Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/19/2010

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zur ersten Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im neuen Jahr. Da es gute Wünsche kaum zu viel geben kann, nutze ich gerne die Gelegenheit, Ihnen allen persönlich und uns gemeinsam ein gutes und erfolgreiches neues Jahr zu wünschen. Der Kollege Franz Müntefering hat am vergangenen Samstag seinen 70. Geburtstag gefeiert, ({0}) und einige Tage zuvor haben die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan und der Kollege Willi Zylajew runde Geburtstage gefeiert. Im Namen des Hauses Ihnen alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr! ({1}) Bevor wir in unsere vereinbarte, ausgedruckte Tagesordnung eintreten, haben wir einen Geschäftsordnungsantrag zu behandeln. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres Antrags mit dem Titel „Umsatzsteuerermäßigung für Hotellerie zurücknehmen“ zu erweitern. ({2}) Zur Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Kollegen Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen, unseren Antrag „Umsatzsteuerermäßigung für Hotellerie zurücknehmen“ zusammen mit dem Einzelplan des Bundesministeriums der Finanzen hier heute zu beraten. Als wir die Tagesordnung für diese Woche vereinbart haben, war das Wachstumsbeschleunigungsgesetz noch nicht verabschiedet und waren die Hintergründe und Konsequenzen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes noch nicht in vollem Umfang bekannt. Nach Ihrem Finanzplan geht es um ein Volumen von 1 Milliarde Euro jährlich, nach Meinung der Experten in der Sachverständigenanhörung um 2 Milliarden Euro. Angesichts der dramatischen Haushaltssituation ist es notwendig, eine Korrektur anzubringen, die noch im Bundeshaushalt 2010 Berücksichtigung finden kann. Deshalb ist die heutige Beratung unseres Antrages im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt dringend erforderlich. ({0}) Sie mögen jetzt einwenden - Kollege Kauder hat es mir gerade auf meinem Weg zum Rednerpult hinterhergerufen -: Es geht um den Haushalt. Natürlich ist das eine haushaltsrelevante und eng im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt stehende Frage. Aber ich möchte daran erinnern: In Ihrer letzten Koalition, Herr Kauder, haben Sie in ersten Lesungen des Bundeshaushaltes immer wieder Anträge zugelassen, die noch nicht einmal im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt standen. Ich erinnere an das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2007, den Antrag der Koalition „Die weltweit letzten 100 westpazifischen Grauwale schützen“ ({1}) und an 2006, wo es um Belarus nach den Präsidentschaftswahlen ging. Meine Damen und Herren: Lassen Sie diesen Antrag heute zu! ({2}) Die Umsatzsteuersenkung für Hotellerie ist Klientelpolitik reinsten Wassers. ({3}) Redetext Volker Beck ({4}) Sie verfehlt das angebliche Ziel der Koalition, Steuervereinfachungen durchzuführen. Die Wirtschaftsverbände - acht große Verbände - haben Ihnen diese Woche einen Brief geschrieben, in welchem sie eine Korrektur dieser Regelung verlangen; denn diese Regelung führt bei den Betrieben zu mehr Bürokratie. Der Aufwand für Reisekostenabrechnungen wird steigen. Ein Teil der Kosten, nämlich die Frühstücksregelung, wird in Zukunft lohnsteuerpflichtig werden. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Beck!

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

All diese Fragen zeigen, dass Ihr Gesetz das Ziel verfehlt. Deshalb müssen wir heute im Rahmen der Haushaltsberatungen entsprechend darüber diskutieren, Herr Präsident, weil die Sachlage damals nicht bekannt war. ({0}) Es ist wichtig, dass der Deutsche Bundestag in der ersten Sitzungswoche des neuen Jahres eine entsprechende Korrektur vornimmt und für die Betriebe und Unternehmen im Land Rechtsklarheit schafft.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Beck, Sie wissen ja, dass mein besonderes Wohlwollen Sie jederzeit begleitet. ({0}) Ich muss Sie dennoch darauf aufmerksam machen, dass Sie im Augenblick zur Geschäftsordnung reden und eine Debatte zur Sache erst erfolgen kann, wenn der Punkt aufgesetzt wurde. ({1})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist richtig, Herr Präsident. Ich weiß, dass Sie immer die notwendigen geschäftsleitenden Hinweise geben. Das schätze ich außerordentlich. ({0}) Ich habe ja auch begründet, warum heute hier, im Deutschen Bundestag, eine Debatte im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt nach der Geschäftsordnung dringend erforderlich ist. ({1}) Es ist erforderlich, dass wir als Bundestag sofort reagieren, weil in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, dass man in diesem Land politische Entscheidungen kaufen kann. ({2}) Für die Steuerbegünstigung für Übernachtungen gibt es keinen fachlichen Grund. Sie führt nicht zu Wachstum, sondern zu mehr Bürokratie, und sie kostet den Staat 2 Milliarden Euro im Jahr. Es gibt kein vernünftiges Argument dafür, außer den 1,1 Millionen Argumenten in der Schatzmeisterei der FDP. ({3}) Die Bürgerinnen und Bürger erwarten vom Deutschen Bundestag, dass er sich mit dieser Frage unverzüglich, in der ersten Sitzungswoche des Jahres, beschäftigt, weil sie eine generelle Kritik an der Politik haben. Sie haben den Eindruck, dass hier etwas nicht richtig läuft. Meine Kollegen von der FDP, diese Spende mag legal sein, in Ordnung ist sie deshalb noch lange nicht. ({4}) Deshalb fordere ich Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, auf: Drücken Sie diese Debatte heute im Deutschen Bundestag nicht weg! Lassen Sie zu, dass wir hier und heute über die Rücknahme dieser unseligen steuerrechtlichen Klientelpolitik debattieren und unseren Antrag zusammen mit dem Bundeshaushalt verabschieden können! Meine Kollegen von der FDP, Ihnen sei geraten, die Spende an August Baron von Finck zurückzuüberweisen. Sie würden Ihrer Partei und der Demokratie in Deutschland damit einen Dienst erweisen. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Peter Altmaier für die CDU/CSU-Fraktion.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist durchsichtig, ({0}) er ist unehrlich, er ist problematisch für die politische Kultur, und er ist für die wirtschaftliche Entwicklung tendenziell schädlich, ({1}) und deshalb lehnen wir ihn ab. ({2}) Ich will diese Ablehnung im Einzelnen begründen: Er ist durchsichtig. Herr Kollege Beck, das haben Sie selbst vorweggenommen. ({3}) Wir befinden uns in der Haushaltsdebatte. Es ist geradezu die Natur der Haushaltsdebatte, dass über alle politisch relevanten Themen und Vorgänge im Rahmen der Haushaltsberatungen diskutiert werden kann: im Rahmen der Generalaussprache, im Rahmen der Aussprache zum Finanzteil, im Rahmen der Aussprache zum Wirtschaftsteil. Sie hätten und Sie haben Möglichkeiten ohne Ende, die Themen, die Sie interessieren, zur Sprache zu bringen. ({4}) Dass Sie gestern Abend einen in aller Eile zusammengestoppelten Antrag eingereicht haben, zeigt, dass es Ihnen nicht um die Sache geht, sondern nur darum, einen billigen PR-Effekt zu erzielen. Dabei machen wir nicht mit. ({5}) Ihr Geschäftsordnungsantrag ist darüber hinaus in höchstem Maße unehrlich, und zwar aus zwei Gründen. Der erste Grund: Sie tun so, als ob die Mehrwertsteuerermäßigung im Bereich des Hotelgewerbes über Nacht vom Himmel gefallen ist, nachdem ein Unternehmer, der zufällig auch Hotels betreibt, an die FDP gespendet hat. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ehrlichkeit gebietet es, darauf hinzuweisen, dass diese Debatte begonnen hat, nachdem der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder seinem damaligen französischen Präsidentenkollegen Chirac zugesagt hat, sich in der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass genau diese Ermäßigungen möglich werden. In der Folge hat rund die Hälfte aller europäischen Länder davon Gebrauch gemacht. ({7}) Ich habe nicht gefragt, ob Bundeskanzler Schröder damals Spenden von irgendjemandem aus diesem Bereich erhalten hat. ({8}) - Sie können noch so laut schreien. Dadurch wird nur die Unzulänglichkeit Ihrer Argumente deutlich. ({9}) Der Kern der Debatte, Herr Kollege Trittin - ich komme zum zweiten Grund -, ist jedoch ein ganz anderer - darüber möchte ich gerne mit Ihnen reden -: Die Argumentation des Kollegen Beck läuft im Wesen darauf hinaus, dass man von einem Unternehmen keine Spende annehmen darf, ({10}) dessen politische Interessen man vorher oder nachher in irgendeiner Weise im Gesetzgebungsverfahren im Deutschen Bundestag befördert hat. Ich habe mich gestern Abend auf der Internetseite www.Parteispenden.Unklarheiten.de umgesehen, eine politische Datenbank einer NGO. Dort wird dargestellt, welche Parteien in Deutschland von welchen Unternehmen Spenden bekommen haben. Seit dem Jahre 2000 hat nach dieser Datenbank Bündnis 90/Die Grünen unter anderem bekommen: von der Ostwind-Verwaltungsgesellschaft mbH insgesamt 121 000 Euro, von Pro Vento 40 903 Euro, von der Conenergy AG 49 000 Euro, ({11}) von der EWO Energietechnologie GmbH 40 000 Euro, von der Ersol AG 25 000 Euro, ({12}) von der Solon AG 20 000 Euro und von der Windpark wohlbedacht GmbH 25 000 Euro. ({13}) Meine Damen und Herren, wenn das Argument, das Sie eben vorgetragen haben, auch nur einen Funken Wahrheit enthält, dann würde das bedeuten, dass Sie sich für die Frage der alternativen Energien nicht mehr einsetzen dürfen, weil Sie die ganze Zeit von Unternehmen, die damit Geld verdienen, Spenden entgegengenommen haben. So einfach ist das. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Altmaier, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass wir jetzt nicht die inhaltliche Debatte führen, um deren Stattfinden es bei diesem Geschäftsordnungsantrag geht. ({0})

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Danach werde ich mich richten. Sie werden aber bemerkt haben, dass sich meine Ausführun1134 gen im Gegensatz zu dem, was der Kollege Beck gesagt hat, auf die Geschäftsordnung beziehen. Der letzte Gedanke ist, dass Ihr Antrag auch für die politische Kultur problematisch ist. ({0}) Über die in Rede stehende Maßnahme diskutieren wir in Deutschland seit über einem Jahr. Diese Forderung war im Wahlprogramm der FDP, im Wahlprogramm anderer Parteien, auch in dem der Linkspartei, wenn ich richtig nachgelesen habe, enthalten. ({1}) Sie haben im Bundestagswahlkampf diese Forderung bekämpft. Sie haben leider Gottes in puncto Wählerzustimmung nicht recht bekommen; Sie haben die Bundestagswahl verloren. Zu dieser Forderung hat ein Gesetzgebungsverfahren stattgefunden. Im Gegensatz zur rot-grünen Koalition, die seit 1998 ständig Maßnahmen umgesetzt hat, die nie im Wahlprogramm standen, hat diese Koalition bisher ausschließlich Maßnahmen umgesetzt, die schon vor der Wahl in den Wahlprogrammen der Parteien standen. Dabei wird es auch in absehbarer Zeit bleiben. ({2}) Sie haben in erster, zweiter und dritter Lesung im Deutschen Bundestag gegen diese Maßnahme argumentiert. Sie haben verloren. Sie haben im Bundesrat dagegen argumentiert. Sie haben erneut verloren. Sie haben zum dritten Mal verloren. Irgendwann einmal muss man in der Demokratie dann auch zugeben können, dass man verloren hat; sonst wird man so schnell auch nicht wieder gewinnen. Wir werden Ihren Antrag heute ablehnen, damit Sie Zeit haben, darüber nachzudenken, dass Sie in Zukunft vielleicht das eine oder andere in Ihrer Vorgehensweise ändern müssen. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Oppermann hat nun das Wort für die SPDFraktion. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Altmaier, wer in der falschen Sache immer wieder gewinnt, kann trotzdem der Verlierer sein. ({0}) Bei einer Umfrage von n-tv heute Morgen, ob die Bundesregierung käuflich sei, haben 82 Prozent mit Ja und 8 Prozent mit Nein geantwortet. ({1}) Ich weiß nicht, ob die Spenden von 820 000 Euro an die CSU und von 1,1 Millionen Euro an die FDP durch Baron August von Finck mit dem Parteiengesetz vereinbar sind. Das wird der Präsident des Deutschen Bundestages prüfen. Wir warten das Ergebnis dieser Prüfung ab. Eines können wir aber schon heute feststellen: Das Mehrwertsteuergeschenk für Hotelketten ist mit den Grundsätzen des allgemeinen Wohls im demokratischen und sozialen Rechtsstaat in eklatanter Weise unvereinbar. ({2}) Dieses allgemeine Wohl wird nicht durch die Summe mächtiger Einzelinteressen definiert. ({3}) Maßstab für das allgemeine Wohl ist vielmehr das grundlegende Bedürfnis der Menschen, ihren Lebensunterhalt aus eigener Anstrengung zu verdienen und deshalb an Arbeit, Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherheit teilzuhaben. Das ist der Maßstab und nicht die Interessen von Apothekern, von Hotelbesitzern, von Steuerberatern und anderen einzelnen Gruppen, die Sie bisher bedient haben. ({4}) In einer parlamentarischen Demokratie muss man zumindest den Versuch unternehmen, für ein Gesetz eine allgemeine Plausibilität zu bekommen. Ich sage Ihnen: Das ist Ihnen beim Steuergeschenkgesetz nicht gelungen. 15 von 16 Experten haben den Gesetzentwurf bei der Anhörung abgelehnt. ({5}) Der Finanzwissenschaftler Professor Homburg hat es als ökonomischen Irrsinn bezeichnet, und Norbert Lammert von der CDU hat gesagt, es sei willkürlich, bürokratisch und unsinnig. ({6}) Ich frage Sie: Warum haben Sie dieses Gesetz trotzdem durchgesetzt? Sie haben es durchgesetzt, weil Sie die Interessen einer ganz bestimmten Gruppe befriedigen wollen. Sie haben das allgemeine Wohl aus den Augen verloren. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Oppermann, Sie wollten sicherlich auch noch einen Satz zur Geschäftsordnung sagen. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne. Ich habe verstanden, Herr Präsident. - Ich finde es unerträglich, dass ein Milliardär mit einer Millionenspende maßgeblich Einfluss darauf nehmen kann, was die Mehrheit hier im Bundestag beschließt. ({0}) Ich finde es schlimm, dass Sie damit den Anschein erweckt haben, als ob unser Staat käuflich sei. ({1}) Deshalb tragen Sie jetzt die Verantwortung und die Beweislast dafür, dass dieser böse Anschein einer gekauften Koalition widerlegt wird. ({2}) Wir fordern Folgendes: Erstens. CSU und FDP müssen diese Spenden zurückgeben. Auf diesem Geld liegt kein Segen. ({3}) Zweitens. Das mit dem Makel der Käuflichkeit behaftete Mehrwertsteuergeschenk für Hotelketten muss aufgehoben werden. ({4}) Drittens. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben den Koalitionsvertrag verhandelt, ({5}) und deshalb tragen Sie Verantwortung dafür, dass für den hemmungslosen Durchmarsch der Lobbyisten in Deutschland alle Türen aufgemacht worden sind. ({6}) Ich fordere Sie auf: Machen Sie diese Türen wieder zu und kehren Sie zurück zu einer Politik, die am allgemeinen Wohl interessiert ist! Ich sage Ihnen noch etwas, Frau Bundeskanzlerin: Ihr persönlicher politischer Aufstieg war verbunden mit dem Ende der „Bimbesrepublik“ Deutschland. ({7}) Ich prophezeie Ihnen: Wenn es Ihnen nicht gelingt, die Rückkehr in die „Bimbesrepublik“ zu verhindern, dann ist das der Anfang Ihres politischen Abstiegs. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege van Essen das Wort. ({0})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben Begründungen gehört, warum heute sofort über die Frage des reduzierten Mehrwertsteuersatzes diskutiert werden muss. Diese Notwendigkeit besteht nicht, wie ich Ihnen jetzt ganz schnell darlegen werde. ({0}) Mit dieser Frage hat sich unter anderem die Partei Die Linke befasst. Auf Seite 30 des Bundestagswahlprogramms der Linken, das mir vorliegt, ({1}) fordert sie den ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 Prozent für Hotellerie und Gastronomie; ({2}) exakt so ist es. ({3}) Mir liegen die tourismuspolitischen Leitlinien der SPD aus dem Jahre 1998 vor. ({4}) Darin fordert die SPD den halbierten Mehrwertsteuersatz für Gastronomie und Hotellerie. ({5}) Mir liegt der Antrag des Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag, Franz Maget, und der Fraktion der SPD vom 18. Januar 2006 vor. Er hat folgenden Inhalt: Die Staatsregierung wird aufgefordert, ihren Einfluss dahin gehend geltend zu machen, dass der Bund für die Hotellerie den reduzierten Mehrwertsteuersatz in Höhe von 7 % einführt. So viel zur SPD. ({6}) Aber am allerschönsten sind die Grünen. Die Fraktion der Grünen im Bayerischen Landtag hat am 22. April letzten Jahres mit breiter Mehrheit die Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Gastronomie und Hotellerie gefordert. ({7}) Weil das, was der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im Bayerischen Landtag dazu ausgeführt hat, richtig ist, würde ich ihn gerne persönlich zitieren: Wir setzen uns ein für die Einführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Gaststätten und Hotels, nicht weil wir uns dadurch dann spürbar niedrigere Preise für die Gaststätten- und Hotelgäste versprechen, sondern weil wir uns Impulse erwarten … in der Frage reguläre Arbeitsplätze … und … im Hinblick auf den dringend zur Beseitigung anstehenden Investitionsstau … Auch geht es um … Wettbewerbsgleichheit im grenznahmen Raum wie in Metropolen. Außerdem weist er darauf hin, dass 22 der 27 EU-Mitgliedstaaten den ermäßigten Mehrwertsteuersatz eingeführt haben. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Anbetracht dessen, was ich gerade vorgetragen habe - die Linken fordern den ermäßigten Mehrwertsteuersatz, die SPD fordert den ermäßigten Mehrwertsteuersatz, ({9}) bei den Grünen gibt es welche, die ihn absolut befürworten -, muss ich sagen: Die Gründe, die Sie vorgetragen haben, warum dieses Thema heute zu debattieren ist, gibt es offensichtlich gar nicht. ({10}) Ich weise alle Vorwürfe, die Sie erhoben haben, mit Nachdruck zurück. ({11}) Der Skandal ist nicht, dass eine Parteispende angenommen und ordnungsgemäß deklariert worden ist, sondern der Skandal ist das, was Sie hier und heute präsentieren. Vielen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält die Kollegin Frau Dr. Enkelmann das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke unterstützt den Geschäftsordnungsantrag der Grünen. Zur Ehrlichkeit, lieber Kollege van Essen, lieber Herr Kauder, gehört, dass man, wenn man denn schon zitiert, korrekt zitiert. Was steht in unserem Wahlprogramm? Wir wollen, dass der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 Prozent ausgeweitet wird auf Produkte und Dienstleistungen für Kinder, ({0}) apothekenpflichtige Arzneimittel und arbeitsintensive Dienstleistungen des Handwerks sowie Hotellerie und Gastronomie ({1}) und dass kleine Unternehmen und Selbstständige die Umsatzsteuer auf eine Rechnung erst nach dem Zahlungseingang abzuführen haben. ({2}) So weit unser Wahlprogramm; ich stelle es Ihnen gerne zur Verfügung. Die Entscheidung, die Mehrwertsteuer allein für die Hotellerie abzusenken, wirft ein bezeichnendes Licht. ({3}) Das ist genau das Problem: dass diese Entscheidung angesichts dieser Spenden in einem völlig neuen Licht erscheint. Auch die weiteren Forderungen der FDP nach Steuersenkungen erscheinen jetzt in einem völlig anderen Licht. Wir werden uns das sehr genau anschauen und auch die Spendentätigkeit danach sehr genau verfolgen. ({4}) Die Entscheidung hat Auswirkungen auf den Haushalt. Deswegen ist es richtig, diesen Antrag im Zuge der Haushaltsberatungen zu beraten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ist nicht auch unter Ihnen der eine oder andere - vielleicht auch unser Bundestagspräsident -, der vor dem Hintergrund, dass es diese Spende aus der Hotellerie gegeben hat, eine andere Entscheidung getroffen hätte? Würde es, auch angesichts des Protestes, der von außen kommt, heute tatsächlich noch eine Mehrheit für diese Entscheidung geben? Ich wage das zu bezweifeln. ({5}) Eine Aufhebung dieser Entscheidung hätte genauso Auswirkungen auf den Haushalt. Deswegen ist es notwendig, dass wir in dieser Haushaltsdebatte über diesen Antrag debattieren. Lieber Kollege Altmaier, Sie haben recht: Das Lobbyunwesen hat in den letzten Jahren unverschämte Ausmaße angenommen. Ich will daran erinnern, dass Vertreter von Lobbyunternehmen zum Beispiel an Gesetzen mitgearbeitet haben, in der letzten Wahlperiode unter anderem an dem Entwurf zur Gesundheitsreform. Ich will daran erinnern, dass es Gefälligkeitsgutachten gibt. Auch kennen wir Dankbarkeit in Form von Spenden nicht erst seit der Spende an die FDP. Unter anderem haben sich große Versicherungskonzerne sehr dankbar erwiesen für Wohlverhalten angesichts der Einführung der Riester-Rente, ({6}) und zwar gegenüber allen Parteien in diesem Bundestag mit Ausnahme der Linken. Diese Spende an die FDP wirft ein schlechtes Licht auf den Parlamentarismus, auf die Demokratie in diesem Land. ({7}) Wir müssen grundsätzlich klären, welche Spenden angenommen werden dürfen und wo wir als Politik sagen: Jetzt ist Schluss! Spenden von großen Unternehmen dürfen nicht an Parteien gehen. ({8}) In den Medien ist jetzt von Käuflichkeit der Regierung die Rede. Sie, sehr geehrte Ministerinnen und Minister, haben vor diesem Parlament einen Amtseid abgelegt, dass Sie Schaden vom Volk abwenden, dass Sie nur im Interesse des Volkes arbeiten wollen. Diese Spende wirft auch darauf ein anderes Licht: Sie müssen Schaden abwenden vom deutschen Volk und nicht von Ihren Parteien. Diese Spende ist unzulässig; sie muss deswegen zurückgezahlt werden. Ich danke Ihnen. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen nun zur Abstimmung. Wer stimmt für den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich der Stimme enthalten? - Damit ist der Geschäftsord- nungsantrag von der Mehrheit des Hauses abgelehnt. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf: Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des Grundgesetzes - Drucksache 17/437 - Die Fraktion Die Linke schlägt den Abgeordneten Wolfgang Nešković vor. Bevor wir zur Abstimmung kommen, bitte ich Sie um Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Verfahren: Die für die Wahl erforderlichen Stimmkarten werden bzw. sind im Saal verteilt. Sie benötigen außerdem Ihren Wahlausweis aus dem Stimmkartenfach. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mit- glieder des Bundestages auf sich vereint, also mindes- tens 312 Stimmen. Gültig sind nur Stimmkarten mit ei- nem Kreuz bei „Ja“, „Nein“ oder „enthalte mich“. Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als ein solches Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Die Wahl ist nicht geheim. Sie können die Stimm- karte deshalb an Ihren Plätzen ankreuzen. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Wahlurnen Ihren Wahlausweis. Die Abgabe des Wahlausweises gilt als Nachweis der Teilnahme an der Wahl. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir zu signa- lisieren, ob das an allen Wahlurnen der Fall ist. - Dies scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich hiermit den Wahlgang. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Das ist offen- sichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl werde ich Ihnen später bekannt geben.1) Für den nächsten Tagesordnungspunkt darf ich diejenigen, die daran teilnehmen wollen, bitten, Platz zu nehmen, sodass wir dann mit der nachfolgenden Debatte beginnen können. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 unserer heutigen Plenarsitzung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 ({0}) - Drucksache 17/200 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im Rahmen der Haushaltsberatung für die heutige Ausspra- 1) Ergebnis siehe Seite 1145 C che im Anschluss an die Einbringung des Haushalts siebeneinhalb Stunden, für Mittwoch achteinhalb Stunden, für Donnerstag wiederum siebeneinhalb und für Freitag dreieinhalb Stunden vorgesehen. Können wir das so vereinbaren? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Das Wort zur Einbringung des Haushaltes erhält nun der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 2010, den wir heute in erster Lesung beraten, ist durch die Erschütterungen infolge der Krise der internationalen Finanzmärkte und des tiefsten Wirtschaftseinbruchs in der Nachkriegszeit geprägt. Es war übrigens einer der Hauptgründe für die flächenbrandartige Ausbreitung der Finanzmarktkrise über den gesamten Globus, dass das Vertrauen als die wichtigste Kategorie, die es im Wirtschaftsleben im Allgemeinen und auf den Finanzmärkten im Besonderen gibt, nahezu universal gefährdet oder zerstört worden ist. Deshalb ist es eine zentrale Aufgabe, Vertrauen zurückzugewinnen, Vertrauen, das bei den Menschen im Sog der Krise verloren gegangen oder zumindest erschüttert worden ist. Die Rückgewinnung von Vertrauen ist also eine zentrale psychologische Voraussetzung für die Überwindung dieser Krise. Der Finanzpolitik kommt dabei eine besondere Rolle zu, nicht zuletzt weil Vertrauen durch verantwortungsloses, von maßloser Gier geprägtes Verhalten einiger im Finanzsektor an führender Stelle Tätiger mit zerstört worden ist. ({0}) Das hat im Übrigen damit zu tun, dass Geld und Währung eigentlich nichts anderes als geronnenes Vertrauen sind. Beim Kredit kann man es sogar an der Bedeutung des lateinischen Wortes unmittelbar erkennen. Vertrauen hängt nun entscheidend mit Nachhaltigkeit zusammen. Beides wiederum braucht eine funktionsfähige Ordnung. Nun besagen alle international verfügbaren empirischen Erfahrungen zur Wirksamkeit der Wirtschafts- und Finanzpolitik, dass Politik immer dann erfolgreich ist, wenn sie nachhaltig orientiert ist, wenn sie sich im Wesentlichen auf das Setzen möglichst stabiler Rahmenbedingungen für Konsumenten und Wirtschaft und damit eben auf die Stabilisierung der Erwartungen und des Vertrauens der Menschen konzentriert und wenn sie auf massive diskretionäre Eingriffe des Staates verzichtet. Aber die schwerste Wirtschaftskrise in der Nachkriegszeit hat eine zeitweise Abkehr von diesem Credo notwendig gemacht. Das ist die Lehre, die glücklicherweise überall aus den Erfahrungen mit der Weltwirtschaftskrise der 20er-Jahre gezogen worden ist. In einer Situation, in der die Finanzmärkte ihre Funktionsfähigkeit zu verlieren drohten, musste der Staat als der letztmögliche Vertrauensanker eingreifen. Es war angesichts des schlagartigen Einbruchs der weltweiten Nachfrage wichtig - man muss sich die Zahlen noch einmal vor Augen halten -, den Absturz zu verhindern und eine Brücke über die Krise zu bauen. Deshalb war es alternativlos richtig, mit einer konsequent antizyklischen Politik darauf hinzuwirken, Dauer und Ausmaß des Wirtschaftseinbruchs möglichst zu begrenzen, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt abzumildern und zugleich das Wachstumspotenzial Deutschlands langfristig weiter zu stärken. Alle Indikatoren und Meinungsumfragen belegen, dass der Staat als ultimativer Vertrauensanker oder als Lender of last resort, wie man auf den Finanzmärkten sagt, bis heute seine Aufgabe gut gemeistert hat. ({1}) Es ist nicht zuletzt den nationalen wie den internationalen massiven staatlichen Stützungspaketen zu verdanken, dass sich die konjunkturellen Aussichten für die deutsche Wirtschaft inzwischen wieder spürbar aufgehellt haben. Nach dem scharfen Einbruch im Winterhalbjahr 2008/2009 hat seit Frühjahr vergangenen Jahres ein Erholungsprozess eingesetzt, der in den kommenden beiden Jahren, wenn auch vielleicht mit etwas reduziertem Tempo, anhalten wird. Die meisten Experten gehen davon aus, dass das reale Bruttoinlandsprodukt nach einem Rückgang in Höhe von 5 Prozent im vergangenen Jahr - man muss immer wieder darauf hinweisen, dass so etwas bislang unvorstellbar in der Nachkriegszeit war; das ist einmalig; hoffentlich bleibt es auch dabei in 2010 und 2011 wieder ein Wachstum zwischen 1 und 3 Prozent aufweisen wird. Die Bundesregierung wird ihre aktuelle Wirtschaftsprognose für das kommende Jahr im Jahreswirtschaftsbericht in der kommenden Woche vorlegen. Wir gingen zuletzt von 1,2 Prozent für 2010 aus, die Allianz-Gruppe beispielsweise von 2,8 Prozent, JP Morgan von 3,3 Prozent und der IMF im Oktober noch von 0,3 Prozent. Die große Bandbreite zeigt, dass die Unsicherheit über die künftige Wirtschaftsentwicklung auch in Deutschland noch groß ist. Deswegen bleibt es weiterhin richtig, dass wir - wie die Bundeskanzlerin früh gesagt hat - auf Sicht fahren müssen. Neben der Konjunkturentwicklung im Allgemeinen ist die Reaktion des Arbeitsmarktes im Besonderen eine zentrale Unbekannte. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl registrierter Arbeitsloser im Dezember vergangenen Jahres um 116 000 Personen auf knapp 3,3 Millionen Personen angestiegen. Ich muss übrigens noch einmal daran erinnern, wo die Arbeitslosenzahl Mitte des Jahrzehnts noch lag, damit man das, relativ betrachtet, richtig einordnet. Die Arbeitslosenquote liegt bei 7,8 Prozent. Sie ist - bei einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistungskraft um 5 Prozent darf man sagen „nur“ - um 0,4 Prozent höher als noch vor einem Jahr. Die Reaktion des Arbeitsmarktes auf den Konjunktureinbruch war also glücklicherweise überraschend verhalten. Die Ausweitung der Kurzarbeit, der Abbau von Überstunden, das Abschmelzen von Guthaben auf Arbeitszeitkonten - das alles hat geholfen, die Beschäftigungsverluste in 2009 zu begrenzen. Im Übrigen wurden die Arbeitgeber auch strukturell entlastet, indem die Politik

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

die Lohnnebenkosten gesenkt hat, insbesondere massiv den Arbeitslosenversicherungsbeitrag. Viele Arbeitgeber hoffen auf eine rasche konjunkturelle Erholung und haben versucht und versuchen weiterhin, ihr Fachpersonal zu halten, indem sie die Arbeitszeiten der reduzierten Nachfrage anpassen. Die Arbeitnehmer sind zu den damit einhergehenden Lohnverzichten bereit; auch das muss man erwähnen. Das alles nennt man Flexibilisierung, und es funktioniert. Gleichwohl müssen wir davon ausgehen, dass die Arbeitslosenzahlen in den beiden nächsten Jahren - in diesem und im kommenden Jahr - steigen werden. Aber wir können hoffen, dass sie nicht so dramatisch in die Höhe schnellen werden wie in früheren Zeiten. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben gelernt, und beide Seiten zeigen größere Flexibilität als in früheren Zeiten. Aber auch wenn sich die Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung im Vergleich zum letzten Frühjahr gebessert hat, ändert das an der historischen Dimension dieser Krise nichts. Deshalb irrt jeder, der angesichts zunehmender positiver Wirtschaftsmeldungen glaubt, wir hätten die fatalen Folgen dieser schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland schon hinter uns gelassen. Tatsächlich befinden wir uns noch in einer sehr ernsten und beispiellosen wirtschaftlichen Gesamtsituation. Ich will es noch einmal sagen: Der globale Nachfrageeinbruch hat uns in das tiefste Konjunkturtal seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland geführt. Er hat uns besonders hart getroffen, weil wir auf den Weltmärkten stärker und erfolgreicher verflochten sind als andere. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Folgen der Krise noch nicht überwunden sind, und das gilt insbesondere für die krisenbedingt dramatisch verschlechterte Haushaltssituation bei Bund, Ländern und Kommunen. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass der zweite Regierungsentwurf zum Haushalt 2010, den wir heute zur ersten Lesung vorlegen, ein Abbild dieser historischen Finanz- und Wirtschaftskrise ist. Aber er ist nicht nur ein Abbild dieser Krise, sondern zugleich ein weiterer Meilenstein zur Überwindung der Krise. Mit diesem Haushaltsentwurf werden für das Jahr 2010 die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um die noch nicht gefestigte Wirtschaftsdynamik weiter zu unterstützen und so alles dafür zu tun ({0}) - ich komme gleich darauf, Herr Poß -, damit Deutschland gestärkt aus dieser Krise hervorgeht. Wir entsprechen damit übrigens internationalen Vereinbarungen, die insbesondere im G-20-Kreis zur Überwindung der Krise beschlossen wurden. Ich verstehe ja gut, dass in der öffentlichen Debatte, aber auch in diesem Hohen Hause viele gar nicht mehr über das Jahr 2010 und seinen Haushalt, sondern am liebsten nur noch über das Jahr 2011 und die darauf folgenden diskutieren möchten. Aber ich muss Sie enttäuschen. Wir dürfen den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun, wenn wir nicht ins Stolpern geraten wollen. Im Übrigen: Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger - ich füge freimütig hinzu: auch ich - haben noch genügend Probleme, sich damit abzufinden, dass wir für das laufende Jahr eine Rekordneuverschuldung vorschlagen müssen. Das ist nicht trivial. Die Menschen haben ein Recht darauf, dass wir als Parlament unserer Verpflichtung nachkommen, diesen Haushaltsentwurf und die ihm zugrunde liegende makroökonomische Ratio erschöpfend zu diskutieren und zu beschließen. Das hat mit Vertrauensbildung und mit Vertrauensstabilisierung zu tun. Wir wissen im Übrigen, dass schwerwiegende Entscheidungen auch für die Jahre danach - 2011 folgende - zu treffen sein werden. Ich werde darauf zu sprechen kommen. Wenn wir diese Entscheidungen verantwortlich und sachgerecht treffen wollen, dann müssen wir sie zum gegebenen Zeitpunkt gründlich vorbereiten und diskutieren. Aber wir dürfen sie eben nicht in mehr oder weniger großer Unverbindlichkeit lange zuvor öffentlich zerreden. Im Übrigen ist es angesichts der noch großen Unsicherheit über die weitere konjunkturelle Entwicklung einfach unseriös, schon jetzt Aussagen über die Folgejahre zu treffen, wenn wir nach den guten Übungen dieser Bundesrepublik den Haushaltsentwurf zur Jahresmitte aufstellen müssen. ({1}) - Das hat damit gar nichts zu tun. ({2}) Wir stellen den Haushaltsentwurf seit Jahrzehnten - jedenfalls wenn wir den Haushalt termingerecht aufgestellt und keine Wahlen hatten - immer zur Jahresmitte auf. Wir stellen ihn immer auf der Grundlage der jeweils aktuellen Steuerschätzung auf. Die wird traditionell immer in der ersten Maiwoche sein, und so wird es auch in diesem Jahr sein. Alles andere ist eine üble Unterstellung. ({3}) - Ich werde Ihnen gleich belegen, wie sich innerhalb von sechs Monaten die Zahlen verändern. ({4}) - Gut, dann brauchen Sie das auch nicht zu bestreiten. ({5}) Ich will zeigen, wie die Krise auf den Bundeshaushalt durchschlägt. Wir planen im Haushaltsentwurf mit einer Nettoneuverschuldung von 85,8 Milliarden Euro, ({6}) eine Größenordnung, die wir bisher nie gehabt haben und die deshalb mit Ernst und Eindringlichkeit erklärt werden muss. Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble: ({7}) - Ganz ruhig, Zeit haben wir. - 85,8 Milliarden Euro sind eben keine Kleinigkeit. Sie sind bitter, notwendig, und sie sind ökonomisch richtig. Ich hatte bereits erwähnt, dass es nach der Auffassung aller Sachverständigen, in Deutschland wie international, richtig ist, eine so schwere Wirtschaftskrise, die ihre Ursachen nicht in Deutschland hatte, mit den Mitteln der Finanzpolitik prozyklisch nicht noch zu verstärken, sondern antizyklisch gegenzusteuern. Der Bund tut dies entschlossen. Ich will daran erinnern: Wir hätten nach der mittelfristigen Finanzplanung, wie sie noch im Jahr 2008 beschlossen worden ist, den Bundeshaushalt 2010 mit einer Neuverschuldung von nur noch 6 Milliarden Euro gefahren. Für das Jahr 2011 war eine Nullneuverschuldung für den Bundeshaushalt vorgesehen. Jetzt haben wir statt 6 Milliarden Euro eine Neuverschuldung von 85,8 Milliarden Euro. Diese bedarf einer sauberen Erklärung. 43,5 Milliarden Euro sind krisenbedingte Steuermindereinnahmen allein für den Bund, 23,3 Milliarden Euro sind krisenbedingte Mehrausgaben für den Arbeitsmarkt, darunter 16 Milliarden Euro für den krisenbedingten zusätzlichen Zuschuss an die Bundesagentur für Arbeit. ({8}) Dann kommen die zusätzlichen Zuschüsse an die gesetzlichen Krankenversicherungen in Höhe von insgesamt 10,2 Milliarden Euro hinzu, einschließlich des beschlossenen einmaligen zusätzlichen Zuschusses von 3,9 Milliarden Euro. Wenn Sie jetzt noch die 4 Milliarden Euro für die zwei Konjunkturpakete hinzunehmen, dann sind Sie bei fast 81 Milliarden Euro. Sie sehen, dass die Differenz zwischen der mittelfristigen Finanzplanung und der Neuverschuldung im Haushaltsentwurf ausschließlich durch die Krise verursacht ist. Im Übrigen ist der Grund für diese erhöhten Zuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit und an die gesetzliche Krankenversicherung doch wohl richtig. Er wird doch hoffentlich nicht infrage gestellt werden. Genauso wie es richtig war, dass wir den Finanzsektor zulasten des steuerfinanzierten öffentlichen Haushalts überlebensfähig gemacht haben, ist es richtig, dass wir die sozialen Sicherungssysteme nicht mit den Folgen dieser exorbitanten Wirtschaftskrise belasten, sondern dass wir entsprechende Zuschüsse im Bundeshaushalt übernehmen. ({9}) Das ist übrigens nichts anderes als soziale Symmetrie bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise. Ich will daran erinnern, dass noch im Umfeld des G-20-Treffens in Pittsburgh im September vergangenen Jahres international eher diskutiert wurde, ob Deutschland genügend tue, um den Auswirkungen der Wirtschaftskrise entgegenzuwirken. Auch in Europa wurde dies debattiert. Ich glaube, dass wir insgesamt das ökonomisch Richtige getan haben und dass wir mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf auch weiterhin das ökonomisch Richtige tun. Das gilt auch für das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das in dem vorliegenden Gesetzentwurf berücksichtigt ist. Man muss das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und das schon in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedete Bürgerentlastungsgesetz zusammen sehen. Das Bürgerentlastungsgesetz haben Sie doch für richtig gehalten. Ich weiß nicht, warum das Wachstumsbeschleunigungsgesetz Ihrer Meinung nach nun plötzlich Gegenteiliges bewirken wird. ({10}) - Ich glaube, Herr Kollege Poß, angesichts der noch nicht überwundenen Wirtschaftskrise - wir stimmen international völlig überein, dass wir im Laufe des Jahres eine klug dosierte Exit-Strategie finden müssen - war es richtig, zu Beginn des Jahres einen zusätzlichen konjunkturellen Impuls in der Größenordnung von etwas weniger als 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu setzen. Genau das tun wir durch das Zusammenspiel von Bürgerentlastungsgesetz und Wachstumsbeschleunigungsgesetz. ({11}) Ich finde, dass die Debatte über das, was wir tun, ein bisschen verzerrt ist. Zu der Geschäftsordnungsdebatte, die Sie gerade geführt haben, will ich folgende Bemerkung hinzufügen: Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man kann über jede gesetzliche Maßnahme unterschiedlicher Meinung sein. Wir haben gesehen, wie sich die Forderungen im Spiegel der Wahlprogramme erhöhen. Wir haben auch erlebt, dass es mit der Konsistenz von Wahlaussagen bei den einzelnen Parteien unterschiedlich ist. All das will ich jetzt nicht bewerten. Angesichts des Ernstes der Wirtschafts- und Finanzlage, mit der wir konfrontiert sind, und der Sorgen in unserer Bevölkerung will ich aber dafür werben, dass wir dieses Parlament und die demokratischen Institutionen dieses Verfassungsstaates nicht als käuflich darstellen. ({12}) Wehret den Anfängen! Überlegen Sie gut, was Sie tun, und überlegen Sie, wessen Geschäft Sie dabei betreiben! ({13}) - Ja, ja. Die Welt und auch wir, Deutschland, haben gerade, Herr Kollege Trittin - das will ich Ihnen mit großem Ernst sagen -, übereinstimmend aus der WeltwirtBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble: schaftskrise der 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts die richtigen Lehren gezogen. ({14}) Wir sollten aus dem Scheitern der parlamentarischen Demokratie in der Weimarer Republik im Feuer der Diffamierung der demokratischen Institutionen durch die Radikalen von rechts und links nicht die falschen Lehren ziehen, sondern wir sollten daraus die richtigen Erkenntnisse gewinnen. ({15}) Im Übrigen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, will ich zu manchen öffentlichen Debatten eine weitere Bemerkung machen. Wir haben nach der Bundestagswahl die Regierungsbildung in ungewöhnlich kurzer Zeit vollzogen, und das Kabinett hat den Entwurf des Bundeshaushalts 2010 in einer ungewöhnlich kurzen Zeit aufgestellt; das haben viele zunächst gar nicht für möglich gehalten. Das war möglich, weil wir uns entschieden haben - auch das war für eine neue Regierung nicht selbstverständlich -, dass wir die Ansätze des ersten Regierungsentwurfs, den wir noch in der vergangenen Legislaturperiode, nämlich im Juli 2009, aufgestellt haben, lediglich um die im Koalitionsvertrag vereinbarten Sofortmaßnahmen zum 1. Januar 2010 ergänzen. Es ist in diesem Zusammenhang kritisiert worden, dass wir auf die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung verzichtet haben. ({16}) - Es ist in Ordnung, dass man so etwas kritisiert. Ich setze mich mit diesem Argument auseinander. - Es ist unstreitig, dass das, was wir tun, durch die geltende Gesetzeslage gedeckt ist. Ich will Ihnen sagen, warum ich mich dazu entschieden habe, so zu verfahren: weil es andernfalls noch Monate gedauert hätte, bis wir einen Haushaltsplan mit einer fortgeschriebenen mittelfristigen Finanzplanung aufgestellt hätten. Wir könnten dann selbst in einigen Monaten noch nicht einmal die erste Lesung durchführen. Wir hätten vor Jahresmitte keinen verabschiedeten Haushalt, und wir müssten bis in die zweite Jahreshälfte hinein mit den Regeln zur vorläufigen Haushaltsführung arbeiten. Das ist in einer so unsicheren konjunkturellen Lage nicht zu verantworten. Deshalb haben wir uns für ein anderes Verfahren entschieden. ({17}) Damit man sich nun bei der Einbringung auch einmal die grundsätzliche Struktur dieses Haushaltes vor Augen führen kann, ist es vielleicht einfach einmal wichtig, jenseits der hohen Neuverschuldung und der Gesamtausgaben und -einnahmen die wesentlichen Ausgabenblöcke des Bundeshaushaltes zur Kenntnis zu nehmen. Wenn Sie die Sozialausgaben im Bundeshaushalt zusammenrechnen, also die Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur gesetzlichen Krankenversicherung, die Leistungen für den Arbeitsmarkt sowie das Erziehungs- und Elterngeld, dann kommen Sie nach dem vorliegenden Entwurf auf insgesamt 176,7 Milliarden Euro; das entspricht 54,3 Prozent des gesamten Haushaltes. ({18}) - Nein, man muss es zur Kenntnis nehmen. Dann weiß man nämlich auch, welche Spielräume man im Haushalt hat. An zweiter Stelle stehen gleich die Zinsausgaben. Sie betragen in diesem Bundeshaushalt 38 Milliarden Euro; das entspricht 11,7 Prozent. Die Personalausgaben belaufen sich im Bundeshaushalt, wenn man alles zusammenrechnet, auf insgesamt 28 Milliarden Euro; das entspricht 8,6 Prozent. Die Ausgaben für flexibilisierte Verwaltungsaufgaben, wiederum alle zusammengerechnet, summieren sich auf 16,1 Milliarden Euro; das entspricht 4,9 Prozent des Bundeshaushaltes. Die Verteidigungsausgaben belaufen sich auf 31,1 Milliarden Euro; das entspricht 9,6 Prozent des Bundeshaushaltes. Die Leistungen für Bildung, Wissenschaft, Forschung und kulturelle Angelegenheiten belaufen sich auf 15,4 Milliarden Euro; das entspricht 4,7 Prozent des Haushaltes. Die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit belaufen sich auf 5,8 Milliarden Euro; das entspricht 1,8 Prozent des Bundeshaushaltes. Die Investitionen für den Verkehrsbereich belaufen sich auf insgesamt 12,6 Milliarden Euro; das entspricht 3,9 Prozent. Die Ausgaben für Umweltschutz, Klima und Nachhaltigkeit belaufen sich auf 1,58 Milliarden Euro; das entspricht knapp 0,5 Prozent des Bundeshaushaltes. Ich habe hier jetzt nur einmal die großen Ausgabenblöcke bzw. die Eckdaten des Bundeshaushaltes benannt, damit man ein Stück weit weiß, wofür im Bundeshaushalt die wesentlichen Leistungen in der Struktur unserer föderalen Ordnung erbracht werden. Noch einmal zurück: Der vorliegende Haushaltsentwurf mit seiner krisenbedingten Rekordneuverschuldung entspricht wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten. Wenn, was allgemeiner nationaler wie internationaler Annahme entspricht und was wir alle dringend hoffen, die Krise in diesem Jahr zu Ende geht, dann werden wir diese Neuverschuldung ab 2011 den Regeln der Schuldenbremse des Grundgesetzes entsprechend zurückführen müssen. ({19}) Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble: Das wird übrigens kein abrupter Kurswechsel sein, weil ja die, wie ich finde, klugen Regelungen, die wir im Zuge der Föderalismusreform II in das Grundgesetz eingefügt haben, eine allmähliche Rückführung einer zu hohen Neuverschuldung vorsehen. Wir müssen bis 2016 die Schuldenbremse einhalten, also ein strukturelles Defizit im Bundeshaushalt von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen. Diese Rückführung der Schulden muss in gleichen Jahresraten über sechs Jahre verteilt geschehen. Das ist kein abrupter Kurswechsel. Ausgehend von einem strukturellen Defizit von etwa 70 Milliarden Euro im Bundeshaushalt in diesem Jahr - das strukturelle Defizit berechnet sich etwas anders als die Gesamtneuverschuldung -, das bis 2016 in gleichen Jahresraten auf 10 Milliarden Euro zurückgeführt werden muss, reden wir immer noch von einem strukturellen Defizit von 60 Milliarden Euro im Jahre 2011 und von 50 Milliarden Euro im Jahr 2012. Es sollte also niemand von einem abrupten Kurswechsel sprechen. Somit bietet diese Schuldenbremse einen entscheidenden Baustein für eine richtige Exit-Strategie, deren prinzipielle Leitlinien im europäischen wie im weltweiten G-20-Rahmen generell unbestritten sind. Es wird gleichwohl, auch wenn es eine allmähliche Rückführung ist, eine finanzpolitische Herkulesaufgabe sein. Aber sie muss gemeistert werden. Die Bundesregierung ist entschlossen, die Anforderungen des Grundgesetzes zu erfüllen. Uns allen muss klar sein, dass diese Aufgabe mit den herkömmlichen haushalterischen Maßnahmen allein nicht zu bewältigen sein wird. Deswegen habe ich die Struktureckdaten des Bundeshaushalts kurz erwähnt. Die Aufgabe wird übrigens im Laufe der Jahre nicht kleiner. Wegen des Wirkungsmechanismus der grundgesetzlichen Bremse wird sie von Jahr zu Jahr größer. Deswegen wird es im Laufe der Jahre nicht ohne gesetzliche Maßnahmen gehen. Aber das muss dann gründlich und Schritt für Schritt bedacht, öffentlich diskutiert und vor allen Dingen so begründet werden, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes das nachvollziehen können. Deshalb noch einmal: Es macht keinen Sinn, jetzt einzelne Vorschläge isoliert in die öffentlich-politische Arena zu werfen mit der absehbaren Folge, dass sie allenfalls zerredet werden. Damit wäre am Ende niemandem weitergeholfen. Kurzfristige, vorübergehende Erhöhung der Neuverschuldung zur Stabilisierung der Finanzmärkte und zur Bekämpfung noch schlimmerer Folgen des Wirtschaftseinbruchs und mittelfristige Reduzierung dieser Neuverschuldung sind also keine Gegensätze und bedeuten keinen Kurswechsel, sondern sind insgesamt Ausdruck einer auf Nachhaltigkeit und stabile Rahmenbedingungen angelegten Ordnungspolitik. Im Übrigen ist Generationengerechtigkeit gerade vor dem Hintergrund einer demografischen Entwicklung, wie wir sie in Deutschland und auch in weiten Teilen Europas erleben, genauso ein Gebot der Finanzpolitik wie etwa der Umweltpolitik. Anderenfalls gibt es weder Nachhaltigkeit noch Generationengerechtigkeit. ({20}) - Ich rede die ganze Zeit dazu. - Nur ein glaubwürdiger, auf Konsolidierung angelegter Kurs stärkt am Ende das Vertrauen von Konsumenten, Investoren, Finanzmärkten und allen anderen wirtschaftlichen Akteuren in den Wirtschaftsstandort Deutschland. ({21}) Für stabiles Wachstum sind stabile Staatsfinanzen unerlässlich. Ohne Haushaltskonsolidierung werden die langfristigen Inflationserwartungen und damit auch die langfristigen Zinsen steigen. ({22}) Deswegen ist es so wichtig, dass wir in dieser Konsolidierungspolitik glaubwürdig sind. ({23}) Übrigens: Wenn die Zinsen steigen, werden sich - auch das muss man wissen - die Refinanzierungsbedingungen der Unternehmen und des Staates dauerhaft verschlechtern. Weil dies weltweit alle mit erheblicher Sorge erfüllt, müssen Deutschland und Europa ihren Beitrag im Sinne der Nachhaltigkeit glaubwürdig leisten. Dem entspricht, dass auch der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt Konsolidierung verlangt. Es ist eine glückliche Fügung, dass sich das sehr gut mit unserer nationalen Schuldenregel deckt. Im Jahre 2013 muss Deutschland die Grenze für das gesamtstaatliche Defizit - dabei geht es um das Defizit von Bund, Ländern, Kommunen und gesetzlichen Sozialversicherungen insgesamt - in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wieder einhalten. Wir haben im vergangenen Jahr diese Grenze mit 3,2 Prozent überschritten. Wir werden im laufenden Jahr voraussichtlich ein gesamtstaatliches Defizit von knapp 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts haben. Das muss ab dem Jahre 2011 sukzessive wieder zurückgeführt werden. Im Übrigen liegt es in unserem ureigenen Interesse, dass die Stabilität des Euro und seine Glaubwürdigkeit auf den internationalen Märkten auch in den kommenden Jahren erhalten werden. Gegenüber viel anfänglicher Skepsis in den 90er-Jahren bei Einführung einer europäischen Währung ist inzwischen unbestritten, dass die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise noch viel katastrophaler gewesen wären, wenn wir nicht eine gemeinsame europäische Währung gehabt hätten. ({24}) Gerade angesichts der Verschiebungen der globalen Gewichte im 21. Jahrhundert, die durch diese Finanz- und Wirtschaftskrise wohl noch erheblich beschleunigt werBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble: den, ist es im europäischen wie im deutschen Interesse geradezu lebensnotwendig, dass unsere gemeinsame europäische Währung ihre Glaubwürdigkeit bewahrt und angesichts möglicher erratischer Entwicklungen auf den Weltfinanzmärkten ein stabilisierendes Element bleibt. Dass Deutschland eine besondere Verantwortung für die Stabilität des Euro hat, braucht angesichts des Gewichts der deutschen Wirtschaft im europäischen Verbund nicht eigens begründet zu werden. Deswegen sind die Empfehlungen der Europäischen Kommission zur Rückführung unseres gesamtstaatlichen Defizits und zur Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes hilfreich. Wir werden uns dafür einsetzen, dass alle anderen in Europa diese Empfehlungen akzeptieren und umsetzen. Das wird für einzelne Mitgliedsländer unterschiedlich schwierige Herausforderungen beinhalten. Aber es gibt dazu keine verantwortbare Alternative. Damit wir das glaubwürdig vertreten können, müssen wir uns natürlich selbst an die europäischen Regeln halten. Auch dazu gibt es keine bessere Alternative. Wir müssen im Übrigen neben dem diffizilen Austarieren fiskalischer und geldpolitischer Exit-Strategien auch die Bemühungen um die weitere Finanzmarktstabilisierung national, europäisch und international fortsetzen. Ich will Ihnen eine erschöpfende Darstellung der anstehenden Arbeiten ersparen. Aber ich will doch einige Bemerkungen dazu machen, weil öffentlich gelegentlich der Eindruck erweckt wird, es sei in den zurückliegenden Monaten gar nichts geschehen. Das ist einfach grundfalsch. Die Bundesregierung wird im Laufe dieses Jahres die vorliegenden europarechtlichen Änderungen der Banken- und Kapitaladäquanzrichtlinie in nationales Recht umsetzen. Damit werden Lehren aus der Finanzmarktkrise gezogen und wichtige Akzente für eine weitere Stabilisierung der Märkte und für die Stärkung der Bankenlandschaft gesetzt. Zum Beispiel wird mit den neuen europaweit geltenden Prinzipien zur Anerkennung von Kapitalbestandteilen als Kernkapital die Kapitalbasis der Banken zuverlässig und dauerhaft gestärkt. Banken dürfen in Verbriefungen nur noch investieren, wenn der ursprüngliche Kreditgeber einen Anteil von wenigstens 5 Prozent der mit der Transaktion übertragenen Risiken behält. Damit wird das Eigeninteresse der Beteiligten erhöht, die sich aus einer Verbriefung ergebenen Risiken sorgfältiger als bisher zu bedenken. Dass das in der Vergangenheit nicht der Fall war, war eine der Ursachen der Krise. Die Bundesregierung wird darüber hinaus noch im ersten Quartal einen Gesetzentwurf beschließen, der die Prinzipien zur Vergütungspolitik des Financial Stability Boards umsetzt und die Selbstverpflichtungserklärung der größten deutschen Banken und Versicherungsunternehmen, die dankenswerterweise im vergangenen Jahr ausgesprochen worden ist, auf eine gesetzliche Grundlage stellt. Eine kurzfristige und konsequente Umsetzung der Prinzipien soll dazu beitragen, das Vertrauen der Bevölkerung und der Politik in den Finanzsektor zu stärken, ohne dass die Wettbewerbsbedingungen auf den großen Finanzmärkten in Europa - auch darauf muss man achten - ungebührlich verzerrt werden. Die Krise hat übrigens auch gezeigt, dass die etablierten Instrumente zur Bewältigung von Unternehmensschieflagen bei systemrelevanten Banken versagen und eine Bedrohung der Finanzmarktstabilität fördern. Durch staatliche Stabilisierungsmaßnahmen, die die Fortführung des Geschäftsbetriebs ermöglichen, werden negative Dominoeffekte zwar kurzfristig vermieden, zugleich werden aber negative Anreize für das Risikoverhalten von Bankmanagement, Investoren und Gläubigern gesetzt. Deshalb besteht das Bedürfnis, auch für systemrelevante Banken Instrumente vorzuhalten, die im Krisenfall eine geordnete Reorganisation ermöglichen und Anteilseigner und Gläubiger angemessen an der Rettung beteiligen. So müssen wir auch in unserem Land das vorhandene Instrumentarium nachbessern. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, ein geeignetes Instrumentarium zu schaffen. Die Bundesregierung wird einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen und den im August 2009 vorgelegten Diskussionsentwurf von Justiz- und Finanzministerium sowie die Empfehlungen des Sachverständigenrates in seinem aktuellen Jahresgutachten berücksichtigen. Auch die EU-Kommission arbeitet an einem Rahmenwerk zur Bewältigung grenzübergreifender Krisen für den Bankensektor. Wir begleiten diese Arbeiten aktiv. Die Bemühungen zur Reform der Finanzaufsicht auf europäischer und nationaler Ebene werden auch zur weiteren Stabilisierung beitragen. Die Stärkung und bessere Verzahnung der Finanzaufsicht in Europa sind ein zentrales Element für die Stabilität des gesamten Systems und für mehr Kontrolle auf den Finanzmärkten. Die Mitgliedstaaten haben deshalb zum einen die Errichtung eines Ausschusses für Systemrisiken verabredet, der die Stabilität des gesamten Systems überwachen soll, indem er die systemischen Risiken analysiert und frühzeitige Warnungen und Empfehlungen ausspricht. Zum anderen soll ein europäisches Aufsichtssystem geschaffen werden, das die Zusammenarbeit der nationalen Behörden intensiviert, einheitliches Aufsichtshandeln sicherstellt und damit Qualität und Kohärenz der Finanzaufsicht in Europa verbessert. Wir werden die im Koalitionsvertrag vorgesehene Reform der nationalen Bankenaufsicht zügig, aber auch nicht übereilt in Angriff nehmen. Wir werden ein Konzept entwickeln, das die Lehren aus der Krise umsetzt, aber auch die bestehenden Stärken der deutschen Aufsicht bewahrt. Die Reformüberlegungen werden sich nicht auf die Bankenaufsicht begrenzen, sondern die gesamte Finanzaufsicht einbeziehen. Alles in allem sind wir national, europäisch und global mit dem Bemühen, durch bessere Finanzmarktstabilisierung Lehren zu ziehen, zwar gut vorangekommen, aber noch nicht am Ende. Angesichts weltweiter Mobilität und Volatilität brauchen wir am Ende verbesserte Global Governance. Dafür ist der Mechanismus im G-20-Prozess ein erfolgversprechender Ansatz. Die Staats- und Regierungschefs haben den Internationalen Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble: Währungsfonds beauftragt, bis zum nächsten Gipfeltreffen im Sommer Vorschläge in Richtung eines internationalen Steuer- und Abgabemechanismus zu entwickeln. Ich will die Gelegenheit nutzen, auf Folgendes hinzuweisen: Alle Vorschläge in Richtung nationaler Sonderinitiativen und Sonderaktionen sind am Ende nicht zielführend. ({25}) Was wir brauchen, sind europäische und am besten globale Lösungen. Dafür setzen wir uns ein. Dazu hat die Bundeskanzlerin frühzeitig die Initiative ergriffen. Wenn man das will, muss man auch bereit sein, global zu gemeinsamen Lösungen beizutragen, und kann nicht sagen: Wir wollen nur das und nichts anderes. In diesem Sinne halte ich übrigens die Initiative der Regierung von Präsident Obama für einen wichtigen Schritt der Vereinigten Staaten auf dem Weg, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Wir haben gestern am Rande der Euro-Gruppe der Finanzminister darüber gesprochen, wie wir in Europa darauf reagieren können, um mit Blick auf das nächste Gipfeltreffen der G-20Staaten zu einer weltweit abgestimmten und damit auch wirkungsvollen Lösung zu kommen. Das ist das Entscheidende. Jedenfalls müssen wir bessere Vorkehrungen dagegen treffen, dass sich die Finanzmärkte am Ende durch Übertreibung selbst zerstören. Wir müssen dafür eintreten, dass die Finanzmärkte ihre eigentlich dienende Funktion für die Realwirtschaft nicht immer mehr vergessen und selbstreferenziell werden. Dies ist ein anderer Grund für die Krise. ({26}) Neben der Überwindung der akuten Krise bleibt übrigens die Sicherung und Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes eine zentrale Herausforderung für Politik und Wirtschaft. Wir werden in Zukunft angesichts der weltweiten Entwicklung, aber vor allen Dingen auch angesichts unserer demografischen Veränderungen noch mehr in Qualität und Quantität von Bildung und Forschung investieren müssen, um das Wachstumspotenzial Deutschlands zu verbessern. Unsere Position hat sich zwar seit PISA 2000 und 2003 verbessert; aber wir schneiden im OECD-Vergleich bei schulischen Leistungen immer noch nur knapp über oder nahe dem Durchschnitt ab. Wir müssen diese gesamtstaatliche Aufgabe - das ist ein eigenes Thema; ich will es an dieser Stelle nicht vertiefen - im Rahmen unserer bewährten föderalen Ordnung bewältigen. Jedenfalls hat die Koalition deshalb einen zusätzlichen Beitrag des Bundes verabredet, nämlich in dieser Legislaturperiode insgesamt zusätzlich 12 Milliarden Euro - 12 Milliarden für die gesamte Legislaturperiode, nicht in Jahresbeträgen - für Bildung und Forschung einzusetzen. Wir setzen mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf eine erste Tranche von 750 Millionen Euro - für vier Jahre sind dies 3 Milliarden Euro; das ist ein Viertel der Gesamtverabredung - um. Ich füge aber hinzu: Bildung, insbesondere Weiterbildung, und Forschung sind nicht nur Aufgabe des Staates. Dies ist auch Aufgabe der Unternehmen selbst. Die Weiterbildungsquoten in Deutschland sind im internationalen Vergleich nicht befriedigend. Auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung stagnieren seit Jahren. Fertigkeiten und Kenntnisse veralten heute rascher als früher. Wenn wir weiter in Wohlstand und sozialer Sicherheit leben wollen, wenn uns das Wohlergehen künftiger Generationen wichtig ist, dann müssen wir im sich verschärfenden weltweiten Wettbewerb durch vermehrte Anstrengungen in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Entwicklung wettbewerbsfähig bleiben. ({27}) Neben den Investitionen in Bildung und Forschung sind Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft vor allem eine Frage der Ordnungspolitik. Das heißt für mich: Eigenverantwortung, innovative Kräfte von Bürgern und Unternehmen zu stärken. Das ist ein zentraler Grundsatz unseres wirtschaftlichen und sozialen Ordnungsmodells, der sozialen Marktwirtschaft. Wir müssen übrigens, gerade nach den Erfahrungen dieser Krise, darauf achten, dass das notwendige Vertrauen in staatliche Institutionen nicht zu dem Missverständnis führt, dass es der Staat am Ende schon richten werde. Das kann er nicht leisten. Ein Übermaß an Staatsanteil und Regulierung ist der falsche Weg. Er schwächt am Ende die dynamischen Kräfte. Deswegen müssen wir die Chance der Krise, die Notwendigkeit der Konsolidierung in den kommenden Jahren dazu nutzen, grundlegende Vereinfachungen in unseren Regulierungssystemen und mit Blick auf die Erwartungen an den administrativen, sprich bürokratischen Vollzug unserer Regulierungssysteme vorzunehmen. Das wird grundlegendere Reformen erfordern, aber darin steckt ein erhebliches Handlungs- und Gestaltungspotenzial. Die Koalition ist entschlossen, dieses Potenzial zu nutzen. ({28}) Es hat sich gezeigt - das haben Sie von mir in anderen Zusammenhängen gelegentlich gehört, aber es bleibt richtig -: Freiheit kommt ohne Regeln und Grenzen nicht aus; auch die Krise der Finanzmärkte lehrt das. Aber Freiheit braucht, wenn sie nicht durch Überregulierung erdrosselt werden soll, ein hinreichendes Maß an Verantwortung - für den Einzelnen selbst und für andere -, ({29}) aber auch an freiwilliger Selbstbegrenzung oder Respekt vor Regeln. Das nennt man gemeinhin werteorientiertes Verhalten. Das sollte man nicht banalisieren. Man sollte es nicht unterschätzen. Wir stehen vor der Alternative: entweder eine zügellose Freiheit, die sich selbst zerstört bzw. ein Maß an Regulierung, das zur Erdrosselung, Lähmung und Untergrabung von Freiheit führt, oder eine Stärkung der Kräfte, die durch Selbsteinsicht und werteorientiertes Verhalten Freiheit mit dem notwendigen Rahmen versehen. Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble: ({30}) Übrigens wird solches Verhalten am ehesten vermittelt, indem es andere vorleben. Das ist die Funktion von Eliten. Aber das ist ein weites Feld. Dort gab es in den zurückliegenden Jahren erhebliches Versagen; auch das ist wahr. Trotzdem bleibt das für die Zukunft notwendig. Es muss uns zu denken geben, dass das Vertrauen der Menschen in die soziale Marktwirtschaft - Umfragen belegen das - gelitten hat. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wieder und wieder der Grundlagen unserer Freiheit und unserer Ordnung der sozialen Marktwirtschaft vergewissern. Freiheit, Gerechtigkeit und soziale Verantwortung sind die Grundlagen dieser sozialen Marktwirtschaft. Auslöser der Krise war übrigens nicht die soziale Marktwirtschaft, sondern die Verletzung zentraler marktwirtschaftlicher Prinzipien wie Haftung und Verantwortung. ({31}) Deswegen sind die Probleme bei aller Tragweite nicht ein Beleg für eine Krise der sozialen Marktwirtschaft, sondern sie stehen für eine Krise im System, und wir müssen sie durch eine Bestärkung der Grundlagen unserer Ordnung überwinden. Im Grundsatz ist die Überlegenheit der sozialen Marktwirtschaft in Europa und weit darüber hinaus nicht mehr bestritten. Das war in früheren Zeiten anders. Ich habe vor kurzem mit großem Interesse und der mir eigenen Fähigkeit, mich ein Stück weit ironisch zu freuen, einen Kommentar des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Krugman in der New York Times gelesen. Krugman ist bisher nicht unbedingt als Vertreter der Reaganomics bekannt geworden. Er schreibt mit viel Überzeugungskraft in der New York Times - ich empfehle diesen Kommentar zur Lektüre -, die Amerikaner sollten das europäische Modell der sozialen Marktwirtschaft ein bisschen ernster nehmen. Vieles sei in Europa viel erfolgreicher, als man in den Vereinigten Staaten von Amerika gelegentlich glaube. ({32}) Damit sind nicht alle Probleme in Europa gelöst. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn das schon in Amerika von einem so bedeutenden Vertreter der Wirtschaftswissenschaft so gesehen wird, dann sollten wir daraus die Überzeugung ableiten, dass wir im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft ({33}) für Nachhaltigkeit, für Wettbewerbsfähigkeit, für Leistungsfähigkeit und für soziale Gerechtigkeit in unserem Land auch für die kommenden Generationen sorgen können. ({34}) Der Bundeshaushalt 2010, dessen Entwurf wir Ihnen heute vorlegen, über den wir heute und in dieser Woche diskutieren, versucht, den bescheidenen Beitrag staatlicher Finanzpolitik zur Stärkung dieser Ordnung zu leisten. Herzlichen Dank. ({35})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor ich die Aussprache eröffne, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des Parlamentari- schen Kontrollgremiums bekannt: abgegebene Stim- men 586, davon gültige Stimmen 581, ungültig 5. Mit Ja haben gestimmt 320, mit Nein haben gestimmt 226, 35 Kolleginnen und Kollegen haben sich der Stimme enthalten.1) ({0}) Damit hat der Kollege Wolfgang Nešković die erforderliche Mehrheit erhalten und ist zum Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums gewählt. ({1}) In der Aussprache erhält als Erster der Kollege Joachim Poß für die SPD-Fraktion das Wort. ({2})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Schäuble, mit Ihrer Rede haben Sie zumindest bewiesen, dass Sie sich in den langen Jahren Ihrer parlamentarischen Tätigkeit eine gewisse Raffinesse angewöhnen mussten - ich meine das positiv -; denn Sie haben in einer für die Koalition so schwierigen Situation wie dieser eine staatspolitische, pathetische Vorlesung einer Haushaltsrede vorgezogen. ({0}) Das ist das, was Ihnen nach all der Unbill noch übrig blieb. Und dann diese großen Worte: Glaubwürdigkeit und andere. Das Problem ist aber - Herr Schäuble, Sie wissen das -, dass die Öffentlichkeit bei dieser Koalition in den letzten Wochen nur Theater erlebt hat. Das letzte Treffen im Borchardt war die Krönung. Eine Zeitung hat dazu geschrieben: „Programm statt Prosecco“. Mit diesem Theater konnten Sie die Öffentlichkeit doch nicht überzeugen. Das ist das Problem, vor dem Sie stehen. ({1}) Ihnen fehlt eine klare Orientierung nach vorne. Wo ist denn jenseits der pathetischen Worte die Wachstumsstrategie für das nächste Jahrzehnt? ({2}) 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3 Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble: Wo sind die Überlegungen, wie man Stabilität und Wachstum zum Wohle unseres Volkes miteinander verbindet? Nichts ist dazu heute von Ihnen gekommen. Auch in dieser Rede war null und nichts dazu zu registrieren. ({3}) Wie gesagt, das, was Sie geboten haben, war Ablenkung; denn ein werteorientiertes Verhalten kann man Ihnen so nicht attestieren. Die Politik der Klientelregierung Merkel wird zur Bedrohung unserer Zukunft. Darum geht es in diesen Tagen. ({4}) Jeden Tag wird klarer - das ist belegt; lesen Sie doch die Zeitungen -, wie eng die neue Koalition mit Lobbyisten, mit bestimmten Wirtschaftsinteressen, mit einzelnen Klientelgruppen verbändelt ist. Das betrifft nicht nur die FDP, sondern auch die CDU/CSU. ({5}) Neu ist das übrigens nicht. Die Namen Kohl und Strauß, Lambsdorff und Möllemann ({6}) stehen für große Spendenskandale und schwarze Kassen in den 80er- und 90er-Jahren. Der Strauß-Spezi Schreiber - einigen hier persönlich bekannt ({7}) steht gerade in Augsburg vor Gericht. Das heißt, die Geschichte holt die Klientelkoalition ein. Die Melodie von der gekauften Republik ertönt wieder. ({8}) Da gibt es durchaus geschichtliche Parallelen. 1982 - ich erinnere mich, Herr Schäuble, mit Ihnen und anderen hier im Deutschen Bundestag an diese Zeit - rief Helmut Kohl die „geistig-moralische Erneuerung“ aus und entging dann im Flick-Parteispendenskandal nach einer Falschaussage nur knapp seinem Rücktritt. Das war damals der Beleg für die „geistig-moralische Wende“, so wie er sie sich vorgestellt hat. 2010 ruft wieder jemand aus einer solchen Koalition eine geistig-politische Wende aus. Diesmal ist es Herr Westerwelle. Jetzt wissen wir auch, welchen Staat und welche Gesellschaft sich Herr Westerwelle darunter vorstellt: Steuersenkungen für wenige zulasten von Kindergärten und Schulen in den Städten, zulasten der Beschäftigung von Lehrern und Polizisten in den Ländern. Das, Herr Westerwelle, ist jenseits großer Worte faktisch Ihre „geistig-politische Wende“. ({9}) Klarheit seitens des Bundesfinanzministers über den Weg aus der hohen öffentlichen Verschuldung, die wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise in Kauf genommen werden musste - das ist unbestritten, Herr Schäuble -, besteht jedenfalls nicht. Bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wird geeiert und laviert. Trotz aller Änderungen der Wirtschaftsdaten, Herr Schäuble, wissen auch Sie: Egal wie die Steuerschätzung im Mai dieses Jahres ausfällt, ob einige Milliarden höher oder niedriger, ändert das doch nichts daran, dass weder im Jahre 2011 noch im Jahre 2012 noch im Jahre 2013 Spielräume für Steuersenkungen in Höhe von 20 Milliarden Euro vorhanden sein werden, wenn man glaubwürdig eine Politik betreibt, die auf Investition und Konsolidierung setzt. Das weiß jeder, und die meisten Ökonomen sagen Ihnen das jeden Tag. ({10}) Warum verfolgen Sie denn einen solch bedrohlichen Weg? Es ist nicht einzusehen, warum offenkundig nicht nur Sie, sondern auch Frau Merkel da mitmachen. Sie haben sich in die Falle einer übereilten und falschen Koalitionsvereinbarung begeben. Die ach so geschickte Frau Merkel als unsere Bundeskanzlerin ist in der Tat zum ersten Mal in der Gefahr, politisch unterzugehen. Man kommt aus diesen Festlegungen offenkundig nicht mehr heraus. Man will ja auch nicht heraus. Schließlich wird von allen Seiten Druck gemacht. Ein großer Medienkonzern steht dabei an der Spitze. Andere Wirtschaftsverbände äußern sich jeden Tag dazu. Es wird für die Öffentlichkeit in diesen Tagen immer deutlicher, wem Sie sich eigentlich verpflichtet fühlen, Frau Merkel. Sie fühlen sich nicht in erster Linie den Menschen verpflichtet, die Sie gewählt haben und für deren Wohlergehen Sie zu sorgen haben, sondern offenkundig nur den Interessen Ihrer Klientel. Einem kann angst und bange werden, wenn man das beobachtet. ({11}) Herr Schäuble, bis zum heutigen Tage in den Medien hochgelobt, enttäuscht im Amt des Bundesfinanzministers mehr und mehr. Da, wo Peer Steinbrück für klare Kante stand, taktiert Schäuble aus parteipolitischen Gründen. Sehr wahrscheinlich kommt er wegen des Gezerres, das wir tagtäglich erleben, gar nicht umhin, sich so zu verhalten. Aber einige Dinge haben Bedeutung für die Zukunft unseres Landes. Herr Schäuble hat am Anfang seine Bedenken zum sogenannten Stufentarif in der Einkommensteuer durchaus formuliert. Jetzt hat er nachgegeben. Mit dem nun von ihm akzeptierten Stufentarif bei der Einkommensteuer wird die Abkehr vom Sozialstaatsprinzip, von der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Deutschland eingeleitet. ({12}) Das bedeutet ein weiteres Stück Abkehr vom Sozialstaat, dessen Sicherheit wir brauchen und den wir auch finanzieren müssen. ({13}) Unser Sozialstaat hat nicht nur einen Preis, er hat auch einen Wert. Diesen Wert müssen Sie langsam erkennen. Dieser Sozialstaat darf nicht von Ihnen Stück für Stück zerstört werden vor dem Hintergrund des Wahlergebnisses, das Sie in diese Lage versetzt hat. ({14}) Sie haben auch von Nachhaltigkeit gesprochen, Herr Schäuble. Diese Regierung besitzt keine nachhaltige Wachstumsstrategie im Interesse von Investitionen und Arbeitsplätzen. Diese Regierung lebt von der Hand in den Mund. Das kann man exemplarisch festmachen. Über die Steuerentlastung für Hotels ist in den letzten Tagen schon ausführlich berichtet worden. Im Übrigen wurde dies nicht nur von der FDP gefordert; die CSU war auch an vorderster Front. Im Bayernkurier hat sich Herr Fahrenschon bereits im letzten Jahr dafür gelobt, dass er Herrn Steinbrück bedrängt hat, diesen Quatsch mitzumachen. „Quatsch“ stand natürlich nicht im Bayernkurier; so nenne ich es. Unerträglich war es mit der CSU auch schon zum Ende der Großen Koalition. Wir haben die Erbschaftsteuer gerettet zur Finanzierung von Bildung in den Ländern. ({15}) Wenn die Sozialdemokraten nicht gewesen wären, Frau Merkel, dann hätten Sie auch da nachgegeben, und dann wäre das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer in Höhe von 4 Milliarden Euro mit steigendem Potenzial de facto weg gewesen. ({16}) So ist es doch. Es wurde immer quietschiger. Wessen Interessen wurden da eigentlich vertreten? Die Betroffenen wohnen nicht alle am Starnberger See, manche wohnen auch in der Schweiz, aber sie betreiben ihre Geschäfte nach wie vor über München. Es können noch manche Unappetitlichkeiten zum Vorschein kommen. Das ist die Klientelpolitik der CSU, die die Volkspartei in den letzten Jahren nur geschauspielert hat. Jetzt wird sichtbar, was hinter der CSU steckt, und deswegen ist sie in einer Krise. Das sage ich gar nicht hämisch; denn wir Sozialdemokraten stehen auch nicht so gut da. Es gibt auch in unserer Partei Diskussionen. Da bin ich ganz ehrlich. Das abzustreiten, hätte keinen Zweck. Aber Sie sind - vor allem zu Stoibers Zeiten - gesprungen, wenn in München bei der Allianz oder bei Siemens gepfiffen wurde. Das haben wir doch bei jeder Verhandlung in der Großen Koalition gemerkt. ({17}) Bemerkenswert ist, wie die Wirtschaftsverbände auf die Nachfolger von Kohl, Strauß und Lambsdorff in den letzten Tagen Druck gemacht haben. Jetzt werden Merkel, Seehofer und Westerwelle bedrängt und müssen den Druck aushalten, der schon früher üblich war. Unter diesem Druck haben Sie sich, Frau Merkel, dann im Handelsblatt-Interview eindeutig zu weitreichenden Steuersenkungen bekannt. Sie boxen diese völlig verfehlten Steuersenkungen für wenige durch und nehmen in Kauf, dass das für die Haushalte vieler Länder und Kommunen fast den Ruin bedeutet. Wir haben leider nicht die politische Mehrheit, das zu verändern. Solange die Sozialdemokraten in der Regierung waren, war für eine anständige Regierungsleistung gesorgt. Jetzt zerfasert alles. Man sollte sich dieses Kabinett einmal im Einzelnen ansehen. Wir appellieren daher an Sie: Geben Sie diese abenteuerlichen Steuersenkungspläne auf! Finden Sie im Interesse von Deutschland zu einer einigermaßen seriösen Politik zurück! ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich will inhaltlich nicht auf Ihre Rede eingehen, sondern nur auf einen Punkt, der mich persönlich und menschlich sehr betrübt. Sie haben mich jetzt mehrfach - aus Ihrer Sicht ist das ein schwerer Vorwurf mit unserem verstorbenen Ehrenvorsitzenden Graf Lambsdorff verglichen. Ich möchte Ihnen, weil er vor wenigen Wochen gestorben ist, in aller Ruhe sagen: Wenn Sie meinen, Sie würden mich beschimpfen, indem Sie mich mit Graf Lambsdorff vergleichen, so möchte ich Ihnen sagen, dass Sie mir damit gerade ein wunderbares Kompliment gemacht haben. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Westerwelle, ich wollte damit nicht auf die beachtliche Lebensleistung des Grafen Lambsdorff zu sprechen kommen. Ich war im Flick-Untersuchungsausschuss, ich habe die Vernehmungen von Lambsdorff und Kohl miterlebt und sie dort teilweise mitbefragt. Ich habe darauf hingewiesen, dass Sie ein Nachfolger des späteren Parteivorsitzenden Lambsdorff sind und dass Ihre Partei über eine gewisse Erfahrung in der Klientelpolitik verfügt. Auch Graf Lambsdorff - bei all seinen sonstigen Verdiensten - war da durchaus erfahren; denn grundlos ist er damals nicht als Wirtschaftsminister der Regierung Kohl zurückgetreten. Freiwillig ist das nicht geschehen. Es beschädigt in meinen Augen auch nicht das Andenken an Herrn Lambsdorff, wenn man einwandfrei zutreffende Tatbestände mit den jetzigen Vorgängen in den historisch richtigen Zusammenhang stellt. Darum ging es. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Michael Meister ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal im Namen der Unionsfraktion Danke sagen, dass wir hier und heute diese Plenardebatte zur Einbringung des Bundeshaushalts führen können. Es ist richtig, dass die Bundesregierung den Etatentwurf zügig vorgelegt hat; denn auch im Jahre 2010 sind wir nach wie vor mit den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise konfrontiert. Wir müssen Klarheit schaffen und dafür sorgen, dass die Investitionen, die wir tätigen wollen, eine gesetzliche Grundlage haben und getätigt werden können. Es ist ein wichtiges Signal, dass wir heute beginnen, diese Grundlage zu schaffen. Ich sage der Bundesregierung für die zügige Vorlage des Etatentwurfes nochmals Danke. ({0}) Wir haben seitens der neuen Bundesregierung in Person des Bundesfinanzministers einen neuen Stil erlebt. Er hat diese Vorlage zuerst dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages vorgestellt und ist dann an die Öffentlichkeit gegangen. Ich glaube, dass wir alle diesen Stil der Bundesregierung, des Bundesfinanzministers sehr positiv bewerten. Das ist eine neue Form des Umgangs zwischen Regierung und Parlament. Auch dafür möchte ich Danke sagen. ({1}) Ich rate uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Stil auch im Deutschen Bundestag und in seinen Ausschüssen an den Tag zu legen. Ich muss sagen, Herr Kollege Poß: Der Haushaltsentwurf, der uns jetzt vorliegt, entspricht mit Ausnahme der Sofortmaßnahmen aus dem Koalitionsvertrag eins zu eins der Vorlage von Herrn Steinbrück vom Sommer vergangenen Jahres. Ich hätte von Ihnen erwartet, dass Sie ein Wort dazu sagen, dass Sie hinter dieser Vorlage stehen. Sie aber versuchen, sich von Ihrer eigenen Politik still und heimlich durch Polemik zu entfernen. ({2}) Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Sie haben wesentliche Mitverantwortung für diesen Haushalt. ({3}) - Natürlich haben Sie wesentliche Mitverantwortung für diesen Haushalt, bis auf die Sofortmaßnahmen. ({4}) Diese Sofortmaßnahmen bedeuten eine wesentliche Entlastung der Familien in diesem Land. ({5}) Sie führen dazu, dass Unternehmen in einer sehr schwierigen Lage - im Jahre 2009 gab es mehr als 30 000 Unternehmensinsolvenzen ({6}) nicht noch weiter durch Steuergesetze in die Insolvenzgefahr oder in Sanierungsschwierigkeiten getrieben werden, und sie ermöglichen gerade mittelständischen Unternehmen die Generationennachfolge. Deshalb ist diese Politik richtig. ({7}) Es ist gut, dass Sie diese Maßnahmen in der aktuellen Krise nicht länger verhindern konnten. ({8}) Natürlich können wir uns in dieser Debatte auch auf ein anderes Niveau begeben. Sie, Herr Poß, fordern hier Klarheit ein, vergessen aber, in Ihrer direkten Nachbarschaft, nämlich im Rahmen der Kommunalwahl in Dortmund, darauf hinzuweisen, was haushalterisch bevorsteht. ({9}) Ich finde, wir sollten in dieser Debatte einen anderen Stil pflegen, weil dieses Niveau dem Ernst der Lage in unserem Lande nicht gerecht wird. Wir sollten vielmehr ernsthaft über die Frage diskutieren, wie Haushaltsansätze auszusehen haben. Wir waren in dieser Krise der letzte Vertrauensanker. Wir waren die Letzten, die versucht haben, wieder Vertrauen in die Finanzmärkte zu schaffen. Was Sie hier heute Morgen abgeliefert haben, war allerdings ein wesentlicher Beitrag dazu, das letzte noch vorhandene Vertrauen zu zerstören. ({10}) Ich frage Sie: Wer soll denn Vertrauen schaffen, wenn nicht, wie es gegenwärtig geschieht, die Staaten und die Politik? Sie leisten der Krisenbewältigung einen Bärendienst. Kommen Sie wieder zu Bewusstsein, tragen Sie Mitverantwortung, und machen Sie auch einmal Vorschläge, wie mit dieser Krise umgegangen werden soll! ({11}) In Ihrer gesamten Rede haben Sie keinen eigenen Vorschlag vorgetragen. Das ist kein Beitrag zur Bewältigung der Krise. ({12}) Als Zwischenbilanz muss ich sagen, dass ich mit dem, was wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren erreicht haben, recht zufrieden bin. Was den Arbeitsmarkt betrifft, so hätte sich damals niemand träumen lassen, dass die Arbeitslosenzahl zum jetzigen Zeitpunkt so niedrig ist. Die meisten haben uns vor einem Jahr eine Zahl in der Größenordnung von 5 Millionen vorhergesagt. Wir stehen jetzt deutlich besser da. ({13}) Das zeigt, dass sich die Tarifpartner verantwortlich verhalten. Aber auch wir haben unseren Beitrag geleistet dadurch, dass wir Arbeit nicht teurer gemacht haben, und durch unser Angebot des Kurzarbeitergeldes. Das findet sich in diesem Haushalt wieder. Das war Politik für die Menschen in Deutschland. ({14}) Wir wissen alle nicht, wie es mit dem Wachstum weitergeht; die Schätzungen gehen an dieser Stelle weit auseinander. Ich glaube, wenn wir das Ziel der Haushaltskonsolidierung ernst nehmen, sollten wir alles dafür tun, Politik für mehr Wachstum in diesem Land zu machen. Es gibt einige Themen, bei denen Sie gesperrt haben: eine Energiepolitik, die es ermöglicht, langfristig zu planen, sodass Investoren investieren können; ({15}) Bürokratieabbau, nicht nur formal, sondern auch inhaltlich; steuerliche Erleichterungen, um die Leistungsträger zu mehr Leistung zu motivieren. ({16}) Hier müssen Maßnahmen ergriffen werden, damit wir zusätzliches Wachstum in diesem Land aktivieren und über zusätzliches Wachstum einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. ({17}) Ich sage ausdrücklich: Ich halte es für richtig, dass wir die Menschen zu Beginn dieses Jahres in einem Umfang von über 20 Milliarden Euro entlastet haben. Wir sollten weniger darüber diskutieren, was wir in der Zukunft tun wollen, und lieber darauf aufmerksam machen, was zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist. ({18}) Ich glaube, dass die Kollegen von der SPD an dieser Stelle bedenken sollten, dass sie drei Viertel der Maßnahmen mit beschlossen haben. Dann sollten sie auch dazu stehen und das Ganze nicht schlechtreden. ({19}) Wir konzentrieren uns in diesem Bundeshaushalt auch auf die Frage: Wie steht unser Land nach der Krise da? Deshalb möchte ich ausdrücklich sagen: Die Schwerpunkte in den Bereichen Forschung, Bildung, Entwicklung sind richtig - ebenso die Zukunftsinvestitionen, die wir im Rahmen der Konjunkturprogramme tätigen -, weil wir damit die Chance für neues Wachstum in der Zukunft verbessern. ({20}) Alles sind Maßnahmen, die der Sache dienen, bessere Wachstumsgrundlagen zu schaffen. Diese Ausgaben werden uns in der Zukunft eine positive Rendite bringen. Deshalb sind diese Ausgaben vernünftig. Bei den Diskussionen über den Haushalt 2010 ist zu Recht darauf hinzuweisen - der Bundesfinanzminister hat das getan -, dass die Neuverschuldung, die wir eingehen, exorbitant ist. Wir müssen aber sehen, wo die Ursachen liegen: 43 Milliarden Euro hängen schlicht und ergreifend mit Einnahmeausfällen zusammen, die uns, den Bund, aber auch die Länder und die Kommunen treffen. Natürlich kann man diese Neuverschuldung kritisieren. Ich will aber ausdrücklich sagen: Ich halte es für richtig, dass wir die automatischen Stabilisatoren haben wirken lassen und nicht versucht haben, durch Steuererhöhungen oder durch Ausgabenkürzungen in der Krise entgegenzusteuern. Unsere Politik ist für die gegenwärtige Situation die richtige Politik. Dann müssen wir das aber auch im Haushalt hinnehmen. Dasselbe gilt für die Sozialkassen. Natürlich kann man die Klage führen, in welcher Höhe wir an die Bundesagentur für Arbeit Transfers für den Gesundheitsfonds leisten müssen, nämlich weit über 20 Milliarden Euro. Aber auch an dieser Stelle haben wir eine Rendite, nämlich weil wir Arbeit nicht verteuern. Deshalb ist auch hier absolut konsequent, die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen. ({21}) Ich will noch etwas über die Zukunft sagen. Es gibt in der Bevölkerung massive Sorgen im Hinblick auf die Geldwertstabilität. Deshalb wird es wichtig sein, dass wir jenseits aller Detaildebatten das klare Signal setzen: Der Deutsche Bundestag steht für Geldwertstabilität. ({22}) Das heißt, wir müssen uns eins zu eins zu den Maastricht-Kriterien und zur Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank bekennen. Wir müssen die Konsolidierungsverpflichtungen aus dem Vertrag von Maastricht aufnehmen und ernst nehmen. Das ist keine Schwächung des Staates, sondern eine Stärkung der Zukunft der Menschen in diesem Land. ({23}) Wir haben die Schuldenbremse beschlossen. Viele tragen entschuldigend vor, wir müssten konsolidieren, weil es diese Schuldenbremse gibt. Ich möchte konsolidieren, damit wir auch in Zukunft ein Land haben, das ein festes Fundament für seinen Wohlstand hat. Wenn wir die Haushalte nicht konsolidieren, wird das Fundament des Wohlstands verloren gehen. ({24}) Wenn wir nicht dafür sorgen, dass unser Staat, indem er die Schulden zurückführt, ({25}) handlungsfähig bleibt, werden wir auch die Voraussetzungen für den Sozialstaat nicht wahren können. Deshalb ist Konsolidierungspolitik Sozialpolitik für dieses Land, wenn wir sie denn als nachhaltig verstehen. ({26}) - Jetzt ist Ihr Ruf: Wo denn? Wir diskutieren heute den Haushalt 2010. Wir alle haben gehört, dass es im Hinblick auf die Wachstumsschätzungen noch ungeheuer schwierig ist, vorherzusagen, was kommen wird. Weltweit gibt es nach wie vor Blasenbildungen. ({27}) Aufgrund der Ungleichgewichte an verschiedenen Stellen der Weltwirtschaft wäre es fahrlässig, jetzt auch noch den einzigen stabilen Anker unserer Volkswirtschaft, den Binnenkonsum, zu beschädigen. Aber wir müssen natürlich für die Zeit nach der Krise darüber nachdenken, wie wir konsolidieren. Dazu sage ich Ihnen relativ klar und deutlich: Wir brauchen hier ein schlüssiges Gesamtkonzept, das mit dem Haushalt des Jahres 2011 für die Zeit der mittelfristigen Finanzplanung kommen muss. Dabei können wir nicht nur einseitig sparen, sondern müssen gleichzeitig darauf achten, dass Beschäftigung und Wachstum stabil bleiben. Sie haben Anfang des Jahrtausends in der rot-grünen Koalition vorgeführt, was passiert, wenn man nur spart - das ist notwendig, aber nicht hinreichend -: Dann endet man mit keinem Wachstum - Nullwachstum hieß es damals -, mit steigender Arbeitslosigkeit und mit wachsenden Haushaltsbelastungen. ({28}) Dies werden wir vermeiden, indem wir eine kluge Wachstumsstrategie mit der notwendigen sparsamen Haushaltsführung zusammenbinden. Dieses Konzept werden wir zusammen mit dem Haushalt 2011 diskutieren. ({29}) Wir haben aus meiner Sicht ein riesiges Zinsänderungsrisiko. Trotz steigender Staatsverschuldung geht unsere Zinsbelastung im Haushalt zurück. Das bedeutet allerdings, dass wir für die Zukunft überlegen müssen, wie wir das Zinsänderungsrisiko auffangen können. Auch da ist meine Antwort: Nur wenn wir plausibel darlegen, dass wir auf Geldwertstabilität setzen, werden wir auch eine Chance haben, dass Zinsen nicht auf eine beliebige Höhe steigen. Deshalb müssen wir auch an dieser Stelle die richtige Antwort in Form von Konsolidierung geben. Wenn wir die Frage „Wachstumspolitik und Steuerreform“ diskutieren, dann habe ich bisher niemanden gehört, der der Meinung war, unser Steuerrecht in Deutschland sei zu einfach und weise keine Komplexität auf. ({30}) Deshalb sind wir der Meinung, dass es nicht ausreicht, über diese Problembeschreibung nur zu reden; vielmehr müssen wir das Steuerrecht in Deutschland vereinfachen. Wir wollen dieses Problem angehen. ({31}) Ich bin auch nicht der Meinung, dass wir Menschen dazu motivieren, mit uns gemeinsam aus dieser Krise herauszugehen, wenn wir ihnen das Signal geben, dass alles, was sie zusätzlich tun, mit einer extrem hohen Grenzbesteuerung belastet wird. Deshalb müssen wir auch diese Frage angehen. ({32}) Auch an dieser Stelle kommt es wieder darauf an, nicht nur die einzelnen Ziele für richtig zu erachten, sondern das Ziel eines einfacheren und leistungsgerechteren Steuersystems auch mit der Frage der Haushaltskonsolidierung zusammenzubinden und daraus ein Gesamtwerk zu machen, damit es mittel- und langfristig bei den Menschen glaubwürdig ankommt. Dies muss das Bestreben dieser Koalition sein, und deshalb werden wir gemeinsam ein Konsolidierungskonzept und ein Steuerreformkonzept vorlegen. ({33}) - Ich glaube Ihnen ja, dass Sie das Zutrauen an die Menschen in diesem Land nicht haben. Wir haben das Vertrauen in die Menschen dieses Landes, und wir wollen die Menschen in diesem Sinne motivieren, dass Sie dieses Problem mit uns gemeinsam angehen. ({34}) Meine Damen und Herren, wir können über jeden einzelnen Titel reden, wir können über jede Haushaltsposition streiten. Aber tun wir es bitte in der Sache, am Inhalt orientiert, tragen wir die Argumente gegeneinander vor, aber bitte nicht in dem Stil, dass jeweils unterstellt wird, dass der andere es nicht ehrlich meine und nicht aufrichtig vortrage; dies führt uns alle nicht weiter. ({35}) Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss, lieber Kollege Barthle, dass sie vielleicht noch die eine oder andere Million, vielleicht auch Milliarde finden, damit wir die jetzige Neuverschuldung zurückführen können. Wenn wir in diesem Geiste miteinander sprechen, dann werden wir auch erfolgreiche Haushaltsberatungen haben. Vielen Dank. ({36})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch hat nun das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren seit heute Morgen darüber, wie schwarz-gelbe Politik funktioniert: Reiche Leute können sich per Großspende ihre Politik direkt bestellen. Arme haben keine Chancen. - Mövenpick zahlte vor Beginn der Koalitionsverhandlungen eine Millionenspende an die FDP. Daraufhin beschloss die Koalition, dass der Mehrwertsteuersatz für Übernachtungen gesenkt wird. Dieses Beispiel zeigt, dass Politik nicht mehr gewählt wird; sie wird bestellt. Eine Verkäuferin bei Lidl hat nicht die Möglichkeit, per Großspende Politik zu bestellen. Darum werden ihre Interessen von Schwarz-Gelb auch nicht berücksichtigt. ({0}) Wer so handelt wie Schwarz-Gelb - Politik nach Spendenhöhe -, der legt die Axt an die Wurzel der Demokratie. Damit finden wir uns nicht ab. ({1}) Wir brauchen ein Gesetz, das die Bestechung von Parteien und Abgeordneten verbietet. ({2}) Der FDP kann ich nur empfehlen, die Millionenspende für einen gemeinnützigen Zweck zu spenden; denn wenn Sie diese Spende behalten, dann werden Sie zu Recht als Mövenpick-Partei in die Geschichte eingehen. ({3}) Die Konstruktionsfehler dieses Haushaltes sind schnell erklärt: Erstens. Der Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb sieht in den nächsten Jahren Steuersenkungen in Höhe von 24 Milliarden Euro vor. Das ist nichts anderes als die Fortsetzung der Umverteilung von unten nach oben. Dies ist die falsche Politik. ({4}) Zweitens. CDU/CSU und SPD haben eine Schuldenbremse beschlossen, die eine jährliche Kürzung des Haushaltes um 10 Milliarden Euro erzwingt. Drittens muss der Bund allein in diesem Jahr über 100 Milliarden Euro neue Schulden machen. - Wer versucht, diese drei Punkte in Einklang zu bringen, der wird scheitern. Die Regierung hat beschlossen, dass sie den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen nicht die Wahrheit sagen wird. Wir sagen ihnen aber die Wahrheit. Es gibt nur zwei Lösungsansätze: entweder - wie wir es fordern - ein gerechtes Steuersystem mit Börsenumsatzsteuer, Vermögensteuer, Millionärsabgabe und Erbschaftsteuer sowie höherer Besteuerung für Besserverdienende oder die Kürzung von Sozialleistungen. Die Regierung - das müssen wir hier in aller Offenheit sagen - hat sich intern schon für die Kürzung von Sozialleistungen entschieden. Wir als Linke werden alles dafür tun, damit die Regierung mit solchen Vorhaben scheitert. ({5}) Wir wollen Steuererhöhungen für die, die uns diese Krise eingebrockt haben und jetzt schon wieder dicke Gewinne einfahren und Millionen an Banker-Boni bekommen. Wenn es darum geht, die Ackermänner zur Kasse zu bitten, dann ist diese Regierung auf einmal völlig unentschlossen. Die Kanzlerin ist für alles offen und kann sich alles vorstellen, möchte aber eine internationale Lösung. Das soll im Klartext heißen: Wenn man sich nicht international einigen kann, dann geht alles weiter wie bisher. Genau das ist schon jetzt der Fall. Das Finanzkasino ist wieder eröffnet. Die Regierung hat rein gar nichts unternommen, um eine Wiederholung der Krise zu verhindern. Im Gegenteil: Sie bereitet mit ihrer Politik die nächste Krise vor. Die Krönung ist, dass sie strengere Regelungen gegen Steuerhinterziehung, die noch durch die CDU/CSU-SPD-Regierung beschlossen wurden, nicht anwenden will, mit der Begründung, es gebe angeblich keine Steueroasen mehr. Ist das nicht unglaublich? Fazit: Diese Regierung tut nichts, um eine Wiederholung der Finanzkrise zu verhindern. Sie tut nichts, um die zur Rechenschaft zu ziehen, die die Krise verursacht haben, und sie tut nichts, um die Einnahmen des Staates zu stabilisieren. Damit gefährdet sie den sozialen Zusammenhalt in unserem Land und die Zukunft der Mehrheit der Menschen. Wir als Linke sagen deutlich, wofür wir Geld brauchen: für bessere Bildung, für ein Gesundheitssystem für alle und für die Menschen, die aus dem Arbeitsleben herausgedrängt wurden und jetzt von Transferleistungen leben müssen. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Wir als Linke werden uns mit Hartz IV niemals abfinden. ({6}) Wir wollen auch verhindern, dass die Bundesregierung die Kommunen weiter in den Ruin treibt. Wir wollen, dass auch weiterhin Schwimmbäder beheizt werden und Theater bespielt werden können. Wir haben aber nicht nur Vorschläge für Ausgaben. Wir als Linke haben eine ausreichende Zahl an Vorschlägen dafür, wie der Haushalt entlastet werden kann. Ich will nur zwei Beispiele nennen. Erstens. Eine wesentliche Entlastung des Haushaltes und eine große sozialpolitische Maßnahme wäre es, wenn wir endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland einführten. ({7}) Das würde nicht nur den Haushalt entlasten, sondern auch den Menschen, die jeden Tag arbeiten gehen und trotzdem als Aufstocker zum Amt gehen müssen, um sich Geld zu holen, ihre Würde zurückgeben. Wir wollen, dass die Menschen in unserem Land in Würde leben können. ({8}) Zweitens. Wir wollen den Verzicht auf Prestigeobjekte. Wir brauchen keinen Militärtransporter für über 8 Milliarden Euro. ({9}) Wir brauchen keine Kriegseinsätze der Bundeswehr. Die Mehrheit der Menschen in unserem Land teilt die Auffassung, dass solche Projekte unsinnig sind. Wir als Linke fordern die Bundesregierung auf, den vorliegenden Haushaltsentwurf zurückzuziehen. Er enthält falsche Lösungsansätze für die Probleme unseres Landes. Er ist ein Haushalt von und für Lobbyisten. Wir brauchen aber einen Haushalt der sozialen Gerechtigkeit. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster spricht Otto Fricke für die FDP-Fraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eine Haushaltsdebatte bedeutet eigentlich eine Diskussion über Zahlen und Fakten. Deshalb muss man als Erstes analysieren, woher wir eigentlich kommen. Herr Minister, es stimmt - darüber besteht Einigkeit in diesem Hause -, wir befinden uns in einer Wirtschaftskrise. Wir müssen versuchen, aus dieser Krise so gut, so schnell, so stabil und vor allen Dingen so herauszukommen, wie es sich für eine soziale Marktwirtschaft gehört. Aber woher kommen wir? Die SPD war in den letzten 11 Jahren an der Regierung beteiligt und ist daher für eine Neuverschuldung in Höhe von 300 Milliarden Euro verantwortlich. Ihr Sozialdemokraten werdet sicherlich sagen, dass ihr das nicht wolltet. Das akzeptiere ich. Aber es war so. ({0}) Die Tatsache, dass Sie von der SPD angesichts einer Finanzplanung, die bis zu Ihrem Ausscheiden aus der Bundesregierung - das haben Sie bisher anscheinend noch nicht ganz bemerkt - eine Neuverschuldung in Höhe von 350 Milliarden Euro vorsah, hier erzählen, wie schlecht und schlimm das alles ist, zeigt: Sie wollen von dem Schuldenberg, den Sie hinterlassen haben, mit möglichst großer Lautstärke und möglichst wenig Inhalt ablenken. ({1}) Wie ist es denn in der Vergangenheit gewesen? Immer wenn die Notwendigkeit zu Reformen bestand, hatte man nicht ein einziges Mal den Mut, etwa mit der Agenda 2010 die Baustelle aufzumachen. Daher hat man sie mit mehr Geld zugeschüttet. Im Endeffekt hat man dafür immer wieder neues Geld gebraucht. Sie wollen nun - das sollten Sie den Bürgern auch sagen - eigentlich denselben Weg gehen. Sie wollen unsere Steuerreform mit einem Entlastungsvolumen von 19,5 Milliarden Euro - das werden wir noch wuppen; das steht so im Koalitionsvertrag und wurde im November letzten Jahres von der Bundeskanzlerin genau dargelegt und bestätigt - nicht mittragen. Sie wollen sie aber nicht nur deshalb nicht, weil Sie gegen Steuersenkungen sind. Vielmehr brauchen Sie das Geld, um die nächsten Ausgabenideen zu verfestigen. Es wird wieder wie folgt sein: Sie erzählen uns zu Beginn der ersten Lesung, wie schlimm und wie schrecklich das alles sei und dass man sparen müsse. ({2}) Aber den ganzen heutigen Nachmittag, morgen, übermorgen und am Freitag werden Sie in den Debatten über die Einzeletats wieder mehr Geld fordern. ({3}) Das ist der Grund: Sie wollen den Bürgern mehr Geld aus der Tasche ziehen. ({4}) Es geht Ihnen nicht um das Sparen, sondern nur darum, Ihre Ausgabenpolitik, die die Menschen weiterhin nur bevormundet, fortsetzen zu können. Deswegen sind Sie gegen Steuersenkungen. Sie wollen am liebsten alle möglichen Steuern erhöhen. ({5}) Wir wollen das alles nicht. ({6}) Denn wir sind in unserem Land an folgendem Punkt angelangt - auch das gehört zur Wahrheit der Zahlen -: Ohne dass es darum geht, einen Schuldigen zu finden, müssen wir sehen, dass in diesem Jahr die SozialausgaOtto Fricke ben und die Zinsausgaben, die aus diesem Haushalt geleistet werden müssen, 100 Prozent der Steuereinnahmen, also alle, beanspruchen. Wie können Sie angesichts dieser Lage unseres Staates, den Sie uns so überlassen haben - welches Bild machen Sie sich eigentlich? -, glauben, dass wir mit Ihrer alten Politik weiterkämen? Wenn Sie irgendwann wieder an der Regierung wären, würden Sie wahrscheinlich überraschenderweise feststellen: Es tut uns leid, aber wir müssen wieder einmal die Mehrwertsteuer erhöhen. - So sieht doch Ihre Politik aus. Unsere dagegen ist ganz anders. ({7}) Der Haushalt 2010 ist für alle sehr schwierig. Herr Kollege Schneider hat das in der letzten Debatte deutlich gesagt. Wir müssen im Haushalt 2010 aber mit dem anfangen, was Mentalitätswechsel genannt wird, eigentlich aber nichts anderes als Sparen heißt, und zwar nicht im Sinne eines Kaputtsparens - ich weiß, dass das Ihr nächster Vorwurf sein wird -, sondern eines klugen Sparens. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie sollten einmal Ihren Kopf anstrengen und sich überlegen, wie das geschehen kann, statt sich hier nur gemütlich zu räkeln und andere Politiker zu diffamieren. ({9}) Der Mentalitätswechsel fängt bei dem an, was die FDP in der Vergangenheit als Oppositionspartei immer getan hat, nämlich bei dem Einbringen von konkreten Vorschlägen. ({10}) - Frau Künast, wenn Sie Politik nicht vertragen, dann gehen Sie lieber raus in den Berliner Winter. Das ist vielleicht schöner für Sie, auf jeden Fall aber für die hier Anwesenden. ({11}) Wenn Sie ernsthafte Oppositionspolitik machen und nicht nur daherreden wollen, wie Herr Kollege Poß, den ich jetzt leider nicht sehe - vermutlich ist er in sich gegangen und überlegt sich noch einmal, was er da gesagt hat -, es getan hat, dann machen Sie konkrete Vorschläge. Zeigen Sie, dass Sie Ihre Arbeit mit dem Kopf machen und nicht mit anderen Körperteilen. Gilt das, was zu dem Sparbuch gesagt wurde, noch? - Wir haben als Oppositionsfraktion das Sparbuch 2009, 2008, 2007, 2006 usw. vorgelegt. Sie können so etwas auch gerne machen. Aber das werden Sie nicht! Denn wir sind uns zwar alle einig, dass wir sparen müssen, ({12}) und wir wissen aufgrund der Schuldenbremse und des Stabilitätspaktes sogar, wie viel wir sparen müssen. Aber immer dann, wenn es beim Sparen konkret wird, kommt von Ihnen nichts. ({13}) Wir als Koalition sind offen für Vorschläge Ihrerseits, für Sparvorschläge, die, wie es der Finanzminister gesagt hat, über die ganze Bandbreite gehen. Denn seien wir doch ehrlich. Bei den meisten heißt es immer noch: Als Politiker bin ich nicht für das Sparen zuständig, sondern höchstens dafür, hier und da ein Geschenk zu verteilen. ({14}) Meine Bitte an die Bürger lautet: Wann immer Sie der Meinung sind, der Staat müsse hier oder da mehr Geld ausgeben und dass wir an der einen oder anderen Stelle zu wenig tun, dann sagen Sie gleichzeitig, wo wir das Geld hernehmen sollen und wie viel Sie entsprechend Ihrer Leistungsfähigkeit dafür zu tun bereit sind. ({15}) Herr Minister, Sie wissen, dass die Koalitionäre und die Arbeitsgruppe Haushalt Sie bei den ersten Vorbereitungsschritten in diesem Jahr, die im Ansatz schon das Denken hinsichtlich der Mammutaufgaben, die wir noch vor uns haben, beinhalten, unterstützen. Im vergangenen Jahr, als wir das noch allein machen konnten, hat die FDP-Fraktion mit ihrem Sparbuch Vorschläge für den Haushalt 2009 vorgelegt. Das geht in diesem Jahr nicht mehr, weil wir einen Koalitionspartner haben, mit dem wir vertrauensvoll zusammenarbeiten. ({16}) - Ich weiß, dass ihr es mit der vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht so sehr hattet. Wir handhaben das etwas anders. ({17}) Herr Minister, wir erwarten von Ihnen aber auch, dass die Liste, an der Sie im Ministerium arbeiten lassen, möglichst breit aufgestellt ist, dass sie ein großes Volumen hat und die Möglichkeit eröffnet, die weiteren Steuerentlastungen in Höhe von 19,5 Milliarden Euro so in die Haushalte einzuarbeiten, dass das zusätzliche Netto vom Brutto, was wir dem Bürger für die nächsten vier Jahre im Koalitionsvertrag versprochen haben, auch umgesetzt werden kann. Sie haben die Koalitionsfraktionen dabei an Ihrer Seite, und zwar nicht nur bei Schönwetterpolitik oder der Verteilung von drei zusätzlichen Mehrwertsteuerprozentpunkten, sondern dann, wenn es windet, stürmt und schneit und wir dieses Land für die Zukunft fit machen. Warum wollen wir eigentlich einen fitten Staat? Selbst wenn man, wie Sie, Herr Trittin, nicht mehr an Wachstum glaubt, dann glaubt man doch immer noch daran, dass man diesen Staat umbauen muss. Wir werden es nicht schaffen, diesen Staat umzubauen, indem wir immer wieder neue Subventionen gewähren. ({18}) Sie von Rot-Grün - von den Linken rede ich gar nicht mehr - greifen dem Bürger in die Tasche, ziehen ihm einen Zehneuroschein heraus, holen einen Fünfeuroschein, stecken ihm einen Fünfeuroschein in die andere Tasche und sagen: Freu Dich, denn wir haben Dir etwas gegeben. - Wir wollen das nicht, wir wollen mehr Netto für den Bürger, wir wollen endlich eine Wende in der Ausgabenpolitik und wir wollen aufhören, dem Bürger vorzumachen, der Staat könne alles. Der Bürger ist es, der alles - wirklich alles - kann - wenn man ihn denn lässt. Herzlichen Dank. ({19})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Alexander Bonde ist der nächste Redner für das Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Koalition gelingt mit dem Haushalt 2010 eine Rekordverschuldung von historischer Dimension. Die Neuverschuldung im Haushalt beträgt 86 Milliarden Euro, hinzu kommen Schattenhaushalte, die, nach dem, was der Finanzminister zugibt, ein Volumen von 14 Milliarden Euro haben. Wenn man alles zusammenrechnet, was im Hause Schäuble unter den Teppich gekehrt wird, dann ist man schon bei 130 Milliarden Euro, weil 30 Milliarden Euro reale Verschuldung für die Bankenrettung in Ihrer Rechnung nie eine Rolle spielen. Die Verschuldung des Bundes reißt unter Ihrer Ägide, Frau Merkel, die 1-Billion-Euro-Marke. Eigentlich liegt es in Ihrer Verantwortung, ehrlich darüber zu reden, was dieser Haushalt für unsere Kinder, unsere Enkel und unsere Urenkel heißt, die diese Veranstaltung bezahlen. ({0}) Wenn Sie hier von Verantwortung und Generationengerechtigkeit sprechen, dann müssen Sie auch darüber sprechen, ob dieser Haushalt der großen Verantwortung gerecht wird und ob Sie als Bundesregierung alles dafür tun, damit dieser Haushalt auch die Interessen derjenigen schützt, von denen Sie selbstverständlich in Anspruch nehmen, dass sie später Ihr Handeln bezahlen. Wir tragen heute die Verantwortung, trotz der großen Krise den Schuldenberg in den Griff zu bekommen. Natürlich entspricht es nicht dem politischen Tagesgeschäft, wenn sich die Wirtschaft so entwickelt, wie sie es in den letzten Monaten getan hat. Deshalb muss gerade in dieser Krise doch deutlich werden, dass man bereit ist, die Verantwortung zu übernehmen und zu fragen, wie man aus der Krise heraus- und von dem Schuldenberg wieder herunterkommt. Die Verantwortung besteht auch darin, zu sehen, dass das nicht die einzige Krise ist, sondern dass die Bedrohung durch den Klimawandel eine Belastung von noch größerer Dimension für die Kinder, Enkel und Urenkel darstellt. Ja, man darf der Krise nicht hinterhersparen. Aber man muss gerade in der Krise mit den Ausgaben und den Mitteln, die knapp sind, seriös umgehen. Das tun Sie eben nicht. Sie haben von automatischen Stabilisatoren gesprochen, die Sie ausfahren, weil das Wachstum einbricht. Sie sparen also Steuermindereinnahmen und Mehrausgaben für den Arbeitsmarkt nicht hinterher. Das ist richtig. Nur, wenn das Wachstum wieder da ist, müssen Sie die Stabilisatoren wieder einfahren. Das tun Sie nicht. Gegenüber Herrn Steinbrücks Entwurf, der mit 0,7 Prozent Wachstum weniger kalkuliert hat als Sie, haben Sie eine Verschuldungslücke von 10 Milliarden Euro, die ganz allein auf Ihr Konto geht und die nichts, aber auch gar nichts mit den Krisen zu tun hat, von denen Sie hier gesprochen haben, und das wissen auch Sie. ({1}) Damit sind wir an dem Punkt, was man verantwortlich in diesem Haushalt machen kann. Warum gehen Sie nicht an einen Bereich, wo Sie eine doppelte Rendite erzielen können? Warum leisten wir uns den Irrsinn in diesem Bundeshaushalt, den Sie hier verabschieden, massive klimaschädliche Subventionen zu zahlen? Ich will es einmal zusammenfassen: Das Umweltbundesamt kalkuliert mit 42 Milliarden Euro umweltschädlichen Subventionen im Bundeshaushalt. Warum tun Sie das in einer Situation, in der Klimawandel eine harte Realität ist und in der wir hart kämpfen müssen, alles Mögliche zu tun, um den Klimawandel zu stoppen, und wir gleichzeitig eine Rekordverschuldung haben? Warum legen Sie einen Haushalt vor, der nach der Logik funktioniert: Mit 42 Milliarden Euro Steuergeld, die ich nicht habe, fördere ich umweltschädliches Handeln, um mit weiterem Steuergeld, das ich auch nicht habe, wenigstens einige der Auswirkungen wieder auszugleichen? Das ist die ökologische und ökonomische Logik Ihres Haushaltes, Herr Schäuble. Das macht keinen Sinn. ({2}) Das Problem ist, dass Ihre Zukunftsbetrachtung mit der NRW-Wahl endet. Warum machen Sie eigentlich Steuergeschenke in Höhe von 20 Milliarden Euro, die Sie laut Koalitionsvertrag und auf Beharren Ihres KoaliAlexander Bonde tionspartners mit Geld bezahlen wollen, das Sie auf die Rekordverschuldung draufpacken? Ich will noch einmal die Relation verständlich machen: 325 Milliarden Euro Ausgaben, davon 100 Milliarden Euro auf Pump. Jeder Mensch weiß, dass ein solcher Schuldenberg nicht abbaubar ist, wenn man auch noch die Einnahmeseite kaputtmacht. ({3}) Herr Schäuble, wenn Sie ehrlich sind, dann müssen Sie zugeben, dass ich recht habe. Ich verlange von Ihnen in solch einer Situation eine ehrliche Aussage, etwa: Ja, wir als Politiker werden sagen müssen, dass in dieser Krise starke Schultern mehr tragen müssen, dass wir keine Luft für Steuersenkungen haben und dass es vielmehr darum gehen wird, wie die Lasten gemeinsam solidarisch getragen werden: Auf diejenigen, die es in dieser Gesellschaft gut haben, kommt eine besondere Verantwortung zu, deshalb müssen wir über die Höhe des Spitzensteuersatzes reden, und deshalb müssen wir über eine befristete Vermögensabgabe reden. - Alles andere ist unehrlich und geht an das Fundament dieser Gesellschaft. ({4}) Lassen Sie uns einmal über ein paar andere Irrsinnigkeiten reden, die hier ebenfalls verteidigt werden. Schauen wir uns einmal den Bereich der Subventionen an, die Sie sich hier weiter munter leisten. Ich bin übrigens wirklich überzeugt, dass Sie in der Frage der Generationengerechtigkeit nicht ehrlich argumentieren. Sonst würden Sie sich nämlich fragen: Wovon haben unsere Kinder mehr? Ich bin davon überzeugt, dass unsere Kinder mehr davon haben, dass die Gemeinde das Schulhaus sanieren kann, als davon, dass das Überraschungsei weiter einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegt. ({5}) Ich bin überzeugt davon, dass unsere Kinder mehr davon haben, dass sich die Länder ordentliche Lehrerinnen und Lehrer leisten können, als davon, dass Baron von Finck die nächste Steuererleichterung bekommt. ({6}) Die „Steuerdrohung“ in Ihrem Haushaltsentwurf ist ein massiver Angriff auf die Kommunalfinanzen. Ich weiß nicht, auf welchen Neujahrsempfängen Sie unterwegs waren. Unabhängig vom Parteibuch klagen doch jede Bürgermeisterin und jeder Bürgermeister über die massiven Auswirkungen, die Ihre Politik hat. Mit Verlaub, als Landsmann, Herr Kollege Schäuble: Bei den Neujahrsempfängen in Ihrem Wahlkreis habe ich die lautesten Klagen gehört, und das hat doch einen Grund. ({7}) Sie müssen die Frage beantworten, ob Sie auf die Bildungschancen unserer Kinder oder weiter auf den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Rennpferde, auf den Kampf gegen den Klimawandel oder weiter auf Steuerprivilegien für Billigflieger setzen. All das sind Fragen der Generationengerechtigkeit. ({8}) Sie als Koalition stehen jedenfalls immer auf der falschen Seite. ({9}) Es gibt übrigens einen Grund dafür, dass Sie dieses Jahr eine Rekordverschuldung wollen; das geben Sie alle nicht zu. Es ist spannend, zu lesen, was alles geschrieben wird. Gestern hat Dr. Hermann Otto Solms, Vorsitzender des Arbeitskreises Wirtschaft und Finanzen der FDP-Bundestagsfraktion, an seinen Fraktionsvorstand geschrieben - das ist erhellend; es steht auf Seite 4 -: In der Struktur kann die Konsolidierung aber erst mit dem Haushalt 2011 beginnen. Dafür spricht zum einen die Mechanik der neuen Schuldenbremse. Er erklärt sie dann kurz und schreibt weiter: Die strukturelle Kreditaufnahme des Jahres 2010 ist also die Ausgangsbasis für den Konsolidierungspfad bis 2016. Auf Deutsch gesagt: Bitte, dieses Jahr eine möglichst hohe, eine Rekordverschuldung, dann wird es später nämlich einfacher, zu sparen, und wir können die Scheißschulden ({10}) an die nächste Regierung abschieben. Und wir haben nichts mehr damit zu tun. Sie verschleiern hier mit Ihrer ganzen Konsolidierungsstrategie bewusst, was für eine Operation hier läuft. ({11}) Sie von der FDP haben im Wahlkampf eine Schuldenreduzierung versprochen. Wir wissen jetzt alle, dass damit nur Ihre Parteikasse gemeint sein kann. ({12}) Der Begriff „Hotellobby“ hat eine ganz neue Bedeutung bekommen, wie man feststellt, wenn man sich auf der rechten Seite des Parlaments umschaut. ({13}) Fragen Sie einmal, was eigentlich die Wirtschaft zu Ihren Geschenken sagt. Fragen Sie einmal, was all die Unternehmen machen, für die es deutlich teurer wird. Sie haben dieses Geschenk entgegen aller ökonomischen Vernunft durchgesetzt. Sie haben sich auf die Seite Ihrer Steuerspezies und Spendenspezies gestellt und eben nicht auf die Seite derjenigen, die in diesem Land mit harter Arbeit Wohlstand generieren wollen. ({14}) Sie verstehen vielleicht etwas von Vetternwirtschaft, aber nicht von Wirtschaft. Das haben Sie mit dieser Maßnahme bewiesen. ({15}) Ob BDI, DIHK oder der Zentralverband des Deutschen Handwerks - alle fordern von Ihnen: Schaffen Sie diesen Unfug so schnell wie möglich ab! Wir haben heute Morgen versucht, Ihnen die Möglichkeit hierzu zu geben. Dem entsprechenden Geschäftsordnungsantrag haben Sie mit Ihrer Mehrheit die Zustimmung verweigert. Wir werden Sie da treiben. Sie wissen, dass in Ihren Reihen genügend Personen wissen, was für einen Unfug Sie da angestellt haben. Sie wissen auch, welches Licht dieser Vorgang auf die Bundesrepublik wirft. Die Frau Kanzlerin ist nicht mehr da, aber sie weiß, welchen Begriff eine schwäbische Hausfrau wählt, wenn man sie bittet, den Vorgang - Steuern für jemanden senken und dann von diesem Millionenspenden annehmen zu beschreiben. Mit Verlaub, die Wahrnehmung der schwäbischen Hausfrau unterscheidet sich da nicht sehr von der einer afghanischen Hausfrau, um einmal einen Vergleich zu wählen, der auch in den Sphären, in denen Herr Westerwelle schwebt, verstanden wird. Ich frage mich schon, wie der Außenminister, wenn er daheim als Parteivorsitzender solche Spenden annimmt, mit so einer Geschichte im Gepäck auf der Welt für Good Governance werben will. ({16}) Ich frage mich, wie ein Entwicklungsminister weltweit Regierungen zu guter Regierungsführung ermahnen will, wenn er zu Hause als Generalsekretär solche Spenden angenommen hat. Ich finde das dröhnende Schweigen der Kanzlerin und das dröhnende Verteidigen dieses Vorgangs durch die CDU-Fußtruppen schon bedenklich. Sie wissen, es ist nicht sauber, was hier passiert ist. Sie wissen, dieses Gesetz ist bar jeglicher ökonomischer Sinnhaftigkeit. Hier hat sich Klientelpolitik durchgesetzt. Das kann sich kein Land in dieser Welt leisten. Kehren Sie um! Geben Sie die Spende zurück! Und machen Sie endlich eine ordentliche Politik, von der die Wirtschaft etwas hat, und nicht nur Ihre Sponsoren! Vielen Dank. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Norbert Barthle hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu den Reden der Oppositionsvertreter, die ich hier gehört habe, kann ich nur sagen: Ganz offenbar wollen Sie alles tun, um nicht über den Haushalt 2010 zu reden, und versuchen lieber, sich in Debatten vergangener Jahrzehnte zu retten. Da wird ein Spendenskandal herbeigesehnt und herbeigeredet, der nicht vorhanden ist. Lieber Herr Poß, wenn Sie meinen, entlang der Argumentationslinien der vergangenen Jahrzehnte die Zukunft unseres Landes gestalten zu können, ({0}) dann ist das Ihre Entscheidung. ({1}) Ich bin aber überzeugt: Schon die Wählerinnen und Wähler bei der NRW-Wahl werden Ihnen die Quittung dafür erteilen. Dieser sehe ich ganz gelassen entgegen. In den Reden, vor allem in der vom Bundesfinanzminister, war viel über die aktuelle Krisensituation, die es zu bewältigen gilt, zu hören. In dieser Krisensituation ist tatsächlich rasches Handeln notwendig. Deshalb bedanke auch ich mich beim Bundesfinanzminister dafür, dass er den Entwurf für den Bundeshaushalt 2010 so schnell eingebracht hat. Das zeugt zum einen von der großen Kontinuität des Unionshandelns und zum anderen von der großen Verantwortung, die der FDP-Partner in dieser Koalition wahrnimmt. Das möchte ich einmal ganz deutlich sagen; denn die Bereitschaft, in weiten Teilen den von der Vorgängerregierung aufgestellten Bundeshaushalt zu übernehmen, ist Ausweis eines großen Verantwortungsbewusstseins. Die Kritik der Opposition, wenn sie denn überhaupt ernst zu nehmen ist, macht sich ja an dem allerersten Gesetz fest, das wir beschlossen haben, nämlich dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Herr Poß, mit diesem Gesetz einher gehen für den Bund im Jahr 2010 Steuerausfälle bzw. Mehrausgaben mit einem Volumen von knapp 4 Milliarden Euro. Gäbe es dieses Gesetz nicht, könnten wir die Nettokreditaufnahme vielleicht um 4 Milliarden Euro absenken. Wenn Sie mir heute und jetzt die Zusicherung geben, dass Sie dann, wenn wir das machen, mit Ihrer Kritik aufhören, dann nehme ich Ihre Kritik ernst, andernfalls nicht. ({2}) Wenn Sie mir diese Zusicherung geben, dann können wir gerne auf dieser Basis in die Haushaltsberatungen eintreten und uns Ende März wieder sprechen. ({3}) - Nein, nein! Meine Damen und Herren, wir werden diesen Haushalt sehr zügig beraten und uns damit der Fessel der vorläufigen Haushaltsführung entledigen. Das stärkt auch die Kräfte, die wir zur Überwindung der aktuellen Krise benötigen. Von daher ist es ganz wichtig, so zu verfahren. Dennoch muss ich sagen: Der Haushalt 2010 ist weder ein „Wunschhaushalt“ noch ein „Wünschehaushalt“. Gäbe es diese aktuelle Krise nicht, dann hätten wir Parlamentarier es geschafft - davon bin ich überzeugt -, die in der mittelfristigen Finanzplanung vorgegebene und auch vom Finanzminister wiederholte Wegmarke, nämlich eine Schuldenaufnahme von maximal 6 Milliarden Euro, deutlich zu unterschreiten. Ich bin überzeugt, wir wären sogar bei Null angekommen. Aber wir leben nicht unter einer Käseglocke. Wir müssen uns mit der aktuellen Krisensituation auseinandersetzen. Deshalb lassen wir die automatischen Stabilisatoren wirken. Steuermindereinnahmen und steigende Ausgaben für die Arbeitsplatzsicherung werden durch eine höhere Kreditaufnahme aufgefangen. Außerdem haben wir gezielte konjunkturstützende Maßnahmen beschlossen, und zwar mit Teilen der Opposition. Das alles war richtig, um wieder positiver in die Zukunft blicken zu können. Ich lade auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, zu Beginn des Jahres 2010 dazu ein, sich die aktuellen Arbeitsmarktzahlen, die aktuelle BIP-Entwicklung und die unterschiedlichen Prognosen anzuschauen. Ich sage als Mitglied der Union nicht ganz ohne Stolz: Wer hätte noch vor einem halben Jahr gedacht, dass wir bereits beim Haushaltsabschluss 2009 deutliche Wachstumsimpulse realisieren können - statt knapp 50 Milliarden Euro Neuverschulung 35 Milliarden Euro? Das ist eine tolle Leistung. Deshalb sind wir überzeugt: Es war richtig, so zu handeln. Wir können die ersten zarten Pflänzchen einer wirtschaftlichen Ernte einbringen, und wir werden den erfolgreichen Kurs der neuen Koalitionsregierung weiter fortführen. ({4}) Wenn ich aus dem linken Lager die Unkenrufe bezüglich angeblicher sozialer Kälte der neuen Koalition höre, dann kann ich mich nur fragen, wie das begründet ist. ({5}) Der Haushalt 2010 ist allerdings - auch das sage ich deutlich - kein Wünschehaushalt. Allein durch haushaltspolitische Zurückhaltung und strikte Prioritätensetzung werden Perspektiven geschaffen. Denn wir alle wissen, dass das jetzige Volumen der Nettokreditaufnahme auf Dauer nicht so hoch bleiben kann. Deshalb werden wir zielstrebig wieder auf den Konsolidierungskurs einschwenken, den wir bereits aus der Vorgängerregierung kennen. Dazu gibt es keine Alternative. Das sind wir auch den folgenden Generationen schuldig. ({6}) In dem Zusammenhang steht für uns außer Frage, dass wir den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt einhalten werden. Das haben wir den europäischen Partnern zugesichert. Ich hatte gerade gestern ein ausführliches Gespräch mit dem französischen Haushaltsminister Eric Woerth, der großes Interesse an dem erfolgreichen deutschen Weg aus der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt hat. Das beweist, dass wir auf dem richtigen Wege sind. Die Europäische Kommission hat ein Defizitverfahren für Deutschland eingeleitet; denn in 2009 haben wir die 3-Prozent-Grenze leicht überschritten. Wir werden die Grenze auch in 2010 und 2011 überschreiten müssen; 2010 werden es knapp 6 Prozent sein. Das ist das Spiegelbild der krisenbekämpfenden Politik; das müssen wir realisieren. Wir werden die Überschreitung der 3-Prozent-Grenze jedoch nicht auf Dauer hinnehmen. Die Zielsetzung ist, 2013 wieder close to balance zu sein, also die 3-ProzentGrenze einzuhalten. Außerdem haben wir auch das Schuldenstandskriterium im Blick, das sich aus dem Maastricht-Vertrag ergibt. Das heißt, die Verschuldung darf 60 Prozent des BIP nicht überschreiten. Auch davon sind wir derzeit leider ein Stück entfernt. Aber wir werden weder den Maastricht-Vertrag noch die Schuldenbremse aus den Augen verlieren. Wir von der Union haben schon einmal, nämlich 2005, bewiesen, dass wir einen erfolgreichen Weg aus dem Defizitverfahren heraus finden können. ({7}) Wir werden beweisen, dass wir das noch einmal schaffen können. Wir werden diese erfolgreiche Politik im Sinne von Stabilität und Nachhaltigkeit fortsetzen. Das ist ein Markenzeichen der Union; dafür stehen wir. ({8}) Lassen Sie mich an dieser Stelle einen kleinen Blick ins europäische Ausland werfen, nicht um von der Krise abzulenken, sondern um zu beweisen, dass unser Weg erfolgreich ist. In Großbritannien, einem wirtschaftspolitisch bedeutsamen Land, das nicht zur Eurozone gehört, liegt die Neuverschulung im zweistelligen Bereich: 2010 sind es 12,9 Prozent, 2011 sind es 11,1 Prozent. Großbritannien will die 3-Prozent-Grenze 2014/2015 wieder einhalten. Die Briten sind aufgrund ihres Finanzplatzes von der Finanzkrise schwer betroffen. Deshalb wird es auch dort nur mit schmerzhaften Maßnahmen gelingen, diese Konsolidierung zu erreichen. Schauen wir nach Irland. 2010 und ebenfalls 2011 wird die Neuverschuldung bei 14,7 Prozent liegen. Die Iren wollen bis zum Jahr 2014 wieder auf den „Pfad der Tugend“ zurückkehren. Auch für sie wird es schwer werden, diesen Weg zu beschreiten; denn die Schuldenstandsquote in Irland liegt bei 100 Prozent. Wie wichtig es ist, Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit in der Finanz- und Wirtschaftspolitik zu bewahren, zeigt auch das Beispiel Griechenland. Dieses Beispiel hat uns in den vergangenen Wochen vor Augen geführt, wie schnell die Glaubwürdigkeit eines Landes verloren gehen kann. Lassen Sie uns nach Frankreich schauen. Frankreich wird im Jahre 2010 bei einer Neuverschuldung von 8,2 Prozent und im Jahre 2011 bei einer Neuverschuldung von 7,7 Prozent liegen. Wie Deutschland will Frankreich bereits 2013 das Defizitkriterium wieder einhalten. Auch für Frankreich gilt: Dieses Ziel ist nur mit strikten Konsolidierungsmaßnahmen zu erreichen. Ich sage in aller Deutlichkeit: Es war eine großartige Leistung, die Maastricht-Kriterien einzuziehen. In diesem Zusammenhang will ich an Helmut Kohl und Theo Waigel erinnern. Es war auch eine großartige Leistung, die Schuldenbremse im Grundgesetz zu verankern. Beides zusammen wird dazu führen, dass allen Ausreißversuchen und allen Versuchungen, zu einer weicheren Politik zu gelangen, Einhalt geboten wird. Jetzt schlägt die Stunde des Euro. Wenn der Euro diese Feuertaufe besteht, die mit dieser Krise einhergeht, dann wird er sich - davon bin ich überzeugt - zu einer international stabilen und zuverlässigen Währung entwickeln. Davon profitieren wir alle. Auch das gehört zu unserem Konzept einer weiteren Konsolidierung. ({9}) Ich habe bereits erwähnt, dass der Haushalt 2010 kein Wünschehaushalt ist. Mit Blick auf die Beratungen möchte ich betonen: Wer in dieser angespannten Lage neue Ausgaben vorschlagen möchte, der ist selbstverständlich dazu aufgerufen, eine Idee zur Gegenfinanzierung zu präsentieren. Denn nur so können wir die goldenen Regeln, die wir in unserem Koalitionsvertrag vereinbart haben, einhalten. Diese Regeln sind für uns Parlamentarier eine wichtige Leitlinie, die uns für die anstehenden Haushaltsberatungen eine Orientierung geben. Es wird immer wieder über die Frage diskutiert: Was ist mit den Steuersenkungen? Ich sage Ihnen klipp und klar: An dieser Stelle sind wir von der Union gar nicht so weit von der FDP entfernt, wie immer wieder der Anschein zu erwecken versucht wird. ({10}) Denn eines ist vollkommen klar: Auch wir wollen eine Steuerstrukturreform; auch wir wollen die Abflachung des Mittelstandsbauchs; auch wir wollen die Bekämpfung der kalten Progression. ({11}) Auch die Kanzlerin hat dies gerade in den letzten Tagen betont. ({12}) Das ist die beste Politik für die Menschen, die den Karren ziehen und die das Land voranbringen. Dafür stehen wir. ({13}) Wir stellen uns in den anstehenden Beratungen der Verantwortung - das sind zwei Seiten einer Medaille -, den Haushalt konsequent zu konsolidieren und gleichzeitig Spielräume für weitere Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Das ist die erfolgreiche Politik der Union; das ist die erfolgreiche Politik der FDP. Das wird auch die erfolgreiche Politik dieser christlichliberalen Koalition sein. Wir haben dazu die Kraft und den politischen Willen. Wir werden das in die Tat umsetzen. Danke. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Carsten Schneider spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Rede von Herrn Barthle verfolgt, dann hat man den Eindruck, dass darin viel Autosuggestion und wenig Realität enthalten ist. Der Herr Minister hat in seiner Einbringungsrede sehr pathetisch geredet, ohne konkret zu werden. Die FDP hält Sonntagsreden - ich sage gleich auch noch, warum -, in denen sie Versprechungen macht, als sei sie immer noch nicht in der Regierung angekommen, und die Union macht alles mit. ({0}) Als Erstes muss man sich die Frage stellen: Wo stehen wir? Aufgrund der Konjunkturprogramme, für die SPDMinister maßgeblich verantwortlich waren - ich nenne das Kurzarbeitergeld, aber auch die Investitionsmaßnahmen, die auf Peer Steinbrück zurückgehen -, war die Lage im Jahre 2009 besser, als es prognostiziert wurde. Herr Schäuble, Sie haben 15 Milliarden Euro weniger Kreditaufnahme verbuchen können, als vorhergesagt wurde. Damit hat die FDP nicht viel zu tun gehabt. Das einzige Gesetz, das Sie bisher gemacht haben, wird dazu führen, dass die eingesparten 15 Milliarden Euro, die im Jahr 2010 einen Basiseffekt in Höhe von 10 Milliarden Euro haben, verjuxt und verpulvert werden - beispielsweise an Hoteliers -, ohne dass es einen nennenswerten Wachstumseffekt gibt. ({1}) Das ist eine neue Währungseinheit: Für 1 Million Euro bekommt man 1 Milliarde Euro. Das gibt es anCarsten Schneider ({2}) scheinend nur bei der FDP. Ich frage mich nur, ob es diese Million jetzt jährlich gibt oder ob Sie die 1-Milliarde-Lobbyvergünstigung wieder aufheben. 75 Milliarden Euro betrüge die Nettoneuverschuldung auch - das gebe ich zu -, wenn die SPD noch an der Regierung wäre. Das ist krisenbedingt. 10 Milliarden Euro packen Sie obendrauf. Bei einer jährlichen Durchschnittsverzinsung von 4 Prozent - der jährliche Durchschnitt wird in etwa so sein; die Zinsen werden wieder steigen - macht dies jedes Jahr Mehrkosten in Höhe von 400 Millionen Euro aus, die Sie zukünftigen Generationen aufbürden. ({3}) Sie halten Sonntagsreden. Wenn es nach der FDP gegangen wäre, dann hätten wir jetzt ein Grundgesetz, das gar keine Neuverschuldung zulässt. Richtig? Ihr Punkt war doch immer - um ein bisschen ökonomisch zu denken -: Die Neuverschuldung muss null betragen; alles andere ist schlecht. ({4}) Wir - auch Teile der Union wollten das - haben dann durchgesetzt, dass man konjunkturreagibel vorgehen kann. Was würden Sie heute eigentlich machen? Was wäre Ihre ökonomische Antwort? Wo würden Sie sparen? Ich warte, insbesondere nachdem Sie vier Monate - man weiß nicht so richtig, ob Sie nun zusammen regieren oder nur gemeinsam die Pöstchen besetzen - in einer Koalition sind, darauf, dass Sie sagen, was denn nun kommt. Herr Minister Schäuble hat heute darüber gesprochen, wie wichtig Vertrauen insgesamt und auch für die wirtschaftlichen Akteure ist. ({5}) Dem widerspreche ich nicht; das nehme ich sehr gerne auf. Dann müssen Sie aber auch bei den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land Vertrauen für die Politik, die Sie machen, schaffen, indem Sie sagen, was Sie tun wollen. Darum drücken Sie sich herum. ({6}) Sie wissen, Sie müssen im nächsten Jahr 10 bis 15 Milliarden Euro sparen, um die Regelungen zur Schuldenbremse einzuhalten. Sparen kann eine Einnahmeverbesserung bedeuten. Sparen kann man auch bei den Ausgaben. Sie sagen nicht, was Sie wollen. ({7}) Herr Schäuble hat vorhin gesagt: Das machen wir lieber ein bisschen später, dann bekommt das keiner mit; das ist besser, ansonsten wird es nur zerredet. ({8}) Meine Damen und Herren, was diesem Land bis 2016 bevorsteht, um die europäischen Regelungen und die Maßgaben der deutschen Verfassung umzusetzen, darüber kann man nicht einfach mal im Hinterzimmer diskutieren. Man kann nicht einfach kommen und sagen: Hoppla, hier bin ich; diese und jene Maßnahme gilt jetzt für diese Zeit. Hier hätte es einer ehrlichen Wahlauseinandersetzung bedurft. Das haben Sie nicht gemacht. Das fällt Ihnen jetzt auf die Füße. Ich weiß nicht, wie viele Treffen mit Beglückwünschungen und Beweihräucherungen Sie noch abhalten wollen. Sie haben zu Beginn der Koalition, zu dem Zeitpunkt, an dem man es tun muss, nicht klar gesagt, was die Herausforderungen sind und was im Einzelnen umgesetzt werden muss. Das tun Sie auch jetzt nicht. Sie verschieben das immer weiter. Sie verschieben es jetzt auf die Steuerschätzung im Mai. Nur, die findet kurz vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl statt. ({9}) Herr Schäuble, Sie haben gesagt, für 2010 müssten Sie keine mittelfristige Finanzplanung vorlegen. Da haben Sie recht. Aber für 2011 müssen Sie das tun. ({10}) Sie haben im Rahmen der goldenen Regeln - Herr Barthle hat sie eben hier zitiert - das Top-down-Prinzip festgelegt. Sie sagen also, wie hoch die maximale Kreditaufnahme ist, und dann sagen Sie den Ressorts, wie viel sie bekommen. Sie haben ein Haushaltsaufstellungsrundschreiben herumgeschickt - das ist der Beginn der Verhandlungen -, in dem nichts davon steht. Außer Rhetorik und Ankündigungen, dass alles schwierig wird und gespart werden muss, steht keine politische Entscheidung der Regierung, wohin es gehen soll, am Beginn dieses Verfahrens. Das wollen Sie innerhalb eines Monats nach der Steuerschätzung machen. Was wird die Steuerschätzung denn bringen? Wir wissen, das strukturelle Defizit beträgt 70 Milliarden Euro. Vielleicht sind es 72 Milliarden Euro, vielleicht sind es 68 Milliarden Euro. Dies ändert aber nichts an der Substanz. ({11}) Das ist angekündigter Wahlbetrug vor einer Landtagswahl. Anders kann ich das - es tut mir leid - nicht formulieren. ({12}) Wir sind nicht irgendjemand. Das ist die größte Volkswirtschaft Europas. Wir treffen wichtige Entscheidungen. Bald kommt das Jahr 2012. 2013 steht schon wieder eine Wahl an. Ich weiß nicht, wann Sie mit der Carsten Schneider ({13}) Wahrheit herausrücken wollen. Sie müssen diese Antworten aber geben, gerade auch im europäischen Kontext. Wenn Sie weiterhin wollen, dass wir uns niedrig verschulden, dass die Leute uns vertrauen und Geld geben, dann müssen Sie einen klaren Fahrplan haben. Nichts haben Sie! Sie riskieren eine Inflation. Sie riskieren steigende Zinsen. Sie riskieren, dass das Sparguthaben der kleinen Leute nichts mehr wert sein wird. ({14}) Ich weiß nicht, was für Sie noch wichtig ist. Wir haben noch viele Landtagswahlen, vielleicht gibt es noch eine Oberbürgermeisterwahl oder eine Kreistagswahl in Buxtehude. Denn danach wird jetzt die Bundesrepublik Deutschland geführt. Das ist ein Trauerspiel. ({15}) Die FDP ist ja nun wirklich mein Liebling. Sie haben immer ein sogenanntes Sparbuch vorgelegt. Ich muss Ihnen sagen: Wir befinden uns am Beginn der Beratungen des Haushalts. Ich habe nicht gehört, was Sie machen wollen. Ich habe nicht vernommen, welche Veränderungen Sie vornehmen wollen. Die schon genannten 10 Milliarden Euro haben Sie verjuxt; das ist gegessen. Aber Sie haben einmal ein großes Paket mit Sparvorschlägen eingebracht, das jetzt, nachdem Sie an der Regierung sind, nichts mehr wert ist. Das gibt es nicht mehr! Sie wollten Stellen von Staatssekretären streichen. Das Entwicklungshilfeministerium wollten Sie abschaffen. ({16}) Ich sehe Herrn Niebel hier. Es konnte gar nicht schnell genug gehen, dass er - von langer Hand geplant - Abteilungsleiter wird und den Ministerjob annimmt. Keinen dieser Vorschläge bringen Sie ein. Es ist nur heiße Luft. ({17}) Finanzpolitisch haben Sie sich damit jeglicher Seriosität beraubt. Ich bin gespannt. Wir werden Ihnen Vorschläge, zumindest die, die Ministerien, Öffentlichkeitsarbeit, Staatssekretäre etc. betreffen, vorlegen. Sie können sich dazu verhalten. ({18}) Aber Sie haben die Pöstchen ja schon alle besetzt. Tut mir leid, Otto, dass es für dich nicht geklappt hat. Aber für alle anderen, die sich jetzt breit machen, ist genug dabei gewesen. ({19}) Ich befürchte, dass Sie im Mai feststellen werden: Wir haben nur noch einen Monat Zeit bis zum Beschluss des Haushalts im Kabinett, nur noch einen Monat, um 15 Milliarden Euro einzusparen. Obwohl das nicht so schnell geht, müssen wir eine Entscheidung treffen. Was wird das für eine Entscheidung sein? Sie können den Ausgleich für das strukturelle Defizit für 2011 sehr schnell erbringen, indem Sie den Arbeitslosenversicherungsbeitrag erhöhen. Ich prophezeie Ihnen: Sie werden im Juni vereinbaren, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag für 2011 zu erhöhen. ({20}) Wer zahlt den? Den Arbeitslosenversicherungsbeitrag, den Sozialversicherungsbeitrag zahlen alle, die ab dem ersten Euro einzahlen. Im unteren Einkommensbereich ist der Beitrag überproportional höher, weil wir im oberen die Beitragsbemessungsgrenze haben, auch in anderen Bereichen der Sozialversicherung. Sie entlasten also die, die Einkommensteuer zahlen. Das sind vor allem die, die oben sind. Die, die unten sind, werden belastet. Das ist nicht nur unsozial, sondern auch ökonomisch unsinnig. ({21}) Sie haben die Chance, das auszuschließen. Sagen Sie doch vor der Wahl, damit die Menschen Klarheit haben, dass Sie das nicht tun werden, dass der Arbeitslosenversicherungsbeitrag und die Sozialabgaben nicht erhöht werden. Tun Sie das? Bekommen wir darauf eine klare Antwort? ({22}) Ich höre nichts! Der Haushalt 2010, den Sie vorlegen, hat eine Grundsubstanz, die noch aus unserer Regierungszeit stammt. Sie haben sofort Ihre Lobbygeschenke obendrauf gepackt. ({23}) Ich zitiere die Süddeutsche Zeitung: Nicht erst seit Westerwelles Geschwurbel von einer geistig-politischen Wende scheint es, als sei diese Regierung seltsam aus der Zeit gefallen. Vielleicht ist das Bündnis aus einer kraftlosen CDU, einer unberechenbaren CSU und einer hypertrophen FDP einfach die falsche Regierung für die Probleme der nächsten Jahre. Ich glaube, der Autor hat recht. ({24})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Carl-Ludwig Thiele spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Schneider, ich glaube, die Bürger haben richtig entschieden, dass Sie der christliberalen Koalition den Auftrag gegeben haben, unser Land zu regieren und mit neuen Weichenstellungen in eine bessere Zukunft zu führen. Ich glaube, das sehen die Bürger nach wie vor so, insbesondere, wenn sie die eine oder andere Rede der Opposition heute gehört haben. ({0}) Wer beim Thema Kindergeld davon spricht, dass die Regierung Geld verjuxt und verjubelt, der sieht die Wirklichkeit unseres Landes durch eine falsche Brille. Die Bundesrepublik Deutschland hat im vergangenen Jahr den stärksten Wachstumseinbruch in der Geschichte unseres Landes erlebt. 5 Prozent weniger sind erwirtschaftet worden. Was bedeutet das eigentlich? Der Wachstumseinbruch bedeutet in realen Zahlen, dass im letzten Jahr 120 bis 130 Milliarden Euro weniger erwirtschaftet wurden als im Vorjahr. Das sind unvorstellbare Zahlen. Zudem ist von diesem Wachstumseinbruch nicht jeder betroffen. Viele bekommen davon real gar nichts mit. Das bedeutet aber, dass diejenigen, die von diesem Wachstumseinbruch betroffen sind, umso stärker betroffen sind. Hunderttausende Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren, befinden sich in Kurzarbeit, mussten Insolvenz anmelden oder haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Deshalb besteht die Hauptaufgabe der Politik darin, die Weichen auf Wachstum zu stellen. Dies ist der einzige Weg, um bestehende Arbeitsplätze zu sichern und den Rahmen dafür bereitzustellen, dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Für dieses Jahr wird zum Glück wieder mit einem Wachstum gerechnet. Die Regierung sagt aktuell, es könnten 1,5 Prozent werden. Das weiß aber keiner genau, weil das gesamte Jahr noch vor uns liegt. Es kann auch anders kommen. Die Politik muss die Weichen so stellen, dass es besser wird. Unsere Aufgabe ist es, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Dafür setzen wir uns ein. ({1}) Wachstum lässt sich nur erreichen, wenn in unserem Land etwas erwirtschaftet wird. Hierbei darf die Politik nicht übersehen, dass nicht der Staat die Gelder erwirtschaftet, die zum Bruttoinlandsprodukt und damit zu Steuern und Sozialeinnahmen führen. Das Bruttoinlandsprodukt wird in unserem Land Tag für Tag von zig Millionen Menschen erwirtschaftet, die mit ihrer Tatkraft den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien sicherstellen. Nur wenn diese Menschen positiv nach vorne schauen und anpacken, dann verfügt unser Gemeinwesen über die Kraft, die nötig ist, damit wir den Schwächeren in unserer Gesellschaft in dem Maße helfen können, wie sie es benötigen. Deshalb ist es die erste Aufgabe der Politik, an diese Leistungsträger in unserer Gesellschaft zu denken, an die Mittelschicht, an diejenigen, die jeden Tag in allen Bereichen unserer Gesellschaft zur Arbeit gehen und deren Selbstverständnis und Fähigkeiten darauf gerichtet sind, mit ihrer eigenen Arbeit den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien sicherzustellen. ({2}) Deshalb war eines der zentralen Themen des letzten Bundestagswahlkampfes, ob sich die Politik mehr um das Verteilen oder das Erwirtschaften kümmern muss. Für uns steht fest: Nur wenn in unserem Land etwas erwirtschaftet wird, dann kann auch verteilt werden. Vielen Menschen fällt es aufgrund eines niedrigen Einkommens schwer, den notwendigen Lebensunterhalt für sich und ihre Familien aufzubringen. Deshalb brauchen diese Bürger mehr Netto vom Brutto. Norbert Barthle, in diesem Zusammenhang danke ich dir für deine klaren Worte. Schauen wir uns noch einmal an, was in der Zeit der Großen Koalition passiert ist: Da wurde ein sogenanntes Bürgerentlastungsgesetz beschlossen - im letzten Jahr mit Wirkung ab diesem Jahr - mit einer Entlastung der Bürger in Höhe von 10 Milliarden Euro. Dann wurde ein Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland beschlossen. Der Eingangssteuersatz wurde gesenkt und der Grundfreibetrag erhöht. Die Entlastung der Bürger betrug 6 Milliarden Euro pro Jahr. Das geschah in Verantwortung der Großen Koalition. ({3}) Damals hat die SPD noch gesagt: Wenn wir die Leistungsträger, auch die kleinen Leistungsträger in unserem Land, entlasten, dann ist das der richtige Weg zu mehr Wachstum und Beschäftigung. Deshalb ist es mir absolut unerklärlich, warum das, was vor der letzten Bundestagswahl gegolten hat, aus Sicht der SPD jetzt, wo sie in der Opposition sitzt, nicht mehr gilt. ({4}) - Herr Poß, wenn es vor der Wahl richtig war, die Bürger steuerlich zu entlasten, dann ist diese steuerliche Entlastung - das müssen Sie zur Kenntnis nehmen - auch nach der Wahl genauso richtig. ({5}) In diesem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld halten wir es für falsch, mit voller Kraft auf die Bremse zu treten. Dafür ist die Konjunktur noch viel zu gefährdet und noch nicht sicher genug. Wir werden den Haushalt überarbeiten. Verschwendung wird herausgestrichen, wir bemühen uns um eine sparsame Haushaltsführung. ({6}) Deshalb finde ich es richtig, dass die christliberale Koalition die Weichen eindeutig gestellt hat und dies im Haushaltsentwurf berücksichtigt wurde: Erstens. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz wurden Steuern insbesondere für Familien gesenkt. ({7}) Zweitens. Die Ausgaben für Bildung sind erhöht worden. Drittens. Leistungsträger, die für ihr Alter vorgesorgt haben, können, wenn sie arbeitslos werden, von dem, was sie für sich selbst erarbeitet haben, mehr für ihre eigene Sicherheit behalten, da das Schonvermögen erhöht wurde. Das alles haben wir in diesen Haushaltsentwurf eingearbeitet. Trotzdem ist die vorgesehene Neuverschuldung niedriger als das, was Finanzminister Steinbrück im Sommer letzten Jahres vorgeschlagen hat. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, für uns Liberale sind Steuersenkung und Reduzierung der Staatsausgaben zwei Seiten derselben Medaille. Dies werden wir jetzt im Frühjahr 2010 beim Haushalt 2010 und im Herbst bei der Aufstellung des Haushaltes 2011 berücksichtigen. Herzlichen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist zwar Haushaltsdebatte, aber die Öffentlichkeit und die Regierung diskutieren vor allem über die Steuern. Nicht nur, dass es von Unfähigkeit zeugt, wie Sie regieren. Nein, Sie versuchen auch, zu überspielen, dass es an der Zeit wäre, zu fragen, ob der Kurs so wie bisher beibehalten werden soll, also Umverteilung von unten nach oben, oder ob endlich Nein gesagt und damit Schluss gemacht wird. ({0}) Bei dem, was bisher heute gesagt wurde, auch zu der Frage, ob die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise richtig waren oder nicht, war schmerzhaft festzustellen, dass Sie sich bis heute weigern, eine der wichtigsten konjunkturpolitischen Maßnahmen endlich durchzusetzen, nämlich die Stärkung der Binnennachfrage. Dafür brauchen wir erst einmal einen Mindestlohn. ({1}) Wir fordern in dieser Legislaturperiode einen Stundenlohn von 10 Euro. Wir sind froh, dass die Gewerkschaften ihre Forderungen der Realität anpassen werden. Eine solche Maßnahme wäre notwendig. Sie aber machen eine reine Klientelpolitik. Die Banken und die Manager wurden wohlbedacht. Dafür hatten wir im letzten Jahr eine Rekordverschuldung und visieren in diesem Jahr wieder eine an. Aber auch in der bisherigen Regierungszeit waren Sie dabei schon kräftig am Werk. Ich will nur drei Beispiele nennen. Erstens. Heute wurde schon häufig die Frage des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Beherbergungsleistungen diskutiert. Sicher, es wäre schön, wenn alle so agieren könnten: 1,1 Millionen Euro für die FDP im vergangenen Jahr und laut Süddeutscher Zeitung für die CSU seit 1998 insgesamt 3,7 Millionen Euro. Eine solche Rendite ist doch schon etwas. Da können sich alle Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger nur fragen: Welche Chance haben wir denn überhaupt, in dieser Republik demokratisch etwas mitzugestalten? Wir haben nicht das Geld, um unsere berechtigten Forderungen zu erkaufen. ({2}) Zweitens. Im Zusammenhang mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz wurde auch das Kindergeld erhöht. Ja, die Kinder eines Millionärs bekommen 40 Euro mehr im Monat. Die Kinder einer Lehrerin bekommen 20 Euro mehr im Monat. Die Kinder von Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern bekommen nichts. Den Vorschlag der Linken, diese Erhöhung bei Hartz IV wenigstens nicht anzurechnen, gerade in dem Wissen, dass die Regelsätze für Kinder viel zu niedrig bemessen sind, haben Sie hier im Bundestag einhellig abgelehnt. ({3}) Drittens. Ich komme zur Einkommensteuer und damit zum sogenannten Steuerstreit. Die FDP fordert mehr Netto vom Brutto. Aber das, was Sie hier fordern, ist nichts anderes als die Aufkündigung des Sozialstaats. Das werden wir nicht zulassen. ({4}) Leider ist es so, dass Rot-Grün und Große Koalition hier schon wesentliche Vorarbeiten geleistet haben: Teilprivatisierung von gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherung - auch das wurde mit Spenden belohnt - und der Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung. Das Prinzip der direkten Besteuerung von Einkommen und Vermögen wird seit Jahren zugunsten der indirekten Besteuerung über verbrauchsabhängige Steuern zurückgefahren. Das ist ein Skandal. Sie ziehen allen Bürgerinnen und Bürgern über die indirekte Besteuerung, über die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent, das Geld aus der Tasche. Überproportional werden aber diejenigen belastet, die Monat für Monat sehen müssen, wie sie mit ihrem Geld überhaupt auskommen. Sie erklären, finanziert würden damit unter anderem die Steuersenkungen für die großen Unternehmen. 8 Milliarden Euro hat das netto gekostet. Das war Ihnen das locker wert. Das Sozialstaatsprinzip besagt: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Schauen wir uns einmal an, was das bei der FDP heißt. Diejenigen, die acht Stunden arbeiten und deren Lohn trotzdem nicht ausreicht, zahlen keine Steuern. Sie wären froh, wenn sie Steuern zahlen könnten. Auch die 10 Prozent der ärmsten Steuerpflichtigen werden überhaupt nicht entlastet. Die 10 Prozent der reichsten Steuerzahler allerdings mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von über 76 000 Euro dürften sich nach dem FDP-Modell über eine jährliche Steuerentlastung von 12 000 Euro freuen. 12 000 Euro Steuerentlastung, das ist Klientelpolitik pur. ({5}) Wenn man beim Steuerstreit hier so tut, als ob es um einen Finanzierungsvorbehalt geht, so darf man sich natürlich nicht täuschen lassen; denn in Ihrem Ziel sind Sie sich einig: Umverteilung von unten nach oben. Das lehnen wir ab. ({6}) Wir haben Ihnen Vorschläge vorgelegt - wir werden das weiterhin machen -, wie man in der Krise Geld einnehmen kann. Auch die Verursacher der Krise sollen zahlen. Wir fordern eine sozial gerechte Einkommensteuerreform mit Anhebung des Spitzensteuersatzes auf das Kohl’sche Niveau von 53 Prozent. Außerdem fordern wir eine Vermögensteuer als Millionärsbesteuerung, eine Besteuerung der Bonuszahlungen bei Banken und Finanzinstituten als Sonderabgabe, eine Finanztransaktionsteuer und eine Reform der Erbschaftsteuer. Das sind konkrete Antworten. Sie liegen vor. Lassen Sie uns darüber diskutieren und endlich umkehren auf dem Weg der Umverteilung von unten nach oben. Hierhin gehört ein Stoppschild. Denn sonst entziehen Sie Bürgerinnen und Bürgern Bildung, Sport und Kultur, indem Sie Länder und Kommunen in den Ruin treiben. Dass Einrichtungen, zum Beispiel Schwimmbäder, geschlossen werden müssen und Freizeitangebote gestrichen werden, entzieht den Menschen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das lehnen wir ab. Ich danke Ihnen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Bartholomäus Kalb hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die Rednerinnen und Redner der Opposition hört, dann hat man den Eindruck, sie seien heilfroh, dass sie nicht in der Verantwortung stehen. ({0}) Insbesondere bei den SPD-Rednern hat man den Eindruck, dass sie geradezu dankbar sind, in dieser schweren Zeit aus der Verantwortung entlassen worden zu sein. ({1}) Wir mussten im Herbst 2008 und im Jahr 2009 eine Vielzahl von Maßnahmen zur Abwendung der größten Gefahren aus der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ergreifen. Seinerzeit musste schnell gehandelt werden. Unsere Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung, zur Sicherung der Kreditversorgung für die Wirtschaft und zur Sicherung und Stützung der Konjunktur haben finanzielle Dimensionen erreicht, die bis dahin unvorstellbar waren. Jeder wusste, es musste schnell gehandelt werden. Aber niemand konnte sicher sein, dass alles richtig ist und die Ziele erreicht werden würden. Die Notenbanken haben das Ihre getan, und die Maßnahmen mussten international koordiniert werden. Deutschland, die Bundeskanzlerin - ich stehe nicht an, zu sagen, auch der damalige Finanzminister - und der Präsident der Bundesbank, Professor Weber, haben hier hervorragende Arbeit geleistet. Erfreulicherweise bescheinigt heute die Fachwelt, dass sowohl die Maßnahmen der Notenbanken als auch der Staaten und Regierungen absolut richtig waren und dass es keine ernsthaften Alternativen dazu gab. Eine namhafte Wissenschaftlerin hat vor kurzem gemeint, sie würde diese Leistungen der Notenbanken und der Regierungen mit summa cum laude bewerten. Wir können mit Genugtuung feststellen, dass es gelungen ist, die größten Gefahren und Auswirkungen abzuwehren, und somit verhindert wurde, dass die Krise mit ihrer vollen Wucht die Wirtschaft und die Bürger trifft. Dabei hatten wir auch etwas Glück im Unglück. Die gesunkenen Importpreise sind uns etwas entgegengekommen. Finanzminister Schäuble hat besonders auf die Einbrüche im Export hingewiesen. Aber wir sind ja nicht nur Exportnation, sondern auch Importnation, und die Importpreise sind laut Statistischem Bundesamt um über 12 Prozent gesunken, die Preise für Energie sogar noch wesentlich stärker. Das haben die Bürger bemerkt. Glück hatten wir vor allem, weil die Menschen wieder näher zusammengerückt sind, weil viele bereit waren, große Verantwortung zu übernehmen. Wir reden zu Recht und mit gewisser Verbitterung in diesen Tagen über die Manager, über die Verantwortlichen, über die Versager in Nadelstreifen, die ganz wesentlich Mitschuld an der Krise haben, weil sie in Maßlosigkeit und Verantwortungslosigkeit gehandelt haben. Aber lassen Sie uns auch über diejenigen Unternehmer, Manager, Betriebsräte und Mitarbeiter reden, die in der Krise Verantwortung gezeigt und zusammengestanden haben, ({2}) um für ihre Betriebe, ihre Unternehmen und ihre Arbeitsplätze Lösungen zu finden, um die schwierigen Zeiten zu meistern und die Existenzen und Arbeitsplätze zu sichern. Ich habe größten Respekt vor Betriebsräten, beispielsweise vor zwei Betriebsratsvorsitzenden in meinem Wahlkreis, die sich gemeinsam mit den Insolvenzverwaltern bemüht haben, die Zukunft zu sichern, wodurch es möglich wurde, die Unternehmen erfolgreich aus der Insolvenz zu führen. Für diese Leistung kann man nur Dank, Anerkennung und Respekt zum Ausdruck bringen. ({3}) Ich denke, da ist etwas Positives entstanden, das für die Zukunft Mut macht und uns auch stärkt. Nach Beendigung der Krise müssen alle Kräfte auf den Pfad der Konsolidierung konzentriert werden. Das erfordern nicht nur die gerade erst verabschiedete und ins Grundgesetz aufgenommene Schuldenbremse und die Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts, sondern das erfordert auch die Generationengerechtigkeit. Der heute in erster Lesung behandelte Bundeshaushalt 2010 ist der erste Haushalt der neuen Bundesregierung. Die Nettokreditaufnahme liegt etwas unterhalb der des ersten Entwurfs. Damit kein Missverständnis entsteht: Ich halte gar nichts von der Diskussion darüber, wer Schuldenweltmeister ist. Sie war in den 90er-Jahren nicht angebracht und ist heute nicht angebracht. Damals hatten wir wie kein anderes Land dieser Erde Belastungen aus der Überwindung der Teilung und des DDR-Unrechtsregimes zu tragen. Heute müssen wir die Folgen der größten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise meistern. Wenn sich die Dinge nun etwas besser entwickeln als befürchtet, so sollten wir dies mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Das gilt sowohl für die geplante und angestrebte Nettokreditaufnahme als auch für den Haushaltsabschluss des Jahres 2009. Mit einem Betrag von rund 85 Milliarden Euro wird die Nettokreditaufnahme im Jahr 2010 eine in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellose Höhe erreichen. Es ist heute schon gesagt worden: Ursprünglich war für das Jahr 2010 eine Nettokreditaufnahme von 6 Milliarden Euro geplant. Der im Vergleich zur ursprünglichen Finanzplanung hohe Anstieg der Neuverschuldung auf rund 80 Milliarden Euro ist im Wesentlichen auf das Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren und auf die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten zielgerichteten Maßnahmen zur Überwindung der Wirtschaftsund Finanzkrise zurückzuführen. Die Erhöhung der Nettokreditaufnahme war also notwendig und kurzfristig unvermeidlich, ist aber nur vorübergehend akzeptabel. Deshalb steht fest: Ein konsequenter Konsolidierungskurs ist dringend notwendig, sobald es die konjunkturelle Entwicklung erlaubt. Ich bin Minister Dr. Schäuble sehr dankbar, dass er in Brüssel erklärt hat, dass kein Zweifel daran besteht, dass wir die europäischen Stabilitätskriterien ab 2013 wieder einhalten werden. ({4}) Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir unseren Kindern keinen Schuldenberg hinterlassen dürfen, der sie erdrückt. ({5}) Das gilt vor allem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung. Die Schultern, die diese Lasten einmal tragen müssen, werden immer weniger. ({6}) Allerdings müssen wir gerade im Hinblick auf die demografische Entwicklung und die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft, sobald es irgendwie geht, Spielräume schaffen, um auch im Steuer- und Abgabenbereich Korrekturen vornehmen zu können. Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Die Belastung des Einzelnen durch Steuern und Abgaben wird in Bezug auf die Fachkräftegewinnung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zur entscheidenden Größe. Ich habe beim Deutschen Arbeitgebertag, ohne dass es Widerspruch gegeben hätte, gesagt: Ich meine, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Zukunft mehr von der Belastung des Einzelnen als etwa von der Unternehmensteuerbelastung abhängen wird. Bestens ausgebildete junge Menschen dürfen wir in Deutschland künftig nicht mit so hohen Steuern und Abgaben belasten, dass sie lieber ins Ausland abwandern. Wir stehen hier vor Riesenherausforderungen, können aber nur einen Schritt nach dem anderen machen. Aber auch global gesehen hat Deutschland Verantwortung: Deutschland muss der währungspolitische Stabilitätsanker im Euroraum sein. Die währungspolitischen Spannungen und Verwerfungen im Euroraum nehmen zu; ich brauche nur Griechenland zu nennen. Wir müssen vorangehen und konsequent einen Stabilitätskurs beschreiten, mit dem wir die Maastricht-Kriterien zeitnah wieder einhalten. Die Menschen erwarten von uns, dass wir solide wirtschaften und Inflationsgefahren abwehren, dass wir die Währung stabil halten. Zu solidem Wirtschaften gehört für mich, dass wir den Umfang der Investitionen stabil halten. Wir müssen die Leistungsfähigkeit unserer Infrastruktur erhalten und sie weiter ausbauen. Desinvestitionen wären nichts anderes als verdeckte Verschuldung. Der dramatische Anstieg der Nettokreditaufnahme ist ein Spiegelbild der Wirtschafts- und Finanzkrise. Freilich stellt man sich die Frage, ob alle Akteure aus der Krise und von der Krise gelernt haben und bereit sind, Vorkehrungen zu treffen, um künftigen Krisen vorzubeugen. Der Finanzminister hat wesentliche Punkte genannt, wo Maßnahmen ergriffen werden müssen, und Ziele formuliert; doch die Bereitschaft, gemeinsam international gültige Regeln festzulegen, scheint bereits von Tag zu Tag weniger ausgeprägt zu sein. Trotz alledem, dass wir Regeln und Vorschriften erlassen müssen, bleibt festzuhalten: Keine Vorschrift, keine Regel wird in der Lage sein, verantwortungsvolles Handeln zu ersetzen. Ich danke Ihnen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit beenden wir die Debatte zur Einbringung des Haushalts und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan 30. Als Erste hat Bundesministerin Dr. Annette Schavan das Wort.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 30, Bildung und Forschung, spiegelt die konsequente Fortsetzung der Modernisierung und Internationalisierung unserer Politik für bessere Bildung, für mehr Bildungsgerechtigkeit und für starke Forschung als Grundlage der Innovationsfähigkeit unseres Landes wider. Wir verbinden zusätzliche Investitionen für Bildung und Forschung in Höhe von 12 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode mit zukunftsfähigen Konzepten im Hinblick auf bessere Bildung, mehr Bildungsgerechtigkeit und die Weiterentwicklung des Forschungsstandortes Deutschland. Wir sind davon überzeugt - der Bundesfinanzminister hat heute Morgen darauf aufmerksam gemacht -, dass wir uns gerade jetzt, in Zeiten wirtschaftlicher Krise, ganz besonders um die Quellen des künftigen Wohlstands, um das Wohlergehen künftiger Generationen kümmern müssen. ({0}) - Eigentlich kann man nichts dagegen sagen, nicht wahr? Wir - damit möchte ich noch einmal Bezug nehmen auf heute Vormittag -, damit meine ich die Bundesregierung gemeinsam mit vielen Akteuren, den Kommunen und den Ländern. Bildung muss eine gesamtstaatliche Aufgabe werden; denn niemand in diesem Land hat Verständnis dafür, wenn sich die Politik darüber streitet, wer was tun darf, statt zu tun, was notwendig ist. ({1}) Der Bildungsgipfel 2008 in Dresden und der Bildungsgipfel 2009 in Berlin waren wichtige Meilensteine auf diesem Weg. Eine föderale Ordnung ist kein Hindernis für gute Bildungspolitik, für eine Bildungsrepublik Deutschland. Die Verfassungen vieler europäischer Länder sehen eine föderale Ordnung vor. Die Kollegen aus diesen Ländern sagen uns: Wir sind in einer vergleichbaren Situation. Die Kunst besteht darin, eine überzeugende Agenda für Reformen zur Modernisierung und eine stabile, verlässliche finanzielle Perspektive zu schaffen. Auf diese Bundesregierung ist Verlass, wenn es um die Verlässlichkeit der finanziellen Perspektive und der Konzepte geht. ({2}) Die Bundesregierung - die Bundeskanzlerin persönlich - hat beim Bildungsgipfel den Ländern erklärt - so etwas hat es in 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben -, sie wolle das 10-Prozent-Ziel für Bildung und Forschung, 7 Prozent davon für die Bildung. Es gebe eine erhebliche Lücke und der Bund sei bereit, in den nächsten Jahren 40 Prozent des Anteils zu übernehmen, der notwendig ist, um diese Lücke zu schließen. Das ist Verlässlichkeit im Blick auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern. ({3}) Damit ist auch klar: Wir arbeiten zusammen, wenn es um Finanzen geht, und wir arbeiten auch zusammen, wenn es um die Inhalte geht. Ich begrüße deshalb ausdrücklich die Stellungnahme des Präsidenten der Kultusministerkonferenz aus den letzten Tagen, die besagt, wir könnten es schaffen, im Jahr 2014 erstmals in Deutschland ein gemeinsames Abitur zu machen. Das sind die richtigen Signale: mehr Vergleichbarkeit bei Schulabschlüssen. Dies ermutigt auch die Bürger - dass wir vorankommen, wenn es um mehr Vergleichbarkeit und Mobilität geht. ({4}) Der Blick in den Koalitionsvertrag und auch in die Struktur des Haushalts macht deutlich, dass beim großen Thema Bildung für diese christlich-liberale Koalition ein Thema ganz besonders im Vordergrund steht: Bildungsgerechtigkeit. Mit einem kurzen Satz gesagt: Niemand darf verloren gehen. Jedes Kind, das in diesem wohlhabenden Land mit der Erfahrung aufwächst, an Bildung und Kultur nicht teilhaben zu können, weil Geld oder aufmerksame Erwachsene fehlen, die ihm den Weg ebnen, ist ein Hinweis darauf, dass wir noch nicht gut genug sind. Wir wissen, es gibt noch viele Kinder, in deren Nähe kein Erwachsener ist, der Sorge dafür trägt, dass sie den Weg hin zu den Möglichkeiten von Bildung und Kultur finden. Wir wissen auch, es gibt viele Kinder, bei denen es an finanziellen Möglichkeiten fehlt. Das steht im Zentrum unserer Bildungspolitik: Sorge dafür zu tragen, dass jedes Kind die Chance auf Bildung und Kultur bekommt. Niemand darf verloren gehen. ({5}) Deshalb auch die Initiativen, die sich im Bereich der frühkindlichen Bildung im Land immer stärker durchsetzen. Deshalb die Initiative „Lernen vor Ort“, die uns helfen wird, lokale Bildungspartnerschaften zu schaffen weil das Thema „Mehr Bildungsgerechtigkeit“ keines ist, das einfach nur an Schule delegiert werden kann. Es muss im Zentrum gesellschaftlicher Bemühungen stehen, darauf zu achten, dass kein Kind verloren geht. Deshalb die Idee der lokalen Bildungspartnerschaften. Bildungspolitik erfolgt aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen, weil wir davon überzeugt sind, dass Bildung nicht irgendwelchen Interessen dient, sondern Kindern und Jugendlichen hilft, sich zu entfalten, Chancen in dieser Gesellschaft wahrzunehmen. Bildung ist für uns Bürgerrecht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir werden in den nächsten Jahren erhebliche Veränderungen, einen Wandel im Bildungssystem, erleben. Dazu trägt die Demografie, die Bevölkerungsentwicklung, bei, dazu trägt auch ein verändertes, weiterentwickeltes Verständnis unserer Bildungseinrichtungen bei. Das Viersäulenmodell ist vorbei. Jede Bildungsinstitution wird sich auch herausgefordert fühlen, kreativ mit dem Thema „Lebenslanges Lernen“ umzugehen, und Angebote zur Weiterbildung machen. Die Quote derer, die an Weiterbildung teilnehmen, muss deutlich höher werden. Ein wichtiger Akzent wird die Neuentwicklung und Erhöhung der Bildungsprämie sein: mehr Investitionen, um Anreize für Bildung zu schaffen. Aber ich glaube, man kann in diesem Zusammenhang auch feststellen, dass wir kreative Institutionen in unserer Gesellschaft haben - ich denke etwa an die Weiterbildungsträger und an die Tradition der Volkshochschulen -, mit denen wir auch in diesem Bereich, der sich in Deutschland über viele Jahre nur schleppend entwickeln konnte, weiterkommen können. Weiterbildung ist ein Bereich der Bildungsrepublik, der so bedeutsam ist wie die berufliche oder die akademische Bildung. Bildung ist auch immer stärker Thema unserer internationalen Beziehungen. Viele Länder wollen im Bereich der beruflichen Bildung mit uns kooperieren. Die berufliche Bildung ist das Flaggschiff des Bildungssystems in Deutschland, und das wird es auch in den nächsten Jahren bleiben, weil es der beste Weg ist, um zu hochqualifizierten Fachkräften in unseren Unternehmen und in den bei uns vertretenen Branchen zu kommen. Ich sage ausdrücklich: Die Zahl derer, die sich um einen Ausbildungsplatz bewerben, wird aus demografischen Gründen zurückgehen. Dennoch darf nicht nachgelassen werden, auch in diesem und im nächsten Jahr ausreichend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, damit jeder Jugendliche, der sich bewirbt, die Chance zu einer qualifizierten Ausbildung hat. ({0}) Ich nenne beim Thema Bildung im internationalen Kontext aber ausdrücklich auch spezielle Kooperationen. Ich denke etwa an die deutsch-türkische Universität, auf die wir gerade hinarbeiten und von der wir hoffen, dass sie in den nächsten Monaten eine Stufe der Konkretion erreichen wird. Hochschulen sind Teil unserer Internationalisierungsstrategie. Dazu gehören spezielle Bildungskooperationen mit Blick auf viele türkische Kinder und Jugendliche, die in Deutschland leben und von denen wir überzeugt sind - das, was in allen unseren Programmen steht, ist richtig -: Für sie ist es wichtig, souverän über die deutsche Sprache zu verfügen. Mit der Sprache allein ist es aber nicht getan. Wir müssen darüber hinaus auch die Stärken dieser Kinder und Jugendlichen im Blick haben. Das meine ich mit Bildungskooperation. Auch das muss in der Bildungsrepublik Deutschland selbstverständlich werden. ({1}) Wir verbessern die Bildungsfinanzierung durch die BAföG-Modernisierung, etwa im Hinblick auf die Altersgrenze. Weitere Verbesserungen betreffen die Vereinbarkeit von Familie und Studium. Hinzu kommt die Erhöhung der Förderbeträge und Freibeträge. Wir schaffen gemeinsam mit den Ländern ein bundesweites Stipendienprogramm. Wir wollen, dass der positive Trend des Jahres 2009 sich fortsetzt, als erstmals 43 Prozent eines Jahrgangs in Deutschland ein Studium aufgenommen haben. Das ist eine Steigerung um 7 Prozent. Daraus wird deutlich: Junge Leute wissen, dass sich ein Studium in Deutschland lohnt. Dieser positive Trend soll auch dadurch fortgesetzt werden, dass wir verlässlich sind, was Konzepte der Bildungsfinanzierung angeht. ({2}) Abschließend komme ich zu den wichtigsten Akzenten in der Forschungspolitik. Ich werde in den kommenden Wochen das Rahmenprogramm „Forschung für die Nachhaltigkeit“ und das Rahmenprogramm „Gesundheitsforschung: Forschung für den Menschen“ für die nächsten Jahre vorstellen. Die Hightech-Strategie wird auf die fünf Schwerpunkte Energie und Klima sowie Gesundheit, Mobilität, Kommunikation und Sicherheit konzentriert. Sicherheitsforschung ist auch Teil unserer internationalen Kooperationen, zum Beispiel mit Israel. Wir haben gerade gestern bei der Regierungskonsultation über gemeinsame Programme in diesem Feld gesprochen. Die Hightech-Strategie wird keine nationale Angelegenheit bleiben. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass wir sie auch auf europäischer Ebene einbringen wollen. Die für die Finanzierung notwendigen Mittel sind in diesem Haushalt 2010 deutlich abgebildet. Hochschulpakt, Exzellenzinitiative und der Pakt für Forschung und Innovation sind weitere Punkte. Des Weiteren - auch das ist, finde ich, ein wichtiger Akzent wollen wir bei der Internationalisierung einen Schwerpunkt auf die Schwellen- und Entwicklungsländer setzen. Diese Impulse machen deutlich: Es gibt nicht nur politische Verantwortung für gute Bildung und eine starke Forschung. Wir sind davon überzeugt, dass in beidem viel Potenzial und Kreativität steckt und beides auch unseren internationalen Kooperationen zugutekommt. Wir übernehmen damit ein Stück weit Verantwortung in internationalen Entwicklungsprozessen. Wir sind überzeugt, dass gute Bildung und eine starke Forschung im eigenen Land und international den Beitrag mit der meisten Substanz für künftige Generationen darstellen. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ernst Dieter Rossmann hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0}) Bundesministerin Dr. Annette Schavan:

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Schavan, Sie haben sich wirklich Mühe gegeben, Bildungseuphorie zu verbreiten. Aber haben Sie eigentlich ein Gespür dafür, warum das alles im Land nicht zündet? Ich gebe Ihnen eine politisch-psychologische Beratung: Solange Sie sich so verlässlich über Brutto und Netto, niedrige Mehrwertsteuersätze für Hotelketten und andere Steuern streiten, kann es trotz Ihrer Bemühungen keine Bildungseuphorie in Deutschland geben. Sie müssen das im Zusammenhang sehen. ({0}) Sie haben gesagt, Sie seien verlässlich. Wir befürchten, dass Sie verlässlich im Streit sind. Die Chancen, dass Ihre Prognose, Bildung werde zu einem gemeinsamen Anliegen, in Erfüllung geht, stehen daher schlecht. Man kann es auch härter sagen: Wie wollen Sie auf gesamtstaatlicher Ebene, bei Bund, Ländern, Kommunen, Begeisterung für Bildung hervorrufen, wenn Sie gleichzeitig den Ländern und Kommunen Mittel wegnehmen, die sie brauchen, um in eine gesamtstaatliche kooperative Bildungsoffensive einzusteigen? Ich will das an einem Beispiel konkretisieren. Ein kleines Land wie Schleswig-Holstein verliert nun jährlich 60 Millionen Euro bei den Landesfinanzen. Damit könnten 800 Lehrer finanziert werden. Die Kommunen verlieren insgesamt 70 Millionen Euro. Dafür könnten über 1 000 Erzieherinnen und Erzieher eingestellt werden. Glauben Sie, dass Sie so eine Bildungseuphorie in Bund, Ländern und Kommunen erzeugen können? Das wird so nicht gehen. ({1}) Es steht noch mehr Schlimmes in Aussicht. Ihre vermeintliche Einigung, dass der Bund 40 Prozent der Bildungsausgaben finanziert, stellt keine passende Antwort auf das strukturelle Bildungsdefizit bei Ländern und Kommunen dar. Dieses Defizit vergrößert sich aufgrund Ihrer Steuerpolitik noch. Sie rechnen das schön. Länder und Kommunen kommen zu ganz anderen Berechnungen. Eine gemeinsame Bildungsrepublik sieht anders aus. Sie muss ehrlicher sein und finanziell anders unterlegt sein. Man muss aber auch bei den Zeitabläufen ehrlich bleiben. Frau Schavan, ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen: Diese Bundesregierung hat schon viel Zeit verschenkt, indem sie von Gipfel zu Gipfel nur das Flachland entdeckt hat; denn auf den bisherigen Bildungsgipfeln ist nicht wirklich etwas verabredet worden. Das wissen auch die Hochschulen, die Schulen, die Kommunen und die übrige Bildungsrepublik. Schauen wir uns einmal den Hochschulbereich genauer an. Schon vor fast einem Jahr sind die Studenten mit ihrer Bologna-Kritik vorstellig geworden. Aber was ist bisher passiert? Ein Datum im April wird in Aussicht gestellt. Das ist verschenkte Zeit. Sie bemerken inzwischen selber, dass sich diese verschenkte Zeit auch im Haushaltsentwurf niederschlägt. Ich weiß nicht, ob es Haushälter gibt, die sich an so etwas erinnern können. Auf jeden Fall sind im Einzelplan 30 an den wichtigsten Stellen Kabinettsvorbehalte gegen die eigene Ministerin verankert. Die 3 Milliarden Euro, die Sie für die Bildung zusätzlich aufwenden wollen, müssen erst durch den Haushaltsausschuss freigegeben werden. Im Kabinett war es offensichtlich nicht möglich, im Rahmen der gemeinsamen Bildungsfinanzierung und der großen Bildungsoffensive zu einem Beschluss zu kommen. ({2}) Wir finden, es ist kein gutes Zeichen, dass es diesen Kabinettsvorbehalt gegen die eigene Ministerin gibt. ({3}) Aber nicht nur in struktureller und prozessualer Hinsicht haben wir Kritik anzubringen, sondern auch bei bestimmten inhaltlichen Orientierungen. Ich will das für die Sozialdemokratie und - da es um die Bildungsrepublik geht - für viele andere mehr an zwei bis drei Beispielen erläutern. Wenn Bildungsgerechtigkeit nicht nur ein wohlfeiler Begriff bleiben soll, dann müssen wir die Frage stellen, was eigentlich gerechter ist: Ist ein System gerecht, in dem man die Chancen von Kindern davon abhängig macht, dass die Eltern gespart haben? Ist es gerecht, die Chancen von Kindern davon abhängig zu machen, wie Bildungsgutscheine über das Land verstreut werden? Oder wären nicht starke und gute Schulen für starke Kinder am gerechtesten? Starke Schulen für starke Kinder - das ist es! ({4}) Das ist unser konzeptioneller Ansatz. Besser als Bildungssparen und Bildungsgutscheine ist es, Schulsozialarbeit so zu fördern, dass es gute Ganztagsschulen geben kann. Es gibt dafür ein Beispiel aus rot-grüner Zeit. Mit 4 Milliarden Euro wurde eine strukturelle Ganztagsschulentwicklung in Gang gesetzt, die mittlerweile breit anerkannt ist. Wenn Sie noch einmal etwas über die Güte dieser Entwicklung nachlesen wollen, dann können Sie das in einer soeben von Frau Ministerin Schavan herausgegebenen Broschüre tun. Man kann weiterhin fragen, ob ein wirklich starkes BAföG oder ein dubioses Stipendienprogramm für 200 000 Menschen gerechter ist und mehr Bildungsreserven an den Stellen, an denen es nötig ist, mobilisiert. Wäre nicht mehr gewonnen, wenn man die Familien, die jetzt nicht vom BAföG profitieren, weil sie vermeintlich zu viel verdienen, obwohl sie zur unteren Mittelschicht gehören, durch deutlich erhöhte Freibeträge fördern würde? Bei der Alternative eines dubiosen Stipendienprogramms für 200 000 Menschen und eines Rechtsanspruchs auf BAföG-Förderung für 200 000 mehr ist die Entscheidung für uns klar: Nur das BAföG kann die richtige Weichenstellung für soziale Gerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit sein. ({5}) Auch darin sehen wir einen Unterschied zu dem, was diese Bundesregierung hier einbringt. Aber es muss nicht nur Kritik sein. Frau Ministerin, wir wollen gegenüber der Koalition auch gerne anerkennen, dass bei der Berufseinstiegsorientierung ab Klasse 7 zusätzliche 50 Millionen Euro sehr gezielt eingesetzt werden. Das unterstützen wir, und das wollen wir gerne noch verstärken. Es müssen aber kooperative Ansätze gefunden werden, mit denen die guten Ideen zur Einstiegsqualifizierung und zur Berufsorientierung so umgesetzt werden, dass vollwertige Ausbildungsangebote daraus erwachsen; dafür muss das gesamte System des Übergangs von der Schule in den Beruf durchforstet werden. Dazu brauchen Sie nicht nur die Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen, sondern auch die der Tarifpartner. Diese brauchen Sie auch bei dem Übergang von der Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversicherung. Das kam uns bei dem, was Sie zum Bildungsaufbruch dargelegt haben, zu kurz. Wir müssen die Fachkräftequalifizierung mit allen uns zur Verfügung stehenden Instrumenten voranbringen, weil uns sonst die Zeit wegläuft. Sonst ist die Fachkräftelücke schneller da, als die politischen Anstrengungen dieser Bundesregierung ihr entgegenwirken können. ({6}) Frau Ministerin, Sie haben die Gesamtstaatlichkeit beschworen, und es ist Ihnen nicht abzusprechen, dass Sie an bestimmten Stellen Anflüge von Ehrlichkeit haben. ({7}) Einen dieser Anflüge hatten Sie, als Sie sagten, dass das im Rahmen der Föderalismusreform I vereinbarte Kooperationsverbot, das ein hessischer Ministerpräsident brutalstmöglich in die politische Debatte eingebracht hatte, ein Fehler war. Das wollen wir ausdrücklich anerkennen. ({8}) Wir möchten Ihnen Gelegenheit geben, diesen Fehler zu korrigieren. Wir können das Grundgesetz, wo Einsicht gewachsen ist, auch wieder ändern. Als sozialdemokratische Opposition wollen wir gerne alles dafür tun, dass dieser Ministerin keine weiteren Fehler unterlaufen. Danke. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach das Wort. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Rossmann, es ist schon erstaunlich, dass Sie nach zwölf Jahren sozialdemokratischer Regierungszeit ({0}) mit einer sozialdemokratischen Bildungsministerin von Zeitverzug reden. ({1}) Der Zeitverzug ist sicherlich bei Ihnen zu finden; denn das, was Sie fordern, hätten Sie in diesen zwölf Jahren umsetzen können. Wenn man mit zwei Fingern auf jemanden zeigt, zeigen immer drei auf einen selbst zurück. Bildung und Forschung sind das, was diese Koalition verbindet, und zwar an allererster Stelle. ({2}) Wir wissen, dass genau diese Punkte für den sozialen Fortschritt in diesem Lande wichtig sind, wir wissen, dass der Aufstieg in einem Lande nur möglich ist, wenn Bildung und Forschung wirklich optimal organisiert werden. Deswegen haben wir uns zu diesem Koalitionsvertrag nicht durchgerungen - Frau Schavan, ich glaube, wir waren eine der friedlichsten Koalitionsrunden, die es überhaupt gegeben hat -, sondern wir haben uns gemeinsam auf ihn geeinigt. Wir sind stolz auf diesen Koalitionsvertrag und auf die Schwerpunkte, die wir gesetzt haben. ({3}) Dieser Einzelplan spiegelt das natürlich wider; denn wir sind jetzt bei 10,9 Milliarden Euro. Das sind immerhin 702 Millionen Euro mehr als letztes Jahr unter Ihrer Ägide. Man muss in Erinnerung rufen: Frau Bulmahn hatte zweieinhalb Milliarden Euro weniger. Ich weiß nicht, woher Sie immer Ihre frohgemute Kritik nehmen. An dieser Stelle ist wirklich ein Aufwuchs da, den wir immer gefordert haben. ({4}) Satte 12 Milliarden Euro werden bis 2013 für Bildung und Forschung ausgegeben. ({5}) Genau dieser Punkt ist es, der dem widerspricht, was Sie den Leuten immer weiszumachen versuchen. Natürlich wird investiert, und zwar in die Fläche. Herr Rossmann, der Fehler der Föderalismusreform liegt doch bei Ihnen. Hätten Sie damals mit uns gestimmt, wären wir nicht in der Situation. ({6}) Insofern finde ich: Dass es uns jetzt gelingen wird, diese 12 Milliarden Euro für Investitionen in der Fläche bereitzustellen, ist ein großer Fortschritt, Frau Schavan. Ich hoffe, dass uns dies in nächster Zukunft gelingen wird. Ausgesprochen wichtig für uns war die finanzielle Absicherung des Hochschulpakts, der Exzellenzinitiative und des Paktes für Forschung. ({7}) - Eben. Dass wir dieses trotz der harten Zeiten weiter getan haben, ist etwas, was uns beide erfreuen sollte, Herr Hagemann. Das ist nicht immer selbstverständlich gewesen. ({8}) Der Bund steigt in ein Stipendiensystem ein, das 10 Prozent der begabtesten Studierenden ein Stipendium garantiert. Damit vervierfacht sich die Zahl der Geförderten. Dieses Stipendiensystem - auch das will ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen - ist ein Kernelement liberaler Bildungspolitik. Wir haben dies hineinverhandelt, und wir sind stolz auf dieses Stipendiensystem. Ich möchte Sie einfach einmal an Folgendes erinnern: In 60 Jahren Bundesrepublik mit sozialdemokratischer, grüner und CDU-Beteiligung sind wir zu dem mageren Ergebnis gekommen, dass es junge Menschen gibt, die eine Begabtenförderung von nur 80 Euro bekommen. Das ist Ihr Ergebnis. ({9}) Wir setzen jetzt ein Stipendiensystem dagegen. Überlegen wir uns doch einmal vor diesem Hintergrund, was in Nordrhein-Westfalen abläuft. ({10}) Wir haben dank der privaten Initiative - die Leute kommen zu uns, nicht wir zu ihnen; das ist übrigens der Unterschied - inzwischen 1 400 Studierende seit dem letzten Herbst, die ein Stipendium von 300 Euro im Monat bekommen. Das ist doch etwas. ({11}) Ich bin an dieser Stelle ganz der Meinung meiner geschätzten Kollegin Edelgard Bulmahn, die gesagt hat: Es wird Zeit, dass endlich der Spruch des Verfassungsgerichts erfüllt wird. - Selbstverständlich müssen wir Stipendiensysteme entwickeln. Wer, wie wir, für Studiengebühren ist, ist selbstverständlich dazu verpflichtet, Stipendien bereitzustellen. Wir tun dies - das ist eine sehr typisch liberale Lösung - mit Beteiligung der Wirtschaft; denn die will die Leute doch einstellen. Das haben wir hineinverhandelt, das ist ein Aufstiegsmotor für junge begabte Menschen. Ich denke an meine Heimatstadt Duisburg und die Uni von Essen nebenan. Jeder Dritte, der dort ein Stipendium erhält, ist ein Studierender - auch das einmal in Ihre Richtung - mit Migrationshintergrund. Ich frage mich, warum Linke, Sozialdemokraten und Grüne gegen dieses Stipendiensystem sind. Das sind doch gerade die Menschen, die wir mitnehmen wollen. Es sind doch nicht meine Kinder; die brauchen kein Stipendium. ({12}) Na, die sind ja da; die haben es ja. Frau Sitte, ich lade Sie ein: Kommen Sie mit mir nach Duisburg. Sprechen wir mit dem Rektor. ({13}) - 1 400 seit zwei Monaten. Bitte schön! ({14}) - Es hat doch gerade erst angefangen. - Ich bitte sehr: Machen Sie einmal einen Ausflug dahin. Reisen bildet. Ebenso passt sicherlich nicht in Ihr Weltbild, dass wir das BAföG erhöhen werden, ({15}) dass die Aufstiegsförderung verbessert wird, dass es Zuschüsse für Begabtenförderungswerke gibt. Das ist doch etwas, was den Geist dieser Koalition ausmacht. Das sollten Sie einfach einmal akzeptieren. Wir wären froh, wenn an dieser Stelle einmal Wahrheit über uns käme und nicht einfach nur Verdunkelung. Wir wissen, dass wir noch viel vor uns haben. Dazu gehört das große Thema steuerliche Förderung für FuE. Ich will auch an dieser Stelle als Haushälter sehr klar sagen: Es wird sehr schwierig werden, das durchzusetzen. ({16}) Ich setze da auf die Durchschlagskraft meiner Kollegen von der CDU. ({17}) Helfen Sie uns, dass wir das schaffen. Das ist nämlich eines der Kernelemente unseres Koalitionsvertrages. Abschließend möchte ich Ihnen einen weiteren Punkt mit auf den Weg geben - auch dies ist ein Punkt, der bei Haushältern normalerweise nicht so beliebt ist -: das Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Ich fühle mich als Liberale verpflichtet, dafür zu sorgen, dass nach diesen vier Jahren ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz umgesetzt sein wird, und zwar haushalterisch. ({18}) Unser Gegner an dieser Stelle ist natürlich der Finanzminister und nicht die Bildungsministerin, um das einmal ganz klar zu sagen. Das sind die wichtigsten Punkte, die wir gemeinsam vereinbart haben. Wir haben uns eben große Aufgaben vorgenommen. Ich glaube, dieses Land ist es wert, Bildung und Forschung wirklich zu dem zu machen, was wir alle in Sonntagsreden immer versprechen. Wir wollen es. Wir stehen dafür. Messen Sie uns bitte in vier Jahren daran, ob wir es auch so umgesetzt haben. ({19})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Petra Sitte hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will es noch einmal auf den Punkt bringen: In diversen Gutachten wurde der Politik in der letzten Zeit sehr genau vorgerechnet, wie viel Geld für gute Bildung in diesem Land fehlt: 6 Milliarden Euro für Kindertagesstätten, 8 Milliarden Euro bei Schulen, 3,5 Milliarden Euro in der Berufsbildung, 5 Milliarden Euro an den Hochschulen und letztlich 14 Milliarden Euro in der Weiterbildung. Das heißt, jährlich müssten 37 Milliarden Euro investiert werden. Ich erinnere alle in diesem Hause daran, dass Bildung der Leitstrahl war, auf dem alle Parteien durch den Wahlkampf navigierten. Noch auf dem Bildungsgipfel 2008 haben Bund und Länder vereinbart, 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung auszugeben. Das wären damals 30 Milliarden Euro gewesen. Mittlerweile haben wir eine Krise gehabt, und das Bruttoinlandsprodukt ist etwas gesunken, weshalb eigentlich etwas weniger Geld für Bildung zur Verfügung stehen müsste. Weniger Geld für Bildung könnte aber bedeuten, dass sich der nächste Bildungsgipfel auf eine Summe verständigt, die in der Nähe dieser 30 Milliarden Euro liegt. Im Vorfeld des Bildungsgipfels ein Jahr später hat der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Genosse Kurt Beck, von notwendigen Mehrausgaben von 25 bis 28 Milliarden Euro gesprochen. Herr Pinkwart von der FDP aus Nordrhein-Westfalen hat ihm zugestimmt und gesagt: Ja, seriös sind 25 bis 28 Milliarden Euro. - Was ist auf dem Weihnachtsgipfel 2009 wirklich herausgekommen? 13 Milliarden Euro - aber nicht für ein Jahr, sondern bis 2015. Von den notwendigen 37 Milliarden Euro blieben nur 13 Milliarden Euro übrig, und die auch nur unter Zuhilfenahme diverser Rechentricks von Finanzministern. Gott sei Dank hat die Öffentlichkeit, insbesondere die Bildungsöffentlichkeit, sehr schnell dagegengehalten. Ich sage Ihnen: Diese 13 Milliarden Euro sind eben nicht Ausdruck einer Bildungsrepublik, sondern ein schwarz-gelbes Nachtschattengewächs. ({0}) Da ist nichts mit Verlässlichkeit, Frau Schavan. Nun freuen Sie sich darüber - auch Frau Flach von der FDP rühmt es -, dass Ihr Haushalt um 6,9 Prozent steigt. Da staunt der Laie, und der Fachmann oder die Fachfrau wundert sich; denn die Steigerung des gesamten Bundeshaushaltes liegt bei 7,3 Prozent. Wenn man wirklich so viel Wert auf Bildung legen würde, dann müsste die Steigerung des Bildungshaushaltes über dem Durchschnitt liegen. ({1}) Das tut sie aber nicht. Das heißt, der Aufwuchs für Bildung und Forschung beträgt insgesamt nur 750 Millionen Euro - von Milliarden kann nicht mehr die Rede sein -, und nur 350 Millionen Euro fließen in die Bildung. Bezogen auf den Ausgangswert bleibt also ein Riesenabstand. Ich will einmal daran erinnern: Die Steuersenkungen ab dem Jahr 2011 sind Ihnen jedes Jahr 24 Milliarden Euro wert. Jetzt vergleichen Sie das bitte noch einmal mit Ihren 350 Millionen Euro. ({2}) Am Ende ist somit völlig fraglich, wie Sie auf der Basis dieses Haushalts die Summen erreichen wollen, die auf dem Bildungsgipfel vereinbart wurden, und wie es gelingen soll, dass 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes real für Bildung ausgegeben werden. Unter dem Label „Mehr Wettbewerb“, Frau Schavan, nicht etwa unter dem Label „Bildung ist Bürgerrecht“, betreiben Sie hier Bildungspolitik. Das heißt, Sie unterwerfen Bildung, Forschung und den Erwerb wissenschaftlicher Kompetenzen wirtschaftlicher Standortlogik - das entspricht auch der Vereinbarung auf EUEbene -, und Sie rechnen damit Bildung gegen Verwertbarkeit auf. Die Linke hat das immer kritisiert, aber bleiben wir einmal in Ihrer Logik: Wenn man ihr folgt, müsste in Bildung eigentlich wesentlich mehr investiert werden, weil die Bildungsrendite deutlich höher als die Renditen von allen Kapitalanlagen liegt, nämlich im zweistelligen Bereich. Außerdem ist der Bund über Einkommensteuern und Beiträge zur Sozialversicherung ein weit größerer Nutznießer von guter Bildung als die Länder. ({3}) Das heißt, auch unter diesem Blickwinkel ergibt sich die Verpflichtung für den Bund, sich jetzt und heute viel stärker bei der Bildungsfinanzierung zu engagieren. ({4}) Der Bund müsste also eigentlich die Steuerausfälle der Länder kompensieren, da diese höher als beim Bund ausfallen. Auf dem Bildungsgipfel wurde leider keine zwingende Vereinbarung getroffen, wie die Länder ihren Anteil aufbringen sollen. Den Ländern sitzt dann ab 2012 - das sei angemerkt - auch noch die Schuldenbremse im Nacken. Damit ist ihnen verwehrt, mehr Bildung durch höhere Kreditaufnahme zu finanzieren. Wissen Sie, was das bedeutet? ({5}) In meinem Land, in Sachsen-Anhalt, sitzen derzeit 51 000 Studierende auf 34 000 Studienplätzen. Nun müsste ja durch den Kurswechsel bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses, den alle den Studierenden während des Streiks versprochen haben, zusätzlich noch ein 15-prozentiger Aufwuchs bei der Ausstattung und dem Personal an den Universitäten eingerechnet werden. Das findet aber nicht statt, weil den Ländern die Mittel dafür fehlen. Insofern, Frau Flach und Herr Hagemann, ist der Hochschulpakt eben nicht abgesichert, was die Länderseite betrifft. Die Folge in meinem Land ist, dass der Finanzminister von der SPD sagt: Ich will in den nächsten Jahren 1 239 Stellen im Bildungsbereich streichen bzw. die Personalkosten um 20 Prozent absenken. Das würde natürlich dazu führen, dass sich die Studienbedingungen durch schlechtere Betreuungsverhältnisse noch weiter verschlechtern werden. ({6}) Es ist also nichts mit Kurskorrektur und Verbesserung nach der Bologna-Misere. Einer Studienreform sollte vor diesem Hintergrund gegenüber der Exzellenzinitiative ganz klare Priorität eingeräumt werden. Deshalb haben wir gesagt: Für uns ist es derzeit nicht akzeptabel, Milliarden Euro in die Exzellenzinitiative zu stecken, weil dadurch das Hochschulwesen weiter segmentiert wird. Die für die Exzellenzinitiative vorgesehenen Summen sollten vielmehr zugunsten des Hochschulpakts transferiert werden. Dann könnte man den verschulten Bachelor mit seinen zahlreichen Prüfungen - für diejenigen, die das nicht so genau wissen: Das ist der Abschluss nach drei Jahren - entschlacken, die Regelstudienzeiten korrigieren, die Mobilität der Studierenden fördern und für einen sicheren Zugang vom Bachelor zum Master sorgen. Nun reden Sie von einer Erhöhung des BAföG um 2 Prozent. Wie würde sich eine solche Erhöhung konkret bei den Studierenden auswirken? Alle einschlägigen Organisationen wie beispielsweise Studentenwerk und Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft haben Ihnen ja vorgerechnet, dass es mindestens eine 5-prozentige Erhöhung geben müsste, um die Preisentwicklung abzufedern. Zugleich wollen Sie erreichen, dass künftig 50 Prozent eines Jahrgangs das Studium aufnehmen. Das heißt doch nichts weiter, als dass Sie das BAföG bedarfsgerecht umgestalten und um einem elternunabhängigen Sockel erweitern müssen, sonst erreichen Sie einkommensschwache Familien ja überhaupt nicht. ({7}) All das gehört zu den Forderungen, die im Rahmen des Bildungsstreiks erhoben wurden. All das findet sich aber in diesem Haushalt nicht wieder. Somit bringt er nicht mehr Bildungsgerechtigkeit mit sich. Meine Damen und Herren, die Qualifizierung von Lehre und Forschung sowie die Verbesserung der Arbeits- und Studienbedingungen der Hochschulangehörigen sind unter diesen Voraussetzungen nicht zu schaffen. Forschung und Lehre sind hochkommunikative und kooperative Prozesse. Beide haben sich in den letzten Jahren infolge neuer technischer und technologischer Möglichkeiten verändert. Fachleute sagen, die großen Erkenntnisse werden disziplinübergreifend geboren. Das heißt, interdisziplinäre Zusammenarbeit ist angesagt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, immerhin vier Fünftel ohne Professur, werden durch hierarchische Strukturen an einer Umgestaltung gehindert. Personelle Abhängigkeiten hindern sie an eigenverantwortlichem Lehren und Forschen. Nicht selten gleichen die prekären und zudem wiederholt befristeten, schlecht vergüteten Beschäftigungsverhältnisse einem Kampf um die eigene Daseinberechtigung. Da habe ich überhaupt kein Vertrauen in Ihr Wissenschaftsfreiheitsgesetz, Frau Flach. Die Linke meint, dass nicht nur die Grenzen zwischen den Fachdisziplinen, sondern vor allem die Hierarchien im Hochschulsystem aufzuheben sind. Denn Professorinnen und Professoren sowie anderes wissenschaftliches Personal müssen sich bei Lehre und Forschung auf Augenhöhe treffen. Dadurch könnte die Chance eröffnet werden, Wissenschaft endlich zu einem Beruf mit Perspektive zu machen. Verlässliche Perspektiven und mehr Selbstständigkeit halten auch wissenschaftlichen Nachwuchs eher im Land. Personalstruktur ist also an der Profession zu orientieren. ({8}) Ein solches Herangehen würde im Übrigen auch mehr Frauen ermutigen, in der Wissenschaft zu bleiben; denn für sie wäre eine akademische Laufbahn dadurch attraktiv. Dann würden sich Beruf und Familie nicht mehr wie zwei Fresszellen zueinander verhalten, die vielleicht auf privater Ebene auch noch Blutspuren hinter sich herziehen. ({9}) Dazu erwarten wir Initiativen von der Bundesregierung. Sie aber packen in den Haushalt nur Versatzstücke. Es ist beispielsweise vom „Qualitätspakt Lehre“ und von der „Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses“ zu lesen. Wenn man nachfragt, bekommt man keine vernünftige Antwort; denn Sie haben noch nichts konkret vorbereitet oder mit den Ländern abgestimmt. ({10}) - Ich höre Ihnen später noch einmal zu. Meine Damen und Herren, auch bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung ist die Bundesregierung schlicht und ergreifend schief gewickelt. Mit den Milliarden der Hightech-Strategie werden nach wie vor insbesondere Großunternehmen massiv unterstützt, vor allem Global Player. Deren unternehmerische Kernaufgabe wäre eigentlich, Forschung und Entwicklung zu unterstützen. Von den 1,5 Millionen Arbeitsplätzen, die Sie, Frau Minister, im Zusammenhang mit der HightechStrategie versprochen haben, ist nichts übrig geblieben. Jedenfalls können Sie das nicht genau beziffern. Stattdessen sagen Sie, es dauere noch ein bisschen, bis sie richtig wirke. Sichtbar wird im Haushalt hingegen, dass die Förderung innovativer kleiner und mittelständischer Unternehmen deutlich hinter der Förderung von Großunternehmen zurückbleibt. Klar wird auch - insofern habe ich aufgehorcht, als Sie von einem Rahmenprogramm für nachhaltige Forschung gesprochen haben -, dass in Ihrem Haushalt Energieforschungen im fossilen und nuklearen bzw. Fusionssektor mit doppelt so hohen Summen gefördert werden wie erneuerbare Energien und Effizienzforschungen. Letztlich ist - auch darauf will ich aufmerksam machen - Ihre Politik derzeit insofern grenzwertig, als die universitäre Grundlagenforschung in den letzten Jahren eine kritische Untergrenze erreicht hat. Wenn wir für die Grundlagenforschung an den Universitäten und Hochschulen nicht mehr tun, gehen diese auch den außeruniversitären Forschungseinrichtungen als Partner verloren. Das ist zurzeit besonders im Osten ziemlich dramatisch spürbar. Deshalb fordern wir ein Sonderprogramm für die gezielte Förderung der Grundlagenforschung in Ostdeutschland. ({11}) Ich komme zum Schluss. Wenn diese Bundesregierung wirklich positiv in die Bildungsgeschichte des Landes eingehen will, dann muss sie konsequent gegen die Unterfinanzierung des Bildungssystems vorgehen. Wir sagen: Schluss mit dem nervigen bildungspolitischen Armdrücken zwischen Bund und Ländern! Da hat Herr Rossmann recht. Korrigieren Sie den Fehler, den Sie bei der Föderalismusreform mit dem Kooperationsverbot gemacht haben; schaffen Sie es wieder ab!

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dafür haben Sie unsere Unterstützung. - Das war mein letzter Satz. Danke schön, Frau Präsidentin. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Priska Hinz hat jetzt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch ich bin erstaunt, welche Angebote man gleich zu Beginn dieser Debatte bekommt. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalition behauptet - auch Frau Schavan hat das vorhin getan -, dass Bildung ein Schwerpunktthema im Koalitionsvertrag und im Haushaltsplan ist. Wenn man sich den Haushalt genauer anschaut, dann stellt man fest, dass ein Aufwuchs in Höhe von 750 Millionen Euro zwar ein Schritt in die richtige Richtung ist, aber mehr auch nicht. Denn der Gesamtetat steigt um 7,3 Prozent; der Einzelplan allerdings nur um 6,9 Prozent. Das heißt doch im Klartext - die Zahlen beweisen es -: Bildung verliert im Bundeshaushalt an Gewicht. So sieht es mit Ihrer Prioritätensetzung aus. ({0}) Sie haben sich vorgenommen, bis 2013 zu regieren. Das ist zwar eher ein Schreckgespenst, das da umgeht, aber ich will einmal annehmen, dass es so kommt. Sie wollen dann bis 2013 12 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung ausgeben. Nach dem mageren Start in diesem Jahr müssten Sie dafür ab nächstem Jahr bis 2013 dauerhaft 1,5 Milliarden Euro zusätzlich in diesem Einzelplan verankern. Gleichzeitig muss der Bundeshaushalt jährlich um 10 Milliarden Euro konsolidiert werden, damit die Schuldenbremse eingehalten werden kann. Seit Sonntag kündigen Sie wieder unverdrossen an, es gebe Steuersenkungen. Das erhöht Ihre Glaubwürdigkeit in Sachen Bildungsrepublik wirklich nicht. Verlässlichkeit bedeutet etwas anderes, als ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu beschließen, das den Ländern und Kommunen jährlich 3,9 Milliarden Euro entzieht. Herr Rossmann, ich mache die Größenordnung mit anderen Zahlen deutlich: Das entspricht bundesweit 285 000 Studienplätzen oder 570 000 Kitaplätzen. Das ist die Wahrheit und die Realität, denen sich die Koalition stellen sollte. ({1}) Der Bildungsgipfel, die Herzensangelegenheit der Kanzlerin, hat auch kein positives Ergebnis gebracht leider, sage ich. Die Finanzierungslücke im Bildungssystem wurde auf 13 Milliarden Euro kleingerechnet. Auch nach der zweiten Hügelbesteigung gab es über diese 13 Milliarden Euro keine Vereinbarung mit den Ländern. Nein, es gab nichts. Weder wurden Programme verabredet noch wurden Finanzregelungen getroffen, die zeigen, wie man bis 2015 das 10-Prozent-Ziel - 7 Prozent Bildung und 3 Prozent Forschung - erreichen will. Das schlägt sich jetzt auch in Ihrem Einzelplan nieder, Frau Schavan. Darüber können Sie überhaupt nicht glücklich sein. Im Haushalt gibt es zahlreiche Sperrvermerke, unter anderem bei der Stärkung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens, beim Qualitätspakt Lehre und bei der Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses. Maßgebliche Teile des Bildungsetats sind also im wahrsten Sinne des Wortes durch das Versagen des Regierungshandelns gekennzeichnet. Das müssen Sie auch in den Haushaltsdebatten zur Kenntnis nehmen. ({2}) - Die Regierung hat es nicht geschafft, Regelungen mit den Ländern zu vereinbaren, dass sich diese Etatposten im Haushalt tatsächlich als Programmposten niederschlagen. ({3}) Priska Hinz ({4}) Es gibt keine Einigung. Deswegen ist alles auf Eis gelegt. Das ist aber keine Bildungsrepublik. Eine Bildungsrepublik müsste durch einen Aufbruch gekennzeichnet sein, der sich in entsprechenden Haushaltszahlen und in einem glaubwürdigen Etat niederschlägt. Das findet aber leider nicht statt. ({5}) Im Übrigen hat die schwarz-gelbe Bildungspolitik eine extreme soziale Schlagseite und enthält nichts in puncto Bildungsgerechtigkeit. Sie schwächen den sozialen Zusammenhalt und die Möglichkeiten von Chancengerechtigkeit. Das Thema Stipendiensystem ist schon angesprochen worden. Sie wollen 280 Millionen Euro - im Moment liegen sie noch auf Eis - für diejenigen ausgeben, die schon heute zu den Bildungsgewinnern gehören. Daneben soll ein Miniprogramm zum BAföG aufgelegt werden. Mit dem Geld aber, das Sie für Stipendien vorsehen, könnte eine 10-prozentige BAföG-Erhöhung in 2010 und 2011 für diejenigen finanziert werden, die Unterstützung und den Mut brauchen, ein Studium überhaupt zu beginnen. Darauf müssten Sie den Schwerpunkt legen. ({6}) Auch mit den Bildungsgutscheinen und dem Konzept des Zukunftskontos bauen Sie Transfers aus, statt in die Bildungsinfrastruktur zu investieren. ({7}) Ich sage Ihnen: Mit der Privatisierung der Bildung und der Verhinderung der Finanzierung öffentlicher Güter werden Sie Schiffbruch erleiden; denn das hat nichts mit Teilhabegerechtigkeit und nichts mit Bildungsgerechtigkeit zu tun. ({8}) Sie lassen die Schulden wachsen, senken den Anteil der Bildungsausgaben und schwächen dadurch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Titel Ihres Koalitionsvertrages lautet allerdings: „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.“ Damit haben Sie etwas anderes versprochen, als Sie jetzt tun. Die Bevölkerung und auch wir haben eigentlich etwas anderes erwartet. Ich finde, zu Recht. Hier haben Sie bis zum Ende der Haushaltsberatungen noch Hausaufgaben zu machen. Danke schön. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Albert Rupprecht das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Hinz, Frau Sitte, Herr Rossmann, auch wenn Sie es nicht glauben: Als christlich-liberale Regierung haben wir trotz Schuldenbremse und trotz des Sparzwanges, der uns in den nächsten Jahren erwarten wird, klar vereinbart, dass Bildung und Forschung der einzige Bereich ist, in dem wir in dieser Legislatur mehr Geld ausgeben werden. ({0}) Denn wir sind der festen Überzeugung, dass nicht Umverteilung, sondern Bildung, Forschung und Innovation die Quellen für unseren Wohlstand und für soziale Sicherheit sind. Das ist unser Leitbild. Das ist unsere klare Ansage zu Beginn eines neuen Jahrzehnts. Das bedeutet 12 Milliarden Euro mehr für Forschung und Bildung in dieser Legislatur. Diese Linie wurde am letzten Sonntag von den drei Parteivorsitzenden nochmals bestätigt. Diese 12 Milliarden Euro werden auf vier Jahre verteilt. Der eingesetzte Betrag, Frau Hinz, wird von Jahr zu Jahr steigen, und zwar deswegen, weil natürlich eine gewisse Aufnahmefähigkeit bei den Institutionen vorhanden sein muss. Sie wissen, dass die Strukturen sowohl von Forschungseinrichtungen als auch im Rahmen der Projektförderung als auch im Bildungsbereich Schritt für Schritt aufgebaut werden müssen. Wenn der Betrag nach hinten hin steigt, dann sollte das doch in unser aller Sinne sein; denn dann ist das Niveau, auf dem wir uns nach vier Jahren befinden, wesentlich höher als im Durchschnitt dieser vier Jahre. Deswegen bin ich der Meinung, dass Sie diesen Vorschlag und diesen Weg unterstützen sollten. ({1}) Über Forschung reden Sie vonseiten des linken Blocks überhaupt nicht. ({2}) Deswegen möchte ich über Forschung reden. ({3}) In der Forschung geben wir sowohl bei der institutionellen Förderung als auch bei der Projektförderung Gas. Bei der institutionellen Förderung gibt es zusätzliche Mittel für Forschungseinrichtungen, und zwar 3 Prozent mehr für den Pakt für Forschung und Innovation. Damit forcieren wir den Weg von Ministerin Schavan, den sie seit 2005 eingeschlagen hat. Es gehört zur Fairness, zu sagen, dass wir bereits in den vergangenen Jahren Erhebliches erreicht haben. Wir haben erreicht, dass durch die Exzellenzinitiative über 4 000 hochqualifizierte neue Wissenschaftler hinzugewonnen wurden. Das stärkt den Forschungsstandort Deutschland erheblich. So begrüßt DFG-Präsident Professor Kleiner, dass - ich zitiere durch die Fortsetzung der Exzellenzinitiative und ihren substanziellen Mittelzuwachs die beeindruckende Aufbruchstimmung in der Wissenschaft und an unseren Hochschulen weitergetragen Albert Rupprecht ({4}) ({5}) und ein äußerst vielversprechender Wettbewerb um weitere zukunftsträchtige Ideen, Projekte und Einrichtungen in Gang gesetzt werden können. Auch beim zweiten Standbein, bei der Projektförderung, haben wir unter Ministerin Schavan einiges erreicht und geben in den nächsten vier Jahren zusätzlich Gas. Wir brauchen uns als Deutsche nicht zu verstecken. Wir sind in vielen Bereichen Weltspitze: Wir haben eine fantastische Infrastruktur im Bereich der Klimaforschung. Bei der Klimafolgenbewältigung sind deutsche Forscher weltweit führend. Auch wenn es darum geht, den weltweiten Artenschwund bei Pflanzen und Tieren zu stoppen oder die weltweite Versorgung mit Wasser und Ernährung zu sichern, sind deutsche Forscher vorne dabei. Wir sind spitze im Bereich der erneuerbaren Energien, bei den Umweltforschungen und in der Gesundheitsforschung. Das ist ein Verdienst der Ministerin Schavan und des Parlaments in den vergangenen Jahren. Trotzdem legen wir auch bei der Projektförderung in den nächsten Jahren kräftig zu. Die Menschen in Deutschland werden älter, und damit wird das Alter ein Schwerpunkt der medizinischen Forschung, zum Beispiel die Demenzforschung. Der Titel „Gesundheit und Medizin“ wächst um 18 Prozent. Der Titel „Biomedizinische Forschung“ wächst um 10 Prozent. Wir bauen zudem ein Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Bonn, ein Diabeteszentrum in München und ein Zentrum für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf. Im Bereich Klima, Energie und Umwelt wollen wir unseren weltweiten Spitzenplatz ausbauen ({6}) und geben bei der Klimaforschung 14 Prozent und bei den Umwelttechnologien 12 Prozent mehr aus. Als Schwerpunkte sind zum Beispiel Fotovoltaik der zweiten Generation und Elektromobilität zu nennen. Auch bei den Schlüsseltechnologien werden wir unsere erfolgreiche Förderstrategie fortsetzen und die Mittel um 14 Prozent steigern. So bauen wir unsere internationale Spitzenposition bei den optischen Technologien ebenfalls weiter aus. Wir steigern die Mittel bei neuen Werkstoffen und im Bereich der Nanotechnologie um 20 Prozent. Dieser Haushalt steht für Forschung und Innovation. Dies geschieht aus der festen bürgerlichen Überzeugung heraus, dass wir nur durch eine Konzentration der Mittel auf Bildung, Forschung ({7}) und Innovation Wohlstand dauerhaft sichern können. ({8}) Aber Geld alleine reicht in der Tat nicht aus. Es bedarf auch einer positiven Grundstimmung in der Gesellschaft, keiner naiven Technologiegläubigkeit, sondern einer konstruktiven, neugierigen Grundstimmung dem technischen Fortschritt gegenüber. Auch dafür steht die christlich-liberale Regierung, weil wir der festen Überzeugung sind, dass wir die großen Zukunftsfragen im Bereich Klima, Wasser und Ressourcen nur dann bewältigen, wenn wir weltweit einen enormen technologischen Fortschritt erreichen. In diesem Sinne übernehmen wir als christlich-liberale Regierung Verantwortung für Deutschland. Wir übernehmen aber auch Verantwortung für weltweite Schicksalsfragen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Klaus Hagemann für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zukunftsfähigkeit unseres Landes hängt entscheidend von Bildung und Ausbildung, Forschung und Wissenschaft ab. Ich glaube, auf diesen Satz können wir uns alle einigen. So weit sind wir auch noch einer Meinung; denn das sind die wichtigsten Aufgaben der Zukunftssicherung. Deswegen haben, glaube ich, fast alle Parteien in ihren Wahlprogrammen das Ziel formuliert, bis 2015 10 Prozent - 3 Prozent für Forschung und 7 Prozent für Bildung - des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren. Aber dafür brauchen wir die entsprechenden Steuereinnahmen, um dies finanzieren zu können. Ich wende mich an die Damen und Herren der FDP. Liebe Kollegin Flach, Ihr Generalsekretär hat wortwörtlich gesagt: „Unser Staat ist ein teurer Schwächling“. Ich frage mich, wie die Vorhaben finanziert werden sollen. Im Gegenteil: Wir brauchen den starken Staat, den starken Sozialstaat, damit diese Aufgaben finanziert werden können. ({0}) Ich freue mich, dass in diesem Haushalt ein Aufwuchs festzustellen ist. Damit wird die Tradition fortgesetzt, die seit elf Jahren besteht, Frau Flach, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass jedes Jahr die Mittel aufgestockt werden. Anders war das in den Jahren 1996 und 1997, als die letzte schwarz-gelbe Regierung die Mittel nicht aufgestockt und auch nicht auf gleichem Niveau gehalten, sondern abgebaut hat. Diese Mittel mussten erst nach und nach wieder erhöht werden. Daran muss noch einmal erinnert werden. Lieber Kollege Rupprecht, wenn Sie einige Maßnahmen wie die Exzellenzinitiative, den Pakt für Forschung und Innovation und die vielen Programme der HightechStrategie nennen, dann ist das doch die Darstellung dessen, was wir in der Großen Koalition in Diskussionen durchgesetzt haben. Wir haben es positiv nach vorne gebracht, Frau Ministerin. Das muss herausgestellt und unKlaus Hagemann terstrichen werden. Sie sind auf dem richtigen Weg. An einigen Stellen könnte man aber noch etwas drauflegen. Es muss gesagt werden, dass Sie bisher nur geplant haben, diese Mittel auszugeben. Das steht nur auf dem Papier und ist noch nicht ausverhandelt. Es ist nicht garantiert, dass diese Mittel auch fließen werden. ({1}) Ich nenne einige Hemmnisse, die heute früh schon herausgestellt wurden - da bin ich derselben Meinung wie Frau Hinz -: Der Bund allein wird eine Neuverschuldung von 100 Milliarden Euro haben, 86 Milliarden Euro plus 14 Milliarden Euro in den Schattenhaushalten. Wir wissen gar nicht, wie die weitere finanzielle Entwicklung aussehen wird. Die gesamtstaatliche Neuverschuldung beträgt fast 145 Milliarden Euro, da wir die Verschuldung von Ländern und Gemeinden noch hinzurechnen müssen. Im Haushaltsrundschreiben für 2011 schreibt Minister Schäuble - ich zitiere aus der Presse -, dass alle Ministerien einsparen müssen, auch das Ministerium für Bildung und Forschung. Davon gehe ich aus, Herr Rupprecht. Auch wenn Sie das fest vereinbart haben, noch steht im Bundesgesetzblatt nicht, wie das sein wird. Außerdem hat das Ministerium eine globale Minderausgabe von 175 Millionen Euro zu bewältigen. Alle Ministerien müssen einsparen. Warum wird uns nicht gesagt, wo Sie einsparen wollen, wo die Entwicklung in diesem Bereich hingeht? Uns wurde noch keine mittelfristige Finanzplanung vorgelegt. Wo muss eingespart werden? Das interessiert uns schon. Wir können uns nicht auf die eiernden Antworten, die wir hier von Herrn Schäuble bekommen haben, verlassen. Immer wird uns der Tag der Verkündung der Steuerschätzung vorgehalten; wie eine Monstranz wird er vorneweg getragen, als sei der Tag, an dem die Steuerschätzung vorliegt, ein Heilstag. Nein, es geht um die Wahl in Nordrhein-Westfalen, um das nebenbei noch einmal anzuführen. ({2}) Man kann fast von einem Regierungsmikado sprechen. Sie kennen das Spiel Mikado: Wer sich zuerst bewegt, fliegt raus. Nun, so schlimm wird es nicht sein, Frau Schavan. Sie werden schon nicht rausfliegen; aber wer sich bewegt, dem werden die Mittel gekürzt. Warum sagen Sie uns nicht konkret, was Sie in den nächsten Jahren vorhaben, wenn Sie einsparen müssen? Das strukturelle Defizit wird in den nächsten Jahren 70 Milliarden Euro jährlich betragen. Wir haben zusätzlich die Schuldenbremse. Die Länder werden noch stärker herangezogen. Wo wollen Sie einsparen? Sie fahren im Bildungsbereich genauso wie in anderen Bereichen mit angezogener Handbremse. Die Höhe der Mittel wurde im Rahmen des Bildungsgipfels, auf den Sie sich immer berufen, noch nicht endgültig ausgehandelt. Es ist noch nicht klar, welche der Mittel, die jetzt qualifiziert gesperrt sind, bereitgestellt werden. Sie haben sich mit den Ländern noch nicht geeinigt. Frau Ministerin, ich will ja nicht sagen, dass Sie qualifiziert gesperrt sind, aber Ihre Politik ist qualifiziert gesperrt. Auch das sollten wir hier einmal deutlich herausstellen. ({3}) Wieder geht ein Jahr verloren. Der nächste Bildungsgipfel soll Mitte Juni stattfinden. Dann kommt die Sommerpause, dann kommen die Haushaltsberatungen 2011. Bis das umgesetzt ist und die Projekte anlaufen können, ist wieder ein Jahr verloren. ({4}) Wir wissen, was den Universitäten versprochen wurde: Der Bologna-Prozess sollte geändert werden usw. Außerdem liegt uns eine Forderung der Länder vor - das ist noch gar nicht angesprochen worden -, mehr Anteile an der Mehrwertsteuer zu bekommen. Wie werden Sie damit umgehen? Ich will diese Frage gar nicht beantworten. Sie müssen sie zunächst einmal in der Bundesregierung beantworten. Wie wollen Sie der Forderung der Länder begegnen? Da sind nicht nur A-Länder, also SPD-geführte Länder, sondern auch B-Länder, also CDU- bzw. CSU-geführte Länder, dabei. Diese Länder sagen: Wir wollen Mehrwertsteuerpunkte, um unsere Komplementärmittel aufbringen zu können. Dazu liegt keine Antwort vor. Ich glaube nicht, dass es zu einem Ergebnis des Gipfels kommt, wenn diese Frage nicht geklärt ist. Es ist notwendig, zu handeln. Ein weiterer Punkt, der Sorge bereitet, sind die Komplementärmittel, die ich gerade angesprochen habe. In einigen Bundesländern gibt es ein Desaster mit den Landesbanken: Bayern, Baden-Württemberg, SchleswigHolstein und Hamburg sind zu nennen. ({5}) Diese Länder müssen viele Milliarden an Steuergeldern für die Sanierung ihrer Landesbanken aufbringen. Diese Mittel fehlen in den Bereichen Bildung und Forschung. Darüber können Sie nicht hinweggehen. Zudem muss viel Geld aufgewendet werden, um den Atommüll zu beseitigen. Davon ist auch unser Einzelplan betroffen, Frau Ministerin. Das Thema Asse ist aber inzwischen dem Umweltministerium übertragen worden. ({6}) Dafür sind viele Milliarden - ich erinnere an die WAK in Karlsruhe - notwendig. ({7}) Ein weiterer Punkt - er wurde schon herausgestellt -: Bildungspolitik ist Länder- und Kommunalsache. Sie sind mit Ihrer Gesetzgebung, mit dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz, dafür verantwortlich, dass den Kommunen weniger Mittel zur Verfügung gestellt werden, Mittel, die sie für ihre Schulen, für die Kindergärten und Kindertagesstätten brauchen. Diese Mittel aber fehlen. Gerade auf den Neujahrsempfängen, auf denen zurzeit alle Abgeordneten zu finden sind, wird von den Bürgermeistern in den Kommunen, gerade auch in meinem Wahlkreis - das wird in anderen Wahlkreisen nicht anders sein -, auch von CDU-Bürgermeistern, kritisiert, dass ihnen der Bund weniger Mittel zukommen lässt. Es gab für die Kommunen einen Lichtblick: das Ganztagsschulprogramm. Warum wird das nicht fortgeführt? Alle Kommunen sind für diese Mittel dankbar. Sie waren damals dagegen, Frau Ministerin, als Sie noch Landesministerin waren; Herr Koch war sowieso dagegen. Es gab aus Sicht der Kommunen einen weiteren Lichtblick: das Konjunkturprogramm II, mit dem Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Warum wird das nicht weitergeführt, um Schulen, Kitas oder Sporteinrichtungen energetisch zu sanieren? Ein anderer Lichtblick aus Sicht der Kommunen ist das 4-Milliarden-Euro-Programm zum Ausbau der Kinderbetreuung. Frühkindliche Bildung ist besonders wichtig. Dafür müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Da wird aber meiner Ansicht nach zu Recht beklagt: Das Geld reicht nicht aus, damit wir den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz umsetzen können. Da besteht Handlungsbedarf. Das gilt auch für die Ausbildung von ausreichend Erzieherinnen und Erziehern. ({8}) Hier sind also viele Gebiete anzusprechen. Es geht natürlich auch darum, wie Ihre Programme umgesetzt werden, Frau Ministerin. An dieser Stelle hapert es bei einer Reihe von Programmen. Ich denke etwa an das Freiwillige Technische Jahr, jetzt Technikum. Bisher ist ein einziger Platz geschaffen worden. Ich kann noch andere Bereiche erwähnen. Ich denke beispielsweise an den Weiterbildungsbereich. Im vergangenen Jahr sind 178 000 Euro für Prämien, aber 3,8 Millionen Euro für Werbung und Verwaltung ausgegeben worden. An diesen Punkten zeigt sich, dass meine Frage berechtigt ist: Inwieweit schaffen Sie es, die Mittel, die auf dem Papier stehen, sinnvoll einzusetzen?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende, Herr Präsident. - Ich erinnere an einen anderen Punkt. Viele junge Leute fragen: Was passiert, wenn es nicht genügend Ausbildungsplätze gibt? Die Bundesagentur für Arbeit weist auf dieses Problem hin. Was sind Ihre Initiativen, damit die jungen Leute nicht auf der Straße stehen und keine Perspektive haben? Wenn Sie diese Fragen beantworten, ist das ein Beitrag zur Zukunftssicherung. In diesem Sinne hoffe ich, dass die Haushaltsberatungen interessant werden und wir vielleicht das eine oder andere bewegen können. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Patrick Meinhardt von der FDP-Fraktion. ({0})

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der versammelten Linken hier in diesem Hohen Haus! Es ist wirklich unglaublich, was Sie hier alles an den Haaren herbeiziehen. ({0}) Sie können noch so sehr Ihr ideologisches Trommelfeuer entfachen, und gerade die Sozialdemokraten können vorgaukeln, sie hätten die letzten elf Jahre in diesem Land nicht regiert. Nein! Die Kernbotschaft dieser Bundesregierung der Mitte ist klar, kurz und prägnant: In vier Jahren wollen wir Deutschland in der Bildung gerechter, in der Forschung dynamischer und in der Technologie stärker machen. Das ist die zentrale Botschaft dieser Bundesregierung der Mitte. ({1}) 750 Millionen Euro nehmen wir für Bildung, Forschung und Technologie mehr in die Hand, davon allein 702 Millionen im Haushalt des Bildungs- und Forschungsministeriums. Das ist eine Steigerung um 7 Prozent in einem Haushalt von 11 Milliarden Euro. Das ist in Zeiten der Krise die richtige Antwort. Das ist in Zeiten der Krise ein Handlungspaket, das auf die Menschen, auf ihre Fähigkeiten und auf ihre Talente setzt. Das ist in Zeiten der Krise ein mutiges Investitionsprogramm. ({2}) Mit der Fortsetzung des Hochschulpaktes, der Exzellenzinitiative und des Pakts für Forschung und Innovation sowie der Stärkung der Hightech-Strategie bringen wir unseren Wissenschaftsstandort Deutschland voran. Die Stärkung der Spitzenforschung in den neuen Bundesländern mit zusätzlichen 15 Millionen Euro in diesem Haushalt ist ein Zeichen dafür. Die Projektmittel in den Zukunftsbereichen Lebenswissenschaften, Klima, Umwelt und neue Technologien werden um 13 Prozent erhöht. Zentral wichtig ist der Bereich der neuen Technologien; hier steigen die Mittel um 14 Prozent. Wir wollen in der ersten Liga der Forschungs- und Spitzentechnologie spielen. Dafür steht diese Bundesregierung. ({3}) Um das zu erreichen, brauchen wir viele Diskussionen in der ganzen Breite der Gesellschaft, der Wissenschaft und der Wirtschaft. Das gilt auch für die steuerliche Forschungs- und Entwicklungsförderung. Hier werden wir nicht irgendwo am grünen Tisch, sondern im Dialog den bestmöglichen Weg ausloten, um eine optimale Förderung insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen zu erreichen. Denn diesen Wettbewerbsnachteil bei der FuE-Förderung müssen wir beseitigen, wenn wir als Technologieland durchstarten wollen. Wir sind ein Land, in dem viel zu viele verborgene Talente schlummern. ({4}) Das muss Konsequenzen für eine moderne Bildungspolitik haben. Diese Bundesregierung wird alle Anstrengungen unternehmen, um die Förderung von Begabung und Hochbegabung voranzutreiben. Ab und zu hat man den Verdacht, dass man die Begriffe „Elite“ und „Leistung“ in unserem Land nicht mehr benutzen darf. Wir brauchen Leistungs- und Begabungseliten. Wir müssen junge Menschen unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern und allein orientiert an ihren Talenten fördern. Das ist eine gerechte Bildungspolitik. ({5}) Für uns ist dies Handlungsauftrag. Deswegen werden wir die Begabtenförderung in der beruflichen Bildung um sage und schreibe 55 Prozent erhöhen. Deswegen werden wir den Begabtenförderungswerken in diesem Haushalt eine Erhöhung um 33 Prozent zukommen lassen, damit das Büchergeld von 80 Euro auf 300 Euro erhöht werden kann. Deswegen werden wir am 1. Oktober dieses Jahres in ein nationales Stipendienprogramm einsteigen. Wir werden die Zahl der Stipendiaten verfünffachen. Für uns ist es unsozial, wenn junge Menschen nicht die Förderung erhalten, die sie brauchen. ({6}) Nur mit dem Dreiklang aus einem intelligenten Bildungssparen, einem nationalen Stipendienprogramm und einer BAföG-Modernisierung erreichen wir unser Ziel. Deswegen ist es richtig, dass bei der Masterförderung die Altersgrenze von 30 Jahren fällt, dass die Kinderbetreuungszeiten stärker berücksichtigt werden, dass ein starkes Meister-BAföG existiert und ausgebaut wird, dass die Förderkonditionen für Schüler verbessert werden, dass eingetragene Lebenspartnerschaften förderungsrechtlich gleichgestellt werden und dass die Freibeträge und Bedarfssätze angehoben werden. Klar, auch wir hätten uns 1 Prozent mehr bei den Freibeträgen und Bedarfssätzen vorstellen können. Aber wissen Sie, was bei der BAföG-Modernisierung das Wichtigste ist? Das Wichtigste ist, dass Studierende nicht wie bei der letzten von uns damals als Opposition mitgetragenen Erhöhung sieben Jahre warten müssen, sondern dass wir uns selbst in die Pflicht nehmen, die Sätze alle zwei Jahre anzupassen. Diese Regelmäßigkeit war überfällig und wird jetzt unter dieser Regierung Realität. ({7}) Der Qualitätspakt Lehre, die kritische Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses, die massive Weiterbildungsoffensive mit der Einführung eines Zukunftskontos, das Fortbildungsprogramm für Erzieherinnen und Erzieher, die Modernisierung der beruflichen Bildung, die Förderung der Berufsorientierung an Schulen und der Ausbildungsqualifizierung, um dem Bug von Altbewerbern entgegenzuwirken, die Stärkung der frühkindlichen Bildung, die Stärkung von E-Learning durch eine Verdoppelung des Haushaltsansatzes für neue Medien in der Bildung - all das hat für diese Regierung der Mitte Priorität. Unsere Antwort auf diese Wirtschaftskrise kann sich auch die Opposition merken: Bildung, Bildung, Bildung. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Ekin Deligöz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Meinhardt, Sie haben über Gerechtigkeit gesprochen und Modelle zur Begabtenförderung und zur Spitzenförderung sowie Stipendienprogramme aufgezählt. Wenn Sie es mit der Gerechtigkeit wirklich ernst meinen, müssen Sie aber auch die andere Seite der Medaille erwähnen. Genau das habe ich in Ihrer Rede jedoch vermisst. ({0}) Was ist mit den 20 Prozent der Migrantenkinder, die die Schule ohne Abschluss verlassen? ({1}) Was ist mit all den Kindern, die im Rahmen der Bildungspolitik auf der Strecke bleiben ({2}) und keine Chance auf Stipendienprogramme oder Begabtenförderung haben? ({3}) Was ist mit all den Kindern, die von Anfang an staatliche Unterstützung brauchen, angefangen bei der Kinderbe1178 treuung über die Sprachförderung bis hin zu einer guten Grund- und Ganztagsschule? ({4}) Diese Kinder kommen in Ihrem Konzept von Gerechtigkeit nicht vor. Das vermisse ich. ({5}) Frau Schavan, Sie haben eine Rede gehalten, die sehr schön geklungen hat. ({6}) Sie haben die Dinge schöngeredet und manche Zahlen schöngerechnet. Die Lage, die Sie beschrieben haben, ist aber in Wirklichkeit nicht so schön. Und deshalb haben Sie auch allerdings keine angemessenen Antworten. Sie verschieben alles, was zu tun ist, in eine möglichst ferne Zukunft. Sie waren in Ihrer gesamten Rede an keiner einzigen Stelle verbindlich. Nirgendwo haben Sie ausreichend konkrete Ansätze vorgetragen. ({7}) Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Sie haben zwei Bildungsgipfel durchgeführt. Eigentlich ist durch die beiden Bildungsgipfel aber nur eines erreicht worden: dass der finanzielle Mehrbedarf für Bildung und Forschung von rund 60 Milliarden Euro, die einmal veranschlagt waren, auf 13 Milliarden Euro heruntergerechnet wurde. Würde man noch zwei Bildungsgipfel durchführen, würde man wahrscheinlich feststellen, dass wir überhaupt kein Geld mehr in die Hand nehmen müssen oder dass womöglich sogar noch Sparpotenziale bestehen. ({8}) Das ist Ihre Art, Bildungspolitik zu machen. Das ist aber nicht die Bildungspolitik, die wir in diesem Land brauchen. ({9}) Was wir brauchen, ist eine Gesamtaufstellung, ein Gesamtkonzept. Es gibt genug Felder, in denen es konkrete Bedarfe gibt. Dabei geht es um klar bezifferbare Sachinvestitionen, erforderliches Personal, Qualität, Qualifizierung, Studien- und Ausbildungsförderung, Transparenz in der Bildungspolitik und eine Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Hier brauchen wir eine dezidierte Gesamtaufstellung. Sie dagegen haben uns vor den Weihnachtsferien gezeigt, dass Bildungspolitik für Sie Verhandlungsmasse ist. Sie haben uns gezeigt, dass Sie um die BIP-Quoten lieber feilschen. Sie haben damit deutlich gemacht, dass Sie um die Zukunftschancen der Kinder in diesem Land, auch meiner Kinder, lieber feilschen, als eine ernsthafte Bildungspolitik zu betreiben. Frau Schavan, das ist weder gerecht noch hat das etwas mit Verantwortung zu tun. Sie bleiben uns Ihre Antworten schuldig. ({10}) Leider vermisse ich auch in fachlicher Hinsicht eine gewisse Navigation; der Navigator scheint Ihnen tatsächlich abhandengekommen zu sein. Ich nenne Ihnen einige Beispiele. Soziale Hürden beim Zugang zur Uni werden nicht systematisch abgebaut, wenn man lediglich ein Stipendiensystem und Bildungs- oder Zukunftskonten einführt. Was wir in diesem Land brauchen, ist eine vernünftige Weiterentwicklung des BAföG. Indem Sie das BAföG um 2 Prozent erhöhen, können Sie wirklich niemanden davon überzeugen, dass dies eine Reform oder gar eine Weiterentwicklung ist. Halten Sie die Menschen doch nicht für dumm! Ein anderes Beispiel sind die bundesweit verbindlichen, vergleichbaren Sprachtests für Kinder mit einer verpflichtenden Förderung. Wie soll denn eine Förderung durchgeführt werden, wenn Sie den Kommunen bei der frühkindlichen Förderung jegliche Luft zum Atmen nehmen? Wie soll denn eine verbindliche Sprachförderung funktionieren, wenn Sie durch ein Instrument wie das Betreuungsgeld das Signal aussenden, dass es geradezu bestraft wird, wenn Kinder gefördert werden? ({11}) Wie soll das funktionieren? Erklären Sie das einmal, und stehen Sie dazu. Das Betreuungsgeld ist eine bildungspolitische Katastrophe. Das, was Sie sich wünschen, funktioniert nicht, weil Sie die Kommunen im Stich lassen, und es funktioniert nicht, wenn Bildung nicht von Anfang an, also bereits im Kindergarten und in der Kinderkrippe, als solche definiert wird. Noch ein Beispiel. Der Hochschulpakt hat einen Konstruktionsfehler. Er bringt pro Studienplatz viel zu wenig und setzt keinerlei Anreize, zusätzliche Studienplätze zu schaffen oder gar die Qualität zu erhöhen, die Studienbedingungen in diesem Land also zu verbessern. Die Bologna-Reform bringt nun einmal nicht das, was man sich von ihr erhofft hat; das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Das zeigen uns auch die Forderungen der Studierenden, die auf die Straße gehen. Wir brauchen mehr Studienplätze, wir brauchen aber auch eine Debatte über die Qualität und verbindliche Lösungsansätze in diesem Bereich. Wir brauchen eine konzertierte Aktion, eine effiziente, finanzstarke Überarbeitung. Reine Absichtserklärungen reichen nicht. ({12}) Ein letztes Wort auch von mir zum Kooperationsverbot. Das Kooperationsverbot war ein Fehler. Sie haben das inzwischen eingesehen, Frau Schavan, und es ehrt Sie, dass Sie das eingestehen. Das reicht aber nicht. Eine Dummheit wie das Kooperationsverbot darf keinen Platz haben in der Politik, schon gar nicht in der BildungspoliEkin Deligöz tik. Das Kooperationsverbot geht zulasten der Kinder. Sie sind es den Eltern, den Kindern, den Schülern, den Studierenden - allen, die davon betroffen sind - schuldig, dass Sie an dieser Stelle nacharbeiten. Da ist noch eine Menge zu tun. Einen Aufbruch habe ich aus Ihrer Rede leider nicht heraushören können. Einen solchen Aufbruch brauchen wir aber in diesem Land. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Uwe Schummer für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Bildung ist ein Schlüssel zur persönlichen Entfaltung, zur sozialen Gerechtigkeit und zum Wohlstand … Bildung ermöglicht Aufstieg und schafft Zusammenhalt. Deshalb wollen wir die Bildungsrepublik Deutschland. Das sind die Kernsätze der Präambel des Koalitionsvertrages. Damit skizzieren wir sehr eindeutig das zentrale Projekt christlich-liberaler Politik ({0}) und die Erkenntnis: Menschen sind unser Potenzial. Auch in der Wirtschaft sieht man es mittlerweile so, dass Arbeitnehmer keine reinen Kostenfaktoren sind, die man eliminiert, sondern Aktivposten im Unternehmen, Innovationsfaktoren im Unternehmen. Wir wissen, dass 83 Prozent aller Patente, die in Deutschland entwickelt werden, von in Unternehmen Beschäftigten kommen. Darauf müssen wir setzen. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist, dass wir eine Bildungsrepublik sind. ({1}) Es wäre undenkbar, dass die arabischen Länder ihre Ölvorräte im Wüstensand versickern lassen. Es wäre undenkbar, dass die Südafrikaner ihre Goldschätze nicht nutzen. Für uns muss es undenkbar sein, dass wir unser Potenzial - den Menschen - nicht entsprechend fördern, aber auch fordern. Die Erkenntnis aus der Börsenkrise ist doch: Wir müssen weniger an der Börse spekulieren und stärker in Menschen investieren. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln beziffert die Einkommensverluste und die Auftragsverluste der deutschen Unternehmen, die durch Facharbeitermangel und Ingenieurmangel entstehen, schon heute auf 18,5 Milliarden Euro jährlich. Wir müssen aufpassen, dass dieses Wachstumshemmnis durch die demografische Entwicklung nicht noch größer wird. 2008 verließen 909 000 junge Menschen die Schulen, 2020 werden es weniger als 800 000 sein. Wir haben darauf reagiert: Bildung ist ein Markenkern unserer Politik; die Regierung Merkel setzt seit Jahren einen Schwerpunkt bei Bildung und Forschung. Die Wahrheit ist immer sehr konkret. 2005, im letzten Jahr von „Basta!“-Schröder, waren im Haushalt für Bildung und Forschung 7,6 Milliarden Euro vorgesehen. Im Haushalt 2010 sind es fast 11 Milliarden Euro, ein Anstieg von 30 Prozent, den wir in den letzten Jahren gemeinsam mit Frau Merkel und Frau Schavan durchgezogen haben. 12 Milliarden Euro haben wir zugesagt, die bis 2012 ergänzend hinzukommen sollen. Keine Bundesregierung seit 1949 hat für Bildung und Forschung mehr ausgegeben als das, was die christlich-liberale Koalition jetzt bereitstellt. ({2}) Wenn kritisiert wird, dass der Aufwuchs in anderen Ministerien stärker sei als im Ministerium für Bildung und Forschung, muss man auch sehen, wo der Aufwuchs stärker ist, nämlich im Ministerium für Gesundheit und im Ministerium für Arbeit und Soziales. Herr Hagemann, Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen: „Wir brauchen einen starken Sozialstaat“, auf der anderen Seite aber gegenüberstellen, was für Bildung, was für Gesundheit und was für Arbeitsmarktpolitik ausgegeben wird. Der Bildungshaushalt ist bei den nichtgesetzlichen Maßnahmen der am stärksten wachsende Haushalt. Das ist zentral, und das ist ein Erfolg von Annette Schavan. ({3}) Man muss nicht nur nach vorne schauen: 2003 - auch da ist die Wahrheit sehr konkret - saßen Sie von den Grünen in der ersten Reihe, als mit den Hartz-Gesetzen die gesamte Berufsberatung, die Berufsorientierung, die Weiterbildung in Grund und Boden geschossen wurde. In der Weltwirtschaftskrise, die wir derzeit haben, müssen wir uns fragen: Woher kommen wir, und was mussten wir aufbauen, was Rot-Grün in Weiterbildung und Berufsorientierung an verbrannter Erde hinterlassen hatte? Wer Zukunft sichern will, muss früh fordern und bei der Berufsorientierung früh fördern. Daher ist es wichtig, dass im aktuellen Haushalt die Ausgaben für die Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung auf 190 Millionen Euro fast verdoppelt werden. ({4}) Ich mache es an einem Programm ganz konkret fest, das wir gemeinsam mit dem Handwerk und vielen Verbänden noch in der Großen Koalition entwickelt haben: Nicht zwei Monate, sondern zwei Jahre vor der Schulentlassung soll eine frühzeitige Berufsorientierung in überbetrieblichen Ausbildungswerkstätten stattfinden, bei Kolping oder wo auch immer. Zwar kann man nicht alle 342 Berufsbilder in der Schule vortragen, aber zumindest die wichtigsten Berufsfelder in 14 Tagen Berufsorientierung mit pädagogischer Begleitung und einem Profiling am Ende kennenlernen. Dann schaut man eben - in den Bereichen Holz, Metall, Hauswirtschaft, Gartenbau, Verwaltung -, was die Talente, Eigenschaften und Fähigkeiten sind und wie die zwei Jahre in der Schule genutzt werden können, um den Übergang von der allgemeinen Bildung in die berufliche Qualifizierung zielgenauer zu gestalten. Knapp 76 000 Schülerinnen und Schüler haben dieses Programm im letzten Jahr durchlaufen. Die Mittel für dieses Programm werden im neuen Haushalt verfünffacht, hinzu kommen die Ausgaben im Bereich Arbeit und Soziales. So werden wir erstmals in der Lage sein, diese frühzeitige Berufsorientierung flächendeckend allen Schülerinnen und Schüler anzubieten. Nach Aussage des Berufsbildungsinstituts ist die Abbrecherquote auch durch diese Maßnahmen von 25 Prozent auf 19 Prozent abgebaut worden. Das heißt, sie finden schneller eine vernünftige berufliche Qualifizierung, wenn man frühzeitig solche Instrumente einsetzt. ({5}) Sie schimpfen immer über das Bildungssparen, das wir doch gemeinsam mit der Merkel-Regierung in den letzten Jahren durch die Öffnung des Vermögensbildungsgesetzes durchgesetzt haben: für die Erwerbstätigen, die aufgrund der Hebelwirkung ihrer eigenen Beiträge die Arbeitgeberbeiträge, die Zinsen und die steuerfinanzierten Prämien nutzen können. ({6}) - Wir schließen jetzt die Lücke, verehrter Herr Rossmann, von der Geburt bis zur Erwerbstätigkeit, weil bereits früher Bildungssparen möglich sein sollte. ({7}) Wenn diese 150 Euro als Startkapital bereitgestellt werden, dann für alle. Aber dann lasst uns doch einmal kreativ überlegen, statt nur zu schimpfen. Wie kann man denn ein solches Bildungskonto weiter nutzen, beispielsweise diskriminierungsfrei für Bildungsschecks, die man über das Bildungskonto transferieren könnte? Man kann dem Geld ja nicht ansehen, ob es öffentlich geförderte Mittel oder privat angesparte Gelder sind. Oder warum soll das Schulstarterpaket, das wir gemeinsam bis zum Abitur durchgesetzt haben, nicht über das Bildungskonto laufen können? Dies könnte auch für das Betreuungsgeld gelten. Herr Rossmann, Sie haben im Grunde eine starke Schulsozialarbeit - da bin ich an Ihrer Seite - starken Eltern, die starke Kinder erziehen, als Alternative gegenübergestellt. Bei Letzterem sind wir nicht auf Ihrer Seite. ({8}) Wir wollen das nicht gegen die Eltern ausspielen, sondern wir wollen die Wahlfreiheit der Eltern, damit sie entscheiden können, wie sie die Mittel einsetzen und nutzen. ({9}) - Liebe Frau Hinz, Sie sind charmant, wenn Sie nicht im Plenarsaal sind; aber hier im Plenum ist es unerträglich. ({10}) Die Oppositionsfraktionen haben in dieser Debatte drei Schlüsselbegriffe gebracht: kostenfrei, billig und umsonst. Die Bildungspolitik, die wir anstreben, muss finanziell barrierefrei sein, Qualität schaffen und lebenslanges Lernen ermöglichen. Dafür stehen wir. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegen René Röspel für die SPDFraktion. ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist meine erste Haushaltsrede als Oppositionspolitiker, ({0}) was mich gleichwohl nicht daran hindert, das Erfreuliche im Etat zu erkennen und auch zu benennen. Frau Schavan, ausdrücklich freue ich mich, dass es Ihnen gelingt, eine fünfte oder auch sechste Stufe einer Rakete zu zünden, die die Forschung in Deutschland voranbringen soll. Aber es sei mir auch erlaubt, darauf hinzuweisen, wer diese Rakete denn gestartet hat - wir haben gerade ein paar Zahlen von dem Kollegen gehört -: Als Rot-Grün 1998 die Regierung übernahm, gab es keine Startrampe und auch keine Rakete in Sachen Forschung. Seinerzeit hatten der damalige Forschungsminister Rüttgers und Herr Kohl die Ausgaben für Bildung und Forschung gesenkt. ({1}) Wir haben das erst wieder mühsam aufbauen müssen. Die Startphase einer Rakete ist immer die schwierigste. Wir haben auch Widerstände überwinden müssen. Wer das nicht glauben mag, kann es in den Protokollen des Bundestags nachlesen, beispielsweise als wir das Ganztagsschulprogramm diskutiert haben, das in allen Kommunen gut ankommt und über das viele froh sind. Wenn man einige Reden heute hört, könnte man glauben, dass es die jetzige Koalition erfunden hätte. Das ist aber nicht der Fall. Aber geschenkt; es sei Ihnen unbenommen, dass Sie sich mit fremden Federn schmücken. ({2}) Ich will nach ehrlichem Lob allerdings auch ehrliche Kritik im Forschungsbereich vorbringen und stakkatoartig einige Beispiele nennen. Erstes Beispiel: In der Sicherheitsforschung erhöhen Sie gegenüber dem Etat aus dem Jahr 2008 mit 18 Millionen Euro die Ausgaben auf nunmehr 55 Millionen Euro. Wir haben als Sozialdemokraten die Sicherheitsforschung stets sehr kritisch gesehen, weil wir fürchten, dass eine militärische Nutzung möglich ist, und weil sie zu technikzentriert erscheint. Wir brauchen in diesem Bereich aber einen ganzheitlichen Blick. Ich nenne ein Beispiel. Wir diskutieren zurzeit sehr viel über Nacktscanner. Gleichzeitig wird das deutsche Sicherheitspersonal an Flughäfen demotivierend miserabel bezahlt. Die Israelis setzen auch auf Technologie, aber sie setzen den Schwerpunkt auf den Menschen. Sie haben gut ausgebildetes und gut bezahltes Sicherheitspersonal. ({3}) In der Gesamtbetrachtung kann es also nicht nur um Technologie gehen, sondern wir brauchen einen ganzheitlichen Blick. Im Sicherheitsbereich geht es aber vor allen Dingen um die Vermeidung von Konflikten und Krisen. Leider finden wir in diesem Etat nichts zu dem Bereich Friedens- und Konfliktforschung. Er kommt schlicht und einfach nicht vor. Das werden wir nicht zulassen. Wir fordern ausdrücklich Verbesserungen im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung. ({4}) Lassen Sie mich ein zweites Beispiel nennen. Der Etat für innovative Dienstleistungen und Arbeitsforschung stagniert leider, wie ein Vergleich dieses Haushaltes mit dem des Vorjahres zeigt. Wir wissen aber aus Gutachten, dass der Bereich wissensintensive Dienstleistungen einer der Wachstumsmotoren der Zukunft ist, was Arbeitsplätze und Technologien anbelangt. Wie wir in Zukunft arbeiten und erwerbstätig sein werden, ist eine zentrale Frage. Dafür brauchen wir Forschung und Expertise. Deswegen halten wir es für notwendig, dass dieser Bereich stärker gefördert wird. Als drittes Beispiel nenne ich die Energietechnologien. Auch hier gibt es keine Veränderungen gegenüber dem Vorjahr. Das ist sträflich, weil auch das ein Wachstumsbereich ist. Hinzu kommt, dass die Hälfte der 58 Millionen, die in den Haushalt eingestellt sind, in Kernfusion und Atomenergieforschung fließen. Das ist falsch. Wir müssten eigentlich aus der Erfahrung lernen. Gleichzeitig redet diese schwarz-gelbe Koalition davon, die Bedingungen für die Einspeisung von regenerativem Strom dramatisch zu verschlechtern. Damit werden die Menschen davon abgehalten, sich entsprechende Anlagen aufs Dach zu stellen. ({5}) Gleichzeitig wird über die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken gesprochen. Im Bergwerk Asse gibt es 125 000 Fässer mit schwach- oder mittelradioaktivem - man weiß es nicht genau - Müll. Jedes Jahr einer Verlängerung der Laufzeiten bedeutet Tausende von Fässern zusätzlich. Wir haben 172 Millionen Euro für den Rückbau kerntechnischer Anlagen in diesen Haushalt einstellen müssen, und dabei handelt es sich nur um Forschungsreaktoren. ({6}) - Stellen Sie eine Zwischenfrage, statt einfach herumzuschreien. Für Asse - seit 2008 fällt Asse glücklicherweise nicht mehr unter diesen Etat - waren Kosten in Höhe von 350 Millionen Euro im Etat enthalten. Umweltminister Röttgen wird sich darum kümmern müssen, wie er bei den auf 2 Milliarden Euro geschätzten Kosten die Atomfässer wieder aus der Asse herausbekommt. Das ist unverantwortlich. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie haben eine Zwischenfrage gewünscht. Jetzt gibt es sie.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich finde es unglaublich, wenn Sie hier über Dinge sprechen, von denen Sie offensichtlich keine Ahnung haben. Wissen Sie, was in Asse eingelagert ist, wer das dort eingerichtet hat und die Verantwortung dafür trägt, und wer seinerzeit Ministerpräsident und Umweltminister war? Jetzt stellen Sie es so hin, als würde Frau Schavan die Verantwortung dafür tragen. Diese Bundesregierung muss jetzt sehen, dass sie den Mist dort herausschafft. Sie sollten sich auf der Zeitachse vor Augen führen, wer wirklich in Niedersachsen die politische Verantwortung hatte. Wie viele Millionen oder gar Milliarden sind für irgendein Theater ausgegeben worden, das Sie veranstaltet haben, um die nukleare Entsorgung in Deutschland zu behindern? Wenn Sie das alles als gefährlich bezeichnen, dann müssen Sie sich fragen, warum Sie den Schaden nicht rechtzeitig abgewendet haben. Was haben Sie konkret gemacht, als Sie die Regierungsverantwortung hier und in Niedersachsen getragen haben? ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie können gerne im Protokoll nachlesen, was ich gesagt habe. Das ist etwas völlig anderes als das, was Sie versuchen mir zu unterstellen. Ich habe gesagt, dass bis zum Jahr 2008 die Mittel für den Bereich Asse II über die Helmholtz-Gesellschaft im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung etatisiert waren. Ich habe keine Schuldzuweisung vorgenommen, sondern gesagt, dass wir froh sein können, dass wir die Ausgabenpolitik - bisher 350 Millionen Euro - nicht fortsetzen müssen. In den letzten Jahrzehnten haben sicherlich mehrere Personen und nicht nur eine Person Verantwortung getragen; hier gebe ich Ihnen recht. Ich habe aber auch nichts anderes behauptet. Das ist kein Vorwurf an Frau Schavan. Wenn ich mir allerdings die schwarz-gelbe Politik anschaue, dann stelle ich fest, dass Sie es sind, die weiteren Atommüll produzieren wollen, obwohl Sie noch keine Antwort darauf haben, wo dieser Müll gelagert werden soll. ({0}) Diese Regierung wird in den nächsten Jahren vor dem Problem stehen, mindestens 2,5 Milliarden Euro dafür auszugeben, dass alle Bundesregierungen und Landesregierungen zuvor falsch gehandelt haben und Atommüll unterirdisch gelagert haben. Wo der Atommüll gelagert werden soll, wird die Kernfrage sein. Darüber werden wir in den nächsten Jahren noch diskutieren. Bitte, Herr Schirmbeck, wenn Sie weiter fragen möchten. ({1}) - Ich erwarte Gegenbeispiele, die meine Position widerlegen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erlaube noch eine Nachfrage. Aber dann sollte mit dem Dialog Schluss sein. Bitte, Herr Schirmbeck.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, sind Sie bereit, zuzugestehen, dass in Asse schwach Wärme entwickelnde Abfallstoffe aus medizinischen Einrichtungen eingelagert sind, und sind Sie bereit, Vorschläge zu machen, wo diese Abfälle gelagert werden sollen?

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In Asse sind 125 000 Fässer mit schwach radioaktivem Müll gelagert. Ich kann mich an das Datum meiner Frage, die ich dem Ministerium gestellt habe, nicht mehr erinnern. Die Antwort lautet aber sinngemäß, dass es sich überwiegend nicht um medizinisch-technischen Müll, sondern um betrieblichen Müll handelt. Der Anteil des medizinischen Mülls wie Krankenhausabfälle am Atommüll liegt bei 2 oder 3 Prozent. Die genauen Zahlen liefere ich Ihnen gerne nach. Jedenfalls ist der Anteil verschwindend gering. Mit dem, was Sie gerade vorgetragen haben, liegen Sie völlig falsch. Es tut mir leid. ({0}) In der letzten Minute meiner Redezeit möchte ich Sie ausdrücklich loben. Ich finde es richtig und wichtig, dass Sie den von der SPD auf den Weg gebrachten Pakt für Forschung und Innovation weiterhin fördern und ausbauen. Die Forschungsorganisationen sind wichtig und brauchen mehr Geld. Es geht allerdings nicht nur um finanzielle Verbesserungen. Vielmehr brauchen wir auch junge Menschen, die begeistert Forschung betreiben. Herr Meinhardt und Frau Schavan, Ihre Worte habe ich sehr wohl vernommen, dass Sie jedem jungen Menschen eine Chance geben wollen. Meine Erfahrungen, die ich mit meinen beiden schulpflichtigen Kindern in Nordrhein-Westfalen mache, sind aber ganz anders. Als Bundestagsabgeordneter mit einem entsprechendem Gehalt kann man vielleicht solche wohlfeilen Reden wie Sie halten. Aber die Wirklichkeit sieht für einen normalen Facharbeiter ganz anders aus. In Nordrhein-Westfalen führt die Politik von Schwarz-Gelb dazu, dass Kinder ausgegrenzt und regelrecht verschlissen werden und dass ihnen Chancen genommen werden. Sie werden ausgegrenzt, weil die Grundschulbezirke aufgehoben werden. Sie werden ausgegrenzt, weil Lehrer entscheiden müssen, ob 10-Jährige Mathematikprofessor oder Krankenschwester werden sollen. ({1}) - Das ist kein Wahlkampf. - Die Kinder werden durch das Turboabitur verschlissen. Die meisten werden in ihrer Entwicklung behindert, weil ein normaler Facharbeiter die dort erhobenen Studiengebühren nicht oder nicht so einfach aufbringen kann. ({2}) Es gibt sicherlich positive Ansätze im Forschungsetat. Aber Bildung und Forschung müssen als Einheit gesehen werden. Bei der Bildung funktioniert Schwarz-Gelb überhaupt nicht, sondern verschlimmert die Situation. Deswegen hat das Land Schwarz-Gelb nicht verdient. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist natürlich schwierig, Realitäten anzuerkennen. Kollege Hagemann, mich verwundert, wie schnell Sie sich in die Büsche schlagen. Wenn Sie sich den Einzelplan 30 ganz genau anschauen - das ist bei den anderen Einzelplänen ähnlich -, dann stellen Sie fest, dass der Haushaltsentwurf vom Juni 2009 die Basis darstellt. Hinzu kommt das - ich glaube, das liegt Ihnen besonders schwer im Magen -, was CDU/CSU und FDP im Koalitionsvertrag draufgelegt haben. Wir haben uns gefragt, was in Deutschland die drängendsten Probleme im Bereich von Bildung und Forschung sind und wie wir diesen begegnen können. Diese Richtung passt Ihnen nicht. Ich will Ihnen einen guten Rat geben: Man kann viele Haare in einer Suppe finden. Aber die Gefahr ist, dass die Suppe kalt wird, bevor man alle gefunden hat. ({0}) Ich möchte einen Satz zu den Steuern sagen. Herr Rossmann, aber auch Frau Sitte, ich kann mich noch gut an den Juni 2000 erinnern, als Sie, Rot-Grün, im Stil der „Basta-Politik“, eine Steuerreform durchgedrückt haEckhardt Rehberg ben, die zu einem Minus bei der Körperschaftsteuer, insbesondere aber bei der Gewerbesteuer geführt hat. ({1}) - Sie haben mit den Stimmen aus Schwerin im Bundesrat zu dem Minus von 24 Milliarden Euro im Jahr 2001 gegenüber 2000 beigetragen, weil Sie insbesondere großen deutschen Kapitalgesellschaften die Möglichkeit gegeben haben, ihre Beteiligungen insbesondere im Ausland steuerfrei zu veräußern. Das war Ihre Politik! ({2}) Alleine in Mecklenburg-Vorpommern haben sich bei vielen Kommunen die Gewerbesteuereinnahmen halbiert und erst fünf Jahre später wieder erholt. Das gehört auch zur Wahrheit bei der Steuerpolitik. Herr Hagemann, sagen Sie, wenn Sie bei den Neujahrsempfängen sind, dass es im Jahr 2010 Steuerentlastungen in Höhe von insgesamt 25 Milliarden Euro gibt, von denen zwei Drittel auf Schwarz-Rot und ein Drittel auf die christlich-liberale Koalition entfallen. ({3}) Ihnen passt unsere Richtung nicht. Es passt Ihnen, Frau Hinz, nicht, dass Sie sich 2005 mit Rot-Grün aus der Regierung verabschiedet haben. ({4}) - Sie sind abgewählt worden, und das war richtig so, damit Deutschland eine bessere Zukunft hat. ({5}) Wir haben jetzt einen Etat von knapp 11 Milliarden Euro. Herr Kollege Hagemann, wie hätten Sie debattiert, wenn wir - was haushälterisch unsinnig gewesen wäre die kompletten 3 Milliarden Euro von heute auf morgen sofort obendrauf gepackt hätten. Sie haben in der ganzen Debatte eines verschwiegen: Wir haben 750 Millionen Euro an Barmitteln eingestellt, davon 35 Millionen Euro in anderen Haushalten, ({6}) und die Verpflichtungsermächtigungen haben wir deutlich erhöht, über 2 Milliarden Euro. Die Verpflichtungsermächtigungen zeigen, dass unsere Politik keine Eintagsfliege ist, sondern über die nächsten Jahre mit einem Aufwuchs im Barabfluss von bis zu 3 Milliarden Euro per annum kontinuierlich fortgesetzt werden soll. So werden wir im Jahre 2015 auch das 10-Prozent-Ziel erreichen. ({7}) Was sind die Herausforderungen? Herr Kollege Hagemann, Sie haben über Ausbildungsplätze gesprochen. Es gibt allein 30 Millionen Euro für ein Programm, mit dem Ausbildungsplätze insbesondere in strukturschwachen Regionen gefördert werden sollen. Außerdem stocken wir die Mittel für die Berufsorientierung auf. Das ist völlig neu. 2008 gab es dafür keine Mittel, im ersten Entwurf des Haushaltsgesetzes im Jahre 2009 waren 7,5 Millionen Euro dafür veranschlagt, und heute sind es 50 Millionen Euro. Denn eines der zentralen Probleme im Ausbildungsbereich ist die Abbrecherquote von durchschnittlich 22 Prozent. Wir können es uns nicht leisten, dass jeder fünfte Auszubildende seine Lehre abbricht. Deswegen ist die Berufsorientierung etwas ganz Wichtiges. Denn wenn jemand nach ein oder zwei Jahren eine Ausbildung abbricht, ist das eine Verschwendung von privaten und gesellschaftlichen Ressourcen. Genau diesen Herausforderungen stellen wir uns. Herr Kollege Rossmann, wir sind hier nicht in einem Landtag, sondern im Deutschen Bundestag. Wenn Sie die Schulpolitik kritisieren, sollten Sie an die Ergebnisse der letzten PISA-Studie denken, die ich noch gut im Kopf habe. Auf Platz eins, zwei, drei und vier sind unionsgeführte Länder, und zwar seit Jahren. Den größten Sprung hat in den letzten Jahren Sachsen-Anhalt gemacht; von 2003 bis 2006 hat es sich um über 30 Punkte verbessert. ({8}) - Ja, Sie in Sachsen-Anhalt. ({9}) - Ja, dort wurde ein großer Sprung bei PISA gemacht. ({10}) Frau Kollegin Sitte, das ist eigentlich gar nicht Sache des Bundes. Aber wir nehmen Geld für die Sprachförderung und die frühkindliche Bildung in die Hand. Aber - auch das muss ich deutlich sagen - es kann nicht so sein, wie es manchmal an der einen oder anderen Stelle der Fall ist, dass nämlich der Bund Geld in die Hand nimmt und manche Länder sich aus dem Staub machen. Es liegt in unserer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass das Geld, das wir an die Länder durchreichen, auch dort ankommt, wo es hingehört. ({11}) Herr Rossmann, Sie haben gesagt, es fehle Begeisterung für Bildung und wir weckten keine Begeisterung. Ich bin der Auffassung, dass Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Das kommt mir bei Ihnen von der ganz linken Seite immer viel zu kurz. ({12}) Dazu gehören Eltern und Großeltern, die sich ihren Kindern und der schulischen Erziehung ihrer Kinder verpflichtet fühlen. Dazu gehört die Begleitung durch Kinderkrippen, durch Kindergärten, durch Horte und durch Schulen. Dazu gehören gute Rahmenbedingungen. Ich sage Ihnen ganz klar: Vor Begeisterung kommt für mich ein Wort in diesem Bereich, und das heißt „Verpflichtung“. Bildung und Erziehung junger Menschen in Deutschland ist Verpflichtung für die ganze Gesellschaft. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Einzelplan 10. Das Wort hat Bundesministerin Ilse Aigner. ({0})

Ilse Aigner (Minister:in)

Politiker ID: 11003028

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft sind - das kann man, glaube ich, nicht oft genug sagen - Kernfragen einer modernen Gesellschaft und unserer Zukunft. Ich kann nur immer wieder davor warnen, diese Themen gegeneinander auszuspielen. Meine feste Überzeugung ist, dass man diese Bereiche nur gemeinsam gestalten kann. ({0}) Allen, die das nicht glauben oder nicht sehen, kann ich nur empfehlen, die Grüne Woche zu besuchen. Hier treffen sich Erzeuger und Verbraucherinnen und Verbraucher hunderttausendfach. Es gibt hier kein Gegeneinander, sondern ein kräftiges Miteinander. In Deutschland haben wir im Vergleich zu anderen Ländern eine komfortable Situation. Das sage ich insbesondere mit Blick auf Haiti. Ich möchte in diesem Rahmen zusichern, dass unser Haus gemeinsam mit der FAO versuchen wird, nach Wegen zu suchen, wie wir die mittel- und langfristige Ernährungssicherung in diesem Land unterstützen können. Das halte ich für eine zwingende Verpflichtung. ({1}) Auch wenn in Deutschland die Ernährungsfrage keine Frage des Überlebens ist, so ist sie für mich doch eine zentrale Frage. Sie sollte und muss einen sehr hohen gesellschaftlichen Stellenwert haben. Lebensmittel sind nicht nur irgendeine Handelsware. Es geht um eine Versorgung mit gesunden Lebensmitteln. Dazu gehört eine stabile Landwirtschaft, die existieren kann. Beides gehört zusammen. ({2}) Ich finde, wir dürfen diese Grundfragen nicht unterschätzen. Wir müssen diese in der Öffentlichkeit immer wieder deutlich machen. Wenn ich „wir“ sage, dann meine ich nicht irgendjemanden, sondern damit meine ich ganz bewusst uns Abgeordnete, die wir in der Verantwortung stehen. Wir müssen für diese Themen im Lande werben. Das ist eine Zukunftsfrage. Eine weitere wichtige Herausforderung sehe ich in der Verbindung zwischen Landwirtschaft, Klimaschutz und Energieversorgung. Deshalb war und ist es mir ein Anliegen, dieses Thema inhaltlich zu diskutieren. Ich freue mich, dass im Rahmen der Internationalen Grünen Woche beim zweiten Agrarministergipfel über 50 Nationen vertreten waren. Das ist eine Verdopplung zum letzten Mal. Das zeigt, welchen Stellenwert diese Thematik international erfahren hat. Ich kann nur sagen: Es war eine große Bereicherung, auf der Grünen Woche mit den Kolleginnen und Kollegen zu diesem Thema lang und intensiv zu diskutieren. ({3}) Ressortminister freuen sich immer über einen größeren Etat; ich tue es natürlich auch. Dafür erst einmal ein herzliches Dankeschön. Wichtig ist aber nicht nur die Frage des Wieviel, sondern auch des Wofür. In manchen Bereichen geht es nicht nur um Geld; da sind es vielmehr im wahrsten Sinne des Wortes dicke Bretter, die man bohren muss. Das ist insbesondere im Bereich des Verbraucherschutzes ein zentrales Thema. Das werde ich in Zukunft behandeln, und das habe ich auch in der Vergangenheit getan. Die christlich-liberale Devise dabei ist: nicht bevormunden, sondern informieren. ({4}) Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Nur wenn Verbraucher und Verbraucherinnen Vertrauen in die Märkte haben, dann können sie überhaupt kluge Entscheidungen treffen, die Möglichkeiten des Wettbewerbs nutzen und damit auch die Wachstumskräfte stärken. In diesem Zusammenhang freue ich mich besonders über die Stiftung Warentest. Zu ihrem 45-jährigen Jubiläum hatte sie große Erfolge zu vermelden: 85 000 Produkte, 1 600 Dienstleistungen wurden begutachtet, an objektiven Kriterien gemessen, und über sie wurde informiert. Ich glaube, dass es in diesem Zusammenhang ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung war, dass wir diese Stiftung in Zukunft mit mehr Mitteln ausstatten. Das ist übrigens ein Herzenswunsch von Volker Kauder. Ich bedanke mich ausdrücklich beim Haushaltsausschuss - zumindest bei denjenigen, die dafürgestimmt haben -, dass er diesen Ansatz mitgetragen hat, sodass das Stiftungskapital im letzten Jahr aufgestockt werden konnte. ({5}) Verbesserung der Bankberatung, Kundenrechte im Personennahverkehr, die Frage des Schutzes der Daten in der digitalen Welt, das sind nur einige wenige Themen, die zum Kernbereich eines modernen Verbraucherschutzes gehören. Es gibt gute Argumente dafür, dass wir die umfangreiche Verbraucherinformation weiter mitgestalten und für eine gute Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für Verbraucherschutz sorgen. Wie Sie wissen, ist seit meinem Amtsantritt die Frage der Ernährung ein wichtiges Thema. Auch hier geht es im Wesentlichen um die Information über einen verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln. Ein Kernpunkt ist unsere Aktion „IN FORM“, mit der wir informieren, nicht verbieten, sondern motivieren wollen. Wir wollen die Menschen dafür begeistern, sich gesund zu ernähren und sich mehr zu bewegen, und zwar immer an den Stellen, wo sie sich befinden, egal ob im Kindergarten, in der Schule, im Seniorenheim oder am Arbeitsplatz, etwa in der Kantine. Das ist die entscheidende Frage: Motivation, nicht Bevormundung. ({6}) Um sich gesund ernähren zu können, braucht man auch fleißige Produzenten. Das sind unsere Bäuerinnen, das sind unsere Bauern, die tagtäglich für unsere Versorgung stehen. Ich sehe, mit welchen großen Anstrengungen sie sich auch in der Krise behaupten. Ich sage ein herzliches Dankeschön an unsere Bäuerinnen und Bauern. ({7}) Im letzten Jahr hatten wir, das wissen wir alle, in einem Bereich, im Milchbereich, ziemlich intensive Diskussionen, auch deshalb, weil er das erste Mal, und zwar sehr abrupt, mit den Mechanismen des Marktes konfrontiert wurde. Ich freue mich deshalb ganz besonders, dass wir es in den Koalitionsverhandlungen geschafft haben, ein Sonderprogramm mit dem Schwerpunkt auf Milchviehwirtschaft zu entwickeln. Wer in unserem Land behauptet, Politik arbeite langsam, den können wir belehren: In diesem Fall ist es sehr zügig gegangen. Innerhalb von drei Wochen nach Beginn der neuen Koalition haben wir dieses Programm gestrickt. Darüber freue ich mich vor allem im Sinne der Bäuerinnen und Bauern. ({8}) Ein solches Programm in dieser Größenordnung hat es in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben. Um was geht es uns? Es geht uns darum, lebensfähige Betriebe weiterhin zu unterstützen, Existenzen und Arbeitsplätze zu erhalten. Wir wollen ferner wertvolles Grünland erhalten, und wir wollen die Betriebe und damit die Familien insbesondere im Bereich der landwirtschaftlichen Unfallversicherung unterstützen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die agrarsoziale Sicherung ist einer der Kernpunkte unseres Haushaltes. Ungefähr zwei Drittel der Mittel fließen in diesen Bereich. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Diese Stabilisierung landwirtschaftlicher Betriebe ist sowohl Kernpunkt der Sozialpolitik, aber auch Kernpunkt der verlässlichen Politik, für die wir stehen. ({9}) Ein wichtiges Element dieses Sonderprogramms ist die Liquiditätshilfe, ein wirklicher Erfolgsschlager, wenn man es so sagen darf. Wir hatten diese zum ersten Mal im Jahr 2009 aufgelegt. Über 12 000 Betriebe nahmen dieses Programm in Anspruch. Daran kann man sehen, dass wir in der richtigen Art und Weise den Betrieben geholfen haben. Diese Hilfe werden wir auch in Zukunft fortsetzen. Die Leistungen und das Engagement der Menschen auf dem Lande bilden das Fundament für die Zukunft ländlicher Räume. Ländliche Räume werden nicht durch irgendwelche Masterpläne entwickelt, sondern ihre Entwicklung hängt ganz wesentlich von dem Engagement und von den Interessen der Menschen vor Ort ab. ({10}) Umso wichtiger war und ist es für uns, dass wir auch im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ einen weiteren Aufwuchs verzeichnen konnten auf mittlerweile 725 Millionen Euro. Ich kann mich an ganz andere Zeiten erinnern, Zeiten, als wir noch in der Opposition waren: Da war das ganz anders. Es handelt sich um gut eingesetztes Geld, es fließt in den ländlichen Raum und wird in der nächsten Zeit auch dafür bereitstehen, die sogenannten neuen Herausforderungen zu bewältigen, nämlich Anpassungen an den Klimawandel und Bewältigung des Quotenausstiegs, und wird auch in viele andere Bereiche fließen, in denen es direkte Wirkung auf die ländlichen Räume erzielt. Es handelt sich also um gut eingesetztes Geld. Lassen Sie uns noch ein Stück weiter in die Zukunft schauen. Wir müssen uns hier insbesondere die Frage stellen: Wo entwickeln sich neue Märkte? Vor diesem Hintergrund halte ich es für wichtig, die weitere Entwicklung nach dem Wegfall der CMA vonseiten unseres Hauses zu begleiten. Auch um den Bereich Agrarexport wollen wir uns in der nächsten Zeit kümmern. Deshalb haben wir hierzu einen neuen Haushaltstitel mit 3 Millionen Euro ausgestattet. Wir haben auch unseren Messetitel aufgestockt, damit wir in der gerade für diesen Bereich schwierigen Übergangsphase helfen können. In diesem Bereich werden wir auch mit der neu gegründeten GEFA zusammenarbeiten und sie vonseiten unseres Hauses da unterstützen, wo wir es können. ({11}) Nicht zuletzt ist Forschung und Innovation ein zentrales Thema in unserem Ressort. Allein rund 400 Millionen Euro gehen an die Ressortforschungseinrichtungen und in die Förderung von Innovationen in Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Das ist angesichts unseres Gesamtetats eine, wie ich denke, doch gewaltige Summe. Es handelt sich um den viertgrößten Forschungsetat der Bundesregierung. Dazu fördern wir noch mit 50 Millionen Euro nachwachsende Rohstoffe. Das ist meiner Überzeugung nach auch ein Zukunftsthema für die Landwirtschaft. ({12}) Meine Damen und Herren, nicht zuletzt geht es mir immer um eine Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen und Zielsetzungen. Das ist manchmal nicht ganz einfach. Aber es lohnt sich, sich dafür im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz massiv einzusetzen. Hier geht es letztendlich um unsere Lebensgrundlagen und um ein Stück Lebensqualität. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Wilhelm Priesmeier für die SPDFraktion. ({0}) Bundesministerin Ilse Aigner:

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Ministerin! Wohl wahr: Man kann immer stolz darauf sein, wenn der eigene Ansatz wächst. Sie haben eben zu Recht gesagt, es habe nur drei Wochen gedauert. So sieht das Programm natürlich auch aus: wie mit der heißen Nadel gestrickt, ohne das, was in der gegenwärtigen Situation insgesamt erforderlich wäre. Angesichts der exorbitanten Verschuldung in diesem Haushalt mit 86 Milliarden Euro neuen Schulden ist es nicht an der Zeit, schuldenfinanzierte Geschenke zu machen. Mit Ihrem Haushaltsentwurf verschenken Sie den finanzpolitischen Spielraum im Agrarhaushalt, den wir in den nächsten Jahren noch sehr dringend brauchen werden. ({0}) Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird das Geld des Etats mit der Gießkanne ausgeschüttet, aber nicht zielgerichtet verteilt. Das Grünlandprogramm ist einer der Kerne Ihrer Politik. Dafür werden in diesem und im nächsten Jahr 750 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Vom Bauernverband wird das natürlich begrüßt - wer verteilt, erhält auch Zuspruch -, aber durchaus nicht von allen Landwirten. Wer die DLG-Wintertagung verfolgt hat, weiß, dass Dr. Hesse, ein renommierter Agrarwissenschaftler, dieses Programm als „ordnungspolitischen Sündenfall“ bezeichnet. ({1}) - Stellen Sie eine Frage, Herr Kollege Bleser, oder lassen Sie mich in meiner Rede fortfahren! ({2}) Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der DLG, bezeichnete das Programm als „Placebo“ für die Milchbetriebe. Ich finde, beide haben recht - leider. Frau Ministerin, Ihr Grünlandprogramm steht zunächst für kurzfristige Mitnahmeeffekte statt für sinnvolle Investitionen in die Zukunft des Milchsektors. Sie begleiten den erforderlichen Strukturwandel nicht; nein, Sie bremsen ihn regelrecht aus. Darüber hinaus haben Sie zu der Entwicklung auf dem Milchmarkt durch Ihre zögerlichen Aussagen in erheblicher Weise beigetragen, sodass viele Milchbauern verunsichert worden sind. Wir erinnern uns noch an erfolglose runde Tische und an Ihre zögerlichen Aussagen zur Milchquote. Letztendlich war Ihre Position nicht zu halten. Aber die Diskussion hat dafür gesorgt, dass die Quotenkosten um 20 Prozent gestiegen sind. Damit haben Sie allen deutschen Milchbauern schweren Schaden zugefügt. Das sollten Sie erkennen. Gerade Sie und die CSU sind dafür verantwortlich, während andere, beispielsweise an sich immer kooperativ denkende Kollegen aus der CDU, Ihre Ansicht nicht in jedem Falle vertreten haben; das muss ich denen zugutehalten. Sie verteilen jetzt weiße Salbe und Pflaster. Das wird aber den betroffenen Betrieben nicht in entscheidender Weise helfen. Das Programm ist im Wesentlichen an den Interessen Bayerns ausgerichtet. Über ein Viertel der Ausgaben, mehr als 210 Millionen Euro, im Rahmen dieses Programms fließt nach Bayern. Der Rest der Republik wird nicht gerade im Stich gelassen, aber doch extrem benachteiligt. Gerade die Betriebe in den neuen Bundesländern, die in erheblichem Umfang Beschäftigung sichern, geraten ins Abseits. Minister Aeikens sagte, dass er zunächst einmal nicht beabsichtige, wegen der möglichen Verzögerung verschiedener Programme den Vermittlungsausschuss anzurufen. Das wäre eine Gelegenheit gewesen; denn auch die Verteilungswirkung ist entscheidend. Da muss man sagen: Alle Achtung, Frau Ministerin, Sie haben für Bayern etwas herausgeholt! Aber vergessen Sie nicht die Stimmen der bayerischen Landwirte. Bei drastisch eingebrochenen Ergebnissen lassen sie sich mit Geschenken weiß Gott nicht dauerhaft kaufen. So dumm sind sie nicht. ({3}) Ich frage mich allen Ernstes aber auch, wie die FDP als Koalitionspartner, der auf Markt- und unternehmerische Freiheiten setzt, dieses Spielchen mitmachen kann. Herr Geisen, ich zitiere einmal aus einem Schreiben, das Sie von einem Fleischrinderhalter aus der Eifel bekommen haben: Wir gönnen den Milchviehhaltern dieses Grünlandprogramm. Aber lassen Sie nicht zu, dass sich eine Zweiklassengesellschaft bildet. Wir beanspruchen die gleiche Prämie für alle Großvieheinheiten. Es darf nicht sein, dass durch lauthalsiges Geschrei und Demonstrationen einer gewissen Milchlobby Politiker in die Knie gezwungen werden. Herr Geisen, was ist eigentlich mit den Ziegen- und Schafhaltern? Die Einzelbetriebe bzw. einzelnen Halter haben in diesem Jahr erhebliche Kosten durch die Einführung der elektronischen Einzeltierkennzeichnung. Dafür bekommen sie nichts. Und was war mit den Sauenhaltern und den Schweinemästern in den letzten Jahren? Deren Zahl ist innerhalb von zehn Jahren um 73 000 auf nunmehr 68 000 Betriebe zurückgegangen. Da hat ein dramatischer Strukturwandel stattgefunden. Sie haben keine Unterstützung erhalten. Ich befürchte, wer sich im Agrarsektor zu den Grundprinzipien der Marktwirtschaft bekennt, hat in diesem und im nächsten Jahr Pech gehabt. Darum fordere ich Sie von der FDP auf: Bringen Sie diesen konfusen Haushaltsansatz endlich in Ordnung und sorgen Sie dafür, dass eine zielgerichtete Politik betrieben wird! Bekennen Sie sich zu Ihren Grundprinzipien! Frau Ministerin, die politischen Vorschläge, die Sie machen, sind nicht zukunftsweisend, sondern rückwärtsgewandt. Wir brauchen kurz- und mittelfristig eine Milchpolitik, die der Wettbewerbssituation gerecht wird und die vor allen Dingen die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Milcherzeuger stärkt. Nehmen Sie doch die Vorschläge aus dem Vorbericht des Bundeskartellamtes auf! Sorgen Sie dafür, dass die Landwirte gefördert werden - das ist nach EU-Recht mit 500 000 Euro pro Erzeugergemeinschaft möglich -, wenn sie Erzeugergemeinschaften gründen! Erstellen Sie dafür einen konkreDr. Wilhelm Priesmeier ten Ansatz und fördern Sie damit die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte! Sorgen Sie im Wettbewerbsrecht dafür, dass die Molkereien als weiterverarbeitender Sektor auf Augenhöhe mit dem Lebensmitteleinzelhandel verhandeln können! Wenn Sie das tun, dann braucht man keine exorbitanten Ausgaben in Millionenhöhe, die letztendlich in verschiedenen Bereichen unter Mitnahmeeffekten verpuffen. ({4}) Ich fordere von Ihnen ein Unterstützungsprogramm und ein Strukturprogramm, die den Anforderungen gerecht werden. Die Gießkanne hat bekanntlich längst ausgedient, und sie ist auch nicht groß genug, um alle Ansprüche zu bedienen. Frau Aigner, wir haben mit Spannung Ihre Rede auf der Grünen Woche erwartet. Wir hätten uns einige prägnante Aussagen zur Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 gewünscht. Aber diesbezüglich war von Ihnen nicht viel zu vernehmen. Den an sich begrüßenswerten Vorschlag der neuen Agrarministerin aus Schleswig-Holstein haben Sie mit der Bemerkung, es sei noch viel zu früh, darüber nachzudenken, nicht weiter kommentiert. Sie haben gesagt, dass Sie bei den Verhandlungen harte Auseinandersetzungen und schwere Verteilungskämpfe erwarten. Das ist richtig. Sie wollen eine starke erste Säule, die ausgewogen ausgerichtet ist. Auch das ist aus Ihrer Sicht richtig. Aber Sie wissen wie auch wir ganz genau, dass das historische Modell der Direktzahlung längst ausgedient hat. Das werden Sie politisch nicht mehr legitimieren und nicht mehr begründen können. Die neuen Aufgaben und Herausforderungen sind - Sie haben vorhin einige genannt - Klimaschutz, Biodiversität, Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und flächendeckende Landwirtschaft. Die Leistungen in Bezug auf diese öffentlichen Güter müssen den Landwirten auch in Zukunft vergolten werden und sollten nicht pauschal abgerechnet werden. Dazu hätte ich mir einige Aussagen gewünscht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, Sie eröffnen keine politischen Perspektiven. Sie halten bei passender Gelegenheit Schönwetterreden. Sie bieten tolle Broschüren und bunte Kalender aus dem BMELV an. Aber Sie haben keine Antworten auf die drängenden Fragen des Agrarsektors. Zu Ihrer Politik kann ich nur sagen: Mangelhaft! Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Heinz-Peter Haustein für die FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Werter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bauernstand ist Ehrenstand, erhält die Stadt, erhält das Land. Er ist der Pionier der Zeit und bleibt es bis in Ewigkeit. ({0}) Unter dem Motto dieses im Volksmund üblichen Spruchs möchte ich mich heute mit dem Einzelplan 10, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, beschäftigen. Die Zahlen sind ernüchternd. Der Etat für diesen wichtigen Bereich umfasst 5,8 Milliarden Euro. Genau genommen, handelt es sich um das Wichtigste überhaupt; denn wenn die Ernährung im Land nicht stimmt, dann kann man alles andere vergessen. ({1}) 5,8 Milliarden Euro entsprechen 1,9 Prozent des Gesamtetats in Höhe von 325,4 Milliarden Euro. Wenn man sich anschaut, wie groß der Anteil des sozialen Bereichs an diesem Einzelplan 10 ist, dann ergibt sich ein ganz anderes Bild. Im Einzelnen handelt es sich hierbei um folgende Posten: Zuschüsse zur Alterssicherung der Landwirte: 2,28 Milliarden Euro; Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung: 200 Millionen Euro; Zuschüsse zur Gewährung einer Rente an Kleinlandwirte: 44,5 Millionen Euro; Zuschüsse an die Träger der Krankenversicherung: 1,25 Milliarden Euro; Zuschüsse zur Zusatzaltersversorgung für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft: 24,5 Millionen Euro. Das heißt, alles in allem fließen rund 65 Prozent des Einzelplans 10 in den sozialen Bereich. ({2}) Zieht man dann noch die Kosten für das Ministerium bzw. die Verwaltung - das muss ja sein - ab, dann verbleiben diesem Ministerium zur freien Politikgestaltung rund 2 Milliarden Euro. Das ist wahrlich nicht viel. Aber wir haben Glück gehabt: Seitdem es eine christlich-liberale Koalition gibt, hat auch dieses Ministerium eine christlich-liberale Handschrift. ({3}) Diese ist wesentlich besser als die von 2002 bis 2005. ({4}) Dieser Haushalt trägt auch eine liberale Handschrift, zumindest beim Grünlandmilchprogramm. Dieses Programm ist eine gute Sache; denn es hilft den Milchbauern, durch diese Krise zu kommen. Es war äußerst wichtig, dass man da etwas getan hat. Auch hier zeigt sich eine liberale Handschrift. Ein weiterer Punkt, der den Liberalen am Herzen liegt, sind die Liquiditätshilfekredite für die Bauern. Die Politik muss in einer Krise helfen. Wir tun es, natürlich unter Leitung der sehr verehrten und geschätzten Ministerin Frau Aigner, die sehr dynamisch handelt. ({5}) Auch der Zuschuss zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung ist zu erwähnen. Er trägt dazu bei, dass die Lohnnebenkosten der Landwirte gleich hoch bleiben. An all diesen Beispielen sieht man, wie wichtig es ist, dass die FDP hier mitredet; wie wichtig es ist, dass über deutschen Äckern und Feldern ein neuer Wind weht und es auch in diesem Bereich aufwärtsgeht. Es ist wichtig, in der Krise zu helfen. Andere vor uns haben im Bereich der Autoindustrie geholfen. Deshalb möchte ich mit einem Trost für die gebeutelte Autoindustrie, mit einem weiteren Spruch enden: Ist das Geld bis Herbst nicht sauer, kauft sich einen Benz der Bauer. In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge! ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Etat des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz spiegelt authentisch die Haushaltspolitik der Bundesregierung wider. Er ist Teil eines Ganzen; man muss leider sagen: eines trefflich misslungenen Ganzen. ({0}) Wie der Gesamtetat ist auch der Einzelplan 10 ein Versuch, die Öffentlichkeit zu täuschen. ({1}) Sie haben für Ihren Etat einen Begriff in die Öffentlichkeit gesetzt, nämlich den Begriff des Antikrisenhaushalts. Sie versuchen, der Öffentlichkeit irgendwie beizubringen, dass wir uns auf der einen Seite in einem absoluten Schuldenrekordjahr befinden und dass auf der anderen Seite mit der Schuldenbremse, mit Ihrer Fata Morgana von übermorgen, künftighin alles wieder gut werden soll. Sparen ab Neujahr, aber wo? Wenn wir uns den Einzelplan 10 anschauen, stellen wir fest: Er ist ein sehr überschaubares Werk. Wo soll denn da in den Dimensionen, um die es künftig geht, gespart werden? Doch nicht etwa bei den Agrarsozialfonds? Wenn Sie uns die Steuerschätzung im Mai jetzt ständig als Alibi vorhalten und sagen: „Erst dann können wir Ihnen die Wahrheit sagen“, so wird Ihnen das hier im Hause niemand abnehmen. Auch die Öffentlichkeit wird Ihnen dies nicht abnehmen. Das nennen wir Täuschung. ({2}) Ich will zwei Schwerpunkte aus dem Einzelplan 10 aufgreifen, zum einen die Agrarpolitik am Beispiel von Bodenverkäufen besonders in Ostdeutschland - ein aktuelles Thema - und zum anderen den Verbraucherschutz in Zeiten der Krise, wozu ich, was ich ehrlich gestehen muss, nach den herzhaften Worten der Frau Ministerin heute etwas mehr erwartet hätte. Zu den Verkäufen von Böden und Seen. Die Mittel für das bundeseigene Unternehmen BVVG - dies heißt Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH; das sollten wir unseren Zuhörern mitteilen - sind zwar nicht in diesem Etat veranschlagt; aber dieses Unternehmen hat bekanntlich großen Einfluss auf die Entwicklung ländlicher Räume. Wir finden, die Bodenverkaufspolitik der Bundesregierung hat inzwischen zerstörerische Folgen insbesondere für Ostdeutschland. Das wollen wir deutlich sagen und auf keinen Fall hinnehmen. ({3}) Wir haben es mit einer Explosion der Bodenpreise, mit einem Run auf die verbliebenen 400 000 Hektar und damit vor allem mit einer Gefährdung der Agrarbetriebe im Osten zu tun. Ich will deutlich sagen: Die Geschichte der Agrarunternehmen in Ostdeutschland ist weitgehend eine Erfolgsgeschichte. Diese Bäuerinnen und Bauern und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben große gesellschaftliche und ökonomische Umbrüche gemeistert. Sie haben Umbruchserfahrung gesammelt, die anderen Teilen Deutschlands, vor allen in ländlichen Räumen, noch bevorstehen wird. Das alles passt natürlich einem Teil von Ihnen nicht, weil es sich hierbei häufig um die Nachfolgeunternehmen von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften handelt. Dazu will ich Ihnen eines sagen: Hören Sie endlich auf, die agrarischen Produzenten gegeneinander in Stellung zu bringen. ({4}) Das ist der falsche Weg. Wir müssen gemeinsam handeln. In Ihrem Koalitionsvertrag - der einen weiteren Anschlag dieser Art enthält; der Einigungsvertrag hat bekanntlich den Fortbestand der Bodenreform festgeschrieben - überraschen Sie die Öffentlichkeit mit der Bildung einer Arbeitsgruppe, die das alles noch einmal überprüfen soll. Dazu sagen wir Ihnen: Das ist ein weiterer Akt von Lobbyismus. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({5}) Wir fordern: Kein weiterer Verkauf ehemals volkseigener Flächen, sondern faire Verpachtung, keine Bodenspekulationen, sondern Stärkung regionaler Produzenten! Zum Verbraucherschutz in den Zeiten der Krise. Ich muss leider feststellen: Dem Verbraucherschutz geht es wie dem Datenschutz. Es gibt dafür Behörden und Sonntagsreden, und es gibt - das will ich ausdrücklich anerkennen - sehr viele ehrenamtlich und hauptamtlich Engagierte. Dennoch findet Daten- und Verbraucherschutz faktisch nicht statt. Verbraucherinnen und Verbraucher sind den Anbietern von Produkten und Dienstleistungen weitgehend schutzlos ausgeliefert, und diese nutzen ihre Monopolstellung doppelt: zum einen in der Diskriminierung von Verbraucherinnen und Verbrauchern und zum anderen auch in der Diskriminierung von Kleinproduzentinnen und -produzenten. Am Beispiel der Milch wird Ihnen das mein Kollege Süßmair später noch erläutern. Wir fordern für diesen Etat eine bessere finanzielle Ausstattung der Verbraucherschutzverbände, mehr Geld für das Bundesinstitut für Risikoforschung - entsprechende Anträge werden Sie bekommen, einschließlich der Gegenfinanzierung - und mehr Aufsicht und Kontrolle gegenüber den Monopolisten in der Lebensmittelbranche. Frau Bundesministerin, ich hatte es eingangs schon erwähnt: Sie haben ziemlich klare Worte an die Adresse der Banken und deren Kundenberatung gerichtet, die wir unterstützen. In Ihrer Rede sagten Sie, ein Weiter-so darf es nicht geben. Sie fanden die Vorgänge beschämend. Ich warte schon seit zwei Jahren darauf, dass sich einmal jemand anfängt zu schämen, der für den Laden zuständig ist. ({6}) Sie werden auch die Unterstützung der Vorsitzenden der Verbraucherschutzministerkonferenz bekommen. Das war im vergangenen Jahr die Berliner Senatorin Katrin Lompscher. In diesem Jahr ist die Vorsitzende der Konferenz die Ministerin Anita Tack aus Brandenburg. Beide sind Mitglied der Linken. Wir verstehen allerdings Ihre Kritik, Frau Aigner, auch als eine Kritik an Ihrem Kollegen Finanzminister Schäuble. Denn wozu müssen Sie so harsche Worte wählen? Doch nur deshalb, weil er seine Hausaufgaben nicht macht. ({7}) Wenn wir uns alle so übermütig einig sind, was die Managerschelte betrifft - da mache ich gerne mit -, dann möchte ich doch daran erinnern, dass es dieser Deutsche Bundestag war, der 2004 die Zulassung all jener Finanzprodukte veranlasst und beschlossen hat, über deren Folgen wir uns jetzt aufregen. Das kam nicht vom Himmel gefallen, das war eine politische Entscheidung. Wenn Beschämung angebracht ist, dann müssen auch Sie an dieser Stelle mitwirken. ({8}) Der Einzelplan 10 ist ein Beleg für schlechte Agrar- und Verbraucherschutzpolitik. Das muss sich ändern, und das kann sich ändern. Zum Schluss will ich Ihnen sagen, Frau Ministerin: Ihr Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist noch immer ein zweigeteiltes, mit den Standorten Berlin und Bonn. Meine Fraktion meint, es ist Zeit für eine Wiedervereinigung der Bundesregierung in Berlin. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Friedrich Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Was ist eigentlich das agrarpolitische Leitbild dieser Bundesregierung? Wenn man Ihren Reden zur Grünen Woche zuhört, hat man den Eindruck, Sie hätten den Buchtitel Fleisch ist mein Gemüse zum alleinigen Leitbild gemacht. ({0}) Es ist schon atemberaubend, wie Sie, Frau Ministerin, sich bei dieser Frage von Ihren eigenen Leuten wie Peter Bleser, vom Bauernverband und der Fleischlobby vorführen lassen. Noch im Dezember hatten Sie zum Klimaschutz reduzierten Fleischkonsum empfohlen. Wir finden das sehr richtig. Zum Start der Grünen Woche kam aber die Kehrtwende unter dem Motto: Alle reden vom Klima, nur wir vom Schweinebraten. Da waren Sie auf einmal wieder ganz dicht an der Seite von Herrn Sonnleitner, der erst gestern, auf dem Milchabend, wieder verkündete: Wer kein Fleisch isst, kann nicht klar denken. ({1}) Wie zu besten CMA-Zeiten preisen Sie auf einmal wieder den ungebremsten Fleischkonsum und erklären wörtlich: Wir müssen Treibhausgase aus der Landwirtschaft in Kauf nehmen. Als hätte es den Gipfel in Kopenhagen nicht gegeben, als gäbe es kein 2-Grad-Ziel der Bundeskanzlerin, der Regierung und der sie tragenden Koalition, rechnen Sie öffentlich den Anteil der Landwirtschaft an den Klimagasen, der laut Umweltbundesamt 13 bis 15 Prozent beträgt, auf abenteuerliche 6 Prozent herunter und erklären die Landwirtschaft kurzerhand als vom Klimaschutz ausgenommen. Bei Ihrem klimapolitischen Blindflug werden Sie von einer FDP unterstützt, die am liebsten den Dieselverbrauch mit Steuergeldern zusätzlich ankurbeln würde. Welch ein Wahnsinn, Frau Happach-Kasan, den Dieselverbrauch mit Steuergeldern zu subventionieren! So sind Sie, Frau Ministerin, in dieser Woche in das internationale Agrarministertreffen zu Landwirtschaft und Klimawandel hier in Berlin eingestiegen. Entsprechend dürftig waren die Ergebnisse. Frau Ministerin, Ihr Ziel scheint es zu sein, Deutschland zum Fleischexportweltmeister zu machen. Ihre Partner dabei sind die Wesjohanns dieser Welt, deren Slogan ist: Mit der Wahrheit machen wir das beste Geschäft. Sie nennen ihre Betriebe „Wiesenhof“, obwohl sie in Wahrheit „Qualhof“ heißen müssten, und machen die Bauerfamilien zu Lohnarbeitern auf ihren eigenen Höfen. Wissen Sie eigentlich, was auf dem Land los ist, wo die Agrarindustrie ihre Hähnchen-, Hühner-, Schweine-, Puten- und Ziegenbatterien errichten will? Es herrscht Krieg zwischen den Dorfbewohnern und den Investoren. Das ist die Realität. ({2}) Wir überschwemmen die Welt mit billigem Fleisch; wir plündern die Welt für unsere Futtermittel aus, zerstören das Klima, und Sie feiern das auf dem Erlebnisbauernhof der Grünen Woche als Erfolg. Welch ein Irrsinn! ({3}) Dabei hat die Landwirtschaft ein gewaltiges Potenzial, nicht nur klimaneutral zu werden, sondern aktiv Klimaschutz zu betreiben. Die Landwirtschaft kann eine echte Zukunftsbranche werden. Dafür müssen wir aber jetzt umsteuern: Wir müssen auf Regionalität statt auf den Weltmarkt setzen, auf Grünland statt auf Mais, auf ökologische Anbauverfahren statt auf Kunstdünger, auf gutes statt auf unbegrenzt viel Fleisch, ({4}) auf Bauernhöfe statt auf Agrarfabriken. Das ist die Aufgabe der Zukunft. Wir müssen den derzeitigen Vernichtungsfeldzug gegen die bäuerliche Landwirtschaft endlich stoppen. Es geht hier nicht um Nostalgie. Es geht nicht um Romantik. Es geht auch nicht um ein paar Bauern wie mich. Es geht darum, dass wir drauf und dran sind, mit der bäuerlichen Landwirtschaft die Form der Landwirtschaft zu verlieren, die im Weltagrarbericht im Hinblick auf Klimawandel, Ressourcenschutz, Armut, Hunger und soziale Gerechtigkeit als das Zukunftsmodell herausgestellt wurde. Wir alle zusammen können diese Entwicklung stoppen. Das erfordert aber eine klare Richtungsentscheidung und Führungskraft. Beides vermissen wir bei Ihnen, Frau Ministerin Aigner. ({5}) Sie sind die Ministerin aller Bäuerinnen und Bauern und nicht nur die Ministerin des Deutschen Bauernverbandes. Die Agrarreform 2013 darf nicht darauf hinauslaufen, dass weiterhin vor allem die Großbetriebe profitieren, dass weiterhin 80 Prozent der Fördermittel an 20 Prozent der Betriebe fließen und weiterhin 70 Prozent der Betriebe, eben die kleinen, nur 10 Prozent der Gelder erhalten. Künftig dürfen nur noch Betriebe mit Steuergeldern gefördert werden, die sich für Klima-, Umwelt-, Natur- und Tierschutz sowie für Arbeitsplätze engagieren. Es liegt in Ihrer Verantwortung, dafür den politischen Rahmen zu schaffen. Zur Gentechnik. Wann immer es dieser Tage um die Gentech-Kartoffel Amflora geht, erklären Sie lediglich, Sie würden die Entscheidungen aus Brüssel abwarten und akzeptieren. Das ist zu wenig, Frau Aigner. Sie sind die Ministerin, Sie tragen die politische Verantwortung. Ihr kleiner Koalitionspartner überlässt das weit weniger dem Zufall. Er verfolgt ganz offen die Interessen einer zahlungskräftigen Klientel und funktioniert den Koalitionsvertrag zum Vermarktungskatalog einzelner Produkte um. ({6}) Da fragt man sich, was BASF und Monsanto wohl lockergemacht haben, um ihre Lieblingsprodukte Amflora und MON 810 in den Koalitionsvertrag zu bekommen. ({7}) Meine Damen und Herren von der FDP, Sie machen die Politik leider zu einem schmuddeligen Krämerladen. Wir erwarten von Ihnen, Frau Aigner, mehr als diese Schmalspurklientelpolitik. Wir erwarten, dass Sie die große Mehrheit der Deutschen vertreten, die nun einmal keine Gentechnik auf dem Acker und auf dem Teller will. ({8}) Handeln Sie danach, dann werden auch wir Sie unterstützen. Gleiches gilt für die Milch. Ob die bäuerliche Milcherzeugung bei uns weiterbestehen wird oder nicht, ist eine Frage der politischen Rahmenbedingungen. Die setzen momentan nur Sie von der Koalition. Erzählen Sie uns nicht, es sei ein Naturgesetz, dass die bäuerliche Milchwirtschaft verschwinden muss. Sagen Sie klipp und klar, was Sie wollen. Stehen Sie dazu! Es ist ja nun nicht so, dass Sie mit den öffentlichen Geldern aus dem Agrarhaushalt besonders sparsam umgehen. 750 Millionen Euro für die Milchbauern sind eine Menge Geld, mit dem Zukunftsimpulse für die Landwirtschaft hätten gesetzt werden können. Aber was machen Sie damit? Sie erfinden die Abwrackprämie für Milchbauern. Für meine Frau daheim mit 30 Kühen heißt das: 1 Cent pro Liter für zwei Jahre - und dann ab auf den Schrotthaufen mit der bäuerlichen Milchwirtschaft. Ihnen fehlt der Gestaltungswille. Ihnen fehlen die Ideen. Das versuchen Sie mit kopflosem Geldausgeben zu kaschieren. Frau Aigner, erkennen Sie, dass Sie von Herrn Sonnleitner schlecht beraten worden sind, oder warum musste der Kopf des Bauernverbands in Ihrem Haus, Staatssekretär Lindemann, an diesem Wochenende so plötzlich seinen Hut nehmen? Ihre Vorgängerin, Renate Künast, hat mit der Agrarwende den richtigen Weg eingeschlagen. ({9}) Sie hat den Bäuerinnen und Bauern eine Zukunftsperspektive aufgezeigt. Knüpfen Sie daran an! Übernehmen Sie die Führung in dieser Richtung! Richten Sie Ihren Haushalt entsprechend aus! Stärken Sie die wirklich innovativen Kräfte in der Landwirtschaft. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es neben dem Bauernverband noch andere Kräfte gibt. Überlassen Sie die Folklore dem Bauernverband und Herrn Bleser. Dann werden Sie auch meine und unsere Unterstützung haben. Schönen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Ostendorff, dies war zwar nicht Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag, aber immerhin in dieser Legislaturperiode. Seien Sie uns wieder willkommen! Gute Zusammenarbeit! ({0}) Das Wort hat nun Kollege Georg Schirmbeck für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man fünfeinhalb Stunden hier gesessen und sich die Beiträge aller Redner angehört hat, dann hat man den Eindruck, hier sei Schizophrenie ausgebrochen. Wir reden auf der einen Seite von Krise, von einer Rekordverschuldung und von Finanzierungsproblemen. Auf der anderen Seite erklären die Redner, wir müssten noch dies und das machen, hier müsse mehr Geld zur Verfügung gestellt werden, da müssten statt einer halben Milliarde 5 Milliarden Euro bereitgestellt werden usw. usf. Wir befinden uns in einer Haushaltsdebatte. Die Wahrheit ist: Egal wer hier regiert - das gilt auch, wenn Sie morgen regieren würden -, wir werden auf Dauer weniger Geld haben. Wir haben nämlich Folgendes komplett ausgeblendet: Wir sind eine rapide alternde Gesellschaft. Die demografische Entwicklung ist in unseren Haushaltsbilanzen gar nicht berücksichtigt. Das heißt, selbst wenn das, was wir uns wünschen, dass es in den nächsten Jahren zu einer guten wirtschaftlichen Entwicklung kommt, tatsächlich eintrifft, werden die Probleme nicht weniger. Es gibt also überhaupt keine Alternative dazu, mit weniger Geld oder, um im Jargon der Linken zu bleiben, mit weniger Kohle effizienter zu arbeiten. Deshalb müssen wir uns gar nicht vorwerfen, wer was nicht kann. Dass die Opposition immer die besseren Konzepte hat und die Regierung unfähig ist, das ist in jedem Parlament so. Darüber muss man doch nicht in den ersten zwei Minuten jeder Rede sprechen. ({0}) Jetzt werden Sie sagen: Was ist denn in dem Bereich, Schirmbeck, in dem du seit sieben Jahren mitarbeiten darfst und in dem du im Haushalt die Dinge mitgestalten darfst, geschehen? Wir haben die Ressortforschung neu organisiert. Die Ministerin hat erklärt: Uns stehen 400 Millionen Euro zur Verfügung. Mittlerweile geben wir in diesem Bereich weniger Mittel aus. Wir haben Institute zusammengelegt; davon waren über 3 000 Leute betroffen. Wir haben Standorte aufgelöst und neue geschaffen, und zwar ohne großen Klamauk. Wir haben in diese ganze Branche mit weniger Geld mehr Effizienz hineingebracht. Das ist das, was von uns erwartet wird, und nicht, dass wir uns wechselseitig bescheinigen, dass wir unfähig sind. ({1}) Ich sage es noch einmal deutlich, in großer Harmonie mit dem Personalrat: Dass nicht jeder Einzelne froh ist, wenn er umziehen muss, wenn ein Arbeitsplatz wegfällt oder wenn der eine oder andere Traum nicht erfüllt wird, ist klar. Aber das ist Teil der Aufgaben, die wir anzugehen haben. In diesem Zusammenhang darf ich sagen: Ich habe mich bei der Ministerin, bei den Staatssekretären, aber auch beim Haushaltsdirektor und seinen Mitstreitern für die immer sachliche Zusammenarbeit zu bedanken. Wir müssen nicht wechselseitig Vorurteile austauschen, sondern arbeiten wechselseitig konkret an der Lösung der Aufgaben. Ich komme zum Verbraucherschutz. Nachdem ich das letzte Mal hier gesprochen habe, haben wir beschlossen, dass wir der Stiftung Warentest 50 Millionen Euro zur Verfügung stellen wollen. Der Kollege Kelber war ein bisschen schneller und hat in seiner Presseerklärung etwa 125 Millionen in Aussicht gestellt. Jetzt haben wir im Haushaltsausschuss die Mittel, die wir noch als Große Koalition eingeplant haben, freigegeben. Es hat mich sehr gewundert, dass der Kollege Schwanitz, der jetzt wohl die agrarpolitische Führerschaft übernommen hat, obwohl damals noch von 125 Millionen Euro die Rede war, noch nicht einmal bereit war, 50 Millionen Euro freizugeben. ({2}) So schnell ändert sich das. Wenn man so Politik macht, Herr Kelber, dann wird man unglaubwürdig und dann hat man einigen Grund, sich zu schämen. ({3}) Es geht also darum, mit weniger Geld mehr zu machen. Die Stiftung Warentest beispielsweise baut eine Stiftung auf. Das führt auf Dauer dazu, dass aus dem Bundeshaushalt weniger Mittel an die Stiftung Warentest fließen werden, die Stiftung Wartentest unabhängiger sein wird, sie also aus sich heraus ihre verdienstvollen Aufgaben wahrnehmen kann. Das ist die Politik, von der ich gesprochen habe. Im Wahlkampf wurde oft über das Milchprogramm gesprochen. Das wurde den Parteien abverlangt. Auch ich habe viele Briefe von Bäuerinnen und Bauern bekommen, die ich gut kenne. Ich habe allen gleichlautend geantwortet: Ich verspreche euch vor der Wahl nichts, was ich nach der Wahl nicht halten kann. Wenn es ein alternatives, überzeugendes Milchprogramm gäbe, wäre es doch gerade für CDU/CSU und FDP naheliegend, zu sagen, dass wir es umsetzen. Ehrlich gesagt, gibt es dieses Programm noch nicht. Nehmen wir einmal die Fakten, die Wahrheit zur Kenntnis. In Osnabrück haben wir eine Buchstelle beim Landvolk. Dort kann man genau sehen, welcher Betrieb mit welchen Deckungsbeiträgen auskommt. Wenn Sie zwei im Hinblick auf die Inhaber und deren Ausbildung vergleichbare Betriebe betrachten, dann müssen Sie feststellen, dass der eine Betrieb mit 20 Cent Deckungsbeitrag auskommt und der andere mehr als 30 Cent braucht, um im grünen Bereich zu sein. Jetzt frage ich Sie: Wollen wir diese Unterschiede, dieses unterschiedliche unternehmerische Geschick mit Steuermitteln ausgleichen? Herr Ostendorff, Sie haben eben gesagt, wir hätten kein Leitziel. Ich nenne Ihnen ein Leitziel. Wissen Sie, warum ich mich engagiere? Weil ich überzeugt bin von der Idee Ludwig Erhards von der sozialen Marktwirtschaft. Um dafür zu kämpfen, sitze ich mit meinen Freunden im Deutschen Bundestag. Das wollen wir umsetzen. ({4}) Wenn wir eine besondere Krisenentwicklung sehen, dann ist es doch naheliegend, unter dem Leitmotiv der sozialen Marktwirtschaft das eine oder andere an Schwierigkeiten abzumildern. Das und nichts anderes machen wir mit diesen 750 Millionen Euro. ({5}) Ich sage deutlich: Es gibt zu den Strukturveränderungen gerade in der Milchwirtschaft keine Alternative; das ist eine kurzfristige Hilfe. Hilfe leisten wir auch in Bereichen, wo sie dauerhaft wirkt. Wenn wir beispielsweise in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung die Mittel erheblich aufstocken, dann führt das nicht nur dazu, dass wir mittelfristig, vielleicht sogar langfristig, keine höheren Beiträge brauchen, sondern auch dazu, dass wir die landwirtschaftliche Unfallversicherung langfristig krisenfest machen. Damit helfen wir den Bäuerinnen und Bauern und dem Bundeshaushalt. Auch das ist die richtige Politik. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Steiner von den Grünen?

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das möchte ich jetzt nicht. Mit der Kollegin Steiner kann ich in Osnabrück über alles sprechen. Wir brauchen hier keine Stadtratspolitik zu machen. ({0}) Hier ist über den Agrardiesel gesprochen worden. Beim Agrardiesel stellt sich gar nicht die Frage nach weiteren steuerlichen Vergünstigungen. Beim Agrardiesel brauchen wir vielmehr eine europäische Harmonisierung. Wir brauchen eine Agrardieselbesteuerung wie in unseren Hauptwettbewerbsländern. Wenn wir diese haben, dann werden wir uns beim Agrardiesel sehr schnell einig. Ich habe über Sparen gesprochen. Ich habe darüber gesprochen, wie bescheiden die Ressourcen in den nächsten Jahren sein werden. Jetzt gibt es durchaus Bereiche, in denen Geld eingenommen wird. Von unserer Wirtschaft müssen Verschmutzungszertifikate gekauft werden. Dadurch kommen erhebliche Mittel in den Bundeshaushalt. Diese Mittel werden für Umweltschutzmaßnahmen ausgegeben. Das ist richtig; das ist im Interesse von Ressourcenschonung und Umweltschutz. ({1}) Aber man muss sich schon fragen, was mit den Mitteln geschieht. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir diese Mittel viel lieber - ich sage es einmal so - südlich der Sahara einsetzen und uns dann fragen, wo die Mittel geblieben sind, statt sie in Deutschland gezielt in Maßnahmen einzusetzen. Ich gehe davon aus - das hat die Ministerin angekündigt -, dass es demnächst einen Waldklimafonds in Deutschland geben wird. Denn wenn wir unsere Forstwirtschaft zukunftsfest machen, dann dient uns das hier ganz konkret, dann dient das der deutschen Forstwirtschaft und dem Umweltschutz. ({2}) Wir haben in unserem Haushalt in jedem Jahr einen größeren Ansatz. Das betrifft die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Nach den Zahlen, die wir jetzt beraten, sind wir in der Lage, hierfür 100 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Vor dem Hintergrund dessen, was ich eingangs sagte, betone ich: Ich glaube nicht, dass wir diese Zahl werden halten können, und ich glaube auch nicht, dass wir sie zukünftig halten werden. Denn wenn wir weniger Ressourcen zur Verfügung haben, werden wir uns an der einen oder anderen Stelle überlegen müssen, wo wir einsparen. Ich sage das auch deshalb, weil es schon heute Länder gibt, die gar nicht in der Lage sind, alle Mittel, die ihnen zustehen, abzurufen. ({3}) Ein weiterer Punkt, über den wir uns noch zu unterhalten haben, ist die Absatzförderung. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist es nicht möglich, die bisherige gesetzliche Regelung beizubehalten. Wir müssen also zu einer freiwilligen Lösung kommen. Ich wäre bereit, gemeinsam mit den Arbeitskreisen Finanzen und Landwirtschaft zu überlegen, wie man der Wirtschaft beim Start helfen kann. Das setzt aber voraus, dass sich die Wirtschaft bei der Absatzförderung auch selber engagiert. Manch einer, der in diesem Bereich tätig ist, sollte sich einmal fragen, ob er dem Berufsstand mit seiner Erbsenzählerei, Kleinkariertheit oder Borniertheit wirklich hilft. Ich fordere ein Umdenken. Wir können nur dann öffentliche Mittel zur Verfügung stellen, wenn auch die Wirtschaft bereit ist, sich zu beteiligen. ({4}) Auch dies gehört zum Leitbild der sozialen Marktwirtschaft, die wir vertreten. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Mir liegen zwei Anmeldungen zu Kurzinterventionen vor. Zunächst hat der Kollege Ulrich Kelber das Wort. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deswegen ist es immer gut, verschiedene Informationsquellen zur Verfügung zu haben, Herr Kollege Schirmbeck. - In der Tat hat es damals aufgrund des spezifischen Wunsches von Herrn Kauder, der Stiftung Warentest einen einmaligen Stiftungszuschuss zukommen zu lassen, eine Kontaktaufnahme der CDU/CSUFraktion mit der Stiftung Warentest gegeben. Es wurde ein Betrag von 125 Millionen Euro übermittelt. Dann folgte die Rückfrage, die wir bestätigt haben. Wenn Sie die Möglichkeit hätten, zu recherchieren, zum Beispiel im Internet, hätten Sie sich die Pressemitteilung, die Sie gerade erwähnt haben, in Gänze ausdrucken können. Sie ist vom 21. November 2008, und sie lautet wie folgt: Zu dem Beschluss des Haushaltsausschusses, die Stiftung Warentest mit zusätzlichem Stiftungskapital in Höhe von 50 Millionen Euro auszustatten, erklären der stellvertretende Vorsitzende der SPDBundestagsfraktion Ulrich Kelber und die Sprecherin … Waltraud Wolff: … So steht es im Original, das man finden kann. Herr Kollege Schirmbeck, ich bin gespannt, ob Sie zwei Dinge unterstützen. Erstens frage ich Sie, ob Sie der Meinung sind, dass das Ministerium endlich einer Aufgabe nachkommen sollte, die es schon seit längerer Zeit hat, nämlich ein Gutachten bzw. eine Studie zur Gesamtfinanzierung des Verbraucherschutzes in Deutschland zu erstellen, statt nur einen Einzelzuschuss zu gewähren. Zweitens frage ich Sie, ob Sie entsprechenden Anträgen der Opposition folgen werden. Seit Ausbruch der Krise liegen zum Beispiel im Bereich der unabhängigen Finanzberatung große Aufgaben vor uns. Bei diesem Thema bewegt sich in der CDU nichts. Es wäre besser, Sie würden sich hier einsetzen, statt falsch aus Pressemitteilungen zu zitieren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Es folgt eine zweite Kurzintervention. Dann können Sie, Kollege Schirmbeck, beide auf einmal beantworten. Das Wort hat Kollegin Dorothea Steiner von den Grünen.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Ich hatte vorhin versucht, dem Kollegen Schirmbeck eine Zwischenfrage zu stellen. Jetzt möchte ich den Punkt, um den es mir geht, in einer Kurzintervention beleuchten. Herr Schirmbeck hat gesagt, es gebe Milchbauern, die mit 20 Cent pro Liter auskämen, während andere 30 Cent pro Liter bräuchten. In Wirklichkeit ist es so, dass man erst ab ungefähr 31 Cent pro Liter an Wirtschaftlichkeit denken kann. Ich würde gerne von Ihnen wissen - wir haben im Osnabrücker Land, wo auch ich herkomme, dieselben Milchbauern besucht -, ob Sie einen Milchbauern kennen, der kein Agrarindustrieller ist und von 20 Cent pro Liter leben kann. Oder ist ein vernünftiger Preis, um auch die Existenz der Milchbauern zu schützen, nicht eher bei 31 Cent pro Liter aufwärts anzusetzen? Gibt es dazu vielleicht Ihrerseits Vorschläge und Überlegungen, wenn Sie das Ziel, die Existenz der Milchbauern zu schützen, sogar zu einem Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft erklären? Auch wir finden, dass die Existenz der Milchbauern gesichert werden muss. Sie dürfen nicht geknechtet und zu den Preisen, die sie zurzeit bekommen, gezwungen werden. Sie wissen genau, dass es die großen Verbrauchermärkte sind, die sie dazu zwingen. Ich würde gerne wissen: Auf welcher Seite stehen Sie, und was werden Sie tun, um die Situation der Milchbauern zu verbessern? ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Schirmbeck, bitte.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kelber, Sie kommen aus Bonn; das ist natürlich das Zentrum der Welt. Ich komme aus dem Landkreis Osnabrück, aus Ohrbeck, aber so ein Handy habe ich auch. Ich werde Ihnen die ausgedruckte Presseerklärung, die uns im Ausschuss vorgelegen hat, zur Verfügung stellen. Dann können Sie sich selber davon überzeugen. Ich habe überhaupt nicht den Ehrgeiz, Ihnen irgendetwas unterzuschieben, was so nicht war. Frau Kollegin Steiner, Sie kommen aus der Stadt Osnabrück, ich aus dem Landkreis Osnabrück; das muss man schon unterscheiden. ({0}) Wir haben aber eines gemeinsam: Wir lesen dieselbe Zeitung. Der Präsident des Europäischen Parlaments war auf einem Hof im Osnabrücker Land, der von fünf Familien, Kleinbauern, die sich zusammengeschlossen haben, geführt wird. Der Großteil der Fläche, die sie bewirtschaften, ist Pachtfläche. Vor den anwesenden Pressevertretern hat der Sprecher dieser Bauern erklärt, er komme mit 19 Cent pro Liter Milch aus. Das ist einer, der mit dieser Truppe erfolgreich ist. Er ist auch kein Spinner. Er ist in der Milchwirtschaft unterwegs. Im Osnabrücker Land kennen ihn alle. Wenn Sie Fragen haben, gehen Sie zu ihm. Frau Ministerin und ich sind gemeinsam da gewesen. Die Familie ist sehr aufgeschlossen. So wie ich die kenne, wird man Ihnen genau erklären, wie sich das verhält. Im Übrigen: Wenn wir mit dem Zug nach Hause fahren, können wir in Ruhe darüber sprechen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Elvira Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion.

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 81 Prozent der Bundesbürger wollen ein neues Regierungsprogramm. Das ist das Ergebnis einer Emnid-Umfrage aus der letzten Woche. Warum ist das so? Weil diese Bundesregierung kopf- und konzeptionslos agiert. Das zeigt auch der Haushaltsentwurf: Es gibt keine Richtung, keine Linie, keine Vorstellung von der Zukunft. So kann man weder die Gegenwart meistern noch die Zukunft gestalten. Wer die Wirtschaft, auch die Landwirtschaft, zukunftsfähiger machen will, muss den Markt vom Endabnehmer aus denken, also vom Verbraucher aus. Verbraucherpolitik aber, Frau Ministerin, kommt im Haushaltsentwurf kaum vor. Zwar werden großzügig Steuergelder verteilt - der Etat des BMELV wird wider die Vernunft um 572 Millionen Euro erhöht -; aber für verbraucherpolitische Maßnahmen sind mit 148 Millionen Euro gerade einmal 2,5 Prozent des Etats des BMELV vorgesehen. Zum Vergleich: Für den Posten „Sonstiges“ sind im Tortendiagramm des Haushalts des BMELV 469 Millionen Euro angegeben. - So weit zum Stellenwert, den Verbraucher für diese Bundesregierung haben. Es ist schon frech, wenn die zuständige Staatssekretärin behauptet, für den Verbraucherschutz werde viel getan. Es ist ein großer Unterschied, ob man viel ankündigt oder wirklich etwas tut. ({0}) Die Verbraucherpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung ist weder gegenwarts- noch zukunftsfähig; denn aus den verheerenden Folgen, die die Bankenkrise für die Verbraucher hat, werden keine Konsequenzen gezogen. Kein Cent mehr ist für die Verbraucherzentralen und ihren Bundesverband vorgesehen. Dabei mussten gerade sie den Beratungsbedarf der Verbraucher in der Krise auffangen. Sie konnten dies aufgrund der knappen finanziellen Ausstattung leider nur unzureichend leisten; von der Einrichtung eines Marktwächters gar nicht zu reden. Der Bankenskandal hat gezeigt, wie wichtig eine unabhängige Beratung der Verbraucher ist, und dies können am besten die Verbraucherzentralen leisten. Es ist absehbar, dass der Beratungsbedarf in Zukunft noch steigen wird. Deshalb fordern wir die Errichtung einer Stiftung zur Finanzierung der Verbraucherarbeit. ({1}) Für die Linderung der Not der Landwirte hat die schwarz-gelbe Regierung Geld im Haushalt vorgesehen, für die Finanzierung der Verbraucherarbeit aber nicht; so sehen die Prioritäten dieser Bundesregierung aus. Ein zweiter Punkt, Frau Minister: Sie sind den Verbraucherinnen und Verbrauchern noch immer eine Informationskampagne zur „Ohne-Gentechnik“-Kennzeichnung schuldig. ({2}) Nachdem nun auch Lidl Milch von Kühen anbietet, bei denen auf die Verfütterung von gentechnisch veränderten Pflanzen verzichtet wird, müsste doch auch der Letzte begriffen haben, dass dies ein Marktsegment mit großem Potenzial ist. Die Verbraucher wollen keine Gentechnik auf dem Feld und erst recht nicht auf dem Teller. Um ihre Wahlfreiheit nutzen zu können, müssen Verbraucher endlich korrekt und verständlich über das Ohne-Gentechnik-Angebot informiert werden. Ein dritter Punkt: Im Wahlkampf hat sich die CSU noch mit ihrer Unterstützung für die gentechnikfreien Regionen überschlagen. Was ist daraus geworden? Nichts als leere Worte. Neben der rechtlichen Absicherung brauchen wir auch eine bessere Vernetzung. Wir fordern, dass dafür Mittel eingestellt werden; denn in den GVO-freien Regionen wird das angebaut, was Verbraucher wollen. ({3}) Ein vierter Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der nachhaltige Konsum. Dieses wichtige Thema ist mit lächerlichen 500 000 Euro angesetzt. Auch wenn sich diese Bundesregierung den Herausforderungen Klimawandel, Wirtschaftskrise und Sozialdumping verweigert: Bei den Verbrauchern ist diese Botschaft längst angekommen. Sie wollen mit bewusstem Konsum zu einem klimafreundlicheren und sozialverträglicheren Markt beitragen. Sie wollen Produkte von Unternehmen kaufen, die faire Löhne zahlen und die Umwelt schonen. Das ist gut und hat bei vielen Unternehmen bereits positive Entwicklungen eingeleitet. Aber auch das sogenannte Greenwashing hat zugenommen. Es ist schwer zu beurteilen, welche Aussagen seriös sind. Verbraucher brauchen Aufklärung und klare Definitionen. Wir wollen eine Datenbank, die als nachhaltig beworbene Produkte für die Verbraucher vergleichbar und bewertbar macht. Ein fünfter Punkt ist, dass wir die Verbraucherforschung brauchen. Sie wollen doch immer den mündigen, gut informierten Verbraucher. Aber wenn es darum geht, Verbrauchern verständliche Informationen zur Verfügung zu stellen, dann verweigert sich diese BundesElvira Drobinski-Weiß regierung. Als Beispiele nenne ich die Nährwertampel und den Finanz-TÜV. Informationen müssen aber verständlich sein. Wir brauchen Untersuchungen darüber, welche Informationen für Verbraucher wichtig sind und wie sie aussehen müssen. Dafür benötigen wir Mittel. Hier aber herrscht ein großer Mangel an Problembewusstsein auf der schwarz-gelben Seite. So gibt die Ministerin den Verbrauchern selbst die Schuld an Lebensmittelimitaten wie dem Analogkäse. Zwar bin auch ich der Meinung, dass uns Essen endlich wieder mehr wert sein muss. Es gibt viele Beispiele dafür, dass das Preisdumping im Lebensmittelbereich zulasten der Qualität geht. Die Qualität muss aber für Verbraucher auch erkennbar sein. Der Preis ist auf den ersten Blick erkennbar; bei Imitaten ist das nicht so leicht. Solange dies so ist, können wir die Verbraucher nicht als „Billigheimer“ geißeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Verschwendung von Steuergeldern, Zukunfts- und Perspektivlosigkeit zeichnen diesen Haushaltsentwurf aus. Wir haben ein Konzept: Wir wollen einen zukunftsfähigen Haushalt, setzen neue Schwerpunkte und werden Ihnen zeigen, welch enormes Einsparungspotenzial es gibt. Willy Brandt hat einmal gesagt, der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, sei, sie zu gestalten. Von Gestaltungswillen fehlt aber bei diesem Haushaltsentwurf jede Spur. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Rainer Erdel für die FDPFraktion. ({0})

Rainer Erdel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004031, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Stunde hat man sehr viel über die Agrarpolitik gehört: Man hat sehr viel gehört, was richtig ist, und man hat sehr viel gehört, was falsch ist. - Es wurden unterschiedliche Vorwürfe gemacht, und ich fange gleich mit dem letzten Vorwurf an: Frau Kollegin, wenn Sie der Bundesregierung vorwerfen, sie habe beim Klimaschutz versagt, dann muss ich darauf hinweisen, dass sich die neue Bundesregierung bereits vor der Klimakonferenz in Kopenhagen ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt hat und dieses Ziel auch erreichen wird. Es waren gerade sozialistische Länder, die einen Erfolg dieser Klimakonferenz verhindert haben. ({0}) Wir alle sind - mit unterschiedlicher Ausprägung vom Ergebnis der Konferenz in Kopenhagen nicht begeistert. Aber wir müssen uns trotz aller Diskussionen über eines klar werden: Uns stehen 12 Prozent der Erdoberfläche für die Produktion von Lebensmitteln zur Verfügung. Der Rest unserer Erde sind Permafrost, Wüste, Urwald und Gebirge. Wir sollten auch nichts an diesem prozentualen Verhältnis ändern; denn es ist der Motor unseres Klimas. Wir in Europa, in Deutschland haben das große Glück, auf diesen 12 Prozent zu leben. Bei uns ist Landwirtschaft möglich. Unsere Landwirte haben in den letzten 50 Jahren bewiesen, dass sie in der Lage sind, die Ressourcen richtig einzusetzen und zu nutzen. So ist es der Landwirtschaft in Deutschland gelungen, hochwertige Lebensmittel in einem Umfang zu erzeugen, der geradezu gigantisch ist. Das war die Entwicklung von 1950 bis zum Jahr 2000. Diese Entwicklung gibt uns die Möglichkeit, über neue Technologien auch in der Energieerzeugung nachzudenken. So hat sich in den letzten Jahren eine neue Technologie entwickelt, durch die es möglich ist, mit Biomasse grundlastfähige Energie zu erzeugen. Es sind sehr viele Arbeitsplätze und Alternativen für unsere lebensmittelerzeugenden Betriebe entstanden. Wenn ich aber die Vorwürfe höre, die hier geäußert wurden, dann muss ich mich fragen, warum wir diese Situationsbestimmung vornehmen und Probleme diskutieren, die als Ergebnis der Agrarpolitik der Vergangenheit anzusehen sind. Herr Ostendorff, Sie haben darauf hingewiesen, dass eine Reduzierung der Agrardieselbesteuerung zu einem steigenden Verbrauch führen wird. Der Sinn dieser Denkweise verschließt sich mir; denn dann könnte man ähnlich argumentieren, dass ein Zuschuss zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung dazu führen würde, dass die Zahl der landwirtschaftlichen Unfälle steigt. Das ist absurd. ({1}) Das Ziel dieser Bundesregierung ist es, mit dem Sofortprogramm die Auswüchse einer fehlgeleiteten Agrarpolitik - dafür mache ich auch Frau Ministerin Künast, die Sie sehr lobend erwähnt haben, verantwortlich - zu korrigieren, um als nächsten Schritt unsere Landwirtschaft für die Zeit nach 2013 wettbewerbsfähig zu machen. 2013 ist das Schlüsseljahr. Wir müssen erreichen, dass unsere Landwirtschaft im europäischen Wettbewerb mithalten kann. Wenn der Liter Agrardiesel in Frankreich mit 0,7 Cent und in Irland mit 4,7 Cent besteuert wird und gleichzeitig die Mehrwertsteuersätze in diesen Ländern geringer sind als bei uns, dann haben wir es mit einer sehr starken Wettbewerbsverzerrung zu tun, die wir korrigieren müssen. ({2}) Wir sind mit dem Sofortprogramm Landwirtschaft auf dem richtigen Weg. Wir versuchen, Fehlentwicklungen zu korrigieren, die im agrarpolitischen Bereich, aber auch in den Folgen der Wirtschaftskrise begründet sind. Wir werden die Weichen stellen - dazu hat diese neue Bundesregierung die Kraft -, um die deutsche Landwirtschaft im europäischen Wettbewerb für die internationalen Märkte der Zukunft fit zu machen. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Erdel, dies war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Meine Gratulation und unsere herzlichen Wünsche für eine gute Zusammenarbeit! ({0}) Das Wort hat nun Kollege Alexander Süßmair für die Fraktion Die Linke. ({1})

Alexander Süßmair (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004172, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Frau Bundesministerin Aigner! Meine Damen und Herren! Der Preisverfall bei der Milch im vergangenen Jahr hat die Landwirtschaft hart getroffen. Wie in meiner Heimat Bayern steht vielen Milchbetrieben in ganz Deutschland das Wasser bis zum Hals. Ihre Existenz ist massiv bedroht. Die Bundesregierung will den Landwirten mit insgesamt 750 Millionen Euro Soforthilfe helfen. Damit soll, so Ministerin Aigner, der unerwartet massive Verfall der Erzeugerpreise aufgefangen werden. 500 Millionen Euro soll den Landwirten in den nächsten beiden Jahren in Form einer Grünland- und Kuhprämie gewährt werden. Mit einem Zuschuss zur Unfallversicherung in Höhe von 200 Millionen Euro sollen die Beiträge für die Bauern um etwa 45 Prozent gesenkt werden. Die restlichen 50 Millionen Euro sollen für verbilligte Kredite ausgegeben werden. Der Preisverfall bei der Milch durch ein Überangebot kam aber alles andere als unerwartet, Frau Bundesministerin Aigner. Das Desaster in der Agrarpolitik hat unter Schwarz-Rot begonnen und findet seine Fortsetzung unter Schwarz-Gelb. Sie werfen mit dem Sofortprogramm 750 Millionen Euro auf den Tisch - Geld, das die Bäuerinnen und Bauern sicherlich gerne nehmen und dringend brauchen -, aber lediglich zur Beruhigung der Lage. Es handelt sich nicht um ein Programm, das hilft, die strukturelle Krise zu überwinden. ({0}) Die Milchbetriebe haben durch den Erzeugerpreisverfall innerhalb eines Jahres 10 Cent pro Kilo verloren. Das sind gut ein Drittel ihrer Einnahmen. Allein auf Deutschland bezogen, handelt es sich um Milliardenverluste. Die 350 Millionen Euro aus dem Sofortprogramm für die Milchbetriebe sind daher nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Bis zu 45 Prozent der Milchbetriebe sind wirtschaftlich akut gefährdet. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie waren nicht bereit, die Möglichkeiten zu nutzen und etwas mehr in Richtung einer marktgerechten Milchpolitik zu gehen. So ist es durchaus mit den europäischen Rahmenbedingungen vereinbar, die Quotenerhöhungen nicht an die Milcherzeuger weiterzugeben, sondern in die nationale Quotenreserve zu stecken. Die Milcherzeuger, die ihre Quote überliefern, werden weiterhin durch die Saldierung belohnt. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, waren nicht bereit, Vorschläge zur Abschaffung der Saldierung ernsthaft zu prüfen. ({1}) Auch der Vorschlag, durch Verzicht auf den neuen Umrechnungsfaktor eine indirekte Quotenerhöhung zu vermeiden, wurde von Ihnen abgelehnt. Eine Reduzierung der Milchmenge als wirksamste Maßnahme, um die Erzeugerpreise zu stabilisieren, war nicht im Ansatz möglich. In Verbindung mit einer weltweit sinkenden Nachfrage nach Milchprodukten braucht man sich daher nicht über den Preisverfall zu wundern. Ohne Begleitmaßnahmen zur Stabilisierung des Milchmarktes ist jedes Förderprogramm hinausgeworfenes Geld. ({2}) Ich möchte Sie an die Demonstrationen der Milchbäuerinnen im Sommer 2009 erinnern. Es waren keine Demonstrationen für mehr staatliche Hilfsgelder. Es waren Demonstrationen für gerechte Rahmenbedingungen auf dem Milchmarkt und faire Erzeugerpreise; das ist Tatsache. ({3}) Wir von der Linken sind der Meinung, dass die Milchbetriebe etwa 40 Cent pro Kilo brauchen, um ihre Existenz nachhaltig zu sichern. Ihr einziges Konzept ist blankes Hoffen auf den Weltmarkt. Der Markt soll es richten. Aber alle Märkte brauchen - das wurde durch die Finanz- und Wirtschaftskrise klar verdeutlicht - staatliche Rahmenbedingungen. Die Erkenntnis ist: Der reine Markt funktioniert nicht. ({4}) Wenn Sie diese Politik nicht ändern, werden die Betriebe kaputtgehen, weil sie diesen ruinösen Wettbewerb nicht überstehen können. Das wichtigste Ziel aus Sicht der Linken bleibt daher die Schaffung von Rahmenbedingungen auf den Agrarmärkten, die für die Bildung gerechter und fairer Erzeugerpreise sorgen. Wir brauchen eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion, die die Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln gewährleistet sowie die Wahrnehmung ökologischer und sozialer Aufgaben und die Sicherung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum übernimmt. ({5}) Das Allgäu oder Ostfriesland ohne Kühe will sich niemand vorstellen. Die Linke wird sich weiter für gerechte und faire Erzeugerpreise einsetzen, damit diese Schreckensvision niemals wahr wird. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Süßmair, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen herzlich, verbunden mit den besten Wünschen für Ihre weitere Arbeit. ({0}) Das Wort hat nun die Kollegin Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der letzten Stunde haben wir viel über Agrarpolitik - teilweise sogar in Reimform - und über das Osnabrücker Land gehört. ({0}) Ich möchte Ihren Blick jetzt auf die verbraucherpolitischen Aspekte in diesem Agrarhaushalt lenken. Dieser Haushalt ist aus verbraucherpolitischer Sicht mangelhaft. ({1}) Das gilt insbesondere für den wirtschaftlichen Verbraucherschutz. Wie schon unter Schwarz-Rot ist dafür viel zu wenig Geld eingestellt. Wir müssen bedenken, dass wir immer noch die Nachwirkungen einer der größten Finanzkrisen der Geschichte spüren und die Anlegerinnen und Anleger, die Lehman-Geschädigten darunter leiden, dass sie ihr Geld einem Markt anvertraut haben, der ihnen nicht das gebracht hat, was sie erwartet haben. ({2}) Deshalb brauchen wir beim Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten nicht nur Ankündigungen, sondern Taten. Frau Aigner hat sehr viel angekündigt. Aber wenn man sich den Haushalt anschaut, sieht man, dass die Ankündigungen nicht mit Geld unterfüttert sind. All die schönen Worte bringen aber doch nichts, wenn nicht das nötige Geld in den Haushalt eingestellt wird. ({3}) Ich möchte Ihnen ein Beispiel dafür geben. Vor Weihnachten gab es mit der Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen ein sehr hochkarätig besetztes Panel, das von Frau Ministerin Aigner organisiert wurde. Da wurden sehr gute Vorschläge gemacht. Aber wenn man jetzt in den Haushalt schaut, dann sieht man, dass von den Vorschlägen der Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen nicht mehr viel übrig ist. Das ist keine seriöse Politik, und das ist keine Politik im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher. ({4}) Man fragt sich, was Schwarz-Gelb beim Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten vorhat. Man könnte denken, dass man das Problem den Banken selbst überlassen will; das wäre ja eine FDP-nahe Position. Aber wenn man sich den aktuellen Bankentest der Stiftung Warentest anschaut, dann sieht man, dass die Strukturen sich nicht geändert haben und die Bankberatung in Deutschland so grottenschlecht wie ihr Ruf ist. Diesbezüglich müssten Sie eigentlich dringend handeln. ({5}) Als jemand, der gerne spart, möchte ich Ihnen noch sagen, dass das Ändern von Strukturen und die Regulierung kein Geld kosten. Das ist in Zeiten der größten Verschuldung dieses Gemeinwesens vielleicht ein ganz guter Hinweis. ({6}) Wir sehen positiv, dass es bei der Verbraucherpolitik einen Gesamtmittelaufwuchs gibt. Der Großteil davon fließt aber in die Stiftung Warentest. Wir finden es gut, das Stiftungsvermögen zu erhöhen. Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher Soforthilfe erwarten. Diese ist von einer Erhöhung des Stiftungsvermögens erst einmal nicht zu erwarten; die Menschen im Land werden erst einmal nicht merken, dass dafür mehr Geld eingestellt wurde. Wir kritisieren auch, dass Sie die falschen Prioritäten gesetzt haben. Wenn man sich den Haushaltstitel „Information der Verbraucherinnen und Verbraucher“ anschaut, dann sieht man, dass Sie im Bereich der Ernährung sehr viel tun. Allerdings würde die Ernährungsampel überhaupt nichts kosten, und man könnte sehr viel Geld für Informationsbroschüren zum Thema Übergewicht sparen. ({7}) Wir finden es sehr schade, dass Sie beim Thema des nachhaltigen Konsums auf dem Niveau von SchwarzRot geblieben sind, nämlich bei einer halben Milliarde Euro. Das ist viel zu wenig. Es ist eine zutiefst liberale Idee, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die Märkte von unten verändern. Sie warten nicht darauf, dass in Kopenhagen irgendetwas beschlossen wird, sondern wollen selbst umweltfreundlich, tiergerecht und klimafreundlich konsumieren. Da das eine schöne liberale Idee ist, könnte man vielleicht auch ein bisschen Geld dafür in den Haushalt einstellen. Leider hat auch die FDP das nicht getan; sie bleibt sogar hinter ihren eigenen Ansprüchen aus Oppositionszeiten zurück. In den letzten Haushaltsberatungen hat die FDP immer mehr Geld für den Bundesverband der Verbraucherzentrale gefordert. Hinter diesem selbst gesteckten Ziel bleiben Sie leider zurück. Mit Blick auf die folgenden parlamentarischen Beratungen möchte ich Frau Aigner zitieren, die am Anfang etwas ganz Wunderbares gesagt hat, nämlich dass man Politik gemeinsam und nicht gegeneinander machen soll. Am besten machen Sie gemeinsam mit uns Politik, indem Sie unsere grünen Änderungsanträge, die es in großer Anzahl geben wird, vorurteilsfrei prüfen und ihnen vielleicht auch zustimmen. Ich danke Ihnen. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat die Kollegin Lucia Puttrich für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Lucia Puttrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004132, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich ganz kurz das aufgreifen, was die Rednerin von der Opposition gerade angesprochen hat. Einerseits bemängeln Sie, es würde nicht genügend Geld im Haushalt bereitgestellt werden. Sie nehmen bewusst oder unbewusst nicht zur Kenntnis, dass die Ausgaben für Verbraucherpolitik um immerhin 30 Prozent steigen. Das ist eine ordentliche Leistung. ({0}) Sie widersprechen sich dann aber selbst, indem Sie sagen, dass man Verbraucherpolitik auch ohne viel Geld machen kann. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis! Die hatten wir schon lange. ({1}) Wir haben in der Vergangenheit wichtige Maßnahmen durchgeführt. Sie können sich darauf verlassen, dass wir auch weiterhin eine moderne Verbraucherpolitik machen werden. Lassen Sie mich im Verlauf meiner Ausführungen auf einzelne Bereiche eingehen. Selbstverständlich wollen wir Transparenz, Information und Beratung. Wir wissen, dass das der beste Schutz ist. Wir wissen auch, dass hierfür investiertes Geld gut investiertes Geld ist. Wir wollen, dass der Verbraucher gut und unkompliziert an Informationen kommt. Deshalb steht auch in der Koalitionsvereinbarung, dass wir ein Verbrauchertelefon einführen werden, das eine Lotsenfunktion haben wird, um das Ärgernis der Nichtzuständigkeit der Behörden auszuräumen und gleich den richtigen Ansprechpartner zu finden. Wir werden ebenfalls, wie im Koalitionsvertrag geregelt, das Verbraucherinformationsgesetz reformieren. Unser Ziel ist es, dass die Informationsansprüche des Bürgers in einem einheitlichen Gesetz transparent gebündelt werden. Transparenz und Information sind für uns in der Verbraucherpolitik ganz besonders wichtig. Zu den Ausführungen der Kollegin über den Bereich des Anlegerschutzes kann ich eigentlich nur sagen, dass es traurig ist, dass Sie nicht zur Kenntnis genommen haben, was in dem Bereich schon alles getan wurde und was noch getan wird. Wir sehen in der Tat dort einen erheblichen Handlungsbedarf. Seit Anfang dieses Jahres muss ein Beratungsprotokoll für jedes Anlagegespräch verbindlich erstellt und dem Kunden ausgehändigt werden. Die Kunden haben jetzt damit den Vorteil, dass sie bei der Anmeldung von Schadensersatzansprüchen leichter Beweise beibringen können. Wie in der Welt am Sonntag vom 10. Januar berichtet wurde, ist die Handhabung der Erstellung dieser Beratungsprotokolle allerdings sehr unterschiedlich. Wir erwarten, dass Beratungsprotokolle ernsthaft und im Sinne des Gesetzgebers erstellt werden, zum Schutz des Verbrauchers und nicht als lästige Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht. Weiterhin wollen wir mehr Transparenz bei Finanzprodukten. Ein Kunde soll die Chancen und Risiken selbst schnell verstehen und erfassen können. Wir unterstützen deshalb ausdrücklich die Initiative von Bundesministerin Aigner zur verpflichtenden Einführung eines Produktinformationsblattes. ({2}) Wir wollen auch mehr Transparenz bei der Anlageberatung. Zukünftig sollen Kunden auch bei freien Finanzberatern die Sicherheit haben, dass diese über eine entsprechende Qualifikation verfügen. Deshalb müssen Qualifikation, Zulassung und wirksame Haftung bei Falschberatung geregelt werden. Auch das kostet übrigens kein Geld. Wir brauchen darüber hinaus eine zuverlässige Kontrolle der Finanzprodukte selbst. Unseriöse Produkte müssen aufgedeckt und als solche gekennzeichnet werden. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass sich private Ratingagenturen nicht bewährt haben. Verlässliche Einschätzungen müssen deshalb zukünftig durch unabhängige Stellen wie beispielsweise durch die BaFin getroffen werden. ({3}) Ein besonderes Augenmerk werden wir auf die Rechte von Bahnkunden und Fluggästen richten. Das Fahrgastrechte-Gesetz ist im Juni 2009 in Kraft getreten. Seitdem können sich Reisende an eine von den Verkehrsunternehmen selbst getragene Schlichtungsstelle wenden. Der Beitritt zu dieser Schlichtungsstelle ist freiwillig. Insbesondere Flugunternehmen haben sich bisher noch nicht angeschlossen. Wir hoffen, dass die Bereitschaft zum Beitritt zu dieser Einrichtung steigen wird. Ansonsten müsste man ernsthaft über eine verpflichtende Regelung nachdenken. ({4}) Von großer Bedeutung ist für uns auch der digitale Verbraucherschutz. Viele Verbraucher tappen zum Beispiel in die Internetfalle, weil sie nicht erkennen können, wann sie durch Anklicken einer besonderen Passage einen Vertrag geschlossen haben. 750 000 Internetabzocken pro Jahr, Tendenz steigend: Das macht deutlich, dass wir handeln müssen. Deshalb werden wir für den Vertragsabschluss im Internet ein klar erkennbares, verpflichtendes Bestätigungsfeld einführen. Ab März 2010 sollten auch teure Warteschleifen und das Abkassieren bei 0180er-Servicenummern ein Ende haben. Die Voraussetzungen hierfür werden durch die Änderungen des Telekommunikationsgesetzes geschaffen. Gleichzeitig werden Preisobergrenzen für diese Servicenummern eingeführt. Wir werden die Entwicklungen im Auge behalten, und wir werden auch keine Ausreden dulden. Als letzten Punkt will ich das Thema Produktsicherheit ansprechen. So ist die EU-Spielzeugrichtlinie in ihrer aktuellen Fassung vollkommen ungenügend. Die festgelegten Grenzwerte reichen nicht aus, um ein hohes Schutzniveau bei Kindern zu sichern. Dies gilt für giftige und allergieauslösende Inhaltsstoffe. Grenzwerte für krebserregende Weichmacher fanden gar keine Berücksichtigung. Noch immer ist das freiwillige Prüfverfahren „geprüfte Sicherheit“ nur in Deutschland Vorreiter einer effektiven Qualitätssicherung. Das halten wir für nicht ausreichend. Zur Änderung der EU-Spielzeugrichtlinie bereiten wir auch deshalb einen entsprechenden Antrag vor. ({5}) Wir sehen den Verbraucher tatsächlich als mündigen Bürger, und wir setzen auch auf eine Partnerschaft zwischen Verbrauchern und Wirtschaft. Der Idealzustand ist, viel zu informieren und möglichst wenig zu reglementieren. Wir wissen jedoch auch, dass es nicht ganz ohne gesetzliche Regelungen geht. Gerade im Bereich der Finanzdienstleistungen haben wir leider die Erfahrung gemacht, dass die alte Regel gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist aber manchmal besser. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Puttrich, auch für Sie war dies die erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere auch Ihnen sehr herzlich und wünsche Ihnen bei ihrer weiteren Arbeit viel Freude und Erfolg. ({0}) Das Wort hat nun der Kollege Rolf Schwanitz für die SPD-Fraktion. ({1})

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird Sie nicht wundern, dass ich in meiner Rede den Einzelplan 10 vor allen Dingen in die haushaltspolitische Gesamtsituation einordnen will. Ich glaube, dieses Thema ist der rote Faden, der sich durch alle drei Lesungen dieses Gesetzentwurfs ziehen muss. Der Bund wird nach den Planungen, die die Bundesregierung vorgelegt hat, eine Neuverschuldung in Rekordhöhe ausweisen. ({0}) 86 Milliarden Euro, das ist eine beängstigende Dimension. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen: Das ist eine Dimension, die die Vorstellungskraft von uns allen, vor allen Dingen von den Bürgerinnen und Bürgern, bei weitem sprengt. Mittlerweile lebt der Bund zu einem Viertel seiner Ausgaben auf Pump. Das heißt, jeder vierte Euro, der in diesem Bundeshaushalt ausgegeben werden soll, muss durch Kredite finanziert werden. Das ist eine Situation, die es auf keiner anderen staatlichen Ebene in Deutschland gibt. Weder bei den Kommunen, über die wir sehr intensiv reden, noch bei den Ländern ist die Situation so prekär. Die Ursache für diesen Zustand sind natürlich die Folgen der internationalen Finanzkrise. Die Ursache dafür ist aber auch die von Ihnen eingeschlagene Klientelpolitik gegenüber den Hotelbesitzern, gegenüber den reichen Erben, gegenüber den Kapitalbesitzern. Das muss am Anfang jeder Debatte stehen. ({1}) Sie, die Abgeordneten der Koalition, tun dies, obwohl Sie wissen, dass das strukturelle Defizit Ende 2010 bei rund 70 Milliarden Euro liegen wird. Sie haben das getan, obwohl Sie wissen und wussten, dass Sie Ende 2010 einen Konsolidierungskurs mit einem Defizitabbau in Höhe von 13 bis 15 Milliarden Euro einschlagen müssen; nicht nur einmalig, sondern aufwachsend jedes Jahr neu, über sechs Jahre hinweg, bis zur Erfüllung der Schuldenbremsenregelung. Das, worüber Sie intensiv streiten, über die 24 Milliarden Euro für zusätzliche Steuergeschenke, ist dabei noch nicht eingepreist, kommt „on top“, muss in diese Konsolidierung also weiter einbezogen werden. Dass Sie sich in dieser Situation hinter der Steuerschätzung Mai verstecken, wie wir das in den Debattenbeiträgen heute noch einmal gehört haben, auch vom Finanzminister, ist, wie ich finde, eine der feigesten Aktionen einer Regierung, die mir je untergekommen ist ({2}) - das ist übrigens auch ein Betrug am Wähler -; deswegen werden wir das Woche für Woche thematisieren. Bezeichnend ist auch, dass die Risikofrage bei den Haushaltsdebatten bisher relativ wenig thematisiert worden ist. Wir haben sehr intensiv über das Thema Nettoneuverschuldung geredet; über die Bruttokreditaufnahme wurde aber relativ wenig gesprochen. Natürlich muss der Gesamthaushalt nicht nur Kredite für die neuen Schulden aufnehmen, sondern auch für die alten. Die Bruttokreditaufnahme wird in dieser Zeit in etwa bei 330 Milliarden Euro liegen. Wir müssen uns ja vergegenwärtigen: Wir befinden uns zurzeit in einer Niedrigzinsphase. Sie selbst, wir übrigens auch, hatten ja schon für Ende des letzten Jahres mit einem Zinsanstieg gerechnet. Wenn die Zinsen nur um 1 Prozentpunkt steigen, dann wird dies zu einer zusätzlichen Belastung des Bundeshaushaltes in Höhe von rund 3,3 Milliarden Euro führen. Auch das würde die Situation „on top“ verschärfen. Das Ganze, meine Damen und Herren, erinnert mich an jemanden, der bis über die Halskrause, bis über beide Ohren verschuldet ist und schnell, bevor am nächsten Tag der Gerichtsvollzieher kommt, noch einmal seine Kumpels zu einer Party einlädt und alles auf Pump he1200 rausbläst, unabhängig davon, welche Situation ihn am Folgetag erwartet. ({3}) Das macht kein vernünftiger Mensch, aber Sie erheben das zusammen mit der Klientelpolitik, die Sie hier einschlagen, zur Geschäftsgrundlage für den Gesamtstaat. Wir kritisieren das, übrigens auch unter Verbrauchergesichtspunkten; wie man mit Schulden umgeht, ist ja auch eine verbraucherpolitische Frage. ({4}) Das verbraucherpolitische Signal nämlich, das man damit an die Gesamtheit der Bürger in Deutschland sendet, halte ich schlicht und einfach für eine Katastrophe. ({5}) Apropos Verbraucherpolitik: Sie haben im Koalitionsvertrag geschrieben, Sie setzen auf eine „Stärkung des Verbrauchers im Markt“. Der gesamte Bereich der Verbraucherpolitik im Einzelplan 10 umfasst einen Ansatz von 148 Millionen Euro. Haben Sie eigentlich einmal eine Querverbindung zwischen der Klientelpolitik auf der einen Seite und der Verbraucherpolitik auf der anderen Seite gezogen? Allein das, was Sie an Steuervergünstigungen für das Hotelgewerbe umgesetzt haben, wird den Gesamtstaat 945 Millionen Euro kosten; davon entfallen auf den Bund Steuerausfälle in Höhe von rund 500 Millionen Euro, also einer halben Milliarde. Das ist fast das Dreieinhalbfache der Ausgaben, die im Einzelplan 10 für Verbraucherpolitik eingestellt sind. Das zeigt die Dimension dessen, was Sie hier tun. ({6}) Ich will noch eine Bemerkung zum Zuschuss an die Stiftung Warentest machen. Das hat vorhin auch schon bei Herrn Schirmbeck eine Rolle gespielt. Ich glaube, wir sind uns einig, dass die Verbraucherpolitik ein wichtiges Politikfeld ist und gestärkt werden muss. Ich halte aber das, was momentan bei der Stiftung Warentest abläuft, nicht für etwas, für das man sich verbraucherpolitisch brüsten kann. Sie erhöhen - das ist richtig - das Stiftungskapital der Stiftung Warentest um 20 Millionen Euro. Sie verschweigen allerdings, dass zugleich der Zuschuss für die Stiftung Warentest im selben Umfang, nämlich im Umfang der Kapitalerträge, abgesenkt wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schirmbeck?

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich würde gerne im Zusammenhang vortragen. Herr Schirmbeck, Sie haben das ja genauso getan. ({0}) Was Sie hier tun, ist etwas, was man verbraucherpolitisch schlicht und einfach als Mogelpackung bezeichnen kann. Es kommt bei dieser gesamten Aktion kein einziger Euro mehr für Verbraucherpolitik heraus. Sie nehmen nur eine Umfinanzierung des Bundeszuschusses für die Stiftung Warentest vor. Das muss man, wie ich finde, auch klipp und klar ansprechen. ({1}) Wir werden Ihnen bei den Haushaltsberatungen übrigens Gelegenheit geben, über einen Antrag abzustimmen, durch den mehr finanzielle Möglichkeiten für Verbraucherpolitik in Deutschland eröffnet werden. Bedarf gibt es genug. Ich bin gespannt darauf, wie Sie im Ausschuss darüber abstimmen werden. Meine Damen und Herren, angesichts Ihrer Klientelpolitik im sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz werden wir alle Maßnahmen im Einzelplan 10 kritisch auf den Prüfstand stellen. Wir werden die Frage stellen, ob sie so tatsächlich notwendig sind und ob die Art und Weise, wie sie finanziert werden, alternativlos ist. Letztendlich müssen nicht Sie, auch nicht wir, sondern die Bürgerinnen und Bürger, die Abgaben- und Steuerzahler in diesem Land, dafür die Zeche zahlen. ({2}) Herzlichen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zu einer Kurzintervention erteile ich nun das Wort dem Kollegen Schirmbeck.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schwanitz, mir fällt es manchmal schwer, nachzuvollziehen, warum hier etwas behauptet wird, was objektiv vorher ganz anders ausgedrückt worden ist, was man auch im Wortprotokoll nachlesen kann, sobald es uns zugänglich ist. Ich habe deutlich gemacht, dass wir mit den Mitteln, die wir im Bundeshaushalt zur Verfügung haben, effizienter umgehen müssen. Aus diesem Grunde geben wir der Stiftung Warentest Mittel für den Aufbau der Stiftung. Damit ist die Stiftung Warentest unabhängiger, weil sie mit den Erträgen aus den Stiftungsmitteln ihre Arbeit finanzieren kann. Das führt dazu, dass wir mittelund langfristig die laufenden Mittel aus dem Bundeshaushalt absenken können. Das habe ich hier ausgeführt. Sie wiederum erwecken jetzt den Eindruck, als hätte ich hier etwas unterschlagen oder ein falsches Spiel gespielt, als würde ich vor der Landtagswahl etwas anderes sagen als nach der Landtagswahl oder als würde ich Politik hinter der Gardine machen statt einer gläsernen Politik. Nehmen Sie doch einfach das, was ich im Bundestag in der Öffentlichkeit ausgeführt habe, so zur Kenntnis! Herzlichen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zur Erwiderung Herr Schwanitz, bitte.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schirmbeck, ich bin für diese Klarstellung dankbar, weil sie dem, was ich hier ausgeführt habe, nicht widerspricht. Ich habe allerdings sehr wohl vernommen - ich habe es auch noch einmal im Protokoll der letzten Haushaltsberatung nachgelesen -, was Sie über die Motivation und die Urheberschaft dieses Beschlusses ausgeführt haben und dass der Kollege Kauder diesen Vorschlag mit einer besonderen verbrauchspolitischen Auszeichnung eingebracht hat. Deswegen ist mir wichtig, hier einmal klipp und klar festzustellen: Was Sie planen, hat etwas damit zu tun, dass Sie den Zuschuss zur Stiftung Warentest absenken wollen. Es hat nichts damit zu tun, dass Sie mehr finanzielle Mittel für Verbraucherpolitik zur Verfügung stellen wollen. So wird das Ganze ins richtige Licht gerückt. Deswegen danke ich für die Intervention.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Professor Dr. Erik Schweickert für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Schwanitz, die Politik der letzten elf Jahre ist dafür verantwortlich, dass wir ein strukturelles Defizit haben. Jetzt hier so zu tun, als sei man nicht dabei gewesen, ist insbesondere in Ihrem Fall schwierig. ({0}) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt einiges gehört. Ich bin wirklich etwas erstaunt. Im Ausschuss arbeiten wir eigentlich gut zusammen und beschränken uns auf die fachliche Ebene. Hier gibt es aber Reden, die sieben Minuten lang am Thema vorbeigehen. ({1}) Eine Kritik in Richtung Herrn Ostendorff: Sie haben von „Vernichtungsfeldzug“ und „Krieg“ auf dem Lande gesprochen. Angesichts der Lage, in der wir uns gerade befinden, halte ich es für eine Unverschämtheit, wenn Sie in einer Debatte über die richtige Ausrichtung der Landwirtschaft solche Worte benutzen. Dafür könnte man sich schämen, nicht für das andere. ({2}) Nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis, dass Verbraucherpolitik keine Nischenpolitik mehr ist. Das ist die Grundlage sowohl des Koalitionsvertrages als auch dieses Haushaltes, auf der wir in den nächsten vier Jahren arbeiten können. Es geht um Ernährung, Finanzanlagen und Informationsrechte. Dabei setzen wir auf die Stärkung des Menschen am Markt und nicht auf den Schutz des unmündigen Menschen vor dem Markt. Wir wollen keinen bevormundeten, sondern einen gut informierten Verbraucher. Dabei geht es nicht nur um viel Geld, sondern auch um die richtige Regelsetzung, und diese nimmt die christlich-liberale Koalition in diesem Lande vor. ({3}) Wenn Sie die Erhöhung des Stiftungskapitals so sehr geißeln, dann muss man Ihnen einmal sagen: Wir wollen diese Stiftung von der Politik unabhängig machen, damit sie den Finger in die Wunde legen kann. Dafür darf sie nicht von Almosen leben, die sie jedes Jahr erhält. Es ist eine Leistung dieser Koalition, auch der liberalen Politik, dass wir in einem Jahr, in dem wir weniger Einnahmen haben, einen solchen Schwerpunkt setzen. Dazu stehen wir. Dass wir das Stiftungsvermögen um 50 Millionen Euro bis 2012 erhöhen, darf man nicht kleinreden. ({4}) Jetzt kommen wir zum Thema Anlageentscheidung. Wir müssen den Verbrauchern die Möglichkeit geben, alle Kosten - das war schon bei der Riester-Rente ein Thema -, aber auch die Provisionen und alle damit verbundenen Risiken erkennen zu können. Wir dürfen aber nicht so tun, als könnten wir den Menschen das Risiko am Kapitalmarkt abnehmen. Wer das tut und entsprechende Vorschläge macht, der wiegt die Leute in einer falschen Sicherheit. Wer zur Bank geht und Geld anlegt, der muss wissen: hohe Rendite hohes Risiko, niedrige Rendite niedriges Risiko. Die Bank und auch der Staat dürfen dem Kunden dieses Finanzmarktrisiko nicht abnehmen. ({5}) Wir müssen aber dafür sorgen, dass der Verbraucher gut informiert ist. Wir müssen auch schauen, dass die Etikettierung der Finanzprodukte stimmt. Die Etikettierung jedes Frühstückseis wird stärker überwacht. Es kann nicht sein, dass Banken beispielsweise ein Produkt mit der Bezeichnung „Altersvorsorgekonto“ anbieten, hinter dem spekulative Finanzanlagen stecken. Dagegen und auch gegen das Verhalten der Banken, ein AA-Rating der Kunden, also alt und ahnungslos, durchzuführen, müssen wir vorgehen. Es muss klar sein, dass das, was draufsteht, auch drinsteckt. Das alles kann noch mit einer Einordnung in entsprechende Risikoklassen flankiert werden. Auf diese Weise gibt es den informierten Verbraucher, der sein Geld anlegen kann. Wenn er dann ein Risiko eingeht, braucht der Staat für Verluste nicht zu haften. ({6}) Lassen Sie mich noch das Thema Deutsche Bahn ansprechen. Ich bin immer wieder überrascht, wie sie jedes Jahr vom Winter überrascht wird. ({7}) Ich muss sagen - Frau Kollegin Puttrich hat es ebenfalls ausgeführt -: Die Bahn steht bei uns sozusagen unter Bewährung. Wir schauen uns an, wie die Verspätungsrichtlinien umgesetzt werden. Wir haben unsere Vorschläge in der Tasche. Wenn es nicht reicht, dann muss nachgesteuert werden. Ich habe ein wenig Sympathie dafür, dass schon ab 30 Minuten und nicht erst ab 60 Minuten Verspätung erste Entschädigungszahlungen erfolgen. ({8}) Da müssen wir aber abwarten. Zunächst einmal wird evaluiert. Es ist eine gute Regierungspolitik, nicht sofort zu schießen, sondern erst zu schauen, was in diesem Fall Sache ist. ({9}) Herr Claus, ich bin schon erstaunt, dass Sie hier die linke Verbraucherschutzsenatorin gelobt haben. In den letzten Tagen, als es in Berlin stark geschneit hat, hätte sie einiges für Rollstuhlfahrer und für Eltern, die mit dem Kinderwagen unterwegs sind, tun können, indem sie dafür gesorgt hätte, dass der Schnee geräumt wird. Die Kehrwoche und die Schneeschippe sind schon erfunden. In diesem Fall etwas für den Verbraucher zu tun, kostet nicht viel Geld. Tun Sie also nicht so, als sei alles, was bei Ihnen läuft, toll. ({10}) Ich komme zum Schluss. Im Hinblick auf das Internet haben wir noch einiges zu tun. Es geht da um Regelsetzung. Frau Kollegin Maisch, wir werden sicherlich nicht die Infobroschüren der Hersteller drucken, sondern mit einer klaren Regelsetzung dafür sorgen, dass es verständliche AGBs gibt, sodass dem Verbraucher klar ist, welches Angebot er anklickt. Ein zweiter Punkt, der für uns wichtig ist, ist das Thema Breitbandversorgung. Auch da wird die Koalition der bürgerlichen Mitte vorangehen. Wir werden das Ganze auch im Rahmen des Verbraucherinformationsgesetzes neu aufstellen. Ich freue mich auf den einzelnen Diskurs mit Ihnen, der hoffentlich, wie ich es aus dem Ausschuss gewohnt bin, auf fachlicher Ebene abläuft und nicht von permanenten Unterstellungen und Reden, die komplett am Thema vorbeigehen, getragen wird. Wie gesagt, ich freue mich auf diese Diskussion. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Schweickert, auch für Sie war dies die erste Rede in diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich und wünsche Ihnen für Ihre weitere Arbeit alles Gute, viel Freude und Erfolg. ({0}) Das Wort hat nun der Kollege Peter Bleser für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will aus christlich-liberaler Sicht - lieber Professor Schweickert, dieser Begriff gefällt mir ausgesprochen gut - diesen Agrarhaushalt bewerten. Dazu will ich einen Punkt ansprechen, der bisher von niemandem erwähnt wurde, nämlich dass die Gewinne in den landwirtschaftlichen Betrieben im letzten Wirtschaftsjahr zwischen 2008 und 2009, so der Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes, um sage und schreibe 24 Prozent eingebrochen sind. Das ist je nach Sparte unterschiedlich. Bei den Milchbetrieben sind die Gewinne sogar um 45 Prozent auf 29 000 Euro pro Betrieb - pro Arbeitskraft sind das 19 000 Euro - eingebrochen. Wer vor diesem Hintergrund die Hilfsaktion der Bundesregierung in Form des Milchfonds kritisiert, dem muss ich soziale Kälte unterstellen, Herr Kollege Priesmeier. ({0}) Das ist nicht nur kaltschnäuzig, sondern auch marktpolitisch falsch; denn wir haben mit diesem Hilfsprogramm sichergestellt, dass es keinen Zusammenbruch der Strukturen gibt, die wir dann mit sehr viel Geld wieder aufbauen müssten. Kritik am Detail ist zwar durchaus angebracht; uns lag aber daran, dass wir den Landwirten diese Hilfe schnell und unbürokratisch zur Verfügung stellen. Deswegen haben wir diesen Weg gewählt. Das Ganze wird ohne zusätzliche Anträge funktionieren, und das ist ganz entscheidend. ({1}) Meine Damen und Herren, wir müssen den Blick trotz dieser schwierigen Situation, in der sich die Betriebe befinden, nach vorne richten. Eine zweite Zahl ist von erheblicher Bedeutung; denn sie bestätigt uns, ob wir mit der bisherigen Politik der Union - auch in der früheren Bundesregierung - richtig- oder falschliegen. Das Statistische Bundesamt hat festgestellt, dass die Zahl der Beschäftigten im Ernährungsgewerbe von Oktober 2008 bis Oktober 2009 um 1,4 Prozent gestiegen ist, während sie im übrigen verarbeitenden Gewerbe um 4,6 Prozent zurückgegangen ist. Das ist ein Erfolg unserer Politik. Das ist der Erfolg unserer Bemühungen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft zu verbessern und unsere Chancen auf dem Exportmarkt zu steigern. Lieber Herr Kollege Ostendorff, wer wie Sie in einer Presseerklärung verlangt, dass wir unsere Fleischexporte einstellen, den muss man schon fragen, ob er die Zuordnung der verschiedenen Teile unserer Landwirtschaft noch richtig versteht. Wenn Sie wie viele andere auf der linken Seite dieses Parlaments der Landwirtschaft die Hauptverantwortung für den Klimawandel zuschieben wollen, dann muss man schon Böswilligkeit unterstellen. ({2}) Ich habe eine Statistik vom Umweltbundesamt - meine Wertschätzung diesbezüglich ist bescheiden - vorliegen. Darin wird deutlich, dass die Landwirtschaft mit einem Anteil von 5,4 Prozent für CO2-Emissionen verantwortPeter Bleser lich ist. Wer glaubt, in dieser Klimadebatte den Fokus auf die Landwirtschaft lenken zu müssen, dem muss man unterstellen, dass er andere Bereiche bewusst schonen will. ({3}) Es besteht da natürlich noch Potenzial. Dieses wollen wir auch nutzen. Aber das geht nur über Effizienzsteigerung und nicht mit dem, was die Grünen wollen: eine Ökologisierung aller Bereiche und eine Verringerung der Leistungen und der Erträge. Meine Damen und Herren, es ist uns wichtig, unsere Politik fortzusetzen, auch nach dem Zusammenbruch der CMA aufgrund eines Verfassungsgerichtsurteils. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Aufstellung in Drittlandsmärkten auch in Zukunft gut ist. Deswegen bin ich sehr froh, Frau Ministerin, dass im Haushaltsentwurf, wenn man alles, auch die Verpflichtungsermächtigungen, addiert, 7,5 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt werden. Das ist aber immer noch sehr bescheiden. Meine lieben Kollegen von der christlich-liberalen Koalition, wir sollten darüber nachdenken, ob wir in den Beratungen der nächsten Wochen vielleicht noch etwas zusätzlich erreichen können. Eines steht jedenfalls fest: Wir fordern vom Berufsstand, von der Agrarwirtschaft, aber auch vom Handel, dass sie sich zusammenschließen und etwas konzeptionell erarbeiten. Dann wird die Politik sicher Wege finden, diese Bereiche zu unterstützen. Das ist beste Zukunftspolitik für unsere jungen Menschen. Sich auf den Märkten zu behaupten, ist die einzige Chance, zu bestehen. Mit Abschotten und Ausgrenzen erreicht man nichts. ({4}) Meine Damen und Herren, ich will im Rahmen des Agrarbereiches ein weiteres Thema ansprechen: die zukünftige Entwicklung der europäischen Agrarpolitik nach 2013. Das ist für viele vielleicht noch weit hin. Aber in diesem Jahr werden in der Europäischen Kommission die ersten Festlegungen getroffen. Wir müssen uns deshalb frühzeitig in die Debatte einschalten. Wir müssen den Menschen sagen, welches Bild wir von unserer Landwirtschaft 2020 haben wollen. Wir müssen zunächst einmal dokumentieren, was unsere Wunschvorstellung ist. Dazu gehört die multifunktionale Landwirtschaft. Dazu gehört die flächendeckende Landwirtschaft. Dazu gehört aber auch ein Sicherheitsnetz, um den Zusammenbruch von Strukturen, wie im letzten Jahr befürchtet, zu verhindern. Was den letzten Punkt angeht, haben die Menschen mittlerweile ein besonderes Gefühl entwickelt. Gerade die Katastrophe in Haiti zeigt, dass Nahrungsmittel, die irgendwo in der Welt produziert werden, noch lange nicht dort sind, wo sie gebraucht werden. Deswegen müssen wir auch in fernerer Zukunft Versorgungssicherheit herstellen. Wir müssen all denjenigen, die meinen, den Agraretat der Europäischen Union als Steinbruch für verschiedene Politikziele nutzen zu können, sagen: Wer das will, muss sich fragen lassen, ob er Umweltschutz, Tierschutz, Verbraucherschutz, Multifunktionalität der Landwirtschaft und eine Vielfalt der Lebensmittel überhaupt noch will. Wir wollen das, und deswegen werden wir entsprechend frühzeitig dagegenhalten. ({5}) Ich will noch einige Sätze zum Verbraucherschutz sagen. Frau Puttrich hat bereits ihren Schwerpunkt darauf gelegt. Sie hat einen Bereich jedoch noch nicht erwähnt - das ist auch abgesprochen -: den Bereich Ernährung. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass wir im letzten Jahr vor Weihnachten zum ersten Mal keinen Lebensmittelskandal hatten. Das kann an den Verbänden liegen, die das sonst immer protegiert haben. Ich behaupte, es liegt an den Fakten. Hierfür haben wir gute Belege. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat in einer Presseerklärung zu Rückständen von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln verlautbaren lassen, dass das Überschreiten von Höchstmengen bei Lebensmitteln deutscher Herkunft auf 1,9 Prozent gesunken ist. Das ist immer noch zu viel, aber es ist ein toller Wert, wobei man weiß, dass damit keine Gesundheitsschädigung verbunden ist. Ich führe diese Entwicklung, die übrigens in anderen Ländern der EU bei 3 Prozent und in Drittländern bei 9 Prozent liegt, auch auf das Verbraucherinformationsgesetz zurück, weil wir die entsprechenden Betriebe nennen können. ({6}) Wir werden in der christlich-liberalen Koalition sicher einen Weg finden, das Verbraucherinformationsgesetz zu verbessern. Bei der Evaluierung werden uns die Kollegen der SPD ganz bestimmt helfen, ({7}) damit wir noch mehr Schutz für die Lebensmittelqualität erwirken können. ({8}) Ich will einen zweiten Punkt zum Thema Verbraucherschutz ansprechen, und zwar die Abzocke im Bereich der Telekommunikation. Ich gebe zu, auch ich habe 3,98 Euro verloren. Das hätten die nicht tun sollen. Das Thema werden wir aufgreifen. Mit welch krimineller Energie manche Telefongesellschaften Inkasso betreiben, ist eine Sauerei, die nicht anders zu beschreiben ist. ({9}) Wir müssen bei der Gestaltung des Telekommunikationsgesetzes darüber nachdenken, ob wir die Beweislastumkehr einführen wollen, um eine entsprechend abschreckende Wirkung zu erzeugen. Darüber hinaus ist sicher überlegenswert, ob wir denjenigen, die im Internet in ordentlicher Weise unterwegs sind und den Verbraucher nicht übers Ohr hauen wollen, nicht auch eine Möglichkeit der Kennzeichnung in Form eines „OnlineEngels“ ({10}) oder wie auch immer Sie ihn nennen wollen - anbieten. Wir brauchen ein klar erkennbares Zeichen, damit der Verbraucher nicht in der Art übers Ohr gehauen wird, wie das leider heutzutage in vielfältiger Weise geschieht. Dass wir das Thema ernst nehmen, sehen Sie daran, dass wir eine Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ ins Leben rufen wollen, in der Sie alle mitarbeiten können. Ich glaube, das ist dringend notwendig. Ich komme zum letzten Satz. Die Menschen können in Fragen der Agrarpolitik, der Ernährungspolitik und der Verbraucherpolitik auf die Union vertrauen. Herzlichen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort zu einer Kurzintervention der Kollege Ostendorff.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Bleser, Sie haben sich kritisch damit auseinandergesetzt, dass ich für die Grünen gesagt habe, dass wir uns genau überlegen sollten, ob die derzeitige Fleischexportstrategie für uns das Richtige ist. Es geht um die Frage, ob wir eine richtige Politik machen, das heißt, ob es richtig ist, dass wir Hunderttausende von lebenden Tieren in Länder verbringen, die mehrere Tausend Kilometer entfernt liegen. Es geht um die Frage, ob es einer modernen Gesellschaft, die einen hohen Anspruch an den Tierschutz stellt, gerecht wird, solch eine Exportstrategie zu fahren, die sich darauf gründet, dass man Tiere wie tote Ware behandelt, die aber lebend auf den Transportern stehen und unter großem Leid bis jenseits des Urals verbracht werden. Nur darauf bezieht sich das Gesagte. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen, dass wir darum bitten, nochmals zu überlegen, ob wir es wirklich als wirksame Strategie erachten, hier eine Produktion aufzubauen, die auf diese Art und Weise auf die Märkte der Dritten Welt, Russlands usw. gelangt. Das ist die einzige Frage, die wir gestellt haben, und die ich bitte zur Kenntnis zu nehmen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Bleser, bitte.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mein lieber Herr Kollege Ostendorff, es ist immer hilfreich, wenn man sich auf solche Fragen vorbereitet. Sie schreiben: Wir fordern, dass Deutschland nicht weiter für den Export Fleisch produziert. Dazu kann ich nur sagen: Das ist nicht nur weltfremd. So werden auch die Arbeitsplätze aus diesem Land in die Länder exportiert, in die das Fleisch nach Ihrer Meinung gehen könnte. Das machen wir nicht mit. Ich teile allerdings Ihre Ansicht, dass Transporte nach unseren Tierschutzvorschriften durchzuführen sind. Das ist selbstverständlich, und darauf muss geachtet werden. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07. Als erster Rednerin zu diesem Geschäftsbereich erteile ich das Wort der Bundesministerin Sabine LeutheusserSchnarrenberger. Frau Ministerin, einen kleinen Moment noch. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten, Ihre Gespräche vor dem Saal weiterzuführen, damit diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die der Debatte folgen wollen, dies mit großer Aufmerksamkeit tun können? - Frau Ministerin, bitte sehr.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch in diesem Jahr hat die Justiz wieder den kleinsten Einzelplan und die höchste Deckungsquote durch eigene Einnahmen. Es lohnt sich, dies zu Beginn dieser Debatte zu erwähnen. Ich möchte hier nur einen einzigen Posten nennen: Wir werden die Gelder für die Opfer extremistischer Gewalt um 700 000 Euro auf 1 Million Euro aufstocken. Das ist ein Zeichen dafür, dass wir sehr wohl sehen, in welchen Bereichen Schwerpunkte im Haushalt gesetzt werden müssen. Der Haushaltsansatz steht natürlich in keinem Verhältnis zu der Bedeutung der Rechtspolitik insgesamt. Sie betrifft alle Lebensbereiche. Ich darf an drei Punkten kurz deutlich machen, wo wir die größten Herausforderungen und den größten Handlungsbedarf sehen: Zunächst ist festzustellen, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise auch für die Rechtspolitik eine entscheidende Rolle spielt. Die schwerste Rezession seit Kriegsende geht auch in dieser Legislaturperiode nicht spurlos an den Rechtspolitikern vorbei. Deshalb werden wir, was das Insolvenzplanverfahren angeht, im Insolvenzrecht Änderungen vornehmen und gemeinsam mit den anderen Ressorts alles tun, was nötig ist, damit es nicht wieder zu einer Verstaatlichung einer Bank kommt, damit sich das nicht wiederholt. Deshalb werden wir ein besonderes Reorganisationsverfahren schaffen. Außerdem werden wir die Regelung zur Restschuldbefreiung ändern und die Wohlverhaltenszeit auf drei Jahre halbieren. Das soll ein Signal sein. Nicht zuletzt Gründer sollen nach einem Fehlstart eine zweite Chance bekommen. Eine Ursache für diese Finanzmarktkrise - das hat der Finanzminister heute Morgen angesprochen - war eine gewisse Spielermentalität in der Wirtschaft. Gier und Leichtsinn wurden bei manchen Managern nicht nur durch satte Boni geweckt, sondern auch durch zu wenig Haftung und persönliche Verantwortung gefördert. Als Liberale bin ich natürlich überzeugt: Leistung muss sich lohnen. Aber zu meinem Verständnis von Liberalität gehört auch, dass man für persönliche Fehler geradestehen muss. Deshalb werden wir, damit es wieder zu einem Zusammenführen von Verantwortung und Haftung kommt, bei den Verjährungsregelungen ansetzen - die Fristen sind jetzt sehr kurz und knüpfen nicht an die persönliche Kenntnis von Ansprüchen an - und damit dafür Sorge tragen, dass nicht mit einem Mal gesagt werden kann: Jetzt ist die Verantwortlichkeit und damit die Konsequenz für die Haftung begründet, aber die Verjährung ist eingetreten. Für uns ist das ein wichtiger Punkt, bei dem in der Rechtspolitik Konsequenzen aus der Finanzkrise zu ziehen sind. ({0}) Der zweite wichtige Bereich ist die Digitalisierung unserer Kommunikation. Die Freiheit des Internets zu schützen, das das freiheitlichste Informationsmedium ist, das wir uns vorstellen können, ist gerade für uns ein wichtiges Thema. Wir müssen die Nutzer vor staatlicher Überregulierung schützen, aber natürlich auch vor privaten Missbräuchen durch Kriminelle oder wirtschaftlich Mächtige. Weil das Internet kein rechtsfreier Raum ist, gehört für uns dazu, dass wir im Rahmen des Urheberrechts die Möglichkeiten zur Durchsetzung von Rechten verbessern. Wir haben in der letzten Legislaturperiode um den sogenannten zweiten Korb gerungen. ({1}) Wir sind ferner der Meinung - das haben wir in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben -, dass wir auch das Thema der Leistungsschutzrechte gerade für den Bereich Presse und Zeitungsverleger angehen sollten. Das werden wir tun; wir werden es schaffen. Wenn Menschen über das Internet Dienstleistungen in Anspruch nehmen, Informationen nutzen, dann müssen wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass diejenigen, die für die Bereitstellung der Dienstleistungen und Informationen ein Risiko eingehen und sich wirtschaftlich engagieren, ihre Leistungsschutz- und Urheberrechte durchsetzen können. ({2}) Im Zusammenhang mit dem Internet müssen wir - das passt gut zu der Debatte, die wir eben zu dem Haushalt für den Verbraucherschutz geführt haben auch die Stellung des Verbrauchers in den Blick nehmen. Ich möchte nur ein Beispiel nennen: die Abofallen im Netz. Wir wollen, dass alle Anbieter verpflichtet werden, ein Bestätigungsfeld, also einen Button, vorzusehen, damit Verbraucher vor Abschluss eines Vertrages sicher erkennen, dass sie für eine Leistung etwas bezahlen müssen. Ein Blick in die Koalitionsvereinbarung zeigt, dass der Datenschutz im Internet eine wichtige Rolle spielt. Hierfür ist mein Kollege Innenminister, Herr de Maizière, federführend zuständig. Die FDP hat eingebracht, dass es einen anderen Weg geben soll, als immer die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zu ändern. Lassen Sie mich die geplante Stiftung Datenschutz nennen: Sie soll die Verantwortung des Verbrauchers und Nutzers stärken und dafür sorgen, dass er sich besser über datenschutzrechtliche Aspekte bestimmter Leistungen und Angebote informieren kann. Der dritte große Bereich ist die Gesellschaftspolitik, die gesellschaftliche Entwicklung. Hier wollen wir auf ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und die Vielfalt der Lebensentwürfe achten; wir wollen ihnen den Rang in unserer Gesellschaft geben, der ihnen gebührt. Wir wollen den Menschen nämlich keine Vorschriften machen, wie sie zusammenleben sollen. Kinder sind aber ganz besonders auf den Zusammenhalt und die Solidarität unserer Gesellschaft angewiesen. Deshalb haben wir mit einem ersten Kabinettsbeschluss Änderungen im Vormundschaftsrecht auf den Weg gebracht und dabei die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses „Kindeswohl“ zum Fall Kevin aufgegriffen. Wir wollen nämlich dafür Sorge tragen, dass die nötige personelle Ausstattung zur Verfügung steht, wenn das Jugendamt die Vormundschaft übernimmt. Damit das gelingt, schreiben wir vor, dass die Fallzahl des einzelnen Vormundes gesetzlich begrenzt wird. Dabei steht vor allen Dingen - auch das ist eine Konsequenz aus den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses zum Fall Kevin - der persönliche Kontakt zwischen Vormund und seinem Schützling absolut im Vordergrund. Da bedarf es nicht nur zufälliger Kontakte oder Kontakte in zu großen Zeitabständen; das haben wir mit unserem Kabinettsbeschluss deutlich gemacht. Ich freue mich, wenn wir hier darüber beraten können. Wir wollen die Rechte lediger Väter stärken. Ledige Väter sind keine Bittsteller. Derzeit debattieren wir in der Koalition konstruktiv darüber, wie wir die Verfahrensregelungen am besten ausgestalten können. Erlauben Sie mir, kurz zu erwähnen, was auf den Weg gebracht ist. Hier nenne ich die Stärkung des Mandantengeheimnisses. In der Kommunikation des Mandanten mit den Anwälten soll es keine Zweiteilung mehr geben. Die Koalitionsvereinbarung sieht hier viele weitere Punkte vor, die ich nicht alle aufzählen muss. Einer der größten Komplexe, eines der schwierigsten Themen - das sage ich deutlich - wird die Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung sein. ({3}) Hier geht es nicht um gesetzliche Regelungen aufgrund der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Vielmehr geht es darum, auf der einen Seite dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit zu entsprechen, einen gewissen Schutz zu erhalten, ({4}) auf der anderen Seite aber nicht zu vergessen, dass Sicherungsverwahrung eine Ausnahme ist, nicht die Regel, keine normale Verlängerung des Strafvollzugs. Ein Blick auf Einzelfälle zeigt, wie wichtig ein Gesamtkonzept ist. In der Vergangenheit wurde auf viele Einzelfälle reagiert, teilweise musste reagiert werden. Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, natürlich auch mit den Berichterstattern, die hoffentlich an diesem Haushalt nichts zu beanstanden finden. Recht herzlichen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Lambrecht für die SPD-Fraktion. ({0})

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bundesjustizministerin, in den letzten Jahren war bei Haushaltsdebatten von Ihrer Seite aus immer relativ kurz zu hören, dass dieser Haushalt zu Recht ein kleiner, aber feiner Haushalt sei. Dann stellten Sie in der Regel relativ zügig die Forderung an uns in der jeweiligen Regierungskoalition, das Augenmerk doch mehr auf die Freiheits- und Bürgerrechte zu lenken. Meist drehte sich Ihre gesamte Haushaltsrede dann um dieses Thema. Heute war ich - das muss ich ehrlich sagen - etwas überrascht, dass dieses Thema von Ihnen so kurz abgehandelt bzw. überhaupt nicht angesprochen wurde. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Man könnte zur Verdeutlichung auch einfach sagen: SWIFT. Das war eine Ihrer ersten Aktionen. Ausgerechnet die FDP, die sich selbst rühmt, Freiheits- und Bürgerrechte wahren zu wollen, zeichnet dafür mitverantwortlich. Kurz zum Hintergrund: Die USA erhalten bei Überweisungen außerhalb des europäischen Zahlungsraumes millionenfach Zugriff auf Bankdaten, die der Finanzdienstleister SWIFT verwaltet. Die schwarz-gelbe Koalition hat mit ihrer Enthaltung auf EU-Ebene dafür gesorgt, dass dieses Abkommen zwischen der EU und den USA durchgewunken wurde. Dies geschah genau einen Tag, bevor der Reformvertrag von Lissabon Gültigkeit erlangte. Vom nächsten Tag an, wenn es erst dann zur Debatte gekommen wäre, hätte das Parlament ein Mitspracherecht gehabt. So viel zum schwarz-gelben Verständnis von parlamentarischer Demokratie. ({0}) Zu Ihren Oppositionszeiten, als Sie noch die berühmten Reden gehalten haben, Frau LeutheusserSchnarrenberger, hat die FDP-Bundestagsfraktion geradezu zum Kampf gegen dieses Abkommen aufgerufen. Nachzulesen ist das sehr schön in der Bundestagsdrucksache 16/4184. Darin forderten Sie von der damaligen Regierung, den Zugriff US-amerikanischer Stellen auf SWIFT-Daten unverzüglich zu stoppen. Aber seitdem die FDP mit auf der Regierungsbank sitzt, haben Sie nichts gestoppt. So viel zu der Frage, welchen Stellenwert der Schutz sensibler Bürgerdaten in dieser Koalition hat. ({1}) Eingedenk dessen, Frau Justizministerin, dass Sie zwar Bedenken formulieren, das Richtige aber offenbar nicht durchsetzen können, schwant mir trotz Ihrer wohlformulierten Worte zur Sicherungsverwahrung nichts Gutes. ({2}) Kurz vor Weihnachten 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der heutigen schwarz-gelben Regierung die Quittung für ein Sicherungsverwahrungsgesetz der schwarz-gelben Regierung aus dem Jahr 1998 erteilt. Das Gesetz verstößt gegen die Menschenrechtskonvention. ({3}) 1998 hoben CDU/CSU und FDP mit ihrer damaligen Mehrheit mit besagtem Gesetz die Zehnjahresbegrenzung der Sicherungsverwahrung auf. Seither können Straftäter, von denen weiterhin eine Gefährdung für die Öffentlichkeit ausgeht, unbegrenzt in Haft genommen werden. Das Gesetz wurde seinerzeit rückwirkend auf einen Fall aus dem Jahre 1986 angewandt. Jetzt haben die Straßburger Richter entschieden, dass das gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. Ganz aktuell im Jahr 2010 - Sie haben es angesprochen, Frau Ministerin - hat außerdem der Bundesgerichtshof im Fall eines rechtskräftig verurteilten Sexualstraftäters, der seine Strafe abgesessen hat, entschieden, dass er nicht nachträglich in Sicherungsverwahrung genommen werden kann. Ihre Koalitionspartner, CDU und CSU - da sind wir wieder auf das berühmte Theater der Dreistimmigkeit gespannt -, aber auch unionsgeführte Bundesländer, haben schon zu deutlichen Gesetzesverschärfungen laut aufgerufen. Jetzt stellt sich die Frage: Dürfen wir wenigstens in dieser Sache hoffen, dass mit Ihnen, Frau Justizministerin, in der schwarz-gelben Koalition dieser von Ihnen beschworene neue Geist, den Sie angekündigt haben, herrscht und dass das Ritual der Gesetzesverschärfungen durchbrochen wird? Ich bin gespannt. Wer jetzt den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall heranzieht, um eine Lücke im Recht der Sicherungsverwahrung zu behaupten und eine Gesetzesverschärfung zu fordern, liegt schief. Wer aber angesichts populistischer Gesetzesverschärfungen das Urteil des Bundesgerichtshofs wie auch das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Anlass nimmt, das Recht der Sicherungsverwahrung zu überarbeiten und neu zu ordnen, liegt richtig. Genau das wollen wir. Die in den vergangenen Jahren aufgrund von Einzelfällen veranlassten Gesetzesänderungen haben das Recht auf Sicherungsverwahrung zu einem Flickenteppich werden lassen. Vorarbeiten für eine Neuordnung haben wir zusammen mit der Bundesjustizministerin und ExBundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: perten aus Lehre und Praxis bereits in der vergangenen Legislaturperiode geleistet; hier stehen Anknüpfungsmöglichkeiten zur Verfügung. Wenn wir über mehr Sicherheit sprechen, müssen wir vor allem über die weiteren Instrumente sprechen, die das geltende Recht außer der Sicherungsverwahrung noch parat hat. Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen - das ist nämlich ein Thema, das man zu diesem Zweck immer wieder gut verwenden kann -: Selbstverständlich steht die SPD dafür, dass die Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern zu schützen ist. Hierfür gibt es Möglichkeiten wie die Führungsaufsicht, die Polizei und Bewährungshelfer. Jetzt geht es darum, ein neues Konzept zu erarbeiten, statt reflexartig nach Gesetzesverschärfungen zu rufen. ({4}) Wir sind gespannt, welchen Weg Sie einschlagen werden. Um ähnliche Fragen geht es auch beim Thema Nacktscanner. Ich gehe davon aus, dass die Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Inneres dazu noch einiges sagen werden. Man muss sich allerdings, bevor man über ein solches Thema diskutiert, wenigstens überlegen, ob mit der Datenflut, die offensichtlich gar nicht zu beherrschen ist, überhaupt umzugehen ist und welche Konsequenzen ein solcher weiterer Eingriff in die Persönlichkeitssphäre, die Intimsphäre und die Privatsphäre für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger hätte. Frau Ministerin, ich habe mit Freude vernommen, dass Sie über einige Themen konkret diskutieren wollen. Wie ich gehört habe, diskutieren Sie innerhalb der Koalition seit dem Wochenende wieder freundlicher und höflicher; ({5}) das haben Sie sich ja für die Zukunft vorgenommen. Vielleicht führt das auch zu einem entsprechenden Ergebnis. Wir sind gespannt. Bei einigen Themen bin ich allerdings sehr skeptisch, wohin die Reise gehen wird; wahrscheinlich werden wir das erst nach der Wahl in NRW erfahren. Ich nenne nur einige Beispiele: die Veränderungen im Mietrecht zuungunsten der Mieter, die Änderung der Prozesskostenhilfe, die wahrscheinlich dazu führen wird, dass sich für Menschen, die finanziell schwachgestellt sind, der Zugang zu den Gerichten verschlechtert, ({6}) und die angekündigte Zusammenlegung von Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, die sicherlich nicht im Interesse einer sachgerechten Behandlung schwieriger sozialrechtlicher Fragestellungen sein wird. Auch hier sind wir gespannt. Insbesondere an den Veränderungen im Mietrecht wird eines deutlich: Auch hier betreiben Sie Klientelpolitik, eine Politik für die Klientel der Haus- und Grundstücksbesitzer. ({7}) Wir sind gespannt, welche Spenden aus diesem Bereich bei welchem Koalitionspartner ankommen werden. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Günter Krings. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die Kollegin Lambrecht die Themen Mietrecht und Lobbyisten in einen Zusammenhang stellt, fragt man sich natürlich, ob ihre Klientel die Mietnomaden sind; ({0}) das sind nämlich diejenigen, die wir mit unserer Mietrechtsänderung bekämpfen wollen. Ich hoffe und glaube, dass das nicht so ist. Mit Ihren Lobbyismusvorwürfen sollten Sie allerdings etwas vorsichtiger sein. Ich will meine Rede zum Haushalt des Bundesjustizministeriums ganz unkonventionell beginnen, indem ich einige Zahlen nenne. Dieser Haushalt hat ein Volumen von knapp einer halben Milliarde Euro. Das entspricht in etwa allein dem Aufwuchs, den der Etat des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, über den wir zuvor diskutiert haben, zu verzeichnen hat. Es geht um eine also durchaus bescheidene Zahl. Umgerechnet sind es 6,04 Euro pro Bundesbürger. Zieht man die Einnahmen, die in diesem Etat erwirtschaftet werden, ab, geht es um 1 Euro pro Bundesbürger und Jahr. Es handelt sich um einen sparsamen Haushalt, der aber - Frau Ministerin, Sie haben es erwähnt - an einigen wenigen Punkten wichtige Aufwüchse enthält. Einer der wichtigsten Aufwüchse sind die Leistungen für Opfer extremistischer Überfälle. Indem wir die entsprechenden Mittel mehr als verdreifacht haben, haben wir auch eine, wie ich finde, höchstpeinliche Schieflage in unserem Rechtsstaat beseitigt. Bislang war es nämlich so - entstanden ist dies unter rot-grüner Verantwortung -, dass nur rechtsextremistische Überfälle hierunter fielen. ({1}) Es ist überfällig, dass wir auch den Opfern linksextremistischer Überfälle, islamistischer Überfälle und ande1208 rer extremistischer Überfälle Härteleistungen gewähren. Wer das nicht will, hat das System unseres Grundgesetzes nicht verstanden. ({2}) Unser Grundgesetz unterscheidet nämlich nicht zwischen Opfern eines Extremismus erster und eines Extremismus zweiter Klasse. Jeder politische und sonstige Extremismus ist gleich zu behandeln. Es gibt nämlich Regionen und Stadtteile in Deutschland, die vor allem unter Linksextremismus leiden. Es ist richtig, dass wir diese peinliche Schieflage in unserem Rechtsstaat jetzt endlich beseitigen. ({3}) Ungeachtet dieser punktuellen Steigerung ist festzuhalten: Der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz macht nur 0,15 Prozent des Bundeshaushaltes aus. Selbst wenn man die Ausgaben der Länder - bei den Ländern liegt der Anteil, den die Ausgaben für Justiz ausmachen, höher - hinzunimmt, sind für den wichtigen Bereich Justiz nur etwa 2 Prozent der gesamtstaatlichen Ausgaben zu veranschlagen. Ich bin froh, dass die Redezeit in der Haushaltsdebatte nicht proportional zu den Haushaltsmitteln verteilt wird; dann wäre im Bereich Justiz schon mit der Rede der Ministerin Schluss gewesen. Wir müssen an dieser Stelle daher mit einem Fehlschluss aufräumen, dem viele erliegen und der vielleicht eine Ursache für die hohe Staatsverschuldung Deutschlands ist, nämlich mit dem Fehlschluss, dass ein Politikbereich dann besonders wichtig ist, wenn viel Geld für ihn ausgegeben wird. Die Rechtspolitik steuert nicht mit Geld, sondern mit Ge- und Verboten. Der Rechtsstaat macht deutlich, dass nicht alles einen Preis hat. Die Rechtspolitik ist gerade deshalb eine Kernaufgabe unseres Staates, weil sie Grenzen aufzeigt und verbindliche Regeln setzt. Der Rechtsfrieden und die öffentliche Sicherheit lassen sich nicht über das Medium Geld herstellen. Wir brauchen den Sozialstaat, wir brauchen den Steuerstaat, wir brauchen aber auch den Rechtsstaat, der verbietet und notfalls auch bestraft. Die christlich-liberale Koalition will nicht länger hinnehmen, dass die Zahl der Gewaltdelikte gegenüber denjenigen, die für den Rechtsstaat tagtäglich den Kopf hinhalten, immer weiter zunimmt. Ich spreche in erster Linie von den Polizisten; bei vielen Anschlägen, gerade bei linksextremer Gewalt, sind aber auch Feuerwehrleute und Sanitäter betroffen. Wir werden durch entsprechende Veränderungen, auch im Strafrecht, für einen besseren Schutz derjenigen sorgen, die uns schützen. ({4}) Wir werden die Handlungsspielräume ausloten, die die eben zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofes, vor allem aber die des EGMR beim Thema Sicherungsverwahrung lassen. Ich finde es gewagt, wenn das Bemühen, die Sicherungsverwahrung, die dazu dient, den Schutz potenzieller Opfer weiter zu gewährleisten, in ein neues System zu gießen, als Populismus abgetan wird. Für mich ist das das Gegenteil von Populismus: Es ist eine Kernaufgabe des Rechtsstaates, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen, nicht nur, aber, wenn es sein muss, auch mit dem Mittel der Sicherungsverwahrung. ({5}) Frau Lambrecht, Sie haben darauf hingewiesen, dass die Sicherungsverwahrung von der letzten christlich-liberalen Regierung eingeführt worden ist. Danach haben in diesem Land die Sozialdemokraten elf Jahre lang regiert oder mitregiert und das Justizministerium geführt. In dieser Zeit ist das Instrument der Sicherungsverwahrung gerade nicht abgeschafft worden. Es ist, um Ihre Sprache zu sprechen, verschärft worden, ich sage: verbessert worden, wenn auch handwerklich manchmal vielleicht nicht optimal. Sie bzw. Ihre Vorgänger haben aber aus gutem Grund dafür gesorgt, dass die Sicherungsverwahrung ein scharfes Instrument im Instrumentenkasten unseres Rechtsstaates bleibt. Vergleichen wir den Haushalt 2010 mit dem der Vorjahre, stellen wir ein Weiteres fest: Er ist gekennzeichnet von Kontinuität und Stabilität. Das ist genau die Aufgabe der Rechtspolitik. Das Rechtssystem muss gerade in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise ein Stabilitätsanker sein. Die eigentliche Arbeit für die Rechtspolitik beginnt nun mit der Aufarbeitung der Krise. Unsere Aufgabe ist es, Konsequenzen aus den Vorfällen zu ziehen und künftigen Krisen vorzubeugen. Dieses Thema - ich sage das in aller Deutlichkeit - ist zu wichtig, als dass wir es den Ökonomen überlassen könnten. Das ist eine originäre rechtspolitische Aufgabe. Einen Wegweiser für die Aufarbeitung der Krise finden wir nicht in Lehrbüchern der Finanzwirtschaft, sondern vor allem in einem über hundert Jahre alten Buch: im Bürgerlichen Gesetzbuch. Mit den Rechtsgrundsätzen, die in diesem Buch niedergelegt sind, sind wir gut gefahren, im Hinblick auf wirtschaftliche Vernunft, aber auch im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit. Diese Grundsätze müssen uns auch bei der Aufarbeitung der Krise leiten. Zu diesen Grundsätzen gehört, dass Verträge einzuhalten sind; dass Eigentumspositionen zu schützen und Vermögenswerte zu erhalten sind; dass persönliches Verschulden im Regelfall persönliche Haftung nach sich ziehen muss. Ein wichtiges Handlungsfeld bei der Aufarbeitung der Wirtschafts- und Finanzkrise wird das Insolvenzrecht sein. Wir wollen Unternehmen nicht, wie es andere hier im Hause in den letzten Monaten vorgeschlagen haben, vor dem Insolvenzrecht schützen, sondern wir wollen Unternehmen und Arbeitnehmer mit dem Insolvenzrecht schützen. Dazu zählen etwa die Stärkung und Weiterentwicklung des Insolvenzplanverfahrens. Wir wollen stärker dazu kommen, dass das Insolvenzrecht im Regelfall Unternehmen nicht abwickelt und beendet, sondern zu einer Sanierung, zu einer Restrukturierung, also zu einem Neuanfang führt. Beim Haushaltsplan des Justizministeriums fällt schließlich ins Auge, dass der größte Ausgabenposten dieses Haushalts das Deutsche Patent- und Markenamt in München ist. 176 Millionen Euro lassen wir uns diese Einrichtung kosten. Es ist hervorragend investiertes Geld: nicht nur, weil für diese 176 Millionen Euro 295 Millionen Euro zurückfließen - der Sonderfall einer Bundesbehörde, die mehr einnimmt, als sie ausgibt -, sondern vor allem auch, weil es eine hervorragende Investition in unsere Volkswirtschaft ist: Patente und gewerbliche Schutzrechte treiben unsere technische Entwicklung voran, stellen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft sicher und schaffen damit die notwendigen Arbeitsplätze von morgen. Ich erhoffe mir auch von dem vereinfachten Patentanmeldeverfahren auf europäischer Ebene durchaus eine positive Wirkung. Ein Element ist bekanntlich die Onlineanmeldung. Dies ist ein schöner Beleg dafür, dass das Internet nicht notwendigerweise der Feind des geistigen Eigentums ist. Richtig eingesetzt, kann es auch einen Beitrag zur Stärkung des geistigen Eigentums leisten. Wir werden die Chancen und Herausforderungen des Internets in Bezug auf das Urheberrecht sehr ausführlich und sicherlich mit viel Arbeit und viel Engagement im sogenannten Dritten Korb des Urheberrechts betrachten. Ich bin schon der Auffassung, dass hier noch viel zu tun bleibt. Neue technische Herausforderungen verlangen auch neue Schutzmaßnahmen. Wer da stehen bleibt, geht zurück. Wir werden dieses Thema auch zum Gegenstand einer Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ machen. Das Internet ist längst mehr als ein rein technisches Phänomen; es ist vor allem ein gesellschaftliches Phänomen geworden. Gerade die neue Generation des Internets bietet, wie ich finde, faszinierende Möglichkeiten der Kommunikation. Aber es wäre geradezu töricht, die Augen davor zu verschließen, dass damit auch wieder neue Gefahren verbunden sind. Diese gehen heute gar nicht mehr in erster Linie vom Staat aus, sondern immer mehr von der Wirtschaft, etwa von monopolartigen Unternehmen wie Google, die ihrerseits ihre Probleme mit manchen staatlichen Strukturen haben, selbst aber nicht nur Opfer, sondern auch Täter im Bereich Datenschutzverletzungen, Eigentumsgefährdungen - ich denke an das Einscannen von Büchern - oder Beschädigungen der Wettbewerbsfreiheit sind. Im Internet müssen - das ist für uns alles andere als eine Worthülse, sondern sehr ernst gemeint - grundsätzlich die gleichen Regeln wie außerhalb dieses Mediums gelten. Ein neues Medium, so interessant und faszinierend es auch sein mag, kann nicht der Anlass und die hinreichende Begründung sein, dass wir gewachsene moralische wie juristische Maßstäbe einfach über Bord werfen. Wer diese Erkenntnis akzeptiert, muss in der Konsequenz bereit sein, zu akzeptieren, dass das, was analog aus gutem Grund verboten ist, verboten bleibt, auch wenn es denn digital geschieht. Die Kreativen in diesem Lande - Autoren, Musiker, Künstler - werden sich deshalb weiterhin auf die Union und auf die christlich-liberale Regierung verlassen können, wenn es um den Schutz ihrer Persönlichkeits- und Eigentumsrechte geht: nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch um der Volkswirtschaft und der Arbeitsplätze in Deutschland willen. Zum Schluss weise ich nochmals darauf hin, dass wir hinter dem so bescheidenen Etat des Bundesjustizministeriums einen Berg an Aufgaben haben, die wir in den kommenden Jahren bearbeiten dürfen. Diese Arbeit macht deswegen so besonders großen Spaß, weil wir damit zugleich positive Arbeit am Fundament unseres Rechtsstaates verrichten. Allein dies sollte auch im neuen Jahr Ansporn genug für kluge Argumente, lebhafte Debatten und dann auch verantwortungsvolle Lösungen sein. Danke schön. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollegen Steffen Bockhahn von der Fraktion Die Linke. ({0})

Steffen Bockhahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004014, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich mich daran gemacht habe, zu überlegen, was zum Justizressort zu sagen wäre, habe ich feststellen müssen, dass ich dazu neige, eine Motivationsrede halten zu wollen. Ich erwischte mich dabei, dass ich immer wieder dachte: Man muss die FDP als vermeintliche Bürgerrechtspartei unterstützen. Das gilt selbstverständlich nur unter der Voraussetzung, dass sie sich daran erinnert, eine solche sein zu wollen, statt nur Politik nach Spendenlage zu machen. ({0}) Ich kann Ihnen schon jetzt versichern, dass Sie mit der Linken, wenn es um die Wahrung der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern geht, eine verlässliche Partnerin haben werden. Wirft man einen Blick in den Koalitionsvertrag, dann kann man an so mancher Stelle Angst bekommen. Sie wollen, so ist zu lesen, eine „Erscheinenspflicht von Zeugen vor der Polizei“ einführen. Mögliche Zeugen sollen im Ermittlungsverfahren künftig nicht mehr nur vor dem Richter oder dem Staatsanwalt erscheinen müssen. Sie wollen, dass man auch dazu verpflichtet werden kann, vor der Polizei auszusagen. Mit Verlaub, meine Damen und Herren von der Koalition, eine saubere Gewaltenteilung geht anders. ({1}) Vermutlich verfolgen Sie dieses Ziel, weil Sie feststellen, dass die Gerichte und Justizbehörden in Deutschland überlastet sind. Diese Feststellung ist richtig. Die Lösung, die Sie vorschlagen, ist aber eindeutig nicht das geeignete Mittel. Besser wäre es, wenn Sie dafür sorgen würden, dass die Länder in die Lage versetzt werden, das nötige Per1210 sonal zur Verfügung zu stellen, damit Ermittlungen schneller geführt und Prozesse rascher begonnen werden können. Das betrifft nicht zuletzt diverse Prozesse zur Steuerhinterziehung, die wegen Verjährung nicht mehr geführt werden können. Auf diese Weise gehen dem Staat jedes Jahr aufs Neue Unsummen verloren. Die Überlastung der Gerichte hat selbstverständlich auch viel mit der Politik der Bundesregierung in anderen Bereichen zu tun. Wer unsoziale, aber auch handwerklich schlechte Gesetze wie Hartz IV durchsetzt, muss damit leben, dass es viele Klagen dagegen gibt und die Sozialgerichte vor gigantischen Verfahrensbergen sitzen. ({2}) - Wenn es nicht so berechtigt wäre, gegen Hartz IV zu klagen, dann müsste man es nicht tun. Wenn Sie ordentliche Gesetze mitverabschiedet hätten, dann wäre die Lage vielleicht nicht so dramatisch. ({3}) Aber diesen Verfahrensstau gibt es nicht nur bei den Gerichten, die unter die Zuständigkeit der Länder fallen. Auch bei den Bundesgerichten haben wir es mit langen Wartezeiten zu tun. Doch auch daran ändert sich nichts, obwohl Sie die Möglichkeit dazu hätten. Wo nicht über Probleme gesprochen wird, da gibt es auch keine. Also wird nicht darüber geredet, und folglich wird auch nicht die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Bundesgerichten erhöht. Leider bleibt es damit bei den langen Wartezeiten. Dadurch, dass Sie die Judikative nicht in der Form stärken, wie es erforderlich wäre, schwächen Sie sie zwangsläufig. Das führt dazu, dass sie als eine stabile und gleichberechtigte Säule im Rahmen der Gewaltenteilung unter Druck gerät. Keiner hier will das, und keiner sollte das wollen; denn damit wäre die Demokratie ernsthaft in Gefahr. Das Justizministerium hat die Aufgabe, Gesetzgebung und Gesetzanwendung im Bereich Justiz auf nationaler und internationaler Ebene zu ordnen und anzuwenden. Aufgabe ist es aber auch, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen und die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung zu garantieren. Gerade die jüngste Gesetzgebung zur Bekämpfung von Terrorismus macht eine gründliche Überprüfung erforderlich. Hier wird massiv in die Grundrechte eingegriffen, sei es die Verletzung der Privatsphäre, die Speicherung von Daten oder die heimliche Überwachung der Bürgerinnen und Bürger. Ein besonderes Problem stellt dabei aus meiner Sicht immer wieder der § 129 a des Strafgesetzbuches dar. Allein der Verdacht, dass jemand eine terroristische Vereinigung gebildet hat, erlaubt dem Staat Unglaubliches. Die Freiheitsrechte der Betroffenen werden de facto abgeschafft. Betroffene haben kaum Möglichkeiten, sich zu wehren, und die Unschuldsvermutung zugunsten der Verdächtigen ist allenfalls rudimentär erhalten geblieben. Personen im Umfeld der Verdächtigen werden vorsorglich mit überwacht. Ob es einen Verdacht gibt, ist egal. Allein miteinander telefoniert zu haben, kann schon ausreichend sein. Bei aller Einigkeit über die Notwendigkeit eines umfassenden Schutzes der Bevölkerung: Das geht zu weit und hat mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nur noch bedingt zu tun. ({4}) Eine verlässliche, gründliche und schnelle Justiz ist ein Wesensmerkmal funktionierender Demokratien. Es wird Zeit, dass wir neben verlässlich und gründlich auch wieder etwas schneller werden, aber nicht mit Schnellgerichten, sondern mit der erforderlichen Ausstattung. Vertrauen der Menschen in die Demokratie und die Justiz hängen auch davon ab, ob es gleiche Voraussetzungen für alle vor den Gerichten gibt. Wenn es aber in so manchem Rechtsstreit nur darum geht, wer länger durchhält, weil er das nötige finanzielle Polster für die Zeit bis zur abschließenden gerichtlichen Entscheidung hat, dann ist dieses Vertrauen gestört. Leider häufen sich die Fälle, in denen es wie eben beschrieben läuft. Statt neues Personal an den Bundesgerichten einzustellen, leistet das Ministerium für 3,8 Millionen Euro „Beratungshilfe für den Aufbau von Demokratie und Marktwirtschaft“. Ich habe an der juristischen Fakultät einer staatlichen Universität in Deutschland gelernt, dass das Grundgesetz keine Wirtschaftsordnung vorgibt, also auch nicht die Marktwirtschaft. Das ist auch gut so, und das sollte so bleiben. ({5}) - Nein, das haben Sie falsch verstanden. Ich habe nicht gesagt, dass es der Sozialismus sein muss, auch wenn das ein Fortschritt wäre. Mit dieser Unterstützung wird aber ganz gezielt eine bestimmte Wirtschaftsordnung in anderen Ländern im Auftrag der Bundesrepublik gefördert. Unabhängig davon, dass ich meine, dass es sich um die falsche Wirtschaftsordnung handelt: Wer kommt eigentlich auf die Idee, diese kapitalistische Wirtschaftsordnung mit ihrer sozialen Spaltung und der Ausbeutung von Mensch und Natur anderen Ländern auch noch überzuhelfen? So etwas macht man doch nur, wenn man die anderen nicht leiden kann. ({6}) Ungarn und weitere Staaten Osteuropas, die von uns beraten wurden, stehen oder standen vor dem Staatsbankrott. Das ist aber kein Zufall, sondern im Ergebnis eine Folge dieser Wirtschaftsordnung, die hier verbreitet werden soll. Es gibt aber einen Unterschied zwischen der Hilfe beim Aufbau demokratischer Strukturen - dieser ist gewollt - und der Implementierung einer bestimmten Wirtschaftsordnung. Hier wäre es besser, das eine zu tun und das andere zu lassen. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Bockhahn, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich gratuliere herzlich und wünsche Ihnen für die weitere Arbeit viel Erfolg. ({0}) Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Ingrid Hönlinger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ingrid Hönlinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004058, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Dieses Bild von Hermann Hesse wollte die schwarzgelbe Koalition gleich nach der Wahl für ihre Regierungsführung vermitteln. Wir erinnern uns: Die Versprechen des Traumpaares Merkel/Westerwelle hörten sich wie himmlisches Glockengeläut an. Doch was ist daraus geworden? Wir wurden Zeugen, wie es bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, schon quasi in der Hochzeitsnacht zum großen Krach kam. Trotz Ihrer Dauerstreitigkeiten haben Sie ein Erstgeborenes zustande gebracht. Sie gaben ihm einen äußerst attraktiven Namen. Sie nannten es „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“. Leider müssen wir bei näherer Betrachtung feststellen: Dieses Erstgeborene ist genauso wie Ihr Ehevertrag, also Ihr Koalitionsvertrag, ein Pflegefall. ({0}) Sie müssen ständig nachpäppeln, nachfüttern und trockenlegen. ({1}) - Ja, das mache ich. In meiner Rede zum Haushalt und zur Rechtspolitik will ich drei zentrale Punkte hervorheben. Erstens. Die FDP hat in ihrem Wahlprogramm zum Thema Rechtspolitik formuliert: Wir brauchen eine Neuausrichtung der Rechtspolitik … Von der Rechtspolitik müssen entscheidende Impulse ausgehen für eine moderne und aufgeklärte Bürgergesellschaft. Wie sieht nun in dieser Koalition eine moderne Bürgergesellschaft aus. Sie haben beschlossen: Sie wollen die Höchststrafe für junge Menschen, die einen Mord begangenen haben, von 10 auf 15 Jahre erhöhen. Das soll nicht nur für Heranwachsende gelten, sondern auch für Jugendliche, für die 15 Jahre eine unermesslich lange Lebenszeit sind. ({2}) - Doch, im Koalitionsvertrag. - Das planen Sie, obwohl die abschreckende Wirkung einer solchen Maßnahme bisher nicht belegt ist. ({3}) Da betreiben Sie reine Symbolpolitik. ({4}) Sie wollen einen Warnschussarrest für jugendliche Straftäter einführen. Wir alle kennen die hohe Rückfallquote bei stationären Maßnahmen. Besteht nicht die Gefahr, dass Jugendliche im Arrest nicht einen Warnschuss erhalten, sondern sich als Straftäter professionalisieren? Sie wollen zudem - das hat auch die Ministerin betont die Sicherungsverwahrung reformieren. Wir befürchten, dass es nicht zu Reformen, sondern zu einem Ausbau kommt, und das trotz aller verfassungsrechtlicher Bedenken. Frau Ministerin, das alles sind Schritte rückwärts, hin zu alten autoritären Rechtsformen. Dafür bekommen Sie unsere Unterstützung nicht. ({5}) Wir brauchen eine zukunftsorientierte Rechtsauffassung, die mehr Begleitung und Beratung vor allem für jugendliche Straftäter sowie mehr integrative Maßnahmen beinhaltet. Wir brauchen mehr Zivilcourage und Vorbildprojekte. Damit können wir die gesellschaftlichen Selbstregulierungsprozesse fördern. Wir brauchen zudem mehr alternative Konfliktlösungsverfahren. Dazu gehören Schlichtung und Mediation. Wir brauchen weniger Repression und mehr Prävention. ({6}) Zweitens. Wie sieht die zugesagte Wende bei den Bürgerrechten aus? Sie blasen den Großen Lauschangriff nicht ab. Sie behalten die Vorratsdatenspeicherung bei. Natürlich müssen wir die innere und äußere Sicherheit sehr ernst nehmen. Aber Angst ist diesbezüglich ein schlechter Ratgeber. Vielmehr brauchen wir gerade bei diesem Thema ein Höchstmaß an Augenmaß sowie eine sachliche und rationale Abwägung. Wir dürfen die Angst nicht die rationale Abwägung besiegen lassen. Für uns Grüne ist klar: Wir brauchen so viel Sicherheit wie nötig, aber auch so viel Freiheit wie möglich. Ohne Freiheit gibt es für uns keine Sicherheit. ({7}) Drittens. Die Rechtspolitik steht in einem engen Verhältnis zum Rechtsempfinden der Bürgerinnen und Bürger. Da ist es gut, dass das Bundesministerium der Justiz - das wurde schon gesagt - finanziell sehr gut dasteht; 83 Prozent der Ausgaben werden durch eigene Einnahmen gedeckt. Wie aber sieht es in dieser Koalition bei dem Rechtsverständnis im Hinblick auf die soziale Ausgewogenheit aus? Als Beispiel nenne ich das Mietrecht, das von Kollegin Lambrecht ebenfalls schon angesprochen wurde. Unser jetziges Mietrecht stellt einen Ausgleich zwischen zwei ungleichen Partnern her. Jetzt will die schwarz-gelbe Koalition die Rechte der Vermieter zulasten der Mieter stärken. Die Kündigungsfristen sollen gleichgesetzt werden, Sanierungen sollen nicht mehr zur Mietminderung berechtigen, und mietrechtliche Ansprüche sollen leichter vollstreckt werden können. Das heißt im Klartext: Sie machen die Starken stärker und schwächen die Schwachen. ({8}) Ein weiteres Beispiel ist die Beratungs- und Prozesskostenhilfe. Sie wollen der „missbräuchlichen Inanspruchnahme“ von staatlichen Leistungen entgegenwirken. Dabei dürfte doch allen klar sein, dass die hohe Zahl der Prozesskostenhilfezahlungen auch durch die Flut von Hartz-IV-Klagen, die wir alle wahrnehmen, bedingt ist. Es ist aber nicht der richtige Weg, an der Prozesskostenhilfe herumzudoktern. Vielmehr muss das Sozialgesetzbuch II dringend reformiert werden. Damit bekommen wir die Probleme viel besser in den Griff. Für uns Grüne sind Prozesskosten- und Beratungshilfe ein wichtiger Zugang zur Justiz. Die Justiz muss allen Bürgerinnen und Bürgern offenstehen. ({9}) Ein weiteres Beispiel ist die Anwaltsvergütung im Ausländer- und Asylrecht sowie im Sozialrecht. Die Gegenstandswerte bzw. die Rahmengebühren sind so niedrig, dass nur noch Idealisten in diesen Bereichen arbeiten. Zum Beispiel liegt der Gegenstandswert für Diplomprüfungen an der Hochschule bei 15 000 Euro, für Waffenscheine bei 7 500 Euro, für Asylverfahren, bei denen es um Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit geht, aber lediglich bei 3 000 Euro. Da sind die Prioritäten falsch gesetzt, und wir müssen dringend nachbessern, um auch den Schwächeren einen ordentlichen Zugang zum Recht zu gewährleisten. ({10}) Ich komme zum Schluss. In Ihrem Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und FDP schriftlich erklärt: Wir fördern den Dienst am Anderen und fordern Solidarität für eine menschliche Gesellschaft. Bei Lichte betrachtet stellen wir fest: Ihren schönen Worten folgen entgegengesetzte Taten. Sie fördern mit Ihrer Politik den Egoismus einzelner gesellschaftlicher Gruppen und erschweren den Dienst am anderen. Im Kern führt Ihre Politik zu einer weiteren Vertiefung der Spaltung der Gesellschaft. Außerdem vergrößern Sie mit Ihrer Rechtspolitik die Kluft zwischen Arm und Reich in dieser Gesellschaft. Aber das Gute daran ist: Noch keine Regierung wurde so schnell entzaubert wie Ihre. Die Bürgerinnen und Bürger haben längst erkannt, dass nicht nur Ihre Versprechungen in der Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik, sondern auch in der Rechtspolitik auf tönernen Füßen stehen. Bei Ihnen ist einfach nicht das drin, was draufsteht. ({11}) Ich fasse zusammen: Bei Ihnen von der Regierungskoalition kann ich keinen Zauber und auch keinen Neuanfang wahrnehmen, weder beim Schutz der Bürgerrechte noch bei der sozialen Ausgewogenheit und erst recht nicht bei einer Justiz, die allen Bürgerinnen und Bürgern dient. Ihr schwarz-gelber Zauber hat keine 100 Tage gehalten. Es ist wichtig, dass in Zukunft auf der Regierungsbank andere Farbkombinationen zu finden sind. Vielen Dank. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Hönlinger, auch für Sie war dies die erste Rede in diesem Haus. Auch Ihnen gelten mein Glückwunsch und meine besten Wünsche für Ihre weitere Arbeit. ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Florian Toncar für die FDP-Fraktion.

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Mittelpunkt der Rechts- und Justizpolitik der Koalition stehen der Bürger und die Bürgerin. Das bezieht sich sowohl auf die Justiz, die wir mit Haushaltsmitteln auszustatten haben, als auch auf die rechtspolitischen Themen, auf die ich im Anschluss daran eingehen möchte. Wir haben in Deutschland eine hohe Qualität der Rechtsprechung, trotz immenser Belastungen der Gerichte auch des Bundes durch Verfahren, die beispielsweise den Bezug von Arbeitslosengeld II betreffen. Die Zahlen sind immens hoch. Die Belastung betrifft aber auch die Finanzgerichte, weil das Steuerrecht längst viel zu kompliziert geworden und nicht mehr handhabbar ist. Diese Arbeitsbelastung sehen wir. Sie setzt sich im Ministerium fort, das - auch das muss man einmal an dieser Stelle festhalten - in den letzten 15 Monaten im Zuge der Krise erhebliche zusätzliche Arbeit in kürzester Zeit erledigen musste. Wir sehen die Belastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Justiz und im Ministerium und würdigen sie. Hinzu kommen Aufgaben, die in Zukunft eine stärkere Rolle spielen und die die Versorgung betreffen werden. Insbesondere die demografische Entwicklung verdient im Haushalt des Ministeriums besondere Beachtung. Der Haushalt des Justizministeriums ist ein Personalhaushalt. 78 Prozent der Ausgaben werden für Personal ausgegeben. Wir als Koalition wollen dafür Sorge tragen, dass auch in diesen Zeiten und im Zuge dieser Haushaltsberatungen das Möglichste getan wird, damit die Justiz im Interesse der Bürger, nicht in ihrem eigenen Interesse, ihre Aufgaben erfüllen kann. Die Bürgerinnen und Bürger stehen aber auch im Mittelpunkt unserer Rechtspolitik. Ich finde es schon bemerkenswert, dass man sich nach drei Monaten in der Regierung anhören muss, was man alles noch nicht gemacht hat. Frau Kollegin Lambrecht, das geht an Ihre Adresse. Ich habe Ihre Rede so verstanden - das verwirrt mich offen gestanden -, dass Sie uns darum gebeten haben, jetzt die Fehler auszumerzen, die Sie in elf Jahren gemacht haben. Ich kann Ihnen versprechen: Wir tun es. ({0}) Wir tun es schrittweise, aber wir werden das sicherlich nicht in drei Monaten machen können; denn dafür ist es viel zu viel, was zu tun wäre. ({1}) Sie haben das Stichwort SWIFT genannt. Man rechnet mit vielem, aber es ist schon sehr mutig, was Sie da machen; denn das Abkommen SWIFT in der Form, in der es jetzt für neun Monate in Kraft gesetzt worden ist, ist in den Verhandlungen von der alten Bundesregierung - das wissen Sie in Wahrheit ganz genau; das ist für Sie überhaupt nichts Neues - vorbereitet worden, und zwar federführend von Ressorts, in denen Ihre Minister Verantwortung getragen haben. ({2}) Sie wissen auch, dass in neun Monaten eine neue Fassung dieses Abkommens in Kraft sein wird. Ich kann Ihnen sagen - darüber ist sich die Koalition einig; denn das steht so im Koalitionsvertrag -, ({3}) dass die Standards, die in dem jetzt gültigen Abkommen gelten, mit Sicherheit in neun Monaten nicht mehr dieselben sein werden. Sie sollten uns jetzt die Möglichkeit geben, das zu korrigieren, und zwar durch eine vernünftige Vorbereitung der Verhandlungen, was Ihnen unter Ihrer Federführung nicht gelungen ist. ({4}) Sie sollten den Wählerinnen und Wähler gegenüber so ehrlich sein, zu sagen, wer die Verantwortung für das heutige Abkommen trägt, und das sind Sie. ({5}) Herr Kollege Bockhahn, Sie haben über Bürgerrechte gesprochen. Ich registriere, dass das Ihre Erstlingsrede war, und deshalb muss man nachsichtiger sein. Sie haben gehörige Vorwürfe erhoben. Man hört so einiges, wie Sie in Ihrer Partei miteinander umgehen und wer vielleicht wen überwacht. Ich will das nicht bewerten, aber wenn davon nur die Hälfte wahr ist, dann sollten Sie anderen keine Vorträge über Bürgerrechte halten; das an die Adresse der Linken. ({6}) Ich will deutlich sagen - auch die Ministerin hat das eigentlich angesprochen -, was sich in den nächsten Monaten dieses Jahres verändern wird. Wir werden - das ist für die Bürgerinnen und Bürger ein ganz wichtiger Punkt - den Schutz der freien Berufe verbessern, und zwar insbesondere im Strafverfahren. Da geht es beispielsweise um die von Ihnen eingeführte Ungleichbehandlung von Rechtsanwälten. Im Sinne der Bürger ist das nun wirklich nicht; denn es geht hier nicht um den Schutz einer Berufsgruppe, sondern darum, dass sich der Bürger, der zu einem Rechtsanwalt oder einem Strafverteidiger geht, darauf verlassen kann, dass das, was er dort bespricht, der Vertraulichkeit unterliegt. Dieses Gesetz ist im Sinne der Bürger zu ändern. Genauso steht es im Koalitionsvertrag. Diese Linie ist sehr wohl anders als das, was Sie in den letzten Jahren hier gemacht haben. ({7}) - Herr Kollege Montag, Sie wissen, dass wir uns um dieses Thema kümmern werden. Wir werden natürlich versuchen, für alle Berufsgeheimnisträger den bestmöglichen Schutz zu erreichen, der notwendig ist; denn bei diesen Berufsgruppen ist das Vertrauen des Kunden in das persönliche Verhältnis zu demjenigen, zu dem er geht, von grundlegender Bedeutung. Es gibt einen weiteren wichtigen Punkt: Das ist der Schutz der Presse. Sie wissen, dass es in den letzten Jahren auch hier zu Fehlentwicklungen gekommen ist. Das ist übrigens ebenfalls unter Ihrer Verantwortung geschehen. Ich bewundere Ihr Selbstbewusstsein - das gestehe ich Ihnen zu -; ich lasse Ihnen aber nicht durchgehen, dass Sie das alles hier unterschlagen. Wir werden uns darum kümmern, dass Journalisten ihren Auftrag, sich für die Bürgerinnen und Bürger zu informieren, Bescheid zu wissen, wahrnehmen können, beispielsweise dadurch, dass ihnen nicht mit Anzeigen wegen Geheimnisverrats gedroht werden kann. Es bedarf einer praktikablen Neuregelung, die gewährleistet, dass die Tätigkeit von Journalisten nicht gefährdet wird. Mein letzter Punkt ist das Thema Mietrecht. Ich glaube, es grenzt an Unterstellung, zu sagen, dass der soziale Charakter des Wohnungsmietrechts verändert werden soll. Dieser Charakter bleibt erhalten. Er hat seine Berechtigung. Es ist ein Unterschied, ob man ein Auto oder eine Wohnung mietet. ({8}) Aber Sie müssen auch sehen, dass es in den letzten Jahren Fehlentwicklungen gegeben hat - Mietnomaden und Ähnliches -, die nicht nur zulasten der Vermieter, sondern auch zulasten der Mieter gegangen sind: Sie müssen im Ergebnis mitbezahlen; denn am Ende wird Wohnraum vielleicht knapper, oder Vermieter müssen Ausfälle in die Höhe der Miete einkalkulieren. Ich würde mir schon wünschen, dass Sie auch das Problem sehen, dass redliche Mieter über die Miete ein Stück weit für Miet1214 nomaden und andere Probleme, die wir in diesem Bereich haben, mitbezahlen. ({9}) Das werden wir angehen. Auch das dient den Bürgern. Die Koalition ist auf einem guten Weg. Vielen herzlichen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Peter Danckert für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Frau Ministerin, lassen Sie mich zunächst ein persönliches Wort sagen. Ich bin sehr froh, dass Sie wieder in Amt und Würden sind. Es ist nicht so, dass ich mit Ihrer Vorgängerin, Frau Zypries, nicht zufrieden gewesen wäre. Die Umstände, die Sie seinerzeit veranlasst haben, aus dem Amt auszuscheiden, waren aber schon sehr bemerkenswert und haben gezeigt, dass Sie einen hohen moralischen Anspruch haben, auch an sich selber. Ich hoffe, dass in dieser neuen Regierung dieser hohe Anspruch erhalten bleibt und Sie nicht etwa über die Jahre leidensfähiger geworden sind. Ich habe an Sie die Hoffnung und Erwartung, dass Sie immer Ihre Rolle als Hüterin unserer Verfassung im Auge haben und gegebenenfalls wieder so handeln, wie Sie schon einmal handeln mussten. Ich wiederhole: Das hat damals, jedenfalls bei mir, großen Respekt hervorgerufen. Die Thematik, die wir heute Morgen in der Geschäftsordnungsdebatte behandelt haben, war eine ganz besondere. Es gibt sicher den einen oder anderen, der sagt: Wir hätten uns das alles sparen können; die Mehrheitsverhältnisse waren klar. Ich glaube jedoch, wir haben uns nicht durch diese Debatte geschadet, sondern durch das, was dieser Debatte vorausgegangen ist. Heute ist mehrfach gesagt worden, dass sich auch schon die Grünen zur Halbierung des Mehrwertsteuersatzes bekannt haben. Es ist auf das verwiesen worden, was die SPD 1998 gemacht hat. Das ist doch gar nicht das Thema. Man kann darüber streiten, ob eine Reduzierung der Mehrwertsteuer vom Grundsatz her im Sinne der Harmonisierung in Europa sogar sinnvoll sein kann. Ein Punkt ist jedenfalls anders als 1998: Die Haushaltslage hat sich grundlegend verändert. Die Frage, die uns alle, auch die Öffentlichkeit, bewegt, ist deshalb: Ist das eigentlich der richtige Zeitpunkt gewesen? Wir befinden uns in einer Situation, in der allein die Nettokreditaufnahme des Bundes rund 86 Milliarden Euro beträgt, bei einem Finanzierungssaldo von Bund, Ländern und Kommunen - auch das müssen wir im Auge haben - von 144 Milliarden Euro. Das ist ja eine extreme Ausnahmesituation. Wenn man in einer solchen Situation diesen Schritt macht, muss das schon gut begründet sein. Nun kommt etwas hinzu, was die Sache so anrüchig macht, nämlich der Umstand, dass Sie vor dieser Entscheidung, die Sie dann ja auch nachhaltig umgesetzt haben, drei Parteispenden in Höhe von insgesamt 1,1 Millionen Euro bekommen haben. Das ist aus meiner Sicht der entscheidende Punkt, nicht der, dass Sie diesen Schritt überhaupt gemacht haben. Diese Zahlungen sind zwar angezeigt worden und insofern verfahrensmäßig in Ordnung, aber wir müssen uns einfach einmal vergegenwärtigen, welch verheerenden Eindruck das außerhalb des Parlamentes - wir sind ja mehr oder weniger alle Profis und können mit solchen Dingen umgehen, können darüber debattieren - hervorgerufen hat. Wie sieht es aber draußen aus? Der Bürger, der diesen Vorgang ja irgendwie zur Kenntnis nehmen muss, muss doch den Eindruck haben, dass es hier nicht nur einen zeitlichen Zusammenhang gibt, sondern darüber hinaus auch einen kausalen Zusammenhang. Das macht diesen Vorgang so schwierig.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lindner?

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Im Moment nicht. Nachher gibt es dafür vielleicht andere Gelegenheiten. ({0}) Diese Situation hat dem Ansehen unseres Staates und auch von uns allen - da nehme ich keinen aus schwer geschadet. Ich glaube, wir werden dieses Gespenst so schnell nicht wieder los, zumal es ja im Zusammenhang mit vielen anderen Ereignissen steht. Ich erinnere mich sehr gut an den Untersuchungsausschuss, dessen Mitglied ich kurz nach meiner Wahl ins Parlament 1998 wurde. Ich will all das hier nicht ausbreiten. Da sind ja einige sehr peinliche Dinge offenbar geworden. Wenn wir heute schon mehr wüssten, als öffentlich bekannt geworden ist, dann würden wir darüber vielleicht noch anders reden. Ich persönlich wüsste zum Beispiel sehr gerne, wer da mit wem über was geredet hat. Das bekommen wir aber vielleicht bei anderer Gelegenheit heraus. So viel dazu. Ich möchte jetzt nicht, Frau Ministerin, über jeden einzelnen Punkt reden, der zu Ihrem Ressort in der Koalitionsvereinbarung steht, sondern eher über das, was nicht im Koalitionsvertrag steht. Wenn man einmal alle Regelungen zum Kapitalmarkt zusammenzählt, dann stellt man fest, dass es zwei bis drei Dutzend Bestimmungen mit Spezialverweisungen gibt, die über viele Gesetze verstreut sind, also ein völlig unübersichtliches Gebiet. So hat sogar im Mannesmann-Prozess, jedenfalls nach dem ersten Durchgang, das Gericht einen unvermeidbaren Verbotsirrtum konstatiert. Angesichts der Experten, die davon betroffen waren, kann man sich zwar fragen, wieso es für sie unvermeidbar war. Aber das ist eine andere Sache. Wir müssen hier - das ist auch Ihre Aufgabe - für Klarheit sorgen, damit nicht der Verdacht entsteht, dass einzelne kleine Täter gnadenlos verfolgt werden, aber in anderen Bereichen der Staat aus unterschiedlichen Gründen nicht einmal in der Lage ist, Ermittlungsverfahren einzuleiten, zum Beispiel weil die Gesetzeslage sehr kompliziert ist oder weil die Beweislage im Einzelfall kompliziert ist. Wenn wir an dieser Stelle nicht zu einer stringenten Lösung kommen, dann haben wir versagt; dann kritisiert uns auch mit Recht die Öffentlichkeit. Meine herzliche Bitte an Sie: Versuchen Sie einmal in Ihrem Hause die Regelungen zu durchforsten. Daraus könnten sich dann ja auch neue Hinweise ergeben. Wir haben nicht mehr die gleiche Situation wie vor 50 oder 100 Jahren; wir müssen mit unserem Strafgesetzbuch auch auf neue Sachverhalte reagieren können, selbst wenn sie völlig neue Herausforderungen auch für die Staatsanwaltschaften und die Gerichte darstellen. Zum Schluss noch eine Sache, die mir persönlich sehr am Herzen liegt. Im September dieses Jahres jährt sich zum 30. Mal das Attentat auf das Oktoberfest in München. Ein einzelner Mann, der dabei zu Tode gekommen ist, gilt als Alleintäter. Es gibt inzwischen reichlich neue Informationen. Ich empfehle Ihnen und auch unserem Innenminister, sich diese einmal genau anzusehen. Inzwischen gibt es zum Beispiel mehrere Veröffentlichungen, so ein Buch von Tobias von Heymann, mit dem sich auch die Generalbundesanwaltschaft beschäftigt. Hier finden sich ernst zu nehmende Hinweise, dass es sich nicht um einen Einzeltäter handelte, sondern dass zumindest im Umfeld mehrere andere, die heute noch leben, daran mitgewirkt haben. Mord verjährt nicht. Es besteht für uns gegenüber den Opfern die Verpflichtung, diese Sache wieder aufzugreifen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass bei einer Tat, die nicht verjährt, durch die Behörden Beweismittel vernichtet werden, nach dem Motto: Das braucht man nicht wieder aufzugreifen. Ich habe auch kein Verständnis dafür, dass das LKA Bayern es damals geschafft hat, das BKA und die Generalbundesanwaltschaft aus dem Fall herauszuhalten. Das sind Fakten. Meine herzliche Bitte: Nehmen Sie dieses traurige Jubiläum zum Anlass, noch einmal nachdrücklich darauf hinzuwirken - das würde vielleicht auch bedeuten, dass die Generalbundesanwaltschaft zwei, drei oder vier neue Mitarbeiter benötigt; das ist also auch ein haushaltsrechtlicher Hinweis -, dass dieses Geschehen mit den Möglichkeiten, die wir heute haben, aufgeklärt wird. Ein allerletzter Satz zu den Opfern. Sie haben ja auf den Fonds hingewiesen. Der Kollege Krings hat zu Recht von rechten und linken Straftaten gesprochen. Da bin ich Ihrer Meinung. Aber es ist einfach ein Skandal, dass ein elfjähriger Junge, der damals nur deshalb überlebt hat, weil sein Bruder vor ihm stand, die meisten Splitter abgehalten hat und dadurch zu Tode gekommen ist, der aber noch heute diverse Splitter im Körper hat, nur marginal und erst in den letzten Jahren - nach über zwei Jahrzehnten - entschädigt worden ist. Dafür habe ich kein Verständnis. Wir können nicht nur Reden halten und Entschädigungsfonds für die Opfer fordern, wenn es im Einzelfall nicht gelingt, diese Menschen, die schwer gelitten und Angehörige verloren haben - in diesem Fall drei Geschwister -, für den körperlichen Schmerz und die anhaltenden Verletzungen zu entschädigen. Deshalb meine herzliche Bitte: Kümmern Sie sich darum; dann erweisen Sie unserem Rechtsstaat einen guten Dienst! Herzlichen Dank. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun der Kollege Dr. Lindner.

Dr. Martin Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004096, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Danckert, ich spreche Sie als Berliner Abgeordneter an, weil auch Sie aus Berlin stammen. Sie haben einen wesentlichen Teil Ihrer Rede darauf verwendet, die Diskussion, die wir heute Vormittag in der Geschäftsordnungsdebatte hatten, wieder aufzugreifen. Ich frage Sie - ich kenne Sie als einen Mann von Verstand -: Glauben Sie ernsthaft, dass wir, wenn wir diese Spende nicht erhalten hätten, unsere Forderung nach Absenkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers und Gastronomie rückgängig gemacht hätten? Glauben Sie, dass wir gesagt hätten: „Der Baron Finck hat uns nicht gespendet, jetzt ändern wir das Wahlprogramm, das wir 2007 aufgestellt haben“? ({0}) Das ist doch völlig abwegig; das wissen Sie ganz genau. Ich sage Ihnen: Ausgerechnet als Berliner SPD-Mann sind Sie der Allerletzte, der in unsere Richtung solches zu adressieren hat. Schon vor 2001 war Ihre Partei in Berlin in der Regierung und hat unter anderem die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe vorangetrieben. Das ist unter Ihrer Regierungsverantwortung geschehen. Die Berlinwasser Holding, die dann teilprivatisiert war, hat 2001 im Wahlkampf nichts Besseres gewusst, als ein Fundraising-Dinner zugunsten von Klaus Wowereit und der SPD auszurichten. ({1}) Da hat sogar die Staatsanwaltschaft ermittelt, Herr Danckert; das wissen Sie ganz genau. Deswegen sind Herr Wowereit und Sie als Berliner SPD-Leute die Allerletzten, die uns Freien Demokraten irgendetwas zum Thema Parteispenden oder Ähnliches zu adressieren haben. Si tacuisses, philosophus mansisses. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Danckert, bitte.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lindner, Sie sind ja neu im Parlament. Deshalb möchte ich Ihnen den Hinweis geben, dass ich Brandenburger Sozialdemokrat bin ({0}) und den Wahlkreis seit 1998 viermal direkt gewonnen habe. Das ist Ihnen vielleicht entgangen, weil ich früher in Berlin Strafverteidiger war. Das ist allerdings richtig. Da habe ich reichlich Erfahrung. Von den Dimensionen her - wir haben es eben gehört: Spende in Höhe von 1,1 Millionen Euro - vermute ich, dass das FundraisingDinner - ich kenne den Sachverhalt nicht genau - im Bereich von 5 000 Euro liegt. Soweit ich mich erinnere, ist das Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang eingestellt worden. Was soll also dieser Hinweis? Für die Bemerkung, dass ich bei Verstand bin, bedanke ich mich bei Ihnen. Das ist aber bekannt. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Michael GrosseBrömer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rechtspolitik erfordert nur einen kleinen Haushalt; das ist wahr. Aber die Rechtspolitik, so glaube ich, hat eine große Bedeutung. Dies wird auch dadurch deutlich, dass sich der Kollege Dr. Danckert Mühe gegeben hat, nur ganz spezielle Punkte der Rechtspolitik aufzuzeigen, nämlich Punkte, die mit Spenden zu tun haben. Am Anfang seiner Rede, als er die Ministerin gelobt hat, dachte ich noch, er würde Altersweisheit zeigen. ({0}) Wenn wir in der Rechtspolitik anfangen, die Geschäftsordnungsdebatte von heute Morgen ansatzweise aufzugreifen, dann ist das erstens der Sache nicht dienlich, weil diese Debatte schon geführt wurde. ({1}) Zweitens sollten wir uns Mühe geben, die Forderung der Opposition, der Demokratie nicht zu schaden, zu erfüllen. In diesem Zusammenhang müssen wir einmal feststellen: Spenden sind in einer Demokratie per se nichts Schlechtes. Sie sind dann schlecht für eine Demokratie, wenn mit ihnen gewisse politische Entscheidungen gekauft werden. ({2}) Ich kann Ihnen sagen: Den Nachweis, dass dies in diesem Falle zutrifft, haben Sie weder heute Morgen noch in Ihrer Rede erbracht. ({3}) Hören Sie also auf, Spenden zu skandalisieren! Grundsätzlich zu unterstellen ({4}) - zu Ihnen komme ich gleich auch noch -, ({5}) Politik sei käuflich, macht die Sache schwierig. Man könnte nämlich einmal auflisten, von wem die Grünen und auch die SPD Spenden bekommen. Man kann dieses Thema zwar problematisieren, aber wir sollten auch so ehrlich sein, zu sagen: Es ist kein Skandal, solange ein Zusammenhang zwischen Spende und Käuflichkeit nicht nachgewiesen ist. Der Nachweis dieses Zusammenhangs ist durch Ihre Debattenbeiträge, von heute Morgen angefangen, nicht erbracht worden. ({6}) Wir sollten also ein bisschen vorsichtiger sein. Wir haben da in der Tat eine Verantwortung. Zu den Linken will ich sagen: Sie haben in der Tat ein besonderes Talent, nämlich das Talent, bestimmte Begriffe in die Debatte einzuführen. Wir wetten immer, wann die Wörter Hartz IV, Ausbeutung oder Überwachung fallen. Man kann schon sagen, dass Sie aufgrund Ihrer innerparteilichen Erfahrungen und auch aufgrund Ihrer Erfahrungen in der SED mehr zum Thema Überwachung wissen als Mitglieder aller anderen Parteien. ({7}) Geben Sie sich doch einmal Mühe, ein rechtspolitisches Konzept zu entwickeln! Führen Sie nicht immer einen Dauerwahlkampf mit Plattitüden zur Armut wie beispielsweise „In Deutschland ist alles ganz fürchterlich“ und „Die Leute verhungern hier auf der Straße“. Schauen Sie sich einmal um! Es gibt zwar noch manche Aufgabe zu erledigen. Aber es trifft auch zu, dass manche Nachbarländer froh wären, wenn sie einen Sozialstaat wie den in Deutschland hätten, und das trotz aller Unzulänglichkeiten unseres Sozialstaates, über die man diskutieren kann. Auch das gehört zur Wahrheit. ({8}) Frau Kollegin Hönlinger, ich will Ihnen sagen, dass ich diesen schwarz-gelben Zauber noch spüre. ({9}) Ich sage dies, damit Sie nicht frustriert nach Hause gehen. Immer wenn wir über Rechtspolitik diskutieren, dann gibt es diese zauberhafte Stimmung. Wir streiten uns nicht. Auch wenn Sie dieses Gefühl nicht kennen: Es ist so. ({10}) - Juristen und insbesondere Rechtspolitiker sind viel zu realistisch, als dass sie tagsüber träumen würden. Es ist einfach dieser schwarz-gelbe Zauber, der uns glücklich macht. ({11}) Wie lange dieser Zauber anhält, ist natürlich eine spannende Frage. Jedenfalls haben wir zurzeit angesichts der Punkte, deren Abarbeitung wir uns vorgenommen haben, noch Anlass genug, fröhlich zu sein. Wir haben einen sehr ordentlichen Koalitionsvertrag geschlossen. Im Übrigen bekommen wir manchmal von den Gerichten überraschend neue Aufgaben zugewiesen. Die meisten sind schon angesprochen worden. Ich komme gleich noch kurz darauf zurück. Damit Ihre Forderungen nach mehr Sozialstaatlichkeit mehr als bisher erfüllt werden, wollen wir eine ordentliche Wirtschaftspolitik machen. Auch mit Rechtspolitik ist man in der Lage, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Dann kann all das bezahlt werden, was Sie irgendwann fordern werden. Vielleicht lag für den Sozialismus das Problem darin, dass er in dieser Hinsicht nicht richtig funktioniert hat. Andernfalls wäre die DDR vielleicht nicht pleitegegangen. ({12}) - Aber Sie haben jetzt die Chance, mir zuzuhören. Mal sehen, was dann bei Ihnen an Bedeutung gewinnt. Das Insolvenzrecht - es ist angesprochen worden und der Schutz des geistigen Eigentums sind neben unserer Gerichtsbarkeit eine gute Grundlage für einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir werden weiter daran arbeiten. Gerade wirtschaftsrechtliche Themen sind in einer christlich-liberalen Koalition bestens aufgehoben. Das Mietrecht ist natürlich besonders geeignet, irgendwelche Ungerechtigkeiten zu schüren, vielleicht auch den Vermieter als Kapitalisten zu brandmarken. Wir sollten uns zwischendurch daran erinnern, dass die Mieter keinen Vorteil davon hätten, wenn es keine Vermieter gäbe. Das ist logisch zu ergründen. ({13}) Deswegen ist es vielleicht ganz sinnvoll, zu sagen: Wir müssen auch im Mietrecht dahin kommen, dass wir gewisse Ungerechtigkeiten aufarbeiten. Ich weiß nicht, was an dem Umstand so schlecht ist, dass man sagt: Das Mietnomadentum hat sich ausgebreitet. Das ist ein spezielles Problem, dessen Intensität zugenommen hat. ({14}) - Sie reagieren immer wieder bei diesem Thema. Kennen Sie irgendwelche Mietnomaden persönlich, weil Sie sich jedes Mal, wenn dieses Wort fällt, melden? ({15}) - Es gibt keine Zahlen? Ich habe zu Hause drei Beispiele von Leuten, die mich angeschrieben haben und ihre Probleme aufgelistet haben. Das geht über viele Seiten. Es ist unerträglich, zu sehen, wie Leute darunter leiden, ({16}) dass manche Menschen, kriminell organisiert, Vermieter in einem unerträglichen Maße bewusst belästigen, deren Eigentum zerstören, die Miete nicht zahlen und sich dann glücklicherweise irgendwann, möglichst früher als später, vom Acker machen. Aber meistens kennen sie sämtliche Regeln, auch die Verschleppung von Vollstreckungsmaßnahmen, was dann dazu führt, dass es massive Einschränkungen desjenigen gibt, der sein Eigentum eigentlich nur anderen zur Nutzung zur Verfügung stellt. ({17}) Ich verstehe nicht, was man daran zu meckern haben kann, dass man dagegen vorgeht. Wir geben das Mietrecht natürlich nicht dem sozialen Kahlschlag anheim. Das ist völlig abwegig. Das Mietrecht muss sozial und ausgewogen bleiben. Etwas anderes ist mit der CDU/CSU nicht zu machen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Montag?

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen Satz wollte ich noch sagen. Dann natürlich gerne. Jedenfalls muss niemand befürchten - dieses Horrorszenario wird immer wieder an die Wand gemalt -, dass jemand, der 30 Jahre in seiner Wohnung und damit in seinem Kiez wohnt, innerhalb von sechs Wochen herausgeklagt wird. Das wird es nicht geben. ({0}) In diesem Zusammenhang werden natürlich immer völlig übertriebene Dinge erwähnt. Dies findet mit der CDU/CSU nicht statt. ({1}) Jetzt der Kollege Montag.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Montag, bitte.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Grosse-Brömer, Sie sind jetzt der Dritte aus der Reihe der Rednerinnen und Redner der Koalition, der uns eine Änderung des sozialen Mietrechts ankündigt und die Begründung dafür bei den Mietnomaden sucht. Ich bestreite überhaupt nicht, dass es solche Fälle gibt. Auch ich als Abgeordneter kenne persönlich solche Fälle. Es wäre gut, wenn uns ein schlauer Gedanke dazu einfiele, was man rechtsstaatlich dagegen unternehmen könnte. Nur will ich Sie einmal fragen - dies ist ein Punkt in Ihrem Koalitionsvertrag -, ob Sie die Kündigungsfristen, die im Augenblick und seit Jahrzehnten aus gutem Grund für den Mieter günstiger sind als für den Vermieter, verändern und gleichstellen wollen. Was hat diese Änderung - dies ist eine faktische Schlechterstellung der Rechtsposition aller Mieter, auch derjenigen, die keine Mietnomaden sind - mit der Bekämpfung des Mietnomadentums zu tun? Hören Sie endlich auf, sich hinter diesem Schreckensbild, das es gibt, zu verstecken, und geben Sie uns bitte eine wahre und richtige Antwort darauf, warum Sie die Rechte aller Mieter in Deutschland verkürzen wollen!

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der erste Punkt ist, dass auch meine bisherige Stellungnahme natürlich nicht unwahr bzw. falsch gewesen ist. Zweiter Punkt. Ich kann Ihnen weitere Argumente nennen. Das Mietnomadentum habe ich angesprochen, weil dann immer eine große Aufregung in den Reihen der Linken herrscht. Ich kann Ihnen sagen, wie wir die Rechte der Mieter stärken. Wir wollen nämlich nicht, dass Mieter aufgrund einer Luxussanierung und damit einhergehender exorbitant steigender Mieten aus ihren Räumen sozusagen heraussaniert werden. ({0}) Aber wir werden uns doch darin einig sein, dass man bei Verträgen mit zwei Vertragspartnern darüber nachdenken können muss - ohne dass schon entschieden wäre, in welchem Maße das erfolgt -, inwieweit beide Vertragsparteien die gleichen Ausgangspositionen bekommen. Das ist doch per se nichts Schlechtes. Deswegen ist es natürlich auch eine politische Entscheidung. ({1}) - Natürlich hat das nichts mit Mietnomadentum zu tun. Nur zum besseren Verständnis: Nein, Kündigungsfristen haben nichts mit Mietnomadentum zu tun, Luxussanierungen auch nicht. Wir haben all diese Punkte im Koalitionsvertrag festgehalten, und noch erlaube ich mir, selbstständig darüber nachzudenken, welchen Punkt ich an dieser Stelle erwähne. Ich bin für jede Anregung dankbar, aber das, was ich sage, wird dadurch nicht falsch oder unwahr. Ich sage es noch einmal: Die soziale Ausgewogenheit bleibt bestehen. Darauf werden wir gesteigerten Wert legen. Die Sicherungsverwahrung ist als wichtiger Punkt angesprochen worden. Hier besteht die Schwierigkeit, dass wir den Ausnahmecharakter dieser besonderen Sicherungsverwahrung erhalten müssen. Mit diesem Thema müssen wir uns rechtsdogmatisch neu auseinandersetzen. Das ist eine schwierige Aufgabe; das ist gar keine Frage. Viele haben sich auch schon daran gewöhnt. Ich finde, der Schutz der Bevölkerung - nehmen wir zum Beispiel die Situation im Städtchen Heinsberg, wo ein freigelassener Straftäter, der in einer exorbitant brutalen Art und Weise vorgegangen ist, derzeit polizeilich beobachtet wird - steht im Vordergrund. Dass Menschen in unserem Lande, die darauf angesprochen werden, für die gerichtliche Ablehnung einer Sicherungsverwahrung kein Verständnis haben, ist für mich sehr einleuchtend. Deswegen ist es unsere Aufgabe, einen Weg zu finden, wie der Schutz der Bevölkerung vor schweren Gewalttaten von Wiederholungstätern künftig unter Berücksichtigung der Tatsache erfolgen kann, dass der Ausnahmecharakter einer Sicherungsverwahrung gewahrt bleiben muss, insbesondere bei einer nachträglichen Sicherungsverwahrung, wo neue Tatsachen für die Gefährlichkeit des Verurteilten vorliegen müssen, damit es rechtlich einwandfrei ist. Bei einem Täter, der bereits massiv und brutal vorgegangen ist, sind kaum noch Aspekte zu nennen, die eine neue Gefährlichkeit begründen. Wir wollen angesichts der zunehmenden Anzahl linksextremistischer Gewalttaten in Deutschland auch darüber nachdenken, inwieweit wir den § 113 Abs. 2 StGB verbessern können. Das ist keine Frage. Das steht ebenfalls im Koalitionsvertrag. Ich halte das für eine sinnvolle Überlegung. Es ist oft so, dass es, wenn man das Wort Linksextremismus verwendet, ein paar Kollegen auf der linken Seite des Hauses gibt, die die Gewalt dann nicht so ernst nehmen bzw. - dieses Gefühl habe ich jedenfalls - Verständnis aufbringen. Wir sind der Auffassung, dass Extremismus immer zu verurteilen ist, egal ob er von rechts oder von links erfolgt, insbesondere dann, wenn er mit massiven Gewalttaten gegen Vertreter des Staates vorgeht. Deswegen halten wir Handlungsbedarf für gegeben. Abschließend will ich darauf hinweisen, dass ich mir wünsche, dass wir in der Lage sind, diese Art der Argumentation, die wir im Rechtsausschuss pflegen, nämlich vorrangig intellektuell und in wenig aufgeregtem Ton, beizubehalten. Es ist besser, wenn wir unsere Themen sachlich und weniger ideologisch abarbeiten. Ich glaube, die Rechtspolitiker sind aufgrund ihrer Ausbildung ganz besonders für diese Art der Auseinandersetzung geeignet. Ich wünsche mir, dass wir Unterstellungen weglassen und die Art der gemeinsamen Bearbeitung notwendiger rechtspolitischer Themen weiterhin pflegen können. In diesem Sinne freue ich mich auf die Zusammenarbeit und danke für die Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Raju Sharma für die Fraktion Die Linke. ({0})

Raju Sharma (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004156, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Generaldebatte heute Vormittag hat der Kollege Poß erzählt, wie er 1982 zusammen mit Wolfgang Schäuble im Untersuchungsausschuss des Bundestages diesen oder jenen Strauß ausgefochten hat. Ich fand das beeindruckend, weil mir einfiel, dass das nicht die erste Wahlperiode von Wolfgang Schäuble war. Das war 1982. Ich habe mir vorgestellt: Nach über 30 Jahren im Bundestag weiß man, wie es geht, hier im Raumschiff Berlin. Aber man weiß natürlich nicht mehr, wie es draußen bei den Bürgern aussieht; denn die hat man über 30 Jahre nicht mehr wirklich gesehen. Das finde ich schon bezeichnend. ({0}) - Ich habe in der Tat eine Vorstellung von Parlamentarismus, die aber nicht so aussieht, dass man als junger Mensch in den Bundestag eintritt und mit der Pensionierung irgendwann mit 75 Jahren ausscheidet. ({1}) - Wenn Sie sich nun genug aufgeregt haben, würde ich meine Ausführungen gerne fortsetzen. ({2}) - Sie können sich gerne noch weiter aufregen. Es wird nicht sinnvoller, was Sie sagen. Es war auch nicht sinnvoll, was Sie vorhin gesagt haben. ({3}) Wenn Ihre Vertreter die Bürger so lange nicht mehr gesehen haben, darf man sich nicht darüber wundern, dass sie eine Politik machen, die eigentlich aus der Mitte des letzten Jahrhunderts kommt. ({4}) Ich habe die Freude und das Vergnügen, ein berufliches Leben vor der Politik gehabt zu haben. Ich war beim Landesrechnungshof in Schleswig-Holstein beschäftigt. ({5}) Dort durfte ich mich auch mit dem Justizhaushalt befassen. Wollen wir jetzt einmal über den Justizhaushalt sprechen? Dann kann ich Ihnen einmal erklären, wie so etwas vor sich geht. Wenn man sich beim Rechnungshof einen Haushaltsplan anschaut, überlegt man zunächst, wo die relevanten Themen sind, die nichts mit Erbsenzählerei zu tun haben, welche Themen wichtig und haushaltspolitisch bzw. von der Wirtschaftlichkeit her relevant sind. Dann klammert man die Themen aus, die politisch relevant sind, bei denen die politischen Schwerpunkte gesetzt werden. Das ist nämlich nicht die Sache der Rechnungshöfe. Da ich jetzt Abgeordneter einer Oppositionsfraktion bin, habe ich mir gedacht: Schaue ich mir den Haushalt doch einmal genau andersherum an und achte auf politische Schwerpunkte. Ich lese und lese und lese und stelle nach 81 Seiten fest: Da sind keine politischen Schwerpunkte. Diese Koalition setzt keine politischen Schwerpunkte in der Rechtspolitik. ({6}) Das ist aber nicht nur schlimm; denn abgesehen von dem Stuss, den ich von Abgeordneten aus Ihren Reihen heute hören musste, steht in dem Haushaltsentwurf wenigstens auch nichts über das, was man seit einigen Jahren von Vertretern der schwarz-gelben Koalitionen in Niedersachsen und Baden-Württemberg immer wieder hört, wenn es um Rechtspolitik geht. Dort wird in einer Art und Weise privatisiert, dass Sie sich nicht darüber wundern dürfen, dass wir beklagen - das tun wir auch, um Ihnen eine Freude zu machen -, dass der Neoliberalismus nun auch in der Rechtspolitik Einzug hält. Da ist von Privatisierung im Bereich der Gerichtsvollzieher und im Bereich der Bewährungs- und Gerichtshilfe die Rede. Die Sozialen Dienste und Teile von Haftanstalten sollen privatisiert werden. Da ich mich beim Rechnungshof viele Jahre lang intensiv mit diesem Thema beschäftigen durfte - das gilt auch für viele andere bei den Rechnungshöfen -, weiß ich, dass es Hunderte Vorschläge gibt, wie man die Aufgabenwahrnehmung in diesem Bereich effizienter gestalten kann, wie man Aufgaben anders organisieren kann. Aber so ein Stuss war nie dabei. Wenn es bei Ihren Kollegen Landesministern in den schwarz-gelben Koalitionen in Niedersachsen und Baden-Württemberg einmal so etwas wie geistiges Eigentum gab, dann hat der Schutz da wirklich versagt. Das ist rechtspolitisch dummes Zeug. ({7}) Frau Ministerin, Sie haben in den letzten Jahren dankenswerterweise von solchen Privatisierungsüberlegungen Abstand genommen. Ich fände es wirklich gut, wenn Sie die Gelegenheit nutzen würden, mit Ihren Kolleginnen und Kollegen zu reden und sie darauf hinzuweisen, dass das weder haushaltspolitisch noch rechtspolitisch Sinn macht und mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren ist, die man in einem Rechtsstaat schützen sollte. Das fände ich sehr gut. Wenn Sie dann ohnehin mit Ihren Kollegen auf Länderebene im Gespräch sind, können Sie vielleicht die positiven Ansätze aufgreifen, über die auf Landesebene ebenfalls diskutiert wird, allerdings von Ministern ande1220 rer Koalitionen. Die Landesjustizminister von den Grünen und der Linken diskutieren oft darüber, wie man die Unabhängigkeit der Justiz stärken kann. Zum Beispiel wird angeführt, dass das möglich ist, indem Haushaltsverhandlungen - deswegen sind wir heute hier - nicht von der Exekutive mit der Legislative geführt werden, sondern indem man der Judikative das Recht einräumt, ihr Budget selbst zu definieren und mit der Legislative, dem Haushaltsgesetzgeber, auszuhandeln. So müsste das sein; denn auch die Ressourcen der Justiz gehören dazu, wenn es darum geht, die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken und das zu verwirklichen, was wir uns unter Gewaltenteilung vorstellen. ({8}) Wenn Sie mit Ihren Länderkollegen darüber reden, was gemacht werden kann, um in der Rechtspolitik etwas zum Positiven zu verändern, dann sollten Sie auch darüber reden, wie man den Einfluss der Bürgerinnen und Bürger durch direktdemokratische Instrumente stärken kann. In den Ländern wurden bereits Erfahrungen mit Volksbegehren und Volksinitiativen gemacht. Es gibt Modelle, die man gut auf die Bundesebene übertragen kann. Auf jeden Fall werden wir entsprechende Initiativen in den Bundestag einbringen. Ich würde mich freuen, wenn die Koalition diesen Initiativen gegenüber aufgeschlossen wäre, sie prüfen, begleiten und gegebenenfalls unterstützen würde. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Stephan Mayer.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Rechtspolitik hat trotz des relativ geringen Haushaltsvolumens nicht nur eine sehr hohe Bedeutung; darauf haben bisher alle Redner hingewiesen. Die Rechtspolitik kann oder soll auch „zauberhaft“ sein; darauf haben einige Redner hingewiesen. Rechtspolitik muss meines Erachtens aber vor allem ein Kriterium erfüllen: Politik sollte generell verlässlich und zurechenbar sein, und dies trifft insbesondere auf die Rechtspolitik zu. Daher ist die Rechtspolitik in meinen Augen gut beraten, niemals in Aktionismus zu verfallen und insbesondere keine abrupten 180-Grad-Drehungen zu vollziehen. Ich möchte Ihnen eines versichern: Die christlich-liberale Koalition wird eine wohl durchdachte, kluge und vernünftige Rechtspolitik betreiben. ({0}) Eines ist aber auch klar: Rechtspolitik kann nicht im Reinstraum betrieben werden. Sie muss nicht nur sensibel auf aktuelle Ereignisse reagieren - zum Beispiel auf die schwerwiegendste Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten 60 Jahre, die nicht nur Deutschland, sondern mittlerweile die gesamte Industriewelt in ihren Bann gezogen hat -, sondern auch auf gesellschaftliche Debatten, die in Deutschland geführt werden, Antworten geben: Was hält unsere deutsche Gesellschaft zusammen? Welche gemeinsamen Werte und Grundvorstellungen verbinden die deutsche Gesellschaft? Unabhängig davon, welcher politischen Couleur man anhängt und welche politische Auffassung man vertritt, sollte und muss in diesem Haus eines Konsens sein: Die Rechtstaatlichkeit ist ein unheimlich hohes und wertvolles Gut; es muss unser aller Bestreben sein, dieses hohe Gut weiterhin gut zu pflegen und gedeihen zu lassen. Die Justiz steht in einem enormen Spannungsfeld. Die Erwartungen an die Justiz sind außerordentlich hoch. Einerseits soll die Justiz modern, funktionsfähig und schlank sein sowie zügig arbeiten; andererseits muss es Kern jeden Rechtsstaates sein - das muss in verfahrensrechtlicher Hinsicht klar sein -, dass jeder Einzelne unabhängig davon, woher er kommt, welches Alter er hat, welchen Beruf er ausübt, seine individuellen Rechte und Ansprüche geltend machen kann. Ich möchte auf einige konkrete rechtspolitische Anliegen der christlich-liberalen Koalition eingehen. Das Thema Sicherungsverwahrung wurde schon genannt. Meines Erachtens gibt es bei der Sicherungsverwahrung offenkundige Regelungslücken. In meinem Wahlkreis liegt die Stadt Töging, ein sehr beschaulicher und netter Ort. Im August letzten Jahres hat sich in Töging ein schrecklicher Vorfall ereignet: Ein mehrmals rechtskräftig verurteilter Sexualstraftäter hat einem 16-jährigen Mädchen aufgelauert, es geschlagen, vergewaltigt und beinahe ermordet. Ich glaube, dieser Fall macht klar - das möchte ich in aller Deutlichkeit festhalten -: Auch wenn die Sicherungsverwahrung immer die Ultima Ratio sein muss, gibt es einen berechtigten Anspruch der Bevölkerung auf Schutz vor derartigen hochkriminellen Gewaltverbrechern. ({1}) Deswegen müssen wir in der christlich-liberalen Koalition die Regelungslücken schließen. Das ist angesichts der letzten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht leicht; aber - ich sage das ganz offen - wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland schuldig. Wir müssen insbesondere darauf hinwirken, dass die Anordnungsvoraussetzungen für Sicherungsverwahrungen harmonisiert werden. Wir sollten uns auch in dieser Legislaturperiode wieder des Themas der Jugendkriminalität annehmen. Es ist nicht so, dass es einen Rückgang der Gewaltkriminalität unter Jugendlichen und Heranwachsenden gibt. Wenngleich ich selbstverständlich der Auffassung bin, dass gerade bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität der Prävention sehr große Bedeutung beigemessen werden muss, bin ich dennoch auch der Auffassung, dass die Sühnefunktion im Jugendstrafrecht nicht außer Acht gelassen werden darf. Stephan Mayer ({2}) ({3}) Das Thema Warnschussarrest ist schon genannt worden. Ich glaube, es ist sinnvoll, einem 15- oder 16-jährigen Jugendlichen, der auf die schiefe Bahn zu geraten droht, die - in Anführungsstrichen - Folterwerkzeuge des Staates vor Augen zu führen, um ihn vielleicht noch gerade rechtzeitig davon abzuhalten, auf die schiefe Bahn zu geraten. ({4}) Wir mussten leider Gottes die Entwicklung zur Kenntnis nehmen, dass in manchen Situationen nicht mehr so respektvoll mit den Vertretern des Staates umgegangen wird, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Es ist meines Erachtens schon erschreckend, dass die Zahl der tätlichen Übergriffe aus dem linksextremistischen Milieu auf Polizeibeamte allein zwischen 2007 und 2008 um sage und schreibe 48 Prozent zugenommen hat. Es ist wichtig, klarzumachen, dass es keinen Unterschied macht, ob man einen Nichtbeamten, einen Polizeibeamten, einen Rettungssanitäter, einen THW-Helfer oder einen Feuerwehrmann tätlich angreift. Deswegen muss es unser Bestreben sein, den Strafrahmen hinsichtlich tätlicher Angriffe auf Polizeibeamte, Rettungssanitäter und andere, die Dienst am Nächsten leisten und Menschen in Not helfen, von zwei Jahren auf fünf Jahre zu erweitern. ({5}) Rechtspolitik ist natürlich auch immer Gesellschaftspolitik. In diesem Zusammenhang spielt insbesondere das Zivilrecht eine exponierte Rolle. Auf das Mietrecht ist schon eingegangen worden. Ich möchte jetzt nicht mehr im Detail auf das Problem des Mietnomadentums eingehen. Das gibt es; das ist keine Frage. Es gibt aber auch andere Aspekte, die meines Erachtens bei dem zunächst durchaus wohl austarierten sozialen Mietrecht zu beachten sind. Ich meine zum Beispiel energetische Sanierungsmaßnahmen. Es ist unser aller Bestreben, mehr dafür zu tun, um Gebäude nicht nur im öffentlichen Bereich, sondern insbesondere auch im privaten Bereich besser energetisch auszustatten und energetisch zu sichern. ({6}) Es muss ein gemeinsamer Ansatz sein, einen Anreiz für die Eigentümer von Mietwohnungen zu schaffen, diese energetischen Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. Bisher ist es leider Gottes so, dass der Vermieter keinen Nutzen davon hat, sondern allein der Mieter. Deswegen ist es richtig, dass hier Maßnahmen dafür getroffen werden - da gibt es ganz intelligente Ideen und Vorstellungen -, dass beide, Vermieter und Mieter, gleichermaßen davon profitieren, wenn energetische Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Ich habe schon erwähnt, dass wir sensibel reflektieren müssen, welche Auswirkungen die aktuelle Wirtschaftsund Finanzkrise in Deutschland hat. Diese werden auch das Zivilrecht nicht unbeschadet lassen. Ich denke da insbesondere an den wichtigen Bereich des Insolvenzrechts. Es gibt im aktuellen Insolvenzrecht Defizite, die beseitigt werden müssen. Das Insolvenzplanverfahren soll gestärkt und verbessert werden. Ich sage an dieser Stelle eines ganz deutlich: Es muss zu jedem Zeitpunkt unser aller Bestreben sein, zunächst einmal alles dafür zu tun, um ein sanierungsfähiges Unternehmen zu retten und damit auch die Arbeitsplätze in diesem Unternehmen zu retten und zu sichern. Ich sage ganz offen: Das jetzige Insolvenzrecht weist da durchaus gewisse Regelungslücken auf. Dieser Regelungslücken werden wir uns annehmen. Sie können sicher sein, dass die Rechtspolitik in den kommenden vier Jahren in der christlich-liberalen Koalition in besten Händen ist. Ich freue mich auf eine konstruktive und einvernehmliche Zusammenarbeit mit möglichst allen hier in diesem Hause. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz für die SPDFraktion. ({0})

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, am Ende einer Debatte lohnt es sich nicht, alle Dinge, die angesprochen worden sind, noch einmal aufzuwärmen und noch etwas dazu zu sagen. Ich will deshalb nur ein paar Punkte herausgreifen, die mir wichtig sind. Eines jedenfalls ist bisher nicht gut gelaufen, das ist die Debatte über die vorgesehene Reform des Mietrechts. Aus all den Äußerungen der Koalition zu diesem Thema - nicht nur denen von heute - hört man vor allem ein furchtbar schlechtes Gewissen heraus. ({0}) Sie reden nie über die Dinge, die Ihnen vorgehalten werden, sondern Sie weichen immer aus. ({1}) Wenn wir fragen, warum Sie das Kündigungsrecht für die Mieter verschlechtern wollen, dann reden Sie über Mietnomaden. Gegen Mietnomaden haben alle etwas. Dagegen muss man auch etwas tun. Dazu muss einem etwas Kluges einfallen; das ist nicht so einfach. Aber warum sollen Millionen von Mieterinnen und Mietern in der Bundesrepublik Deutschland darunter leiden, dass Sie gegen die Mietnomaden vorgehen wollen? ({2}) Das ist nicht einsehbar, zumal die Vorschläge, die Sie in Bezug auf die vielen Millionen übrigen Mieter haben, mit denen gar nichts zu tun haben. Sie haben auch noch nie wirklich begründet, warum Sie eine Verschlechterung der Mieterrechte durchsetzen wollen. Sie haben immer wieder abstrakt geredet. Zum Beispiel mussten wir jetzt eben hören, gleiche Fristen für Vermieter und Mieter seien doch eine schöne Sache. ({3}) - Das ist eine Äußerung, die eben in dieser Debatte gefallen ist. - Darüber müsste man nachdenken. Ich sage: Darüber muss man gar nicht nachdenken, und wenn man darüber nachdenkt, dann muss man zu dem Ergebnis kommen, dass die Fristen so bleiben müssen, wie sie sind. ({4}) Es ist für einen Mieter nicht zumutbar, sehr lange an eine Wohnung gebunden zu sein. Wenn man zum Beispiel den Wohnort wechseln muss oder es zu sonstigen Veränderungen kommt, wäre das für die meisten Menschen wirtschaftlich nicht darstellbar. Darum ist unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Schutzinteressen von Gesetzes wegen zu Recht eine unterschiedliche Kündigungsfrist für Mieter und Vermieter vorgesehen. Wenn Sie das ändern, dann nehmen Sie Millionen Menschen ihre Rechte. Dafür gibt es keinen Grund. Das schlechte Gewissen, mit dem Sie über andere Themen reden, zeigt: Es gibt ihn wirklich nicht. ({5}) Wir werden im Deutschen Bundestag viel über das Internet diskutieren. Ich hoffe, dass das kluge, sachkundige Diskussionen werden, sowohl im Plenum als auch in der geplanten Enquete-Kommission. In manch einer Debatte hat man das Gefühl - an dieser Stelle will ich niemanden einschließen oder ausschließen; das gilt, wie ich glaube, quer durch die Bank bzw. die Bänke -, dass der eine oder andere schon gehört hat, dass es so etwas wie ein Internet geben soll. ({6}) Das ist natürlich nicht das Niveau, auf dem wir unsere Debatten zu führen haben. Wir müssen uns bis zu den aktuellen Diskussionen vorarbeiten. Das bedeutet aus meiner Sicht, sich dazu zu bekennen, dass man in diese Themen hineinwächst, dass man in der politischen Diskussion über diese Fragen auch Fehler gemacht hat oder vielleicht noch machen wird. Auf jeden Fall muss eine lebendige, offene Diskussion über die damit verbundenen Probleme stattfinden. Insofern finde ich es sehr problematisch, dass wir in der bisherigen Debatte nichts dazu gehört haben, dass die Bundesregierung eine etwas verdruckste Haltung zu dem Internetsperrengesetz, das im Deutschen Bundestag beschlossen worden ist, hat. ({7}) - Ich komme gleich dazu. Sie hören meine Auffassung noch. Ich will sie Ihnen gerne sagen. Ich rede hier, damit ich sie Ihnen klar sagen kann. - Ich jedenfalls finde, es ist ein für die Verfassungsordnung unseres Landes unerträglicher Zustand, dass in einer Koalitionsvereinbarung steht, man wolle ein Gesetz nicht anwenden. ({8}) Im Übrigen finde ich, dass es für die Verfassungsordnung unseres Landes auch ein unerträglicher Zustand ist, wenn vorgeschlagen wird, der Bundespräsident möge ein Gesetz, für das man nicht mehr so große Begeisterung verspürt, nicht unterzeichnen. ({9}) Das sind die beiden Haltungen, die diese Regierung zum Ausdruck bringt, und die sind nicht in Ordnung. Ich will ausdrücklich sagen: Wir glauben, dass es nicht richtig war, dieses Gesetz hier im Bundestag zu beschließen. Wir fordern deshalb seine Aufhebung. Von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion wird ein Gesetzentwurf zur Aufhebung dieses Gesetzes eingebracht. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass es sinnvoll wäre, die heutige Hängepartie fortzusetzen. ({10}) - Das ist sehr konsequent - in der Tat - und ein bisschen ehrlicher als das, was in der Koalition passiert: dass man sich erstens nicht einigen kann, dass man das zweitens nicht sagen will und dass man drittens den Bundespräsidenten in eine Rolle drängt, die in unserer Verfassungsordnung nicht vorgesehen ist, nämlich eine politische Meinungsänderung der Koalition irgendwie herauszubekommen und daraus einen Schluss zu ziehen. ({11}) Ich will darum bitten, dass wir uns in der Diskussion über das Internet und seine Konsequenzen für unsere Gesellschaft offen dazu bekennen, dass es auch Entwicklungen gibt, die wir noch nicht abschätzen oder vorhersehen können. Daher sollten wir keine großen Bekenntnisse abgeben. Weil sehr viel über die Sicherheit im Internet und Missbrauchsmöglichkeiten diskutiert wird, will ich ausdrücklich das Urheberrecht erwähnen. Hier ist, wie ich finde, noch nicht alles zu Ende gedacht. Dass wir mit der guten und begründeten Tradition des Urheberrechts in der Bundesrepublik Deutschland - gerade in unserem Land hat das Urheberrecht auch eine Tradition philosophischer Art - wirklich alle Fragen, die sich heute neu stellen, beantworten können, wage ich zu bezweifeln. Wir sollten uns zutrauen, eine neue Debatte über urheberrechtliche Fragen zu führen, die möglicherweise etwas mehr Nutzungsmöglichkeiten ohne Leistungsrechtsverletzungen zur Folge hat, als es heute der Fall ist. ({12}) Das wäre, jedenfalls aus meiner Sicht, eine vernünftige Debatte, auf die man sich einlassen kann. Ich bitte darum, dass wir dies gemeinsam tun und uns nicht davor drücken. ({13}) Lassen Sie mich zum Schluss ein Thema ansprechen, das bisher nur selten erörtert worden ist - ich finde aber, dass das Parlament und die Regierung, das Parlament begleitend, hier vorankommen sollten -: die Frage der Abgeordnetenbestechung. Deutschland hat internationale Verträge und internationale Vereinbarungen hierzulande nicht wirksam werden lassen, weil wir an dieser Stelle bei der Gesetzgebung keinen Fortschritt zustande bekommen haben. Ich finde, es ist notwendig, dass wir uns einen Ruck geben, eine Gesetzgebung zur Abgeordnetenbestechung in der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg bringen und das schlechte Gewissen bei diesem Thema ablegen. ({14}) Es sind auch Vorschläge diskutiert worden, die funktioniert hätten, für die es aber bisher keine Mehrheit gegeben hat. ({15}) Vor dem Hintergrund dieser ungelösten Frage ist das, was wir gegenwärtig in Bezug auf Gesetzgebung und die Finanzierung von Parteien aus Klientelinteressen mitbekommen, sehr problematisch. Natürlich hilft es nicht, darauf zu verweisen, dass es Spenden von Personen und Unternehmen an Parteien schon immer gab. Wenn es einen Zusammenhang gibt zwischen einer Gesetzgebung, die niemand in diesem Lande versteht und die ganz offensichtlich Klientelismus ist, und hohen Parteispenden, muss das auffallen und dazu führen, dass man sagt: Wir brauchen gesetzgeberischen Fortschritt bei der Ahndung der Bestechung von Abgeordneten, aber auch in der Frage der Parteienfinanzierung. Ich will zwei konkrete Punkte nennen. Erstens: Sollte man nicht über eine Höchstgrenze für die Spenden von Unternehmen an Parteien diskutieren? Das halte ich für eine richtige Position; denn so wie bisher kann es nicht weitergehen. ({16}) Zweitens: Berichtspflichten ziehen Bürokratiekosten nach sich. Aber sollten wir nicht noch eine zusätzliche Berichtspflicht vorsehen, nämlich dass in den Vorblättern der Gesetzentwürfe aufgeführt wird, welche der Regierungsparteien im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf Spenden bekommen hat? Auch das wäre hilfreich. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Alexander Funk für die Unionsfraktion.

Alexander Funk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Scholz, Sie haben die Internetsperre angesprochen. Ich bin neu in diesem Haus; aber wenn ich richtig informiert bin, hat der Bundespräsident dieses Gesetz nicht unterschrieben, weil er Bedenken gegen dieses Gesetz hat, nicht etwa, weil die Bundesregierung irgendwelche Anweisungen gegeben hätte. ({0}) Sie haben die Parteispenden und die Bestechung von Abgeordneten angesprochen. Bis zu welcher Höhe Parteispenden Ihrer Meinung nach erlaubt sein sollen, haben Sie nicht gesagt. Wenn man über diese Fragen diskutiert, sollte man über die wirtschaftliche Tätigkeit von Parteien insgesamt einmal nachdenken. ({1}) Wir diskutieren heute in erster Lesung über den Einzelplan 07. Mir ist bewusst, dass der Etat des Bundesministeriums der Justiz wegen seines Volumens von weniger als 500 Millionen Euro im Schatten anderer Haushalte steht. Außerdem rührt er kaum an Emotionen: Es geht hier weder um Hartz IV noch um die Mittel für den Afghanistan-Einsatz. Dennoch handelt es sich beim Einzelplan 07 nach meiner Überzeugung um einen der wichtigsten. Wir sind stolz darauf, in einem Rechtsstaat zu leben. In der alten Bundesrepublik tun wir das seit 60 Jahren; im Beitrittsgebiet ist mit der Wiedervereinigung vor 20 Jahren Recht an die Stelle von Unrecht getreten. ({2}) Eine Gesellschaft wird ganz wesentlich geprägt von der Rechtssicherheit für den Einzelnen, vom Rechtsfrieden. Dass beides in unserem Land gegeben ist, ist zuallererst auf die Arbeit des Bundesministeriums der Justiz und - diese Ergänzung füge ich ein - auf die Arbeit des Bundesverfassungsgerichtes zurückzuführen. Das Volumen des Haushalts des Bundesministeriums der Justiz steht in keinem Verhältnis zu seiner Wichtigkeit. Noch etwas ist im Zusammenhang mit diesem Etat hervorzuheben: Das Bundesministerium der Justiz finanziert sich, zumindest fiktiv, weitgehend selbst. Ausgaben von 495 Millionen Euro stehen Einnahmen von 409 Millionen Euro gegenüber, die zu einem großen Teil aus den Erlösen von Gebühren, die das Deutsche Patentund Markenamt erhebt, stammen. Trotz dieses bemerkenswerten Kosten-Nutzen-Verhältnisses werden die Ausgaben des Bundesministeriums der Justiz mit dem Haushalt 2010 um 1,1 Prozent sinken, die Einnahmen dagegen um 6,3 Prozent steigen. Den Fachleuten des Ministeriums gebührt unser aller Dank für die Vorlage eines solchen Haushaltsentwurfes. Bekanntermaßen verlässt kein Gesetz den Bundestag so, wie es dem Hohen Haus als Entwurf vorgelegt wurde. Ich nehme an, das wird auch für diesen Etatentwurf gelten, zumal die Berichterstattergespräche noch anstehen. Veränderungen - das will ich bereits anmerken - kann es ohnehin nur in Marginalien geben; denn beim Einzelplan 07 handelt es sich um einen klassischen Verwaltungshaushalt, bei dem 78 Prozent der Ausgaben von vornherein festgelegt sind. Der Spielraum in den anstehenden Beratungen ist also nur minimal. Wichtiger als die Zahlen erscheinen mir allerdings neue inhaltliche Signale. Im Etatentwurf für das Bundesministerium der Justiz finden sich wichtige Akzente, die so unter der Vorgängerregierung nur schwerlich möglich gewesen wären. Ich greife die vorgesehene Ausweitung des Ausgabenpostens für Opfer von Gewalt heraus, nicht zuletzt deshalb, weil es hier in der Öffentlichkeit schon heftige Diskussionen gegeben hat. Wir wollen den Titelansatz für das laufende Jahr mehr als verdreifachen. Vor allem werden wir Opfer nicht mehr kategorisieren. Bisher wurden aus diesem Posten ausschließlich Opfer rechtsextremer Gewalt unterstützt; wir erweitern das Spektrum auf Opfer jeglicher extremistischen Gewalt, egal ob von rechts oder von links. ({3}) Um es klar zu sagen: So verabscheuungswürdig rechtsextreme Gewalttaten sind, sind es die von Linksextremen begangenen in gleicher Weise. Ich sehe mich jedenfalls außerstande, dem Opfer von Linksextremen zu erklären, dass es schlicht Pech gehabt habe, von den Falschen angegriffen worden zu sein, und der Staat ihm nicht beispringe. Um allen Vorwürfen vorzubeugen: Es geht mir nicht darum, die Gefahren durch den Rechtsextremismus herunterzuspielen. Wir müssen aber davon abkommen, Gefahren für unseren Rechtsstaat nur auf der einen Seite zu sehen. Im Übrigen - auch diese Anmerkung ist wichtig sollen sich die Opfer nicht einen gleichbleibend großen Kuchen teilen, sondern wir haben, wie erwähnt, die Mittel verdreifacht. Opferentschädigung setzt zwangsläufig Opfer voraus. Wir müssen daher vereint Anstrengungen unternehmen, Opfer zu verhindern. Dies ist eine Aufgabe, die der Staat nicht allein bewältigen kann; es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die bei der Erziehung der Kinder in den Familien, in der Krippe und im Kindergarten beginnt und sich über die Schule fortsetzt. Der Staat kann aber auch hier Akzente setzen, so wie wir es mit der Unterstützung des Deutschen Forums für Kriminalprävention tun wollen. Im Etatentwurf findet sich ein Posten, der relativ klein ist, aber als Signal verstanden werden sollte. Allerdings erwarte ich von dem Forum in Zukunft stärkere Impulse als in der Vergangenheit. Eine Tagung und eine Broschüre pro Jahr reichen sicherlich nicht aus, dieser wichtigen Aufgabe gerecht zu werden. Das Forum muss sich als Ideengeber und als Netzwerk verstehen und die Präventionsarbeit vor Ort unterstützen. Lassen Sie mich noch einige Worte zum Etatentwurf für das Bundesverfassungsgericht sagen, das der Opposition besonders am Herzen liegen müsste, da sie es besonders gern und häufig in Anspruch nimmt. Ich erinnere daran, dass es sich beim Bundesverfassungsgericht nach dem Grundgesetz um ein Verfassungsorgan handelt. Es sollte also unsere entsprechende Aufmerksamkeit finden, auch die finanzielle. Erfreulicherweise ist der Etat des Bundesverfassungsgerichtes in der Regel nicht Gegenstand parteipolitischer Kontroversen. Dies gebietet allein die Achtung vor diesem höchsten deutschen Gericht. In diesem Sinne sehe ich meine Aufgabe als Hauptberichterstatter für den Einzelplan 19 in der Kontinuität meiner Vorgänger Lothar Binding von der SPD und meines Fraktionskollegen Dr. Ole Schröder. Vor dem Hintergrund, dass sich die Kosten für die Grundsanierung des Verfassungsgerichts dramatisch erhöhen, habe ich kürzlich das Gericht in Karlsruhe besucht, um mir ein Bild vor Ort zu machen. Das Ergebnis war, um es kurz zu sagen, erschreckend: Von einem wirklichen Brandschutz kann kaum mehr die Rede sein, die Stromleitungen sind marode, es regnet durch das Dach, und den höchsten Richtern unseres Landes werden Arbeitsbedingungen zugemutet, die in keiner Weise tragbar sind. Nach meiner Überzeugung ist die beantragte Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 15,7 Millionen Euro, die sich auf mehrere Jahre erstreckt, unabweisbar. Sicher, Sparsamkeit ist das Gebot der Stunde; dies darf aber nicht zum Sparen an der falschen Stelle führen. Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zusammenfassen: Die Etatentwürfe für das Bundesministerium der Justiz und das Bundesverfassungsgericht sind ausgewogen und angemessen kalkuliert. Den weiteren Beratungen sehe ich daher zuversichtlich entgegen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Funk, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit. Als Präsidentin füge ich hinzu: Es gelingt nicht vielen Rednerinnen und Rednern bei ihrer ersten Rede, eine solche Punktlandung auch bei der Einhaltung der Redezeit hinzubekommen. Also herzlichen Glückwunsch! ({0}) Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen schließlich zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06. Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière.

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 60 Jahren hat der Deutsche Bundestag den ersten Haushalt des Bundesministeriums des Innern beraten. Innenminister war Gustav Heinemann. In der sehr lebhaften Debatte forderte der Abgeordnete Hermann Ehlers Folgendes - ich zitiere -: … die anfallenden Aufgaben müssen heute gründlich, sachverständig und so wahrgenommen werden, dass wirklich etwas Ersprießliches und Dauerhaftes dabei herauskommt. Das finde ich schön. Es sollte auch für uns ein Leitsatz werden. Die Politik hatte damals die schwierige Aufgabe, mit äußerst knappen Mitteln auszukommen. Das Bundesministerium des Innern rechnete im damaligen Haushaltsentwurf mit Einnahmen in Höhe von 1 000 DM und Ausgaben in Höhe von 2 269 400 DM. ({0}) Auch sonst ist die Debatte sehr interessant. Sie zeigt übrigens, dass nicht alles so furchtbar neu ist, was wir hier diskutieren. Lassen Sie mich zwei Zitate vortragen, die das deutlich machen. Sie zeigen übrigens auch, wie breit damals der Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums war. Der Abgeordnete Maier von der SPD gab dem Innenminister folgenden Rat: Um eine stärkere Autonomie der kommunalen Selbstverwaltung zu erreichen, geben wir dem Herrn Bundesminister des Innern zu erwägen anheim, den Ländern beim Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern in Form von Auflagen die Abführung gewisser Mindestprozentsätze an die Gemeinden zur Pflicht zu machen. Interessante Anregung. Herr Ehlers sagte - jetzt wird es noch interessanter -: Der Bund hat dafür zu sorgen, dass wir nicht nur von einer Bundesrepublik Deutschland reden, dass wir nicht nur von einer Freizügigkeit reden und dabei durch die Gestaltung unseres öffentlichen Schulwesens aus den verschiedensten politischen, weltanschaulichen, kulturellen und schulpolitischen Vorstellungen heraus eine Zersplitterung schaffen, die es langsam unmöglich macht, dass ein Beamter von Schaumburg-Lippe nach Lippe-Detmold übersiedelt. ({1}) Hier liegen die Aufgaben, die der Bund wahrzunehmen hat, und ich meine, dass das Bundesinnenministerium - es war damals zuständig eine gute Aufgabe hat, wenn es klärend und anregend in diese Dinge eingreift und dafür sorgt, dass wir hier wirklich zu einer Einheit in der Freiheit kommen. ({2}) Ich gebe das Zitat an Annette Schavan weiter. ({3}) - Herr Wieland, ich habe auf den Zwischenruf gewartet. Statt der Übernahme von Zuständigkeiten soll das Ministerium klärend und anregend in diese Dinge eingreifen. Das finde ich schön. ({4}) Insofern ist das alles nicht neu, was wir heute diskutieren. Heute verlangt die Erfüllung der Aufgaben eines Innenministers mehr Mittel. Heute hat der Etat eine Größenordnung von 5,6 Milliarden Euro. Die Hälfte davon sind Personalkosten. Im Unterschied zu der Entwicklung der vergangenen Jahre ist auch das Gesamtvolumen meines Etats rückläufig. Das liegt überwiegend an Einmaleffekten durch die Europa- und Bundestagswahl mit einem Volumen von 100 Millionen Euro. Aber es veranlasst mich doch zu einer Grundsatzbemerkung. Allzu gerne wird die scheinbar zwingende Gleichung aufgemacht, dass nur Steigerungsraten in den Einzelplänen etwas über die Qualität des jeweiligen Politikfeldes aussagen. Ich denke, das werden wir in den nächsten Jahren überdenken müssen. ({5}) Steigerungsraten für sich betrachtet sind keine Aussage über die Qualität der Politik. Es gibt keine innere Dynamik staatlichen Handelns, die auf immer weitere Zuwächse programmiert wäre. Das können wir aus den Debatten von vor 50 oder 60 Jahren lernen, und das werden wir auch in den nächsten Jahren erleben. Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst machen. Der öffentliche Dienst ist Garant für die Qualität unseres staatlichen Handelns, und das muss er auch bleiben. Ohne gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt es keine leistungsfähige solidarische Gesellschaft. Das ist nicht zum Nulltarif zu haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Uns allen muss aber angesichts der leeren Kassen auch klar sein, dass es nichts zu verteilen gibt. Die Verhandlungen werden schwierig. Ein Kompromiss ist möglich, aber schwierig. Ich würde mich freuen, wenn in den nächsten Tagen viele Wortmeldungen und sogenannte gute Ratschläge von außen an die Tarifpartner unterbleiben könnten. Das macht es am Verhandlungstisch nicht leichter. Zurück zu unserem Haushalt. Die erste Aufgabe eines demokratischen Staates ist, Sicherheit in Freiheit zu gewährleisten. Das spiegelt auch unser Haushalt wider. Mehr als zwei Drittel der vorgesehenen Ausgaben entfallen auf diesen Bereich. Darüber können wir heute nicht umfassend diskutieren. Aber ich will noch ein Wort zu dem sagen, worüber vorhin diskutiert wurde. Auch nach dem Anschlagsversuch von Detroit rate ich zu Gelassenheit und Sachlichkeit. Wir müssen klug auf die Herausforderungen reagieren, die uns in diesem Bereich begegnen. Einen Nacktscanner wird es mit mir nicht geben. ({0}) Körperscanner der zweiten Generation kann es dagegen sehr wohl geben, ({1}) wenn sie drei Voraussetzungen erfüllen: Erstens. Sie müssen leistungsfähig sein. Sie müssen das, was man sehen will, auch erkennen. Zweitens. Sie dürfen in keiner Weise gesundheitsgefährdend sein. Deswegen wird es mit mir auch keinen Einsatz von Röntgenstrahlen - in welcher Form auch immer - geben. Drittens. Sie müssen die Intimsphäre und die Persönlichkeitsrechte umfassend wahren. ({2}) Wenn diese drei Voraussetzungen erfüllt sind und die Geräte einsatzfähig sind, dann können wir darüber reden. Ich denke, das wird Mitte 2010 der Fall sein. Dann werde ich mich für den Einsatz solcher Körperscanner einsetzen. ({3}) Wir sollten aber Mensch und Maschine nicht gegeneinander ausspielen. Natürlich brauchen wir auch tüchtige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl bei der Bundespolizei als auch bei den Unternehmen der Flughafengesellschaften. Ich sage unumwunden: Hier ist sicherlich noch das eine oder andere zu tun und zu verbessern. Das schauen wir uns genau an. Ich möchte nicht, dass wir aufgrund der notwendigen Terrorabwehr andere Sorgen bei der öffentlichen Sicherheit vernachlässigen. Dazu gehört der Kampf gegen die organisierte Kriminalität, Drogen, Extremismus und Gewalt rund um Fußballstadien, um nur einige Beispiele zu nennen. Eine weitere Kernaufgabe der kommenden Jahre ist die Integration, und zwar die Integration sowohl der bereits hier lebenden Zuwanderer als auch derjenigen, die neu zu uns kommen. Die Integrationskurse sind dabei eines der wichtigsten integrationspolitischen Instrumente des Bundes. Sie sind belächelt worden, haben sich aber als sehr gut und wirksam erwiesen. ({4}) Seit 2005 haben rund 580 000 Zuwanderer an diesen Kursen teilgenommen. Die Mittel haben bisher nicht ausgereicht. Deswegen verzeichnet der Haushalt an dieser Stelle einen Zuwachs in Höhe von 44 Millionen Euro. ({5}) Die Deutsche Islam Konferenz ist das wichtigste Dialogforum von deutschem Staat und Vertretern der hier lebenden Muslime. Ich werde sie fortsetzen und vertiefen. Muslime in Deutschland sollen sich als Teil der deutschen Gesellschaft verstehen und sollen von dieser auch so verstanden werden. Dies setzt nicht nur die theoretische Bejahung, sondern auch die praktische Bereitschaft voraus, das Grundgesetz wirklich zu leben. Ich möchte deshalb die zweite Stufe der Deutschen Islam Konferenz, deren theoretische Grundlegung - zu Recht - abschließend erfolgt ist, praktischer machen, und zwar in drei Punkten: erstens in allem rund um die Themen Religionsunterricht sowie Religionslehrer- und Imamausbildung, zweitens bei der Gleichbehandlung von Mann und Frau, insbesondere von Jungen und Mädchen, sowie drittens in der Debatte über friedlichen Islam und gewalttätigen Islamismus. Diese drei Punkte sind richtig und wichtig. Gerade in der Debatte über den dritten Punkt können und wollen wir helfen. Aber die Haupttrennlinie zwischen dem friedlichen Islam und dem gewalttätigen Islamismus muss der Islam selbst ziehen. ({6}) Wir werden in den nächsten Tagen viel über Sport reden. Die Olympischen Winterspiele stehen bevor. Ich werde zur Eröffnungsfeier nach Vancouver fahren. ({7}) - Ich habe bereits gesagt, was ich im Fußball am liebsten wäre, Herr Wiefelspütz. - Unseren Athleten wünsche ich in Vancouver viel Erfolg. Ich möchte meinen dortigen Besuch auch nutzen, um für unsere Bewerbung für die Olympischen Spiele 2018 in München und GarmischPartenkirchen zu werben. ({8}) Dies ist nicht nur für die Bundesregierung, sondern für uns alle - vielleicht bekommen wir deswegen noch einen Beifall des gesamten Hauses hin - ein nationales Anliegen. ({9})

Not found (Minister:in)

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière Ein Schwerpunkt nicht nur der Innenpolitik wird in den kommenden Jahren die Informationsgesellschaft sein; wir haben darüber eben schon beim Etat des Verbraucherschutzministeriums diskutiert. Nach meiner Auffassung brauchen wir eine systematischere Antwort als bisher auf die Frage, wie auch im virtuellen Raum Freiheit, Sicherheit und Vertrauen gewährleistet werden können. So, wie dem Internet mittlerweile eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung zukommt, so ist es auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den Ordnungsrahmen für das Internet fortzuentwickeln. Dazu habe ich einen netzpolitischen Dialog mit Vertretern von Staat, Wissenschaft, Netzgemeinde und Zivilgesellschaft gestartet. Gestern gab es die erste Runde - vielleicht haben Sie etwas davon gehört -, die gezeigt hat, dass die Gräben zwischen Staat und Teilen der Netzgemeinde unübersehbar, aber nicht unüberbrückbar sind. Ich werde diesen Dialog fortsetzen und freue mich auf eine gute Zusammenarbeit mit der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, die vermutlich eingesetzt werden wird. Allerdings möchte ich, wenn es notwendig ist, etwas zu tun, nicht zwingend abwarten, bis die Enquete-Kommission am Ende der Legislaturperiode Ergebnisse vorlegt. Wenn wir uns einig sind, möchte ich manches schon vorher in Angriff nehmen. Nicht nur der Datenschutz im Internet ist ein Thema, sondern Sie wissen, dass wir uns auch vorgenommen haben, ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz als Teil des Datenschutzgesetzes vorzulegen. Ich hoffe, ich kann meine Zusage einhalten, Ende Februar den ersten Referentenentwurf zu präsentieren. Als die Abgeordneten vor 60 Jahren über den Haushalt berieten, war die Debatte auch von der Erfahrung der Teilung Deutschlands geprägt. Niemand konnte damals wissen, wie lange diese Teilung dauert. In diesem Jahr dürfen wir uns gemeinsam über den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung freuen und können das auch mit Stolz auf das Erreichte tun. In den letzten 20 Jahren lag der Schwerpunkt der Bemühungen auf dem Aufbau einer modernen und leistungsfähigen Infrastruktur. Viel wurde diesbezüglich geleistet, und manches ist noch zu tun. Heute stehen wir, bedingt durch den globalen Wettbewerb, vor neuen Herausforderungen wie der Stärkung der Innovationsfähigkeit der ostdeutschen Unternehmen, der Verbesserung der Qualifikation der Arbeitnehmer oder den Veränderungen, die sich aus dem demografischen Wandel ergeben. Überhaupt wird mein Haus federführend gemeinsam mit den anderen Häusern eine Strategie zum Umgang mit der Demografie vorlegen. Dabei können wir viel von den Erfahrungen und Antworten in den ostdeutschen Ländern lernen. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung, die hoffentlich unser aller Zustimmung findet. Zu dem Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums gehören auch der Bevölkerungsschutz und das Katastrophenmanagement. Das Technische Hilfswerk wird vom BMI mit Mitteln in Höhe von 178 Millionen Euro finanziert. Unser Mitgefühl und unsere tatkräftige Hilfe gelten in diesen Tagen den Menschen in dem geschundenen Land Haiti. Unsere Mitarbeiter sehen dort unvorstellbares Elend und packen an. Das Erdbeben in Haiti und seine Folgen mögen bei manchem von uns vielleicht einen verschobenen Maßstab bei der Kritik an unseren Verhältnissen oder der vorschnellen Verwendung der Begriffe von Chaos und Katastrophe zurechtrücken. Den Frauen und Männern des Technischen Hilfswerkes und den Helferinnen und Helfern aus der ganzen Welt danke ich von ganzem Herzen. Ich wünsche ihnen vor allem viel innere Kraft, um das durchzustehen, was sie im Moment leisten. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz für die SPDFraktion. ({0})

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben über Zuwanderung und Integration als wichtige Aufgaben, die voranzubringen sind, gesprochen. Das ist ein Thema, das uns in dieser Debatte sicherlich wiederholt beschäftigen wird. Ich will ein paar Punkte ansprechen, die aus meiner Sicht eine große Rolle spielen sollten. Infolge der meiner Meinung nach guten Reform des Staatsangehörigkeits- und Zuwanderungsrechts ist jetzt die Phase eingetreten, in der junge Leute für die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern oder diejenige, die sie aufgrund ihrer Geburt in Deutschland erworben haben, optieren müssen. Das ist eine Regelung, die kaum mit den Interessen dieser jungen Leute, aber auch nicht mit den Interessen der Bundesrepublik Deutschland an einer funktionierenden Integration übereinstimmt. ({0}) Die Regelung ist damals Gesetz geworden, weil nur so die Zustimmung zum Staatsangehörigkeitsrecht zu erhalten war. Das weiß jeder. Jeder wusste, dass das keine gute Lösung ist und dass man die Regelung zu gegebener Zeit ändern muss. Jetzt ist diese Zeit gekommen, und deshalb muss diese Legislaturperiode die Periode sein, in der wir die Optionspflicht abschaffen und dafür sorgen, dass endlich alle ihre Staatsangehörigkeit behalten können. ({1}) Wenn wir über Integration sprechen, dann darf das kein hohles Wort sein, das man wie eine Monstranz vor sich herträgt und denjenigen, die zu integrieren sind, vorhält. Wenn Integration immer nur ein Vorwurf ist und nicht etwas, was man tatsächlich ermöglicht, dann ist das

Not found (Minister:in)

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière zu wenig. Deshalb müssen wir auch etwas für diejenigen tun und denen helfen, die einen besonders schweren Zugang zu unserer Gesellschaft haben. Es geht zum Beispiel um diejenigen, die lange in Kettenduldung hier in Deutschland leben. Es hat für diese Menschen noch einmal eine Übergangsregelung der Innenministerkonferenz gegeben. Manche der Beteiligten haben hinterher erklärt, das sei das letzte Mal, wohl wissend, dass es keinesfalls das letzte Mal war, wenn es immer bei diesen verkrampften Lösungen bleibt. Es ist doch wichtiger, dass wir eine gesetzgeberische Botschaft aussenden, dass wir sagen, wie die Integration funktionieren kann, an welche Voraussetzungen wir sie knüpfen und wie wir es ermöglichen, dass jemand, der einen großen Integrationswillen besitzt, tatsächlich eine Chance auf einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland bekommt. Deshalb sollten Sie einmal jenseits aller parteipolitischen Zuordnungen und vorschnellen Urteile sehr sorgfältig den Gesetzentwurf prüfen, den wir in den Deutschen Bundestag eingebracht haben und mit Ihnen diskutieren wollen. ({0}) Es geht darum, dafür zu sorgen, dass es eine dauerhafte Regelung gibt. Wir haben im Gesetzentwurf einen Vorschlag untergebracht, von dem ich gehört habe, dass der eine oder andere, der nicht der SPD oder den Oppositionsparteien angehört, ihn gut fand. Wir sollten sagen, dass diejenigen, die zum Beispiel durch einen Schulabschluss in Deutschland ihren Integrationswillen überaus deutlich gemacht haben, daraus einen Anspruch auf einen gesicherten Aufenthalt ableiten können. Ich glaube, das wäre das beste Integrationssignal, das wir in Deutschland aussenden können. ({1}) Da es um Integration und Integrationskurse geht, gestatten Sie mir diesen einen Hinweis: Besuchen Sie einmal die Integrationskurse, und zwar zum Ende der Laufzeit. Gehen Sie hin, wenn die Teilnehmer mit dem Kurs fast fertig sind und unterhalten Sie sich strikt auf Deutsch mit den Teilnehmenden. Wenn Sie das getan haben, dann kommen Sie wieder hierher zurück und wissen, dass die Kurse noch nicht ausreichen; denn das Niveau, das dort am Ende von Menschen erreicht werden kann, die aus ganz anderen Kulturkreisen kommen, ist noch nicht ausreichend für das, was wir hier politisch wollen. Es darf nie passieren, dass wir über Integration reden und dann Dinge tun, die im Ergebnis nicht zu Integration führen. Wir müssen mehr fördern. Für den Spracherwerb, der nötig ist, brauchen wir mehr Stunden, als wir heute ansetzen. Es muss im Ergebnis wirklich hinhauen. ({2}) Wenn wir über Innenpolitik reden, dann geht es auch um innere Sicherheit und um die Frage, was wir für das Funktionieren der inneren Sicherheit tun. Gerade die jüngsten Vorfälle haben uns gezeigt, dass niemand den Eindruck erwecken darf, alles sei in Ordnung. Der Terrorismus zum Beispiel, der internationale Terrorismus allemal, ist keineswegs eine Sache, über die man nicht mehr reden muss. Da besteht eine große Gefahr. Ich bin dagegen, dass wir den Eindruck erwecken, man könne innere Sicherheit nur durch guten Willen oder mit unzureichenden Mitteln herstellen. Das Wichtigste, um terroristische Aktivitäten und entsprechende Gewalttaten zu verhindern, ist eine gute Sicherheitsarchitektur und sind gut ausgebildete Polizistinnen und Polizisten. Die muss man bezahlen, egal wie man über den Haushalt reden mag. ({3}) Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir immer sehr konsequent sind. Man kann nicht einmal eben 1 Milliarde Euro für Hoteliers ausgeben und im Zusammenhang mit der inneren Sicherheit sagen, man könne nicht genügend Polizisten zur Verfügung stellen. ({4}) Das gefährdet jede Akzeptanz. Ich will ausdrücklich sagen: Es ist ein großes Problem, dass die Stellen, die zum Beispiel bei der Bundespolizei zur Verfügung stehen sollten, keinesfalls alle besetzt sind - etwa 1 000 Stellen sind unbesetzt - und sich diese Entwicklung weiter zu verschärfen droht. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass genug Polizisten da sind. Es darf niemals passieren, dass wir über Gesetzesverschärfungen diskutieren und gleichzeitig immer weniger Polizisten haben. Das ist der falsche Weg. ({5}) Ich bin ein wenig irritiert, wenn zwar nicht hier in diesem Hause, aber unter den Landesministern und den Senatoren - ich denke an meine Heimatstadt Hamburg diejenigen lauthals über Gesetze reden, die besonders erfolglos bei der Aufklärung von Straftaten gegen Polizisten sind. Ich jedenfalls habe mit großem Entsetzen zur Kenntnis genommen, dass in meiner direkten Nachbarschaft ein Anschlag auf eine Polizeiwache stattgefunden hat, der wie viele andere politische Straftaten in Hamburg seit Jahren unaufgeklärt ist. Gleichzeitig wird laut darüber geredet, was man gesetzgeberisch tun muss. Man muss dafür sorgen, dass die Polizei ihre Arbeit machen kann. Das ist die wichtigste Aufgabe. Sie hat auch etwas mit Stellen zu tun. ({6}) Aus meiner Sicht gilt das im Übrigen auch im Zusammenhang mit dem Einsatz von Scannern. Ich fand die Äußerungen des Ministers sehr wohltuend; das will ich ausdrücklich sagen. Aber muss es wirklich immer so sein, dass sich im Dezember die üblichen Verdächtigen, die gerne für Interviews und Fernsehauftritte zur Verfügung stehen, zu Wort melden und sagen: Da muss schnellstmöglich, am besten morgen früh, der Nacktscanner her? Informiert man sich über diese Technik, erfährt man, dass wohl erst 2011, wenn die zweite oder dritte Generation dieser Geräte existiert, ein solcher Scanner eingesetzt werden kann. Ich glaube, man hat in dieser Frage den falschen Weg eingeschlagen. Damit erzeugt man kein Sicherheitsbewusstsein in der Bevölkerung, sondern nur berechtigte Irritation. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Scholz, achten Sie bitte auf die Zeit.

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Hierbei wird über die Durchführung von Kontrollen entschieden. Wenn es zum Einsatz solcher Geräte käme, müssten wir darüber auch hier in diesem Parlament diskutieren. Dazu sollten wir uns alle verpflichten. ({0}) Wir sollten wenigstens einen Beschluss fassen, jenseits der Frage, ob es eine gesetzgeberische Notwendigkeit dazu gibt. Eines wünsche ich mir: Wenn es so ist, dass man eine solche Technik einsetzen möchte, dann müssen alle, die dafür stimmen, egal welcher Fraktion und Partei sie angehören, bereit sein, einmal durch einen solchen Scanner zu gehen und das, was dabei herauskommt, ein Foto, ins Internet zu stellen und damit öffentlich zu machen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Florian Toncar für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf den letzten Vorschlag will ich gar nicht eingehen. Vielmehr will ich auf die Grundlinien in der Innenpolitik zu sprechen kommen. Die Koalition tut alles, damit die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland Freiheit in Sicherheit genießen können. Natürlich ist Sicherheit auch eine Aufgabe eines modernen Rechtsstaats. Sie ist Voraussetzung dafür, dass Menschen ihre Freiheit entfalten können. Für uns Liberale ist auch wichtig, zu betonen, dass das Streben des Staates, Sicherheit zu schaffen, eine dienende Funktion hat: Es dient der Verwirklichung von Freiheit. Es ist kein Wert, der vorne steht; dieser Wert hat vielmehr eine dienende Funktion für die Verteidigung unserer freiheitlichen Ordnung. Die Koalition hat sich darauf verständigt, nicht immer neue und immer weitreichendere Überwachungsbefugnisse in unterschiedliche Gesetze einzuarbeiten, wie es im letzten Jahrzehnt in Deutschland der Fall gewesen ist. Viele dieser Befugnisse wurden übrigens heimlich und anlasslos erlassen. Das ist eine Fehlentwicklung, die wir immer kritisiert haben. Sie werden nichts davon im Koalitionsvertrag finden. Wir haben uns zunächst einmal darauf verständigt - so ist es auch formuliert -, bestehende Gesetze optimal anzuwenden. Das ist dringend nötig. Der versuchte Anschlag in Detroit ist heute schon mehrfach angesprochen worden. Ich glaube, man muss sich mit dieser Angelegenheit auseinandersetzen. Sie illustriert vieles, woran es im Sicherheitsbereich heute noch krankt. ({0}) Der Täter von Detroit war seit langem als gefährlich eingestuft und bei unterschiedlichsten Behörden unterschiedlichster Länder bekannt. Man muss festhalten: Trotz umfangreichster Überwachung fast aller betroffener Bürger, zumindest wenn sie in ein Flugzeug steigen, in unterschiedlichsten Ländern auf der Welt - obwohl unzählige Daten gesammelt, verarbeitet und auch weitergegeben worden sind - konnte dieser Täter ein Flugzeug besteigen, ohne Gepäck, mit einem Ticket, das er selbst in bar bezahlt hat, und ohne Rückflugticket. Ich glaube, das zeigt, dass es eben keine Frage der Quantität ist - Daten sind in großer Zahl gesammelt worden -, sondern der Qualität von Ermittlungsarbeit. Genau daran wollen wir arbeiten, auch im Zuge der Haushaltsberatungen. ({1}) Der vorgelegte Entwurf des Ministeriums bietet eine gute Grundlage, unsere Sicherheitsbehörden zukunftsfähig aufzustellen. Es ist ein klassischer Personal- und Verwaltungshaushalt. Wir werden angesichts der Haushaltslage natürlich darauf achten, dass wir effektive und effiziente Strukturen haben und dass die Mittel, die in diesem Bereich zur Verfügung stehen, einen größtmöglichen Sicherheitsgewinn bringen. Herr Kollege Scholz, ich fand es übrigens interessant, dass Sie in Ihrer Rede nun die Sache mit der Mehrwertsteuer in einen Zusammenhang mit Polizeistellen gerückt haben. Den Kollegen Schneider hatte ich vorhin so verstanden, dass er diese 500 Millionen Euro, die das im Übrigen für den Bundeshaushalt ausmacht - das ist ja kein großer Betrag -, ({2}) zur Reduzierung der Neuverschuldung verwenden wolle. Sie wollen sie jetzt für mehr Polizisten ausgeben. Davor sollte es für Bildung ausgegeben werden. Ich habe den Eindruck, dass die SPD-Fraktion diese 500 Millionen Euro am Ende dieser Haushaltswoche ungefähr acht- bis zehnmal ausgegeben haben wird. Sie sollten sich intern über solche Fragen vielleicht auch einmal abstimmen. ({3}) - Sie sollten solche Dinge einfach intern abstimmen. Von Mitgliedern Ihrer Fraktion sind heute Dinge vorgetragen worden, die nicht zueinander passen. Darauf wird man doch einmal hinweisen dürfen. Wir als FDP-Fraktion werden im Zuge der Haushaltsberatungen darauf achten, dass bei der Strukturierung der Sicherheitsbehörden das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten eingehalten wird. Auch in Haushaltstiteln darf es nicht zur Vermischung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Aufgaben kommen. Wir werden uns um neue Aufgaben wie die bessere Ausstattung und Koordinierung internationaler Polizeiausbildungsmissionen und -mandate zu kümmern haben. Auch da ist viel zu tun. Die Koalition wird es auch schaffen, das Dauerthema Digitalfunk, auf den Polizei und Rettungsdienste nun wirklich schon lange warten, endlich einer Lösung zuzuführen. Es ist ein Trauerspiel, dass das so lange dauert. Wenn wir über den Haushalt sprechen, ist es auch wichtig, darauf zu achten, dass wir evaluieren, ob durch die Dienste und Dienstleistungen, die das Bundesverwaltungsamt erbringt - es handelt sich ja um eine sinnvolle Serviceeinrichtung, in der gleiche Aufgaben unterschiedlicher Behörden gebündelt werden -, bei anderen Behörden Aufgaben wegfallen und sich das in deren Etats niederschlägt. Es kann nicht sein, dass wir eine solche Serviceeinrichtung zur Effizienzsteigerung schaffen, zugleich aber in keiner anderen Behörde an irgendeiner Stelle Kosten gespart werden. Ich glaube, dass das entweder im Zuge dieser oder im Zuge der nächsten Haushaltsberatungen ein wichtiger Punkt sein wird. Die Koalition hat neben der organisatorischen Aufstellung der Sicherheitsbehörden natürlich auch verschiedene Vereinbarungen hinsichtlich der Sicherheitsgesetzgebung getroffen. Ich kann festhalten, dass es entscheidende Verbesserungen vor allem beim Kernbereichsschutz geben wird. Dieser wird in verschiedenen Gesetzen besser ausgestaltet werden. Hierbei geht es um die Privat- und oft sogar um die Intimsphäre der Bürger. Deren Schutz werden wir verbessern. Natürlich werden wir auch dafür sorgen, dass im BKA-Gesetz verankert wird, dass heimliche Ermittlungsmaßnahmen im präventiven Bereich künftig von einem erfahrenen Bundesrichter angeordnet werden müssen. Die Praktiker, die sich mit solchen Anträgen auf Maßnahmen und Anordnungen beschäftigen, können wirklich bestätigen, dass es einen Unterschied macht, wessen Unterschrift dafür nötig ist, die eines Amtsrichters oder die eines Bundesrichters am Bundesgerichtshof. Das macht auch aus Sicht der Wahrung der Grundrechte der Betroffenen einen Unterschied. ({4}) Wir werden dafür sorgen, dass die genannten Dinge in die Gesetze aufgenommen werden. Wir setzen den Schwerpunkt auf den Vollzug von Gesetzen im Sinne einer optimalen Sicherheit und damit auch der Sicherung der Freiheit bei uns im Lande. Vielen herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Steffen Bockhahn für die Fraktion Die Linke. ({0})

Steffen Bockhahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004014, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Toncar, ich nehme mit Erstaunen zur Kenntnis, dass Sie 500 Millionen Euro für einen kleinen Betrag halten. ({0}) Ich darf Ihnen sagen: In einer Kommune in Ostvorpommern, wo man aufgrund Ihres Wachstumsbeschleunigungsgesetzes nicht mehr weiß, wie man den Jugendklub finanzieren soll, sieht man das anders. ({1}) Meine Damen und Herren, wir diskutieren im Einzelplan 06 dieses Jahr auch erstmals über die Ostdeutschland-Politik der Bundesregierung. Viele haben kritisiert, dass der Osten auf diese Weise nicht mehr die Rolle spielen würde, wie er sie die letzten 20 Jahre gespielt hat. Ich kann verstehen, dass man das so sieht. Ich habe mir aber einmal Mühe gegeben, dieses Regierungshandeln positiv zu betrachten, und bin für mich zu der Interpretation gekommen, dass die Bundesregierung den Osten endlich nicht mehr als irgendein Problem, sondern als innerdeutsche Angelegenheit behandeln möchte. Das kann ich nur begrüßen. ({2}) Nun will ich Ihnen gar nicht, wie Sie vermutlich alle erwarten, das übliche Lied über den traurigen Osten vorsingen. Ich darf Ihnen aber schon sagen: Das Wort „Hartz IV“ wird auch in dieser Rede wieder vorkommen. ({3}) - Das möchte ich gar nicht riskieren. Es ist völlig klar, dass es auch im Westen der Republik inzwischen Gebiete gibt, denen es kaum besser geht als flächendeckend dem Osten. Wir wollen eines aber nicht vergessen - das statistische Mittel der fünf neuen Bundesländer und das statistische Mittel der zehn alten Bundesländer sprechen eine deutliche Sprache -: Von gleichen Lebensverhältnissen in Ost und West sind wir weit entfernt. Noch immer bekommen Ostdeutsche für die gleiche Arbeit deutlich weniger Lohn und liegt das Bruttoinlandsprodukt etwa ein Drittel unter dem des Westens. Die Arbeitslosigkeit ist fast doppelt so hoch. Rund 1,7 Millionen Menschen in den neuen Ländern leben von Hartz IV, und die Zahl der geringfügig Beschäftigten, die nicht von ihrer Arbeit leben können, hat inzwischen katastrophale Ausmaße angenommen. Einer der größten, wenn nicht der größte Skandal ist aus meiner Sicht aber, dass im reichen Deutschland mehr als jedes vierte Kind im Osten unter den Armutsbedingungen von Hartz IV aufwachsen muss. Ich darf Sie bei der Gelegenheit daran erinnern, dass im Regelsatz nicht ein einziger Cent für Bildung vorgesehen ist. Ohne gut ausgebildete Menschen werden aber die strukturschwachen Regionen des Ostens weder aufholen noch gleichziehen können. Das muss Ihnen klar sein. Das heißt, mit ihrer Politik verstetigt die Bundesregierung die Strukturprobleme, statt sie zu beseitigen. ({4}) Eine verantwortungsvolle Bundesregierung müsste in einer solchen Situation einen ambitionierten Entwicklungsplan für Ostdeutschland aufstellen. Aber woher soll dieser kommen? Nicht ein einziges Mitglied des Kabinetts ist im Osten geboren, und vermutlich wird in der Regierung eher eine Schwerpunktsetzung, wie Herr Ramsauer sie bevorzugt, unterstützt, als dass man sich ernsthaft bemüht, die bestehenden Probleme zu bewältigen. Mit Ihrem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz treten Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, den strukturschwachen Regionen ein weiteres Mal kräftig gegen das Knie. Denn dort, wo die Kommunen die letzten großen Investoren sind, wird noch weniger Geld ausgegeben werden können. Das bedeutet gerade im Osten, dass die Handlungsfähigkeit der Kommunen schwer beeinträchtigt wird, weil dieses scheinbar durch großzügige Spenden beförderte Gesetz mit den Geschenken für Hotellobby, Superreiche und Großerben bei den Kommunen zu massiven Einnahmeausfällen führen wird. Anstelle von Steuergeschenken brauchen wir ein engagiertes Investitionsprogramm für bestimmte Regionen Westdeutschlands, vor allem aber für den Osten Deutschlands. ({5}) Lassen Sie mich zu einem zweiten Punkt kommen: dem Datenschutz. Um diesen ist es aus meiner Sicht nicht wirklich gut bestellt in Deutschland. Man denke an Deutsche Bahn, Deutsche Telekom, Schlecker und Lidl; von ELENA reden wir besser gar nicht erst. Ein Datenskandal jagt zurzeit den nächsten. Angekündigt war eine deutliche Stärkung des Bereichs des Bundesdatenschutzbeauftragten. Im Haushalt - das nehme ich zur Kenntnis - finden wir tatsächlich effektiv elfeinhalb neue Stellen. Das ist ein Anfang, aber lange nicht genug. Wir schlagen Ihnen stattdessen Folgendes vor: eine gesetzliche Initiative zur Stärkung des Datenschutzes, insbesondere des Arbeitnehmerdatenschutzes; mehr Kompetenzen und mehr Personal für den Bundesdatenschutzbeauftragten; eine umfassende Informationskampagne für die Bevölkerung. Das stärkt die Bürgerrechte. Das Wichtigste im Umgang mit neuen Medien etc. ist, dass die Menschen wissen, was sie tun, wenn sie mit Kreditkarte, Payback-Karte usw. unterwegs sind. Wir müssen die Menschen darüber informieren, um Datenschutz zu ermöglichen. Dazu bedarf es einer großen Informationskampagne, die weit über das hinausgeht, was wir bisher tun. Wie wenig eine solche Politik durch die Bundesregierung und ihren Innenminister wirklich gewollt ist, hat Herr Minister de Maizière leider durch sein Verhalten in Bezug auf das SWIFT-Abkommen bewiesen. Wer ohne Not die höchst sensiblen und privaten Bankdaten aller Deutschen preisgibt, der meint es nicht ernst mit dem Datenschutz. ({6}) Nun zum dritten Punkt, meine Damen und Herren. Aus meiner Sicht eine der unnötigsten Ausgaben des gesamten Bundeshaushaltes findet sich ebenfalls im Einzelplan 06: die Unterstützung für den sogenannten Bund der Vertriebenen. Als direkte Zuweisung bekommt er jedes Jahr fast 1 Million Euro, und über weitere Projektmittel stehen insgesamt 2,013 Millionen Euro zur Verfügung. In der Erläuterung zu diesem Haushaltsposten heißt es wörtlich - ich zitiere -: Die Mittel dienen zur Unterstützung von Maßnahmen von Vereinigungen und Einrichtungen der Vertriebenen sowie diesen verbundener Träger, die geeignet sind, die Verständigung und Aussöhnung mit unseren östlichen Nachbarn und die Einigung Europas zu fördern. ({7}) Wie diese Zielstellung und der sogenannte Bund der Vertriebenen zusammenpassen sollen, bleibt aber unklar. Wir reden hier nämlich über eine Organisation, Herr Kollege, die die Oder-Neiße-Friedensgrenze gerne einmal als unnötiges Zugeständnis betrachtet, ({8}) die den EU-Beitritt Tschechiens verhindern wollte und die nicht bereit ist, die Eigentumsrechte von Menschen in anderen Ländern zu akzeptieren. Wir reden über eine Organisation, die nicht willens oder in der Lage ist, zu begreifen, dass der Auslöser für die Umsiedlung von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg der von den Deutschen begonnene Zweite Weltkrieg war. Eine solche Organisation kann man doch nicht mit über 2 Millionen Euro unterstützen! ({9}) Dann doch lieber das Deutsch-Polnische Jugendwerk oder den Verein junger Europäer; das Geld ist dort garantiert besser aufgehoben, und die Verständigung und Versöhnung mit unseren Nachbarn in Europa würden davon profitieren. Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren: Die Bundesregierung ist nicht bereit, den Osten wirklich zu stärken. Sie nimmt den Datenschutz nicht ausreichend ernst, und sie fördert Organisationen, die es, gelinde gesagt, nicht verdient haben. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vieles, was Sie sagen, Herr Innenminister - auch heute wieder -, und wie Sie es sagen, gefällt mir sehr gut. ({0}) Die Meister der asymmetrischen Wortkriegsführung scheinen abgelöst. ({1}) Der Wettlauf der Eskalationsrhetorik und der Wettlauf, grundrechtseinschränkende Gesetze vorzubereiten, scheinen beendet - vorerst zumindest. ({2}) Herr de Maizière, es ist gut, wenn Sie von öffentlicher und nicht von innerer Sicherheit sprechen. Es ist richtig, dass Sie erklären, im öffentlichen Dienst brauchten wir mehr Frauen und mehr Menschen mit Migrationshintergrund. Mir gefällt, dass Sie sagen, Sie hätten die Zeichen der Zeit im Datenschutz und im Internet erkannt. ({3}) - Das kommt noch, Herr Wiefelspütz. Ich laufe noch zur Höchstform auf. Versprochen! Aber wir stehen nicht nur am Anfang einer Wahlperiode. Es ist auch der Anfang des Jahres. Ich werte Ihre Aussagen daher als gute Vorsätze für das neue Jahr. Da werden wir ganz genau hinschauen. Insbesondere im Bereich der Netzpolitik laufen wir ernsthaft Gefahr, dass sich eine ganze Generation politisch dauerhaft von uns abwendet. Herr Kollege Krings, ich habe bemerkt, dass Sie auf den Knien das Buch Payback von Schirrmacher liegen haben. Das ist sehr gut; denn Fortbildung ist angesagt. Ob aber dieses Buch der Weisheit letzter Schluss ist, sei einmal dahingestellt. Der Koalitionsvertrag jedenfalls gibt dem Internet Raum auf immerhin fünf Seiten. Das ist gut. Aber den mehr deklaratorischen Absichtserklärungen muss nun Konkretes folgen. ({4}) Davon sehe ich bisher, abgesehen von einer netzpolitischen Kaffeerunde gestern im Bundesinnenministerium, wenig. Kommunikation ist Gesellschaft. Das ist die Grundthese der Gesellschaftstheorie Luhmanns. ({5}) Ich glaube, das stimmt. Wenn es stimmt, dann stehen wir angesichts der globalen Vernetzung der analogen und der digitalen Welt vor großen Umbrüchen und größten Herausforderungen. Nein, wir befinden uns mitten in diesen Umbrüchen. Wir müssen uns als Politikerinnen und Politiker selbstkritisch fragen, ob wir dieser Entwicklung bislang in angemessener Weise Rechnung getragen haben. Die digitale Revolution hat längst alle Lebensbereiche erfasst, und die Politik hinkt dieser Entwicklung seit Jahren hinterher. Das Internet ist inzwischen das zentrale Kommunikations- und Wirtschaftskonstrukt. Angesichts dieser Tatsache ist es zwingend, dass sich unser Parlament mit den Chancen und den Herausforderungen der digitalen Revolution intensiv beschäftigt. ({6}) Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir in diesem Hohen Haus zu diesem Thema eine Enquete gründen. Aber ich sage an dieser Stelle auch ganz deutlich: Das darf keine Alibiveranstaltung werden. Diese Enquete darf nicht fern der Öffentlichkeit einsam zwischen Politikern und Sachverständigen hinter verschlossenen Türen stattfinden. Vielmehr muss sie der Ort für eine transparente und öffentliche Diskussion sein. Die Chance, die sich hier bietet, nicht nur über E-Partizipation zu reden, sondern sie tatsächlich zu praktizieren, dürfen wir nicht ungenutzt lassen. ({7}) Wenn Sie, liebe Kollegen von der FDP und CDU/ CSU, nun glauben, bei aller Zerstrittenheit in anderen Bereichen sei die Netzpolitik ein Feld relativ einfacher Profilierung, dann sind Sie absolut auf dem falschen Dampfer. In der Netzpolitik gibt es drängende Probleme, aber keine einfachen Antworten. Richtig ist zum Beispiel, dass wir eine Antwort auf die Herausforderungen hinsichtlich des Umgangs mit geistigem Eigentum in Zeiten der Digitalisierung und des Internets finden müssen. Wahr ist aber auch, dass weder die Urheber noch die Verlage oder die Politik einfach versuchen dürfen, die Wirtschaftsmodelle der Vergangenheit ins digitale Zeitalter zu übertragen. Wenn sich die Politik hier realitätsfern von Lobbys beeinflussen lässt, dann wird nicht nur die Politikverdrossenheit großer Teile der Bevölkerung weiter gefördert; diese Ansätze werden auch einfach nicht funktionieren. Damit werden wir niemandem helfen, weder den Urhebern noch den Verlagen. Hier geht Glaubwürdigkeit verloren; denn die einfachen Antworten gehen an der Lebenswirklichkeit von Millionen von Menschen vorbei. Auch bei den Internetsperren haben Sie sich bisher um eine tatsächliche politische Entscheidung gedrückt. Gemessen an Ihren Ansprüchen, die Sperren abzuschaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, sind Sie gescheitert. Das Ergebnis unserer Kleinen Anfrage hat glasklar gezeigt: Die Bundesregierung hat bislang keinen Plan, wie das verabschiedete Gesetz gestoppt werden kann und was mit den Verträgen und der bereits geschaffenen Sperrinfrastruktur geschehen soll. Eine umfassende und schlüssige Netzpolitik sieht anders aus. ({8}) Ihren völlig missglückten Start bei SWIFT durfte ich bereits vor Weihnachten kommentieren. Es gibt ein weiteres Feld Ihres datenschutzrechtlichen Versagens, und das ist die Vorratsdatenspeicherung. Statt dieses Gesetz zurückzunehmen, wie vielfach von der FDP im Wahlkampf versprochen, eiern Sie herum. Dabei waren es doch Sie von der FDP, die zusammen mit uns, mit den Grünen, die Unsitte des bewussten Schreibens verfassungswidriger Gesetze im Bewusstsein, das Bundesverfassungsgericht werde einen schon irgendwie retten, immer kritisiert haben. Und was machen Sie nun? Statt die Vorratsdatenspeicherung abzuschaffen, laden Sie das Gesetz beim Bundesverfassungsgericht ab. So geht es nicht. Wo waren denn die Befürworter dieses Gesetzes am 15. Dezember 2009? ({9}) Der Vorsitzende, Herr Papier, hat in Karlsruhe ausdrücklich nach ihnen gefragt, übrigens auch nach Vertretern der SPD-Fraktion. ({10}) Es war niemand da. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU, SPD und CSU, Ihnen fehlt die Kraft, dieses Gesetz zu verteidigen. Der FDP fehlte die Kraft, im Koalitionsvertrag Konsequenzen zu vereinbaren. Angesichts dieser Schwäche allenthalben bleibt tatsächlich nur das Bundesverfassungsgericht. Wir können uns diese Schwäche aber nicht mehr leisten. Wir müssen der Bedeutung des Datenschutzes endlich wirklich gerecht werden und ihn ins Grundgesetz aufnehmen. Wir brauchen eine wirksame Entschädigung bei Datenpannen. Wir dürfen den Art. 10 des Grundgesetzes nicht weiter schwächen, sondern müssen ihn stärken. Wir brauchen eine Gesetzesinitiative für den sogenannten Datenbrief. Wir brauchen einen echten Wandel beim Datenschutz, Herr Minister, keinen rhetorischen. ({11}) Auch in der Migrationspolitik sind Sie leider weit hinter den zwingend erforderlichen Änderungen zurückgeblieben. Zwar sagt die schwarz-gelbe Koalition Ja zu mehr Pflichten für Ausländerinnen und Ausländer, gleichzeitig aber Nein zu mehr Rechten. ({12}) Vergeblich sucht man im Koalitionsvertrag nach einer erleichterten Einbürgerung. Ihre Entscheidung gegen ein kommunales Ausländerwahlrecht ist ein Armutszeugnis in puncto Integration. ({13}) Auch der Optionszwang, nach dem sich hier geborene Ausländerinnen und Ausländer nach dem 18. Geburtstag zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und derjenigen ihrer Eltern entscheiden müssen, ({14}) bleibt und soll lediglich überprüft werden. Von einer liberalen Handschrift kann da leider keine Rede sein. Es ist altbacken und schädlich, wie stiefmütterlich Sie mit diesem wichtigen Bereich der Innenpolitik umgehen. ({15}) Da man dieser Tage im Rahmen der innenpolitischen Debatte nicht um die Nacktscanner herumkommt, möchte auch ich noch einige Worte dazu verlieren. Wir sind uns alle einig: Die öffentliche Sicherheit ist ein hohes Gut. Natürlich gibt es eine reale Bedrohung. Aber gerade deshalb dürfen wir unsere Zeit nicht mit Placebodebatten vertun. Der gescheiterte Attentäter von Detroit war für die Dienste - es wurde hier mehrfach gesagt kein Unbekannter. Trotzdem ist er in das Flugzeug eingestiegen. Dies hat gezeigt - Herr Kollege Toncar, da gebe ich Ihnen völlig recht -: Wir haben nicht zu wenige Informationen; wir haben viel zu viele. Wir sehen vor lauter Daten die eigentlichen, tatsächlichen und offensichtlichen Gefahren nicht mehr. Den zahlreichen Befürwortern von Nacktscannern - meiner Ansicht nach ist es reine Wortklauberei, die Diskussion an den Begriffen „Körperscanner“ oder „Nacktscanner“ aufzuhängen; wenn man auf einen Körper ohne Kleidung schaut, bleibt der Mensch letztlich nackt; daran können Sie nichts ändern, auch wenn Sie andere Begrifflichkeiten wählen - geht es lediglich um das subjektive Sicherheitsgefühl. Wir gewinnen jedoch keine tatsächliche Sicherheit - weder durch die Nacktscanner noch durch Hunderttausende von Videokameras noch durch Onlinesperren. Wir geben viel Geld aus, bauen Bürgerrechte ab, schränken die Privatsphäre ein und ersticken in einer Datenflut, die uns von den offensichtlichen und notwendigen Handlungen und Reaktionen eher abhält, als dass sie diese fördert. Ich sage noch einmal: Wir laufen Gefahr, die Terroristen vor lauter Kameras zu übersehen. Wir erkennen sie aufgrund der Flut von Informationen, die wir haben, nicht, und wir überhören sie vor lauter Abhörmaßnahmen. Die ersten 100 Tage Ihrer Koalition sind vorbei. ({16}) Wir alle wissen, welche Halbwertszeiten gute Vorsätze für das neue Jahr haben. Oftmals sind die guten Vorsätze schon im Februar nichts mehr wert. ({17}) Ich hoffe aufrichtig, dass das bei Ihnen nicht der Fall ist, Herr Innenminister. Mit der Ankündigungspolitik muss jetzt Schluss sein. Papier ist geduldig. Die Menschen, die systematisch und auf Vorrat ausgeforscht werden, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die überwacht und ausspioniert werden, sind es nicht mehr. Herzlichen Dank. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl hat nun für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr von Notz, wir haben Ihnen sehr aufmerksam zugehört. ({0}) Das sind sehr interessante Gedanken, die auch von Herrn Wiefelspütz hätten kommen können. ({1}) Er hat ausführlich zu einem Thema gesprochen, das uns in dieser Koalition sehr am Herzen liegt, nämlich zu den Veränderungen in der Welt des Internets und den Veränderungen unserer Gesellschaft, die durch das Internet hervorgehen. ({2}) Ich würde mich - im Gegensatz zu Herrn Wiefelspütz als Digital Immigrant bezeichnen. ({3}) - Ein Digital Immigrant ist das Gegenteil von einem Digital Native. ({4}) Letztere sind Menschen, die mit dem Computer aufgewachsen und daher ganz selbstverständlich in die Materie hineingewachsen sind. Wir anderen, die Älteren, Herr Wieland, ({5}) haben uns mehr oder weniger mühsam mit diesem Medium befasst, bevor wir in der Welt des Internets angekommen sind. ({6}) Das sind die Digital Immigrants. ({7}) - Dieses Visum habe ich mir selbst durch mühsames Selbststudium erteilt, so wie wir es immer wieder von den Immigranten fordern, weil nur die Sprachkenntnis allein sie zur Integration befähigt. Lassen Sie mich auf dieses Thema kurz eingehen. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ gegründet haben und dass wir uns sehr gewissenhaft mit all den Facetten des Internets und den Fragen, wie das Internet die Gesellschaft verändert, auseinandersetzen. Das ist sehr wichtig, und darauf sollten wir in den nächsten vier Jahren sehr nachhaltig eingehen. Die Gesellschaft ist durch dieses Medium in der Tat gespalten. Wir haben - das gebe ich gerne zu, und das müssen wir auch am Beispiel des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornografie nachträglich zugeben - ein bisschen mit der Stange im Nebel gestochert, als wir in der Großen Koalition das Gesetz gemacht haben. Deswegen habe ich gar keine Probleme mit dem Umstand, dass wir dieses Gesetz derzeit nicht anwenden. ({8}) Darüber kann ich mich rechtspolitisch überhaupt nicht erregen. Vielmehr müssen wir uns sehr sorgfältig mit dem Thema befassen. ({9}) Der netzpolitische Dialog, der von Ihnen, Herr Minister, jetzt parallel zu unserer Enquete-Kommission begonnen wurde, ist ebenso wichtig. Die Innenpolitik möchte einerseits für Sicherheit im Internet sorgen. Kriminalität im Internet ist gang und gäbe. Organisierte Kriminalität bemächtigt sich des Internets. Terrorismus und Spionage im Internet kommen immer häufiger vor. Auf der anderen Seite haben wir den Datenschutz im Internet sicherzustellen. Auch dies ist eine schwierige Aufgabe angesichts des Umstandes, dass gerade die jungen Menschen in einem Akt der Selbstentäußerung alle ihre persönlichen, privaten und intimsten Daten ins Internet stellen und sich durch niemanden daran hindern lassen. Wir wollen den ungehinderten Zugang und den freiheitlichen Charakter des Internets schützen. Wir wollen das Internet für die Dienstleistungen des Staates nutzbar machen. E-Government wird die Welt verändern. Wir werden von zu Hause aus Dienstleistungen des Bundes, des Landes oder der Kommunen in Anspruch nehmen können, ohne in irgendeiner Behörde gewesen zu sein. Das sind die Dinge, die kommen werden. Wir werden mit dem elektronischen Personalausweis dafür sorgen, dass sichere Rechtsgeschäfte getätigt werden können. Das halten wir für wichtig. Lassen Sie mich kurz auf das Thema „Sicherheit, Sicherheitsbehörden, mehr Polizei, besser ausgebildete und besser bezahlte Polizei“ zu sprechen kommen, Herr Kollege Scholz. Das ist immer interessant, wenn man, wie Sie und ich, lange genug im Geschäft ist. Sie waren ja einmal Innensenator in Hamburg; ich glaube, bis 2001. Dann wurden Sie von einem mir sehr gut bekannDr. Hans-Peter Uhl ten Mann aus München, Udo Nagel, abgelöst. Er war Leiter der Mordkommission in München. Er hat für Aufklärung gesorgt und dafür gesorgt, dass die Zahl der Straftaten zurückging. Deswegen ist es immer interessant, wenn Sie hier anklagen, dass in Hamburg Schreckliches passiert ist und es so etwas zu Ihrer Zeit möglicherweise nicht gegeben hat. ({10}) - Herr Exjustizsenator von Berlin, der Kollege Udo Nagel hat mit Recht darauf hingewiesen, ({11}) dass in der Zeit zwischen 2001 und 2007 die Zahl der Straftaten in Hamburg um 80 000 pro Jahr zurückgegangen ist. Das war nach Ihrer Zeit, Herr Scholz. Das war nicht Ihre Leistung, sondern die Leistung Ihres Nachfolgers. Deswegen wäre ich mit solchen Äußerungen wie denen, die Sie vorhin getätigt haben, sehr vorsichtig. ({12}) Zum Terror. Natürlich müssen wir alles tun - das ist schon mehrfach gesagt worden -, um Terroranschläge zu verhindern. Wir sollten mit den Amerikanern, was die Vernetzung von sicherheitsrelevanten Erkenntnissen anbelangt, ein ernstes Wort reden. Wir irren uns, wenn wir glauben, dass wir mit einer Masse von Polizisten und einer immer größer werdenden Flut von Daten für mehr Sicherheit sorgen können. Das ist nicht das Thema. Der Fall von Detroit hat das wirklich bewiesen. Es kann nicht richtig sein, wenn es amerikanische Nachrichtendienste gibt, die alles wissen, in Europa aber keine einzige Sicherheitsbehörde etwas davon weiß. Man stelle sich vor, der Täter aus Nairobi wäre über Frankfurt nach Detroit geflogen: Dann wären wir die Schuldigen gewesen, weil wir nichts von dem Umstand gewusst hätten, dass er ein sogenannter Gefährder ist. Das hat mit Bodyscannern überhaupt nichts zu tun. Die Diskussion über Bodyscanner wurde nur daran angehängt, obwohl es überhaupt keinen Sachzusammenhang gibt. ({13}) Das war ein Versagen amerikanischer Nachrichtendienste. Der Bodyscanner - das wurde mehrfach ausgeführt; ich will das jetzt nicht auch noch wiederholen - ist ein Instrument, eine letzte Sicherheit, ({14}) wenn man so will, eine maschinelle Sicherheit. Wenn man Glück hat, kann man damit aus der Flut der Touristen einen Terroristen herausfiltern. ({15}) Wir werden sehen, ob die Technologie tauglich ist. Die Voraussetzungen für den Einsatz wurden bereits erwähnt. Wir werden sehen, ob wir diese Bodyscanner einführen. Mir liegt etwas anderes am Herzen: Als wir 9/11 analysiert haben, haben wir gesagt, dass es in Deutschland mit unseren 37 Sicherheitsbehörden - 16 Verfassungsschutzämter plus 16 Landeskriminalämter macht 32; wenn wir noch die Bundesämter hinzunehmen, kommen wir auf diese Zahl ({16}) nicht sein darf, dass eine Behörde, ein Land etwas weiß und die nicht mit den anderen reden. Das ist ja jetzt in Amerika wiederum passiert. Deswegen haben wir das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum gegründet. ({17}) Dort sitzt man täglich beisammen, und jeder legt auf den Tisch, was er weiß. Hauptsächlich so kann man für Sicherheit sorgen. Wenn im Einzelfall am Flughafen noch ein Bodyscanner nachhelfen kann, dann nehmen wir den dazu. Lassen Sie mich noch einige Gedanken zu einem Thema ausführen, das in den nächsten Wochen ganz wichtig sein wird. Wir stehen kurz vor der AfghanistanKonferenz in London. Wir Deutsche, wir Europäer werden in London dafür sorgen müssen, dass die wahren, die vernünftigen und die realistischen Ziele für das geschundene Land Afghanistan definiert werden und dass Ziele gegebenenfalls heruntergefahren werden. Herr Scholz, da Sie mich gerade so anschauen: Ich sehe noch den damaligen Außenminister Joschka Fischer vor mir, ({18}) wie er im Jahr 2001 nach der Petersberger Konferenz schwadroniert hat: Wir werden in Afghanistan keine Probleme haben. Wir gehen in den sicheren Norden. Wir sind beliebt. Mohnanbau ist nicht unser Thema, das machen die Engländer. Die Justizausbildung ist nicht unser Problem, das machen die Italiener. Wenn überhaupt geschossen wird, dann im Süden; das machen die Engländer und die Amerikaner. - So wurden wir von Joschka Fischer hineingelockt. ({19}) Die Welt hat sich verändert; Sie wissen das. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass wir eine ausstiegsorientierte Ausbildung der afghanischen Polizei und eine ausstiegsorientierte Ausbildung des afghanischen Militärs in einem überschaubaren Zeitraum hinbekommen. Das muss in London zwischen den Partnern der EU und der NATO festgelegt werden. Wenn wir es schaffen, in den nächsten drei Jahren die Zahl der Ausbilder zu verdoppeln oder zu verdreifachen - das ist zu leisten -, dann können wir in einigen Jahren sagen: Wir haben unsere Aufgabe erfüllt. Herr Karzai - oder wer immer dann an der Macht sein wird -, bitte übernehmen Sie! - Selbsttragende Sicherheit nennen wir das. Das ist unsere Aufgabe. Natürlich muss sie unter dem Schutzschirm des Militärs erfüllt werden. Sonst dürften wir die Polizisten nicht hinschicken; denn sie brauchen für die Durchführung der Ausbildung eine sichere Umgebung. Ich möchte einen letzten Gedanken ansprechen: Olympia. Die Olympischen Winterspiele kommen 2018, wenn wir Glück haben, wenn wir uns anstrengen und alles dafür tun, nach Deutschland, nach München, nach Garmisch und in die anderen Orte. Darüber wird am 6. Juli 2011 entschieden. Wir müssen das Jahr 2010 dafür nutzen, auf allen drei Ebenen die nationalen Anstrengungen voranzutreiben, damit wir eine gute Chance haben, den Zuschlag zu erhalten. Ich meine, das wäre für uns eine große Ehre und ein großer Vertrauensbeweis. Olympia ist es wert, dafür zu kämpfen. Es ist nicht nur ein Sportfest, sondern ein Fest, das die Menschen verbindet. ({20}) Wir sollten also dafür kämpfen, das Fest nach Deutschland zu holen. Danke schön. ({21})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion. ({0})

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einer der wichtigen Punkte im Haushalt des Innenministeriums - ich finde, zu Recht - ist das Thema Integration. Die gute Nachricht ist: Wie wichtig die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund für Deutschland ist, scheint auch in der konservativen Regierung angekommen zu sein. Das belegen zumindest die Zuwächse bei einigen Haushaltspositionen. ({0}) - Es scheint bei Ihnen angekommen zu sein; das war ein Lob. ({1}) Deutschland ist ein Einwanderungsland, mit allen Auswirkungen, die das mit sich bringt. Für gute Integration, ein gutes Zusammenleben, braucht man aber nicht nur Geld, sondern auch die richtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen - Olaf Scholz hat sie schon genannt -: ein modernes Zuwanderungsgesetz, ein modernes Einbürgerungsrecht, die Anerkennung ausländischer Qualifikationen und Abschlüsse, aber auch gute Rahmenbedingungen für Migrantenorganisationen, damit bei den Integrationsgipfeln und Islamkonferenzen, die stattfinden sollen, gute und kompetente Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Mit Geld allein ist in diesem Bereich also nicht alles getan. ({2}) Die SPD wird mit Argusaugen auf Ihre Gesetzentwürfe blicken. Wahrscheinlich muss sie auch mit Argusaugen hinschauen, wenn keine Gesetzentwürfe vorgelegt werden, und dann nachlegen. Im sensiblen Bereich der Integration geht es auch um den Ton der Debatte. Es ist eine Realität, dass das Thema Integration in der Bevölkerung längst noch nicht mit der gebotenen Selbstverständlichkeit diskutiert wird. Vielfach erleben Menschen in Deutschland, die anders aussehen, individuelle und strukturelle Diskriminierung. Ihr dauerhafter Aufenthalt wird im Geiste von manchen immer noch als Gaststatus betrachtet. Das belegt ein kleines Alltagsbeispiel, die Frage: Woher kommst du? - Von Menschen, die nicht weiß sind, wird noch immer nicht die Antwort „Leipzig“ oder „Bonn“ erwartet. Integration bedeutet deshalb auch, gegenüber allen hier lebenden Menschen zu betonen, dass es im Jahr 2010 nicht darum geht, ob Menschen anderer Hautfarbe oder Herkunft hier leben, sondern darum, wie wir zusammenleben wollen. Integration ist keine Einbahnstraße, sondern fordert Bewegung in der gesamten Gesellschaft. Ich hoffe, dass auch eine konservative Regierung diesen Aspekt im Blick hat. ({3}) Die SPD jedenfalls wird stets einen genauen Blick darauf haben, wie die gesellschaftliche Debatte in unserem Land geführt wird und wie sich das gesellschaftliche Klima verändert und entwickelt. Dazu gehört für uns auch, dass weiterhin mit aller Kraft gegen Rechtsextremismus und Rassismus und für Demokratie gekämpft wird. Lieber Herr de Maizière - das geht auch an Frau Köhler -, Sie können so oft Sie wollen behaupten, Sie würden im Kampf gegen die extreme Rechte nicht nachlassen: Was Sie in anderen Feldern ankündigen, steht dem entgegen. Wenn ich die gleiche Menge Geld umverteile und zwei von drei zur Verfügung stehende Themenblöcke, Linksextremismus und Ausländerextremismus, mit mehr Mitteln ausstatten möchte, dann bleibt für den dritten Block, den Kampf gegen Rechtsextremismus, weniger Geld übrig. Das ist simple Mathematik, Daniela Kolbe ({4}) ({5}) die viele Initiativen und Vereine schon verstanden haben. Dieses Vorgehen ist aber in hohem Maße gefährlich. Ich appelliere an die Bundesregierung: Lassen Sie nicht plumpe Ideologie walten, sondern sorgen Sie dafür, dass auch in Zukunft ausreichend finanzielle Ressourcen, das heißt mindestens gleichbleibende Ressourcen, im Kampf gegen rechts zur Verfügung stehen. ({6}) Ihre sich andeutenden Entscheidungen in diesem Punkt haben Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen, nicht nur auf das Leben von Migranten, sondern auch auf das von Demokraten, von ganz normalen Menschen. Sie haben auch Auswirkungen auf unsere Demokratie, und zwar langfristig. Was Sie heute beim Kampf gegen Rechtsextremismus sparen, bewirkt vielleicht, dass wir in einigen Jahren mehr gewaltbereite Rechtsextremisten haben. Im schlimmsten Fall bewirkt es Nazis in den Parlamenten, mehr Propagandadelikte und Körperverletzungen bis hin zu Todesfällen. Lassen Sie es nicht schlimmer werden, als es schon ist. Wehren Sie weiter den Anfängen! ({7}) Noch einmal konkret zu den Zahlen im Bereich Integration. Integration kostet Geld, und das ist gut investiertes Geld; denn Menschen werden so befähigt, etwas für sich, ihre Familie und auch für die Gesellschaft zu erreichen. Es ist deshalb gut, dass die konservative Regierung die Integrationskurse, die 2005 von Rot-Grün eingeführt wurden, weiterführt und den Etat dafür aufgrund der großen Nachfrage erhöht. Doch da ist leider nicht alles Gold, was glänzt. Derzeit erhalten Anbieter von Integrationskursen 2,70 Euro pro Stunde und Teilnehmer, und das bei sehr hohem bürokratischem Aufwand und einer zum Teil schwierigen Klientel, einer schwierigen Zielgruppe. Es sind zum Teil Analphabeten, junge Menschen, alte Menschen, Menschen mit unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen und unterschiedlichem Vorwissen. Die Bildungsträger weisen zu Recht auf die eklatante Unterfinanzierung dieser Integrationskurse hin. Kleine Gruppen, die oft nötig und sinnvoll wären, können sich die Träger nicht leisten. Herr Minister, deswegen lautet mein Appell an Sie: Erhöhen Sie die Mittel pro Kursteilnehmer, und verbessern Sie die Rahmenbedingungen für die Integrationskurse, damit sie eine gute Qualität haben. ({8}) Lassen Sie mich noch einen Blick über den Haushaltsentwurf des Innenministeriums hinaus werfen. Liebe Koalitionäre, Sie müssen sich gefallen lassen, dass wir immer wieder auf die Auswirkungen Ihrer Politik hinweisen. ({9}) Ihre Politik verschärft sehenden Auges die finanzielle Situation der Kommunen. Gerade dort, in den Vereinen, in der Kultur, in den Kitas, findet aber Integration statt. Das ist ein schlechter Taschenspielertrick: ein bisschen mehr Geld im Bundeshaushalt - dies zu Recht -, dafür dramatisch weniger Geld für die Kommunen. Nachhaltigkeit sieht für mich eindeutig anders aus. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Innenpolitik in Deutschland reden, fragen viele politische Kollegen zunächst: In welchem Staat wollen wir leben? ({0}) Ich halte die Frage für etwas falsch formuliert. Sie muss lauten: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Als FDP arbeiten wir daran, eine weltoffene, tolerante und liberale Bürgergesellschaft zu schaffen. ({1}) Von diesem Verständnis und den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger aus leiten sich alle innenpolitischen Maßnahmen ab. Wir können sie quasi von dort aus deklinieren. Denn dadurch, dass sich ein Staat auf seine Kernaufgabe konzentriert, wird er nicht zu einem schwachen Staat, sondern zu einem Staat, der für die Aufgaben, die er dringend erledigen muss, die nötige Kraft hat. ({2}) Wir müssen Menschen aller Gesellschaftsschichten integrieren. Wir müssen Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst einstellen. Wir müssen leistungsorientiert bezahlen, einen Aufstieg flexibler möglich machen und - das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart - eingetragene Lebenspartnerschaften, etwa im öffentlichen Dienst, gleichstellen. Wir können es uns auch nicht mehr leisten, sozusagen in einer Juristischen Sekunde die Erfahrungen der 67-Jährigen von einem Moment auf den nächsten zu verlieren. Wir müssen flexiblere Übergänge schaffen, wenn es darum geht, wann wir Menschen aus dem öffentlichen Dienst in den verdienten Ruhestand entlassen. Schließlich - hier konnten wir uns noch nicht ganz durchsetzen - müssen wir bei der Mitnahme der Altersversorgungsansprüche eine faire Lösung finden, weil wir dringend einen Wissenstransfer zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft brauchen. ({3}) Eine gute, sich aus der genannten Gedankenmaxime ableitende Innenpolitik setzt auf Bürokratieabbau. Wir betonen immer, dass sie das tut, damit der Staat, der Bürger und die Wirtschaft entlastet werden; das ist richtig. Aber auch eine Verwaltung ist nur dann leistungsfähig, wenn wir sie auf das beschränken, was sie wirklich tun muss, und sie von unnützen Vorschriften entlasten. ({4}) Um es mit Tacitus zu sagen: Im verdorbensten Staat gibt es die meisten Gesetze. - Als Rechtshistoriker kann ich Ihnen sagen: Immer dann, wenn man geglaubt hat, mit einer Fülle von Normen mehr zu erreichen und Feinsteuerung zu betreiben - das galt auch im Absolutismus -, hat die Normdurchsetzung gelitten und ist immer schlechter und schwächer geworden. ({5}) Weil dieses Thema in der jetzigen Debatte anklang, will ich auch noch auf den Extremismus und seine Bekämpfung eingehen. Es ist kein Zufall, dass uns dieses Phänomen in den letzten Jahren immer mehr beschäftigt hat. Unserer Meinung nach ist es das Symptom einer schrumpfenden und gefährdeten Mitte. Wenn die Mitte kleiner wird, nehmen die Extreme zu, und das leider an beiden Enden. Dagegen müssen wir uns ganz aktiv wenden. ({6}) Wir Liberale wollen das nicht mit Parteiverbotsverfahren tun. Wir wollen die Ursachen bekämpfen und die Mitte stärken. Wir wollen präventive Programme für den Ausstieg aus der rechten Szene. Ich finde, diese Debatte wird teilweise etwas taktisch geführt, und zwar von beiden Seiten. Wir müssen den Rechtsextremismus weiter bekämpfen. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass hier die gravierendsten Probleme bestehen. Aber wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass Linksextreme Autos anzünden, an manchen Tagen ganze Stadtviertel in ihre Gewalt bringen und so rechtsfreie Räume schaffen. ({7}) Die Mittel des Strafrechts allein reichen hier nicht aus. Deswegen muss sorgfältig analysiert werden: Um was für ein Phänomen handelt es sich beim Linksextremismus? Vor dem Hintergrund der Programme der 80erund 90er-Jahre zur Bekämpfung des Rechtsextremismus lässt sich feststellen: Nur dann, wenn man ein Phänomen erkundet hat, es genau kennt und zielgenau vorgehen kann, kann man ihm auch zu Leibe rücken. Liebe Freunde von den Linken, ich hoffe, Sie kommen hier an unsere Seite und verharmlosen dieses Problem nicht weiter. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ruppert, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg in Ihrer weiteren Arbeit. ({0}) Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Fraktion Die Linke. ({1})

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bis vor wenigen Monaten war ich als Thüringer Polizeibeamter mit den praktischen Angelegenheiten des öffentlichen Dienstes konfrontiert. In der täglichen Zusammenarbeit mit den Einrichtungen des Bundes und der Kommunen wurde eines deutlich: das gemeinsame Problem des schleichenden, aber stetigen Personalabbaus, der sich nicht an der tatsächlichen Aufgabenlage orientiert, sondern auf Sparvorgaben beruht. Ob Katastrophenschutz oder Bundespolizei, unter dem Schlagwort „Kosteneffizienz“ ist der Anteil, den die Personalausgaben im Bundeshaushalt ausmachen, auf 9 Prozent gesunken; sie liegen damit auf dem niedrigsten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik. Kosteneffizienz kann mit Blick auf die Praxis nicht der dominierende Faktor sein, sondern muss nach Faktoren wie Aufgabenquantität und Erfüllungsqualität betrachtet werden. ({0}) Der Katastrophenschutz gilt als zivile Aufgabe. Das THW - das wurde gesagt - bewältigt mit seinen hauptund ehrenamtlichen Mitarbeitern einen großen Teil dieses Auftrages. Mittlerweile ist die hauptamtliche Struktur des THW jedoch so weit zusammengestrichen worden, dass es immer schwieriger wird, den ehrenamtlichen Teil in ausreichender Qualität aufrechtzuerhalten. Ihr Haushaltsentwurf bewahrt einen unbefriedigenden Tiefstand und bringt keine Besserung. Warme Worte helfen dem THW relativ wenig. Hier sind mehr Mittel gefragt. ({1}) Die Fehlentwicklungen bei der öffentlichen Sicherheit werden an einem aktuellen Thema besonders deutlich. Alle reden von der Sicherheit an den Flughäfen; es werden viele Mängel aufgezeigt, aber auch Lösungen diskutiert. Auf welche Lösungsvorschläge kommt man dabei? Es wird vorgeschlagen, Nacktscanner anzuschaffen. Entschuldigung! Wie ich erfahren habe, nennen einige dieses Gerät mittlerweile „Körperscanner“. Dann ist es ja nicht mehr ganz so schlimm wie vor einigen Monaten, als auch die FDP-Fraktion noch gegen diese Geräte war. Aber lassen wir für einen Moment die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen beiseite. Wir führen ja eine Haushaltsdebatte, und da geht es ums Geld. Gegenwärtig bevorzugt man mehr preiswerte Sicherheitsdienste an Flughäfen statt geschultes Personal der Bundespolizei. Das funktioniert offensichtlich nicht ganz, und so soll aufwendige Technik das Problem lösen. Die Frage ist: Kann das funktionieren? Wenn wir die praktische Eignung dieser Technik betrachten, muss ich Ihnen ehrlich sagen, dass diese Idee schlecht abschneidet. Potenzielle Terroristen können sich auf den Einsatz dieser Geräte einstellen und Gegenmaßnahmen ergreifen. Ein solches Gerät ist berechenbar. Wie wir wissen, können Stoffe auch in Körperöffnungen versteckt werden. Wer die Praxis kennt, der weiß, dass das zum Beispiel im Bereich des Drogenschmuggels eine gängige Methode ist. Der Scanner wird in diesem Fall zu einer unnützen Belastung für die Passagiere, sorgt aber nicht mehr für ausreichende Sicherheit. ({2}) Herr Minister, wenn Sie mir das Ganze vielleicht nicht glauben wollen, dann sehen Sie sich die Sicherheitsvorkehrungen auf Israels Flughäfen an. Natürlich gibt es da auch Technik. Zentrales Element ist aber hervorragend geschultes Personal. Der frühere Sicherheitschef des Ben-Gurion-Airports in Tel Aviv hat die Einführung von Nacktscannern in Europa der Presse gegenüber eine „lächerliche Sicherheitsshow“ genannt. Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. ({3}) Meine Damen und Herren, ich kann Sie nur um eines bitten: Geben Sie für einen solchen Unsinn kein Geld aus! Setzen Sie an den Flughäfen und Bahnhöfen wieder mehr erfahrene und gut ausgebildete Beamte ein! Diese sind qualifiziert, kreativ und vor allen Dingen für potenzielle Täter nicht berechenbar. ({4}) Herr Minister, auch ich möchte noch eine Anmerkung zum Thema Rechtsextremismus machen. Parteien dieser Prägung sitzen mittlerweile in Landtagen oder scheitern wie bei uns in Thüringen nur sehr knapp daran, in den Landtag einzuziehen. Ich hoffe, Sie stimmen mir zu, dass wir im Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht nachlassen dürfen, auch nicht was die finanzielle Ausstattung dieser Arbeit angeht. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Ausweitung dieser Programme auf andere Bereiche droht aber zu einer solchen Kürzung zu werden. Erst im November haben Sie der Süddeutschen Zeitung gegenüber erklärt: Es wird keine Kürzungen geben. - Wir werden Sie an diesem Zitat messen. ({5}) Auch wenn das Thema schon genannt ist, möchte der Wichtigkeit halber auch ich etwas zu dem Thema „Migration und Integration“ hinzufügen. Die Integrationskurse sind trotz der Mittelerhöhungen nach wie vor strukturell unterfinanziert und weisen infolgedessen erhebliche Qualitätsmängel auf, was sich unter anderem in ungenügenden Erfolgsquoten von nur 50 Prozent ausdrückt. Die wichtige Arbeit der Sprachförderung müssen hochqualifizierte Honorarkräfte häufig für beschämend niedrige Entlohnung leisten. Es kann nicht sein, dass der Bund für Integrationsmaßnahmen, obwohl diese angeblich höchste Priorität haben, nur unzureichend Mittel bereitstellt. ({6}) Herr Innenminister, Sie sind in den vergangenen Wochen häufig für wesentlich moderatere Töne im Vergleich zu Ihren Vorgängern gelobt worden. Für mich zählen aber die Fakten. Mit dem Haushalt wird die Richtung für Ihre Politik vorgegeben. Insofern kann ich nur feststellen, dass Sie zwar eine andere Melodie wählen; der Text ist aber der Ihrer Vorgänger. Sie werden das möglicherweise auch gut finden. Die Linke lehnt diesen Kurs ab. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Tempel, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Zu diesem Ereignis wie auch zu Ihrem Geburtstag, den mit uns heute hier zu feiern Sie sich entschlossen haben, gratulieren wir Ihnen sehr herzlich. ({0}) Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt für die Unionsfraktion. ({1})

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will versuchen, trotz der vorgerückten Stunde noch einmal zum eigentlichen Thema, dem Haushalt, zurückzukehren. Der Innenminister hat bereits die Größenordnung des Haushalts dargestellt; er hat auch dargestellt, dass es einen Rückgang der Mittel gibt und weshalb es ihn gibt: wegen der Sonderausgaben für die Europawahl und die Bundestagswahl im vergangenen Jahr und weil Vorhaben ausgelaufen sind. Aber er hat auch zu Recht darauf hingewiesen - das sage ich in diesem Zusammenhang ebenfalls -, dass dieser jetzt eher marginale Rückgang auch im Hinblick auf das, was wir in den nächsten Jahren bei den Haushalten zu gewärtigen haben, im Grunde genommen ein Signal ist. Wir werden in den nächsten Jahren sicherlich - dies ist der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte geschuldet genau überlegen und Prioritäten im Einzelplan so setzen müssen, dass die von uns tatsächlich zu lösenden Aufgaben auch höchsteffizient erfüllt werden. Die Prioritäten sind im Haushalt im Grunde genommen vorgegeben; ich will noch einmal auf einige Punkte im Einzelnen eingehen. Im Bereich der öffentlichen Sicherheit, einer Kernaufgabe der Innenpolitik, liegt nach wie vor zu Recht unser Schwerpunkt. Der Einzelplan 06 des Haushaltsentwurfs hat an dieser Stelle auch für das Jahr 2010 die sicherheitspolitischen Weichen richtig gestellt. Mit 3,767 Milliarden Euro entfallen mehr als zwei Drittel des uns zur Verfügung stehenden Etats auf den Bereich der inneren oder, wie man heute richtigerweise sagt, öffentlichen Sicherheit. Das klingt zunächst viel. Wenn man sich aber die Frage stellt, ob dieses Geld der Größenordnung nach gut ausgegeben ist, dann muss man kurz und einfach antworten: Ja, auch in Zukunft soll es den deutschen Bürgern und unseren Gästen möglich sein, sich frei und sorglos in unserem Land zu bewegen. ({0}) Auch in Zeiten knapper werdender Ressourcen erwarten die Bürger von ihrem Staat zu Recht, dass er ihre Sicherheit gewährleistet. Es bleibt daher unsere zentrale Verantwortung, diese öffentliche Sicherheit in Deutschland zu gewährleisten und die Leistungsfähigkeit der dafür zuständigen Bundesbehörden zu erhalten. ({1}) Garant für die Leistungsfähigkeit der Behörden ist ihr Personal. Deshalb haben die Personalkosten auch in diesem Haushaltsjahr einen gewaltigen Anteil am Gesamtvolumen. Auch so erklärt sich, dass zwei Drittel des Gesamtetats für den Bereich der öffentlichen Sicherheit veranschlagt werden. Diese Gewichtung trägt jener Verantwortung Rechnung, die ich eben dargestellt habe. Heute ist mehrfach eine Diskussion zum Datenschutz angeregt worden. Der Minister hat bereits darauf hingewiesen, dass wir in dieser Legislaturperiode - schon in den nächsten Monaten - für den Bereich des Arbeitsrechts die notwendige Datenschutzgesetzgebung einbringen wollen. Betrachtet man den Datenschutz in unserer heutigen Informationsgesellschaft, so ist es unerlässlich, darüber vertieft zu diskutieren. Es wurden bereits die Datenschutzskandale bei verschiedenen Unternehmen genannt; das brauche ich nicht zu wiederholen. Wir wollen und wir brauchen ein hohes Datenschutzniveau; darin sind wir uns, glaube ich, alle einig. Wir haben schon in der letzten Legislaturperiode einige Konsequenzen aus den bekannten Skandalen gezogen. Diesen Weg wollen und werden wir weitergehen. In der letzten Legislaturperiode wurde immer wieder die Forderung nach zusätzlichen Stellen beim Datenschutzbeauftragten erhoben; darüber wurde bereits geredet. Das haben wir versprochen, und wir werden es auch halten. Sowohl im Koalitionsvertrag als auch im jetzigen Haushalt ist ein Aufwuchs an Stellen mit rund elf Stellen im Bereich des Datenschutzbeauftragten vorgesehen. Ich denke, das ist eine qualitativ und quantitativ berechtigte und auch dem Umfang nach ausreichende Maßnahme. Ich möchte an dieser Stelle aber auch an jeden einzelnen Bürger direkt appellieren, umsichtig mit seinen Daten umzugehen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie leichtfertig Menschen jeden Alters freiwillig im Internet, aber auch bei anderen Gelegenheiten ihre persönlichen Daten - oft inklusive ihrer Kontoverbindung - preisgeben. Da nützt auch der beste staatliche Datenschutz nichts. Jeder Einzelne trägt die Mitverantwortung für seine persönlichen Daten. Neben der Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen ist es deshalb auch die Aufgabe von uns allen, die Sensibilität und Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger für ihre eigenen Daten zu stärken. ({2}) In diesem Zusammenhang ist übrigens auch die Sicherheitsforschung ein zentraler Baustein. Wir wollen die Forschungseinrichtungen und Universitäten, aber auch die Unternehmen in Deutschland stärken, um den Datenschutz für unsere Bürger zu gewährleisten. Für diese Aufgabe erhält das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik rund 68 Millionen Euro. Es soll der wachsenden Bedeutung der IT-Sicherheit im Zeitalter der Informations- und Wissensgesellschaft Rechnung tragen. Das wohl wichtigste Ereignis, welches die Notwendigkeit der Forschung auf dem Gebiet der inneren Sicherheit unterstreicht, ist der jüngste Attentatversuch in Detroit. Richtig ist: Auch ein Körperscanner bringt keine hundertprozentige Sicherheit. Der Einsatz eines Körperscanners hätte jedoch möglicherweise den Sprengstoff sichtbar gemacht, den dieser Attentäter am Körper trug. Der Vorteil dieser noch nicht vollständig ausgereiften Technologie besteht darin, dass gegenüber der jetzt angewandten, rein auf Metalldetektoren angelegten Technik versteckte Gegenstände sichtbar gemacht werden können, die bei herkömmlichen Scannern unentdeckt bleiben. Körperscanner würden, wenn sie in der Entwicklung so weit fortgeschritten sind, wie der Minister zu Recht gefordert hat, eine große Zahl von manuellen Kontrollen an den Flughäfen möglicherweise überflüssig machen; auch das muss einmal gesagt werden. Dennoch gilt uneingeschränkt - daran will auch ich keinen Zweifel lassen -, dass beim Einsatz eines Körperscanners die Intim- und Privatsphäre des Reisenden gewahrt bleiben muss, wie auch ausgeschlossen sein muss, dass von einem solchen Scanner gesundheitliche Risiken ausgehen. Gestatten Sie mir noch einige Sätze zum Digitalfunk, über den heute noch nicht gesprochen worden ist. Auch 2010 stehen die notwendigen Mittel für die weitere Entwicklung und Einführung zur Verfügung. Aber gerade im Hinblick auf die notwendigen Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen in den nächsten Jahren weise ich schon heute darauf hin, dass wir uns in den nächsten Jahren, sicherlich auch schon im nächsten Jahr, damit beschäftigen werden, wie die notwendigen weiteren hohen Kosten für die unstreitig notwendige Einführung im Haushalt abgesichert werden können. Sehr froh sind wir darüber, dass nach dem erfolgreichen Abschluss der Neuordnung der Bundespolizei nun auch der Neubau des Polizeipräsidiums in Potsdam ansteht. Der Haushalt ist auch immer ein Ausblick nach vorne. Der jetzige Innenminister ist zu Recht heute mehrfach auch aus den Reihen der Opposition gelobt worden. An dieser Stelle erlaube ich mir, auch dem vorigen Innenminister ein Lob für die gelungene Reform der Bundespolizei auszusprechen. Herr Hofmann, ich weiß, dass Sie darin mit mir einer Meinung sind. ({3}) Zur Bundeszentrale für politische Bildung möchte ich auch einige Sätze anmerken. Sehr wichtig und erfreulich finde ich, dass die Haushaltsansätze der Bundeszentrale für politische Bildung stabil gehalten werden können; denn die Bundeszentrale leistet im Bereich der politischen Aufklärung und im Bereich der Demokratieförderung hervorragende Arbeit. Die Auseinandersetzung mit dem politischen Extremismus bleibt im Jahr 2010 wie auch in den vergangenen Jahren ein Schwerpunkt der Arbeit der Bundeszentrale. Dies ist angesichts eines dramatischen Anstiegs der Zahl der Straftaten mit einem linksextremen Hintergrund von enormer Bedeutung. Die Bundesregierung nimmt entgegen dem Vorwurf der Fraktion Die Linke den Kampf gegen den Rechtsextremismus sehr ernst. Neben dem Rechtsextremismus gibt es nachweislich - und das zunehmend linksextremistische und islamistische Tendenzen in Deutschland, die wir nicht ignorieren dürfen und bekämpfen müssen. ({4}) - Das vergleicht auch niemand. Dennoch darf man sich der Aufgabe nicht verschließen. Zu den Integrationskursen ist schon einiges gesagt worden. Nur so viel: Diese eingerichteten Kurse sind eine echte Erfolgsstory. Es ist notwendig, die Wahrnehmung dieser Aufgabe über das Jahr 2010 sicherzustellen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass schon im Haushalt 2010 die notwendigen Mittel - die Höhe kann man der Inanspruchnahme in den letzten Jahren entnehmen - eingestellt werden. Der Innenminister hat zu Recht auf das geschundene Land Haiti, von dem furchtbare Bilder zu sehen sind, hingewiesen. Ich möchte vor diesem Hintergrund auf die Bedeutung des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes eingehen. Die Katastrophe in Haiti zeigt einmal mehr, dass ein Staat imstande sein muss, die notwendige Infrastruktur zu gewährleisten, um einer Katastrophe Herr zu werden. Das ist in Haiti leider nicht der Fall. Wir können aber an diesem Beispiel sehen, dass es gut ist, für diesen Schutz Geld auszugeben und Vorsorge zu treffen. Ich stelle fest: Deutschland ist auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes bestens aufgestellt. Um dies weiterhin sicherzustellen, werden THW und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe auch in Zukunft unsere volle Unterstützung finden. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich bei allen Helfern, insbesondere bei den ehrenamtlichen, für ihren unermüdlichen Einsatz ausdrücklich bedanken. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brandt, achten Sie bitte auf die Redezeit.

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Ich bin sicher, dass der vorliegende Haushaltsentwurf den Aufgaben, die in den nächsten Monaten auf uns zukommen, gerecht wird. Ich bitte deshalb Sie alle um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Danckert für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir unterstützen die Bewerbung von München; damit das klar ist. ({0}) Ich komme nachher auf den Sport zurück. Herr Minister, zuerst ein Kompliment - einige haben schon darauf hingewiesen -: Wenn man den ersten Regierungsentwurf mit dem von Ihnen erarbeiteten Entwurf vergleicht, dann stellt man sehr schnell fest, dass 75 Millionen Euro mehr eingestellt sind. Die Hauptposition von 44 Millionen Euro ist für die Aufstockung der Mittel für die Integrationskurse vorgesehen. Das ist ein richtiges Zeichen; das haben schon viele Kollegen angesprochen. Ich habe noch zwei Anmerkungen dazu: Erstens. Ist das wirklich bedarfsgerecht? Daran habe ich im Moment noch Zweifel. Darüber können wir vielleicht bei anderer Gelegenheit, zum Beispiel im Haushaltsausschuss, ausführlich reden. Zweitens. Bleibt diese Position nachhaltig bestehen? Wir stehen vor der schwierigen Aufgabe, in den nächsten Jahren - das gilt schon für den nächsten Haushalt - gewaltige Summen einzusparen. Ich weiß nicht, ob wir darüber schon in Kürze reden können. Die Gesamtsumme dürfte jedenfalls rund 400 Millionen Euro betragen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn diese Position, die alle als notwendig und richtig bezeichnet haben, nicht als Sparbüchse missbraucht wird; das wäre mein Wunsch. ({1}) - Wie ich sehe, klatschen Herr Uhl und andere Unionskollegen. Diese Integrationskurse gehen auf eine Idee der rotgrünen Koalition zurück. Sie hat damit begonnen. Das Ganze wurde kritisch beleuchtet. Die Große Koalition hat das fortgesetzt. Im Jahr 2009 wurden dafür Restmittel aus dem Haushalt in Höhe von 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Nun erfolgt eine Aufstockung um 44 Millionen Euro. Das ist ein richtiges Zeichen. Insgesamt hat der Einzelplan 06 ein Volumen von rund 5,6 Milliarden Euro. Davon entfallen zwei Drittel auf den Bereich der inneren Sicherheit. Ich glaube, wir sind uns darüber einig, dass das, gemessen am Gesamtvolumen des Bundeshaushaltes, nicht zu viel, sondern eher zu wenig ist. Denn alles, was wir in Deutschland machen, ist auch davon abhängig, dass wir in einer sicheren Umwelt leben können. Insofern muss man durchaus einmal in Richtung des Parlamentarischen Staatssekretärs Steffen Kampeter fragen, ob wir nicht etwas mehr Volumen zur Verfügung stellen müssen, um zum Beispiel die Beamten der Bundespolizei etwas attraktiver besolden zu können, als es jetzt der Fall ist. Herr Kollege Scholz hat ja schon gesagt, dass es etliche nicht besetzte Stellen gibt, was natürlich unmittelbar mit den Perspektiven und der Besoldung zu tun hat. Da sollten wir etwas tun. Zwei Drittel des Volumens für die innere Sicherheit werden für die Bundespolizei eingesetzt. Ich möchte allerdings den Hinweis geben, dass die Stellen auch tatsächlich besetzt werden müssen. Wir haben einen Aufwuchs von etwa 27 Millionen Euro, davon 20 Millionen Euro für die Luftsicherheit bzw. Flugsicherheit - das ist ein durchlaufender Posten, weil die Kosten am Ende von den Fluggästen bezahlt werden - und 7,5 Millionen Euro für den Polizeieinsatz in Afghanistan. Diesen Punkt, Herr Minister de Maizière, müssen wir einmal - heute ist die Zeit dafür allerdings zu knapp ganz intensiv diskutieren. Bei der Diskussion über den Verteidigungshaushalt stellt sich immer wieder die auch demnächst anstehende Frage, ob man das Kontingent von 4 500 Soldaten auf 6 000 oder wie viele Soldaten auch immer aufstocken sollte; da gibt es noch keine Vorschläge von der Regierung. In der öffentlichen Debatte über die Aufstockung ist untergegangen, dass wir lead nation beim Aufbau der Polizei in Afghanistan sind. Dieser Punkt ist uns sehr wichtig, weil er die zivile Komponente des Afghanistan-Einsatzes bestätigt. Es gibt erheblichen Diskussionsbedarf darüber, wie wir diese Aufgabe wahrnehmen wollen. Ich weiß im Moment noch nicht einmal ganz genau, ob die vorgesehene Sollstärke mit der Iststärke übereinstimmt. Das muss man sich einmal ganz genau anschauen. Die letzte Information lautete, dass die Iststärke der Sollstärke entspricht. Aber man muss sich einmal genau anschauen, ob die Einsatzzeiten der Beamten, die sich freiwillig für den Einsatz melden, wirklich zur Erfüllung des Ausbildungsauftrags beitragen. Das ist ein schwieriges Thema. Allerdings ist unser Beitrag als lead nation weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man ganz Afghanistan betrachtet. Ich sage den Beamtinnen und Beamten, die sich freiwillig zu diesem Einsatz melden, aber ausdrücklich Dank. Bei den Polizeibeamten ist das eine andere Situation als bei der Bundeswehr, in der vor allen Dingen die Zeitsoldaten zum Einsatz verpflichtet werden können. Dieses Thema sollte in Kürze besprochen werden. Mir persönlich liegt ganz besonders am Herzen, dass die Beamten vor Ort in Sicherheit sind und dass wir wirklich alles Menschenmögliche dafür getan haben, dass wir ihnen beispielsweise sichere Fahrzeuge zur Verfügung stellen. Ich glaube, dass es da immer noch das eine oder andere Defizit gibt. Da müssen wir - ich denke, dass meine Fraktion das auch so sieht - noch einmal etwas drauflegen; denn es ist nicht zu verantworten, die Beamten, die freiwillig in diesen Einsatz gehen, in eine Gefahrensituation zu bringen, die sie möglicherweise sogar ihr Leben kosten kann; wir haben ja schon einige tragische Fälle erlebt. Lassen Sie mich jetzt zu einem anderen Thema kommen, das auch der Kollege vor mir schon angesprochen hat, dem Digitalfunk. Das ist auf der einen Seite ohne Frage eine ganz wichtige Angelegenheit, und sie war es auch schon über die letzten zehn Jahre hinweg, angefangen bei Otto Schily. Jetzt laufen uns nicht nur die Kosten aus dem Ruder - der Bundesanteil ist von 2,6 Milliarden Euro auf 3,6 Milliarden Euro gestiegen, und die Kosten der Länder werden verschleiert, was ich nicht verstehen kann, da wir stets die Gesamtkosten im Auge haben müssen -, sondern ich habe nach dem Attentat auf die Königin in Holland auch die Frage an Sie und die Fachleute, ob das System auf einem so neuen Stand ist, dass es bei einer Katastrophe auch wirklich hilft. Ich erinnere daran, dass bei dem Attentat auf die Königin - bei dem Flugzeugunglück war es ähnlich - das gesamte Netz nicht mehr funktionierte. Wo es gebraucht wurde, hat es nicht funktioniert. Das System befindet sich im Moment noch im Probelauf. Der Frage, ob das System die Ansprüche erfüllt, die wir an es stellen, um die Sicherheit für die Einsatzkräfte, sei es die Polizei, die Feuerwehr oder das Technische Hilfswerk, zu gewährleisten, muss nachgegangen werden. Reicht das wirklich, was im Moment gemacht wird? Ich persönlich kann das nicht beurteilen, aber wir müssen uns mit dieser Frage beschäftigen. Dazu haben wir am 25. Januar ein Berichterstattergespräch, in dem genau diese Punkte angesprochen werden müssen. Wir haben aber noch einen anderen Punkt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Danckert, auch wenn Sie beharrlich mein Zeichen ignorieren: Ihre Redezeit ist überschritten. Sie müssen zum Schluss kommen. ({0})

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann will ich ganz kurz noch etwas zum Sport sagen, ({0}) weil der Ihnen und mir am Herzen liegt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Versuchen Sie es bitte mit dem letzten Satz.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In der letzten Legislaturperiode haben wir der Stiftung Deutsche Sporthilfe 1 Million Euro zur Verfügung gestellt. Diese Summe ist gekürzt worden, und sie soll durch Einnahmen einer Art Bürgerbewegung ersetzt werden, an deren Spitze Sie sich gestellt haben. Man erwartet 20 000 Bürger mit einem Beitrag in Höhe von je 3 Euro. Ob das ausreicht, weiß ich nicht. Wir sollten die 1 Million Euro weiterhin bereitstellen, und wenn sich das Konzept der Bürgerbewegung bewährt, dann kann man das Ganze neu überdenken. Eines begrüße ich außerordentlich.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Danckert, das müssen wir jetzt in die weitere Beratung des Haushalts verlagern. Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist im Moment gar kein Saaldiener da, der mich von hier wegschleppen kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das wäre nun noch schöner, wenn wir das nicht gemeinsam regeln könnten.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mein allerletzter Satz, Frau Präsidentin. - Im Zusammenhang mit der Dopingproblematik haben wir die Situation, dass inzwischen 19 Verbände bei einfachen, mittleren und schweren Verstößen -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rege an, dass die Parlamentarische Geschäftsführung der SPD-Fraktion dem Kollegen Danckert berichtet, dass ich ein sehr geduldiger Mensch bin, aber jetzt ist Schluss. Ich habe übrigens hier einen Knopf und kann schlicht das Mikrofon ausschalten. ({0})

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich für Ihre Geduld, Frau Präsidentin. Ihr habt gesehen: Ich habe alles versucht, um den letzten Satz noch unterzubringen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jimmy Schulz für die FDPFraktion. ({0})

Jimmy Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004148, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil man jeden Euro nur einmal ausgeben kann, muss man ihn vorher zweimal umdrehen und dann dreimal darüber schlafen. Das haben wir getan, und ich meine, es hat sich gelohnt. Ich bin grundsätzlich mit dem Haushaltsplan 2010 für den Bereich des BMI zufrieden. Wir investieren damit Geld in die Zukunft. Mehr Geld für den Ausbau des Internet ist eine Investition in die Zukunft Deutschlands. Mehr Geld für den Datenschutz ist eine Investition in die Zukunft des Rechtsstaats. Ein wesentlicher Teil dieser Ausgaben des BMI ist für die innere Sicherheit vorgesehen. Das mag mancher kritisieren, aber man kann nicht einerseits effiziente Behörden wollen, andererseits diese nur unzureichend ausstatten. Dass der Koalitionsvertrag bei aller Betonung des starken Staates genauso auf Bürgerrechte setzt und diese stärkt, ist das Verdienst der FDP. ({0}) Deswegen bin ich froh darüber, dass sich dieses Bekenntnis des Koalitionsvertrags im Haushalt niederschlägt. Im Einzelplan 06 haben einige der wichtigsten Forderungen der FDP deutlichen Ausdruck gefunden. Es ist liberaler Beharrlichkeit zu verdanken, dass dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit mit diesem Haushalt 1,4 Millionen Euro mehr für Personal zur Verfügung stehen. Zu lange hatte der Bundesbeauftragte ein zu geringes Budget, und das bei stetig steigender Aufgabenlast. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz muss sich in Zukunft besser auf seine Kernaufgaben konzentrieren können, ({1}) anstatt Aufgaben übernehmen zu müssen, die dem Wesen seines Amtes zuwiderlaufen. Dafür braucht er die Mittel, und dafür braucht er mehr Mitarbeiter. ({2}) Die richtigen Prioritäten zu setzen, ist heute wichtiger denn je. Eine der Prioritäten sollten wir bei der ständigen und gründlichen Überprüfung von Sicherheitsmaßnahmen setzen. Insbesondere im Kampf gegen den Terror muss gelten, dass wir abwägen, ob ein Mittel überhaupt das richtige ist. Ich möchte deshalb an dieser Stelle vor allzu großen Hoffnungen warnen, die von manchen in diesen Tagen in Nacktscanner der zweiten Generation gesetzt werden. Wir sollten uns sehr genau überlegen, ob wir solche Geräte überhaupt brauchen ({3}) und ob die einzelnen Modelle die an sie gestellten Anforderungen erfüllen. Erst dann sollten wir in die Testphase eintreten. ({4}) Die wichtigste Priorität sehe ich in der Förderung der Informations- und Mediengesellschaft. Ich mache mich stark für ein freies Internet mit einem Zugang für die gesamte Gesellschaft. Dazu gehört unverzichtbar ein starker Datenschutz. Wir im Bundestag haben jetzt eine Chance, mit der hier endlich vertretenen Kompetenz in einen neuen Dialog mit der Netzgemeinde zu treten. Sie erinnern sich: 134 000 Bürgerinnen und Bürger haben im letzten Jahr die Petition gegen das Internet-Sperren-Gesetz gezeich1244 net. Ich war einer von ihnen. Zum ersten Mal seit elf Jahren stehen wir nun an der Schwelle zu mehr anstatt weniger Freiheit. Lassen Sie uns die Chance gemeinsam nutzen. Sehr glücklich bin ich übrigens - Sie verzeihen mir einen thematischen Schwenk - über die im Koalitionsvertrag verankerte Förderung der gemeinsamen Bewerbung für die Winterspiele 2018 von München, Garmisch-Partenkirchen und - meiner zweiten Heimat dem Berchtesgadener Land. Wir haben 2006 bewiesen, dass wir sportliche Großereignisse stemmen können, und wir haben bewiesen, dass die Begeisterung für Sport und das gemeinsame Erleben von großen Leistungen die Menschen quer durch alle Schichten der Gesellschaft zusammenbringen kann. Ich erhoffe mir neben der Außenwirkung und dem touristischen Aufschwung vor allem eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Die Bewerbung hat die Unterstützung von Bund und Ländern verdient. Dies hat auch dieses Haus in der letzten Legislaturperiode durch einen interfraktionellen Antrag bestätigt. Wenn wir beim Haushalt 2010 nach zweimal Umdrehen und dreimal Darüber-Schlafen die richtigen Prioritäten gesetzt haben - davon bin ich überzeugt -, dann, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir in Zukunft keine schlaflosen Nächte. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schulz, auch Ihnen gratulieren wir zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg in Ihrer Arbeit. ({0}) Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 20. Januar 2010, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.