Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich zur ersten Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im neuen Jahr. Da es gute Wünsche kaum zu viel
geben kann, nutze ich gerne die Gelegenheit, Ihnen allen
persönlich und uns gemeinsam ein gutes und erfolgreiches neues Jahr zu wünschen.
Der Kollege Franz Müntefering hat am vergangenen
Samstag seinen 70. Geburtstag gefeiert,
({0})
und einige Tage zuvor haben die Kollegin Dr. Christel
Happach-Kasan und der Kollege Willi Zylajew runde
Geburtstage gefeiert. Im Namen des Hauses Ihnen alle
guten Wünsche für das neue Lebensjahr!
({1})
Bevor wir in unsere vereinbarte, ausgedruckte Tagesordnung eintreten, haben wir einen Geschäftsordnungsantrag zu behandeln. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung
um die Beratung ihres Antrags mit dem Titel „Umsatzsteuerermäßigung für Hotellerie zurücknehmen“ zu erweitern.
({2})
Zur Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Kollegen Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen, unseren Antrag „Umsatzsteuerermäßigung für
Hotellerie zurücknehmen“ zusammen mit dem Einzelplan des Bundesministeriums der Finanzen hier heute zu
beraten. Als wir die Tagesordnung für diese Woche
vereinbart haben, war das Wachstumsbeschleunigungsgesetz noch nicht verabschiedet und waren die Hintergründe und Konsequenzen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes noch nicht in vollem Umfang bekannt.
Nach Ihrem Finanzplan geht es um ein Volumen von
1 Milliarde Euro jährlich, nach Meinung der Experten in
der Sachverständigenanhörung um 2 Milliarden Euro.
Angesichts der dramatischen Haushaltssituation ist es
notwendig, eine Korrektur anzubringen, die noch im
Bundeshaushalt 2010 Berücksichtigung finden kann.
Deshalb ist die heutige Beratung unseres Antrages im
Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt dringend erforderlich.
({0})
Sie mögen jetzt einwenden - Kollege Kauder hat es
mir gerade auf meinem Weg zum Rednerpult hinterhergerufen -: Es geht um den Haushalt. Natürlich ist das
eine haushaltsrelevante und eng im Zusammenhang mit
dem Bundeshaushalt stehende Frage. Aber ich möchte
daran erinnern: In Ihrer letzten Koalition, Herr Kauder,
haben Sie in ersten Lesungen des Bundeshaushaltes immer wieder Anträge zugelassen, die noch nicht einmal
im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt standen.
Ich erinnere an das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2007,
den Antrag der Koalition „Die weltweit letzten
100 westpazifischen Grauwale schützen“
({1})
und an 2006, wo es um Belarus nach den Präsidentschaftswahlen ging. Meine Damen und Herren: Lassen
Sie diesen Antrag heute zu!
({2})
Die Umsatzsteuersenkung für Hotellerie ist Klientelpolitik reinsten Wassers.
({3})
Redetext
Volker Beck ({4})
Sie verfehlt das angebliche Ziel der Koalition, Steuervereinfachungen durchzuführen. Die Wirtschaftsverbände - acht große Verbände - haben Ihnen diese Woche
einen Brief geschrieben, in welchem sie eine Korrektur
dieser Regelung verlangen; denn diese Regelung führt
bei den Betrieben zu mehr Bürokratie. Der Aufwand für
Reisekostenabrechnungen wird steigen. Ein Teil der
Kosten, nämlich die Frühstücksregelung, wird in Zukunft lohnsteuerpflichtig werden.
({5})
Herr Kollege Beck!
All diese Fragen zeigen, dass Ihr Gesetz das Ziel verfehlt. Deshalb müssen wir heute im Rahmen der Haushaltsberatungen entsprechend darüber diskutieren, Herr
Präsident, weil die Sachlage damals nicht bekannt war.
({0})
Es ist wichtig, dass der Deutsche Bundestag in der ersten
Sitzungswoche des neuen Jahres eine entsprechende
Korrektur vornimmt und für die Betriebe und Unternehmen im Land Rechtsklarheit schafft.
Herr Kollege Beck, Sie wissen ja, dass mein besonderes Wohlwollen Sie jederzeit begleitet.
({0})
Ich muss Sie dennoch darauf aufmerksam machen, dass
Sie im Augenblick zur Geschäftsordnung reden und eine
Debatte zur Sache erst erfolgen kann, wenn der Punkt
aufgesetzt wurde.
({1})
Das ist richtig, Herr Präsident. Ich weiß, dass Sie immer die notwendigen geschäftsleitenden Hinweise geben. Das schätze ich außerordentlich.
({0})
Ich habe ja auch begründet, warum heute hier, im Deutschen Bundestag, eine Debatte im Zusammenhang mit
dem Bundeshaushalt nach der Geschäftsordnung dringend erforderlich ist.
({1})
Es ist erforderlich, dass wir als Bundestag sofort
reagieren, weil in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, dass man in diesem Land politische Entscheidungen kaufen kann.
({2})
Für die Steuerbegünstigung für Übernachtungen gibt es
keinen fachlichen Grund. Sie führt nicht zu Wachstum,
sondern zu mehr Bürokratie, und sie kostet den Staat
2 Milliarden Euro im Jahr. Es gibt kein vernünftiges Argument dafür, außer den 1,1 Millionen Argumenten in
der Schatzmeisterei der FDP.
({3})
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten vom Deutschen
Bundestag, dass er sich mit dieser Frage unverzüglich, in
der ersten Sitzungswoche des Jahres, beschäftigt, weil
sie eine generelle Kritik an der Politik haben. Sie haben
den Eindruck, dass hier etwas nicht richtig läuft. Meine
Kollegen von der FDP, diese Spende mag legal sein, in
Ordnung ist sie deshalb noch lange nicht.
({4})
Deshalb fordere ich Sie, meine Damen und Herren
von der Koalition, auf: Drücken Sie diese Debatte heute
im Deutschen Bundestag nicht weg! Lassen Sie zu, dass
wir hier und heute über die Rücknahme dieser unseligen
steuerrechtlichen Klientelpolitik debattieren und unseren
Antrag zusammen mit dem Bundeshaushalt verabschieden können!
Meine Kollegen von der FDP, Ihnen sei geraten, die
Spende an August Baron von Finck zurückzuüberweisen. Sie würden Ihrer Partei und der Demokratie in
Deutschland damit einen Dienst erweisen.
({5})
Das Wort erhält nun der Kollege Peter Altmaier für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist
durchsichtig,
({0})
er ist unehrlich, er ist problematisch für die politische
Kultur, und er ist für die wirtschaftliche Entwicklung
tendenziell schädlich,
({1})
und deshalb lehnen wir ihn ab.
({2})
Ich will diese Ablehnung im Einzelnen begründen: Er
ist durchsichtig. Herr Kollege Beck, das haben Sie selbst
vorweggenommen.
({3})
Wir befinden uns in der Haushaltsdebatte. Es ist geradezu die Natur der Haushaltsdebatte, dass über alle politisch relevanten Themen und Vorgänge im Rahmen der
Haushaltsberatungen diskutiert werden kann: im Rahmen der Generalaussprache, im Rahmen der Aussprache
zum Finanzteil, im Rahmen der Aussprache zum Wirtschaftsteil. Sie hätten und Sie haben Möglichkeiten ohne
Ende, die Themen, die Sie interessieren, zur Sprache zu
bringen.
({4})
Dass Sie gestern Abend einen in aller Eile zusammengestoppelten Antrag eingereicht haben, zeigt, dass es Ihnen
nicht um die Sache geht, sondern nur darum, einen billigen PR-Effekt zu erzielen. Dabei machen wir nicht mit.
({5})
Ihr Geschäftsordnungsantrag ist darüber hinaus in
höchstem Maße unehrlich, und zwar aus zwei Gründen.
Der erste Grund: Sie tun so, als ob die Mehrwertsteuerermäßigung im Bereich des Hotelgewerbes über
Nacht vom Himmel gefallen ist, nachdem ein Unternehmer, der zufällig auch Hotels betreibt, an die FDP gespendet hat.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ehrlichkeit gebietet es, darauf hinzuweisen, dass diese Debatte
begonnen hat, nachdem der damalige Bundeskanzler
Gerhard Schröder seinem damaligen französischen Präsidentenkollegen Chirac zugesagt hat, sich in der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass genau diese Ermäßigungen möglich werden. In der Folge hat rund die
Hälfte aller europäischen Länder davon Gebrauch gemacht.
({7})
Ich habe nicht gefragt, ob Bundeskanzler Schröder damals Spenden von irgendjemandem aus diesem Bereich
erhalten hat.
({8})
- Sie können noch so laut schreien. Dadurch wird nur
die Unzulänglichkeit Ihrer Argumente deutlich.
({9})
Der Kern der Debatte, Herr Kollege Trittin - ich
komme zum zweiten Grund -, ist jedoch ein ganz anderer - darüber möchte ich gerne mit Ihnen reden -: Die
Argumentation des Kollegen Beck läuft im Wesen darauf hinaus, dass man von einem Unternehmen keine
Spende annehmen darf,
({10})
dessen politische Interessen man vorher oder nachher in
irgendeiner Weise im Gesetzgebungsverfahren im Deutschen Bundestag befördert hat.
Ich habe mich gestern Abend auf der Internetseite
www.Parteispenden.Unklarheiten.de umgesehen, eine
politische Datenbank einer NGO. Dort wird dargestellt,
welche Parteien in Deutschland von welchen Unternehmen Spenden bekommen haben. Seit dem Jahre 2000 hat
nach dieser Datenbank Bündnis 90/Die Grünen unter anderem bekommen: von der Ostwind-Verwaltungsgesellschaft mbH insgesamt 121 000 Euro, von Pro Vento
40 903 Euro, von der Conenergy AG 49 000 Euro,
({11})
von der EWO Energietechnologie GmbH 40 000 Euro,
von der Ersol AG 25 000 Euro,
({12})
von der Solon AG 20 000 Euro und von der Windpark
wohlbedacht GmbH 25 000 Euro.
({13})
Meine Damen und Herren, wenn das Argument, das
Sie eben vorgetragen haben, auch nur einen Funken
Wahrheit enthält, dann würde das bedeuten, dass Sie sich
für die Frage der alternativen Energien nicht mehr einsetzen dürfen, weil Sie die ganze Zeit von Unternehmen,
die damit Geld verdienen, Spenden entgegengenommen
haben. So einfach ist das.
({14})
Kollege Altmaier, ich muss Sie darauf aufmerksam
machen, dass wir jetzt nicht die inhaltliche Debatte führen, um deren Stattfinden es bei diesem Geschäftsordnungsantrag geht.
({0})
Herr Präsident! Danach werde ich mich richten. Sie
werden aber bemerkt haben, dass sich meine Ausführun1134
gen im Gegensatz zu dem, was der Kollege Beck gesagt
hat, auf die Geschäftsordnung beziehen.
Der letzte Gedanke ist, dass Ihr Antrag auch für die
politische Kultur problematisch ist.
({0})
Über die in Rede stehende Maßnahme diskutieren wir in
Deutschland seit über einem Jahr. Diese Forderung war
im Wahlprogramm der FDP, im Wahlprogramm anderer
Parteien, auch in dem der Linkspartei, wenn ich richtig
nachgelesen habe, enthalten.
({1})
Sie haben im Bundestagswahlkampf diese Forderung bekämpft. Sie haben leider Gottes in puncto Wählerzustimmung nicht recht bekommen; Sie haben die Bundestagswahl verloren.
Zu dieser Forderung hat ein Gesetzgebungsverfahren
stattgefunden. Im Gegensatz zur rot-grünen Koalition,
die seit 1998 ständig Maßnahmen umgesetzt hat, die nie
im Wahlprogramm standen, hat diese Koalition bisher
ausschließlich Maßnahmen umgesetzt, die schon vor der
Wahl in den Wahlprogrammen der Parteien standen. Dabei wird es auch in absehbarer Zeit bleiben.
({2})
Sie haben in erster, zweiter und dritter Lesung im
Deutschen Bundestag gegen diese Maßnahme argumentiert. Sie haben verloren. Sie haben im Bundesrat dagegen argumentiert. Sie haben erneut verloren. Sie haben
zum dritten Mal verloren. Irgendwann einmal muss man
in der Demokratie dann auch zugeben können, dass man
verloren hat; sonst wird man so schnell auch nicht wieder gewinnen. Wir werden Ihren Antrag heute ablehnen,
damit Sie Zeit haben, darüber nachzudenken, dass Sie in
Zukunft vielleicht das eine oder andere in Ihrer Vorgehensweise ändern müssen.
Vielen Dank.
({3})
Kollege Oppermann hat nun das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Altmaier, wer in der falschen Sache immer wieder gewinnt, kann trotzdem der Verlierer sein.
({0})
Bei einer Umfrage von n-tv heute Morgen, ob die Bundesregierung käuflich sei, haben 82 Prozent mit Ja und
8 Prozent mit Nein geantwortet.
({1})
Ich weiß nicht, ob die Spenden von 820 000 Euro an
die CSU und von 1,1 Millionen Euro an die FDP durch
Baron August von Finck mit dem Parteiengesetz vereinbar sind. Das wird der Präsident des Deutschen Bundestages prüfen. Wir warten das Ergebnis dieser Prüfung ab.
Eines können wir aber schon heute feststellen: Das
Mehrwertsteuergeschenk für Hotelketten ist mit den
Grundsätzen des allgemeinen Wohls im demokratischen
und sozialen Rechtsstaat in eklatanter Weise unvereinbar.
({2})
Dieses allgemeine Wohl wird nicht durch die Summe
mächtiger Einzelinteressen definiert.
({3})
Maßstab für das allgemeine Wohl ist vielmehr das grundlegende Bedürfnis der Menschen, ihren Lebensunterhalt
aus eigener Anstrengung zu verdienen und deshalb an Arbeit, Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherheit teilzuhaben. Das ist der Maßstab und nicht die Interessen von
Apothekern, von Hotelbesitzern, von Steuerberatern und
anderen einzelnen Gruppen, die Sie bisher bedient haben.
({4})
In einer parlamentarischen Demokratie muss man zumindest den Versuch unternehmen, für ein Gesetz eine
allgemeine Plausibilität zu bekommen. Ich sage Ihnen:
Das ist Ihnen beim Steuergeschenkgesetz nicht gelungen. 15 von 16 Experten haben den Gesetzentwurf bei
der Anhörung abgelehnt.
({5})
Der Finanzwissenschaftler Professor Homburg hat es als
ökonomischen Irrsinn bezeichnet, und Norbert Lammert
von der CDU hat gesagt, es sei willkürlich, bürokratisch
und unsinnig.
({6})
Ich frage Sie: Warum haben Sie dieses Gesetz trotzdem durchgesetzt? Sie haben es durchgesetzt, weil Sie
die Interessen einer ganz bestimmten Gruppe befriedigen wollen. Sie haben das allgemeine Wohl aus den Augen verloren.
({7})
Herr Kollege Oppermann, Sie wollten sicherlich auch
noch einen Satz zur Geschäftsordnung sagen.
({0})
Gerne. Ich habe verstanden, Herr Präsident. - Ich
finde es unerträglich, dass ein Milliardär mit einer Millionenspende maßgeblich Einfluss darauf nehmen kann,
was die Mehrheit hier im Bundestag beschließt.
({0})
Ich finde es schlimm, dass Sie damit den Anschein erweckt haben, als ob unser Staat käuflich sei.
({1})
Deshalb tragen Sie jetzt die Verantwortung und die Beweislast dafür, dass dieser böse Anschein einer gekauften Koalition widerlegt wird.
({2})
Wir fordern Folgendes:
Erstens. CSU und FDP müssen diese Spenden zurückgeben. Auf diesem Geld liegt kein Segen.
({3})
Zweitens. Das mit dem Makel der Käuflichkeit behaftete Mehrwertsteuergeschenk für Hotelketten muss aufgehoben werden.
({4})
Drittens. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben den Koalitionsvertrag verhandelt,
({5})
und deshalb tragen Sie Verantwortung dafür, dass für
den hemmungslosen Durchmarsch der Lobbyisten in
Deutschland alle Türen aufgemacht worden sind.
({6})
Ich fordere Sie auf: Machen Sie diese Türen wieder zu
und kehren Sie zurück zu einer Politik, die am allgemeinen Wohl interessiert ist!
Ich sage Ihnen noch etwas, Frau Bundeskanzlerin: Ihr
persönlicher politischer Aufstieg war verbunden mit
dem Ende der „Bimbesrepublik“ Deutschland.
({7})
Ich prophezeie Ihnen: Wenn es Ihnen nicht gelingt, die
Rückkehr in die „Bimbesrepublik“ zu verhindern, dann
ist das der Anfang Ihres politischen Abstiegs.
({8})
Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege van
Essen das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben Begründungen gehört, warum heute sofort über
die Frage des reduzierten Mehrwertsteuersatzes diskutiert werden muss. Diese Notwendigkeit besteht nicht,
wie ich Ihnen jetzt ganz schnell darlegen werde.
({0})
Mit dieser Frage hat sich unter anderem die Partei Die
Linke befasst. Auf Seite 30 des Bundestagswahlprogramms der Linken, das mir vorliegt,
({1})
fordert sie den ermäßigten Umsatzsteuersatz von
7 Prozent für Hotellerie und Gastronomie;
({2})
exakt so ist es.
({3})
Mir liegen die tourismuspolitischen Leitlinien der
SPD aus dem Jahre 1998 vor.
({4})
Darin fordert die SPD den halbierten Mehrwertsteuersatz für Gastronomie und Hotellerie.
({5})
Mir liegt der Antrag des Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag, Franz Maget, und der
Fraktion der SPD vom 18. Januar 2006 vor. Er hat folgenden Inhalt:
Die Staatsregierung wird aufgefordert, ihren Einfluss dahin gehend geltend zu machen, dass der
Bund für die Hotellerie den reduzierten Mehrwertsteuersatz in Höhe von 7 % einführt.
So viel zur SPD.
({6})
Aber am allerschönsten sind die Grünen. Die Fraktion
der Grünen im Bayerischen Landtag hat am 22. April
letzten Jahres mit breiter Mehrheit die Einführung eines
ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Gastronomie und
Hotellerie gefordert.
({7})
Weil das, was der wirtschaftspolitische Sprecher der
Grünen im Bayerischen Landtag dazu ausgeführt hat,
richtig ist, würde ich ihn gerne persönlich zitieren:
Wir setzen uns ein für die Einführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Gaststätten und Hotels, nicht weil wir uns dadurch dann spürbar niedrigere Preise für die Gaststätten- und Hotelgäste
versprechen, sondern weil wir uns Impulse erwarten … in der Frage reguläre Arbeitsplätze … und …
im Hinblick auf den dringend zur Beseitigung anstehenden Investitionsstau … Auch geht es um …
Wettbewerbsgleichheit im grenznahmen Raum wie
in Metropolen.
Außerdem weist er darauf hin, dass 22 der 27 EU-Mitgliedstaaten den ermäßigten Mehrwertsteuersatz eingeführt haben.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Anbetracht dessen, was ich gerade vorgetragen habe - die Linken fordern den ermäßigten Mehrwertsteuersatz, die SPD fordert den ermäßigten Mehrwertsteuersatz,
({9})
bei den Grünen gibt es welche, die ihn absolut befürworten -, muss ich sagen: Die Gründe, die Sie vorgetragen
haben, warum dieses Thema heute zu debattieren ist,
gibt es offensichtlich gar nicht.
({10})
Ich weise alle Vorwürfe, die Sie erhoben haben, mit
Nachdruck zurück.
({11})
Der Skandal ist nicht, dass eine Parteispende angenommen und ordnungsgemäß deklariert worden ist, sondern
der Skandal ist das, was Sie hier und heute präsentieren.
Vielen Dank.
({12})
Nun erhält die Kollegin Frau Dr. Enkelmann das Wort
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Fraktion Die Linke unterstützt den Geschäftsordnungsantrag der Grünen.
Zur Ehrlichkeit, lieber Kollege van Essen, lieber Herr
Kauder, gehört, dass man, wenn man denn schon zitiert,
korrekt zitiert. Was steht in unserem Wahlprogramm?
Wir wollen, dass der ermäßigte Umsatzsteuersatz von
7 Prozent ausgeweitet wird auf Produkte und Dienstleistungen für Kinder,
({0})
apothekenpflichtige Arzneimittel und arbeitsintensive
Dienstleistungen des Handwerks sowie Hotellerie und
Gastronomie
({1})
und dass kleine Unternehmen und Selbstständige die
Umsatzsteuer auf eine Rechnung erst nach dem Zahlungseingang abzuführen haben.
({2})
So weit unser Wahlprogramm; ich stelle es Ihnen gerne
zur Verfügung.
Die Entscheidung, die Mehrwertsteuer allein für die
Hotellerie abzusenken, wirft ein bezeichnendes Licht.
({3})
Das ist genau das Problem: dass diese Entscheidung angesichts dieser Spenden in einem völlig neuen Licht erscheint. Auch die weiteren Forderungen der FDP nach
Steuersenkungen erscheinen jetzt in einem völlig anderen Licht. Wir werden uns das sehr genau anschauen und
auch die Spendentätigkeit danach sehr genau verfolgen.
({4})
Die Entscheidung hat Auswirkungen auf den Haushalt. Deswegen ist es richtig, diesen Antrag im Zuge der
Haushaltsberatungen zu beraten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
ist nicht auch unter Ihnen der eine oder andere - vielleicht auch unser Bundestagspräsident -, der vor dem
Hintergrund, dass es diese Spende aus der Hotellerie gegeben hat, eine andere Entscheidung getroffen hätte?
Würde es, auch angesichts des Protestes, der von außen
kommt, heute tatsächlich noch eine Mehrheit für diese
Entscheidung geben? Ich wage das zu bezweifeln.
({5})
Eine Aufhebung dieser Entscheidung hätte genauso
Auswirkungen auf den Haushalt. Deswegen ist es notwendig, dass wir in dieser Haushaltsdebatte über diesen
Antrag debattieren.
Lieber Kollege Altmaier, Sie haben recht: Das Lobbyunwesen hat in den letzten Jahren unverschämte Ausmaße angenommen. Ich will daran erinnern, dass Vertreter von Lobbyunternehmen zum Beispiel an Gesetzen
mitgearbeitet haben, in der letzten Wahlperiode unter anderem an dem Entwurf zur Gesundheitsreform. Ich will
daran erinnern, dass es Gefälligkeitsgutachten gibt.
Auch kennen wir Dankbarkeit in Form von Spenden
nicht erst seit der Spende an die FDP. Unter anderem haben sich große Versicherungskonzerne sehr dankbar erwiesen für Wohlverhalten angesichts der Einführung der
Riester-Rente,
({6})
und zwar gegenüber allen Parteien in diesem Bundestag
mit Ausnahme der Linken.
Diese Spende an die FDP wirft ein schlechtes Licht
auf den Parlamentarismus, auf die Demokratie in diesem
Land.
({7})
Wir müssen grundsätzlich klären, welche Spenden angenommen werden dürfen und wo wir als Politik sagen:
Jetzt ist Schluss! Spenden von großen Unternehmen dürfen nicht an Parteien gehen.
({8})
In den Medien ist jetzt von Käuflichkeit der Regierung die Rede. Sie, sehr geehrte Ministerinnen und
Minister, haben vor diesem Parlament einen Amtseid abgelegt, dass Sie Schaden vom Volk abwenden, dass Sie
nur im Interesse des Volkes arbeiten wollen. Diese
Spende wirft auch darauf ein anderes Licht: Sie müssen
Schaden abwenden vom deutschen Volk und nicht von
Ihren Parteien. Diese Spende ist unzulässig; sie muss
deswegen zurückgezahlt werden.
Ich danke Ihnen.
({9})
Wir kommen nun zur Abstimmung. Wer stimmt für
den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich
der Stimme enthalten? - Damit ist der Geschäftsord-
nungsantrag von der Mehrheit des Hauses abgelehnt.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf:
Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen
Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des
Grundgesetzes
- Drucksache 17/437 -
Die Fraktion Die Linke schlägt den Abgeordneten
Wolfgang Nešković vor.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, bitte ich Sie um
Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Verfahren:
Die für die Wahl erforderlichen Stimmkarten werden
bzw. sind im Saal verteilt. Sie benötigen außerdem Ihren
Wahlausweis aus dem Stimmkartenfach.
Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mit-
glieder des Bundestages auf sich vereint, also mindes-
tens 312 Stimmen. Gültig sind nur Stimmkarten mit ei-
nem Kreuz bei „Ja“, „Nein“ oder „enthalte mich“.
Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als ein solches
Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten.
Die Wahl ist nicht geheim. Sie können die Stimm-
karte deshalb an Ihren Plätzen ankreuzen. Bevor Sie die
Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben
Sie bitte den Schriftführerinnen und Schriftführern an
den Wahlurnen Ihren Wahlausweis. Die Abgabe des
Wahlausweises gilt als Nachweis der Teilnahme an der
Wahl.
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
ihre vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir zu signa-
lisieren, ob das an allen Wahlurnen der Fall ist. - Dies
scheint der Fall zu sein.
Dann eröffne ich hiermit den Wahlgang.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Das ist offen-
sichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Wahl und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl werde
ich Ihnen später bekannt geben.1)
Für den nächsten Tagesordnungspunkt darf ich diejenigen, die daran teilnehmen wollen, bitten, Platz zu nehmen, sodass wir dann mit der nachfolgenden Debatte beginnen können.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 unserer heutigen Plenarsitzung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2010
({0})
- Drucksache 17/200 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im
Rahmen der Haushaltsberatung für die heutige Ausspra-
1) Ergebnis siehe Seite 1145 C
che im Anschluss an die Einbringung des Haushalts siebeneinhalb Stunden, für Mittwoch achteinhalb Stunden,
für Donnerstag wiederum siebeneinhalb und für Freitag
dreieinhalb Stunden vorgesehen. Können wir das so vereinbaren? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
Das Wort zur Einbringung des Haushaltes erhält nun
der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang
Schäuble.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 2010, den wir heute in erster
Lesung beraten, ist durch die Erschütterungen infolge
der Krise der internationalen Finanzmärkte und des tiefsten Wirtschaftseinbruchs in der Nachkriegszeit geprägt.
Es war übrigens einer der Hauptgründe für die flächenbrandartige Ausbreitung der Finanzmarktkrise über den
gesamten Globus, dass das Vertrauen als die wichtigste
Kategorie, die es im Wirtschaftsleben im Allgemeinen
und auf den Finanzmärkten im Besonderen gibt, nahezu
universal gefährdet oder zerstört worden ist. Deshalb ist
es eine zentrale Aufgabe, Vertrauen zurückzugewinnen,
Vertrauen, das bei den Menschen im Sog der Krise verloren gegangen oder zumindest erschüttert worden ist.
Die Rückgewinnung von Vertrauen ist also eine zentrale
psychologische Voraussetzung für die Überwindung dieser Krise. Der Finanzpolitik kommt dabei eine besondere Rolle zu, nicht zuletzt weil Vertrauen durch verantwortungsloses, von maßloser Gier geprägtes Verhalten
einiger im Finanzsektor an führender Stelle Tätiger mit
zerstört worden ist.
({0})
Das hat im Übrigen damit zu tun, dass Geld und Währung eigentlich nichts anderes als geronnenes Vertrauen
sind. Beim Kredit kann man es sogar an der Bedeutung
des lateinischen Wortes unmittelbar erkennen. Vertrauen
hängt nun entscheidend mit Nachhaltigkeit zusammen.
Beides wiederum braucht eine funktionsfähige Ordnung.
Nun besagen alle international verfügbaren empirischen
Erfahrungen zur Wirksamkeit der Wirtschafts- und
Finanzpolitik, dass Politik immer dann erfolgreich ist,
wenn sie nachhaltig orientiert ist, wenn sie sich im Wesentlichen auf das Setzen möglichst stabiler Rahmenbedingungen für Konsumenten und Wirtschaft und damit
eben auf die Stabilisierung der Erwartungen und des
Vertrauens der Menschen konzentriert und wenn sie auf
massive diskretionäre Eingriffe des Staates verzichtet.
Aber die schwerste Wirtschaftskrise in der Nachkriegszeit hat eine zeitweise Abkehr von diesem Credo notwendig gemacht. Das ist die Lehre, die glücklicherweise
überall aus den Erfahrungen mit der Weltwirtschaftskrise der 20er-Jahre gezogen worden ist. In einer Situation, in der die Finanzmärkte ihre Funktionsfähigkeit zu
verlieren drohten, musste der Staat als der letztmögliche
Vertrauensanker eingreifen. Es war angesichts des
schlagartigen Einbruchs der weltweiten Nachfrage wichtig - man muss sich die Zahlen noch einmal vor Augen
halten -, den Absturz zu verhindern und eine Brücke
über die Krise zu bauen. Deshalb war es alternativlos
richtig, mit einer konsequent antizyklischen Politik darauf hinzuwirken, Dauer und Ausmaß des Wirtschaftseinbruchs möglichst zu begrenzen, die Auswirkungen
auf den Arbeitsmarkt abzumildern und zugleich das
Wachstumspotenzial Deutschlands langfristig weiter zu
stärken. Alle Indikatoren und Meinungsumfragen belegen, dass der Staat als ultimativer Vertrauensanker oder
als Lender of last resort, wie man auf den Finanzmärkten
sagt, bis heute seine Aufgabe gut gemeistert hat.
({1})
Es ist nicht zuletzt den nationalen wie den internationalen massiven staatlichen Stützungspaketen zu verdanken, dass sich die konjunkturellen Aussichten für die
deutsche Wirtschaft inzwischen wieder spürbar aufgehellt haben. Nach dem scharfen Einbruch im Winterhalbjahr 2008/2009 hat seit Frühjahr vergangenen Jahres
ein Erholungsprozess eingesetzt, der in den kommenden
beiden Jahren, wenn auch vielleicht mit etwas reduziertem Tempo, anhalten wird. Die meisten Experten gehen
davon aus, dass das reale Bruttoinlandsprodukt nach einem Rückgang in Höhe von 5 Prozent im vergangenen
Jahr - man muss immer wieder darauf hinweisen, dass
so etwas bislang unvorstellbar in der Nachkriegszeit
war; das ist einmalig; hoffentlich bleibt es auch dabei in 2010 und 2011 wieder ein Wachstum zwischen 1 und
3 Prozent aufweisen wird. Die Bundesregierung wird
ihre aktuelle Wirtschaftsprognose für das kommende
Jahr im Jahreswirtschaftsbericht in der kommenden Woche vorlegen. Wir gingen zuletzt von 1,2 Prozent für
2010 aus, die Allianz-Gruppe beispielsweise von
2,8 Prozent, JP Morgan von 3,3 Prozent und der IMF im
Oktober noch von 0,3 Prozent. Die große Bandbreite
zeigt, dass die Unsicherheit über die künftige Wirtschaftsentwicklung auch in Deutschland noch groß ist. Deswegen bleibt es weiterhin richtig, dass wir - wie die Bundeskanzlerin früh gesagt hat - auf Sicht fahren müssen.
Neben der Konjunkturentwicklung im Allgemeinen
ist die Reaktion des Arbeitsmarktes im Besonderen
eine zentrale Unbekannte. Im Vergleich zum Vorjahr ist
die Zahl registrierter Arbeitsloser im Dezember vergangenen Jahres um 116 000 Personen auf knapp 3,3 Millionen Personen angestiegen. Ich muss übrigens noch einmal daran erinnern, wo die Arbeitslosenzahl Mitte des
Jahrzehnts noch lag, damit man das, relativ betrachtet,
richtig einordnet. Die Arbeitslosenquote liegt bei 7,8 Prozent. Sie ist - bei einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistungskraft um 5 Prozent darf man sagen
„nur“ - um 0,4 Prozent höher als noch vor einem Jahr.
Die Reaktion des Arbeitsmarktes auf den Konjunktureinbruch war also glücklicherweise überraschend verhalten.
Die Ausweitung der Kurzarbeit, der Abbau von Überstunden, das Abschmelzen von Guthaben auf Arbeitszeitkonten - das alles hat geholfen, die Beschäftigungsverluste in 2009 zu begrenzen. Im Übrigen wurden die
Arbeitgeber auch strukturell entlastet, indem die Politik
die Lohnnebenkosten gesenkt hat, insbesondere massiv
den Arbeitslosenversicherungsbeitrag.
Viele Arbeitgeber hoffen auf eine rasche konjunkturelle Erholung und haben versucht und versuchen
weiterhin, ihr Fachpersonal zu halten, indem sie die Arbeitszeiten der reduzierten Nachfrage anpassen. Die Arbeitnehmer sind zu den damit einhergehenden Lohnverzichten bereit; auch das muss man erwähnen. Das alles
nennt man Flexibilisierung, und es funktioniert.
Gleichwohl müssen wir davon ausgehen, dass die Arbeitslosenzahlen in den beiden nächsten Jahren - in diesem und im kommenden Jahr - steigen werden. Aber wir
können hoffen, dass sie nicht so dramatisch in die Höhe
schnellen werden wie in früheren Zeiten. Arbeitgeber
und Arbeitnehmer haben gelernt, und beide Seiten zeigen größere Flexibilität als in früheren Zeiten.
Aber auch wenn sich die Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung im Vergleich zum letzten Frühjahr
gebessert hat, ändert das an der historischen Dimension
dieser Krise nichts. Deshalb irrt jeder, der angesichts zunehmender positiver Wirtschaftsmeldungen glaubt, wir
hätten die fatalen Folgen dieser schwersten Finanz- und
Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik
Deutschland schon hinter uns gelassen. Tatsächlich
befinden wir uns noch in einer sehr ernsten und beispiellosen wirtschaftlichen Gesamtsituation.
Ich will es noch einmal sagen: Der globale Nachfrageeinbruch hat uns in das tiefste Konjunkturtal seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland geführt. Er hat
uns besonders hart getroffen, weil wir auf den Weltmärkten stärker und erfolgreicher verflochten sind als andere.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Folgen der
Krise noch nicht überwunden sind, und das gilt insbesondere für die krisenbedingt dramatisch verschlechterte
Haushaltssituation bei Bund, Ländern und Kommunen.
Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen,
dass der zweite Regierungsentwurf zum Haushalt 2010,
den wir heute zur ersten Lesung vorlegen, ein Abbild
dieser historischen Finanz- und Wirtschaftskrise ist.
Aber er ist nicht nur ein Abbild dieser Krise, sondern zugleich ein weiterer Meilenstein zur Überwindung der
Krise. Mit diesem Haushaltsentwurf werden für das Jahr
2010 die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um
die noch nicht gefestigte Wirtschaftsdynamik weiter zu
unterstützen und so alles dafür zu tun
({0})
- ich komme gleich darauf, Herr Poß -, damit Deutschland gestärkt aus dieser Krise hervorgeht. Wir entsprechen damit übrigens internationalen Vereinbarungen, die
insbesondere im G-20-Kreis zur Überwindung der Krise
beschlossen wurden.
Ich verstehe ja gut, dass in der öffentlichen Debatte,
aber auch in diesem Hohen Hause viele gar nicht mehr
über das Jahr 2010 und seinen Haushalt, sondern am
liebsten nur noch über das Jahr 2011 und die darauf folgenden diskutieren möchten. Aber ich muss Sie enttäuschen. Wir dürfen den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun, wenn wir nicht ins Stolpern geraten wollen.
Im Übrigen: Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger - ich füge freimütig hinzu: auch ich - haben noch
genügend Probleme, sich damit abzufinden, dass wir für
das laufende Jahr eine Rekordneuverschuldung vorschlagen müssen. Das ist nicht trivial. Die Menschen haben ein Recht darauf, dass wir als Parlament unserer
Verpflichtung nachkommen, diesen Haushaltsentwurf
und die ihm zugrunde liegende makroökonomische Ratio erschöpfend zu diskutieren und zu beschließen. Das
hat mit Vertrauensbildung und mit Vertrauensstabilisierung zu tun. Wir wissen im Übrigen, dass schwerwiegende Entscheidungen auch für die Jahre danach - 2011
folgende - zu treffen sein werden. Ich werde darauf zu
sprechen kommen. Wenn wir diese Entscheidungen verantwortlich und sachgerecht treffen wollen, dann müssen
wir sie zum gegebenen Zeitpunkt gründlich vorbereiten
und diskutieren. Aber wir dürfen sie eben nicht in mehr
oder weniger großer Unverbindlichkeit lange zuvor öffentlich zerreden.
Im Übrigen ist es angesichts der noch großen Unsicherheit über die weitere konjunkturelle Entwicklung
einfach unseriös, schon jetzt Aussagen über die Folgejahre zu treffen, wenn wir nach den guten Übungen dieser Bundesrepublik den Haushaltsentwurf zur Jahresmitte aufstellen müssen.
({1})
- Das hat damit gar nichts zu tun. ({2})
Wir stellen den Haushaltsentwurf seit Jahrzehnten - jedenfalls wenn wir den Haushalt termingerecht aufgestellt und keine Wahlen hatten - immer zur Jahresmitte
auf. Wir stellen ihn immer auf der Grundlage der jeweils
aktuellen Steuerschätzung auf. Die wird traditionell immer in der ersten Maiwoche sein, und so wird es auch in
diesem Jahr sein. Alles andere ist eine üble Unterstellung.
({3})
- Ich werde Ihnen gleich belegen, wie sich innerhalb von
sechs Monaten die Zahlen verändern. ({4})
- Gut, dann brauchen Sie das auch nicht zu bestreiten. ({5})
Ich will zeigen, wie die Krise auf den Bundeshaushalt
durchschlägt. Wir planen im Haushaltsentwurf mit einer
Nettoneuverschuldung von 85,8 Milliarden Euro,
({6})
eine Größenordnung, die wir bisher nie gehabt haben
und die deshalb mit Ernst und Eindringlichkeit erklärt
werden muss.
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble:
({7})
- Ganz ruhig, Zeit haben wir. - 85,8 Milliarden Euro
sind eben keine Kleinigkeit. Sie sind bitter, notwendig,
und sie sind ökonomisch richtig. Ich hatte bereits erwähnt, dass es nach der Auffassung aller Sachverständigen, in Deutschland wie international, richtig ist, eine so
schwere Wirtschaftskrise, die ihre Ursachen nicht in
Deutschland hatte, mit den Mitteln der Finanzpolitik
prozyklisch nicht noch zu verstärken, sondern antizyklisch gegenzusteuern. Der Bund tut dies entschlossen.
Ich will daran erinnern: Wir hätten nach der mittelfristigen Finanzplanung, wie sie noch im Jahr 2008 beschlossen worden ist, den Bundeshaushalt 2010 mit einer Neuverschuldung von nur noch 6 Milliarden Euro
gefahren. Für das Jahr 2011 war eine Nullneuverschuldung für den Bundeshaushalt vorgesehen. Jetzt haben
wir statt 6 Milliarden Euro eine Neuverschuldung von
85,8 Milliarden Euro. Diese bedarf einer sauberen Erklärung. 43,5 Milliarden Euro sind krisenbedingte Steuermindereinnahmen allein für den Bund, 23,3 Milliarden
Euro sind krisenbedingte Mehrausgaben für den Arbeitsmarkt, darunter 16 Milliarden Euro für den krisenbedingten zusätzlichen Zuschuss an die Bundesagentur für
Arbeit.
({8})
Dann kommen die zusätzlichen Zuschüsse an die gesetzlichen Krankenversicherungen in Höhe von insgesamt
10,2 Milliarden Euro hinzu, einschließlich des beschlossenen einmaligen zusätzlichen Zuschusses von
3,9 Milliarden Euro. Wenn Sie jetzt noch die
4 Milliarden Euro für die zwei Konjunkturpakete hinzunehmen, dann sind Sie bei fast 81 Milliarden Euro. Sie
sehen, dass die Differenz zwischen der mittelfristigen
Finanzplanung und der Neuverschuldung im Haushaltsentwurf ausschließlich durch die Krise verursacht ist. Im
Übrigen ist der Grund für diese erhöhten Zuschüsse an
die Bundesagentur für Arbeit und an die gesetzliche
Krankenversicherung doch wohl richtig. Er wird doch
hoffentlich nicht infrage gestellt werden.
Genauso wie es richtig war, dass wir den Finanzsektor zulasten des steuerfinanzierten öffentlichen Haushalts überlebensfähig gemacht haben, ist es richtig, dass
wir die sozialen Sicherungssysteme nicht mit den Folgen
dieser exorbitanten Wirtschaftskrise belasten, sondern
dass wir entsprechende Zuschüsse im Bundeshaushalt
übernehmen.
({9})
Das ist übrigens nichts anderes als soziale Symmetrie bei
der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise.
Ich will daran erinnern, dass noch im Umfeld des
G-20-Treffens in Pittsburgh im September vergangenen
Jahres international eher diskutiert wurde, ob Deutschland genügend tue, um den Auswirkungen der Wirtschaftskrise entgegenzuwirken. Auch in Europa wurde
dies debattiert.
Ich glaube, dass wir insgesamt das ökonomisch Richtige getan haben und dass wir mit dem vorliegenden
Haushaltsentwurf auch weiterhin das ökonomisch Richtige tun. Das gilt auch für das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das in dem vorliegenden Gesetzentwurf
berücksichtigt ist. Man muss das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und das schon in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedete Bürgerentlastungsgesetz zusammen sehen. Das Bürgerentlastungsgesetz haben Sie
doch für richtig gehalten. Ich weiß nicht, warum das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz Ihrer Meinung nach
nun plötzlich Gegenteiliges bewirken wird.
({10})
- Ich glaube, Herr Kollege Poß, angesichts der noch
nicht überwundenen Wirtschaftskrise - wir stimmen international völlig überein, dass wir im Laufe des Jahres
eine klug dosierte Exit-Strategie finden müssen - war es
richtig, zu Beginn des Jahres einen zusätzlichen konjunkturellen Impuls in der Größenordnung von etwas
weniger als 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu setzen. Genau das tun wir durch das Zusammenspiel von
Bürgerentlastungsgesetz und Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
({11})
Ich finde, dass die Debatte über das, was wir tun, ein bisschen verzerrt ist.
Zu der Geschäftsordnungsdebatte, die Sie gerade
geführt haben, will ich folgende Bemerkung hinzufügen:
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man kann über jede
gesetzliche Maßnahme unterschiedlicher Meinung sein.
Wir haben gesehen, wie sich die Forderungen im Spiegel
der Wahlprogramme erhöhen. Wir haben auch erlebt,
dass es mit der Konsistenz von Wahlaussagen bei den
einzelnen Parteien unterschiedlich ist. All das will ich
jetzt nicht bewerten. Angesichts des Ernstes der Wirtschafts- und Finanzlage, mit der wir konfrontiert sind,
und der Sorgen in unserer Bevölkerung will ich aber dafür werben, dass wir dieses Parlament und die demokratischen Institutionen dieses Verfassungsstaates nicht als
käuflich darstellen.
({12})
Wehret den Anfängen! Überlegen Sie gut, was Sie tun,
und überlegen Sie, wessen Geschäft Sie dabei betreiben!
({13})
- Ja, ja. Die Welt und auch wir, Deutschland, haben gerade, Herr Kollege Trittin - das will ich Ihnen mit großem Ernst sagen -, übereinstimmend aus der WeltwirtBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble:
schaftskrise der 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts die richtigen Lehren gezogen.
({14})
Wir sollten aus dem Scheitern der parlamentarischen
Demokratie in der Weimarer Republik im Feuer der Diffamierung der demokratischen Institutionen durch die
Radikalen von rechts und links nicht die falschen Lehren
ziehen, sondern wir sollten daraus die richtigen Erkenntnisse gewinnen.
({15})
Im Übrigen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, will
ich zu manchen öffentlichen Debatten eine weitere Bemerkung machen. Wir haben nach der Bundestagswahl
die Regierungsbildung in ungewöhnlich kurzer Zeit vollzogen, und das Kabinett hat den Entwurf des Bundeshaushalts 2010 in einer ungewöhnlich kurzen Zeit aufgestellt; das haben viele zunächst gar nicht für möglich
gehalten. Das war möglich, weil wir uns entschieden haben - auch das war für eine neue Regierung nicht selbstverständlich -, dass wir die Ansätze des ersten Regierungsentwurfs, den wir noch in der vergangenen
Legislaturperiode, nämlich im Juli 2009, aufgestellt haben, lediglich um die im Koalitionsvertrag vereinbarten
Sofortmaßnahmen zum 1. Januar 2010 ergänzen.
Es ist in diesem Zusammenhang kritisiert worden,
dass wir auf die Fortschreibung der mittelfristigen
Finanzplanung verzichtet haben.
({16})
- Es ist in Ordnung, dass man so etwas kritisiert. Ich
setze mich mit diesem Argument auseinander. - Es ist
unstreitig, dass das, was wir tun, durch die geltende Gesetzeslage gedeckt ist. Ich will Ihnen sagen, warum ich
mich dazu entschieden habe, so zu verfahren: weil es andernfalls noch Monate gedauert hätte, bis wir einen
Haushaltsplan mit einer fortgeschriebenen mittelfristigen Finanzplanung aufgestellt hätten. Wir könnten dann
selbst in einigen Monaten noch nicht einmal die erste
Lesung durchführen. Wir hätten vor Jahresmitte keinen
verabschiedeten Haushalt, und wir müssten bis in die
zweite Jahreshälfte hinein mit den Regeln zur vorläufigen Haushaltsführung arbeiten. Das ist in einer so unsicheren konjunkturellen Lage nicht zu verantworten.
Deshalb haben wir uns für ein anderes Verfahren entschieden.
({17})
Damit man sich nun bei der Einbringung auch einmal
die grundsätzliche Struktur dieses Haushaltes vor Augen
führen kann, ist es vielleicht einfach einmal wichtig, jenseits der hohen Neuverschuldung und der Gesamtausgaben und -einnahmen die wesentlichen Ausgabenblöcke
des Bundeshaushaltes zur Kenntnis zu nehmen.
Wenn Sie die Sozialausgaben im Bundeshaushalt zusammenrechnen, also die Zuschüsse zur gesetzlichen
Rentenversicherung und zur gesetzlichen Krankenversicherung, die Leistungen für den Arbeitsmarkt sowie das
Erziehungs- und Elterngeld, dann kommen Sie nach dem
vorliegenden Entwurf auf insgesamt 176,7 Milliarden
Euro; das entspricht 54,3 Prozent des gesamten Haushaltes.
({18})
- Nein, man muss es zur Kenntnis nehmen. Dann weiß
man nämlich auch, welche Spielräume man im Haushalt
hat.
An zweiter Stelle stehen gleich die Zinsausgaben. Sie
betragen in diesem Bundeshaushalt 38 Milliarden Euro;
das entspricht 11,7 Prozent.
Die Personalausgaben belaufen sich im Bundeshaushalt, wenn man alles zusammenrechnet, auf insgesamt
28 Milliarden Euro; das entspricht 8,6 Prozent.
Die Ausgaben für flexibilisierte Verwaltungsaufgaben, wiederum alle zusammengerechnet, summieren
sich auf 16,1 Milliarden Euro; das entspricht 4,9 Prozent
des Bundeshaushaltes.
Die Verteidigungsausgaben belaufen sich auf 31,1 Milliarden Euro; das entspricht 9,6 Prozent des Bundeshaushaltes.
Die Leistungen für Bildung, Wissenschaft, Forschung
und kulturelle Angelegenheiten belaufen sich auf
15,4 Milliarden Euro; das entspricht 4,7 Prozent des
Haushaltes.
Die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit belaufen sich auf 5,8 Milliarden Euro; das entspricht
1,8 Prozent des Bundeshaushaltes.
Die Investitionen für den Verkehrsbereich belaufen
sich auf insgesamt 12,6 Milliarden Euro; das entspricht
3,9 Prozent.
Die Ausgaben für Umweltschutz, Klima und Nachhaltigkeit belaufen sich auf 1,58 Milliarden Euro; das
entspricht knapp 0,5 Prozent des Bundeshaushaltes.
Ich habe hier jetzt nur einmal die großen Ausgabenblöcke bzw. die Eckdaten des Bundeshaushaltes benannt, damit man ein Stück weit weiß, wofür im Bundeshaushalt die wesentlichen Leistungen in der Struktur
unserer föderalen Ordnung erbracht werden.
Noch einmal zurück: Der vorliegende Haushaltsentwurf mit seiner krisenbedingten Rekordneuverschuldung
entspricht wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten. Wenn,
was allgemeiner nationaler wie internationaler Annahme
entspricht und was wir alle dringend hoffen, die Krise in
diesem Jahr zu Ende geht, dann werden wir diese Neuverschuldung ab 2011 den Regeln der Schuldenbremse des
Grundgesetzes entsprechend zurückführen müssen.
({19})
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble:
Das wird übrigens kein abrupter Kurswechsel sein, weil
ja die, wie ich finde, klugen Regelungen, die wir im
Zuge der Föderalismusreform II in das Grundgesetz eingefügt haben, eine allmähliche Rückführung einer zu hohen Neuverschuldung vorsehen. Wir müssen bis 2016
die Schuldenbremse einhalten, also ein strukturelles Defizit im Bundeshaushalt von maximal 0,35 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes erreichen. Diese Rückführung
der Schulden muss in gleichen Jahresraten über sechs
Jahre verteilt geschehen. Das ist kein abrupter Kurswechsel.
Ausgehend von einem strukturellen Defizit von etwa
70 Milliarden Euro im Bundeshaushalt in diesem Jahr
- das strukturelle Defizit berechnet sich etwas anders als
die Gesamtneuverschuldung -, das bis 2016 in gleichen
Jahresraten auf 10 Milliarden Euro zurückgeführt werden muss, reden wir immer noch von einem strukturellen
Defizit von 60 Milliarden Euro im Jahre 2011 und von
50 Milliarden Euro im Jahr 2012. Es sollte also niemand
von einem abrupten Kurswechsel sprechen. Somit bietet
diese Schuldenbremse einen entscheidenden Baustein
für eine richtige Exit-Strategie, deren prinzipielle Leitlinien im europäischen wie im weltweiten G-20-Rahmen
generell unbestritten sind.
Es wird gleichwohl, auch wenn es eine allmähliche
Rückführung ist, eine finanzpolitische Herkulesaufgabe
sein. Aber sie muss gemeistert werden. Die Bundesregierung ist entschlossen, die Anforderungen des Grundgesetzes zu erfüllen. Uns allen muss klar sein, dass diese
Aufgabe mit den herkömmlichen haushalterischen Maßnahmen allein nicht zu bewältigen sein wird. Deswegen
habe ich die Struktureckdaten des Bundeshaushalts kurz
erwähnt.
Die Aufgabe wird übrigens im Laufe der Jahre nicht
kleiner. Wegen des Wirkungsmechanismus der grundgesetzlichen Bremse wird sie von Jahr zu Jahr größer. Deswegen wird es im Laufe der Jahre nicht ohne gesetzliche
Maßnahmen gehen. Aber das muss dann gründlich und
Schritt für Schritt bedacht, öffentlich diskutiert und vor
allen Dingen so begründet werden, dass die Bürgerinnen
und Bürger unseres Landes das nachvollziehen können.
Deshalb noch einmal: Es macht keinen Sinn, jetzt einzelne Vorschläge isoliert in die öffentlich-politische
Arena zu werfen mit der absehbaren Folge, dass sie allenfalls zerredet werden. Damit wäre am Ende niemandem weitergeholfen.
Kurzfristige, vorübergehende Erhöhung der Neuverschuldung zur Stabilisierung der Finanzmärkte und zur
Bekämpfung noch schlimmerer Folgen des Wirtschaftseinbruchs und mittelfristige Reduzierung dieser Neuverschuldung sind also keine Gegensätze und bedeuten keinen Kurswechsel, sondern sind insgesamt Ausdruck einer
auf Nachhaltigkeit und stabile Rahmenbedingungen angelegten Ordnungspolitik. Im Übrigen ist Generationengerechtigkeit gerade vor dem Hintergrund einer demografischen Entwicklung, wie wir sie in Deutschland und
auch in weiten Teilen Europas erleben, genauso ein Gebot
der Finanzpolitik wie etwa der Umweltpolitik. Anderenfalls gibt es weder Nachhaltigkeit noch Generationengerechtigkeit.
({20})
- Ich rede die ganze Zeit dazu. - Nur ein glaubwürdiger,
auf Konsolidierung angelegter Kurs stärkt am Ende das
Vertrauen von Konsumenten, Investoren, Finanzmärkten
und allen anderen wirtschaftlichen Akteuren in den
Wirtschaftsstandort Deutschland.
({21})
Für stabiles Wachstum sind stabile Staatsfinanzen unerlässlich. Ohne Haushaltskonsolidierung werden die
langfristigen Inflationserwartungen und damit auch die
langfristigen Zinsen steigen.
({22})
Deswegen ist es so wichtig, dass wir in dieser Konsolidierungspolitik glaubwürdig sind.
({23})
Übrigens: Wenn die Zinsen steigen, werden sich
- auch das muss man wissen - die Refinanzierungsbedingungen der Unternehmen und des Staates dauerhaft
verschlechtern. Weil dies weltweit alle mit erheblicher
Sorge erfüllt, müssen Deutschland und Europa ihren
Beitrag im Sinne der Nachhaltigkeit glaubwürdig leisten.
Dem entspricht, dass auch der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt Konsolidierung verlangt. Es ist
eine glückliche Fügung, dass sich das sehr gut mit unserer nationalen Schuldenregel deckt. Im Jahre 2013 muss
Deutschland die Grenze für das gesamtstaatliche Defizit
- dabei geht es um das Defizit von Bund, Ländern,
Kommunen und gesetzlichen Sozialversicherungen insgesamt - in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wieder einhalten. Wir haben im vergangenen Jahr
diese Grenze mit 3,2 Prozent überschritten. Wir werden
im laufenden Jahr voraussichtlich ein gesamtstaatliches
Defizit von knapp 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
haben. Das muss ab dem Jahre 2011 sukzessive wieder
zurückgeführt werden.
Im Übrigen liegt es in unserem ureigenen Interesse,
dass die Stabilität des Euro und seine Glaubwürdigkeit
auf den internationalen Märkten auch in den kommenden
Jahren erhalten werden. Gegenüber viel anfänglicher
Skepsis in den 90er-Jahren bei Einführung einer europäischen Währung ist inzwischen unbestritten, dass die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise noch viel
katastrophaler gewesen wären, wenn wir nicht eine gemeinsame europäische Währung gehabt hätten.
({24})
Gerade angesichts der Verschiebungen der globalen Gewichte im 21. Jahrhundert, die durch diese Finanz- und
Wirtschaftskrise wohl noch erheblich beschleunigt werBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble:
den, ist es im europäischen wie im deutschen Interesse
geradezu lebensnotwendig, dass unsere gemeinsame europäische Währung ihre Glaubwürdigkeit bewahrt und
angesichts möglicher erratischer Entwicklungen auf den
Weltfinanzmärkten ein stabilisierendes Element bleibt.
Dass Deutschland eine besondere Verantwortung für
die Stabilität des Euro hat, braucht angesichts des Gewichts der deutschen Wirtschaft im europäischen Verbund nicht eigens begründet zu werden. Deswegen sind
die Empfehlungen der Europäischen Kommission zur
Rückführung unseres gesamtstaatlichen Defizits und zur
Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes hilfreich. Wir werden uns dafür einsetzen, dass alle anderen
in Europa diese Empfehlungen akzeptieren und umsetzen. Das wird für einzelne Mitgliedsländer unterschiedlich schwierige Herausforderungen beinhalten. Aber es
gibt dazu keine verantwortbare Alternative. Damit wir
das glaubwürdig vertreten können, müssen wir uns natürlich selbst an die europäischen Regeln halten. Auch
dazu gibt es keine bessere Alternative.
Wir müssen im Übrigen neben dem diffizilen Austarieren fiskalischer und geldpolitischer Exit-Strategien
auch die Bemühungen um die weitere Finanzmarktstabilisierung national, europäisch und international fortsetzen. Ich will Ihnen eine erschöpfende Darstellung der
anstehenden Arbeiten ersparen. Aber ich will doch einige Bemerkungen dazu machen, weil öffentlich gelegentlich der Eindruck erweckt wird, es sei in den zurückliegenden Monaten gar nichts geschehen. Das ist einfach
grundfalsch.
Die Bundesregierung wird im Laufe dieses Jahres die
vorliegenden europarechtlichen Änderungen der Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinie in nationales Recht
umsetzen. Damit werden Lehren aus der Finanzmarktkrise gezogen und wichtige Akzente für eine weitere
Stabilisierung der Märkte und für die Stärkung der Bankenlandschaft gesetzt. Zum Beispiel wird mit den neuen
europaweit geltenden Prinzipien zur Anerkennung von
Kapitalbestandteilen als Kernkapital die Kapitalbasis der
Banken zuverlässig und dauerhaft gestärkt. Banken dürfen in Verbriefungen nur noch investieren, wenn der ursprüngliche Kreditgeber einen Anteil von wenigstens
5 Prozent der mit der Transaktion übertragenen Risiken
behält. Damit wird das Eigeninteresse der Beteiligten erhöht, die sich aus einer Verbriefung ergebenen Risiken
sorgfältiger als bisher zu bedenken. Dass das in der Vergangenheit nicht der Fall war, war eine der Ursachen der
Krise.
Die Bundesregierung wird darüber hinaus noch im
ersten Quartal einen Gesetzentwurf beschließen, der die
Prinzipien zur Vergütungspolitik des Financial Stability
Boards umsetzt und die Selbstverpflichtungserklärung
der größten deutschen Banken und Versicherungsunternehmen, die dankenswerterweise im vergangenen Jahr
ausgesprochen worden ist, auf eine gesetzliche Grundlage stellt. Eine kurzfristige und konsequente Umsetzung der Prinzipien soll dazu beitragen, das Vertrauen
der Bevölkerung und der Politik in den Finanzsektor zu
stärken, ohne dass die Wettbewerbsbedingungen auf den
großen Finanzmärkten in Europa - auch darauf muss
man achten - ungebührlich verzerrt werden.
Die Krise hat übrigens auch gezeigt, dass die etablierten Instrumente zur Bewältigung von Unternehmensschieflagen bei systemrelevanten Banken versagen und
eine Bedrohung der Finanzmarktstabilität fördern. Durch
staatliche Stabilisierungsmaßnahmen, die die Fortführung des Geschäftsbetriebs ermöglichen, werden negative Dominoeffekte zwar kurzfristig vermieden, zugleich
werden aber negative Anreize für das Risikoverhalten
von Bankmanagement, Investoren und Gläubigern gesetzt. Deshalb besteht das Bedürfnis, auch für systemrelevante Banken Instrumente vorzuhalten, die im Krisenfall eine geordnete Reorganisation ermöglichen und
Anteilseigner und Gläubiger angemessen an der Rettung
beteiligen.
So müssen wir auch in unserem Land das vorhandene
Instrumentarium nachbessern. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, ein geeignetes Instrumentarium zu
schaffen. Die Bundesregierung wird einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen und den im August 2009
vorgelegten Diskussionsentwurf von Justiz- und Finanzministerium sowie die Empfehlungen des Sachverständigenrates in seinem aktuellen Jahresgutachten berücksichtigen. Auch die EU-Kommission arbeitet an einem
Rahmenwerk zur Bewältigung grenzübergreifender Krisen für den Bankensektor. Wir begleiten diese Arbeiten
aktiv.
Die Bemühungen zur Reform der Finanzaufsicht
auf europäischer und nationaler Ebene werden auch zur
weiteren Stabilisierung beitragen. Die Stärkung und bessere Verzahnung der Finanzaufsicht in Europa sind ein
zentrales Element für die Stabilität des gesamten Systems und für mehr Kontrolle auf den Finanzmärkten. Die
Mitgliedstaaten haben deshalb zum einen die Errichtung
eines Ausschusses für Systemrisiken verabredet, der die
Stabilität des gesamten Systems überwachen soll, indem
er die systemischen Risiken analysiert und frühzeitige
Warnungen und Empfehlungen ausspricht. Zum anderen
soll ein europäisches Aufsichtssystem geschaffen werden, das die Zusammenarbeit der nationalen Behörden
intensiviert, einheitliches Aufsichtshandeln sicherstellt
und damit Qualität und Kohärenz der Finanzaufsicht in
Europa verbessert.
Wir werden die im Koalitionsvertrag vorgesehene Reform der nationalen Bankenaufsicht zügig, aber auch
nicht übereilt in Angriff nehmen. Wir werden ein Konzept entwickeln, das die Lehren aus der Krise umsetzt,
aber auch die bestehenden Stärken der deutschen Aufsicht bewahrt. Die Reformüberlegungen werden sich
nicht auf die Bankenaufsicht begrenzen, sondern die gesamte Finanzaufsicht einbeziehen.
Alles in allem sind wir national, europäisch und
global mit dem Bemühen, durch bessere Finanzmarktstabilisierung Lehren zu ziehen, zwar gut vorangekommen, aber noch nicht am Ende. Angesichts weltweiter
Mobilität und Volatilität brauchen wir am Ende verbesserte Global Governance. Dafür ist der Mechanismus im
G-20-Prozess ein erfolgversprechender Ansatz. Die
Staats- und Regierungschefs haben den Internationalen
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble:
Währungsfonds beauftragt, bis zum nächsten Gipfeltreffen im Sommer Vorschläge in Richtung eines internationalen Steuer- und Abgabemechanismus zu entwickeln.
Ich will die Gelegenheit nutzen, auf Folgendes hinzuweisen: Alle Vorschläge in Richtung nationaler Sonderinitiativen und Sonderaktionen sind am Ende nicht zielführend.
({25})
Was wir brauchen, sind europäische und am besten globale Lösungen. Dafür setzen wir uns ein. Dazu hat die
Bundeskanzlerin frühzeitig die Initiative ergriffen. Wenn
man das will, muss man auch bereit sein, global zu gemeinsamen Lösungen beizutragen, und kann nicht sagen: Wir wollen nur das und nichts anderes.
In diesem Sinne halte ich übrigens die Initiative der
Regierung von Präsident Obama für einen wichtigen
Schritt der Vereinigten Staaten auf dem Weg, zu einer
gemeinsamen Lösung zu kommen. Wir haben gestern
am Rande der Euro-Gruppe der Finanzminister darüber
gesprochen, wie wir in Europa darauf reagieren können,
um mit Blick auf das nächste Gipfeltreffen der G-20Staaten zu einer weltweit abgestimmten und damit auch
wirkungsvollen Lösung zu kommen. Das ist das Entscheidende.
Jedenfalls müssen wir bessere Vorkehrungen dagegen
treffen, dass sich die Finanzmärkte am Ende durch Übertreibung selbst zerstören. Wir müssen dafür eintreten,
dass die Finanzmärkte ihre eigentlich dienende Funktion
für die Realwirtschaft nicht immer mehr vergessen und
selbstreferenziell werden. Dies ist ein anderer Grund für
die Krise.
({26})
Neben der Überwindung der akuten Krise bleibt übrigens die Sicherung und Stärkung der internationalen
Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes eine zentrale
Herausforderung für Politik und Wirtschaft. Wir werden
in Zukunft angesichts der weltweiten Entwicklung, aber
vor allen Dingen auch angesichts unserer demografischen Veränderungen noch mehr in Qualität und Quantität von Bildung und Forschung investieren müssen, um
das Wachstumspotenzial Deutschlands zu verbessern.
Unsere Position hat sich zwar seit PISA 2000 und 2003
verbessert; aber wir schneiden im OECD-Vergleich bei
schulischen Leistungen immer noch nur knapp über oder
nahe dem Durchschnitt ab. Wir müssen diese gesamtstaatliche Aufgabe - das ist ein eigenes Thema; ich will
es an dieser Stelle nicht vertiefen - im Rahmen unserer
bewährten föderalen Ordnung bewältigen.
Jedenfalls hat die Koalition deshalb einen zusätzlichen Beitrag des Bundes verabredet, nämlich in dieser
Legislaturperiode insgesamt zusätzlich 12 Milliarden
Euro - 12 Milliarden für die gesamte Legislaturperiode,
nicht in Jahresbeträgen - für Bildung und Forschung einzusetzen. Wir setzen mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf eine erste Tranche von 750 Millionen Euro - für
vier Jahre sind dies 3 Milliarden Euro; das ist ein Viertel
der Gesamtverabredung - um.
Ich füge aber hinzu: Bildung, insbesondere Weiterbildung, und Forschung sind nicht nur Aufgabe des Staates.
Dies ist auch Aufgabe der Unternehmen selbst. Die Weiterbildungsquoten in Deutschland sind im internationalen Vergleich nicht befriedigend. Auch die Ausgaben für
Forschung und Entwicklung stagnieren seit Jahren. Fertigkeiten und Kenntnisse veralten heute rascher als früher. Wenn wir weiter in Wohlstand und sozialer Sicherheit leben wollen, wenn uns das Wohlergehen künftiger
Generationen wichtig ist, dann müssen wir im sich verschärfenden weltweiten Wettbewerb durch vermehrte
Anstrengungen in Bildung, Wissenschaft, Forschung
und Entwicklung wettbewerbsfähig bleiben.
({27})
Neben den Investitionen in Bildung und Forschung
sind Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit unserer
Wirtschaft vor allem eine Frage der Ordnungspolitik.
Das heißt für mich: Eigenverantwortung, innovative
Kräfte von Bürgern und Unternehmen zu stärken. Das ist
ein zentraler Grundsatz unseres wirtschaftlichen und sozialen Ordnungsmodells, der sozialen Marktwirtschaft.
Wir müssen übrigens, gerade nach den Erfahrungen dieser Krise, darauf achten, dass das notwendige Vertrauen
in staatliche Institutionen nicht zu dem Missverständnis
führt, dass es der Staat am Ende schon richten werde.
Das kann er nicht leisten.
Ein Übermaß an Staatsanteil und Regulierung ist der
falsche Weg. Er schwächt am Ende die dynamischen
Kräfte. Deswegen müssen wir die Chance der Krise, die
Notwendigkeit der Konsolidierung in den kommenden
Jahren dazu nutzen, grundlegende Vereinfachungen in
unseren Regulierungssystemen und mit Blick auf die Erwartungen an den administrativen, sprich bürokratischen
Vollzug unserer Regulierungssysteme vorzunehmen.
Das wird grundlegendere Reformen erfordern, aber darin steckt ein erhebliches Handlungs- und Gestaltungspotenzial. Die Koalition ist entschlossen, dieses Potenzial zu nutzen.
({28})
Es hat sich gezeigt - das haben Sie von mir in anderen
Zusammenhängen gelegentlich gehört, aber es bleibt richtig -: Freiheit kommt ohne Regeln und Grenzen nicht
aus; auch die Krise der Finanzmärkte lehrt das. Aber Freiheit braucht, wenn sie nicht durch Überregulierung erdrosselt werden soll, ein hinreichendes Maß an Verantwortung - für den Einzelnen selbst und für andere -,
({29})
aber auch an freiwilliger Selbstbegrenzung oder Respekt
vor Regeln. Das nennt man gemeinhin werteorientiertes
Verhalten. Das sollte man nicht banalisieren. Man sollte
es nicht unterschätzen. Wir stehen vor der Alternative:
entweder eine zügellose Freiheit, die sich selbst zerstört
bzw. ein Maß an Regulierung, das zur Erdrosselung,
Lähmung und Untergrabung von Freiheit führt, oder
eine Stärkung der Kräfte, die durch Selbsteinsicht und
werteorientiertes Verhalten Freiheit mit dem notwendigen Rahmen versehen.
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble:
({30})
Übrigens wird solches Verhalten am ehesten vermittelt, indem es andere vorleben. Das ist die Funktion von
Eliten. Aber das ist ein weites Feld. Dort gab es in den
zurückliegenden Jahren erhebliches Versagen; auch das
ist wahr. Trotzdem bleibt das für die Zukunft notwendig.
Es muss uns zu denken geben, dass das Vertrauen der
Menschen in die soziale Marktwirtschaft - Umfragen
belegen das - gelitten hat. Deswegen ist es wichtig, dass
wir uns in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wieder
und wieder der Grundlagen unserer Freiheit und unserer
Ordnung der sozialen Marktwirtschaft vergewissern.
Freiheit, Gerechtigkeit und soziale Verantwortung sind
die Grundlagen dieser sozialen Marktwirtschaft.
Auslöser der Krise war übrigens nicht die soziale
Marktwirtschaft, sondern die Verletzung zentraler
marktwirtschaftlicher Prinzipien wie Haftung und Verantwortung.
({31})
Deswegen sind die Probleme bei aller Tragweite nicht
ein Beleg für eine Krise der sozialen Marktwirtschaft,
sondern sie stehen für eine Krise im System, und wir
müssen sie durch eine Bestärkung der Grundlagen unserer Ordnung überwinden.
Im Grundsatz ist die Überlegenheit der sozialen
Marktwirtschaft in Europa und weit darüber hinaus nicht
mehr bestritten. Das war in früheren Zeiten anders. Ich
habe vor kurzem mit großem Interesse und der mir eigenen Fähigkeit, mich ein Stück weit ironisch zu freuen,
einen Kommentar des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul
Krugman in der New York Times gelesen. Krugman ist
bisher nicht unbedingt als Vertreter der Reaganomics bekannt geworden. Er schreibt mit viel Überzeugungskraft
in der New York Times - ich empfehle diesen Kommentar zur Lektüre -, die Amerikaner sollten das europäische Modell der sozialen Marktwirtschaft ein bisschen
ernster nehmen. Vieles sei in Europa viel erfolgreicher,
als man in den Vereinigten Staaten von Amerika gelegentlich glaube.
({32})
Damit sind nicht alle Probleme in Europa gelöst.
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn das
schon in Amerika von einem so bedeutenden Vertreter
der Wirtschaftswissenschaft so gesehen wird, dann sollten wir daraus die Überzeugung ableiten, dass wir im
Rahmen der sozialen Marktwirtschaft
({33})
für Nachhaltigkeit, für Wettbewerbsfähigkeit, für Leistungsfähigkeit und für soziale Gerechtigkeit in unserem
Land auch für die kommenden Generationen sorgen
können.
({34})
Der Bundeshaushalt 2010, dessen Entwurf wir Ihnen
heute vorlegen, über den wir heute und in dieser Woche
diskutieren, versucht, den bescheidenen Beitrag staatlicher Finanzpolitik zur Stärkung dieser Ordnung zu leisten.
Herzlichen Dank.
({35})
Bevor ich die Aussprache eröffne, gebe ich Ihnen das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des Parlamentari-
schen Kontrollgremiums bekannt: abgegebene Stim-
men 586, davon gültige Stimmen 581, ungültig 5. Mit Ja
haben gestimmt 320, mit Nein haben gestimmt 226,
35 Kolleginnen und Kollegen haben sich der Stimme
enthalten.1)
({0})
Damit hat der Kollege Wolfgang Nešković die erforderliche Mehrheit erhalten und ist zum Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums gewählt.
({1})
In der Aussprache erhält als Erster der Kollege
Joachim Poß für die SPD-Fraktion das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Dr. Schäuble, mit Ihrer Rede haben Sie zumindest bewiesen, dass Sie sich in den langen Jahren Ihrer parlamentarischen Tätigkeit eine gewisse Raffinesse angewöhnen mussten - ich meine das positiv -; denn Sie
haben in einer für die Koalition so schwierigen Situation
wie dieser eine staatspolitische, pathetische Vorlesung
einer Haushaltsrede vorgezogen.
({0})
Das ist das, was Ihnen nach all der Unbill noch übrig
blieb. Und dann diese großen Worte: Glaubwürdigkeit
und andere. Das Problem ist aber - Herr Schäuble, Sie
wissen das -, dass die Öffentlichkeit bei dieser Koalition
in den letzten Wochen nur Theater erlebt hat. Das letzte
Treffen im Borchardt war die Krönung. Eine Zeitung hat
dazu geschrieben: „Programm statt Prosecco“. Mit diesem Theater konnten Sie die Öffentlichkeit doch nicht
überzeugen. Das ist das Problem, vor dem Sie stehen.
({1})
Ihnen fehlt eine klare Orientierung nach vorne. Wo ist
denn jenseits der pathetischen Worte die Wachstumsstrategie für das nächste Jahrzehnt?
({2})
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble:
Wo sind die Überlegungen, wie man Stabilität und
Wachstum zum Wohle unseres Volkes miteinander verbindet? Nichts ist dazu heute von Ihnen gekommen.
Auch in dieser Rede war null und nichts dazu zu registrieren.
({3})
Wie gesagt, das, was Sie geboten haben, war Ablenkung; denn ein werteorientiertes Verhalten kann man Ihnen so nicht attestieren.
Die Politik der Klientelregierung Merkel wird zur Bedrohung unserer Zukunft. Darum geht es in diesen Tagen.
({4})
Jeden Tag wird klarer - das ist belegt; lesen Sie doch die
Zeitungen -, wie eng die neue Koalition mit Lobbyisten,
mit bestimmten Wirtschaftsinteressen, mit einzelnen
Klientelgruppen verbändelt ist. Das betrifft nicht nur die
FDP, sondern auch die CDU/CSU.
({5})
Neu ist das übrigens nicht. Die Namen Kohl und
Strauß, Lambsdorff und Möllemann
({6})
stehen für große Spendenskandale und schwarze Kassen
in den 80er- und 90er-Jahren. Der Strauß-Spezi
Schreiber - einigen hier persönlich bekannt ({7})
steht gerade in Augsburg vor Gericht. Das heißt, die Geschichte holt die Klientelkoalition ein. Die Melodie von
der gekauften Republik ertönt wieder.
({8})
Da gibt es durchaus geschichtliche Parallelen. 1982
- ich erinnere mich, Herr Schäuble, mit Ihnen und anderen hier im Deutschen Bundestag an diese Zeit - rief
Helmut Kohl die „geistig-moralische Erneuerung“ aus
und entging dann im Flick-Parteispendenskandal nach einer Falschaussage nur knapp seinem Rücktritt. Das war
damals der Beleg für die „geistig-moralische Wende“, so
wie er sie sich vorgestellt hat.
2010 ruft wieder jemand aus einer solchen Koalition
eine geistig-politische Wende aus. Diesmal ist es Herr
Westerwelle.
Jetzt wissen wir auch, welchen Staat und welche Gesellschaft sich Herr Westerwelle darunter vorstellt: Steuersenkungen für wenige zulasten von Kindergärten und
Schulen in den Städten, zulasten der Beschäftigung von
Lehrern und Polizisten in den Ländern. Das, Herr
Westerwelle, ist jenseits großer Worte faktisch Ihre
„geistig-politische Wende“.
({9})
Klarheit seitens des Bundesfinanzministers über den
Weg aus der hohen öffentlichen Verschuldung, die wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise in Kauf genommen
werden musste - das ist unbestritten, Herr Schäuble -,
besteht jedenfalls nicht. Bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wird geeiert und laviert. Trotz aller Änderungen der Wirtschaftsdaten, Herr Schäuble, wissen
auch Sie: Egal wie die Steuerschätzung im Mai dieses
Jahres ausfällt, ob einige Milliarden höher oder niedriger, ändert das doch nichts daran, dass weder im Jahre
2011 noch im Jahre 2012 noch im Jahre 2013 Spielräume für Steuersenkungen in Höhe von 20 Milliarden
Euro vorhanden sein werden, wenn man glaubwürdig
eine Politik betreibt, die auf Investition und Konsolidierung setzt. Das weiß jeder, und die meisten Ökonomen
sagen Ihnen das jeden Tag.
({10})
Warum verfolgen Sie denn einen solch bedrohlichen
Weg? Es ist nicht einzusehen, warum offenkundig nicht
nur Sie, sondern auch Frau Merkel da mitmachen. Sie
haben sich in die Falle einer übereilten und falschen Koalitionsvereinbarung begeben. Die ach so geschickte
Frau Merkel als unsere Bundeskanzlerin ist in der Tat
zum ersten Mal in der Gefahr, politisch unterzugehen.
Man kommt aus diesen Festlegungen offenkundig nicht
mehr heraus. Man will ja auch nicht heraus. Schließlich
wird von allen Seiten Druck gemacht. Ein großer Medienkonzern steht dabei an der Spitze. Andere Wirtschaftsverbände äußern sich jeden Tag dazu. Es wird für
die Öffentlichkeit in diesen Tagen immer deutlicher,
wem Sie sich eigentlich verpflichtet fühlen, Frau
Merkel. Sie fühlen sich nicht in erster Linie den Menschen verpflichtet, die Sie gewählt haben und für deren
Wohlergehen Sie zu sorgen haben, sondern offenkundig
nur den Interessen Ihrer Klientel. Einem kann angst und
bange werden, wenn man das beobachtet.
({11})
Herr Schäuble, bis zum heutigen Tage in den Medien
hochgelobt, enttäuscht im Amt des Bundesfinanzministers mehr und mehr. Da, wo Peer Steinbrück für klare
Kante stand, taktiert Schäuble aus parteipolitischen
Gründen. Sehr wahrscheinlich kommt er wegen des Gezerres, das wir tagtäglich erleben, gar nicht umhin, sich
so zu verhalten.
Aber einige Dinge haben Bedeutung für die Zukunft
unseres Landes. Herr Schäuble hat am Anfang seine Bedenken zum sogenannten Stufentarif in der Einkommensteuer durchaus formuliert. Jetzt hat er nachgegeben. Mit dem nun von ihm akzeptierten Stufentarif bei
der Einkommensteuer wird die Abkehr vom Sozialstaatsprinzip, von der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Deutschland eingeleitet.
({12})
Das bedeutet ein weiteres Stück Abkehr vom Sozialstaat, dessen Sicherheit wir brauchen und den wir auch
finanzieren müssen.
({13})
Unser Sozialstaat hat nicht nur einen Preis, er hat auch
einen Wert. Diesen Wert müssen Sie langsam erkennen.
Dieser Sozialstaat darf nicht von Ihnen Stück für Stück
zerstört werden vor dem Hintergrund des Wahlergebnisses, das Sie in diese Lage versetzt hat.
({14})
Sie haben auch von Nachhaltigkeit gesprochen, Herr
Schäuble. Diese Regierung besitzt keine nachhaltige
Wachstumsstrategie im Interesse von Investitionen und
Arbeitsplätzen. Diese Regierung lebt von der Hand in
den Mund. Das kann man exemplarisch festmachen.
Über die Steuerentlastung für Hotels ist in den letzten Tagen schon ausführlich berichtet worden. Im Übrigen wurde dies nicht nur von der FDP gefordert; die
CSU war auch an vorderster Front. Im Bayernkurier hat
sich Herr Fahrenschon bereits im letzten Jahr dafür gelobt, dass er Herrn Steinbrück bedrängt hat, diesen
Quatsch mitzumachen. „Quatsch“ stand natürlich nicht
im Bayernkurier; so nenne ich es.
Unerträglich war es mit der CSU auch schon zum
Ende der Großen Koalition. Wir haben die Erbschaftsteuer gerettet zur Finanzierung von Bildung in den
Ländern.
({15})
Wenn die Sozialdemokraten nicht gewesen wären, Frau
Merkel, dann hätten Sie auch da nachgegeben, und dann
wäre das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer in Höhe
von 4 Milliarden Euro mit steigendem Potenzial de facto
weg gewesen.
({16})
So ist es doch. Es wurde immer quietschiger.
Wessen Interessen wurden da eigentlich vertreten?
Die Betroffenen wohnen nicht alle am Starnberger See,
manche wohnen auch in der Schweiz, aber sie betreiben
ihre Geschäfte nach wie vor über München. Es können
noch manche Unappetitlichkeiten zum Vorschein kommen. Das ist die Klientelpolitik der CSU, die die Volkspartei in den letzten Jahren nur geschauspielert hat. Jetzt
wird sichtbar, was hinter der CSU steckt, und deswegen
ist sie in einer Krise. Das sage ich gar nicht hämisch;
denn wir Sozialdemokraten stehen auch nicht so gut da.
Es gibt auch in unserer Partei Diskussionen. Da bin ich
ganz ehrlich. Das abzustreiten, hätte keinen Zweck.
Aber Sie sind - vor allem zu Stoibers Zeiten - gesprungen, wenn in München bei der Allianz oder bei Siemens
gepfiffen wurde. Das haben wir doch bei jeder Verhandlung in der Großen Koalition gemerkt.
({17})
Bemerkenswert ist, wie die Wirtschaftsverbände auf
die Nachfolger von Kohl, Strauß und Lambsdorff in den
letzten Tagen Druck gemacht haben. Jetzt werden
Merkel, Seehofer und Westerwelle bedrängt und müssen
den Druck aushalten, der schon früher üblich war. Unter
diesem Druck haben Sie sich, Frau Merkel, dann im
Handelsblatt-Interview eindeutig zu weitreichenden
Steuersenkungen bekannt. Sie boxen diese völlig verfehlten Steuersenkungen für wenige durch und nehmen
in Kauf, dass das für die Haushalte vieler Länder und
Kommunen fast den Ruin bedeutet.
Wir haben leider nicht die politische Mehrheit, das zu
verändern. Solange die Sozialdemokraten in der Regierung waren, war für eine anständige Regierungsleistung
gesorgt. Jetzt zerfasert alles. Man sollte sich dieses Kabinett einmal im Einzelnen ansehen.
Wir appellieren daher an Sie: Geben Sie diese abenteuerlichen Steuersenkungspläne auf! Finden Sie im Interesse von Deutschland zu einer einigermaßen seriösen
Politik zurück!
({18})
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Westerwelle.
({0})
Herr Kollege, ich will inhaltlich nicht auf Ihre Rede
eingehen, sondern nur auf einen Punkt, der mich persönlich und menschlich sehr betrübt. Sie haben mich jetzt
mehrfach - aus Ihrer Sicht ist das ein schwerer Vorwurf mit unserem verstorbenen Ehrenvorsitzenden Graf
Lambsdorff verglichen. Ich möchte Ihnen, weil er vor
wenigen Wochen gestorben ist, in aller Ruhe sagen:
Wenn Sie meinen, Sie würden mich beschimpfen, indem
Sie mich mit Graf Lambsdorff vergleichen, so möchte ich
Ihnen sagen, dass Sie mir damit gerade ein wunderbares
Kompliment gemacht haben.
({0})
Herr Westerwelle, ich wollte damit nicht auf die beachtliche Lebensleistung des Grafen Lambsdorff zu
sprechen kommen. Ich war im Flick-Untersuchungsausschuss, ich habe die Vernehmungen von Lambsdorff und
Kohl miterlebt und sie dort teilweise mitbefragt. Ich
habe darauf hingewiesen, dass Sie ein Nachfolger des
späteren Parteivorsitzenden Lambsdorff sind und dass
Ihre Partei über eine gewisse Erfahrung in der Klientelpolitik verfügt. Auch Graf Lambsdorff - bei all seinen
sonstigen Verdiensten - war da durchaus erfahren; denn
grundlos ist er damals nicht als Wirtschaftsminister der
Regierung Kohl zurückgetreten. Freiwillig ist das nicht
geschehen.
Es beschädigt in meinen Augen auch nicht das Andenken an Herrn Lambsdorff, wenn man einwandfrei zutreffende Tatbestände mit den jetzigen Vorgängen in den historisch richtigen Zusammenhang stellt. Darum ging es.
({0})
Michael Meister ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte zunächst einmal im Namen der
Unionsfraktion Danke sagen, dass wir hier und heute
diese Plenardebatte zur Einbringung des Bundeshaushalts führen können. Es ist richtig, dass die Bundesregierung den Etatentwurf zügig vorgelegt hat; denn auch im
Jahre 2010 sind wir nach wie vor mit den Folgen der
Wirtschafts- und Finanzkrise konfrontiert. Wir müssen
Klarheit schaffen und dafür sorgen, dass die Investitionen, die wir tätigen wollen, eine gesetzliche Grundlage
haben und getätigt werden können. Es ist ein wichtiges
Signal, dass wir heute beginnen, diese Grundlage zu
schaffen. Ich sage der Bundesregierung für die zügige
Vorlage des Etatentwurfes nochmals Danke.
({0})
Wir haben seitens der neuen Bundesregierung in Person des Bundesfinanzministers einen neuen Stil erlebt.
Er hat diese Vorlage zuerst dem Haushaltsausschuss des
Deutschen Bundestages vorgestellt und ist dann an die
Öffentlichkeit gegangen. Ich glaube, dass wir alle diesen
Stil der Bundesregierung, des Bundesfinanzministers
sehr positiv bewerten. Das ist eine neue Form des Umgangs zwischen Regierung und Parlament. Auch dafür
möchte ich Danke sagen.
({1})
Ich rate uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Stil
auch im Deutschen Bundestag und in seinen Ausschüssen an den Tag zu legen.
Ich muss sagen, Herr Kollege Poß: Der Haushaltsentwurf, der uns jetzt vorliegt, entspricht mit Ausnahme der
Sofortmaßnahmen aus dem Koalitionsvertrag eins zu
eins der Vorlage von Herrn Steinbrück vom Sommer
vergangenen Jahres. Ich hätte von Ihnen erwartet, dass
Sie ein Wort dazu sagen, dass Sie hinter dieser Vorlage
stehen. Sie aber versuchen, sich von Ihrer eigenen Politik still und heimlich durch Polemik zu entfernen.
({2})
Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Sie haben wesentliche Mitverantwortung für diesen Haushalt.
({3})
- Natürlich haben Sie wesentliche Mitverantwortung für
diesen Haushalt, bis auf die Sofortmaßnahmen.
({4})
Diese Sofortmaßnahmen bedeuten eine wesentliche
Entlastung der Familien in diesem Land.
({5})
Sie führen dazu, dass Unternehmen in einer sehr schwierigen Lage - im Jahre 2009 gab es mehr als 30 000 Unternehmensinsolvenzen ({6})
nicht noch weiter durch Steuergesetze in die Insolvenzgefahr oder in Sanierungsschwierigkeiten getrieben werden, und sie ermöglichen gerade mittelständischen Unternehmen die Generationennachfolge. Deshalb ist diese
Politik richtig.
({7})
Es ist gut, dass Sie diese Maßnahmen in der aktuellen
Krise nicht länger verhindern konnten.
({8})
Natürlich können wir uns in dieser Debatte auch auf
ein anderes Niveau begeben. Sie, Herr Poß, fordern hier
Klarheit ein, vergessen aber, in Ihrer direkten Nachbarschaft, nämlich im Rahmen der Kommunalwahl in Dortmund, darauf hinzuweisen, was haushalterisch bevorsteht.
({9})
Ich finde, wir sollten in dieser Debatte einen anderen Stil
pflegen, weil dieses Niveau dem Ernst der Lage in unserem Lande nicht gerecht wird. Wir sollten vielmehr
ernsthaft über die Frage diskutieren, wie Haushaltsansätze auszusehen haben.
Wir waren in dieser Krise der letzte Vertrauensanker.
Wir waren die Letzten, die versucht haben, wieder Vertrauen in die Finanzmärkte zu schaffen. Was Sie hier
heute Morgen abgeliefert haben, war allerdings ein wesentlicher Beitrag dazu, das letzte noch vorhandene Vertrauen zu zerstören.
({10})
Ich frage Sie: Wer soll denn Vertrauen schaffen, wenn
nicht, wie es gegenwärtig geschieht, die Staaten und die
Politik? Sie leisten der Krisenbewältigung einen Bärendienst. Kommen Sie wieder zu Bewusstsein, tragen Sie
Mitverantwortung, und machen Sie auch einmal Vorschläge, wie mit dieser Krise umgegangen werden soll!
({11})
In Ihrer gesamten Rede haben Sie keinen eigenen Vorschlag vorgetragen. Das ist kein Beitrag zur Bewältigung der Krise.
({12})
Als Zwischenbilanz muss ich sagen, dass ich mit
dem, was wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren erreicht haben, recht zufrieden bin. Was den Arbeitsmarkt betrifft, so hätte sich damals niemand träumen
lassen, dass die Arbeitslosenzahl zum jetzigen Zeitpunkt
so niedrig ist. Die meisten haben uns vor einem Jahr eine
Zahl in der Größenordnung von 5 Millionen vorhergesagt. Wir stehen jetzt deutlich besser da.
({13})
Das zeigt, dass sich die Tarifpartner verantwortlich verhalten. Aber auch wir haben unseren Beitrag geleistet
dadurch, dass wir Arbeit nicht teurer gemacht haben,
und durch unser Angebot des Kurzarbeitergeldes. Das
findet sich in diesem Haushalt wieder. Das war Politik
für die Menschen in Deutschland.
({14})
Wir wissen alle nicht, wie es mit dem Wachstum
weitergeht; die Schätzungen gehen an dieser Stelle weit
auseinander. Ich glaube, wenn wir das Ziel der Haushaltskonsolidierung ernst nehmen, sollten wir alles dafür tun, Politik für mehr Wachstum in diesem Land zu
machen. Es gibt einige Themen, bei denen Sie gesperrt
haben: eine Energiepolitik, die es ermöglicht, langfristig
zu planen, sodass Investoren investieren können;
({15})
Bürokratieabbau, nicht nur formal, sondern auch inhaltlich; steuerliche Erleichterungen, um die Leistungsträger
zu mehr Leistung zu motivieren.
({16})
Hier müssen Maßnahmen ergriffen werden, damit wir
zusätzliches Wachstum in diesem Land aktivieren und
über zusätzliches Wachstum einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten.
({17})
Ich sage ausdrücklich: Ich halte es für richtig, dass
wir die Menschen zu Beginn dieses Jahres in einem Umfang von über 20 Milliarden Euro entlastet haben. Wir
sollten weniger darüber diskutieren, was wir in der Zukunft tun wollen, und lieber darauf aufmerksam machen,
was zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist.
({18})
Ich glaube, dass die Kollegen von der SPD an dieser
Stelle bedenken sollten, dass sie drei Viertel der Maßnahmen mit beschlossen haben. Dann sollten sie auch
dazu stehen und das Ganze nicht schlechtreden.
({19})
Wir konzentrieren uns in diesem Bundeshaushalt
auch auf die Frage: Wie steht unser Land nach der Krise
da? Deshalb möchte ich ausdrücklich sagen: Die
Schwerpunkte in den Bereichen Forschung, Bildung,
Entwicklung sind richtig - ebenso die Zukunftsinvestitionen, die wir im Rahmen der Konjunkturprogramme
tätigen -, weil wir damit die Chance für neues Wachstum in der Zukunft verbessern.
({20})
Alles sind Maßnahmen, die der Sache dienen, bessere
Wachstumsgrundlagen zu schaffen. Diese Ausgaben
werden uns in der Zukunft eine positive Rendite bringen.
Deshalb sind diese Ausgaben vernünftig.
Bei den Diskussionen über den Haushalt 2010 ist zu
Recht darauf hinzuweisen - der Bundesfinanzminister
hat das getan -, dass die Neuverschuldung, die wir eingehen, exorbitant ist. Wir müssen aber sehen, wo die Ursachen liegen: 43 Milliarden Euro hängen schlicht und
ergreifend mit Einnahmeausfällen zusammen, die uns,
den Bund, aber auch die Länder und die Kommunen
treffen. Natürlich kann man diese Neuverschuldung kritisieren. Ich will aber ausdrücklich sagen: Ich halte es für
richtig, dass wir die automatischen Stabilisatoren haben
wirken lassen und nicht versucht haben, durch Steuererhöhungen oder durch Ausgabenkürzungen in der Krise
entgegenzusteuern. Unsere Politik ist für die gegenwärtige Situation die richtige Politik. Dann müssen wir das
aber auch im Haushalt hinnehmen.
Dasselbe gilt für die Sozialkassen. Natürlich kann
man die Klage führen, in welcher Höhe wir an die Bundesagentur für Arbeit Transfers für den Gesundheitsfonds leisten müssen, nämlich weit über 20 Milliarden
Euro. Aber auch an dieser Stelle haben wir eine Rendite,
nämlich weil wir Arbeit nicht verteuern. Deshalb ist
auch hier absolut konsequent, die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen.
({21})
Ich will noch etwas über die Zukunft sagen. Es gibt in
der Bevölkerung massive Sorgen im Hinblick auf die
Geldwertstabilität. Deshalb wird es wichtig sein, dass
wir jenseits aller Detaildebatten das klare Signal setzen:
Der Deutsche Bundestag steht für Geldwertstabilität.
({22})
Das heißt, wir müssen uns eins zu eins zu den
Maastricht-Kriterien und zur Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank bekennen. Wir müssen die Konsolidierungsverpflichtungen aus dem Vertrag von Maastricht
aufnehmen und ernst nehmen. Das ist keine Schwächung
des Staates, sondern eine Stärkung der Zukunft der Menschen in diesem Land.
({23})
Wir haben die Schuldenbremse beschlossen. Viele
tragen entschuldigend vor, wir müssten konsolidieren,
weil es diese Schuldenbremse gibt. Ich möchte konsolidieren, damit wir auch in Zukunft ein Land haben, das
ein festes Fundament für seinen Wohlstand hat. Wenn
wir die Haushalte nicht konsolidieren, wird das Fundament des Wohlstands verloren gehen.
({24})
Wenn wir nicht dafür sorgen, dass unser Staat, indem er
die Schulden zurückführt,
({25})
handlungsfähig bleibt, werden wir auch die Voraussetzungen für den Sozialstaat nicht wahren können. Deshalb ist Konsolidierungspolitik Sozialpolitik für dieses
Land, wenn wir sie denn als nachhaltig verstehen.
({26})
- Jetzt ist Ihr Ruf: Wo denn? Wir diskutieren heute den
Haushalt 2010. Wir alle haben gehört, dass es im Hinblick auf die Wachstumsschätzungen noch ungeheuer
schwierig ist, vorherzusagen, was kommen wird. Weltweit gibt es nach wie vor Blasenbildungen.
({27})
Aufgrund der Ungleichgewichte an verschiedenen Stellen der Weltwirtschaft wäre es fahrlässig, jetzt auch noch
den einzigen stabilen Anker unserer Volkswirtschaft, den
Binnenkonsum, zu beschädigen.
Aber wir müssen natürlich für die Zeit nach der Krise
darüber nachdenken, wie wir konsolidieren. Dazu sage
ich Ihnen relativ klar und deutlich: Wir brauchen hier ein
schlüssiges Gesamtkonzept, das mit dem Haushalt des
Jahres 2011 für die Zeit der mittelfristigen Finanzplanung kommen muss. Dabei können wir nicht nur einseitig sparen, sondern müssen gleichzeitig darauf achten,
dass Beschäftigung und Wachstum stabil bleiben. Sie
haben Anfang des Jahrtausends in der rot-grünen Koalition vorgeführt, was passiert, wenn man nur spart - das
ist notwendig, aber nicht hinreichend -: Dann endet man
mit keinem Wachstum - Nullwachstum hieß es damals -,
mit steigender Arbeitslosigkeit und mit wachsenden
Haushaltsbelastungen.
({28})
Dies werden wir vermeiden, indem wir eine kluge
Wachstumsstrategie mit der notwendigen sparsamen
Haushaltsführung zusammenbinden. Dieses Konzept
werden wir zusammen mit dem Haushalt 2011 diskutieren.
({29})
Wir haben aus meiner Sicht ein riesiges Zinsänderungsrisiko. Trotz steigender Staatsverschuldung geht
unsere Zinsbelastung im Haushalt zurück. Das bedeutet
allerdings, dass wir für die Zukunft überlegen müssen,
wie wir das Zinsänderungsrisiko auffangen können.
Auch da ist meine Antwort: Nur wenn wir plausibel darlegen, dass wir auf Geldwertstabilität setzen, werden wir
auch eine Chance haben, dass Zinsen nicht auf eine beliebige Höhe steigen. Deshalb müssen wir auch an dieser
Stelle die richtige Antwort in Form von Konsolidierung
geben.
Wenn wir die Frage „Wachstumspolitik und Steuerreform“ diskutieren, dann habe ich bisher niemanden gehört, der der Meinung war, unser Steuerrecht in Deutschland sei zu einfach und weise keine Komplexität auf.
({30})
Deshalb sind wir der Meinung, dass es nicht ausreicht,
über diese Problembeschreibung nur zu reden; vielmehr
müssen wir das Steuerrecht in Deutschland vereinfachen. Wir wollen dieses Problem angehen.
({31})
Ich bin auch nicht der Meinung, dass wir Menschen dazu
motivieren, mit uns gemeinsam aus dieser Krise herauszugehen, wenn wir ihnen das Signal geben, dass alles,
was sie zusätzlich tun, mit einer extrem hohen Grenzbesteuerung belastet wird. Deshalb müssen wir auch diese
Frage angehen.
({32})
Auch an dieser Stelle kommt es wieder darauf an, nicht
nur die einzelnen Ziele für richtig zu erachten, sondern
das Ziel eines einfacheren und leistungsgerechteren
Steuersystems auch mit der Frage der Haushaltskonsolidierung zusammenzubinden und daraus ein Gesamtwerk
zu machen, damit es mittel- und langfristig bei den Menschen glaubwürdig ankommt. Dies muss das Bestreben
dieser Koalition sein, und deshalb werden wir gemeinsam ein Konsolidierungskonzept und ein Steuerreformkonzept vorlegen.
({33})
- Ich glaube Ihnen ja, dass Sie das Zutrauen an die Menschen in diesem Land nicht haben. Wir haben das Vertrauen in die Menschen dieses Landes, und wir wollen
die Menschen in diesem Sinne motivieren, dass Sie dieses Problem mit uns gemeinsam angehen.
({34})
Meine Damen und Herren, wir können über jeden einzelnen Titel reden, wir können über jede Haushaltsposition streiten. Aber tun wir es bitte in der Sache, am Inhalt orientiert, tragen wir die Argumente gegeneinander
vor, aber bitte nicht in dem Stil, dass jeweils unterstellt
wird, dass der andere es nicht ehrlich meine und nicht
aufrichtig vortrage; dies führt uns alle nicht weiter.
({35})
Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss, lieber Kollege Barthle, dass sie vielleicht
noch die eine oder andere Million, vielleicht auch Milliarde finden, damit wir die jetzige Neuverschuldung
zurückführen können. Wenn wir in diesem Geiste miteinander sprechen, dann werden wir auch erfolgreiche
Haushaltsberatungen haben.
Vielen Dank.
({36})
Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch hat nun das Wort für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir diskutieren seit heute Morgen darüber, wie
schwarz-gelbe Politik funktioniert: Reiche Leute können
sich per Großspende ihre Politik direkt bestellen. Arme
haben keine Chancen. - Mövenpick zahlte vor Beginn
der Koalitionsverhandlungen eine Millionenspende an
die FDP. Daraufhin beschloss die Koalition, dass der
Mehrwertsteuersatz für Übernachtungen gesenkt wird.
Dieses Beispiel zeigt, dass Politik nicht mehr gewählt
wird; sie wird bestellt. Eine Verkäuferin bei Lidl hat
nicht die Möglichkeit, per Großspende Politik zu bestellen. Darum werden ihre Interessen von Schwarz-Gelb
auch nicht berücksichtigt.
({0})
Wer so handelt wie Schwarz-Gelb - Politik nach
Spendenhöhe -, der legt die Axt an die Wurzel der Demokratie. Damit finden wir uns nicht ab.
({1})
Wir brauchen ein Gesetz, das die Bestechung von Parteien und Abgeordneten verbietet.
({2})
Der FDP kann ich nur empfehlen, die Millionenspende
für einen gemeinnützigen Zweck zu spenden; denn wenn
Sie diese Spende behalten, dann werden Sie zu Recht als
Mövenpick-Partei in die Geschichte eingehen.
({3})
Die Konstruktionsfehler dieses Haushaltes sind
schnell erklärt: Erstens. Der Koalitionsvertrag von
Schwarz-Gelb sieht in den nächsten Jahren Steuersenkungen in Höhe von 24 Milliarden Euro vor. Das ist
nichts anderes als die Fortsetzung der Umverteilung von
unten nach oben. Dies ist die falsche Politik.
({4})
Zweitens. CDU/CSU und SPD haben eine Schuldenbremse beschlossen, die eine jährliche Kürzung des
Haushaltes um 10 Milliarden Euro erzwingt. Drittens
muss der Bund allein in diesem Jahr über 100 Milliarden
Euro neue Schulden machen. - Wer versucht, diese drei
Punkte in Einklang zu bringen, der wird scheitern.
Die Regierung hat beschlossen, dass sie den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen nicht die Wahrheit sagen wird. Wir sagen ihnen aber
die Wahrheit. Es gibt nur zwei Lösungsansätze: entweder - wie wir es fordern - ein gerechtes Steuersystem
mit Börsenumsatzsteuer, Vermögensteuer, Millionärsabgabe und Erbschaftsteuer sowie höherer Besteuerung für
Besserverdienende oder die Kürzung von Sozialleistungen. Die Regierung - das müssen wir hier in aller Offenheit sagen - hat sich intern schon für die Kürzung von
Sozialleistungen entschieden. Wir als Linke werden alles
dafür tun, damit die Regierung mit solchen Vorhaben
scheitert.
({5})
Wir wollen Steuererhöhungen für die, die uns diese
Krise eingebrockt haben und jetzt schon wieder dicke
Gewinne einfahren und Millionen an Banker-Boni bekommen. Wenn es darum geht, die Ackermänner zur
Kasse zu bitten, dann ist diese Regierung auf einmal völlig unentschlossen. Die Kanzlerin ist für alles offen und
kann sich alles vorstellen, möchte aber eine internationale Lösung. Das soll im Klartext heißen: Wenn man
sich nicht international einigen kann, dann geht alles
weiter wie bisher.
Genau das ist schon jetzt der Fall. Das Finanzkasino
ist wieder eröffnet. Die Regierung hat rein gar nichts unternommen, um eine Wiederholung der Krise zu verhindern. Im Gegenteil: Sie bereitet mit ihrer Politik die
nächste Krise vor. Die Krönung ist, dass sie strengere
Regelungen gegen Steuerhinterziehung, die noch durch
die CDU/CSU-SPD-Regierung beschlossen wurden,
nicht anwenden will, mit der Begründung, es gebe angeblich keine Steueroasen mehr. Ist das nicht unglaublich?
Fazit: Diese Regierung tut nichts, um eine Wiederholung der Finanzkrise zu verhindern. Sie tut nichts, um
die zur Rechenschaft zu ziehen, die die Krise verursacht
haben, und sie tut nichts, um die Einnahmen des Staates
zu stabilisieren. Damit gefährdet sie den sozialen
Zusammenhalt in unserem Land und die Zukunft der
Mehrheit der Menschen.
Wir als Linke sagen deutlich, wofür wir Geld brauchen: für bessere Bildung, für ein Gesundheitssystem für
alle und für die Menschen, die aus dem Arbeitsleben herausgedrängt wurden und jetzt von Transferleistungen
leben müssen. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich:
Wir als Linke werden uns mit Hartz IV niemals abfinden.
({6})
Wir wollen auch verhindern, dass die Bundesregierung
die Kommunen weiter in den Ruin treibt. Wir wollen,
dass auch weiterhin Schwimmbäder beheizt werden und
Theater bespielt werden können.
Wir haben aber nicht nur Vorschläge für Ausgaben.
Wir als Linke haben eine ausreichende Zahl an Vorschlägen dafür, wie der Haushalt entlastet werden kann. Ich
will nur zwei Beispiele nennen.
Erstens. Eine wesentliche Entlastung des Haushaltes
und eine große sozialpolitische Maßnahme wäre es,
wenn wir endlich einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn in Deutschland einführten.
({7})
Das würde nicht nur den Haushalt entlasten, sondern
auch den Menschen, die jeden Tag arbeiten gehen und
trotzdem als Aufstocker zum Amt gehen müssen, um
sich Geld zu holen, ihre Würde zurückgeben. Wir wollen, dass die Menschen in unserem Land in Würde leben
können.
({8})
Zweitens. Wir wollen den Verzicht auf Prestigeobjekte. Wir brauchen keinen Militärtransporter für über
8 Milliarden Euro.
({9})
Wir brauchen keine Kriegseinsätze der Bundeswehr. Die
Mehrheit der Menschen in unserem Land teilt die Auffassung, dass solche Projekte unsinnig sind.
Wir als Linke fordern die Bundesregierung auf, den
vorliegenden Haushaltsentwurf zurückzuziehen. Er enthält falsche Lösungsansätze für die Probleme unseres
Landes. Er ist ein Haushalt von und für Lobbyisten. Wir
brauchen aber einen Haushalt der sozialen Gerechtigkeit.
({10})
Als Nächster spricht Otto Fricke für die FDP-Fraktion.
({0})
Geschätzte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eine Haushaltsdebatte bedeutet eigentlich eine Diskussion über Zahlen und Fakten. Deshalb muss man als Erstes analysieren, woher wir
eigentlich kommen. Herr Minister, es stimmt - darüber
besteht Einigkeit in diesem Hause -, wir befinden uns in
einer Wirtschaftskrise. Wir müssen versuchen, aus dieser
Krise so gut, so schnell, so stabil und vor allen Dingen
so herauszukommen, wie es sich für eine soziale Marktwirtschaft gehört. Aber woher kommen wir? Die SPD
war in den letzten 11 Jahren an der Regierung beteiligt
und ist daher für eine Neuverschuldung in Höhe von
300 Milliarden Euro verantwortlich. Ihr Sozialdemokraten werdet sicherlich sagen, dass ihr das nicht wolltet.
Das akzeptiere ich. Aber es war so.
({0})
Die Tatsache, dass Sie von der SPD angesichts einer Finanzplanung, die bis zu Ihrem Ausscheiden aus der Bundesregierung - das haben Sie bisher anscheinend noch
nicht ganz bemerkt - eine Neuverschuldung in Höhe von
350 Milliarden Euro vorsah, hier erzählen, wie schlecht
und schlimm das alles ist, zeigt: Sie wollen von dem
Schuldenberg, den Sie hinterlassen haben, mit möglichst
großer Lautstärke und möglichst wenig Inhalt ablenken.
({1})
Wie ist es denn in der Vergangenheit gewesen? Immer
wenn die Notwendigkeit zu Reformen bestand, hatte
man nicht ein einziges Mal den Mut, etwa mit der
Agenda 2010 die Baustelle aufzumachen. Daher hat man
sie mit mehr Geld zugeschüttet. Im Endeffekt hat man
dafür immer wieder neues Geld gebraucht. Sie wollen
nun - das sollten Sie den Bürgern auch sagen - eigentlich denselben Weg gehen. Sie wollen unsere Steuerreform mit einem Entlastungsvolumen von 19,5 Milliarden Euro - das werden wir noch wuppen; das steht so im
Koalitionsvertrag und wurde im November letzten Jahres von der Bundeskanzlerin genau dargelegt und bestätigt - nicht mittragen. Sie wollen sie aber nicht nur deshalb nicht, weil Sie gegen Steuersenkungen sind.
Vielmehr brauchen Sie das Geld, um die nächsten Ausgabenideen zu verfestigen. Es wird wieder wie folgt
sein: Sie erzählen uns zu Beginn der ersten Lesung, wie
schlimm und wie schrecklich das alles sei und dass man
sparen müsse.
({2})
Aber den ganzen heutigen Nachmittag, morgen, übermorgen und am Freitag werden Sie in den Debatten über
die Einzeletats wieder mehr Geld fordern.
({3})
Das ist der Grund: Sie wollen den Bürgern mehr Geld
aus der Tasche ziehen.
({4})
Es geht Ihnen nicht um das Sparen, sondern nur darum,
Ihre Ausgabenpolitik, die die Menschen weiterhin nur
bevormundet, fortsetzen zu können. Deswegen sind Sie
gegen Steuersenkungen. Sie wollen am liebsten alle
möglichen Steuern erhöhen.
({5})
Wir wollen das alles nicht.
({6})
Denn wir sind in unserem Land an folgendem Punkt angelangt - auch das gehört zur Wahrheit der Zahlen -:
Ohne dass es darum geht, einen Schuldigen zu finden,
müssen wir sehen, dass in diesem Jahr die SozialausgaOtto Fricke
ben und die Zinsausgaben, die aus diesem Haushalt geleistet werden müssen, 100 Prozent der Steuereinnahmen, also alle, beanspruchen. Wie können Sie angesichts
dieser Lage unseres Staates, den Sie uns so überlassen haben - welches Bild machen Sie sich eigentlich? -, glauben, dass wir mit Ihrer alten Politik weiterkämen? Wenn
Sie irgendwann wieder an der Regierung wären, würden
Sie wahrscheinlich überraschenderweise feststellen: Es
tut uns leid, aber wir müssen wieder einmal die Mehrwertsteuer erhöhen. - So sieht doch Ihre Politik aus. Unsere dagegen ist ganz anders.
({7})
Der Haushalt 2010 ist für alle sehr schwierig. Herr
Kollege Schneider hat das in der letzten Debatte deutlich
gesagt. Wir müssen im Haushalt 2010 aber mit dem anfangen, was Mentalitätswechsel genannt wird, eigentlich
aber nichts anderes als Sparen heißt, und zwar nicht im
Sinne eines Kaputtsparens - ich weiß, dass das Ihr
nächster Vorwurf sein wird -, sondern eines klugen Sparens.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
Sie sollten einmal Ihren Kopf anstrengen und sich überlegen, wie das geschehen kann, statt sich hier nur gemütlich zu räkeln und andere Politiker zu diffamieren.
({9})
Der Mentalitätswechsel fängt bei dem an, was die FDP
in der Vergangenheit als Oppositionspartei immer getan
hat, nämlich bei dem Einbringen von konkreten Vorschlägen.
({10})
- Frau Künast, wenn Sie Politik nicht vertragen, dann
gehen Sie lieber raus in den Berliner Winter. Das ist vielleicht schöner für Sie, auf jeden Fall aber für die hier
Anwesenden.
({11})
Wenn Sie ernsthafte Oppositionspolitik machen und
nicht nur daherreden wollen, wie Herr Kollege Poß, den
ich jetzt leider nicht sehe - vermutlich ist er in sich gegangen und überlegt sich noch einmal, was er da gesagt
hat -, es getan hat, dann machen Sie konkrete Vorschläge. Zeigen Sie, dass Sie Ihre Arbeit mit dem Kopf
machen und nicht mit anderen Körperteilen.
Gilt das, was zu dem Sparbuch gesagt wurde, noch?
- Wir haben als Oppositionsfraktion das Sparbuch 2009,
2008, 2007, 2006 usw. vorgelegt. Sie können so etwas
auch gerne machen. Aber das werden Sie nicht! Denn
wir sind uns zwar alle einig, dass wir sparen müssen,
({12})
und wir wissen aufgrund der Schuldenbremse und des
Stabilitätspaktes sogar, wie viel wir sparen müssen. Aber
immer dann, wenn es beim Sparen konkret wird, kommt
von Ihnen nichts.
({13})
Wir als Koalition sind offen für Vorschläge Ihrerseits,
für Sparvorschläge, die, wie es der Finanzminister gesagt hat, über die ganze Bandbreite gehen. Denn seien
wir doch ehrlich. Bei den meisten heißt es immer noch:
Als Politiker bin ich nicht für das Sparen zuständig, sondern höchstens dafür, hier und da ein Geschenk zu verteilen.
({14})
Meine Bitte an die Bürger lautet: Wann immer Sie der
Meinung sind, der Staat müsse hier oder da mehr Geld
ausgeben und dass wir an der einen oder anderen Stelle
zu wenig tun, dann sagen Sie gleichzeitig, wo wir das
Geld hernehmen sollen und wie viel Sie entsprechend
Ihrer Leistungsfähigkeit dafür zu tun bereit sind.
({15})
Herr Minister, Sie wissen, dass die Koalitionäre und
die Arbeitsgruppe Haushalt Sie bei den ersten Vorbereitungsschritten in diesem Jahr, die im Ansatz schon das
Denken hinsichtlich der Mammutaufgaben, die wir noch
vor uns haben, beinhalten, unterstützen. Im vergangenen
Jahr, als wir das noch allein machen konnten, hat die
FDP-Fraktion mit ihrem Sparbuch Vorschläge für den
Haushalt 2009 vorgelegt. Das geht in diesem Jahr nicht
mehr, weil wir einen Koalitionspartner haben, mit dem
wir vertrauensvoll zusammenarbeiten.
({16})
- Ich weiß, dass ihr es mit der vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht so sehr hattet. Wir handhaben das etwas
anders.
({17})
Herr Minister, wir erwarten von Ihnen aber auch, dass
die Liste, an der Sie im Ministerium arbeiten lassen,
möglichst breit aufgestellt ist, dass sie ein großes Volumen hat und die Möglichkeit eröffnet, die weiteren
Steuerentlastungen in Höhe von 19,5 Milliarden Euro so
in die Haushalte einzuarbeiten, dass das zusätzliche
Netto vom Brutto, was wir dem Bürger für die nächsten
vier Jahre im Koalitionsvertrag versprochen haben, auch
umgesetzt werden kann. Sie haben die Koalitionsfraktionen dabei an Ihrer Seite, und zwar nicht nur bei Schönwetterpolitik oder der Verteilung von drei zusätzlichen
Mehrwertsteuerprozentpunkten, sondern dann, wenn es
windet, stürmt und schneit und wir dieses Land für die
Zukunft fit machen.
Warum wollen wir eigentlich einen fitten Staat?
Selbst wenn man, wie Sie, Herr Trittin, nicht mehr an
Wachstum glaubt, dann glaubt man doch immer noch daran, dass man diesen Staat umbauen muss. Wir werden
es nicht schaffen, diesen Staat umzubauen, indem wir
immer wieder neue Subventionen gewähren.
({18})
Sie von Rot-Grün - von den Linken rede ich gar nicht
mehr - greifen dem Bürger in die Tasche, ziehen ihm einen Zehneuroschein heraus, holen einen Fünfeuroschein,
stecken ihm einen Fünfeuroschein in die andere Tasche
und sagen: Freu Dich, denn wir haben Dir etwas gegeben. - Wir wollen das nicht, wir wollen mehr Netto für
den Bürger, wir wollen endlich eine Wende in der Ausgabenpolitik und wir wollen aufhören, dem Bürger vorzumachen, der Staat könne alles. Der Bürger ist es, der
alles - wirklich alles - kann - wenn man ihn denn lässt.
Herzlichen Dank.
({19})
Alexander Bonde ist der nächste Redner für das
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Koalition gelingt mit dem Haushalt 2010 eine Rekordverschuldung von historischer Dimension. Die Neuverschuldung im Haushalt beträgt 86 Milliarden Euro,
hinzu kommen Schattenhaushalte, die, nach dem, was
der Finanzminister zugibt, ein Volumen von 14 Milliarden Euro haben. Wenn man alles zusammenrechnet, was
im Hause Schäuble unter den Teppich gekehrt wird, dann
ist man schon bei 130 Milliarden Euro, weil 30 Milliarden Euro reale Verschuldung für die Bankenrettung in
Ihrer Rechnung nie eine Rolle spielen. Die Verschuldung
des Bundes reißt unter Ihrer Ägide, Frau Merkel, die
1-Billion-Euro-Marke. Eigentlich liegt es in Ihrer Verantwortung, ehrlich darüber zu reden, was dieser Haushalt
für unsere Kinder, unsere Enkel und unsere Urenkel
heißt, die diese Veranstaltung bezahlen.
({0})
Wenn Sie hier von Verantwortung und Generationengerechtigkeit sprechen, dann müssen Sie auch darüber
sprechen, ob dieser Haushalt der großen Verantwortung
gerecht wird und ob Sie als Bundesregierung alles dafür
tun, damit dieser Haushalt auch die Interessen derjenigen schützt, von denen Sie selbstverständlich in Anspruch nehmen, dass sie später Ihr Handeln bezahlen.
Wir tragen heute die Verantwortung, trotz der großen
Krise den Schuldenberg in den Griff zu bekommen. Natürlich entspricht es nicht dem politischen Tagesgeschäft, wenn sich die Wirtschaft so entwickelt, wie sie es
in den letzten Monaten getan hat. Deshalb muss gerade
in dieser Krise doch deutlich werden, dass man bereit ist,
die Verantwortung zu übernehmen und zu fragen, wie
man aus der Krise heraus- und von dem Schuldenberg
wieder herunterkommt. Die Verantwortung besteht auch
darin, zu sehen, dass das nicht die einzige Krise ist, sondern dass die Bedrohung durch den Klimawandel eine
Belastung von noch größerer Dimension für die Kinder,
Enkel und Urenkel darstellt.
Ja, man darf der Krise nicht hinterhersparen. Aber
man muss gerade in der Krise mit den Ausgaben und den
Mitteln, die knapp sind, seriös umgehen. Das tun Sie
eben nicht. Sie haben von automatischen Stabilisatoren
gesprochen, die Sie ausfahren, weil das Wachstum einbricht. Sie sparen also Steuermindereinnahmen und
Mehrausgaben für den Arbeitsmarkt nicht hinterher. Das
ist richtig. Nur, wenn das Wachstum wieder da ist, müssen Sie die Stabilisatoren wieder einfahren. Das tun Sie
nicht. Gegenüber Herrn Steinbrücks Entwurf, der mit
0,7 Prozent Wachstum weniger kalkuliert hat als Sie, haben Sie eine Verschuldungslücke von 10 Milliarden
Euro, die ganz allein auf Ihr Konto geht und die nichts,
aber auch gar nichts mit den Krisen zu tun hat, von denen
Sie hier gesprochen haben, und das wissen auch Sie.
({1})
Damit sind wir an dem Punkt, was man verantwortlich in diesem Haushalt machen kann. Warum gehen Sie
nicht an einen Bereich, wo Sie eine doppelte Rendite erzielen können? Warum leisten wir uns den Irrsinn in diesem Bundeshaushalt, den Sie hier verabschieden, massive klimaschädliche Subventionen zu zahlen? Ich will
es einmal zusammenfassen: Das Umweltbundesamt kalkuliert mit 42 Milliarden Euro umweltschädlichen Subventionen im Bundeshaushalt. Warum tun Sie das in einer Situation, in der Klimawandel eine harte Realität ist
und in der wir hart kämpfen müssen, alles Mögliche zu
tun, um den Klimawandel zu stoppen, und wir gleichzeitig eine Rekordverschuldung haben? Warum legen Sie
einen Haushalt vor, der nach der Logik funktioniert: Mit
42 Milliarden Euro Steuergeld, die ich nicht habe, fördere ich umweltschädliches Handeln, um mit weiterem
Steuergeld, das ich auch nicht habe, wenigstens einige
der Auswirkungen wieder auszugleichen? Das ist die
ökologische und ökonomische Logik Ihres Haushaltes,
Herr Schäuble. Das macht keinen Sinn.
({2})
Das Problem ist, dass Ihre Zukunftsbetrachtung mit
der NRW-Wahl endet. Warum machen Sie eigentlich
Steuergeschenke in Höhe von 20 Milliarden Euro, die
Sie laut Koalitionsvertrag und auf Beharren Ihres KoaliAlexander Bonde
tionspartners mit Geld bezahlen wollen, das Sie auf die
Rekordverschuldung draufpacken?
Ich will noch einmal die Relation verständlich machen: 325 Milliarden Euro Ausgaben, davon 100 Milliarden Euro auf Pump. Jeder Mensch weiß, dass ein solcher Schuldenberg nicht abbaubar ist, wenn man auch
noch die Einnahmeseite kaputtmacht.
({3})
Herr Schäuble, wenn Sie ehrlich sind, dann müssen Sie
zugeben, dass ich recht habe.
Ich verlange von Ihnen in solch einer Situation eine
ehrliche Aussage, etwa: Ja, wir als Politiker werden sagen müssen, dass in dieser Krise starke Schultern mehr
tragen müssen, dass wir keine Luft für Steuersenkungen
haben und dass es vielmehr darum gehen wird, wie die
Lasten gemeinsam solidarisch getragen werden: Auf diejenigen, die es in dieser Gesellschaft gut haben, kommt
eine besondere Verantwortung zu, deshalb müssen wir
über die Höhe des Spitzensteuersatzes reden, und deshalb müssen wir über eine befristete Vermögensabgabe
reden. - Alles andere ist unehrlich und geht an das Fundament dieser Gesellschaft.
({4})
Lassen Sie uns einmal über ein paar andere Irrsinnigkeiten reden, die hier ebenfalls verteidigt werden.
Schauen wir uns einmal den Bereich der Subventionen
an, die Sie sich hier weiter munter leisten. Ich bin übrigens wirklich überzeugt, dass Sie in der Frage der Generationengerechtigkeit nicht ehrlich argumentieren. Sonst
würden Sie sich nämlich fragen: Wovon haben unsere
Kinder mehr? Ich bin davon überzeugt, dass unsere Kinder mehr davon haben, dass die Gemeinde das Schulhaus sanieren kann, als davon, dass das Überraschungsei
weiter einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegt.
({5})
Ich bin überzeugt davon, dass unsere Kinder mehr davon
haben, dass sich die Länder ordentliche Lehrerinnen und
Lehrer leisten können, als davon, dass Baron von Finck
die nächste Steuererleichterung bekommt.
({6})
Die „Steuerdrohung“ in Ihrem Haushaltsentwurf ist
ein massiver Angriff auf die Kommunalfinanzen. Ich
weiß nicht, auf welchen Neujahrsempfängen Sie unterwegs waren. Unabhängig vom Parteibuch klagen doch
jede Bürgermeisterin und jeder Bürgermeister über die
massiven Auswirkungen, die Ihre Politik hat. Mit Verlaub, als Landsmann, Herr Kollege Schäuble: Bei den
Neujahrsempfängen in Ihrem Wahlkreis habe ich die
lautesten Klagen gehört, und das hat doch einen Grund.
({7})
Sie müssen die Frage beantworten, ob Sie auf die Bildungschancen unserer Kinder oder weiter auf den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Rennpferde, auf den
Kampf gegen den Klimawandel oder weiter auf Steuerprivilegien für Billigflieger setzen. All das sind Fragen
der Generationengerechtigkeit.
({8})
Sie als Koalition stehen jedenfalls immer auf der falschen Seite.
({9})
Es gibt übrigens einen Grund dafür, dass Sie dieses
Jahr eine Rekordverschuldung wollen; das geben Sie
alle nicht zu. Es ist spannend, zu lesen, was alles geschrieben wird. Gestern hat Dr. Hermann Otto Solms, Vorsitzender des Arbeitskreises Wirtschaft und Finanzen der
FDP-Bundestagsfraktion, an seinen Fraktionsvorstand geschrieben - das ist erhellend; es steht auf Seite 4 -:
In der Struktur kann die Konsolidierung aber erst
mit dem Haushalt 2011 beginnen.
Dafür spricht zum einen die Mechanik der neuen
Schuldenbremse.
Er erklärt sie dann kurz und schreibt weiter:
Die strukturelle Kreditaufnahme des Jahres 2010 ist
also die Ausgangsbasis für den Konsolidierungspfad bis 2016.
Auf Deutsch gesagt: Bitte, dieses Jahr eine möglichst
hohe, eine Rekordverschuldung, dann wird es später
nämlich einfacher, zu sparen, und wir können die
Scheißschulden
({10})
an die nächste Regierung abschieben. Und wir haben
nichts mehr damit zu tun. Sie verschleiern hier mit Ihrer
ganzen Konsolidierungsstrategie bewusst, was für eine
Operation hier läuft.
({11})
Sie von der FDP haben im Wahlkampf eine Schuldenreduzierung versprochen. Wir wissen jetzt alle, dass
damit nur Ihre Parteikasse gemeint sein kann.
({12})
Der Begriff „Hotellobby“ hat eine ganz neue Bedeutung
bekommen, wie man feststellt, wenn man sich auf der
rechten Seite des Parlaments umschaut.
({13})
Fragen Sie einmal, was eigentlich die Wirtschaft zu Ihren Geschenken sagt. Fragen Sie einmal, was all die Unternehmen machen, für die es deutlich teurer wird. Sie
haben dieses Geschenk entgegen aller ökonomischen
Vernunft durchgesetzt. Sie haben sich auf die Seite Ihrer
Steuerspezies und Spendenspezies gestellt und eben
nicht auf die Seite derjenigen, die in diesem Land mit
harter Arbeit Wohlstand generieren wollen.
({14})
Sie verstehen vielleicht etwas von Vetternwirtschaft,
aber nicht von Wirtschaft. Das haben Sie mit dieser
Maßnahme bewiesen.
({15})
Ob BDI, DIHK oder der Zentralverband des Deutschen Handwerks - alle fordern von Ihnen: Schaffen Sie
diesen Unfug so schnell wie möglich ab! Wir haben
heute Morgen versucht, Ihnen die Möglichkeit hierzu zu
geben. Dem entsprechenden Geschäftsordnungsantrag
haben Sie mit Ihrer Mehrheit die Zustimmung verweigert. Wir werden Sie da treiben. Sie wissen, dass in Ihren
Reihen genügend Personen wissen, was für einen Unfug
Sie da angestellt haben. Sie wissen auch, welches Licht
dieser Vorgang auf die Bundesrepublik wirft.
Die Frau Kanzlerin ist nicht mehr da, aber sie weiß,
welchen Begriff eine schwäbische Hausfrau wählt, wenn
man sie bittet, den Vorgang - Steuern für jemanden senken und dann von diesem Millionenspenden annehmen zu beschreiben. Mit Verlaub, die Wahrnehmung der
schwäbischen Hausfrau unterscheidet sich da nicht sehr
von der einer afghanischen Hausfrau, um einmal einen
Vergleich zu wählen, der auch in den Sphären, in denen
Herr Westerwelle schwebt, verstanden wird.
Ich frage mich schon, wie der Außenminister, wenn er
daheim als Parteivorsitzender solche Spenden annimmt,
mit so einer Geschichte im Gepäck auf der Welt für
Good Governance werben will.
({16})
Ich frage mich, wie ein Entwicklungsminister weltweit
Regierungen zu guter Regierungsführung ermahnen
will, wenn er zu Hause als Generalsekretär solche Spenden angenommen hat.
Ich finde das dröhnende Schweigen der Kanzlerin
und das dröhnende Verteidigen dieses Vorgangs durch
die CDU-Fußtruppen schon bedenklich. Sie wissen, es
ist nicht sauber, was hier passiert ist. Sie wissen, dieses
Gesetz ist bar jeglicher ökonomischer Sinnhaftigkeit.
Hier hat sich Klientelpolitik durchgesetzt. Das kann sich
kein Land in dieser Welt leisten.
Kehren Sie um! Geben Sie die Spende zurück! Und
machen Sie endlich eine ordentliche Politik, von der die
Wirtschaft etwas hat, und nicht nur Ihre Sponsoren!
Vielen Dank.
({17})
Der Kollege Norbert Barthle hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Zu den Reden der Oppositionsvertreter, die ich hier gehört habe, kann ich nur sagen: Ganz
offenbar wollen Sie alles tun, um nicht über den Haushalt 2010 zu reden, und versuchen lieber, sich in Debatten vergangener Jahrzehnte zu retten. Da wird ein Spendenskandal herbeigesehnt und herbeigeredet, der nicht
vorhanden ist. Lieber Herr Poß, wenn Sie meinen, entlang der Argumentationslinien der vergangenen Jahrzehnte die Zukunft unseres Landes gestalten zu können,
({0})
dann ist das Ihre Entscheidung.
({1})
Ich bin aber überzeugt: Schon die Wählerinnen und
Wähler bei der NRW-Wahl werden Ihnen die Quittung
dafür erteilen. Dieser sehe ich ganz gelassen entgegen.
In den Reden, vor allem in der vom Bundesfinanzminister, war viel über die aktuelle Krisensituation, die
es zu bewältigen gilt, zu hören. In dieser Krisensituation
ist tatsächlich rasches Handeln notwendig. Deshalb bedanke auch ich mich beim Bundesfinanzminister dafür,
dass er den Entwurf für den Bundeshaushalt 2010 so
schnell eingebracht hat. Das zeugt zum einen von der
großen Kontinuität des Unionshandelns und zum anderen von der großen Verantwortung, die der FDP-Partner
in dieser Koalition wahrnimmt. Das möchte ich einmal
ganz deutlich sagen; denn die Bereitschaft, in weiten
Teilen den von der Vorgängerregierung aufgestellten
Bundeshaushalt zu übernehmen, ist Ausweis eines großen Verantwortungsbewusstseins.
Die Kritik der Opposition, wenn sie denn überhaupt
ernst zu nehmen ist, macht sich ja an dem allerersten Gesetz fest, das wir beschlossen haben, nämlich dem
Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Herr Poß, mit diesem Gesetz einher gehen für den Bund im Jahr 2010
Steuerausfälle bzw. Mehrausgaben mit einem Volumen
von knapp 4 Milliarden Euro. Gäbe es dieses Gesetz
nicht, könnten wir die Nettokreditaufnahme vielleicht
um 4 Milliarden Euro absenken. Wenn Sie mir heute und
jetzt die Zusicherung geben, dass Sie dann, wenn wir das
machen, mit Ihrer Kritik aufhören, dann nehme ich Ihre
Kritik ernst, andernfalls nicht.
({2})
Wenn Sie mir diese Zusicherung geben, dann können wir
gerne auf dieser Basis in die Haushaltsberatungen eintreten und uns Ende März wieder sprechen.
({3})
- Nein, nein!
Meine Damen und Herren, wir werden diesen Haushalt sehr zügig beraten und uns damit der Fessel der vorläufigen Haushaltsführung entledigen. Das stärkt auch
die Kräfte, die wir zur Überwindung der aktuellen Krise
benötigen. Von daher ist es ganz wichtig, so zu verfahren.
Dennoch muss ich sagen: Der Haushalt 2010 ist weder ein „Wunschhaushalt“ noch ein „Wünschehaushalt“.
Gäbe es diese aktuelle Krise nicht, dann hätten wir Parlamentarier es geschafft - davon bin ich überzeugt -, die
in der mittelfristigen Finanzplanung vorgegebene und
auch vom Finanzminister wiederholte Wegmarke, nämlich eine Schuldenaufnahme von maximal 6 Milliarden
Euro, deutlich zu unterschreiten. Ich bin überzeugt, wir
wären sogar bei Null angekommen.
Aber wir leben nicht unter einer Käseglocke. Wir
müssen uns mit der aktuellen Krisensituation auseinandersetzen. Deshalb lassen wir die automatischen Stabilisatoren wirken. Steuermindereinnahmen und steigende
Ausgaben für die Arbeitsplatzsicherung werden durch
eine höhere Kreditaufnahme aufgefangen. Außerdem
haben wir gezielte konjunkturstützende Maßnahmen beschlossen, und zwar mit Teilen der Opposition. Das alles
war richtig, um wieder positiver in die Zukunft blicken
zu können.
Ich lade auch Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, zu Beginn des Jahres 2010 dazu ein, sich die
aktuellen Arbeitsmarktzahlen, die aktuelle BIP-Entwicklung und die unterschiedlichen Prognosen anzuschauen.
Ich sage als Mitglied der Union nicht ganz ohne Stolz:
Wer hätte noch vor einem halben Jahr gedacht, dass wir
bereits beim Haushaltsabschluss 2009 deutliche Wachstumsimpulse realisieren können - statt knapp 50 Milliarden Euro Neuverschulung 35 Milliarden Euro? Das ist
eine tolle Leistung. Deshalb sind wir überzeugt: Es war
richtig, so zu handeln. Wir können die ersten zarten
Pflänzchen einer wirtschaftlichen Ernte einbringen, und
wir werden den erfolgreichen Kurs der neuen Koalitionsregierung weiter fortführen.
({4})
Wenn ich aus dem linken Lager die Unkenrufe bezüglich angeblicher sozialer Kälte der neuen Koalition höre,
dann kann ich mich nur fragen, wie das begründet ist.
({5})
Der Haushalt 2010 ist allerdings - auch das sage ich
deutlich - kein Wünschehaushalt. Allein durch haushaltspolitische Zurückhaltung und strikte Prioritätensetzung werden Perspektiven geschaffen. Denn wir alle
wissen, dass das jetzige Volumen der Nettokreditaufnahme auf Dauer nicht so hoch bleiben kann. Deshalb
werden wir zielstrebig wieder auf den Konsolidierungskurs einschwenken, den wir bereits aus der Vorgängerregierung kennen. Dazu gibt es keine Alternative. Das
sind wir auch den folgenden Generationen schuldig.
({6})
In dem Zusammenhang steht für uns außer Frage,
dass wir den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt einhalten werden. Das haben wir den europäischen Partnern zugesichert. Ich hatte gerade gestern ein
ausführliches Gespräch mit dem französischen Haushaltsminister Eric Woerth, der großes Interesse an dem
erfolgreichen deutschen Weg aus der internationalen
Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt hat. Das beweist,
dass wir auf dem richtigen Wege sind.
Die Europäische Kommission hat ein Defizitverfahren für Deutschland eingeleitet; denn in 2009 haben wir
die 3-Prozent-Grenze leicht überschritten. Wir werden
die Grenze auch in 2010 und 2011 überschreiten müssen; 2010 werden es knapp 6 Prozent sein. Das ist das
Spiegelbild der krisenbekämpfenden Politik; das müssen
wir realisieren.
Wir werden die Überschreitung der 3-Prozent-Grenze
jedoch nicht auf Dauer hinnehmen. Die Zielsetzung ist,
2013 wieder close to balance zu sein, also die 3-ProzentGrenze einzuhalten. Außerdem haben wir auch das
Schuldenstandskriterium im Blick, das sich aus dem
Maastricht-Vertrag ergibt. Das heißt, die Verschuldung
darf 60 Prozent des BIP nicht überschreiten. Auch davon
sind wir derzeit leider ein Stück entfernt. Aber wir werden weder den Maastricht-Vertrag noch die Schuldenbremse aus den Augen verlieren.
Wir von der Union haben schon einmal, nämlich
2005, bewiesen, dass wir einen erfolgreichen Weg aus
dem Defizitverfahren heraus finden können.
({7})
Wir werden beweisen, dass wir das noch einmal schaffen
können. Wir werden diese erfolgreiche Politik im Sinne
von Stabilität und Nachhaltigkeit fortsetzen. Das ist ein
Markenzeichen der Union; dafür stehen wir.
({8})
Lassen Sie mich an dieser Stelle einen kleinen Blick
ins europäische Ausland werfen, nicht um von der Krise
abzulenken, sondern um zu beweisen, dass unser Weg
erfolgreich ist.
In Großbritannien, einem wirtschaftspolitisch bedeutsamen Land, das nicht zur Eurozone gehört, liegt die
Neuverschulung im zweistelligen Bereich: 2010 sind es
12,9 Prozent, 2011 sind es 11,1 Prozent. Großbritannien
will die 3-Prozent-Grenze 2014/2015 wieder einhalten.
Die Briten sind aufgrund ihres Finanzplatzes von der
Finanzkrise schwer betroffen. Deshalb wird es auch dort
nur mit schmerzhaften Maßnahmen gelingen, diese Konsolidierung zu erreichen.
Schauen wir nach Irland. 2010 und ebenfalls 2011
wird die Neuverschuldung bei 14,7 Prozent liegen. Die
Iren wollen bis zum Jahr 2014 wieder auf den „Pfad der
Tugend“ zurückkehren. Auch für sie wird es schwer
werden, diesen Weg zu beschreiten; denn die Schuldenstandsquote in Irland liegt bei 100 Prozent.
Wie wichtig es ist, Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit
und Nachhaltigkeit in der Finanz- und Wirtschaftspolitik
zu bewahren, zeigt auch das Beispiel Griechenland. Dieses Beispiel hat uns in den vergangenen Wochen vor
Augen geführt, wie schnell die Glaubwürdigkeit eines
Landes verloren gehen kann.
Lassen Sie uns nach Frankreich schauen. Frankreich
wird im Jahre 2010 bei einer Neuverschuldung von
8,2 Prozent und im Jahre 2011 bei einer Neuverschuldung von 7,7 Prozent liegen. Wie Deutschland will
Frankreich bereits 2013 das Defizitkriterium wieder einhalten. Auch für Frankreich gilt: Dieses Ziel ist nur mit
strikten Konsolidierungsmaßnahmen zu erreichen.
Ich sage in aller Deutlichkeit: Es war eine großartige
Leistung, die Maastricht-Kriterien einzuziehen. In diesem Zusammenhang will ich an Helmut Kohl und Theo
Waigel erinnern. Es war auch eine großartige Leistung,
die Schuldenbremse im Grundgesetz zu verankern. Beides zusammen wird dazu führen, dass allen Ausreißversuchen und allen Versuchungen, zu einer weicheren Politik zu gelangen, Einhalt geboten wird.
Jetzt schlägt die Stunde des Euro. Wenn der Euro
diese Feuertaufe besteht, die mit dieser Krise einhergeht,
dann wird er sich - davon bin ich überzeugt - zu einer
international stabilen und zuverlässigen Währung entwickeln. Davon profitieren wir alle. Auch das gehört zu unserem Konzept einer weiteren Konsolidierung.
({9})
Ich habe bereits erwähnt, dass der Haushalt 2010 kein
Wünschehaushalt ist. Mit Blick auf die Beratungen
möchte ich betonen: Wer in dieser angespannten Lage
neue Ausgaben vorschlagen möchte, der ist selbstverständlich dazu aufgerufen, eine Idee zur Gegenfinanzierung zu präsentieren. Denn nur so können wir die goldenen Regeln, die wir in unserem Koalitionsvertrag
vereinbart haben, einhalten. Diese Regeln sind für uns
Parlamentarier eine wichtige Leitlinie, die uns für die
anstehenden Haushaltsberatungen eine Orientierung geben.
Es wird immer wieder über die Frage diskutiert: Was
ist mit den Steuersenkungen? Ich sage Ihnen klipp und
klar: An dieser Stelle sind wir von der Union gar nicht so
weit von der FDP entfernt, wie immer wieder der Anschein zu erwecken versucht wird.
({10})
Denn eines ist vollkommen klar: Auch wir wollen eine
Steuerstrukturreform; auch wir wollen die Abflachung
des Mittelstandsbauchs; auch wir wollen die Bekämpfung der kalten Progression.
({11})
Auch die Kanzlerin hat dies gerade in den letzten Tagen
betont.
({12})
Das ist die beste Politik für die Menschen, die den Karren ziehen und die das Land voranbringen. Dafür stehen
wir.
({13})
Wir stellen uns in den anstehenden Beratungen der
Verantwortung - das sind zwei Seiten einer Medaille -,
den Haushalt konsequent zu konsolidieren und gleichzeitig Spielräume für weitere Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Das ist die erfolgreiche Politik der Union; das ist die erfolgreiche Politik der FDP.
Das wird auch die erfolgreiche Politik dieser christlichliberalen Koalition sein. Wir haben dazu die Kraft und
den politischen Willen. Wir werden das in die Tat umsetzen.
Danke.
({14})
Carsten Schneider spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man die Rede von Herrn Barthle verfolgt, dann
hat man den Eindruck, dass darin viel Autosuggestion
und wenig Realität enthalten ist. Der Herr Minister hat in
seiner Einbringungsrede sehr pathetisch geredet, ohne
konkret zu werden. Die FDP hält Sonntagsreden - ich
sage gleich auch noch, warum -, in denen sie Versprechungen macht, als sei sie immer noch nicht in der Regierung angekommen, und die Union macht alles mit.
({0})
Als Erstes muss man sich die Frage stellen: Wo stehen
wir? Aufgrund der Konjunkturprogramme, für die SPDMinister maßgeblich verantwortlich waren - ich nenne
das Kurzarbeitergeld, aber auch die Investitionsmaßnahmen, die auf Peer Steinbrück zurückgehen -, war die
Lage im Jahre 2009 besser, als es prognostiziert wurde.
Herr Schäuble, Sie haben 15 Milliarden Euro weniger
Kreditaufnahme verbuchen können, als vorhergesagt
wurde. Damit hat die FDP nicht viel zu tun gehabt. Das
einzige Gesetz, das Sie bisher gemacht haben, wird dazu
führen, dass die eingesparten 15 Milliarden Euro, die im
Jahr 2010 einen Basiseffekt in Höhe von 10 Milliarden
Euro haben, verjuxt und verpulvert werden - beispielsweise an Hoteliers -, ohne dass es einen nennenswerten
Wachstumseffekt gibt.
({1})
Das ist eine neue Währungseinheit: Für 1 Million
Euro bekommt man 1 Milliarde Euro. Das gibt es anCarsten Schneider ({2})
scheinend nur bei der FDP. Ich frage mich nur, ob es
diese Million jetzt jährlich gibt oder ob Sie die 1-Milliarde-Lobbyvergünstigung wieder aufheben.
75 Milliarden Euro betrüge die Nettoneuverschuldung auch - das gebe ich zu -, wenn die SPD noch an
der Regierung wäre. Das ist krisenbedingt. 10 Milliarden
Euro packen Sie obendrauf. Bei einer jährlichen Durchschnittsverzinsung von 4 Prozent - der jährliche Durchschnitt wird in etwa so sein; die Zinsen werden wieder
steigen - macht dies jedes Jahr Mehrkosten in Höhe von
400 Millionen Euro aus, die Sie zukünftigen Generationen aufbürden.
({3})
Sie halten Sonntagsreden. Wenn es nach der FDP gegangen wäre, dann hätten wir jetzt ein Grundgesetz, das
gar keine Neuverschuldung zulässt. Richtig? Ihr Punkt
war doch immer - um ein bisschen ökonomisch zu denken -: Die Neuverschuldung muss null betragen; alles
andere ist schlecht.
({4})
Wir - auch Teile der Union wollten das - haben dann
durchgesetzt, dass man konjunkturreagibel vorgehen
kann.
Was würden Sie heute eigentlich machen? Was wäre
Ihre ökonomische Antwort? Wo würden Sie sparen? Ich
warte, insbesondere nachdem Sie vier Monate - man
weiß nicht so richtig, ob Sie nun zusammen regieren
oder nur gemeinsam die Pöstchen besetzen - in einer
Koalition sind, darauf, dass Sie sagen, was denn nun
kommt. Herr Minister Schäuble hat heute darüber gesprochen, wie wichtig Vertrauen insgesamt und auch für
die wirtschaftlichen Akteure ist.
({5})
Dem widerspreche ich nicht; das nehme ich sehr gerne
auf. Dann müssen Sie aber auch bei den Bürgerinnen
und Bürgern in diesem Land Vertrauen für die Politik,
die Sie machen, schaffen, indem Sie sagen, was Sie tun
wollen. Darum drücken Sie sich herum.
({6})
Sie wissen, Sie müssen im nächsten Jahr 10 bis
15 Milliarden Euro sparen, um die Regelungen zur
Schuldenbremse einzuhalten. Sparen kann eine Einnahmeverbesserung bedeuten. Sparen kann man auch bei
den Ausgaben. Sie sagen nicht, was Sie wollen.
({7})
Herr Schäuble hat vorhin gesagt: Das machen wir lieber
ein bisschen später, dann bekommt das keiner mit; das
ist besser, ansonsten wird es nur zerredet.
({8})
Meine Damen und Herren, was diesem Land bis 2016
bevorsteht, um die europäischen Regelungen und die
Maßgaben der deutschen Verfassung umzusetzen, darüber kann man nicht einfach mal im Hinterzimmer diskutieren. Man kann nicht einfach kommen und sagen:
Hoppla, hier bin ich; diese und jene Maßnahme gilt jetzt
für diese Zeit.
Hier hätte es einer ehrlichen Wahlauseinandersetzung
bedurft. Das haben Sie nicht gemacht. Das fällt Ihnen
jetzt auf die Füße. Ich weiß nicht, wie viele Treffen mit
Beglückwünschungen und Beweihräucherungen Sie
noch abhalten wollen. Sie haben zu Beginn der Koalition, zu dem Zeitpunkt, an dem man es tun muss, nicht
klar gesagt, was die Herausforderungen sind und was im
Einzelnen umgesetzt werden muss. Das tun Sie auch
jetzt nicht. Sie verschieben das immer weiter. Sie verschieben es jetzt auf die Steuerschätzung im Mai. Nur,
die findet kurz vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl statt.
({9})
Herr Schäuble, Sie haben gesagt, für 2010 müssten Sie
keine mittelfristige Finanzplanung vorlegen. Da haben
Sie recht. Aber für 2011 müssen Sie das tun.
({10})
Sie haben im Rahmen der goldenen Regeln - Herr
Barthle hat sie eben hier zitiert - das Top-down-Prinzip
festgelegt. Sie sagen also, wie hoch die maximale Kreditaufnahme ist, und dann sagen Sie den Ressorts, wie
viel sie bekommen. Sie haben ein Haushaltsaufstellungsrundschreiben herumgeschickt - das ist der Beginn der
Verhandlungen -, in dem nichts davon steht. Außer Rhetorik und Ankündigungen, dass alles schwierig wird und
gespart werden muss, steht keine politische Entscheidung der Regierung, wohin es gehen soll, am Beginn
dieses Verfahrens.
Das wollen Sie innerhalb eines Monats nach der Steuerschätzung machen. Was wird die Steuerschätzung
denn bringen? Wir wissen, das strukturelle Defizit beträgt 70 Milliarden Euro. Vielleicht sind es 72 Milliarden
Euro, vielleicht sind es 68 Milliarden Euro. Dies ändert
aber nichts an der Substanz.
({11})
Das ist angekündigter Wahlbetrug vor einer Landtagswahl. Anders kann ich das - es tut mir leid - nicht formulieren.
({12})
Wir sind nicht irgendjemand. Das ist die größte
Volkswirtschaft Europas. Wir treffen wichtige Entscheidungen. Bald kommt das Jahr 2012. 2013 steht schon
wieder eine Wahl an. Ich weiß nicht, wann Sie mit der
Carsten Schneider ({13})
Wahrheit herausrücken wollen. Sie müssen diese Antworten aber geben, gerade auch im europäischen Kontext. Wenn Sie weiterhin wollen, dass wir uns niedrig
verschulden, dass die Leute uns vertrauen und Geld geben, dann müssen Sie einen klaren Fahrplan haben.
Nichts haben Sie! Sie riskieren eine Inflation. Sie riskieren steigende Zinsen. Sie riskieren, dass das Sparguthaben der kleinen Leute nichts mehr wert sein wird.
({14})
Ich weiß nicht, was für Sie noch wichtig ist. Wir haben noch viele Landtagswahlen, vielleicht gibt es noch
eine Oberbürgermeisterwahl oder eine Kreistagswahl in
Buxtehude. Denn danach wird jetzt die Bundesrepublik
Deutschland geführt. Das ist ein Trauerspiel.
({15})
Die FDP ist ja nun wirklich mein Liebling. Sie haben
immer ein sogenanntes Sparbuch vorgelegt. Ich muss Ihnen sagen: Wir befinden uns am Beginn der Beratungen
des Haushalts. Ich habe nicht gehört, was Sie machen
wollen. Ich habe nicht vernommen, welche Veränderungen Sie vornehmen wollen. Die schon genannten 10 Milliarden Euro haben Sie verjuxt; das ist gegessen. Aber
Sie haben einmal ein großes Paket mit Sparvorschlägen
eingebracht, das jetzt, nachdem Sie an der Regierung
sind, nichts mehr wert ist. Das gibt es nicht mehr! Sie
wollten Stellen von Staatssekretären streichen. Das Entwicklungshilfeministerium wollten Sie abschaffen.
({16})
Ich sehe Herrn Niebel hier. Es konnte gar nicht schnell
genug gehen, dass er - von langer Hand geplant - Abteilungsleiter wird und den Ministerjob annimmt. Keinen
dieser Vorschläge bringen Sie ein. Es ist nur heiße Luft.
({17})
Finanzpolitisch haben Sie sich damit jeglicher Seriosität
beraubt.
Ich bin gespannt. Wir werden Ihnen Vorschläge, zumindest die, die Ministerien, Öffentlichkeitsarbeit,
Staatssekretäre etc. betreffen, vorlegen. Sie können sich
dazu verhalten.
({18})
Aber Sie haben die Pöstchen ja schon alle besetzt. Tut
mir leid, Otto, dass es für dich nicht geklappt hat. Aber
für alle anderen, die sich jetzt breit machen, ist genug dabei gewesen.
({19})
Ich befürchte, dass Sie im Mai feststellen werden:
Wir haben nur noch einen Monat Zeit bis zum Beschluss
des Haushalts im Kabinett, nur noch einen Monat, um
15 Milliarden Euro einzusparen. Obwohl das nicht so
schnell geht, müssen wir eine Entscheidung treffen. Was
wird das für eine Entscheidung sein? Sie können den
Ausgleich für das strukturelle Defizit für 2011 sehr
schnell erbringen, indem Sie den Arbeitslosenversicherungsbeitrag erhöhen. Ich prophezeie Ihnen: Sie werden
im Juni vereinbaren, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag für 2011 zu erhöhen.
({20})
Wer zahlt den? Den Arbeitslosenversicherungsbeitrag, den Sozialversicherungsbeitrag zahlen alle, die ab
dem ersten Euro einzahlen. Im unteren Einkommensbereich ist der Beitrag überproportional höher, weil wir im
oberen die Beitragsbemessungsgrenze haben, auch in
anderen Bereichen der Sozialversicherung. Sie entlasten
also die, die Einkommensteuer zahlen. Das sind vor allem die, die oben sind. Die, die unten sind, werden belastet. Das ist nicht nur unsozial, sondern auch ökonomisch unsinnig.
({21})
Sie haben die Chance, das auszuschließen. Sagen Sie
doch vor der Wahl, damit die Menschen Klarheit haben,
dass Sie das nicht tun werden, dass der Arbeitslosenversicherungsbeitrag und die Sozialabgaben nicht erhöht
werden. Tun Sie das? Bekommen wir darauf eine klare
Antwort?
({22})
Ich höre nichts!
Der Haushalt 2010, den Sie vorlegen, hat eine Grundsubstanz, die noch aus unserer Regierungszeit stammt.
Sie haben sofort Ihre Lobbygeschenke obendrauf gepackt.
({23})
Ich zitiere die Süddeutsche Zeitung:
Nicht erst seit Westerwelles Geschwurbel von einer
geistig-politischen Wende scheint es, als sei diese
Regierung seltsam aus der Zeit gefallen. Vielleicht
ist das Bündnis aus einer kraftlosen CDU, einer unberechenbaren CSU und einer hypertrophen FDP
einfach die falsche Regierung für die Probleme der
nächsten Jahre.
Ich glaube, der Autor hat recht.
({24})
Carl-Ludwig Thiele spricht jetzt für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Kollege Schneider, ich glaube, die Bürger haben richtig
entschieden, dass Sie der christliberalen Koalition den
Auftrag gegeben haben, unser Land zu regieren und mit
neuen Weichenstellungen in eine bessere Zukunft zu
führen. Ich glaube, das sehen die Bürger nach wie vor
so, insbesondere, wenn sie die eine oder andere Rede der
Opposition heute gehört haben.
({0})
Wer beim Thema Kindergeld davon spricht, dass die
Regierung Geld verjuxt und verjubelt, der sieht die
Wirklichkeit unseres Landes durch eine falsche Brille.
Die Bundesrepublik Deutschland hat im vergangenen
Jahr den stärksten Wachstumseinbruch in der Geschichte unseres Landes erlebt. 5 Prozent weniger sind
erwirtschaftet worden. Was bedeutet das eigentlich? Der
Wachstumseinbruch bedeutet in realen Zahlen, dass im
letzten Jahr 120 bis 130 Milliarden Euro weniger erwirtschaftet wurden als im Vorjahr. Das sind unvorstellbare
Zahlen. Zudem ist von diesem Wachstumseinbruch nicht
jeder betroffen. Viele bekommen davon real gar nichts
mit. Das bedeutet aber, dass diejenigen, die von diesem
Wachstumseinbruch betroffen sind, umso stärker betroffen sind. Hunderttausende Menschen haben ihren
Arbeitsplatz verloren, befinden sich in Kurzarbeit, mussten Insolvenz anmelden oder haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Deshalb besteht die Hauptaufgabe der Politik
darin, die Weichen auf Wachstum zu stellen. Dies ist der
einzige Weg, um bestehende Arbeitsplätze zu sichern
und den Rahmen dafür bereitzustellen, dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Für dieses Jahr wird zum Glück wieder mit einem
Wachstum gerechnet. Die Regierung sagt aktuell, es
könnten 1,5 Prozent werden. Das weiß aber keiner genau, weil das gesamte Jahr noch vor uns liegt. Es kann
auch anders kommen. Die Politik muss die Weichen so
stellen, dass es besser wird. Unsere Aufgabe ist es, die
Rahmenbedingungen zu verbessern. Dafür setzen wir
uns ein.
({1})
Wachstum lässt sich nur erreichen, wenn in unserem
Land etwas erwirtschaftet wird. Hierbei darf die Politik
nicht übersehen, dass nicht der Staat die Gelder erwirtschaftet, die zum Bruttoinlandsprodukt und damit zu
Steuern und Sozialeinnahmen führen. Das Bruttoinlandsprodukt wird in unserem Land Tag für Tag von
zig Millionen Menschen erwirtschaftet, die mit ihrer Tatkraft den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien sicherstellen. Nur wenn diese Menschen positiv nach
vorne schauen und anpacken, dann verfügt unser Gemeinwesen über die Kraft, die nötig ist, damit wir den
Schwächeren in unserer Gesellschaft in dem Maße helfen können, wie sie es benötigen.
Deshalb ist es die erste Aufgabe der Politik, an diese
Leistungsträger in unserer Gesellschaft zu denken, an
die Mittelschicht, an diejenigen, die jeden Tag in allen
Bereichen unserer Gesellschaft zur Arbeit gehen und deren Selbstverständnis und Fähigkeiten darauf gerichtet
sind, mit ihrer eigenen Arbeit den Lebensunterhalt für
sich und ihre Familien sicherzustellen.
({2})
Deshalb war eines der zentralen Themen des letzten
Bundestagswahlkampfes, ob sich die Politik mehr um
das Verteilen oder das Erwirtschaften kümmern muss.
Für uns steht fest: Nur wenn in unserem Land etwas erwirtschaftet wird, dann kann auch verteilt werden.
Vielen Menschen fällt es aufgrund eines niedrigen
Einkommens schwer, den notwendigen Lebensunterhalt
für sich und ihre Familien aufzubringen. Deshalb brauchen diese Bürger mehr Netto vom Brutto. Norbert
Barthle, in diesem Zusammenhang danke ich dir für
deine klaren Worte.
Schauen wir uns noch einmal an, was in der Zeit der
Großen Koalition passiert ist: Da wurde ein sogenanntes Bürgerentlastungsgesetz beschlossen - im letzten
Jahr mit Wirkung ab diesem Jahr - mit einer Entlastung
der Bürger in Höhe von 10 Milliarden Euro. Dann wurde
ein Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland beschlossen. Der Eingangssteuersatz
wurde gesenkt und der Grundfreibetrag erhöht. Die Entlastung der Bürger betrug 6 Milliarden Euro pro Jahr.
Das geschah in Verantwortung der Großen Koalition.
({3})
Damals hat die SPD noch gesagt: Wenn wir die Leistungsträger, auch die kleinen Leistungsträger in unserem
Land, entlasten, dann ist das der richtige Weg zu mehr
Wachstum und Beschäftigung. Deshalb ist es mir absolut
unerklärlich, warum das, was vor der letzten Bundestagswahl gegolten hat, aus Sicht der SPD jetzt, wo sie in
der Opposition sitzt, nicht mehr gilt.
({4})
- Herr Poß, wenn es vor der Wahl richtig war, die Bürger
steuerlich zu entlasten, dann ist diese steuerliche Entlastung - das müssen Sie zur Kenntnis nehmen - auch nach
der Wahl genauso richtig.
({5})
In diesem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld halten wir es für falsch, mit voller Kraft auf die Bremse zu
treten. Dafür ist die Konjunktur noch viel zu gefährdet
und noch nicht sicher genug. Wir werden den Haushalt
überarbeiten. Verschwendung wird herausgestrichen, wir
bemühen uns um eine sparsame Haushaltsführung.
({6})
Deshalb finde ich es richtig, dass die christliberale
Koalition die Weichen eindeutig gestellt hat und dies im
Haushaltsentwurf berücksichtigt wurde:
Erstens. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz
wurden Steuern insbesondere für Familien gesenkt.
({7})
Zweitens. Die Ausgaben für Bildung sind erhöht worden.
Drittens. Leistungsträger, die für ihr Alter vorgesorgt
haben, können, wenn sie arbeitslos werden, von dem,
was sie für sich selbst erarbeitet haben, mehr für ihre eigene Sicherheit behalten, da das Schonvermögen erhöht
wurde. Das alles haben wir in diesen Haushaltsentwurf
eingearbeitet. Trotzdem ist die vorgesehene Neuverschuldung niedriger als das, was Finanzminister Steinbrück
im Sommer letzten Jahres vorgeschlagen hat.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, für
uns Liberale sind Steuersenkung und Reduzierung der
Staatsausgaben zwei Seiten derselben Medaille. Dies
werden wir jetzt im Frühjahr 2010 beim Haushalt 2010
und im Herbst bei der Aufstellung des Haushaltes 2011
berücksichtigen.
Herzlichen Dank.
({8})
Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist zwar Haushaltsdebatte, aber die Öffentlichkeit und
die Regierung diskutieren vor allem über die Steuern.
Nicht nur, dass es von Unfähigkeit zeugt, wie Sie regieren. Nein, Sie versuchen auch, zu überspielen, dass es an
der Zeit wäre, zu fragen, ob der Kurs so wie bisher beibehalten werden soll, also Umverteilung von unten nach
oben, oder ob endlich Nein gesagt und damit Schluss gemacht wird.
({0})
Bei dem, was bisher heute gesagt wurde, auch zu der
Frage, ob die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise
richtig waren oder nicht, war schmerzhaft festzustellen,
dass Sie sich bis heute weigern, eine der wichtigsten
konjunkturpolitischen Maßnahmen endlich durchzusetzen, nämlich die Stärkung der Binnennachfrage. Dafür
brauchen wir erst einmal einen Mindestlohn.
({1})
Wir fordern in dieser Legislaturperiode einen Stundenlohn von 10 Euro. Wir sind froh, dass die Gewerkschaften ihre Forderungen der Realität anpassen werden. Eine
solche Maßnahme wäre notwendig.
Sie aber machen eine reine Klientelpolitik. Die Banken und die Manager wurden wohlbedacht. Dafür hatten
wir im letzten Jahr eine Rekordverschuldung und visieren in diesem Jahr wieder eine an. Aber auch in der bisherigen Regierungszeit waren Sie dabei schon kräftig am
Werk. Ich will nur drei Beispiele nennen.
Erstens. Heute wurde schon häufig die Frage des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Beherbergungsleistungen diskutiert. Sicher, es wäre schön, wenn alle so
agieren könnten: 1,1 Millionen Euro für die FDP im vergangenen Jahr und laut Süddeutscher Zeitung für die
CSU seit 1998 insgesamt 3,7 Millionen Euro. Eine solche Rendite ist doch schon etwas. Da können sich alle
Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger nur fragen:
Welche Chance haben wir denn überhaupt, in dieser Republik demokratisch etwas mitzugestalten? Wir haben
nicht das Geld, um unsere berechtigten Forderungen zu
erkaufen.
({2})
Zweitens. Im Zusammenhang mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz wurde auch das Kindergeld erhöht.
Ja, die Kinder eines Millionärs bekommen 40 Euro mehr
im Monat. Die Kinder einer Lehrerin bekommen
20 Euro mehr im Monat. Die Kinder von Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern bekommen nichts. Den
Vorschlag der Linken, diese Erhöhung bei Hartz IV wenigstens nicht anzurechnen, gerade in dem Wissen, dass
die Regelsätze für Kinder viel zu niedrig bemessen sind,
haben Sie hier im Bundestag einhellig abgelehnt.
({3})
Drittens. Ich komme zur Einkommensteuer und damit
zum sogenannten Steuerstreit. Die FDP fordert mehr
Netto vom Brutto. Aber das, was Sie hier fordern, ist
nichts anderes als die Aufkündigung des Sozialstaats.
Das werden wir nicht zulassen.
({4})
Leider ist es so, dass Rot-Grün und Große Koalition
hier schon wesentliche Vorarbeiten geleistet haben: Teilprivatisierung von gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherung - auch das wurde mit Spenden belohnt - und
der Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung.
Das Prinzip der direkten Besteuerung von Einkommen und Vermögen wird seit Jahren zugunsten der indirekten Besteuerung über verbrauchsabhängige Steuern
zurückgefahren. Das ist ein Skandal. Sie ziehen allen
Bürgerinnen und Bürgern über die indirekte Besteuerung, über die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf
19 Prozent, das Geld aus der Tasche. Überproportional
werden aber diejenigen belastet, die Monat für Monat
sehen müssen, wie sie mit ihrem Geld überhaupt auskommen. Sie erklären, finanziert würden damit unter anderem die Steuersenkungen für die großen Unternehmen. 8 Milliarden Euro hat das netto gekostet. Das war
Ihnen das locker wert.
Das Sozialstaatsprinzip besagt: Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Schauen wir uns
einmal an, was das bei der FDP heißt. Diejenigen, die
acht Stunden arbeiten und deren Lohn trotzdem nicht
ausreicht, zahlen keine Steuern. Sie wären froh, wenn sie
Steuern zahlen könnten. Auch die 10 Prozent der ärmsten Steuerpflichtigen werden überhaupt nicht entlastet.
Die 10 Prozent der reichsten Steuerzahler allerdings mit
einem zu versteuernden Jahreseinkommen von über
76 000 Euro dürften sich nach dem FDP-Modell über
eine jährliche Steuerentlastung von 12 000 Euro freuen.
12 000 Euro Steuerentlastung, das ist Klientelpolitik pur.
({5})
Wenn man beim Steuerstreit hier so tut, als ob es um einen Finanzierungsvorbehalt geht, so darf man sich natürlich nicht täuschen lassen; denn in Ihrem Ziel sind Sie
sich einig: Umverteilung von unten nach oben. Das lehnen wir ab.
({6})
Wir haben Ihnen Vorschläge vorgelegt - wir werden
das weiterhin machen -, wie man in der Krise Geld einnehmen kann. Auch die Verursacher der Krise sollen
zahlen. Wir fordern eine sozial gerechte Einkommensteuerreform mit Anhebung des Spitzensteuersatzes auf
das Kohl’sche Niveau von 53 Prozent. Außerdem fordern wir eine Vermögensteuer als Millionärsbesteuerung, eine Besteuerung der Bonuszahlungen bei Banken
und Finanzinstituten als Sonderabgabe, eine Finanztransaktionsteuer und eine Reform der Erbschaftsteuer.
Das sind konkrete Antworten. Sie liegen vor. Lassen Sie
uns darüber diskutieren und endlich umkehren auf dem
Weg der Umverteilung von unten nach oben. Hierhin gehört ein Stoppschild. Denn sonst entziehen Sie Bürgerinnen und Bürgern Bildung, Sport und Kultur, indem Sie
Länder und Kommunen in den Ruin treiben. Dass Einrichtungen, zum Beispiel Schwimmbäder, geschlossen
werden müssen und Freizeitangebote gestrichen werden,
entzieht den Menschen Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben. Das lehnen wir ab.
Ich danke Ihnen.
({7})
Der Kollege Bartholomäus Kalb hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wenn man die Rednerinnen und
Redner der Opposition hört, dann hat man den Eindruck,
sie seien heilfroh, dass sie nicht in der Verantwortung
stehen.
({0})
Insbesondere bei den SPD-Rednern hat man den Eindruck, dass sie geradezu dankbar sind, in dieser schweren Zeit aus der Verantwortung entlassen worden zu
sein.
({1})
Wir mussten im Herbst 2008 und im Jahr 2009 eine
Vielzahl von Maßnahmen zur Abwendung der größten
Gefahren aus der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ergreifen. Seinerzeit musste schnell gehandelt werden. Unsere Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung,
zur Sicherung der Kreditversorgung für die Wirtschaft
und zur Sicherung und Stützung der Konjunktur haben
finanzielle Dimensionen erreicht, die bis dahin unvorstellbar waren.
Jeder wusste, es musste schnell gehandelt werden.
Aber niemand konnte sicher sein, dass alles richtig ist
und die Ziele erreicht werden würden. Die Notenbanken
haben das Ihre getan, und die Maßnahmen mussten international koordiniert werden. Deutschland, die Bundeskanzlerin - ich stehe nicht an, zu sagen, auch der
damalige Finanzminister - und der Präsident der Bundesbank, Professor Weber, haben hier hervorragende Arbeit geleistet. Erfreulicherweise bescheinigt heute die
Fachwelt, dass sowohl die Maßnahmen der Notenbanken als auch der Staaten und Regierungen absolut richtig
waren und dass es keine ernsthaften Alternativen dazu
gab. Eine namhafte Wissenschaftlerin hat vor kurzem
gemeint, sie würde diese Leistungen der Notenbanken
und der Regierungen mit summa cum laude bewerten.
Wir können mit Genugtuung feststellen, dass es gelungen ist, die größten Gefahren und Auswirkungen abzuwehren, und somit verhindert wurde, dass die Krise
mit ihrer vollen Wucht die Wirtschaft und die Bürger
trifft. Dabei hatten wir auch etwas Glück im Unglück.
Die gesunkenen Importpreise sind uns etwas entgegengekommen. Finanzminister Schäuble hat besonders auf
die Einbrüche im Export hingewiesen. Aber wir sind ja
nicht nur Exportnation, sondern auch Importnation, und
die Importpreise sind laut Statistischem Bundesamt um
über 12 Prozent gesunken, die Preise für Energie sogar
noch wesentlich stärker. Das haben die Bürger bemerkt.
Glück hatten wir vor allem, weil die Menschen wieder näher zusammengerückt sind, weil viele bereit waren, große Verantwortung zu übernehmen. Wir reden zu
Recht und mit gewisser Verbitterung in diesen Tagen
über die Manager, über die Verantwortlichen, über die
Versager in Nadelstreifen, die ganz wesentlich Mitschuld an der Krise haben, weil sie in Maßlosigkeit und
Verantwortungslosigkeit gehandelt haben.
Aber lassen Sie uns auch über diejenigen Unternehmer, Manager, Betriebsräte und Mitarbeiter reden, die in
der Krise Verantwortung gezeigt und zusammengestanden haben,
({2})
um für ihre Betriebe, ihre Unternehmen und ihre Arbeitsplätze Lösungen zu finden, um die schwierigen Zeiten zu meistern und die Existenzen und Arbeitsplätze zu
sichern.
Ich habe größten Respekt vor Betriebsräten, beispielsweise vor zwei Betriebsratsvorsitzenden in meinem Wahlkreis, die sich gemeinsam mit den Insolvenzverwaltern
bemüht haben, die Zukunft zu sichern, wodurch es möglich wurde, die Unternehmen erfolgreich aus der Insolvenz zu führen. Für diese Leistung kann man nur Dank,
Anerkennung und Respekt zum Ausdruck bringen.
({3})
Ich denke, da ist etwas Positives entstanden, das für die
Zukunft Mut macht und uns auch stärkt.
Nach Beendigung der Krise müssen alle Kräfte auf
den Pfad der Konsolidierung konzentriert werden. Das
erfordern nicht nur die gerade erst verabschiedete und
ins Grundgesetz aufgenommene Schuldenbremse und
die Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts, sondern das erfordert auch die Generationengerechtigkeit.
Der heute in erster Lesung behandelte Bundeshaushalt 2010 ist der erste Haushalt der neuen Bundesregierung. Die Nettokreditaufnahme liegt etwas unterhalb der
des ersten Entwurfs. Damit kein Missverständnis entsteht: Ich halte gar nichts von der Diskussion darüber,
wer Schuldenweltmeister ist. Sie war in den 90er-Jahren
nicht angebracht und ist heute nicht angebracht. Damals
hatten wir wie kein anderes Land dieser Erde Belastungen aus der Überwindung der Teilung und des DDR-Unrechtsregimes zu tragen. Heute müssen wir die Folgen
der größten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise
meistern.
Wenn sich die Dinge nun etwas besser entwickeln als
befürchtet, so sollten wir dies mit Genugtuung zur
Kenntnis nehmen. Das gilt sowohl für die geplante und
angestrebte Nettokreditaufnahme als auch für den Haushaltsabschluss des Jahres 2009.
Mit einem Betrag von rund 85 Milliarden Euro wird
die Nettokreditaufnahme im Jahr 2010 eine in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellose
Höhe erreichen. Es ist heute schon gesagt worden: Ursprünglich war für das Jahr 2010 eine Nettokreditaufnahme von 6 Milliarden Euro geplant.
Der im Vergleich zur ursprünglichen Finanzplanung
hohe Anstieg der Neuverschuldung auf rund
80 Milliarden Euro ist im Wesentlichen auf das Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren und auf die von
der Bundesregierung auf den Weg gebrachten zielgerichteten Maßnahmen zur Überwindung der Wirtschaftsund Finanzkrise zurückzuführen. Die Erhöhung der Nettokreditaufnahme war also notwendig und kurzfristig
unvermeidlich, ist aber nur vorübergehend akzeptabel.
Deshalb steht fest: Ein konsequenter Konsolidierungskurs ist dringend notwendig, sobald es die konjunkturelle Entwicklung erlaubt. Ich bin Minister Dr. Schäuble
sehr dankbar, dass er in Brüssel erklärt hat, dass kein
Zweifel daran besteht, dass wir die europäischen Stabilitätskriterien ab 2013 wieder einhalten werden.
({4})
Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir unseren
Kindern keinen Schuldenberg hinterlassen dürfen, der
sie erdrückt.
({5})
Das gilt vor allem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung. Die Schultern, die diese Lasten einmal tragen müssen, werden immer weniger.
({6})
Allerdings müssen wir gerade im Hinblick auf die demografische Entwicklung und die Leistungsfähigkeit
unserer Volkswirtschaft, sobald es irgendwie geht,
Spielräume schaffen, um auch im Steuer- und Abgabenbereich Korrekturen vornehmen zu können.
Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Die Belastung des Einzelnen durch Steuern und Abgaben wird in
Bezug auf die Fachkräftegewinnung in den kommenden
Jahren und Jahrzehnten zur entscheidenden Größe. Ich
habe beim Deutschen Arbeitgebertag, ohne dass es Widerspruch gegeben hätte, gesagt: Ich meine, dass die
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Zukunft mehr
von der Belastung des Einzelnen als etwa von der Unternehmensteuerbelastung abhängen wird.
Bestens ausgebildete junge Menschen dürfen wir in
Deutschland künftig nicht mit so hohen Steuern und Abgaben belasten, dass sie lieber ins Ausland abwandern.
Wir stehen hier vor Riesenherausforderungen, können
aber nur einen Schritt nach dem anderen machen.
Aber auch global gesehen hat Deutschland Verantwortung: Deutschland muss der währungspolitische Stabilitätsanker im Euroraum sein. Die währungspolitischen Spannungen und Verwerfungen im Euroraum
nehmen zu; ich brauche nur Griechenland zu nennen.
Wir müssen vorangehen und konsequent einen Stabilitätskurs beschreiten, mit dem wir die Maastricht-Kriterien zeitnah wieder einhalten.
Die Menschen erwarten von uns, dass wir solide wirtschaften und Inflationsgefahren abwehren, dass wir die
Währung stabil halten. Zu solidem Wirtschaften gehört
für mich, dass wir den Umfang der Investitionen stabil
halten. Wir müssen die Leistungsfähigkeit unserer Infrastruktur erhalten und sie weiter ausbauen. Desinvestitionen wären nichts anderes als verdeckte Verschuldung.
Der dramatische Anstieg der Nettokreditaufnahme ist
ein Spiegelbild der Wirtschafts- und Finanzkrise. Freilich stellt man sich die Frage, ob alle Akteure aus der
Krise und von der Krise gelernt haben und bereit sind,
Vorkehrungen zu treffen, um künftigen Krisen vorzubeugen.
Der Finanzminister hat wesentliche Punkte genannt,
wo Maßnahmen ergriffen werden müssen, und Ziele formuliert; doch die Bereitschaft, gemeinsam international
gültige Regeln festzulegen, scheint bereits von Tag zu
Tag weniger ausgeprägt zu sein. Trotz alledem, dass wir
Regeln und Vorschriften erlassen müssen, bleibt festzuhalten: Keine Vorschrift, keine Regel wird in der Lage
sein, verantwortungsvolles Handeln zu ersetzen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Damit beenden wir die Debatte zur Einbringung des
Haushalts und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan 30.
Als Erste hat Bundesministerin Dr. Annette Schavan
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 30, Bildung
und Forschung, spiegelt die konsequente Fortsetzung der
Modernisierung und Internationalisierung unserer Politik für bessere Bildung, für mehr Bildungsgerechtigkeit
und für starke Forschung als Grundlage der Innovationsfähigkeit unseres Landes wider.
Wir verbinden zusätzliche Investitionen für Bildung
und Forschung in Höhe von 12 Milliarden Euro in dieser
Legislaturperiode mit zukunftsfähigen Konzepten im
Hinblick auf bessere Bildung, mehr Bildungsgerechtigkeit und die Weiterentwicklung des Forschungsstandortes Deutschland.
Wir sind davon überzeugt - der Bundesfinanzminister
hat heute Morgen darauf aufmerksam gemacht -, dass
wir uns gerade jetzt, in Zeiten wirtschaftlicher Krise,
ganz besonders um die Quellen des künftigen Wohlstands, um das Wohlergehen künftiger Generationen
kümmern müssen.
({0})
- Eigentlich kann man nichts dagegen sagen, nicht
wahr?
Wir - damit möchte ich noch einmal Bezug nehmen
auf heute Vormittag -, damit meine ich die Bundesregierung gemeinsam mit vielen Akteuren, den Kommunen
und den Ländern. Bildung muss eine gesamtstaatliche
Aufgabe werden; denn niemand in diesem Land hat Verständnis dafür, wenn sich die Politik darüber streitet, wer
was tun darf, statt zu tun, was notwendig ist.
({1})
Der Bildungsgipfel 2008 in Dresden und der Bildungsgipfel 2009 in Berlin waren wichtige Meilensteine
auf diesem Weg. Eine föderale Ordnung ist kein Hindernis für gute Bildungspolitik, für eine Bildungsrepublik
Deutschland. Die Verfassungen vieler europäischer Länder sehen eine föderale Ordnung vor. Die Kollegen aus
diesen Ländern sagen uns: Wir sind in einer vergleichbaren Situation. Die Kunst besteht darin, eine überzeugende Agenda für Reformen zur Modernisierung und
eine stabile, verlässliche finanzielle Perspektive zu
schaffen. Auf diese Bundesregierung ist Verlass, wenn
es um die Verlässlichkeit der finanziellen Perspektive
und der Konzepte geht.
({2})
Die Bundesregierung - die Bundeskanzlerin persönlich - hat beim Bildungsgipfel den Ländern erklärt - so
etwas hat es in 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland
noch nicht gegeben -, sie wolle das 10-Prozent-Ziel für
Bildung und Forschung, 7 Prozent davon für die Bildung. Es gebe eine erhebliche Lücke und der Bund sei
bereit, in den nächsten Jahren 40 Prozent des Anteils zu
übernehmen, der notwendig ist, um diese Lücke zu
schließen. Das ist Verlässlichkeit im Blick auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern.
({3})
Damit ist auch klar: Wir arbeiten zusammen, wenn es
um Finanzen geht, und wir arbeiten auch zusammen,
wenn es um die Inhalte geht. Ich begrüße deshalb ausdrücklich die Stellungnahme des Präsidenten der Kultusministerkonferenz aus den letzten Tagen, die besagt, wir
könnten es schaffen, im Jahr 2014 erstmals in Deutschland ein gemeinsames Abitur zu machen. Das sind die
richtigen Signale: mehr Vergleichbarkeit bei Schulabschlüssen. Dies ermutigt auch die Bürger - dass wir vorankommen, wenn es um mehr Vergleichbarkeit und Mobilität geht.
({4})
Der Blick in den Koalitionsvertrag und auch in die
Struktur des Haushalts macht deutlich, dass beim großen
Thema Bildung für diese christlich-liberale Koalition ein
Thema ganz besonders im Vordergrund steht: Bildungsgerechtigkeit. Mit einem kurzen Satz gesagt: Niemand
darf verloren gehen. Jedes Kind, das in diesem wohlhabenden Land mit der Erfahrung aufwächst, an Bildung
und Kultur nicht teilhaben zu können, weil Geld oder
aufmerksame Erwachsene fehlen, die ihm den Weg ebnen, ist ein Hinweis darauf, dass wir noch nicht gut genug sind. Wir wissen, es gibt noch viele Kinder, in deren
Nähe kein Erwachsener ist, der Sorge dafür trägt, dass
sie den Weg hin zu den Möglichkeiten von Bildung und
Kultur finden. Wir wissen auch, es gibt viele Kinder, bei
denen es an finanziellen Möglichkeiten fehlt. Das steht
im Zentrum unserer Bildungspolitik: Sorge dafür zu tragen, dass jedes Kind die Chance auf Bildung und Kultur
bekommt. Niemand darf verloren gehen.
({5})
Deshalb auch die Initiativen, die sich im Bereich der
frühkindlichen Bildung im Land immer stärker durchsetzen. Deshalb die Initiative „Lernen vor Ort“, die uns helfen wird, lokale Bildungspartnerschaften zu schaffen weil das Thema „Mehr Bildungsgerechtigkeit“ keines
ist, das einfach nur an Schule delegiert werden kann. Es
muss im Zentrum gesellschaftlicher Bemühungen stehen, darauf zu achten, dass kein Kind verloren geht.
Deshalb die Idee der lokalen Bildungspartnerschaften.
Bildungspolitik erfolgt aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen, weil wir davon überzeugt sind,
dass Bildung nicht irgendwelchen Interessen dient, sondern Kindern und Jugendlichen hilft, sich zu entfalten,
Chancen in dieser Gesellschaft wahrzunehmen. Bildung
ist für uns Bürgerrecht.
Wir werden in den nächsten Jahren erhebliche Veränderungen, einen Wandel im Bildungssystem, erleben.
Dazu trägt die Demografie, die Bevölkerungsentwicklung, bei, dazu trägt auch ein verändertes, weiterentwickeltes Verständnis unserer Bildungseinrichtungen bei.
Das Viersäulenmodell ist vorbei. Jede Bildungsinstitution wird sich auch herausgefordert fühlen, kreativ mit
dem Thema „Lebenslanges Lernen“ umzugehen, und
Angebote zur Weiterbildung machen. Die Quote derer,
die an Weiterbildung teilnehmen, muss deutlich höher
werden. Ein wichtiger Akzent wird die Neuentwicklung
und Erhöhung der Bildungsprämie sein: mehr Investitionen, um Anreize für Bildung zu schaffen. Aber ich
glaube, man kann in diesem Zusammenhang auch feststellen, dass wir kreative Institutionen in unserer Gesellschaft haben - ich denke etwa an die Weiterbildungsträger und an die Tradition der Volkshochschulen -, mit
denen wir auch in diesem Bereich, der sich in Deutschland über viele Jahre nur schleppend entwickeln konnte,
weiterkommen können. Weiterbildung ist ein Bereich
der Bildungsrepublik, der so bedeutsam ist wie die berufliche oder die akademische Bildung.
Bildung ist auch immer stärker Thema unserer internationalen Beziehungen. Viele Länder wollen im Bereich der beruflichen Bildung mit uns kooperieren. Die
berufliche Bildung ist das Flaggschiff des Bildungssystems in Deutschland, und das wird es auch in den nächsten Jahren bleiben, weil es der beste Weg ist, um zu
hochqualifizierten Fachkräften in unseren Unternehmen
und in den bei uns vertretenen Branchen zu kommen.
Ich sage ausdrücklich: Die Zahl derer, die sich um einen Ausbildungsplatz bewerben, wird aus demografischen Gründen zurückgehen. Dennoch darf nicht nachgelassen werden, auch in diesem und im nächsten Jahr
ausreichend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen,
damit jeder Jugendliche, der sich bewirbt, die Chance zu
einer qualifizierten Ausbildung hat.
({0})
Ich nenne beim Thema Bildung im internationalen
Kontext aber ausdrücklich auch spezielle Kooperationen. Ich denke etwa an die deutsch-türkische Universität, auf die wir gerade hinarbeiten und von der wir hoffen, dass sie in den nächsten Monaten eine Stufe der
Konkretion erreichen wird. Hochschulen sind Teil unserer Internationalisierungsstrategie. Dazu gehören spezielle Bildungskooperationen mit Blick auf viele türkische
Kinder und Jugendliche, die in Deutschland leben und
von denen wir überzeugt sind - das, was in allen unseren
Programmen steht, ist richtig -: Für sie ist es wichtig,
souverän über die deutsche Sprache zu verfügen.
Mit der Sprache allein ist es aber nicht getan. Wir
müssen darüber hinaus auch die Stärken dieser Kinder
und Jugendlichen im Blick haben. Das meine ich mit
Bildungskooperation. Auch das muss in der Bildungsrepublik Deutschland selbstverständlich werden.
({1})
Wir verbessern die Bildungsfinanzierung durch die
BAföG-Modernisierung, etwa im Hinblick auf die Altersgrenze. Weitere Verbesserungen betreffen die Vereinbarkeit von Familie und Studium. Hinzu kommt die Erhöhung der Förderbeträge und Freibeträge. Wir schaffen
gemeinsam mit den Ländern ein bundesweites Stipendienprogramm. Wir wollen, dass der positive Trend des
Jahres 2009 sich fortsetzt, als erstmals 43 Prozent eines
Jahrgangs in Deutschland ein Studium aufgenommen
haben. Das ist eine Steigerung um 7 Prozent. Daraus
wird deutlich: Junge Leute wissen, dass sich ein Studium
in Deutschland lohnt. Dieser positive Trend soll auch dadurch fortgesetzt werden, dass wir verlässlich sind, was
Konzepte der Bildungsfinanzierung angeht.
({2})
Abschließend komme ich zu den wichtigsten Akzenten in der Forschungspolitik. Ich werde in den kommenden Wochen das Rahmenprogramm „Forschung für die
Nachhaltigkeit“ und das Rahmenprogramm „Gesundheitsforschung: Forschung für den Menschen“ für die
nächsten Jahre vorstellen. Die Hightech-Strategie wird
auf die fünf Schwerpunkte Energie und Klima sowie Gesundheit, Mobilität, Kommunikation und Sicherheit konzentriert. Sicherheitsforschung ist auch Teil unserer internationalen Kooperationen, zum Beispiel mit Israel.
Wir haben gerade gestern bei der Regierungskonsultation über gemeinsame Programme in diesem Feld gesprochen.
Die Hightech-Strategie wird keine nationale Angelegenheit bleiben. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass
wir sie auch auf europäischer Ebene einbringen wollen.
Die für die Finanzierung notwendigen Mittel sind in diesem Haushalt 2010 deutlich abgebildet.
Hochschulpakt, Exzellenzinitiative und der Pakt für
Forschung und Innovation sind weitere Punkte. Des
Weiteren - auch das ist, finde ich, ein wichtiger Akzent wollen wir bei der Internationalisierung einen Schwerpunkt auf die Schwellen- und Entwicklungsländer setzen.
Diese Impulse machen deutlich: Es gibt nicht nur politische Verantwortung für gute Bildung und eine starke
Forschung. Wir sind davon überzeugt, dass in beidem
viel Potenzial und Kreativität steckt und beides auch unseren internationalen Kooperationen zugutekommt. Wir
übernehmen damit ein Stück weit Verantwortung in internationalen Entwicklungsprozessen. Wir sind überzeugt, dass gute Bildung und eine starke Forschung im
eigenen Land und international den Beitrag mit der
meisten Substanz für künftige Generationen darstellen.
Vielen Dank.
({3})
Der Kollege Ernst Dieter Rossmann hat das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Bundesministerin Dr. Annette Schavan:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin Schavan, Sie haben sich wirklich Mühe
gegeben, Bildungseuphorie zu verbreiten. Aber haben
Sie eigentlich ein Gespür dafür, warum das alles im
Land nicht zündet? Ich gebe Ihnen eine politisch-psychologische Beratung: Solange Sie sich so verlässlich
über Brutto und Netto, niedrige Mehrwertsteuersätze für
Hotelketten und andere Steuern streiten, kann es trotz Ihrer Bemühungen keine Bildungseuphorie in Deutschland
geben. Sie müssen das im Zusammenhang sehen.
({0})
Sie haben gesagt, Sie seien verlässlich. Wir befürchten,
dass Sie verlässlich im Streit sind. Die Chancen, dass
Ihre Prognose, Bildung werde zu einem gemeinsamen
Anliegen, in Erfüllung geht, stehen daher schlecht. Man
kann es auch härter sagen: Wie wollen Sie auf gesamtstaatlicher Ebene, bei Bund, Ländern, Kommunen, Begeisterung für Bildung hervorrufen, wenn Sie gleichzeitig den Ländern und Kommunen Mittel wegnehmen, die
sie brauchen, um in eine gesamtstaatliche kooperative
Bildungsoffensive einzusteigen? Ich will das an einem
Beispiel konkretisieren. Ein kleines Land wie Schleswig-Holstein verliert nun jährlich 60 Millionen Euro bei
den Landesfinanzen. Damit könnten 800 Lehrer finanziert werden. Die Kommunen verlieren insgesamt
70 Millionen Euro. Dafür könnten über 1 000 Erzieherinnen und Erzieher eingestellt werden. Glauben Sie,
dass Sie so eine Bildungseuphorie in Bund, Ländern und
Kommunen erzeugen können? Das wird so nicht gehen.
({1})
Es steht noch mehr Schlimmes in Aussicht. Ihre vermeintliche Einigung, dass der Bund 40 Prozent der Bildungsausgaben finanziert, stellt keine passende Antwort
auf das strukturelle Bildungsdefizit bei Ländern und
Kommunen dar. Dieses Defizit vergrößert sich aufgrund
Ihrer Steuerpolitik noch. Sie rechnen das schön. Länder
und Kommunen kommen zu ganz anderen Berechnungen. Eine gemeinsame Bildungsrepublik sieht anders
aus. Sie muss ehrlicher sein und finanziell anders unterlegt sein.
Man muss aber auch bei den Zeitabläufen ehrlich
bleiben. Frau Schavan, ich kann Ihnen den Vorwurf nicht
ersparen: Diese Bundesregierung hat schon viel Zeit verschenkt, indem sie von Gipfel zu Gipfel nur das Flachland entdeckt hat; denn auf den bisherigen Bildungsgipfeln ist nicht wirklich etwas verabredet worden. Das
wissen auch die Hochschulen, die Schulen, die Kommunen und die übrige Bildungsrepublik.
Schauen wir uns einmal den Hochschulbereich genauer an. Schon vor fast einem Jahr sind die Studenten
mit ihrer Bologna-Kritik vorstellig geworden. Aber was
ist bisher passiert? Ein Datum im April wird in Aussicht
gestellt. Das ist verschenkte Zeit. Sie bemerken inzwischen selber, dass sich diese verschenkte Zeit auch im
Haushaltsentwurf niederschlägt. Ich weiß nicht, ob es
Haushälter gibt, die sich an so etwas erinnern können.
Auf jeden Fall sind im Einzelplan 30 an den wichtigsten
Stellen Kabinettsvorbehalte gegen die eigene Ministerin
verankert. Die 3 Milliarden Euro, die Sie für die Bildung
zusätzlich aufwenden wollen, müssen erst durch den
Haushaltsausschuss freigegeben werden. Im Kabinett
war es offensichtlich nicht möglich, im Rahmen der gemeinsamen Bildungsfinanzierung und der großen Bildungsoffensive zu einem Beschluss zu kommen.
({2})
Wir finden, es ist kein gutes Zeichen, dass es diesen Kabinettsvorbehalt gegen die eigene Ministerin gibt.
({3})
Aber nicht nur in struktureller und prozessualer Hinsicht haben wir Kritik anzubringen, sondern auch bei bestimmten inhaltlichen Orientierungen. Ich will das für
die Sozialdemokratie und - da es um die Bildungsrepublik geht - für viele andere mehr an zwei bis drei Beispielen erläutern.
Wenn Bildungsgerechtigkeit nicht nur ein wohlfeiler
Begriff bleiben soll, dann müssen wir die Frage stellen,
was eigentlich gerechter ist: Ist ein System gerecht, in
dem man die Chancen von Kindern davon abhängig
macht, dass die Eltern gespart haben? Ist es gerecht, die
Chancen von Kindern davon abhängig zu machen, wie
Bildungsgutscheine über das Land verstreut werden?
Oder wären nicht starke und gute Schulen für starke
Kinder am gerechtesten? Starke Schulen für starke Kinder - das ist es!
({4})
Das ist unser konzeptioneller Ansatz. Besser als Bildungssparen und Bildungsgutscheine ist es, Schulsozialarbeit so zu fördern, dass es gute Ganztagsschulen geben
kann. Es gibt dafür ein Beispiel aus rot-grüner Zeit. Mit
4 Milliarden Euro wurde eine strukturelle Ganztagsschulentwicklung in Gang gesetzt, die mittlerweile breit
anerkannt ist. Wenn Sie noch einmal etwas über die Güte
dieser Entwicklung nachlesen wollen, dann können Sie
das in einer soeben von Frau Ministerin Schavan herausgegebenen Broschüre tun.
Man kann weiterhin fragen, ob ein wirklich starkes
BAföG oder ein dubioses Stipendienprogramm für
200 000 Menschen gerechter ist und mehr Bildungsreserven an den Stellen, an denen es nötig ist, mobilisiert.
Wäre nicht mehr gewonnen, wenn man die Familien, die
jetzt nicht vom BAföG profitieren, weil sie vermeintlich
zu viel verdienen, obwohl sie zur unteren Mittelschicht
gehören, durch deutlich erhöhte Freibeträge fördern
würde? Bei der Alternative eines dubiosen Stipendienprogramms für 200 000 Menschen und eines Rechtsanspruchs auf BAföG-Förderung für 200 000 mehr ist
die Entscheidung für uns klar: Nur das BAföG kann die
richtige Weichenstellung für soziale Gerechtigkeit und
Bildungsgerechtigkeit sein.
({5})
Auch darin sehen wir einen Unterschied zu dem, was
diese Bundesregierung hier einbringt.
Aber es muss nicht nur Kritik sein. Frau Ministerin,
wir wollen gegenüber der Koalition auch gerne anerkennen, dass bei der Berufseinstiegsorientierung ab Klasse 7
zusätzliche 50 Millionen Euro sehr gezielt eingesetzt
werden. Das unterstützen wir, und das wollen wir gerne
noch verstärken. Es müssen aber kooperative Ansätze
gefunden werden, mit denen die guten Ideen zur Einstiegsqualifizierung und zur Berufsorientierung so umgesetzt werden, dass vollwertige Ausbildungsangebote
daraus erwachsen; dafür muss das gesamte System des
Übergangs von der Schule in den Beruf durchforstet
werden. Dazu brauchen Sie nicht nur die Kooperation
von Bund, Ländern und Kommunen, sondern auch die
der Tarifpartner.
Diese brauchen Sie auch bei dem Übergang von der
Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversicherung. Das
kam uns bei dem, was Sie zum Bildungsaufbruch dargelegt haben, zu kurz. Wir müssen die Fachkräftequalifizierung mit allen uns zur Verfügung stehenden Instrumenten voranbringen, weil uns sonst die Zeit wegläuft.
Sonst ist die Fachkräftelücke schneller da, als die politischen Anstrengungen dieser Bundesregierung ihr entgegenwirken können.
({6})
Frau Ministerin, Sie haben die Gesamtstaatlichkeit
beschworen, und es ist Ihnen nicht abzusprechen, dass
Sie an bestimmten Stellen Anflüge von Ehrlichkeit haben.
({7})
Einen dieser Anflüge hatten Sie, als Sie sagten, dass das
im Rahmen der Föderalismusreform I vereinbarte Kooperationsverbot, das ein hessischer Ministerpräsident
brutalstmöglich in die politische Debatte eingebracht
hatte, ein Fehler war. Das wollen wir ausdrücklich anerkennen.
({8})
Wir möchten Ihnen Gelegenheit geben, diesen Fehler
zu korrigieren. Wir können das Grundgesetz, wo Einsicht gewachsen ist, auch wieder ändern. Als sozialdemokratische Opposition wollen wir gerne alles dafür tun,
dass dieser Ministerin keine weiteren Fehler unterlaufen.
Danke.
({9})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin Ulrike
Flach das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Rossmann, es ist schon erstaunlich, dass Sie nach zwölf
Jahren sozialdemokratischer Regierungszeit
({0})
mit einer sozialdemokratischen Bildungsministerin von
Zeitverzug reden.
({1})
Der Zeitverzug ist sicherlich bei Ihnen zu finden; denn
das, was Sie fordern, hätten Sie in diesen zwölf Jahren
umsetzen können. Wenn man mit zwei Fingern auf jemanden zeigt, zeigen immer drei auf einen selbst zurück.
Bildung und Forschung sind das, was diese Koalition
verbindet, und zwar an allererster Stelle.
({2})
Wir wissen, dass genau diese Punkte für den sozialen
Fortschritt in diesem Lande wichtig sind, wir wissen,
dass der Aufstieg in einem Lande nur möglich ist, wenn
Bildung und Forschung wirklich optimal organisiert
werden. Deswegen haben wir uns zu diesem Koalitionsvertrag nicht durchgerungen - Frau Schavan, ich glaube,
wir waren eine der friedlichsten Koalitionsrunden, die es
überhaupt gegeben hat -, sondern wir haben uns gemeinsam auf ihn geeinigt. Wir sind stolz auf diesen Koalitionsvertrag und auf die Schwerpunkte, die wir gesetzt
haben.
({3})
Dieser Einzelplan spiegelt das natürlich wider; denn
wir sind jetzt bei 10,9 Milliarden Euro. Das sind immerhin 702 Millionen Euro mehr als letztes Jahr unter Ihrer
Ägide. Man muss in Erinnerung rufen: Frau Bulmahn
hatte zweieinhalb Milliarden Euro weniger. Ich weiß
nicht, woher Sie immer Ihre frohgemute Kritik nehmen.
An dieser Stelle ist wirklich ein Aufwuchs da, den wir
immer gefordert haben.
({4})
Satte 12 Milliarden Euro werden bis 2013 für Bildung
und Forschung ausgegeben.
({5})
Genau dieser Punkt ist es, der dem widerspricht, was Sie
den Leuten immer weiszumachen versuchen. Natürlich
wird investiert, und zwar in die Fläche. Herr Rossmann,
der Fehler der Föderalismusreform liegt doch bei Ihnen.
Hätten Sie damals mit uns gestimmt, wären wir nicht in
der Situation.
({6})
Insofern finde ich: Dass es uns jetzt gelingen wird, diese
12 Milliarden Euro für Investitionen in der Fläche bereitzustellen, ist ein großer Fortschritt, Frau Schavan. Ich
hoffe, dass uns dies in nächster Zukunft gelingen wird.
Ausgesprochen wichtig für uns war die finanzielle
Absicherung des Hochschulpakts, der Exzellenzinitiative und des Paktes für Forschung.
({7})
- Eben. Dass wir dieses trotz der harten Zeiten weiter
getan haben, ist etwas, was uns beide erfreuen sollte,
Herr Hagemann. Das ist nicht immer selbstverständlich
gewesen.
({8})
Der Bund steigt in ein Stipendiensystem ein, das
10 Prozent der begabtesten Studierenden ein Stipendium
garantiert. Damit vervierfacht sich die Zahl der Geförderten. Dieses Stipendiensystem - auch das will ich an
dieser Stelle sehr deutlich sagen - ist ein Kernelement liberaler Bildungspolitik. Wir haben dies hineinverhandelt, und wir sind stolz auf dieses Stipendiensystem. Ich
möchte Sie einfach einmal an Folgendes erinnern: In
60 Jahren Bundesrepublik mit sozialdemokratischer,
grüner und CDU-Beteiligung sind wir zu dem mageren
Ergebnis gekommen, dass es junge Menschen gibt, die
eine Begabtenförderung von nur 80 Euro bekommen.
Das ist Ihr Ergebnis.
({9})
Wir setzen jetzt ein Stipendiensystem dagegen. Überlegen wir uns doch einmal vor diesem Hintergrund, was in
Nordrhein-Westfalen abläuft.
({10})
Wir haben dank der privaten Initiative - die Leute kommen zu uns, nicht wir zu ihnen; das ist übrigens der Unterschied - inzwischen 1 400 Studierende seit dem letzten Herbst, die ein Stipendium von 300 Euro im Monat
bekommen. Das ist doch etwas.
({11})
Ich bin an dieser Stelle ganz der Meinung meiner geschätzten Kollegin Edelgard Bulmahn, die gesagt hat: Es
wird Zeit, dass endlich der Spruch des Verfassungsgerichts erfüllt wird. - Selbstverständlich müssen wir Stipendiensysteme entwickeln. Wer, wie wir, für Studiengebühren ist, ist selbstverständlich dazu verpflichtet,
Stipendien bereitzustellen. Wir tun dies - das ist eine
sehr typisch liberale Lösung - mit Beteiligung der Wirtschaft; denn die will die Leute doch einstellen. Das haben wir hineinverhandelt, das ist ein Aufstiegsmotor für
junge begabte Menschen. Ich denke an meine Heimatstadt Duisburg und die Uni von Essen nebenan. Jeder
Dritte, der dort ein Stipendium erhält, ist ein Studierender - auch das einmal in Ihre Richtung - mit Migrationshintergrund. Ich frage mich, warum Linke, Sozialdemokraten und Grüne gegen dieses Stipendiensystem sind.
Das sind doch gerade die Menschen, die wir mitnehmen
wollen. Es sind doch nicht meine Kinder; die brauchen
kein Stipendium.
({12})
Na, die sind ja da; die haben es ja. Frau Sitte, ich lade
Sie ein: Kommen Sie mit mir nach Duisburg. Sprechen
wir mit dem Rektor.
({13})
- 1 400 seit zwei Monaten. Bitte schön!
({14})
- Es hat doch gerade erst angefangen. - Ich bitte sehr:
Machen Sie einmal einen Ausflug dahin. Reisen bildet.
Ebenso passt sicherlich nicht in Ihr Weltbild, dass wir
das BAföG erhöhen werden,
({15})
dass die Aufstiegsförderung verbessert wird, dass es Zuschüsse für Begabtenförderungswerke gibt. Das ist doch
etwas, was den Geist dieser Koalition ausmacht. Das
sollten Sie einfach einmal akzeptieren. Wir wären froh,
wenn an dieser Stelle einmal Wahrheit über uns käme
und nicht einfach nur Verdunkelung.
Wir wissen, dass wir noch viel vor uns haben. Dazu
gehört das große Thema steuerliche Förderung für
FuE. Ich will auch an dieser Stelle als Haushälter sehr
klar sagen: Es wird sehr schwierig werden, das durchzusetzen.
({16})
Ich setze da auf die Durchschlagskraft meiner Kollegen
von der CDU.
({17})
Helfen Sie uns, dass wir das schaffen. Das ist nämlich eines der Kernelemente unseres Koalitionsvertrages.
Abschließend möchte ich Ihnen einen weiteren Punkt
mit auf den Weg geben - auch dies ist ein Punkt, der bei
Haushältern normalerweise nicht so beliebt ist -: das
Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Ich fühle mich als Liberale verpflichtet, dafür zu sorgen, dass nach diesen vier
Jahren ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz umgesetzt sein
wird, und zwar haushalterisch.
({18})
Unser Gegner an dieser Stelle ist natürlich der Finanzminister und nicht die Bildungsministerin, um das einmal
ganz klar zu sagen.
Das sind die wichtigsten Punkte, die wir gemeinsam
vereinbart haben. Wir haben uns eben große Aufgaben
vorgenommen. Ich glaube, dieses Land ist es wert, Bildung und Forschung wirklich zu dem zu machen, was
wir alle in Sonntagsreden immer versprechen. Wir wollen es. Wir stehen dafür. Messen Sie uns bitte in vier Jahren daran, ob wir es auch so umgesetzt haben.
({19})
Die Kollegin Dr. Petra Sitte hat jetzt das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
es noch einmal auf den Punkt bringen: In diversen Gutachten wurde der Politik in der letzten Zeit sehr genau
vorgerechnet, wie viel Geld für gute Bildung in diesem
Land fehlt: 6 Milliarden Euro für Kindertagesstätten,
8 Milliarden Euro bei Schulen, 3,5 Milliarden Euro in
der Berufsbildung, 5 Milliarden Euro an den Hochschulen und letztlich 14 Milliarden Euro in der Weiterbildung. Das heißt, jährlich müssten 37 Milliarden Euro investiert werden. Ich erinnere alle in diesem Hause daran,
dass Bildung der Leitstrahl war, auf dem alle Parteien
durch den Wahlkampf navigierten.
Noch auf dem Bildungsgipfel 2008 haben Bund und
Länder vereinbart, 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung auszugeben. Das wären damals
30 Milliarden Euro gewesen. Mittlerweile haben wir
eine Krise gehabt, und das Bruttoinlandsprodukt ist etwas gesunken, weshalb eigentlich etwas weniger Geld
für Bildung zur Verfügung stehen müsste. Weniger Geld
für Bildung könnte aber bedeuten, dass sich der nächste
Bildungsgipfel auf eine Summe verständigt, die in der
Nähe dieser 30 Milliarden Euro liegt.
Im Vorfeld des Bildungsgipfels ein Jahr später hat der
Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Genosse
Kurt Beck, von notwendigen Mehrausgaben von 25 bis
28 Milliarden Euro gesprochen. Herr Pinkwart von der
FDP aus Nordrhein-Westfalen hat ihm zugestimmt und
gesagt: Ja, seriös sind 25 bis 28 Milliarden Euro. - Was
ist auf dem Weihnachtsgipfel 2009 wirklich herausgekommen? 13 Milliarden Euro - aber nicht für ein Jahr,
sondern bis 2015. Von den notwendigen 37 Milliarden
Euro blieben nur 13 Milliarden Euro übrig, und die auch
nur unter Zuhilfenahme diverser Rechentricks von Finanzministern. Gott sei Dank hat die Öffentlichkeit, insbesondere die Bildungsöffentlichkeit, sehr schnell dagegengehalten. Ich sage Ihnen: Diese 13 Milliarden Euro
sind eben nicht Ausdruck einer Bildungsrepublik, sondern ein schwarz-gelbes Nachtschattengewächs.
({0})
Da ist nichts mit Verlässlichkeit, Frau Schavan.
Nun freuen Sie sich darüber - auch Frau Flach von
der FDP rühmt es -, dass Ihr Haushalt um 6,9 Prozent
steigt. Da staunt der Laie, und der Fachmann oder die
Fachfrau wundert sich; denn die Steigerung des gesamten Bundeshaushaltes liegt bei 7,3 Prozent. Wenn man
wirklich so viel Wert auf Bildung legen würde, dann
müsste die Steigerung des Bildungshaushaltes über
dem Durchschnitt liegen.
({1})
Das tut sie aber nicht. Das heißt, der Aufwuchs für
Bildung und Forschung beträgt insgesamt nur
750 Millionen Euro - von Milliarden kann nicht mehr
die Rede sein -, und nur 350 Millionen Euro fließen in
die Bildung. Bezogen auf den Ausgangswert bleibt also
ein Riesenabstand.
Ich will einmal daran erinnern: Die Steuersenkungen
ab dem Jahr 2011 sind Ihnen jedes Jahr 24 Milliarden
Euro wert. Jetzt vergleichen Sie das bitte noch einmal
mit Ihren 350 Millionen Euro.
({2})
Am Ende ist somit völlig fraglich, wie Sie auf der Basis
dieses Haushalts die Summen erreichen wollen, die auf
dem Bildungsgipfel vereinbart wurden, und wie es gelingen soll, dass 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes real
für Bildung ausgegeben werden.
Unter dem Label „Mehr Wettbewerb“, Frau Schavan,
nicht etwa unter dem Label „Bildung ist Bürgerrecht“,
betreiben Sie hier Bildungspolitik. Das heißt, Sie unterwerfen Bildung, Forschung und den Erwerb wissenschaftlicher Kompetenzen wirtschaftlicher Standortlogik - das entspricht auch der Vereinbarung auf EUEbene -, und Sie rechnen damit Bildung gegen Verwertbarkeit auf. Die Linke hat das immer kritisiert, aber bleiben wir einmal in Ihrer Logik: Wenn man ihr folgt,
müsste in Bildung eigentlich wesentlich mehr investiert
werden, weil die Bildungsrendite deutlich höher als die
Renditen von allen Kapitalanlagen liegt, nämlich im
zweistelligen Bereich. Außerdem ist der Bund über Einkommensteuern und Beiträge zur Sozialversicherung ein
weit größerer Nutznießer von guter Bildung als die Länder.
({3})
Das heißt, auch unter diesem Blickwinkel ergibt sich die
Verpflichtung für den Bund, sich jetzt und heute viel
stärker bei der Bildungsfinanzierung zu engagieren.
({4})
Der Bund müsste also eigentlich die Steuerausfälle der
Länder kompensieren, da diese höher als beim Bund
ausfallen.
Auf dem Bildungsgipfel wurde leider keine zwingende Vereinbarung getroffen, wie die Länder ihren Anteil aufbringen sollen. Den Ländern sitzt dann ab 2012
- das sei angemerkt - auch noch die Schuldenbremse im
Nacken. Damit ist ihnen verwehrt, mehr Bildung durch
höhere Kreditaufnahme zu finanzieren. Wissen Sie, was
das bedeutet?
({5})
In meinem Land, in Sachsen-Anhalt, sitzen derzeit
51 000 Studierende auf 34 000 Studienplätzen.
Nun müsste ja durch den Kurswechsel bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses, den alle den Studierenden
während des Streiks versprochen haben, zusätzlich noch
ein 15-prozentiger Aufwuchs bei der Ausstattung und
dem Personal an den Universitäten eingerechnet werden.
Das findet aber nicht statt, weil den Ländern die Mittel
dafür fehlen. Insofern, Frau Flach und Herr Hagemann,
ist der Hochschulpakt eben nicht abgesichert, was die
Länderseite betrifft. Die Folge in meinem Land ist, dass
der Finanzminister von der SPD sagt: Ich will in den
nächsten Jahren 1 239 Stellen im Bildungsbereich streichen bzw. die Personalkosten um 20 Prozent absenken. Das würde natürlich dazu führen, dass sich die Studienbedingungen durch schlechtere Betreuungsverhältnisse
noch weiter verschlechtern werden.
({6})
Es ist also nichts mit Kurskorrektur und Verbesserung
nach der Bologna-Misere.
Einer Studienreform sollte vor diesem Hintergrund
gegenüber der Exzellenzinitiative ganz klare Priorität
eingeräumt werden. Deshalb haben wir gesagt: Für uns
ist es derzeit nicht akzeptabel, Milliarden Euro in die
Exzellenzinitiative zu stecken, weil dadurch das Hochschulwesen weiter segmentiert wird. Die für die Exzellenzinitiative vorgesehenen Summen sollten vielmehr
zugunsten des Hochschulpakts transferiert werden. Dann
könnte man den verschulten Bachelor mit seinen zahlreichen Prüfungen - für diejenigen, die das nicht so genau
wissen: Das ist der Abschluss nach drei Jahren - entschlacken, die Regelstudienzeiten korrigieren, die Mobilität der Studierenden fördern und für einen sicheren Zugang vom Bachelor zum Master sorgen.
Nun reden Sie von einer Erhöhung des BAföG um
2 Prozent. Wie würde sich eine solche Erhöhung konkret
bei den Studierenden auswirken? Alle einschlägigen Organisationen wie beispielsweise Studentenwerk und Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft haben Ihnen
ja vorgerechnet, dass es mindestens eine 5-prozentige
Erhöhung geben müsste, um die Preisentwicklung abzufedern. Zugleich wollen Sie erreichen, dass künftig
50 Prozent eines Jahrgangs das Studium aufnehmen. Das
heißt doch nichts weiter, als dass Sie das BAföG bedarfsgerecht umgestalten und um einem elternunabhängigen Sockel erweitern müssen, sonst erreichen Sie einkommensschwache Familien ja überhaupt nicht.
({7})
All das gehört zu den Forderungen, die im Rahmen
des Bildungsstreiks erhoben wurden. All das findet sich
aber in diesem Haushalt nicht wieder. Somit bringt er
nicht mehr Bildungsgerechtigkeit mit sich.
Meine Damen und Herren, die Qualifizierung von
Lehre und Forschung sowie die Verbesserung der Arbeits- und Studienbedingungen der Hochschulangehörigen sind unter diesen Voraussetzungen nicht zu schaffen.
Forschung und Lehre sind hochkommunikative und
kooperative Prozesse. Beide haben sich in den letzten
Jahren infolge neuer technischer und technologischer
Möglichkeiten verändert. Fachleute sagen, die großen
Erkenntnisse werden disziplinübergreifend geboren. Das
heißt, interdisziplinäre Zusammenarbeit ist angesagt.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, immerhin
vier Fünftel ohne Professur, werden durch hierarchische
Strukturen an einer Umgestaltung gehindert. Personelle
Abhängigkeiten hindern sie an eigenverantwortlichem
Lehren und Forschen. Nicht selten gleichen die prekären
und zudem wiederholt befristeten, schlecht vergüteten
Beschäftigungsverhältnisse einem Kampf um die eigene
Daseinberechtigung. Da habe ich überhaupt kein Vertrauen in Ihr Wissenschaftsfreiheitsgesetz, Frau Flach.
Die Linke meint, dass nicht nur die Grenzen zwischen
den Fachdisziplinen, sondern vor allem die Hierarchien
im Hochschulsystem aufzuheben sind. Denn Professorinnen und Professoren sowie anderes wissenschaftliches Personal müssen sich bei Lehre und Forschung auf
Augenhöhe treffen. Dadurch könnte die Chance eröffnet
werden, Wissenschaft endlich zu einem Beruf mit Perspektive zu machen. Verlässliche Perspektiven und mehr
Selbstständigkeit halten auch wissenschaftlichen Nachwuchs eher im Land. Personalstruktur ist also an der
Profession zu orientieren.
({8})
Ein solches Herangehen würde im Übrigen auch mehr
Frauen ermutigen, in der Wissenschaft zu bleiben; denn
für sie wäre eine akademische Laufbahn dadurch attraktiv. Dann würden sich Beruf und Familie nicht mehr wie
zwei Fresszellen zueinander verhalten, die vielleicht auf
privater Ebene auch noch Blutspuren hinter sich herziehen.
({9})
Dazu erwarten wir Initiativen von der Bundesregierung. Sie aber packen in den Haushalt nur Versatzstücke.
Es ist beispielsweise vom „Qualitätspakt Lehre“ und von
der „Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses“ zu lesen. Wenn man nachfragt, bekommt man keine vernünftige Antwort; denn Sie haben noch nichts konkret vorbereitet oder mit den Ländern abgestimmt.
({10})
- Ich höre Ihnen später noch einmal zu.
Meine Damen und Herren, auch bei den Ausgaben für
Forschung und Entwicklung ist die Bundesregierung
schlicht und ergreifend schief gewickelt. Mit den Milliarden der Hightech-Strategie werden nach wie vor
insbesondere Großunternehmen massiv unterstützt, vor
allem Global Player. Deren unternehmerische Kernaufgabe wäre eigentlich, Forschung und Entwicklung zu
unterstützen. Von den 1,5 Millionen Arbeitsplätzen, die
Sie, Frau Minister, im Zusammenhang mit der HightechStrategie versprochen haben, ist nichts übrig geblieben.
Jedenfalls können Sie das nicht genau beziffern. Stattdessen sagen Sie, es dauere noch ein bisschen, bis sie
richtig wirke.
Sichtbar wird im Haushalt hingegen, dass die Förderung innovativer kleiner und mittelständischer Unternehmen deutlich hinter der Förderung von Großunternehmen zurückbleibt. Klar wird auch - insofern habe ich
aufgehorcht, als Sie von einem Rahmenprogramm für
nachhaltige Forschung gesprochen haben -, dass in Ihrem Haushalt Energieforschungen im fossilen und
nuklearen bzw. Fusionssektor mit doppelt so hohen
Summen gefördert werden wie erneuerbare Energien
und Effizienzforschungen.
Letztlich ist - auch darauf will ich aufmerksam machen - Ihre Politik derzeit insofern grenzwertig, als die
universitäre Grundlagenforschung in den letzten Jahren eine kritische Untergrenze erreicht hat. Wenn wir für
die Grundlagenforschung an den Universitäten und
Hochschulen nicht mehr tun, gehen diese auch den
außeruniversitären Forschungseinrichtungen als Partner
verloren. Das ist zurzeit besonders im Osten ziemlich
dramatisch spürbar. Deshalb fordern wir ein Sonderprogramm für die gezielte Förderung der Grundlagenforschung in Ostdeutschland.
({11})
Ich komme zum Schluss. Wenn diese Bundesregierung wirklich positiv in die Bildungsgeschichte des Landes eingehen will, dann muss sie konsequent gegen die
Unterfinanzierung des Bildungssystems vorgehen. Wir
sagen: Schluss mit dem nervigen bildungspolitischen
Armdrücken zwischen Bund und Ländern! Da hat Herr
Rossmann recht. Korrigieren Sie den Fehler, den Sie bei
der Föderalismusreform mit dem Kooperationsverbot
gemacht haben; schaffen Sie es wieder ab!
Frau Kollegin!
Dafür haben Sie unsere Unterstützung. - Das war
mein letzter Satz. Danke schön, Frau Präsidentin.
({0})
Priska Hinz hat jetzt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Auch ich bin erstaunt, welche Angebote man gleich
zu Beginn dieser Debatte bekommt. - Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die Koalition behauptet
- auch Frau Schavan hat das vorhin getan -, dass Bildung ein Schwerpunktthema im Koalitionsvertrag und
im Haushaltsplan ist. Wenn man sich den Haushalt genauer anschaut, dann stellt man fest, dass ein Aufwuchs
in Höhe von 750 Millionen Euro zwar ein Schritt in die
richtige Richtung ist, aber mehr auch nicht. Denn der
Gesamtetat steigt um 7,3 Prozent; der Einzelplan allerdings nur um 6,9 Prozent. Das heißt doch im Klartext
- die Zahlen beweisen es -: Bildung verliert im Bundeshaushalt an Gewicht. So sieht es mit Ihrer Prioritätensetzung aus.
({0})
Sie haben sich vorgenommen, bis 2013 zu regieren.
Das ist zwar eher ein Schreckgespenst, das da umgeht,
aber ich will einmal annehmen, dass es so kommt. Sie
wollen dann bis 2013 12 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung ausgeben. Nach dem mageren Start
in diesem Jahr müssten Sie dafür ab nächstem Jahr bis
2013 dauerhaft 1,5 Milliarden Euro zusätzlich in diesem
Einzelplan verankern. Gleichzeitig muss der Bundeshaushalt jährlich um 10 Milliarden Euro konsolidiert
werden, damit die Schuldenbremse eingehalten werden
kann. Seit Sonntag kündigen Sie wieder unverdrossen
an, es gebe Steuersenkungen. Das erhöht Ihre Glaubwürdigkeit in Sachen Bildungsrepublik wirklich nicht. Verlässlichkeit bedeutet etwas anderes, als ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu beschließen, das den Ländern
und Kommunen jährlich 3,9 Milliarden Euro entzieht.
Herr Rossmann, ich mache die Größenordnung mit anderen Zahlen deutlich: Das entspricht bundesweit
285 000 Studienplätzen oder 570 000 Kitaplätzen. Das
ist die Wahrheit und die Realität, denen sich die Koalition stellen sollte.
({1})
Der Bildungsgipfel, die Herzensangelegenheit der
Kanzlerin, hat auch kein positives Ergebnis gebracht leider, sage ich. Die Finanzierungslücke im Bildungssystem wurde auf 13 Milliarden Euro kleingerechnet. Auch
nach der zweiten Hügelbesteigung gab es über diese
13 Milliarden Euro keine Vereinbarung mit den Ländern. Nein, es gab nichts. Weder wurden Programme
verabredet noch wurden Finanzregelungen getroffen, die
zeigen, wie man bis 2015 das 10-Prozent-Ziel - 7 Prozent Bildung und 3 Prozent Forschung - erreichen will.
Das schlägt sich jetzt auch in Ihrem Einzelplan nieder, Frau Schavan. Darüber können Sie überhaupt nicht
glücklich sein. Im Haushalt gibt es zahlreiche Sperrvermerke, unter anderem bei der Stärkung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens, beim Qualitätspakt Lehre
und bei der Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses.
Maßgebliche Teile des Bildungsetats sind also im wahrsten Sinne des Wortes durch das Versagen des Regierungshandelns gekennzeichnet. Das müssen Sie auch in
den Haushaltsdebatten zur Kenntnis nehmen.
({2})
- Die Regierung hat es nicht geschafft, Regelungen mit
den Ländern zu vereinbaren, dass sich diese Etatposten
im Haushalt tatsächlich als Programmposten niederschlagen.
({3})
Priska Hinz ({4})
Es gibt keine Einigung. Deswegen ist alles auf Eis gelegt. Das ist aber keine Bildungsrepublik. Eine
Bildungsrepublik müsste durch einen Aufbruch gekennzeichnet sein, der sich in entsprechenden Haushaltszahlen und in einem glaubwürdigen Etat niederschlägt.
Das findet aber leider nicht statt.
({5})
Im Übrigen hat die schwarz-gelbe Bildungspolitik
eine extreme soziale Schlagseite und enthält nichts in
puncto Bildungsgerechtigkeit. Sie schwächen den sozialen Zusammenhalt und die Möglichkeiten von Chancengerechtigkeit. Das Thema Stipendiensystem ist
schon angesprochen worden. Sie wollen 280 Millionen
Euro - im Moment liegen sie noch auf Eis - für diejenigen ausgeben, die schon heute zu den Bildungsgewinnern gehören. Daneben soll ein Miniprogramm zum
BAföG aufgelegt werden. Mit dem Geld aber, das Sie
für Stipendien vorsehen, könnte eine 10-prozentige
BAföG-Erhöhung in 2010 und 2011 für diejenigen finanziert werden, die Unterstützung und den Mut brauchen, ein Studium überhaupt zu beginnen. Darauf müssten Sie den Schwerpunkt legen.
({6})
Auch mit den Bildungsgutscheinen und dem Konzept
des Zukunftskontos bauen Sie Transfers aus, statt in die
Bildungsinfrastruktur zu investieren.
({7})
Ich sage Ihnen: Mit der Privatisierung der Bildung und
der Verhinderung der Finanzierung öffentlicher Güter
werden Sie Schiffbruch erleiden; denn das hat nichts mit
Teilhabegerechtigkeit und nichts mit Bildungsgerechtigkeit zu tun.
({8})
Sie lassen die Schulden wachsen, senken den Anteil
der Bildungsausgaben und schwächen dadurch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Titel Ihres Koalitionsvertrages lautet allerdings: „Wachstum. Bildung.
Zusammenhalt.“ Damit haben Sie etwas anderes versprochen, als Sie jetzt tun. Die Bevölkerung und auch
wir haben eigentlich etwas anderes erwartet. Ich finde,
zu Recht. Hier haben Sie bis zum Ende der Haushaltsberatungen noch Hausaufgaben zu machen.
Danke schön.
({9})
Jetzt hat der Kollege Albert Rupprecht das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Hinz, Frau Sitte, Herr Rossmann, auch wenn
Sie es nicht glauben: Als christlich-liberale Regierung
haben wir trotz Schuldenbremse und trotz des Sparzwanges, der uns in den nächsten Jahren erwarten wird, klar
vereinbart, dass Bildung und Forschung der einzige Bereich ist, in dem wir in dieser Legislatur mehr Geld ausgeben werden.
({0})
Denn wir sind der festen Überzeugung, dass nicht Umverteilung, sondern Bildung, Forschung und Innovation die Quellen für unseren Wohlstand und für
soziale Sicherheit sind. Das ist unser Leitbild. Das ist
unsere klare Ansage zu Beginn eines neuen Jahrzehnts.
Das bedeutet 12 Milliarden Euro mehr für Forschung
und Bildung in dieser Legislatur. Diese Linie wurde am
letzten Sonntag von den drei Parteivorsitzenden nochmals bestätigt. Diese 12 Milliarden Euro werden auf vier
Jahre verteilt. Der eingesetzte Betrag, Frau Hinz, wird
von Jahr zu Jahr steigen, und zwar deswegen, weil natürlich eine gewisse Aufnahmefähigkeit bei den Institutionen vorhanden sein muss. Sie wissen, dass die Strukturen sowohl von Forschungseinrichtungen als auch im
Rahmen der Projektförderung als auch im Bildungsbereich Schritt für Schritt aufgebaut werden müssen. Wenn
der Betrag nach hinten hin steigt, dann sollte das doch in
unser aller Sinne sein; denn dann ist das Niveau, auf dem
wir uns nach vier Jahren befinden, wesentlich höher als
im Durchschnitt dieser vier Jahre. Deswegen bin ich der
Meinung, dass Sie diesen Vorschlag und diesen Weg unterstützen sollten.
({1})
Über Forschung reden Sie vonseiten des linken
Blocks überhaupt nicht.
({2})
Deswegen möchte ich über Forschung reden.
({3})
In der Forschung geben wir sowohl bei der institutionellen Förderung als auch bei der Projektförderung Gas.
Bei der institutionellen Förderung gibt es zusätzliche
Mittel für Forschungseinrichtungen, und zwar 3 Prozent
mehr für den Pakt für Forschung und Innovation. Damit forcieren wir den Weg von Ministerin Schavan, den
sie seit 2005 eingeschlagen hat.
Es gehört zur Fairness, zu sagen, dass wir bereits in
den vergangenen Jahren Erhebliches erreicht haben. Wir
haben erreicht, dass durch die Exzellenzinitiative über
4 000 hochqualifizierte neue Wissenschaftler hinzugewonnen wurden. Das stärkt den Forschungsstandort
Deutschland erheblich. So begrüßt DFG-Präsident Professor Kleiner, dass - ich zitiere durch die Fortsetzung der Exzellenzinitiative und
ihren substanziellen Mittelzuwachs die beeindruckende Aufbruchstimmung in der Wissenschaft und
an unseren Hochschulen weitergetragen
Albert Rupprecht ({4})
({5})
und ein äußerst vielversprechender Wettbewerb um
weitere zukunftsträchtige Ideen, Projekte und Einrichtungen in Gang gesetzt werden können.
Auch beim zweiten Standbein, bei der Projektförderung, haben wir unter Ministerin Schavan einiges erreicht und geben in den nächsten vier Jahren zusätzlich
Gas. Wir brauchen uns als Deutsche nicht zu verstecken.
Wir sind in vielen Bereichen Weltspitze: Wir haben eine
fantastische Infrastruktur im Bereich der Klimaforschung. Bei der Klimafolgenbewältigung sind deutsche
Forscher weltweit führend. Auch wenn es darum geht,
den weltweiten Artenschwund bei Pflanzen und Tieren
zu stoppen oder die weltweite Versorgung mit Wasser
und Ernährung zu sichern, sind deutsche Forscher vorne
dabei. Wir sind spitze im Bereich der erneuerbaren Energien, bei den Umweltforschungen und in der Gesundheitsforschung. Das ist ein Verdienst der Ministerin
Schavan und des Parlaments in den vergangenen Jahren.
Trotzdem legen wir auch bei der Projektförderung in
den nächsten Jahren kräftig zu. Die Menschen in
Deutschland werden älter, und damit wird das Alter ein
Schwerpunkt der medizinischen Forschung, zum Beispiel die Demenzforschung. Der Titel „Gesundheit und
Medizin“ wächst um 18 Prozent. Der Titel „Biomedizinische Forschung“ wächst um 10 Prozent. Wir bauen zudem ein Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen
in Bonn, ein Diabeteszentrum in München und ein Zentrum für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf.
Im Bereich Klima, Energie und Umwelt wollen wir
unseren weltweiten Spitzenplatz ausbauen
({6})
und geben bei der Klimaforschung 14 Prozent und bei
den Umwelttechnologien 12 Prozent mehr aus. Als
Schwerpunkte sind zum Beispiel Fotovoltaik der zweiten Generation und Elektromobilität zu nennen.
Auch bei den Schlüsseltechnologien werden wir unsere erfolgreiche Förderstrategie fortsetzen und die Mittel um 14 Prozent steigern. So bauen wir unsere internationale Spitzenposition bei den optischen Technologien
ebenfalls weiter aus. Wir steigern die Mittel bei neuen
Werkstoffen und im Bereich der Nanotechnologie um
20 Prozent.
Dieser Haushalt steht für Forschung und Innovation.
Dies geschieht aus der festen bürgerlichen Überzeugung
heraus, dass wir nur durch eine Konzentration der Mittel
auf Bildung, Forschung
({7})
und Innovation Wohlstand dauerhaft sichern können.
({8})
Aber Geld alleine reicht in der Tat nicht aus. Es bedarf auch einer positiven Grundstimmung in der Gesellschaft, keiner naiven Technologiegläubigkeit, sondern
einer konstruktiven, neugierigen Grundstimmung dem
technischen Fortschritt gegenüber. Auch dafür steht die
christlich-liberale Regierung, weil wir der festen Überzeugung sind, dass wir die großen Zukunftsfragen im
Bereich Klima, Wasser und Ressourcen nur dann bewältigen, wenn wir weltweit einen enormen technologischen Fortschritt erreichen. In diesem Sinne übernehmen
wir als christlich-liberale Regierung Verantwortung für
Deutschland. Wir übernehmen aber auch Verantwortung
für weltweite Schicksalsfragen.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat nun Kollege Klaus Hagemann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Zukunftsfähigkeit unseres Landes hängt
entscheidend von Bildung und Ausbildung, Forschung
und Wissenschaft ab. Ich glaube, auf diesen Satz können
wir uns alle einigen. So weit sind wir auch noch einer
Meinung; denn das sind die wichtigsten Aufgaben der
Zukunftssicherung.
Deswegen haben, glaube ich, fast alle Parteien in ihren Wahlprogrammen das Ziel formuliert, bis 2015
10 Prozent - 3 Prozent für Forschung und 7 Prozent für
Bildung - des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und
Entwicklung zu investieren. Aber dafür brauchen wir die
entsprechenden Steuereinnahmen, um dies finanzieren
zu können. Ich wende mich an die Damen und Herren
der FDP. Liebe Kollegin Flach, Ihr Generalsekretär hat
wortwörtlich gesagt: „Unser Staat ist ein teurer
Schwächling“. Ich frage mich, wie die Vorhaben finanziert werden sollen. Im Gegenteil: Wir brauchen den
starken Staat, den starken Sozialstaat, damit diese Aufgaben finanziert werden können.
({0})
Ich freue mich, dass in diesem Haushalt ein Aufwuchs festzustellen ist. Damit wird die Tradition fortgesetzt, die seit elf Jahren besteht, Frau Flach, meine sehr
verehrten Damen und Herren, dass jedes Jahr die Mittel
aufgestockt werden. Anders war das in den Jahren 1996
und 1997, als die letzte schwarz-gelbe Regierung die
Mittel nicht aufgestockt und auch nicht auf gleichem Niveau gehalten, sondern abgebaut hat. Diese Mittel mussten erst nach und nach wieder erhöht werden. Daran
muss noch einmal erinnert werden.
Lieber Kollege Rupprecht, wenn Sie einige Maßnahmen wie die Exzellenzinitiative, den Pakt für Forschung
und Innovation und die vielen Programme der HightechStrategie nennen, dann ist das doch die Darstellung dessen, was wir in der Großen Koalition in Diskussionen
durchgesetzt haben. Wir haben es positiv nach vorne gebracht, Frau Ministerin. Das muss herausgestellt und unKlaus Hagemann
terstrichen werden. Sie sind auf dem richtigen Weg. An
einigen Stellen könnte man aber noch etwas drauflegen.
Es muss gesagt werden, dass Sie bisher nur geplant
haben, diese Mittel auszugeben. Das steht nur auf dem
Papier und ist noch nicht ausverhandelt. Es ist nicht garantiert, dass diese Mittel auch fließen werden.
({1})
Ich nenne einige Hemmnisse, die heute früh schon herausgestellt wurden - da bin ich derselben Meinung wie
Frau Hinz -: Der Bund allein wird eine Neuverschuldung von 100 Milliarden Euro haben, 86 Milliarden
Euro plus 14 Milliarden Euro in den Schattenhaushalten.
Wir wissen gar nicht, wie die weitere finanzielle Entwicklung aussehen wird. Die gesamtstaatliche Neuverschuldung beträgt fast 145 Milliarden Euro, da wir die
Verschuldung von Ländern und Gemeinden noch hinzurechnen müssen.
Im Haushaltsrundschreiben für 2011 schreibt Minister
Schäuble - ich zitiere aus der Presse -, dass alle Ministerien einsparen müssen, auch das Ministerium für Bildung und Forschung. Davon gehe ich aus, Herr
Rupprecht. Auch wenn Sie das fest vereinbart haben,
noch steht im Bundesgesetzblatt nicht, wie das sein wird.
Außerdem hat das Ministerium eine globale Minderausgabe von 175 Millionen Euro zu bewältigen. Alle
Ministerien müssen einsparen. Warum wird uns nicht gesagt, wo Sie einsparen wollen, wo die Entwicklung in
diesem Bereich hingeht? Uns wurde noch keine mittelfristige Finanzplanung vorgelegt. Wo muss eingespart
werden? Das interessiert uns schon. Wir können uns
nicht auf die eiernden Antworten, die wir hier von Herrn
Schäuble bekommen haben, verlassen.
Immer wird uns der Tag der Verkündung der Steuerschätzung vorgehalten; wie eine Monstranz wird er vorneweg getragen, als sei der Tag, an dem die Steuerschätzung vorliegt, ein Heilstag. Nein, es geht um die Wahl in
Nordrhein-Westfalen, um das nebenbei noch einmal anzuführen.
({2})
Man kann fast von einem Regierungsmikado sprechen. Sie kennen das Spiel Mikado: Wer sich zuerst bewegt, fliegt raus. Nun, so schlimm wird es nicht sein,
Frau Schavan. Sie werden schon nicht rausfliegen; aber
wer sich bewegt, dem werden die Mittel gekürzt. Warum
sagen Sie uns nicht konkret, was Sie in den nächsten
Jahren vorhaben, wenn Sie einsparen müssen? Das
strukturelle Defizit wird in den nächsten Jahren
70 Milliarden Euro jährlich betragen. Wir haben zusätzlich die Schuldenbremse. Die Länder werden noch stärker herangezogen. Wo wollen Sie einsparen? Sie fahren
im Bildungsbereich genauso wie in anderen Bereichen
mit angezogener Handbremse.
Die Höhe der Mittel wurde im Rahmen des Bildungsgipfels, auf den Sie sich immer berufen, noch nicht endgültig ausgehandelt. Es ist noch nicht klar, welche der
Mittel, die jetzt qualifiziert gesperrt sind, bereitgestellt
werden. Sie haben sich mit den Ländern noch nicht geeinigt. Frau Ministerin, ich will ja nicht sagen, dass Sie
qualifiziert gesperrt sind, aber Ihre Politik ist qualifiziert
gesperrt. Auch das sollten wir hier einmal deutlich herausstellen.
({3})
Wieder geht ein Jahr verloren. Der nächste Bildungsgipfel soll Mitte Juni stattfinden. Dann kommt die Sommerpause, dann kommen die Haushaltsberatungen 2011.
Bis das umgesetzt ist und die Projekte anlaufen können,
ist wieder ein Jahr verloren.
({4})
Wir wissen, was den Universitäten versprochen
wurde: Der Bologna-Prozess sollte geändert werden
usw.
Außerdem liegt uns eine Forderung der Länder vor
- das ist noch gar nicht angesprochen worden -, mehr
Anteile an der Mehrwertsteuer zu bekommen. Wie werden Sie damit umgehen? Ich will diese Frage gar nicht
beantworten. Sie müssen sie zunächst einmal in der Bundesregierung beantworten. Wie wollen Sie der Forderung der Länder begegnen? Da sind nicht nur A-Länder,
also SPD-geführte Länder, sondern auch B-Länder, also
CDU- bzw. CSU-geführte Länder, dabei. Diese Länder
sagen: Wir wollen Mehrwertsteuerpunkte, um unsere
Komplementärmittel aufbringen zu können. Dazu liegt
keine Antwort vor. Ich glaube nicht, dass es zu einem
Ergebnis des Gipfels kommt, wenn diese Frage nicht geklärt ist. Es ist notwendig, zu handeln.
Ein weiterer Punkt, der Sorge bereitet, sind die Komplementärmittel, die ich gerade angesprochen habe. In
einigen Bundesländern gibt es ein Desaster mit den Landesbanken: Bayern, Baden-Württemberg, SchleswigHolstein und Hamburg sind zu nennen.
({5})
Diese Länder müssen viele Milliarden an Steuergeldern
für die Sanierung ihrer Landesbanken aufbringen. Diese
Mittel fehlen in den Bereichen Bildung und Forschung.
Darüber können Sie nicht hinweggehen.
Zudem muss viel Geld aufgewendet werden, um den
Atommüll zu beseitigen. Davon ist auch unser Einzelplan betroffen, Frau Ministerin. Das Thema Asse ist aber
inzwischen dem Umweltministerium übertragen worden.
({6})
Dafür sind viele Milliarden - ich erinnere an die WAK in
Karlsruhe - notwendig.
({7})
Ein weiterer Punkt - er wurde schon herausgestellt -:
Bildungspolitik ist Länder- und Kommunalsache. Sie
sind mit Ihrer Gesetzgebung, mit dem sogenannten
Wachstumsbeschleunigungsgesetz, dafür verantwortlich,
dass den Kommunen weniger Mittel zur Verfügung gestellt werden, Mittel, die sie für ihre Schulen, für die
Kindergärten und Kindertagesstätten brauchen. Diese
Mittel aber fehlen. Gerade auf den Neujahrsempfängen,
auf denen zurzeit alle Abgeordneten zu finden sind, wird
von den Bürgermeistern in den Kommunen, gerade auch
in meinem Wahlkreis - das wird in anderen Wahlkreisen
nicht anders sein -, auch von CDU-Bürgermeistern, kritisiert, dass ihnen der Bund weniger Mittel zukommen
lässt.
Es gab für die Kommunen einen Lichtblick: das
Ganztagsschulprogramm. Warum wird das nicht fortgeführt? Alle Kommunen sind für diese Mittel dankbar.
Sie waren damals dagegen, Frau Ministerin, als Sie noch
Landesministerin waren; Herr Koch war sowieso dagegen.
Es gab aus Sicht der Kommunen einen weiteren
Lichtblick: das Konjunkturprogramm II, mit dem Mittel
zur Verfügung gestellt wurden. Warum wird das nicht
weitergeführt, um Schulen, Kitas oder Sporteinrichtungen energetisch zu sanieren?
Ein anderer Lichtblick aus Sicht der Kommunen ist
das 4-Milliarden-Euro-Programm zum Ausbau der Kinderbetreuung. Frühkindliche Bildung ist besonders
wichtig. Dafür müssen Mittel zur Verfügung gestellt
werden. Da wird aber meiner Ansicht nach zu Recht beklagt: Das Geld reicht nicht aus, damit wir den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz umsetzen können.
Da besteht Handlungsbedarf. Das gilt auch für die Ausbildung von ausreichend Erzieherinnen und Erziehern.
({8})
Hier sind also viele Gebiete anzusprechen. Es geht
natürlich auch darum, wie Ihre Programme umgesetzt
werden, Frau Ministerin. An dieser Stelle hapert es bei
einer Reihe von Programmen. Ich denke etwa an das
Freiwillige Technische Jahr, jetzt Technikum. Bisher
ist ein einziger Platz geschaffen worden.
Ich kann noch andere Bereiche erwähnen. Ich denke
beispielsweise an den Weiterbildungsbereich. Im vergangenen Jahr sind 178 000 Euro für Prämien, aber
3,8 Millionen Euro für Werbung und Verwaltung ausgegeben worden. An diesen Punkten zeigt sich, dass meine
Frage berechtigt ist: Inwieweit schaffen Sie es, die Mittel, die auf dem Papier stehen, sinnvoll einzusetzen?
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident. - Ich erinnere
an einen anderen Punkt. Viele junge Leute fragen: Was
passiert, wenn es nicht genügend Ausbildungsplätze
gibt? Die Bundesagentur für Arbeit weist auf dieses Problem hin. Was sind Ihre Initiativen, damit die jungen
Leute nicht auf der Straße stehen und keine Perspektive
haben?
Wenn Sie diese Fragen beantworten, ist das ein Beitrag zur Zukunftssicherung. In diesem Sinne hoffe ich,
dass die Haushaltsberatungen interessant werden und
wir vielleicht das eine oder andere bewegen können.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Kollege Patrick Meinhardt von der
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren von der versammelten Linken hier in diesem Hohen Haus! Es ist
wirklich unglaublich, was Sie hier alles an den Haaren
herbeiziehen.
({0})
Sie können noch so sehr Ihr ideologisches Trommelfeuer entfachen, und gerade die Sozialdemokraten können vorgaukeln, sie hätten die letzten elf Jahre in diesem
Land nicht regiert. Nein! Die Kernbotschaft dieser Bundesregierung der Mitte ist klar, kurz und prägnant: In
vier Jahren wollen wir Deutschland in der Bildung gerechter, in der Forschung dynamischer und in der Technologie stärker machen. Das ist die zentrale Botschaft
dieser Bundesregierung der Mitte.
({1})
750 Millionen Euro nehmen wir für Bildung, Forschung und Technologie mehr in die Hand, davon allein
702 Millionen im Haushalt des Bildungs- und Forschungsministeriums. Das ist eine Steigerung um
7 Prozent in einem Haushalt von 11 Milliarden Euro.
Das ist in Zeiten der Krise die richtige Antwort. Das ist
in Zeiten der Krise ein Handlungspaket, das auf die
Menschen, auf ihre Fähigkeiten und auf ihre Talente
setzt. Das ist in Zeiten der Krise ein mutiges Investitionsprogramm.
({2})
Mit der Fortsetzung des Hochschulpaktes, der Exzellenzinitiative und des Pakts für Forschung und Innovation sowie der Stärkung der Hightech-Strategie bringen
wir unseren Wissenschaftsstandort Deutschland
voran. Die Stärkung der Spitzenforschung in den neuen
Bundesländern mit zusätzlichen 15 Millionen Euro in
diesem Haushalt ist ein Zeichen dafür. Die Projektmittel
in den Zukunftsbereichen Lebenswissenschaften, Klima,
Umwelt und neue Technologien werden um 13 Prozent
erhöht. Zentral wichtig ist der Bereich der neuen Technologien; hier steigen die Mittel um 14 Prozent. Wir
wollen in der ersten Liga der Forschungs- und Spitzentechnologie spielen. Dafür steht diese Bundesregierung.
({3})
Um das zu erreichen, brauchen wir viele Diskussionen in der ganzen Breite der Gesellschaft, der Wissenschaft und der Wirtschaft. Das gilt auch für die steuerliche Forschungs- und Entwicklungsförderung. Hier
werden wir nicht irgendwo am grünen Tisch, sondern im
Dialog den bestmöglichen Weg ausloten, um eine optimale Förderung insbesondere der kleinen und mittleren
Unternehmen zu erreichen. Denn diesen Wettbewerbsnachteil bei der FuE-Förderung müssen wir beseitigen,
wenn wir als Technologieland durchstarten wollen.
Wir sind ein Land, in dem viel zu viele verborgene
Talente schlummern.
({4})
Das muss Konsequenzen für eine moderne Bildungspolitik haben. Diese Bundesregierung wird alle Anstrengungen unternehmen, um die Förderung von Begabung und
Hochbegabung voranzutreiben. Ab und zu hat man den
Verdacht, dass man die Begriffe „Elite“ und „Leistung“
in unserem Land nicht mehr benutzen darf. Wir brauchen Leistungs- und Begabungseliten. Wir müssen
junge Menschen unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern und allein orientiert an ihren Talenten fördern. Das
ist eine gerechte Bildungspolitik.
({5})
Für uns ist dies Handlungsauftrag. Deswegen werden
wir die Begabtenförderung in der beruflichen Bildung
um sage und schreibe 55 Prozent erhöhen. Deswegen
werden wir den Begabtenförderungswerken in diesem
Haushalt eine Erhöhung um 33 Prozent zukommen lassen, damit das Büchergeld von 80 Euro auf 300 Euro erhöht werden kann. Deswegen werden wir am 1. Oktober
dieses Jahres in ein nationales Stipendienprogramm einsteigen. Wir werden die Zahl der Stipendiaten verfünffachen. Für uns ist es unsozial, wenn junge Menschen
nicht die Förderung erhalten, die sie brauchen.
({6})
Nur mit dem Dreiklang aus einem intelligenten Bildungssparen, einem nationalen Stipendienprogramm und
einer BAföG-Modernisierung erreichen wir unser Ziel.
Deswegen ist es richtig, dass bei der Masterförderung
die Altersgrenze von 30 Jahren fällt, dass die Kinderbetreuungszeiten stärker berücksichtigt werden, dass ein
starkes Meister-BAföG existiert und ausgebaut wird,
dass die Förderkonditionen für Schüler verbessert werden, dass eingetragene Lebenspartnerschaften förderungsrechtlich gleichgestellt werden und dass die Freibeträge und Bedarfssätze angehoben werden. Klar, auch
wir hätten uns 1 Prozent mehr bei den Freibeträgen und
Bedarfssätzen vorstellen können. Aber wissen Sie, was
bei der BAföG-Modernisierung das Wichtigste ist? Das
Wichtigste ist, dass Studierende nicht wie bei der letzten
von uns damals als Opposition mitgetragenen Erhöhung
sieben Jahre warten müssen, sondern dass wir uns selbst
in die Pflicht nehmen, die Sätze alle zwei Jahre anzupassen. Diese Regelmäßigkeit war überfällig und wird jetzt
unter dieser Regierung Realität.
({7})
Der Qualitätspakt Lehre, die kritische Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses, die massive Weiterbildungsoffensive mit der Einführung eines Zukunftskontos, das Fortbildungsprogramm für Erzieherinnen und
Erzieher, die Modernisierung der beruflichen Bildung,
die Förderung der Berufsorientierung an Schulen und
der Ausbildungsqualifizierung, um dem Bug von Altbewerbern entgegenzuwirken, die Stärkung der frühkindlichen Bildung, die Stärkung von E-Learning durch eine
Verdoppelung des Haushaltsansatzes für neue Medien in
der Bildung - all das hat für diese Regierung der Mitte
Priorität. Unsere Antwort auf diese Wirtschaftskrise
kann sich auch die Opposition merken: Bildung, Bildung, Bildung.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegin Ekin Deligöz, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Meinhardt, Sie haben über Gerechtigkeit gesprochen und Modelle zur Begabtenförderung und zur Spitzenförderung sowie Stipendienprogramme aufgezählt.
Wenn Sie es mit der Gerechtigkeit wirklich ernst meinen, müssen Sie aber auch die andere Seite der Medaille
erwähnen. Genau das habe ich in Ihrer Rede jedoch vermisst.
({0})
Was ist mit den 20 Prozent der Migrantenkinder, die
die Schule ohne Abschluss verlassen?
({1})
Was ist mit all den Kindern, die im Rahmen der Bildungspolitik auf der Strecke bleiben
({2})
und keine Chance auf Stipendienprogramme oder Begabtenförderung haben?
({3})
Was ist mit all den Kindern, die von Anfang an staatliche
Unterstützung brauchen, angefangen bei der Kinderbe1178
treuung über die Sprachförderung bis hin zu einer guten
Grund- und Ganztagsschule?
({4})
Diese Kinder kommen in Ihrem Konzept von Gerechtigkeit nicht vor. Das vermisse ich.
({5})
Frau Schavan, Sie haben eine Rede gehalten, die sehr
schön geklungen hat.
({6})
Sie haben die Dinge schöngeredet und manche Zahlen
schöngerechnet. Die Lage, die Sie beschrieben haben, ist
aber in Wirklichkeit nicht so schön. Und deshalb haben
Sie auch allerdings keine angemessenen Antworten. Sie
verschieben alles, was zu tun ist, in eine möglichst ferne
Zukunft. Sie waren in Ihrer gesamten Rede an keiner
einzigen Stelle verbindlich. Nirgendwo haben Sie ausreichend konkrete Ansätze vorgetragen.
({7})
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Sie haben zwei Bildungsgipfel durchgeführt. Eigentlich ist durch die beiden Bildungsgipfel aber nur eines erreicht worden: dass
der finanzielle Mehrbedarf für Bildung und Forschung
von rund 60 Milliarden Euro, die einmal veranschlagt
waren, auf 13 Milliarden Euro heruntergerechnet wurde.
Würde man noch zwei Bildungsgipfel durchführen,
würde man wahrscheinlich feststellen, dass wir überhaupt kein Geld mehr in die Hand nehmen müssen oder
dass womöglich sogar noch Sparpotenziale bestehen.
({8})
Das ist Ihre Art, Bildungspolitik zu machen. Das ist aber
nicht die Bildungspolitik, die wir in diesem Land brauchen.
({9})
Was wir brauchen, ist eine Gesamtaufstellung, ein
Gesamtkonzept. Es gibt genug Felder, in denen es konkrete Bedarfe gibt. Dabei geht es um klar bezifferbare
Sachinvestitionen, erforderliches Personal, Qualität,
Qualifizierung, Studien- und Ausbildungsförderung,
Transparenz in der Bildungspolitik und eine Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Hier brauchen wir eine dezidierte Gesamtaufstellung. Sie dagegen
haben uns vor den Weihnachtsferien gezeigt, dass Bildungspolitik für Sie Verhandlungsmasse ist. Sie haben
uns gezeigt, dass Sie um die BIP-Quoten lieber feilschen. Sie haben damit deutlich gemacht, dass Sie um
die Zukunftschancen der Kinder in diesem Land, auch
meiner Kinder, lieber feilschen, als eine ernsthafte Bildungspolitik zu betreiben. Frau Schavan, das ist weder
gerecht noch hat das etwas mit Verantwortung zu tun.
Sie bleiben uns Ihre Antworten schuldig.
({10})
Leider vermisse ich auch in fachlicher Hinsicht eine
gewisse Navigation; der Navigator scheint Ihnen tatsächlich abhandengekommen zu sein.
Ich nenne Ihnen einige Beispiele. Soziale Hürden
beim Zugang zur Uni werden nicht systematisch abgebaut, wenn man lediglich ein Stipendiensystem und Bildungs- oder Zukunftskonten einführt. Was wir in diesem
Land brauchen, ist eine vernünftige Weiterentwicklung
des BAföG. Indem Sie das BAföG um 2 Prozent erhöhen, können Sie wirklich niemanden davon überzeugen,
dass dies eine Reform oder gar eine Weiterentwicklung
ist. Halten Sie die Menschen doch nicht für dumm!
Ein anderes Beispiel sind die bundesweit verbindlichen, vergleichbaren Sprachtests für Kinder mit einer
verpflichtenden Förderung. Wie soll denn eine Förderung durchgeführt werden, wenn Sie den Kommunen bei
der frühkindlichen Förderung jegliche Luft zum Atmen
nehmen? Wie soll denn eine verbindliche Sprachförderung funktionieren, wenn Sie durch ein Instrument wie
das Betreuungsgeld das Signal aussenden, dass es geradezu bestraft wird, wenn Kinder gefördert werden?
({11})
Wie soll das funktionieren? Erklären Sie das einmal, und
stehen Sie dazu. Das Betreuungsgeld ist eine bildungspolitische Katastrophe. Das, was Sie sich wünschen,
funktioniert nicht, weil Sie die Kommunen im Stich lassen, und es funktioniert nicht, wenn Bildung nicht von
Anfang an, also bereits im Kindergarten und in der Kinderkrippe, als solche definiert wird.
Noch ein Beispiel. Der Hochschulpakt hat einen
Konstruktionsfehler. Er bringt pro Studienplatz viel zu
wenig und setzt keinerlei Anreize, zusätzliche Studienplätze zu schaffen oder gar die Qualität zu erhöhen, die
Studienbedingungen in diesem Land also zu verbessern.
Die Bologna-Reform bringt nun einmal nicht das, was
man sich von ihr erhofft hat; das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Das zeigen uns auch die Forderungen der
Studierenden, die auf die Straße gehen.
Wir brauchen mehr Studienplätze, wir brauchen aber
auch eine Debatte über die Qualität und verbindliche Lösungsansätze in diesem Bereich. Wir brauchen eine konzertierte Aktion, eine effiziente, finanzstarke Überarbeitung. Reine Absichtserklärungen reichen nicht.
({12})
Ein letztes Wort auch von mir zum Kooperationsverbot. Das Kooperationsverbot war ein Fehler. Sie haben
das inzwischen eingesehen, Frau Schavan, und es ehrt
Sie, dass Sie das eingestehen. Das reicht aber nicht. Eine
Dummheit wie das Kooperationsverbot darf keinen Platz
haben in der Politik, schon gar nicht in der BildungspoliEkin Deligöz
tik. Das Kooperationsverbot geht zulasten der Kinder.
Sie sind es den Eltern, den Kindern, den Schülern, den
Studierenden - allen, die davon betroffen sind - schuldig, dass Sie an dieser Stelle nacharbeiten. Da ist noch
eine Menge zu tun.
Einen Aufbruch habe ich aus Ihrer Rede leider nicht
heraushören können. Einen solchen Aufbruch brauchen
wir aber in diesem Land.
({13})
Das Wort hat nun Uwe Schummer für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren!
Bildung ist ein Schlüssel zur persönlichen Entfaltung, zur sozialen Gerechtigkeit und zum Wohlstand … Bildung ermöglicht Aufstieg und schafft
Zusammenhalt. Deshalb wollen wir die Bildungsrepublik Deutschland.
Das sind die Kernsätze der Präambel des Koalitionsvertrages. Damit skizzieren wir sehr eindeutig das zentrale
Projekt christlich-liberaler Politik
({0})
und die Erkenntnis: Menschen sind unser Potenzial.
Auch in der Wirtschaft sieht man es mittlerweile so,
dass Arbeitnehmer keine reinen Kostenfaktoren sind, die
man eliminiert, sondern Aktivposten im Unternehmen,
Innovationsfaktoren im Unternehmen. Wir wissen, dass
83 Prozent aller Patente, die in Deutschland entwickelt
werden, von in Unternehmen Beschäftigten kommen.
Darauf müssen wir setzen. Eine zentrale Voraussetzung
dafür ist, dass wir eine Bildungsrepublik sind.
({1})
Es wäre undenkbar, dass die arabischen Länder ihre Ölvorräte im Wüstensand versickern lassen. Es wäre undenkbar, dass die Südafrikaner ihre Goldschätze nicht
nutzen. Für uns muss es undenkbar sein, dass wir unser
Potenzial - den Menschen - nicht entsprechend fördern,
aber auch fordern. Die Erkenntnis aus der Börsenkrise
ist doch: Wir müssen weniger an der Börse spekulieren
und stärker in Menschen investieren.
Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln beziffert
die Einkommensverluste und die Auftragsverluste der
deutschen Unternehmen, die durch Facharbeitermangel
und Ingenieurmangel entstehen, schon heute auf
18,5 Milliarden Euro jährlich. Wir müssen aufpassen,
dass dieses Wachstumshemmnis durch die demografische Entwicklung nicht noch größer wird. 2008 verließen 909 000 junge Menschen die Schulen, 2020 werden
es weniger als 800 000 sein.
Wir haben darauf reagiert: Bildung ist ein Markenkern unserer Politik; die Regierung Merkel setzt seit Jahren einen Schwerpunkt bei Bildung und Forschung. Die
Wahrheit ist immer sehr konkret. 2005, im letzten Jahr
von „Basta!“-Schröder, waren im Haushalt für Bildung
und Forschung 7,6 Milliarden Euro vorgesehen. Im
Haushalt 2010 sind es fast 11 Milliarden Euro, ein Anstieg von 30 Prozent, den wir in den letzten Jahren gemeinsam mit Frau Merkel und Frau Schavan durchgezogen haben. 12 Milliarden Euro haben wir zugesagt, die
bis 2012 ergänzend hinzukommen sollen. Keine Bundesregierung seit 1949 hat für Bildung und Forschung
mehr ausgegeben als das, was die christlich-liberale Koalition jetzt bereitstellt.
({2})
Wenn kritisiert wird, dass der Aufwuchs in anderen
Ministerien stärker sei als im Ministerium für Bildung
und Forschung, muss man auch sehen, wo der Aufwuchs
stärker ist, nämlich im Ministerium für Gesundheit und
im Ministerium für Arbeit und Soziales. Herr
Hagemann, Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen: „Wir brauchen einen starken Sozialstaat“, auf der
anderen Seite aber gegenüberstellen, was für Bildung,
was für Gesundheit und was für Arbeitsmarktpolitik ausgegeben wird. Der Bildungshaushalt ist bei den nichtgesetzlichen Maßnahmen der am stärksten wachsende
Haushalt. Das ist zentral, und das ist ein Erfolg von
Annette Schavan.
({3})
Man muss nicht nur nach vorne schauen: 2003 - auch
da ist die Wahrheit sehr konkret - saßen Sie von den
Grünen in der ersten Reihe, als mit den Hartz-Gesetzen
die gesamte Berufsberatung, die Berufsorientierung, die
Weiterbildung in Grund und Boden geschossen wurde.
In der Weltwirtschaftskrise, die wir derzeit haben,
müssen wir uns fragen: Woher kommen wir, und was
mussten wir aufbauen, was Rot-Grün in Weiterbildung
und Berufsorientierung an verbrannter Erde hinterlassen
hatte? Wer Zukunft sichern will, muss früh fordern und
bei der Berufsorientierung früh fördern. Daher ist es
wichtig, dass im aktuellen Haushalt die Ausgaben für die
Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung
auf 190 Millionen Euro fast verdoppelt werden.
({4})
Ich mache es an einem Programm ganz konkret fest,
das wir gemeinsam mit dem Handwerk und vielen Verbänden noch in der Großen Koalition entwickelt haben:
Nicht zwei Monate, sondern zwei Jahre vor der Schulentlassung soll eine frühzeitige Berufsorientierung in
überbetrieblichen Ausbildungswerkstätten stattfinden,
bei Kolping oder wo auch immer. Zwar kann man nicht
alle 342 Berufsbilder in der Schule vortragen, aber zumindest die wichtigsten Berufsfelder in 14 Tagen
Berufsorientierung mit pädagogischer Begleitung und
einem Profiling am Ende kennenlernen. Dann schaut
man eben - in den Bereichen Holz, Metall, Hauswirtschaft, Gartenbau, Verwaltung -, was die Talente, Eigenschaften und Fähigkeiten sind und wie die zwei Jahre in
der Schule genutzt werden können, um den Übergang
von der allgemeinen Bildung in die berufliche Qualifizierung zielgenauer zu gestalten.
Knapp 76 000 Schülerinnen und Schüler haben dieses
Programm im letzten Jahr durchlaufen. Die Mittel für
dieses Programm werden im neuen Haushalt verfünffacht, hinzu kommen die Ausgaben im Bereich Arbeit
und Soziales. So werden wir erstmals in der Lage sein,
diese frühzeitige Berufsorientierung flächendeckend allen Schülerinnen und Schüler anzubieten. Nach Aussage
des Berufsbildungsinstituts ist die Abbrecherquote auch
durch diese Maßnahmen von 25 Prozent auf 19 Prozent
abgebaut worden. Das heißt, sie finden schneller eine
vernünftige berufliche Qualifizierung, wenn man frühzeitig solche Instrumente einsetzt.
({5})
Sie schimpfen immer über das Bildungssparen, das
wir doch gemeinsam mit der Merkel-Regierung in den
letzten Jahren durch die Öffnung des Vermögensbildungsgesetzes durchgesetzt haben: für die Erwerbstätigen, die aufgrund der Hebelwirkung ihrer eigenen
Beiträge die Arbeitgeberbeiträge, die Zinsen und die
steuerfinanzierten Prämien nutzen können.
({6})
- Wir schließen jetzt die Lücke, verehrter Herr
Rossmann, von der Geburt bis zur Erwerbstätigkeit, weil
bereits früher Bildungssparen möglich sein sollte.
({7})
Wenn diese 150 Euro als Startkapital bereitgestellt
werden, dann für alle. Aber dann lasst uns doch einmal
kreativ überlegen, statt nur zu schimpfen. Wie kann man
denn ein solches Bildungskonto weiter nutzen, beispielsweise diskriminierungsfrei für Bildungsschecks, die man
über das Bildungskonto transferieren könnte? Man kann
dem Geld ja nicht ansehen, ob es öffentlich geförderte
Mittel oder privat angesparte Gelder sind. Oder warum
soll das Schulstarterpaket, das wir gemeinsam bis zum
Abitur durchgesetzt haben, nicht über das Bildungskonto
laufen können? Dies könnte auch für das Betreuungsgeld
gelten.
Herr Rossmann, Sie haben im Grunde eine starke
Schulsozialarbeit - da bin ich an Ihrer Seite - starken Eltern, die starke Kinder erziehen, als Alternative gegenübergestellt. Bei Letzterem sind wir nicht auf Ihrer Seite.
({8})
Wir wollen das nicht gegen die Eltern ausspielen, sondern wir wollen die Wahlfreiheit der Eltern, damit sie
entscheiden können, wie sie die Mittel einsetzen und
nutzen.
({9})
- Liebe Frau Hinz, Sie sind charmant, wenn Sie nicht im
Plenarsaal sind; aber hier im Plenum ist es unerträglich.
({10})
Die Oppositionsfraktionen haben in dieser Debatte
drei Schlüsselbegriffe gebracht: kostenfrei, billig und
umsonst. Die Bildungspolitik, die wir anstreben, muss
finanziell barrierefrei sein, Qualität schaffen und lebenslanges Lernen ermöglichen. Dafür stehen wir.
({11})
Das Wort hat nun Kollegen René Röspel für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das ist meine erste Haushaltsrede als Oppositionspolitiker,
({0})
was mich gleichwohl nicht daran hindert, das Erfreuliche im Etat zu erkennen und auch zu benennen. Frau
Schavan, ausdrücklich freue ich mich, dass es Ihnen gelingt, eine fünfte oder auch sechste Stufe einer Rakete
zu zünden, die die Forschung in Deutschland voranbringen soll. Aber es sei mir auch erlaubt, darauf hinzuweisen, wer diese Rakete denn gestartet hat - wir haben gerade ein paar Zahlen von dem Kollegen gehört -: Als
Rot-Grün 1998 die Regierung übernahm, gab es keine
Startrampe und auch keine Rakete in Sachen Forschung.
Seinerzeit hatten der damalige Forschungsminister
Rüttgers und Herr Kohl die Ausgaben für Bildung und
Forschung gesenkt.
({1})
Wir haben das erst wieder mühsam aufbauen müssen.
Die Startphase einer Rakete ist immer die schwierigste.
Wir haben auch Widerstände überwinden müssen. Wer
das nicht glauben mag, kann es in den Protokollen des
Bundestags nachlesen, beispielsweise als wir das Ganztagsschulprogramm diskutiert haben, das in allen Kommunen gut ankommt und über das viele froh sind. Wenn
man einige Reden heute hört, könnte man glauben, dass
es die jetzige Koalition erfunden hätte. Das ist aber nicht
der Fall. Aber geschenkt; es sei Ihnen unbenommen,
dass Sie sich mit fremden Federn schmücken.
({2})
Ich will nach ehrlichem Lob allerdings auch ehrliche
Kritik im Forschungsbereich vorbringen und stakkatoartig einige Beispiele nennen. Erstes Beispiel: In der
Sicherheitsforschung erhöhen Sie gegenüber dem Etat
aus dem Jahr 2008 mit 18 Millionen Euro die Ausgaben
auf nunmehr 55 Millionen Euro. Wir haben als Sozialdemokraten die Sicherheitsforschung stets sehr kritisch gesehen, weil wir fürchten, dass eine militärische Nutzung
möglich ist, und weil sie zu technikzentriert erscheint.
Wir brauchen in diesem Bereich aber einen ganzheitlichen Blick.
Ich nenne ein Beispiel. Wir diskutieren zurzeit sehr
viel über Nacktscanner. Gleichzeitig wird das deutsche
Sicherheitspersonal an Flughäfen demotivierend miserabel bezahlt. Die Israelis setzen auch auf Technologie,
aber sie setzen den Schwerpunkt auf den Menschen. Sie
haben gut ausgebildetes und gut bezahltes Sicherheitspersonal.
({3})
In der Gesamtbetrachtung kann es also nicht nur um
Technologie gehen, sondern wir brauchen einen ganzheitlichen Blick. Im Sicherheitsbereich geht es aber vor
allen Dingen um die Vermeidung von Konflikten und
Krisen. Leider finden wir in diesem Etat nichts zu dem
Bereich Friedens- und Konfliktforschung. Er kommt
schlicht und einfach nicht vor. Das werden wir nicht zulassen. Wir fordern ausdrücklich Verbesserungen im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung.
({4})
Lassen Sie mich ein zweites Beispiel nennen. Der
Etat für innovative Dienstleistungen und Arbeitsforschung stagniert leider, wie ein Vergleich dieses Haushaltes mit dem des Vorjahres zeigt. Wir wissen aber aus
Gutachten, dass der Bereich wissensintensive Dienstleistungen einer der Wachstumsmotoren der Zukunft ist,
was Arbeitsplätze und Technologien anbelangt. Wie wir
in Zukunft arbeiten und erwerbstätig sein werden, ist
eine zentrale Frage. Dafür brauchen wir Forschung und
Expertise. Deswegen halten wir es für notwendig, dass
dieser Bereich stärker gefördert wird.
Als drittes Beispiel nenne ich die Energietechnologien. Auch hier gibt es keine Veränderungen gegenüber
dem Vorjahr. Das ist sträflich, weil auch das ein Wachstumsbereich ist. Hinzu kommt, dass die Hälfte der
58 Millionen, die in den Haushalt eingestellt sind, in
Kernfusion und Atomenergieforschung fließen. Das ist
falsch. Wir müssten eigentlich aus der Erfahrung lernen.
Gleichzeitig redet diese schwarz-gelbe Koalition davon, die Bedingungen für die Einspeisung von regenerativem Strom dramatisch zu verschlechtern. Damit werden die Menschen davon abgehalten, sich entsprechende
Anlagen aufs Dach zu stellen.
({5})
Gleichzeitig wird über die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken gesprochen. Im Bergwerk
Asse gibt es 125 000 Fässer mit schwach- oder mittelradioaktivem - man weiß es nicht genau - Müll. Jedes Jahr
einer Verlängerung der Laufzeiten bedeutet Tausende
von Fässern zusätzlich. Wir haben 172 Millionen Euro
für den Rückbau kerntechnischer Anlagen in diesen
Haushalt einstellen müssen, und dabei handelt es sich
nur um Forschungsreaktoren.
({6})
- Stellen Sie eine Zwischenfrage, statt einfach herumzuschreien.
Für Asse - seit 2008 fällt Asse glücklicherweise nicht
mehr unter diesen Etat - waren Kosten in Höhe von
350 Millionen Euro im Etat enthalten. Umweltminister
Röttgen wird sich darum kümmern müssen, wie er bei
den auf 2 Milliarden Euro geschätzten Kosten die Atomfässer wieder aus der Asse herausbekommt. Das ist unverantwortlich.
({7})
Herr Kollege, Sie haben eine Zwischenfrage gewünscht. Jetzt gibt es sie.
Herr Kollege, ich finde es unglaublich, wenn Sie hier
über Dinge sprechen, von denen Sie offensichtlich keine
Ahnung haben. Wissen Sie, was in Asse eingelagert ist,
wer das dort eingerichtet hat und die Verantwortung dafür trägt, und wer seinerzeit Ministerpräsident und Umweltminister war? Jetzt stellen Sie es so hin, als würde
Frau Schavan die Verantwortung dafür tragen.
Diese Bundesregierung muss jetzt sehen, dass sie den
Mist dort herausschafft. Sie sollten sich auf der Zeitachse vor Augen führen, wer wirklich in Niedersachsen
die politische Verantwortung hatte. Wie viele Millionen
oder gar Milliarden sind für irgendein Theater ausgegeben worden, das Sie veranstaltet haben, um die nukleare
Entsorgung in Deutschland zu behindern? Wenn Sie das
alles als gefährlich bezeichnen, dann müssen Sie sich
fragen, warum Sie den Schaden nicht rechtzeitig abgewendet haben. Was haben Sie konkret gemacht, als Sie
die Regierungsverantwortung hier und in Niedersachsen
getragen haben?
({0})
Sie können gerne im Protokoll nachlesen, was ich gesagt habe. Das ist etwas völlig anderes als das, was Sie
versuchen mir zu unterstellen. Ich habe gesagt, dass bis
zum Jahr 2008 die Mittel für den Bereich Asse II über
die Helmholtz-Gesellschaft im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung etatisiert waren. Ich habe keine Schuldzuweisung vorgenommen,
sondern gesagt, dass wir froh sein können, dass wir die
Ausgabenpolitik - bisher 350 Millionen Euro - nicht
fortsetzen müssen. In den letzten Jahrzehnten haben sicherlich mehrere Personen und nicht nur eine Person
Verantwortung getragen; hier gebe ich Ihnen recht. Ich
habe aber auch nichts anderes behauptet. Das ist kein
Vorwurf an Frau Schavan. Wenn ich mir allerdings die
schwarz-gelbe Politik anschaue, dann stelle ich fest, dass
Sie es sind, die weiteren Atommüll produzieren wollen,
obwohl Sie noch keine Antwort darauf haben, wo dieser
Müll gelagert werden soll.
({0})
Diese Regierung wird in den nächsten Jahren vor dem
Problem stehen, mindestens 2,5 Milliarden Euro dafür
auszugeben, dass alle Bundesregierungen und Landesregierungen zuvor falsch gehandelt haben und Atommüll
unterirdisch gelagert haben. Wo der Atommüll gelagert
werden soll, wird die Kernfrage sein. Darüber werden
wir in den nächsten Jahren noch diskutieren.
Bitte, Herr Schirmbeck, wenn Sie weiter fragen
möchten.
({1})
- Ich erwarte Gegenbeispiele, die meine Position widerlegen.
Ich erlaube noch eine Nachfrage. Aber dann sollte mit
dem Dialog Schluss sein.
Bitte, Herr Schirmbeck.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zuzugestehen, dass in
Asse schwach Wärme entwickelnde Abfallstoffe aus
medizinischen Einrichtungen eingelagert sind, und sind
Sie bereit, Vorschläge zu machen, wo diese Abfälle gelagert werden sollen?
In Asse sind 125 000 Fässer mit schwach radioaktivem Müll gelagert. Ich kann mich an das Datum meiner
Frage, die ich dem Ministerium gestellt habe, nicht mehr
erinnern. Die Antwort lautet aber sinngemäß, dass es
sich überwiegend nicht um medizinisch-technischen
Müll, sondern um betrieblichen Müll handelt. Der Anteil
des medizinischen Mülls wie Krankenhausabfälle am
Atommüll liegt bei 2 oder 3 Prozent. Die genauen Zahlen liefere ich Ihnen gerne nach. Jedenfalls ist der Anteil
verschwindend gering. Mit dem, was Sie gerade vorgetragen haben, liegen Sie völlig falsch. Es tut mir leid.
({0})
In der letzten Minute meiner Redezeit möchte ich Sie
ausdrücklich loben. Ich finde es richtig und wichtig, dass
Sie den von der SPD auf den Weg gebrachten Pakt für
Forschung und Innovation weiterhin fördern und ausbauen. Die Forschungsorganisationen sind wichtig und
brauchen mehr Geld. Es geht allerdings nicht nur um finanzielle Verbesserungen. Vielmehr brauchen wir auch
junge Menschen, die begeistert Forschung betreiben.
Herr Meinhardt und Frau Schavan, Ihre Worte habe ich
sehr wohl vernommen, dass Sie jedem jungen Menschen
eine Chance geben wollen. Meine Erfahrungen, die ich
mit meinen beiden schulpflichtigen Kindern in Nordrhein-Westfalen mache, sind aber ganz anders. Als Bundestagsabgeordneter mit einem entsprechendem Gehalt
kann man vielleicht solche wohlfeilen Reden wie Sie
halten. Aber die Wirklichkeit sieht für einen normalen
Facharbeiter ganz anders aus. In Nordrhein-Westfalen
führt die Politik von Schwarz-Gelb dazu, dass Kinder
ausgegrenzt und regelrecht verschlissen werden und dass
ihnen Chancen genommen werden. Sie werden ausgegrenzt, weil die Grundschulbezirke aufgehoben werden.
Sie werden ausgegrenzt, weil Lehrer entscheiden müssen, ob 10-Jährige Mathematikprofessor oder Krankenschwester werden sollen.
({1})
- Das ist kein Wahlkampf. - Die Kinder werden durch
das Turboabitur verschlissen. Die meisten werden in ihrer Entwicklung behindert, weil ein normaler Facharbeiter die dort erhobenen Studiengebühren nicht oder nicht
so einfach aufbringen kann.
({2})
Es gibt sicherlich positive Ansätze im Forschungsetat.
Aber Bildung und Forschung müssen als Einheit gesehen werden. Bei der Bildung funktioniert Schwarz-Gelb
überhaupt nicht, sondern verschlimmert die Situation.
Deswegen hat das Land Schwarz-Gelb nicht verdient.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun Kollege Eckhardt Rehberg für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist natürlich schwierig, Realitäten anzuerkennen. Kollege Hagemann, mich verwundert, wie schnell
Sie sich in die Büsche schlagen. Wenn Sie sich den
Einzelplan 30 ganz genau anschauen - das ist bei den
anderen Einzelplänen ähnlich -, dann stellen Sie fest,
dass der Haushaltsentwurf vom Juni 2009 die Basis darstellt. Hinzu kommt das - ich glaube, das liegt Ihnen besonders schwer im Magen -, was CDU/CSU und FDP
im Koalitionsvertrag draufgelegt haben. Wir haben uns
gefragt, was in Deutschland die drängendsten Probleme
im Bereich von Bildung und Forschung sind und wie wir
diesen begegnen können. Diese Richtung passt Ihnen
nicht. Ich will Ihnen einen guten Rat geben: Man kann
viele Haare in einer Suppe finden. Aber die Gefahr ist,
dass die Suppe kalt wird, bevor man alle gefunden hat.
({0})
Ich möchte einen Satz zu den Steuern sagen. Herr
Rossmann, aber auch Frau Sitte, ich kann mich noch gut
an den Juni 2000 erinnern, als Sie, Rot-Grün, im Stil der
„Basta-Politik“, eine Steuerreform durchgedrückt haEckhardt Rehberg
ben, die zu einem Minus bei der Körperschaftsteuer, insbesondere aber bei der Gewerbesteuer geführt hat.
({1})
- Sie haben mit den Stimmen aus Schwerin im Bundesrat zu dem Minus von 24 Milliarden Euro im Jahr 2001
gegenüber 2000 beigetragen, weil Sie insbesondere großen deutschen Kapitalgesellschaften die Möglichkeit
gegeben haben, ihre Beteiligungen insbesondere im
Ausland steuerfrei zu veräußern. Das war Ihre Politik!
({2})
Alleine in Mecklenburg-Vorpommern haben sich bei
vielen Kommunen die Gewerbesteuereinnahmen halbiert und erst fünf Jahre später wieder erholt. Das gehört
auch zur Wahrheit bei der Steuerpolitik. Herr
Hagemann, sagen Sie, wenn Sie bei den Neujahrsempfängen sind, dass es im Jahr 2010 Steuerentlastungen in
Höhe von insgesamt 25 Milliarden Euro gibt, von denen
zwei Drittel auf Schwarz-Rot und ein Drittel auf die
christlich-liberale Koalition entfallen.
({3})
Ihnen passt unsere Richtung nicht. Es passt Ihnen,
Frau Hinz, nicht, dass Sie sich 2005 mit Rot-Grün aus
der Regierung verabschiedet haben.
({4})
- Sie sind abgewählt worden, und das war richtig so, damit Deutschland eine bessere Zukunft hat.
({5})
Wir haben jetzt einen Etat von knapp 11 Milliarden
Euro. Herr Kollege Hagemann, wie hätten Sie debattiert,
wenn wir - was haushälterisch unsinnig gewesen wäre die kompletten 3 Milliarden Euro von heute auf morgen
sofort obendrauf gepackt hätten. Sie haben in der ganzen
Debatte eines verschwiegen: Wir haben 750 Millionen
Euro an Barmitteln eingestellt, davon 35 Millionen Euro
in anderen Haushalten,
({6})
und die Verpflichtungsermächtigungen haben wir deutlich erhöht, über 2 Milliarden Euro. Die Verpflichtungsermächtigungen zeigen, dass unsere Politik keine Eintagsfliege ist, sondern über die nächsten Jahre mit einem
Aufwuchs im Barabfluss von bis zu 3 Milliarden Euro
per annum kontinuierlich fortgesetzt werden soll. So
werden wir im Jahre 2015 auch das 10-Prozent-Ziel erreichen.
({7})
Was sind die Herausforderungen? Herr Kollege
Hagemann, Sie haben über Ausbildungsplätze gesprochen. Es gibt allein 30 Millionen Euro für ein Programm, mit dem Ausbildungsplätze insbesondere in
strukturschwachen Regionen gefördert werden sollen.
Außerdem stocken wir die Mittel für die Berufsorientierung auf. Das ist völlig neu. 2008 gab es dafür keine
Mittel, im ersten Entwurf des Haushaltsgesetzes im
Jahre 2009 waren 7,5 Millionen Euro dafür veranschlagt, und heute sind es 50 Millionen Euro. Denn eines
der zentralen Probleme im Ausbildungsbereich ist die
Abbrecherquote von durchschnittlich 22 Prozent. Wir
können es uns nicht leisten, dass jeder fünfte Auszubildende seine Lehre abbricht. Deswegen ist die Berufsorientierung etwas ganz Wichtiges. Denn wenn jemand
nach ein oder zwei Jahren eine Ausbildung abbricht, ist
das eine Verschwendung von privaten und gesellschaftlichen Ressourcen. Genau diesen Herausforderungen
stellen wir uns.
Herr Kollege Rossmann, wir sind hier nicht in einem
Landtag, sondern im Deutschen Bundestag. Wenn Sie
die Schulpolitik kritisieren, sollten Sie an die Ergebnisse
der letzten PISA-Studie denken, die ich noch gut im
Kopf habe. Auf Platz eins, zwei, drei und vier sind
unionsgeführte Länder, und zwar seit Jahren. Den größten Sprung hat in den letzten Jahren Sachsen-Anhalt gemacht; von 2003 bis 2006 hat es sich um über 30 Punkte
verbessert.
({8})
- Ja, Sie in Sachsen-Anhalt.
({9})
- Ja, dort wurde ein großer Sprung bei PISA gemacht.
({10})
Frau Kollegin Sitte, das ist eigentlich gar nicht Sache des
Bundes. Aber wir nehmen Geld für die Sprachförderung
und die frühkindliche Bildung in die Hand. Aber - auch
das muss ich deutlich sagen - es kann nicht so sein, wie
es manchmal an der einen oder anderen Stelle der Fall
ist, dass nämlich der Bund Geld in die Hand nimmt und
manche Länder sich aus dem Staub machen.
Es liegt in unserer Verantwortung, dafür zu sorgen,
dass das Geld, das wir an die Länder durchreichen, auch
dort ankommt, wo es hingehört.
({11})
Herr Rossmann, Sie haben gesagt, es fehle Begeisterung für Bildung und wir weckten keine Begeisterung.
Ich bin der Auffassung, dass Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Das kommt mir bei Ihnen von
der ganz linken Seite immer viel zu kurz.
({12})
Dazu gehören Eltern und Großeltern, die sich ihren Kindern und der schulischen Erziehung ihrer Kinder verpflichtet fühlen. Dazu gehört die Begleitung durch Kinderkrippen, durch Kindergärten, durch Horte und durch
Schulen. Dazu gehören gute Rahmenbedingungen. Ich
sage Ihnen ganz klar: Vor Begeisterung kommt für mich
ein Wort in diesem Bereich, und das heißt „Verpflichtung“. Bildung und Erziehung junger Menschen in
Deutschland ist Verpflichtung für die ganze Gesellschaft.
Herzlichen Dank.
({13})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, Einzelplan 10.
Das Wort hat Bundesministerin Ilse Aigner.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft sind - das kann man, glaube ich, nicht oft genug
sagen - Kernfragen einer modernen Gesellschaft und unserer Zukunft. Ich kann nur immer wieder davor warnen,
diese Themen gegeneinander auszuspielen. Meine feste
Überzeugung ist, dass man diese Bereiche nur gemeinsam gestalten kann.
({0})
Allen, die das nicht glauben oder nicht sehen, kann ich
nur empfehlen, die Grüne Woche zu besuchen. Hier treffen sich Erzeuger und Verbraucherinnen und Verbraucher hunderttausendfach. Es gibt hier kein Gegeneinander, sondern ein kräftiges Miteinander.
In Deutschland haben wir im Vergleich zu anderen
Ländern eine komfortable Situation. Das sage ich insbesondere mit Blick auf Haiti. Ich möchte in diesem Rahmen zusichern, dass unser Haus gemeinsam mit der FAO
versuchen wird, nach Wegen zu suchen, wie wir die mittel- und langfristige Ernährungssicherung in diesem
Land unterstützen können. Das halte ich für eine zwingende Verpflichtung.
({1})
Auch wenn in Deutschland die Ernährungsfrage keine
Frage des Überlebens ist, so ist sie für mich doch eine
zentrale Frage. Sie sollte und muss einen sehr hohen gesellschaftlichen Stellenwert haben. Lebensmittel sind
nicht nur irgendeine Handelsware. Es geht um eine Versorgung mit gesunden Lebensmitteln. Dazu gehört eine
stabile Landwirtschaft, die existieren kann. Beides gehört zusammen.
({2})
Ich finde, wir dürfen diese Grundfragen nicht unterschätzen. Wir müssen diese in der Öffentlichkeit immer
wieder deutlich machen. Wenn ich „wir“ sage, dann
meine ich nicht irgendjemanden, sondern damit meine
ich ganz bewusst uns Abgeordnete, die wir in der Verantwortung stehen. Wir müssen für diese Themen im
Lande werben. Das ist eine Zukunftsfrage.
Eine weitere wichtige Herausforderung sehe ich in
der Verbindung zwischen Landwirtschaft, Klimaschutz
und Energieversorgung. Deshalb war und ist es mir ein
Anliegen, dieses Thema inhaltlich zu diskutieren. Ich
freue mich, dass im Rahmen der Internationalen Grünen
Woche beim zweiten Agrarministergipfel über
50 Nationen vertreten waren. Das ist eine Verdopplung
zum letzten Mal. Das zeigt, welchen Stellenwert diese
Thematik international erfahren hat. Ich kann nur sagen:
Es war eine große Bereicherung, auf der Grünen Woche
mit den Kolleginnen und Kollegen zu diesem Thema
lang und intensiv zu diskutieren.
({3})
Ressortminister freuen sich immer über einen größeren Etat; ich tue es natürlich auch. Dafür erst einmal ein
herzliches Dankeschön. Wichtig ist aber nicht nur die
Frage des Wieviel, sondern auch des Wofür. In manchen
Bereichen geht es nicht nur um Geld; da sind es vielmehr im wahrsten Sinne des Wortes dicke Bretter, die
man bohren muss. Das ist insbesondere im Bereich des
Verbraucherschutzes ein zentrales Thema. Das werde
ich in Zukunft behandeln, und das habe ich auch in der
Vergangenheit getan. Die christlich-liberale Devise dabei ist: nicht bevormunden, sondern informieren.
({4})
Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Nur wenn Verbraucher und Verbraucherinnen Vertrauen in die Märkte haben, dann können sie überhaupt kluge Entscheidungen
treffen, die Möglichkeiten des Wettbewerbs nutzen und
damit auch die Wachstumskräfte stärken. In diesem Zusammenhang freue ich mich besonders über die Stiftung
Warentest. Zu ihrem 45-jährigen Jubiläum hatte sie große
Erfolge zu vermelden: 85 000 Produkte, 1 600 Dienstleistungen wurden begutachtet, an objektiven Kriterien gemessen, und über sie wurde informiert. Ich glaube, dass
es in diesem Zusammenhang ein wichtiger Schritt in die
richtige Richtung war, dass wir diese Stiftung in Zukunft
mit mehr Mitteln ausstatten. Das ist übrigens ein Herzenswunsch von Volker Kauder. Ich bedanke mich ausdrücklich beim Haushaltsausschuss - zumindest bei denjenigen, die dafürgestimmt haben -, dass er diesen
Ansatz mitgetragen hat, sodass das Stiftungskapital im
letzten Jahr aufgestockt werden konnte.
({5})
Verbesserung der Bankberatung, Kundenrechte im
Personennahverkehr, die Frage des Schutzes der Daten
in der digitalen Welt, das sind nur einige wenige Themen, die zum Kernbereich eines modernen Verbraucherschutzes gehören. Es gibt gute Argumente dafür, dass
wir die umfangreiche Verbraucherinformation weiter
mitgestalten und für eine gute Zusammenarbeit mit der
Bundeszentrale für Verbraucherschutz sorgen.
Wie Sie wissen, ist seit meinem Amtsantritt die Frage
der Ernährung ein wichtiges Thema. Auch hier geht es
im Wesentlichen um die Information über einen verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln. Ein Kernpunkt ist unsere Aktion „IN FORM“, mit der wir informieren, nicht verbieten, sondern motivieren wollen. Wir
wollen die Menschen dafür begeistern, sich gesund zu
ernähren und sich mehr zu bewegen, und zwar immer an
den Stellen, wo sie sich befinden, egal ob im Kindergarten, in der Schule, im Seniorenheim oder am Arbeitsplatz, etwa in der Kantine. Das ist die entscheidende
Frage: Motivation, nicht Bevormundung.
({6})
Um sich gesund ernähren zu können, braucht man
auch fleißige Produzenten. Das sind unsere Bäuerinnen,
das sind unsere Bauern, die tagtäglich für unsere Versorgung stehen. Ich sehe, mit welchen großen Anstrengungen sie sich auch in der Krise behaupten. Ich sage ein
herzliches Dankeschön an unsere Bäuerinnen und Bauern.
({7})
Im letzten Jahr hatten wir, das wissen wir alle, in einem Bereich, im Milchbereich, ziemlich intensive Diskussionen, auch deshalb, weil er das erste Mal, und zwar
sehr abrupt, mit den Mechanismen des Marktes konfrontiert wurde. Ich freue mich deshalb ganz besonders, dass
wir es in den Koalitionsverhandlungen geschafft haben,
ein Sonderprogramm mit dem Schwerpunkt auf Milchviehwirtschaft zu entwickeln.
Wer in unserem Land behauptet, Politik arbeite langsam, den können wir belehren: In diesem Fall ist es sehr
zügig gegangen. Innerhalb von drei Wochen nach Beginn der neuen Koalition haben wir dieses Programm gestrickt. Darüber freue ich mich vor allem im Sinne der
Bäuerinnen und Bauern.
({8})
Ein solches Programm in dieser Größenordnung hat
es in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben. Um was geht es uns? Es geht uns darum, lebensfähige Betriebe weiterhin zu unterstützen, Existenzen und
Arbeitsplätze zu erhalten. Wir wollen ferner wertvolles
Grünland erhalten, und wir wollen die Betriebe und damit die Familien insbesondere im Bereich der landwirtschaftlichen Unfallversicherung unterstützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die agrarsoziale Sicherung ist einer der Kernpunkte unseres Haushaltes. Ungefähr zwei
Drittel der Mittel fließen in diesen Bereich. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Diese Stabilisierung landwirtschaftlicher Betriebe ist sowohl Kernpunkt der Sozialpolitik,
aber auch Kernpunkt der verlässlichen Politik, für die
wir stehen.
({9})
Ein wichtiges Element dieses Sonderprogramms ist
die Liquiditätshilfe, ein wirklicher Erfolgsschlager,
wenn man es so sagen darf. Wir hatten diese zum ersten
Mal im Jahr 2009 aufgelegt. Über 12 000 Betriebe nahmen dieses Programm in Anspruch. Daran kann man sehen, dass wir in der richtigen Art und Weise den Betrieben geholfen haben. Diese Hilfe werden wir auch in
Zukunft fortsetzen.
Die Leistungen und das Engagement der Menschen
auf dem Lande bilden das Fundament für die Zukunft
ländlicher Räume. Ländliche Räume werden nicht durch
irgendwelche Masterpläne entwickelt, sondern ihre Entwicklung hängt ganz wesentlich von dem Engagement
und von den Interessen der Menschen vor Ort ab.
({10})
Umso wichtiger war und ist es für uns, dass wir auch
im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ einen weiteren Aufwuchs verzeichnen konnten auf mittlerweile
725 Millionen Euro. Ich kann mich an ganz andere Zeiten erinnern, Zeiten, als wir noch in der Opposition waren: Da war das ganz anders. Es handelt sich um gut eingesetztes Geld, es fließt in den ländlichen Raum und
wird in der nächsten Zeit auch dafür bereitstehen, die
sogenannten neuen Herausforderungen zu bewältigen,
nämlich Anpassungen an den Klimawandel und Bewältigung des Quotenausstiegs, und wird auch in viele andere
Bereiche fließen, in denen es direkte Wirkung auf die
ländlichen Räume erzielt. Es handelt sich also um gut
eingesetztes Geld.
Lassen Sie uns noch ein Stück weiter in die Zukunft
schauen. Wir müssen uns hier insbesondere die Frage
stellen: Wo entwickeln sich neue Märkte? Vor diesem
Hintergrund halte ich es für wichtig, die weitere Entwicklung nach dem Wegfall der CMA vonseiten unseres
Hauses zu begleiten. Auch um den Bereich Agrarexport
wollen wir uns in der nächsten Zeit kümmern. Deshalb
haben wir hierzu einen neuen Haushaltstitel mit 3 Millionen Euro ausgestattet. Wir haben auch unseren Messetitel aufgestockt, damit wir in der gerade für diesen
Bereich schwierigen Übergangsphase helfen können. In
diesem Bereich werden wir auch mit der neu gegründeten GEFA zusammenarbeiten und sie vonseiten unseres
Hauses da unterstützen, wo wir es können.
({11})
Nicht zuletzt ist Forschung und Innovation ein zentrales Thema in unserem Ressort. Allein rund 400 Millionen Euro gehen an die Ressortforschungseinrichtungen
und in die Förderung von Innovationen in Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Das ist angesichts unseres Gesamtetats eine, wie ich denke, doch gewaltige Summe. Es handelt sich um den viertgrößten
Forschungsetat der Bundesregierung. Dazu fördern wir
noch mit 50 Millionen Euro nachwachsende Rohstoffe.
Das ist meiner Überzeugung nach auch ein Zukunftsthema für die Landwirtschaft.
({12})
Meine Damen und Herren, nicht zuletzt geht es mir
immer um eine Balance zwischen den unterschiedlichen
Interessen und Zielsetzungen. Das ist manchmal nicht
ganz einfach. Aber es lohnt sich, sich dafür im Bereich
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz massiv einzusetzen. Hier geht es letztendlich um unsere Lebensgrundlagen und um ein Stück Lebensqualität.
({13})
Das Wort hat nun Wilhelm Priesmeier für die SPDFraktion.
({0})
Bundesministerin Ilse Aigner:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Verehrte Frau Ministerin! Wohl wahr: Man kann
immer stolz darauf sein, wenn der eigene Ansatz wächst.
Sie haben eben zu Recht gesagt, es habe nur drei Wochen gedauert. So sieht das Programm natürlich auch
aus: wie mit der heißen Nadel gestrickt, ohne das, was in
der gegenwärtigen Situation insgesamt erforderlich
wäre. Angesichts der exorbitanten Verschuldung in diesem Haushalt mit 86 Milliarden Euro neuen Schulden ist
es nicht an der Zeit, schuldenfinanzierte Geschenke zu
machen. Mit Ihrem Haushaltsentwurf verschenken Sie
den finanzpolitischen Spielraum im Agrarhaushalt, den
wir in den nächsten Jahren noch sehr dringend brauchen
werden.
({0})
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird das Geld des Etats
mit der Gießkanne ausgeschüttet, aber nicht zielgerichtet
verteilt.
Das Grünlandprogramm ist einer der Kerne Ihrer
Politik. Dafür werden in diesem und im nächsten Jahr
750 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Vom Bauernverband wird das natürlich begrüßt - wer verteilt, erhält auch Zuspruch -, aber durchaus nicht von allen
Landwirten. Wer die DLG-Wintertagung verfolgt hat,
weiß, dass Dr. Hesse, ein renommierter Agrarwissenschaftler, dieses Programm als „ordnungspolitischen
Sündenfall“ bezeichnet.
({1})
- Stellen Sie eine Frage, Herr Kollege Bleser, oder lassen Sie mich in meiner Rede fortfahren!
({2})
Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der DLG, bezeichnete
das Programm als „Placebo“ für die Milchbetriebe. Ich
finde, beide haben recht - leider.
Frau Ministerin, Ihr Grünlandprogramm steht zunächst für kurzfristige Mitnahmeeffekte statt für sinnvolle Investitionen in die Zukunft des Milchsektors. Sie
begleiten den erforderlichen Strukturwandel nicht; nein,
Sie bremsen ihn regelrecht aus. Darüber hinaus haben
Sie zu der Entwicklung auf dem Milchmarkt durch Ihre
zögerlichen Aussagen in erheblicher Weise beigetragen,
sodass viele Milchbauern verunsichert worden sind. Wir
erinnern uns noch an erfolglose runde Tische und an Ihre
zögerlichen Aussagen zur Milchquote. Letztendlich war
Ihre Position nicht zu halten. Aber die Diskussion hat
dafür gesorgt, dass die Quotenkosten um 20 Prozent gestiegen sind. Damit haben Sie allen deutschen Milchbauern schweren Schaden zugefügt. Das sollten Sie erkennen. Gerade Sie und die CSU sind dafür verantwortlich,
während andere, beispielsweise an sich immer kooperativ denkende Kollegen aus der CDU, Ihre Ansicht nicht
in jedem Falle vertreten haben; das muss ich denen zugutehalten.
Sie verteilen jetzt weiße Salbe und Pflaster. Das wird
aber den betroffenen Betrieben nicht in entscheidender
Weise helfen. Das Programm ist im Wesentlichen an den
Interessen Bayerns ausgerichtet. Über ein Viertel der
Ausgaben, mehr als 210 Millionen Euro, im Rahmen
dieses Programms fließt nach Bayern. Der Rest der Republik wird nicht gerade im Stich gelassen, aber doch
extrem benachteiligt. Gerade die Betriebe in den neuen
Bundesländern, die in erheblichem Umfang Beschäftigung sichern, geraten ins Abseits. Minister Aeikens
sagte, dass er zunächst einmal nicht beabsichtige, wegen
der möglichen Verzögerung verschiedener Programme
den Vermittlungsausschuss anzurufen. Das wäre eine
Gelegenheit gewesen; denn auch die Verteilungswirkung
ist entscheidend.
Da muss man sagen: Alle Achtung, Frau Ministerin,
Sie haben für Bayern etwas herausgeholt! Aber vergessen Sie nicht die Stimmen der bayerischen Landwirte.
Bei drastisch eingebrochenen Ergebnissen lassen sie sich
mit Geschenken weiß Gott nicht dauerhaft kaufen. So
dumm sind sie nicht.
({3})
Ich frage mich allen Ernstes aber auch, wie die FDP
als Koalitionspartner, der auf Markt- und unternehmerische Freiheiten setzt, dieses Spielchen mitmachen kann.
Herr Geisen, ich zitiere einmal aus einem Schreiben, das
Sie von einem Fleischrinderhalter aus der Eifel bekommen haben: Wir gönnen den Milchviehhaltern dieses
Grünlandprogramm. Aber lassen Sie nicht zu, dass sich
eine Zweiklassengesellschaft bildet. Wir beanspruchen
die gleiche Prämie für alle Großvieheinheiten. Es darf
nicht sein, dass durch lauthalsiges Geschrei und Demonstrationen einer gewissen Milchlobby Politiker in
die Knie gezwungen werden.
Herr Geisen, was ist eigentlich mit den Ziegen- und
Schafhaltern? Die Einzelbetriebe bzw. einzelnen Halter
haben in diesem Jahr erhebliche Kosten durch die Einführung der elektronischen Einzeltierkennzeichnung.
Dafür bekommen sie nichts. Und was war mit den Sauenhaltern und den Schweinemästern in den letzten Jahren? Deren Zahl ist innerhalb von zehn Jahren um
73 000 auf nunmehr 68 000 Betriebe zurückgegangen.
Da hat ein dramatischer Strukturwandel stattgefunden.
Sie haben keine Unterstützung erhalten. Ich befürchte,
wer sich im Agrarsektor zu den Grundprinzipien der
Marktwirtschaft bekennt, hat in diesem und im nächsten
Jahr Pech gehabt. Darum fordere ich Sie von der FDP
auf: Bringen Sie diesen konfusen Haushaltsansatz endlich in Ordnung und sorgen Sie dafür, dass eine zielgerichtete Politik betrieben wird! Bekennen Sie sich zu Ihren Grundprinzipien!
Frau Ministerin, die politischen Vorschläge, die Sie
machen, sind nicht zukunftsweisend, sondern rückwärtsgewandt. Wir brauchen kurz- und mittelfristig eine
Milchpolitik, die der Wettbewerbssituation gerecht wird
und die vor allen Dingen die Wettbewerbsfähigkeit der
einzelnen Milcherzeuger stärkt. Nehmen Sie doch die
Vorschläge aus dem Vorbericht des Bundeskartellamtes
auf! Sorgen Sie dafür, dass die Landwirte gefördert werden - das ist nach EU-Recht mit 500 000 Euro pro
Erzeugergemeinschaft möglich -, wenn sie Erzeugergemeinschaften gründen! Erstellen Sie dafür einen konkreDr. Wilhelm Priesmeier
ten Ansatz und fördern Sie damit die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte! Sorgen Sie im Wettbewerbsrecht
dafür, dass die Molkereien als weiterverarbeitender Sektor auf Augenhöhe mit dem Lebensmitteleinzelhandel
verhandeln können! Wenn Sie das tun, dann braucht man
keine exorbitanten Ausgaben in Millionenhöhe, die
letztendlich in verschiedenen Bereichen unter Mitnahmeeffekten verpuffen.
({4})
Ich fordere von Ihnen ein Unterstützungsprogramm
und ein Strukturprogramm, die den Anforderungen gerecht werden. Die Gießkanne hat bekanntlich längst ausgedient, und sie ist auch nicht groß genug, um alle Ansprüche zu bedienen.
Frau Aigner, wir haben mit Spannung Ihre Rede auf
der Grünen Woche erwartet. Wir hätten uns einige prägnante Aussagen zur Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 gewünscht. Aber diesbezüglich war von Ihnen nicht viel zu vernehmen. Den an
sich begrüßenswerten Vorschlag der neuen Agrarministerin aus Schleswig-Holstein haben Sie mit der Bemerkung, es sei noch viel zu früh, darüber nachzudenken,
nicht weiter kommentiert. Sie haben gesagt, dass Sie bei
den Verhandlungen harte Auseinandersetzungen und
schwere Verteilungskämpfe erwarten. Das ist richtig. Sie
wollen eine starke erste Säule, die ausgewogen ausgerichtet ist. Auch das ist aus Ihrer Sicht richtig. Aber Sie
wissen wie auch wir ganz genau, dass das historische
Modell der Direktzahlung längst ausgedient hat. Das
werden Sie politisch nicht mehr legitimieren und nicht
mehr begründen können.
Die neuen Aufgaben und Herausforderungen sind
- Sie haben vorhin einige genannt - Klimaschutz, Biodiversität, Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und flächendeckende Landwirtschaft. Die Leistungen in Bezug auf
diese öffentlichen Güter müssen den Landwirten auch in
Zukunft vergolten werden und sollten nicht pauschal abgerechnet werden. Dazu hätte ich mir einige Aussagen
gewünscht.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Frau Ministerin, Sie eröffnen keine politischen Perspektiven. Sie halten bei passender Gelegenheit Schönwetterreden. Sie bieten tolle Broschüren und bunte Kalender aus dem BMELV an. Aber Sie haben keine
Antworten auf die drängenden Fragen des Agrarsektors.
Zu Ihrer Politik kann ich nur sagen: Mangelhaft!
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Kollege Heinz-Peter Haustein für
die FDP-Fraktion.
({0})
Werter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
und Herren!
Bauernstand ist Ehrenstand,
erhält die Stadt, erhält das Land.
Er ist der Pionier der Zeit
und bleibt es bis in Ewigkeit.
({0})
Unter dem Motto dieses im Volksmund üblichen
Spruchs möchte ich mich heute mit dem Einzelplan 10,
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, beschäftigen.
Die Zahlen sind ernüchternd. Der Etat für diesen
wichtigen Bereich umfasst 5,8 Milliarden Euro. Genau
genommen, handelt es sich um das Wichtigste überhaupt; denn wenn die Ernährung im Land nicht stimmt,
dann kann man alles andere vergessen.
({1})
5,8 Milliarden Euro entsprechen 1,9 Prozent des Gesamtetats in Höhe von 325,4 Milliarden Euro. Wenn
man sich anschaut, wie groß der Anteil des sozialen
Bereichs an diesem Einzelplan 10 ist, dann ergibt sich
ein ganz anderes Bild. Im Einzelnen handelt es sich hierbei um folgende Posten: Zuschüsse zur Alterssicherung
der Landwirte: 2,28 Milliarden Euro; Zuschüsse zur
landwirtschaftlichen Unfallversicherung: 200 Millionen
Euro; Zuschüsse zur Gewährung einer Rente an Kleinlandwirte: 44,5 Millionen Euro; Zuschüsse an die Träger
der Krankenversicherung: 1,25 Milliarden Euro; Zuschüsse zur Zusatzaltersversorgung für Arbeitnehmer in
der Land- und Forstwirtschaft: 24,5 Millionen Euro. Das
heißt, alles in allem fließen rund 65 Prozent des Einzelplans 10 in den sozialen Bereich.
({2})
Zieht man dann noch die Kosten für das Ministerium
bzw. die Verwaltung - das muss ja sein - ab, dann verbleiben diesem Ministerium zur freien Politikgestaltung
rund 2 Milliarden Euro. Das ist wahrlich nicht viel. Aber
wir haben Glück gehabt: Seitdem es eine christlich-liberale Koalition gibt, hat auch dieses Ministerium eine
christlich-liberale Handschrift.
({3})
Diese ist wesentlich besser als die von 2002 bis 2005.
({4})
Dieser Haushalt trägt auch eine liberale Handschrift,
zumindest beim Grünlandmilchprogramm. Dieses
Programm ist eine gute Sache; denn es hilft den Milchbauern, durch diese Krise zu kommen. Es war äußerst
wichtig, dass man da etwas getan hat. Auch hier zeigt
sich eine liberale Handschrift.
Ein weiterer Punkt, der den Liberalen am Herzen
liegt, sind die Liquiditätshilfekredite für die Bauern. Die
Politik muss in einer Krise helfen. Wir tun es, natürlich
unter Leitung der sehr verehrten und geschätzten Ministerin Frau Aigner, die sehr dynamisch handelt.
({5})
Auch der Zuschuss zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung ist zu erwähnen. Er trägt dazu bei, dass die
Lohnnebenkosten der Landwirte gleich hoch bleiben.
An all diesen Beispielen sieht man, wie wichtig es ist,
dass die FDP hier mitredet; wie wichtig es ist, dass über
deutschen Äckern und Feldern ein neuer Wind weht und
es auch in diesem Bereich aufwärtsgeht. Es ist wichtig,
in der Krise zu helfen. Andere vor uns haben im Bereich
der Autoindustrie geholfen. Deshalb möchte ich mit einem Trost für die gebeutelte Autoindustrie, mit einem
weiteren Spruch enden: Ist das Geld bis Herbst nicht
sauer, kauft sich einen Benz der Bauer.
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge!
({6})
Das Wort hat nun Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Etat des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz spiegelt authentisch die Haushaltspolitik der Bundesregierung wider. Er ist Teil eines Ganzen; man muss leider sagen:
eines trefflich misslungenen Ganzen.
({0})
Wie der Gesamtetat ist auch der Einzelplan 10 ein Versuch, die Öffentlichkeit zu täuschen.
({1})
Sie haben für Ihren Etat einen Begriff in die Öffentlichkeit gesetzt, nämlich den Begriff des Antikrisenhaushalts. Sie versuchen, der Öffentlichkeit irgendwie beizubringen, dass wir uns auf der einen Seite in einem
absoluten Schuldenrekordjahr befinden und dass auf der
anderen Seite mit der Schuldenbremse, mit Ihrer Fata
Morgana von übermorgen, künftighin alles wieder gut
werden soll. Sparen ab Neujahr, aber wo? Wenn wir uns
den Einzelplan 10 anschauen, stellen wir fest: Er ist ein
sehr überschaubares Werk. Wo soll denn da in den Dimensionen, um die es künftig geht, gespart werden?
Doch nicht etwa bei den Agrarsozialfonds? Wenn Sie
uns die Steuerschätzung im Mai jetzt ständig als Alibi
vorhalten und sagen: „Erst dann können wir Ihnen die
Wahrheit sagen“, so wird Ihnen das hier im Hause niemand abnehmen. Auch die Öffentlichkeit wird Ihnen
dies nicht abnehmen. Das nennen wir Täuschung.
({2})
Ich will zwei Schwerpunkte aus dem Einzelplan 10
aufgreifen, zum einen die Agrarpolitik am Beispiel von
Bodenverkäufen besonders in Ostdeutschland - ein aktuelles Thema - und zum anderen den Verbraucherschutz
in Zeiten der Krise, wozu ich, was ich ehrlich gestehen
muss, nach den herzhaften Worten der Frau Ministerin
heute etwas mehr erwartet hätte.
Zu den Verkäufen von Böden und Seen. Die Mittel
für das bundeseigene Unternehmen BVVG - dies heißt
Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH; das sollten wir unseren Zuhörern mitteilen - sind zwar nicht in
diesem Etat veranschlagt; aber dieses Unternehmen hat
bekanntlich großen Einfluss auf die Entwicklung ländlicher Räume. Wir finden, die Bodenverkaufspolitik der
Bundesregierung hat inzwischen zerstörerische Folgen
insbesondere für Ostdeutschland. Das wollen wir deutlich sagen und auf keinen Fall hinnehmen.
({3})
Wir haben es mit einer Explosion der Bodenpreise,
mit einem Run auf die verbliebenen 400 000 Hektar und
damit vor allem mit einer Gefährdung der Agrarbetriebe im Osten zu tun.
Ich will deutlich sagen: Die Geschichte der Agrarunternehmen in Ostdeutschland ist weitgehend eine Erfolgsgeschichte. Diese Bäuerinnen und Bauern und ihre
Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben große gesellschaftliche und ökonomische Umbrüche gemeistert. Sie
haben Umbruchserfahrung gesammelt, die anderen Teilen Deutschlands, vor allen in ländlichen Räumen, noch
bevorstehen wird. Das alles passt natürlich einem Teil
von Ihnen nicht, weil es sich hierbei häufig um die
Nachfolgeunternehmen von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften handelt. Dazu will ich Ihnen
eines sagen: Hören Sie endlich auf, die agrarischen Produzenten gegeneinander in Stellung zu bringen.
({4})
Das ist der falsche Weg. Wir müssen gemeinsam handeln.
In Ihrem Koalitionsvertrag - der einen weiteren Anschlag dieser Art enthält; der Einigungsvertrag hat bekanntlich den Fortbestand der Bodenreform festgeschrieben - überraschen Sie die Öffentlichkeit mit der
Bildung einer Arbeitsgruppe, die das alles noch einmal
überprüfen soll. Dazu sagen wir Ihnen: Das ist ein weiterer Akt von Lobbyismus. Das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen.
({5})
Wir fordern: Kein weiterer Verkauf ehemals volkseigener Flächen, sondern faire Verpachtung, keine Bodenspekulationen, sondern Stärkung regionaler Produzenten!
Zum Verbraucherschutz in den Zeiten der Krise. Ich
muss leider feststellen: Dem Verbraucherschutz geht es
wie dem Datenschutz. Es gibt dafür Behörden und Sonntagsreden, und es gibt - das will ich ausdrücklich anerkennen - sehr viele ehrenamtlich und hauptamtlich Engagierte. Dennoch findet Daten- und Verbraucherschutz
faktisch nicht statt. Verbraucherinnen und Verbraucher
sind den Anbietern von Produkten und Dienstleistungen
weitgehend schutzlos ausgeliefert, und diese nutzen ihre
Monopolstellung doppelt: zum einen in der Diskriminierung von Verbraucherinnen und Verbrauchern und zum
anderen auch in der Diskriminierung von Kleinproduzentinnen und -produzenten. Am Beispiel der Milch
wird Ihnen das mein Kollege Süßmair später noch erläutern. Wir fordern für diesen Etat eine bessere finanzielle
Ausstattung der Verbraucherschutzverbände, mehr Geld
für das Bundesinstitut für Risikoforschung - entsprechende Anträge werden Sie bekommen, einschließlich
der Gegenfinanzierung - und mehr Aufsicht und Kontrolle gegenüber den Monopolisten in der Lebensmittelbranche.
Frau Bundesministerin, ich hatte es eingangs schon
erwähnt: Sie haben ziemlich klare Worte an die Adresse
der Banken und deren Kundenberatung gerichtet, die wir
unterstützen. In Ihrer Rede sagten Sie, ein Weiter-so darf
es nicht geben. Sie fanden die Vorgänge beschämend.
Ich warte schon seit zwei Jahren darauf, dass sich einmal
jemand anfängt zu schämen, der für den Laden zuständig
ist.
({6})
Sie werden auch die Unterstützung der Vorsitzenden der
Verbraucherschutzministerkonferenz bekommen. Das
war im vergangenen Jahr die Berliner Senatorin Katrin
Lompscher. In diesem Jahr ist die Vorsitzende der Konferenz die Ministerin Anita Tack aus Brandenburg.
Beide sind Mitglied der Linken.
Wir verstehen allerdings Ihre Kritik, Frau Aigner,
auch als eine Kritik an Ihrem Kollegen Finanzminister
Schäuble. Denn wozu müssen Sie so harsche Worte wählen? Doch nur deshalb, weil er seine Hausaufgaben nicht
macht.
({7})
Wenn wir uns alle so übermütig einig sind, was die Managerschelte betrifft - da mache ich gerne mit -, dann
möchte ich doch daran erinnern, dass es dieser Deutsche
Bundestag war, der 2004 die Zulassung all jener Finanzprodukte veranlasst und beschlossen hat, über deren Folgen wir uns jetzt aufregen. Das kam nicht vom Himmel
gefallen, das war eine politische Entscheidung. Wenn
Beschämung angebracht ist, dann müssen auch Sie an
dieser Stelle mitwirken.
({8})
Der Einzelplan 10 ist ein Beleg für schlechte Agrar- und
Verbraucherschutzpolitik. Das muss sich ändern, und das
kann sich ändern.
Zum Schluss will ich Ihnen sagen, Frau Ministerin:
Ihr Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist noch immer ein zweigeteiltes, mit den
Standorten Berlin und Bonn. Meine Fraktion meint, es
ist Zeit für eine Wiedervereinigung der Bundesregierung
in Berlin.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun Friedrich Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine
Damen und Herren! Was ist eigentlich das agrarpolitische Leitbild dieser Bundesregierung? Wenn man Ihren
Reden zur Grünen Woche zuhört, hat man den Eindruck,
Sie hätten den Buchtitel Fleisch ist mein Gemüse zum alleinigen Leitbild gemacht.
({0})
Es ist schon atemberaubend, wie Sie, Frau Ministerin,
sich bei dieser Frage von Ihren eigenen Leuten wie Peter
Bleser, vom Bauernverband und der Fleischlobby vorführen lassen. Noch im Dezember hatten Sie zum Klimaschutz reduzierten Fleischkonsum empfohlen. Wir
finden das sehr richtig. Zum Start der Grünen Woche
kam aber die Kehrtwende unter dem Motto: Alle reden
vom Klima, nur wir vom Schweinebraten. Da waren Sie
auf einmal wieder ganz dicht an der Seite von Herrn
Sonnleitner, der erst gestern, auf dem Milchabend, wieder verkündete: Wer kein Fleisch isst, kann nicht klar
denken.
({1})
Wie zu besten CMA-Zeiten preisen Sie auf einmal wieder den ungebremsten Fleischkonsum und erklären
wörtlich:
Wir müssen Treibhausgase aus der Landwirtschaft
in Kauf nehmen.
Als hätte es den Gipfel in Kopenhagen nicht gegeben,
als gäbe es kein 2-Grad-Ziel der Bundeskanzlerin, der
Regierung und der sie tragenden Koalition, rechnen Sie
öffentlich den Anteil der Landwirtschaft an den Klimagasen, der laut Umweltbundesamt 13 bis 15 Prozent beträgt, auf abenteuerliche 6 Prozent herunter und erklären
die Landwirtschaft kurzerhand als vom Klimaschutz
ausgenommen. Bei Ihrem klimapolitischen Blindflug
werden Sie von einer FDP unterstützt, die am liebsten
den Dieselverbrauch mit Steuergeldern zusätzlich ankurbeln würde. Welch ein Wahnsinn, Frau Happach-Kasan,
den Dieselverbrauch mit Steuergeldern zu subventionieren! So sind Sie, Frau Ministerin, in dieser Woche in das
internationale Agrarministertreffen zu Landwirtschaft
und Klimawandel hier in Berlin eingestiegen. Entsprechend dürftig waren die Ergebnisse.
Frau Ministerin, Ihr Ziel scheint es zu sein, Deutschland zum Fleischexportweltmeister zu machen. Ihre
Partner dabei sind die Wesjohanns dieser Welt, deren
Slogan ist: Mit der Wahrheit machen wir das beste Geschäft. Sie nennen ihre Betriebe „Wiesenhof“, obwohl
sie in Wahrheit „Qualhof“ heißen müssten, und machen
die Bauerfamilien zu Lohnarbeitern auf ihren eigenen
Höfen. Wissen Sie eigentlich, was auf dem Land los ist,
wo die Agrarindustrie ihre Hähnchen-, Hühner-,
Schweine-, Puten- und Ziegenbatterien errichten will?
Es herrscht Krieg zwischen den Dorfbewohnern und den
Investoren. Das ist die Realität.
({2})
Wir überschwemmen die Welt mit billigem Fleisch;
wir plündern die Welt für unsere Futtermittel aus, zerstören das Klima, und Sie feiern das auf dem Erlebnisbauernhof der Grünen Woche als Erfolg. Welch ein Irrsinn!
({3})
Dabei hat die Landwirtschaft ein gewaltiges Potenzial, nicht nur klimaneutral zu werden, sondern aktiv
Klimaschutz zu betreiben. Die Landwirtschaft kann
eine echte Zukunftsbranche werden. Dafür müssen wir
aber jetzt umsteuern: Wir müssen auf Regionalität statt
auf den Weltmarkt setzen, auf Grünland statt auf Mais,
auf ökologische Anbauverfahren statt auf Kunstdünger,
auf gutes statt auf unbegrenzt viel Fleisch,
({4})
auf Bauernhöfe statt auf Agrarfabriken. Das ist die Aufgabe der Zukunft. Wir müssen den derzeitigen Vernichtungsfeldzug gegen die bäuerliche Landwirtschaft
endlich stoppen.
Es geht hier nicht um Nostalgie. Es geht nicht um Romantik. Es geht auch nicht um ein paar Bauern wie
mich. Es geht darum, dass wir drauf und dran sind, mit
der bäuerlichen Landwirtschaft die Form der Landwirtschaft zu verlieren, die im Weltagrarbericht im Hinblick
auf Klimawandel, Ressourcenschutz, Armut, Hunger
und soziale Gerechtigkeit als das Zukunftsmodell herausgestellt wurde.
Wir alle zusammen können diese Entwicklung stoppen. Das erfordert aber eine klare Richtungsentscheidung und Führungskraft. Beides vermissen wir bei Ihnen, Frau Ministerin Aigner.
({5})
Sie sind die Ministerin aller Bäuerinnen und Bauern und
nicht nur die Ministerin des Deutschen Bauernverbandes. Die Agrarreform 2013 darf nicht darauf hinauslaufen, dass weiterhin vor allem die Großbetriebe profitieren, dass weiterhin 80 Prozent der Fördermittel an
20 Prozent der Betriebe fließen und weiterhin 70 Prozent
der Betriebe, eben die kleinen, nur 10 Prozent der Gelder
erhalten. Künftig dürfen nur noch Betriebe mit Steuergeldern gefördert werden, die sich für Klima-, Umwelt-,
Natur- und Tierschutz sowie für Arbeitsplätze engagieren. Es liegt in Ihrer Verantwortung, dafür den politischen Rahmen zu schaffen.
Zur Gentechnik. Wann immer es dieser Tage um die
Gentech-Kartoffel Amflora geht, erklären Sie lediglich,
Sie würden die Entscheidungen aus Brüssel abwarten
und akzeptieren. Das ist zu wenig, Frau Aigner. Sie sind
die Ministerin, Sie tragen die politische Verantwortung.
Ihr kleiner Koalitionspartner überlässt das weit weniger
dem Zufall. Er verfolgt ganz offen die Interessen einer
zahlungskräftigen Klientel und funktioniert den Koalitionsvertrag zum Vermarktungskatalog einzelner Produkte um.
({6})
Da fragt man sich, was BASF und Monsanto wohl lockergemacht haben, um ihre Lieblingsprodukte Amflora
und MON 810 in den Koalitionsvertrag zu bekommen.
({7})
Meine Damen und Herren von der FDP, Sie machen die
Politik leider zu einem schmuddeligen Krämerladen.
Wir erwarten von Ihnen, Frau Aigner, mehr als diese
Schmalspurklientelpolitik. Wir erwarten, dass Sie die
große Mehrheit der Deutschen vertreten, die nun einmal
keine Gentechnik auf dem Acker und auf dem Teller
will.
({8})
Handeln Sie danach, dann werden auch wir Sie unterstützen.
Gleiches gilt für die Milch. Ob die bäuerliche Milcherzeugung bei uns weiterbestehen wird oder nicht, ist
eine Frage der politischen Rahmenbedingungen. Die setzen momentan nur Sie von der Koalition. Erzählen Sie
uns nicht, es sei ein Naturgesetz, dass die bäuerliche
Milchwirtschaft verschwinden muss. Sagen Sie klipp
und klar, was Sie wollen. Stehen Sie dazu!
Es ist ja nun nicht so, dass Sie mit den öffentlichen
Geldern aus dem Agrarhaushalt besonders sparsam umgehen. 750 Millionen Euro für die Milchbauern sind eine
Menge Geld, mit dem Zukunftsimpulse für die Landwirtschaft hätten gesetzt werden können. Aber was machen Sie damit? Sie erfinden die Abwrackprämie für
Milchbauern. Für meine Frau daheim mit 30 Kühen
heißt das: 1 Cent pro Liter für zwei Jahre - und dann ab
auf den Schrotthaufen mit der bäuerlichen Milchwirtschaft. Ihnen fehlt der Gestaltungswille. Ihnen fehlen die
Ideen. Das versuchen Sie mit kopflosem Geldausgeben
zu kaschieren.
Frau Aigner, erkennen Sie, dass Sie von Herrn
Sonnleitner schlecht beraten worden sind, oder warum
musste der Kopf des Bauernverbands in Ihrem Haus,
Staatssekretär Lindemann, an diesem Wochenende so
plötzlich seinen Hut nehmen? Ihre Vorgängerin, Renate
Künast, hat mit der Agrarwende den richtigen Weg eingeschlagen.
({9})
Sie hat den Bäuerinnen und Bauern eine Zukunftsperspektive aufgezeigt. Knüpfen Sie daran an! Übernehmen
Sie die Führung in dieser Richtung! Richten Sie Ihren
Haushalt entsprechend aus! Stärken Sie die wirklich innovativen Kräfte in der Landwirtschaft. Nehmen Sie zur
Kenntnis, dass es neben dem Bauernverband noch andere Kräfte gibt. Überlassen Sie die Folklore dem Bauernverband und Herrn Bleser. Dann werden Sie auch
meine und unsere Unterstützung haben.
Schönen Dank.
({10})
Herr Kollege Ostendorff, dies war zwar nicht Ihre
erste Rede im Deutschen Bundestag, aber immerhin in
dieser Legislaturperiode. Seien Sie uns wieder willkommen! Gute Zusammenarbeit!
({0})
Das Wort hat nun Kollege Georg Schirmbeck für die
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man fünfeinhalb Stunden hier gesessen und
sich die Beiträge aller Redner angehört hat, dann hat
man den Eindruck, hier sei Schizophrenie ausgebrochen.
Wir reden auf der einen Seite von Krise, von einer Rekordverschuldung und von Finanzierungsproblemen.
Auf der anderen Seite erklären die Redner, wir müssten
noch dies und das machen, hier müsse mehr Geld zur
Verfügung gestellt werden, da müssten statt einer halben
Milliarde 5 Milliarden Euro bereitgestellt werden usw.
usf.
Wir befinden uns in einer Haushaltsdebatte. Die
Wahrheit ist: Egal wer hier regiert - das gilt auch, wenn
Sie morgen regieren würden -, wir werden auf Dauer
weniger Geld haben. Wir haben nämlich Folgendes
komplett ausgeblendet: Wir sind eine rapide alternde
Gesellschaft. Die demografische Entwicklung ist in unseren Haushaltsbilanzen gar nicht berücksichtigt. Das
heißt, selbst wenn das, was wir uns wünschen, dass es in
den nächsten Jahren zu einer guten wirtschaftlichen Entwicklung kommt, tatsächlich eintrifft, werden die Probleme nicht weniger. Es gibt also überhaupt keine Alternative dazu, mit weniger Geld oder, um im Jargon der
Linken zu bleiben, mit weniger Kohle effizienter zu arbeiten. Deshalb müssen wir uns gar nicht vorwerfen, wer
was nicht kann. Dass die Opposition immer die besseren
Konzepte hat und die Regierung unfähig ist, das ist in jedem Parlament so. Darüber muss man doch nicht in den
ersten zwei Minuten jeder Rede sprechen.
({0})
Jetzt werden Sie sagen: Was ist denn in dem Bereich,
Schirmbeck, in dem du seit sieben Jahren mitarbeiten
darfst und in dem du im Haushalt die Dinge mitgestalten
darfst, geschehen? Wir haben die Ressortforschung neu
organisiert. Die Ministerin hat erklärt: Uns stehen
400 Millionen Euro zur Verfügung. Mittlerweile geben
wir in diesem Bereich weniger Mittel aus. Wir haben Institute zusammengelegt; davon waren über 3 000 Leute
betroffen. Wir haben Standorte aufgelöst und neue geschaffen, und zwar ohne großen Klamauk. Wir haben in
diese ganze Branche mit weniger Geld mehr Effizienz
hineingebracht. Das ist das, was von uns erwartet wird,
und nicht, dass wir uns wechselseitig bescheinigen, dass
wir unfähig sind.
({1})
Ich sage es noch einmal deutlich, in großer Harmonie
mit dem Personalrat: Dass nicht jeder Einzelne froh ist,
wenn er umziehen muss, wenn ein Arbeitsplatz wegfällt
oder wenn der eine oder andere Traum nicht erfüllt wird,
ist klar. Aber das ist Teil der Aufgaben, die wir anzugehen haben.
In diesem Zusammenhang darf ich sagen: Ich habe
mich bei der Ministerin, bei den Staatssekretären, aber
auch beim Haushaltsdirektor und seinen Mitstreitern für
die immer sachliche Zusammenarbeit zu bedanken. Wir
müssen nicht wechselseitig Vorurteile austauschen, sondern arbeiten wechselseitig konkret an der Lösung der
Aufgaben.
Ich komme zum Verbraucherschutz. Nachdem ich das
letzte Mal hier gesprochen habe, haben wir beschlossen,
dass wir der Stiftung Warentest 50 Millionen Euro zur
Verfügung stellen wollen. Der Kollege Kelber war ein
bisschen schneller und hat in seiner Presseerklärung
etwa 125 Millionen in Aussicht gestellt. Jetzt haben wir
im Haushaltsausschuss die Mittel, die wir noch als
Große Koalition eingeplant haben, freigegeben. Es hat
mich sehr gewundert, dass der Kollege Schwanitz, der
jetzt wohl die agrarpolitische Führerschaft übernommen
hat, obwohl damals noch von 125 Millionen Euro die
Rede war, noch nicht einmal bereit war, 50 Millionen
Euro freizugeben.
({2})
So schnell ändert sich das. Wenn man so Politik macht,
Herr Kelber, dann wird man unglaubwürdig und dann
hat man einigen Grund, sich zu schämen.
({3})
Es geht also darum, mit weniger Geld mehr zu machen. Die Stiftung Warentest beispielsweise baut eine
Stiftung auf. Das führt auf Dauer dazu, dass aus dem
Bundeshaushalt weniger Mittel an die Stiftung Warentest fließen werden, die Stiftung Wartentest unabhängiger sein wird, sie also aus sich heraus ihre verdienstvollen Aufgaben wahrnehmen kann. Das ist die Politik, von
der ich gesprochen habe.
Im Wahlkampf wurde oft über das Milchprogramm
gesprochen. Das wurde den Parteien abverlangt. Auch
ich habe viele Briefe von Bäuerinnen und Bauern bekommen, die ich gut kenne. Ich habe allen gleichlautend
geantwortet: Ich verspreche euch vor der Wahl nichts,
was ich nach der Wahl nicht halten kann. Wenn es ein alternatives, überzeugendes Milchprogramm gäbe, wäre es
doch gerade für CDU/CSU und FDP naheliegend, zu sagen, dass wir es umsetzen. Ehrlich gesagt, gibt es dieses
Programm noch nicht.
Nehmen wir einmal die Fakten, die Wahrheit zur
Kenntnis. In Osnabrück haben wir eine Buchstelle beim
Landvolk. Dort kann man genau sehen, welcher Betrieb
mit welchen Deckungsbeiträgen auskommt. Wenn Sie
zwei im Hinblick auf die Inhaber und deren Ausbildung
vergleichbare Betriebe betrachten, dann müssen Sie feststellen, dass der eine Betrieb mit 20 Cent Deckungsbeitrag auskommt und der andere mehr als 30 Cent braucht,
um im grünen Bereich zu sein. Jetzt frage ich Sie: Wollen wir diese Unterschiede, dieses unterschiedliche unternehmerische Geschick mit Steuermitteln ausgleichen?
Herr Ostendorff, Sie haben eben gesagt, wir hätten
kein Leitziel. Ich nenne Ihnen ein Leitziel. Wissen Sie,
warum ich mich engagiere? Weil ich überzeugt bin von
der Idee Ludwig Erhards von der sozialen Marktwirtschaft. Um dafür zu kämpfen, sitze ich mit meinen
Freunden im Deutschen Bundestag. Das wollen wir umsetzen.
({4})
Wenn wir eine besondere Krisenentwicklung sehen,
dann ist es doch naheliegend, unter dem Leitmotiv der
sozialen Marktwirtschaft das eine oder andere an
Schwierigkeiten abzumildern. Das und nichts anderes
machen wir mit diesen 750 Millionen Euro.
({5})
Ich sage deutlich: Es gibt zu den Strukturveränderungen gerade in der Milchwirtschaft keine Alternative; das
ist eine kurzfristige Hilfe. Hilfe leisten wir auch in Bereichen, wo sie dauerhaft wirkt. Wenn wir beispielsweise
in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung die
Mittel erheblich aufstocken, dann führt das nicht nur
dazu, dass wir mittelfristig, vielleicht sogar langfristig,
keine höheren Beiträge brauchen, sondern auch dazu,
dass wir die landwirtschaftliche Unfallversicherung
langfristig krisenfest machen. Damit helfen wir den
Bäuerinnen und Bauern und dem Bundeshaushalt. Auch
das ist die richtige Politik.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Steiner von den Grünen?
Nein, das möchte ich jetzt nicht. Mit der Kollegin
Steiner kann ich in Osnabrück über alles sprechen. Wir
brauchen hier keine Stadtratspolitik zu machen.
({0})
Hier ist über den Agrardiesel gesprochen worden.
Beim Agrardiesel stellt sich gar nicht die Frage nach
weiteren steuerlichen Vergünstigungen. Beim Agrardiesel brauchen wir vielmehr eine europäische Harmonisierung. Wir brauchen eine Agrardieselbesteuerung wie in
unseren Hauptwettbewerbsländern. Wenn wir diese haben, dann werden wir uns beim Agrardiesel sehr schnell
einig.
Ich habe über Sparen gesprochen. Ich habe darüber
gesprochen, wie bescheiden die Ressourcen in den
nächsten Jahren sein werden. Jetzt gibt es durchaus Bereiche, in denen Geld eingenommen wird. Von unserer
Wirtschaft müssen Verschmutzungszertifikate gekauft
werden. Dadurch kommen erhebliche Mittel in den Bundeshaushalt. Diese Mittel werden für Umweltschutzmaßnahmen ausgegeben. Das ist richtig; das ist im Interesse von Ressourcenschonung und Umweltschutz.
({1})
Aber man muss sich schon fragen, was mit den Mitteln
geschieht. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir
diese Mittel viel lieber - ich sage es einmal so - südlich
der Sahara einsetzen und uns dann fragen, wo die Mittel
geblieben sind, statt sie in Deutschland gezielt in Maßnahmen einzusetzen. Ich gehe davon aus - das hat die
Ministerin angekündigt -, dass es demnächst einen
Waldklimafonds in Deutschland geben wird. Denn wenn
wir unsere Forstwirtschaft zukunftsfest machen, dann
dient uns das hier ganz konkret, dann dient das der deutschen Forstwirtschaft und dem Umweltschutz.
({2})
Wir haben in unserem Haushalt in jedem Jahr einen
größeren Ansatz. Das betrifft die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Nach den Zahlen, die wir jetzt beraten,
sind wir in der Lage, hierfür 100 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Vor dem Hintergrund dessen, was ich eingangs sagte, betone ich: Ich glaube nicht,
dass wir diese Zahl werden halten können, und ich
glaube auch nicht, dass wir sie zukünftig halten werden.
Denn wenn wir weniger Ressourcen zur Verfügung haben, werden wir uns an der einen oder anderen Stelle
überlegen müssen, wo wir einsparen. Ich sage das auch
deshalb, weil es schon heute Länder gibt, die gar nicht in
der Lage sind, alle Mittel, die ihnen zustehen, abzurufen.
({3})
Ein weiterer Punkt, über den wir uns noch zu unterhalten haben, ist die Absatzförderung. Nach dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts ist es nicht möglich, die
bisherige gesetzliche Regelung beizubehalten. Wir müssen also zu einer freiwilligen Lösung kommen. Ich wäre
bereit, gemeinsam mit den Arbeitskreisen Finanzen und
Landwirtschaft zu überlegen, wie man der Wirtschaft
beim Start helfen kann. Das setzt aber voraus, dass sich
die Wirtschaft bei der Absatzförderung auch selber
engagiert. Manch einer, der in diesem Bereich tätig ist,
sollte sich einmal fragen, ob er dem Berufsstand mit seiner Erbsenzählerei, Kleinkariertheit oder Borniertheit
wirklich hilft. Ich fordere ein Umdenken. Wir können
nur dann öffentliche Mittel zur Verfügung stellen, wenn
auch die Wirtschaft bereit ist, sich zu beteiligen.
({4})
Auch dies gehört zum Leitbild der sozialen Marktwirtschaft, die wir vertreten.
Herzlichen Dank.
({5})
Mir liegen zwei Anmeldungen zu Kurzinterventionen
vor. Zunächst hat der Kollege Ulrich Kelber das Wort.
({0})
Deswegen ist es immer gut, verschiedene Informationsquellen zur Verfügung zu haben, Herr Kollege
Schirmbeck. - In der Tat hat es damals aufgrund des spezifischen Wunsches von Herrn Kauder, der Stiftung
Warentest einen einmaligen Stiftungszuschuss zukommen zu lassen, eine Kontaktaufnahme der CDU/CSUFraktion mit der Stiftung Warentest gegeben. Es wurde
ein Betrag von 125 Millionen Euro übermittelt. Dann
folgte die Rückfrage, die wir bestätigt haben.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, zu recherchieren,
zum Beispiel im Internet, hätten Sie sich die Pressemitteilung, die Sie gerade erwähnt haben, in Gänze ausdrucken können. Sie ist vom 21. November 2008, und sie
lautet wie folgt:
Zu dem Beschluss des Haushaltsausschusses, die
Stiftung Warentest mit zusätzlichem Stiftungskapital in Höhe von 50 Millionen Euro auszustatten, erklären der stellvertretende Vorsitzende der SPDBundestagsfraktion Ulrich Kelber und die Sprecherin … Waltraud Wolff: …
So steht es im Original, das man finden kann.
Herr Kollege Schirmbeck, ich bin gespannt, ob Sie
zwei Dinge unterstützen. Erstens frage ich Sie, ob Sie
der Meinung sind, dass das Ministerium endlich einer
Aufgabe nachkommen sollte, die es schon seit längerer
Zeit hat, nämlich ein Gutachten bzw. eine Studie zur Gesamtfinanzierung des Verbraucherschutzes in Deutschland zu erstellen, statt nur einen Einzelzuschuss zu gewähren.
Zweitens frage ich Sie, ob Sie entsprechenden Anträgen der Opposition folgen werden. Seit Ausbruch der
Krise liegen zum Beispiel im Bereich der unabhängigen
Finanzberatung große Aufgaben vor uns. Bei diesem
Thema bewegt sich in der CDU nichts. Es wäre besser,
Sie würden sich hier einsetzen, statt falsch aus Pressemitteilungen zu zitieren.
Es folgt eine zweite Kurzintervention. Dann können
Sie, Kollege Schirmbeck, beide auf einmal beantworten.
Das Wort hat Kollegin Dorothea Steiner von den Grünen.
Danke, Herr Präsident. - Ich hatte vorhin versucht,
dem Kollegen Schirmbeck eine Zwischenfrage zu stellen. Jetzt möchte ich den Punkt, um den es mir geht, in
einer Kurzintervention beleuchten.
Herr Schirmbeck hat gesagt, es gebe Milchbauern, die
mit 20 Cent pro Liter auskämen, während andere
30 Cent pro Liter bräuchten. In Wirklichkeit ist es so,
dass man erst ab ungefähr 31 Cent pro Liter an Wirtschaftlichkeit denken kann. Ich würde gerne von Ihnen
wissen - wir haben im Osnabrücker Land, wo auch ich
herkomme, dieselben Milchbauern besucht -, ob Sie einen Milchbauern kennen, der kein Agrarindustrieller ist
und von 20 Cent pro Liter leben kann. Oder ist ein vernünftiger Preis, um auch die Existenz der Milchbauern
zu schützen, nicht eher bei 31 Cent pro Liter aufwärts
anzusetzen? Gibt es dazu vielleicht Ihrerseits Vorschläge
und Überlegungen, wenn Sie das Ziel, die Existenz der
Milchbauern zu schützen, sogar zu einem Bestandteil
der sozialen Marktwirtschaft erklären?
Auch wir finden, dass die Existenz der Milchbauern
gesichert werden muss. Sie dürfen nicht geknechtet und
zu den Preisen, die sie zurzeit bekommen, gezwungen
werden. Sie wissen genau, dass es die großen Verbrauchermärkte sind, die sie dazu zwingen. Ich würde gerne
wissen: Auf welcher Seite stehen Sie, und was werden
Sie tun, um die Situation der Milchbauern zu verbessern?
({0})
Herr Kollege Schirmbeck, bitte.
Herr Kollege Kelber, Sie kommen aus Bonn; das ist
natürlich das Zentrum der Welt. Ich komme aus dem
Landkreis Osnabrück, aus Ohrbeck, aber so ein Handy
habe ich auch. Ich werde Ihnen die ausgedruckte Presseerklärung, die uns im Ausschuss vorgelegen hat, zur Verfügung stellen. Dann können Sie sich selber davon überzeugen. Ich habe überhaupt nicht den Ehrgeiz, Ihnen
irgendetwas unterzuschieben, was so nicht war.
Frau Kollegin Steiner, Sie kommen aus der Stadt
Osnabrück, ich aus dem Landkreis Osnabrück; das muss
man schon unterscheiden.
({0})
Wir haben aber eines gemeinsam: Wir lesen dieselbe
Zeitung.
Der Präsident des Europäischen Parlaments war auf
einem Hof im Osnabrücker Land, der von fünf Familien,
Kleinbauern, die sich zusammengeschlossen haben, geführt wird. Der Großteil der Fläche, die sie bewirtschaften, ist Pachtfläche. Vor den anwesenden Pressevertretern hat der Sprecher dieser Bauern erklärt, er komme
mit 19 Cent pro Liter Milch aus. Das ist einer, der mit
dieser Truppe erfolgreich ist. Er ist auch kein Spinner. Er
ist in der Milchwirtschaft unterwegs. Im Osnabrücker
Land kennen ihn alle. Wenn Sie Fragen haben, gehen Sie
zu ihm. Frau Ministerin und ich sind gemeinsam da gewesen. Die Familie ist sehr aufgeschlossen. So wie ich
die kenne, wird man Ihnen genau erklären, wie sich das
verhält. Im Übrigen: Wenn wir mit dem Zug nach Hause
fahren, können wir in Ruhe darüber sprechen.
({1})
Das Wort hat nun Kollegin Elvira Drobinski-Weiß für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! 81 Prozent der Bundesbürger wollen ein neues Regierungsprogramm. Das
ist das Ergebnis einer Emnid-Umfrage aus der letzten
Woche. Warum ist das so? Weil diese Bundesregierung
kopf- und konzeptionslos agiert. Das zeigt auch der
Haushaltsentwurf: Es gibt keine Richtung, keine Linie,
keine Vorstellung von der Zukunft. So kann man weder
die Gegenwart meistern noch die Zukunft gestalten.
Wer die Wirtschaft, auch die Landwirtschaft, zukunftsfähiger machen will, muss den Markt vom Endabnehmer
aus denken, also vom Verbraucher aus. Verbraucherpolitik
aber, Frau Ministerin, kommt im Haushaltsentwurf kaum
vor. Zwar werden großzügig Steuergelder verteilt - der
Etat des BMELV wird wider die Vernunft um
572 Millionen Euro erhöht -; aber für verbraucherpolitische Maßnahmen sind mit 148 Millionen Euro gerade
einmal 2,5 Prozent des Etats des BMELV vorgesehen.
Zum Vergleich: Für den Posten „Sonstiges“ sind im Tortendiagramm des Haushalts des BMELV 469 Millionen
Euro angegeben. - So weit zum Stellenwert, den Verbraucher für diese Bundesregierung haben. Es ist schon
frech, wenn die zuständige Staatssekretärin behauptet,
für den Verbraucherschutz werde viel getan. Es ist ein
großer Unterschied, ob man viel ankündigt oder wirklich
etwas tut.
({0})
Die Verbraucherpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung ist weder gegenwarts- noch zukunftsfähig; denn
aus den verheerenden Folgen, die die Bankenkrise für
die Verbraucher hat, werden keine Konsequenzen gezogen. Kein Cent mehr ist für die Verbraucherzentralen
und ihren Bundesverband vorgesehen. Dabei mussten
gerade sie den Beratungsbedarf der Verbraucher in der
Krise auffangen. Sie konnten dies aufgrund der knappen
finanziellen Ausstattung leider nur unzureichend leisten;
von der Einrichtung eines Marktwächters gar nicht zu reden. Der Bankenskandal hat gezeigt, wie wichtig eine
unabhängige Beratung der Verbraucher ist, und dies können am besten die Verbraucherzentralen leisten.
Es ist absehbar, dass der Beratungsbedarf in Zukunft
noch steigen wird. Deshalb fordern wir die Errichtung
einer Stiftung zur Finanzierung der Verbraucherarbeit.
({1})
Für die Linderung der Not der Landwirte hat die
schwarz-gelbe Regierung Geld im Haushalt vorgesehen,
für die Finanzierung der Verbraucherarbeit aber nicht; so
sehen die Prioritäten dieser Bundesregierung aus.
Ein zweiter Punkt, Frau Minister: Sie sind den Verbraucherinnen und Verbrauchern noch immer eine Informationskampagne zur „Ohne-Gentechnik“-Kennzeichnung schuldig.
({2})
Nachdem nun auch Lidl Milch von Kühen anbietet, bei
denen auf die Verfütterung von gentechnisch veränderten Pflanzen verzichtet wird, müsste doch auch der
Letzte begriffen haben, dass dies ein Marktsegment mit
großem Potenzial ist. Die Verbraucher wollen keine
Gentechnik auf dem Feld und erst recht nicht auf dem
Teller. Um ihre Wahlfreiheit nutzen zu können, müssen
Verbraucher endlich korrekt und verständlich über das
Ohne-Gentechnik-Angebot informiert werden.
Ein dritter Punkt: Im Wahlkampf hat sich die CSU
noch mit ihrer Unterstützung für die gentechnikfreien
Regionen überschlagen. Was ist daraus geworden?
Nichts als leere Worte. Neben der rechtlichen Absicherung brauchen wir auch eine bessere Vernetzung. Wir
fordern, dass dafür Mittel eingestellt werden; denn in
den GVO-freien Regionen wird das angebaut, was Verbraucher wollen.
({3})
Ein vierter Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
der nachhaltige Konsum. Dieses wichtige Thema ist mit
lächerlichen 500 000 Euro angesetzt. Auch wenn sich
diese Bundesregierung den Herausforderungen Klimawandel, Wirtschaftskrise und Sozialdumping verweigert:
Bei den Verbrauchern ist diese Botschaft längst angekommen. Sie wollen mit bewusstem Konsum zu einem
klimafreundlicheren und sozialverträglicheren Markt
beitragen. Sie wollen Produkte von Unternehmen kaufen, die faire Löhne zahlen und die Umwelt schonen.
Das ist gut und hat bei vielen Unternehmen bereits positive Entwicklungen eingeleitet. Aber auch das sogenannte Greenwashing hat zugenommen. Es ist schwer zu
beurteilen, welche Aussagen seriös sind. Verbraucher
brauchen Aufklärung und klare Definitionen. Wir wollen
eine Datenbank, die als nachhaltig beworbene Produkte
für die Verbraucher vergleichbar und bewertbar macht.
Ein fünfter Punkt ist, dass wir die Verbraucherforschung brauchen. Sie wollen doch immer den mündigen, gut informierten Verbraucher. Aber wenn es darum
geht, Verbrauchern verständliche Informationen zur Verfügung zu stellen, dann verweigert sich diese BundesElvira Drobinski-Weiß
regierung. Als Beispiele nenne ich die Nährwertampel
und den Finanz-TÜV. Informationen müssen aber verständlich sein. Wir brauchen Untersuchungen darüber,
welche Informationen für Verbraucher wichtig sind und
wie sie aussehen müssen. Dafür benötigen wir Mittel.
Hier aber herrscht ein großer Mangel an Problembewusstsein auf der schwarz-gelben Seite. So gibt die Ministerin den Verbrauchern selbst die Schuld an Lebensmittelimitaten wie dem Analogkäse. Zwar bin auch ich
der Meinung, dass uns Essen endlich wieder mehr wert
sein muss. Es gibt viele Beispiele dafür, dass das Preisdumping im Lebensmittelbereich zulasten der Qualität
geht. Die Qualität muss aber für Verbraucher auch erkennbar sein. Der Preis ist auf den ersten Blick erkennbar; bei Imitaten ist das nicht so leicht. Solange dies so
ist, können wir die Verbraucher nicht als „Billigheimer“
geißeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Verschwendung
von Steuergeldern, Zukunfts- und Perspektivlosigkeit
zeichnen diesen Haushaltsentwurf aus. Wir haben ein
Konzept: Wir wollen einen zukunftsfähigen Haushalt,
setzen neue Schwerpunkte und werden Ihnen zeigen,
welch enormes Einsparungspotenzial es gibt. Willy
Brandt hat einmal gesagt, der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, sei, sie zu gestalten. Von Gestaltungswillen
fehlt aber bei diesem Haushaltsentwurf jede Spur.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat nun Kollege Rainer Erdel für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten
Stunde hat man sehr viel über die Agrarpolitik gehört:
Man hat sehr viel gehört, was richtig ist, und man hat
sehr viel gehört, was falsch ist. - Es wurden unterschiedliche Vorwürfe gemacht, und ich fange gleich mit dem
letzten Vorwurf an: Frau Kollegin, wenn Sie der Bundesregierung vorwerfen, sie habe beim Klimaschutz versagt, dann muss ich darauf hinweisen, dass sich die neue
Bundesregierung bereits vor der Klimakonferenz in Kopenhagen ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt hat und dieses
Ziel auch erreichen wird. Es waren gerade sozialistische
Länder, die einen Erfolg dieser Klimakonferenz verhindert haben.
({0})
Wir alle sind - mit unterschiedlicher Ausprägung vom Ergebnis der Konferenz in Kopenhagen nicht begeistert. Aber wir müssen uns trotz aller Diskussionen
über eines klar werden: Uns stehen 12 Prozent der Erdoberfläche für die Produktion von Lebensmitteln zur
Verfügung. Der Rest unserer Erde sind Permafrost,
Wüste, Urwald und Gebirge. Wir sollten auch nichts an
diesem prozentualen Verhältnis ändern; denn es ist der
Motor unseres Klimas. Wir in Europa, in Deutschland
haben das große Glück, auf diesen 12 Prozent zu leben.
Bei uns ist Landwirtschaft möglich. Unsere Landwirte
haben in den letzten 50 Jahren bewiesen, dass sie in der
Lage sind, die Ressourcen richtig einzusetzen und zu
nutzen. So ist es der Landwirtschaft in Deutschland gelungen, hochwertige Lebensmittel in einem Umfang zu
erzeugen, der geradezu gigantisch ist. Das war die Entwicklung von 1950 bis zum Jahr 2000.
Diese Entwicklung gibt uns die Möglichkeit, über
neue Technologien auch in der Energieerzeugung nachzudenken. So hat sich in den letzten Jahren eine neue
Technologie entwickelt, durch die es möglich ist, mit
Biomasse grundlastfähige Energie zu erzeugen. Es sind
sehr viele Arbeitsplätze und Alternativen für unsere lebensmittelerzeugenden Betriebe entstanden.
Wenn ich aber die Vorwürfe höre, die hier geäußert
wurden, dann muss ich mich fragen, warum wir diese Situationsbestimmung vornehmen und Probleme diskutieren, die als Ergebnis der Agrarpolitik der Vergangenheit
anzusehen sind. Herr Ostendorff, Sie haben darauf hingewiesen, dass eine Reduzierung der Agrardieselbesteuerung zu einem steigenden Verbrauch führen wird.
Der Sinn dieser Denkweise verschließt sich mir; denn
dann könnte man ähnlich argumentieren, dass ein Zuschuss zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung dazu
führen würde, dass die Zahl der landwirtschaftlichen
Unfälle steigt. Das ist absurd.
({1})
Das Ziel dieser Bundesregierung ist es, mit dem Sofortprogramm die Auswüchse einer fehlgeleiteten Agrarpolitik - dafür mache ich auch Frau Ministerin Künast,
die Sie sehr lobend erwähnt haben, verantwortlich - zu
korrigieren, um als nächsten Schritt unsere Landwirtschaft für die Zeit nach 2013 wettbewerbsfähig zu machen. 2013 ist das Schlüsseljahr. Wir müssen erreichen,
dass unsere Landwirtschaft im europäischen Wettbewerb mithalten kann. Wenn der Liter Agrardiesel in
Frankreich mit 0,7 Cent und in Irland mit 4,7 Cent besteuert wird und gleichzeitig die Mehrwertsteuersätze in
diesen Ländern geringer sind als bei uns, dann haben wir
es mit einer sehr starken Wettbewerbsverzerrung zu tun,
die wir korrigieren müssen.
({2})
Wir sind mit dem Sofortprogramm Landwirtschaft
auf dem richtigen Weg. Wir versuchen, Fehlentwicklungen zu korrigieren, die im agrarpolitischen Bereich, aber
auch in den Folgen der Wirtschaftskrise begründet sind.
Wir werden die Weichen stellen - dazu hat diese neue
Bundesregierung die Kraft -, um die deutsche Landwirtschaft im europäischen Wettbewerb für die internationalen Märkte der Zukunft fit zu machen.
Vielen Dank.
({3})
Herr Kollege Erdel, dies war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Meine Gratulation und unsere herzlichen Wünsche für eine gute Zusammenarbeit!
({0})
Das Wort hat nun Kollege Alexander Süßmair für die
Fraktion Die Linke.
({1})
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Frau Bundesministerin Aigner! Meine Damen und Herren! Der Preisverfall bei der Milch im vergangenen Jahr hat die Landwirtschaft hart getroffen. Wie in meiner Heimat Bayern
steht vielen Milchbetrieben in ganz Deutschland das
Wasser bis zum Hals. Ihre Existenz ist massiv bedroht.
Die Bundesregierung will den Landwirten mit insgesamt 750 Millionen Euro Soforthilfe helfen. Damit soll,
so Ministerin Aigner, der unerwartet massive Verfall der
Erzeugerpreise aufgefangen werden. 500 Millionen Euro
soll den Landwirten in den nächsten beiden Jahren in
Form einer Grünland- und Kuhprämie gewährt werden.
Mit einem Zuschuss zur Unfallversicherung in Höhe von
200 Millionen Euro sollen die Beiträge für die Bauern
um etwa 45 Prozent gesenkt werden. Die restlichen
50 Millionen Euro sollen für verbilligte Kredite ausgegeben werden. Der Preisverfall bei der Milch durch ein
Überangebot kam aber alles andere als unerwartet, Frau
Bundesministerin Aigner. Das Desaster in der Agrarpolitik hat unter Schwarz-Rot begonnen und findet seine
Fortsetzung unter Schwarz-Gelb. Sie werfen mit dem
Sofortprogramm 750 Millionen Euro auf den Tisch
- Geld, das die Bäuerinnen und Bauern sicherlich gerne
nehmen und dringend brauchen -, aber lediglich zur Beruhigung der Lage. Es handelt sich nicht um ein Programm, das hilft, die strukturelle Krise zu überwinden.
({0})
Die Milchbetriebe haben durch den Erzeugerpreisverfall innerhalb eines Jahres 10 Cent pro Kilo verloren.
Das sind gut ein Drittel ihrer Einnahmen. Allein auf
Deutschland bezogen, handelt es sich um Milliardenverluste. Die 350 Millionen Euro aus dem Sofortprogramm
für die Milchbetriebe sind daher nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Bis zu 45 Prozent der Milchbetriebe sind wirtschaftlich akut gefährdet. Meine Damen
und Herren von der Koalition, Sie waren nicht bereit, die
Möglichkeiten zu nutzen und etwas mehr in Richtung einer marktgerechten Milchpolitik zu gehen. So ist es
durchaus mit den europäischen Rahmenbedingungen
vereinbar, die Quotenerhöhungen nicht an die Milcherzeuger weiterzugeben, sondern in die nationale Quotenreserve zu stecken. Die Milcherzeuger, die ihre Quote
überliefern, werden weiterhin durch die Saldierung belohnt. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition,
waren nicht bereit, Vorschläge zur Abschaffung der Saldierung ernsthaft zu prüfen.
({1})
Auch der Vorschlag, durch Verzicht auf den neuen Umrechnungsfaktor eine indirekte Quotenerhöhung zu vermeiden, wurde von Ihnen abgelehnt. Eine Reduzierung
der Milchmenge als wirksamste Maßnahme, um die Erzeugerpreise zu stabilisieren, war nicht im Ansatz möglich. In Verbindung mit einer weltweit sinkenden Nachfrage nach Milchprodukten braucht man sich daher nicht
über den Preisverfall zu wundern. Ohne Begleitmaßnahmen zur Stabilisierung des Milchmarktes ist jedes Förderprogramm hinausgeworfenes Geld.
({2})
Ich möchte Sie an die Demonstrationen der Milchbäuerinnen im Sommer 2009 erinnern. Es waren keine
Demonstrationen für mehr staatliche Hilfsgelder. Es waren Demonstrationen für gerechte Rahmenbedingungen
auf dem Milchmarkt und faire Erzeugerpreise; das ist
Tatsache.
({3})
Wir von der Linken sind der Meinung, dass die Milchbetriebe etwa 40 Cent pro Kilo brauchen, um ihre Existenz
nachhaltig zu sichern. Ihr einziges Konzept ist blankes
Hoffen auf den Weltmarkt. Der Markt soll es richten.
Aber alle Märkte brauchen - das wurde durch die Finanz- und Wirtschaftskrise klar verdeutlicht - staatliche
Rahmenbedingungen. Die Erkenntnis ist: Der reine
Markt funktioniert nicht.
({4})
Wenn Sie diese Politik nicht ändern, werden die Betriebe kaputtgehen, weil sie diesen ruinösen Wettbewerb
nicht überstehen können. Das wichtigste Ziel aus Sicht
der Linken bleibt daher die Schaffung von Rahmenbedingungen auf den Agrarmärkten, die für die Bildung
gerechter und fairer Erzeugerpreise sorgen. Wir brauchen eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion,
die die Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln gewährleistet sowie die Wahrnehmung ökologischer und
sozialer Aufgaben und die Sicherung von Arbeitsplätzen
im ländlichen Raum übernimmt.
({5})
Das Allgäu oder Ostfriesland ohne Kühe will sich
niemand vorstellen. Die Linke wird sich weiter für gerechte und faire Erzeugerpreise einsetzen, damit diese
Schreckensvision niemals wahr wird.
Vielen Dank.
({6})
Herr Kollege Süßmair, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen herzlich, verbunden mit
den besten Wünschen für Ihre weitere Arbeit.
({0})
Das Wort hat nun die Kollegin Nicole Maisch für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der
letzten Stunde haben wir viel über Agrarpolitik - teilweise sogar in Reimform - und über das Osnabrücker
Land gehört.
({0})
Ich möchte Ihren Blick jetzt auf die verbraucherpolitischen Aspekte in diesem Agrarhaushalt lenken. Dieser
Haushalt ist aus verbraucherpolitischer Sicht mangelhaft.
({1})
Das gilt insbesondere für den wirtschaftlichen Verbraucherschutz. Wie schon unter Schwarz-Rot ist dafür
viel zu wenig Geld eingestellt. Wir müssen bedenken,
dass wir immer noch die Nachwirkungen einer der größten Finanzkrisen der Geschichte spüren und die Anlegerinnen und Anleger, die Lehman-Geschädigten darunter
leiden, dass sie ihr Geld einem Markt anvertraut haben,
der ihnen nicht das gebracht hat, was sie erwartet haben.
({2})
Deshalb brauchen wir beim Verbraucherschutz auf
den Finanzmärkten nicht nur Ankündigungen, sondern
Taten. Frau Aigner hat sehr viel angekündigt. Aber wenn
man sich den Haushalt anschaut, sieht man, dass die Ankündigungen nicht mit Geld unterfüttert sind. All die
schönen Worte bringen aber doch nichts, wenn nicht das
nötige Geld in den Haushalt eingestellt wird.
({3})
Ich möchte Ihnen ein Beispiel dafür geben. Vor Weihnachten gab es mit der Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen ein sehr hochkarätig besetztes Panel, das
von Frau Ministerin Aigner organisiert wurde. Da wurden sehr gute Vorschläge gemacht. Aber wenn man jetzt
in den Haushalt schaut, dann sieht man, dass von den
Vorschlägen der Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen nicht mehr viel übrig ist. Das ist keine seriöse Politik, und das ist keine Politik im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({4})
Man fragt sich, was Schwarz-Gelb beim Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten vorhat. Man könnte denken, dass man das Problem den Banken selbst überlassen
will; das wäre ja eine FDP-nahe Position. Aber wenn
man sich den aktuellen Bankentest der Stiftung Warentest anschaut, dann sieht man, dass die Strukturen sich
nicht geändert haben und die Bankberatung in Deutschland so grottenschlecht wie ihr Ruf ist. Diesbezüglich
müssten Sie eigentlich dringend handeln.
({5})
Als jemand, der gerne spart, möchte ich Ihnen noch
sagen, dass das Ändern von Strukturen und die Regulierung kein Geld kosten. Das ist in Zeiten der größten Verschuldung dieses Gemeinwesens vielleicht ein ganz guter Hinweis.
({6})
Wir sehen positiv, dass es bei der Verbraucherpolitik
einen Gesamtmittelaufwuchs gibt. Der Großteil davon
fließt aber in die Stiftung Warentest. Wir finden es gut,
das Stiftungsvermögen zu erhöhen. Aber wir müssen
auch zur Kenntnis nehmen, dass die Verbraucherinnen
und Verbraucher Soforthilfe erwarten. Diese ist von einer Erhöhung des Stiftungsvermögens erst einmal nicht
zu erwarten; die Menschen im Land werden erst einmal
nicht merken, dass dafür mehr Geld eingestellt wurde.
Wir kritisieren auch, dass Sie die falschen Prioritäten
gesetzt haben. Wenn man sich den Haushaltstitel „Information der Verbraucherinnen und Verbraucher“ anschaut,
dann sieht man, dass Sie im Bereich der Ernährung sehr
viel tun. Allerdings würde die Ernährungsampel überhaupt nichts kosten, und man könnte sehr viel Geld für
Informationsbroschüren zum Thema Übergewicht sparen.
({7})
Wir finden es sehr schade, dass Sie beim Thema des
nachhaltigen Konsums auf dem Niveau von SchwarzRot geblieben sind, nämlich bei einer halben Milliarde
Euro. Das ist viel zu wenig. Es ist eine zutiefst liberale
Idee, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die
Märkte von unten verändern. Sie warten nicht darauf,
dass in Kopenhagen irgendetwas beschlossen wird, sondern wollen selbst umweltfreundlich, tiergerecht und klimafreundlich konsumieren. Da das eine schöne liberale
Idee ist, könnte man vielleicht auch ein bisschen Geld
dafür in den Haushalt einstellen. Leider hat auch die
FDP das nicht getan; sie bleibt sogar hinter ihren eigenen
Ansprüchen aus Oppositionszeiten zurück. In den letzten
Haushaltsberatungen hat die FDP immer mehr Geld für
den Bundesverband der Verbraucherzentrale gefordert.
Hinter diesem selbst gesteckten Ziel bleiben Sie leider
zurück.
Mit Blick auf die folgenden parlamentarischen Beratungen möchte ich Frau Aigner zitieren, die am Anfang
etwas ganz Wunderbares gesagt hat, nämlich dass man
Politik gemeinsam und nicht gegeneinander machen
soll. Am besten machen Sie gemeinsam mit uns Politik,
indem Sie unsere grünen Änderungsanträge, die es in
großer Anzahl geben wird, vorurteilsfrei prüfen und ihnen vielleicht auch zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({8})
Nun hat die Kollegin Lucia Puttrich für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Lassen Sie mich ganz kurz das aufgreifen, was die Rednerin von der Opposition gerade angesprochen hat. Einerseits bemängeln Sie, es würde nicht genügend Geld
im Haushalt bereitgestellt werden. Sie nehmen bewusst
oder unbewusst nicht zur Kenntnis, dass die Ausgaben
für Verbraucherpolitik um immerhin 30 Prozent steigen.
Das ist eine ordentliche Leistung.
({0})
Sie widersprechen sich dann aber selbst, indem Sie
sagen, dass man Verbraucherpolitik auch ohne viel Geld
machen kann. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis! Die hatten wir schon lange.
({1})
Wir haben in der Vergangenheit wichtige Maßnahmen
durchgeführt. Sie können sich darauf verlassen, dass wir
auch weiterhin eine moderne Verbraucherpolitik machen
werden.
Lassen Sie mich im Verlauf meiner Ausführungen auf
einzelne Bereiche eingehen. Selbstverständlich wollen
wir Transparenz, Information und Beratung. Wir
wissen, dass das der beste Schutz ist. Wir wissen auch,
dass hierfür investiertes Geld gut investiertes Geld ist.
Wir wollen, dass der Verbraucher gut und unkompliziert
an Informationen kommt. Deshalb steht auch in der
Koalitionsvereinbarung, dass wir ein Verbrauchertelefon
einführen werden, das eine Lotsenfunktion haben wird,
um das Ärgernis der Nichtzuständigkeit der Behörden
auszuräumen und gleich den richtigen Ansprechpartner
zu finden. Wir werden ebenfalls, wie im Koalitionsvertrag geregelt, das Verbraucherinformationsgesetz reformieren. Unser Ziel ist es, dass die Informationsansprüche des Bürgers in einem einheitlichen Gesetz
transparent gebündelt werden. Transparenz und Information sind für uns in der Verbraucherpolitik ganz besonders wichtig.
Zu den Ausführungen der Kollegin über den Bereich
des Anlegerschutzes kann ich eigentlich nur sagen, dass
es traurig ist, dass Sie nicht zur Kenntnis genommen haben, was in dem Bereich schon alles getan wurde und
was noch getan wird. Wir sehen in der Tat dort einen erheblichen Handlungsbedarf. Seit Anfang dieses Jahres
muss ein Beratungsprotokoll für jedes Anlagegespräch
verbindlich erstellt und dem Kunden ausgehändigt werden. Die Kunden haben jetzt damit den Vorteil, dass sie
bei der Anmeldung von Schadensersatzansprüchen
leichter Beweise beibringen können. Wie in der Welt am
Sonntag vom 10. Januar berichtet wurde, ist die Handhabung der Erstellung dieser Beratungsprotokolle allerdings sehr unterschiedlich. Wir erwarten, dass Beratungsprotokolle ernsthaft und im Sinne des Gesetzgebers
erstellt werden, zum Schutz des Verbrauchers und nicht
als lästige Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht. Weiterhin
wollen wir mehr Transparenz bei Finanzprodukten. Ein
Kunde soll die Chancen und Risiken selbst schnell verstehen und erfassen können. Wir unterstützen deshalb
ausdrücklich die Initiative von Bundesministerin Aigner
zur verpflichtenden Einführung eines Produktinformationsblattes.
({2})
Wir wollen auch mehr Transparenz bei der Anlageberatung. Zukünftig sollen Kunden auch bei freien Finanzberatern die Sicherheit haben, dass diese über eine entsprechende Qualifikation verfügen. Deshalb müssen
Qualifikation, Zulassung und wirksame Haftung bei
Falschberatung geregelt werden. Auch das kostet übrigens kein Geld. Wir brauchen darüber hinaus eine zuverlässige Kontrolle der Finanzprodukte selbst. Unseriöse
Produkte müssen aufgedeckt und als solche gekennzeichnet werden. In der Vergangenheit hat sich gezeigt,
dass sich private Ratingagenturen nicht bewährt haben.
Verlässliche Einschätzungen müssen deshalb zukünftig
durch unabhängige Stellen wie beispielsweise durch die
BaFin getroffen werden.
({3})
Ein besonderes Augenmerk werden wir auf die
Rechte von Bahnkunden und Fluggästen richten. Das
Fahrgastrechte-Gesetz ist im Juni 2009 in Kraft getreten.
Seitdem können sich Reisende an eine von den Verkehrsunternehmen selbst getragene Schlichtungsstelle
wenden. Der Beitritt zu dieser Schlichtungsstelle ist freiwillig. Insbesondere Flugunternehmen haben sich bisher
noch nicht angeschlossen. Wir hoffen, dass die Bereitschaft zum Beitritt zu dieser Einrichtung steigen wird.
Ansonsten müsste man ernsthaft über eine verpflichtende Regelung nachdenken.
({4})
Von großer Bedeutung ist für uns auch der digitale
Verbraucherschutz. Viele Verbraucher tappen zum Beispiel in die Internetfalle, weil sie nicht erkennen können,
wann sie durch Anklicken einer besonderen Passage einen Vertrag geschlossen haben. 750 000 Internetabzocken pro Jahr, Tendenz steigend: Das macht deutlich,
dass wir handeln müssen. Deshalb werden wir für den
Vertragsabschluss im Internet ein klar erkennbares, verpflichtendes Bestätigungsfeld einführen. Ab März 2010
sollten auch teure Warteschleifen und das Abkassieren
bei 0180er-Servicenummern ein Ende haben. Die Voraussetzungen hierfür werden durch die Änderungen des
Telekommunikationsgesetzes geschaffen. Gleichzeitig
werden Preisobergrenzen für diese Servicenummern eingeführt. Wir werden die Entwicklungen im Auge behalten, und wir werden auch keine Ausreden dulden.
Als letzten Punkt will ich das Thema Produktsicherheit ansprechen. So ist die EU-Spielzeugrichtlinie in ihrer aktuellen Fassung vollkommen ungenügend. Die
festgelegten Grenzwerte reichen nicht aus, um ein hohes
Schutzniveau bei Kindern zu sichern. Dies gilt für giftige und allergieauslösende Inhaltsstoffe. Grenzwerte für
krebserregende Weichmacher fanden gar keine Berücksichtigung. Noch immer ist das freiwillige Prüfverfahren
„geprüfte Sicherheit“ nur in Deutschland Vorreiter einer
effektiven Qualitätssicherung. Das halten wir für nicht
ausreichend. Zur Änderung der EU-Spielzeugrichtlinie
bereiten wir auch deshalb einen entsprechenden Antrag
vor.
({5})
Wir sehen den Verbraucher tatsächlich als mündigen
Bürger, und wir setzen auch auf eine Partnerschaft zwischen Verbrauchern und Wirtschaft. Der Idealzustand
ist, viel zu informieren und möglichst wenig zu reglementieren. Wir wissen jedoch auch, dass es nicht ganz
ohne gesetzliche Regelungen geht. Gerade im Bereich
der Finanzdienstleistungen haben wir leider die Erfahrung gemacht, dass die alte Regel gilt: Vertrauen ist gut,
Kontrolle ist aber manchmal besser.
Vielen Dank.
({6})
Frau Kollegin Puttrich, auch für Sie war dies die erste
Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere auch Ihnen
sehr herzlich und wünsche Ihnen bei ihrer weiteren Arbeit viel Freude und Erfolg.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Rolf Schwanitz für die
SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es wird Sie nicht wundern, dass ich in meiner Rede den
Einzelplan 10 vor allen Dingen in die haushaltspolitische Gesamtsituation einordnen will. Ich glaube, dieses
Thema ist der rote Faden, der sich durch alle drei Lesungen dieses Gesetzentwurfs ziehen muss.
Der Bund wird nach den Planungen, die die Bundesregierung vorgelegt hat, eine Neuverschuldung in Rekordhöhe ausweisen.
({0})
86 Milliarden Euro, das ist eine beängstigende Dimension. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen: Das ist
eine Dimension, die die Vorstellungskraft von uns allen,
vor allen Dingen von den Bürgerinnen und Bürgern, bei
weitem sprengt. Mittlerweile lebt der Bund zu einem
Viertel seiner Ausgaben auf Pump. Das heißt, jeder
vierte Euro, der in diesem Bundeshaushalt ausgegeben
werden soll, muss durch Kredite finanziert werden. Das
ist eine Situation, die es auf keiner anderen staatlichen
Ebene in Deutschland gibt. Weder bei den Kommunen,
über die wir sehr intensiv reden, noch bei den Ländern
ist die Situation so prekär. Die Ursache für diesen Zustand sind natürlich die Folgen der internationalen Finanzkrise. Die Ursache dafür ist aber auch die von Ihnen
eingeschlagene Klientelpolitik gegenüber den Hotelbesitzern, gegenüber den reichen Erben, gegenüber den
Kapitalbesitzern. Das muss am Anfang jeder Debatte
stehen.
({1})
Sie, die Abgeordneten der Koalition, tun dies, obwohl
Sie wissen, dass das strukturelle Defizit Ende 2010 bei
rund 70 Milliarden Euro liegen wird. Sie haben das getan, obwohl Sie wissen und wussten, dass Sie Ende 2010
einen Konsolidierungskurs mit einem Defizitabbau in
Höhe von 13 bis 15 Milliarden Euro einschlagen müssen; nicht nur einmalig, sondern aufwachsend jedes Jahr
neu, über sechs Jahre hinweg, bis zur Erfüllung der
Schuldenbremsenregelung. Das, worüber Sie intensiv
streiten, über die 24 Milliarden Euro für zusätzliche
Steuergeschenke, ist dabei noch nicht eingepreist,
kommt „on top“, muss in diese Konsolidierung also weiter einbezogen werden.
Dass Sie sich in dieser Situation hinter der Steuerschätzung Mai verstecken, wie wir das in den Debattenbeiträgen heute noch einmal gehört haben, auch vom
Finanzminister, ist, wie ich finde, eine der feigesten Aktionen einer Regierung, die mir je untergekommen ist
({2})
- das ist übrigens auch ein Betrug am Wähler -; deswegen werden wir das Woche für Woche thematisieren.
Bezeichnend ist auch, dass die Risikofrage bei den
Haushaltsdebatten bisher relativ wenig thematisiert worden ist. Wir haben sehr intensiv über das Thema Nettoneuverschuldung geredet; über die Bruttokreditaufnahme wurde aber relativ wenig gesprochen.
Natürlich muss der Gesamthaushalt nicht nur Kredite für
die neuen Schulden aufnehmen, sondern auch für die alten. Die Bruttokreditaufnahme wird in dieser Zeit in
etwa bei 330 Milliarden Euro liegen. Wir müssen uns ja
vergegenwärtigen: Wir befinden uns zurzeit in einer
Niedrigzinsphase. Sie selbst, wir übrigens auch, hatten ja
schon für Ende des letzten Jahres mit einem Zinsanstieg
gerechnet. Wenn die Zinsen nur um 1 Prozentpunkt steigen, dann wird dies zu einer zusätzlichen Belastung des
Bundeshaushaltes in Höhe von rund 3,3 Milliarden Euro
führen. Auch das würde die Situation „on top“ verschärfen.
Das Ganze, meine Damen und Herren, erinnert mich
an jemanden, der bis über die Halskrause, bis über beide
Ohren verschuldet ist und schnell, bevor am nächsten
Tag der Gerichtsvollzieher kommt, noch einmal seine
Kumpels zu einer Party einlädt und alles auf Pump he1200
rausbläst, unabhängig davon, welche Situation ihn am
Folgetag erwartet.
({3})
Das macht kein vernünftiger Mensch, aber Sie erheben
das zusammen mit der Klientelpolitik, die Sie hier einschlagen, zur Geschäftsgrundlage für den Gesamtstaat.
Wir kritisieren das, übrigens auch unter Verbrauchergesichtspunkten; wie man mit Schulden umgeht, ist ja auch
eine verbraucherpolitische Frage.
({4})
Das verbraucherpolitische Signal nämlich, das man damit an die Gesamtheit der Bürger in Deutschland sendet,
halte ich schlicht und einfach für eine Katastrophe.
({5})
Apropos Verbraucherpolitik: Sie haben im Koalitionsvertrag geschrieben, Sie setzen auf eine „Stärkung
des Verbrauchers im Markt“. Der gesamte Bereich der
Verbraucherpolitik im Einzelplan 10 umfasst einen Ansatz von 148 Millionen Euro. Haben Sie eigentlich einmal eine Querverbindung zwischen der Klientelpolitik
auf der einen Seite und der Verbraucherpolitik auf der
anderen Seite gezogen? Allein das, was Sie an Steuervergünstigungen für das Hotelgewerbe umgesetzt haben,
wird den Gesamtstaat 945 Millionen Euro kosten; davon
entfallen auf den Bund Steuerausfälle in Höhe von rund
500 Millionen Euro, also einer halben Milliarde. Das ist
fast das Dreieinhalbfache der Ausgaben, die im Einzelplan 10 für Verbraucherpolitik eingestellt sind. Das zeigt
die Dimension dessen, was Sie hier tun.
({6})
Ich will noch eine Bemerkung zum Zuschuss an die
Stiftung Warentest machen. Das hat vorhin auch schon
bei Herrn Schirmbeck eine Rolle gespielt. Ich glaube,
wir sind uns einig, dass die Verbraucherpolitik ein wichtiges Politikfeld ist und gestärkt werden muss. Ich halte
aber das, was momentan bei der Stiftung Warentest abläuft, nicht für etwas, für das man sich verbraucherpolitisch brüsten kann. Sie erhöhen - das ist richtig - das
Stiftungskapital der Stiftung Warentest um 20 Millionen
Euro. Sie verschweigen allerdings, dass zugleich der Zuschuss für die Stiftung Warentest im selben Umfang,
nämlich im Umfang der Kapitalerträge, abgesenkt wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schirmbeck?
Ich würde gerne im Zusammenhang vortragen. Herr
Schirmbeck, Sie haben das ja genauso getan.
({0})
Was Sie hier tun, ist etwas, was man verbraucherpolitisch schlicht und einfach als Mogelpackung bezeichnen
kann. Es kommt bei dieser gesamten Aktion kein einziger Euro mehr für Verbraucherpolitik heraus. Sie nehmen nur eine Umfinanzierung des Bundeszuschusses für
die Stiftung Warentest vor. Das muss man, wie ich finde,
auch klipp und klar ansprechen.
({1})
Wir werden Ihnen bei den Haushaltsberatungen übrigens
Gelegenheit geben, über einen Antrag abzustimmen,
durch den mehr finanzielle Möglichkeiten für Verbraucherpolitik in Deutschland eröffnet werden. Bedarf gibt
es genug. Ich bin gespannt darauf, wie Sie im Ausschuss
darüber abstimmen werden.
Meine Damen und Herren, angesichts Ihrer Klientelpolitik im sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz werden wir alle Maßnahmen im Einzelplan 10 kritisch auf den Prüfstand stellen. Wir werden die Frage
stellen, ob sie so tatsächlich notwendig sind und ob die
Art und Weise, wie sie finanziert werden, alternativlos
ist. Letztendlich müssen nicht Sie, auch nicht wir, sondern die Bürgerinnen und Bürger, die Abgaben- und
Steuerzahler in diesem Land, dafür die Zeche zahlen.
({2})
Herzlichen Dank.
({3})
Zu einer Kurzintervention erteile ich nun das Wort
dem Kollegen Schirmbeck.
Herr Kollege Schwanitz, mir fällt es manchmal
schwer, nachzuvollziehen, warum hier etwas behauptet
wird, was objektiv vorher ganz anders ausgedrückt worden ist, was man auch im Wortprotokoll nachlesen kann,
sobald es uns zugänglich ist.
Ich habe deutlich gemacht, dass wir mit den Mitteln,
die wir im Bundeshaushalt zur Verfügung haben, effizienter umgehen müssen. Aus diesem Grunde geben wir
der Stiftung Warentest Mittel für den Aufbau der Stiftung. Damit ist die Stiftung Warentest unabhängiger,
weil sie mit den Erträgen aus den Stiftungsmitteln ihre
Arbeit finanzieren kann. Das führt dazu, dass wir mittelund langfristig die laufenden Mittel aus dem Bundeshaushalt absenken können. Das habe ich hier ausgeführt.
Sie wiederum erwecken jetzt den Eindruck, als hätte
ich hier etwas unterschlagen oder ein falsches Spiel gespielt, als würde ich vor der Landtagswahl etwas anderes
sagen als nach der Landtagswahl oder als würde ich
Politik hinter der Gardine machen statt einer gläsernen
Politik. Nehmen Sie doch einfach das, was ich im Bundestag in der Öffentlichkeit ausgeführt habe, so zur
Kenntnis!
Herzlichen Dank.
({0})
Zur Erwiderung Herr Schwanitz, bitte.
Herr Kollege Schirmbeck, ich bin für diese Klarstellung dankbar, weil sie dem, was ich hier ausgeführt
habe, nicht widerspricht. Ich habe allerdings sehr wohl
vernommen - ich habe es auch noch einmal im Protokoll
der letzten Haushaltsberatung nachgelesen -, was Sie
über die Motivation und die Urheberschaft dieses Beschlusses ausgeführt haben und dass der Kollege Kauder
diesen Vorschlag mit einer besonderen verbrauchspolitischen Auszeichnung eingebracht hat. Deswegen ist mir
wichtig, hier einmal klipp und klar festzustellen: Was
Sie planen, hat etwas damit zu tun, dass Sie den Zuschuss zur Stiftung Warentest absenken wollen. Es hat
nichts damit zu tun, dass Sie mehr finanzielle Mittel für
Verbraucherpolitik zur Verfügung stellen wollen. So
wird das Ganze ins richtige Licht gerückt. Deswegen
danke ich für die Intervention.
Nun hat das Wort der Kollege Professor Dr. Erik
Schweickert für die FDP-Fraktion.
({0})
Kollege Schwanitz, die Politik der letzten elf Jahre ist
dafür verantwortlich, dass wir ein strukturelles Defizit
haben. Jetzt hier so zu tun, als sei man nicht dabei gewesen, ist insbesondere in Ihrem Fall schwierig.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben
jetzt einiges gehört. Ich bin wirklich etwas erstaunt. Im
Ausschuss arbeiten wir eigentlich gut zusammen und beschränken uns auf die fachliche Ebene. Hier gibt es aber
Reden, die sieben Minuten lang am Thema vorbeigehen.
({1})
Eine Kritik in Richtung Herrn Ostendorff: Sie haben von
„Vernichtungsfeldzug“ und „Krieg“ auf dem Lande gesprochen. Angesichts der Lage, in der wir uns gerade befinden, halte ich es für eine Unverschämtheit, wenn Sie
in einer Debatte über die richtige Ausrichtung der Landwirtschaft solche Worte benutzen. Dafür könnte man
sich schämen, nicht für das andere.
({2})
Nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis, dass
Verbraucherpolitik keine Nischenpolitik mehr ist. Das ist
die Grundlage sowohl des Koalitionsvertrages als auch
dieses Haushaltes, auf der wir in den nächsten vier Jahren arbeiten können. Es geht um Ernährung, Finanzanlagen und Informationsrechte. Dabei setzen wir auf die
Stärkung des Menschen am Markt und nicht auf den
Schutz des unmündigen Menschen vor dem Markt. Wir
wollen keinen bevormundeten, sondern einen gut informierten Verbraucher. Dabei geht es nicht nur um viel
Geld, sondern auch um die richtige Regelsetzung, und
diese nimmt die christlich-liberale Koalition in diesem
Lande vor.
({3})
Wenn Sie die Erhöhung des Stiftungskapitals so
sehr geißeln, dann muss man Ihnen einmal sagen: Wir
wollen diese Stiftung von der Politik unabhängig machen, damit sie den Finger in die Wunde legen kann.
Dafür darf sie nicht von Almosen leben, die sie jedes
Jahr erhält. Es ist eine Leistung dieser Koalition, auch
der liberalen Politik, dass wir in einem Jahr, in dem wir
weniger Einnahmen haben, einen solchen Schwerpunkt
setzen. Dazu stehen wir. Dass wir das Stiftungsvermögen um 50 Millionen Euro bis 2012 erhöhen, darf man
nicht kleinreden.
({4})
Jetzt kommen wir zum Thema Anlageentscheidung.
Wir müssen den Verbrauchern die Möglichkeit geben,
alle Kosten - das war schon bei der Riester-Rente ein
Thema -, aber auch die Provisionen und alle damit verbundenen Risiken erkennen zu können. Wir dürfen aber
nicht so tun, als könnten wir den Menschen das Risiko
am Kapitalmarkt abnehmen. Wer das tut und entsprechende Vorschläge macht, der wiegt die Leute in einer
falschen Sicherheit. Wer zur Bank geht und Geld anlegt,
der muss wissen: hohe Rendite hohes Risiko, niedrige
Rendite niedriges Risiko. Die Bank und auch der Staat
dürfen dem Kunden dieses Finanzmarktrisiko nicht abnehmen.
({5})
Wir müssen aber dafür sorgen, dass der Verbraucher
gut informiert ist. Wir müssen auch schauen, dass die
Etikettierung der Finanzprodukte stimmt. Die Etikettierung jedes Frühstückseis wird stärker überwacht. Es
kann nicht sein, dass Banken beispielsweise ein Produkt
mit der Bezeichnung „Altersvorsorgekonto“ anbieten,
hinter dem spekulative Finanzanlagen stecken. Dagegen
und auch gegen das Verhalten der Banken, ein AA-Rating der Kunden, also alt und ahnungslos, durchzuführen, müssen wir vorgehen. Es muss klar sein, dass das,
was draufsteht, auch drinsteckt. Das alles kann noch mit
einer Einordnung in entsprechende Risikoklassen flankiert werden. Auf diese Weise gibt es den informierten
Verbraucher, der sein Geld anlegen kann. Wenn er dann
ein Risiko eingeht, braucht der Staat für Verluste nicht
zu haften.
({6})
Lassen Sie mich noch das Thema Deutsche Bahn ansprechen. Ich bin immer wieder überrascht, wie sie jedes
Jahr vom Winter überrascht wird.
({7})
Ich muss sagen - Frau Kollegin Puttrich hat es ebenfalls
ausgeführt -: Die Bahn steht bei uns sozusagen unter Bewährung. Wir schauen uns an, wie die Verspätungsrichtlinien umgesetzt werden. Wir haben unsere Vorschläge
in der Tasche. Wenn es nicht reicht, dann muss nachgesteuert werden. Ich habe ein wenig Sympathie dafür,
dass schon ab 30 Minuten und nicht erst ab 60 Minuten
Verspätung erste Entschädigungszahlungen erfolgen.
({8})
Da müssen wir aber abwarten. Zunächst einmal wird
evaluiert. Es ist eine gute Regierungspolitik, nicht sofort
zu schießen, sondern erst zu schauen, was in diesem Fall
Sache ist.
({9})
Herr Claus, ich bin schon erstaunt, dass Sie hier die
linke Verbraucherschutzsenatorin gelobt haben. In den
letzten Tagen, als es in Berlin stark geschneit hat, hätte
sie einiges für Rollstuhlfahrer und für Eltern, die mit
dem Kinderwagen unterwegs sind, tun können, indem
sie dafür gesorgt hätte, dass der Schnee geräumt wird.
Die Kehrwoche und die Schneeschippe sind schon erfunden. In diesem Fall etwas für den Verbraucher zu tun,
kostet nicht viel Geld. Tun Sie also nicht so, als sei alles,
was bei Ihnen läuft, toll.
({10})
Ich komme zum Schluss. Im Hinblick auf das Internet
haben wir noch einiges zu tun. Es geht da um Regelsetzung. Frau Kollegin Maisch, wir werden sicherlich nicht
die Infobroschüren der Hersteller drucken, sondern mit
einer klaren Regelsetzung dafür sorgen, dass es verständliche AGBs gibt, sodass dem Verbraucher klar ist,
welches Angebot er anklickt. Ein zweiter Punkt, der für
uns wichtig ist, ist das Thema Breitbandversorgung.
Auch da wird die Koalition der bürgerlichen Mitte vorangehen. Wir werden das Ganze auch im Rahmen des
Verbraucherinformationsgesetzes neu aufstellen.
Ich freue mich auf den einzelnen Diskurs mit Ihnen,
der hoffentlich, wie ich es aus dem Ausschuss gewohnt
bin, auf fachlicher Ebene abläuft und nicht von permanenten Unterstellungen und Reden, die komplett am
Thema vorbeigehen, getragen wird. Wie gesagt, ich
freue mich auf diese Diskussion.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Herr Kollege Schweickert, auch für Sie war dies die
erste Rede in diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen sehr
herzlich und wünsche Ihnen für Ihre weitere Arbeit alles
Gute, viel Freude und Erfolg.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Peter Bleser für die
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will aus christlich-liberaler Sicht - lieber Professor Schweickert, dieser Begriff gefällt mir ausgesprochen gut - diesen Agrarhaushalt bewerten. Dazu will ich
einen Punkt ansprechen, der bisher von niemandem erwähnt wurde, nämlich dass die Gewinne in den landwirtschaftlichen Betrieben im letzten Wirtschaftsjahr
zwischen 2008 und 2009, so der Situationsbericht des
Deutschen Bauernverbandes, um sage und schreibe
24 Prozent eingebrochen sind. Das ist je nach Sparte unterschiedlich. Bei den Milchbetrieben sind die Gewinne
sogar um 45 Prozent auf 29 000 Euro pro Betrieb - pro
Arbeitskraft sind das 19 000 Euro - eingebrochen. Wer
vor diesem Hintergrund die Hilfsaktion der Bundesregierung in Form des Milchfonds kritisiert, dem muss
ich soziale Kälte unterstellen, Herr Kollege Priesmeier.
({0})
Das ist nicht nur kaltschnäuzig, sondern auch marktpolitisch falsch; denn wir haben mit diesem Hilfsprogramm
sichergestellt, dass es keinen Zusammenbruch der Strukturen gibt, die wir dann mit sehr viel Geld wieder aufbauen müssten. Kritik am Detail ist zwar durchaus angebracht; uns lag aber daran, dass wir den Landwirten
diese Hilfe schnell und unbürokratisch zur Verfügung
stellen. Deswegen haben wir diesen Weg gewählt. Das
Ganze wird ohne zusätzliche Anträge funktionieren, und
das ist ganz entscheidend.
({1})
Meine Damen und Herren, wir müssen den Blick trotz
dieser schwierigen Situation, in der sich die Betriebe befinden, nach vorne richten. Eine zweite Zahl ist von erheblicher Bedeutung; denn sie bestätigt uns, ob wir mit
der bisherigen Politik der Union - auch in der früheren
Bundesregierung - richtig- oder falschliegen. Das Statistische Bundesamt hat festgestellt, dass die Zahl der Beschäftigten im Ernährungsgewerbe von Oktober 2008
bis Oktober 2009 um 1,4 Prozent gestiegen ist, während
sie im übrigen verarbeitenden Gewerbe um 4,6 Prozent
zurückgegangen ist. Das ist ein Erfolg unserer Politik.
Das ist der Erfolg unserer Bemühungen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft zu verbessern und unsere Chancen auf dem Exportmarkt zu steigern.
Lieber Herr Kollege Ostendorff, wer wie Sie in einer
Presseerklärung verlangt, dass wir unsere Fleischexporte
einstellen, den muss man schon fragen, ob er die Zuordnung der verschiedenen Teile unserer Landwirtschaft
noch richtig versteht. Wenn Sie wie viele andere auf der
linken Seite dieses Parlaments der Landwirtschaft die
Hauptverantwortung für den Klimawandel zuschieben
wollen, dann muss man schon Böswilligkeit unterstellen.
({2})
Ich habe eine Statistik vom Umweltbundesamt - meine
Wertschätzung diesbezüglich ist bescheiden - vorliegen.
Darin wird deutlich, dass die Landwirtschaft mit einem
Anteil von 5,4 Prozent für CO2-Emissionen verantwortPeter Bleser
lich ist. Wer glaubt, in dieser Klimadebatte den Fokus
auf die Landwirtschaft lenken zu müssen, dem muss
man unterstellen, dass er andere Bereiche bewusst schonen will.
({3})
Es besteht da natürlich noch Potenzial. Dieses wollen
wir auch nutzen. Aber das geht nur über Effizienzsteigerung und nicht mit dem, was die Grünen wollen: eine
Ökologisierung aller Bereiche und eine Verringerung der
Leistungen und der Erträge.
Meine Damen und Herren, es ist uns wichtig, unsere
Politik fortzusetzen, auch nach dem Zusammenbruch der
CMA aufgrund eines Verfassungsgerichtsurteils. Wir
müssen dafür sorgen, dass unsere Aufstellung in Drittlandsmärkten auch in Zukunft gut ist. Deswegen bin
ich sehr froh, Frau Ministerin, dass im Haushaltsentwurf, wenn man alles, auch die Verpflichtungsermächtigungen, addiert, 7,5 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt werden. Das ist aber immer noch sehr bescheiden.
Meine lieben Kollegen von der christlich-liberalen Koalition, wir sollten darüber nachdenken, ob wir in den
Beratungen der nächsten Wochen vielleicht noch etwas
zusätzlich erreichen können. Eines steht jedenfalls fest:
Wir fordern vom Berufsstand, von der Agrarwirtschaft,
aber auch vom Handel, dass sie sich zusammenschließen
und etwas konzeptionell erarbeiten. Dann wird die Politik sicher Wege finden, diese Bereiche zu unterstützen.
Das ist beste Zukunftspolitik für unsere jungen Menschen. Sich auf den Märkten zu behaupten, ist die einzige Chance, zu bestehen. Mit Abschotten und Ausgrenzen erreicht man nichts.
({4})
Meine Damen und Herren, ich will im Rahmen des
Agrarbereiches ein weiteres Thema ansprechen: die zukünftige Entwicklung der europäischen Agrarpolitik
nach 2013. Das ist für viele vielleicht noch weit hin.
Aber in diesem Jahr werden in der Europäischen Kommission die ersten Festlegungen getroffen. Wir müssen
uns deshalb frühzeitig in die Debatte einschalten. Wir
müssen den Menschen sagen, welches Bild wir von unserer Landwirtschaft 2020 haben wollen. Wir müssen
zunächst einmal dokumentieren, was unsere Wunschvorstellung ist. Dazu gehört die multifunktionale Landwirtschaft. Dazu gehört die flächendeckende Landwirtschaft.
Dazu gehört aber auch ein Sicherheitsnetz, um den Zusammenbruch von Strukturen, wie im letzten Jahr befürchtet, zu verhindern.
Was den letzten Punkt angeht, haben die Menschen
mittlerweile ein besonderes Gefühl entwickelt. Gerade
die Katastrophe in Haiti zeigt, dass Nahrungsmittel, die
irgendwo in der Welt produziert werden, noch lange
nicht dort sind, wo sie gebraucht werden. Deswegen
müssen wir auch in fernerer Zukunft Versorgungssicherheit herstellen. Wir müssen all denjenigen, die meinen,
den Agraretat der Europäischen Union als Steinbruch für
verschiedene Politikziele nutzen zu können, sagen: Wer
das will, muss sich fragen lassen, ob er Umweltschutz,
Tierschutz, Verbraucherschutz, Multifunktionalität der
Landwirtschaft und eine Vielfalt der Lebensmittel überhaupt noch will. Wir wollen das, und deswegen werden
wir entsprechend frühzeitig dagegenhalten.
({5})
Ich will noch einige Sätze zum Verbraucherschutz sagen. Frau Puttrich hat bereits ihren Schwerpunkt darauf
gelegt. Sie hat einen Bereich jedoch noch nicht erwähnt
- das ist auch abgesprochen -: den Bereich Ernährung.
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass wir im letzten Jahr
vor Weihnachten zum ersten Mal keinen Lebensmittelskandal hatten. Das kann an den Verbänden liegen, die
das sonst immer protegiert haben. Ich behaupte, es liegt
an den Fakten. Hierfür haben wir gute Belege.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat in einer Presseerklärung zu Rückständen von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln
verlautbaren lassen, dass das Überschreiten von Höchstmengen bei Lebensmitteln deutscher Herkunft auf
1,9 Prozent gesunken ist. Das ist immer noch zu viel,
aber es ist ein toller Wert, wobei man weiß, dass damit
keine Gesundheitsschädigung verbunden ist. Ich führe
diese Entwicklung, die übrigens in anderen Ländern der
EU bei 3 Prozent und in Drittländern bei 9 Prozent liegt,
auch auf das Verbraucherinformationsgesetz zurück,
weil wir die entsprechenden Betriebe nennen können.
({6})
Wir werden in der christlich-liberalen Koalition sicher einen Weg finden, das Verbraucherinformationsgesetz zu verbessern. Bei der Evaluierung werden uns die
Kollegen der SPD ganz bestimmt helfen,
({7})
damit wir noch mehr Schutz für die Lebensmittelqualität
erwirken können.
({8})
Ich will einen zweiten Punkt zum Thema Verbraucherschutz ansprechen, und zwar die Abzocke im Bereich der Telekommunikation. Ich gebe zu, auch ich
habe 3,98 Euro verloren. Das hätten die nicht tun sollen.
Das Thema werden wir aufgreifen. Mit welch krimineller Energie manche Telefongesellschaften Inkasso betreiben, ist eine Sauerei, die nicht anders zu beschreiben
ist.
({9})
Wir müssen bei der Gestaltung des Telekommunikationsgesetzes darüber nachdenken, ob wir die Beweislastumkehr einführen wollen, um eine entsprechend abschreckende Wirkung zu erzeugen. Darüber hinaus ist
sicher überlegenswert, ob wir denjenigen, die im Internet
in ordentlicher Weise unterwegs sind und den Verbraucher nicht übers Ohr hauen wollen, nicht auch eine Möglichkeit der Kennzeichnung in Form eines „OnlineEngels“ ({10})
oder wie auch immer Sie ihn nennen wollen - anbieten.
Wir brauchen ein klar erkennbares Zeichen, damit der
Verbraucher nicht in der Art übers Ohr gehauen wird,
wie das leider heutzutage in vielfältiger Weise geschieht.
Dass wir das Thema ernst nehmen, sehen Sie daran, dass
wir eine Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ ins Leben rufen wollen, in der Sie alle mitarbeiten können. Ich glaube, das ist dringend notwendig.
Ich komme zum letzten Satz. Die Menschen können
in Fragen der Agrarpolitik, der Ernährungspolitik und
der Verbraucherpolitik auf die Union vertrauen.
Herzlichen Dank.
({11})
Nun hat das Wort zu einer Kurzintervention der Kollege Ostendorff.
Herr Kollege Bleser, Sie haben sich kritisch damit
auseinandergesetzt, dass ich für die Grünen gesagt habe,
dass wir uns genau überlegen sollten, ob die derzeitige
Fleischexportstrategie für uns das Richtige ist. Es geht
um die Frage, ob wir eine richtige Politik machen, das
heißt, ob es richtig ist, dass wir Hunderttausende von lebenden Tieren in Länder verbringen, die mehrere Tausend Kilometer entfernt liegen. Es geht um die Frage, ob
es einer modernen Gesellschaft, die einen hohen Anspruch an den Tierschutz stellt, gerecht wird, solch eine
Exportstrategie zu fahren, die sich darauf gründet, dass
man Tiere wie tote Ware behandelt, die aber lebend auf
den Transportern stehen und unter großem Leid bis jenseits des Urals verbracht werden. Nur darauf bezieht sich
das Gesagte.
Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen, dass wir
darum bitten, nochmals zu überlegen, ob wir es wirklich
als wirksame Strategie erachten, hier eine Produktion
aufzubauen, die auf diese Art und Weise auf die Märkte
der Dritten Welt, Russlands usw. gelangt. Das ist die einzige Frage, die wir gestellt haben, und die ich bitte zur
Kenntnis zu nehmen.
({0})
Herr Kollege Bleser, bitte.
Mein lieber Herr Kollege Ostendorff, es ist immer
hilfreich, wenn man sich auf solche Fragen vorbereitet.
Sie schreiben:
Wir fordern, dass Deutschland nicht weiter für den
Export Fleisch produziert.
Dazu kann ich nur sagen: Das ist nicht nur weltfremd.
So werden auch die Arbeitsplätze aus diesem Land in die
Länder exportiert, in die das Fleisch nach Ihrer Meinung
gehen könnte. Das machen wir nicht mit. Ich teile allerdings Ihre Ansicht, dass Transporte nach unseren Tierschutzvorschriften durchzuführen sind. Das ist selbstverständlich, und darauf muss geachtet werden.
({0})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07. Als erster
Rednerin zu diesem Geschäftsbereich erteile ich das
Wort der Bundesministerin Sabine LeutheusserSchnarrenberger.
Frau Ministerin, einen kleinen Moment noch. - Liebe
Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten, Ihre Gespräche vor dem Saal weiterzuführen, damit diejenigen
Kolleginnen und Kollegen, die der Debatte folgen wollen, dies mit großer Aufmerksamkeit tun können? - Frau
Ministerin, bitte sehr.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Auch in diesem Jahr hat die Justiz wieder
den kleinsten Einzelplan und die höchste Deckungsquote
durch eigene Einnahmen. Es lohnt sich, dies zu Beginn
dieser Debatte zu erwähnen. Ich möchte hier nur einen
einzigen Posten nennen: Wir werden die Gelder für die
Opfer extremistischer Gewalt um 700 000 Euro auf
1 Million Euro aufstocken. Das ist ein Zeichen dafür,
dass wir sehr wohl sehen, in welchen Bereichen Schwerpunkte im Haushalt gesetzt werden müssen.
Der Haushaltsansatz steht natürlich in keinem Verhältnis zu der Bedeutung der Rechtspolitik insgesamt.
Sie betrifft alle Lebensbereiche. Ich darf an drei Punkten
kurz deutlich machen, wo wir die größten Herausforderungen und den größten Handlungsbedarf sehen:
Zunächst ist festzustellen, dass die Finanz- und
Wirtschaftskrise auch für die Rechtspolitik eine entscheidende Rolle spielt. Die schwerste Rezession seit
Kriegsende geht auch in dieser Legislaturperiode nicht
spurlos an den Rechtspolitikern vorbei. Deshalb werden
wir, was das Insolvenzplanverfahren angeht, im Insolvenzrecht Änderungen vornehmen und gemeinsam mit
den anderen Ressorts alles tun, was nötig ist, damit es
nicht wieder zu einer Verstaatlichung einer Bank kommt,
damit sich das nicht wiederholt. Deshalb werden wir ein
besonderes Reorganisationsverfahren schaffen. Außerdem werden wir die Regelung zur Restschuldbefreiung
ändern und die Wohlverhaltenszeit auf drei Jahre halbieren. Das soll ein Signal sein. Nicht zuletzt Gründer sollen nach einem Fehlstart eine zweite Chance bekommen.
Eine Ursache für diese Finanzmarktkrise - das hat der
Finanzminister heute Morgen angesprochen - war eine
gewisse Spielermentalität in der Wirtschaft. Gier und
Leichtsinn wurden bei manchen Managern nicht nur
durch satte Boni geweckt, sondern auch durch zu wenig
Haftung und persönliche Verantwortung gefördert. Als
Liberale bin ich natürlich überzeugt: Leistung muss sich
lohnen. Aber zu meinem Verständnis von Liberalität gehört auch, dass man für persönliche Fehler geradestehen
muss. Deshalb werden wir, damit es wieder zu einem
Zusammenführen von Verantwortung und Haftung
kommt, bei den Verjährungsregelungen ansetzen - die
Fristen sind jetzt sehr kurz und knüpfen nicht an die persönliche Kenntnis von Ansprüchen an - und damit dafür
Sorge tragen, dass nicht mit einem Mal gesagt werden
kann: Jetzt ist die Verantwortlichkeit und damit die Konsequenz für die Haftung begründet, aber die Verjährung
ist eingetreten. Für uns ist das ein wichtiger Punkt, bei
dem in der Rechtspolitik Konsequenzen aus der Finanzkrise zu ziehen sind.
({0})
Der zweite wichtige Bereich ist die Digitalisierung
unserer Kommunikation. Die Freiheit des Internets zu
schützen, das das freiheitlichste Informationsmedium ist,
das wir uns vorstellen können, ist gerade für uns ein
wichtiges Thema. Wir müssen die Nutzer vor staatlicher
Überregulierung schützen, aber natürlich auch vor privaten Missbräuchen durch Kriminelle oder wirtschaftlich
Mächtige. Weil das Internet kein rechtsfreier Raum ist,
gehört für uns dazu, dass wir im Rahmen des Urheberrechts die Möglichkeiten zur Durchsetzung von Rechten
verbessern. Wir haben in der letzten Legislaturperiode
um den sogenannten zweiten Korb gerungen.
({1})
Wir sind ferner der Meinung - das haben wir in der
Koalitionsvereinbarung festgeschrieben -, dass wir auch
das Thema der Leistungsschutzrechte gerade für den Bereich Presse und Zeitungsverleger angehen sollten. Das
werden wir tun; wir werden es schaffen. Wenn Menschen über das Internet Dienstleistungen in Anspruch
nehmen, Informationen nutzen, dann müssen wir die
Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass diejenigen,
die für die Bereitstellung der Dienstleistungen und Informationen ein Risiko eingehen und sich wirtschaftlich engagieren, ihre Leistungsschutz- und Urheberrechte
durchsetzen können.
({2})
Im Zusammenhang mit dem Internet müssen wir
- das passt gut zu der Debatte, die wir eben zu dem
Haushalt für den Verbraucherschutz geführt haben auch die Stellung des Verbrauchers in den Blick nehmen.
Ich möchte nur ein Beispiel nennen: die Abofallen im
Netz. Wir wollen, dass alle Anbieter verpflichtet werden,
ein Bestätigungsfeld, also einen Button, vorzusehen, damit Verbraucher vor Abschluss eines Vertrages sicher erkennen, dass sie für eine Leistung etwas bezahlen müssen.
Ein Blick in die Koalitionsvereinbarung zeigt, dass
der Datenschutz im Internet eine wichtige Rolle spielt.
Hierfür ist mein Kollege Innenminister, Herr de
Maizière, federführend zuständig. Die FDP hat eingebracht, dass es einen anderen Weg geben soll, als immer
die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zu ändern. Lassen Sie mich die geplante Stiftung Datenschutz
nennen: Sie soll die Verantwortung des Verbrauchers
und Nutzers stärken und dafür sorgen, dass er sich besser
über datenschutzrechtliche Aspekte bestimmter Leistungen und Angebote informieren kann.
Der dritte große Bereich ist die Gesellschaftspolitik,
die gesellschaftliche Entwicklung. Hier wollen wir auf
ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und die Vielfalt der
Lebensentwürfe achten; wir wollen ihnen den Rang in
unserer Gesellschaft geben, der ihnen gebührt. Wir wollen den Menschen nämlich keine Vorschriften machen,
wie sie zusammenleben sollen.
Kinder sind aber ganz besonders auf den Zusammenhalt und die Solidarität unserer Gesellschaft angewiesen.
Deshalb haben wir mit einem ersten Kabinettsbeschluss
Änderungen im Vormundschaftsrecht auf den Weg gebracht und dabei die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses „Kindeswohl“ zum Fall Kevin aufgegriffen.
Wir wollen nämlich dafür Sorge tragen, dass die nötige
personelle Ausstattung zur Verfügung steht, wenn das
Jugendamt die Vormundschaft übernimmt. Damit das
gelingt, schreiben wir vor, dass die Fallzahl des einzelnen Vormundes gesetzlich begrenzt wird. Dabei steht
vor allen Dingen - auch das ist eine Konsequenz aus den
Ergebnissen des Untersuchungsausschusses zum Fall
Kevin - der persönliche Kontakt zwischen Vormund und
seinem Schützling absolut im Vordergrund. Da bedarf es
nicht nur zufälliger Kontakte oder Kontakte in zu großen
Zeitabständen; das haben wir mit unserem Kabinettsbeschluss deutlich gemacht. Ich freue mich, wenn wir hier
darüber beraten können.
Wir wollen die Rechte lediger Väter stärken. Ledige
Väter sind keine Bittsteller. Derzeit debattieren wir in
der Koalition konstruktiv darüber, wie wir die Verfahrensregelungen am besten ausgestalten können.
Erlauben Sie mir, kurz zu erwähnen, was auf den Weg
gebracht ist. Hier nenne ich die Stärkung des Mandantengeheimnisses. In der Kommunikation des Mandanten
mit den Anwälten soll es keine Zweiteilung mehr geben.
Die Koalitionsvereinbarung sieht hier viele weitere
Punkte vor, die ich nicht alle aufzählen muss.
Einer der größten Komplexe, eines der schwierigsten
Themen - das sage ich deutlich - wird die Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung sein.
({3})
Hier geht es nicht um gesetzliche Regelungen aufgrund
der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte. Vielmehr geht es darum, auf der einen
Seite dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit zu
entsprechen, einen gewissen Schutz zu erhalten,
({4})
auf der anderen Seite aber nicht zu vergessen, dass Sicherungsverwahrung eine Ausnahme ist, nicht die Regel,
keine normale Verlängerung des Strafvollzugs. Ein Blick
auf Einzelfälle zeigt, wie wichtig ein Gesamtkonzept ist.
In der Vergangenheit wurde auf viele Einzelfälle reagiert, teilweise musste reagiert werden.
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, natürlich auch mit den Berichterstattern, die hoffentlich an
diesem Haushalt nichts zu beanstanden finden.
Recht herzlichen Dank.
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine
Lambrecht für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Bundesjustizministerin, in den letzten Jahren war
bei Haushaltsdebatten von Ihrer Seite aus immer relativ
kurz zu hören, dass dieser Haushalt zu Recht ein kleiner,
aber feiner Haushalt sei. Dann stellten Sie in der Regel
relativ zügig die Forderung an uns in der jeweiligen Regierungskoalition, das Augenmerk doch mehr auf die
Freiheits- und Bürgerrechte zu lenken. Meist drehte
sich Ihre gesamte Haushaltsrede dann um dieses Thema.
Heute war ich - das muss ich ehrlich sagen - etwas überrascht, dass dieses Thema von Ihnen so kurz abgehandelt
bzw. überhaupt nicht angesprochen wurde. Ein Schelm,
der Böses dabei denkt.
Man könnte zur Verdeutlichung auch einfach sagen:
SWIFT. Das war eine Ihrer ersten Aktionen. Ausgerechnet die FDP, die sich selbst rühmt, Freiheits- und Bürgerrechte wahren zu wollen, zeichnet dafür mitverantwortlich. Kurz zum Hintergrund: Die USA erhalten bei
Überweisungen außerhalb des europäischen Zahlungsraumes millionenfach Zugriff auf Bankdaten, die der Finanzdienstleister SWIFT verwaltet. Die schwarz-gelbe
Koalition hat mit ihrer Enthaltung auf EU-Ebene dafür
gesorgt, dass dieses Abkommen zwischen der EU und
den USA durchgewunken wurde. Dies geschah genau einen Tag, bevor der Reformvertrag von Lissabon Gültigkeit erlangte. Vom nächsten Tag an, wenn es erst dann
zur Debatte gekommen wäre, hätte das Parlament ein
Mitspracherecht gehabt. So viel zum schwarz-gelben
Verständnis von parlamentarischer Demokratie.
({0})
Zu Ihren Oppositionszeiten, als Sie noch die berühmten Reden gehalten haben, Frau LeutheusserSchnarrenberger, hat die FDP-Bundestagsfraktion geradezu zum Kampf gegen dieses Abkommen aufgerufen.
Nachzulesen ist das sehr schön in der Bundestagsdrucksache 16/4184. Darin forderten Sie von der damaligen
Regierung, den Zugriff US-amerikanischer Stellen auf
SWIFT-Daten unverzüglich zu stoppen. Aber seitdem
die FDP mit auf der Regierungsbank sitzt, haben Sie
nichts gestoppt. So viel zu der Frage, welchen Stellenwert der Schutz sensibler Bürgerdaten in dieser Koalition hat.
({1})
Eingedenk dessen, Frau Justizministerin, dass Sie
zwar Bedenken formulieren, das Richtige aber offenbar
nicht durchsetzen können, schwant mir trotz Ihrer wohlformulierten Worte zur Sicherungsverwahrung nichts
Gutes.
({2})
Kurz vor Weihnachten 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der heutigen schwarz-gelben Regierung die Quittung für ein Sicherungsverwahrungsgesetz der schwarz-gelben Regierung aus dem Jahr
1998 erteilt. Das Gesetz verstößt gegen die Menschenrechtskonvention.
({3})
1998 hoben CDU/CSU und FDP mit ihrer damaligen
Mehrheit mit besagtem Gesetz die Zehnjahresbegrenzung der Sicherungsverwahrung auf. Seither können
Straftäter, von denen weiterhin eine Gefährdung für die
Öffentlichkeit ausgeht, unbegrenzt in Haft genommen
werden. Das Gesetz wurde seinerzeit rückwirkend auf
einen Fall aus dem Jahre 1986 angewandt. Jetzt haben
die Straßburger Richter entschieden, dass das gegen die
Menschenrechtskonvention verstößt. Ganz aktuell im
Jahr 2010 - Sie haben es angesprochen, Frau Ministerin - hat außerdem der Bundesgerichtshof im Fall eines
rechtskräftig verurteilten Sexualstraftäters, der seine
Strafe abgesessen hat, entschieden, dass er nicht nachträglich in Sicherungsverwahrung genommen werden
kann.
Ihre Koalitionspartner, CDU und CSU - da sind wir
wieder auf das berühmte Theater der Dreistimmigkeit
gespannt -, aber auch unionsgeführte Bundesländer, haben schon zu deutlichen Gesetzesverschärfungen laut
aufgerufen. Jetzt stellt sich die Frage: Dürfen wir wenigstens in dieser Sache hoffen, dass mit Ihnen, Frau
Justizministerin, in der schwarz-gelben Koalition dieser
von Ihnen beschworene neue Geist, den Sie angekündigt
haben, herrscht und dass das Ritual der Gesetzesverschärfungen durchbrochen wird? Ich bin gespannt.
Wer jetzt den vom Bundesgerichtshof entschiedenen
Fall heranzieht, um eine Lücke im Recht der Sicherungsverwahrung zu behaupten und eine Gesetzesverschärfung zu fordern, liegt schief. Wer aber angesichts
populistischer Gesetzesverschärfungen das Urteil des
Bundesgerichtshofs wie auch das jüngste Urteil des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Anlass nimmt, das Recht der Sicherungsverwahrung zu
überarbeiten und neu zu ordnen, liegt richtig. Genau das
wollen wir.
Die in den vergangenen Jahren aufgrund von Einzelfällen veranlassten Gesetzesänderungen haben das Recht
auf Sicherungsverwahrung zu einem Flickenteppich
werden lassen. Vorarbeiten für eine Neuordnung haben
wir zusammen mit der Bundesjustizministerin und ExBundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:
perten aus Lehre und Praxis bereits in der vergangenen
Legislaturperiode geleistet; hier stehen Anknüpfungsmöglichkeiten zur Verfügung. Wenn wir über mehr Sicherheit sprechen, müssen wir vor allem über die weiteren Instrumente sprechen, die das geltende Recht außer
der Sicherungsverwahrung noch parat hat.
Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen
- das ist nämlich ein Thema, das man zu diesem Zweck
immer wieder gut verwenden kann -: Selbstverständlich
steht die SPD dafür, dass die Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern zu schützen ist. Hierfür gibt es Möglichkeiten wie die Führungsaufsicht, die Polizei und Bewährungshelfer. Jetzt geht es darum, ein neues Konzept zu
erarbeiten, statt reflexartig nach Gesetzesverschärfungen
zu rufen.
({4})
Wir sind gespannt, welchen Weg Sie einschlagen werden.
Um ähnliche Fragen geht es auch beim Thema
Nacktscanner. Ich gehe davon aus, dass die Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Inneres dazu noch einiges sagen werden. Man muss sich allerdings, bevor
man über ein solches Thema diskutiert, wenigstens überlegen, ob mit der Datenflut, die offensichtlich gar nicht
zu beherrschen ist, überhaupt umzugehen ist und welche
Konsequenzen ein solcher weiterer Eingriff in die Persönlichkeitssphäre, die Intimsphäre und die Privatsphäre
für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger hätte.
Frau Ministerin, ich habe mit Freude vernommen,
dass Sie über einige Themen konkret diskutieren wollen.
Wie ich gehört habe, diskutieren Sie innerhalb der Koalition seit dem Wochenende wieder freundlicher und höflicher;
({5})
das haben Sie sich ja für die Zukunft vorgenommen.
Vielleicht führt das auch zu einem entsprechenden Ergebnis. Wir sind gespannt.
Bei einigen Themen bin ich allerdings sehr skeptisch,
wohin die Reise gehen wird; wahrscheinlich werden wir
das erst nach der Wahl in NRW erfahren. Ich nenne nur
einige Beispiele: die Veränderungen im Mietrecht zuungunsten der Mieter, die Änderung der Prozesskostenhilfe, die wahrscheinlich dazu führen wird, dass sich für
Menschen, die finanziell schwachgestellt sind, der Zugang zu den Gerichten verschlechtert,
({6})
und die angekündigte Zusammenlegung von Sozial- und
Verwaltungsgerichtsbarkeit, die sicherlich nicht im Interesse einer sachgerechten Behandlung schwieriger sozialrechtlicher Fragestellungen sein wird. Auch hier sind
wir gespannt.
Insbesondere an den Veränderungen im Mietrecht
wird eines deutlich: Auch hier betreiben Sie Klientelpolitik, eine Politik für die Klientel der Haus- und
Grundstücksbesitzer.
({7})
Wir sind gespannt, welche Spenden aus diesem Bereich
bei welchem Koalitionspartner ankommen werden.
Vielen Dank.
({8})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Dr. Günter Krings.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn die Kollegin Lambrecht die Themen
Mietrecht und Lobbyisten in einen Zusammenhang
stellt, fragt man sich natürlich, ob ihre Klientel die Mietnomaden sind;
({0})
das sind nämlich diejenigen, die wir mit unserer Mietrechtsänderung bekämpfen wollen. Ich hoffe und glaube,
dass das nicht so ist. Mit Ihren Lobbyismusvorwürfen
sollten Sie allerdings etwas vorsichtiger sein.
Ich will meine Rede zum Haushalt des Bundesjustizministeriums ganz unkonventionell beginnen, indem ich
einige Zahlen nenne. Dieser Haushalt hat ein Volumen
von knapp einer halben Milliarde Euro. Das entspricht in
etwa allein dem Aufwuchs, den der Etat des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, über den wir zuvor diskutiert haben, zu verzeichnen hat. Es geht um eine also durchaus bescheidene
Zahl. Umgerechnet sind es 6,04 Euro pro Bundesbürger.
Zieht man die Einnahmen, die in diesem Etat erwirtschaftet werden, ab, geht es um 1 Euro pro Bundesbürger und Jahr.
Es handelt sich um einen sparsamen Haushalt, der
aber - Frau Ministerin, Sie haben es erwähnt - an einigen wenigen Punkten wichtige Aufwüchse enthält. Einer
der wichtigsten Aufwüchse sind die Leistungen für Opfer extremistischer Überfälle. Indem wir die entsprechenden Mittel mehr als verdreifacht haben, haben wir
auch eine, wie ich finde, höchstpeinliche Schieflage in
unserem Rechtsstaat beseitigt. Bislang war es nämlich so
- entstanden ist dies unter rot-grüner Verantwortung -,
dass nur rechtsextremistische Überfälle hierunter fielen.
({1})
Es ist überfällig, dass wir auch den Opfern linksextremistischer Überfälle, islamistischer Überfälle und ande1208
rer extremistischer Überfälle Härteleistungen gewähren.
Wer das nicht will, hat das System unseres Grundgesetzes nicht verstanden.
({2})
Unser Grundgesetz unterscheidet nämlich nicht zwischen Opfern eines Extremismus erster und eines Extremismus zweiter Klasse. Jeder politische und sonstige
Extremismus ist gleich zu behandeln. Es gibt nämlich
Regionen und Stadtteile in Deutschland, die vor allem
unter Linksextremismus leiden. Es ist richtig, dass wir
diese peinliche Schieflage in unserem Rechtsstaat jetzt
endlich beseitigen.
({3})
Ungeachtet dieser punktuellen Steigerung ist festzuhalten: Der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz
macht nur 0,15 Prozent des Bundeshaushaltes aus.
Selbst wenn man die Ausgaben der Länder - bei den
Ländern liegt der Anteil, den die Ausgaben für Justiz
ausmachen, höher - hinzunimmt, sind für den wichtigen
Bereich Justiz nur etwa 2 Prozent der gesamtstaatlichen
Ausgaben zu veranschlagen. Ich bin froh, dass die Redezeit in der Haushaltsdebatte nicht proportional zu den
Haushaltsmitteln verteilt wird; dann wäre im Bereich
Justiz schon mit der Rede der Ministerin Schluss gewesen.
Wir müssen an dieser Stelle daher mit einem Fehlschluss aufräumen, dem viele erliegen und der vielleicht
eine Ursache für die hohe Staatsverschuldung Deutschlands ist, nämlich mit dem Fehlschluss, dass ein Politikbereich dann besonders wichtig ist, wenn viel Geld für
ihn ausgegeben wird.
Die Rechtspolitik steuert nicht mit Geld, sondern mit
Ge- und Verboten. Der Rechtsstaat macht deutlich, dass
nicht alles einen Preis hat. Die Rechtspolitik ist gerade
deshalb eine Kernaufgabe unseres Staates, weil sie Grenzen aufzeigt und verbindliche Regeln setzt. Der Rechtsfrieden und die öffentliche Sicherheit lassen sich nicht
über das Medium Geld herstellen. Wir brauchen den Sozialstaat, wir brauchen den Steuerstaat, wir brauchen
aber auch den Rechtsstaat, der verbietet und notfalls
auch bestraft.
Die christlich-liberale Koalition will nicht länger hinnehmen, dass die Zahl der Gewaltdelikte gegenüber denjenigen, die für den Rechtsstaat tagtäglich den Kopf hinhalten, immer weiter zunimmt. Ich spreche in erster
Linie von den Polizisten; bei vielen Anschlägen, gerade
bei linksextremer Gewalt, sind aber auch Feuerwehrleute und Sanitäter betroffen. Wir werden durch entsprechende Veränderungen, auch im Strafrecht, für einen
besseren Schutz derjenigen sorgen, die uns schützen.
({4})
Wir werden die Handlungsspielräume ausloten, die
die eben zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofes,
vor allem aber die des EGMR beim Thema Sicherungsverwahrung lassen. Ich finde es gewagt, wenn das Bemühen, die Sicherungsverwahrung, die dazu dient, den
Schutz potenzieller Opfer weiter zu gewährleisten, in ein
neues System zu gießen, als Populismus abgetan wird.
Für mich ist das das Gegenteil von Populismus: Es ist
eine Kernaufgabe des Rechtsstaates, für die Sicherheit
seiner Bürger zu sorgen, nicht nur, aber, wenn es sein
muss, auch mit dem Mittel der Sicherungsverwahrung.
({5})
Frau Lambrecht, Sie haben darauf hingewiesen, dass
die Sicherungsverwahrung von der letzten christlich-liberalen Regierung eingeführt worden ist. Danach haben
in diesem Land die Sozialdemokraten elf Jahre lang regiert oder mitregiert und das Justizministerium geführt.
In dieser Zeit ist das Instrument der Sicherungsverwahrung gerade nicht abgeschafft worden. Es ist, um Ihre
Sprache zu sprechen, verschärft worden, ich sage: verbessert worden, wenn auch handwerklich manchmal
vielleicht nicht optimal. Sie bzw. Ihre Vorgänger haben
aber aus gutem Grund dafür gesorgt, dass die Sicherungsverwahrung ein scharfes Instrument im Instrumentenkasten unseres Rechtsstaates bleibt.
Vergleichen wir den Haushalt 2010 mit dem der Vorjahre, stellen wir ein Weiteres fest: Er ist gekennzeichnet
von Kontinuität und Stabilität. Das ist genau die Aufgabe der Rechtspolitik. Das Rechtssystem muss gerade
in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise ein Stabilitätsanker sein.
Die eigentliche Arbeit für die Rechtspolitik beginnt
nun mit der Aufarbeitung der Krise. Unsere Aufgabe ist
es, Konsequenzen aus den Vorfällen zu ziehen und künftigen Krisen vorzubeugen. Dieses Thema - ich sage das
in aller Deutlichkeit - ist zu wichtig, als dass wir es den
Ökonomen überlassen könnten. Das ist eine originäre
rechtspolitische Aufgabe. Einen Wegweiser für die Aufarbeitung der Krise finden wir nicht in Lehrbüchern der
Finanzwirtschaft, sondern vor allem in einem über hundert Jahre alten Buch: im Bürgerlichen Gesetzbuch. Mit
den Rechtsgrundsätzen, die in diesem Buch niedergelegt
sind, sind wir gut gefahren, im Hinblick auf wirtschaftliche Vernunft, aber auch im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit. Diese Grundsätze müssen uns auch bei der Aufarbeitung der Krise leiten. Zu diesen Grundsätzen
gehört, dass Verträge einzuhalten sind; dass Eigentumspositionen zu schützen und Vermögenswerte zu erhalten
sind; dass persönliches Verschulden im Regelfall persönliche Haftung nach sich ziehen muss.
Ein wichtiges Handlungsfeld bei der Aufarbeitung
der Wirtschafts- und Finanzkrise wird das Insolvenzrecht sein. Wir wollen Unternehmen nicht, wie es andere
hier im Hause in den letzten Monaten vorgeschlagen haben, vor dem Insolvenzrecht schützen, sondern wir wollen Unternehmen und Arbeitnehmer mit dem Insolvenzrecht schützen. Dazu zählen etwa die Stärkung und
Weiterentwicklung des Insolvenzplanverfahrens. Wir
wollen stärker dazu kommen, dass das Insolvenzrecht im
Regelfall Unternehmen nicht abwickelt und beendet,
sondern zu einer Sanierung, zu einer Restrukturierung,
also zu einem Neuanfang führt.
Beim Haushaltsplan des Justizministeriums fällt
schließlich ins Auge, dass der größte Ausgabenposten
dieses Haushalts das Deutsche Patent- und Markenamt
in München ist. 176 Millionen Euro lassen wir uns diese
Einrichtung kosten. Es ist hervorragend investiertes
Geld: nicht nur, weil für diese 176 Millionen Euro
295 Millionen Euro zurückfließen - der Sonderfall einer
Bundesbehörde, die mehr einnimmt, als sie ausgibt -,
sondern vor allem auch, weil es eine hervorragende Investition in unsere Volkswirtschaft ist: Patente und
gewerbliche Schutzrechte treiben unsere technische Entwicklung voran, stellen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft sicher und schaffen damit die notwendigen Arbeitsplätze von morgen.
Ich erhoffe mir auch von dem vereinfachten Patentanmeldeverfahren auf europäischer Ebene durchaus eine
positive Wirkung. Ein Element ist bekanntlich die
Onlineanmeldung. Dies ist ein schöner Beleg dafür, dass
das Internet nicht notwendigerweise der Feind des geistigen Eigentums ist. Richtig eingesetzt, kann es auch einen Beitrag zur Stärkung des geistigen Eigentums leisten.
Wir werden die Chancen und Herausforderungen des
Internets in Bezug auf das Urheberrecht sehr ausführlich
und sicherlich mit viel Arbeit und viel Engagement im
sogenannten Dritten Korb des Urheberrechts betrachten.
Ich bin schon der Auffassung, dass hier noch viel zu tun
bleibt. Neue technische Herausforderungen verlangen
auch neue Schutzmaßnahmen. Wer da stehen bleibt, geht
zurück. Wir werden dieses Thema auch zum Gegenstand
einer Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ machen.
Das Internet ist längst mehr als ein rein technisches
Phänomen; es ist vor allem ein gesellschaftliches Phänomen geworden. Gerade die neue Generation des Internets bietet, wie ich finde, faszinierende Möglichkeiten
der Kommunikation. Aber es wäre geradezu töricht, die
Augen davor zu verschließen, dass damit auch wieder
neue Gefahren verbunden sind. Diese gehen heute gar
nicht mehr in erster Linie vom Staat aus, sondern immer
mehr von der Wirtschaft, etwa von monopolartigen Unternehmen wie Google, die ihrerseits ihre Probleme mit
manchen staatlichen Strukturen haben, selbst aber nicht
nur Opfer, sondern auch Täter im Bereich Datenschutzverletzungen, Eigentumsgefährdungen - ich denke an
das Einscannen von Büchern - oder Beschädigungen der
Wettbewerbsfreiheit sind.
Im Internet müssen - das ist für uns alles andere als
eine Worthülse, sondern sehr ernst gemeint - grundsätzlich die gleichen Regeln wie außerhalb dieses Mediums
gelten. Ein neues Medium, so interessant und faszinierend es auch sein mag, kann nicht der Anlass und die
hinreichende Begründung sein, dass wir gewachsene
moralische wie juristische Maßstäbe einfach über Bord
werfen. Wer diese Erkenntnis akzeptiert, muss in der
Konsequenz bereit sein, zu akzeptieren, dass das, was
analog aus gutem Grund verboten ist, verboten bleibt,
auch wenn es denn digital geschieht.
Die Kreativen in diesem Lande - Autoren, Musiker,
Künstler - werden sich deshalb weiterhin auf die Union
und auf die christlich-liberale Regierung verlassen können, wenn es um den Schutz ihrer Persönlichkeits- und
Eigentumsrechte geht: nicht nur um ihrer selbst willen,
sondern auch um der Volkswirtschaft und der Arbeitsplätze in Deutschland willen.
Zum Schluss weise ich nochmals darauf hin, dass wir
hinter dem so bescheidenen Etat des Bundesjustizministeriums einen Berg an Aufgaben haben, die wir in den
kommenden Jahren bearbeiten dürfen. Diese Arbeit
macht deswegen so besonders großen Spaß, weil wir damit zugleich positive Arbeit am Fundament unseres
Rechtsstaates verrichten. Allein dies sollte auch im
neuen Jahr Ansporn genug für kluge Argumente, lebhafte Debatten und dann auch verantwortungsvolle Lösungen sein.
Danke schön.
({6})
Nächster Redner ist der Kollegen Steffen Bockhahn
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Als ich mich daran gemacht habe, zu überlegen,
was zum Justizressort zu sagen wäre, habe ich feststellen
müssen, dass ich dazu neige, eine Motivationsrede halten zu wollen. Ich erwischte mich dabei, dass ich immer
wieder dachte: Man muss die FDP als vermeintliche
Bürgerrechtspartei unterstützen. Das gilt selbstverständlich nur unter der Voraussetzung, dass sie sich daran erinnert, eine solche sein zu wollen, statt nur Politik nach
Spendenlage zu machen.
({0})
Ich kann Ihnen schon jetzt versichern, dass Sie mit der
Linken, wenn es um die Wahrung der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern geht, eine verlässliche Partnerin haben werden.
Wirft man einen Blick in den Koalitionsvertrag, dann
kann man an so mancher Stelle Angst bekommen. Sie
wollen, so ist zu lesen, eine „Erscheinenspflicht von
Zeugen vor der Polizei“ einführen. Mögliche Zeugen
sollen im Ermittlungsverfahren künftig nicht mehr nur
vor dem Richter oder dem Staatsanwalt erscheinen müssen. Sie wollen, dass man auch dazu verpflichtet werden
kann, vor der Polizei auszusagen. Mit Verlaub, meine
Damen und Herren von der Koalition, eine saubere Gewaltenteilung geht anders.
({1})
Vermutlich verfolgen Sie dieses Ziel, weil Sie feststellen, dass die Gerichte und Justizbehörden in
Deutschland überlastet sind. Diese Feststellung ist richtig. Die Lösung, die Sie vorschlagen, ist aber eindeutig
nicht das geeignete Mittel.
Besser wäre es, wenn Sie dafür sorgen würden, dass
die Länder in die Lage versetzt werden, das nötige Per1210
sonal zur Verfügung zu stellen, damit Ermittlungen
schneller geführt und Prozesse rascher begonnen werden
können. Das betrifft nicht zuletzt diverse Prozesse zur
Steuerhinterziehung, die wegen Verjährung nicht mehr
geführt werden können. Auf diese Weise gehen dem
Staat jedes Jahr aufs Neue Unsummen verloren.
Die Überlastung der Gerichte hat selbstverständlich
auch viel mit der Politik der Bundesregierung in anderen
Bereichen zu tun. Wer unsoziale, aber auch handwerklich schlechte Gesetze wie Hartz IV durchsetzt, muss damit leben, dass es viele Klagen dagegen gibt und die Sozialgerichte vor gigantischen Verfahrensbergen sitzen.
({2})
- Wenn es nicht so berechtigt wäre, gegen Hartz IV zu
klagen, dann müsste man es nicht tun. Wenn Sie ordentliche Gesetze mitverabschiedet hätten, dann wäre die
Lage vielleicht nicht so dramatisch.
({3})
Aber diesen Verfahrensstau gibt es nicht nur bei den
Gerichten, die unter die Zuständigkeit der Länder fallen.
Auch bei den Bundesgerichten haben wir es mit langen
Wartezeiten zu tun. Doch auch daran ändert sich nichts,
obwohl Sie die Möglichkeit dazu hätten. Wo nicht über
Probleme gesprochen wird, da gibt es auch keine. Also
wird nicht darüber geredet, und folglich wird auch nicht
die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den
Bundesgerichten erhöht. Leider bleibt es damit bei den
langen Wartezeiten.
Dadurch, dass Sie die Judikative nicht in der Form
stärken, wie es erforderlich wäre, schwächen Sie sie
zwangsläufig. Das führt dazu, dass sie als eine stabile
und gleichberechtigte Säule im Rahmen der Gewaltenteilung unter Druck gerät. Keiner hier will das, und keiner sollte das wollen; denn damit wäre die Demokratie
ernsthaft in Gefahr.
Das Justizministerium hat die Aufgabe, Gesetzgebung und Gesetzanwendung im Bereich Justiz auf nationaler und internationaler Ebene zu ordnen und anzuwenden. Aufgabe ist es aber auch, die Grundrechte der
Bürgerinnen und Bürger zu schützen und die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung zu garantieren.
Gerade die jüngste Gesetzgebung zur Bekämpfung
von Terrorismus macht eine gründliche Überprüfung erforderlich. Hier wird massiv in die Grundrechte eingegriffen, sei es die Verletzung der Privatsphäre, die Speicherung von Daten oder die heimliche Überwachung der
Bürgerinnen und Bürger. Ein besonderes Problem stellt
dabei aus meiner Sicht immer wieder der § 129 a des
Strafgesetzbuches dar. Allein der Verdacht, dass jemand
eine terroristische Vereinigung gebildet hat, erlaubt dem
Staat Unglaubliches.
Die Freiheitsrechte der Betroffenen werden de facto
abgeschafft. Betroffene haben kaum Möglichkeiten, sich
zu wehren, und die Unschuldsvermutung zugunsten der
Verdächtigen ist allenfalls rudimentär erhalten geblieben. Personen im Umfeld der Verdächtigen werden vorsorglich mit überwacht. Ob es einen Verdacht gibt, ist
egal. Allein miteinander telefoniert zu haben, kann
schon ausreichend sein.
Bei aller Einigkeit über die Notwendigkeit eines umfassenden Schutzes der Bevölkerung: Das geht zu weit
und hat mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nur noch bedingt zu tun.
({4})
Eine verlässliche, gründliche und schnelle Justiz ist
ein Wesensmerkmal funktionierender Demokratien. Es
wird Zeit, dass wir neben verlässlich und gründlich auch
wieder etwas schneller werden, aber nicht mit Schnellgerichten, sondern mit der erforderlichen Ausstattung.
Vertrauen der Menschen in die Demokratie und
die Justiz hängen auch davon ab, ob es gleiche Voraussetzungen für alle vor den Gerichten gibt. Wenn es aber
in so manchem Rechtsstreit nur darum geht, wer länger
durchhält, weil er das nötige finanzielle Polster für die
Zeit bis zur abschließenden gerichtlichen Entscheidung
hat, dann ist dieses Vertrauen gestört. Leider häufen sich
die Fälle, in denen es wie eben beschrieben läuft.
Statt neues Personal an den Bundesgerichten einzustellen, leistet das Ministerium für 3,8 Millionen Euro
„Beratungshilfe für den Aufbau von Demokratie und
Marktwirtschaft“. Ich habe an der juristischen Fakultät
einer staatlichen Universität in Deutschland gelernt, dass
das Grundgesetz keine Wirtschaftsordnung vorgibt, also
auch nicht die Marktwirtschaft. Das ist auch gut so, und
das sollte so bleiben.
({5})
- Nein, das haben Sie falsch verstanden. Ich habe nicht
gesagt, dass es der Sozialismus sein muss, auch wenn
das ein Fortschritt wäre.
Mit dieser Unterstützung wird aber ganz gezielt eine
bestimmte Wirtschaftsordnung in anderen Ländern im
Auftrag der Bundesrepublik gefördert. Unabhängig davon, dass ich meine, dass es sich um die falsche Wirtschaftsordnung handelt: Wer kommt eigentlich auf die
Idee, diese kapitalistische Wirtschaftsordnung mit ihrer
sozialen Spaltung und der Ausbeutung von Mensch und
Natur anderen Ländern auch noch überzuhelfen? So etwas macht man doch nur, wenn man die anderen nicht
leiden kann.
({6})
Ungarn und weitere Staaten Osteuropas, die von uns
beraten wurden, stehen oder standen vor dem Staatsbankrott. Das ist aber kein Zufall, sondern im Ergebnis
eine Folge dieser Wirtschaftsordnung, die hier verbreitet
werden soll. Es gibt aber einen Unterschied zwischen
der Hilfe beim Aufbau demokratischer Strukturen - dieser ist gewollt - und der Implementierung einer bestimmten Wirtschaftsordnung. Hier wäre es besser, das
eine zu tun und das andere zu lassen.
({7})
Herr Kollege Bockhahn, das war Ihre erste Rede in
diesem Haus. Ich gratuliere herzlich und wünsche Ihnen
für die weitere Arbeit viel Erfolg.
({0})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Ingrid
Hönlinger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“
Dieses Bild von Hermann Hesse wollte die schwarzgelbe Koalition gleich nach der Wahl für ihre Regierungsführung vermitteln. Wir erinnern uns: Die Versprechen des Traumpaares Merkel/Westerwelle hörten sich
wie himmlisches Glockengeläut an. Doch was ist daraus
geworden? Wir wurden Zeugen, wie es bei Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP,
schon quasi in der Hochzeitsnacht zum großen Krach
kam. Trotz Ihrer Dauerstreitigkeiten haben Sie ein Erstgeborenes zustande gebracht. Sie gaben ihm einen äußerst attraktiven Namen. Sie nannten es „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“. Leider müssen wir bei näherer
Betrachtung feststellen: Dieses Erstgeborene ist genauso
wie Ihr Ehevertrag, also Ihr Koalitionsvertrag, ein Pflegefall.
({0})
Sie müssen ständig nachpäppeln, nachfüttern und trockenlegen.
({1})
- Ja, das mache ich.
In meiner Rede zum Haushalt und zur Rechtspolitik
will ich drei zentrale Punkte hervorheben. Erstens. Die
FDP hat in ihrem Wahlprogramm zum Thema Rechtspolitik formuliert:
Wir brauchen eine Neuausrichtung der Rechtspolitik … Von der Rechtspolitik müssen entscheidende
Impulse ausgehen für eine moderne und aufgeklärte
Bürgergesellschaft.
Wie sieht nun in dieser Koalition eine moderne Bürgergesellschaft aus. Sie haben beschlossen: Sie wollen
die Höchststrafe für junge Menschen, die einen Mord
begangenen haben, von 10 auf 15 Jahre erhöhen. Das
soll nicht nur für Heranwachsende gelten, sondern auch
für Jugendliche, für die 15 Jahre eine unermesslich lange
Lebenszeit sind.
({2})
- Doch, im Koalitionsvertrag. - Das planen Sie, obwohl
die abschreckende Wirkung einer solchen Maßnahme
bisher nicht belegt ist.
({3})
Da betreiben Sie reine Symbolpolitik.
({4})
Sie wollen einen Warnschussarrest für jugendliche
Straftäter einführen. Wir alle kennen die hohe Rückfallquote bei stationären Maßnahmen. Besteht nicht die Gefahr, dass Jugendliche im Arrest nicht einen Warnschuss
erhalten, sondern sich als Straftäter professionalisieren?
Sie wollen zudem - das hat auch die Ministerin betont die Sicherungsverwahrung reformieren. Wir befürchten,
dass es nicht zu Reformen, sondern zu einem Ausbau
kommt, und das trotz aller verfassungsrechtlicher Bedenken. Frau Ministerin, das alles sind Schritte rückwärts, hin zu alten autoritären Rechtsformen. Dafür bekommen Sie unsere Unterstützung nicht.
({5})
Wir brauchen eine zukunftsorientierte Rechtsauffassung, die mehr Begleitung und Beratung vor allem für
jugendliche Straftäter sowie mehr integrative Maßnahmen beinhaltet. Wir brauchen mehr Zivilcourage und
Vorbildprojekte. Damit können wir die gesellschaftlichen Selbstregulierungsprozesse fördern. Wir brauchen
zudem mehr alternative Konfliktlösungsverfahren. Dazu
gehören Schlichtung und Mediation. Wir brauchen weniger Repression und mehr Prävention.
({6})
Zweitens. Wie sieht die zugesagte Wende bei den
Bürgerrechten aus? Sie blasen den Großen Lauschangriff nicht ab. Sie behalten die Vorratsdatenspeicherung
bei. Natürlich müssen wir die innere und äußere Sicherheit sehr ernst nehmen. Aber Angst ist diesbezüglich ein
schlechter Ratgeber. Vielmehr brauchen wir gerade bei
diesem Thema ein Höchstmaß an Augenmaß sowie eine
sachliche und rationale Abwägung. Wir dürfen die Angst
nicht die rationale Abwägung besiegen lassen. Für uns
Grüne ist klar: Wir brauchen so viel Sicherheit wie nötig,
aber auch so viel Freiheit wie möglich. Ohne Freiheit
gibt es für uns keine Sicherheit.
({7})
Drittens. Die Rechtspolitik steht in einem engen Verhältnis zum Rechtsempfinden der Bürgerinnen und
Bürger. Da ist es gut, dass das Bundesministerium der
Justiz - das wurde schon gesagt - finanziell sehr gut dasteht; 83 Prozent der Ausgaben werden durch eigene
Einnahmen gedeckt. Wie aber sieht es in dieser Koalition bei dem Rechtsverständnis im Hinblick auf die soziale Ausgewogenheit aus? Als Beispiel nenne ich das
Mietrecht, das von Kollegin Lambrecht ebenfalls schon
angesprochen wurde. Unser jetziges Mietrecht stellt einen Ausgleich zwischen zwei ungleichen Partnern her.
Jetzt will die schwarz-gelbe Koalition die Rechte der
Vermieter zulasten der Mieter stärken. Die Kündigungsfristen sollen gleichgesetzt werden, Sanierungen sollen
nicht mehr zur Mietminderung berechtigen, und mietrechtliche Ansprüche sollen leichter vollstreckt werden
können. Das heißt im Klartext: Sie machen die Starken
stärker und schwächen die Schwachen.
({8})
Ein weiteres Beispiel ist die Beratungs- und Prozesskostenhilfe. Sie wollen der „missbräuchlichen Inanspruchnahme“ von staatlichen Leistungen entgegenwirken. Dabei dürfte doch allen klar sein, dass die hohe
Zahl der Prozesskostenhilfezahlungen auch durch die
Flut von Hartz-IV-Klagen, die wir alle wahrnehmen, bedingt ist. Es ist aber nicht der richtige Weg, an der Prozesskostenhilfe herumzudoktern. Vielmehr muss das
Sozialgesetzbuch II dringend reformiert werden. Damit
bekommen wir die Probleme viel besser in den Griff.
Für uns Grüne sind Prozesskosten- und Beratungshilfe
ein wichtiger Zugang zur Justiz. Die Justiz muss allen
Bürgerinnen und Bürgern offenstehen.
({9})
Ein weiteres Beispiel ist die Anwaltsvergütung im
Ausländer- und Asylrecht sowie im Sozialrecht. Die Gegenstandswerte bzw. die Rahmengebühren sind so niedrig, dass nur noch Idealisten in diesen Bereichen arbeiten. Zum Beispiel liegt der Gegenstandswert für
Diplomprüfungen an der Hochschule bei 15 000 Euro,
für Waffenscheine bei 7 500 Euro, für Asylverfahren, bei
denen es um Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit geht, aber lediglich bei 3 000 Euro. Da sind die
Prioritäten falsch gesetzt, und wir müssen dringend
nachbessern, um auch den Schwächeren einen ordentlichen Zugang zum Recht zu gewährleisten.
({10})
Ich komme zum Schluss. In Ihrem Koalitionsvertrag
haben CDU/CSU und FDP schriftlich erklärt:
Wir fördern den Dienst am Anderen und fordern
Solidarität für eine menschliche Gesellschaft.
Bei Lichte betrachtet stellen wir fest: Ihren schönen
Worten folgen entgegengesetzte Taten. Sie fördern mit
Ihrer Politik den Egoismus einzelner gesellschaftlicher
Gruppen und erschweren den Dienst am anderen. Im
Kern führt Ihre Politik zu einer weiteren Vertiefung der
Spaltung der Gesellschaft. Außerdem vergrößern Sie mit
Ihrer Rechtspolitik die Kluft zwischen Arm und Reich in
dieser Gesellschaft. Aber das Gute daran ist: Noch keine
Regierung wurde so schnell entzaubert wie Ihre. Die
Bürgerinnen und Bürger haben längst erkannt, dass nicht
nur Ihre Versprechungen in der Finanz-, Steuer- und
Wirtschaftspolitik, sondern auch in der Rechtspolitik auf
tönernen Füßen stehen. Bei Ihnen ist einfach nicht das
drin, was draufsteht.
({11})
Ich fasse zusammen: Bei Ihnen von der Regierungskoalition kann ich keinen Zauber und auch keinen Neuanfang wahrnehmen, weder beim Schutz der Bürgerrechte noch bei der sozialen Ausgewogenheit und erst
recht nicht bei einer Justiz, die allen Bürgerinnen und
Bürgern dient. Ihr schwarz-gelber Zauber hat keine
100 Tage gehalten. Es ist wichtig, dass in Zukunft auf
der Regierungsbank andere Farbkombinationen zu finden sind.
Vielen Dank.
({12})
Frau Kollegin Hönlinger, auch für Sie war dies die
erste Rede in diesem Haus. Auch Ihnen gelten mein
Glückwunsch und meine besten Wünsche für Ihre weitere Arbeit.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Florian Toncar für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Im Mittelpunkt der Rechts- und Justizpolitik der
Koalition stehen der Bürger und die Bürgerin. Das bezieht sich sowohl auf die Justiz, die wir mit Haushaltsmitteln auszustatten haben, als auch auf die rechtspolitischen Themen, auf die ich im Anschluss daran eingehen
möchte.
Wir haben in Deutschland eine hohe Qualität der
Rechtsprechung, trotz immenser Belastungen der Gerichte auch des Bundes durch Verfahren, die beispielsweise den Bezug von Arbeitslosengeld II betreffen. Die
Zahlen sind immens hoch. Die Belastung betrifft aber
auch die Finanzgerichte, weil das Steuerrecht längst viel
zu kompliziert geworden und nicht mehr handhabbar ist.
Diese Arbeitsbelastung sehen wir. Sie setzt sich im Ministerium fort, das - auch das muss man einmal an dieser
Stelle festhalten - in den letzten 15 Monaten im Zuge
der Krise erhebliche zusätzliche Arbeit in kürzester Zeit
erledigen musste. Wir sehen die Belastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Justiz und im Ministerium und würdigen sie. Hinzu kommen Aufgaben, die in
Zukunft eine stärkere Rolle spielen und die die Versorgung betreffen werden. Insbesondere die demografische
Entwicklung verdient im Haushalt des Ministeriums besondere Beachtung.
Der Haushalt des Justizministeriums ist ein Personalhaushalt. 78 Prozent der Ausgaben werden für Personal
ausgegeben. Wir als Koalition wollen dafür Sorge tragen, dass auch in diesen Zeiten und im Zuge dieser
Haushaltsberatungen das Möglichste getan wird, damit
die Justiz im Interesse der Bürger, nicht in ihrem eigenen
Interesse, ihre Aufgaben erfüllen kann.
Die Bürgerinnen und Bürger stehen aber auch im Mittelpunkt unserer Rechtspolitik. Ich finde es schon bemerkenswert, dass man sich nach drei Monaten in der
Regierung anhören muss, was man alles noch nicht gemacht hat. Frau Kollegin Lambrecht, das geht an Ihre
Adresse. Ich habe Ihre Rede so verstanden - das verwirrt
mich offen gestanden -, dass Sie uns darum gebeten haben, jetzt die Fehler auszumerzen, die Sie in elf Jahren
gemacht haben. Ich kann Ihnen versprechen: Wir tun es.
({0})
Wir tun es schrittweise, aber wir werden das sicherlich
nicht in drei Monaten machen können; denn dafür ist es
viel zu viel, was zu tun wäre.
({1})
Sie haben das Stichwort SWIFT genannt. Man rechnet mit vielem, aber es ist schon sehr mutig, was Sie da
machen; denn das Abkommen SWIFT in der Form, in
der es jetzt für neun Monate in Kraft gesetzt worden ist,
ist in den Verhandlungen von der alten Bundesregierung
- das wissen Sie in Wahrheit ganz genau; das ist für Sie
überhaupt nichts Neues - vorbereitet worden, und zwar
federführend von Ressorts, in denen Ihre Minister Verantwortung getragen haben.
({2})
Sie wissen auch, dass in neun Monaten eine neue Fassung dieses Abkommens in Kraft sein wird. Ich kann Ihnen sagen - darüber ist sich die Koalition einig; denn das
steht so im Koalitionsvertrag -,
({3})
dass die Standards, die in dem jetzt gültigen Abkommen
gelten, mit Sicherheit in neun Monaten nicht mehr dieselben sein werden. Sie sollten uns jetzt die Möglichkeit
geben, das zu korrigieren, und zwar durch eine vernünftige Vorbereitung der Verhandlungen, was Ihnen unter
Ihrer Federführung nicht gelungen ist.
({4})
Sie sollten den Wählerinnen und Wähler gegenüber so
ehrlich sein, zu sagen, wer die Verantwortung für das
heutige Abkommen trägt, und das sind Sie.
({5})
Herr Kollege Bockhahn, Sie haben über Bürgerrechte gesprochen. Ich registriere, dass das Ihre Erstlingsrede war, und deshalb muss man nachsichtiger sein.
Sie haben gehörige Vorwürfe erhoben. Man hört so einiges, wie Sie in Ihrer Partei miteinander umgehen und
wer vielleicht wen überwacht. Ich will das nicht bewerten, aber wenn davon nur die Hälfte wahr ist, dann sollten Sie anderen keine Vorträge über Bürgerrechte halten;
das an die Adresse der Linken.
({6})
Ich will deutlich sagen - auch die Ministerin hat das
eigentlich angesprochen -, was sich in den nächsten Monaten dieses Jahres verändern wird. Wir werden - das ist
für die Bürgerinnen und Bürger ein ganz wichtiger
Punkt - den Schutz der freien Berufe verbessern, und
zwar insbesondere im Strafverfahren. Da geht es beispielsweise um die von Ihnen eingeführte Ungleichbehandlung von Rechtsanwälten. Im Sinne der Bürger ist
das nun wirklich nicht; denn es geht hier nicht um den
Schutz einer Berufsgruppe, sondern darum, dass sich der
Bürger, der zu einem Rechtsanwalt oder einem Strafverteidiger geht, darauf verlassen kann, dass das, was er
dort bespricht, der Vertraulichkeit unterliegt. Dieses Gesetz ist im Sinne der Bürger zu ändern. Genauso steht es
im Koalitionsvertrag. Diese Linie ist sehr wohl anders
als das, was Sie in den letzten Jahren hier gemacht haben.
({7})
- Herr Kollege Montag, Sie wissen, dass wir uns um dieses Thema kümmern werden. Wir werden natürlich versuchen, für alle Berufsgeheimnisträger den bestmöglichen Schutz zu erreichen, der notwendig ist; denn bei
diesen Berufsgruppen ist das Vertrauen des Kunden in
das persönliche Verhältnis zu demjenigen, zu dem er
geht, von grundlegender Bedeutung.
Es gibt einen weiteren wichtigen Punkt: Das ist der
Schutz der Presse. Sie wissen, dass es in den letzten
Jahren auch hier zu Fehlentwicklungen gekommen ist.
Das ist übrigens ebenfalls unter Ihrer Verantwortung geschehen. Ich bewundere Ihr Selbstbewusstsein - das gestehe ich Ihnen zu -; ich lasse Ihnen aber nicht durchgehen, dass Sie das alles hier unterschlagen. Wir werden
uns darum kümmern, dass Journalisten ihren Auftrag,
sich für die Bürgerinnen und Bürger zu informieren, Bescheid zu wissen, wahrnehmen können, beispielsweise
dadurch, dass ihnen nicht mit Anzeigen wegen Geheimnisverrats gedroht werden kann. Es bedarf einer praktikablen Neuregelung, die gewährleistet, dass die Tätigkeit von Journalisten nicht gefährdet wird.
Mein letzter Punkt ist das Thema Mietrecht. Ich
glaube, es grenzt an Unterstellung, zu sagen, dass der soziale Charakter des Wohnungsmietrechts verändert werden soll. Dieser Charakter bleibt erhalten. Er hat seine
Berechtigung. Es ist ein Unterschied, ob man ein Auto
oder eine Wohnung mietet.
({8})
Aber Sie müssen auch sehen, dass es in den letzten Jahren Fehlentwicklungen gegeben hat - Mietnomaden und
Ähnliches -, die nicht nur zulasten der Vermieter, sondern auch zulasten der Mieter gegangen sind: Sie müssen im Ergebnis mitbezahlen; denn am Ende wird Wohnraum vielleicht knapper, oder Vermieter müssen Ausfälle
in die Höhe der Miete einkalkulieren. Ich würde mir
schon wünschen, dass Sie auch das Problem sehen, dass
redliche Mieter über die Miete ein Stück weit für Miet1214
nomaden und andere Probleme, die wir in diesem Bereich haben, mitbezahlen.
({9})
Das werden wir angehen. Auch das dient den Bürgern.
Die Koalition ist auf einem guten Weg.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Peter Danckert für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Frau Ministerin, lassen Sie mich zunächst ein persönliches Wort sagen. Ich bin sehr froh, dass Sie wieder
in Amt und Würden sind. Es ist nicht so, dass ich mit Ihrer Vorgängerin, Frau Zypries, nicht zufrieden gewesen
wäre. Die Umstände, die Sie seinerzeit veranlasst haben,
aus dem Amt auszuscheiden, waren aber schon sehr bemerkenswert und haben gezeigt, dass Sie einen hohen
moralischen Anspruch haben, auch an sich selber. Ich
hoffe, dass in dieser neuen Regierung dieser hohe Anspruch erhalten bleibt und Sie nicht etwa über die Jahre
leidensfähiger geworden sind. Ich habe an Sie die Hoffnung und Erwartung, dass Sie immer Ihre Rolle als Hüterin unserer Verfassung im Auge haben und gegebenenfalls wieder so handeln, wie Sie schon einmal
handeln mussten. Ich wiederhole: Das hat damals, jedenfalls bei mir, großen Respekt hervorgerufen.
Die Thematik, die wir heute Morgen in der Geschäftsordnungsdebatte behandelt haben, war eine
ganz besondere. Es gibt sicher den einen oder anderen,
der sagt: Wir hätten uns das alles sparen können; die
Mehrheitsverhältnisse waren klar. Ich glaube jedoch, wir
haben uns nicht durch diese Debatte geschadet, sondern
durch das, was dieser Debatte vorausgegangen ist.
Heute ist mehrfach gesagt worden, dass sich auch
schon die Grünen zur Halbierung des Mehrwertsteuersatzes bekannt haben. Es ist auf das verwiesen worden,
was die SPD 1998 gemacht hat. Das ist doch gar nicht
das Thema. Man kann darüber streiten, ob eine Reduzierung der Mehrwertsteuer vom Grundsatz her im Sinne
der Harmonisierung in Europa sogar sinnvoll sein kann.
Ein Punkt ist jedenfalls anders als 1998: Die Haushaltslage hat sich grundlegend verändert. Die Frage, die uns
alle, auch die Öffentlichkeit, bewegt, ist deshalb: Ist das
eigentlich der richtige Zeitpunkt gewesen? Wir befinden
uns in einer Situation, in der allein die Nettokreditaufnahme des Bundes rund 86 Milliarden Euro beträgt, bei
einem Finanzierungssaldo von Bund, Ländern und Kommunen - auch das müssen wir im Auge haben - von
144 Milliarden Euro. Das ist ja eine extreme Ausnahmesituation. Wenn man in einer solchen Situation diesen
Schritt macht, muss das schon gut begründet sein.
Nun kommt etwas hinzu, was die Sache so anrüchig
macht, nämlich der Umstand, dass Sie vor dieser Entscheidung, die Sie dann ja auch nachhaltig umgesetzt haben, drei Parteispenden in Höhe von insgesamt 1,1 Millionen Euro bekommen haben. Das ist aus meiner Sicht
der entscheidende Punkt, nicht der, dass Sie diesen
Schritt überhaupt gemacht haben. Diese Zahlungen sind
zwar angezeigt worden und insofern verfahrensmäßig in
Ordnung, aber wir müssen uns einfach einmal vergegenwärtigen, welch verheerenden Eindruck das außerhalb
des Parlamentes - wir sind ja mehr oder weniger alle
Profis und können mit solchen Dingen umgehen, können
darüber debattieren - hervorgerufen hat. Wie sieht es
aber draußen aus? Der Bürger, der diesen Vorgang ja irgendwie zur Kenntnis nehmen muss, muss doch den
Eindruck haben, dass es hier nicht nur einen zeitlichen
Zusammenhang gibt, sondern darüber hinaus auch einen
kausalen Zusammenhang. Das macht diesen Vorgang so
schwierig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Lindner?
Im Moment nicht. Nachher gibt es dafür vielleicht andere Gelegenheiten.
({0})
Diese Situation hat dem Ansehen unseres Staates
und auch von uns allen - da nehme ich keinen aus schwer geschadet. Ich glaube, wir werden dieses Gespenst so schnell nicht wieder los, zumal es ja im Zusammenhang mit vielen anderen Ereignissen steht. Ich
erinnere mich sehr gut an den Untersuchungsausschuss,
dessen Mitglied ich kurz nach meiner Wahl ins Parlament 1998 wurde. Ich will all das hier nicht ausbreiten.
Da sind ja einige sehr peinliche Dinge offenbar geworden. Wenn wir heute schon mehr wüssten, als öffentlich
bekannt geworden ist, dann würden wir darüber vielleicht noch anders reden. Ich persönlich wüsste zum Beispiel sehr gerne, wer da mit wem über was geredet hat.
Das bekommen wir aber vielleicht bei anderer Gelegenheit heraus. So viel dazu.
Ich möchte jetzt nicht, Frau Ministerin, über jeden
einzelnen Punkt reden, der zu Ihrem Ressort in der Koalitionsvereinbarung steht, sondern eher über das, was
nicht im Koalitionsvertrag steht.
Wenn man einmal alle Regelungen zum Kapitalmarkt zusammenzählt, dann stellt man fest, dass es zwei
bis drei Dutzend Bestimmungen mit Spezialverweisungen gibt, die über viele Gesetze verstreut sind, also
ein völlig unübersichtliches Gebiet. So hat sogar im
Mannesmann-Prozess, jedenfalls nach dem ersten
Durchgang, das Gericht einen unvermeidbaren Verbotsirrtum konstatiert. Angesichts der Experten, die davon
betroffen waren, kann man sich zwar fragen, wieso es
für sie unvermeidbar war. Aber das ist eine andere Sache. Wir müssen hier - das ist auch Ihre Aufgabe - für
Klarheit sorgen, damit nicht der Verdacht entsteht, dass
einzelne kleine Täter gnadenlos verfolgt werden, aber in
anderen Bereichen der Staat aus unterschiedlichen Gründen nicht einmal in der Lage ist, Ermittlungsverfahren
einzuleiten, zum Beispiel weil die Gesetzeslage sehr
kompliziert ist oder weil die Beweislage im Einzelfall
kompliziert ist. Wenn wir an dieser Stelle nicht zu einer
stringenten Lösung kommen, dann haben wir versagt;
dann kritisiert uns auch mit Recht die Öffentlichkeit.
Meine herzliche Bitte an Sie: Versuchen Sie einmal in
Ihrem Hause die Regelungen zu durchforsten. Daraus
könnten sich dann ja auch neue Hinweise ergeben. Wir
haben nicht mehr die gleiche Situation wie vor 50 oder
100 Jahren; wir müssen mit unserem Strafgesetzbuch
auch auf neue Sachverhalte reagieren können, selbst
wenn sie völlig neue Herausforderungen auch für die
Staatsanwaltschaften und die Gerichte darstellen.
Zum Schluss noch eine Sache, die mir persönlich sehr
am Herzen liegt. Im September dieses Jahres jährt sich
zum 30. Mal das Attentat auf das Oktoberfest in München. Ein einzelner Mann, der dabei zu Tode gekommen
ist, gilt als Alleintäter. Es gibt inzwischen reichlich neue
Informationen. Ich empfehle Ihnen und auch unserem
Innenminister, sich diese einmal genau anzusehen. Inzwischen gibt es zum Beispiel mehrere Veröffentlichungen, so ein Buch von Tobias von Heymann, mit dem sich
auch die Generalbundesanwaltschaft beschäftigt. Hier
finden sich ernst zu nehmende Hinweise, dass es sich
nicht um einen Einzeltäter handelte, sondern dass zumindest im Umfeld mehrere andere, die heute noch leben, daran mitgewirkt haben. Mord verjährt nicht. Es besteht für uns gegenüber den Opfern die Verpflichtung,
diese Sache wieder aufzugreifen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass bei einer Tat, die nicht verjährt,
durch die Behörden Beweismittel vernichtet werden,
nach dem Motto: Das braucht man nicht wieder aufzugreifen. Ich habe auch kein Verständnis dafür, dass das
LKA Bayern es damals geschafft hat, das BKA und die
Generalbundesanwaltschaft aus dem Fall herauszuhalten. Das sind Fakten.
Meine herzliche Bitte: Nehmen Sie dieses traurige Jubiläum zum Anlass, noch einmal nachdrücklich darauf
hinzuwirken - das würde vielleicht auch bedeuten, dass
die Generalbundesanwaltschaft zwei, drei oder vier neue
Mitarbeiter benötigt; das ist also auch ein haushaltsrechtlicher Hinweis -, dass dieses Geschehen mit den Möglichkeiten, die wir heute haben, aufgeklärt wird.
Ein allerletzter Satz zu den Opfern. Sie haben ja auf
den Fonds hingewiesen. Der Kollege Krings hat zu
Recht von rechten und linken Straftaten gesprochen. Da
bin ich Ihrer Meinung. Aber es ist einfach ein Skandal,
dass ein elfjähriger Junge, der damals nur deshalb überlebt hat, weil sein Bruder vor ihm stand, die meisten
Splitter abgehalten hat und dadurch zu Tode gekommen
ist, der aber noch heute diverse Splitter im Körper hat,
nur marginal und erst in den letzten Jahren - nach über
zwei Jahrzehnten - entschädigt worden ist. Dafür habe
ich kein Verständnis. Wir können nicht nur Reden halten
und Entschädigungsfonds für die Opfer fordern, wenn es
im Einzelfall nicht gelingt, diese Menschen, die schwer
gelitten und Angehörige verloren haben - in diesem Fall
drei Geschwister -, für den körperlichen Schmerz und
die anhaltenden Verletzungen zu entschädigen. Deshalb
meine herzliche Bitte: Kümmern Sie sich darum; dann
erweisen Sie unserem Rechtsstaat einen guten Dienst!
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun der Kollege Dr. Lindner.
Herr Danckert, ich spreche Sie als Berliner Abgeordneter an, weil auch Sie aus Berlin stammen. Sie haben
einen wesentlichen Teil Ihrer Rede darauf verwendet,
die Diskussion, die wir heute Vormittag in der Geschäftsordnungsdebatte hatten, wieder aufzugreifen. Ich
frage Sie - ich kenne Sie als einen Mann von Verstand -:
Glauben Sie ernsthaft, dass wir, wenn wir diese Spende
nicht erhalten hätten, unsere Forderung nach Absenkung
der Mehrwertsteuer für Hoteliers und Gastronomie rückgängig gemacht hätten? Glauben Sie, dass wir gesagt
hätten: „Der Baron Finck hat uns nicht gespendet, jetzt
ändern wir das Wahlprogramm, das wir 2007 aufgestellt
haben“?
({0})
Das ist doch völlig abwegig; das wissen Sie ganz genau.
Ich sage Ihnen: Ausgerechnet als Berliner SPD-Mann
sind Sie der Allerletzte, der in unsere Richtung solches
zu adressieren hat. Schon vor 2001 war Ihre Partei in
Berlin in der Regierung und hat unter anderem die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe vorangetrieben. Das ist unter Ihrer Regierungsverantwortung
geschehen. Die Berlinwasser Holding, die dann teilprivatisiert war, hat 2001 im Wahlkampf nichts Besseres
gewusst, als ein Fundraising-Dinner zugunsten von
Klaus Wowereit und der SPD auszurichten.
({1})
Da hat sogar die Staatsanwaltschaft ermittelt, Herr
Danckert; das wissen Sie ganz genau. Deswegen sind
Herr Wowereit und Sie als Berliner SPD-Leute die Allerletzten, die uns Freien Demokraten irgendetwas zum
Thema Parteispenden oder Ähnliches zu adressieren haben. Si tacuisses, philosophus mansisses.
({2})
Herr Kollege Danckert, bitte.
Herr Kollege Lindner, Sie sind ja neu im Parlament.
Deshalb möchte ich Ihnen den Hinweis geben, dass ich
Brandenburger Sozialdemokrat bin
({0})
und den Wahlkreis seit 1998 viermal direkt gewonnen
habe. Das ist Ihnen vielleicht entgangen, weil ich früher
in Berlin Strafverteidiger war. Das ist allerdings richtig.
Da habe ich reichlich Erfahrung. Von den Dimensionen
her - wir haben es eben gehört: Spende in Höhe von
1,1 Millionen Euro - vermute ich, dass das FundraisingDinner - ich kenne den Sachverhalt nicht genau - im
Bereich von 5 000 Euro liegt. Soweit ich mich erinnere,
ist das Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang
eingestellt worden. Was soll also dieser Hinweis?
Für die Bemerkung, dass ich bei Verstand bin, bedanke ich mich bei Ihnen. Das ist aber bekannt.
({1})
Nun hat das Wort der Kollege Michael GrosseBrömer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Ministerin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Rechtspolitik erfordert nur
einen kleinen Haushalt; das ist wahr. Aber die Rechtspolitik, so glaube ich, hat eine große Bedeutung. Dies
wird auch dadurch deutlich, dass sich der Kollege
Dr. Danckert Mühe gegeben hat, nur ganz spezielle
Punkte der Rechtspolitik aufzuzeigen, nämlich Punkte,
die mit Spenden zu tun haben. Am Anfang seiner Rede,
als er die Ministerin gelobt hat, dachte ich noch, er
würde Altersweisheit zeigen.
({0})
Wenn wir in der Rechtspolitik anfangen, die Geschäftsordnungsdebatte von heute Morgen ansatzweise
aufzugreifen, dann ist das erstens der Sache nicht dienlich, weil diese Debatte schon geführt wurde.
({1})
Zweitens sollten wir uns Mühe geben, die Forderung der
Opposition, der Demokratie nicht zu schaden, zu erfüllen. In diesem Zusammenhang müssen wir einmal feststellen: Spenden sind in einer Demokratie per se nichts
Schlechtes. Sie sind dann schlecht für eine Demokratie,
wenn mit ihnen gewisse politische Entscheidungen gekauft werden.
({2})
Ich kann Ihnen sagen: Den Nachweis, dass dies in diesem Falle zutrifft, haben Sie weder heute Morgen noch
in Ihrer Rede erbracht.
({3})
Hören Sie also auf, Spenden zu skandalisieren!
Grundsätzlich zu unterstellen ({4})
- zu Ihnen komme ich gleich auch noch -,
({5})
Politik sei käuflich, macht die Sache schwierig. Man
könnte nämlich einmal auflisten, von wem die Grünen
und auch die SPD Spenden bekommen. Man kann dieses
Thema zwar problematisieren, aber wir sollten auch so
ehrlich sein, zu sagen: Es ist kein Skandal, solange ein
Zusammenhang zwischen Spende und Käuflichkeit nicht
nachgewiesen ist. Der Nachweis dieses Zusammenhangs
ist durch Ihre Debattenbeiträge, von heute Morgen angefangen, nicht erbracht worden.
({6})
Wir sollten also ein bisschen vorsichtiger sein. Wir haben da in der Tat eine Verantwortung.
Zu den Linken will ich sagen: Sie haben in der Tat ein
besonderes Talent, nämlich das Talent, bestimmte Begriffe in die Debatte einzuführen. Wir wetten immer,
wann die Wörter Hartz IV, Ausbeutung oder Überwachung fallen. Man kann schon sagen, dass Sie aufgrund
Ihrer innerparteilichen Erfahrungen und auch aufgrund
Ihrer Erfahrungen in der SED mehr zum Thema Überwachung wissen als Mitglieder aller anderen Parteien.
({7})
Geben Sie sich doch einmal Mühe, ein rechtspolitisches Konzept zu entwickeln! Führen Sie nicht immer
einen Dauerwahlkampf mit Plattitüden zur Armut wie
beispielsweise „In Deutschland ist alles ganz fürchterlich“ und „Die Leute verhungern hier auf der Straße“.
Schauen Sie sich einmal um! Es gibt zwar noch manche
Aufgabe zu erledigen. Aber es trifft auch zu, dass manche Nachbarländer froh wären, wenn sie einen Sozialstaat wie den in Deutschland hätten, und das trotz aller
Unzulänglichkeiten unseres Sozialstaates, über die man
diskutieren kann. Auch das gehört zur Wahrheit.
({8})
Frau Kollegin Hönlinger, ich will Ihnen sagen, dass
ich diesen schwarz-gelben Zauber noch spüre.
({9})
Ich sage dies, damit Sie nicht frustriert nach Hause gehen. Immer wenn wir über Rechtspolitik diskutieren,
dann gibt es diese zauberhafte Stimmung. Wir streiten
uns nicht. Auch wenn Sie dieses Gefühl nicht kennen: Es
ist so.
({10})
- Juristen und insbesondere Rechtspolitiker sind viel zu
realistisch, als dass sie tagsüber träumen würden. Es ist
einfach dieser schwarz-gelbe Zauber, der uns glücklich
macht.
({11})
Wie lange dieser Zauber anhält, ist natürlich eine
spannende Frage. Jedenfalls haben wir zurzeit angesichts der Punkte, deren Abarbeitung wir uns vorgenommen haben, noch Anlass genug, fröhlich zu sein. Wir
haben einen sehr ordentlichen Koalitionsvertrag geschlossen. Im Übrigen bekommen wir manchmal von
den Gerichten überraschend neue Aufgaben zugewiesen.
Die meisten sind schon angesprochen worden. Ich
komme gleich noch kurz darauf zurück.
Damit Ihre Forderungen nach mehr Sozialstaatlichkeit mehr als bisher erfüllt werden, wollen wir eine ordentliche Wirtschaftspolitik machen. Auch mit Rechtspolitik ist man in der Lage, den Wirtschaftsstandort
Deutschland zu stärken. Dann kann all das bezahlt werden, was Sie irgendwann fordern werden. Vielleicht lag
für den Sozialismus das Problem darin, dass er in dieser
Hinsicht nicht richtig funktioniert hat. Andernfalls wäre
die DDR vielleicht nicht pleitegegangen.
({12})
- Aber Sie haben jetzt die Chance, mir zuzuhören. Mal
sehen, was dann bei Ihnen an Bedeutung gewinnt.
Das Insolvenzrecht - es ist angesprochen worden und der Schutz des geistigen Eigentums sind neben unserer Gerichtsbarkeit eine gute Grundlage für einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir werden weiter
daran arbeiten. Gerade wirtschaftsrechtliche Themen
sind in einer christlich-liberalen Koalition bestens aufgehoben.
Das Mietrecht ist natürlich besonders geeignet, irgendwelche Ungerechtigkeiten zu schüren, vielleicht
auch den Vermieter als Kapitalisten zu brandmarken.
Wir sollten uns zwischendurch daran erinnern, dass die
Mieter keinen Vorteil davon hätten, wenn es keine Vermieter gäbe. Das ist logisch zu ergründen.
({13})
Deswegen ist es vielleicht ganz sinnvoll, zu sagen: Wir
müssen auch im Mietrecht dahin kommen, dass wir gewisse Ungerechtigkeiten aufarbeiten. Ich weiß nicht,
was an dem Umstand so schlecht ist, dass man sagt: Das
Mietnomadentum hat sich ausgebreitet. Das ist ein spezielles Problem, dessen Intensität zugenommen hat.
({14})
- Sie reagieren immer wieder bei diesem Thema. Kennen Sie irgendwelche Mietnomaden persönlich, weil Sie
sich jedes Mal, wenn dieses Wort fällt, melden?
({15})
- Es gibt keine Zahlen? Ich habe zu Hause drei Beispiele
von Leuten, die mich angeschrieben haben und ihre Probleme aufgelistet haben. Das geht über viele Seiten. Es
ist unerträglich, zu sehen, wie Leute darunter leiden,
({16})
dass manche Menschen, kriminell organisiert, Vermieter
in einem unerträglichen Maße bewusst belästigen, deren
Eigentum zerstören, die Miete nicht zahlen und sich
dann glücklicherweise irgendwann, möglichst früher als
später, vom Acker machen. Aber meistens kennen sie
sämtliche Regeln, auch die Verschleppung von Vollstreckungsmaßnahmen, was dann dazu führt, dass es massive Einschränkungen desjenigen gibt, der sein Eigentum eigentlich nur anderen zur Nutzung zur Verfügung
stellt.
({17})
Ich verstehe nicht, was man daran zu meckern haben
kann, dass man dagegen vorgeht.
Wir geben das Mietrecht natürlich nicht dem sozialen
Kahlschlag anheim. Das ist völlig abwegig. Das Mietrecht muss sozial und ausgewogen bleiben. Etwas anderes ist mit der CDU/CSU nicht zu machen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Montag?
Einen Satz wollte ich noch sagen. Dann natürlich
gerne.
Jedenfalls muss niemand befürchten - dieses Horrorszenario wird immer wieder an die Wand gemalt -, dass
jemand, der 30 Jahre in seiner Wohnung und damit in
seinem Kiez wohnt, innerhalb von sechs Wochen herausgeklagt wird. Das wird es nicht geben.
({0})
In diesem Zusammenhang werden natürlich immer völlig übertriebene Dinge erwähnt. Dies findet mit der
CDU/CSU nicht statt.
({1})
Jetzt der Kollege Montag.
Herr Kollege Montag, bitte.
Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Grosse-Brömer, Sie sind jetzt der Dritte aus der
Reihe der Rednerinnen und Redner der Koalition, der
uns eine Änderung des sozialen Mietrechts ankündigt
und die Begründung dafür bei den Mietnomaden sucht.
Ich bestreite überhaupt nicht, dass es solche Fälle gibt.
Auch ich als Abgeordneter kenne persönlich solche
Fälle. Es wäre gut, wenn uns ein schlauer Gedanke dazu
einfiele, was man rechtsstaatlich dagegen unternehmen
könnte.
Nur will ich Sie einmal fragen - dies ist ein Punkt in
Ihrem Koalitionsvertrag -, ob Sie die Kündigungsfristen, die im Augenblick und seit Jahrzehnten aus gutem
Grund für den Mieter günstiger sind als für den Vermieter, verändern und gleichstellen wollen. Was hat diese
Änderung - dies ist eine faktische Schlechterstellung der
Rechtsposition aller Mieter, auch derjenigen, die keine
Mietnomaden sind - mit der Bekämpfung des Mietnomadentums zu tun? Hören Sie endlich auf, sich hinter
diesem Schreckensbild, das es gibt, zu verstecken, und
geben Sie uns bitte eine wahre und richtige Antwort darauf, warum Sie die Rechte aller Mieter in Deutschland
verkürzen wollen!
Der erste Punkt ist, dass auch meine bisherige Stellungnahme natürlich nicht unwahr bzw. falsch gewesen
ist.
Zweiter Punkt. Ich kann Ihnen weitere Argumente
nennen. Das Mietnomadentum habe ich angesprochen,
weil dann immer eine große Aufregung in den Reihen
der Linken herrscht. Ich kann Ihnen sagen, wie wir die
Rechte der Mieter stärken. Wir wollen nämlich nicht,
dass Mieter aufgrund einer Luxussanierung und damit
einhergehender exorbitant steigender Mieten aus ihren
Räumen sozusagen heraussaniert werden.
({0})
Aber wir werden uns doch darin einig sein, dass man bei
Verträgen mit zwei Vertragspartnern darüber nachdenken können muss - ohne dass schon entschieden wäre, in
welchem Maße das erfolgt -, inwieweit beide Vertragsparteien die gleichen Ausgangspositionen bekommen.
Das ist doch per se nichts Schlechtes. Deswegen ist es
natürlich auch eine politische Entscheidung.
({1})
- Natürlich hat das nichts mit Mietnomadentum zu tun.
Nur zum besseren Verständnis: Nein, Kündigungsfristen haben nichts mit Mietnomadentum zu tun, Luxussanierungen auch nicht. Wir haben all diese Punkte im Koalitionsvertrag festgehalten, und noch erlaube ich mir,
selbstständig darüber nachzudenken, welchen Punkt ich
an dieser Stelle erwähne. Ich bin für jede Anregung
dankbar, aber das, was ich sage, wird dadurch nicht
falsch oder unwahr. Ich sage es noch einmal: Die soziale
Ausgewogenheit bleibt bestehen. Darauf werden wir gesteigerten Wert legen.
Die Sicherungsverwahrung ist als wichtiger Punkt
angesprochen worden. Hier besteht die Schwierigkeit,
dass wir den Ausnahmecharakter dieser besonderen Sicherungsverwahrung erhalten müssen. Mit diesem Thema
müssen wir uns rechtsdogmatisch neu auseinandersetzen. Das ist eine schwierige Aufgabe; das ist gar keine
Frage. Viele haben sich auch schon daran gewöhnt.
Ich finde, der Schutz der Bevölkerung - nehmen wir
zum Beispiel die Situation im Städtchen Heinsberg, wo
ein freigelassener Straftäter, der in einer exorbitant brutalen Art und Weise vorgegangen ist, derzeit polizeilich
beobachtet wird - steht im Vordergrund. Dass Menschen
in unserem Lande, die darauf angesprochen werden, für
die gerichtliche Ablehnung einer Sicherungsverwahrung
kein Verständnis haben, ist für mich sehr einleuchtend.
Deswegen ist es unsere Aufgabe, einen Weg zu finden,
wie der Schutz der Bevölkerung vor schweren Gewalttaten von Wiederholungstätern künftig unter Berücksichtigung der Tatsache erfolgen kann, dass der Ausnahmecharakter einer Sicherungsverwahrung gewahrt bleiben
muss, insbesondere bei einer nachträglichen Sicherungsverwahrung, wo neue Tatsachen für die Gefährlichkeit
des Verurteilten vorliegen müssen, damit es rechtlich
einwandfrei ist. Bei einem Täter, der bereits massiv und
brutal vorgegangen ist, sind kaum noch Aspekte zu nennen, die eine neue Gefährlichkeit begründen.
Wir wollen angesichts der zunehmenden Anzahl
linksextremistischer Gewalttaten in Deutschland auch
darüber nachdenken, inwieweit wir den § 113 Abs. 2
StGB verbessern können. Das ist keine Frage. Das steht
ebenfalls im Koalitionsvertrag. Ich halte das für eine
sinnvolle Überlegung. Es ist oft so, dass es, wenn man
das Wort Linksextremismus verwendet, ein paar Kollegen auf der linken Seite des Hauses gibt, die die Gewalt
dann nicht so ernst nehmen bzw. - dieses Gefühl habe
ich jedenfalls - Verständnis aufbringen. Wir sind der
Auffassung, dass Extremismus immer zu verurteilen ist,
egal ob er von rechts oder von links erfolgt, insbesondere dann, wenn er mit massiven Gewalttaten gegen Vertreter des Staates vorgeht. Deswegen halten wir Handlungsbedarf für gegeben.
Abschließend will ich darauf hinweisen, dass ich mir
wünsche, dass wir in der Lage sind, diese Art der Argumentation, die wir im Rechtsausschuss pflegen, nämlich
vorrangig intellektuell und in wenig aufgeregtem Ton,
beizubehalten. Es ist besser, wenn wir unsere Themen
sachlich und weniger ideologisch abarbeiten. Ich glaube,
die Rechtspolitiker sind aufgrund ihrer Ausbildung ganz
besonders für diese Art der Auseinandersetzung geeignet. Ich wünsche mir, dass wir Unterstellungen weglassen und die Art der gemeinsamen Bearbeitung notwendiger rechtspolitischer Themen weiterhin pflegen können.
In diesem Sinne freue ich mich auf die Zusammenarbeit und danke für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Kollege Raju Sharma für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der
Generaldebatte heute Vormittag hat der Kollege Poß erzählt, wie er 1982 zusammen mit Wolfgang Schäuble im
Untersuchungsausschuss des Bundestages diesen oder
jenen Strauß ausgefochten hat. Ich fand das beeindruckend, weil mir einfiel, dass das nicht die erste Wahlperiode von Wolfgang Schäuble war. Das war 1982. Ich
habe mir vorgestellt: Nach über 30 Jahren im Bundestag
weiß man, wie es geht, hier im Raumschiff Berlin. Aber
man weiß natürlich nicht mehr, wie es draußen bei den
Bürgern aussieht; denn die hat man über 30 Jahre nicht
mehr wirklich gesehen. Das finde ich schon bezeichnend.
({0})
- Ich habe in der Tat eine Vorstellung von Parlamentarismus, die aber nicht so aussieht, dass man als junger
Mensch in den Bundestag eintritt und mit der Pensionierung irgendwann mit 75 Jahren ausscheidet.
({1})
- Wenn Sie sich nun genug aufgeregt haben, würde ich
meine Ausführungen gerne fortsetzen.
({2})
- Sie können sich gerne noch weiter aufregen. Es wird
nicht sinnvoller, was Sie sagen. Es war auch nicht sinnvoll, was Sie vorhin gesagt haben.
({3})
Wenn Ihre Vertreter die Bürger so lange nicht mehr gesehen haben, darf man sich nicht darüber wundern, dass sie
eine Politik machen, die eigentlich aus der Mitte des
letzten Jahrhunderts kommt.
({4})
Ich habe die Freude und das Vergnügen, ein berufliches Leben vor der Politik gehabt zu haben. Ich war
beim Landesrechnungshof in Schleswig-Holstein beschäftigt.
({5})
Dort durfte ich mich auch mit dem Justizhaushalt befassen. Wollen wir jetzt einmal über den Justizhaushalt sprechen? Dann kann ich Ihnen einmal erklären, wie so etwas
vor sich geht. Wenn man sich beim Rechnungshof einen
Haushaltsplan anschaut, überlegt man zunächst, wo die
relevanten Themen sind, die nichts mit Erbsenzählerei zu
tun haben, welche Themen wichtig und haushaltspolitisch bzw. von der Wirtschaftlichkeit her relevant sind.
Dann klammert man die Themen aus, die politisch relevant sind, bei denen die politischen Schwerpunkte gesetzt werden. Das ist nämlich nicht die Sache der Rechnungshöfe.
Da ich jetzt Abgeordneter einer Oppositionsfraktion
bin, habe ich mir gedacht: Schaue ich mir den Haushalt
doch einmal genau andersherum an und achte auf politische Schwerpunkte. Ich lese und lese und lese und stelle
nach 81 Seiten fest: Da sind keine politischen Schwerpunkte. Diese Koalition setzt keine politischen Schwerpunkte in der Rechtspolitik.
({6})
Das ist aber nicht nur schlimm; denn abgesehen von
dem Stuss, den ich von Abgeordneten aus Ihren Reihen
heute hören musste, steht in dem Haushaltsentwurf wenigstens auch nichts über das, was man seit einigen Jahren von Vertretern der schwarz-gelben Koalitionen in
Niedersachsen und Baden-Württemberg immer wieder
hört, wenn es um Rechtspolitik geht. Dort wird in einer
Art und Weise privatisiert, dass Sie sich nicht darüber
wundern dürfen, dass wir beklagen - das tun wir auch,
um Ihnen eine Freude zu machen -, dass der Neoliberalismus nun auch in der Rechtspolitik Einzug hält. Da ist
von Privatisierung im Bereich der Gerichtsvollzieher
und im Bereich der Bewährungs- und Gerichtshilfe die
Rede. Die Sozialen Dienste und Teile von Haftanstalten
sollen privatisiert werden.
Da ich mich beim Rechnungshof viele Jahre lang intensiv mit diesem Thema beschäftigen durfte - das gilt
auch für viele andere bei den Rechnungshöfen -, weiß
ich, dass es Hunderte Vorschläge gibt, wie man die Aufgabenwahrnehmung in diesem Bereich effizienter gestalten kann, wie man Aufgaben anders organisieren
kann. Aber so ein Stuss war nie dabei. Wenn es bei Ihren
Kollegen Landesministern in den schwarz-gelben Koalitionen in Niedersachsen und Baden-Württemberg einmal
so etwas wie geistiges Eigentum gab, dann hat der
Schutz da wirklich versagt. Das ist rechtspolitisch dummes Zeug.
({7})
Frau Ministerin, Sie haben in den letzten Jahren dankenswerterweise von solchen Privatisierungsüberlegungen Abstand genommen. Ich fände es wirklich gut, wenn
Sie die Gelegenheit nutzen würden, mit Ihren Kolleginnen und Kollegen zu reden und sie darauf hinzuweisen,
dass das weder haushaltspolitisch noch rechtspolitisch
Sinn macht und mit der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung nicht zu vereinbaren ist, die man in einem Rechtsstaat schützen sollte. Das fände ich sehr gut.
Wenn Sie dann ohnehin mit Ihren Kollegen auf Länderebene im Gespräch sind, können Sie vielleicht die positiven Ansätze aufgreifen, über die auf Landesebene
ebenfalls diskutiert wird, allerdings von Ministern ande1220
rer Koalitionen. Die Landesjustizminister von den Grünen und der Linken diskutieren oft darüber, wie man die
Unabhängigkeit der Justiz stärken kann. Zum Beispiel
wird angeführt, dass das möglich ist, indem Haushaltsverhandlungen - deswegen sind wir heute hier - nicht
von der Exekutive mit der Legislative geführt werden,
sondern indem man der Judikative das Recht einräumt,
ihr Budget selbst zu definieren und mit der Legislative,
dem Haushaltsgesetzgeber, auszuhandeln. So müsste das
sein; denn auch die Ressourcen der Justiz gehören dazu,
wenn es darum geht, die Unabhängigkeit der Justiz zu
stärken und das zu verwirklichen, was wir uns unter Gewaltenteilung vorstellen.
({8})
Wenn Sie mit Ihren Länderkollegen darüber reden,
was gemacht werden kann, um in der Rechtspolitik etwas zum Positiven zu verändern, dann sollten Sie auch
darüber reden, wie man den Einfluss der Bürgerinnen
und Bürger durch direktdemokratische Instrumente stärken kann. In den Ländern wurden bereits Erfahrungen
mit Volksbegehren und Volksinitiativen gemacht. Es
gibt Modelle, die man gut auf die Bundesebene übertragen kann. Auf jeden Fall werden wir entsprechende Initiativen in den Bundestag einbringen. Ich würde mich
freuen, wenn die Koalition diesen Initiativen gegenüber
aufgeschlossen wäre, sie prüfen, begleiten und gegebenenfalls unterstützen würde.
Vielen Dank.
({9})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Stephan Mayer.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Rechtspolitik hat trotz
des relativ geringen Haushaltsvolumens nicht nur eine
sehr hohe Bedeutung; darauf haben bisher alle Redner
hingewiesen. Die Rechtspolitik kann oder soll auch
„zauberhaft“ sein; darauf haben einige Redner hingewiesen. Rechtspolitik muss meines Erachtens aber vor allem
ein Kriterium erfüllen: Politik sollte generell verlässlich
und zurechenbar sein, und dies trifft insbesondere auf
die Rechtspolitik zu.
Daher ist die Rechtspolitik in meinen Augen gut beraten, niemals in Aktionismus zu verfallen und insbesondere keine abrupten 180-Grad-Drehungen zu vollziehen.
Ich möchte Ihnen eines versichern: Die christlich-liberale Koalition wird eine wohl durchdachte, kluge und
vernünftige Rechtspolitik betreiben.
({0})
Eines ist aber auch klar: Rechtspolitik kann nicht im
Reinstraum betrieben werden. Sie muss nicht nur sensibel auf aktuelle Ereignisse reagieren - zum Beispiel auf
die schwerwiegendste Wirtschafts- und Finanzkrise der
letzten 60 Jahre, die nicht nur Deutschland, sondern
mittlerweile die gesamte Industriewelt in ihren Bann gezogen hat -, sondern auch auf gesellschaftliche Debatten, die in Deutschland geführt werden, Antworten geben: Was hält unsere deutsche Gesellschaft zusammen?
Welche gemeinsamen Werte und Grundvorstellungen
verbinden die deutsche Gesellschaft?
Unabhängig davon, welcher politischen Couleur man
anhängt und welche politische Auffassung man vertritt,
sollte und muss in diesem Haus eines Konsens sein: Die
Rechtstaatlichkeit ist ein unheimlich hohes und wertvolles Gut; es muss unser aller Bestreben sein, dieses hohe
Gut weiterhin gut zu pflegen und gedeihen zu lassen.
Die Justiz steht in einem enormen Spannungsfeld. Die
Erwartungen an die Justiz sind außerordentlich hoch. Einerseits soll die Justiz modern, funktionsfähig und
schlank sein sowie zügig arbeiten; andererseits muss es
Kern jeden Rechtsstaates sein - das muss in verfahrensrechtlicher Hinsicht klar sein -, dass jeder Einzelne unabhängig davon, woher er kommt, welches Alter er hat,
welchen Beruf er ausübt, seine individuellen Rechte und
Ansprüche geltend machen kann.
Ich möchte auf einige konkrete rechtspolitische Anliegen der christlich-liberalen Koalition eingehen. Das
Thema Sicherungsverwahrung wurde schon genannt.
Meines Erachtens gibt es bei der Sicherungsverwahrung
offenkundige Regelungslücken. In meinem Wahlkreis
liegt die Stadt Töging, ein sehr beschaulicher und netter
Ort. Im August letzten Jahres hat sich in Töging ein
schrecklicher Vorfall ereignet: Ein mehrmals rechtskräftig verurteilter Sexualstraftäter hat einem 16-jährigen
Mädchen aufgelauert, es geschlagen, vergewaltigt und
beinahe ermordet.
Ich glaube, dieser Fall macht klar - das möchte ich in
aller Deutlichkeit festhalten -: Auch wenn die Sicherungsverwahrung immer die Ultima Ratio sein muss,
gibt es einen berechtigten Anspruch der Bevölkerung auf
Schutz vor derartigen hochkriminellen Gewaltverbrechern.
({1})
Deswegen müssen wir in der christlich-liberalen Koalition die Regelungslücken schließen. Das ist angesichts
der letzten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht leicht; aber - ich sage das ganz
offen - wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern in
Deutschland schuldig. Wir müssen insbesondere darauf
hinwirken, dass die Anordnungsvoraussetzungen für Sicherungsverwahrungen harmonisiert werden.
Wir sollten uns auch in dieser Legislaturperiode wieder des Themas der Jugendkriminalität annehmen. Es
ist nicht so, dass es einen Rückgang der Gewaltkriminalität unter Jugendlichen und Heranwachsenden gibt.
Wenngleich ich selbstverständlich der Auffassung bin,
dass gerade bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität
der Prävention sehr große Bedeutung beigemessen werden muss, bin ich dennoch auch der Auffassung, dass die
Sühnefunktion im Jugendstrafrecht nicht außer Acht gelassen werden darf.
Stephan Mayer ({2})
({3})
Das Thema Warnschussarrest ist schon genannt worden.
Ich glaube, es ist sinnvoll, einem 15- oder 16-jährigen
Jugendlichen, der auf die schiefe Bahn zu geraten droht,
die - in Anführungsstrichen - Folterwerkzeuge des Staates vor Augen zu führen, um ihn vielleicht noch gerade
rechtzeitig davon abzuhalten, auf die schiefe Bahn zu
geraten.
({4})
Wir mussten leider Gottes die Entwicklung zur
Kenntnis nehmen, dass in manchen Situationen nicht
mehr so respektvoll mit den Vertretern des Staates umgegangen wird, wie dies in der Vergangenheit der Fall war.
Es ist meines Erachtens schon erschreckend, dass die
Zahl der tätlichen Übergriffe aus dem linksextremistischen Milieu auf Polizeibeamte allein zwischen 2007
und 2008 um sage und schreibe 48 Prozent zugenommen
hat. Es ist wichtig, klarzumachen, dass es keinen Unterschied macht, ob man einen Nichtbeamten, einen Polizeibeamten, einen Rettungssanitäter, einen THW-Helfer
oder einen Feuerwehrmann tätlich angreift. Deswegen
muss es unser Bestreben sein, den Strafrahmen hinsichtlich tätlicher Angriffe auf Polizeibeamte, Rettungssanitäter und andere, die Dienst am Nächsten leisten und
Menschen in Not helfen, von zwei Jahren auf fünf Jahre
zu erweitern.
({5})
Rechtspolitik ist natürlich auch immer Gesellschaftspolitik. In diesem Zusammenhang spielt insbesondere
das Zivilrecht eine exponierte Rolle.
Auf das Mietrecht ist schon eingegangen worden. Ich
möchte jetzt nicht mehr im Detail auf das Problem des
Mietnomadentums eingehen. Das gibt es; das ist keine
Frage. Es gibt aber auch andere Aspekte, die meines Erachtens bei dem zunächst durchaus wohl austarierten sozialen Mietrecht zu beachten sind. Ich meine zum Beispiel energetische Sanierungsmaßnahmen. Es ist
unser aller Bestreben, mehr dafür zu tun, um Gebäude
nicht nur im öffentlichen Bereich, sondern insbesondere
auch im privaten Bereich besser energetisch auszustatten
und energetisch zu sichern.
({6})
Es muss ein gemeinsamer Ansatz sein, einen Anreiz für
die Eigentümer von Mietwohnungen zu schaffen, diese
energetischen Sanierungsmaßnahmen durchzuführen.
Bisher ist es leider Gottes so, dass der Vermieter keinen
Nutzen davon hat, sondern allein der Mieter. Deswegen
ist es richtig, dass hier Maßnahmen dafür getroffen werden - da gibt es ganz intelligente Ideen und Vorstellungen -, dass beide, Vermieter und Mieter, gleichermaßen
davon profitieren, wenn energetische Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden.
Ich habe schon erwähnt, dass wir sensibel reflektieren
müssen, welche Auswirkungen die aktuelle Wirtschaftsund Finanzkrise in Deutschland hat. Diese werden auch
das Zivilrecht nicht unbeschadet lassen. Ich denke da
insbesondere an den wichtigen Bereich des Insolvenzrechts. Es gibt im aktuellen Insolvenzrecht Defizite, die
beseitigt werden müssen. Das Insolvenzplanverfahren
soll gestärkt und verbessert werden. Ich sage an dieser
Stelle eines ganz deutlich: Es muss zu jedem Zeitpunkt
unser aller Bestreben sein, zunächst einmal alles dafür
zu tun, um ein sanierungsfähiges Unternehmen zu retten
und damit auch die Arbeitsplätze in diesem Unternehmen zu retten und zu sichern. Ich sage ganz offen: Das
jetzige Insolvenzrecht weist da durchaus gewisse Regelungslücken auf. Dieser Regelungslücken werden wir
uns annehmen.
Sie können sicher sein, dass die Rechtspolitik in den
kommenden vier Jahren in der christlich-liberalen Koalition in besten Händen ist. Ich freue mich auf eine konstruktive und einvernehmliche Zusammenarbeit mit
möglichst allen hier in diesem Hause.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, am Ende einer Debatte lohnt es sich
nicht, alle Dinge, die angesprochen worden sind, noch
einmal aufzuwärmen und noch etwas dazu zu sagen. Ich
will deshalb nur ein paar Punkte herausgreifen, die mir
wichtig sind.
Eines jedenfalls ist bisher nicht gut gelaufen, das ist
die Debatte über die vorgesehene Reform des Mietrechts. Aus all den Äußerungen der Koalition zu diesem
Thema - nicht nur denen von heute - hört man vor allem
ein furchtbar schlechtes Gewissen heraus.
({0})
Sie reden nie über die Dinge, die Ihnen vorgehalten werden, sondern Sie weichen immer aus.
({1})
Wenn wir fragen, warum Sie das Kündigungsrecht für
die Mieter verschlechtern wollen, dann reden Sie über
Mietnomaden. Gegen Mietnomaden haben alle etwas.
Dagegen muss man auch etwas tun. Dazu muss einem
etwas Kluges einfallen; das ist nicht so einfach. Aber
warum sollen Millionen von Mieterinnen und Mietern in
der Bundesrepublik Deutschland darunter leiden, dass
Sie gegen die Mietnomaden vorgehen wollen?
({2})
Das ist nicht einsehbar, zumal die Vorschläge, die Sie in
Bezug auf die vielen Millionen übrigen Mieter haben,
mit denen gar nichts zu tun haben.
Sie haben auch noch nie wirklich begründet, warum
Sie eine Verschlechterung der Mieterrechte durchsetzen
wollen. Sie haben immer wieder abstrakt geredet. Zum
Beispiel mussten wir jetzt eben hören, gleiche Fristen für
Vermieter und Mieter seien doch eine schöne Sache.
({3})
- Das ist eine Äußerung, die eben in dieser Debatte gefallen ist. - Darüber müsste man nachdenken. Ich sage:
Darüber muss man gar nicht nachdenken, und wenn man
darüber nachdenkt, dann muss man zu dem Ergebnis
kommen, dass die Fristen so bleiben müssen, wie sie
sind.
({4})
Es ist für einen Mieter nicht zumutbar, sehr lange an
eine Wohnung gebunden zu sein. Wenn man zum Beispiel den Wohnort wechseln muss oder es zu sonstigen
Veränderungen kommt, wäre das für die meisten Menschen wirtschaftlich nicht darstellbar. Darum ist unter
Berücksichtigung der unterschiedlichen Schutzinteressen von Gesetzes wegen zu Recht eine unterschiedliche
Kündigungsfrist für Mieter und Vermieter vorgesehen.
Wenn Sie das ändern, dann nehmen Sie Millionen Menschen ihre Rechte. Dafür gibt es keinen Grund. Das
schlechte Gewissen, mit dem Sie über andere Themen
reden, zeigt: Es gibt ihn wirklich nicht.
({5})
Wir werden im Deutschen Bundestag viel über das
Internet diskutieren. Ich hoffe, dass das kluge, sachkundige Diskussionen werden, sowohl im Plenum als auch
in der geplanten Enquete-Kommission. In manch einer
Debatte hat man das Gefühl - an dieser Stelle will ich
niemanden einschließen oder ausschließen; das gilt, wie
ich glaube, quer durch die Bank bzw. die Bänke -, dass
der eine oder andere schon gehört hat, dass es so etwas
wie ein Internet geben soll.
({6})
Das ist natürlich nicht das Niveau, auf dem wir unsere
Debatten zu führen haben. Wir müssen uns bis zu den
aktuellen Diskussionen vorarbeiten.
Das bedeutet aus meiner Sicht, sich dazu zu bekennen, dass man in diese Themen hineinwächst, dass man
in der politischen Diskussion über diese Fragen auch
Fehler gemacht hat oder vielleicht noch machen wird.
Auf jeden Fall muss eine lebendige, offene Diskussion
über die damit verbundenen Probleme stattfinden.
Insofern finde ich es sehr problematisch, dass wir in
der bisherigen Debatte nichts dazu gehört haben, dass
die Bundesregierung eine etwas verdruckste Haltung zu
dem Internetsperrengesetz, das im Deutschen Bundestag
beschlossen worden ist, hat.
({7})
- Ich komme gleich dazu. Sie hören meine Auffassung
noch. Ich will sie Ihnen gerne sagen. Ich rede hier, damit
ich sie Ihnen klar sagen kann. - Ich jedenfalls finde, es
ist ein für die Verfassungsordnung unseres Landes unerträglicher Zustand, dass in einer Koalitionsvereinbarung
steht, man wolle ein Gesetz nicht anwenden.
({8})
Im Übrigen finde ich, dass es für die Verfassungsordnung unseres Landes auch ein unerträglicher Zustand ist,
wenn vorgeschlagen wird, der Bundespräsident möge
ein Gesetz, für das man nicht mehr so große Begeisterung verspürt, nicht unterzeichnen.
({9})
Das sind die beiden Haltungen, die diese Regierung zum
Ausdruck bringt, und die sind nicht in Ordnung.
Ich will ausdrücklich sagen: Wir glauben, dass es
nicht richtig war, dieses Gesetz hier im Bundestag zu beschließen. Wir fordern deshalb seine Aufhebung. Von
der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion wird ein
Gesetzentwurf zur Aufhebung dieses Gesetzes eingebracht. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass es
sinnvoll wäre, die heutige Hängepartie fortzusetzen.
({10})
- Das ist sehr konsequent - in der Tat - und ein bisschen
ehrlicher als das, was in der Koalition passiert: dass man
sich erstens nicht einigen kann, dass man das zweitens
nicht sagen will und dass man drittens den Bundespräsidenten in eine Rolle drängt, die in unserer Verfassungsordnung nicht vorgesehen ist, nämlich eine politische
Meinungsänderung der Koalition irgendwie herauszubekommen und daraus einen Schluss zu ziehen.
({11})
Ich will darum bitten, dass wir uns in der Diskussion
über das Internet und seine Konsequenzen für unsere
Gesellschaft offen dazu bekennen, dass es auch Entwicklungen gibt, die wir noch nicht abschätzen oder vorhersehen können. Daher sollten wir keine großen Bekenntnisse abgeben.
Weil sehr viel über die Sicherheit im Internet und
Missbrauchsmöglichkeiten diskutiert wird, will ich ausdrücklich das Urheberrecht erwähnen. Hier ist, wie ich
finde, noch nicht alles zu Ende gedacht. Dass wir mit der
guten und begründeten Tradition des Urheberrechts in
der Bundesrepublik Deutschland - gerade in unserem
Land hat das Urheberrecht auch eine Tradition philosophischer Art - wirklich alle Fragen, die sich heute neu
stellen, beantworten können, wage ich zu bezweifeln.
Wir sollten uns zutrauen, eine neue Debatte über urheberrechtliche Fragen zu führen, die möglicherweise etwas mehr Nutzungsmöglichkeiten ohne Leistungsrechtsverletzungen zur Folge hat, als es heute der Fall ist.
({12})
Das wäre, jedenfalls aus meiner Sicht, eine vernünftige
Debatte, auf die man sich einlassen kann. Ich bitte darum, dass wir dies gemeinsam tun und uns nicht davor
drücken.
({13})
Lassen Sie mich zum Schluss ein Thema ansprechen,
das bisher nur selten erörtert worden ist - ich finde aber,
dass das Parlament und die Regierung, das Parlament
begleitend, hier vorankommen sollten -: die Frage der
Abgeordnetenbestechung. Deutschland hat internationale Verträge und internationale Vereinbarungen hierzulande nicht wirksam werden lassen, weil wir an dieser
Stelle bei der Gesetzgebung keinen Fortschritt zustande
bekommen haben. Ich finde, es ist notwendig, dass wir
uns einen Ruck geben, eine Gesetzgebung zur Abgeordnetenbestechung in der Bundesrepublik Deutschland auf
den Weg bringen und das schlechte Gewissen bei diesem
Thema ablegen.
({14})
Es sind auch Vorschläge diskutiert worden, die funktioniert hätten, für die es aber bisher keine Mehrheit gegeben hat.
({15})
Vor dem Hintergrund dieser ungelösten Frage ist das,
was wir gegenwärtig in Bezug auf Gesetzgebung und die
Finanzierung von Parteien aus Klientelinteressen mitbekommen, sehr problematisch. Natürlich hilft es nicht,
darauf zu verweisen, dass es Spenden von Personen und
Unternehmen an Parteien schon immer gab. Wenn es einen Zusammenhang gibt zwischen einer Gesetzgebung,
die niemand in diesem Lande versteht und die ganz offensichtlich Klientelismus ist, und hohen Parteispenden,
muss das auffallen und dazu führen, dass man sagt: Wir
brauchen gesetzgeberischen Fortschritt bei der Ahndung
der Bestechung von Abgeordneten, aber auch in der
Frage der Parteienfinanzierung.
Ich will zwei konkrete Punkte nennen. Erstens: Sollte
man nicht über eine Höchstgrenze für die Spenden von
Unternehmen an Parteien diskutieren? Das halte ich für
eine richtige Position; denn so wie bisher kann es nicht
weitergehen.
({16})
Zweitens: Berichtspflichten ziehen Bürokratiekosten
nach sich. Aber sollten wir nicht noch eine zusätzliche
Berichtspflicht vorsehen, nämlich dass in den Vorblättern der Gesetzentwürfe aufgeführt wird, welche der Regierungsparteien im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf Spenden bekommen hat? Auch das wäre hilfreich.
({17})
Das Wort hat der Kollege Alexander Funk für die
Unionsfraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Scholz, Sie haben die Internetsperre angesprochen. Ich bin neu in diesem Haus; aber wenn ich richtig
informiert bin, hat der Bundespräsident dieses Gesetz
nicht unterschrieben, weil er Bedenken gegen dieses Gesetz hat, nicht etwa, weil die Bundesregierung irgendwelche Anweisungen gegeben hätte.
({0})
Sie haben die Parteispenden und die Bestechung von
Abgeordneten angesprochen. Bis zu welcher Höhe
Parteispenden Ihrer Meinung nach erlaubt sein sollen,
haben Sie nicht gesagt. Wenn man über diese Fragen diskutiert, sollte man über die wirtschaftliche Tätigkeit von
Parteien insgesamt einmal nachdenken.
({1})
Wir diskutieren heute in erster Lesung über den
Einzelplan 07. Mir ist bewusst, dass der Etat des Bundesministeriums der Justiz wegen seines Volumens von
weniger als 500 Millionen Euro im Schatten anderer
Haushalte steht. Außerdem rührt er kaum an Emotionen:
Es geht hier weder um Hartz IV noch um die Mittel für
den Afghanistan-Einsatz.
Dennoch handelt es sich beim Einzelplan 07 nach
meiner Überzeugung um einen der wichtigsten. Wir sind
stolz darauf, in einem Rechtsstaat zu leben. In der alten
Bundesrepublik tun wir das seit 60 Jahren; im Beitrittsgebiet ist mit der Wiedervereinigung vor 20 Jahren
Recht an die Stelle von Unrecht getreten.
({2})
Eine Gesellschaft wird ganz wesentlich geprägt von
der Rechtssicherheit für den Einzelnen, vom Rechtsfrieden. Dass beides in unserem Land gegeben ist, ist zuallererst auf die Arbeit des Bundesministeriums der Justiz und - diese Ergänzung füge ich ein - auf die Arbeit
des Bundesverfassungsgerichtes zurückzuführen. Das
Volumen des Haushalts des Bundesministeriums der Justiz steht in keinem Verhältnis zu seiner Wichtigkeit.
Noch etwas ist im Zusammenhang mit diesem Etat
hervorzuheben: Das Bundesministerium der Justiz finanziert sich, zumindest fiktiv, weitgehend selbst. Ausgaben
von 495 Millionen Euro stehen Einnahmen von
409 Millionen Euro gegenüber, die zu einem großen Teil
aus den Erlösen von Gebühren, die das Deutsche Patentund Markenamt erhebt, stammen. Trotz dieses bemerkenswerten Kosten-Nutzen-Verhältnisses werden die
Ausgaben des Bundesministeriums der Justiz mit dem
Haushalt 2010 um 1,1 Prozent sinken, die Einnahmen
dagegen um 6,3 Prozent steigen. Den Fachleuten des
Ministeriums gebührt unser aller Dank für die Vorlage
eines solchen Haushaltsentwurfes.
Bekanntermaßen verlässt kein Gesetz den Bundestag
so, wie es dem Hohen Haus als Entwurf vorgelegt
wurde. Ich nehme an, das wird auch für diesen Etatentwurf gelten, zumal die Berichterstattergespräche noch
anstehen. Veränderungen - das will ich bereits
anmerken - kann es ohnehin nur in Marginalien geben;
denn beim Einzelplan 07 handelt es sich um einen klassischen Verwaltungshaushalt, bei dem 78 Prozent der Ausgaben von vornherein festgelegt sind. Der Spielraum in
den anstehenden Beratungen ist also nur minimal.
Wichtiger als die Zahlen erscheinen mir allerdings
neue inhaltliche Signale. Im Etatentwurf für das Bundesministerium der Justiz finden sich wichtige Akzente, die
so unter der Vorgängerregierung nur schwerlich möglich
gewesen wären. Ich greife die vorgesehene Ausweitung
des Ausgabenpostens für Opfer von Gewalt heraus,
nicht zuletzt deshalb, weil es hier in der Öffentlichkeit
schon heftige Diskussionen gegeben hat. Wir wollen den
Titelansatz für das laufende Jahr mehr als verdreifachen.
Vor allem werden wir Opfer nicht mehr kategorisieren. Bisher wurden aus diesem Posten ausschließlich
Opfer rechtsextremer Gewalt unterstützt; wir erweitern
das Spektrum auf Opfer jeglicher extremistischen Gewalt, egal ob von rechts oder von links.
({3})
Um es klar zu sagen: So verabscheuungswürdig rechtsextreme Gewalttaten sind, sind es die von Linksextremen begangenen in gleicher Weise. Ich sehe mich jedenfalls außerstande, dem Opfer von Linksextremen zu
erklären, dass es schlicht Pech gehabt habe, von den Falschen angegriffen worden zu sein, und der Staat ihm
nicht beispringe. Um allen Vorwürfen vorzubeugen: Es
geht mir nicht darum, die Gefahren durch den Rechtsextremismus herunterzuspielen. Wir müssen aber davon
abkommen, Gefahren für unseren Rechtsstaat nur auf
der einen Seite zu sehen.
Im Übrigen - auch diese Anmerkung ist wichtig sollen sich die Opfer nicht einen gleichbleibend großen
Kuchen teilen, sondern wir haben, wie erwähnt, die Mittel verdreifacht.
Opferentschädigung setzt zwangsläufig Opfer voraus.
Wir müssen daher vereint Anstrengungen unternehmen,
Opfer zu verhindern. Dies ist eine Aufgabe, die der Staat
nicht allein bewältigen kann; es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die bei der Erziehung der Kinder in
den Familien, in der Krippe und im Kindergarten beginnt und sich über die Schule fortsetzt.
Der Staat kann aber auch hier Akzente setzen, so wie
wir es mit der Unterstützung des Deutschen Forums für
Kriminalprävention tun wollen. Im Etatentwurf findet
sich ein Posten, der relativ klein ist, aber als Signal verstanden werden sollte. Allerdings erwarte ich von dem
Forum in Zukunft stärkere Impulse als in der Vergangenheit. Eine Tagung und eine Broschüre pro Jahr reichen
sicherlich nicht aus, dieser wichtigen Aufgabe gerecht
zu werden. Das Forum muss sich als Ideengeber und als
Netzwerk verstehen und die Präventionsarbeit vor Ort
unterstützen.
Lassen Sie mich noch einige Worte zum Etatentwurf
für das Bundesverfassungsgericht sagen, das der Opposition besonders am Herzen liegen müsste, da sie es
besonders gern und häufig in Anspruch nimmt. Ich erinnere daran, dass es sich beim Bundesverfassungsgericht
nach dem Grundgesetz um ein Verfassungsorgan handelt. Es sollte also unsere entsprechende Aufmerksamkeit finden, auch die finanzielle.
Erfreulicherweise ist der Etat des Bundesverfassungsgerichtes in der Regel nicht Gegenstand parteipolitischer
Kontroversen. Dies gebietet allein die Achtung vor diesem höchsten deutschen Gericht. In diesem Sinne sehe
ich meine Aufgabe als Hauptberichterstatter für den
Einzelplan 19 in der Kontinuität meiner Vorgänger
Lothar Binding von der SPD und meines Fraktionskollegen Dr. Ole Schröder.
Vor dem Hintergrund, dass sich die Kosten für die
Grundsanierung des Verfassungsgerichts dramatisch erhöhen, habe ich kürzlich das Gericht in Karlsruhe besucht, um mir ein Bild vor Ort zu machen. Das Ergebnis
war, um es kurz zu sagen, erschreckend: Von einem
wirklichen Brandschutz kann kaum mehr die Rede sein,
die Stromleitungen sind marode, es regnet durch das
Dach, und den höchsten Richtern unseres Landes werden Arbeitsbedingungen zugemutet, die in keiner Weise
tragbar sind. Nach meiner Überzeugung ist die beantragte Verpflichtungsermächtigung in Höhe von
15,7 Millionen Euro, die sich auf mehrere Jahre erstreckt, unabweisbar. Sicher, Sparsamkeit ist das Gebot
der Stunde; dies darf aber nicht zum Sparen an der falschen Stelle führen.
Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und
Kollegen, lassen Sie mich zusammenfassen: Die Etatentwürfe für das Bundesministerium der Justiz und das
Bundesverfassungsgericht sind ausgewogen und angemessen kalkuliert. Den weiteren Beratungen sehe ich daher zuversichtlich entgegen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({4})
Kollege Funk, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit. Als Präsidentin füge ich hinzu: Es gelingt
nicht vielen Rednerinnen und Rednern bei ihrer ersten
Rede, eine solche Punktlandung auch bei der Einhaltung
der Redezeit hinzubekommen. Also herzlichen Glückwunsch!
({0})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen schließlich zu dem Geschäftsbereich
des Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern,
Dr. Thomas de Maizière.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor 60 Jahren hat der Deutsche Bundestag den ersten
Haushalt des Bundesministeriums des Innern beraten.
Innenminister war Gustav Heinemann. In der sehr lebhaften Debatte forderte der Abgeordnete Hermann
Ehlers Folgendes - ich zitiere -:
… die anfallenden Aufgaben müssen heute gründlich, sachverständig und so wahrgenommen werden, dass wirklich etwas Ersprießliches und Dauerhaftes dabei herauskommt.
Das finde ich schön. Es sollte auch für uns ein Leitsatz
werden.
Die Politik hatte damals die schwierige Aufgabe, mit
äußerst knappen Mitteln auszukommen. Das Bundesministerium des Innern rechnete im damaligen Haushaltsentwurf mit Einnahmen in Höhe von 1 000 DM und
Ausgaben in Höhe von 2 269 400 DM.
({0})
Auch sonst ist die Debatte sehr interessant. Sie zeigt
übrigens, dass nicht alles so furchtbar neu ist, was wir
hier diskutieren. Lassen Sie mich zwei Zitate vortragen,
die das deutlich machen. Sie zeigen übrigens auch, wie
breit damals der Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums war. Der Abgeordnete Maier von der SPD gab
dem Innenminister folgenden Rat:
Um eine stärkere Autonomie der kommunalen
Selbstverwaltung zu erreichen, geben wir dem
Herrn Bundesminister des Innern zu erwägen anheim, den Ländern beim Finanzausgleich zwischen
Bund und Ländern in Form von Auflagen die Abführung gewisser Mindestprozentsätze an die Gemeinden zur Pflicht zu machen.
Interessante Anregung. Herr Ehlers sagte - jetzt wird es
noch interessanter -:
Der Bund hat dafür zu sorgen, dass wir nicht nur
von einer Bundesrepublik Deutschland reden, dass
wir nicht nur von einer Freizügigkeit reden und dabei durch die Gestaltung unseres öffentlichen
Schulwesens aus den verschiedensten politischen,
weltanschaulichen, kulturellen und schulpolitischen
Vorstellungen heraus eine Zersplitterung schaffen,
die es langsam unmöglich macht, dass ein Beamter
von Schaumburg-Lippe nach Lippe-Detmold übersiedelt.
({1})
Hier liegen die Aufgaben, die der Bund wahrzunehmen hat, und ich meine, dass das Bundesinnenministerium
- es war damals zuständig eine gute Aufgabe hat, wenn es klärend und anregend in diese Dinge eingreift und dafür sorgt, dass
wir hier wirklich zu einer Einheit in der Freiheit
kommen.
({2})
Ich gebe das Zitat an Annette Schavan weiter.
({3})
- Herr Wieland, ich habe auf den Zwischenruf gewartet.
Statt der Übernahme von Zuständigkeiten soll das Ministerium klärend und anregend in diese Dinge eingreifen. Das finde ich schön.
({4})
Insofern ist das alles nicht neu, was wir heute diskutieren.
Heute verlangt die Erfüllung der Aufgaben eines Innenministers mehr Mittel. Heute hat der Etat eine Größenordnung von 5,6 Milliarden Euro. Die Hälfte davon
sind Personalkosten.
Im Unterschied zu der Entwicklung der vergangenen
Jahre ist auch das Gesamtvolumen meines Etats rückläufig. Das liegt überwiegend an Einmaleffekten durch die
Europa- und Bundestagswahl mit einem Volumen von
100 Millionen Euro. Aber es veranlasst mich doch zu einer Grundsatzbemerkung. Allzu gerne wird die scheinbar zwingende Gleichung aufgemacht, dass nur Steigerungsraten in den Einzelplänen etwas über die Qualität
des jeweiligen Politikfeldes aussagen. Ich denke, das
werden wir in den nächsten Jahren überdenken müssen.
({5})
Steigerungsraten für sich betrachtet sind keine Aussage über die Qualität der Politik. Es gibt keine innere
Dynamik staatlichen Handelns, die auf immer weitere
Zuwächse programmiert wäre. Das können wir aus den
Debatten von vor 50 oder 60 Jahren lernen, und das werden wir auch in den nächsten Jahren erleben.
Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst machen. Der
öffentliche Dienst ist Garant für die Qualität unseres
staatlichen Handelns, und das muss er auch bleiben.
Ohne gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt es
keine leistungsfähige solidarische Gesellschaft. Das ist
nicht zum Nulltarif zu haben.
Uns allen muss aber angesichts der leeren Kassen
auch klar sein, dass es nichts zu verteilen gibt. Die Verhandlungen werden schwierig. Ein Kompromiss ist
möglich, aber schwierig. Ich würde mich freuen, wenn
in den nächsten Tagen viele Wortmeldungen und sogenannte gute Ratschläge von außen an die Tarifpartner
unterbleiben könnten. Das macht es am Verhandlungstisch nicht leichter.
Zurück zu unserem Haushalt. Die erste Aufgabe eines
demokratischen Staates ist, Sicherheit in Freiheit zu gewährleisten. Das spiegelt auch unser Haushalt wider.
Mehr als zwei Drittel der vorgesehenen Ausgaben entfallen auf diesen Bereich. Darüber können wir heute
nicht umfassend diskutieren. Aber ich will noch ein Wort
zu dem sagen, worüber vorhin diskutiert wurde. Auch
nach dem Anschlagsversuch von Detroit rate ich zu Gelassenheit und Sachlichkeit. Wir müssen klug auf die
Herausforderungen reagieren, die uns in diesem Bereich
begegnen. Einen Nacktscanner wird es mit mir nicht geben.
({0})
Körperscanner der zweiten Generation kann es dagegen sehr wohl geben,
({1})
wenn sie drei Voraussetzungen erfüllen:
Erstens. Sie müssen leistungsfähig sein. Sie müssen
das, was man sehen will, auch erkennen.
Zweitens. Sie dürfen in keiner Weise gesundheitsgefährdend sein. Deswegen wird es mit mir auch keinen
Einsatz von Röntgenstrahlen - in welcher Form auch immer - geben.
Drittens. Sie müssen die Intimsphäre und die Persönlichkeitsrechte umfassend wahren.
({2})
Wenn diese drei Voraussetzungen erfüllt sind und die
Geräte einsatzfähig sind, dann können wir darüber reden. Ich denke, das wird Mitte 2010 der Fall sein. Dann
werde ich mich für den Einsatz solcher Körperscanner
einsetzen.
({3})
Wir sollten aber Mensch und Maschine nicht gegeneinander ausspielen. Natürlich brauchen wir auch tüchtige
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl bei der Bundespolizei als auch bei den Unternehmen der Flughafengesellschaften. Ich sage unumwunden: Hier ist sicherlich
noch das eine oder andere zu tun und zu verbessern. Das
schauen wir uns genau an. Ich möchte nicht, dass wir
aufgrund der notwendigen Terrorabwehr andere Sorgen
bei der öffentlichen Sicherheit vernachlässigen. Dazu
gehört der Kampf gegen die organisierte Kriminalität,
Drogen, Extremismus und Gewalt rund um Fußballstadien, um nur einige Beispiele zu nennen.
Eine weitere Kernaufgabe der kommenden Jahre ist
die Integration, und zwar die Integration sowohl der bereits hier lebenden Zuwanderer als auch derjenigen, die
neu zu uns kommen. Die Integrationskurse sind dabei eines der wichtigsten integrationspolitischen Instrumente
des Bundes. Sie sind belächelt worden, haben sich aber
als sehr gut und wirksam erwiesen.
({4})
Seit 2005 haben rund 580 000 Zuwanderer an diesen
Kursen teilgenommen. Die Mittel haben bisher nicht
ausgereicht. Deswegen verzeichnet der Haushalt an dieser Stelle einen Zuwachs in Höhe von 44 Millionen
Euro.
({5})
Die Deutsche Islam Konferenz ist das wichtigste Dialogforum von deutschem Staat und Vertretern der hier lebenden Muslime. Ich werde sie fortsetzen und vertiefen.
Muslime in Deutschland sollen sich als Teil der deutschen Gesellschaft verstehen und sollen von dieser auch
so verstanden werden. Dies setzt nicht nur die theoretische Bejahung, sondern auch die praktische Bereitschaft
voraus, das Grundgesetz wirklich zu leben. Ich möchte
deshalb die zweite Stufe der Deutschen Islam Konferenz, deren theoretische Grundlegung - zu Recht - abschließend erfolgt ist, praktischer machen, und zwar in
drei Punkten: erstens in allem rund um die Themen Religionsunterricht sowie Religionslehrer- und Imamausbildung, zweitens bei der Gleichbehandlung von Mann und
Frau, insbesondere von Jungen und Mädchen, sowie
drittens in der Debatte über friedlichen Islam und gewalttätigen Islamismus. Diese drei Punkte sind richtig
und wichtig. Gerade in der Debatte über den dritten
Punkt können und wollen wir helfen. Aber die Haupttrennlinie zwischen dem friedlichen Islam und dem gewalttätigen Islamismus muss der Islam selbst ziehen.
({6})
Wir werden in den nächsten Tagen viel über Sport reden. Die Olympischen Winterspiele stehen bevor. Ich
werde zur Eröffnungsfeier nach Vancouver fahren.
({7})
- Ich habe bereits gesagt, was ich im Fußball am liebsten
wäre, Herr Wiefelspütz. - Unseren Athleten wünsche ich
in Vancouver viel Erfolg. Ich möchte meinen dortigen
Besuch auch nutzen, um für unsere Bewerbung für die
Olympischen Spiele 2018 in München und GarmischPartenkirchen zu werben.
({8})
Dies ist nicht nur für die Bundesregierung, sondern für
uns alle - vielleicht bekommen wir deswegen noch einen
Beifall des gesamten Hauses hin - ein nationales Anliegen.
({9})
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
Ein Schwerpunkt nicht nur der Innenpolitik wird in
den kommenden Jahren die Informationsgesellschaft
sein; wir haben darüber eben schon beim Etat des Verbraucherschutzministeriums diskutiert. Nach meiner
Auffassung brauchen wir eine systematischere Antwort
als bisher auf die Frage, wie auch im virtuellen Raum
Freiheit, Sicherheit und Vertrauen gewährleistet werden
können. So, wie dem Internet mittlerweile eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung zukommt, so ist es auch
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den Ordnungsrahmen für das Internet fortzuentwickeln.
Dazu habe ich einen netzpolitischen Dialog mit Vertretern von Staat, Wissenschaft, Netzgemeinde und Zivilgesellschaft gestartet. Gestern gab es die erste Runde
- vielleicht haben Sie etwas davon gehört -, die gezeigt
hat, dass die Gräben zwischen Staat und Teilen der Netzgemeinde unübersehbar, aber nicht unüberbrückbar sind.
Ich werde diesen Dialog fortsetzen und freue mich auf
eine gute Zusammenarbeit mit der Enquete-Kommission
des Deutschen Bundestages, die vermutlich eingesetzt
werden wird. Allerdings möchte ich, wenn es notwendig
ist, etwas zu tun, nicht zwingend abwarten, bis die
Enquete-Kommission am Ende der Legislaturperiode
Ergebnisse vorlegt. Wenn wir uns einig sind, möchte ich
manches schon vorher in Angriff nehmen.
Nicht nur der Datenschutz im Internet ist ein Thema,
sondern Sie wissen, dass wir uns auch vorgenommen haben, ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz als Teil des Datenschutzgesetzes vorzulegen. Ich hoffe, ich kann meine
Zusage einhalten, Ende Februar den ersten Referentenentwurf zu präsentieren.
Als die Abgeordneten vor 60 Jahren über den Haushalt berieten, war die Debatte auch von der Erfahrung
der Teilung Deutschlands geprägt. Niemand konnte damals wissen, wie lange diese Teilung dauert. In diesem
Jahr dürfen wir uns gemeinsam über den 20. Jahrestag
der Wiedervereinigung freuen und können das auch mit
Stolz auf das Erreichte tun. In den letzten 20 Jahren lag
der Schwerpunkt der Bemühungen auf dem Aufbau einer modernen und leistungsfähigen Infrastruktur. Viel
wurde diesbezüglich geleistet, und manches ist noch zu
tun.
Heute stehen wir, bedingt durch den globalen Wettbewerb, vor neuen Herausforderungen wie der Stärkung
der Innovationsfähigkeit der ostdeutschen Unternehmen,
der Verbesserung der Qualifikation der Arbeitnehmer
oder den Veränderungen, die sich aus dem demografischen Wandel ergeben. Überhaupt wird mein Haus
federführend gemeinsam mit den anderen Häusern eine
Strategie zum Umgang mit der Demografie vorlegen.
Dabei können wir viel von den Erfahrungen und Antworten in den ostdeutschen Ländern lernen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum
Schluss noch eine persönliche Bemerkung, die hoffentlich unser aller Zustimmung findet. Zu dem Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums gehören auch der
Bevölkerungsschutz und das Katastrophenmanagement.
Das Technische Hilfswerk wird vom BMI mit Mitteln in
Höhe von 178 Millionen Euro finanziert. Unser Mitgefühl und unsere tatkräftige Hilfe gelten in diesen Tagen
den Menschen in dem geschundenen Land Haiti. Unsere
Mitarbeiter sehen dort unvorstellbares Elend und packen
an. Das Erdbeben in Haiti und seine Folgen mögen bei
manchem von uns vielleicht einen verschobenen Maßstab bei der Kritik an unseren Verhältnissen oder der vorschnellen Verwendung der Begriffe von Chaos und Katastrophe zurechtrücken.
Den Frauen und Männern des Technischen Hilfswerkes und den Helferinnen und Helfern aus der ganzen
Welt danke ich von ganzem Herzen. Ich wünsche ihnen
vor allem viel innere Kraft, um das durchzustehen, was
sie im Moment leisten.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, Sie haben über Zuwanderung und Integration als wichtige Aufgaben, die voranzubringen sind, gesprochen. Das ist ein Thema, das uns in dieser Debatte
sicherlich wiederholt beschäftigen wird. Ich will ein paar
Punkte ansprechen, die aus meiner Sicht eine große
Rolle spielen sollten.
Infolge der meiner Meinung nach guten Reform des
Staatsangehörigkeits- und Zuwanderungsrechts ist
jetzt die Phase eingetreten, in der junge Leute für die
Staatsangehörigkeit ihrer Eltern oder diejenige, die sie
aufgrund ihrer Geburt in Deutschland erworben haben,
optieren müssen. Das ist eine Regelung, die kaum mit
den Interessen dieser jungen Leute, aber auch nicht mit
den Interessen der Bundesrepublik Deutschland an einer
funktionierenden Integration übereinstimmt.
({0})
Die Regelung ist damals Gesetz geworden, weil nur so
die Zustimmung zum Staatsangehörigkeitsrecht zu erhalten war. Das weiß jeder. Jeder wusste, dass das keine
gute Lösung ist und dass man die Regelung zu gegebener Zeit ändern muss. Jetzt ist diese Zeit gekommen, und
deshalb muss diese Legislaturperiode die Periode sein,
in der wir die Optionspflicht abschaffen und dafür sorgen, dass endlich alle ihre Staatsangehörigkeit behalten
können.
({1})
Wenn wir über Integration sprechen, dann darf das
kein hohles Wort sein, das man wie eine Monstranz vor
sich herträgt und denjenigen, die zu integrieren sind,
vorhält. Wenn Integration immer nur ein Vorwurf ist und
nicht etwas, was man tatsächlich ermöglicht, dann ist das
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
zu wenig. Deshalb müssen wir auch etwas für diejenigen
tun und denen helfen, die einen besonders schweren Zugang zu unserer Gesellschaft haben. Es geht zum Beispiel um diejenigen, die lange in Kettenduldung hier in
Deutschland leben. Es hat für diese Menschen noch einmal eine Übergangsregelung der Innenministerkonferenz gegeben. Manche der Beteiligten haben hinterher
erklärt, das sei das letzte Mal, wohl wissend, dass es keinesfalls das letzte Mal war, wenn es immer bei diesen
verkrampften Lösungen bleibt. Es ist doch wichtiger,
dass wir eine gesetzgeberische Botschaft aussenden,
dass wir sagen, wie die Integration funktionieren kann,
an welche Voraussetzungen wir sie knüpfen und wie wir
es ermöglichen, dass jemand, der einen großen Integrationswillen besitzt, tatsächlich eine Chance auf einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland bekommt. Deshalb
sollten Sie einmal jenseits aller parteipolitischen Zuordnungen und vorschnellen Urteile sehr sorgfältig den Gesetzentwurf prüfen, den wir in den Deutschen Bundestag
eingebracht haben und mit Ihnen diskutieren wollen.
({0})
Es geht darum, dafür zu sorgen, dass es eine dauerhafte
Regelung gibt. Wir haben im Gesetzentwurf einen Vorschlag untergebracht, von dem ich gehört habe, dass der
eine oder andere, der nicht der SPD oder den Oppositionsparteien angehört, ihn gut fand. Wir sollten sagen,
dass diejenigen, die zum Beispiel durch einen Schulabschluss in Deutschland ihren Integrationswillen überaus
deutlich gemacht haben, daraus einen Anspruch auf einen gesicherten Aufenthalt ableiten können. Ich glaube,
das wäre das beste Integrationssignal, das wir in
Deutschland aussenden können.
({1})
Da es um Integration und Integrationskurse geht,
gestatten Sie mir diesen einen Hinweis: Besuchen Sie
einmal die Integrationskurse, und zwar zum Ende der
Laufzeit. Gehen Sie hin, wenn die Teilnehmer mit dem
Kurs fast fertig sind und unterhalten Sie sich strikt auf
Deutsch mit den Teilnehmenden. Wenn Sie das getan haben, dann kommen Sie wieder hierher zurück und wissen, dass die Kurse noch nicht ausreichen; denn das Niveau, das dort am Ende von Menschen erreicht werden
kann, die aus ganz anderen Kulturkreisen kommen, ist
noch nicht ausreichend für das, was wir hier politisch
wollen. Es darf nie passieren, dass wir über Integration
reden und dann Dinge tun, die im Ergebnis nicht zu Integration führen. Wir müssen mehr fördern. Für den
Spracherwerb, der nötig ist, brauchen wir mehr Stunden,
als wir heute ansetzen. Es muss im Ergebnis wirklich
hinhauen.
({2})
Wenn wir über Innenpolitik reden, dann geht es auch
um innere Sicherheit und um die Frage, was wir für das
Funktionieren der inneren Sicherheit tun. Gerade die
jüngsten Vorfälle haben uns gezeigt, dass niemand den
Eindruck erwecken darf, alles sei in Ordnung. Der Terrorismus zum Beispiel, der internationale Terrorismus allemal, ist keineswegs eine Sache, über die man nicht mehr
reden muss. Da besteht eine große Gefahr. Ich bin dagegen, dass wir den Eindruck erwecken, man könne innere
Sicherheit nur durch guten Willen oder mit unzureichenden Mitteln herstellen. Das Wichtigste, um terroristische
Aktivitäten und entsprechende Gewalttaten zu verhindern, ist eine gute Sicherheitsarchitektur und sind gut
ausgebildete Polizistinnen und Polizisten. Die muss man
bezahlen, egal wie man über den Haushalt reden mag.
({3})
Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir immer sehr konsequent sind. Man kann nicht einmal eben 1 Milliarde
Euro für Hoteliers ausgeben und im Zusammenhang mit
der inneren Sicherheit sagen, man könne nicht genügend
Polizisten zur Verfügung stellen.
({4})
Das gefährdet jede Akzeptanz.
Ich will ausdrücklich sagen: Es ist ein großes Problem, dass die Stellen, die zum Beispiel bei der Bundespolizei zur Verfügung stehen sollten, keinesfalls alle besetzt sind - etwa 1 000 Stellen sind unbesetzt - und sich
diese Entwicklung weiter zu verschärfen droht. Wir
müssen dafür Sorge tragen, dass genug Polizisten da
sind. Es darf niemals passieren, dass wir über Gesetzesverschärfungen diskutieren und gleichzeitig immer weniger Polizisten haben. Das ist der falsche Weg.
({5})
Ich bin ein wenig irritiert, wenn zwar nicht hier in diesem Hause, aber unter den Landesministern und den Senatoren - ich denke an meine Heimatstadt Hamburg diejenigen lauthals über Gesetze reden, die besonders erfolglos bei der Aufklärung von Straftaten gegen Polizisten sind. Ich jedenfalls habe mit großem Entsetzen zur
Kenntnis genommen, dass in meiner direkten Nachbarschaft ein Anschlag auf eine Polizeiwache stattgefunden
hat, der wie viele andere politische Straftaten in Hamburg seit Jahren unaufgeklärt ist. Gleichzeitig wird laut
darüber geredet, was man gesetzgeberisch tun muss.
Man muss dafür sorgen, dass die Polizei ihre Arbeit machen kann. Das ist die wichtigste Aufgabe. Sie hat auch
etwas mit Stellen zu tun.
({6})
Aus meiner Sicht gilt das im Übrigen auch im Zusammenhang mit dem Einsatz von Scannern. Ich fand die
Äußerungen des Ministers sehr wohltuend; das will ich
ausdrücklich sagen. Aber muss es wirklich immer so
sein, dass sich im Dezember die üblichen Verdächtigen,
die gerne für Interviews und Fernsehauftritte zur Verfügung stehen, zu Wort melden und sagen: Da muss
schnellstmöglich, am besten morgen früh, der Nacktscanner her? Informiert man sich über diese Technik, erfährt man, dass wohl erst 2011, wenn die zweite oder
dritte Generation dieser Geräte existiert, ein solcher
Scanner eingesetzt werden kann. Ich glaube, man hat in
dieser Frage den falschen Weg eingeschlagen. Damit erzeugt man kein Sicherheitsbewusstsein in der Bevölkerung, sondern nur berechtigte Irritation.
({7})
Kollege Scholz, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ja. - Hierbei wird über die Durchführung von Kontrollen entschieden. Wenn es zum Einsatz solcher Geräte
käme, müssten wir darüber auch hier in diesem Parlament diskutieren. Dazu sollten wir uns alle verpflichten.
({0})
Wir sollten wenigstens einen Beschluss fassen, jenseits
der Frage, ob es eine gesetzgeberische Notwendigkeit
dazu gibt. Eines wünsche ich mir: Wenn es so ist, dass
man eine solche Technik einsetzen möchte, dann müssen
alle, die dafür stimmen, egal welcher Fraktion und Partei
sie angehören, bereit sein, einmal durch einen solchen
Scanner zu gehen und das, was dabei herauskommt, ein
Foto, ins Internet zu stellen und damit öffentlich zu machen.
({1})
Das Wort hat der Kollege Florian Toncar für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf den
letzten Vorschlag will ich gar nicht eingehen. Vielmehr
will ich auf die Grundlinien in der Innenpolitik zu sprechen kommen. Die Koalition tut alles, damit die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland Freiheit in Sicherheit genießen können. Natürlich ist Sicherheit auch eine
Aufgabe eines modernen Rechtsstaats. Sie ist Voraussetzung dafür, dass Menschen ihre Freiheit entfalten können. Für uns Liberale ist auch wichtig, zu betonen, dass
das Streben des Staates, Sicherheit zu schaffen, eine dienende Funktion hat: Es dient der Verwirklichung von
Freiheit. Es ist kein Wert, der vorne steht; dieser Wert
hat vielmehr eine dienende Funktion für die Verteidigung unserer freiheitlichen Ordnung.
Die Koalition hat sich darauf verständigt, nicht immer
neue und immer weitreichendere Überwachungsbefugnisse in unterschiedliche Gesetze einzuarbeiten, wie es
im letzten Jahrzehnt in Deutschland der Fall gewesen ist.
Viele dieser Befugnisse wurden übrigens heimlich und
anlasslos erlassen. Das ist eine Fehlentwicklung, die wir
immer kritisiert haben. Sie werden nichts davon im Koalitionsvertrag finden. Wir haben uns zunächst einmal
darauf verständigt - so ist es auch formuliert -, bestehende Gesetze optimal anzuwenden. Das ist dringend
nötig.
Der versuchte Anschlag in Detroit ist heute schon
mehrfach angesprochen worden. Ich glaube, man muss
sich mit dieser Angelegenheit auseinandersetzen. Sie illustriert vieles, woran es im Sicherheitsbereich heute
noch krankt.
({0})
Der Täter von Detroit war seit langem als gefährlich eingestuft und bei unterschiedlichsten Behörden unterschiedlichster Länder bekannt. Man muss festhalten:
Trotz umfangreichster Überwachung fast aller betroffener Bürger, zumindest wenn sie in ein Flugzeug steigen,
in unterschiedlichsten Ländern auf der Welt - obwohl
unzählige Daten gesammelt, verarbeitet und auch weitergegeben worden sind - konnte dieser Täter ein Flugzeug besteigen, ohne Gepäck, mit einem Ticket, das er
selbst in bar bezahlt hat, und ohne Rückflugticket. Ich
glaube, das zeigt, dass es eben keine Frage der Quantität
ist - Daten sind in großer Zahl gesammelt worden -,
sondern der Qualität von Ermittlungsarbeit. Genau daran
wollen wir arbeiten, auch im Zuge der Haushaltsberatungen.
({1})
Der vorgelegte Entwurf des Ministeriums bietet eine
gute Grundlage, unsere Sicherheitsbehörden zukunftsfähig aufzustellen. Es ist ein klassischer Personal- und
Verwaltungshaushalt.
Wir werden angesichts der Haushaltslage natürlich
darauf achten, dass wir effektive und effiziente Strukturen haben und dass die Mittel, die in diesem Bereich zur
Verfügung stehen, einen größtmöglichen Sicherheitsgewinn bringen. Herr Kollege Scholz, ich fand es übrigens
interessant, dass Sie in Ihrer Rede nun die Sache mit der
Mehrwertsteuer in einen Zusammenhang mit Polizeistellen gerückt haben. Den Kollegen Schneider hatte ich
vorhin so verstanden, dass er diese 500 Millionen Euro,
die das im Übrigen für den Bundeshaushalt ausmacht
- das ist ja kein großer Betrag -,
({2})
zur Reduzierung der Neuverschuldung verwenden wolle.
Sie wollen sie jetzt für mehr Polizisten ausgeben. Davor
sollte es für Bildung ausgegeben werden. Ich habe den
Eindruck, dass die SPD-Fraktion diese 500 Millionen
Euro am Ende dieser Haushaltswoche ungefähr acht- bis
zehnmal ausgegeben haben wird. Sie sollten sich intern
über solche Fragen vielleicht auch einmal abstimmen.
({3})
- Sie sollten solche Dinge einfach intern abstimmen.
Von Mitgliedern Ihrer Fraktion sind heute Dinge vorgetragen worden, die nicht zueinander passen. Darauf wird
man doch einmal hinweisen dürfen.
Wir als FDP-Fraktion werden im Zuge der Haushaltsberatungen darauf achten, dass bei der Strukturierung
der Sicherheitsbehörden das Trennungsgebot zwischen
Polizei und Nachrichtendiensten eingehalten wird. Auch
in Haushaltstiteln darf es nicht zur Vermischung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Aufgaben kommen.
Wir werden uns um neue Aufgaben wie die bessere
Ausstattung und Koordinierung internationaler Polizeiausbildungsmissionen und -mandate zu kümmern haben.
Auch da ist viel zu tun.
Die Koalition wird es auch schaffen, das Dauerthema
Digitalfunk, auf den Polizei und Rettungsdienste nun
wirklich schon lange warten, endlich einer Lösung zuzuführen. Es ist ein Trauerspiel, dass das so lange dauert.
Wenn wir über den Haushalt sprechen, ist es auch
wichtig, darauf zu achten, dass wir evaluieren, ob durch
die Dienste und Dienstleistungen, die das Bundesverwaltungsamt erbringt - es handelt sich ja um eine sinnvolle Serviceeinrichtung, in der gleiche Aufgaben unterschiedlicher Behörden gebündelt werden -, bei anderen
Behörden Aufgaben wegfallen und sich das in deren
Etats niederschlägt. Es kann nicht sein, dass wir eine solche Serviceeinrichtung zur Effizienzsteigerung schaffen,
zugleich aber in keiner anderen Behörde an irgendeiner
Stelle Kosten gespart werden. Ich glaube, dass das entweder im Zuge dieser oder im Zuge der nächsten Haushaltsberatungen ein wichtiger Punkt sein wird.
Die Koalition hat neben der organisatorischen Aufstellung der Sicherheitsbehörden natürlich auch verschiedene Vereinbarungen hinsichtlich der Sicherheitsgesetzgebung getroffen. Ich kann festhalten, dass es
entscheidende Verbesserungen vor allem beim Kernbereichsschutz geben wird. Dieser wird in verschiedenen
Gesetzen besser ausgestaltet werden. Hierbei geht es um
die Privat- und oft sogar um die Intimsphäre der Bürger.
Deren Schutz werden wir verbessern. Natürlich werden
wir auch dafür sorgen, dass im BKA-Gesetz verankert
wird, dass heimliche Ermittlungsmaßnahmen im präventiven Bereich künftig von einem erfahrenen Bundesrichter angeordnet werden müssen. Die Praktiker, die
sich mit solchen Anträgen auf Maßnahmen und Anordnungen beschäftigen, können wirklich bestätigen, dass
es einen Unterschied macht, wessen Unterschrift dafür
nötig ist, die eines Amtsrichters oder die eines Bundesrichters am Bundesgerichtshof. Das macht auch aus
Sicht der Wahrung der Grundrechte der Betroffenen einen Unterschied.
({4})
Wir werden dafür sorgen, dass die genannten Dinge in
die Gesetze aufgenommen werden. Wir setzen den
Schwerpunkt auf den Vollzug von Gesetzen im Sinne einer optimalen Sicherheit und damit auch der Sicherung
der Freiheit bei uns im Lande.
Vielen herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Steffen Bockhahn für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Toncar, ich nehme mit Erstaunen zur
Kenntnis, dass Sie 500 Millionen Euro für einen kleinen
Betrag halten.
({0})
Ich darf Ihnen sagen: In einer Kommune in Ostvorpommern, wo man aufgrund Ihres Wachstumsbeschleunigungsgesetzes nicht mehr weiß, wie man den Jugendklub finanzieren soll, sieht man das anders.
({1})
Meine Damen und Herren, wir diskutieren im Einzelplan 06 dieses Jahr auch erstmals über die Ostdeutschland-Politik der Bundesregierung. Viele haben kritisiert, dass der Osten auf diese Weise nicht mehr die
Rolle spielen würde, wie er sie die letzten 20 Jahre gespielt hat. Ich kann verstehen, dass man das so sieht. Ich
habe mir aber einmal Mühe gegeben, dieses Regierungshandeln positiv zu betrachten, und bin für mich zu der
Interpretation gekommen, dass die Bundesregierung den
Osten endlich nicht mehr als irgendein Problem, sondern
als innerdeutsche Angelegenheit behandeln möchte. Das
kann ich nur begrüßen.
({2})
Nun will ich Ihnen gar nicht, wie Sie vermutlich alle
erwarten, das übliche Lied über den traurigen Osten vorsingen. Ich darf Ihnen aber schon sagen: Das Wort
„Hartz IV“ wird auch in dieser Rede wieder vorkommen.
({3})
- Das möchte ich gar nicht riskieren.
Es ist völlig klar, dass es auch im Westen der Republik inzwischen Gebiete gibt, denen es kaum besser geht
als flächendeckend dem Osten. Wir wollen eines aber
nicht vergessen - das statistische Mittel der fünf neuen
Bundesländer und das statistische Mittel der zehn alten
Bundesländer sprechen eine deutliche Sprache -: Von
gleichen Lebensverhältnissen in Ost und West sind wir
weit entfernt.
Noch immer bekommen Ostdeutsche für die gleiche
Arbeit deutlich weniger Lohn und liegt das Bruttoinlandsprodukt etwa ein Drittel unter dem des Westens.
Die Arbeitslosigkeit ist fast doppelt so hoch. Rund
1,7 Millionen Menschen in den neuen Ländern leben
von Hartz IV, und die Zahl der geringfügig Beschäftigten, die nicht von ihrer Arbeit leben können, hat inzwischen katastrophale Ausmaße angenommen.
Einer der größten, wenn nicht der größte Skandal ist
aus meiner Sicht aber, dass im reichen Deutschland mehr
als jedes vierte Kind im Osten unter den Armutsbedingungen von Hartz IV aufwachsen muss. Ich darf Sie bei
der Gelegenheit daran erinnern, dass im Regelsatz nicht
ein einziger Cent für Bildung vorgesehen ist. Ohne gut
ausgebildete Menschen werden aber die strukturschwachen Regionen des Ostens weder aufholen noch gleichziehen können. Das muss Ihnen klar sein. Das heißt, mit
ihrer Politik verstetigt die Bundesregierung die Strukturprobleme, statt sie zu beseitigen.
({4})
Eine verantwortungsvolle Bundesregierung müsste in
einer solchen Situation einen ambitionierten Entwicklungsplan für Ostdeutschland aufstellen. Aber woher soll
dieser kommen? Nicht ein einziges Mitglied des Kabinetts ist im Osten geboren, und vermutlich wird in der
Regierung eher eine Schwerpunktsetzung, wie Herr
Ramsauer sie bevorzugt, unterstützt, als dass man sich
ernsthaft bemüht, die bestehenden Probleme zu bewältigen.
Mit Ihrem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz treten Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, den strukturschwachen Regionen ein weiteres
Mal kräftig gegen das Knie. Denn dort, wo die Kommunen die letzten großen Investoren sind, wird noch weniger
Geld ausgegeben werden können. Das bedeutet gerade im
Osten, dass die Handlungsfähigkeit der Kommunen
schwer beeinträchtigt wird, weil dieses scheinbar durch
großzügige Spenden beförderte Gesetz mit den Geschenken für Hotellobby, Superreiche und Großerben bei den
Kommunen zu massiven Einnahmeausfällen führen wird.
Anstelle von Steuergeschenken brauchen wir ein engagiertes Investitionsprogramm für bestimmte Regionen
Westdeutschlands, vor allem aber für den Osten Deutschlands.
({5})
Lassen Sie mich zu einem zweiten Punkt kommen:
dem Datenschutz. Um diesen ist es aus meiner Sicht
nicht wirklich gut bestellt in Deutschland. Man denke an
Deutsche Bahn, Deutsche Telekom, Schlecker und Lidl;
von ELENA reden wir besser gar nicht erst. Ein Datenskandal jagt zurzeit den nächsten. Angekündigt war
eine deutliche Stärkung des Bereichs des Bundesdatenschutzbeauftragten. Im Haushalt - das nehme ich zur
Kenntnis - finden wir tatsächlich effektiv elfeinhalb
neue Stellen. Das ist ein Anfang, aber lange nicht genug.
Wir schlagen Ihnen stattdessen Folgendes vor: eine
gesetzliche Initiative zur Stärkung des Datenschutzes,
insbesondere des Arbeitnehmerdatenschutzes; mehr
Kompetenzen und mehr Personal für den Bundesdatenschutzbeauftragten; eine umfassende Informationskampagne für die Bevölkerung. Das stärkt die Bürgerrechte.
Das Wichtigste im Umgang mit neuen Medien etc. ist,
dass die Menschen wissen, was sie tun, wenn sie mit
Kreditkarte, Payback-Karte usw. unterwegs sind. Wir
müssen die Menschen darüber informieren, um Datenschutz zu ermöglichen. Dazu bedarf es einer großen Informationskampagne, die weit über das hinausgeht, was
wir bisher tun.
Wie wenig eine solche Politik durch die Bundesregierung und ihren Innenminister wirklich gewollt ist, hat
Herr Minister de Maizière leider durch sein Verhalten in
Bezug auf das SWIFT-Abkommen bewiesen. Wer ohne
Not die höchst sensiblen und privaten Bankdaten aller
Deutschen preisgibt, der meint es nicht ernst mit dem
Datenschutz.
({6})
Nun zum dritten Punkt, meine Damen und Herren.
Aus meiner Sicht eine der unnötigsten Ausgaben des gesamten Bundeshaushaltes findet sich ebenfalls im
Einzelplan 06: die Unterstützung für den sogenannten
Bund der Vertriebenen. Als direkte Zuweisung bekommt er jedes Jahr fast 1 Million Euro, und über weitere Projektmittel stehen insgesamt 2,013 Millionen
Euro zur Verfügung. In der Erläuterung zu diesem Haushaltsposten heißt es wörtlich - ich zitiere -:
Die Mittel dienen zur Unterstützung von Maßnahmen von Vereinigungen und Einrichtungen der Vertriebenen sowie diesen verbundener Träger, die geeignet sind, die Verständigung und Aussöhnung mit
unseren östlichen Nachbarn und die Einigung Europas zu fördern.
({7})
Wie diese Zielstellung und der sogenannte Bund der
Vertriebenen zusammenpassen sollen, bleibt aber unklar.
Wir reden hier nämlich über eine Organisation, Herr
Kollege, die die Oder-Neiße-Friedensgrenze gerne einmal als unnötiges Zugeständnis betrachtet,
({8})
die den EU-Beitritt Tschechiens verhindern wollte und
die nicht bereit ist, die Eigentumsrechte von Menschen
in anderen Ländern zu akzeptieren. Wir reden über eine
Organisation, die nicht willens oder in der Lage ist, zu
begreifen, dass der Auslöser für die Umsiedlung von
Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg der von den
Deutschen begonnene Zweite Weltkrieg war. Eine solche
Organisation kann man doch nicht mit über 2 Millionen
Euro unterstützen!
({9})
Dann doch lieber das Deutsch-Polnische Jugendwerk
oder den Verein junger Europäer; das Geld ist dort garantiert besser aufgehoben, und die Verständigung und
Versöhnung mit unseren Nachbarn in Europa würden davon profitieren.
Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren: Die
Bundesregierung ist nicht bereit, den Osten wirklich zu
stärken. Sie nimmt den Datenschutz nicht ausreichend
ernst, und sie fördert Organisationen, die es, gelinde gesagt, nicht verdient haben.
({10})
Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vieles, was Sie sagen, Herr Innenminister
- auch heute wieder -, und wie Sie es sagen, gefällt mir
sehr gut.
({0})
Die Meister der asymmetrischen Wortkriegsführung
scheinen abgelöst.
({1})
Der Wettlauf der Eskalationsrhetorik und der Wettlauf,
grundrechtseinschränkende Gesetze vorzubereiten, scheinen beendet - vorerst zumindest.
({2})
Herr de Maizière, es ist gut, wenn Sie von öffentlicher
und nicht von innerer Sicherheit sprechen. Es ist richtig,
dass Sie erklären, im öffentlichen Dienst brauchten wir
mehr Frauen und mehr Menschen mit Migrationshintergrund. Mir gefällt, dass Sie sagen, Sie hätten die Zeichen
der Zeit im Datenschutz und im Internet erkannt.
({3})
- Das kommt noch, Herr Wiefelspütz. Ich laufe noch zur
Höchstform auf. Versprochen!
Aber wir stehen nicht nur am Anfang einer Wahlperiode. Es ist auch der Anfang des Jahres. Ich werte Ihre
Aussagen daher als gute Vorsätze für das neue Jahr. Da
werden wir ganz genau hinschauen. Insbesondere im Bereich der Netzpolitik laufen wir ernsthaft Gefahr, dass
sich eine ganze Generation politisch dauerhaft von uns
abwendet.
Herr Kollege Krings, ich habe bemerkt, dass Sie auf
den Knien das Buch Payback von Schirrmacher liegen
haben. Das ist sehr gut; denn Fortbildung ist angesagt.
Ob aber dieses Buch der Weisheit letzter Schluss ist, sei
einmal dahingestellt. Der Koalitionsvertrag jedenfalls
gibt dem Internet Raum auf immerhin fünf Seiten. Das
ist gut. Aber den mehr deklaratorischen Absichtserklärungen muss nun Konkretes folgen.
({4})
Davon sehe ich bisher, abgesehen von einer netzpolitischen Kaffeerunde gestern im Bundesinnenministerium,
wenig.
Kommunikation ist Gesellschaft. Das ist die Grundthese der Gesellschaftstheorie Luhmanns.
({5})
Ich glaube, das stimmt. Wenn es stimmt, dann stehen wir
angesichts der globalen Vernetzung der analogen und der
digitalen Welt vor großen Umbrüchen und größten Herausforderungen. Nein, wir befinden uns mitten in diesen
Umbrüchen. Wir müssen uns als Politikerinnen und Politiker selbstkritisch fragen, ob wir dieser Entwicklung
bislang in angemessener Weise Rechnung getragen haben.
Die digitale Revolution hat längst alle Lebensbereiche erfasst, und die Politik hinkt dieser Entwicklung seit
Jahren hinterher. Das Internet ist inzwischen das zentrale Kommunikations- und Wirtschaftskonstrukt. Angesichts dieser Tatsache ist es zwingend, dass sich unser
Parlament mit den Chancen und den Herausforderungen
der digitalen Revolution intensiv beschäftigt.
({6})
Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir in diesem
Hohen Haus zu diesem Thema eine Enquete gründen.
Aber ich sage an dieser Stelle auch ganz deutlich: Das
darf keine Alibiveranstaltung werden. Diese Enquete darf
nicht fern der Öffentlichkeit einsam zwischen Politikern
und Sachverständigen hinter verschlossenen Türen stattfinden. Vielmehr muss sie der Ort für eine transparente
und öffentliche Diskussion sein. Die Chance, die sich hier
bietet, nicht nur über E-Partizipation zu reden, sondern
sie tatsächlich zu praktizieren, dürfen wir nicht ungenutzt
lassen.
({7})
Wenn Sie, liebe Kollegen von der FDP und CDU/
CSU, nun glauben, bei aller Zerstrittenheit in anderen
Bereichen sei die Netzpolitik ein Feld relativ einfacher
Profilierung, dann sind Sie absolut auf dem falschen
Dampfer. In der Netzpolitik gibt es drängende Probleme,
aber keine einfachen Antworten.
Richtig ist zum Beispiel, dass wir eine Antwort auf
die Herausforderungen hinsichtlich des Umgangs mit
geistigem Eigentum in Zeiten der Digitalisierung und
des Internets finden müssen. Wahr ist aber auch, dass
weder die Urheber noch die Verlage oder die Politik einfach versuchen dürfen, die Wirtschaftsmodelle der Vergangenheit ins digitale Zeitalter zu übertragen. Wenn
sich die Politik hier realitätsfern von Lobbys beeinflussen lässt, dann wird nicht nur die Politikverdrossenheit
großer Teile der Bevölkerung weiter gefördert; diese Ansätze werden auch einfach nicht funktionieren. Damit
werden wir niemandem helfen, weder den Urhebern
noch den Verlagen. Hier geht Glaubwürdigkeit verloren;
denn die einfachen Antworten gehen an der Lebenswirklichkeit von Millionen von Menschen vorbei.
Auch bei den Internetsperren haben Sie sich bisher
um eine tatsächliche politische Entscheidung gedrückt.
Gemessen an Ihren Ansprüchen, die Sperren abzuschaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, sind Sie
gescheitert. Das Ergebnis unserer Kleinen Anfrage hat
glasklar gezeigt: Die Bundesregierung hat bislang keinen Plan, wie das verabschiedete Gesetz gestoppt werden kann und was mit den Verträgen und der bereits
geschaffenen Sperrinfrastruktur geschehen soll. Eine
umfassende und schlüssige Netzpolitik sieht anders aus.
({8})
Ihren völlig missglückten Start bei SWIFT durfte ich
bereits vor Weihnachten kommentieren.
Es gibt ein weiteres Feld Ihres datenschutzrechtlichen
Versagens, und das ist die Vorratsdatenspeicherung.
Statt dieses Gesetz zurückzunehmen, wie vielfach von
der FDP im Wahlkampf versprochen, eiern Sie herum.
Dabei waren es doch Sie von der FDP, die zusammen
mit uns, mit den Grünen, die Unsitte des bewussten
Schreibens verfassungswidriger Gesetze im Bewusstsein, das Bundesverfassungsgericht werde einen schon
irgendwie retten, immer kritisiert haben. Und was machen Sie nun? Statt die Vorratsdatenspeicherung abzuschaffen, laden Sie das Gesetz beim Bundesverfassungsgericht ab. So geht es nicht. Wo waren denn die
Befürworter dieses Gesetzes am 15. Dezember 2009?
({9})
Der Vorsitzende, Herr Papier, hat in Karlsruhe ausdrücklich nach ihnen gefragt, übrigens auch nach Vertretern
der SPD-Fraktion.
({10})
Es war niemand da.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU, SPD und
CSU, Ihnen fehlt die Kraft, dieses Gesetz zu verteidigen.
Der FDP fehlte die Kraft, im Koalitionsvertrag Konsequenzen zu vereinbaren. Angesichts dieser Schwäche
allenthalben bleibt tatsächlich nur das Bundesverfassungsgericht. Wir können uns diese Schwäche aber nicht
mehr leisten. Wir müssen der Bedeutung des Datenschutzes endlich wirklich gerecht werden und ihn ins
Grundgesetz aufnehmen. Wir brauchen eine wirksame
Entschädigung bei Datenpannen. Wir dürfen den Art. 10
des Grundgesetzes nicht weiter schwächen, sondern
müssen ihn stärken. Wir brauchen eine Gesetzesinitiative für den sogenannten Datenbrief. Wir brauchen einen
echten Wandel beim Datenschutz, Herr Minister, keinen
rhetorischen.
({11})
Auch in der Migrationspolitik sind Sie leider weit
hinter den zwingend erforderlichen Änderungen zurückgeblieben. Zwar sagt die schwarz-gelbe Koalition Ja zu
mehr Pflichten für Ausländerinnen und Ausländer,
gleichzeitig aber Nein zu mehr Rechten.
({12})
Vergeblich sucht man im Koalitionsvertrag nach einer
erleichterten Einbürgerung. Ihre Entscheidung gegen ein
kommunales Ausländerwahlrecht ist ein Armutszeugnis
in puncto Integration.
({13})
Auch der Optionszwang, nach dem sich hier geborene
Ausländerinnen und Ausländer nach dem 18. Geburtstag
zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und derjenigen ihrer Eltern entscheiden müssen,
({14})
bleibt und soll lediglich überprüft werden. Von einer liberalen Handschrift kann da leider keine Rede sein. Es
ist altbacken und schädlich, wie stiefmütterlich Sie mit
diesem wichtigen Bereich der Innenpolitik umgehen.
({15})
Da man dieser Tage im Rahmen der innenpolitischen
Debatte nicht um die Nacktscanner herumkommt,
möchte auch ich noch einige Worte dazu verlieren. Wir
sind uns alle einig: Die öffentliche Sicherheit ist ein hohes Gut. Natürlich gibt es eine reale Bedrohung. Aber
gerade deshalb dürfen wir unsere Zeit nicht mit Placebodebatten vertun. Der gescheiterte Attentäter von Detroit
war für die Dienste - es wurde hier mehrfach gesagt kein Unbekannter. Trotzdem ist er in das Flugzeug eingestiegen. Dies hat gezeigt - Herr Kollege Toncar, da
gebe ich Ihnen völlig recht -: Wir haben nicht zu wenige
Informationen; wir haben viel zu viele. Wir sehen vor
lauter Daten die eigentlichen, tatsächlichen und offensichtlichen Gefahren nicht mehr.
Den zahlreichen Befürwortern von Nacktscannern
- meiner Ansicht nach ist es reine Wortklauberei, die
Diskussion an den Begriffen „Körperscanner“ oder
„Nacktscanner“ aufzuhängen; wenn man auf einen
Körper ohne Kleidung schaut, bleibt der Mensch letztlich nackt; daran können Sie nichts ändern, auch wenn
Sie andere Begrifflichkeiten wählen - geht es lediglich
um das subjektive Sicherheitsgefühl. Wir gewinnen jedoch keine tatsächliche Sicherheit - weder durch die
Nacktscanner noch durch Hunderttausende von Videokameras noch durch Onlinesperren. Wir geben viel Geld
aus, bauen Bürgerrechte ab, schränken die Privatsphäre
ein und ersticken in einer Datenflut, die uns von den offensichtlichen und notwendigen Handlungen und Reaktionen eher abhält, als dass sie diese fördert. Ich sage
noch einmal: Wir laufen Gefahr, die Terroristen vor lauter Kameras zu übersehen. Wir erkennen sie aufgrund
der Flut von Informationen, die wir haben, nicht, und wir
überhören sie vor lauter Abhörmaßnahmen.
Die ersten 100 Tage Ihrer Koalition sind vorbei.
({16})
Wir alle wissen, welche Halbwertszeiten gute Vorsätze
für das neue Jahr haben. Oftmals sind die guten Vorsätze
schon im Februar nichts mehr wert.
({17})
Ich hoffe aufrichtig, dass das bei Ihnen nicht der Fall
ist, Herr Innenminister. Mit der Ankündigungspolitik
muss jetzt Schluss sein. Papier ist geduldig. Die Menschen, die systematisch und auf Vorrat ausgeforscht werden, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die überwacht und ausspioniert werden, sind es nicht mehr.
Herzlichen Dank.
({18})
Der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl hat nun für die
Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Herr von Notz, wir haben Ihnen sehr aufmerksam zugehört.
({0})
Das sind sehr interessante Gedanken, die auch von Herrn
Wiefelspütz hätten kommen können.
({1})
Er hat ausführlich zu einem Thema gesprochen, das uns
in dieser Koalition sehr am Herzen liegt, nämlich zu den
Veränderungen in der Welt des Internets und den Veränderungen unserer Gesellschaft, die durch das Internet
hervorgehen.
({2})
Ich würde mich - im Gegensatz zu Herrn Wiefelspütz als Digital Immigrant bezeichnen.
({3})
- Ein Digital Immigrant ist das Gegenteil von einem Digital Native.
({4})
Letztere sind Menschen, die mit dem Computer aufgewachsen und daher ganz selbstverständlich in die Materie hineingewachsen sind. Wir anderen, die Älteren, Herr
Wieland,
({5})
haben uns mehr oder weniger mühsam mit diesem Medium befasst, bevor wir in der Welt des Internets angekommen sind.
({6})
Das sind die Digital Immigrants.
({7})
- Dieses Visum habe ich mir selbst durch mühsames
Selbststudium erteilt, so wie wir es immer wieder von
den Immigranten fordern, weil nur die Sprachkenntnis
allein sie zur Integration befähigt.
Lassen Sie mich auf dieses Thema kurz eingehen. Ich
glaube, dass es wichtig ist, dass wir die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ gegründet
haben und dass wir uns sehr gewissenhaft mit all den Facetten des Internets und den Fragen, wie das Internet die
Gesellschaft verändert, auseinandersetzen. Das ist sehr
wichtig, und darauf sollten wir in den nächsten vier Jahren sehr nachhaltig eingehen.
Die Gesellschaft ist durch dieses Medium in der Tat
gespalten. Wir haben - das gebe ich gerne zu, und das
müssen wir auch am Beispiel des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornografie nachträglich zugeben - ein
bisschen mit der Stange im Nebel gestochert, als wir in
der Großen Koalition das Gesetz gemacht haben. Deswegen habe ich gar keine Probleme mit dem Umstand,
dass wir dieses Gesetz derzeit nicht anwenden.
({8})
Darüber kann ich mich rechtspolitisch überhaupt nicht
erregen. Vielmehr müssen wir uns sehr sorgfältig mit
dem Thema befassen.
({9})
Der netzpolitische Dialog, der von Ihnen, Herr Minister,
jetzt parallel zu unserer Enquete-Kommission begonnen
wurde, ist ebenso wichtig.
Die Innenpolitik möchte einerseits für Sicherheit im
Internet sorgen. Kriminalität im Internet ist gang und
gäbe. Organisierte Kriminalität bemächtigt sich des Internets. Terrorismus und Spionage im Internet kommen
immer häufiger vor. Auf der anderen Seite haben wir den
Datenschutz im Internet sicherzustellen. Auch dies ist
eine schwierige Aufgabe angesichts des Umstandes,
dass gerade die jungen Menschen in einem Akt der
Selbstentäußerung alle ihre persönlichen, privaten und
intimsten Daten ins Internet stellen und sich durch niemanden daran hindern lassen.
Wir wollen den ungehinderten Zugang und den freiheitlichen Charakter des Internets schützen. Wir wollen
das Internet für die Dienstleistungen des Staates nutzbar
machen. E-Government wird die Welt verändern. Wir
werden von zu Hause aus Dienstleistungen des Bundes,
des Landes oder der Kommunen in Anspruch nehmen
können, ohne in irgendeiner Behörde gewesen zu sein.
Das sind die Dinge, die kommen werden. Wir werden
mit dem elektronischen Personalausweis dafür sorgen,
dass sichere Rechtsgeschäfte getätigt werden können.
Das halten wir für wichtig.
Lassen Sie mich kurz auf das Thema „Sicherheit, Sicherheitsbehörden, mehr Polizei, besser ausgebildete
und besser bezahlte Polizei“ zu sprechen kommen, Herr
Kollege Scholz. Das ist immer interessant, wenn man,
wie Sie und ich, lange genug im Geschäft ist. Sie waren
ja einmal Innensenator in Hamburg; ich glaube, bis
2001. Dann wurden Sie von einem mir sehr gut bekannDr. Hans-Peter Uhl
ten Mann aus München, Udo Nagel, abgelöst. Er war
Leiter der Mordkommission in München. Er hat für Aufklärung gesorgt und dafür gesorgt, dass die Zahl der
Straftaten zurückging. Deswegen ist es immer interessant, wenn Sie hier anklagen, dass in Hamburg Schreckliches passiert ist und es so etwas zu Ihrer Zeit möglicherweise nicht gegeben hat.
({10})
- Herr Exjustizsenator von Berlin, der Kollege Udo
Nagel hat mit Recht darauf hingewiesen,
({11})
dass in der Zeit zwischen 2001 und 2007 die Zahl der
Straftaten in Hamburg um 80 000 pro Jahr zurückgegangen ist. Das war nach Ihrer Zeit, Herr Scholz. Das war
nicht Ihre Leistung, sondern die Leistung Ihres Nachfolgers. Deswegen wäre ich mit solchen Äußerungen wie
denen, die Sie vorhin getätigt haben, sehr vorsichtig.
({12})
Zum Terror. Natürlich müssen wir alles tun - das ist
schon mehrfach gesagt worden -, um Terroranschläge
zu verhindern. Wir sollten mit den Amerikanern, was die
Vernetzung von sicherheitsrelevanten Erkenntnissen anbelangt, ein ernstes Wort reden. Wir irren uns, wenn wir
glauben, dass wir mit einer Masse von Polizisten und einer immer größer werdenden Flut von Daten für mehr
Sicherheit sorgen können. Das ist nicht das Thema. Der
Fall von Detroit hat das wirklich bewiesen. Es kann
nicht richtig sein, wenn es amerikanische Nachrichtendienste gibt, die alles wissen, in Europa aber keine einzige Sicherheitsbehörde etwas davon weiß. Man stelle
sich vor, der Täter aus Nairobi wäre über Frankfurt nach
Detroit geflogen: Dann wären wir die Schuldigen gewesen, weil wir nichts von dem Umstand gewusst hätten,
dass er ein sogenannter Gefährder ist. Das hat mit Bodyscannern überhaupt nichts zu tun. Die Diskussion über
Bodyscanner wurde nur daran angehängt, obwohl es
überhaupt keinen Sachzusammenhang gibt.
({13})
Das war ein Versagen amerikanischer Nachrichtendienste.
Der Bodyscanner - das wurde mehrfach ausgeführt;
ich will das jetzt nicht auch noch wiederholen - ist ein
Instrument, eine letzte Sicherheit,
({14})
wenn man so will, eine maschinelle Sicherheit. Wenn
man Glück hat, kann man damit aus der Flut der Touristen einen Terroristen herausfiltern.
({15})
Wir werden sehen, ob die Technologie tauglich ist. Die
Voraussetzungen für den Einsatz wurden bereits erwähnt. Wir werden sehen, ob wir diese Bodyscanner einführen.
Mir liegt etwas anderes am Herzen: Als wir 9/11 analysiert haben, haben wir gesagt, dass es in Deutschland
mit unseren 37 Sicherheitsbehörden - 16 Verfassungsschutzämter plus 16 Landeskriminalämter macht 32;
wenn wir noch die Bundesämter hinzunehmen, kommen
wir auf diese Zahl ({16})
nicht sein darf, dass eine Behörde, ein Land etwas weiß
und die nicht mit den anderen reden. Das ist ja jetzt in
Amerika wiederum passiert. Deswegen haben wir das
Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum gegründet.
({17})
Dort sitzt man täglich beisammen, und jeder legt auf den
Tisch, was er weiß. Hauptsächlich so kann man für Sicherheit sorgen. Wenn im Einzelfall am Flughafen noch
ein Bodyscanner nachhelfen kann, dann nehmen wir den
dazu.
Lassen Sie mich noch einige Gedanken zu einem
Thema ausführen, das in den nächsten Wochen ganz
wichtig sein wird. Wir stehen kurz vor der AfghanistanKonferenz in London. Wir Deutsche, wir Europäer werden in London dafür sorgen müssen, dass die wahren,
die vernünftigen und die realistischen Ziele für das geschundene Land Afghanistan definiert werden und dass
Ziele gegebenenfalls heruntergefahren werden. Herr
Scholz, da Sie mich gerade so anschauen: Ich sehe noch
den damaligen Außenminister Joschka Fischer vor mir,
({18})
wie er im Jahr 2001 nach der Petersberger Konferenz
schwadroniert hat: Wir werden in Afghanistan keine
Probleme haben. Wir gehen in den sicheren Norden. Wir
sind beliebt. Mohnanbau ist nicht unser Thema, das machen die Engländer. Die Justizausbildung ist nicht unser
Problem, das machen die Italiener. Wenn überhaupt geschossen wird, dann im Süden; das machen die Engländer und die Amerikaner. - So wurden wir von Joschka
Fischer hineingelockt.
({19})
Die Welt hat sich verändert; Sie wissen das. Jetzt
müssen wir dafür sorgen, dass wir eine ausstiegsorientierte Ausbildung der afghanischen Polizei und eine ausstiegsorientierte Ausbildung des afghanischen Militärs
in einem überschaubaren Zeitraum hinbekommen. Das
muss in London zwischen den Partnern der EU und der
NATO festgelegt werden.
Wenn wir es schaffen, in den nächsten drei Jahren die
Zahl der Ausbilder zu verdoppeln oder zu verdreifachen
- das ist zu leisten -, dann können wir in einigen Jahren
sagen: Wir haben unsere Aufgabe erfüllt. Herr Karzai
- oder wer immer dann an der Macht sein wird -, bitte
übernehmen Sie! - Selbsttragende Sicherheit nennen wir
das. Das ist unsere Aufgabe. Natürlich muss sie unter
dem Schutzschirm des Militärs erfüllt werden. Sonst
dürften wir die Polizisten nicht hinschicken; denn sie
brauchen für die Durchführung der Ausbildung eine sichere Umgebung.
Ich möchte einen letzten Gedanken ansprechen:
Olympia. Die Olympischen Winterspiele kommen
2018, wenn wir Glück haben, wenn wir uns anstrengen
und alles dafür tun, nach Deutschland, nach München,
nach Garmisch und in die anderen Orte. Darüber wird
am 6. Juli 2011 entschieden. Wir müssen das Jahr 2010
dafür nutzen, auf allen drei Ebenen die nationalen Anstrengungen voranzutreiben, damit wir eine gute Chance
haben, den Zuschlag zu erhalten. Ich meine, das wäre für
uns eine große Ehre und ein großer Vertrauensbeweis.
Olympia ist es wert, dafür zu kämpfen. Es ist nicht nur
ein Sportfest, sondern ein Fest, das die Menschen verbindet.
({20})
Wir sollten also dafür kämpfen, das Fest nach Deutschland zu holen.
Danke schön.
({21})
Das Wort hat die Kollegin Daniela Kolbe für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Einer der wichtigen Punkte
im Haushalt des Innenministeriums - ich finde, zu
Recht - ist das Thema Integration. Die gute Nachricht
ist: Wie wichtig die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund für Deutschland ist, scheint auch in
der konservativen Regierung angekommen zu sein. Das
belegen zumindest die Zuwächse bei einigen Haushaltspositionen.
({0})
- Es scheint bei Ihnen angekommen zu sein; das war ein
Lob.
({1})
Deutschland ist ein Einwanderungsland, mit allen
Auswirkungen, die das mit sich bringt. Für gute Integration, ein gutes Zusammenleben, braucht man aber nicht
nur Geld, sondern auch die richtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen - Olaf Scholz hat sie schon genannt -:
ein modernes Zuwanderungsgesetz, ein modernes Einbürgerungsrecht, die Anerkennung ausländischer Qualifikationen und Abschlüsse, aber auch gute Rahmenbedingungen für Migrantenorganisationen, damit bei den
Integrationsgipfeln und Islamkonferenzen, die stattfinden sollen, gute und kompetente Ansprechpartner zur
Verfügung stehen. Mit Geld allein ist in diesem Bereich
also nicht alles getan.
({2})
Die SPD wird mit Argusaugen auf Ihre Gesetzentwürfe
blicken. Wahrscheinlich muss sie auch mit Argusaugen
hinschauen, wenn keine Gesetzentwürfe vorgelegt werden, und dann nachlegen.
Im sensiblen Bereich der Integration geht es auch um
den Ton der Debatte. Es ist eine Realität, dass das Thema
Integration in der Bevölkerung längst noch nicht mit der
gebotenen Selbstverständlichkeit diskutiert wird. Vielfach erleben Menschen in Deutschland, die anders aussehen, individuelle und strukturelle Diskriminierung. Ihr
dauerhafter Aufenthalt wird im Geiste von manchen immer noch als Gaststatus betrachtet. Das belegt ein kleines Alltagsbeispiel, die Frage: Woher kommst du? - Von
Menschen, die nicht weiß sind, wird noch immer nicht
die Antwort „Leipzig“ oder „Bonn“ erwartet.
Integration bedeutet deshalb auch, gegenüber allen
hier lebenden Menschen zu betonen, dass es im Jahr
2010 nicht darum geht, ob Menschen anderer Hautfarbe
oder Herkunft hier leben, sondern darum, wie wir zusammenleben wollen. Integration ist keine Einbahnstraße, sondern fordert Bewegung in der gesamten Gesellschaft. Ich hoffe, dass auch eine konservative
Regierung diesen Aspekt im Blick hat.
({3})
Die SPD jedenfalls wird stets einen genauen Blick darauf haben, wie die gesellschaftliche Debatte in unserem
Land geführt wird und wie sich das gesellschaftliche
Klima verändert und entwickelt. Dazu gehört für uns
auch, dass weiterhin mit aller Kraft gegen Rechtsextremismus und Rassismus und für Demokratie gekämpft
wird.
Lieber Herr de Maizière - das geht auch an Frau
Köhler -, Sie können so oft Sie wollen behaupten, Sie
würden im Kampf gegen die extreme Rechte nicht nachlassen: Was Sie in anderen Feldern ankündigen, steht
dem entgegen. Wenn ich die gleiche Menge Geld umverteile und zwei von drei zur Verfügung stehende Themenblöcke, Linksextremismus und Ausländerextremismus,
mit mehr Mitteln ausstatten möchte, dann bleibt für den
dritten Block, den Kampf gegen Rechtsextremismus,
weniger Geld übrig. Das ist simple Mathematik,
Daniela Kolbe ({4})
({5})
die viele Initiativen und Vereine schon verstanden haben. Dieses Vorgehen ist aber in hohem Maße gefährlich. Ich appelliere an die Bundesregierung: Lassen Sie
nicht plumpe Ideologie walten, sondern sorgen Sie dafür,
dass auch in Zukunft ausreichend finanzielle Ressourcen, das heißt mindestens gleichbleibende Ressourcen,
im Kampf gegen rechts zur Verfügung stehen.
({6})
Ihre sich andeutenden Entscheidungen in diesem
Punkt haben Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen, nicht nur auf das Leben von Migranten, sondern
auch auf das von Demokraten, von ganz normalen Menschen. Sie haben auch Auswirkungen auf unsere Demokratie, und zwar langfristig. Was Sie heute beim Kampf
gegen Rechtsextremismus sparen, bewirkt vielleicht,
dass wir in einigen Jahren mehr gewaltbereite Rechtsextremisten haben. Im schlimmsten Fall bewirkt es Nazis
in den Parlamenten, mehr Propagandadelikte und Körperverletzungen bis hin zu Todesfällen. Lassen Sie es
nicht schlimmer werden, als es schon ist. Wehren Sie
weiter den Anfängen!
({7})
Noch einmal konkret zu den Zahlen im Bereich Integration. Integration kostet Geld, und das ist gut investiertes Geld; denn Menschen werden so befähigt, etwas für
sich, ihre Familie und auch für die Gesellschaft zu erreichen. Es ist deshalb gut, dass die konservative Regierung
die Integrationskurse, die 2005 von Rot-Grün eingeführt wurden, weiterführt und den Etat dafür aufgrund
der großen Nachfrage erhöht.
Doch da ist leider nicht alles Gold, was glänzt. Derzeit erhalten Anbieter von Integrationskursen 2,70 Euro
pro Stunde und Teilnehmer, und das bei sehr hohem bürokratischem Aufwand und einer zum Teil schwierigen
Klientel, einer schwierigen Zielgruppe. Es sind zum Teil
Analphabeten, junge Menschen, alte Menschen, Menschen mit unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen
und unterschiedlichem Vorwissen. Die Bildungsträger
weisen zu Recht auf die eklatante Unterfinanzierung dieser Integrationskurse hin. Kleine Gruppen, die oft nötig
und sinnvoll wären, können sich die Träger nicht leisten.
Herr Minister, deswegen lautet mein Appell an Sie: Erhöhen Sie die Mittel pro Kursteilnehmer, und verbessern
Sie die Rahmenbedingungen für die Integrationskurse,
damit sie eine gute Qualität haben.
({8})
Lassen Sie mich noch einen Blick über den Haushaltsentwurf des Innenministeriums hinaus werfen.
Liebe Koalitionäre, Sie müssen sich gefallen lassen, dass
wir immer wieder auf die Auswirkungen Ihrer Politik
hinweisen.
({9})
Ihre Politik verschärft sehenden Auges die finanzielle
Situation der Kommunen. Gerade dort, in den Vereinen,
in der Kultur, in den Kitas, findet aber Integration statt.
Das ist ein schlechter Taschenspielertrick: ein bisschen
mehr Geld im Bundeshaushalt - dies zu Recht -, dafür
dramatisch weniger Geld für die Kommunen. Nachhaltigkeit sieht für mich eindeutig anders aus.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir
über Innenpolitik in Deutschland reden, fragen viele
politische Kollegen zunächst: In welchem Staat wollen
wir leben?
({0})
Ich halte die Frage für etwas falsch formuliert. Sie muss
lauten: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?
Als FDP arbeiten wir daran, eine weltoffene, tolerante
und liberale Bürgergesellschaft zu schaffen.
({1})
Von diesem Verständnis und den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger aus leiten sich alle innenpolitischen
Maßnahmen ab. Wir können sie quasi von dort aus deklinieren.
Denn dadurch, dass sich ein Staat auf seine Kernaufgabe konzentriert, wird er nicht zu einem schwachen
Staat, sondern zu einem Staat, der für die Aufgaben, die
er dringend erledigen muss, die nötige Kraft hat.
({2})
Wir müssen Menschen aller Gesellschaftsschichten
integrieren. Wir müssen Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst einstellen. Wir müssen
leistungsorientiert bezahlen, einen Aufstieg flexibler
möglich machen und - das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart - eingetragene Lebenspartnerschaften,
etwa im öffentlichen Dienst, gleichstellen. Wir können
es uns auch nicht mehr leisten, sozusagen in einer Juristischen Sekunde die Erfahrungen der 67-Jährigen von einem Moment auf den nächsten zu verlieren. Wir müssen
flexiblere Übergänge schaffen, wenn es darum geht,
wann wir Menschen aus dem öffentlichen Dienst in den
verdienten Ruhestand entlassen. Schließlich - hier konnten wir uns noch nicht ganz durchsetzen - müssen wir
bei der Mitnahme der Altersversorgungsansprüche eine
faire Lösung finden, weil wir dringend einen Wissenstransfer zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft brauchen.
({3})
Eine gute, sich aus der genannten Gedankenmaxime
ableitende Innenpolitik setzt auf Bürokratieabbau. Wir
betonen immer, dass sie das tut, damit der Staat, der Bürger und die Wirtschaft entlastet werden; das ist richtig.
Aber auch eine Verwaltung ist nur dann leistungsfähig,
wenn wir sie auf das beschränken, was sie wirklich tun
muss, und sie von unnützen Vorschriften entlasten.
({4})
Um es mit Tacitus zu sagen: Im verdorbensten Staat gibt
es die meisten Gesetze. - Als Rechtshistoriker kann ich
Ihnen sagen: Immer dann, wenn man geglaubt hat, mit
einer Fülle von Normen mehr zu erreichen und Feinsteuerung zu betreiben - das galt auch im Absolutismus -,
hat die Normdurchsetzung gelitten und ist immer
schlechter und schwächer geworden.
({5})
Weil dieses Thema in der jetzigen Debatte anklang,
will ich auch noch auf den Extremismus und seine Bekämpfung eingehen. Es ist kein Zufall, dass uns dieses
Phänomen in den letzten Jahren immer mehr beschäftigt
hat. Unserer Meinung nach ist es das Symptom einer
schrumpfenden und gefährdeten Mitte. Wenn die Mitte
kleiner wird, nehmen die Extreme zu, und das leider an
beiden Enden. Dagegen müssen wir uns ganz aktiv wenden.
({6})
Wir Liberale wollen das nicht mit Parteiverbotsverfahren tun. Wir wollen die Ursachen bekämpfen und die
Mitte stärken. Wir wollen präventive Programme für den
Ausstieg aus der rechten Szene.
Ich finde, diese Debatte wird teilweise etwas taktisch
geführt, und zwar von beiden Seiten. Wir müssen den
Rechtsextremismus weiter bekämpfen. Wir müssen auch
zur Kenntnis nehmen, dass hier die gravierendsten Probleme bestehen. Aber wir dürfen nicht die Augen davor
verschließen, dass Linksextreme Autos anzünden, an
manchen Tagen ganze Stadtviertel in ihre Gewalt bringen und so rechtsfreie Räume schaffen.
({7})
Die Mittel des Strafrechts allein reichen hier nicht
aus. Deswegen muss sorgfältig analysiert werden: Um
was für ein Phänomen handelt es sich beim Linksextremismus? Vor dem Hintergrund der Programme der 80erund 90er-Jahre zur Bekämpfung des Rechtsextremismus
lässt sich feststellen: Nur dann, wenn man ein Phänomen
erkundet hat, es genau kennt und zielgenau vorgehen
kann, kann man ihm auch zu Leibe rücken. Liebe
Freunde von den Linken, ich hoffe, Sie kommen hier an
unsere Seite und verharmlosen dieses Problem nicht
weiter.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Kollege Ruppert, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg in Ihrer weiteren Arbeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Fraktion Die Linke.
({1})
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Bis vor wenigen Monaten war ich als Thüringer
Polizeibeamter mit den praktischen Angelegenheiten des
öffentlichen Dienstes konfrontiert. In der täglichen Zusammenarbeit mit den Einrichtungen des Bundes und
der Kommunen wurde eines deutlich: das gemeinsame
Problem des schleichenden, aber stetigen Personalabbaus, der sich nicht an der tatsächlichen Aufgabenlage
orientiert, sondern auf Sparvorgaben beruht. Ob Katastrophenschutz oder Bundespolizei, unter dem Schlagwort
„Kosteneffizienz“ ist der Anteil, den die Personalausgaben im Bundeshaushalt ausmachen, auf 9 Prozent gesunken; sie liegen damit auf dem niedrigsten Stand in der
Geschichte der Bundesrepublik. Kosteneffizienz kann
mit Blick auf die Praxis nicht der dominierende Faktor
sein, sondern muss nach Faktoren wie Aufgabenquantität und Erfüllungsqualität betrachtet werden.
({0})
Der Katastrophenschutz gilt als zivile Aufgabe. Das
THW - das wurde gesagt - bewältigt mit seinen hauptund ehrenamtlichen Mitarbeitern einen großen Teil dieses Auftrages. Mittlerweile ist die hauptamtliche Struktur des THW jedoch so weit zusammengestrichen
worden, dass es immer schwieriger wird, den ehrenamtlichen Teil in ausreichender Qualität aufrechtzuerhalten.
Ihr Haushaltsentwurf bewahrt einen unbefriedigenden
Tiefstand und bringt keine Besserung. Warme Worte helfen dem THW relativ wenig. Hier sind mehr Mittel gefragt.
({1})
Die Fehlentwicklungen bei der öffentlichen Sicherheit werden an einem aktuellen Thema besonders deutlich. Alle reden von der Sicherheit an den Flughäfen; es
werden viele Mängel aufgezeigt, aber auch Lösungen
diskutiert. Auf welche Lösungsvorschläge kommt man
dabei? Es wird vorgeschlagen, Nacktscanner anzuschaffen. Entschuldigung! Wie ich erfahren habe, nennen einige dieses Gerät mittlerweile „Körperscanner“. Dann
ist es ja nicht mehr ganz so schlimm wie vor einigen
Monaten, als auch die FDP-Fraktion noch gegen diese
Geräte war.
Aber lassen wir für einen Moment die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen beiseite.
Wir führen ja eine Haushaltsdebatte, und da geht es ums
Geld. Gegenwärtig bevorzugt man mehr preiswerte Sicherheitsdienste an Flughäfen statt geschultes Personal
der Bundespolizei. Das funktioniert offensichtlich nicht
ganz, und so soll aufwendige Technik das Problem lösen. Die Frage ist: Kann das funktionieren? Wenn wir
die praktische Eignung dieser Technik betrachten, muss
ich Ihnen ehrlich sagen, dass diese Idee schlecht abschneidet. Potenzielle Terroristen können sich auf den
Einsatz dieser Geräte einstellen und Gegenmaßnahmen
ergreifen. Ein solches Gerät ist berechenbar. Wie wir
wissen, können Stoffe auch in Körperöffnungen versteckt werden. Wer die Praxis kennt, der weiß, dass das
zum Beispiel im Bereich des Drogenschmuggels eine
gängige Methode ist. Der Scanner wird in diesem Fall zu
einer unnützen Belastung für die Passagiere, sorgt aber
nicht mehr für ausreichende Sicherheit.
({2})
Herr Minister, wenn Sie mir das Ganze vielleicht
nicht glauben wollen, dann sehen Sie sich die Sicherheitsvorkehrungen auf Israels Flughäfen an. Natürlich
gibt es da auch Technik. Zentrales Element ist aber
hervorragend geschultes Personal. Der frühere Sicherheitschef des Ben-Gurion-Airports in Tel Aviv hat die
Einführung von Nacktscannern in Europa der Presse gegenüber eine „lächerliche Sicherheitsshow“ genannt.
Dem ist kaum etwas hinzuzufügen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich kann Sie nur um eines
bitten: Geben Sie für einen solchen Unsinn kein Geld
aus! Setzen Sie an den Flughäfen und Bahnhöfen wieder
mehr erfahrene und gut ausgebildete Beamte ein! Diese
sind qualifiziert, kreativ und vor allen Dingen für potenzielle Täter nicht berechenbar.
({4})
Herr Minister, auch ich möchte noch eine Anmerkung
zum Thema Rechtsextremismus machen. Parteien dieser Prägung sitzen mittlerweile in Landtagen oder scheitern wie bei uns in Thüringen nur sehr knapp daran, in
den Landtag einzuziehen. Ich hoffe, Sie stimmen mir zu,
dass wir im Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht
nachlassen dürfen, auch nicht was die finanzielle Ausstattung dieser Arbeit angeht. Die im Koalitionsvertrag
angekündigte Ausweitung dieser Programme auf andere
Bereiche droht aber zu einer solchen Kürzung zu werden. Erst im November haben Sie der Süddeutschen
Zeitung gegenüber erklärt: Es wird keine Kürzungen geben. - Wir werden Sie an diesem Zitat messen.
({5})
Auch wenn das Thema schon genannt ist, möchte der
Wichtigkeit halber auch ich etwas zu dem Thema
„Migration und Integration“ hinzufügen. Die Integrationskurse sind trotz der Mittelerhöhungen nach wie vor
strukturell unterfinanziert und weisen infolgedessen erhebliche Qualitätsmängel auf, was sich unter anderem in
ungenügenden Erfolgsquoten von nur 50 Prozent ausdrückt. Die wichtige Arbeit der Sprachförderung müssen
hochqualifizierte Honorarkräfte häufig für beschämend
niedrige Entlohnung leisten. Es kann nicht sein, dass der
Bund für Integrationsmaßnahmen, obwohl diese angeblich höchste Priorität haben, nur unzureichend Mittel bereitstellt.
({6})
Herr Innenminister, Sie sind in den vergangenen Wochen häufig für wesentlich moderatere Töne im Vergleich zu Ihren Vorgängern gelobt worden. Für mich
zählen aber die Fakten. Mit dem Haushalt wird die Richtung für Ihre Politik vorgegeben. Insofern kann ich nur
feststellen, dass Sie zwar eine andere Melodie wählen;
der Text ist aber der Ihrer Vorgänger. Sie werden das
möglicherweise auch gut finden. Die Linke lehnt diesen
Kurs ab.
({7})
Kollege Tempel, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Zu diesem Ereignis wie auch zu Ihrem
Geburtstag, den mit uns heute hier zu feiern Sie sich entschlossen haben, gratulieren wir Ihnen sehr herzlich.
({0})
Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt für die
Unionsfraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will versuchen, trotz der vorgerückten
Stunde noch einmal zum eigentlichen Thema, dem
Haushalt, zurückzukehren. Der Innenminister hat bereits
die Größenordnung des Haushalts dargestellt; er hat
auch dargestellt, dass es einen Rückgang der Mittel gibt
und weshalb es ihn gibt: wegen der Sonderausgaben für
die Europawahl und die Bundestagswahl im vergangenen Jahr und weil Vorhaben ausgelaufen sind. Aber er
hat auch zu Recht darauf hingewiesen - das sage ich in
diesem Zusammenhang ebenfalls -, dass dieser jetzt
eher marginale Rückgang auch im Hinblick auf das, was
wir in den nächsten Jahren bei den Haushalten zu gewärtigen haben, im Grunde genommen ein Signal ist. Wir
werden in den nächsten Jahren sicherlich - dies ist der
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte geschuldet genau überlegen und Prioritäten im Einzelplan so setzen
müssen, dass die von uns tatsächlich zu lösenden Aufgaben auch höchsteffizient erfüllt werden.
Die Prioritäten sind im Haushalt im Grunde genommen vorgegeben; ich will noch einmal auf einige Punkte
im Einzelnen eingehen. Im Bereich der öffentlichen
Sicherheit, einer Kernaufgabe der Innenpolitik, liegt
nach wie vor zu Recht unser Schwerpunkt. Der Einzelplan 06 des Haushaltsentwurfs hat an dieser Stelle auch
für das Jahr 2010 die sicherheitspolitischen Weichen
richtig gestellt. Mit 3,767 Milliarden Euro entfallen
mehr als zwei Drittel des uns zur Verfügung stehenden
Etats auf den Bereich der inneren oder, wie man heute
richtigerweise sagt, öffentlichen Sicherheit. Das klingt
zunächst viel. Wenn man sich aber die Frage stellt, ob
dieses Geld der Größenordnung nach gut ausgegeben ist,
dann muss man kurz und einfach antworten: Ja, auch in
Zukunft soll es den deutschen Bürgern und unseren Gästen möglich sein, sich frei und sorglos in unserem Land
zu bewegen.
({0})
Auch in Zeiten knapper werdender Ressourcen erwarten
die Bürger von ihrem Staat zu Recht, dass er ihre Sicherheit gewährleistet. Es bleibt daher unsere zentrale Verantwortung, diese öffentliche Sicherheit in Deutschland
zu gewährleisten und die Leistungsfähigkeit der dafür
zuständigen Bundesbehörden zu erhalten.
({1})
Garant für die Leistungsfähigkeit der Behörden ist ihr
Personal. Deshalb haben die Personalkosten auch in diesem Haushaltsjahr einen gewaltigen Anteil am Gesamtvolumen. Auch so erklärt sich, dass zwei Drittel des Gesamtetats für den Bereich der öffentlichen Sicherheit
veranschlagt werden. Diese Gewichtung trägt jener Verantwortung Rechnung, die ich eben dargestellt habe.
Heute ist mehrfach eine Diskussion zum Datenschutz angeregt worden. Der Minister hat bereits darauf
hingewiesen, dass wir in dieser Legislaturperiode
- schon in den nächsten Monaten - für den Bereich des
Arbeitsrechts die notwendige Datenschutzgesetzgebung
einbringen wollen. Betrachtet man den Datenschutz in
unserer heutigen Informationsgesellschaft, so ist es unerlässlich, darüber vertieft zu diskutieren. Es wurden bereits die Datenschutzskandale bei verschiedenen Unternehmen genannt; das brauche ich nicht zu wiederholen.
Wir wollen und wir brauchen ein hohes Datenschutzniveau; darin sind wir uns, glaube ich, alle einig. Wir haben schon in der letzten Legislaturperiode einige Konsequenzen aus den bekannten Skandalen gezogen. Diesen
Weg wollen und werden wir weitergehen.
In der letzten Legislaturperiode wurde immer wieder
die Forderung nach zusätzlichen Stellen beim Datenschutzbeauftragten erhoben; darüber wurde bereits geredet. Das haben wir versprochen, und wir werden es auch
halten. Sowohl im Koalitionsvertrag als auch im jetzigen
Haushalt ist ein Aufwuchs an Stellen mit rund elf Stellen
im Bereich des Datenschutzbeauftragten vorgesehen. Ich
denke, das ist eine qualitativ und quantitativ berechtigte
und auch dem Umfang nach ausreichende Maßnahme.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch an jeden einzelnen Bürger direkt appellieren, umsichtig mit seinen Daten umzugehen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie
leichtfertig Menschen jeden Alters freiwillig im Internet,
aber auch bei anderen Gelegenheiten ihre persönlichen
Daten - oft inklusive ihrer Kontoverbindung - preisgeben. Da nützt auch der beste staatliche Datenschutz
nichts. Jeder Einzelne trägt die Mitverantwortung für
seine persönlichen Daten. Neben der Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen ist es deshalb auch die
Aufgabe von uns allen, die Sensibilität und Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger für ihre eigenen
Daten zu stärken.
({2})
In diesem Zusammenhang ist übrigens auch die
Sicherheitsforschung ein zentraler Baustein. Wir wollen die Forschungseinrichtungen und Universitäten, aber
auch die Unternehmen in Deutschland stärken, um den
Datenschutz für unsere Bürger zu gewährleisten. Für
diese Aufgabe erhält das Bundesamt für Sicherheit in der
Informationstechnik rund 68 Millionen Euro. Es soll der
wachsenden Bedeutung der IT-Sicherheit im Zeitalter
der Informations- und Wissensgesellschaft Rechnung
tragen.
Das wohl wichtigste Ereignis, welches die Notwendigkeit der Forschung auf dem Gebiet der inneren Sicherheit unterstreicht, ist der jüngste Attentatversuch in
Detroit. Richtig ist: Auch ein Körperscanner bringt
keine hundertprozentige Sicherheit. Der Einsatz eines
Körperscanners hätte jedoch möglicherweise den
Sprengstoff sichtbar gemacht, den dieser Attentäter am
Körper trug. Der Vorteil dieser noch nicht vollständig
ausgereiften Technologie besteht darin, dass gegenüber
der jetzt angewandten, rein auf Metalldetektoren angelegten Technik versteckte Gegenstände sichtbar gemacht
werden können, die bei herkömmlichen Scannern unentdeckt bleiben. Körperscanner würden, wenn sie in der
Entwicklung so weit fortgeschritten sind, wie der Minister zu Recht gefordert hat, eine große Zahl von manuellen Kontrollen an den Flughäfen möglicherweise überflüssig machen; auch das muss einmal gesagt werden.
Dennoch gilt uneingeschränkt - daran will auch ich keinen Zweifel lassen -, dass beim Einsatz eines Körperscanners die Intim- und Privatsphäre des Reisenden gewahrt bleiben muss, wie auch ausgeschlossen sein muss,
dass von einem solchen Scanner gesundheitliche Risiken
ausgehen.
Gestatten Sie mir noch einige Sätze zum Digitalfunk,
über den heute noch nicht gesprochen worden ist. Auch
2010 stehen die notwendigen Mittel für die weitere Entwicklung und Einführung zur Verfügung. Aber gerade
im Hinblick auf die notwendigen Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen in den nächsten Jahren weise ich
schon heute darauf hin, dass wir uns in den nächsten Jahren, sicherlich auch schon im nächsten Jahr, damit beschäftigen werden, wie die notwendigen weiteren hohen
Kosten für die unstreitig notwendige Einführung im
Haushalt abgesichert werden können.
Sehr froh sind wir darüber, dass nach dem erfolgreichen Abschluss der Neuordnung der Bundespolizei nun
auch der Neubau des Polizeipräsidiums in Potsdam ansteht. Der Haushalt ist auch immer ein Ausblick nach
vorne. Der jetzige Innenminister ist zu Recht heute
mehrfach auch aus den Reihen der Opposition gelobt
worden. An dieser Stelle erlaube ich mir, auch dem vorigen Innenminister ein Lob für die gelungene Reform der
Bundespolizei auszusprechen. Herr Hofmann, ich weiß,
dass Sie darin mit mir einer Meinung sind.
({3})
Zur Bundeszentrale für politische Bildung möchte
ich auch einige Sätze anmerken. Sehr wichtig und erfreulich finde ich, dass die Haushaltsansätze der Bundeszentrale für politische Bildung stabil gehalten werden
können; denn die Bundeszentrale leistet im Bereich der
politischen Aufklärung und im Bereich der Demokratieförderung hervorragende Arbeit. Die Auseinandersetzung mit dem politischen Extremismus bleibt im Jahr
2010 wie auch in den vergangenen Jahren ein Schwerpunkt der Arbeit der Bundeszentrale. Dies ist angesichts
eines dramatischen Anstiegs der Zahl der Straftaten mit
einem linksextremen Hintergrund von enormer Bedeutung. Die Bundesregierung nimmt entgegen dem Vorwurf der Fraktion Die Linke den Kampf gegen den
Rechtsextremismus sehr ernst. Neben dem Rechtsextremismus gibt es nachweislich - und das zunehmend linksextremistische und islamistische Tendenzen in
Deutschland, die wir nicht ignorieren dürfen und bekämpfen müssen.
({4})
- Das vergleicht auch niemand. Dennoch darf man sich
der Aufgabe nicht verschließen.
Zu den Integrationskursen ist schon einiges gesagt
worden. Nur so viel: Diese eingerichteten Kurse sind
eine echte Erfolgsstory. Es ist notwendig, die Wahrnehmung dieser Aufgabe über das Jahr 2010 sicherzustellen.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass schon im Haushalt 2010
die notwendigen Mittel - die Höhe kann man der Inanspruchnahme in den letzten Jahren entnehmen - eingestellt werden.
Der Innenminister hat zu Recht auf das geschundene
Land Haiti, von dem furchtbare Bilder zu sehen sind, hingewiesen. Ich möchte vor diesem Hintergrund auf die Bedeutung des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes
eingehen. Die Katastrophe in Haiti zeigt einmal mehr,
dass ein Staat imstande sein muss, die notwendige Infrastruktur zu gewährleisten, um einer Katastrophe Herr zu
werden. Das ist in Haiti leider nicht der Fall. Wir können
aber an diesem Beispiel sehen, dass es gut ist, für diesen
Schutz Geld auszugeben und Vorsorge zu treffen. Ich
stelle fest: Deutschland ist auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes bestens aufgestellt. Um dies weiterhin sicherzustellen, werden THW und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe auch in Zukunft
unsere volle Unterstützung finden. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich bei allen Helfern, insbesondere bei
den ehrenamtlichen, für ihren unermüdlichen Einsatz
ausdrücklich bedanken.
({5})
Kollege Brandt, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Ich bin
sicher, dass der vorliegende Haushaltsentwurf den Aufgaben, die in den nächsten Monaten auf uns zukommen,
gerecht wird. Ich bitte deshalb Sie alle um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Danckert für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir unterstützen die Bewerbung von München; damit das klar ist.
({0})
Ich komme nachher auf den Sport zurück.
Herr Minister, zuerst ein Kompliment - einige haben
schon darauf hingewiesen -: Wenn man den ersten Regierungsentwurf mit dem von Ihnen erarbeiteten Entwurf vergleicht, dann stellt man sehr schnell fest, dass
75 Millionen Euro mehr eingestellt sind. Die Hauptposition von 44 Millionen Euro ist für die Aufstockung der
Mittel für die Integrationskurse vorgesehen. Das ist ein
richtiges Zeichen; das haben schon viele Kollegen angesprochen. Ich habe noch zwei Anmerkungen dazu: Erstens. Ist das wirklich bedarfsgerecht? Daran habe ich im
Moment noch Zweifel. Darüber können wir vielleicht
bei anderer Gelegenheit, zum Beispiel im Haushaltsausschuss, ausführlich reden. Zweitens. Bleibt diese Position nachhaltig bestehen? Wir stehen vor der schwierigen Aufgabe, in den nächsten Jahren - das gilt schon für
den nächsten Haushalt - gewaltige Summen einzusparen. Ich weiß nicht, ob wir darüber schon in Kürze reden
können. Die Gesamtsumme dürfte jedenfalls rund
400 Millionen Euro betragen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn diese Position, die alle als notwendig und
richtig bezeichnet haben, nicht als Sparbüchse missbraucht wird; das wäre mein Wunsch.
({1})
- Wie ich sehe, klatschen Herr Uhl und andere Unionskollegen.
Diese Integrationskurse gehen auf eine Idee der rotgrünen Koalition zurück. Sie hat damit begonnen. Das
Ganze wurde kritisch beleuchtet. Die Große Koalition
hat das fortgesetzt. Im Jahr 2009 wurden dafür Restmittel aus dem Haushalt in Höhe von 30 Millionen Euro zur
Verfügung gestellt. Nun erfolgt eine Aufstockung um
44 Millionen Euro. Das ist ein richtiges Zeichen.
Insgesamt hat der Einzelplan 06 ein Volumen von
rund 5,6 Milliarden Euro. Davon entfallen zwei Drittel
auf den Bereich der inneren Sicherheit. Ich glaube, wir
sind uns darüber einig, dass das, gemessen am Gesamtvolumen des Bundeshaushaltes, nicht zu viel, sondern
eher zu wenig ist. Denn alles, was wir in Deutschland
machen, ist auch davon abhängig, dass wir in einer sicheren Umwelt leben können. Insofern muss man durchaus einmal in Richtung des Parlamentarischen Staatssekretärs Steffen Kampeter fragen, ob wir nicht etwas
mehr Volumen zur Verfügung stellen müssen, um zum
Beispiel die Beamten der Bundespolizei etwas attraktiver besolden zu können, als es jetzt der Fall ist. Herr
Kollege Scholz hat ja schon gesagt, dass es etliche nicht
besetzte Stellen gibt, was natürlich unmittelbar mit den
Perspektiven und der Besoldung zu tun hat. Da sollten
wir etwas tun.
Zwei Drittel des Volumens für die innere Sicherheit
werden für die Bundespolizei eingesetzt. Ich möchte allerdings den Hinweis geben, dass die Stellen auch tatsächlich besetzt werden müssen. Wir haben einen Aufwuchs von etwa 27 Millionen Euro, davon 20 Millionen
Euro für die Luftsicherheit bzw. Flugsicherheit - das ist
ein durchlaufender Posten, weil die Kosten am Ende von
den Fluggästen bezahlt werden - und 7,5 Millionen Euro
für den Polizeieinsatz in Afghanistan.
Diesen Punkt, Herr Minister de Maizière, müssen wir
einmal - heute ist die Zeit dafür allerdings zu knapp ganz intensiv diskutieren. Bei der Diskussion über den
Verteidigungshaushalt stellt sich immer wieder die auch
demnächst anstehende Frage, ob man das Kontingent
von 4 500 Soldaten auf 6 000 oder wie viele Soldaten
auch immer aufstocken sollte; da gibt es noch keine Vorschläge von der Regierung. In der öffentlichen Debatte
über die Aufstockung ist untergegangen, dass wir lead
nation beim Aufbau der Polizei in Afghanistan sind.
Dieser Punkt ist uns sehr wichtig, weil er die zivile
Komponente des Afghanistan-Einsatzes bestätigt.
Es gibt erheblichen Diskussionsbedarf darüber, wie
wir diese Aufgabe wahrnehmen wollen. Ich weiß im
Moment noch nicht einmal ganz genau, ob die vorgesehene Sollstärke mit der Iststärke übereinstimmt. Das
muss man sich einmal ganz genau anschauen. Die letzte
Information lautete, dass die Iststärke der Sollstärke entspricht. Aber man muss sich einmal genau anschauen, ob
die Einsatzzeiten der Beamten, die sich freiwillig für den
Einsatz melden, wirklich zur Erfüllung des Ausbildungsauftrags beitragen. Das ist ein schwieriges Thema.
Allerdings ist unser Beitrag als lead nation weniger
als ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man ganz Afghanistan betrachtet. Ich sage den Beamtinnen und Beamten, die sich freiwillig zu diesem Einsatz melden, aber
ausdrücklich Dank. Bei den Polizeibeamten ist das eine
andere Situation als bei der Bundeswehr, in der vor allen
Dingen die Zeitsoldaten zum Einsatz verpflichtet werden
können. Dieses Thema sollte in Kürze besprochen werden.
Mir persönlich liegt ganz besonders am Herzen, dass
die Beamten vor Ort in Sicherheit sind und dass wir
wirklich alles Menschenmögliche dafür getan haben,
dass wir ihnen beispielsweise sichere Fahrzeuge zur Verfügung stellen. Ich glaube, dass es da immer noch das
eine oder andere Defizit gibt. Da müssen wir - ich
denke, dass meine Fraktion das auch so sieht - noch einmal etwas drauflegen; denn es ist nicht zu verantworten,
die Beamten, die freiwillig in diesen Einsatz gehen, in
eine Gefahrensituation zu bringen, die sie möglicherweise sogar ihr Leben kosten kann; wir haben ja schon
einige tragische Fälle erlebt.
Lassen Sie mich jetzt zu einem anderen Thema kommen, das auch der Kollege vor mir schon angesprochen
hat, dem Digitalfunk. Das ist auf der einen Seite ohne
Frage eine ganz wichtige Angelegenheit, und sie war es
auch schon über die letzten zehn Jahre hinweg, angefangen bei Otto Schily. Jetzt laufen uns nicht nur die Kosten
aus dem Ruder - der Bundesanteil ist von 2,6 Milliarden
Euro auf 3,6 Milliarden Euro gestiegen, und die Kosten
der Länder werden verschleiert, was ich nicht verstehen
kann, da wir stets die Gesamtkosten im Auge haben
müssen -, sondern ich habe nach dem Attentat auf die
Königin in Holland auch die Frage an Sie und die Fachleute, ob das System auf einem so neuen Stand ist, dass
es bei einer Katastrophe auch wirklich hilft. Ich erinnere
daran, dass bei dem Attentat auf die Königin - bei dem
Flugzeugunglück war es ähnlich - das gesamte Netz
nicht mehr funktionierte. Wo es gebraucht wurde, hat es
nicht funktioniert. Das System befindet sich im Moment
noch im Probelauf. Der Frage, ob das System die Ansprüche erfüllt, die wir an es stellen, um die Sicherheit
für die Einsatzkräfte, sei es die Polizei, die Feuerwehr
oder das Technische Hilfswerk, zu gewährleisten, muss
nachgegangen werden. Reicht das wirklich, was im
Moment gemacht wird? Ich persönlich kann das nicht
beurteilen, aber wir müssen uns mit dieser Frage beschäftigen. Dazu haben wir am 25. Januar ein Berichterstattergespräch, in dem genau diese Punkte angesprochen werden müssen. Wir haben aber noch einen
anderen Punkt.
Kollege Danckert, auch wenn Sie beharrlich mein
Zeichen ignorieren: Ihre Redezeit ist überschritten. Sie
müssen zum Schluss kommen.
({0})
Dann will ich ganz kurz noch etwas zum Sport sagen,
({0})
weil der Ihnen und mir am Herzen liegt.
Versuchen Sie es bitte mit dem letzten Satz.
In der letzten Legislaturperiode haben wir der Stiftung Deutsche Sporthilfe 1 Million Euro zur Verfügung
gestellt. Diese Summe ist gekürzt worden, und sie soll
durch Einnahmen einer Art Bürgerbewegung ersetzt
werden, an deren Spitze Sie sich gestellt haben. Man erwartet 20 000 Bürger mit einem Beitrag in Höhe von je
3 Euro. Ob das ausreicht, weiß ich nicht. Wir sollten die
1 Million Euro weiterhin bereitstellen, und wenn sich
das Konzept der Bürgerbewegung bewährt, dann kann
man das Ganze neu überdenken.
Eines begrüße ich außerordentlich.
Kollege Danckert, das müssen wir jetzt in die weitere
Beratung des Haushalts verlagern. Sie müssen jetzt bitte
zum Schluss kommen.
Es ist im Moment gar kein Saaldiener da, der mich
von hier wegschleppen kann.
Das wäre nun noch schöner, wenn wir das nicht gemeinsam regeln könnten.
Mein allerletzter Satz, Frau Präsidentin. - Im Zusammenhang mit der Dopingproblematik haben wir die Situation, dass inzwischen 19 Verbände bei einfachen,
mittleren und schweren Verstößen -
Ich rege an, dass die Parlamentarische Geschäftsführung der SPD-Fraktion dem Kollegen Danckert berichtet, dass ich ein sehr geduldiger Mensch bin, aber jetzt
ist Schluss. Ich habe übrigens hier einen Knopf und kann
schlicht das Mikrofon ausschalten.
({0})
Ich bedanke mich für Ihre Geduld, Frau Präsidentin.
Ihr habt gesehen: Ich habe alles versucht, um den letzten
Satz noch unterzubringen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Jimmy Schulz für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Weil man jeden Euro nur einmal ausgeben
kann, muss man ihn vorher zweimal umdrehen und dann
dreimal darüber schlafen. Das haben wir getan, und ich
meine, es hat sich gelohnt. Ich bin grundsätzlich mit dem
Haushaltsplan 2010 für den Bereich des BMI zufrieden.
Wir investieren damit Geld in die Zukunft. Mehr Geld
für den Ausbau des Internet ist eine Investition in die
Zukunft Deutschlands. Mehr Geld für den Datenschutz
ist eine Investition in die Zukunft des Rechtsstaats. Ein
wesentlicher Teil dieser Ausgaben des BMI ist für die innere Sicherheit vorgesehen. Das mag mancher kritisieren, aber man kann nicht einerseits effiziente Behörden
wollen, andererseits diese nur unzureichend ausstatten.
Dass der Koalitionsvertrag bei aller Betonung des
starken Staates genauso auf Bürgerrechte setzt und
diese stärkt, ist das Verdienst der FDP.
({0})
Deswegen bin ich froh darüber, dass sich dieses Bekenntnis des Koalitionsvertrags im Haushalt niederschlägt. Im
Einzelplan 06 haben einige der wichtigsten Forderungen
der FDP deutlichen Ausdruck gefunden. Es ist liberaler
Beharrlichkeit zu verdanken, dass dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit mit diesem Haushalt 1,4 Millionen Euro mehr
für Personal zur Verfügung stehen. Zu lange hatte der
Bundesbeauftragte ein zu geringes Budget, und das bei
stetig steigender Aufgabenlast. Der Bundesbeauftragte
für Datenschutz muss sich in Zukunft besser auf seine
Kernaufgaben konzentrieren können,
({1})
anstatt Aufgaben übernehmen zu müssen, die dem Wesen seines Amtes zuwiderlaufen. Dafür braucht er die
Mittel, und dafür braucht er mehr Mitarbeiter.
({2})
Die richtigen Prioritäten zu setzen, ist heute wichtiger
denn je. Eine der Prioritäten sollten wir bei der ständigen
und gründlichen Überprüfung von Sicherheitsmaßnahmen setzen. Insbesondere im Kampf gegen den Terror muss gelten, dass wir abwägen, ob ein Mittel überhaupt das richtige ist. Ich möchte deshalb an dieser
Stelle vor allzu großen Hoffnungen warnen, die von
manchen in diesen Tagen in Nacktscanner der zweiten
Generation gesetzt werden. Wir sollten uns sehr genau
überlegen, ob wir solche Geräte überhaupt brauchen
({3})
und ob die einzelnen Modelle die an sie gestellten Anforderungen erfüllen. Erst dann sollten wir in die Testphase eintreten.
({4})
Die wichtigste Priorität sehe ich in der Förderung der
Informations- und Mediengesellschaft. Ich mache
mich stark für ein freies Internet mit einem Zugang für
die gesamte Gesellschaft. Dazu gehört unverzichtbar ein
starker Datenschutz.
Wir im Bundestag haben jetzt eine Chance, mit der
hier endlich vertretenen Kompetenz in einen neuen Dialog mit der Netzgemeinde zu treten. Sie erinnern sich:
134 000 Bürgerinnen und Bürger haben im letzten Jahr
die Petition gegen das Internet-Sperren-Gesetz gezeich1244
net. Ich war einer von ihnen. Zum ersten Mal seit elf
Jahren stehen wir nun an der Schwelle zu mehr anstatt
weniger Freiheit. Lassen Sie uns die Chance gemeinsam
nutzen.
Sehr glücklich bin ich übrigens - Sie verzeihen mir
einen thematischen Schwenk - über die im Koalitionsvertrag verankerte Förderung der gemeinsamen Bewerbung für die Winterspiele 2018 von München, Garmisch-Partenkirchen und - meiner zweiten Heimat dem Berchtesgadener Land. Wir haben 2006 bewiesen,
dass wir sportliche Großereignisse stemmen können,
und wir haben bewiesen, dass die Begeisterung für Sport
und das gemeinsame Erleben von großen Leistungen die
Menschen quer durch alle Schichten der Gesellschaft zusammenbringen kann. Ich erhoffe mir neben der Außenwirkung und dem touristischen Aufschwung vor allem
eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Die Bewerbung hat die Unterstützung von Bund und
Ländern verdient. Dies hat auch dieses Haus in der letzten Legislaturperiode durch einen interfraktionellen Antrag bestätigt.
Wenn wir beim Haushalt 2010 nach zweimal Umdrehen und dreimal Darüber-Schlafen die richtigen Prioritäten gesetzt haben - davon bin ich überzeugt -, dann, sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir in Zukunft
keine schlaflosen Nächte.
Vielen Dank.
({5})
Kollege Schulz, auch Ihnen gratulieren wir zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg in Ihrer Arbeit.
({0})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 20. Januar 2010,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.