Antwort gibt es in diesem komplexen Zusammenhang nicht.
({1})
Aber leider kommt es in dieser Debatte ganz häufig zu
diesem Reflex.
Heute Morgen hat Peer Steinbrück vom Trennbankensystem gesprochen. Da gab es große Unruhe bei FDP
und CDU/CSU, als ob dieser Vorschlag die Lösung aller
Probleme dieser Welt gewesen sein sollte. Nein!
({2})
Als er dann das Wort „Baustein“ benutzt hat, wurde das
etwas deutlicher.
Wir müssen uns, glaube ich, damit vertraut machen,
dass es eine Lösung für alle Probleme dieser Welt nicht
gibt. Wir müssen ein bisschen differenzierter vorgehen
und genauer hinhören. Ihr Antrag hat schließlich eine
mächtige Überschrift, in der von „Krise“ die Rede ist.
Aber: Wir haben - mindestens - eine Insolvenzkrise in
den USA, mit großen Folgen für Europa. Wir haben eine
Liquiditätskrise der Banken in Europa. Wir haben ein
Marktversagen auf der ganzen Welt; denn der Markt ist
voller toxischer Produkte. Wir haben eine Staatsverschuldungskrise. Und welchen Vorschlag macht die
Linke? Ihr Vorschlag - „ Auswege aus der Krise“! - lautet: Steueranhebung. Als ob die Welt so einfach wäre!
({3})
Ich glaube, man sollte einmal deutlich machen, was in
dem Antrag - jeder kann ihn lesen - fehlt. Weil am Ende
einer Rede meistens die Zeit dafür fehlt, will ich damit
beginnen. In Ihrem Antrag findet man überhaupt keine
konstruktiven Vorschläge, wie steuernd eingegriffen
werden kann. Gute Instrumente, die schon funktioniert
haben - als Erinnerung seien nur die Konjunkturpakete
und das Kurzarbeitergeld genannt -, werden gar nicht erwähnt.
Was ist eigentlich eine „marktnahe Ermittlung der
Unternehmens- und Vermögenswerte“? Was soll eigentlich passieren, wenn Unternehmen Töchter im Ausland
haben, zum Beispiel in der EU, in Afrika oder Asien?
Wie wollen Sie bei immateriellen Wirtschaftsgütern
diese Werte überhaupt ermitteln? Sie haben einen Antrag
vorgelegt. Die Frage ist: Wie sollen die darin enthaltenen
Vorschläge auf dem internationalen Markt wirken? Das
lassen Sie völlig offen. Das ist ein Gesetzesvorschlag
voller offener Fragen und Lücken. Ich glaube, das ist bei
Ihrem Vorschlagsstrauß ganz offensichtlich.
({4})
- Ich sage auch noch etwas zu dem Vorliegenden.
Lothar Binding ({5})
Es wird nichts zur Verteilung der Steuereinnahmen
gesagt. Auch das ist sehr wichtig. Es wird auch nichts
zur Haushaltskonsolidierung, zur Reduzierung der Nettoneuverschuldung und zur Verschuldung an sich gesagt.
Sehr wichtig ist, dass auch über die Sozialabgaben nichts
gesagt wird. Das wäre für die Empfänger kleiner Einkommen aber viel maßgeblicher, als über Steuern nachzudenken. Die Steuer wirkt natürlich progressiv. Das
stört diejenigen, die nur wenig haben, aber natürlich nur
relativ wenig, weil sie auch nur relativ wenig Steuern
zahlen. Die Leute, die wenig haben, werden aber regressiv von den Sozialabgaben betroffen. Dadurch werden
die Empfänger kleiner Einkommen sehr stark belastet.
Darüber wird aber nichts gesagt.
Über die regulatorischen Schlussfolgerungen aus der
Finanzkrise - bezogen auf das Eigenkapital und die Liquidität, Schattenbanken, Einlagensicherung, Kreditvergabe - wird ebenfalls nichts gesagt. Sie tun in Ihrem Antrag so, als sei die Welt damit aufzuräumen, dass man die
Steuern ein bisschen anhebt, und schon habe man ein
schönes System. Durch diesen Antrag wird suggeriert:
Mehr Geld in staatliche Hand, und alle Probleme sind
gelöst. Das ist ein bekanntes Denkmuster.
Es gibt hier noch jemanden, der ein ähnliches Denkmuster an den Tag legt, nur mit einem anderen Vorzeichen. Ich muss jetzt ein bisschen nach rechts gucken.
({6})
Die FDP nähert sich den Krisenlösungsszenarien nämlich von der anderen Seite, weil die FDP nicht die Idee
hat, die Steuern anzuheben; aber vor, während und nach
der Krise hatte sie die Idee, die Steuern zu senken. Egal,
was ist, Hauptsache die Steuern werden gesenkt, und
dann ist alles wieder in Ordnung, wobei die Zahlen immer ein bisschen verwirrend gewesen sind. Sie wollten
ja einmal einen Spitzensteuersatz von 35 Prozent und
eine Steuerentlastung der Bürger in Höhe von 35 Milliarden Euro, dann war auch einmal von 25 Milliarden
Euro und von 15 Milliarden Euro die Rede, und jetzt
sind Sie bei 6 Milliarden Euro.
({7})
Man muss sich überlegen, ob das eine ehrliche
Steuerentlastung oder nichts weiter als die übliche Anpassung des Grundfreibetrages infolge der Ableitung aus
dem Existenzminimum ist.
({8})
Man muss sagen: Das ist ein riesengroßes Blendwerk.
Auf das, worauf die FDP sich einlässt, wurde heute
Morgen schon hingewiesen: Die Steuersenkung, die Sie
tatsächlich zur Unzeit vornehmen, führt immerhin zu einer Zinsbelastung von 180 Millionen Euro pro Jahr. Sowohl die Steuersenkung als auch die Zinsbelastung
finanzieren Sie über Kredite im Staatshaushalt. Das ist
ein super Konzept zur Steuersenkung! Das ist ein Konzept zur Ruinierung unserer Staatsfinanzen, und sonst
gar nichts.
({9})
- Sie sind ein bisschen geschichtslos und müssen mit Ihrer Argumentation jetzt schon auf ein Bundesland ausweichen, weil Ihnen bezogen auf den Bund die Argumente ausgegangen sind. Das verstehe ich sehr gut.
({10})
Die Linke erhöht die Steuern immerhin konsequenter,
als die FDP die Steuern senkt. Das muss man schon einmal sagen. Die Idee, aus einer Antwort alle Lösungen
abzuleiten, ist aber bei beiden gleich. Das ist für mich
der systematische Fehler in diesem Antrag.
Sie wollen eine Vermögensteuer von 5 Prozent, eine
Erbschaftsteuer von bis zu 60 Prozent und die Körperschaftsteuer auf 25 Prozent erhöhen.
({11})
Sie wollen die Gewerbesteuer abschaffen und durch eine
Gemeindewirtschaftsteuer ersetzen. Es gibt auch Freibeträge.
Sagen Sie einmal: Was ist eigentlich eine „selbstständige nachhaltige Betätigung mit Gewinnermittlungsabsicht“? Das ist ein Rechtsbegriff, an dem ich mich gerne
orientieren würde. Aber wie funktioniert das eigentlich?
Ich habe eine selbstständige nachhaltige Betätigung mit
Gewinnermittlungsabsicht, und deshalb fällt eine ganz
bestimmte Steuer an. Das ist ein super Modell. Die Frage
ist nur, ob ich als Unternehmer überhaupt dazugehöre.
Es wäre interessant für das ganze Haus, wenn Sie das
rechtsförmlich korrekt in einem Gesetz formulieren würden. Ich glaube, das wird schwierig.
({12})
Sie wollen die DBA, die Doppelbesteuerungsabkommen, mit den Ländern kündigen, die sich möglicherweise nicht ganz an das OECD-Musterabkommen halten. Es war ja bisher das Bestreben aller Regierungen,
dieses OECD-Musterabkommen und den Informationsaustausch mit den Ländern voranzubringen.
Sie sagen, Sie wollen die DBA mit diesen Ländern
kündigen und von denjenigen, die hier und dort arbeiten,
eine Quellensteuer von 50 Prozent auf Dividenden, Zinsen und Lizenzabgaben erheben, die von Deutschland in
diese Gebiete fließen. Sie haben mit diesen Ländern
dann keinen Vertrag mehr. Dazu habe ich eine Frage:
Wenn ein Unternehmen nur zum Zwecke der Steuerersparnis in einem solchen Land ein Tochterunternehmen gründet: Wie wollen Sie das eigentlich erfassen?
Sie müssen sich schon auf irgendein Vertragsverhältnis
einlassen. Die DBA sind sehr gut; denn man kann sie
verbessern, man kann eine Bemessungsgrundlage ermitteln usw. Ich glaube, hier haben Sie ein bisschen am Ziel
vorbeigeschossen.
Lothar Binding ({13})
Abgesehen davon haben Sie die Wirkung der meisten
Ihrer Maßnahmen nicht betrachtet. Sie gehen von einem
statischen Modell aus: Steuersatz mal Bemessungsgrundlage gleich Steuereinnahme. Die Menschen verhalten sich aber, und die Unternehmen gestalten sich und
haben das Bestreben, ihre Steuern noch stärker als bis
jetzt schon zu senken. Daran erkennt man: Ihr Modell ist
ein statisches Modell. Leider bewegt sich aber die Welt.
Es wäre wichtig, das einzubeziehen.
({14})
Es gibt unter dem Gesichtspunkt der Steuervereinfachung einen interessanten Vorschlag zur Mehrwertsteuer. Sie wollen das Desaster mit der Hotelsteuer wieder aufrollen. Das ist gut. Das unterstützen wir sofort,
weil die Hotels von der Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Übernachtungen in Höhe von 1 Milliarde Euro zu
Unrecht profitieren. Dieses Geld fehlt im Bundeshaushalt überall.
Sie wollen den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für
Produkte und Dienstleistungen für Kinder, für apothekenpflichtige Arzneimittel und für „arbeitsintensive
Handwerksdienstleistungen“ einführen. Auch da ist die
interessante Frage: Wie definiert sich das? Was ist denn
eine nicht arbeitsintensive Handwerksdienstleistung? Ich
bin Handwerker. Ich würde mich unheimlich ärgern,
wenn Sie das, was ich gemacht habe, als nicht arbeitsintensiv einstufen würden. Denn ich strenge mich eigentlich immer an und gestalte meine Arbeit damit
schließlich arbeitsintensiv.
({15})
Gleiches gilt für den Schienenpersonennahverkehr. Ich
will es einmal so sagen: Das, was Sie wollen, ist eine
exakte Klientelpolitik für Ihre Seite, abgeschrieben von
der anderen Seite und deren Klientelpolitik.
({16})
Das sind andere Zielgruppen, aber der Grundgedanke ist
der gleiche. Der Fehler in der Entwicklung dieser beiden
Modelle ist systematisch und logisch gleich.
Dass Sie Kerosin besteuern wollen, finde ich eine
gute Sache. Sie wollen auch „Boni in der Finanzbranche“ besteuern. Auch da müsste man ein bisschen genauer nachdenken, was das bedeutet und wie sich das
weltweit darstellt.
Stellen Sie sich einmal vor: Sie haben eine Bank und
in 170 Ländern Filialen. Sie sind Bankvorstand und haben die Möglichkeit, ihr Einkommen verteilt über diese
170 Filialen entsprechend zu gestalten. Dieses Einkommen, das an bestimmten Stellen Boni heißt, soll nun belastet werden. Die Boni zu belasten, ist eine gute Idee.
Aber so, wie Sie es aufschreiben, weiß überhaupt keiner,
was gemeint ist. Das ist charakteristisch für diesen Antrag. Man sagt ganz oft: Das ist super, diese Steuer ist
eine gute Idee. Dann schaut man nach und findet nichts
dazu, was gemeint ist, wie man das umsetzen soll und
welche Wirkungen das hat. Das ist keine Gesetzesgrundlage. Das ist ein Fake, würden meine Kinder sagen.
({17})
Ihr Modell einer Einkommensteuer einmal nachzurechnen, wäre, offen gestanden, eine schöne Aufgabe für
einen Mathematiker. Ich habe das nicht gekonnt. Es wäre
toll, wenn Sie uns einmal darstellen, dass die Rechnungen, die Sie vornehmen, tatsächlich der Realität entsprechen; denn Sie kommen mit Ihrer Einkommensteuerreform und der Senkung der Mehrwertsteuer auf ein
Einnahmevolumen des Staates von insgesamt 173 Milliarden Euro - in einem statischen Modell.
Jetzt ist eine Frage: Wie wird in diesem statischen
Modell gerechnet? Ich kann das nicht nachvollziehen,
übrigens viele andere auch nicht. Ich habe ein paar Leute
gefragt, die so etwas beurteilen können. Die Grünen haben Ihr Modell nachgerechnet und kommen auf Einnahmen in einer Größenordnung von 50 Milliarden Euro.
Das ist aber ein Unterschied zu 173 Milliarden Euro. Die
Frage, die man noch beantworten muss, ist: Was passiert
infolge einer solchen Reform? Wenn diese Reform morgen vom Himmel fällt: Was machen dann die Menschen? Die Antwort darauf wage ich nicht zu geben;
denn das wäre ein Hinweis darauf, was man machen
müsste.
Insofern ist dieser gesamte Antrag nicht dazu angetan,
um die Reichen zur Kasse zu bitten und die Armen zu
unterstützen. Er ist nicht dazu angetan, den Staat zu stärken. Er ist nicht dazu angetan, bei denen, die keine Verantwortung übernehmen, die Verantwortung einzuklagen. Angesichts all dieser Mängel ist hoffentlich
deutlich geworden, warum jedenfalls wir diesem Vorschlag nicht zustimmen.
Schönen Dank.
({18})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
diesem Hohen Haus haben wir in der Steuerpolitik sehr
unterschiedliche Auffassungen. Diese kommen in dieser
Initiative der Linken wieder zum Ausdruck. Die Debatte
macht deutlich: Wir haben unterschiedliche Standpunkte
grundlegender Art.
Die Linken - dazu gehören auch die Sozialdemokraten - sind der Auffassung: Das Effizienteste, was es gibt,
ist, wenn der Staat das Geld der Bürger in die Hand
nimmt und dann im Parlament entschieden wird, wie investiert wird und was mit diesem Geld geschieht. Die
Koalition ist der Auffassung, dass es besser ist, dass das
Geld privat investiert wird, weil man durch die Eigenverantwortung der privaten Investoren einen Mehrwert
für die Gesellschaft erreicht. Das ist unsere Vorstellung
von sozialer Marktwirtschaft. Das Steuersystem muss
den Staat ausreichend finanzieren, aber auch genügend
Raum für privates Engagement und für private Initiativen und Investitionen belassen.
({0})
Das sind die krassen Unterschiede zwischen den Linken und den Liberalen, Herr Binding. Die Linken sagen:
Eigentlich sollte man das mit den Privaten ganz lassen.
Der Staat kann das am besten. Deswegen sollte er gleich
möglichst alles bekommen.
({1})
Das sind ja Ihre Vorschläge, Frau Kollegin Höll: bis zu
60 Prozent Erbschaftsteuer und 5 Prozent Vermögensteuer.
({2})
Was Sie so niedlich als 5-Cent-Besteuerung bezeichnen,
ist nur ein Ablenken von dem eigentlichen Problem.
5 Prozent Vermögensteuer ist keine realistische Annahme. So etwas ist mit der Marktwirtschaft nicht zu
vereinbaren. Das ist für Sie aber kein Problem, weil Sie
sie gar nicht wollen. Sie wollen im Kern ein Steuersystem, das unser Wirtschaftssystem und unsere Wirtschaftsordnung untergräbt.
Sie, Herr Binding von der SPD, sind auch auf dem
falschen Weg. Sie wollen, dass der Staat jetzt in der
Krise möglichst alle Steuern anhebt, und erzählen den
Menschen, damit könne man Haushaltskonsolidierung
betreiben. Das ist aber falsch.
Denn wenn Sie dem Staat den Einsparungsdruck nehmen, indem Sie die Steuern erhöhen, dann passiert nicht
das, was Sie den Menschen erzählen, nämlich dass die
Ausgaben gesenkt werden oder die Staatsverschuldung
getilgt wird, sondern die Ausgaben steigen.
({3})
- Jetzt hören Sie doch einmal zu! Sie hatten schon das
Wort.
Der Kollege Volk hat darauf verwiesen, was Sie in
Nordrhein-Westfalen machen, um Ihnen vor Augen zu
führen, was Sie selbst in der Realität umsetzen.
({4})
Sie haben dort eben keinen Konsolidierungsbeitrag geleistet, obwohl gegenwärtig das Steueraufkommen aufgrund des Wirtschaftswachstums stark ansteigt. Was haben Sie gemacht? Sie haben gesagt: Wir überlegen uns
neue Versprechungen und schrauben die Ausgaben nach
oben.
({5})
Deswegen sagen wir Ihnen: Der richtige Weg ist, bei
den Einnahmen maßvoll zu entlasten, wo dies möglich
ist. Wo es Ungerechtigkeiten im Steuersystem gibt, müssen diese korrigiert werden. Den Konsolidierungsauftrag
muss man auf der Ausgabenseite erfüllen. Das tun wir
sehr erfolgreich. Wir hatten in den letzten beiden Jahren
65 Milliarden Euro weniger Ausgaben, als Sie unter Peer
Steinbrück geplant hatten.
Deswegen gehen das Nein zu Steuererhöhungen und
das Haushaltskonsolidieren sehr gut zusammen. Es ist
der einzig richtige und erfolgreiche Weg. Er stärkt die
soziale Marktwirtschaft.
({6})
Sie haben sich nicht nur verrannt, indem Sie mit den
Grünen zusammen in Nordrhein-Westfalen einen Schuldenhaushalt vorgelegt und damit bewiesen haben, dass
hohe Steuereinnahmen nicht zur Konsolidierung beitragen; Sie haben sich auch an einer anderen Stelle verrannt.
({7})
- Hören Sie zu! Sie werden etwas Neues erfahren. Sie
werden nicht mehr darüber lachen können. Denn Ihre
Schuldenhaushalte sind wirklich schlimm für dieses
Land. Die Grünen haben nicht einmal der Schuldenbremse zugestimmt, weil sie nämlich nicht wollten, dass
ihnen die Verfassung Schranken aufzeigt.
({8})
Jetzt kommen wir zu dem, was die Koalition vorhat.
In unserem Steuersystem muss man einige Punkte beachten. Das ist zunächst das Existenzminimum. Man
kann nicht die Menschen besteuern, die nicht mehr verdienen, als sie zur Sicherung ihrer eigenen Existenz
brauchen.
({9})
- Ich werde das jetzt im Ganzen darstellen. Ich brauche
keine Zwischenfrage.
({10})
- Das hilft nichts. Sie haben nicht zugestimmt, weil Sie
sie nicht wollten.
({11})
- Hören Sie auf mit grüner Geschichtsfälschung. Sie waren gegen die Schuldenbremse, weil Sie nicht wollten,
dass man die Bildungsausgaben durch Einsparungen an
anderer Stelle finanziert. Sie wollten die Schleuse der
Staatsverschuldung für sich offenhalten. So war das. Ich
habe die Diskussion in der Föderalismuskommission
verfolgt.
({12})
Da kommen Sie nicht mehr heraus: Die Grünen und die
Schuldenbremse sind Gegner.
({13})
Aber zurück zum Thema. Die Koalition sagt: Wir
müssen das Existenzminimum steuerfrei stellen. Deswegen werden wir für 2013 und 2014 den Steuerfreibetrag
entsprechend dem zu prognostizierenden Existenzminimum anheben.
({14})
Sie kündigen erbitterten Widerstand dagegen an.
({15})
Da haben Sie sich verrannt. Das werden Sie zurücknehmen müssen, Herr Binding. Auch die Grünen werden
ihren Widerstand aufgeben müssen, weil sie sich verfassungskonform verhalten müssen. Das heißt, das steuerfreie Existenzminimum muss gelten.
({16})
Wir haben noch ein weiteres Problem. Wir haben die
kalte Progression, und wir erleben derzeit 1,8 Prozent
Lohnsteigerungen bei 2,5 Prozent Inflation. Jeder weiß:
Wenn man 1,8 Prozent mehr verdient und gleichzeitig
das Einkommen einen Wertverlust von 2,5 Prozent hat,
dann hat man nichts zusätzlich. Gleichwohl steigen die
Steuern durch den linear-progressiven Tarif, weil man in
der Summe mehr hat und die Summe höher besteuert
wird. Dass die Summe letztlich weniger wert ist, wird im
Steuersystem bisher nicht berücksichtigt. Also sagen
wir: Das ist eine Gerechtigkeitslücke, die ausgeglichen
werden muss. Dann sagen Sie: Nein, das wollen wir
nicht. Das sind Geschenke.
({17})
Da muss ich Ihnen sagen: Da haben Sie sich wieder verrannt. Es sind nämlich keine Geschenke, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Lohnsteigerung bekommen. Das haben sie sich vielmehr verdient. Jetzt
muss man darüber entscheiden, ob man den Menschen
etwas von der Lohnerhöhung belassen möchte, oder ob
man will, dass das nur beim Staat ankommt.
Wir haben gesagt, dass wir akzeptieren, dass sich die
Länder an der Finanzierung dessen nicht beteiligen wollen, und uns dafür ausgesprochen, dass der Bund das
vollständig übernimmt. Dann haben Ihre Landesfinanzminister gesagt, es sei irre, so etwas überhaupt zu
tun. Hier haben Sie sich verrannt. Deswegen sollten Sie
jetzt kleinere Brötchen backen und nicht mehr so laut dagegen reden.
({18})
Sie sollten überlegen, ob das nicht genau die richtige Finanzpolitik zur richtigen Zeit ist. Wir wollten in einem
größeren Umfang entlasten, weil wir der Meinung sind,
dass das Verhältnis zwischen Privat und Staat in keinem
guten Zustand ist und man daran arbeiten muss.
({19})
Das geht gegenwärtig nicht. Aber die Gerechtigkeitslücke schließen und das Steuersystem verfassungskonform machen, kann man auch in Krisenzeiten von der
Politik erwarten.
({20})
Wenn man sagt, das sei irre und nicht zu verantworten,
dann ist man auf dem Holzweg. Ich fordere die Sozialdemokraten und die Grünen auf, sich ihrer Verantwortung
zu stellen, unser Steuersystem leistungsgerechter und
fairer zu machen und auch die Verfassungskonformität
herzustellen. Sie sind auf dem Holzweg.
({21})
Kehren Sie um! Wir haben die besseren Vorschläge.
Stimmen Sie denen zu. Den Unsinn der Linken werden
wir natürlich strikt ablehnen. Mehr Gerechtigkeit im
Steuersystem zu schaffen, ist etwas, was man auch in
Krisenzeiten leisten kann, und das werden wir tun.
({22})
Das Wort hat der Kollege Dr. Thomas Gambke vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Wissing, Sie
haben mir einmal bei einer Debatte in Mainz billige Polemik vorgeworfen.
({0})
Die Ersten, die das Thema Schuldenbremse in den Deutschen Bundestag eingebracht haben
({1})
- ich bin hier ganz nüchtern, weil ich damals nicht im
Bundestag war, aber ich habe das nachgelesen, Herr
Wissing -, waren die Grünen. Ich bitte Sie, das endlich
einmal zur Kenntnis zu nehmen.
({2})
- Nein, das ist nicht billige Polemik, das ist Geschichte.
Ich bitte Sie, das einmal in den Protokollen nachzulesen.
({3})
Wir reden hier über zwei Anträge der Linken. Der
eine behandelt das Thema steuerpolitische Gerechtigkeit
und der andere das Thema Verlustverrechnung. Ich will
mich auf das letzte Thema konzentrieren. Hier komme
ich, Herr Wissing, auf das Thema Orientierung zurück.
Lothar Binding hat das Thema Steuergerechtigkeit sehr
schön abgehandelt. Es wurde gesagt, dass 173 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen erzielt werden sollen.
Allein bei den Unternehmensteuern wollen Sie 45 Milliarden Euro Steuern mehr einnehmen. Das ist schon fast
grober Unfug. Das Schlimme ist, dass Sie damit gute
und nachdenkenswerte Ansätze, ob das die Vermögensteuer oder Vermögensabgabe ist, so wie wir es vorschlagen, desavouieren. Damit erweisen Sie uns keinen
Dienst.
({4})
Gerade beim Thema Unternehmensteuern - darauf
will ich mich konzentrieren - braucht man einen festen
Ordnungsrahmen, ein Ziel, eine Orientierung. Wir Grüne
haben drei Punkte, die ich Ihnen nennen will, an denen
wir uns orientieren.
Erstens: Steuergerechtigkeit. Steuergerechtigkeit,
Herr Wissing, Herr Volk, lässt sich nicht nur daran festmachen, ob möglicherweise jemand zu viel zahlt. Wir
müssen uns auch mit dem Thema beschäftigen, wer
möglicherweise zu wenig Steuern zahlt - wir sollten
nicht immer nur nach Griechenland schauen - und ob
das eigentlich gerecht ist?
({5})
Sie müssen sich einmal ansehen, wie gerade im Unternehmensteuerbereich die Steuerlast verteilt ist. Leider
gibt es dazu keine harten Daten, aber es gibt genügend
Aussagen von Verbänden - das wurde mir bestätigt -,
dass kleine und mittlere Unternehmen im Durchschnitt
8 Prozent mehr Körperschaft- und Gewerbesteuer zahlen
als große Unternehmen. Es kann doch nicht sein, dass
wir die Steuerlast nach Branche, Größe oder Internationalität verteilen. Sie muss gerecht, gleichmäßig verteilt
sein. Da kann man nicht fragen, ob man Steuern senken
muss, sondern man muss fragen, ob es eigentlich vernünftig ist, dass einige zu wenig oder kaum Steuerlast
tragen.
Ich verweise auf folgende Zahl - jetzt hören Sie einmal zu -: Kumuliert haben die Steuern aus Erträgen und
die Gewinnsteuern im Bankenbereich in Deutschland
von 1999 bis 2009 60 Milliarden Euro betragen. Und
was haben die Großbanken gezahlt? 4,5 Milliarden
Euro; das entspricht 7,5 Prozent. Die Landesbanken haben 10 Milliarden Euro und die Sparkassen 20 Milliarden Euro Steuern gezahlt. Das sind insgesamt 30 Milliarden Euro. 50 Prozent des Steueraufkommens kommt
daher. Die Genossenschaftsbanken haben weitere
10 Milliarden Euro Steuern gezahlt. Das ist doppelt so
viel, wie die Geschäftsbanken gezahlt haben. Herr
Wissing, ich finde, das sind Zahlen, mit denen Sie sich
auch einmal beschäftigen müssten.
({6})
Aber was machen Sie?
Herr Volk, wir haben gesehen: Als es darum ging, ein
Steuerschlupfloch bei der Erbschaftsteuer zu schließen,
haben Sie noch zehn Tage vor der Verhandlung im Finanzausschuss erklärt: Nichts mit heißer Nadel stricken!
Sie haben dann doch zugestimmt, nachdem wir Grüne
und die SPD einen entsprechenden Antrag gestellt haben. Steuergerechtigkeit muss man also unter diesem
Aspekt betrachten.
({7})
Zweitens: Aufkommensneutralität. Herr Middelberg
hat gefragt: Sind die Unternehmensteuern in Deutschland eigentlich wettbewerbsfähig? Ja, Herr Middelberg.
Wenn Sie international tätig sind, dann werden Sie feststellen, dass man im Ausland sagt: Ja, Deutschland hat
wettbewerbsfähige Steuern. Insofern ist die Aufkommensneutralität ein ganz wichtiges Gebot; denn wir können es uns mit Blick auf die Haushaltskonsolidierung
nicht leisten, die Steuern zu senken.
Damit komme ich zum Thema Verlustverrechnung:
Da müssen wir schon aufpassen. Wir werden das Thema
Organschaft noch zu diskutieren haben. Sie haben den
Bericht einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von Bund und
Ländern erwähnt, der mittlerweile erarbeitet wurde. Er
liegt zwar der Financial Times Deutschland vor, aber leider nicht uns, dem Finanzausschuss, was ich sehr beklage. Darin werden das Thema EAV, also Ergebnisabführungsvertrag, und das Thema Verlustübertragung
behandelt. Wir müssen schon sehr genau hinschauen, ob
die sicherlich zu unterbreitenden Vorschläge, im europäischen Sinne eine Angleichung zu vollziehen, nicht zu
einer Steuermindereinnahme führen. Da vermisse ich
jeglichen Vorschlag aus Ihrer Partei. Von der FDP habe
ich sowieso nichts erwartet. Wir müssen darüber einmal
genau nachdenken, um zu verhindern, dass eine Steuermindereinnahme kreiert wird.
Drittens: Bürokratieabbau. Das ist eine wichtige Sache. Ich muss noch einmal das Thema Hotelsteuer erwähnen. Was immer unerwähnt bleibt, ist, dass damit ein
riesiger Bürokratieaufbau verbunden ist.
({8})
Fragen Sie doch einmal, was da passiert ist. Da könnten
Sie sofort zu Verbesserungen ansetzen. Herr Middelberg,
Sie haben Andeutungen gemacht. Ich bitte Sie, sich in
Ihrer eigenen Partei und vor allem gegenüber der CSU
durchzusetzen, damit wir dieses Thema endlich vom
Tisch bekommen.
Zur Verlustübertragung hat die Linke Vorschläge gemacht. Aber so leicht können Sie es sich nicht machen.
Es gibt zum Beispiel einen Verlustrücktrag. Den haben
Sie einfach kassiert. Sie müssen doch wissen, dass gerade mittelständische und kleine Unternehmen eine Liquiditätshilfe bekommen. Darüber können wir reden,
auch im Sinne einer europäischen Angleichung. Aber
dann müssen Sie einen Vorschlag unterbreiten. Dann
muss man zum Beispiel darüber nachdenken, ob man die
Mindestbesteuerungsgrenze mit dem entsprechenden
Freibetrag etwas anhebt.
Ein weiterer Punkt sind - das sage ich noch einmal in
Ihre Richtung - geringwertige Wirtschaftsgüter. Gehen
Sie doch einmal zu den Handwerkskammern und den
kleinen und mittleren Unternehmen. Dummerweise haben Sie 2008 frühmorgens, wie mir berichtet wurde, die
Poolabschreibung für geringwertige Wirtschaftsgüter geschaffen. Legen Sie doch bitte schön einmal etwas vor,
womit Liquidität geschaffen werden kann. Dann kann
man auch beim Thema Verlustübertragung etwas machen.
Meine Damen und Herren, man braucht eine klare
Orientierung, um zu wissen, was man machen sollte. Ich
will jetzt noch einmal sehr konkret zum Thema Organschaft und auch zum Thema Verlustübertragung Stellung
nehmen, weil das wichtige Themen sind. Immerhin sind
in diesem Zusammenhang 500 bis 600 Milliarden Euro
aufgelaufen, und zwar, Herr Middelberg, nicht gewerblich. Wenn Sie einmal genauer hinschauen, sehen Sie:
Dies ist bei der Wohnungswirtschaft geschehen, beim
Versicherungswesen und bei den Banken geschehen.
Hier müssen wir Möglichkeiten finden. Eine zehnjährige
Frist für die Verlustkappung ist sicher überlegenswert.
Sicher ist auch das Vorhandensein eines Abschmelzmodells überlegenswert. Dabei müssen wir uns auch das
Thema EAV, also Ergebnisabführungsvertrag, anschauen. Um zu einem Ergebnis zu kommen, müssen
wir zum Beispiel das skandinavische Modell zur Bürokratievereinfachung berücksichtigen. Es gibt zwar einen
Gruppenübertrag, aber die 2 Milliarden Euro, die das
Ganze kostet, muss man irgendwie kompensieren.
Hierzu erwarte ich von der Regierungsbank endlich einen Vorschlag.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich bin sehr enttäuscht,
dass Sie zur Unternehmensteuer in den letzten zwei Jahren nichts geliefert haben. Insofern kann ich nur sagen:
Ich erwarte eigentlich auch nicht mehr viel von dieser
Koalition, sondern warte darauf, dass sie endlich abgelöst wird.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Michelbach von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der internationalen Wirtschaftskrise haben
unsere Bürger große Bereitschaft gezeigt, diese Krise
mit Arbeit und Investitionen erfolgreich zu überwinden.
Wir sind deshalb stärker aus der Finanz- und Wirtschaftskrise herausgekommen, als wir hineingegangen
sind. Die neueste Steuerschätzung spiegelt diesen Erfolg
deutlich wider, und deshalb haben sich - und das ist der
wichtige Punkt - unsere arbeitenden Bürger eine „Aufschwungdividende“ wirklich verdient. Das ist die Frage
dieser Stunde.
({0})
Natürlich hat der Abbau der Verschuldung Vorrang.
({1})
Das ist richtig, aber der Staat kann sich doch nicht dauerhaft und ungebremst an der Inflation bereichern. Wir
sind gegen mehr Staat. Zunächst einmal hat der Bürger
Anspruch auf sein erarbeitetes Geld, und erst dann
kommt der Staat. Das ist die Subsidiarität, die auch angebracht ist. Wann werden Sie, meine Damen und Herren, das endlich begreifen?
Die Koalitionsfraktionen haben sich deshalb am Wochenende, wie Sie wissen, darauf verständigt, die kalte
Progression für kleine und mittlere Einkommen abzumildern. Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger mit
6 Milliarden Euro. Das ist für die Bürger nachhaltig. Das
ist eine Kaufkraftmehrung. Das ist der richtige Weg.
({2})
Das ist eine gerechte Politik, und das ist absolut arbeitnehmer- und leistungsfreundlich, meine Damen und
Herren.
({3})
Ich wundere mich schon sehr, dass gerade die Opposition, die das Schild der Arbeitnehmerfreundlichkeit
immer wie eine Monstranz vor sich herträgt, gegen einen
solchen Inflationsausgleich bei den Steuern ist. Das ist
arbeitnehmerfeindlich, meine Damen und Herren.
({4})
Das ist die Situation, vor der wir heute stehen.
Herr Gambke hat gerade von Nachhaltigkeit gesprochen. Er hat lange über die Nachhaltigkeit in der Politik
fabuliert. Tatsache ist aber, dass Sie im Bereich der Steuern, im Bereich der Schuldenbremse versagt haben, weil
sie immer dagegen waren und der Schuldenbremse nicht
zugestimmt haben. Das ist die Wahrheit.
({5})
Durch den Abbau der kalten Progression kann verhindert werden, dass Lohn- und Einkommenssteigerungen
in Zukunft überproportional stark steuerlich belastet
werden. Die Bundesbürger haben bei der derzeitigen Inflation trotz Lohnerhöhungen unterm Strich monatlich
netto oft weniger im Geldbeutel. Dieser Automatismus,
der zu immer höheren Steuereinnahmen aufgrund prozentual immer höheren Steuerbelastungen führt, kann
nun mit dieser Bundesregierung, mit dieser Koalition gebremst werden.
Zum 1. Januar 2013 sollen der Grundfreibetrag bei
der Einkommensteuer angehoben und der Steuertarif
nach rechts verschoben werden. Wir werden auch in Zukunft regelmäßig bei verfassungsrechtlich gebotener Anhebung des Grundfreibetrages Veränderungen im Tarif
vornehmen.
({6})
Das ist so etwas wie der Weg in den Tarif auf Rädern.
({7})
Das ist ein Weg, der für die Bürger unglaublich wichtig ist, weil er keine staatliche Finanz- und Steuerwillkür
zulässt. Vielmehr haben die Bürger Anspruch auf einen
Ausgleich, und ein Tarif auf Rädern ist die richtige Entwicklung. Es hat mit Steuergerechtigkeit nichts zu tun,
wenn ein Arbeitnehmer 1 Prozent mehr Gehalt bekommt
und dann 2 Prozent mehr Steuern zahlen muss. Das ist
nicht gerecht.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es handelt sich eben
nicht um Steuergeschenke, wie Sie es immer darstellen.
Vielmehr gehört das Geld den Bürgern und niemand anderem, und wir geben den Bürgern zurück, was sie durch
den Sondereffekt der kalten Progression mehr gezahlt
haben. Das führt für alle Steuerzahler zu mehr Steuergerechtigkeit.
({9})
Die SPD muss ihre Blockadehaltung im Bundesrat
aufgeben. Sonst zeigt sie ihr wahres Gesicht. Deswegen
kann ich Sie nur bitten, Vernunft walten zu lassen und
die Bürgerentlastung, die Steuerzahlerentlastung im
Bundesrat nicht zu blockieren.
({10})
Im Übrigen brauchen wir jetzt eine Stärkung der
Kaufkraft zur Stabilisierung der Konjunktur, um nicht in
eine Rezession zu geraten. Nur wenn Deutschland stark
bleibt, können wir auch Solidarität üben. Deswegen ist
es wichtig, dass wir gerade jetzt nicht in eine Rezession
geraten. Ich habe manchmal den Eindruck, dass sich die
Oppositionsseite geradezu freuen würde, wenn wir in
Richtung einer Rezession marschierten.
({11})
Ich kann Ihnen sagen: Wir müssen alles versuchen, um
ein Abrutschen in die Rezession zu verhindern. Dabei
stellt die Steuerpolitik, die wir machen, genau den richtigen Weg dar.
({12})
Auch in anderen Bereichen der Steuerpolitik haben
wir im Übrigen den richtigen Weg eingeschlagen. Ich
denke nur an die Istbesteuerung bei der Umsatzsteuer.
({13})
Wir haben uns auf 500 000 Euro festgelegt, und Handwerksbetriebe haben jetzt endgültig die Gewissheit, dass
sie Steuern erst dann abführen müssen, wenn die von ihnen gestellten Rechnungen bezahlt wurden. Das ist Liquiditätshilfe für die Handwerker. Das zeigt, welche Art
von Steuerpolitik wir betreiben.
({14})
Ich kann Ihnen nur noch einmal deutlich sagen: Die
Steuererhöhungsorgien, die Sie vorhaben - die Linken
haben das ja schon zum Ausdruck gebracht; von Rot und
Grün sollen sie in den Parteigremien beschlossen werden -, stellen einen absoluten Irrweg dar. Das führt nicht
aus der Krise, das führt eher zurück in die Krise. Wer
glaubt, man könne die Krise mit höheren Steuern überwinden, zeigt, dass er ökonomische Grundwahrheiten
nicht verstanden hat. Er betreibt damit eine Entwicklung
zurück in eine Staatswirtschaft. Das ist eine steuerpolitische Geisterfahrt und ein Horrorszenario für die Wirtschaft.
Wir sind gegen eine Erhöhung der Erbschaftsteuer,
gegen eine Erhöhung der Vermögensteuer. Wir sind für
die Entlastung der Bürger. Durch mehr Steuerzahlungen
wird sich das dann letzten Endes auch wieder für den
Staat rentieren. Das ist der richtige Ansatz,
({15})
statt die Steuern immer weiter zu erhöhen. Wir sind gegen eine rot-grün-linke Steuererhöhungsorgie.
({16})
Das müssen die Leute wissen. Sie beschreiten damit einen falschen Weg. Deshalb werden Sie auch keinerlei
Fortschritte erzielen.
({17})
Zu Ihrem Vorhaben, die Möglichkeiten zum Verlustvortrag für Unternehmen einzuschränken, kann ich Ihnen nur sagen: Das ist ein Anschlag auf die Arbeitsplätze
in Deutschland.
({18})
Arbeitsplätze brauchen langfristig richtige Strukturen
und langfristig wirksame Substanz. Die Bedeutung von
Vorlaufinvestitionen darf nicht einfach, wie Sie es machen, weggewischt oder negiert werden.
Wir sind also der Auffassung, dass es bei der Steuerpolitik in Deutschland keine Willkür geben darf, sondern
ein Weg der Vernunft beschritten werden muss, wie wir
ihn auch in dieser Woche wieder aufgezeigt haben.
Vielen Dank.
({19})
Das Wort hat die Kollegin Nicolette Kressl von der
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Michelbach, freundlicherweise wollen
wir das, was Sie gesagt haben, einmal dem 11.11. zuschreiben.
({0})
Sie haben jetzt nämlich in einem atemberaubenden Wirbel alles durcheinandergebracht, was man in der Steuerpolitik durcheinanderbringen kann.
({1})
Suchen wir einmal ein paar Ansätze:
Sie haben zunächst einmal den Satz gesagt - das fand
ich ganz spannend -: Wir wollen einen Inflationsausgleich. Das sagen wir Ihnen doch die ganze Zeit schon.
Sie reden immer über kalte Progression, legen uns aber
keinerlei Berechnungen dazu vor.
({2})
- Schon wieder sagen Sie, der Herr Staatssekretär habe
das vorgelegt. Er hat uns nur die Inflationsrate genannt.
({3})
Schauen Sie sich einmal an, was heute in der FAZ
steht.
({4})
Da steht zur kalten Progression:
Nicht nur die Oppositionsparteien vermissen jedoch
belastbare Aussagen der Bundesregierung, wie hoch
dieser Effekt … sein wird, der sich aus dem Zusammenspiel von Inflation, Gehaltserhöhung und …
Steuertarif ergibt.
Sie reden allerdings immer nur von Inflation.
Ordnungspolitisch wäre es auch sehr sinnvoll, zu
überlegen, ob Sie es so wollen, dass wir in Zukunft
durch Senkungen des Steuertarifs für den Inflationsausgleich zuständig sein sollen und die Verantwortung der
Wirtschaft und der Arbeitgeber für diesen Bereich völlig
außen vor lassen. Da kann ich nur eine gute Reise wünschen, wenn das Ihre Linie sein soll.
({5})
Zum Zweiten fand ich interessant, dass Sie, Herr
Michelbach, gesagt haben, das sei ein Tarif auf Rädern.
Ich habe mir das genau angehört in der Pressekonferenz.
Herr Schäuble hat ausdrücklich gesagt, dass das nicht
ein Tarif auf Rädern ist. Dass die Berechnung des Existenzminimums und damit auch die Tarifverschiebung regelmäßig überprüft werden muss, ist doch klar. Das haben wir immer gemacht.
({6})
Das ist völlig richtig und entspricht auch der Verfassung.
Allerdings muss ich etwas zur Berechnung des Existenzminimums sagen. Im Moment liegt der Grundfreibetrag
über dem Existenzminimum. Sie sagen jetzt einfach,
2013 soll der Grundfreibetrag erhöht werden. Das ist
aber nicht verfassungsmäßig. Ein verfassungsmäßiges
Vorgehen wäre es, das Existenzminimum berechnen zu
lassen und den Grundfreibetrag entsprechend anzupassen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das 2014 der
Fall sein. Aber aus irgendwelchen - vielleicht wahltaktischen - Gründen behaupten Sie, dass das laut Verfassung schon 2013 nötig wäre. Das können Sie mit nichts
belegen. Sie können weder eine kalte Progression noch
das Existenzminimum beziffern. Ich finde nicht, dass
das eine seriöse Steuerpolitik ist, wie wir sie im Moment
bräuchten.
({7})
Denn die Mindereinnahmen müssen die Bürgerinnen
und Bürger über Zinslasten, die aus der Verschuldung
entstehen, wieder zurückgeben. Deshalb ist eine seriöse
Berechnung wirklich notwendig. Zahlen aus dem Ärmel
zu schütteln, wie es im Moment der Fall ist, ist da nicht
hilfreich.
({8})
Ich will noch eine Bemerkung zu der Rede von Herrn
Middelberg machen. Er hat gesagt: Das mit der Hotelsteuer haken wir jetzt ab. - Ich finde das gut. Aber in
dem Zusammenhang reden wir über 1 Milliarde Euro.
Wir machen ein riesiges Tamtam wegen einer Verschiebung von 2 Milliarden Euro; aber gleichzeitig versäumen Sie, 1 Milliarde Euro Mindereinnahmen dadurch zu
vermeiden, dass Sie die unsägliche Reduzierung des
Umsatzsteuersatzes für Hotelübernachtungen zurücknehmen. Ich finde, solange das nicht „abgehakt“ ist,
können Sie auch das Thema nicht einfach abhaken.
({9})
Dann möchte ich auf den Antrag der Linken zu sprechen kommen. Von Seriosität ist auch in diesem Antrag,
ehrlich gesagt, nicht viel zu spüren.
({10})
Es ist ja richtig - das ist das Einzige, was wir wirklich
unterstützen können -, was in der Überschrift steht: Wir
müssen die Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen. Bei den Steuereinnahmen geht es nicht um einen
Selbstzweck, sondern es geht um Zukunftsfähigkeit
durch die Handlungsfähigkeit des Staates. Nur wenn wir
beispielsweise in Bildung investieren können, verpassen
wir nicht die ökonomischen Chancen, die damit einhergehen. Dafür ist die Handlungsfähigkeit des Staates notwendig.
Aber die in dem Antrag der Linken genannten Instrumente und Analysen sind falsch und zudem schlampig
dargestellt. Drei Beispiele:
Erstens ist in dem Antrag eine falsche Analyse enthalten. Die Steuerpolitik in Bezug auf die Unternehmen in
den letzten Jahren war kein Steuerdumping. Sie lassen
völlig außen vor - das halte ich für fahrlässig, absichtlich fahrlässig -, dass die Bemessungsgrundlage zur Zeit
der Großen Koalition in weiten Teilen deutlich verbreitert worden ist
({11})
und dass wir die Grenzen für die Verschiebung von Geldern geschlossen haben. Sie sind zwar jetzt mit zwei
Steuergesetzen der schwarz-gelben Koalition wieder geöffnet worden; aber damals waren die Verbreiterung der
Bemessungsgrundlage und das Schließen von Schlupflöchern ganz wichtig. Das hat mit Steuerdumping gar
nichts zu tun.
({12})
Zweitens. Wie kommen Sie - nach den Erfahrungen
mit der Hotelsteuer, durch die wir wissen, dass reduzierte Mehrwertsteuersätze nicht bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommen - eigentlich dazu, vorzuschlagen, in anderen Branchen genau das Gleiche zu
machen, ohne beispielsweise zu bedenken, dass dadurch
Gewinne bei Konzernen hängenbleiben? Ein solcher
Vorschlag kann doch nicht ernsthaft Ihrer sogenannten
linken Steuerpolitik entsprechen. Ich bitte Sie!
({13})
Drittens. Richtig ist: Wir müssen beim Ehegattensplitting etwas ändern. Aber auch das ist schlampig gemacht
und im Zweifel verfassungswidrig. Dass Sie dabei nicht
die gegenseitigen Unterhaltspflichten anerkennen wollen, ist sowohl falsch wie auch vermutlich verfassungswidrig, beispielsweise wenn Sie Verheiratete schlechter
behandeln wollen als Geschiedene.
Insofern bitte ich Sie: Arbeiten Sie in diesen Punkten
nach, und verfolgen Sie Ihre Ziele mit den richtigen Instrumenten. Dann können wir vielleicht zu einem anderen Ergebnis kommen, als wir es jetzt tun. Jetzt müssen
wir Ihren Antrag ablehnen.
Vielen Dank.
({14})
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr.
Daniel Volk.
({0})
Herzlichen Dank, Herr Präsident! - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal kann man festhalten, dass in diesem Hause offenbar Einigkeit zwischen vier Fraktionen darüber besteht, dass die von der
fünften Fraktion, nämlich der Linksfraktion, vorgelegten
Steuerpläne eher im Bereich der Unseriosität einzuordnen sind. Diese Pläne zeigen, dass man leicht etwas
Populistisches fordern kann, was allerdings bei der Umsetzung wegen der notwendigen Detailarbeit große
Schwierigkeiten bereiten wird.
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der zwar wunderschön klingt, aber in der Steuerpolitik - zumindest dieser
Regierung - keinen Platz finden kann. Sie wollen eine
Vermögensteuer in Höhe von 5 Prozent als reine Substanzbesteuerung. Sie würden damit - unabhängig von
der Höhe - eine extreme Verkomplizierung des deutschen
Steuerrechts erreichen. Ich bin der felsenfesten Überzeugung - darin sind wir uns in der Koalition einig -, dass der
Weg nicht in Richtung einer weiteren Verkomplizierung
führen darf,
({0})
sondern zu einer Vereinfachung führen muss.
Wir haben die letzten zwei Jahre beharrlich daran gearbeitet,
({1})
die Steuergesetzgebung zu vereinfachen. Wir haben ein
Steuervereinfachungsgesetz verabschiedet, das den Steuerpflichtigen die Steuererklärung erleichtert. Denn die
wesentliche Kritik an der Steuergesetzgebung in
Deutschland entzündet sich doch immer daran, dass die
Steuergesetze sehr kompliziert sind. Teilweise verstehen
die Steuerpflichtigen nicht mehr, warum sie in einer bestimmten Höhe Steuern zahlen. Die Einführung einer
Vermögensteuer - den Kollegen der Grünen sage ich:
auch die von Ihnen geforderte Vermögensabgabe - ist
kein Beitrag zu einer Vereinfachung des Steuerrechts,
sondern ein Beitrag zu einer deutlichen Verkomplizierung.
({2})
In dem Antrag der Linkspartei ist die Forderung nach
einer Gemeindewirtschaftsteuer enthalten. Sie bedeutet
nichts anderes als eine Verbreiterung der Gewerbesteuer.
({3})
Es wird versprochen, dass weitere Gruppen von Wirtschaftstreibenden in die Steuerpflicht einbezogen werden. Sie müssen auch da bitte zur Kenntnis nehmen, dass
ein ganz großer Teil der Gewerbesteuerpflichtigen, die
auch immer eine Gewerbesteuererklärung abgeben müssen, tatsächlich nicht mehr Steuern zahlen, weil eine
Verrechnung mit der Einkommensteuer vorgenommen
wird. Es gehört zu unserem komplizierten Steuerrecht,
dass viele Steuerpflichtige eine Steuererklärung ausfüllen müssen, obwohl sie gar keinen Steuermehrbetrag
zahlen müssen.
({4})
Dieses Problem sollten wir sehen. Wir dürfen es aber
nicht, wie es nach den Vorschlägen der Linksfraktion der
Fall wäre, noch verschärfen, indem die Zahl der Steuerpflichtigen erweitert wird.
Im Großen und Ganzen wird diese Regierung weiter
an der Steuervereinfachung arbeiten. Wir haben den
zweiten großen Schritt diese Woche vorgezeichnet, indem wir die Frage der Steuergerechtigkeit im Bereich
der Einkommensteuer behandelt haben. Wir wollen an
das Thema „kalte Progression“ herangehen. Während
die SPD noch über Zahlen theoretisiert,
({5})
haben wir längst erkannt, dass durch die kalte Progression viele Steuerpflichtige betroffen sind. Ich will daran
erinnern: Es war übrigens ein sozialdemokratischer Finanzminister, der den Tarifverlauf insgesamt weiter nach
rechts verschoben hat,
({6})
wie auch die Grenze für die Reichensteuer. Ich glaube
nicht, dass wir uns derzeit von den Sozialdemokraten irgendwelche Belehrungen darüber anhören müssten, was
Steuergerechtigkeit eigentlich bedeutet. Wir sorgen dafür, dass die Leistungsträger - die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in den unteren und mittleren Einkommensbereichen - nicht mit einer Steuermehrbelastung
konfrontiert werden,
({7})
nur weil hier theoretisiert wird und die Sozialdemokratie
die Problematik der kalten Progression nicht zur Kenntnis nehmen will.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Christian von Stetten
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Präsident, bei der Vorbereitung zu diesem Tagesordnungspunkt und bei der Durchsicht der
Anträge habe ich anfangs gedacht, der Bundestagsverwaltung sei ein Fehler unterlaufen; denn der vorliegende
Antrag der Linksfraktion, in dem sie den Staat auffordert
- nach Abzug eines Freibetrags wohlgemerkt -, von den
Bürgern jährlich 5 Prozent Vermögensteuer auf das gesamte Vermögen praktisch zum Verkehrswert einzuführen,
({0})
kommt mir doch sehr bekannt vor.
Es ist in der Tat erst 13 Sitzungswochen her, dass wir
im Bundestag intensiv über diesen Antrag diskutiert und
ihn mehrheitlich abgelehnt haben.
({1})
- Es ist Ihr gutes Recht, dass Sie nicht lockerlassen. Bei
Ihrem Vorhaben handelt es sich aber um eine Enteignung. Eine solche Enteignung lassen wir Ihnen auch
heute nicht durchgehen. Überlegen Sie doch einmal: Bei
5 Prozent Vermögensteuer ist das Haus nach 20 Jahren
weg.
({2})
Im ersten Jahr nehmen Sie die Hofeinfahrt, im zweiten
Jahr die Garage, im dritten Jahr die Küche, im vierten
Jahr das Wohnzimmer, und im zwanzigsten Jahr machen
Sie aus stolzen Hausbesitzern wieder Mieter. Das ist Sozialismus. Solche Anträge können Sie jede Woche einbringen, wir werden sie immer wieder ablehnen.
({3})
Allein durch die jetzt von Ihnen beantragte Vermögensteuer wollen Sie zusätzliche 80 Milliarden Euro einnehmen. Sie vergessen dabei aber eines: Sie belasten
nicht nur die Hauseigentümer, sondern auch die Mieter.
Das ist eigentlich Ihre Klientel, um die Sie sich kümmern sollten. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ein
Immobilienbesitzer, der heute eine Rendite von beispielsweise 4 Prozent für seine Wohnungen erzielt, sich
darauf einlässt, nach Zahlung der Ertragsteuern noch
einmal zusätzlich 5 Prozent auf den Verkehrswert an den
Staat abzugeben.
Heute ist zwar der 11.11. - darauf ist vorhin schon
aufmerksam gemacht worden -; den Faschingsbeginn
feiern wir aber lieber in Köln oder in Düsseldorf. Hier
im Parlament sollten wir ernsthafte Anträge diskutieren.
Wenn Sie diesen Antrag mit den 5 Prozent Vermögensteuern ernst meinen, dann müssen Sie sich klarmachen,
dass der Vermieter versuchen wird, seine Immobilie so
schnell wie möglich loszuwerden. Wahrscheinlich wird
ihm das aber nicht gelingen, weil er vermutlich niemanden finden wird, der bei einem Renditeobjekt von 4 Prozent noch zusätzlich 5 Prozent Vermögensteuer zahlen
will. Dann wird er diese 5 Prozent Vermögensteuer
selbstverständlich auf die Mietkosten aufschlagen. Das
ist eine Refinanzierung und kann möglicherweise zu einer Verdoppelung der Mietkosten führen. Das werden
wir nicht durchgehen lassen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Lenkert?
Selbstverständlich, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident! - Herr von Stetten, ich
befürchte, Sie haben den Antrag nicht richtig gelesen.
Wenn Sie ihn richtig gelesen hätten, dann hätten Sie erkannt, dass die Vermögensteuer erst ab einem Privatvermögen von über 1 Million Euro gezahlt werden soll und
Betriebsvermögen ausdrücklich ausgenommen sind.
Wenn also ein Wohnungseigentümer Wohnungen vermietet, hat er selbstverständlich die Möglichkeit, das
Ganze als Betriebsvermögen zu betrachten. Dann muss
er selbst nichts bezahlen, und dann müssen auch die
Mieterinnen und Mieter dafür nichts bezahlen. Das haben wir deshalb so geregelt, damit die Unternehmerinnen und Unternehmer mit ihrem Betriebsvermögen eben
nicht belastet werden. Wir wollen nur das private Vermögen einbeziehen.
Wenn Ihnen allerdings ein Schloss im Wert von
15 Millionen Euro gehört, in dem Sie selber wohnen,
dann müssten Sie natürlich auf 14 Millionen Euro
Steuern zahlen. Ich halte das für eine vernünftige Lösung.
Lesen Sie also bitte den Antrag richtig, und nehmen
Sie zur Kenntnis, dass es uns nur um Privatvermögen
und nicht um Betriebsvermögen geht.
({0})
Herr Kollege, wenn Ihnen eine Wohnung gehört, die
Sie vermieten, wird Ihre Vermögensteuer selbstverständlich darauf angewendet. Genau so steht es auch in Ihrem
Antrag. Wie kommen Sie denn sonst überhaupt auf den
Betrag von 80 Milliarden Euro, den Sie jedes Jahr einnehmen wollen?
Ich glaube, Sie lesen Ihren Antrag besser einmal selber, dann können wir noch einmal miteinander reden.
({0})
Dass wir uns nicht falsch verstehen: Für die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion ist es eine Selbstverständlichkeit, dass starke Schultern mehr tragen als schwache
Schultern. Bei der Vermögensteuer, die Sie jetzt vorschlagen, handelt es sich um eine reine Substanzsteuer.
Die Leute müssen sie selbst dann zahlen, wenn sie keine
Einnahmen in diesem Bereich haben. Es ist eine reine
Substanzsteuer: Selbst wenn die Wohnung, die zur Vermietung angeboten wird, leer steht, wird es teuer. Substanzsteuern sind nicht nur in diesem Bereich, sondern
auch in anderen Bereichen Gift.
Die in Ihrem Antrag vorgesehene Verdoppelung der
Erbschaftsteuer bedeutet ebenso eine Enteignung.
({1})
Sie wollen die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer von
momentan 4,5 Milliarden Euro auf 10 Milliarden Euro
erhöhen.
({2})
Sie schlagen einen Freibetrag in Höhe von 300 000 Euro
im günstigsten Fall vor, aber dann schlagen Sie zu: Ab
300 000 Euro beispielsweise wollen Sie 25 Prozent
Steuer kassieren, ab 500 000 Euro 35 Prozent, ab 1 Million Euro sind 45 Prozent Erbschaftsteuer fällig, ab
3 Millionen Euro müssen die Betroffenen 60 Prozent des
gesamten Familienvermögens als Steuer abführen. Auch
das ist eine Enteignung.
({3})
Stellen Sie sich das einmal vor: Nehmen wir einmal
einen großen Handwerksbetrieb, in dem der Vater und
der Sohn gemeinsam arbeiten und der Vater im Alter von
65 Jahren den Betrieb an den Sohn übertragen will. In
dem Augenblick, in dem der Vater in die wohlverdiente
Rente geht, soll er bzw. sein Sohn 60 Prozent des Betriebsvermögens an den Staat abführen.
({4})
Das ist doch absurd.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass
das heute im Fernsehen übertragen wird.
({6})
Die Bürger sollen ruhig wissen, was Sie hier vorhaben.
Die Bürger sollen ruhig wissen, was das Konzept bedeutet, das Sie heute hier vorgelegt haben: Bei Tod und
Schenkung erfolgt Enteignung. Auch der andere Antrag,
den Sie heute zur Abstimmung stellen, ist eine volkswirtschaftliche Katastrophe; die Kollegen haben das vorhin schon ausführlich dargestellt. Insgesamt fordern Sie
mit den heute vorgelegten Anträgen die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Frau Höll, nach Ihren eigenen Angaben wollen Sie
auf der Grundlage Ihrer heutigen Anträge 173 Milliarden
Euro Steuern zusätzlich kassieren, wohlgemerkt nicht
einmalig, sondern jährlich. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird selbstverständlich alle Anträge ablehnen.
Ich hoffe, dass Sie in zehn Wochen nicht schon wieder
mit den Anträgen hier im Bundestag aufschlagen.
({7})
Herzlichen Dank.
({8})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
nun der Kollege Olav Gutting von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich
versuche, es einmal ein bisschen zusammenzufassen:
Während die christlich-liberale Regierungskoalition mit
Steuervereinfachungen und klugen, moderaten Entlastungsschritten mehr Steuergerechtigkeit schafft, besteht
das Konzept der Linken - soweit man überhaupt von einem „Konzept“ sprechen kann - vor allem aus einem beeindruckenden Sammelsurium von Steuererhöhungsvorschlägen.
({0})
Es sind Forderungen, die darauf abzielen, Leistungsanreize für die Menschen, die wir brauchen, zu beseitigen, mit all den negativen Folgen für Investitionen, den
Konsum und die Arbeitsplätze.
Wir haben in der christlich-liberalen Koalition in den
letzten beiden Jahren vorgemacht, wie man dieses Land
aus der Krise herausführt, wie man es stärkt und es letztendlich in einen Zustand versetzt, der besser ist als vor
der Krise; wir sind gestärkt aus dieser Krise hervorgegangen. Meine Damen und Herren, mit Ihren Forderungen stehen Sie von den Linken - Christian von Stetten
hat es richtig gesagt - nicht nur mit einem, sondern mit
beiden Beinen im Bereich der Enteignung.
Ich will das Beispiel der Vermögensteuer von 5 Prozent aufgreifen. Man muss es etwas konkreter machen:
Wenn man die Inflation berücksichtigt, bedeutet die
Steuer für den Vermögensinhaber, den Hausbesitzer,
dass er mindestens 7 bis 8 Prozent Rendite pro Jahr erzielen muss, damit er das Erarbeitete überhaupt bewahren kann. Sie drängen die Menschen damit entweder zu
riskanten Finanzanlagen oder zwingen sie, Wuchermieten zu verlangen.
({1})
Ich glaube, beides kann nicht im Interesse der Menschen
sein. Sie schlachten letztendlich die Kuh, die Sie melken
wollen.
({2})
Die Konsolidierung der Staatsfinanzen - davon sind
wir überzeugt - gelingt nur mit einer gesunden, starken
Wirtschaft und einer niedrigen Arbeitslosigkeit. Was Sie
hier vorschlagen, fördert aber die Kapitalflucht.
Steuereinnahmen - Christian von Stetten hat es gesagt in Höhe von 80 Milliarden Euro bei der Vermögensteuer
würden Sie vielleicht im ersten Jahr erzielen. Aber das
war es dann. Danach ist das Vermögen weg.
({3})
Die Menschen werden es aus Deutschland wegschaffen - zu Recht.
Ihre Anträge atmen in weiten Teilen Populismus. Sie
atmen Neid. Sie wollen auch noch das Ehegattensplitting
abschaffen und richten sich damit direkt gegen die Familien in unserem Land.
({4})
Steuergerechtigkeit, meine Damen und Herren, bedeutet nicht, dass man die Menschen mit der Steuerlast
erdrückt.
({5})
Steuergerechtigkeit bedeutet für uns die Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit. Das heißt auch, dass man
den Bürgerinnen und Bürgern einen ausreichend großen
Teil vom sauer Verdienten belässt.
({6})
Nun zu Ihrem Antrag zur Einschränkung der Verlustverrechnung: Darin wollen Sie zum wiederholten Mal
den im Steuerrecht verankerten Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit aushebeln.
In den Unternehmen werden Gewinne und Verluste
erzielt. Diese richten sich nicht immer nach den Veranlagungszeiträumen. Die Erzielung von Gewinnen und
Verlusten richtet sich schon gar nicht nach dem Kalenderjahr. Die bestehende Besteuerung in zeitlichen Ab16718
ständen, jahresbezogen, ist im Ergebnis eine Willkür des
Gesetzgebers, die wir brauchen, um eine dauerhafte
Steuereinnahme zu haben. Aber deswegen ist es notwendig, dass diese Willkür bei der Festsetzung der Besteuerungszeiträume durchbrochen werden kann. Hierzu ist es
richtig, dass es Verlustvor- und -rückträge gibt.
Eine zeitliche Beschneidung dieser Verluste, die Sie
fordern, widerspricht dem Prinzip der Besteuerung nach
dem Lebenseinkommen insgesamt, und sie widerspricht
auch dem Prinzip der Leistungsfähigkeit.
Festzuhalten und klarzustellen bleibt: § 10 d Einkommensteuergesetz, den Sie hiermit verändern wollen, ist
keine Steuervergünstigung. Wir haben - das muss man
auch sagen - bereits heute ein Korrektiv hinsichtlich des
Verlustvortrags. Das heißt, bereits nach geltender
Rechtslage können die Verluste nicht sofort abgezogen
werden, wenn eine bestimmte Grenze erreicht wird.
Ich kann Ihnen nur raten: Lassen Sie die Finger von
der Verlustverrechnung. Unser Weg sieht jedenfalls anders aus. Wir haben gleich zu Beginn der Wahlperiode
die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen in
diesem Land mit einem Betrag von über 20 Milliarden
Euro entlastet.
({7})
- Ja, das war ungleich verteilt. Der größte Anteil ging an
die Familien, meine Damen und Herren. Das waren
5 Milliarden Euro allein für die Familien.
({8})
Dieser Wachstumsimpuls hat dazu beigetragen, dass wir
auf gutem Weg zu einem strukturell ausgeglichenen
Bundeshaushalt sind.
({9})
Diese Steuerpolitik werden wir jetzt konsequent fortsetzen,
({10})
auch mit der Beseitigung bzw. Abmilderung der kalten
Progression.
Der Erfolg, meine Damen und Herren, gibt unserer
Politik recht. Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote
seit 20 Jahren und die höchste Beschäftigungsquote, die
dieses Land je gesehen hat. Mit den Steuererhöhungen,
wie sie in diesem Haus gefordert werden, ist jedenfalls
unser Wohlstand und der soziale Standard in diesem
Land nicht zu halten.
({11})
Die Basis aller Staatsfinanzen - davon sind wir überzeugt - ist letztlich die Arbeit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.
Man kann es vereinfachen und auf folgende Grundregel bringen: Ohne mehr netto vom Brutto gibt es keine
Kaufkraftmehrung. Ohne Kaufkraftmehrung haben wir
keine Nachfragebelebung. Und ohne Nachfragebelebung
wird es keine Investitionen und keine neuen Arbeitsplätze geben. Letztlich wird damit eine Haushaltskonsolidierung nicht möglich sein.
({12})
Deswegen ist es gut, dass Sie in diesem Haus keine Verantwortung tragen.
Vielen Dank.
({13})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/5525 an den Finanzausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 17/7555
zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Auswege aus der Krise: Steuerpolitische Gerechtigkeit und
Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/7555, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/2944 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Waldstrategie 2020
Nachhaltige Waldbewirtschaftung - eine gesellschaftliche Chance und Herausforderung
- Drucksache 17/7292 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({0})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Cajus Caesar von der CDU/
CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wald und unsere Forstwirtschaft in Deutschland bedeuten Wohlstand,
wirtschaftliche Entwicklung, Einkommen im ländlichen
Raum und Umwelt- und Naturschutz. Wir, die Union, sehen im Wald mehr als nur die Summe von Bäumen.
Vielmehr begreifen wir ihn als Chance für Lebensqualität und für wirtschaftliche Entwicklung im ländlichen
Raum. Das ist unser Anliegen. Deshalb haben wir diese
Waldstrategie auf den Weg gebracht.
({0})
Wir, die Union, sind stolz auf unsere nachhaltige
Forstwirtschaft. Sie ist weltweit ein Vorbild. Deshalb,
meine ich, sollten wir nicht immer über fehlende Kleinigkeiten klagen, sondern deutlich machen, wie wichtig
uns der Wald ist und wie vorbildlich wir unseren Wald
bewirtschaften.
({1})
Natur bewahren, Klima schützen und an unsere Kinder denken - das ist die Devise der Union. Uns ist wichtig, auf diejenigen zu achten, die dafür gesorgt haben,
dass wir einen solch umweltfreundlichen Wald überhaupt vorfinden: die Waldbesitzer und all diejenigen, die
ihren Beitrag dazu geleistet haben. Ihnen gilt der Dank
der Union.
Dem Rohstoff Holz kommt eine immer größere Bedeutung zu. Er wird umweltfreundlich erzeugt, und er
hat eine besondere wirtschaftliche Bedeutung. In der
Energiepolitik werden wir sehen, dass schon in den
nächsten Jahren die Hälfte des Holzaufkommens energetisch genutzt werden wird, davon wiederum die Hälfte in
der wohnortnahen Wertschöpfungskette, nämlich indem
die Bürger vor Ort sich selbst mit Brenn- und Scheitholz
und damit mit umweltfreundlicher Energie versorgen.
Der Bundesverband Säge- und Holzindustrie hat zu
Recht festgestellt, dass der Bedarf in den nächsten Jahren nicht mehr zu decken sein wird. Experten schätzen,
dass uns im Jahr 2020 in Deutschland 30 Millionen Kubikmeter und in der Europäischen Union 400 Millionen
Kubikmeter Holz fehlen werden. Diese Herausforderung
müssen wir annehmen.
({2})
Es ist wichtig, dass die Waldbesitzer in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen haben, dass wir einen
naturnahen, vielschichtigen Wald haben, den wir durch
entsprechende Rahmenbedingungen, die wir als Politiker setzen müssen, noch weiter verbessern wollen.
Durch unsere Maßnahmen und durch die von uns vorgegebenen Rahmenbedingungen können wir die naturnahe
Wirtschaft weiter verbessern.
Wichtig ist uns, dass Mischbestände gepflanzt werden. Wir wissen aber auch, dass der Anteil von Nadelbäumen in der Altbestockung 62 Prozent beträgt, in der
Jungbestockung nur noch 29 Prozent. Wir müssen darauf
achten, dass wir ertragreiche Mischbestände pflanzen
und verjüngen, damit das Holzaufkommen auf Dauer gewährleistet ist.
Uns ist es wichtig, dass wir durch eine entsprechende
Baumartenwahl zur Risikominimierung beitragen. Die
Fichte beispielsweise kann durch klimaverträglichere
Baumarten wie die Douglasie oder die Küstentanne ersetzt werden. Es sollte sich dabei um einen Mischbestand handeln, der entweder eine Zeitmischung ist oder
durch Naturverjüngung entsteht. Es sind Baumarten zu
wählen, die sich an dem Standort wohlfühlen, die dort
hingehören und Sicherheit ausstrahlen. Ein solcher
Waldaufbau ist auf die Zukunft ausgerichtet.
Die Frage ist: Wollen wir mehr Flächenstilllegungen?
Wir als Union sagen: Das ist nicht der richtige Weg. Wir
wollen eine naturnahe Bewirtschaftung durch die Waldbesitzer auf ganzer Fläche. Deshalb sagen wir: Es macht
wenig Sinn, in Deutschland Flächen stillzulegen und
gleichzeitig den Urwald abzuholzen. Jährlich gehen
13 Millionen Hektar Urwald verloren - das ist mehr als
die Fläche Deutschlands -, davon 5 Millionen Hektar
auf Dauer. Das ist nicht das Ansinnen der Union. Wir
wollen nicht auf Kosten anderer leben.
({3})
Wir wollen nicht durch Flächenstilllegungen Holzimporte fördern, die nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. Das ist nicht unsere Vorgehensweise. Wir sehen,
dass die Waldfläche pro Kopf innerhalb einer Generation
weltweit um die Hälfte zurückgegangen ist. Ich denke,
deshalb ist es wichtig, dass wir einerseits in Deutschland
Waldwirtschaft betreiben, andererseits aber auch globale
Vereinbarungen treffen, um auf diesem Gebiet voranzukommen. Wir dürfen nicht auf Kosten anderer zum großen Holzimporteur werden. Eine solche Entwicklung
stellen wir in anderen Ländern fest, zum Beispiel hat
China mittlerweile Japan als Holzimporteur überholt.
Dabei hat China in den letzten fünf Jahren mehr Fläche
neu bepflanzt, als Deutschland überhaupt an Wald hat.
Andere Länder erkennen also die Bedeutung des Waldes
an. Das sollte uns bewusst sein. Wir sollten die Bevölkerung darauf hinweisen, wie wichtig der Wald für uns ist.
Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank an die Verbände richten, die in diesem Bereich aktiv sind. Dem
Bundesverband Säge- und Holzindustrie, dem Bund
Deutscher Forstleute, dem Holzwirtschaftsrat, den Waldbesitzer- und Waldbauernverbänden, der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und allen anderen Verbänden, die
sich für die Verbindung von Naturschutz und wirtschaftlicher Entwicklung - im Sinne der Wertschöpfung vor
Ort - einsetzen, sagen wir als Union Dank.
({4})
Uns ist wichtig, dass wir uns auch der Herausforderung „Wald und Wild“ stellen. Deshalb haben wir in die
Waldstrategie aufgenommen, dass die natürliche Verjüngung der Hauptbaumarten ohne Zaun möglich sein
muss. Das ist uns wichtig. Das wird auch von der Jägerschaft anerkannt. Für uns bleibt es wichtig, die Jagdaus16720
übung weiterhin an das Eigentum zu knüpfen. Gestern
gab es ein Gespräch mit dem Präsidenten des Deutschen
Jagdschutzverbandes, Hartwig Fischer, der ausdrücklich
zugesagt hat, dass er das Miteinander von Wald und
Wild nicht nur mitträgt, sondern auch voranbringen will.
Frischluft, Quellwasser, Tausende von Tier- und
Pflanzenarten, über 1 Million Arbeitsplätze, 11 Millionen Hektar Leben und Zukunft - das ist ein großes
Pfund. Das sollten wir nicht liegen lassen; dieses Pfund
sollten wir aufnehmen. Die Union und die Regierung haben es aufgenommen. Der Wald ist unsere Lebensgrundlage. Diese Einsicht ist Grundlage unseres Handelns und
der Waldstrategie 2020.
Ich bin ganz sicher, dass die Bundesregierung und die
Union mit der Waldstrategie 2020 auf dem richtigen
Weg sind. Lassen Sie uns das gemeinsam angehen.
Herzlichen Dank.
({5})
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Petra Crone.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Wald ist ein
komplizierter Lebensraum und eine anspruchsvolle Produktionsstätte. Der Wald ist keine Maschine, die einfach
nur funktioniert. Klaus Töpfer hat es zur Eröffnung des
Jahres der Wälder passend formuliert:
Wälder, Fixpunkte des Lebens, sind nicht reduzierbar allein auf den Beitrag zum Bruttosozialprodukt.
Ich bin froh, dass wir hier und heute über unsere Wälder reden. Viel zu oft gehen die Reden zu waldbezogenen Tagesordnungspunkten zu Protokoll oder werden in
den späten Abendstunden gehalten. Mit der Aussprache
zur Waldstrategie 2020 der Bundesregierung erhöhen
wir den Stellenwert des Waldes in der öffentlichen Debatte. Ich und ich glaube viele andere hier begrüßen das
sehr.
({0})
Die SPD-Bundestagsfraktion wünscht sich Wälder
für Deutschland, die älter, bunter und lebendiger werden
können.
({1})
- Ja, älter auch. - Daraus leiten wir eine besondere Verantwortung für die Waldfläche ab. Schutz und Nutzung,
die scheinbar ewigen Gegensätze, müssen endlich in einem ganzheitlichen Waldkonzept aufgehen. Der Schutz
der Biodiversität, der Erhalt der Gemeinwohlfunktion
des Waldes und die Ökonomie müssen sich im Einklang
befinden.
Die Bundesregierung wollte eben jene ausgewogene
und tragfähige Balance zwischen diesen Ansprüchen in
der Waldstrategie 2020 finden. Dies ist leider nur in Ansätzen gelungen. Unser Zeugnis sieht wie folgt aus: Die
Gewichtung der gesellschaftlichen Ansprüche an den
Wald - mangelhaft; die tatsächliche Partizipation aller
gesellschaftlicher Akteure - ungenügend; die Kommunikation zwischen dem Umweltministerium und Ihrem
Ministerium, Herr Staatssekretär - stark verbesserungswürdig.
({2})
Wann können wir mit den Entwicklungskonzepten für
die zu Recht geforderte Forschung zur Kaskadennutzung
rechnen oder zu den Auswirkungen des Klimawandels
auf den Wald? Wann kommt die TEEB-Studie für
Deutschland? Welche Mittel will das BMELV in die
Hand nehmen, um die Ziele der Waldstrategie 2020 umzusetzen? Fragen über Fragen.
Für die SPD-Bundestagsfraktion ist die Kernfrage:
Wie behandelt der Mensch den Wald in einer Zeit, die
von Klimawandel und Energiewende geprägt ist? Antworten finden wir in der Nationalen Biodiversitätsstrategie, leider weitaus weniger in der Waldstrategie 2020.
Für uns zeichnet sich ein lebendiger Wald dadurch aus,
dass er sich an die natürliche Waldgesellschaft annähert,
auch und gerade in der Bewirtschaftung. Wir, die SPDBundestagsfraktion, fordern dazu seit langem: Die gute
fachliche Praxis muss ins Bundeswaldgesetz.
({3})
Wenn die Bundesländer in ihren Waldgesetzen noch darüber hinausgehen, freut mich das natürlich sehr. Grundsätzlich gilt aber: Ohne eine erneute Novellierung des
Bundeswaldgesetzes wird es nicht gehen.
({4})
Es bleibt mir unverständlich, warum die Bundesregierung in ihrer Waldstrategie keine Notwendigkeit sieht,
diese Forderung umzusetzen. Sie weisen doch immer
wieder auf die steigenden Anforderungen an den Wald
hin. Glauben Sie allen Ernstes, Herr Staatssekretär, dass
die derzeitige Rechtslage in § 11 Bundeswaldgesetz ausreichend ist?
({5})
Im Internationalen Jahr der Wälder 2011 hantieren wir
mit Vorschriften aus dem Jahr 1975.
Die Leistungen des Waldes besitzen ein gehöriges Potenzial. Das muss mit einer vernünftigen Wald- und
Forstpolitik gewürdigt werden. Ich möchte noch einmal
aus der Eröffnungsrede von Klaus Töpfer zitieren:
Wir sind in einer Welt, in der wir offenbar nur das
sehen, was einen Marktpreis hat, und wundern uns
auf einmal darüber, dass die Funktionen, die ihn
nicht haben, dann offenbar übernutzt werden, …
dass damit die Nachhaltigkeit infrage gestellt wird.
({6})
Kurzum: Auch das beste Ökosystem hat seine Grenzen.
An dieser Stelle danke ich meiner Kollegin Conny
Behm für ihre Nachfrage zum konkreten Holzeinschlagsziel in der Waldstrategie 2020. Die in der Waldstrategie genannte Obergrenze des Holzeinschlags von
100 Millionen Kubikmeter pro Jahr bemisst sich erfreulicherweise in Vorratsfestmetern und nicht, wie befürchtet, in Erntefestmetern. In welcher Höhe der Einschlag in
unseren Wäldern nach Vorstellung des BMELV allerdings steigen soll, bleibt weiterhin unklar und im Nebel.
Die Gesellschaft ist beim Schutz und bei der Nutzung
des Waldes auf qualifiziertes Forstpersonal angewiesen.
Sein Fingerspitzengefühl und Können gewinnen immer
mehr an Bedeutung. Wer hier spart, spart an der falschen
Stelle. Darum sage ich zum wiederholten Mal ganz deutlich: Die SPD-Bundestagsfraktion will einen forstlichen
Mindestlohn.
({7})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, die Erfordernisse
einer nachhaltigen Entwicklung verursachen Kosten.
Der Vorteil bzw. der sichtbare Nutzen des Kurswechsels
wird sich erst später zeigen. Dies gilt in besonderem
Maße für den Wald. Unser Wald kann und darf kein
„Heilsbringer“ sein, nur weil er nachwächst. Ich bin der
festen Überzeugung, dass es unter anderen Mehrheiten
gelingen wird, ein ganzheitliches Waldkonzept zu erstellen.
Ich danke Ihnen.
({8})
Für die FDP hat jetzt die Kollegin Dr. Christel
Happach-Kasan das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
begehen in diesem Jahr das Internationale Jahr der Wälder. Vor den Umweltministerien aller Länder kann man
das entsprechende Emblem erkennen und sehen: Das
Jahr der Wälder ist weltweit angekommen.
Die Bundesregierung hat das Jahr der Wälder unter
das Motto „Waldkulturerbe“ gestellt. Ich glaube, das ist
eine sehr weise Entscheidung, gerade in Deutschland;
denn Deutschland ist ein Land, das vom Wald geprägt
ist. In meinem Wahlkreis zum Beispiel liegen Waldstadt
({0}), Siebenbäumen, Siebeneichen, Buchhorst,
Buchholz und Büchen - alles Namen, die auf den Wald
Bezug nehmen. Es wird deutlich: Die potenzielle natürliche Vegetation in Deutschland ist der Wald. Vor diesem
Hintergrund haben wir eine multifunktionale Forstwirtschaft, die diesem Anspruch tatsächlich gerecht wird.
Deswegen können wir feststellen - das bringt die Waldstrategie sehr deutlich zum Ausdruck -, dass die Biodiversität im Wald sehr viel höher ist als in allen anderen
Biotopen, die wir haben. Das zeigt, dass wir sehr verantwortlich mit unseren Wäldern umgehen.
({1})
Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass Holz in
Deutschland der wichtigste nachwachsende Rohstoff ist.
45 Prozent der energetischen Nutzung von Biomasse beruhen auf Holz. Gleichzeitig ist Holz, was die rohstoffliche Nutzung betrifft, im Hausbau, im Möbelbau, in der
Papierherstellung usw., ein ganz wichtiger nachwachsender Rohstoff, der beispielsweise auch einen sehr großen Beitrag dazu leistet, die Klimaeffizienz zu erhöhen.
Der Rohstoff Holz hat nämlich herausragende Qualitäten. Gerade in Deutschland wird er sehr vielfältig genutzt.
Wir alle wissen: Deutschland ist ein dichtbesiedeltes
Land; denken Sie nur an Städte wie Berlin, Hamburg,
München oder Frankfurt. Waldspaziergänge gehören für
die Menschen in Deutschland zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Das heißt, wir haben Ansprüche an
den Wald, die im Naturschutz, in der Produktion von
Holz und in der Naherholung liegen. All dies müssen wir
unter einen Hut bringen. Die Waldstrategie, über die wir
heute diskutieren, tut dies in absolut vorbildlicher Weise.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, ehrlich gesagt: Über Festmeter sollte man im Zusammenhang mit der Waldstrategie nicht reden - das ist
nicht der Punkt -, sondern es geht um eine strategische
Ausrichtung, wie wir in Zukunft mit unseren Wäldern
umgehen wollen.
({3})
Den Rahmen dafür bietet selbstverständlich das Waldgesetz. Keine einzige Strategie kann Gesetze außer Kraft
setzen. Sie bleiben selbstverständlich in Kraft.
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist von der Fortwirtschaft geprägt worden. Wo das allerdings zuerst passiert
sein soll, darüber streiten sich einige Bundesländer. So
sagt etwa mein Kollege, der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, dafür sei Hessen verantwortlich; die
Brandenburger sagen das im Übrigen auch. Das heißt, an
vielen Orten in Deutschland ist man sich bewusst geworden, dass Nachhaltigkeit für die Nutzung von Wäldern
besonders wichtig ist. Dieser Begriff hat auch in die
wirtschaftliche Diskussion Eingang gefunden.
„Nachhaltigkeit“ bedeutet aber auch die gleichwertige Berücksichtigung der Anliegen von Ökonomie,
Ökologie und Sozialverträglichkeit. Dies ist die besondere Herausforderung, der wir im Rahmen der Waldstrategie gerecht werden müssen. Das Cluster Forst und
Holz hat eine enorme wirtschaftliche Bedeutung. Es ist
insbesondere für den ländlichen Raum von herausragender Wichtigkeit. Dies müssen wir bei all unseren Entscheidungen im Blick haben. Das gilt auch im Hinblick
auf das häufig von Naturschutzverbänden formulierte
Ziel. Wenn es heißt: „5 Prozent wollen wir gar nicht nutzen“, frage ich mich: Warum eigentlich nicht? Natürlich
kann man - das wollen wir auch - auf den gesamten Flächen Naturschutzbelangen Rechnung tragen und sie
gleichzeitig nachhaltig nutzen. Das funktioniert, und genau das wollen wir als Liberale. Hier sind wir uns sehr
einig.
({4})
Wer einmal in den Schwarzwald gefahren ist und gesehen hat, dass dort in jedem zweiten Dorf eine Sägerei
steht, der weiß: Wenn man dort ein großes Schutzgebiet
ausweisen würde, wie das im Augenblick von den Grünen geplant ist, dann würde das in einem großen Teil des
Schwarzwaldes das Aus für den ländlichen Raum bedeuten. Ich glaube, das ist nicht in Ordnung.
({5})
- Nein, Herr Ebner, das ist so.
({6})
Die Kritik an der Waldstrategie 2020 ist nach meiner
Auffassung sehr stark von Misstrauen geprägt. Die Forderung nach guter fachlicher Praxis ist eine Forderung
an den Landesgesetzgeber und nicht an den Bund; denn
es ist ganz deutlich an Folgendem zu erkennen: In den
Wäldern in der Heimat meines Kollegen Rainer Erdel
sieht es ganz anders aus als beispielsweise auf den nordfriesischen Inseln. Auch da gibt es Wald - oder das
Katinger Watt beispielsweise -, aber die Anforderungen
an den Wald sind dort völlig andere als in den Bergländern Deutschlands. Deswegen ist es richtig, wenn wir sagen: Es ist eine Landesaufgabe, für gute fachliche Praxis
im Wald zu sorgen.
Das zweite Problem, das wir überhaupt nicht übersehen, ist die Wald-Wild-Problematik. Natürlich gibt es
sie, und es gibt Missstände an einzelnen Orten; aber es
ist Aufgabe der lokalen Behörden, dort zu gerechten Lösungen zu kommen. Das ist nichts, was wir als Bundesgesetzgeber festschreiben können, sondern wir müssen
hier das Vertrauen in die lokalen Behörden, in die Unteren Naturschutzbehörden, in die Unteren Jagdbehörden,
haben, um dort zu Lösungen zu kommen.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir mit
allen Entscheidungen, die wir heute treffen, Einfluss auf
künftige Generationen haben; denn der Baum, der heute
gepflanzt wird, wird frühestens in 70 Jahren - in aller
Regel sind es 120 bis 160 Jahre - geerntet. Das heißt,
mit unserer Entscheidung heute haben wir Einfluss auf
die Nutzung in der Zukunft.
Wir können schon jetzt absehen, dass wir eine sogenannte Holzlücke haben werden. Wir werden durch das
geringere Anpflanzen von Nadelholz eine bedeutende
Lücke haben. Liebe Conny Behm, man kann nicht einfach für Akzeptanz der Nutzung von Laubholz werben,
wenn man ganz genau weiß, dass Dachstühle nun einmal
aus Nadelholz gebaut werden - auch aus Gründen der
Statik.
({7})
Man kann die physikalischen Gesetze selbstverständlich
nicht außer Kraft setzen - im Übrigen auch nicht durch
eine Waldstrategie.
({8})
Das geht schlicht und ergreifend nicht, und deswegen
haben wir hier Schwierigkeiten.
Ich bin sehr froh, das wir als christlich-liberale Koalition eine sehr gute Änderung des Bundeswaldgesetzes
auf den Weg gebracht haben, die beispielsweise von RotGrün und auch von Schwarz-Rot nicht geschafft worden
ist. Wir haben sie schnell auf den Weg gebracht.
({9})
- Wir haben das sehr schnell auf den Weg gebracht, und
zwar mit einer hohen Anerkennung durch die gesamte
Öffentlichkeit, werter Herr Kollege Kelber. Sie haben
offensichtlich nicht richtig zugehört. - Ich glaube, es ist
gut, dass wir damit auch Kurzumtriebsplantagen möglich gemacht haben, die auf Ackerflächen Biomasse in
Form von Holz produzieren können.
({10})
Aufgrund der komplexen Anforderungen, die an unsere Wälder gestellt werden, ist - hier stimme ich der
Kollegin Crone zu - qualifiziertes Personal notwendig.
Ich glaube, dass wir gerade in Deutschland qualifiziertes
Personal haben, das angemessen bezahlt werden muss.
Auch hier bin ich mit Ihnen einer Meinung. Ob man allerdings in jeder Debatte den Mindestlohn ansprechen
sollte, wage ich dann doch herzlich zu bezweifeln.
({11})
Ich glaube, dass wir mit dieser Waldstrategie 2020,
die von der Bundesregierung vorgelegt worden und von
vielen Verbänden mitgetragen und mitgestaltet worden
ist, eine gute Strategie für unsere Wälder für die Zukunft
haben. Deutschland ist eines der wenigen Länder weltweit, in denen neue Wälder entstehen.
({12})
Ich freue mich darüber, insbesondere wenn das in
Schleswig-Holstein der Fall ist, wo der Anteil des Waldes noch relativ gering ist. Ich glaube aber, mit dieser
Waldstrategie 2020 sind wir insgesamt auf einem sehr
guten Weg.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich fange mit dem Positiven an: Die
Waldstrategie 2020 liegt vor. Die Bundesregierung hat
immerhin eine Strategie. Das kommt nicht so oft vor.
Eine Strategie ist aber bei diesem Thema dringend nötig.
Aber damit ist das Lob für heute auch schon wieder zu
Ende.
Dabei ist die Waldpolitik ein sehr spannendes und
auch spannungsgeladenes Politikfeld. Viele Interessen
müssen unter einen Hut gebracht werden, zum Beispiel
die Holznutzung, die Erholung, die Jagd und auch der
Naturschutz. Bereits existierende Strategien und Aktionspläne müssen berücksichtigt werden, wie zum Beispiel der zur biologischen Vielfalt. Da bleiben Konflikte
nicht aus.
Ich nenne ein paar Beispiele. Die Nachfrage nach
Holz wächst schneller als die nachwachsende Holzmenge. Eine zu starke Holznutzung steht der Speicherung von CO2 und anderen Ökosystemleistungen des
Waldes entgegen. Hohe Schalenwildbestände tragen zu
Schäden an Bäumen bei. Die Jägerschaft sieht Jogger,
Reiter und Pilzsucher eher nicht so gern im Wald.
An diesen Anforderungen zur Friedensstiftung im
Wald waren die ersten zu wirtschaftslastigen Entwürfe
der Waldstrategie prompt gescheitert. Die Kritik des
Bundes Deutscher Forstleute und der Umweltverbände
war geradezu vernichtend. Der nun hier vorliegende
Text ist leider nicht viel besser. Die Bundesregierung hat
eine nett zu lesende, aber harmlose Strategie vorgelegt.
Das ist angesichts der großen sozialen und ökologischen
Herausforderungen der Zukunft deutlich zu wenig.
({0})
Es reicht eben nicht, Probleme zu benennen, wenn die
Ausführungen dazu in der Waldstrategie bei den Zuständigkeiten für die Lösungsvorschläge eher wortkarg bleiben, insbesondere dort, wo die Bundesregierung zuständig wäre.
Die Linksfraktion hat bereits im Juli 2011 ihre Anforderungen an eine Waldstrategie auf sieben Seiten veröffentlicht. Wälder sind eben nicht nur Natur- oder Wirtschaftsräume, sondern beides. Wälder haben auch eine
wichtige soziale Funktion, insbesondere denke ich hier
an die forstlichen Arbeitsplätze.
({1})
Schutz und Nutzung sind aus unserer Sicht auf derselben
Fläche möglich, wenn der Wald nachhaltig bewirtschaftet wird. Sozialeres und ökologischeres Wirtschaften auf
der gesamten Waldfläche bringt aus meiner Sicht mehr
Fortschritt als die Einrichtung von Refugien ohne jegliche Nutzung. Aber Refugien können eine sinnvolle Ergänzung sein und müssen verbindlich verabredet werden.
Wir brauchen naturnahe, klimaplastische Wälder. Wir
brauchen Wälder, die vielen Tierarten und Pflanzenarten
Lebensräume bieten. Wir brauchen artenreiche Mischwälder, die weniger krankheits- und witterungsanfällig
sind als reine Nadelbaumbestände. Das sind keine Zukunftsvisionen, sondern es gibt gute Praxisbeispiele für
diese Art der Waldbewirtschaftung. Aber klar ist auch:
Das ist eine Aufgabe für Generationen.
Für die Linke sind zur Sicherung der öffentlichen Interessen im Wald drei zentrale Voraussetzungen wichtig
und unverzichtbar: eine starke Forstwissenschaft, der Erhalt öffentlichen Waldeigentums und starke staatliche
Forstwirtschaftsbetriebe.
Auf drei zentrale Defizite der Waldstrategie möchte
ich jetzt eingehen:
Erstens: die Forstleute. Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung braucht gut qualifizierte und auch gut bezahlte
Forstleute. Die etwa hunderttausend Menschen in den
Forstbetrieben haben eine körperlich anstrengende und
gefährliche Arbeit. 6,5 Prozent aller Arbeitsunfälle passieren im Wald. Deshalb gilt unsere jahrelange Forderung nach einem Mindestlohn natürlich auch für den
Wald.
({2})
Zweitens: die Holznutzung. Aktuell wird in Deutschland jährlich Holz in einem Volumen von 50 Cheops-Pyramiden verbraucht; Tendenz sogar noch steigend. Die
Bundesregierung will deshalb nun die einheimische Holzernte von 80 Millionen auf 100 Millionen Vorratsfestmeter pro Jahr erhöhen. Ohne klare, verbindliche sozialökologische Mindeststandards der Waldbewirtschaftung
wird das zum Raubbau führen. Deshalb müssen diese
Mindeststandards ins Bundeswaldgesetz - das ist auch
schon von der SPD angesprochen worden - aufgenommen werden. Das fordert die Linke seit langem, aber die
Bundesregierung verweigert das weiter. Das ist natürlich
nicht akzeptabel.
({3})
Drittens: die Jagd. Wer Waldumbau will, muss auch
über Wild und Jagd reden. Bei hohen Schalenwildbeständen können Jungbäume nur hinter Zäunen schadlos
aufwachsen. Das erschwert und verteuert den Waldumbau. Richtigerweise wird in der Waldstrategie eine
natürliche Waldverjüngung ohne Zaunschutz gefordert.
Aber genau das gelingt vor Ort nicht.
Wie können wir also die Wildschäden reduzieren? Sie
haben vielfältige Ursachen, zum Beispiel hohe Schalenwildbestände. Diese hohen Schalenwildbestände kommen auch zustande, weil die Agrarlandschaft, wie sie aktuell da ist, exzellente Äsungs- und Schutzbedingungen
bietet. Landwirte, Waldbesitzer, Forst- und Jägerschaft
müssen also zu einer strategischen Partnerschaft finden,
wenn sie das Problem lösen wollen. Wir müssen darüber
nachdenken, wie die Politik das konstruktiv begleiten
kann. Wir müssen fragen, ob es Defizite im Vollzug der
Jagdgesetze gibt oder ob die Jagdgesetze geändert werden müssen. Statt die Vielzahl der Fragen zu beantworten, fordert die Bundesregierung Dritte auf, ein Leitbild
zur Jagd zu entwickeln.
({4})
Aus meiner Sicht entzieht sich die Bundesregierung damit ihrer Verantwortung und trägt den Streit in die Dörfer. Das ist unredlich.
({5})
Mein Fazit ist: Der Bund hat seine Bringschuld mit
der Waldstrategie nicht erfüllt. Die offenen Fragen böten
viel Stoff für eine öffentliche Anhörung. Ich denke, wir
sollten das auch fordern und an den Stellen weiter diskutieren, an denen es dringend erforderlich ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Jetzt hat die Kollegin Cornelia Behm für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wie man hören konnte, sind die Koalitionsfraktionen mächtig stolz auf die Waldstrategie, die die
Bundesregierung vorgelegt hat,
({0})
nach vielem Hin und Her und nach vielen Jahren der
Vorbereitung. Ich meine, Sie haben dazu keinen Grund.
Nach meinem Dafürhalten verdient das Papier auch
nicht den Namen „Strategie“; denn es ist sehr dürftig.
({1})
Von einer Strategie erwarte ich Ziele und Ideen, wie man
diese Ziele erreichen kann, also Maßnahmen und Instrumente. Aber das bleibt die Waldstrategie schuldig. Es
bleibt aus diesem Grunde völlig offen, wie Sie in allen
deutschen Wäldern bis 2020 zu einer naturnahen Waldbewirtschaftung kommen wollen.
Die Regierung spricht von einer gesellschaftlichen
Chance und Herausforderung. Viel mehr, als die Herausforderungen zu beschreiben, tun Sie jedoch nicht. Wie
Sie diese angehen wollen, bleibt weitgehend im Dunkeln. Dabei gehört es zu den Herausforderungen der
Politik, durch naturnahe Waldbewirtschaftung sowohl
den Herausforderungen des Klimawandels und des dramatischen Verlustes an biologischer Vielfalt gerecht zu
werden als auch die Chancen für die Menschen im ländlichen Raum zu verbessern.
({2})
In der sogenannten Waldstrategie werden neun Handlungsfelder beschrieben. Das ist im Übrigen nicht falsch.
Aber wie sieht es mit den Lösungsansätzen aus? Ich will
nur auf drei Handlungsfelder eingehen.
Zur Verwendung des Rohstoffes Holz: Die wenigen
Lösungsansätze, die präsentiert werden, um den wertvollen nachwachsenden Rohstoff Holz nachfragegerecht
zur Verfügung zu stellen, sind völlig unzureichend. Das
ist auch für den Naturschutz dramatisch. Denn wenn
nichts gegen die sich auftuende Holzlücke, die im Jahr
2020 nach Prognosen 30 Millionen Erntefestmeter betragen könnte, getan wird, dann droht angesichts fehlender
waldrechtlicher Schutzmechanismen eine Übernutzung
der Wälder. Ihre immer wieder wiederholte Behauptung,
dass das Naturschutz- und Waldrecht das bereits heute
bundesweit verhindere, ist leider schlicht falsch.
Da die prognostizierte Holzlücke fast ausschließlich
aufgrund des Ausbaus der Holzenergie entsteht, wäre
meines Erachtens genau hier die Schaltstelle. Doch Sie
legen den Hebel nicht um. So wird der Rohstoff Holz zu
immer größeren Teilen direkt verfeuert werden. So fahren Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
trotz Waldstrategie sehenden Auges bedeutende Teile
der Holzwirtschaft an die Wand.
({3})
Das Einzige, was den Koalitionsfraktionen seit Jahr
und Tag zum Handlungsfeld „Biologische Vielfalt und
Waldnaturschutz“ einfällt, ist der Verzicht auf die Umsetzung des 5-Prozent-Ziels für Wälder mit natürlicher
Entwicklungsdynamik. Dabei geht es um 3 Millionen bis
5 Millionen Festmeter jährlich. Zugegeben, das ist eine
nicht unerhebliche Größenordnung. Aber - das müssen
Sie zugestehen - weder haben wir heute eine 100-prozentige Nutzung der Waldfläche in Deutschland, noch
lässt sich die Holzlücke auch nur annähernd mit diesem
Holz schließen.
Ich sage ganz klar: Ein Entweder-oder zwischen
Waldnaturschutz und Holzversorgung ist der völlig falsche Weg. Wir brauchen sowohl den Erhalt der biologischen Vielfalt im Wald als auch eine gute Versorgung
mit Holz, wenn wir fossile Rohstoffe ersetzen wollen.
({4})
Wir brauchen eine Politik, die die verschiedenen Anforderungen an den Wald integriert.
({5})
Zum Schluss zur Jagd. Ausgangslage und Herausforderungen sind richtig beschrieben, doch Ihre Lösungsansätze sind eine bunte Mischung aus „Weiter so!“ und
„Wünsch dir was!“. Es ist doch billig, neben einem allgemeinen Bekenntnis zur Jagd die verschiedenen Akteure zum Handeln aufzufordern, aber keinerlei eigenen
Handlungswillen zu zeigen. Die Verantwortung für waldangepasste Wilddichten lediglich auf Dritte abzuschieben, zeugt schlicht von mangelndem Gestaltungswillen
oder auch von mangelndem Gestaltungsvermögen. Aber
das ist bei dieser Regierung auch nichts Neues.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren erleben
wir einen waldpolitischen Stillstand. Es wird Zeit, dass
dieser durch waldpolitische und holzwirtschaftliche Tatkraft abgelöst wird.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Josef Göppel von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
wichtigste Satz der Waldstrategie steht in Kapitel 3.3,
dass nämlich die Holzernte maximal bis zur Höhe des
durchschnittlichen jährlichen Gesamtzuwachses gesteigert werden darf. Es steht noch dort: „Der Wald soll als
CO2-Senke erhalten bleiben.“ Das ist die richtige Antwort auf die Diskussion, die es jetzt in Deutschland gibt,
wonach man mehr Holz einschlagen müsse, damit mehr
junge Bäume gepflanzt werden könnten und mehr Kohlenstoff gespeichert werden könne. An dieser Diskussion
sind zwei Dinge falsch. Von dem Holz, das wir einschlagen, wird nur ein Drittel dauerhaft in Bauwerken und
Möbeln verarbeitet,
({0})
zwei Drittel werden kurzfristig verwertet. Der andere
Punkt ist, dass ein junger Wald etwa zwei Jahrzehnte
braucht, bis er anfängt, nennenswert Kohlenstoff zu
speichern. Deswegen ist diese Festlegung der Waldstrategie eine zukunftsweisende politische Entscheidung.
Ich halte das für richtig und für gut.
({1})
Wir haben in Kapitel 3.2 Aussagen zu den Fachkräften. Das ist in der Diskussion schon mehrfach erwähnt
worden. Es heißt dort, dass eine Mindestpräsenz gut ausgebildeter Fachkräfte nicht unterschritten werden darf
und dass der öffentliche Waldbesitz hier eine besondere
Verantwortung trägt. Wir mussten erleben, dass in fast
allen Landeswaldungen in den letzten fünf Jahren Fachkräfte massiv abgebaut wurden. Wenn aber die Förster
und die Waldarbeiter aufgrund der Übergröße des Reviers ihren Wald gar nicht mehr kennen, mehr Zeit im
Auto als im Wald verbringen und anhand von Luftbildkarten die Entscheidungen treffen müssen, dann ist die
Nachhaltigkeit gefährdet. Deswegen finde ich die Aussage zu den qualifizierten Fachkräften und einer Höchstgröße der Reviere auch so wichtig.
Es ist auch die Rede vom kleinen Privatwald, der
noch viele Holzreserven hat. Die Waldstrategie sagt
dazu, dass die Beratungsleistungen im kleinen Privatwald eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge
sind und deswegen ausgebaut werden müssen. Ich frage
mich, wie die Oppositionsabgeordneten dazu kommen,
zu sagen, hier würden keine zukunftsweisenden Festlegungen getroffen.
({2})
Die Waldstrategie greift die entscheidenden Themen auf.
Es gibt eine Diskussion über die 5 Prozent Naturschutzflächen. Auf der anderen Seite sagen Förster und
Waldbesitzer, im Wald seien Nutzung und Schutz auf
gleicher Fläche möglich. Aufgrund meiner 30-jährigen
beruflichen Tätigkeit als Förster halte auch ich das für
möglich. Gleichzeitig muss man sagen: Wer das in Anspruch nimmt, der muss auch dafür sorgen, dass qualifizierte Fachkräfte ihren Wald so gut kennen, dass sie Nutzung und Schutz tatsächlich vereinbaren können.
({3})
Das betrifft den Punkt, den ich schon erwähnte: die Mindestpräsenz qualifizierter Fachkräfte.
Die Strategie der Bundesregierung zur biologischen
Vielfalt gilt auch für den Wald. Deswegen ist diese
5-Prozent-Diskussion müßig. Sie wird übrigens möglicherweise ein überraschendes Ergebnis haben: Einige
Landesforstverwaltungen haben bereits nach Ausgleichsflächen für Windräder im Staatswald gesucht,
und siehe da: Die Expertisen, die man angefertigt hat,
besagen, dass Flächen in einer Größenordnung von
4 oder 5 Prozent der Fläche des Waldes als Ausgleich für
Windräder im Wald möglich sind. Angesichts dessen
sind die Festlegungen, die in der jetzt gültigen Waldstrategie verankert sind, als gute Lösung des Naturschutzproblems anzusehen.
Die Forstwirtschaft muss immer so betrieben werden:
aufmerksam auf die Natur schauen, behutsam mit der
Natur umgehen, aber wirtschaftlich denken; auch das gehört dazu. Das zusammen macht die Nachhaltigkeit aus.
({4})
Jetzt hat der Kollege Ulrich Kelber von der SPDFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig: Wenn man über eine Waldstrategie
spricht, dann spricht man über eine Nachhaltigkeitsstrategie. Frau Kollegin Happach-Kasan hat zu Recht darauf
hingewiesen, dass dieser Begriff in der Forstwirtschaft
entstanden ist. Es war mit Georg Ludwig Hartig einer
der berühmtesten deutschen Forstwissenschaftler, der
1804 etwas zur Menge geschrieben hat - ich zitiere -:
Es läßt sich keine dauerhafte Forstwirtschaft denken und erwarten, wenn die Holzabgabe aus den
Wäldern nicht auf Nachhaltigkeit berechnet ist.
Er ist aber auch auf die anderen Leistungen des Waldes,
die dieser für die Gesellschaft bereitstellt, eingegangen.
Noch einmal ein Zitat:
… doch so zu benutzen suchen, daß die Nachkommenschaft wenigstens ebenso viel Vorteil daraus
ziehen kann, als sich die jetzt lebende Generation
zueignet.
Das ist eine klare Definition des Begriffs, eine Erkenntnis, die in Deutschland nachher nicht immer befolgt
wurde - das sehen wir an Schäden im Wald -, und eine
Erkenntnis, die aufgrund des wachsenden Nutzungsdrucks auf den Wald wiederum gefährdet ist.
Die weiteren Lebensgrundlagen - neben der reinen
Bereitstellung von Holzmaterial - haben einige Rednerinnen und Redner schon angesprochen. Umso wichtiger
ist es, eine Waldstrategie nicht so anzulegen, dass der
Wald nur zu einem Holzlieferanten degradiert wird. Wir
haben in diesem Plenum und auch in den entsprechenden
Ausschüssen oft schnell Einigkeit im Hinblick auf den
internationalen Klimaschutz, sei es beim Schutz der Regenwälder oder sei es beim Schutz der Wälder Kanadas
und Russlands. Eine kleine Ausnahme ist im Augenblick
sicherlich die Frage des Schutzes des Yasuní-Regenwaldes. Dazu haben wir zwar als Parlament einheitliche Beschlüsse gefasst, aber ein Mitglied der Bundesregierung,
das nicht anwesend ist, ist der Meinung, diese Beschlüsse nicht umsetzen zu müssen,
({0})
wodurch eine der wichtigsten Schutzmaßnahmen gefährdet wird.
({1})
Die Maßnahmen, die wir anderen Ländern zum
Schutz von Wäldern empfehlen, das, was wir ihnen empfehlen, wie nachhaltige Waldnutzung aussieht, das muss
doch auch für unsere heimischen Wälder gelten.
({2})
Deswegen müssen wir diese Maßstäbe festschreiben und
dürfen sie nicht nur der Gutmütigkeit des Einzelnen
überlassen. Ich glaube, dass die große Mehrheit der
Waldbauern möchte, dass wir das, was sie bereits tun,
festschreiben, damit alle so handeln müssen, auch diejenigen, die nicht aus der gleichen Tradition nachhaltiger
Waldnutzung kommen.
Was ist unsere Kritik an der Waldstrategie der Bundesregierung? Ich greife vier Jahre zurück, nämlich zu
der von CDU/CSU und SPD gemeinsam verfassten nationalen Biodiversitätsstrategie, die durchaus eine ganze
Menge Lob bekommen hat, auch aus der Community heraus, für konkrete Qualitäts- und Handlungsziele mit genauen Zieljahren und konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele. Umso erstaunter sind wir, dass einige
dieser Maßnahmen heute nur noch Lippenbekenntnisse
sind und nicht mehr umgesetzt werden.
Ein Beispiel - das ist heute offensichtlich geworden ist die Frage der 5-Prozent-Regelung bezüglich naturbelassenen Waldes. Die Vertreter des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, die
diese Nachhaltigkeitsstrategie damals mitentwickelt haben, stellen dies heute als Fehler dar. Der erste Redner
von der CDU/CSU, der Kollege Caesar, hat ebenfalls gesagt, dass er dies nicht unterstützt. Insofern bin ich dankbar, zu sehen, dass es auch innerhalb von Schwarz-Gelb
dazu unterschiedliche Ansichten gibt. Die Verjüngung
des Waldes, der Artenreichtum und die Vielfalt sind auf
solche Naturwaldzellen, auf solche Urwaldzellen angewiesen. Sie stellen eine besondere Bedeutung unserer
heimischen Wälder dar.
({3})
Dies als Stilllegung, also mit einem Begriff aus der intensiven Nutzung von Ackerflächen, zu diffamieren,
zeigt, dass man den Wald zu einem reinen Holzlieferanten degradieren möchte. Das wäre ein großer Fehler.
({4})
Wir brauchen verbindliche Vorgaben für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung. Wir müssen große Kahlschläge verbieten.
({5})
Wir müssen dafür sorgen, dass neuartige Erntemaschinen den Wald nicht inklusive der Wurzeln leerfegen können. Darüber hinaus müssen wir die Wiederaufforstung
mit heimischen Baumarten festschreiben.
Der Einsatz für Regenwälder ist die Kür des Naturschutzes, der Einsatz für eine nachhaltige Politik für die
heimischen Wälder ist die Pflicht, und dahin muss
Schwarz-Gelb zurückkehren.
Vielen Dank.
({6})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Alois Gerig von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Gäste! Ich möchte eingangs meiner Freude darüber Ausdruck geben, dass wir
zum Ende einer durchaus anstrengenden Sitzungswoche
ein so schönes Thema wie den deutschen Wald hier diskutieren dürfen, und ich bedauere sehr, dass nicht alle
Kolleginnen und Kollegen der Opposition diese Freude
mit mir teilen.
({0})
Die Waldstrategie der Bundesregierung ist viel mehr
als ein symbolischer Beitrag zum internationalen Jahr
der Wälder. Deshalb vorab mein Dank an die Ministerin
und an das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz für die Idee, für den Dialog mit
möglichst vielen Beteiligten und für dieses Ergebnis.
({1})
Diese Waldstrategie wird der Bedeutung unserer Wälder
- immerhin ist ein Drittel Deutschlands mit Wald bewachsen - gerecht. Die Bundesregierung zeigt damit
Wege auf, wie wir den steigenden Ansprüchen an den
Wald begegnen und mit einer nachhaltigen Bewirtschaftung seine ökologische, ökonomische und soziale Funktion bewahren können. Für diese Zielsetzung verdient
die Waldstrategie unser Lob und unsere Unterstützung.
({2})
Da die Strategie darauf abzielt, verschiedene und damit auch gegensätzliche Nutzungsansprüche an den
Wald in Einklang zu bringen, stellt sie notwendigerweise
einen Kompromiss dar. Aber ich kann schon behaupten
- davon bin ich überzeugt -, dass wir die Balance gefunden und auch das richtige Augenmaß gewahrt haben und
jetzt keine ideologischen Scheuklappen aufsetzen müssen.
Ich habe die Waldstrategie in meinem Wahlkreis mit
Waldeigentümern, Forstbetriebsgemeinschaften, Förstern, Naturschützern und Jägern diskutiert, und ich kann
berichten, dass sie durchaus auf positive Resonanz an
der Basis stößt. Insbesondere wird anerkannt, dass die
Bundesregierung an die bisherige Waldpolitik anknüpft
und zusätzlich Themen aufgreift, die den Praktikern vor
Ort unter den Nägeln brennen.
Bei meinen Gesprächen zur Waldstrategie sorgte insbesondere die Frage für Zündstoff, wie viel Wald zum
Schutz der Biodiversität aus der forstwirtschaftlichen
Nutzung genommen werden sollte. Es ist vernünftig,
dass die Waldstrategie keine pauschalen Vorgaben für
Waldstilllegungen vorsieht, die über die Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung hinausgehen. Wir haben
diese Biotope schon, wie es der Kollege Caesar sehr
richtig gesagt hat.
Wir sollten uns hier einmal an den Fakten orientieren.
Weltweit nehmen die Waldbestände - das haben wir
schon besprochen - ab; in Deutschland nehmen sie seit
Jahren zu. In unseren Wäldern schlummert proportional
deutlich mehr Holzpotenzial als in Europa und in der
Welt. Eines kann man deshalb auch sagen: In den letzten
Jahrzehnten waren viele Waldbesitzer wegen der schlechten Holzpreise für ihren Besitz geradezu gestraft. Denen
sollten wir doch einmal gönnen, dass sie finanziell etwas
Luft zum Atmen haben.
({3})
Ich sage Ihnen auch: Die große Masse der Waldbesitzer ist nicht nur naturverbunden, sondern wirtschaftet solide, vernünftig und mit dem nötigen Augenmaß, sodass
ich überhaupt keinen Grund für die Befürchtung sehe,
dass in deutschen Wäldern Raubbau Einzug halten
könnte. Gleichwohl - und dies wird in der Waldstrategie
festgeschrieben - müssen wir Spielregeln für die neuen,
immensen Herausforderungen aufstellen, die auf unsere
Wälder zukommen. Aufgrund der Verknappung fossiler
Rohstoffe ist mit einer steigenden Holznachfrage zu rechnen; das haben wir schon besprochen. Damit Deutschland
seine ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen kann, ist es
wünschenswert, dass Holz sowohl stofflich als auch
energetisch genutzt wird.
Der Cluster „Forst und Holz“ erwirtschaftet mit
1,2 Millionen Beschäftigten immerhin einen Umsatz von
rund 170 Milliarden Euro pro Jahr. Zu den Zielen der
Waldstrategie gehört deshalb zu Recht, diesen besonders
für den ländlichen Raum so wichtigen Wirtschaftszweig
zu sichern, indem möglichst viel Holz aus heimischen
Wäldern bezogen wird.
Ich halte nichts davon, die forstwirtschaftliche Nutzung gegen den Naturschutz auszuspielen.
({4})
Bemerkenswert ist nämlich, dass eine nachhaltige Waldnutzung auch zum Klimaschutz beiträgt.
({5})
Es ist erwiesen: Indem wir unseren Wäldern Holz entnehmen und einer stofflichen und/oder energetischen Verwendung zuführen, wird jährlich die Freisetzung - man
beachte! - von rund 80 Millionen Tonnen CO2 aus fossilen Brennstoffen vermieden.
Um die Stabilität unserer Wälder zu verbessern, sieht
die Waldstrategie unter anderem den Anbau von standortgerechten und vorwiegend heimischen Baumarten mit
hoher Widerstandsfähigkeit vor. Das heißt aber auch,
dass es erlaubt sein muss, dass an manchen Standorten
anstelle der Fichte, die zum Beispiel wegen des Klimawandels nicht mehr so gut geht, auch einmal eine Douglasie gepflanzt wird.
({6})
Mit dem Waldklimafonds wird die Koalition ein geeignetes Instrument schaffen, um die Anpassung unserer
Wälder an Klimaveränderungen finanziell zu fördern.
({7})
Dabei ist mir wichtig, dass das Geld auch dort ankommt,
wofür es vorgesehen ist, nämlich beim deutschen Wald.
({8})
Eine nachhaltige und naturnahe Waldbewirtschaftung
sowie die Vorbereitung unserer Wälder auf den Klimawandel ist nur dann gewährleistet - das hat Herr Josef
Göppel ausgeführt -, wenn genügend Fachpersonal zur
Verfügung steht. Ebenfalls muss es darum gehen - auch
das hat Herr Kollege Göppel ausgeführt -, Waldbesitzer
mit nur kleinen Beständen zu unterstützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Waldstrategie mit ihren vielen zukunftsweisenden Lösungsansätzen zeigt, dass die Bundesregierung ihre Verantwortung für den deutschen Wald sehr ernst nimmt. Die
Strategie ist darauf ausgerichtet, Bewährtes zu erhalten:
Der deutsche Wald soll auch künftigen Generationen als
Natur-, Wirtschafts- und Erholungsraum dienen. Ich
bitte Sie alle: Lassen Sie uns dieses Ziel weiterhin gemeinsam verfolgen.
Vielen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7292 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs-
antrag auf Drucksache 17/7667 soll an dieselben
Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einver-
standen? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 a und b sowie den
Zusatzpunkt 11 auf:
31 a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ulrich Kelber, Dirk Becker, Gerd Bollmann, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Klimadiplomatie der Bundesrepublik Deutsch-
land
- Drucksachen 17/4705, 17/6861 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann E. Ott, Kerstin Müller ({0}),
Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neue Initiative für transatlantische Kooperation in der Klima- und Energiepolitik
- Drucksache 17/7356 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann E. Ott, Viola von Cramon-Taubadel,
Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
China als wichtiger Partner im Klimaschutz
- Drucksache 17/7481 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Frank Schwabe von der SPD-Fraktion
das Wort.
({3})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Die Welt ist schon komisch. Wenn es eine Krise gibt, hat man diese irgendwann kommen sehen, aber nichts dagegen unternommen. Manchmal ist die Situation gar nicht so schlimm,
und trotzdem steht viel in den Zeitungen; manchmal ist
es viel schlimmer, aber es steht wenig in den Zeitungen.
Auch die Finanzkrise haben alle kommen sehen, aber
man hat nicht rechtzeitig etwas dagegen unternommen.
Ebenso sehen alle die Klimakrise kommen, aber man
macht relativ wenig dagegen. Irgendwann sieht man
dann die dramatischen Auswirkungen und fragt sich,
warum man nichts getan hat, als man etwas hätte tun
können - nämlich heute.
Das Jahr 2010 war das Jahr, in dem der Treibhausgasanstieg weltweit am stärksten war. Das Jahr 2010 war
das wärmste Jahr seit der Messung der Temperaturen.
Das heißt, alle Szenarien, die im Rahmen des Weltklimarats angedacht und die natürlich auch umstritten waren,
sind mittlerweile von der Realität überholt worden. Im
Umweltausschuss in dieser Woche haben uns Klimazeuginnen aus drei Ländern der Erde sehr eindrucksvoll geschildert, wie sich der Klimawandel bei ihnen auswirkt.
Gleichzeitig gibt es in manchen Ländern merkwürdigerweise noch Debatten über die Frage, ob der Klimawandel Realität ist und ob der Mensch dafür verantwortlich
ist.
Seit sechs Jahren fahre ich zu Klimakonferenzen. Was
ich - und vermutlich die ganze Welt - dabei gelernt
habe, ist, dass Klimakonferenzen weit mehr sind als Umweltkonferenzen. Es geht darum, wie die Welt sich neu
positioniert - in wirtschaftlichen Fragen und in entwicklungspolitischen Fragen. Kurz: Es ist ein umfassendes
Thema, vor allen Dingen für die Außen- und Entwicklungspolitik.
Ich begrüße ausdrücklich, dass es auch unter dieser
Bundesregierung den einen oder anderen Fortschritt gibt
und dass das Thema mittlerweile sogar im UN-Sicherheitsrat auf der Tagesordnung war, wenn auch mit einer
sehr schwachen Beschlusslage. Ebenso finde ich es gut,
dass das Außenministerium die Konferenz in Durban
durch eine Veranstaltung vorbereitet. Aber das alles ist
bei weitem nicht ausreichend.
({0})
Wir befinden uns in einer wirklich absurden Situation. Wenn man in der Welt herumkommt, dann trifft
man in den deutschen Botschaften auf Botschafter, die
- und das ist nicht persönlich gemeint - nicht so genau
wissen, was Deutschland in dem Bereich eigentlich
macht. Sie haben Mühe, einen Überblick über alle Programme zu bekommen. Außerdem mangelt es an Expertise. Da können wir von den Briten lernen, die mittlerweile einen großen Teil ihres Außenministeriums auf
Fragen der internationalen Klimapolitik spezialisiert haben. An den britischen Botschaften findet man Experten,
an der Britischen Botschaft in Deutschland gleich mehrere. Das brauchen wir auch an den deutschen Botschaften.
Es gab Klimainitiativen des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier in den USA. Wir haben in
diesem Zusammenhang eine Große Anfrage gestellt. In
der Antwort darauf fehlte die Antwort auf unsere Frage
zu einer Initiative Deutschlands in den Bundesstaaten
der USA, was den Emissionshandel betrifft. Diese Initiative scheint es nicht mehr zu geben. Das heißt, im Bereich der Außenpolitik ist viel zu tun.
Aber das reicht nicht. Wir brauchen eine institutionelle und personelle Verankerung in der Außenpolitik.
Ebenso wichtig ist, dass die Bundesrepublik Deutschland in dem Bereich eine Führungsrolle übernimmt.
({1})
Es tut mir leid: Dort versagen Sie auf ganzer Ebene. Wir
haben schon mehrfach miteinander darüber diskutiert,
was international notwendig ist. Führung, Leadership,
wäre notwendig. Vertrauen - das, was international als
„Trust“ bezeichnet wird - wäre notwendig. Das leisten
Sie nicht. Im Bereich der Klimafinanzierung ist es weiterhin so, dass 88 Prozent der Gelder, die im Rahmen der
Fast-Start-Finanzierung zugesagt wurden, von Ihnen
nicht bereitgestellt werden. Es sind also gerade einmal
12 Prozent der Gelder geflossen. Diese Quote ist im Bereich der internationalen Klimapolitik definitiv nicht
ausreichend, um für Deutschland eine Vorreiterrolle reklamieren zu können.
({2})
Was die Reduktion der Emissionen angeht, ist die Europäische Union nicht ambitioniert genug. Ich habe
heute in der Süddeutschen Zeitung von Herrn Außenminister Westerwelle den Satz gelesen:
Wir haben eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz.
Man hat ihm da einen richtigen Satz aufgeschrieben. Er
ist bloß nicht unterlegt.
Herr Röttgen ist mittlerweile eine traurige Gestalt geworden. Er predigt seit über einem Jahr das 30-ProzentZiel. Er wird aber von der Koalition, der Bundesregierung und auch von der Bundeskanzlerin sträflich allein
gelassen. Herr Kauch, Sie werden gleich noch reden.
Vielleicht können Sie dann einmal die Frage beantworten, wie Herr Westerwelle zu dem 30-Prozent-Ziel steht,
da er doch an dieser Stelle für Deutschland eine Führungsrolle reklamiert.
Sie von der Koalition wissen ganz genau, dass auch
das deutsche 40-Prozent-Ziel nicht einzuhalten ist. Deswegen wollen Sie wahrscheinlich auch kein Klimaschutzgesetz; denn damit würde dieses Ziel rechtlich
fixiert werden. Sie wissen genau, dass diese Zahl das Papier nicht wert ist, auf dem sie steht. Es gibt andere Länder in der Europäischen Union - ich nenne Großbritannien, zum Teil Frankreich, aber auch skandinavische
Länder -, die beim 30-Prozent-Ziel innerhalb der Europäischen Union voranschreiten wollen. Sie sind aber
nicht dabei. Sie werden nachher wieder darauf verweisen, dass es bei uns Bewegung in dieser Frage gibt. Aber
das Fenster für das Einnehmen einer Vorreiterrolle in der
Europäischen Union schließt sich. Ich bin mir sicher,
dass dies im ersten Halbjahr des nächsten Jahres der Fall
sein wird. Daher sollten Sie an dieser Stelle Ihre Hausaufgaben machen.
Hinsichtlich des internationalen Klimaschutzes ist ein
integrierter Ansatz im Rahmen der Außenpolitik notwendig. Ich sehe zwar gewisse Fortschritte. Aber was
die deutsche Führungsrolle angeht, da versagen Sie kläglich. Solange Sie nicht in der Lage sind, eine andere
Rolle einzunehmen, sollten Sie den Begriff von der Vorreiterrolle nicht mehr in den Mund nehmen.
({3})
Das Wort hat der Kollege Andreas Jung für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Anschluss an die Rede von Frank Schwabe will ich
zunächst einmal feststellen: Es ist wahr, dass die öffentliche Debatte derzeit von der Euro-Krise und der Finanzkrise in Europa geprägt wird. Wahr ist aber auch: Die
Herausforderungen des Klimaschutzes sind nicht weniger wichtig geworden. Wir konnten erst dieser Tage wieder lesen, dass der weltweite Ausstoß an Treibhausgasen
weiter steigt. Deshalb ist energisches und auch schnelles
Handeln dringend geboten. Es wäre nichts gewonnen,
wenn wir am Ende zwar die Euro-Krise und die Finanzkrise bewältigen würden, aber das Klima uns sozusagen
um die Ohren fliegt.
Es ist richtig, wenn in der Großen Anfrage der SPD
und auch in den vorliegenden Anträgen davon gesprochen wird, dass Klimaschutz ein wichtiges Thema für
die diplomatischen Bemühungen der Bundesrepublik
Deutschland bleibt. Wir wissen, dass wir das globale
Problem des Klimawandels nur mit unseren Partnern lösen können. Diese Partner sind souveräne Staaten, die
wir zu nichts zwingen können und die für einen engagierten und ambitionierten Klimaschutz nur auf dem
Verhandlungswege gewonnen werden können.
({0})
Andreas Jung ({1})
Es ist übrigens bemerkenswert - so ist es in der Antwort auf die Große Anfrage zu lesen -, was an Aktivitäten auf allen Ebenen schon erfolgt ist. Aufgrund der Erkenntnis, dass der Klimawandel eines der ganz zentralen
Themen ist, wissen wir, dass diese Aktivitäten noch verstärkt werden müssen. Deshalb finde ich es richtig, dass
der Bundestag dieses Anliegen unterstützt. Ich halte es
ebenfalls für richtig, dass wir dies gerade im Vorfeld der
Konferenz von Durban tun.
Wir wissen, dass kritisch auf diese Konferenz geschaut wird. Es wird die Frage gestellt, ob solche Konferenzen Sinn machen und ob es nicht viel zu langsam vorangeht. Es ist wahr: Auf all diesen Konferenzen haben
wir noch nicht das erreicht, was wir erreichen wollten
und was wir am Ende erreichen müssen. Wir alle sind
vor zwei Jahren von der Konferenz in Kopenhagen resigniert und frustriert nach Hause gefahren, weil dort in
der Tat viel Porzellan zerschlagen wurde.
Ein Teil dieses Porzellans wurde in Cancún zusammengeflickt. Immerhin ist der Schritt dahin gelungen,
dass erstmals das 2-Grad-Celsius-Ziel, das die Forscher
bei der Bekämpfung des Klimawandels für wesentlich
erachten, anerkannt wurde.
Wahr ist auch, dass das nur ein erster Schritt war. Als
zweiter Schritt fehlt noch die Folgerung daraus, nämlich
die Verpflichtung von Industriestaaten, die Beteiligung
von Schwellen- und Entwicklungsländern mitzutragen,
und zwar in Form eines völkerrechtlich verbindlichen
Abkommens.
Das bleibt unser Ziel, auch in Durban. Wir wissen
aber, dass es schwierig bis ausgeschlossen sein wird,
schon dort einen Durchbruch zu erreichen. Deshalb ist es
richtig, zu sagen - wie auch beantragt wird -, dass wir
einerseits dieses Ziel in Durban verfolgen werden, wir
andererseits unterhalb dieser Ebene prüfen müssen, wie
wir das Ganze voranbringen. Das kann zum einen dadurch geschehen, dass wir unsere Bereitschaft ankündigen, eine zweite Kioto-Verpflichtungsperiode einzugehen, um so unsere Ziele erreichen zu können. Zum
anderen können wir auf diplomatischem, auf politischem
Weg Kooperationen mit Partnern überall auf der Welt
eingehen. Dabei dürfen wir insbesondere die USA und
China als die beiden Hauptemittenten von CO2 nicht aus
der Verantwortung lassen. Ich bin davon überzeugt, dass
das eine Botschaft der deutschen Außenpolitik sein
muss. Kein Staat kann eine Führungsrolle beanspruchen,
der bei dem entscheidenden Thema Klimaschutz nur am
Rande steht.
({2})
Ich komme auf das zu sprechen, was wir in Deutschland tun. Deutschland muss seine Führungsrolle weiterhin kraftvoll wahrnehmen. Das hat mit unserem praktischen Handeln zu tun. Ich nenne als Beispiel die
Energiewende. In diesem Jahr haben wir im Konsens
den vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Dabei gab es von vornherein immer eine Voraussetzung, nämlich dass wir unsere Klimaziele dadurch nicht
infrage stellen. Das unbedingte Ziel lautet, bis 2020
40 Prozent an Emissionen gegenüber 1990 einzusparen.
Das steht nicht zur Disposition. Dazu bekennen wir uns.
Alleine die Tatsache, dass wir uns in Deutschland auf
den Weg machen, mit neuen Technologien und erneuerbaren Energien dieses Ziel zu erreichen und darin auch
eine wirtschaftliche Chance sehen, löst Diskussionen
und ein Umdenken bei Staaten auf der ganzen Welt aus.
Das ist ein erster wichtiger Punkt.
({3})
Der zweite wichtige Punkt - auch das wurde bereits
angesprochen - ist, wie wir bei den internationalen Verhandlungen auftreten. Die Bundeskanzlerin hat klare Zusagen gemacht, was die Finanzierung und die Partnerschaften mit den Entwicklungsländern anbelangt. Diese
Botschaft will ich ganz deutlich unterstreichen. Diese
Zusagen müssen eingehalten werden. Das ist auch eine
Forderung der Unionsfraktion. Hierzu brauchen wir
Transparenz und Klarheit in Deutschland und darüber
hinaus eine Vergleichbarkeit mit unseren Partnern in den
anderen Industriestaaten. Daran misst sich unsere Glaubwürdigkeit in der Klimapolitik. Das steht völlig außer
Frage.
({4})
Ich komme zum letzten Punkt. Herr Kollege Schwabe
hat die Frage angesprochen, wie es in den anderen europäischen Staaten aussieht. Machen die dasselbe wie wir?
Folgen diese Staaten den Vorgaben, die wir in Deutschland mit unserem unbedingten 40-Prozent-Ziel eingeschlagen haben?
Hierüber gibt es nach wie vor eine Diskussion innerhalb der Bundesregierung, aber auch unter den Koalitionsfraktionen. Ich persönlich hielte es für richtig
- diese Meinung wird geteilt von den Kolleginnen und
Kollegen im Umweltausschuss -, wenn die Europäische
Union unseren Weg nachvollzieht, sich zu einem unbedingten Klimaziel bekennt und die einzelnen Staaten
ihre Vorgaben entsprechend aufstocken.
({5})
Dafür werde ich in den nächsten Tagen und Wochen
weiter werben.
({6})
Sie wissen: Viele Diskussionen sind noch zu führen.
Es gibt dabei viel Überzeugungsarbeit zu leisten, die wir
gerne übernehmen wollen. Die deutsche Vorreiterrolle
im Klimaschutz bleibt. Wir arbeiten dafür, dass in Durban weitere wesentliche Schritte auf dem Weg zu einem
Klimaabkommen unternommen werden können.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Antwort auf die Große Anfrage der SPD
zur Klimadiplomatie der Bundesrepublik Deutschland
hat 34 Seiten. Bei allem Respekt vor der Arbeit der Beteiligten: Was machen wir jetzt damit? Wenn wir ehrlich
sind, müssen wir sagen: Es ist bereits jetzt klar, dass die
UN-Klimakonferenz auch dieses Jahr wie das Hornberger Schießen ausgehen wird. Am Mittwoch bemerkte
eine Klimazeugin aus Papua-Neuguinea im Umweltausschuss, dass wir uns auf COP 17 in Durban über das
Scheitern von COP 16 in Cancún unterhalten. Da hatten
wir uns über die Katastrophe der COP 15 in Kopenhagen
verständigt. Kein Wunder, dass uns immer mehr Menschen aus Umweltbewegungen die Frage stellen, was die
jährlichen Treffen der Klimadiplomaten und Lobbyisten
überhaupt bringen.
Um eines klarzustellen: Ich bin nicht der Meinung,
dass die Klimaverhandlungen überflüssig sind. Globale
Probleme müssen auch global geklärt werden.
({0})
Doch ich frage mich dann schon, ob die debattierte Minimallösung - etwa ein bis 2017 verlängertes Kioto-Protokoll mit unveränderten Minderungszielen - tatsächlich
Sinn macht. Schließlich übernehmen wir dann die gesamte heiße Luft aus den osteuropäischen Staaten, anstatt diese Emissionen mit einem neuen Abkommen zu
verhindern. Dann frage ich mich: Ist es vielleicht sogar
sinnvoller, ein paar Jahre, bis ein vernünftiges Abkommen geschlossen wird, mit nationalen Verpflichtungen
zu überbrücken, um in dieser Zeit die zugesagten, dringend notwendigen Fonds für Klimaschutz, Anpassung
und Waldschutz mit Geld und tatsächlich mit Leben zu
füllen?
({1})
Diese Frage stelle ich jetzt einmal in den Raum.
Wie dem auch sei, für mich wird jedenfalls immer
klarer, welche Rolle unsere Klimapolitik hier in
Deutschland im internationalen Kontext einnimmt bzw.
einnehmen muss. Ich bin der Überzeugung: Die Bundesrepublik kann bei der globalen Energiewende eine
Schlüsselrolle spielen, und zwar als praktisches Beispiel
dafür, dass ein industrialisierter Staat seine Energieversorgung tatsächlich vollständig auf eine regenerative
Versorgung umstellen kann,
({2})
und zwar ohne Problemverlagerung ins Ausland, siehe
Agrosprit, oder auf Kosten der sozial Schwachen, Stichwort „Energiearmut“. Die Bundesrepublik hat mit der
erkämpften Energiewende, so mangelhaft sie im Detail
auch ist, den Weg für eine solche Rolle freigemacht.
({3})
Sie wissen es selbst: Vertreter aus China und anderen
Staaten haben mehrmals erklärt, dass sie die Entwicklung hier genau verfolgen; denn mit unserem Fördersystem für die erneuerbaren Energien und dem Atomausstieg könnten wir das solare Zeitalter in absehbarer Zeit
erreichen. Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen
wir das absolut nicht vergeigen; aber wir sind genau auf
dem Weg dahin.
Im letzten Jahr stiegen die CO2-Emissionen in
Deutschland um 3,7 Prozent, übrigens bei einem Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent. Das sage ich an die
Adresse derjenigen, die meinen, das Wirtschaftswachstum hätte sich inzwischen vom Umweltverbrauch abgekoppelt, etwa weil wir jetzt eine Dienstleistungsgesellschaft wären. Offensichtlich sind wichtige Weichen für
die Zukunft schlicht falsch gestellt.
In den letzten Tagen wurde allerorts heftig über etwas
diskutiert, worauf die Linke seit Monaten unablässig
aufmerksam macht - die „unabhängigen“ Medien haben
das völlig ignoriert, weil es eben nicht von der SPD oder
den Grünen kam -: Zum einen werden über sogenannte
internationale Klimaschutzprojekte nun sogar Kohlekraftwerke in China und Indien gefördert. Das halte ich
für pervers; es durchlöchert auch unser Emissionshandelssystem.
({4})
Zum anderen sind die Anreize für die Industrie, hierzulande in Energiespartechnologien einzusteigen, fast null.
Die Industrie hat zu viele Emissionsrechte erhalten, und
das auch noch umsonst. Ja, sie verdient sogar mit dem
Berg von Zertifikaten, die sie natürlich verkaufen kann.
Die Sandbag-Studie, die in dieser Woche vorgestellt
wurde, hat das nachgewiesen. Auch mit EEG-Umlage,
Ökosteuer und Stromkostenkompensation verdienen die
energieintensiven Unternehmen mehr, als sie zahlen,
wenn sie überhaupt zahlen. Die Bundesregierung betreibt hier das Geschäft der Konzerne zulasten kleiner
und mittlerer Unternehmen sowie der einfachen Leute.
Diese müssen nämlich für das alles allein blechen, genauso wie die Menschen in Afrika, Asien oder den Pazifikstaaten. Das wurde in mehreren Anhörungen, die
letzte erst am Mittwoch, klar.
Darum: Werden wir endlich glaubwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deutschland muss sich für eine
Reform des Emissionshandels genauso einsetzen wie für
ein bedingungsloses 30-Prozent-Minderungsziel der Europäischen Union.
({5})
Nur durch glaubwürdige Entscheidungen wird die
Konferenz ein Erfolg. Das ist ganz wichtig und dringend
notwendig.
({6})
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Deutschland hat im Sommer den Vorsitz im Weltsicherheitsrat gehabt. Eine der wesentlichen Initiativen von
Guido Westerwelle war, dass im Weltsicherheitsrat zum
ersten Mal über den Klimawandel diskutiert und ein Beschluss gefasst worden ist. Das ist für den Sicherheitsrat
- Stichwort: sicherheitspolitische Dimension den Klimapolitik - ein wichtiger Auftakt gewesen. Darauf können
wir aufbauen. Dafür danke ich dem Auswärtigen Amt
ausdrücklich.
Wir werden in der Außenpolitik ein Bündel von Interessen bilden müssen. Wir kommen in den Klimaverhandlungen an Grenzen dessen, was Umweltminister als
Interessenausgleich verhandeln können. Wir werden neben den Umweltinteressen auch Handels-, Sicherheitsund machtpolitische Interessen der Staaten zu Bündeln
zusammenfassen müssen, wenn wir mit Staaten wie
China oder den Vereinigten Staaten vorankommen wollen.
Das ist die Erkenntnis, die wir seit der gescheiterten
Konferenz von Kopenhagen im Jahr 2009 auch im Deutschen Bundestag gezogen haben. Der Deutsche Bundestag hat im letzten Jahr erstmals sehr deutlich die außenpolitische Dimension der Klimapolitik hervorgehoben.
Auf diesem Weg müssen wir vorangehen, wenn wir
ernsthaft zu Ergebnissen kommen wollen.
({0})
Schauen wir uns die Machtinteressen eines Staates wie
China an. China ist inzwischen der größte Emittent von
Treibhausgasen. Gleichzeitig ist Chinas Volkswirtschaft
von Unterschieden geprägt, von Städten, die wie die in Industriestaaten aussehen, und von einer ländlichen Region, wo man erkennt, dass es noch ein Entwicklungsland
ist. China ist also ein klassisches Schwellenland, in dem
natürlich Armutsbekämpfung im Vordergrund steht. Auf
der anderen Seite kommt es in die Weltmärkte hinein und
will noch weiter hineinkommen. Es hat auch Interessen
mit Blick auf die Welthandelsorganisation. Natürlich will
es insgesamt eine wichtige Rolle in der Weltarchitektur
spielen. Darauf müssen wir als Europäer eine Antwort geben.
Deshalb ist es aus meiner Sicht richtig, dass wir den
Dialog insbesondere mit China forcieren. Das können
auch die Parlamente tun. Beispielsweise gibt es von der
Abgeordnetenorganisation Globe einen EU-China-Dialog, mit dem wir zwischen den nationalen Parlamenten
in der Europäischen Union, mit dem Europäischen Parlament und dem Nationalen Volkskongress in China die
Verständigung voranbringen wollen, um den Boden für
Vereinbarungen zwischen den Regierungen zu bereiten.
China hat Interessen, aber auch Verantwortung. Diese
Verantwortung ist different zu unserer Verantwortung.
Es hat nicht so viel historische Verantwortung wie wir,
aber es hat Verantwortung für die Zukunft. Denn der Klimawandel von heute liegt noch nicht in der Verantwortung der Chinesen. Aber der Klimawandel von morgen
liegt in der Verantwortung der Volksrepublik China.
({1})
Wir brauchen von China Transparenz hinsichtlich der
zugesagten Maßnahmen. Wir können es akzeptieren,
dass sie Zusagen machen, die nicht mit unseren Verpflichtungen übereinstimmen, aber wir können schon erwarten, dass die Zusagen, die die Volksrepublik China
macht, entsprechend nachgewiesen werden, und zwar
durch international hergestellte Transparenz. Das ist der
Anspruch, den wir haben müssen, wenn wir solche Kooperationen mit Steuergeldern finanzieren. Wenn wir
Steuergelder geben, muss für unsere Steuerzahler klar
sein, dass dabei am Ende etwas für das Klima herauskommt.
({2})
Die Grünen haben einen Antrag zum Thema Kooperation mit China gestellt. Darin stehen viele kluge Dinge,
die wir teilen. Aber an einer Stelle wird wieder deutlich,
dass es ihnen eben nicht um einen Dialog auf Augenhöhe geht; denn Sie wollen den Chinesen vorschreiben,
welchen nationalen Entwicklungsweg sie gehen sollen.
Sie sagen beispielsweise in Bezug auf CCS, dass Kohleverstromung mit CO2-Abscheidung ausgeschlossen werden muss. Ich sage Ihnen deutlich: Diese Entscheidung
muss die Volksrepublik China treffen und nicht der
Deutsche Bundestag. Wir müssen von den Chinesen die
Erbringung von Beiträgen erwarten, aber sie müssen ihren nationalen Weg finden, so wie wir den Anspruch haben, unseren nationalen Weg im Bereich Energiemix zu
beschreiten.
({3})
Wenn wir uns andere Schwellenländer anschauen,
dann stellen wir fest, dass es gute Beispiele gibt, etwa
Brasilien. Unter den Schwellenländern ist Brasilien ein
Land, das bei klimapolitischen Fragen vorne dabei ist.
Natürlich hat auch Brasilien Interessen, beispielsweise
die Öffnung der Märkte für Agrarrohstoffe. Ich glaube
auch: Wenn Brasilien mit uns kooperiert, dann hat es
auch einen Anspruch darauf, dass beispielsweise Handelserleichterungen zugesagt werden. Ich würde es deshalb begrüßen, wenn die Europäische Union endlich ihre
Märkte für Agrarrohstoffe aus Brasilien und anderen
Schwellenländern öffnen würde. Das wäre ein Beitrag
zur Vertrauensbildung und zum Interessenausgleich mit
den Schwellenländern.
({4})
Ich begrüße es, dass Bundesentwicklungsminister
Dirk Niebel gerade im Bereich Waldschutz ausdrücklich
einen Schwerpunkt auf die Kooperation mit Brasilien
legt.
({5})
Der Amazonien-Fonds, der jetzt neu aufgelegt ist und in
den Deutschland einzahlen wird, ist ein herausragendes
Beispiel für diese Kooperation. Das liegt auch im InteMichael Kauch
resse unserer deutschen Wirtschaft; denn mit nichts kann
man so viel Treibhausgas für vergleichsweise wenig
Geld einsparen wie durch Waldschutz. Das liegt in unserem Interesse. Das ist keine Charity-Veranstaltung, sondern Kooperation im besten Sinne. Wir bekommen etwas dafür, wenn wir die Wälder in Amazonien, aber
auch im Kongobecken schützen.
({6})
Es gab eine Diskussion über den Erhalt des YasuníNationalparks in Ecuador. Die Koalition wird hier ein
Angebot formulieren. Wir werden ein Angebot für den
Erhalt des Yasuní-Nationalparks unterbreiten, allerdings
deutlich nach den Regeln, die die Vereinten Nationen im
Klimaprozess vorgesehen haben.
({7})
REDD ist aus unserer Sicht der beste Mechanismus, um
Treibhausgasemissionen nachzuweisen.
Zusammenfassend möchte ich darauf hinweisen, dass
wir als Europäische Union die Kooperation mit den
Schwellen- und Entwicklungsländern voranbringen
müssen. Wir müssen deutlich machen, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer oft mehr gemeinsame Interessen mit der Europäischen Union haben als beispielsweise mit China innerhalb der G 77. Wir müssen in den
diplomatischen Beziehungen zu den Schwellen- und
Entwicklungsländern das Vertrauen in Deutschland und
in die Europäische Union stärken, um den Prozess eines
fairen Interessenausgleichs zugunsten einer nachhaltigen
Entwicklung in diesen Ländern voranzubringen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Ott für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
den Kolleginnen und Kollegen von der SPD sehr dankbar für ihre Große Anfrage, die uns jetzt Gelegenheit
gibt, einmal abseits der üblichen vorkonferenziellen Debatten etwas grundsätzlicher über Klimadiplomatie und
Klimapolitik nachzudenken. Soweit ich das weiß, war
der ursprüngliche Plan, dass die Außenpolitiker an dieser Stelle debattieren sollten. Das ist, glaube ich, bei allen Fraktionen nicht so richtig gelungen. Ich rege an
- meine Kollegin Viola von Cramon-Taubadel, unsere
Expertin für die Bereiche Auswärtiges und China, sitzt
im Saal -, dass wir die nächste Debatte tatsächlich mit
unseren Expertinnen und Experten für den Bereich Auswärtiges bestreiten.
Die Große Anfrage enthält einige gute und interessante Fragen, und die Antwort der Bundesregierung enthält ein paar interessante Antworten, zum Beispiel, was
die Position der unterschiedlichen Schwellenländer in
Bezug auf ein zu verhandelndes neues Abkommen betrifft. Die Antwort enthält tatsächlich etwas Neues. Eine
Reihe von Initiativen der Bundesregierung sowie bilaterale und multilaterale Kooperationen werden dargestellt.
Das ist alles sehr wichtig. Deswegen haben wir einen
Antrag zu einer transatlantischen Kooperation, einer
transatlantischen Partnerschaft mit den USA, und einen
Antrag zu einer Partnerschaft mit China in Bezug auf
den Klimaschutz in diese Debatte eingebracht.
China - der Kollege Kauch hat das gerade berichtet hat die USA überholt: China ist jetzt der größte Emittent.
China nimmt seine Rolle als Schwergewicht in der internationalen Politik mittlerweile nicht nur in den Verhandlungen über internationale Rettungspakete finanzieller
Art wahr, sondern tatsächlich auch in der Klimadebatte.
China ist also ein Schwergewicht, an dem man überhaupt nicht vorbeikommt. Kollege Kauch, Sie haben gesagt, wir mischen uns da in innere Angelegenheiten ein
und bevormunden die Chinesen, indem wir bestimmte
Maßnahmen bevorzugen oder eben nicht. Zuvor haben
Sie selbst gesagt: Wenn wir Geld geben, dann wollen wir
auch wissen, was damit gemacht wird. Ich meine: Abgesehen davon ist es auch in ethischer Hinsicht wichtig,
dass wir sagen, welche Klimapolitik wir für richtig halten, wie wir uns auch in Fragen der Menschenrechte
nicht irgendwelchen Vorstellungen anderer anschließen,
sondern unsere eigenen Vorstellungen darüber, was richtig ist, auch gegenüber China zum Ausdruck bringen. So
sollte des zumindest sein. Manchmal lässt das Verhalten
der Bundesregierung da etwas vermissen.
({0})
Was die Kooperation mit den USA betrifft: Das ist
bzw. war seit langem der Stolperstein in den internationalen Beziehungen. Deshalb ist es wichtig - das ist Teil
unseres Antrags -, dass wir mit den Regionen, die fortschrittlich sind, die eine vernünftige Klimapolitik machen wollen, vorzugehen. Das sind Staaten oder auch
Städte und Gemeinden. Ein Beispiel ist Northern Virginia. Es gibt eine Reihe von Kooperationen zwischen
Northern Virginia und Städten und Gemeinden in
Deutschland. Das hat zu einer erheblichen Umgestaltung
der Umwelt- und Energieplanung in Northern Virginia
geführt. Das hat dazu geführt, dass diese Region als Modell gilt, auch in anderen Teilen der Vereinigten Staaten.
Deutschland sollte zum Beispiel für die „Transatlantische Klimabrücke“ sehr viel mehr Mittel zur Verfügung
stellen, um diese Initiativen von unten zu stärken.
({1})
Trotz der Wortgewalt in den Antworten auf die mehr
als 100 Fragen wird deutlich, dass bei der Koalition und
bei der Bundesregierung eine dröhnende Ratlosigkeit
herrscht; denn wir finden auf den mehr als 30 Seiten keine
Antwort auf die Frage, was nach dem Scheitern der Verhandlungen in Kopenhagen geschehen soll. Wir erfahren
nicht, wie die Analyse aussieht. Herr Kauch hat gestern
bzw. vorgestern bei einem Treffen mit Vertretern von
Umweltverbänden gesagt: Die USA werden in den nächsten 10 bis 15 Jahren keinem rechtlich verbindlichen
Klimaschutzvertrag beitreten. Damit müssen wir doch
umgehen. Dazu findet sich aber nichts in diesem Wortge16734
klingel der Antwort der Bundesregierung auf die Große
Anfrage. Wir müssen uns aber klar darüber werden, wie
wir notfalls auch ohne die USA den Klimaschutz voranbringen können - nur das kann uns weiterhelfen -: mit
Allianzen innerhalb, aber auch mit Allianzen außerhalb
der Klimarahmenkonvention. Falls Durban nicht das
bringt, was wir erwarten, dann müssen wir uns ernsthaft
darüber Gedanken machen, ob nicht Deutschland, ob
nicht Europa eine Initiative starten sollte, die parallel zum
Prozess der Vereinten Nationen den Klimaschutz international voranbringt.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat nun die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Klimawandel betrifft sehr viele Politikfelder. Er ist
eine globale entwicklungspolitische, umweltpolitische,
außen- und sicherheitspolitische Herausforderung. Herr
Kollege, Sie haben gerade anerkennend gesagt, dass Sie
in der Antwort der Bundesregierung sehr viele Aktivitäten gefunden haben. Gleichzeitig sagten Sie, da stehe
nichts drin. Ich finde, das schließt sich aus. Man kann
nicht erwarten, dass mit einer Konferenz der Gordische
Knoten durchschlagen wird und dass die Probleme danach gelöst sind. Wer so denkt, hat, glaube ich, nicht verstanden, dass wir bei der Diplomatie, auf den Wegen, die
wir gehen - dies ist manchmal mühsam -, nur Schritt für
Schritt zu einem Erfolg kommen.
Deutschland engagiert sich intensiv in den internationalen Klimaschutzverhandlungen; das haben alle anderen Vorredner zustimmend erwähnt.
({0})
Es ist gut, dass in dieser Frage im Deutschen Bundestag
große Einigkeit besteht, dass wir uns vor jeder Konferenz mit gemeinsamen Anträgen positionieren. Das ist
ein starkes Signal an die internationale Gemeinschaft
und stärkt den Verhandelnden den Rücken. Wir engagieren uns in bilateralen und in multinationalen Partnerschaften, weil wir glauben, dass wir so ein ausreichendes
politisches Momentum für eine globale Lösung aufrechterhalten und verbessern.
Unser Ziel bleibt - das möchte ich betonen - der Abschluss eines globalen, ausgewogenen, umfassenden und
rechtsverbindlichen Klimaschutzabkommens mit bindenden Minderungszielen. Hierfür nutzen wir alle Instrumente der Außen-, Umwelt-, Wirtschafts-, Forschungsund Entwicklungspolitik. Wir stimmen uns mit unseren
europäischen Partnern, mit den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und mit weiteren Partnern eng ab. Die Initiative von Bundesaußenminister Westerwelle im UN-Sicherheitsrat ist bereits erwähnt worden.
Wir unterstützen seit Jahren - auch finanziell - besonders vom Klimawandel betroffene Staaten, zum einen im
Rahmen der deutschen Entwicklungshilfe, zum anderen
im Rahmen der sehr erfolgreichen BMU-eigenen Internationalen Klimaschutzinitiative. Ich erinnere auch daran, dass wir uns seit Kopenhagen verpflichtet haben, im
Rahmen der Fast-Start-Initiative neues Geld zur Verfügung zu stellen. Zwischen 2010 und 2012 stellen wir
freiwillig insgesamt 1,26 Milliarden Euro zusätzliche
Mittel für Klimaschutz und Maßnahmen zur Anpassung
an den Klimawandel zur Verfügung.
Wir haben im Juli dieses Jahres den zweiten Petersberger Klimadialog ausgerichtet. Zusammen mit Südafrika
haben wir im Vorfeld der Klimakonferenz ein Dialogforum geschaffen. Dies fand nicht ganz „off the record“
statt, aber ein bisschen schon. Solche Konferenzen dienen
der Vertrauensbildung. Ich habe gerade hier noch einmal
vernommen, wie wichtig es ist, in einem solchen mühsamen Prozess Vertrauen zu schaffen, Allianzen zu schmieden und Multiplikatoren zu gewinnen. Die teilnehmenden
Staaten waren sich einig, dass wir für die Weltklimakonferenz im südafrikanischen Durban Anfang Dezember
ein ausbalanciertes Paket von Entscheidungen anstreben,
das eine Übergangsphase in Richtung eines zukünftigen
Klimaschutzregimes schafft.
Die Herausforderung in Durban wird sein, sowohl
Entscheidungen zur Zukunft des Kioto-Protokolls zu
treffen als auch den Fahrplan für ein umfassendes, alle
Emittenten einschließendes Abkommen zu bestimmen.
Worum geht es im Detail? Zum Ersten geht es darum,
die Vereinbarung von Cancún auszugestalten und umzusetzen, insbesondere den neuen globalen Klimafonds,
die Institutionen zu Anpassung und Technologie sowie
die Vereinbarung von Regeln für mehr Transparenz von
Klimaschutzmaßnahmen und deren Finanzierung.
Zum Zweiten geht es um ein Arbeitsprogramm mit
dem Ziel, die Emissionsminderungsziele von Industrieländern zu verschärfen und mittelfristig Ziele für Schwellenländer zu setzen, wie Kollege Andreas Jung bereits
ausgeführt hat.
Es geht drittens um Entscheidungen, die den Übergang zu einem künftigen Rechtsrahmen ermöglichen.
Hierzu gehören Entscheidungen, die die Institutionen
und Instrumente des Kioto-Protokolls über die erste Verpflichtungsperiode hinaus beschreiben, Stichwort CDM.
Eine zweite Verpflichtungsperiode ist nur dann denkbar,
wenn wir gleichzeitig einen robusten Fahrplan mit einem
konkreten Zeitrahmen beschließen, und zwar mit verbindlichen Minderungspflichten für alle Staaten, das
heißt natürlich für alle großen Emittenten.
Klimaschutzdiplomatie bedeutet nichts anderes als
das Bohren dicker Bretter. Auch die Vor-Kioto-Periode
war ein Marathonlauf. Der Marathonlauf ist noch nicht
zu Ende. Wir brauchen einen langen Atem. Aber wir
können es schaffen. Die Zukunft unseres Planeten sollte
uns diese Anstrengung wert sein.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Staatssekretärin, Sie haben von Vertrauen und notwendiger Glaubwürdigkeit gesprochen. Sie sagten, die
Bundesrepublik Deutschland habe in den internationalen
Verhandlungen einen großen Beitrag zur Vertrauensbildung geleistet, auch durch die Fast-Start-Mittel. Ich kann
Ihnen nur sagen: Aus meiner Sicht verursacht die Nichteinhaltung von Zusagen den größten Vertrauensverlust,
den die Bundesrepublik Deutschland derzeit auf internationaler Ebene zu verkraften hat. Die Nichtregierungsorganisation Oxfam hat Sie darauf hingewiesen, dass Sie
12 Prozent Ihrer Zusagen gehalten haben. Das heißt, Sie
haben 12 Prozent Vertrauen. Aber 88 Prozent sind bislang auf der Strecke geblieben. Das behindert den Fortschritt auf internationalen Klimakonferenzen.
({0})
Das, was Sie, Herr Kauch, eben gesagt haben, hörte
sich gut an. Aber wenn es konkret wird und um Verbindlichkeit geht, sind wir fast keinen Schritt vorangekommen, weder bei den Fast-Start-Mitteln noch im Hinblick
auf konkrete Minderungsziele, beispielsweise das unkonditionierte 30-Prozent-Minderungsziel, dessen Bedeutung Andreas Jung lobenswerterweise betont hat.
Das ist in der schwarz-gelben Regierung nicht durchsetzbar. Deswegen fahren wir mit angezogener Handbremse nach Durban, und das ist ungesund.
({1})
Seit Monaten, wenn nicht seit Jahren, schlagen wir Ihnen vor, hier in Deutschland anzufangen, sich an konkreten, verbindlichen Zielen zu orientieren und das Handeln
danach auszurichten - bislang vergeblich. Wir haben Ihnen auch vorgeschlagen, ein nationales Klimaschutzgesetz zu verabschieden. Nichts ist passiert. Auch dies trägt
nicht zur Glaubwürdigkeit auf internationaler Ebene bei.
({2})
Fritz Vorholz hat in der Zeit von dieser Woche sehr
deprimiert geschrieben, das Problem der Klimapolitik
bestehe darin, dass der Meeresspiegel langsamer ansteige als der Zins für Staatsanleihen. Ich glaube, hinter
dieser Aussage steckt sehr viel. Denn eines ist klar:
Wenn wir es nicht schaffen, diese Menschheitsfrage international, aber auch national zu beantworten, dann
weisen wir den nachfolgenden Generationen den Weg in
den Ruin.
Wir haben kein Gegenüber, mit dem wir verhandeln
können, wenn es um natürliche Vorgänge und die natürlichen Lebensgrundlagen geht. Die Chance der Verhandlung, die wir beispielsweise in der Finanzkrise hatten,
haben wir in diesem Fall nicht. Deswegen glaube ich,
wir müssen begreifen - das ist die eigentliche Herausforderung, auch für dieses Haus -, dass wir nur noch wenig
Zeit haben, um den Umstieg hinzubekommen, und dass
sich dieses Parlament mit dieser Frage - für diesen Hinweis bin ich Hermann Ott dankbar - in der Tat interdisziplinär befassen muss. Dies ist nicht nur eine Frage der
Umweltpolitik, sondern auch eine Frage der Außenpolitik, der Wirtschaftspolitik, der Zusammenarbeit auf internationaler Ebene, aber auch der Sozialpolitik. Wir
müssen das Ressortdenken endlich überwinden.
({3})
Ich glaube, in diesem Zusammenhang können wir es
uns leisten, immer einen Schritt weiter als andere zu
sein. Denn was vergeben wir uns, wenn wir unsere Energieeinsparziele nach oben schrauben? Was vergeben wir
uns, wenn wir Effizienz ganz hoch ansiedeln, wenn es
um das Herstellen neuer Maschinen geht? Wir sorgen so
dafür, dass Maschinen produziert werden, die zukünftig
im Export gefragt sind. Wir werden die Wirtschaft damit
stärken und nicht nur die Umwelt schützen. Was vergeben wir uns, wenn wir als Politiker endlich erkennen
würden, welche Folgen es hätte, die von Sir Nicholas
Stern aufgezeigte Entwicklung zu verschlafen? Welche
dramatischen volkswirtschaftlichen Kosten kämen auf
die Menschheit zu, wenn wir es jetzt nicht schaffen würden, den notwendigen Umschwung zu erreichen? Durch
jede Milliarde, die wir jetzt einsetzen, wird das Zahlen
von sehr vielen Milliarden in der Zukunft verhindert.
Dieses Denken muss hier endlich Einzug halten.
({4})
Herr Kauch, wir müssen über neue Mechanismen
nachdenken, Stichwort „Yasuní“. Sie können hier nicht
mit dem normalen Mechanismus der Vereinten Nationen
operieren; denn hier geht es nicht nur um Waldschutz,
sondern auch um den Erhalt der Biodiversität. Wenn der
Wald geschützt werden soll, dann muss dem Land eine
Kompensation angeboten werden, die es lukrativ macht,
die Rohstoffe im Boden nicht zu fördern und die Biodiversität zu schützen. Einen solchen Mechanismus gibt es
bei den Vereinten Nationen bislang nicht. Ein solcher
Lösungsansatz verdient es, hier im Parlament sehr intensiv diskutiert und verabschiedet zu werden. Ich glaube,
hier besteht eine enorme Chance für die internationale
Staatengemeinschaft.
Vielen Dank.
({5})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Josef
Göppel das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der bisherige Verlauf der Debatte zeigt ganz deutlich,
dass von diesem Parlament jetzt das Signal ausgehen
muss, dass wir das Verschleppen und Verzögern eines internationalen Klimaschutzabkommens nicht hinnehmen.
Es war ja der Deutsche Bundestag, der vor zwei Jahren
das Minderungsziel von 40 Prozent ohne Bedingungen
beschlossen hat.
({0})
Es muss deutlich werden, dass diejenigen der Regierung,
die verhandeln, ein drängendes Parlament über alle
Fraktionsgrenzen hinweg im Rücken haben. Das möchte
ich hier deutlich machen.
({1})
Andreas Jung hat schon darauf hingewiesen, dass er das
30-Prozent-Ziel für richtig hält und weiterhin unterstützt. Das gilt ebenso für mich. Ich bin der Überzeugung, dass wir in Durban keine Fortschritte erzielen werden, wenn sich die Europäische Union nicht bewegt. Die
Europäische Union gehört im Moment aber leider nicht
zu den Zugpferden.
Der Prozess der Meinungsbildung in der Europäischen Union geht quälend langsam voran. Da das Abkommen von Kioto 2012 ausläuft und am Ende des Jahres 2011 nichts in Sicht ist, was an seine Stelle treten
kann, muss ich sagen: Alle, die ihren Amtseid ernst nehmen, können angesichts dessen nicht ruhig sitzen bleiben. Wir haben hier eine besondere Verantwortung.
Nun setzt Deutschland als hochindustrialisiertes Land
seit der Energiewende im Sommer 2011 vollkommen auf
erneuerbare und CO2-freie Energien. Die Welt beobachtet aufmerksam, wie das deutsche Experiment vorangeht. Ebenda liegt unsere besondere Verantwortung.
Ich will auf einen Punkt eingehen, der in den Verhandlungen in Durban vielleicht eine Brücke darstellen
kann, nämlich die Energieeffizienz und die Einspartechnologien. Dabei geht es darum, was wir selber bei uns
tun: in Deutschland, in der Europäischen Union. Die
europäischen Regierungschefs haben 2007 den Beschluss gefasst: dreimal 20 Prozent bis 2020. Die Marke
von 20 Prozent erneuerbare Energien werden wir in neun
Jahren wahrscheinlich deutlich überschritten haben;
vielleicht liegen wir dann bei 30 Prozent. Bei der CO2Einsparung wird Europa wohl das 20-Prozent-Ziel erreichen. Aber unsere Schwachstelle sind die Energieeffizienz und die Einsparung von Primärenergie. Wenn es
konkret wird, verlaufen die Verhandlungen eher zögerlich, so auch die Beratungen über eine neue europäische
Energieeffizienzrichtlinie.
Ich muss ganz deutlich sagen: Diejenigen, die den
Vorschlag der Europäischen Union, der vorsieht, dass
Energieversorger verpflichtet werden, jährlich eine Effizienzsteigerung von 1,5 Prozent zu erreichen, für Planwirtschaft halten, müssen sagen, wie sie das Ziel auf andere Weise erreichen wollen.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
des Abg. Dr. Hermann E. Ott ({2})
Eine Reihe von amerikanischen Bundesstaaten, die etwa
die Hälfte der Bevölkerung der USA repräsentieren, hat
dieses Ziel übernommen. Darunter ist übrigens der Bundesstaat Texas, dem man Planwirtschaft bestimmt nicht
vorwerfen kann. In Europa haben sich Frankreich, Polen,
Dänemark und Großbritannien entsprechend verpflichtet.
Ich habe mit Interesse gesehen, dass Eon in Großbritannien in den Zeitungen ganzseitige Inserate mit der
Überschrift schaltet: Was in aller Welt soll einen Energieversorger veranlassen, dafür zu sorgen, dass seine
Kunden weniger Energie verbrauchen? - Solche Inserate
erinnern mich sehr an die Einführung des Katalysators
1982/83 in der Ära Kohl. Damals war es teilweise die
Taktik der deutschen Industrie: in Deutschland verschleppen und im Ausland verkaufen.
Die Steigerung der Energieeffizienz und dementsprechend die Einsparung von Primärenergie sind der
Schlüssel für Schwellenländer; denn wenn wir Technologien auf den Weltmärkten anbieten können, die diesen
Ländern helfen, den Energieverbrauch zu senken und damit Kosten einzusparen, dann werden wir auch in den
Klimaverhandlungen mehr Erfolg haben. Ich erwarte als
Abgeordneter der Koalition, dass Deutschland rasch auf
die Verabschiedung einer neuen Energieeffizienzrichtlinie drängt, und zwar mit verbindlichen Zielen und verbindlichen Maßnahmen.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/7356 und 17/7481 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedergewährung der Sonderzahlung
- Drucksache 17/7631 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Vizepräsidentin Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Armin Schuster für die Unionsfraktionen.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes
zur Wiedergewährung der Sonderzahlung werden wir
das Weihnachtsgeld - erlauben Sie mir diese umgangssprachliche Formulierung - für Besoldungs- und Versorgungsempfänger des Bundes, also unsere Beamten,
Richter, Soldaten und Ruheständler, zum 1. Januar 2012
drei Jahre vorfristig wieder aufleben lassen. Ich bin sehr
erleichtert, dass uns dieser Schritt gelungen ist, und zwar
nicht in erster Linie wegen der finanziellen Verbesserungen für unsere Beamten und Versorgungsempfänger, obwohl sie das wahrlich verdient haben. Die wichtigere
Botschaft, die meines Erachtens von diesem Gesetz ausgeht, ist ganz sicher, dass diese Regierung ihren Beamten vertraut und dass sich diese Koalition der besonderen
Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes bewusst ist.
Lassen Sie mich für die Unionsfraktion ausdrücklich
ergänzen, dass wir unsere Versprechen einhalten.
({0})
Ich habe genau an dieser Stelle am 30. September 2010
die Verlängerung der Aussetzung mit den gravierenden
haushaltspolitischen Zwängen erklärt. Es war schon damals ein sehr wichtiges Ergebnis unserer Fraktion, dass
die Sonderzahlung nicht, wie von der Regierung geplant,
komplett gestrichen, sondern nur für weitere vier Jahre
suspendiert wurde. Ich habe seinerzeit versprochen, dass
wir diese Zeit nutzen werden, um die Wiedergewährung
schnellstmöglich zu bewerkstelligen. Für mich ist die eigentliche Botschaft heute, dass der öffentliche Dienst,
auch mit seinen Sorgen und Nöten, für uns kein unscheinbarer Dienstleister ist, der selbstverständlich zu
funktionieren hat.
({1})
Wir stehen auch in schwierigen Zeiten vor und zu unseren Beamten und Pensionären.
({2})
- Ich komme gleich darauf zu sprechen.
Die Sonderzahlungen waren seit 1994 in mehreren
Schritten gesenkt worden und beliefen sich 2004 nur
noch auf 60 Prozent. 2006 wurde dieser Betrag für fünf
Jahre nochmals halbiert. Herr Kollege Hartmann, Sie
sehen, dass Haushaltszwänge nicht nur christlich-liberale Koalitionen zu schmerzlichen Einschnitten zwingen
können.
({3})
Das war bei Ihnen auch nicht anders.
Mit der nun um drei Jahre vorgezogenen Wiedergewährung erreichen wir also wieder das Niveau des Jahres 2004.
({4})
Wir werden mit dem Gesetz den seit 2006 nicht mehr
ausgezahlten Teil des Weihnachtsgeldes wieder in die
Gehaltstabellen des Bundesbesoldungsgesetzes einarbeiten.
({5})
Damit wird die Sonderzahlung als Bestandteil der monatlichen Bezüge für Besoldungsempfänger 5 Prozent
der Jahresbezüge und für Versorgungsempfänger circa
4 Prozent der Jahresbezüge ausmachen.
({6})
Wer in diesem Zusammenhang öffentlich gerne den Begriff der Luxuspensionen bemüht, kennt die Wirklichkeit
nicht. Rund 75 Prozent unserer Pensionäre, denen diese
Maßnahme zugutekommt, sind Angehörige des einfachen und mittleren Dienstes. Darüber, dass dieser Personenkreis angesichts der bekannten Entwicklung der Bezüge im öffentlichen Dienst in den letzten Jahren nicht
verwöhnt wurde, dürften wir uns einig sein.
Die öffentliche Verwaltung des Bundes hat in den vergangenen Jahren erhebliche Sparmaßnahmen beigesteuert. Ich erinnere an die Einführung der 41-StundenWoche, die Reduzierung der Sonderzahlungen auf
60 Prozent, den vollständigen Wegfall des Urlaubsgeldes oder den Verzicht auf inflationsbedingte Lohn- und
Gehaltsanpassungen seit 1998. Allein im Zeitraum von
2006 bis 2011 haben die Beamten, Richter, Soldaten und
Pensionäre mit den Einschnitten beim Weihnachtsgeld
einen Sparbeitrag von rund 3 Milliarden Euro für den
Bundeshaushalt erbracht. Die Zahl der Beschäftigten im
Bundesdienst ist in den letzten 20 Jahren um rund
30 Prozent reduziert worden, obwohl die Aufgaben deutlich mehr geworden sind. Die Beamten der Bundesverwaltung müssen also den viel zitierten Vergleich mit
einigen Branchen der Privatwirtschaft hinsichtlich Arbeitszeit und Vergütung beileibe nicht scheuen. Immerhin sprechen wir heute nicht über ein volles dreizehntes
Monatsgehalt, sondern über 60 Prozent desselben. Daher
halten wir es für gerechtfertigt, dass die krisenbedingte
Aussetzung der Sonderzahlung, sobald es unsere Finanzsituation erlaubte, wieder korrigiert wird. Unseren strikten Sparkurs tangiert diese Entscheidung nicht.
Das Mehr im Portemonnaie beträgt ab 1. Januar 2012
konkret 2,44 Prozent. Wir vollziehen damit die Wiedergewährung, wie sie als zweiter Einbauschritt vorgesehen
war. Folglich werden sämtliche Gehaltsbestandteile, auf
die die Sonderzahlung gewährt wird, also nicht nur die
Armin Schuster ({7})
Grundgehaltstabelle, sondern zum Beispiel auch der Familienzuschlag, zum 1. Januar 2012 um 2,44 Prozent erhöht. Zusammen mit dem ersten Einbauschritt von 2009
bedeutet das ab Januar 2012 insgesamt ein Plus von
5 Prozent auf die monatlichen Bezüge bzw. 4 Prozent
auf die Bezüge der Versorgungsempfänger.
Für einen gut funktionierenden Staat braucht
Deutschland motivierte Beamte. Die aktuelle Situation
in einigen europäischen Ländern wirft ein besonderes
Schlaglicht auf die Folgen einer nicht leistungsfähigen
Verwaltung. Mit der Suspendierung der Sonderzahlung
im vergangenen Jahr haben wir eine massive Verärgerung im öffentlichen Dienst hervorgerufen.
({8})
Das war uns klar, und wir wussten auch, dass wir damit
befristet eine rote Linie überschreiten werden. Aber ich
denke, dass unser Sparkurs mit den europäischen Erkenntnissen von heute jetzt mehrheitlich akzeptiert wird.
Ich hoffe auf das nachträgliche Verständnis der Beamtinnen und Beamten, dass wir uns in der Abwägung im
September 2010 für die Finanzverantwortung des Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern entscheiden mussten. Mit unserem Vorgehen von damals und
heute zeigen wir eine finanzpolitische Seriosität, die
auch ein Grund dafür ist, weshalb wir stärker aus der
Krise herauskommen, als wir in sie hineingegangen sind.
({9})
Das muss auch die Opposition nach ihrer damaligen inszenierten Entrüstung - die gibt es zum Teil heute noch bei der Suspendierungsdebatte einfach zugestehen. Die
Bundesregierung zeigt sich deutlich entscheidungsfähiger als manche SPD-geführte Landesregierung bei diesem Thema.
({10})
Der aufmerksame Beobachter wird feststellen, dass
sich diese Regierung beim Thema Attraktivität des öffentlichen Dienstes besondere Ziele gesetzt hat. Die
Wiedergewährung der Sonderzahlung ist dafür nur ein
Meilenstein.
({11})
Nachdem wir im vergangenen Jahr bereits mit dem Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz die
Arbeitszeiten für ältere Beschäftigte flexibler gestaltet
haben, kommt nun ein neuer Attraktivitätsschub mit dem
Fachkräftegewinnungsgesetz, das hier in Kürze abschließend behandelt wird.
({12})
Damit werden wir ein weiteres Ziel unserer Koalitionsvereinbarung umsetzen und die Wettbewerbsfähigkeit
des Bundes als Arbeitgeber gegenüber anderen Dienstherren und der Wirtschaft verbessern. Zusammen mit
dem Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz, das auch
die Entschädigung von psychisch und physisch verwundeten Soldatinnen und Soldaten in Kampfeinsätzen und
anderen Gefahrenlagen deutlich verbessert hat, können
wir heute eine erste beamtenpolitische Bilanz ziehen.
Erstens. Wir stehen nach wie vor für eine leistungsorientierte Vergütung und Versorgung unserer Beamten,
Richter, Soldaten und Pensionäre. Zweitens. Die Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes wird einen unserer erfolgreich umgesetzten Schwerpunkte in
dieser Legislaturperiode darstellen. Drittens. Ich kann
Ihnen versichern, dass wir bereits heute über weitere
dienstrechtliche Projekte in unserer Pipeline verhandeln.
Das war noch nicht das Ende.
Abschließend hoffe ich, dass Sie spüren konnten, dass
nicht nur der beamtenpolitische Berichterstatter der
Unionsfraktion eine emotionale Nähe zum öffentlichen
Dienst hat. Nein, meine Damen und Herren, diese Regierung, diese Koalition und ganz besonders die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion mit ihrem Chef Volker Kauder,
den ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich erwähnen möchte, haben ein Herz für den öffentlichen Dienst,
({13})
und zwar - habe ich vergessen, das zu sagen? - an der
richtigen Stelle. Deshalb stimmen wir mit Freude dem
Entwurf eines Gesetzes zur Wiedergewährung der Sonderzahlung zu.
Ich danke Ihnen.
({14})
Das Wort hat der Kollege Michael Hartmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Schuster, da ich ein Herz für Sie
habe, will ich Ihnen manche der notgedrungen von Ihnen
hier vorgetragenen Formulierungen verzeihen und nachsehen; aber insgesamt will ich Ihnen nicht nachsehen,
was Sie mit der Einbringung des Gesetzentwurfs - wir
haben ihn heute nicht zu verabschieden - bezwecken.
Gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten wird jetzt der
Versuch von der Koalition unternommen, die vermeintlich frohe Botschaft an die Beamtinnen und Beamten des
Bundes zu senden:
({0})
Das Weihnachtsgeld wird erhöht. - So war allenthalben
zu lesen. Natürlich ist das unwahr; denn gar nichts wird
erhöht. Sie unternehmen vielmehr heute hier den Versuch, einen unglaublichen Vertrauensbruch zu kitten.
Doch der angerichtete Schaden ist so groß, dass Sie die
entstandenen Scherben mit Sicherheit nie mehr zusammenfügen werden. CDU/CSU und FDP erhöhen nichts,
Michael Hartmann ({1})
sondern sie nehmen eine Kürzung mit einem Jahr bewusster Verspätung nur aufgrund des entstandenen
Drucks und nicht etwa aus Einsicht zurück.
Zur Vorgeschichte. Wir haben unseren Beamtinnen
und Beamten oft viel abverlangt, keine Frage. Das gilt
auch für SPD-geführte Regierungen und solche, an denen die SPD sonst beteiligt war. Im Jahr 2006 hatte die
Große Koalition eine Halbierung des bereits auf 60 Prozent zurückgefahrenen Weihnachtsgeldes befristet bis
Ende 2010 beschlossen. Das heißt, diese Sonderzahlung
wäre im laufenden Jahr automatisch wieder auf alter
Höhe gewesen. Zuvor hatte aber der frühere Bundesinnenminister in einem heroischen Akt entschieden:
Nein, das machen wir nicht. Wir ändern ausdrücklich
das Gesetz und behalten die Kürzung bei. - So viel zu
den Fakten. Vehement und unerschütterlich ist er dafür
eingetreten, hat das Kreuz durchgedrückt und hat - vielleicht schon mit Blick auf seine spätere Verwendung soldatisch gesagt: Das muss jetzt gemacht werden; das
wird gemacht werden.
Eben in Ihrer Rede, Herr Schuster, und bei vielen Diskussionen, die wir dazu hatten, geschätzter Herr
Ruppert, war zu spüren, dass zumindest den Berichterstatterkollegen von Union und FDP dieser Vertrauensbruch peinlich war; verhindert haben Sie ihn aber nicht.
Nun, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, rollen Sie auch hier die Fahne wieder ein. Rückblickend
nur so viel: Das ist in Wirklichkeit das Einzige, was von
Herrn de Maizière als Bundesinnenminister übrig geblieben ist:
({2})
eisenharte Ankündigungen, die sein Nachfolger dann
ganz schnell wieder abgeräumt hat. So wollte er ganz
entschlossen den Dialog mit der Netzcommunity auf andere Beine stellen. Man darf fragen: Was ist daraus eigentlich geworden?
Ebenfalls ganz entschlossen machte er sich auf den
Weg, unsere bewährte Sicherheitsarchitektur zu zertrümmern, indem er - einfach mal so - Bundeskriminalamt
und Bundespolizei fusionieren wollte. Vernünftigerweise hat Bundesminister Friedrich mit genauso entschlossener Attitüde ohne Zögern und Zaudern das
Ganze rückgängig gemacht und diese schrecklichen Fusionspläne für null und nichtig erklärt. Ohne Zögern und
Zaudern wollte der jetzige Verteidigungsminister die Beamtinnen und Beamten um die Rücknahme der Kürzungen beim Weihnachtsgeld prellen. Ein Jahr lang ist ihm
das gelungen, und nun darf Herr Friedrich auch diesen
Fehler korrigieren.
Dabei setzte die Bundesregierung nach meiner festen
Überzeugung unausgesprochen auf alle bekannten Ressentiments gegenüber der Beamtenschaft. Während auf
Festveranstaltungen und bei großen Tagungen das Loblied auf das Berufsbeamtentum gesungen wird, waren
die Taten alles andere als wertschätzend. Genau darum
geht es übrigens in Wahrheit. Es geht nicht nur um Geld,
sondern es geht um die richtige Wertschätzung für die
Bundesbeamtinnen und -beamten, die diese Koalition ihnen versagt hat.
({3})
Wir haben Tausende von Zeit- und Berufssoldaten,
die ihren oftmals gefährlichen Dienst für unser Land
klaglos versehen. Wir haben eine ohnehin arg vernachlässigte Bundespolizei, die mit einer zu großen Teilen
dem mittleren Dienst angehörenden Beamtenschaft Woche für Woche unsere Grenzen schützt, die Bahnhöfe
kontrolliert, sich bei Fußballeinsätzen beleidigen lässt,
bei Demonstrationen verletzt wird oder in gefährliche
Auslandseinsätze muss. In den Ministerien - sie vergisst
man oft - ackern Tag und Nacht alleine dem Staat verpflichtete Menschen, um uns aus der Finanzkrise zu führen; um nur ein Beispiel zu nennen. Ihnen gebührt unser
Dank, und ihnen gebührt unsere Anerkennung. Sie dürfen eben nicht Lückenbüßer verfehlter Haushaltspolitik
werden.
({4})
Es kommt hinzu, dass immer weniger Beamtinnen
und Beamte in immer kürzerer Zeit bei zunehmender Arbeitsdichte immer mehr zu leisten haben. Das ist die
Wahrheit, die Sie mit Ihrem Vertrauensbruch sehenden
Auges ignorierten, immer darauf hoffend, die Stammtische würden Ihnen dazu applaudieren. Doch Sie haben
die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
Einer der Wirte heißt übrigens Peter Heesen und ist
aktives CDU-Mitglied. Ich würde Ihnen jetzt gerne alle
Zitate des Herrn Heesen vorlesen, die aufzeigen, wie er
Sie für diesen Vertrauensbruch, den Sie begangen haben,
zu Recht gescholten und an den Pranger gestellt hat. Wir
stehen jedenfalls in dieser Frage schon immer an der
Seite des Deutschen Beamtenbundes. Das sind ganz
merkwürdige Fronten, meine Damen und Herren.
({5})
Doch auch viele andere empörten sich zu Recht. Ihre
Hoffnung, dass der nicht streikberechtigte Beamtenapparat ein leichtes Opfer sei, hat Sie getrogen, und nun ziehen Sie den Schwanz ein. Doch das Vertrauen ist und
bleibt zerstört. Von Ihnen darf der deutsche Beamte alles
Mögliche erwarten, nur weder jetzt noch in Zukunft
wirklich Gutes.
Deshalb hat Ihnen Ihre damalige Ankündigung, man
wolle - Sie haben vergessen, es zu erwähnen, Herr
Schuster - dann aber ganz bestimmt beim Weihnachtsgeld ab 2015 Besserung geloben, zu Recht nur Spott und
Hohn eingebracht. Vielleicht dachten Sie schon damals
daran, dass Sie möglicherweise ab 2013 gar nicht mehr
in die Peinlichkeit kommen, Ihre Ankündigung für 2015
umsetzen zu müssen. Jedenfalls weisen alle Zeichen in
diese Richtung. Herr Ruppert, Sie sind ja Beamter.
({6})
Sie können dann die Segnungen des Weihnachtsgeldes
in anderer Funktion wieder wahrnehmen.
({7})
Seien wir jetzt und in Zukunft behutsam im Umgang
mit unseren Staatsdienern! Es sind ja nicht mehr allzu
Michael Hartmann ({8})
viele - zumindest nicht beim Bund. Ich will jedenfalls
nicht, dass anstelle von allein dem Staat verpflichteten
Menschen beispielsweise mehr und mehr Anwaltskanzleien Gesetze für uns vorbereiten, meine Damen und
Herren, und eigentlich sollte das auch ein staatskonservativ denkender Mensch nicht wollen.
Ich will sehr, dass qualifizierte junge Menschen auch
in Zukunft noch in den öffentlichen Dienst streben.
({9})
Deshalb sollte die jetzt anstehende Korrektur Ihres missachtenden Beschlusses aus dem vergangenen Jahr nicht
das Ende, sondern der Anfang sein.
({10})
So müssen wir beispielsweise beim Wechsel in die
Privatwirtschaft auch hinsichtlich der Mitnahmefähigkeit der Versorgungsbezüge für ein zeitgemäßes Beamtenrecht sorgen. Vielleicht schaffen Sie es ja, dies in der
Bundesregierung voranzutreiben; das würde mich allerdings wundern.
({11})
Wenn Ihre jetzige Umkehr ein Zeichen tätiger Reue ist,
denen weitere folgen werden, sind wir dabei. Denn wir
wissen wirklich, was wir an unserem öffentlichen Dienst
haben.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Hartmann, ich danke Ihnen für Ihre Bekenntnisse zum Berufsbeamtentum. Leider muss man
aber feststellen, dass es überall dort, wo CDU und FDP
bzw. CSU und FDP regieren, den Beamten gut geht,
während es dort, wo es Landesregierungen Ihrer Farbe
gibt, den Beamten tendenziell schlechter geht.
({0})
Insofern sollten Sie über diesen Umstand einmal nachdenken.
({1})
Wer gerade in diesem Bundesland Berlin jeden Tag
aufs Neue feststellen muss, dass Teile der öffentlichen
Ordnung zumindest im Winter und im ÖPNV nicht so
richtig funktionieren, der kann vielleicht auf die Idee
kommen, dass das daran liegt, dass die Situation des öffentlichen Dienstes hier im Vergleich zu der in den anderen 15 Bundesländern in der Bundesrepublik Deutschland seit vielen Jahren am miserabelsten ist.
({2})
- Wir reden über die Bundesbeamten, Herr Hartmann,
aber ein kleines, nettes Wort auch für Ihre Landesbeamten in Berlin sei an dieser Stelle doch gestattet.
({3})
Wir wollen einen leistungsfähigen öffentlichen
Dienst. Wir sehen, dass in Krisenzeiten der Staat als Institution, als Rahmengeber, aber auch als Fachmann in
schwierigen Fragen durchaus gebraucht wird, und ich
muss sagen: In zwei Jahren Bundestagszugehörigkeit bin
ich immer wieder positiv überrascht worden, wie viele
hochkompetente,
({4})
leistungsbereite und uns auch weit über ihre eigentliche
Arbeitszeit hinaus helfende Beamte es im Bundesdienst
gibt. Dafür sind wir ausgesprochen dankbar.
({5})
Insofern können Sie bei der schwarz-gelben Koalition
einen gewissen roten Faden sehen.
({6})
- Ja, roter Faden, daran können Sie sich freuen, Herr
Hartmann.
Sie werden sehen: Es wird Rentnern besser gehen. Es
wird Arbeitnehmern besser gehen.
({7})
Es wird der Rentensatz sinken.
({8})
Es wird die Arbeitslosigkeit sinken - sie ist bereits gesunken -, und es geht den Beamten und Beamtinnen besser. Es gibt eine deutliche Verbesserung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Beamtinnen
und Beamten in diesem Land.
Wir alle haben diesen Sparbeitrag im letzten Jahr bedauert.
({9})
- Weil alle zum Sparen beitragen mussten.
({10})
Wir sind ausgesprochen froh, ihn heute wieder zurücknehmen zu können, weil seitens der Beamtenschaft seit
1994 ein großer Sparbeitrag - der Kollege Schuster hat
das bereits ausgeführt - erbracht worden ist.
({11})
Insofern ist heute erstens ein guter Tag für die Beamtinnen und Beamten in Deutschland.
Wir dürfen aber zweitens angesichts der demografischen Entwicklung und angesichts dessen,
({12})
dass wir Fachkräfte für Deutschland, und zwar auch für
den öffentlichen Dienst, gewinnen müssen, nicht an dieser Stelle stehen bleiben. Wir müssen über weitere Flexibilisierungen im öffentlichen Dienstrecht nachdenken.
Meine Fraktion setzt sich etwa vehement für Portabilität
ein.
({13})
Das ist ein sinnvolles Vorhaben. Einem Beamten, der im
öffentlichen Dienst tätig ist, soll es unter gewissen Voraussetzungen möglich sein, auch wenn das Beamtenverhältnis eigentlich auf Lebenszeit angelegt ist, seine
Altersversorgung in ein anderes Arbeitsverhältnis mitzunehmen.
({14})
- Sehen Sie, dann sind wir schon einer mehr.
Ich möchte mich zum Schluss meiner Rede noch bei
den Kolleginnen und Kollegen, die heute etwas überraschend zu diesem Tagesordnungspunkt sprechen mussten, entschuldigen; die Betroffenen wissen, was ich damit meine. Diese Debatte war ursprünglich nicht in allen
Facetten so geplant. Aber da wir uns freuen, die Beamten sich freuen können und selbst die SPD sich ein bisschen freuen kann - sie könnte allerdings noch ein paar
Hausaufgaben in ihren eigenen Ländern machen, dann
ginge es den Beamten dort auch etwas besser -,
({15})
lade ich Sie herzlich zu den weiteren Beratungen ein.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die Sonderzahlung für Beamte - das will
ich für die Zuhörer noch einmal voranstellen - bedeutet
im Wesentlichen das, was für viele Arbeitnehmer das
Weihnachtsgeld ist, nur dass diese in monatliche Zahlungen aufgeteilt ist und eben nicht auf einen Schlag gezahlt
wird.
Weihnachten steht vor der Tür, und da ist es eben
auch angenehm, vom Weihnachtsgeld zu reden - vorausgesetzt, man will es nicht kürzen - und das auch noch
entgegen allen Vereinbarungen, wie wir es hier vor fast
genau einem Jahr erlebt haben. Das war - Sie werden
sich erinnern - gar nicht so angenehm: nicht für die Beamten, die sich wieder einmal von ihrem Dienstherrn
verraten fühlten, und auch nicht für die Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, die jetzt emsig diskutieren, weil sie ja vor einem Jahr bereits wussten, was sie
hier für einen Quark mittragen müssen. Dass ihnen das
unangenehm war, gestehe ich ihnen durchaus zu.
({0})
Die einseitige Verlängerung der Kürzung wird also nun
konsequenterweise ab dem Jahr 2012 abgebrochen.
Da in einigen Medien Beamte immer viel aushalten
müssen, möchte ich hier noch einmal etwas richtigstellen: Beamte bekommen jetzt nicht doppelt so viel Weihnachtsgeld. Die Änderung betrifft auch nicht das Weihnachtsfest 2011. Eine Kürzung soll beendet werden - das
ist ein Unterschied! -,
({1})
nämlich die Kürzung von 60 auf 30 Prozent eines Monatsbezuges. Wir wissen, dass es Tarifvereinbarungen
gibt, nach denen 100 Prozent eines Monatsbezuges als
Weihnachtsgeld gezahlt werden - das nur einmal so zum
Vergleich. Es handelt sich außerdem um eine Kürzung,
die von Beginn an befristet war.
Noch 1993 erhielten Beamte 100 Prozent eines Monatsbezuges. Bis 2003 erfolgte schrittweise die Reduzierung auf 84 Prozent, und ab 2004 waren es dann 60 Prozent. Dabei handelt es sich um eine Geschichte, die nicht
nur von Schwarz-Gelb geprägt wurde. Die Halbierung
auf 30 Prozent wurde, wie wir gehört haben, für fünf
Jahre vereinbart. Wenn man eine solche Vereinbarung
bricht, liebe Regierungskoalition, dann ist das ein Vertrauensbruch. Das muss man sich auch sagen lassen, und
das bekommt man dann bei jeder Gelegenheit aufs Brot
geschmiert.
({2})
Dies schmieren Ihnen nicht nur die Oppositionsfraktionen aufs Brot - die nehmen diese Steilvorlage natürlich gerne an -, sondern vor allen Dingen auch die Gewerkschaften. Gewerkschaften und Opposition haben
hier sehr gut zusammengearbeitet und Druck entfaltet.
Bei Tagungen der Polizeigewerkschaften zum Beispiel
taten mir CDU-Vertreter manchmal schon fast leid. Sie
mussten dort als Innenpolitiker immer wieder die Suppe
auslöffeln, die ihnen ihre Regierung eingebrockt hatte.
({3})
- Oft genug! Ich war ja dabei.
Jetzt also der Salto rückwärts. Dazu kann ich nur sagen: Lieber zu spät als gar nicht. Deswegen nehmen wir
das heute auch gerne so an. Um Vertrauen zurückzugewinnen, werden Sie sich allerdings wesentlich mehr anstrengen müssen.
({4})
Die Baustellen häufen sich; darüber haben wir ja zum
Beispiel beim Thema Polizei in den letzten Wochen diskutiert. Beförderungsstau bei der Polizei und Personalüberalterung in vielen Bereichen sind solche Punkte.
Bei der Besoldung, insbesondere von Beamten des
einfachen und mittleren Dienstes, muss ebenfalls endlich
etwas geschehen. Die Realeinkommen sind hier seit Jahren gesunken. Mit linearen Anpassungen allein wird da
nicht viel zu beheben sein.
({5})
Bei diesem Thema wird die Linke eng gerade mit den
Beamtengewerkschaften zusammenarbeiten und sie unterstützen, wo es nur geht.
Ich weiß, dass besonders diese Gewerkschaften die
heutige Debatte verfolgen, auch die Polizeigewerkschaften. Deswegen sei mir ein kurzes Wort an diese Adresse
gestattet.
Erst am Freitag der letzten Sitzungswoche sprachen
wir über ein Polizeithema. Ich sagte - ich erinnere daran -:
Hier im Plenum muss Platz sein für alle politischen Bereiche, die die Polizei betreffen, für strukturelle Fragen,
für soziale Fragen und für rechtliche Fragen, auch für
bürgerrechtliche Fragen.
Heute geht es um eine soziale Frage: um eine gerechte Besoldung. Da ziehen wir an einem Strang. Es
wird aber auch wieder Themen geben, bei denen wir
nicht einer Meinung sind; das gehört dazu. Das gilt für
das Thema Bürgerrechte. Ich fordere alle Seiten auf, sich
an der Diskussion darüber zu beteiligen. Die Linke ist
gesprächsbereit, und ich hoffe, dass wir auch bei diesem
Thema schnell zu einer Einigung kommen, die allen Seiten gerecht wird.
({6})
Heute bleiben wir bei der Feststellung, dass sich die
Regierungskoalition bewegt hat und einen Fehler korrigiert, auch wenn sie das nicht in aller Deutlichkeit sagen
möchte. Noch besser wäre es gewesen, man hätte auch
für Weihnachten 2011 eine Lösung gefunden.
Danke schön.
({7})
Die Rede des Kollegen Konstantin von Notz von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nehmen wir zu Proto-
koll.1)
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/7631 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Euratom-Vertrag ändern - Atomausstieg europaweit voranbringen - Atomprivileg beenden
- Drucksache 17/7670 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
({2})
Bei uns muss man immer erst leisten. - Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vertrag
zur Gründung einer Europäischen Atomgemeinschaft
wurde in den 54 Jahren seiner Existenz kaum verändert.
Die Vorzeichen, unter denen er geschlossen wurde, wa-
ren aber völlig andere als die, unter denen die heutige
Energiepolitik steht. Ziel war damals, die Entwicklung
der zivilen Atomenergienutzung in Europa zu fördern,
aus der inzwischen überholten Überzeugung heraus,
dass - ich zitiere - „die Kernenergie eine unentbehrliche
1) Anlage 2
Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt“. Die
Hoffnungen auf eine saubere und vor allem sichere
Energieversorgung haben sich jedoch nicht erfüllt. Das
haben die Unfälle von Harrisburg, Tschernobyl und
Fukushima leidvoll gezeigt. Wichtige Fragen wie die der
Endlagerung der atomaren Abfälle sind bis heute ungelöst. Die versuchte Trennung in friedliche und militärische Nutzung der Atomenergie konnte die weitere Ausbreitung von Atomwaffen nicht verhindern.
Die Akzeptanz der Atomkraft ist einem Wandel unterworfen, Euratom ist stehen geblieben. Die Zielrichtung
des Euratom-Vertrages, die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen,
steht heute in eklatantem Widerspruch zu den Bemühungen von Mitgliedstaaten und Europäischer Union, eine
sichere und nachhaltige Energieversorgung zu entwickeln.
({0})
Trotz divergierender Ansichten der Mitgliedstaaten
zur Atomkraft besteht doch ein Konsens dahin gehend,
dass die Zukunft der Energieversorgung nicht in der
Kernspaltung, sondern in regenerativen Energien liegt.
({1})
Ein möglicher atomarer Unfall und seine Folgen bedrohen die Bevölkerung ganz Europas. Nur gemeinsames europäisches Handeln kann Bevölkerung und Umwelt ausreichend schützen. Euratom muss grundlegend
reformiert werden.
Der Aktualisierungsbedarf ist nicht nur von Deutschland tatsächlich längst erkannt. Davon zeugt die Erklärung Nr. 54 zur Schlussakte von Lissabon vom 13. Dezember 2007:
Deutschland, Irland, Ungarn, Österreich und
Schweden stellen fest, dass die zentralen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft seit seinem Inkrafttreten
in ihrer Substanz nicht geändert worden sind und
aktualisiert werden müssen.
Daher unterstützen sie den Gedanken einer Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, die so rasch wie möglich einberufen werden sollte.
Diese vier Jahre alte Erklärung wollen wir umsetzen.
Zunächst muss die Sonderstellung abgeschafft werden, die der Atomenergie durch Euratom zukommt. Die
extrem hohe Forschungsförderung der öffentlichen Hand
für Kernspaltung und Kernfusion ist die erfolgloseste
Subventionierung in dieser Größenordnung geblieben.
({2})
OECD-weit wurden in den letzten 60 Jahren weit über
90 Prozent aller öffentlichen Forschungsmittel in Kernspaltung und Kernfusion investiert. Die Kernspaltung
deckt aber gerade einmal gut 2 Prozent der Weltenergienachfrage, und durch Kernfusion wurde in 60 Jahren
keine einzige Kilowattstunde erzeugt.
Andererseits decken die erneuerbaren Energien, die
nur einen winzigen Bruchteil der öffentlichen Forschungsmittel bekamen, heute bereits über 13 Prozent
der Weltenergienachfrage.
({3})
Auch aus Verantwortung den Steuerzahlerinnen und
Steuerzahlern gegenüber muss die Forschungsförderung
stärker auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz
konzentriert werden.
({4})
Forschungsförderung für Sicherheit und Entsorgung ist
davon selbstverständlich unberührt.
Ebenso verlangen die im Euratom-Vertrag normierten
Entscheidungsverfahren nach Reformen. Intransparenz
und ein Parlament, das nicht mitentscheidet, passen nicht
zur Demokratie des 21. Jahrhunderts. Wer wenn nicht
die Regierung eines Landes, das in breitem Konsens den
Atomausstieg beschlossen hat, soll sich auf europäischer
Ebene für die notwendigen Reformen einsetzen? Dazu
fordern wir unsere Bundesregierung auf.
({5})
Als Ultima Ratio muss der Ausstieg aus Euratom ins
Auge gefasst werden. Er ist rechtlich möglich. Der Lissabonner Vertrag sieht vor, dass ein Mitgliedstaat einseitig aus dem Euratom-Vertrag aussteigen kann. Wie mir
unsere Rechtsabteilung sagte, ist dies nach Art. 106 a
Euratom-Vertrag in Verbindung mit Art. 50 EU-Vertrag
möglich.
({6})
Euratom ist nach dem Lissabonner Vertrag nicht mehr
Teil der Säulenstruktur der Europäischen Union.
Wenn eine Reform, wie in unserem Antrag beschrieben, auf europäischer Ebene nicht durchsetzbar ist, muss
Euratom von deutscher Seite aus gekündigt werden.
({7})
Ich glaube nicht, dass wir mit Geld des deutschen Steuerzahlers zum Beispiel den Ausbau der Reaktoren in Temelin finanzieren sollten.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Kotting-Uhl, Sie haben ja recht: Das
Ziel ist erreicht. Es gibt den Atomausstieg in den nächsten zwölf Jahren. Sie fordern nun, wir müssten aus dem
Euratom-Vertrag heraus, weil wir in Deutschland in den
nächsten zwölf Jahren aus der Kernenergie aussteigen.
Wenn Ihre Argumentation schlüssig wäre, dann müssten
auch Sie auf Ihre Funktion als atompolitische Sprecherin
Ihrer Fraktion verzichten; denn Ihr Ziel - die Kernenergie in Deutschland wird in zwölf Jahren Geschichte sein ist erreicht.
Wir brauchen aber nach wie vor den Euratom-Vertrag,
weil es auch darum geht, die Kernenergie in Europa auf
einem hohen Sicherheitsniveau zu halten. Es muss daher
unser Ziel sein, dass es in den Staaten um uns herum sichere Kernkraftwerke gibt. Diese Sicherheit können wir
gerade mit dem Euratom-Vertrag gewährleisten. Das
muss unser erstes und oberstes Ziel bleiben.
({0})
Lassen Sie mich jetzt auf die grundsätzlichen historischen Aspekte eingehen. Die Europäische Atomgemeinschaft ist ein Grundpfeiler der europäischen Gründungsidee. Sie wurde 1957 in den Römischen Verträgen
zusammen mit der Europäischen Gemeinschaft für
Kohle und Stahl und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der späteren EG, begründet.
Kollege Bareiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Fell?
Nein, danke. - Seitdem ist sie fortlaufend ein Grundpfeiler der europäischen Idee. Auf Grundlage des
Euratom-Vertrages und durch die Koordinierung von
Forschungsaktivitäten in Europa kann die Sicherheit der
Kernkraftwerke und die von nuklearen Anlagen und damit vor allem die Sicherheit für unsere Bürger gewährleistet werden.
Als Eigentümer allen nuklearen Materials in Europa
ist Euratom maßgeblich daran beteiligt, dass Missbrauch
verhindert wird. Die Europäische Atomgemeinschaft
stellt somit die friedliche Nutzung von nuklearem Material sicher.
Sicherungsmaßnahmen unterstehen der Euratom und
der Internationalen Atomenergiebehörde, die auch regelmäßig Inspektionen durchführen. Durch die Aufsicht
und die Vergemeinschaftung des nuklearen Materials
findet eine gegenseitige Kontrolle statt und kann die
Friedenssicherung gewährleistet werden.
Gerade weil die Sicherheit nicht vor Grenzen haltmacht, wie ich gerade schon gesagt habe, ist aus meiner
Sicht eine starke europäische Zusammenarbeit zwingend
notwendig. Diese Zusammenarbeit wird seit über
50 Jahren in der Europäischen Atomgemeinschaft gewährleistet. Eigentlich sollten wir darauf stolz sein und
uns glücklich schätzen, dass es diese enge Verzahnung
innerhalb der Europäischen Union gibt. Deutschland hat
in dieser Technologie- und Sicherheitsgemeinschaft immer eine zentrale Rolle gespielt - ja, wir waren Motor
der Bewegung.
Als die Gründungsväter die Europäische Atomgemeinschaft ins Leben riefen, wollten sie auf einem Zukunftsfeld der Energieversorgung die Zusammenarbeit
auf europäischer Ebene intensivieren und koordinieren.
Das ist ihnen, glaube ich, damit auch gelungen.
Ich sage in aller Deutlichkeit: Trotz des deutschen
Sonderwegs in Sachen Kernenergie wird Euratom weiterhin eine wichtige Rolle spielen, vielleicht sogar eine
wichtigere als in der Vergangenheit. Denn wir müssen
die Realitäten anerkennen: Länder wie Frankreich oder
die Niederlande sehen in der Kernenergie eine tragende
Säule ihrer Energieversorgung. In Großbritannien hat
der öffentliche Zuspruch zur Kernenergie in den letzten
sechs Monaten sogar noch zugenommen. Was bringt es
uns, wenn unsere Kraftwerke abgeschaltet sind, in unseren Nachbarstaaten aber Kernkraftwerke in Betrieb sind,
die unsicher sind?
Deshalb ist es gut und richtig, dass sich Deutschland
weiter intensiv an der Arbeit in der Europäischen Atomgemeinschaft beteiligt. Denn wenn wir auch zukünftig
über nukleare Sicherheit mitreden wollen, wenn wir
Standards setzen wollen, dann bietet die Europäische
Atomgemeinschaft die ideale Plattform.
Ihre Forderung, dass gerade die Anstrengungen im
Bereich der Forschung aufgegeben werden sollen, ist
falsch.
({0})
Ich will es ganz deutlich sagen: Diese Forderung gefährdet die Sicherheit unserer Bevölkerung; denn nur durch
Forschung können wir die Sicherheit der Kernenergie
weiterhin steigern. Gerade hier greift der Euratom-Vertrag, der sich insbesondere auf die Forschungsförderung
zur Sicherheit von Kernenergie erstreckt und sich nicht
auf die Entwicklung von neuen Reaktortypen konzentriert.
An der Stelle möchte ich einen weiteren Aspekt aufnehmen: Gerade wir in Deutschland stehen in den nächsten Jahren noch vor enormen Herausforderungen, wenn
es darum geht, die bestehenden 21 Kernkraftwerke zurückzubauen. Gerade hier ist es wichtig, dass dies im engen Erfahrungs- und Wissensaustausch mit unseren
Nachbarn geschieht. Auch dabei wird der Euratom-Vertrag eine wertvolle Grundlage sein.
In diesem Zusammenhang begrüße ich, dass nach der
Reaktorkatastrophe von Fukushima der EU-Kommissar
für Energie, Günther Oettinger, den europäischen Stresstest vorantreibt. Eine so tiefgehende Zusammenarbeit in
Sicherheitsfragen hat es in sieben Jahren Rot-Grün nie
gegeben. Auch das ist ein wirklicher Sicherheitsgewinn.
Eine Koordinierung der europäischen Energiepolitik
und der nuklearen Sicherheit ist von elementarer Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit des Industrie- und Wirtschaftsstandorts Europa im globalen Wettbewerb mit anderen Regionen in der Welt. Die Europäische
Atomgemeinschaft ist ein gelungenes Beispiel in einem
Teil der gemeinsamen Energiepolitik. Auch wenn dieser
Teil in Deutschland durch den Atomausstieg an Bedeutung zu verlieren scheint, ist die bestehende Koordinierung über den Euratom-Vertrag wegweisend.
Denn wir brauchen nicht ein Weniger an europäischer
Energiepolitik, sondern ein Mehr. Nur so können wir unsere Ziele in den nächsten Jahren verwirklichen.
Herzlichen Dank.
({1})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Fell das
Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Bareiß, Sie haben in Ihrem Redebeitrag im Wesentlichen
nur auf einen kleineren Teilaspekt der Grundlagen des
Euratom-Vertrages hingewiesen, nämlich auf die Safeguards-Bestimmungen und auf die Sicherheitsmaßnahmen, die über Euratom in Europa koordiniert werden.
In der Präambel des Euratom-Vertrages steht aber
ganz klar: Sinn des Euratom-Vertrages sind die Förderung
und der Ausbau der Atomenergie in Europa. - Dafür gibt
es eine unheimlich starke Unterstützung mit sehr vielen
Beiträgen - auch aus Deutschland, zumindest finanziell.
Diese Beiträge werden benutzt für die innereuropäische
und sogar über Europas Grenzen hinausgehende Unterstützung des Aufbaus neuer Atomreaktoren. Das gilt beispielsweise auch für Temelin, einen Reaktor, der nur
60 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt steht
und zu dem viele sagen, dass er sehr unsicher ist und
dass hier die europäischen Sicherheitsbestimmungen
über Euratom nicht genügend angewandt werden.Wir
wissen spätestens seit der Katastrophe in Japan, dass wir
endgültig aus der Atomenergie aussteigen müssen. Wir
freuen uns, dass Sie endlich die Wende in der Atompolitik vollzogen haben, indem Sie sagten: Die Atomenergie
ist eine unsichere Technologie. - Nun sehen wir, dass
Tokio viel weiter von Fukushima entfernt ist als die
bayerische Grenze von Temelin oder Freiburg von Fessenheim; auch andere Reaktoren in Nachbarländern sind
wesentlich näher.
Deswegen meine Fragen: Wie können Sie die Unterstützung der Ausbauwünsche mancher europäischer
Nachbarn aufrechterhalten, wenn Sie sagen, dass Atomreaktoren unsicher sind und wir sie in Deutschland abschalten müssen? Wie können Sie verantworten, dass
Deutschland mit vielen Steuergeldern exakt diesen Ausbau unterstützt, obwohl die Bedrohung durch ausländische Reaktoren in Grenznähe genauso groß ist wie durch
Reaktoren innerhalb Deutschlands?
Ich kann das nicht verstehen und fordere Sie deswegen auf, zusammen mit der Bundesregierung einen Weg
zu suchen, dass mindestens - das ist der erste Teil unseres Antrages - die die Atomenergie betreffenden Fördertatbestände aus dem Euratom-Vertrag verschwinden.
Dies ist die Minimalforderung, die Sie eigentlich mittragen müssten, weil Sie wie wir der Meinung sind, dass
eine Nutzung der Atomenergie nicht mehr verantwortbar
ist.
({0})
Sie haben das Wort zu einer Erwiderung.
Herr Fell, Sie sind in der Energiepolitik schon etwas
länger unterwegs als ich und wissen genau, dass es in der
Europäischen Union viele Staaten gibt - Sie haben das
gerade auch gesagt -, die weiterhin auf die Kernenergie
setzen. Es gibt sogar viele Länder, die bereit sind, neue
Kernkraftwerke zu bauen. Ich glaube, es ist in unserem
ureigenen Interesse, dass die Sicherheit der Kernkraftwerke, die weiterhin bestehen und neu gebaut werden,
auf dem höchsten Niveau in der Welt bleibt. Wenn ein
Atomkraftwerk in Europa - ({0})
- Die deutschen Technologien in diesem Bereich waren
immer führend und haben dafür gesorgt, dass vor allem
die Kernkraftwerke in Europa auf höchstem Sicherheitsniveau bleiben. Das sollte in unserem Interesse sein.
Deshalb sollten wir den Euratom-Vertrag weiterhin unterstützen.
({1})
Wir sollten weiterhin Geld investieren, damit die Kernkraftwerke in Europa sicher bleiben und damit auch unsere eigene Sicherheit weiterhin gewährleistet ist.
Angela Merkel hat im Übrigen in den letzten Monaten, nach Fukushima, eine hervorragende Arbeit im
Europäischen Rat geleistet, um andere europäische Staaten, die weiterhin auf Kernenergie setzen, von dem Weg
zu überzeugen, weiterhin in die Sicherheit zu investieren
und die Sicherheitsstufen weiter zu erhöhen. Wir werden
in den nächsten Tagen von der Kommission die Ergebnisse des Stresstests erhalten. Daraus werden konkrete
Handlungsempfehlungen folgen, die, wie gesagt, auch
unsere Sicherheit weiter befördern. Insofern sind wir da
auf dem richtigen Weg.
Herzlichen Dank.
({2})
Wir sind jetzt nicht im Dialog. Das war die Möglichkeit, auf die Kurzintervention zu antworten. - Das Wort
hat nun der Kollege René Röspel für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Als der Euratom-Vertrag vor mehr als 50 Jahren
geschlossen wurde - wir haben schon ein bisschen dazu
gehört -, wurde die Debatte um die Kernenergie - damals hieß es noch „Kernenergie“, später hieß es „Atomkraft“ - einerseits von einer dramatischen Erkenntnis in
der Welt und andererseits von einer großen Hoffnung begleitet und getragen.
Die dramatische Erkenntnis ist durch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki entstanden:
Die Atomenergie darf niemals zu militärischen Zwecken
genutzt werden, weil die Konsequenzen für die Menschheit verheerend wären. Gleichzeitig gab es die große
Hoffnung, dass die friedliche Nutzung der Atomkraft einen Beitrag zur Energieversorgung leisten könnte. Unter
den damals herrschenden Eindrücken war es wahrscheinlich folgerichtig, dass man in Europa gemeinsam
eine neue Technologie entwickeln und friedlich nutzen
wollte und so eben auch gemeinsam verhindern konnte,
dass sie zu unfriedlichen Zwecken genutzt werden kann.
Das ist jetzt mehr als 50 Jahre her. Was ist geblieben?
Sicherlich die dramatische Erkenntnis über die verheerenden Auswirkungen der militärischen Kernenergienutzung. In den letzten 50 Jahren gab es auch Vorkommnisse wie die in Harrisburg, Tschernobyl und
Fukushima, die dazu geführt haben, dass sich die große
Hoffnung auf der anderen Seite aufgelöst hat. Die Nutzung der Atomkraft ist nicht mehr rational begründbar,
zumal die Endlagerprobleme nach wie vor nicht gelöst
sind.
({0})
In diesen 50 Jahren hat sich also viel verändert, jedoch eines so gut wie gar nicht, nämlich der EuratomVertrag. Herr Kollege Bareiß, wenn man in diesen Vertrag schaut, kann man lesen - das haben der Kollege Fell
und die Kollegin Kotting-Uhl richtig erwähnt -, dass das
Ziel des Euratom-Vertrags darin bestehe - ich zitiere ungefähr -, eine mächtige Kernindustrie in Europa auszubauen und die Atomkraft zu fördern.
Wer das nach über 50 Jahren nach wie vor für ein erstrebenswertes Ziel einer gemeinsamen verantwortlichen
europäischen Forschungs-, Wirtschafts- und Energiepolitik hält, hat nichts dazugelernt.
({1})
Deswegen ist es eindeutig richtig, dass der Euratom-Vertrag mindestens verändert werden muss.
Bereits die rot-grüne Bundesregierung hat 2003 im
Rahmen der Verhandlungen über den Lissabon-Vertrag
in einer Anmerkung an den Konvent deutlich gemacht,
dass sie glaubt, dass auch der Euratom-Vertrag verändert
und neu ausgerichtet werden müsse.
2007 hat es unter der Großen Koalition, als der Lissabon-Vertrag in die Schlussphase ging, ein Protokoll nicht
nur von der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch
von weiteren europäischen Staaten gegeben, die ausdrücklich betonten, dass es eine Neuausrichtung des
Euratom-Vertrages geben müsse, weil die Zeit über ihn
hinweggegangen sei und die Zielsetzung eine andere
sein müsse. Das war im Jahr 2007, also vor Fukushima.
Jedoch hat diese Bundesregierung - es wäre interessant gewesen, zu erfahren, wie weit sie sich eigentlich in
der Tradition der außenpolitischen Handlungsweise ihrer
Vorgängerregierung aufgehoben fühlt bzw. sie weiterführt - in den letzten sieben Jahren dazu nichts getan.
Die rot-grüne nordrhein-westfälische Landesregierung hat eine Initiative im Bundesrat auf den Weg gebracht, um den Euratom-Vertrag zu verändern und neu
auszurichten. Richtig ist - das spiegelt sich im GrünenAntrag wider, der fast wortgleich ist -, dass die Sonderstellung der Kernenergie bezüglich Baugenehmigungen,
Forschungsförderung und anderer Möglichkeiten, die im
Euratom-Vertrag fast manifestiert ist, beendet werden
muss. Kernenergie kann nicht mehr mindestens bevorzugt behandelt werden, sondern muss eher nachrangig
gegenüber Energieeffizienz und erneuerbaren Energien
in Europa und in Deutschland behandelt werden.
Eine weitere Forderung in dieser Landesregierungsinitiative aus Nordrhein-Westfalen lautet - anders als Sie
es dargestellt haben, Herr Bareiß -, ausdrücklich dafür
Vorkehrungen zu treffen und Forschungen zu betreiben,
dass die Sicherheitsstandards beim Betrieb von Atomkraftwerken in Deutschland und in Europa möglichst
hoch sind. Ebenfalls sollen bei der Entsorgung die Voraussetzungen und die Sicherheitsstandards so hoch wie
möglich sein.
All diese Punkte bis hin zur Neuausrichtung des Euratom-Vertrags finden sich im Grünen-Antrag wieder, den
wir deswegen in diesen Punkten ausdrücklich begrüßen.
Der Text entspricht wortgleich der Initiative der rot-grünen Landesregierung - ergänzt um zwei wichtige andere
Punkte. Ein Punkt ist inhaltsgleich mit einer Forderung
der Bundesratsinitiative der grün-roten baden-württembergischen Landesregierung, ausdrücklich eine europäische Gemeinschaft für erneuerbare Energien auf den
Weg zu bringen.
({2})
Auch das ist ein richtiger Schritt. Wir sind in dieser
Frage rot-grün-koalitionär und halten es für inhaltlich
begründet, das zu unterstützen.
({3})
Zu einem Punkt, der nicht in der Initiative der rot-grünen Landesregierung enthalten ist, haben wir mindestens
Diskussionsbedarf, wenn nicht vielleicht sogar Dissens.
Er betrifft die Frage, ob man aus dem Euratom-Vertrag
einseitig aussteigen bzw. ihn einseitig kündigen kann.
Ich habe die Bundesregierung im Mai dieses Jahres
gefragt, ob sie es für möglich halte, dass Deutschland
einseitig aus diesem europäischen Euratom-Vertrag aussteigt. Sie hat diese Frage verneint. In der Antwort der
Bundesregierung steht auch, ein Ausstieg aus Euratom
sei nur denkbar, wenn es einen Ausstieg der Bundesrepublik Deutschland aus der Europäischen Union gibt.
({4})
Uns liegt glücklicherweise auch eine Antwort des
Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages
auf eine Anfrage des Genossen Marco Bülow vor, die
eine Reihe guter Argumente enthält. Ich finde, sie sind
nachvollziehbar. Darin wird - das hat auch Kollegin
Kotting-Uhl gesagt - es ausdrücklich für möglich gehalten, dass Deutschland einseitig aus dem Euratom-Vertrag aussteigt, ohne damit europäisches Recht zu verletzen. Es gibt eine Reihe guter juristischer Argumente.
Es stellt sich eine andere Frage in diesem Bereich
- außerhalb der juristischen Unwägbarkeit, ob es möglich ist oder nicht -, nämlich ob es sinnvoll ist, sich aus
einem Verein zurückzuziehen, den man eigentlich verändern will. Wir halten das für nicht sinnvoll. Ohne in einen Topf mit der rechten Seite des Hauses geworfen
werden zu wollen - in den anderen Punkten unterscheiden wir uns deutlich -, sage ich: Wenn wir Euratom verändern wollen, dann müssen wir das innerhalb Euratoms
versuchen, und zwar mit europäischen Bündnispartnern,
wobei die Bundesregierung längst aufgerufen ist, diese
Bündnispartner zu organisieren.
Es gibt in Europa unterschiedliche Sichtweisen zur
Nutzung der Atomenergie. Es gibt Staaten, die aussteigen wollen, und es gibt Staaten, die Atomenergie weiterhin nutzen wollen. Ich finde, dass die Bundesrepublik innerhalb von Euratom die Aufgabe wahrnehmen muss,
den Vertrag zu verändern, weg von der Atomenergie hin
zu erneuerbaren Energien.
({5})
Nehmen wir uns ein Beispiel am erfolgreichsten
Atomland der Europäischen Union, das ist Österreich.
Österreich hat das beste Atomkraftwerk, das es weltweit
gibt:
({6})
Das war das AKW Zwentendorf. Es ist niemals in Betrieb genommen worden.
({7})
Auf dem Gelände dieses Atomkraftwerks gibt es heute
eine sehr große Photovoltaikanlage, die 180 000 Kilowattstunden Strom erzeugt. Wir sollten gemeinsam mit
Österreich und anderen Vorbildern versuchen, den
Euratom-Vertrag in Richtung einer sonnigen Zukunft zu
verändern.
({8})
Wir werden diesen Antrag weiterhin sehr interessiert
diskutieren.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Martin Lindner für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren!
Was wir von der Opposition gehört haben, ist sattsam
bekannt, das ist Ihre Einstellung zur Atomkraft.
({0})
- Nein, darum geht es in dem Antrag nicht. Es geht nicht
um unsere wechselseitigen Einstellungen zur Nutzung
der Kernkraft. Vielmehr geht es in dem Antrag darum,
den Euratom-Vertrag zu ändern, den Atomausstieg europaweit voranzubringen und das Atomprivileg zu beenden.
({1})
In Ihrem Antrag fordern Sie - das steht vor allem unter Punkt III.e -, dass sich dafür Deutschland einsetzt,
dass der europaweite Ausstieg aus der Nutzung der
Atomkraft vorbereitet wird. Eine demokratische Kontrolle soll durch das Europäische Parlament gewährleistet werden. Sie glauben doch selber nicht im Ernst - wir
sind hier unter uns, es ist kaum einer hier im Raum -,
dass das auch nur ansatzweise Erfolg haben kann.
({2})
Wie ist denn die Situation in Europa nach dem einseitigen Ausstieg Deutschlands aus der Nutzung der Atomkraft? Wir stellen fest, dass es eine gegenteilige Bewegung gibt. Die Polen bauen ein Atomkraftwerk - die
haben sich von Ihnen bzw. von uns - das muss man auch
sagen - nicht davon abbringen lassen -,
({3})
Frankreich genießt seine Singularität im Bereich der
Kernkraftnutzung,
({4})
und Großbritannien wirbt in der deutschen Industrie
ganz offensiv für Zuwanderung mit dem Hinweis auf
günstige Strompreise.
Dr. Martin Lindner ({5})
({6})
Vor allen Dingen in Zusammenhang mit der EuroKrise wird uns vorgehalten, dass wir deutsche Interessen
massiv durchsetzen würden. Glauben Sie ernsthaft, dass
wir insbesondere in diesem zeitlichen Kontext andere
Staaten in der EU dazu bringen, das von ihnen genossene Privileg aufzugeben?
({7})
Das kann nicht sein. Diese Vorstellung ist wirklich abwegig.
Schauen wir uns den Vertag genauer an. Lassen wir
die Präambel weg. Im Bereich der Nichtverbreitung, der
Versorgungssicherheit und der Grundnormen für Strahlenschutz funktioniert er gut. Ich habe mir angeschaut,
wie die Förderung - dies kritisieren Sie nämlich - zahlenmäßig aussieht. Für die Jahre 2012 und 2013 ist ein
Budget von insgesamt 2,5 Milliarden Euro vorgesehen,
davon sind 2,2 Milliarden Euro - das war vorhin Ihre
Frage -, also 86 Prozent, für Kernfusionsforschung vorgesehen.
({8})
Für die Forschungsprojekte im Bereich der Kernspaltung
einschließlich Strahlenschutz werden 118 Millionen
Euro bereitgestellt. Die Nuklearforschungsarbeiten und
die Arbeiten zur Gewährung der kerntechnischen Sicherheit der Gemeinsamen Forschungsstelle der Kommission, JRC, werden mit 233 Millionen Euro unterstützt.
Wo soll denn da - das haben Sie suggeriert - eine Subvention des Bereichs der Kernenergie beinhaltet sein?
({9})
Das sind im Wesentlichen, zu 86 Prozent, Projekte, die
der Kernfusionsforschung dienen. Ansonsten fließen die
Mittel in den Bereich der Reaktorsicherheit.
Wenn man sich die weiteren Aufgaben von Euratom
anschaut, stellt man fest, dass die Setzung von Sicherheitsstandards dazugehört. Des Weiteren wird dort alles,
was mit Strahlenschutz und Entsorgung zusammenhängt, behandelt.
({10})
Es geht auch um die wechselseitige Verpflichtung und
die Erklärung, dass sämtliches Nuklearmaterial innerhalb der EU Eigentum von Euratom ist, um die friedliche Nutzung sicherzustellen. Für Frankreich und Großbritannien gelten Sonderklauseln, für die anderen nicht.
Das ist im Euratom-Vertrag geregelt.
Natürlich müssen wir an Euratom mitwirken.
({11})
Kollege Röspel, ich danke Ihnen, dass Sie trotz aller Lyrik herausgestellt haben - wenigstens da haben wir eine
Gemeinsamkeit -, dass jenseits der juristischen Betrachtung der Frage, ob man sich einseitig von diesem Vertrag
lösen kann, es auf keinen Fall politisch sinnvoll ist, sich
einseitig aus dieser Gemeinschaft für Reaktorsicherheit
und für Strahlenschutz zu verabschieden. Das wäre verantwortungslos.
({12})
Das ist nichts anderes als populistische Verantwortungslosigkeit. Sie können doch nicht so dumm sein, ernsthaft
zu unterstellen,
({13})
dass dieser Vertrag wirklich zu ändern ist. Das heißt, der
einzige Kerngehalt Ihres Antrags findet sich unter
Punkt IV, wo steht:
Sollte diese Neuausrichtung auf europäischer
Ebene nicht durchsetzbar sein, fordert der Deutsche
Bundestag die Bundesregierung auf, den EuratomVertrag von deutscher Seite aus zu kündigen.
({14})
Da Sie nicht so dumm sind, zu glauben, dass Ihre Forderung unter Punkt III jemals in Erfüllung geht - wir leben
nämlich nicht im Pippi-Langstrumpf-Land: Ich bastel
mir die Welt, so, wie sie mir gefällt -,
({15})
ist klar, dass es auf Punkt IV hinausläuft. Das wäre
schlichtweg unverantwortlich.
({16})
Kündigen heißt, nicht mehr bei den Verhandlungen
über die Sicherheitsstandards dabei zu sein. Kündigen
heißt, nicht mehr bei der Überwachung mitzureden.
Kündigen heißt, sich aus der Verantwortung herauszustehlen, völlig ungeachtet der Frage, dass die Kernkraftwerke in den allermeisten Ländern in Europa auch in den
nächsten 20, 30, 40 Jahren weiterbetrieben werden.
Dann haben Sie uns auch noch eine Partnerschaft mit
Österreich empfohlen.
({17})
Dr. Martin Lindner ({18})
Zwentendorf ist ein wunderbares Beispiel. Wissen Sie,
das Problem von Österreich war doch, dass Österreich
aufgrund der Tatsache, dass es die Kernkraft nie genutzt
hat und dass das Kernkraftwerk Zwentendorf nie in Betrieb genommen wurde, bei allen Fragen nicht ernst genommen wurde. Es ist doch klar: Wenn man nicht dabei
ist, wenn man nicht in der Verantwortung steht, dann hat
man auch nicht mitzureden, dann kann man eben nicht
mitgestalten.
({19})
Das empfehlen Sie uns als Weg für Deutschland, für die
größte Industriemacht in Europa, die immer noch Kernkraftwerke hat. Das ist unverantwortlicher Populismus.
Dem schließt sich die Regierung selbstverständlich nicht
an.
Herzlichen Dank.
({20})
Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man merkt auch in dieser Debatte deutlich, dass die
Bundesregierung den Atomausstieg in diesem Frühjahr
erzwungenermaßen beschlossen hat
({0})
und es ein Fehler war, dass das Hohe Haus nicht unserer
Forderung nachgekommen ist, den Atomausstieg im
Grundgesetz niederzuschreiben; denn das, was jetzt passiert, ist umkehrbar. Diese beiden Fraktionen wollen auf
jeden Fall zurück zur Kernenergienutzung. Das wurde
auch in dieser Debatte wieder deutlich.
({1})
Wir haben vor etwa vier Wochen einen Antrag zu
Euratom in den Bundestag eingebracht. Wir freuen uns,
dass die Grünen jetzt einen ähnlichen Antrag einbringen.
Wie ich gehört habe, will auch die SPD einen Antrag
einbringen. Vor vier Wochen hat der Bundestag entschieden, unseren Antrag in den Europaausschuss zu überweisen. Dort ist bereits eine Anhörung geplant. Weil die
Federführung heute strittig ist, appelliere ich an Sie, diesen Antrag an den gleichen Ausschuss zu überweisen;
denn es macht wenig Sinn, eine Anhörung im Europaausschuss durchzuführen, wenn ein ähnlicher Antrag im
Wirtschaftsausschuss behandelt wird. Deshalb fordere
ich Sie auf: Überweisen Sie den Antrag mit in den Europaausschuss.
Zum Antrag der Grünen. Unseres Erachtens geht dieser Antrag nicht weit genug; Sie haben eine zu lasche
Haltung. Wenn wir aus der Atomkraftnutzung aussteigen
wollen, dann, glaube ich, müssen wir mit dem Fossil
Euratom wirklich Schluss machen.
({2})
Es ist nicht ausreichend, nur Vertragsänderungen vorzunehmen. Aber das passt ein Stück weit zu Ihrem sonstigen Verhalten. Vor einem halben Jahr wurde der Atomausstieg mit Ihrer Unterstützung beschlossen. Auch
damals - das muss man sagen - ist man vor der Atomlobby und den Energieriesen eingeknickt. Jetzt ist es
ähnlich. Die Fraktion der Grünen springt meines Erachtens nicht weit genug. Wir müssen Euratom auflösen.
({3})
Mit der Mitgliedschaft in Euratom verschwendet die
Bundesregierung - das wurde schon angesprochen jährlich Millionen von Euro für die europäische Atomlobby und Nuklearindustrie. Insbesondere fördert sie damit auch die Erforschung der Kernfusion, eine Energieform, die möglicherweise erst 2050 nutzbar ist.
({4})
Jeder weiß, dass wir in Europa 2050 zu 100 Prozent erneuerbare Energien wollen. Das heißt, man fördert etwas, das man 2050 gar nicht mehr haben möchte. Insoweit ist das eine Verschwendung von Steuergeldern.
({5})
Das Geld wird nicht, wie immer wieder behauptet, in
die Verbesserung von Sicherheitsvorkehrungen oder von
Strahlenschutz investiert. Wir haben festgestellt, dass
Euratom gerade da große Mängel aufweist. Erst nach
den Ereignissen in Fukushima sind die sogenannten
Stresstests bei den AKW durchgeführt worden. Wenn
Euratom so toll wäre, wären diese Stresstests nicht erst
nach den Ereignissen in Fukushima durchgeführt worden.
Die deutsche Bevölkerung wurde - ich habe es bereits
erwähnt - mit einem schlechten Atomausstiegsgesetz
zufriedengestellt. Jetzt wird, wenn wir Euratom nicht
verändern oder beenden, dieser Atomausstieg in Deutschland über die europäischen Umwege konterkariert; denn
das, was wir im Rahmen von Euratom weiterhin fordern,
ist das Gegenteil von dem, was der Bundestag hier im
Frühjahr entschieden hat. Die Vorredner sind darauf eingegangen.
({6})
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, endlich
Nägel mit Köpfen zu machen, damit wir über die europäische Bande nicht eingeholt werden. Das entspricht
nicht dem Willen der Bevölkerung.
Von Rednern der CDU/CSU, in der Vergangenheit
auch von Rednern der SPD, aber insbesondere von Rednern der FDP wurde immer wieder erwähnt, man könne
aus dem Vertrag nicht aussteigen. Das ist Quatsch. Mit
dem Vertrag von Lissabon wurde Euratom strukturell
aus der EU ausgegliedert. Die EU und die Europäische
Atomgemeinschaft sind eigenständige Organisationen.
Deshalb kann man aus Euratom aussteigen. Auch wir
haben beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages
ein Gutachten angefordert. Man bestätigt uns, dass man
natürlich aussteigen kann, dass sich juristisch überhaupt
keine Probleme ergeben, wenn man aus Euratom aussteigt.
Wir wollen den Atomausstieg. Machen Sie mit. Überweisen Sie den Antrag in den Europaausschuss. Wir
werden dieses Thema dann in der Anhörung mit Experten erörtern. FDP und CDU/CSU wollen weiterhin an
der Atomenergienutzung festhalten. Sie wollen weiterhin den Energieriesen das Geld hinterherwerfen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! „Die
Welt braucht Kernenergie“, und die verantwortlichen
Politiker dürfen sich dabei weder von „Umweltidioten“
noch von „Gerichten, die alles kaputtmachen“, bremsen
lassen. Das sagte
({0})
Helmut Schmidt, nachzulesen im Spiegel vom 18. Juni
1979.
({1})
Ich zitiere das, weil ich etwas deutlich machen will.
({2})
- Ich wollte Ihnen gerade recht geben, und Sie schreien
jetzt schon wieder. - In der Tat sind die Perspektiven bei
der Betrachtung des Themas, über das wir hier diskutieren, seit den 50er-Jahren wechselnd und vielfältig. Es ist
nicht von der Hand zu weisen, dass man über den einen
oder anderen Punkt des Euratom-Vertrages diskutieren
muss. In diesem Sinne hat das die damalige deutsche
Bundesregierung in der Schlussakte des Vertrages von
Lissabon am 13. Dezember 2007 so festgelegt. Es ist zunächst einmal richtig, dass man über diese Themen diskutiert.
({3})
Nicht akzeptabel ist, dass Sie wieder den einseitigen
Ausstieg, die Kündigung fordern, wenn auch mit einer
gewissen anderen Akzentuierung als bei den vorhergehenden Anträgen von Ihnen. Wir diskutieren nun leider
nicht zum ersten Mal darüber, sondern zum x-ten Mal;
ich kann mich jedenfalls erinnern, mehrfach zu diesem
Thema gesprochen zu haben.
Auch in diesem Zusammenhang kann ich Ihnen etwas
vorlesen, und zwar aus einer Publikation vom Juli 2003.
Im Magazin für erneuerbare Energien - es steht nicht im
Verdacht, eine Sonderedition des Bayernkuriers zu
sein ({4})
hieß es:
Das BMU verweist schlicht darauf, dass das Auswärtige Amt zuständig sei. Ressortchef Joschka
Fischer wiederum besteht auf der gegenteiligen
Rechtsauffassung, Euratom sei nicht einseitig kündbar.
({5})
Wenn Sie uns nicht glauben, meine Damen und Herren,
dann glauben Sie doch Ihrem ehemaligen Bundesaußenminister,
({6})
der hier, wie ich fürchte, richtig zitiert wurde.
Also: Eine einseitige Kündigung kommt nicht infrage, juristisch nicht und auch politisch nicht, und zwar
schlicht und schlank deshalb, weil im Euratom-Vertrag
mehr geregelt ist als das, was Sie die Öffentlichkeit
gerne glauben machen wollen. Natürlich geht es auch
um Sicherheitsfragen, um Fragen der Nuklearmedizin,
der Forschung, der Wissenschaft, der Nichtverbreitung
von nuklearem Material und der Entwicklung und Einhaltung von einheitlichen Sicherheitsnormen.
({7})
- Nein.
({8})
Das behaupten doch Sie. Legen Sie mir nicht den Unsinn, den Sie an dieser Stelle behaupten, in den Mund!
({9})
Das ist falsch. Sie wollen am Ende und unter dem Strich
einseitig aussteigen.
(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/
CSU] - Sylvia Kotting-Uhl ({10})
Immerhin konstatieren Sie in Ihrem Antrag ausnahmsweise - in Teilen scheinen Sie offenbar in der
Realität angekommen zu sein -, dass die Atomenergie
noch einige Zeit Teil des Energiemixes vieler Mitgliedstaaten sein wird; das steht da.
({11})
Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Röspel?
Ungern. Aber ich befürchte, er meldet sich sonst zu
einer Kurzintervention. Dann dauert es noch länger.
({0})
Also, bitte schön.
Ich mache es ganz kurz. - Da Sie immer auf dem
Ausstieg bzw. der einseitigen Kündigung herumreiten,
frage ich Sie: Sind Sie denn mit allen anderen Forderungen einverstanden - dann könnten wir die Debatte abkürzen -, und wann wird die Bundesregierung endlich
entsprechende Verhandlungen auf europäischer Ebene
führen?
All das wollte ich noch vortragen.
({0})
Nun habe ich aber die Chance, dies nicht in meiner normalen Redezeit, sondern in Antwort auf Ihre Frage zu
tun.
({1})
Ich beginne mit Punkt III.a des Antrags. Dort sprechen sich die Grünen gegen die Forschungsförderung
aus. Ich sage Ihnen ganz offen: Wir werden uns doch
hoffentlich einig sein, dass man im Hinblick auf die Sicherheit weiterforschen muss.
({2})
Was das Thema Kernfusion betrifft, kann man rückblickend sagen: Hier ist wenig herausgekommen. Das heißt
aber nicht, dass dort in Zukunft nichts passieren wird. Im
Übrigen ist die Forschung von weltweiter Bedeutung.
Angesichts des Energiehungers, den 7 Milliarden Menschen auf dieser Welt entwickeln werden, muss man
über die eine oder andere Option nachdenken und - so
sehr ich sie schätze - auch über den Tellerrand der erneuerbaren Energien blicken.
Ich fahre fort und komme auf Punkt III.e des Antrags
zu sprechen.
({3})
„Der europaweite Ausstieg aus der Atomkraft soll vorbereitet werden.“
({4})
Mir stellt sich die Frage, wie dies mit der Feststellung zu
vereinbaren ist, dass wir momentan eine ganz andere
Entwicklung erleben, nämlich die Entwicklung, dass
man beispielsweise in Polen,
({5})
wie der Kollege Lindner beschrieben hat, in eine ganz
andere Richtung denkt und neue Kernkraftwerke baut.
({6})
Wenn Tschechien erst die entsprechenden Anträge auf
den Tisch legt, werden sich viele darum bemühen,
Deutschland Strom liefern zu können. Das ist nun einmal die Realität, mit der Sie umgehen müssen.
Viel spannender als immer nur den Euratom-Vertrag
zu thematisieren, wäre, auch einmal über die Frage nachzudenken, was wir im europapolitischen Kontext unternehmen können. - Sie können darüber auch untereinander diskutieren; dann muss ich mich hier nicht abmühen. Ich wäre eng an Ihrer Seite, wenn man endlich Druck
machen und darauf hinwirken würde, dass das Thema
Kernenergie und Sicherheit auf europäischer Ebene zum
Topthema wird. Stattdessen geht es meistens darum, was
uns alles aus Brüssel blüht. Jetzt will man uns sogar diktieren, wie wir hierzulande Maßnahmen zur Energieeffizienz umzusetzen haben. Über den Vorschlag, dass die
Bürgerinnen und Bürger ihren Energieverbrauch um
1,5 Prozent pro Jahr senken sollen, soll schon diskutiert
worden sein. Das soll zwangsweise geschehen. Das ist
planwirtschaftlich. Hier werden wir von Brüssel dirigiert. Es wäre doch besser, wenn wir über das wirkliche
Thema, das europaweit und grenzüberschreitend eine
Rolle spielt, nämlich die Sicherheit, diskutierten. Hier ist
Euratom eine Basis. Entscheidend ist aber doch, dass wir
das europapolitisch nach vorne stellen und nicht die
Kleinigkeiten, die von Brüssel aus ganz gerne auf uns
einwirken sollen.
Das halte ich für viel entscheidender, als dass Sie uns
hier laufend mit demselben Antrag bombardieren, der
sich immer nur in Nuancen von dem unterscheidet, was
Sie hier kurz vorher vorgetragen haben.
({7})
Das ist nicht erbaulich. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie
dieses Thema ein bisschen konstruktiver begleiten würden.
({8})
Gerne kann man mit den Nachbarländern über die
Frage diskutieren, wie es mit der europäischen Kernenergie weitergeht. Ich sage Ihnen aber auch: Sie werden
unserem Beispiel nur folgen, wenn wir zeigen können,
dass man auf der einen Seite sukzessive aus der Kernenergie aussteigen und auf der anderen Seite Wachstum
und Wohlstand sichern kann.
({9})
Hier können Sie Ihren Beitrag leisten. Ich konstatiere
aber, dass Sie sich sonst, wenn es konkret wird, üblicherweise immer nur sperren. Immer dann, wenn es um Speicherkraftwerke, Netze, Windräder und andere Dinge
geht,
({10})
immer dann, wenn es konkret wird, sind Sie nicht dabei.
Sie verkünden hier das Allgemeine und sperren sich im
Konkreten.
({11})
- Ja, das muss man hier halt auch immer und immer wieder sagen. Fahren Sie doch einmal in den Schwarzwald
und diskutieren Sie dort mit der Kreisvorsitzenden der
Grünen, warum sie gegen das große Speicherkraftwerk
ist. Das wäre eine spannende Sache. Dadurch könnten
Sie einen größeren Beitrag zur Energiewende in
Deutschland leisten als durch solche Schaufensteranträge.
In diesem Sinne: Vielen Dank.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7670 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP
wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
wünscht Federführung beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für die Angelegenheiten der
Europäischen Union. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 22. November 2011, 10 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen im Rahmen der Möglichkeiten ein
schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.