Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nehmen
Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2011.
Das Wort für den fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister des Inneren, Herr Dr. Hans-Peter Friedrich. Bitte, Herr Minister.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn gute Nachrichten zu verbreiten sind, kommen
offensichtlich nur wenige Kollegen ins Plenum. Heute
ist ein solcher Tag. Ich kann Ihnen mitteilen: Der Aufbau
Ost ist auf einem guten Weg.
Heute, am 22. Jahrestag des Mauerfalls, kann ich Ihnen einen Bericht vorlegen, der zeigt, dass die neuen
Länder trotz der konjunkturellen und ökonomischen
Dellen aus der Krise gut und gestärkt herausgekommen
sind. Alle Indikatoren verzeichnen positive Entwicklungen. Die Arbeitslosenzahlen gehen zurück, die Beschäftigtenzahlen steigen, die Produktion nimmt ebenso zu
wie das Bruttoinlandsprodukt. Ich denke, das sind gute
Nachrichten.
In den neuen Ländern liegt die Arbeitslosenzahl deutlich unter 1 Million, nämlich bei 860 500. Das ist ein
Grund zur Freude. Jedoch ist die Arbeitslosenquote
- und das trübt die Freude - immer noch fast doppelt so
hoch wie in den alten Bundesländern. Das bedeutet, dass
wir nicht nachlassen dürfen und nicht nachlassen werden, den Aufbau Ost so lange voranzutreiben, bis das
Ziel - die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilen unseres Landes erreicht ist.
Zur Infrastruktur. Die Verkehrsprojekte „Deutsche
Einheit“ sind weitgehend abgeschlossen. Wir werden
weiterhin verstärkt die Wirtschaft fördern. Hier spielt
insbesondere die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur“ eine große Rolle.
Mit Freude können wir darauf verweisen, dass sich in
den neuen Ländern eine Wissenschafts- und Hochschulstruktur entwickelt hat, die Studenten aus aller Welt anlockt. In diesem Zusammenhang stellen wir fest, dass
sehr viele Studenten aus den alten Ländern ebenfalls die
Attraktivität der Hochschulen in den neuen Ländern entdeckt haben. In Sachsen kommen 29 Prozent der Studenten aus den alten Bundesländern, in Mecklenburg-Vorpommern sind es sogar weit über 40 Prozent.
Wir wollen in den neuen Ländern eine „Innovationsregion Ostdeutschland“ schaffen. Ich glaube, dabei sind
wir auf einem guten Weg. Während die Industrie bei den
Forschungs- und Entwicklungsausgaben zuerst etwas
zögerlich war, stellen wir nun fest, dass immer mehr Unternehmen in Forschung und Entwicklung investieren.
Bei den forschenden ostdeutschen Unternehmen ist ein
Anstieg von 3 271 Unternehmen im Jahr 2000 auf 4 719
im Jahr 2010 zu verzeichnen. Das zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind. Ab dem Jahr 2013 kann es zu Problemen bei der Förderung aus den europäischen Strukturfonds kommen, weil die neuen Länder dann
möglicherweise aus der Höchstförderung ausscheiden.
Für diesen Fall setzen wir alles daran, Übergangsregelungen für die neuen Länder zu schaffen.
Die große Herausforderung ist jedoch die demografische Entwicklung, die sich zuerst in den neuen Ländern,
dann aber auch in den alten Ländern bemerkbar machen
wird. Wir stehen in den neuen Ländern, natürlich regional unterschiedlich - wie es auch in den alten Ländern
der Fall ist -, vor großen Herausforderungen, die schon
mit sehr viel Innovationskraft, Ideen und Kreativität der
Bürgermeister und der Behörden vor Ort angegangen
werden, unterstützt durch viele Programme vonseiten
des Bundes. Ich denke, dass die neuen Länder hier ein
Vorbild, eine Blaupause, bei der Bewältigung der demografischen Herausforderungen sein können, vor denen
wir in den nächsten Jahren im ganzen Land stehen.
Vielen Dank, Herr Minister Dr. Friedrich. - Bevor wir
mit der Befragung beginnen, erinnere ich an die EinMinuten-Regelung. Ich bitte Sie, sich bei Ihren Fragen
und Antworten auf jeweils 1 Minute zu beschränken.
Nach Ablauf einer Minute wird ein Signal daran erinnern, zum Schluss zu kommen.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. - Das Wort zur
ersten Frage hat der Kollege Roland Claus.
Herr Bundesminister, welches war der Grund dafür,
warum Sie diesen Bericht mit mehrwöchiger Verspätung
vorgelegt haben und nicht, wie alljährlich üblich, vor
dem 3. Oktober? Meine zweite Frage lautet: Welche
Aussagen trifft die Bundesregierung zur Angleichung
der Renten in Ostdeutschland an die in Westdeutschland,
die Sie immerhin in der Koalitionsvereinbarung versprochen haben?
Zunächst einmal kann ich Ihnen sagen: Ich weiß, dass
es üblich war, diesen Bericht bereits in der Zeit um den
3. Oktober vorzulegen. Wir wollten dieses Mal auch aktuelle Entscheidungen, etwa zu den TEN-Projekten und
zu der Frage, wie es mit den Standorten der Bundeswehr
weitergeht, aufnehmen und haben jetzt, pünktlich zum
22. Jahrestag des Mauerfalls, den Bericht vorgelegt.
Zum Thema Rentenangleichung. Wir sind, was die
Rentenwerte angeht, auf einem guten Weg, und zwar
auch deswegen, weil die Löhne in den neuen Ländern
weiter ansteigen und die Lücke zwischen alten und
neuen Ländern kleiner wird. Aber Sie haben recht:
Grundsätzlich bleibt die Frage, ob wir Veränderungen
am Rentenwert und am Hochwertungsfaktor vornehmen
müssen. Hier ist Frau von der Leyen als Sozialministerin
in einem Dialog mit den Ländern; wir brauchen die Ministerpräsidenten der Länder für eine Entscheidung.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Iris Gleicke.
Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, lassen Sie mich eingangs sagen: Ein dürftigerer Bericht ist
mir in den Jahren zuvor noch nie untergekommen. Sie
treffen darin gar keine Aussage zu den deutlichen Unterschieden bei den Einkommen zwischen Ost- und Westdeutschland; je nach Branche gibt es Lohnunterschiede
von 15 bis 30 Prozent. Stattdessen verbreiten Sie zum
Schluss Ihres Berichtes - da geht es um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse -:
Gleichwertigkeit bedeutet aber gerade nicht Gleichheit: Trotz weit fortgeschrittener Einheit werden
und dürfen regionale Unterschiede in Gesellschaft
und Wirtschaft bestehen bleiben.
Ich möchte Sie fragen: In welchem Maße dürfen nach
Ihrer Meinung solche Unterschiede bestehen bleiben? Ist
das nicht der Abschied vom Aufbau Ost und damit von
der Angleichung der Lebensverhältnisse, wie sie im
Grundgesetz und übrigens auch im Einigungsvertrag
verbrieft ist?
Bitte, Herr Minister.
Frau Kollegin, im letzten Jahr, im 20. Jubiläumsjahr
der deutschen Einheit, haben wir einen sehr umfangreichen Bericht über die Entwicklung in den letzten 20 Jahren vorgelegt, der über 200 Seiten umfasst, sodass wir
uns jetzt auf Basis dieses umfangreichen Berichtes auf
aktuelle Veränderungen konzentrieren konnten; das haben wir getan.
Sie haben recht: Es gibt Lohnunterschiede, im Übrigen nicht nur zwischen den alten und den neuen Bundesländern, sondern auch in den verschiedenen Regionen
innerhalb der alten Bundesländer und innerhalb der
neuen Bundesländer. Hier geht es um ein wichtiges
Thema, das uns natürlich auch im Zusammenhang mit
der Zukunft des ländlichen Raumes beschäftigen wird.
Die entscheidende Frage lautet: Was bedeutet Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse? Es bedeutet nicht
Gleichheit und auch nicht Gleichartigkeit, sondern gleicher Wert der Lebensverhältnisse, bei aller Unterschiedlichkeit, die bestehen kann.
Der ländliche Raum und die strukturschwächeren Gebiete werden auf der einen Seite gefördert. Auf der anderen Seite haben sie einen eigenen Lebenswert, eine eigene lebenswerte Umgebung, die so manche Alternative
zu den Metropolen bieten kann.
Weiterhin wollen wir natürlich - das steht fest - eine
Aufwertung der Löhne in den neuen Ländern erreichen.
Das bleibt das Ziel.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Daniela Kolbe.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich
muss ehrlich zugeben: Mich hat der Bericht zum Stand
der Deutschen Einheit peinlich berührt. Ich habe ihn gelesen und lebe in den neuen Bundesländern. Ich habe
den Eindruck, dass Sie ein rosarotes Lagebild malen; alles ist gut. Wo es noch nicht ganz so gut ist, kann der
Westen von den neuen Ländern lernen.
Nach meiner Ansicht verabschiedet sich die Bundesregierung ganz eindeutig vom Auftrag des Aufbaus Ost.
Das wird für mich zum Beispiel bei einem Punkt deutlich, zu dem ich gern ein paar Ausführungen von Ihnen
hätte. In diesem Bericht gefällt mir Seite 25 am besten.
Dort werden auf einem Drittel der Seite, auf ganzen
neun Zeilen, Aussagen zum Arbeitsmarkt getroffen,
nach denen er sich positiv entwickele. Im ganzen Bericht
Daniela Kolbe ({0})
lässt sich nicht ein einziges Mal das Wort Langzeitarbeitslosigkeit finden. Von Ihnen als verantwortlichem
Minister interessiert mich zu hören: Haben Sie den Eindruck, dass Langzeitarbeitslosigkeit kein Problem für
die neuen Länder darstellt, und, wenn doch, warum wird
es dann nicht erwähnt? Was haben Sie vor, gegen Langzeitarbeitslosigkeit zu tun?
Bitte.
Dieser Bericht, Frau Kollegin, soll nicht alle Probleme, die es in Deutschland gibt, aufarbeiten, sondern
spezifische Probleme der neuen Länder. Ich glaube,
Langzeitarbeitslosigkeit stellt ein Problem dar, egal ob
es sich um Langzeitarbeitslose in den neuen oder in den
alten Bundesländern handelt. In diesem Bericht wird
aber sehr deutlich, dass wir in den neuen Ländern immer
noch eine fast doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie in
den alten Ländern haben. Deswegen werden wir mit aller Kraft weiterhin die Förderung der neuen Länder mit
Blick auf den Wirtschafts- und Hochschulaufbau sowie
auf die Forschungslandschaft betreiben. Auf diese Art
und Weise werden wir dafür sorgen, dass die Arbeitslosigkeit dort genauso wie in den alten Bundesländern gesenkt wird.
Ich kann darauf verweisen, dass es Anfang der 90erJahre etwa 6,5 Millionen Arbeitsplätze in den neuen
Ländern gab. Zwischendurch ist dieser Wert auf 4,5 Millionen gesunken. Heute beträgt er 5,4 Millionen. Ich
glaube, das kann sich sehen lassen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Stephan Kühn.
Herr Minister, Sie haben die Herausforderung des demografischen Wandels gerade für strukturschwache
ländliche Regionen angesprochen. Mich interessiert
- dazu habe ich im Bericht leider nichts gelesen -, welche konkreten Maßnahmen Sie zum Erhalt und zum Umbau der sozialen und technischen Infrastruktur gerade in
Regionen, die vom demografischen Wandel betroffen
sind, jenseits von - das sage ich bewusst - nett gemeinten Modellprojekten planen.
Ich erinnere an meinen Bericht, in dem ich vor vier
Wochen auf das Handlungskonzept der neuen Länder
zum demografischen Wandel hingewiesen habe. Darin
habe ich aufgezeigt, welche Initiativen es bereits seit
vielen Jahren vor Ort gibt. Diese Initiativen konzentrieren sich insbesondere auf die Mobilität, die Vernetzung
und die ebenenübergreifende Zusammenarbeit. Ich halte
all diese Punkte für wichtig. Sie werden Eingang in die
bis zum Frühjahr nächsten Jahres zu erarbeitende umfangreiche Strategie des Bundes zum demografischen
Wandel finden, die darüber Auskunft gibt, welche langfristigen strategischen Entscheidungen - es geht nicht
um kurzfristige Modellmaßnahmen - wir für notwendig
und richtig halten, um den Herausforderungen des demografischen Wandels zu begegnen. Dieser Wandel betrifft aus meiner Sicht West und Ost, die alten und die
neuen Länder, gleichermaßen.
Der Kollege Manfred Grund stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Minister, für die Vorlage des Jahresberichts zum Stand der Deutschen Einheit. Er ist nicht
auf rosarotem Papier gedruckt. Aber er beschreibt eine
gute Entwicklung, deren positive Ergebnisse überall in
den neuen Bundesländern quasi mit Händen zu greifen
sind. Das alles ist Ausdruck beispielhafter nationaler Solidarität, die weltweit einzigartig ist. Jedoch gibt es
strukturelle Unterschiede, die allein durch staatliches
Handeln schwierig zu beseitigen sind.
In den neuen Bundesländern ist, bedingt durch Teilung und Vertreibung, nicht ein Hauptsitz eines deutschen Großunternehmens angesiedelt. Damit fehlen in
den neuen Bundesländern bei den Unternehmen Forschungs- und Innovationskapazitäten. Diese müssen
zum Beispiel durch die Fraunhofer-Gesellschaft sowie
staatliches Engagement vorgehalten werden. Sehen Sie
die Notwendigkeit, nach Beendigung des Solidarpaktes
im Jahr 2019 gerade in den Bereichen Forschung und
Technologie staatlicherseits stärker Einfluss zu nehmen,
um einen Teil der strukturell bedingten Nachteile weiterhin auszugleichen?
Es ist richtig, dass sich die sehr kleinteilige Struktur
der Industrie- und Wirtschaftslandschaft in den neuen
Ländern insbesondere im Forschungsbereich negativ
auswirkt. Mittelständische Unternehmen sind nicht per
se weniger leistungsfähig als Großkonzerne, im Gegenteil: Sie sind sogar leistungsfähiger. Allerdings muss
man feststellen, dass Großkonzerne bei Forschung und
Entwicklung besser aufgestellt sind als kleine und mittelständische Unternehmen. Deswegen ist es uns ein großes Anliegen, im Mittelstand Forschungsverbünde zu
fördern. Das ist in hohem Maße erreicht worden und hat
dazu geführt, dass sich die Forschungslandschaft im ostdeutschen Unternehmensbereich wesentlich verbessert
hat.
Ich darf aber auch darauf verweisen, dass die Hochschulen - sowohl die Fachhochschulen als auch die Universitäten - in den neuen Ländern als Partner für die
Wirtschaft begehrt sind und dass es sehr viele Unternehmen in den alten Bundesländern gibt, die sehr eng mit
den Hochschulen in Ostdeutschland zusammenarbeiten.
Ich denke, das ist ein sehr gutes Zeichen.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Iris Gleicke.
Herr Minister, ich möchte mit meiner Frage an die
von Herrn Claus anschließen. Sie schreiben im Bericht:
Die Vereinheitlichung der Rentenberechnung in Ost
und West ist eine komplexe Aufgabe. … Ein konsensfähiger Vorschlag … muss die unterschiedlichen Interessenlagen aller Beteiligten … berücksichtigen.
Es ist bekannt, dass das eine schwierige und komplexe
Aufgabe ist; das ist gar keine Frage. Gleichwohl möchte
ich von Ihnen wissen: Welche unterschiedlichen Interessen müssen hierbei Berücksichtigung finden? Da Sie auf
den von Frau von der Leyen initiierten Rentendialog, der
sich hauptsächlich mit dem Thema Altersarmut beschäftigt, verwiesen haben, möchte ich Sie fragen: Gibt es einen Fahrplan? Wann ist damit zu rechnen, dass uns die
Bundesregierung einen konkreten Vorschlag zur Angleichung der Renten in Ostdeutschland an die in Westdeutschland vorlegt?
Es ist natürlich wichtig, zu bedenken, dass es sehr unterschiedliche, heterogene Rentenbiografien gibt. Mit
den beiden Komponenten - Rentenwert auf der einen
Seite und Hochwertungsfaktor auf der anderen Seite haben wir zwei Stellschrauben. Die Annahme, dass eine
generelle Angleichung der Rentensysteme - es geht um
eine Systemangleichung - automatisch zu höheren Renten in den neuen Ländern führen wird, ist ein Trugschluss. Vielmehr müssen wir - und zwar zusammen mit
den Ministerpräsidenten in den neuen Ländern - angesichts der Unterschiedlichkeit der Wirkungsweise dieser
beiden Komponenten sehr genau abwägen, welche möglichen Auswirkungen eine Änderung haben wird. Der
Rentenwert Ost liegt bei 89 Prozent der Alterseinkommen in Westdeutschland; hier sind wir auf einem guten
Weg. Aber das größere Problem stellen die lückenhaften
Arbeitsbiografien der Menschen dar, die in den 90erJahren nach der Wiedervereinigung arbeitslos geworden
sind. Denen muss unser Augenmerk in besonderer Weise
gelten.
Das Wort für die nächste Frage hat der Kollege
Stephan Kühn.
Herr Minister, der Nachholbedarf der KMU gerade in
den Bereichen Forschung und Entwicklung wurde bereits angesprochen. Sie haben eine Evaluierung der bisherigen Förderprogramme vorgenommen. Mich interessiert: Nachholbedarf wurde gerade mit Blick auf die
Vernetzung mit den Hochschulen und die Stärkung der
Forschungs- und Investitionskraft der KMU erkannt.
Wie wollen Sie künftig die Programmstruktur entsprechend anpassen?
Ich glaube, dass wir mit dem Vernetzen der kleineren
Unternehmen in struktureller Hinsicht auf dem richtigen
Weg sind. Dieser Weg muss fortgesetzt werden. Ich
denke, dass man darüber nachdenken muss, wie man im
Rahmen der Forschungsförderung - ich meine nicht nur
die Forschungsförderung Ost, sondern die Forschungsförderung in ganz Deutschland - noch stärker als bisher
auf die mittelständischen Unternehmen eingehen kann,
wie die mittelständische Struktur noch stärker berücksichtigt werden kann. Das wird ein wichtiger Punkt sein.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Daniela Kolbe.
Herr Minister, eine Bemerkung zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit. Sie haben gesagt, sie sei in den alten wie
in den neuen Bundesländern gleichermaßen ein Problem. Ich lade Sie herzlich ein, mit den Betroffenen und
den Kommunen in den neuen Ländern Gespräche über
die massiven Auswirkungen der Langzeitarbeitslosigkeit
auf den sozialen Zusammenhalt in den neuen Ländern zu
führen. Als zuständiger Minister sollten Sie dieses Gespräch suchen.
Ich habe eine Nachfrage zum Fachkräftemangel, den
Sie in Ihrem Bericht zu Recht ansprechen, wenn auch
nur kurz. Tatsächlich wird das ein Problem werden. Sie
wollen intelligente Programme entwickeln, um dem
Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Einen Aspekt greifen Sie in Ihrem Bericht aber gar nicht auf: die Lohnunterschiede. In den neuen Ländern werden deutlich
niedrigere Löhne gezahlt, was zu Abwanderungen führt.
Ich hätte gerne Ihre Einschätzung dazu gehört. Könnte
der Lohnunterschied zwischen Ost und West etwas mit
dem Fachkräftemangel in den neuen Ländern zu tun haben?
Natürlich wird der Fachkräftemangel in ganz
Deutschland - ich muss es wieder sagen: in ganz
Deutschland - zu einem Problem und möglicherweise
auch zu einem begrenzenden Faktor; das ist überhaupt
keine Frage. Deswegen müssen wir darüber nachdenken,
wie wir die Potenziale in unserem Land besser nutzen
können. Wir haben uns mit dem Thema sehr intensiv befasst und verschiedene Entwicklungspfade eingeschlagen. Zum einen wollen wir die Schulabbrecherquote
deutlich reduzieren. Am liebsten wäre es uns, wenn wir
sie kurzfristig halbieren könnten. Wir wollen zum anderen die Erwerbstätigenquote erhöhen, indem wir noch
mehr für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun, und zwar im weitesten Sinn. Ich glaube, das ist
wichtig. Ich denke, erst danach sollte man über Zuwanderung aus dem Ausland nachdenken. Zuerst müssen wir
das Potenzial in unserem Land ausschöpfen. Das ist das
Entscheidende.
({0})
Was die Langzeitarbeitslosigkeit angeht, haben Sie
mich, glaube ich, falsch verstanden. Ich habe gesagt: Für
jeden, egal wo er wohnt, ist Langzeitarbeitslosigkeit ein
Problem; das ist so.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Tiefensee.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, mein
erster Themenkomplex ist die Langzeitarbeitslosigkeit.
Ich teile Ihre Meinung nicht, dass ein Problem, das in
Ost und West gleichermaßen vorhanden ist, in dem Bericht nicht auftauchen muss. Es muss insbesondere dann
auftauchen, wenn es signifikant für den Osten ist. Meine
Fragen lauten: Wie schätzen Sie das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit im Osten ein? Welche speziellen Instrumente werden Sie im Osten einsetzen? Könnten die
Instrumente, mit denen Sie die Langzeitarbeitslosigkeit
und ihre schlimmen Folgen beseitigen wollen, dem Programm „Kommunal-Kombi“ entsprechen?
Zweiter Themenkomplex, die Angleichung der Rentensysteme. Sowohl im Koalitionsvertrag als auch bei
den Wahlversprechen der Frau Bundeskanzlerin spielte
die Angleichung der Rentensysteme bis 2013 - zumindest wurde ein Vorschlag, der in diese Richtung zielt, unterbreitet - eine große Rolle. Ich gehe davon aus, dass
das Wahlergebnis im Osten nicht zuletzt durch dieses
Versprechen determiniert ist. Meine präzisen Fragen:
Wird die Frau Bundeskanzlerin und ihr Minister dieses
Wahlversprechen einlösen und einen Vorschlag zur Angleichung der Rentensysteme bis zum Jahre 2013 vorlegen? Wann wird der Vorschlag unterbreitet? Welches ist
der Grundpfad der Lösung, die Sie vorschlagen?
Ich will es noch einmal sagen: Wir führen einen sehr
intensiven Dialog über das Thema Rente, auch mit den
Ministerpräsidenten in den neuen Ländern. Sie wissen,
dass dieses Thema sehr komplex und sehr schwierig ist.
Das Problem ist so schwierig, dass nicht einmal die Regierung, der Sie angehört haben, es lösen konnte.
Wir werden alles daransetzen, vernünftige Lösungen
möglichst zeitnah auf den Weg zu bringen. Ob das schon
im nächsten Jahr gelingen wird, kann ich nicht beurteilen. Ich werde mit der Kollegin von der Leyen eng zusammenarbeiten, weil das ein sehr wichtiges Thema für
die neuen Länder ist.
Thema Langzeitarbeitslosigkeit. Ja, natürlich werden
spezielle Förderprogramme, die sich auf die Lösung des
Problems Langzeitarbeitslosigkeit konzentrieren, notwendig sein. Aber auch das, glaube ich, fällt unter das
Motto „Fordern und Fördern“. Wir müssen über die
Bundesagentur Förderprogramme auf den Weg bringen,
durch die das Potenzial bei den Langzeitarbeitslosen gehoben wird und die Qualifizierungs- und Arbeitskräftelücken, die der demografische Wandel reißt, geschlossen
werden.
Das Wort hat die Kollegin Iris Gleicke.
Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, man müsse
mit Förderprogrammen der Bundesagentur für Arbeit
gegen die sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit anfördern. Aber Sie haben - das ist nun einmal die Wahrheit - in den letzten zwei Jahren beim Eingliederungstitel ganz massiv gekürzt. Das bedeutet allein in diesem
Jahr für Ostdeutschland 600 Millionen Euro weniger.
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es einen
Zusammenhang zwischen der Höhe der Rente und den
Einkommen bzw. den gebrochenen Erwerbsbiografien
gibt. Deshalb möchte ich noch einmal nachfragen: Welchen Beitrag glaubt die Bundesregierung leisten zu können, um die Einkommensunterschiede - sie manifestieren sich bei 15 bis 30 Prozent - auszugleichen und somit
Fortschritte im Hinblick auf die Renten und die zu erwartenden Alterseinkommen zu erzielen? Ich möchte
von Ihnen wissen: Wie wollen Sie angesichts der Kürzung der Mittel gegen die sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit anfördern, damit die gebrochenen Erwerbsbiografien geschlossen werden können? Bitte
stellen Sie Ihre Pläne in diesem Zusammenhang dar.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir Arbeitsplätze
insbesondere dadurch schaffen, dass wir die Unternehmen, die vor Ort erfolgreich sind, noch wettbewerbsfähiger und noch internationaler machen. Diese Ansatzpunkte wählt die Bundesregierung. Wir betreiben
Wirtschaftsförderung auf breitester Front. Dazu gehört
die schon angesprochene Forschungsförderung, die den
Unternehmen Spielräume gibt und deren Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Dies hat Erfolg. Die zunehmende
Zahl der Beschäftigten in den neuen Ländern bedeutet
natürlich im Umkehrschluss, dass mehr Menschen aus
der Arbeitslosigkeit in Beschäftigung kommen. Ich
denke, das ist ein gutes Zeichen. Diese breite Wirtschaftsförderung, durch die wir Arbeitsplätze in den
neuen Ländern schaffen, ist der richtige Weg, auf dem
wir weitergehen müssen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Tankred
Schipanski.
Herr Minister, Sie haben die Verbundforschung in den
neuen Ländern, die Vernetzung von Wirtschaft und
Hochschulen, angesprochen. Das BMBF hat Sonderforschungsprogramme zur Innovationsfähigkeit in den
neuen Ländern aufgelegt, zum Beispiel das ZIM. Vor
kurzem hat das Wintersemester begonnen. In den neuen
Ländern steigt die Zahl der Studienanfänger. Viele aus
den westdeutschen Ländern studieren ganz bewusst in
den neuen Bundesländern. Wie können Sie sich das erklären? Welche Ursachen hat das?
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass die Zahlen
beeindruckend sind. In Mecklenburg-Vorpommern kommen weit über 40 Prozent, in Sachsen fast 30 Prozent der
Studierenden aus den alten Bundesländern. Das beweist,
dass die Hochschulen in den neuen Ländern nicht nur
durch ihr Studienangebot, sondern auch durch ihre Ausstattung - das wird von vielen Studenten immer wieder
betont - für alle Studierenden sehr attraktiv sind. Ich
denke, es sollte uns mit Freude erfüllen, dass wir auf
diese Art und Weise einen Beleg dafür bekommen, wie
angesehen die Hochschullandschaft in den neuen Ländern ist.
Das Wort hat der Kollege Frank Tempel.
Herr Minister, Kollegin Kolbe hatte Ihnen vorhin die
sehr klar formulierte Frage gestellt, inwieweit Sie einen
Zusammenhang zwischen dem Fachkräftemangel und
dem demografischen Wandel, insbesondere durch die
Abwanderung junger Menschen aus den neuen Bundesländern, sowie der ungleichen Bezahlung sehen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die von der Bundeskanzlerin vorgeschlagenen Mindestlohnmodelle - diese
werden zwar nicht so genannt, sollen aber eine ähnliche
Wirkung wie ein Mindestlohn entfalten -, die ebenfalls
Einkommensunterschiede zwischen Ost und West vorsehen. Wie ist ein solches Herangehen mit den im Bericht
dargestellten Phänomenen zu vereinbaren?
Ich muss noch einmal darauf hinweisen, dass der
Fachkräftemangel ein allgemeines demografisches Problem ist. Er wird überall ein Problem sein. Das ist nicht
nur eine Frage der Bezahlung.
({0})
Vielmehr hat dies damit zu tun, dass weniger junge
Leute da sind und dass die Menschen, die da sind, immer
älter werden. Das ist ein Faktum, das man nicht wegdiskutieren kann. Das wird in ganz Deutschland in der Zukunft ein begrenzender Faktor sein, ist aber, wie gesagt,
nicht nur eine Frage der Bezahlung. Im Übrigen kann
man an den steigenden Beschäftigungszahlen in den
neuen Ländern sehen, dass dies, jedenfalls bisher, offensichtlich kein generelles Problem ist; allerdings kann es
sich natürlich zu einem solchen auswachsen.
Dass es Lohnunterschiede gibt, ist überhaupt keine
Frage. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass es auch
zwischen Ostfriesland und dem Rhein-Main-Gebiet
Lohnunterschiede gibt und man nicht sagen kann: Deswegen sind jetzt alle Ostfriesen im Rhein-Main-Gebiet. Lohnunterschiede wird es immer geben, übrigens auch
unterschiedliche Kostenstrukturen.
({1})
Entscheidend ist, dass wir eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erreichen. Das ist nach wie vor unser
Ziel.
Das Wort hat die Kollegin Maria Michalk.
Herr Minister, auch ich bedanke mich für den Bericht.
Ich möchte auf den Arbeitsmarkt zurückkommen. Ich
glaube, wir müssen noch einmal ganz konkret feststellen, dass die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, auch in
den neuen Bundesländern, in den zurückliegenden Jahren noch nie einen solch großen Erfolg dargestellt hat. In
meinem Wahlkreis gab es über Jahre hinweg eine Arbeitslosenquote von über 20 Prozent; jetzt liegt sie bei
9,8 Prozent. Das zeigt, dass die Bundesregierung die
richtigen Maßnahmen ergriffen hat.
Gleichwohl: Auf der einen Seite haben wir eine verstetigte Langzeitarbeitslosigkeit. Auf der anderen Seite
hat es, auch wenn das Gesamtvolumen des Eingliederungstitels - daraus werden die Eingliederungsleistungen erbracht - aufgrund niedrigerer Arbeitslosenzahlen
zurückgegangen ist, auf den einzelnen Langzeitarbeitslosen bezogen noch nie einen so hohen Zuschuss der
Bundesagentur für Arbeit gegeben. Sind nicht auch Sie
der Meinung, dass man jetzt nicht wieder ganz neue
Sonderprogramme stricken sollte, sondern dass es jetzt
darauf ankommt, die Verantwortlichkeit den Herrschaften vor Ort zu geben, damit sie den Fachkräftebedarf mit
dem vorhandenen Personenkreis decken?
Ich glaube, dies ist ein wichtiger Hinweis. Das ist ein
Grundprinzip, nach dem die Bundesagentur für Arbeit
verfährt: mehr Flexibilität zu schaffen und mehr Möglichkeiten zu geben, damit vor Ort auf die spezifische Situation reagiert werden kann. Der Hinweis ist natürlich
völlig richtig: Man darf nicht nur auf die allgemeinen
Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit schauen, sondern man muss auch berücksichtigen, dass wir heute
sehr viel weniger Arbeitslose haben als gegen Ende der
Regierungszeit von Rot-Grün im Jahre 2005. Deswegen
sind natürlich geringere Ausgaben notwendig. Gleichwohl bekommt der einzelne Betroffene heute mehr. Das
ist eine gute Entwicklung.
Regional ist die Entwicklung in Deutschland, wie gesagt, sehr unterschiedlich ausgeprägt. In Thüringen beispielsweise beträgt die Arbeitslosenquote derzeit
7,8 Prozent. Dort hat man in etwa das Niveau von Nordrhein-Westfalen erreicht, wo die Arbeitslosenquote bei
7,7 Prozent liegt. Das zeigt: Die Entwicklung ist regional
unterschiedlich. In einigen Gebieten war die Arbeitsmarktpolitik allerdings außerordentlich erfolgreich.
Für eine weitere Nachfrage hat der Kollege Stephan
Kühn das Wort.
Herr Minister, jeder Minister, der für die neuen Länder zuständig ist, muss sich mit dem Thema „Altschulden ostdeutscher Wohnungsunternehmen“ beschäftigen.
Die derzeitige Regelung läuft 2013 aus. Wohnungsunternehmen, die die Altschuldenhilfe nach dem bisherigen
Prinzip nicht in Anspruch nehmen können, haben, was
ihre Investitionskraft angeht, große Probleme. Mit Blick
auf die energetische Sanierung, die wir an verschiedenen
Gebäuden noch vornehmen müssen, brauchen wir ihre
Investitionskraft allerdings. Daher die Frage: Wird die
Bundesregierung eine Anschlussregelung zur derzeitigen Altschuldenhilfe vorlegen?
Die Altschulden sind schon immer ein Problem gewesen, dem sich in der Vergangenheit viele Förderprogramme gewidmet haben. Im Rahmen des Aufbaus Ost
haben wir in einigen Ländern einen Großteil der bereitgestellten Mittel insbesondere dafür verwendet, die Altschuldenproblematik in den Griff zu bekommen. Dies
wird auch in Zukunft auf jeden Fall eine der großen Herausforderungen sein. Aber ich darf Sie darauf hinweisen, dass gerade der Gebäudebestand in den neuen Ländern energetisch besonders hochwertig saniert ist, was
nicht zuletzt daran liegt, dass wir dort in der Vergangenheit besonders viele Sanierungen durchgeführt haben.
Insofern kann ich Sie beruhigen: In den neuen Ländern
haben wir schon einen sehr, sehr hohen energetischen
Standard erreicht. Das sollte uns alle eigentlich froh und
glücklich machen.
Für eine weitere Nachfrage hat die Kollegin Iris
Gleicke das Wort.
Lieber Herr Minister, auch wenn wir die Erfolge
durchaus anerkennen und uns darüber freuen, möchte
ich noch einmal auf etwas hinweisen - der Kollege
Tempel und die Kollegin Kolbe haben schon danach gefragt -: Wir wissen aus verschiedensten Studien in den
letzten Jahren, dass die Einkommensunterschiede, von
denen auch ich vorhin geredet habe, Ursache für Abwanderung sind und deshalb den Fachkräftemangel in Ostdeutschland besonders deutlich zutage treten lassen.
Da sich die Bundesregierung jetzt als so lernfähig erweist, der jahrelangen Forderung eines Mindestlohnes
insofern nachkommen zu wollen, dass man eine Lohnuntergrenze einführen will, möchte ich Sie gerne etwas
dazu fragen. Diese Lohnuntergrenze soll sich nach Ihrer
eigenen Lesart am Mindestlohn von 7,01 Euro im Osten
und 7,89 Euro im Westen orientieren. Das ist eine Festschreibung des Lohnunterschiedes bei einer Lohnuntergrenze. Halten Sie das für gerechtfertigt, oder ist das
nicht die Verschärfung des Problems und damit eben
doch der Ausstieg aus der Zielsetzung „Angleichung der
Lebensverhältnisse“?
Liebe Frau Gleicke, anders als in kommunistischen
und sozialistischen Systemen werden Löhne in Deutschland nicht durch ein Gesetz vorgegeben,
({0})
sondern es gibt sogenannte Tarifpartner, nämlich die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer.
({1})
Beide verhandeln über Tarifverträge - übrigens sehr erfolgreich seit vielen Jahrzehnten -, nach denen die Bezahlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfolgt. Diese Tarifverträge sind auch danach ausgerichtet,
dass die Zukunftsfähigkeit der Arbeitsplätze vor Ort und
die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der jeweiligen Branche sichergestellt werden können.
Wir haben nicht vor, an dieser erfolgreichen Art,
Löhne und Tarife zugunsten der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in Deutschland auszuhandeln, etwas zu
ändern.
({2})
- „Wir“ ist die Bundesregierung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind zurzeit in
der Fragestunde und nicht im Dialog.
Gestatten Sie mir einen kurzen geschäftsleitenden
Hinweis: Mir sind noch drei Wortmeldungen zum
Thema der heutigen Kabinettssitzung signalisiert worden; weitere Wortmeldungen zur Regierungsbefragung
liegen nicht vor. Wir verlängern die Befragung der Bundesregierung um die dafür benötigte Zeit und kürzen die
folgende Fragestunde. - Das Wort hat die Kollegin
Daniela Kolbe.
An mich, Frau Kollegin?
An Sie, Herr Minister.
Sehr schön, da freue ich mich.
Wir versuchen es weiter. - Das mit den Mindestlöhnen oder wie auch immer Sie das nennen, müssen Sie
natürlich bei sich klären.
({0})
Bitte nehmen Sie aber zur Kenntnis, dass Mindestarbeitsbedingungen durchaus nicht nur zwischen den Tarifpartnern ausgehandelt werden, sondern sehr oft auch
in Gesetzen festgeschrieben sind. Das ist also kein sehr
gutes Argument.
Ich möchte noch einmal auf die Lohnunterschiede
und den Fachkräftemangel zurückkommen. Sie haben
hier immer sehr ausweichend geantwortet und so getan,
als sei das ein Grund unter vielen. Ich rate Ihnen, sich
zum Beispiel einmal im Erzgebirge umzuschauen, wo
schon jetzt über einen massiven Fachkräftemangel geklagt wird. Die dortigen Unternehmer hatten sich erhofft, dass von der Arbeitnehmerfreizügigkeit ein Impuls
ausgeht und Zuwanderung stattfindet. Nehmen Sie zur
Kenntnis, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Regionen mit niedrigen Löhnen überhaupt keine Wirkung entfaltet hat, dass es dort auf diesem Wege keine Zuwanderung gegeben hat, weil die Personen direkt in andere
Regionen wandern, und dass der Fachkräftemangel
durchaus etwas mit Löhnen zu tun hat?
Frau Kollegin, ich weiß jetzt nicht, aus welcher Region Sie kommen. Aber wenn Sie nicht direkt aus dem
Erzgebirge kommen, dann vermute ich, dass ich mich
dort schon öfter umgeschaut habe als Sie.
({0})
Ich kann Ihnen sagen: Es ist natürlich ein großes Problem, das sich in vielen Bereichen ein Fachkräftemangel
abzeichnet, insbesondere im Bereich des Handwerks,
dass viele Unternehmen und Betriebe nach Lehrlingen
suchen. Laut der Statistik, die in dieser Woche veröffentlicht wurde, können viele offene Lehrstellen nicht besetzt werden. Das ist ein generelles Problem; das ist
überhaupt keine Frage. Deswegen müssen wir alles tun,
um unsere jungen Leute optimal zu qualifizieren, die
Schulabbrecherquote zu reduzieren, soweit das geht, und
die Potenziale zu nutzen.
Wir müssen uns allerdings auch mit der Tatsache abfinden, dass der demografische Wandel eben so ist, wie
er ist, dass in 50 Jahren insgesamt 17 Millionen Menschen weniger in Deutschland leben werden und dass
von den dann 65 Millionen Menschen im Schnitt viele
erheblich älter als heute sein werden.
Die nächste Frage stellt der Kollege Manfred Grund.
Herr Minister, ich möchte der guten Ordnung halber
darauf hinweisen, dass es entgegen der hier verbreiteten
Meinung in Deutschland in zehn Tarifbranchen Mindestlöhne gibt, die durch die Regierung für allgemeinverbindlich erklärt wurden. Diese Mindestlöhne gelten bindend
für 4,5 Millionen Arbeitnehmer in Gesamtdeutschland.
Wir wären alle viel weiter, wenn in den sieben Jahren rotgrüner Regierung auch nur ein Mindestlohn für allgemeinverbindlich erklärt worden wäre. Da haben Sie ein
riesiges Manko.
({0})
Ich möchte gerne auf etwas hinweisen. Herr Minister,
Sie sprachen von einer Arbeitslosenquote von 7,8 Prozent
in Thüringen, die damit genau so niedrig wie in Nordrhein-Westfalen ist. Es gibt in Ihrem Bericht durchaus ein
Manko: Bei einer Arbeitslosenquote von 7,8 Prozent in
Thüringen sind dort bezogen auf 100 Beschäftigungsfähige wesentlich mehr Menschen in Beschäftigung als in
Nordrhein-Westfalen und auch als in Süddeutschland.
Das hat etwas mit der Arbeitsplatzdichte in den neuen
Ländern, besonders in Thüringen und Sachsen, zu tun.
({1})
Vielleicht könnte das beim nächsten Jahresbericht etwas
stärker herausgearbeitet werden, damit diese freudige
Nachricht nicht nur bei der Opposition, sondern auch im
Lande verbreitet wird.
({2})
Herr Grund, ich teile Ihre Beurteilung des kläglichen
Ergebnisses der rot-grünen Regierung in Bezug auf Mindestlöhne.
({0})
Ich gebe zu, dass wir die Dichte der Beschäftigung,
also die Erwerbsquote vor Ort, gesondert auswerfen
könnten, weil das natürlich ein Hinweis darauf ist, dass
wir das Potenzial dort offenkundig noch besser als in anderen Bereichen nutzen. Es muss gemeinsam unser Ziel
sein, das Potenzial in Deutschland zu nutzen, bevor wir
nach Potenzial von außen rufen.
Die letzte Frage stellt der Kollege Volkmar Vogel.
Herr Minister, Sie haben gesagt: Die Entwicklung der
Infrastruktur im Allgemeinen und die Verkehrsprojekte
„Deutsche Einheit“ im Besonderen sind eine Erfolgsgeschichte für unser Land und insbesondere ein Segen für
diejenigen, die in den ostdeutschen Bundesländern leben.
Wir haben einen enormen Erfahrungsschatz gesammelt, insbesondere wenn es um die beschleunigten Verfahren geht, wenn es darum geht, etwas schnell umzusetzen. Die DEGES GmbH hat sich dafür über die Jahre
Volkmar Vogel ({0})
bewährt. Sie haben das immer positiv begleitet. Wie sehen Sie die Chancen und Möglichkeiten, jetzt diesen
enormen Erfahrungsschatz vor allen Dingen in den westdeutschen Bundesländern einzusetzen, wo es einen enormen Nachholbedarf gibt? Gerade vor dem Hintergrund,
dass Planungsverfahren da über einen unendlich langen
Zeitraum gelaufen sind, können die Erfahrungen, die wir
über die letzten 20 Jahre gesammelt haben, eingesetzt
werden.
Das ist absolut richtig. Vor allem die 17 Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ haben einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau in den neuen Ländern und zu dieser
wirklich hervorragenden, auch ökonomischen Entwicklung geleistet, die wir jetzt sehen.
Die Erfahrungen, die man gemacht hat - das war von
Anfang an anders konzipiert als das, was wir in den alten
Bundesländern an Verwaltungsstrukturen kannten -,
sind natürlich ein wichtiger Schatz. Ich denke, dass das
Vorbild für manche Landesregierung sein wird, die entscheiden muss, wie sie künftig ihre Strukturen organisieren will.
({0})
Danke, Herr Minister.
Frau Präsidentin, es war mir eine Freude.
Weitere Fragen oder sonstige Fragen an die Bundesregierung wurden mir nicht signalisiert. Ich beende die Befragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/7583, 17/7613 Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in der Fragestunde gilt die Ein-Minuten-Regel für Fragen und Antworten. Bei der ersten Antwort werden wir das Signal jedoch jeweils nicht auslösen. Dennoch bitte ich, auch bei
der ersten Antwort die Minute möglichst nicht zu überziehen.
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche
Frage auf Drucksache 17/7613 der Abgeordneten
Dr. Dagmar Enkelmann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
auf:
Seit wann sind der Bundesregierung die Berechnungen der
Landesregierung Baden-Württemberg bekannt, die offenbar
bereits im Jahr 2009 von deutlich höheren Kosten für das
Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 ausging ({0}), und hat die Bundesregierung diese Angaben überprüft bzw. beabsichtigt sie,
diese bis zum Volksbegehren am 27. November 2011 zu überprüfen?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Hochgeschätzte Frau Kollegin
Enkelmann, der Bundesregierung liegen keine internen
Berechnungen des Landes Baden-Württemberg zu Stuttgart 21 vor.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Ihnen liegen also keine internen Berechnungen vor.
Dennoch gibt es eine ganze Reihe von Pressemeldungen,
die darauf aufmerksam machen - und im Übrigen von
der baden-württembergischen Regierung bisher nicht dementiert worden sind -, dass es nahezu eine Verdoppelung der Kosten geben wird. Die Frage ist: Wer trägt
diese Mehrkosten, die entstehen? Es geht immerhin um
die Volksabstimmung am 27. November, und ich finde,
die Bürgerinnen und Bürger sollten schon vor dieser
Volksabstimmung wissen, was tatsächlich auf sie zukommt.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Enkelmann, ich will hervorheben, dass
sich die Bundesregierung nicht in die organisatorischen
Fragen und die Neuorganisation einer Landesregierung
einmischt. Somit kann ich auch Ihre Bemerkung nicht
kommentieren.
Ich möchte auch noch einmal hervorheben, dass Stuttgart 21 ein Projekt der Stadt Stuttgart, des Landes Baden-Württemberg und der DB AG ist, nicht des Bundes.
Wir haben die Verpflichtung, wichtige Infrastrukturprojekte in Baden-Württemberg, beispielsweise bei der Zulieferstrecke Wendlingen-Ulm, zu machen, aber bei dem
Bahnhof selber haben wir an der Stelle keine vertragliche Verpflichtung. Von daher kann ich diese interne Berechnung aus dem Land Baden-Württemberg nicht kommentieren.
Ihre zweite Frage, bitte.
Herr Staatssekretär, es gibt eine Finanzierungsvereinbarung zwischen der Bahn und dem Land. Der Bund ist
nach wie vor 100-prozentiger Eigentümer der Bahn. Insofern gibt es natürlich eine Verantwortung des Bundes.
So weit werden Sie mir sicher zustimmen.
Bei einer Überprüfung des Kostenrahmens, wenn der
Kostenrahmen der Finanzierungsvereinbarung überschritten wird, wäre es zum Beispiel noch 2009 möglich
gewesen, das Projekt insgesamt zu stoppen. Wie hat der
Bund seine Verantwortung in dieser Frage wahrgenommen?
Frau Kollegin Enkelmann, Sie haben den breiten Dialogprozess gerade bei der Schlichtung zu Stuttgart 21
verfolgt, bei der sich die Diskussion immer wieder um
die Zahlen gedreht hat. An den Diskussionen um die
Kosten war der Bund nicht beteiligt. Deswegen verweise
ich noch einmal darauf, dass die Verantwortlichen der
DB AG die Kostenstruktur für Stuttgart 21 mit den Vertragspartnern Stadt Stuttgart und Land Baden-Württemberg immer gemeinsam berechnet haben, vor allem auch
vor der letzten Landtagswahl. Ich verweise darauf, diese
Stellen zu fragen und nicht in dieser Fragestunde den
Bund zu fragen, der außerhalb dieses Vertragsverhältnisses ist.
({0})
Die nächste Frage stellt der Kollege Roland Claus.
Herr Staatssekretär, soeben hat das Bundesfinanzministerium dem Haushaltsausschuss mitgeteilt, dass
sich die Baukostenzuschüsse für den Bund für die Bahnstrecke Wendlingen-Ulm mehr als verdoppeln und fast
1 Milliarde Euro mehr betragen. Wie lässt sich so etwas
erklären? Hat die Bundesregierung hier mitgetrickst,
oder war sie so ahnungslos? Beides würde nicht sehr für
sie sprechen.
Herr Kollege Claus, mit Empörung weise ich den Begriff „tricksen“ zurück.
({0})
Die Bundesregierung trickst nie und wird sich vor allem
die Kostenstruktur für die Strecken ganz genau anschauen. Es gab dazu mehrere Berichte, auch unter der
Leitung des Vorgängers im Hause. Bundesminister a. D.
Tiefensee war vorhin bei der Regierungsbefragung anwesend. Wir haben immer transparent und offen mit dem
zuständigen Fachausschuss, dem Ausschuss für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung, agiert. Das war in rot-grüner
Zeit so, das ist jetzt unter der christlich-liberalen Regierung so.
({1})
Dazu haben wir mehrfach Berichte abgegeben.
({2})
Von daher ist es völlig klar, dass die Kosten für den Bau
der Strecke, wozu der Bund verpflichtet ist, auch transparent sind.
Die nächste Frage stellt der Kollege Volker Beck.
Herr Staatssekretär, ich begrüße es, dass Sie für die
Bundesregierung in Anspruch nehmen, nicht zu tricksen.
Deshalb hoffe ich auch, dass Sie die Frage offen beantworten und nicht mit einem Trick versuchen, auszuweichen. Die Kollegin Enkelmann hat in ihrer Frage einen
Artikel des Spiegel zitiert, in dem davon die Rede ist,
dass bereits im Jahr 2009 Erkenntnisse vorlagen, dass
sich die Kosten erheblich erhöhen. 2009 ist eine Weile
her. Deshalb könnte es sein, dass die Bundesregierung
dem inzwischen nachgegangen ist. Können Sie die Angaben des Spiegel dementieren, dass es seit 2009 eine
solche Erkenntnis gibt, nämlich dass diese Erhöhung der
Kosten bevorsteht? Oder können Sie den Bericht bestätigen? Eines von beiden sollten Sie jetzt tun, wenn Sie
nicht tricksen.
Herr Kollege Beck, diese Frage könnten Sie beispielsweise dem baden-württembergischen Verkehrsminister
Winfried Hermann - in Klammern: Grüne - stellen.
Noch hat die Bundesregierung keine Kenntnis über die
Archive in einem Landesministerium, weil an diesem
Bauprojekt der Bund an der Stelle als Vertragspartner
nicht beteiligt ist. Deswegen noch einmal: Dies ist ein
Thema, das in Baden-Württemberg geklärt wird. Dort
liegen die Akten.
({0})
Wir haben den Prozess stets begleitet, weil wir von dem
Bauprojekt, was die Strecken angeht, abhängig sind. Zu
den internen Berechnungen haben wir aber keine Angaben, und wir wissen nicht, ob es die gibt oder ob die
Meldung des Spiegel korrekt ist.
({1})
Die nächste Frage stellt der Kollege Hofreiter.
Bei dem Projekt handelt es sich unzweifelhaft um ein
Projekt der DB AG. Die DB AG befindet sich im 100-prozentigen Eigentum des Bundes. Wenn man sich Verfassungsgerichtsurteile aus Bayern und NRW anschaut und
wenn man die aktuelle Literatur betrachtet, dann stellt
man fest, dass Unternehmen, die sich zu 100 Prozent in
öffentlicher Hand befinden, wie Behörden zu behandeln
sind. Das heißt, das Fragerecht, das wir hier haben, bezieht sich auch auf die DB AG.
Deshalb meine Frage: Liegen der Bundesregierung
- sie ist im Aufsichtsrat auf Arbeitgeberseite vertreten oder auch nur dem Aufsichtsrat Kenntnisse vor, dass es
zu entsprechenden Kostensteigerungen kommt? Ja oder
nein?
Herr Kollege Hofreiter, der Bundesregierung liegen
interne Berechnungen des Landes Baden-Württemberg
definitiv nicht vor.
({0})
Das habe ich bei der Antwort auf die Ausgangsfrage von
Frau Enkelmann schon erwähnt.
({1})
Vielleicht hat die Nervosität, die durch die Meldungen in
den Medien ausgelöst wurde, auch damit zu tun, dass am
27. November ein Bürgerentscheid in Baden-Württemberg stattfindet. So werte ich auch die Fragen bei dieser
dringlichen Frage in dieser Fragestunde.
({2})
Das Wort hat der Kollege Schlecht.
Herr Staatssekretär, am 30. Juni dieses Jahres ist im
Deutschen Bundestag ein Antrag von uns mit den Stimmen der Regierungskoalition und in Tateinheit mit der
SPD abgelehnt worden. Dieser Antrag zielte darauf ab,
dass die Bundesregierung bzw. die Bahn dazu verpflichtet werden sollte, eine Überschreitung eines Kostenrahmens von 4,5 Milliarden Euro nicht zu tragen. Das heißt
im Klartext: Mit dem Beschluss vom 30. Juni sagt die
Regierungskoalition mit der SPD hier im Hause, man
solle bereit sein, über 4,5 Milliarden Euro hinauszugehen. Diese Entscheidung vom 30. Juni löst natürlich eine
gewisse Irritation und Nervosität aus. Man fragt sich,
wie sich die Kosten am Ende entwickeln sollen, wenn
hier im Hohen Hause eine derartige Bereitschaft besteht,
unkonditioniert Kostenüberschreitungen, über diese
4,5 Milliarden Euro hinaus, hinzunehmen.
Insofern meine Frage: Müssten Sie sich denn nicht intensiver um diese Kostenberechnung kümmern und versuchen, sie nachzuvollziehen? Denn Sie stehen hier in
der Verantwortung für die DB AG und würden nach diesem Petitum vom 30. Juni die Last haben, auch über
4,5 Milliarden Euro zu bezahlen. Sie können diese Kosten doch nicht in unverantwortlicher Weise sozusagen
einfach ins Uferlose laufen lassen.
Herr Kollege, es ist mir neu, dass ich jetzt Sprecher
der DB AG bin.
({0})
Ich sitze auch nicht in deren Aufsichtsrat; vielmehr sitzt
die Bundesregierung dort, Vertreter mehrerer Häuser klar.
({1})
Wie unterschiedlich allein die Meinungen in der Landesregierung Baden-Württemberg sind, sieht man zum einen an der Haltung des Partners Grüne und zum anderen
an der Haltung des Partners SPD.
({2})
Noch einmal die klare Aussage: Uns liegen keine internen Berechnungen vor. Es ist nichts anderes gemeldet.
Die Kosten sind beim Schlichtungsverfahren transparent
besprochen worden. Da hat jeder Bürger die Möglichkeit
gehabt, sich noch einmal ein genaues Bild zu machen.
Daher geht die Bundesregierung davon aus, dass die Berechnungen korrekt sind, die dem Verkehrsausschuss
vormals immer wieder vorgestellt wurden. Somit gehen
wir in den weiteren Dialog um die Strecken, die um den
Bahnhof ertüchtigt oder ausgebaut werden müssen.
Danke, Herr Staatssekretär.
Erstens. Ich erlaube mir noch einmal, auf die Ein-Minuten-Regelung hinzuweisen. Zweitens. Ich habe sehr
wohl gesehen, dass es weiteren Informations- und Fragebedarf gab. Aber es ist so, dass jeder Kollege, der nicht
selbst Fragesteller war, nur eine Nachfragemöglichkeit
hat. - Damit ist die dringliche Frage beantwortet.
({0})
- Das liegt jetzt in Ihrer Beurteilung. Ein solches Urteil
steht mir hier nicht zu, Kollegin Enkelmann.
({1})
Wir kommen jetzt zu den mündlichen Fragen auf
Drucksache 17/7583 in der üblichen Reihenfolge.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt
zur Verfügung.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Rainer Arnold aus
der SPD-Fraktion auf:
Welchen militärischen Beitrag leistet die Bundeswehr
nach Umsetzung der Bundeswehrreform im Rahmen der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zusätzlich zu der Beteiligung an den EU-Battle-Groups?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Kollege Arnold, Ihre Frage enthält zwei Elemente, die ich
bei der Beantwortung in den Mittelpunkt stellen möchte.
Erstens: Welchen militärischen Beitrag leistet die
Bundeswehr nach der Umsetzung der Bundeswehrreform? Ich gehe davon aus, dass Sie durch Ihre Frage erfahren möchten, ob sich durch die Bundesreform etwas
verändert. Antwort: Nein.
Zweitens: Welche Beiträge leisten wir zusätzlich zu
der Beteiligung an den EU-Battle-Groups? Dies führt
jenseits der nationalen Initiativen und Beiträge zur Frage
der weiteren Entwicklung der Battle Groups auf europäischer Ebene. Sie wissen, dass wir 2010 die Headline
Goals in einer Bewertung angepasst haben. Hier sind wir
grundsätzlich bereit, über die Battle Groups hinaus mit
bis zu 10 000 Soldaten - im Rahmen der Bundeswehrreform - Beiträge zu leisten, also den Verpflichtungen
darüber hinaus gerecht zu werden.
Es gibt noch einen weiteren Punkt unter mehreren,
den wir sehr intensiv im Auge behalten: Das ist die
Frage der Fähigkeit der Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik, Initiativen militärischer Art selbstständig zu führen. Eine Initiative des Weimarer Dreiecks, bestehend aus Frankreich, Polen und der Bundesrepublik Deutschland, zielt deswegen darauf, auch die
Führungsfähigkeit im Sinne von Hauptquartiersstrukturen auf europäischer Ebene zu verbessern.
Bitte, Ihre erste Nachfrage.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Staatssekretär, führt die jetzige Reform der Bundeswehr also
nicht zu einer Stärkung der Fähigkeiten, die Deutschland
auf europäischer Ebene einbringen kann. Führt sie zu einer Schwächung der Fähigkeiten gerade in den Bereichen, in denen in Europa sowieso Mangel besteht, zum
Beispiel im Bereich der Hubschrauber, zum Beispiel im
Bereich der Aufklärung?
Sie wissen, dass wir für den Aufgabenbereich der internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung
nun den Richtwert von 10 000 Soldatinnen und Soldaten
festgelegt haben; das wird auch in den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 18. Mai dieses Jahres genannt. Diese sind nicht exklusiv für europäische Krisenreaktionen, aber auch für diese vorgesehen. Deswegen
muss ich sagen: Durch die Reform an sich verändert sich
insofern nichts, weil sich diese Grundlage bereits in den
Verteidigungspolitischen Richtlinien wiederfindet. Eine
Schwächung kann ich ausschließen.
Die zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, der Richtwert von 10 000 Soldatinnen und Soldaten ist natürlich geringer als bisher. Wir
hatten sogar schon 11 000 in der internationalen Krisenbewältigung eingesetzt.
Daran angeschlossen, dass wir feststellen, dass die
Fähigkeiten zumindest nicht gestärkt, sondern, wie wir
fürchten, eher geschwächt werden: Gibt es Bemühungen
und das Engagement der Bundesregierung, die politischen Prozesse in Europa, die aus unserer Sicht den militärischen Fähigkeiten sogar nachhängen, stärker in Gang
zu bringen?
Ja. - Zunächst zu den Unterschiedlichkeiten zwischen
den 18 000 Soldatinnen und Soldaten, die die BattleGroup-Grundlage im Rahmen der Headline Goals - auf
Deutsch: Überschriftziele - bilden, und den 10 000 Soldatinnen und Soldaten, die wir für Krisenreaktionen zur
Verfügung stellen. Das ist kein Widerspruch in sich.
Denn die 18 000 Soldatinnen und Soldaten werden sich
nicht nur auf das, was in früheren Planungen als Krisenreaktions- und Eingreifkräfte bezeichnet worden ist, beschränken, sondern sich auf das gesamte Spektrum des
Personals beziehen.
Ich teile den Hinweis in Ihrer Frage, dass eine politische Grundlegung der Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik prioritär ist und dass hieran gearbeitet werden muss. Das hat sich in den letzten Jahren
insbesondere unter den schwedischen und spanischen
EU-Präsidentschaften hin zu den Dokumenten entwickelt, die wir Ende des Jahres 2010 als Grundlage für die
weitere politische Entwicklung verabschiedet haben.
Die Kollegin Inge Höger hat eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär Schmidt, ich habe eine Frage:
Plant die Bundesregierung, in Zukunft das Prozedere für
die Mandatierung von EU-Battle Groups zu verändern,
um eine schnellere Einsatzmöglichkeit zu gewährleisten?
An eine Veränderung auf europäischer Ebene wird
bisher nicht gedacht; aber es ist in der Tat richtig, dass
wir uns bemühen, im Rahmen der Strukturen Verlässlichkeit bei der Aufstellung von Battle Groups, die im
Halbjahresturnus wechseln, zu gewährleisten. Für die
nächsten Jahre zeichnet sich hier eine recht gute Beteiligung einzelner Mitgliedstaaten der EU ab.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Rolf
Mützenich.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort darauf
hingewiesen, dass die Bundeswehrreform ein sehr umfänglicher Prozess ist, der unterschiedliche Gedanken,
aber auch unterschiedliche Akteure beinhaltet. Deswegen haben Sie mich zu dieser Frage sozusagen hingeführt.
Mich würden in diesem Zusammenhang Berichte darüber interessieren, dass Sie und offensichtlich auch der
Bundesverteidigungsminister mit der Rüstungsindustrie
darüber gesprochen haben, dass die Fragen, die die Bundeswehrreform hier in Deutschland betreffen, möglicherweise entsprechende Auswirkungen im europäischen, aber auch im außereuropäischen Raum haben.
Nun ist es in der Tat so, dass der Bundesverteidigungsminister der Rüstungsindustrie zugesichert hat, mit diesen Maßnahmen in Zukunft flexibler umzugehen, was
Rüstungsexporte betrifft.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, ich werde mir sehr große Mühe geben, die Bezüglichkeit dieser Zusatzfrage zu dem vom
Kollegen Arnold angesprochenen Themenkomplex irgendwo zu erahnen oder zu erfühlen, obwohl mir das
sehr schwer fällt.
({0})
Es kam im Hinblick auf die Feststellung, dass wir uns
europaweit bezüglich der Fähigkeiten, der sogenannten
Assets, in eine gewisse Übereinstimmung bringen müssen, in der Tat zur Gent-Initiative, zum sogenannten
Pooling and Sharing - Frau Präsidentin, ich bitte zu entschuldigen, dass ich die englische Begrifflichkeit verwende; sie hat sich leider eingebürgert -, also zum Teilen und gemeinsamen Nutzen. Dies findet unsere
Unterstützung auch dadurch, dass wir seitens der Bundeswehr bereit sind, unsere Fähigkeiten - das bezieht
sich auch auf überschüssiges Material - in eine europäische Struktur einzubringen. Alle anderen Fragen sind,
wie ich glaube, hier nicht betroffen.
Ich rufe die Frage 2 auf, ebenfalls vom Kollegen
Rainer Arnold gestellt:
Welche Auswirkungen hat die Neuausrichtung der Bundeswehr auf Auftrag und Aufgaben der Reservisten, und wie
wirkt sich dies auf die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Reservisten aus?
Die Frage nach den Auswirkungen der Neuausrichtung auf das Reservistenkonzept ist sehr berechtigt. Wir
sind gerade in den abschließenden Beratungen und Bewertungen über die endgültige Fassung der neuen Konzeption. Diese wurde dem Lenkungsausschuss schon
vorgelegt. Wir werden sie in Kürze dann auch präsentieren und wollen sie auch diskutieren. Der Reservistenverband hält in dieser Woche seine Bundesdelegiertenversammlung ab. Da wird es sicherlich Gelegenheit
geben, sich über diese Frage auszutauschen.
Es ist zum einen klar, dass das Reservistenkonzept
nicht unberührt bleiben kann, weil wir aufgrund des
Wegfalls der Wehrpflicht flexible und attraktive Angebote für Reservisten schaffen müssen.
Zum Zweiten soll allen interessierten und geeigneten
Reservistinnen und Reservisten in größerem und verbindlicherem Maße als bisher die Chance gegeben werden, sich in den neu aufzustellenden regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräften - so lautet der
Arbeitstitel - zu engagieren. Wir werden deswegen den
Auftrag des Heimatschutzes an sehr prominenter Stelle
verankern.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie selbst haben davon gesprochen, dass der Reservistenverband Ende der Woche
seine Tagung abhält. Diese findet ja nur alle vier Jahre
statt. Meinen Sie nicht, es wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, wenn der Minister sein Konzept in diesem großen Plenum, das ja nur alle vier Jahre zusammenkommt,
erläutern und die Tradition seiner Vorgänger, bei dieser
Tagung selbst präsent zu sein, fortführen würde? Oder
können Sie erklären, warum der Minister die Möglichkeit zur Diskussion auf dieser Tagung nicht wahrnimmt?
Es handelt sich um gute Gründe. Es liegt allerdings
nicht daran, dass die Bedeutung und Wichtigkeit des Reservistenverbandes nicht gewürdigt werden. Bescheiden
darf ich sagen: Ich werde mit meinem kleinen Beitrag,
nämlich einer Rede am Freitagnachmittag, als der gemeinsam mit dem militärisch Zuständigen, Generalleutnant Weiler, im Hause Verantwortliche versuchen, das
eine oder andere durchaus Substanzielle zu dieser Frage
beizutragen. Ich hoffe jedenfalls, dass das vom Reservistenverband auch so gesehen wird und es zu einer weiteren Zusammenarbeit kommt.
Es wird bei weiteren Gelegenheiten - im Vorlauf war
das ja auch schon der Fall - die Möglichkeit bestehen,
sowohl im Parlament als auch mit den beteiligten Verbänden, insbesondere dem Reservistenverband, dieses
Konzept zu diskutieren. Wir werden dann in der Tat sehr
zügig zu einer endgültigen Entscheidung kommen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Aufgaben der Reservisten verändern werden und zumindest in Teilbereichen die Bedeutung, die ihnen zukommt, eher zunimmt. Wie können Sie
sich angesichts dessen erklären, dass in der aktuellen
Reservistenarbeit viele Aufgaben, die die Reservisten
haben, und viele kleine Übungen letztlich nicht wahrgenommen oder abgehalten werden können, weil dort mal
100 und da mal 500 Euro für die entsprechenden Vorhaben nicht zur Verfügung stehen? Was haben Sie im laufenden Haushaltsjahr getan, um diesen gravierenden
Missstand abzustellen?
Das sind Fragestellungen, die im Einzelnen zu betrachten und zu verfolgen sind. Manchmal stellt sich heraus, dass mit gutem Willen Dinge zu korrigieren sind.
Manchmal stellt sich heraus, dass der entsprechende
Haushaltsrahmen dieses nicht hergibt. Wir haben darauf
geachtet, dass die Reservistenarbeit zukünftig eher gestärkt wird. Wie sich das haushalterisch im Einzelnen
niederschlagen wird, wird zu sehen sein. Ich hoffe und
bin mir sicher, dass ich auch die Unterstützung des Parlaments in dieser Frage habe. Wir müssen natürlich über
die nächsten Jahre hinaus betrachten, wie die Umsetzung
des Konzepts, das Gegenstand dieser Frage ist, finanziell, personell und übrigens auch strukturell untermauert werden kann. Im Zusammenhang mit den geplanten
regionalen Unterstützungsgruppen müssen wir mehr als
bisher gemeinsam mit der Truppe dislozieren.
Die erste Nachfrage stellt die Kollegin Inge Höger.
Herr Staatssekretär Schmidt, heißt das Letztgenannte,
dass im Zuge der Bundeswehrreform Reservisten in Zukunft verstärkt im Ausland eingesetzt werden sollen?
Das gibt mir Gelegenheit, Frau Kollegin, den vielen
Reservisten zu danken,
({0})
die sich bisher in der Tat in sehr großem Ausmaß an
Auslandseinsätzen der Bundeswehr beteiligen. Wir wollen dies natürlich auch zukünftig. Die Verwendung
orientiert sich an den spezifischen Fähigkeiten des Einzelnen. Aber die Beteiligung von Reservisten an Auslandseinsätzen ist in diesem Zusammenhang keiner veränderten Betrachtung zu unterziehen.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Beck.
Herr Staatssekretär, die Frage der Kollegin Höger und
Ihre Antwort geben mir Gelegenheit, auf den wichtigen
Beitrag hinzuweisen, den Reservisten im Augenblick
auch für unsere Soldaten im Einsatz leisten.
({0})
Wir hatten schon Zeiten, in denen 15 Prozent der im Einsatz befindlichen Soldaten Reservisten waren; im Augenblick ist die Zahl wesentlich niedriger. Ich hoffe, dass
der Auslandseinsatz für qualifizierte Reservisten auch in
Zukunft eine wichtige Aufgabe sein wird.
Meine Fragen beziehen sich auf zwei Bereiche. Herr
Staatssekretär, können Sie mir erstens bestätigen, dass
die haushalterischen Zuweisungen an den Reservistenverband über Jahre hinweg gleichgeblieben sind und
jetzt sogar eine geringe Steigerung erfahren, und können
Sie mir zweitens bestätigen, dass in der neuen Struktur,
die sich im Augenblick in der Feinausplanung befindet,
neue Aufgaben für die Reservisten in einem erheblichen
Umfang im Bereich des Katastrophenschutzes und des
Heimatschutzes vorgesehen sind? - Vielen Dank.
Herr Kollege, dies kann ich bestätigen. Relativ gesehen wird sich dadurch ein noch stärkerer Aufwuchs ergeben.
Die folgenden Fragen befassen sich mit der Entscheidung bezüglich der Verteilung der Arbeitsplätze im Bundesministerium der Verteidigung in Bonn und Berlin.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Paul Schäfer, Fraktion Die Linke, auf:
Wird es über die endgültige Verteilung der Arbeitsplätze
im Bundesministerium der Verteidigung, BMVg, in Bonn und
Berlin eine Kabinettsentscheidung geben, und, wenn ja, wann
sollen diese Pläne im Kabinett beraten werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, es wird keine Kabinettsentscheidung
geben. Eine Kabinettsbefassung ist für solche organisatorischen Maßnahmen nicht vorgesehen. Die Verteilung
der Dienstposten auf die Dienstorte Bonn und Berlin
wird unter Zugrundelegung der entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen durch das Bundesministerium der Verteidigung getroffen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Lieber Herr Staatssekretär, ich habe mit meiner Frage
in der Tat darauf abgehoben, welche Bedeutung Sie der
Verlagerung von Dienstposten eines Schlüsselministeriums in diesem Umfang zumessen. Offensichtlich ist
Paul Schäfer ({0})
die Entscheidung, den ersten Dienstsitz in Bonn zu belassen, keine Ressortentscheidung gewesen. Vielmehr
gab es dazu eine enge Rückkopplung mit der Kanzlerin,
wie man hört. Das eine ist die Symbolentscheidung: die
Entscheidung, dass Bonn erster Dienstsitz bleibt. Aber
jetzt geht es um das Eingemachte. Da sagen Sie, wenn
ich Sie richtig verstanden habe, das sei eine Entscheidung des Ressortministers.
In der Tat, Herr Kollege Schäfer: Das ist eine Entscheidung des Ressortministers. Ich glaube nicht, dass
wir der Öffentlichkeit vermitteln könnten, dass Standortentscheidungen, die zum Teil sehr schwierig sind, im
Rahmen eines Ressortkonzepts getroffen werden und
dann das Bundesministerium, dem ich selbst angehöre,
eine Sonderstellung erhalten sollte. Die Möglichkeiten
ergeben sich aus den besonderen gesetzlichen Rahmenbedingungen, die es für die beiden Standorte Berlin und
Bonn gibt. Diese müssen weiterhin beachtet werden. Allerdings erwächst daraus noch nicht die Notwendigkeit
einer Befassung durch das Kabinett.
Die zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich bin Ihnen dankbar für den
Hinweis auf die gesetzlichen Grundlagen. Offensichtlich
kann man nicht alles über einen Leisten schlagen: Die
Verlagerung von Dienstposten - fast das komplette
Ministerium ist davon betroffen - ist beispielsweise
nicht mit Dienstpostenverlagerungen innerhalb der Region zu vergleichen. Es gibt nämlich das Berlin/BonnGesetz. Meine Frage lautet daher: Stimmen Sie mir zu,
dass diese gesetzliche Grundlage zu beachten ist und
dass man diesen Fall deshalb gesondert behandeln muss?
Die Bundesregierung beachtet immer alle gesetzlichen Grundlagen.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Kelber das Wort.
Herr Staatssekretär, das Berlin/Bonn-Gesetz enthält
explizit die Vorgabe, dass die Mehrzahl der ministeriellen Arbeitsplätze der Bundesregierung in Bonn verbleiben soll. Sieht die Bundesregierung diese Vorgabe als
rechtsverbindlich an, was die Handlungen von Einzelressorts betrifft? Werden Handlungen, die diese Vorgabe
verdrehen würden, unterlassen?
Herr Kollege, die Bundesregierung wird sich, wie ich
schon gesagt habe, an die vom Deutschen Bundestag als
Gesetzgeber festgelegten Bedingungen und Vorgaben
natürlich halten.
Wir kommen damit zur Frage 4 des Kollegen Paul
Schäfer für die Fraktion Die Linke:
Ist im Bundeskabinett bereits über die Rechtsauffassung
des Bundesverteidigungsministeriums, dass auch nach einer
Verlagerung des größten Teils der Arbeitsplätze des BMVg
nach Berlin das Berlin/Bonn-Gesetz eingehalten wird, diskutiert worden, und, wenn ja, zu welcher Auffassung ist das
Bundeskabinett gekommen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Antwort zu dieser Frage ergibt sich aus meiner
Antwort zu Ihrer Frage 3, Herr Kollege Schäfer. Es gibt
keine entsprechende Auffassung des Kabinetts. Wir werden bei der Entscheidung über die Verteilung der Dienstposten natürlich das Berlin/Bonn-Gesetz beachten. Das
Interesse des Kollegen Kelber an dieser Frage ist nachvollziehbar. Allerdings ist es so, dass wir eine effiziente
und funktionsfähige Vertretung mit Blick auf die Beziehungen zum Parlament und auch zur Bundesregierung in
der Bundeshauptstadt Berlin brauchen.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, man kann über das Berlin/BonnGesetz verschiedener Meinung sein, da gibt es unterschiedliche Auffassungen; aber es gilt nun einmal. Es
gibt die Sollvorschrift, dass die Mehrzahl der Arbeitsplätze in Bonn bleiben muss.
Jetzt stellt sich für mich die Frage: Wie weit wollen
Sie, obwohl die Mehrzahl der Dienstposten schon heute
in Berlin ist, diese Sollbestimmung dehnen und strapazieren? Durch eine weitere Verlagerung ergeben sich folgende konkrete Zahlen: Das Verhältnis würde sich von
8 : 9 auf 7 : 10 verringern. Ist das mit dieser Sollvorschrift noch in Einklang zu bringen?
Ich denke, dass wir, wie es bei vielen Gesetzen der
Fall ist, auch bei diesem Gesetz unterschiedlicher Auffassung über die Auslegung sein können. Der Kerngehalt des Gesetzes ist aber, dass Bonn einen erheblichen
Anteil an administrativer und Regierungstätigkeit behalten soll. Ich meine, dass die Bundesregierung wie auch
die vorherigen Bundesregierungen dieser Anforderung
sehr verantwortungsvoll nachgekommen sind.
Es ist zu prüfen, inwieweit es eine Veränderung des
Status quo, was die schiere Zahl der Personen angeht,
gegeben hat. 1991 gab es diese Grundsatzentscheidung
zu Berlin/Bonn. - Herr Kollege Kelber, der Vollständigkeit halber sage ich: In diesem Entscheidungsprozess
hatte ich für Bonn gestimmt;
({0})
nur um historisch korrekt zu sein. - Das heißt, dass wir
angesichts des Rückgangs der Zahl der Beschäftigten im
Bundesministerium der Verteidigung von circa 3 500 auf
geschätzte 2 000 eine neue Bewertung durchführen müssen.
Ihre zweite Nachfrage.
Um es noch einmal zu sagen, Herr Staatssekretär: Zu
dem Berlin/Bonn-Gesetz kann man unterschiedlicher
Auffassung sein. Meine Fraktion hat ja dazu eine bestimmte. Aber es geht hier auch um Vertrauensschutz für
die Bürgerinnen und Bürger in der Region Bonn. Da ist
meine Frage, ob Sie meinen, es sei in Ordnung, dass man
das sozusagen schleichend aushöhlt und sukzessive die
Mehrzahl der Arbeitsplätze verlagert, ohne dass man
eine klare politische Entscheidung trifft. Meine Frage an
dieser Stelle ist also: Wie halten Sie es mit dem Vertrauensschutz für die Bonnerinnen und Bonner?
({0})
Er hat einen sehr hohen Stellenwert.
({0})
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Kelber.
Herr Staatssekretär, Sie haben eine Nachfrage herausgefordert, indem Sie zum einen gesagt haben, die Bundesregierung halte sich selbstverständlich an rechtliche
Vorgaben, als Zweites gesagt haben, man müsse das alles
im Rahmen einer Funktionalität sehen, und als Drittes gesagt haben, Gesetze könne man unterschiedlich auslegen.
Wenn das Gesetz, über das wir gerade sprechen, das Berlin/Bonn-Gesetz, explizit sagt, dass die Mehrzahl der Arbeitsplätze am Standort Bonn verbleiben soll, und eine
Verlagerungsentscheidung - nicht eine Verkleinerungsentscheidung, sondern eine Verlagerungsentscheidung genau diese Vorgabe verletzt, ist das dann für Sie noch interpretierbar, oder wollen Sie als Bundesregierung diese
Maßnahme dann unterlassen?
Herr Kollege, ich denke, dass wir diese Frage in der
konkreten Planung, in der wir uns gegenwärtig befinden,
als Maßstab und Ausrichtungspunkt betrachten müssen.
Es wird sich dabei zeigen, wie die gesetzliche Vorgabe
auf das herunterzubrechen ist, was sich dann als wichtig
erweist.
Gestatten Sie, dass ich noch auf eines hinweise: Alle
Bundesregierungen und alle Mitglieder dieses Hauses
- ob sie aus Bonn, Berlin oder sonst woher kommen haben die gemeinsame Aufgabe, den Aspekt der regionalen Verteilung, aber auch den der Funktionsfähigkeit
und Funktionserhaltung der Bundesregierung und der
Gremien zu betrachten. Ich nehme auch zur Kenntnis,
dass der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages
die Bundesregierung in gewissen Fragen rügt. Ich bekenne mich zum Berlin/Bonn-Gesetz.
({0})
- Die Bundesregierung bekennt sich auch dazu. Ich als
Teil der Bundesregierung bekenne mich dazu.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Mützenich.
Lieber Herr Staatssekretär, weil Sie jetzt Ihre Sympathie für das Rheinland kundgetan haben, was ich von
Geburt her nicht kritisieren darf und kann, würde ich Sie
gerne Folgendes fragen: Sie haben ja in der Antwort auf
eine Frage des Kollege Schäfer darauf hingewiesen, dass
es keine Kabinettsbefassung geben muss, aber dass es
letztlich einer besonderen Auslegung des Berlin/BonnGesetzes bedarf. Ich gehe davon aus, dass das auch innerhalb der Bundesregierung so gesehen wird. Bedeutet
Ihre Antwort, dass allein das Bundesverteidigungsministerium eine Auslegung des Berlin/Bonn-Gesetzes vorgenommen hat, oder waren auch andere Ressorts daran beteiligt?
Die Bundesregierung stellt sicher, dass die Auslegung
des Gesetzes mit Buchstabe und Geist des Gesetzes in
Einklang steht.
Im Übrigen - wenn Sie mir diese Anmerkung noch
gestatten -: Die Liebe zum Rheinland erwächst auch für
einen Bayern schon daraus, dass, wie wir wissen,
Clemens August ein Wittelsbacher war und diese Region
- mit Ausnahme einer kleinen Erstürmung der Godesburg ({0})
immer in guter Harmonie mit bayerischen Vertretern gelebt hat.
Da sich die nächsten Fragen mit ebendiesem Gegenstand beschäftigen, werden wir sicherlich noch zu weiteren neuen gemeinsamen Erkenntnissen kommen.
Vizepräsidentin Petra Pau
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Kelber aus der
SPD-Fraktion auf:
Wann will das BMVg endgültig über die Verteilung der
Arbeitsplätze des BMVg in Bonn und Berlin entscheiden, und
welche Arbeitsschritte sind bis dahin geplant?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Umsetzungsplanung für die Einnahme der Zielstruktur des BMVg ist derzeit in Erarbeitung, Herr Kollege. Bevor eine abschließende Entscheidung hierzu gefällt werden kann, werden die Personalvertretungen im
dafür vorgesehenen rechtlichen Rahmen beteiligt.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Ist meine Information zutreffend, dass Staatssekretär
Beemelmans in ministeriumsinternen Besprechungen
der letzten Woche eine Entscheidung des Ministers für
diese Woche angekündigt hat und für die Folgewoche
eine wie auch immer geartete Kommunikation der Entscheidung?
Gestatten Sie mir den Hinweis, dass ich über ministeriumsinterne Gespräche grundsätzlich keine Auskünfte
erteile.
Zweite Nachfrage? - Sie verzichten.
Dann rufe ich die Frage 6 auf, ebenfalls gestellt vom
Kollegen Kelber:
Nach welchen Kriterien will das BMVg entscheiden, welche Abteilungen und Referate des Hauses nach Berlin umziehen sollen, und in welcher Form werden dabei die sozialen
Belange der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berücksichtigt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Der Bundesminister der Verteidigung wird über die
Aufteilung der Dienstposten auf die beiden Dienstsitze
so entscheiden, dass die Funktionsfähigkeit des Ministeriums bestmöglich gewährleistet wird. Dies ist der Maßstab, an dem sich alle organisatorischen Maßnahmen
ausrichten.
Die Entscheidungen zur Struktur und zum Standort
des Ministeriums werden - auch das ist anzufügen - den
betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel abverlangen. Dabei ist es jedoch unser Ziel, Härten, wo es
möglich ist, zu vermeiden und bei Einzelpersonalentscheidungen persönliche Wünsche und Bedürfnisse so
weit wie irgend möglich zu berücksichtigen. Im Rahmen
einer Übergangsplanung werden dann Maßnahmen zu
entwickeln sein, die sicherstellen, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angesprochen und ihre persönlichen Vorstellungen so weit wie möglich im Entscheidungsverfahren berücksichtigt werden.
Lassen Sie mich hinzufügen, dass wir in den 20 Jahren seit der Bonn/Berlin-Entscheidung viele Erfahrungen sammeln konnten. Das gilt nicht nur für das Bundesverteidigungsministerium, sondern für alle Betroffenen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Erfahrungen in
eine sehr ausgewogene und sozialbezogene Betrachtung
einfließen werden, wenn es um die Umsetzung von möglichen Verlagerungsentscheidungen hinsichtlich einzelner Abteilungen oder Referate geht.
Ihre Nachfrage.
Die am 26. Oktober vorgestellten Entscheidungen des
Ministeriums für die zukünftige Struktur der Bundeswehr sehen im Rhein-Sieg-Kreis, also in der Umgebung
von Bonn, einen deutlichen Abbau von Arbeitsplätzen
vor, darunter die Schließung des hochmodernen Informations- und Medienzentrums. Das wird einen teuren
Neubau notwendig machen.
In Bonn ist interessanterweise ein Aufwuchs von
200 Arbeitsplätzen zu verzeichnen, und zwar außerhalb
des Ministeriums. Ist dieser Aufwuchs unabhängig von
den Entscheidungen über Arbeitsplatzverlagerung und
Verkleinerung des Ministeriums getroffen worden, oder
ändert sich diese Zahl je nach Entscheidung über die Zukunft des Ministeriums noch?
Die Standortentscheidungen sind grundsätzlich getroffen worden, so wie sie im Stationierungskonzept vorliegen. Der Entscheidungsprozess hinsichtlich des Stationierungskonzeptes ist nicht wieder eröffnet worden. Es
wird allerdings eine Feinausplanung erfolgen - übrigens
in guter Tradition mit früheren Bundeswehrreformmaßnahmen -, die sich daraus ergibt, dass Personalkörper
und Fähigkeitskörper derart differenziert sind, dass sich
nach einer gewissen Zeit der eine oder andere Dienstposten in der Gesamtbilanz sicherlich noch verschieben
wird. Aber im Kern bleiben die Entscheidungen erhalten.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Bei der Entscheidung über die Zahl der Dienstposten
ist ja nicht nur die Zahl der Dienstposten, sondern sind
auch die sie erfüllenden Einheiten und Organisationsstrukturen benannt worden. Bleiben diese Strukturen,
also Ämter und Ähnliches, unabhängig von der Entscheidung über die Zukunft des Ministeriums mit den jeweiligen Standorten verbunden, oder kann es auch hier
noch Feinjustierungen abseits der Kernentscheidungen
geben?
Das Ministerium ist das Ministerium, und die Ämter
sind die Ämter.
({0})
Ich kann übrigens die Sorge, dass die Ämter an der
Rheinschiene und im Raum der ehemaligen Bundeshauptstadt und heutigen Bundesstadt Bonn volatil gesehen würden, verstehen. Ich kann Sie aber beruhigen.
Meine Erfahrung mit der Darstellung der Entscheidungen zu den Strukturen der Standorte der Bundeswehr seit
dem 26. Oktober ist eher, dass man sich zum Argumenteur für den Verbleib von Dienstposten in erheblichem
Ausmaße im Bereich Bonn und der Rheinschiene insgesamt machen muss; das tue ich sehr gerne. Daraus ist zu
schließen, dass die Ämterstrukturen, wenn die Ämter
erst einmal ihre neuen Funktionen eingenommen haben,
so bleiben, wie sie sind.
Der Kollege Schäfer hat eine Nachfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, ich muss auf die Frage vorher zurückkommen. In Ihrem Stationierungskonzept ist für
Bonn im Saldo ein Plus von circa 200 Dienstposten ausgewiesen. Noch einmal meine Frage: Sind in diese Zahl
die Abschichtungen bzw. die Verlagerungen im Rahmen
des Ministeriums eingerechnet oder nicht? Das war die
Frage; die hätten wir gerne beantwortet.
Herr Kollege, ich habe gesagt: Das Ministerium ist
das eine, die Stationierungsentscheidung ist das andere.
Das Ministerium ist bei den Entscheidungen zur Stationierung bei der Bundeswehr nicht mit eingerechnet.
Die Fragen 7 und 8 der Kollegin Katja Dörner werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Sebastian Edathy
von der SPD-Fraktion auf:
Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass in der
vom BMVg am 26. Oktober 2011 veröffentlichten Aufstellung der standortbezogenen Bundeswehrdienstpostenveränderungen die Zielgröße von 530 Dienstposten für den niedersächsischen Standort Diepholz genannt wird, diese nun aber
laut Auskunft des BMVg tatsächlich auf unter 200 sinken
soll?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die Frage, die Sie stellen, bezieht sich
auf missverständliche Zahlendarstellungen in der Standortbroschüre, die in nächtlicher Eile gefertigt worden ist
und deren Widersprüchlichkeit in der Tat - sozusagen
selbst lesend und erkennend - nicht aufgelöst werden
konnte. Es lag ein Datenübertragungsfehler vor, der den
Verbleib des Luftwaffeninstandhaltungsregiments 2 betroffen hat, das gleichzeitig in Schönewalde ausgebracht
worden war, weil allerdings die Entscheidungen über die
Struktur der Luftwaffe überhaupt und im Hinblick auf
die Hubschrauber vom Typ CH-53, die als Teilstreitkraft
zukünftig komplett der Luftwaffe zugerechnet werden,
sehr intensiv diskutiert worden waren. Ich halte überhaupt nichts davon, solche Dinge nicht zu korrigieren.
Das ist passiert: Es wurde in der weiteren Broschüre zahlenmäßig korrigiert.
Ich halte auch nichts davon, diejenigen, die nachts bis
zur Erschöpfung an diesem Thema gearbeitet haben, in
irgendeiner Weise zur Verantwortung zu ziehen. Das ist
ein Punkt, eine Unschärfe, die insbesondere in Diepholz
keine Freude ausgelöst hat; dafür habe ich jedes Verständnis. Herr Kollege, falls jemand gesucht wird, der
dafür verantwortlich gemacht werden soll, bitte ich,
mich zu nehmen. Die Mitarbeiter will ich hier komplett
aus der Diskussion heraushalten; sie haben hervorragend
gearbeitet.
Sie haben die Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe gar keine Vorwürfe gegenüber Mitarbeitern erhoben.
({0})
Nur stellt sich hier schon die Frage, ob es sich wirklich
nur um ein Versehen gehandelt hat. Deswegen möchte
ich gerne von Ihnen wissen: Wie bewerten Sie die im
Folgenden wiedergegebenen Ausführungen von Herrn
Lüth, dem Kommandeur des Luftwaffeninstandhaltungsregiments, das jetzt von Diepholz nach Brandenburg
verlegt werden soll? Im Diepholzer Kreisblatt vom
3. November heißt es:
Seine Empfehlung aus fachlicher, einsatz- und führungstechnischer Sicht habe den Erhalt der Fähigkeiten des Luftwaffen-Instandhaltungsregiments 2
mit seinem Stab und der Hubschrauberwerft am
Standort Diepholz vorgesehen, betonte Lüth: „Bis
Mittwoch, 26. Oktober 2011, war der Standort
Diepholz in der logistischen Planung eine feste
Größe. Dies macht für mich auch die fehlerbehaftete Ausgabe des Stationierungskonzeptes deutlich.“
Die Beschäftigten des Standortes - auch er … fühlten sich gegenwärtig „verkauft und verraten“,
da es keine Vorabinformationen und keine Hinweise gegeben habe, sagte Oberst Lüth gestern
Abend in der öffentlichen Sondersitzung des Rates.
Wie bewerten Sie die sehr deutlichen Aussagen eines
höherrangigen Bundeswehroffiziers?
Zum Ersten bewerte ich die Aussage, die bei der Sondersitzung des Rates gefallen ist. Ich weiß nicht, wann
das war; ich vermute, einen Tag oder zwei Tage nach Bekanntgabe der Entscheidung.
({0})
- Am 2. November, also einige Tage danach. - Sie ist
mit Blick auf die Aufregung, die Echauffage nachvollziehbar. Dafür habe ich jedes Verständnis.
Zum Inhalt allerdings muss ich bei allem Respekt vor
Herrn Oberst sagen: Er ist nicht einmal Teil derer, die die
Vorlage für die Entscheidung gemacht haben. Er spricht
das Problem an, dass die Sichtweise, die er aus seinem
teilstreitkräftigen Teil hat, nicht identisch ist mit der
Sichtweise der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt sowie der politischen und militärischen Leitung,
deren Aufgabe es ist, die Dinge gegeneinander- bzw.
übereinanderzulegen. Insoweit habe ich Verständnis. Inhaltlich hat er nicht recht.
Ihre zweite Nachfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir mitteilen, in welcher Höhe in den letzten Jahren Investitionen am Bundeswehrstandort Diepholz getätigt worden sind?
Herr Kollege, das kann ich leider nicht. Ich werde Ihnen das schriftlich nachreichen.
({0})
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Dr. Bartels.
Herr Staatssekretär, zur Vervollständigung der Korrekturen dieser Liste der Stationierungsentscheidungen,
die uns zugegangen ist, möchte ich auf den Standort
Plön hinweisen, der ausweislich dieser Liste - linke
Spalte - von 940 Dienstposten auf circa die Hälfte,
490 Dienstposten, reduziert wird.
Wenn man sich jedoch die Veränderungen bei den
Dienststellen genauer anschaut, sieht man: Alles bleibt
genau so, wie es ist.
Wenn man nachfragt, wie viele Dienstposten jetzt
vorhanden sind, erhält man als Antwort: Etwas mehr als
490. - Diese Anzahl reduziert sich natürlich etwas, da
auch die Bundeswehr insgesamt etwas kleiner wird.
Wie kommen solche Zahlen zustande? Woher kommen diese alten Zahlen?
Kollege, vielen Dank für diese Frage; denn jeder, der
die Zahlen vor sich liegen hat, muss sie bewerten.
In der Tat sind die linksspaltigen Zahlen die Sollzahlen der Bundeswehr. Sie gestatten, dass ich „StruckBundeswehr“ sage, da die letzte Reform diejenige von
Verteidigungsminister Struck war: 250 000 plus 2 500
Wehrübende.
Allerdings spiegeln viele Istzahlen nicht die wahre Situation wider. Der wichtigste Grund ist der, dass keine
Wehrpflichtigen mehr da sind. Deswegen findet in vielen
Bereichen auch keine Ausbildung in entsprechendem
Ausmaß mehr statt.
Daher sind die Rückgänge in den nächsten Jahren realiter weitaus geringer. Denn ein relativ großer Teil ist
vor allem durch die Entscheidung, die Wehrpflicht auszusetzen, bereits eingetreten.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Katja
Keul das Wort.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Schmidt, ich
möchte auf den Standort Diepholz zurückkommen. Sie
haben gerade gesagt, dass der Standortälteste in Diepholz nicht zu denen gehörte, die die Entscheidung zu
treffen hatten. Daher könne er eine andere Sichtweise
haben. Das mag so sein.
Ich erinnere mich aber daran, dass uns etwa vor einem
halben Jahr vom Ministerium und vom Minister persönlich angekündigt wurde, er werde über die zukünftige
Struktur bis zum 26. Oktober entscheiden. Aber selbstverständlich sollten auch die Basis vor Ort und das
Fachwissen der entsprechenden Kommandeure und
Standortältesten einbezogen werden. Eine solche Basisbeteiligung freut uns immer besonders.
Aber wie kann es sein, dass an dieser Stelle gerade
diejenigen, die dort Vorschläge und Vorlagen gemacht
haben, am Ende davon so überrascht sind, dass ihre Vorlagen offensichtlich kein Gehör gefunden haben?
Frau Kollegin, das lässt sich bei solchen Entscheidungen leider nie ausschließen.
Noch viel „schlimmer“ ist - ich bitte, das nicht wertend zu sehen -, dass Fachleute, auch militärische Fachleute, mit jeweils gleicher Expertise zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Ich habe hohen Respekt vor
allen Kommandeuren, auch vor dem Diepholzer Standortältesten. Er hat sicherlich nach bestem Wissen und
Gewissen seine Vorschläge gemacht.
Gehen Sie bitte davon aus, dass es übergelagerte andere Überlegungen gegeben hat, die die guten Argumente dann nicht zum Zuge haben kommen lassen.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Sebastian Edathy
auf:
Wann und durch wen werden Entscheidungen über die
weitere Nutzung des Standortes Diepholz sowie über belastbare Dienstpostenzahlen getroffen und mitgeteilt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Entscheidungen sind im Rahmen der Stationierungsklausur am 25. Oktober in Berlin getroffen worden.
Die Druckfassung und die Onlinefassung der Stationierungsbroschüre wurden inzwischen der Entscheidung
des Bundesministers zum Standort Diepholz angepasst.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, jetzt muss ich doch Ihre Mitarbeiter rügen, was ich vorhin vermieden habe. Ich habe nicht
gefragt, wann die Entscheidungen getroffen wurden,
sondern wann mit konkreten Entscheidungen bezüglich
der künftigen Dienstpostenzahlen zu rechnen ist. Ich will
begründen, warum ich diese Frage gestellt habe, nicht
bezogen auf die Vergangenheit, sondern ausweislich des
Wortlautes meiner Frage bezogen auf die Zukunft.
Sie hatten den Kollegen hier im Bundestag Ende Oktober bezüglich des Standortes Diepholz eine Übersicht
zugeleitet - fälschlicherweise, wie sich herausgestellt
hat -, nach der es bis dato 1 020 Dienstposten gibt und
künftig 530 Dienstposten geben soll. Mitte der vorletzten Woche hat sich Ihr Haus korrigieren müssen. Es
wurde darauf hingewiesen, dass es 120 Dienstposten
gibt.
Jetzt entnehme ich der Lokalpresse aus dem Diepholzer Kreis folgende Aussage, zu der ich Sie bitte, Stellung
zu nehmen, weil das auch für die Region interessant ist.
Es handelt sich um eine Aussage, die im Bremer WeserKurier am 29. Oktober veröffentlicht wurde. Ein Sprecher der Stadt Diepholz wird folgendermaßen wiedergegeben - Zitat -:
Im Materiallager sind niemals 200 Menschen
- oder 120 beschäftigt, höchstens 40 bis 50 - und davon die
meisten zivil.
Laut Sprecher bleiben insgesamt vielleicht 10 bis 15 Soldaten in Diepholz.
Es gab also nicht 120 Beschäftigte, sondern 50 Beschäftigte. Das sorgt natürlich für zusätzliche Irritationen. Selbst wenn der Standort weiterhin 120 Dienstposten behalten sollte, würde das bedeuten, dass die Zahl
der Dienstposten um 90 Prozent gekürzt wird, Herr
Staatssekretär, was die Zukunftsfähigkeit des Standorts
prinzipiell infrage stellen würde.
Herr Kollege Edathy, die Bundesregierung nimmt
grundsätzlich zu Presseartikeln, in welchen Magazinen
oder Zeitungen auch immer, keine Stellung.
({0})
- Der Oberst hat sich ja auch in seiner dienstlichen
Funktion geäußert.
Ich möchte übrigens darauf hinweisen, dass ich Ihre
Frage falsch verstanden habe. Die Mitarbeiter haben das
bestens vorbereitet.
120 oder 50 Dienstposten?
Ich kann Ihnen das nicht sagen.
Kollege Edathy, ist das jetzt schon Ihre zweite Nachfrage?
Ja, das ist die zweite Nachfrage. Bei der ersten Nachfrage habe ich meine Frage wiederholt, weil sie nicht beantwortet wurde.
Ich empfehle, dass wir uns nicht in eine Diskussion
über etwas hineinbegeben, was sich nach der Feinausplanung vielleicht etwas anders darstellt. Wem ist damit
gedient? Gedient ist damit, dass zeitnah Klarheit geschaffen wird. Die Umzugsplanung für den Standort
Diepholz wird im ersten Quartal des Jahres 2012 vorgelegt werden können. Auch die Frage der Konversion, die
sich stellen mag, wird dann zu diskutieren sein, wenn gewünscht, auch schon in Gesprächen vorher.
Seitens des Verteidigungsministeriums sind wir jetzt
dafür zuständig, dass wir aus Fürsorgepflicht den Mitarbeitern gegenüber, aber auch zur Erhaltung der militärischen Einsatzfähigkeit die Umzugsplanung und den zeitlichen Ablauf festlegen. Wenn es gestattet ist, würde ich
all diejenigen, die mit Zahlen vor und zurück hantieren
und diese bewerten, bitten, das einzustellen. Das gebietet
der Respekt gegenüber den Mitarbeitern.
({0})
- Sie haben sie aus einer Zeitung zitiert. Das sind nicht
Ihre Zahlen.
({1})
Ich nehme an, dass der Dialog bzw. die Beantwortung
der Fragen beendet ist, da sich der Kollege Edathy hingesetzt hat, Herr Staatssekretär.
({0})
Ich kann die Zahlen nicht auf Punkt und Komma genau sagen. Das wäre unehrlich, weil sich alles erst in der
Planung befindet. Das sind die Sollzahlen. Sie haben
eben einen Vergleich zitiert, der mit Soll und Ist zu tun
hat. Ich sehe mich nicht in der Lage, dazu etwas zu sagen, auch nicht im Hinblick darauf, was in den nächsten
Jahren passieren wird. Ich denke, wir sollten erst einmal
sauber analysieren und alles einbeziehen, dann planen
und es dann vorstellen. Ich sage zu, dass das sobald wie
möglich für Diepholz und andere Standorte stattfinden
wird.
Die Fragen 11 und 12 des Kollegen Heinz Paula werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Karin Evers-Meyer
aus der SPD-Fraktion auf:
Wie wird sich die Anzahl militärischer und ziviler Dienstposten im Jagdgeschwader Wittmund bis 2020 verändern, und
mit welchem Zuwachs ist für die Zeit danach zu rechnen,
wenn Wittmund zu einem vollwertigen Eurofighter-Geschwader aufwachsen soll, wie es die Bundesregierung in der vorigen Woche verkündet hat?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank. - Frau Kollegin Evers-Meyer, das Jagdgeschwader 71 „Richthofen“ am Standort Wittmund
umfasst circa 1 080 militärische und circa 260 zivile
Dienstposten. Im Hinblick auf die Diskussion im Zusammenhang mit der zuvor behandelten Frage sage ich
ausdrücklich: Das ist das Soll. Ich weiß nicht, wie die
Antrittsstärke aktuell aussieht.
Mit Außerdienststellung des Waffensystems F-4
Phantom im Jahr 2013 - JG 71 fliegt die Phantom - ist
die Übernahme der Dauereinsatzaufgabe der NATOAlarmrotte im Norden Deutschlands mit dem Waffensystem Eurofighter am Standort Wittmund vorgesehen.
Zum Betrieb der dafür im mittelfristigen Ausbau vorgesehenen 20 Luftfahrzeuge Eurofighter am Standort Wittmund ist nach derzeitigem Planungsstand luftwaffenseitig ein Organisationselement mit einem Bedarf von
circa 550 militärischen und circa 100 zivilen Dienstposten erforderlich. Der Betrieb eines vollwertigen
Geschwaders in Wittmund mit dem Waffensystem Eurofighter würde einen Dienstpostenbedarf in der Größenordnung von rund 900 Dienstposten bedingen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. - Sie verzichten?
({0})
- Das funktioniert so nicht. Er muss sich melden.
Herr Bartels, Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Herr Staatssekretär, in den den Stationierungsentscheidungen vorausgehenden Strukturentscheidungen für
die künftige Bundeswehr ist die Luftwaffenstruktur so
festgelegt worden, dass sie drei mehrrollenfähige Eurofighter-Geschwader enthält. So steht es in den uns vorliegenden Unterlagen. Wie wird das weitere halbe Geschwader, das es jetzt geben soll, strukturell abgebildet?
Sie haben einen Dienstpostenumfang genannt. Wird das
einem anderen Geschwader weggenommen, oder ist das
zusätzlich? Wie sieht die neue Luftwaffenstruktur aus?
Es ist geplant, die 140 Eurofighter der Luftwaffe, die
die Planungsgrundlage darstellen, in drei Einsatzverbänden an vier Standorten im Inland und in einem waffensystemübergreifenden fliegerischen Ausbildungszentrum an einem Standort im Ausland zu betreiben. Es ist
geplant, dass am Standort Wittmund nach Ende des
Flugbetriebs mit Phantom die Dauereinsatzaufgabe der
Alarmrotte übernommen wird. Deswegen gibt es in
Wittmund nach bisheriger Planung eine abgesetzte
Gruppe von 20 Eurofightern.
({0})
Das funktioniert nicht. Sie haben nur eine Nachfragemöglichkeit. Wir befassen uns zwar gerade mit der
Reform der Fragestunde, die Übertragung von Nachfragemöglichkeiten ist bisher aber nicht vorgesehen. Diesbezüglich müssten Sie sich entweder an Ihre Obleute im
Geschäftsordnungsausschuss oder an Ihre Parlamentarischen Geschäftsführer wenden.
Ich rufe die Frage 14 der Kollegin Evers-Meyer auf:
Wie vereinbart die Bundesregierung die Einplanung Wittmunds als vollwertiges viertes Eurofighter-Geschwader mit
Überlegungen innerhalb der Luftwaffe, die Stückzahl der Eurofighter langfristig auf 124 zu senken?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Seitens des Führungsstabes der Luftwaffe gibt es
keine mir bekannten Überlegungen, die Anzahl der Eurofighter langfristig auf 124 abzusenken.
Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Welchem Geschwader werden die 20 Eurofighter zugeordnet?
Ich bitte, die Antwort auf diese Frage schriftlich nachreichen zu können. Ich weiß das schlicht nicht. Ich weiß
nur, dass das Flugzeuge sind, die fliegen. Wohin sie gehören, das weiß ich nicht.
Gut. Wir halten fest, dass die Antwort schriftlich
nachgereicht wird.
Sie verzichten auf eine zweite Nachfrage?
Ja.
Habe ich eine weitere Wortmeldung zu dieser Frage
übersehen? - Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Dr. Hans-Peter
Bartels von der SPD-Fraktion auf:
Wer soll nach der im Rahmen der Bundeswehrstationierungsentscheidungen geplanten Auflösung der Marineoperationszentrale in Glücksburg künftig deren Aufgaben übernehmen und an welchem Standort?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, das Flottenkommando in Glücksburg
einschließlich des dort integrierten maritimen Operationszentrums und das Marineamt in Rostock werden
aufgelöst. Die Aufgaben der beiden höheren Kommandobehörden werden einem neu aufzustellenden Marinekommando in Rostock übertragen. Das maritime
Operationszentrum ist daher dem Marinekommando direkt zuzuordnen und wird am künftigen Standort in
Rostock zielstationiert. Bis zur Bereitstellung der erforderlichen Infrastruktur wird das maritime Operationszentrum in Glücksburg im Übergang weiter betrieben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Wie viele Dienstposten am Standort Glücksburg sind
davon betroffen, also wie viele werden für wie lange
dort bleiben? Mit welchem Investitionsaufwand rechnen
Sie für Rostock, um das, was es in Glücksburg schon
gibt, dort neu zu bauen?
Ich bitte, die Zahlen schriftlich nachreichen zu dürfen, weil die genaue Zahl der betroffenen Dienstposten
und der Zeitplan der Verlagerung noch nicht bekannt
sind bzw. mir nicht präsent sind. Der Zeitpunkt der Verlagerung steht noch nicht fest. Er wird jetzt in der Ausführungsplanung festzulegen sein. Dabei wird sicherlich
auf ein möglichst kostenschonendes und auch mitarbeiterschonendes Verfahren und darauf zu achten sein, dass
es eine Übergangszeit geben wird.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Vielen Dank. - Es war ja eigentlich auch das Ziel der
Reform, Herr Staatssekretär, dass dadurch Geld gespart
wird. Der Marineinspekteur hat sich offensichtlich korrigieren müssen und eine eigene Presseerklärung herausgegeben, nachdem es Presseberichte über Äußerungen
von ihm gegeben hatte, in denen stand, dass er gesagt
habe: Für eine unbestimmte Übergangszeit werde es
- genau dies haben Sie gerade gesagt - dieses Maritime
Operations Center in Glücksburg weiter geben müssen,
weil dort die Infrastruktur ist, auch wenn der Stab sich
inzwischen in Rostock befindet. Warum musste er sich
korrigieren? Das war doch richtig.
Die Entscheidungen, die der Minister getroffen hat,
sind auf der Basis von Vorlagen getroffen worden. Diese
Entscheidungen wurden durch die politische und militärische Leitung des Hauses im engeren Kreis getroffen. In
diesem Zusammenhang hat der Inspekteur der Marine
seine Überlegungen dargelegt, denen auch gefolgt worden ist.
Wir wissen - ich denke, Sie wissen es besser als ich durch die Besuche in Glücksburg, dass sich dort seit den
80er-Jahren hochwertige Nutz- und Ausrüstungsgegenstände befinden. Man muss tatsächlich gut überlegen,
wie unter dem Gesichtspunkt der Einsatzfähigkeit und
der Sparsamkeit eine Verlagerung stattfinden kann.
Diese Überlegungen beinhalten übrigens auch die Frage,
ob das Zentrum, das in Glücksburg in hervorragender
Weise mit seinen Schutzvorrichtungen in den 80er-Jahren gebaut worden ist, in dieser Form woanders entstehen sollte oder müsste. Es gibt Hinweise, dass dies nicht
der Fall ist.
Wir kommen zur Frage 16 des Kollegen Dr. HansPeter Bartels:
Welche Infrastrukturmaßnahmen sind im Marinearsenalbetrieb Wilhelmshaven erforderlich, um die in der Ostsee stationierten Marineeinheiten qualitativ so zu betreuen, wie es
zurzeit durch den Marinearsenalbetrieb Kiel geschieht, und in
welcher Höhe entstehen zusätzliche Kosten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Danke. - Durch die Beibehaltung der Sonderinfrastruktur der Werkstatt in Kiel sind absehbar keine zuParl. Staatssekretär Christian Schmidt
sätzlichen Infrastrukturmaßnahmen in Wilhelmshaven
als Folge der Betriebsaufgabe in Kiel erforderlich. Einmalige Kosten entstehen nur im Rahmen des Transports
und Aufbaus von Ausstattungen, die vom Arsenalbetrieb
Kiel zum Arsenalbetrieb Wilhelmshaven zu verbringen
sind. Die weiterhin im Ostseebereich verbleibenden Marineeinheiten können in der schon vorhandenen Infrastruktur des Arsenalbetriebs in Wilhelmshaven mit instand gesetzt werden.
Ihre erste Nachfrage. Bitte.
Vom Arsenalbetrieb Kiel aus werden ja alle Boote
und Schiffe, die in der Ostsee stationiert sind, und alle
Landanlagen - es sind etwa 60 - der Marine im Ostseeraum infrastrukturell betreut, also instand gesetzt. Das
alles wird dann von Wilhelmshaven aus geschehen. Gehen Sie davon aus, dass dies mit dem Personal, das jetzt
in Wilhelmshaven ist, passieren wird und dass es genauso schnell und genauso kostengünstig erfolgen wird,
wie es derzeit aufgrund der Struktur, dass es einen Arsenalbetrieb für die Nordsee und einen Arsenalbetrieb
für die Ostsee gibt, der Fall ist? Wird es also keine Einschränkungen geben?
Herr Kollege, die Entscheidung reflektiert natürlich
auch die Reduzierung des Umfangs der Marine, die sich
seit längerer Zeit in einem Umstrukturierungsprozess befunden hat. In der Ostsee sind stationiert: zehn Minenjagdboote, sechs U-Boote der Klasse 212 und die Korvetten, deren Hauptbauabschnitte, was die technischen
Systemkomponenten betrifft, den Fregattenklassen 123
und 124 ähnlich sind, sodass diese effizient und mit
Rückgriff auf bereits vorhandene Werkstätten in Wilhelmshaven betreut werden können. Der eigene Arsenalbetrieb in Kiel ist damit nicht mehr auszulasten.
Wie Sie wissen, haben wir am jetzigen Standort des
Arsenalbetriebes Kiel mit der WTD 71 eine Dienststelle,
die verbleibt; dies gilt darüber hinaus wohl auch für einige andere von mir jetzt nicht näher zu benennende
Dienststellen. Sowohl im Hinblick auf das Liegenschaftskonzept als auch hinsichtlich des Umgangs mit
den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss
die Frage, inwieweit Verlagerungen notwendig sind und
inwieweit es im sozialen Bereich, auch bezüglich des
Tarifvertrages, den es in diesem Bereich gibt, zu entsprechenden Maßnahmen kommen wird, noch beantwortet
werden. Es ist derzeit nicht abzusehen, in welchem Umfang dies der Fall sein wird.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ist die Schließung eines Arsenalbetriebs aus Ihrer
Sicht ein Beitrag zur Kostensenkung in der Bundeswehr? Wird dadurch Geld gespart? Wird die Arbeit von
Kollegen in Wilhelmshaven, die bisher all die Schiffe,
die in Wilhelmshaven waren, weiter betreuen - da reduziert sich nichts -, dann zusätzlich erledigt, oder wird es
mehr Privatisierungen geben, was zusätzliches Geld, das
vermutlich auch aus dem Bundeshaushalt bereitzustellen
ist, kosten wird?
Vielen Dank. - Was die Auslastung betrifft, wissen
Sie, dass die Fregatte 122, wenn sie ausläuft, in Kiel betreut wird
({0})
und insofern keinen weiteren Ersatz findet.
Zur Frage, ob es Privatisierungen geben wird. Aus der
Grundsatzentscheidung, den Marinearsenalbetrieb beizubehalten, dürfen Sie schließen, dass nicht daran gedacht ist - andere Teilstreitkräfte sind andere Wege
gegangen; ich denke an das Heer und die Heeresinstandsetzungslogistik -, dies in einen privaten Bereich zu
überführen. Vielmehr wurde die Grundsatzentscheidung
getroffen, den Marinearsenalbetrieb auch nach der Zusammenführung in der gleichen rechtlichen Struktur wie
bisher zu belassen.
Die Frage 17 des Kollegen Tom Koenigs wird schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Sönke Rix auf:
Hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend Kenntnis darüber, wie gut die Ämter und andere
öffentliche Stellen bezüglich der Leistungen, die Bundesfreiwilligendienstleistende beziehen können - beispielsweise
Wohngeld, Kindergeld, Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch usw. -, informiert sind und diese korrekt an
die Anfragenden weitergeben, und, wenn ja, wie ist der
Kenntnisstand des Bundesministeriums?
Herr Abgeordneter Rix, Sie wissen, dass der Bund,
die Bundesregierung und die Bundesbehörden keine unmittelbare Kontrollfunktion gegenüber Landesbehörden
und Kommunalbehörden haben. Wir haben auch keine
Hinweise darauf, dass dort in größerem Umfang falsch
bzw. nicht korrekt entschieden worden ist. In einzelnen
Fällen, in denen es entsprechende Hinweise gegeben hat,
gehen wir ihnen natürlich nach.
Ich will diese Gelegenheit nutzen, den Behörden der
Länder und der kommunalen Ebene ausdrücklich und
ganz herzlich zu danken. Es ist für sie ein großer Aufwand gewesen, die jeweiligen Regelungen - zum Wohngeld, zum Kindergeld, zu den Leistungen nach SGB II;
auch die Agentur für Arbeit ist also teilweise betroffen anzuwenden. Dass 22 000 Verträge mit Bezug auf den
Bundesfreiwilligendienst abgeschlossen wurden, ist eine
große Leistung gewesen. Wir können nicht feststellen,
dass es dort in größerem Umfang Fehler oder Fehlinformationen gegeben hat.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wenn es vielleicht
auch nicht in einem ganz großen Maße zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist: Wie wollen Sie sicherstellen,
dass die Behörden oder zumindest diejenigen, die einen
Freiwilligendienst leisten, über diese Informationen verfügen? Zumindest denen muss man ja deutlich zur
Kenntnis bringen, welche Leistungsansprüche sie haben,
die sie dann auch bei den jeweiligen Behörden erheben
können.
Wenn es Einzelfälle gibt, in denen Behördenmitarbeiter nicht Bescheid gewusst haben, obwohl sie hätten Bescheid wissen müssen, weil sie für diese Regelung zuständig sind, gehen wir diesen durchaus nach, aber
insgesamt ist die Information vorhanden.
Es hat eine Zeit lang Unklarheiten wegen des Kindergeldes gegeben. Das ist aber eindeutig geklärt. Dazu hat
es bereits im Juni eine klare Regelung bzw. Ansage gegeben. Das ist vielleicht nicht bis zu jedem einzelnen
Mitarbeiter vorgedrungen, das kann sein, aber ich bin
mir sicher, dass sich das einspielen wird, weil die Entwicklung absolut positiv ist. Von daher habe ich nicht
die Sorge, dass da weiter größere Probleme bestehen
werden.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Also gibt es keine wirkliche Aktion, darüber aufzuklären. - Meine zweite Frage ist: Wird über die Regelung hinsichtlich des Kindergeldes, die ja wohl rückwirkend in Kraft treten soll, eindeutig aufgeklärt?
Es gibt eine eindeutige Aufklärung, ja.
Wir kommen zur Frage 19 des Kollegen Sönke Rix:
Wie ist der Sachstand bezüglich der Ausgestaltung des
Seminarangebots für Bundesfreiwilligendienstleistende über
27 Jahre?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wir können feststellen, dass ein beträchtlicher Teil
der über 27-Jährigen diesen Bundesfreiwilligendienst
absolviert. Wir sind hier mit den Trägern, den Einsatzstellen und den Freiwilligen dabei, Schritt für Schritt pädagogische Konzepte zu entwickeln und sie auch in der
Praxis auszuprobieren. Es hat einen ausdrücklichen Hinweis gegeben, auch an die Einsatzstellen, dass einzelne
Elemente erprobt werden sollen. Wir wollen sie zusammenführen, um dann Hinweise zu geben, wie ein solches
Angebot auf Dauer insgesamt aussehen soll.
Die über 27-Jährigen können auch die regulären Angebote der Bildungszentren wahrnehmen. Ich glaube,
dass wir so am ehesten zu einem realitätsnahen Konzept
kommen - auch für die älteren Freiwilligen. Hier sind
wir auf einem guten Wege. Einzelne Bildungsveranstaltungen - auch Tagesveranstaltungen - haben stattgefunden, die speziell auf diese Zielgruppe zugeschnitten waren. Wir müssen ja zunächst einmal herausbekommen,
welche Menschen diesen Dienst erfüllen, welche Voraussetzungen sie mitbringen und welche Hilfen sie
brauchen, um ihre Arbeit möglichst gut erledigen zu
können. Wir sind dabei, das zu entwickeln.
Sie haben Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Rix.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Gibt es eine Zeitschiene? Wann sollen diese Projekte abgeschlossen sein,
ab wann sollen Konzepte vorliegen?
Ich würde es so sagen: Wir müssen das erst einmal
zwei, drei, vier Monate lang entwickeln, und dann werden wir irgendwann Bilanz ziehen. Dann wird man auch
ein Gesamtkonzept vorlegen können.
Vielen herzlichen Dank.
Die Fragen 20 und 21 der Kollegin Caren Marks werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Stefan
Schwartze von der Fraktion der Sozialdemokraten auf:
Was ist unter der Aussage in der Pressemitteilung zur
Übergabe des Achten Familienberichts am 28. Oktober 2011
zu verstehen, wonach „vorhandene Reserven bei der Verwendung von Zeit auf eine sozialverträgliche Weise nutzbar gemacht werden“ sollen, und welche entsprechenden Maßnahmen schlägt die Bundesregierung vor?
Bitte schön, Herr Staatssekretär, zur Beantwortung.
Die Bundesministerin, Frau Dr. Schröder, hat im Juli
2010 eine unabhängige Kommission aus Wissenschaftlern damit beauftragt, diesen Bericht vorzulegen. Er ist
vorgelegt worden und enthält Eckpunkte dafür, wie es
Familien erleichtert werden kann, auch unter veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen Zeit für familiäre
Verantwortung zu finden. Diese Eckpunkte sind auch
veröffentlicht worden.
Wie bei allen Berichten ist auch hier vorgesehen, dass
die Bundesregierung nach der Übergabe des Sachverständigenberichts eine Stellungnahme dazu erarbeitet, in
der sie konkret Position bezieht. Diese Stellungnahme
wird gegenwärtig innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Anfang 2012 wird dem Deutschen Bundestag
dann der vollständige Achte Familienbericht vorgelegt.
Dann ist er tatsächlich öffentlich. Wie gesagt: Einige
Eckpunkte sind bereits veröffentlicht worden, damit Sie
ungefähr die Richtung kennen, in die es geht, aber der
gesamte Familienbericht ist derjenige, der die Stellungnahme der Bundesregierung enthält.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Können Sie genau
angeben, wann wir mit der Stellungnahme des Familienministeriums rechnen können?
Anfang nächsten Jahres.
Anfang nächsten Jahres.
Ja.
Damit kommen wir, Herr Kollege Stefan Schwartze,
zu Ihrer Frage 23:
Welche zielführenden Lösungen schlägt die Bundesregierung in Bezug auf familienunterstützende Dienstleistungen
vor, wenn sie von zu klärenden „Informations- und Kostenfragen“ spricht ({0}), und welche entsprechenden Gesetzesinitiativen sind in Planung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär, zur Beantwortung.
Frage 23 bezieht sich ebenfalls auf den Familienbericht. Hier gilt das Gleiche wie das, was ich eben gesagt
habe: Die Bundesregierung wird dazu eine abgestimmte
Stellungnahme vorlegen. Diese ist dann zusammen mit
dem Sachverständigenbericht der Achte Familienbericht. Er wird Anfang des nächsten Jahres vorgelegt. Zu
Einzelheiten kann ich logischerweise jetzt noch nichts
sagen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Stefan Schwartze.
Wir durften in dieser Woche die Stellungnahmen zum
Ausbau der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen
verfolgen und haben erfahren, dass die Quote im Westen
bei unter 20 Prozent liegt. Sie teilen sicherlich die Ansicht, dass das Angebot der Kinderbetreuung gerade für
junge Familien ganz wichtig ist.
Was unternimmt die Bundesregierung, um erst einmal
das 35-Prozent-Ziel zu erreichen, das damals vereinbart
wurde? Darüber hinaus gibt es sehr deutliche Aussagen
vom Städte- und Gemeindebund, dass die Nachfrage da,
wo das 35-Prozent-Ziel erreicht wurde, nicht gedeckt ist.
Welche Planungen hat die Bundesregierung in diesen
Fällen?
Sie wissen, dass damals die Vereinbarungen zwischen
Bund und Ländern getroffen worden sind, dass 4 Milliarden Euro vom Bund, 4 Milliarden von den Ländern
und 4 Milliarden Euro von den Kommunen bereitgestellt
werden. Wir haben auch Regelungen getroffen, wie Betriebskosten erstattet werden können. Das galt zunächst
für die Ausbauphase, dann später aber auch für die Zeit
nach Abschluss des Ausbaus.
Das Konzept steht nach wie vor. Es ist in der Tat so,
dass es Hinweise darauf gibt, dass eine Quote von
39 Prozent in Anspruch genommen werden könnte.
Diese Planungen der Jugendhilfe werden vor Ort entwickelt. Wir glauben aber, dass wir diesen Bedarf aufgrund
der demografischen Entwicklung mit diesem Geld im
Prinzip abdecken können. Wir haben eher das Problem,
dass wir Geldmittel zur Verfügung stellen und das eine
oder andere Bundesland, aus welchen Gründen auch immer - natürlich entstehen dabei auch Betriebskosten nicht schnell genug ausbaut.
Die Rechtsverpflichtung gibt es. Sie ist der Gesetzgeber eingegangen. Wir appellieren an die Länder. Wir haben Zahlen veröffentlicht, um Transparenz zu schaffen.
Wir erleben eine lebhafte Debatte zu diesem Thema. Das
ist gut. In den Bundesländern muss ein Ausgleich stattfinden, weil es Regionen gibt, in denen der Bedarf größer ist. Wir haben nie gesagt, dass bei der Betreuung
diese 35-Prozent-Quote erreicht werden muss, sondern
es sollen die Wünsche der Eltern berücksichtigt werden.
Dabei haben wir einen Durchschnittswert von 35 Prozent angenommen. Wenn dieser Bedarf beispielsweise in
Großstädten größer ist, dann ist die Landesebene dafür
zuständig, die Mittel so zu koordinieren, dass dort eine
höhere Quote erreicht wird. Das ist die Aufgabe der Jugendhilfeplanung. Auf diese hat der Bund praktisch keinen Einfluss.
Sie haben nun eine zweite Frage, Herr Kollege?
Habe ich Sie richtig verstanden, dass bei einem Mehrbedarf die Mittel allein von den Ländern und Kommunen aufzubringen sind?
Wir werden sehen, ob es noch einen Mehrbedarf gibt.
Es ist so, dass die Länder im gleichen Umfang Mittel
einsetzen müssen, wie sie der Bund nachweislich einsetzt. Wir veröffentlichen regelmäßig die Zahlen, welche
Mittel abgerufen werden. Es stehen weiterhin Gelder zur
Verfügung, die bis jetzt noch nicht abgerufen worden
sind. Es ist so - das war vertraglich als Möglichkeit vereinbart worden -, dass zunächst die Bundesgelder abgerufen und dann die Landesgelder eingesetzt werden können. Gleiches gilt für die Gelder der Kommunen. So war
es vereinbart worden. Die meisten Länder haben das so
gemacht. Das ist zunächst einmal so in Ordnung. Aber
diese Länder müssen in ihrem Haushalt jetzt dafür sorgen, dass 2012 und 2013 die Mittel zur Verfügung stehen, damit der Ausbau nicht stockt.
Hier gibt es einen Wettbewerb zwischen Ländern und
zwischen Kommunen. Es gibt Kommunen, die alle Voraussetzungen erfüllt haben. Andere Kommunen in ein
und demselben Bundesland sind davon weit entfernt.
Dort, wo die Entscheidungen gefallen sind, muss das
diskutiert werden.
Vielen herzlichen Dank. - Das war der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Hier steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Kollegin Ulrike Flach zur
Beantwortung zur Verfügung.
Wir kommen jetzt zur Frage 24 unserer Kollegin
Bärbel Bas:
Wie soll aus Sicht der Bundesregierung die Qualität ambulanter Diagnosen, unter anderem als Grundlage für den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich der gesetzlichen
Krankenversicherung, GKV, sichergestellt werden, und wie
will die Bundesregierung die regionale Entwicklung der Morbiditätsstruktur der Versicherten als Maßstab der Weiterentwicklung der ambulanten Gesamtvergütung etablieren, wenn
sie mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz die verbindliche
Anwendung der ambulanten Kodierrichtlinien als einziges
flächendeckendes und qualitätsgesichertes Instrument zur
Messung der Morbiditätsentwicklung außer Kraft setzt?
Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Präsident. Wenn Sie gestatten,
würde ich gerne die Fragen 24 und 25 gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 25 auf:
Welche alternativen qualitätsgesicherten Instrumente zur
Erhebung der Morbiditätsstruktur der Versicherten und deren
Veränderung sind der Bundesregierung bekannt, und wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen dieser Instrumente auf die Entwicklung der Honorare in der ambulanten
Versorgung und die Funktion des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs der GKV?
Der Entwurf des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes
sieht eine Aufhebung der Verpflichtung zur Vereinbarung ambulanter Kodierrichtlinien durch KBV und
GKV-Spitzenverband vor. Nach bisher geltendem Recht
sollten KBV und GKV-Spitzenverband verpflichtende
Vorgaben für die Angaben und Dokumentation der Behandlungsdiagnosen vereinbaren.
Die Daten über die Behandlungsdiagnosen sind unerlässlich für die jährlichen Verhandlungen über die Anpassung der Gesamtvergütungen an die regionale Veränderung von Morbidität und Demografie. Auch deshalb
ist eine richtige und vollständige Angabe der Behandlungsdiagnosen sowie der erbrachten Leistungen unerlässlich. Hierfür sind ambulante Kodierrichtlinien aber
nicht zwingend erforderlich.
Zunächst sind die Ärzte und die weiteren Heilberufe
bereits durch das Berufsrecht zur korrekten und vollständigen Angabe der Diagnose verpflichtet. Außerdem
kann und soll die ärztliche Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung wie bisher die Ärzte
und Psychotherapeuten durch Empfehlungen und Hinweise bei der Kodierung der Diagnosen unterstützen.
Schließlich enthält die amtliche deutsche Fassung der
Internationalen Klassifikation der Krankheiten bereits
eine Anleitung zur Verschlüsselung insbesondere im Abschnitt Zusatzinformationen. Diese Klassifikation einschließlich der Hinweise zur Angabe von Diagnosen
wird regelmäßig fortgeschrieben. Das Deutsche Institut
für Medizinische Dokumentation und Information gibt
diese Klassifikation im Auftrag des Bundesministeriums
heraus. Das Kuratorium für Fragen der Klassifikation im
Gesundheitswesen berät dabei.
Das Bundesversicherungsamt führt bereits für den
morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich eine Qualitätssicherung der RSA-relevanten Diagnosen durch.
Ambulante Diagnosen werden nur dann berücksichtigt,
wenn sie mit dem Qualifizierungsmerkmal G - das G
steht für „gesichert“ - versehen sind.
Darüber hinaus muss die Diagnose für diesen Versicherten in einem weiteren Quartal desselben Kalenderjahres dokumentiert oder durch eine relevante Arzneimittelverordnung bestätigt worden sein. Bei bestimmten
Diagnosen wird zusätzlich zu der Anforderung nach zwei
Diagnosen aus unterschiedlichen Quartalen eine Validierung über Arzneimittelverordnungen vorgenommen. Das
heißt, Versicherte werden nur dann einer Morbiditätsgruppe zugeordnet, wenn ihnen gleichzeitig ein dieser
Diagnose entsprechendes bestimmtes Arzneimittel verordnet worden ist. Das BVA kann zudem die Datenmeldungen der Krankenkassen insbesondere im Hinblick auf
die Meldung der Diagnosedaten und Arzneimittelkennzeichen überprüfen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Sie haben beide
Fragen zusammen beantwortet, sodass die Frau Kollegin
Vizepräsident Eduard Oswald
Bas jetzt entsprechende Zusatzfragen bzw. Nachfragen
stellen kann. - Bitte schön, Frau Kollegin Bas.
Danke, Frau Staatssekretärin. Ich habe in der Tat eine
Nachfrage. Sie wissen, dass wir im stationären Bereich
mit dem DRG-System eine Art Kodierrichtlinie im stationären Bereich eingerichtet haben. In diesem Zusammenhang frage ich die Bundesregierung: Wie wirkt es
sich aus, dass im Versorgungsstrukturgesetz eine sektorübergreifende Bedarfsplanung vorgesehen ist, wenn es
auf der einen Seite eine bundeseinheitliche Kodierrichtlinie im stationären Sektor gibt, wir das aber auf der anderen Seite im ambulanten Bereich nicht vorgeben? Warum halten Sie Kodierrichtlinien im Krankenhausbereich
für erforderlich, im ambulanten Bereich in der Form
aber nicht?
Sehr geehrte Kollegin Bas, ich habe bereits gesagt,
dass es nicht zwingend erforderlich ist, die Kodierrichtlinien einzusetzen. Wir erwarten von der ärztlichen
Selbstverwaltung, die sich in der Vergangenheit ausgesprochen skeptisch gegenüber den ambulanten Kodierrichtlinien geäußert hat, dass sie in eigener Initiative die
notwendigen Hinweise und Empfehlungen gibt und dazu
beiträgt, dass es zu einer ordnungsgemäßen Erfassung
kommt. Deswegen haben wir auch keine Bedenken im
Hinblick auf die zwei unterschiedlichen Sektoren.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Bas.
Ich möchte noch einmal nachfragen, wie es aus Sicht
der Bundesregierung ohne bundeseinheitliche Vorgaben
gehen soll. Dass die Ärzte das nicht gerne sehen, ist völlig klar. Aber ich finde, bundeseinheitliche Vorgaben
müssen sein. Denn es geht um einen Wettlauf: Wenn wir
mit dem Risikostrukturausgleich morbiditätsorientierte
Vergütungsanreize setzen, dann können wir das an der
Stelle nicht nur der Selbstverwaltung überlassen. Das ist
zumindest meine Auffassung. Deswegen frage ich noch
einmal, wie die Bundesregierung das regeln will. Will
sie sich nur auf die Selbstverwaltung verlassen? Oder
sind, weil es um Vergütungsanreize geht, bundeseinheitliche Regelungen nicht doch sinnvoll, damit es nicht zu
weiteren Verwerfungen zwischen stationärem und ambulantem Bereich kommt?
Sehr geehrte Kollegin Bas, wir wollen nicht nur auf
die Selbstverwaltung setzen, aber wir setzen natürlich
schon sehr stark auf die Selbstverwaltung. Aber es gibt
im bestehenden System, nämlich in der Klassifikation
der ICD-10 - das ist eine amtliche Klassifikation -, die
Möglichkeit, eine entsprechende Kodierung vorzunehmen. Die ambulanten Kodierrichtlinien, die wir jetzt außer Kraft gesetzt haben, waren im Prinzip nur eine Präzisierung. Wir haben ein Instrument, von dem wir glauben,
dass wir mit ihm die Qualitätsanforderungen entsprechend erfassen. Wir haben damit ein Instrument, welches dann die Durchschlagskraft hat. Beraten wird in
diesem Zusammenhang durch das Kuratorium für Fragen der Klassifikation im Gesundheitswesen, KKG, welches dazu beiträgt, dass die entsprechende Qualität hergestellt wird.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Das war die Beantwortung der Fragen unserer Kollegin Bärbel Bas. Damit ist dieser Geschäftsbereich beendet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Hier steht uns zur Beantwortung der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung.
Die Fragen 26 und 27 des Abgeordneten Stephan
Kühn werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen jetzt zur Frage 28 unseres Kollegen
Gustav Herzog:
Wie viele Mittel sind im Rahmen der KV-Förderung streitbefangen in erster gerichtlicher Instanz, und in welcher Höhe
stehen Mittel in zweiter Instanz der gerichtlichen Klärung
zwischen Hafenbetreibern und der Wasser- und Schifffahrtsdirektion zur Verfügung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die
Antwort ist wie folgt: Im Rahmen der KV-Förderung
betragen die streitbefangenen und von den Zuwendungsempfängern noch einzuzahlenden Mittel in erster
Instanz 5 429 826,18 Euro und in zweiter Instanz
4 280 996,86 Euro.
Herr Kollege Herzog, Sie haben jetzt Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Das sind schon
gewaltige Beträge. Deswegen fordere ich Sie auf, mir zu
erklären, wie Ihr Kollege Staatssekretär Ferlemann mir
zu der Problematik der Rückforderungen am 22. April
2010 mitteilen konnte: Diese konnte jedoch bereits Mitte
vergangenen Jahres in Gesprächen zwischen dem Bundesverband Öffentlicher Binnenhäfen, der WSD West
und dem BMVBS beseitigt werden. - Also, die Problematik ist beseitigt, und Sie sagen mir jetzt, dass es noch
streitbefangene Beträge in einer Größenordnung von fast
10 Millionen Euro gibt. Können Sie mir das erklären?
Herr Kollege Herzog, genau das ist das Thema. Wir
sind in einem laufenden Verfahren in erster und zweiter
Instanz. Sie wissen auch, dass das Ärgerliche an einem
juristischen Verfahren ist, dass es ausständig ist. Aber
wir versuchen, das Problem zu lösen. Dennoch gibt es
Grenzen und Regeln, die wir einhalten müssen. Kollege
Ferlemann hat Ihnen völlig zu Recht diese Antwort gegeben, weil wir uns anstrengen, diese knapp 10 Millionen Euro zu vereinnahmen.
Kollege Herzog, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Ich darf nur darauf hinweisen, dass Kollege
Ferlemann mitgeteilt hat: Die Problematik konnte in Gesprächen geklärt werden. - Er hat nicht mitgeteilt, dass
er vorhatte, das zu tun.
Jetzt aber meine Rückfrage: Sie haben mit Datum
vom 11. Oktober dieses Jahres in Ihrer Antwort auf
meine Frage mitgeteilt: Die derzeitig noch streitbefangenen Mittel betragen circa 0,3 Millionen Euro. - Heute
sprechen Sie von fast 10 Millionen Euro. Können Sie
mir das erklären?
Das ist so, weil es sich im Laufe des Verfahrens so angesammelt hat. Ich möchte noch einmal sagen: Wir legen Wert darauf, dass wir einige dieser Verfahren gehabt
haben. Kollege Ferlemann hat auf die Verfahren Bezug
genommen, die ohne Streit zu lösen waren. Die entsprechenden Zahlen sind jetzt ausständig. Daher werden wir
versuchen, das Geld zurückzufordern.
Vielen Dank. - Jetzt kommen wir zur Frage 29, ebenfalls unseres Kollegen Gustav Herzog:
Welche Verfahrensschritte sieht die Bundesregierung vor,
um das im 3. Bericht der Bundesregierung zur Reform der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes vorgesehene
Gebührensystem für die Schifffahrt umzusetzen, das das Vollkostenprinzip zum Ziel hat, bzw. nutzerfinanzierte geschlossene Finanzierungskreisläufe für die Schifffahrt umzusetzen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Frage beantworte ich wie folgt: Momentan wird
von der Bundesregierung unter Federführung des Bundesministeriums des Innern die Reform des Bundesgebührengesetzes durchgeführt und mit einer anschließend erforderlichen Rechtsbereinigung, das heißt einer
Anpassung des Gebührenfachrechts an die neue Rechtsgrundlage, versehen. Damit wird das Verwaltungskostengesetz abgelöst. Die Reform des Bundesgebührengesetzes ist bis spätestens Ende 2017 abzuschließen.
Neben der Schaffung von mehr Kostentransparenz
und Rechtssicherheit bei der Gebührenbemessung, klaren und verbindlichen Vorgaben für die Gebührenkalkulation sowie der stärkeren Ausrichtung der Kalkulation
auf betriebswirtschaftliche Grundsätze ist bei der Gebührenbemessung die Stärkung des Kostendeckungsprinzips ein zentraler Punkt. Zu weiteren Schritten hinsichtlich der Reform der WSV wird dem Parlament
ohnehin berichtet.
Herr Kollege Herzog, Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Sie haben gesagt,
bis 2017 soll diese Sache abgeschlossen werden. Kann
ich also Ihrer Antwort entnehmen, dass Ihrem Vorhaben,
zum Vollkostenprinzip zu kommen, in den nächsten Jahren keine finanziellen Möglichkeiten für den Bereich
Bundeswasserstraßen erwachsen?
Wir haben bei der Reform der WSV noch weitere
Verfahrensschritte und Arbeitsschritte zu vollziehen. Die
nächsten Berichte kommen ja. Als Fachpolitiker wissen
Sie, dass wir in den nächsten Wochen eine weitere Diskussion im Ausschuss führen. Das ist in diesem Gesamtkonzept natürlich Diskussionsgrundlage. Das werden
wir auch im Parlament immer offen und transparent darstellen.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Herzog.
Haben Sie, Herr Staatssekretär, angesichts dieser
Überlegungen auch vor, andere Nutzer der Bundeswasserstraßen heranzuziehen, wie zum Beispiel Unternehmen, die Wasser entnehmen, Kommunen, die ihre
Abwässer einleiten, Wassersportler, Stichwort Wassertourismus? Sollen sie ebenfalls in das Vollkostenprinzip
einbezogen werden?
Kollege Herzog, wie Sie wissen, sind wir gerade mit
dem Haushaltsausschuss in engen Abstimmungen und
Diskussionen, weil das die Grundanforderung an unser
Haus war. Die Fragen bleiben offen und werden erst
dann in den verschiedenen Fachausschüssen diskutiert,
wenn die nächsten Verfahrensschritte realisiert sind.
Vielen Dank. - Die Frage 30 der Abgeordneten Behm
wird schriftlich beantwortet. Daher verlassen wir den
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung.
Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
Vizepräsident Eduard Oswald
Wir kommen zur Frage 31, gestellt von unserer Kollegin Bärbel Höhn:
Wie erklärt die Bundesregierung den starken Verfall des
Preises für CO2-Zertifikate, und welche Mindereinnahmen ergeben sich dafür für den Bundeshaushalt sowie - ein Verharren des Preises unter einem Niveau von 10 Euro pro Tonne
CO2 vorausgesetzt - für die mittelfristige Finanzplanung des
Bundes?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Höhn, die Bundesregierung erstellt
selbst keine Analysen des Marktes für Emissionszertifikate. Marktteilnehmer sind sich jedoch einig, dass der
seit Juni 2011 zu beobachtende Rückgang des Zerfitikatspreises von 15 Euro auf 10 Euro unter anderem auf
die Eintrübung der Wirtschaftsaussichten in der EU zurückzuführen ist. Sollte der Zertifikatspreis auf dem derzeit sehr niedrigen Niveau verharren, was wir aber nicht
wissen, würde dies gegenüber den der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes zugrunde gelegten Annahmen
zu Mindereinnahmen beim Energie- und Klimafonds
von etwa einem Drittel führen.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Höhn.
Frau Staatssekretärin, Sie haben das eben benannt:
Mindereinnahmen von ungefähr einem Drittel, wenn der
Zertifikatspreis so gering bleibt. Wir gehen davon aus,
dass die Einnahmen vielleicht sogar um 40 Prozent zurückgehen. Welche Ideen haben Sie, um neue Einnahmen zu akquirieren? Wenn Sie diese neuen Einnahmen
nicht haben, was fällt diesen Mindereinnahmen dann eigentlich zum Opfer? Was kann also nicht finanziert werden, weil die Einnahmen fehlen?
Da wir nicht wissen, wie sich der Zertifikatspreis entwickelt, und wir davon ausgehen, dass es nicht zu den
von Ihnen befürchteten Einbrüchen kommt, konzentrieren wir uns jetzt auf die Planungen und Ausgestaltungen
mit den Mitteln, die wir einberechnet haben. Wie Sie
wissen, haben wir dabei einen Zertifikatspreis von
durchschnittlich 17 Euro zugrunde gelegt.
Zweite Nachfrage, Frau Kollegin Höhn.
Frau Staatssekretärin, der Bundesumweltminister hat
im Umweltausschuss gesagt, 20 Prozent CO2-Reduktion
in der EU vor der Wirtschaftskrise in 2008 seien das
Gleiche wie ungefähr 30 Prozent CO2-Reduktion in der
EU nach der Wirtschaftskrise in 2008.
Auch die EU hat jetzt festgestellt, dass viel zu viele
CO2-Zertifikate auf dem Markt sind. Daher will die EU
die Anzahl der Zertifikate um 500 bis 800 Millionen reduzieren. Wie steht die Bundesregierung zu dieser Reduzierung der Anzahl der Zertifikate, und setzt sie sich
weiterhin dafür ein, dass auch das Ziel von 30 Prozent
CO2-Reduktion jetzt endlich auf EU-Ebene übernommen wird?
Zum einen kann ich bekräftigen, dass der Bundesumweltminister bzw. das Bundesumweltministerium nach
wie vor für ein ambitionierteres Ziel auch innerhalb der
EU wirbt. Gleichwohl ist es gut und richtig, wenn die
EU auf großen internationalen Konferenzen mit einer
Stimme spricht. Es ist auch kein Geheimnis, dass nicht
jeder Mitgliedstaat gleichermaßen von unseren Anstrengungen überzeugt ist.
Zum anderen sprechen Sie einen Punkt an, den auch
wir als Ursache für fallende Zertifikatspreise sehen - das
Erste war auch in Ihrer Bewertung in Bezug auf die EUZiele implementiert -: Da international offenbar nicht
erwartet wird, dass es in Durban zu einem Durchbruch
kommen wird, ist man zurückhaltend, was die Erwartungen betrifft, ein internationales Abkommen zu schließen
und einen internationalen Zertifikatehandel auf den Weg
zu bringen. Einerseits führt dies zu Zurückhaltung, und
andererseits gibt es mehr Zertifikate auf dem Markt.
Wenn es auf dem Markt ein Überangebot gibt, dann sind
die Preise tief. Ich darf aber darauf hinweisen, dass es ab
2013 ein Cap gibt und dass wir dann auch zu einer deutlichen Absenkung der Anzahl der Zertifikate kommen.
Das wird zu einer Verknappung und dann hoffentlich
auch zu einer Erhöhung des CO2-Zertifikatspreises führen.
({0})
Die Chance besteht für Frau Kollegin Katja Keul, die
eine weitere Frage hat. Bitte schön.
Vielen Dank. - Gestern haben WWF und Germanwatch eine Studie vorgestellt, nach der zehn Unternehmen in der zweiten Emissionshandelsperiode zusammen
60 Millionen überschüssige Zertifikate mit einem Marktwert von 780 Millionen Euro zugeteilt bekamen. Können Sie das bestätigen?
Ich kann den Bericht nicht bestätigen. Das kann ich
nachreichen. Allerdings habe ich bereits bestätigt, dass
wir von der ersten Handelsperiode an zunächst eine
deutliche, dann aber eine abnehmende Überallokation
hatten. Die rot-grüne Bundesregierung hat als Erste Erfahrungen gesammelt, und dann hat die Große Koalition
den Zertifikate- bzw. Emissionshandel weiterentwickelt.
Wir sind in der Phase, ihn endlich zu europäisieren.
Es gab eine Lernkurve, und wir wissen - und das ist das
Ziel -, dass sich nur dann ein Markt entwickeln kann,
wenn es kein Überangebot gibt; denn sonst kommt es zu
solchen Preisverfällen.
Vielleicht ein Nachtrag: Im EKF-Gesetz besteht die
Möglichkeit, dass aus dem Bundeshaushalt Liquiditätsdarlehen begeben werden können, wenn es Liquiditätsengpässe gibt. Das nimmt der Kollegin Höhn vielleicht
die Angst, dass wir dramatische Einsparungen vornehmen müssen, die wir alle nicht wollen.
Vielen Dank. - Jetzt kommen wir zur Frage 32, ebenfalls unserer Kollegin Bärbel Höhn.
Hat die Bundesregierung vor Beschluss des beschleunigten Atomausstiegs geprüft, ob der Ausstieg mit Art. 10 des
Vertrages über die Energiecharta vom 17. Dezember 1994
vereinbar ist und ob er gegebenenfalls Entschädigungspflichten nach Art. 13 des Vertrages nach sich zieht, und, wenn ja,
zu welchem Ergebnis ist die Prüfung gekommen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung geht von einer Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelung zur Befristung der Berechtigung der Kernkraftwerke zum Leistungsbetrieb mit dem Grundgesetz sowie
europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen aus.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Bärbel Höhn.
Vattenfall hat ja - zumindest ist das in der Presse so
verlautet worden - schon angekündigt, die Bundesregierung wegen des Atomausstiegs vor dem Schiedsgericht
für Investitionsstreitigkeiten in Washington zu verklagen. Ist denn schon eine entsprechende Klageschrift eingegangen? Wie gehen Sie eigentlich mit dieser Klageandrohung um? Sie müssen sich doch ein bisschen
vorbereiten. Offensichtlich tun Sie nichts, oder? Also: Ist
die Klage eingegangen, und bereiten Sie sich darauf vor?
Eine Klageschrift geht nicht beim BMU ein. Es wird
ja nicht beim BMU geklagt, sondern, falls geklagt werden sollte, dann in Washington, wie Sie ja der Presse entnommen haben. Aber da ich Presseartikel nicht kommentiere und wir aus Washington keine Nachrichten
haben, kann ich dazu gar nichts sagen.
Frau Kollegin Bärbel Höhn, Ihre zweite Frage.
Habe ich Sie also richtig verstanden, dass Sie auf diesen Fall, der die Steuerzahler ja wirklich viel Geld kosten kann, nicht vorbereitet sind? Wir haben es ja gerade
erlebt, dass die Bundesregierung den Prozess um die
Netzentgelte verloren hat. Das wird die Bürgerinnen und
Bürger dieses Landes teuer zu stehen kommen. Sie werden einen deutlichen Anstieg der Energiepreise erleben.
Habe ich Sie also richtig verstanden, dass Sie die Frage
der Entschädigung von Vattenfall einfach mal so auf sich
zukommen lassen und bis heute noch keine Prüfung der
rechtlichen Fragen und der Möglichkeit einer Entschädigung eingeleitet haben?
Ich habe bereits gesagt, Frau Kollegin Höhn, dass wir
bei den Novellen zur Energiewende bezüglich des
Atomausstiegs nicht nur eine grundgesetzliche Prüfung
vorgenommen haben, sondern auch internationale und
völkerrechtlich bindende Vorgaben beachtet haben. Wir
gehen davon aus, dass die Novellen gültig sind und wir
nichts von dem, was Sie in Bezug auf Vattenfall dargestellt haben, befürchten müssen.
({0})
Vielen Dank. - Ich habe jetzt noch eine weitere Frage
unseres Kollegen Lenkert. Bitte schön, Kollege Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
Sie sagten, Sie haben die Regelungen im Hinblick auf
mögliche Entschädigungsforderungen zum Beispiel seitens Vattenfall abgeprüft. Wo und von wem sind diese
Prüfungen durchgeführt worden, und welchen Umfang
hatten diese Prüfungen?
Da wir keine Klageschrift kennen, können wir keine
entsprechenden Prüfungen vornehmen.
Vielen Dank. - Alle weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich werden schriftlich beantwortet. Es handelt sich um die Fragen 33 und 34 der Kollegin KottingUhl, die Frage 35 des Kollegen Krischer sowie die Fragen 36 und 37 des Kollegen Fell.
Alle Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung werden ebenfalls
schriftlich beantwortet. Es handelt sich um die Fragen 38
und 39 des Kollegen Hagemann sowie die Fragen 40 und
41 des Kollegen Gehring.
Vizepräsident Eduard Oswald
Auch die Frage 42 des Kollegen Ströbele zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes wird schriftlich beantwortet.
Somit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Hans-Joachim Otto zur Verfügung.
Die Fragen 43 und 44 der Kollegin Graf wie auch die
Frage 45 des Kollegen Krischer sowie die Fragen 46 und
47 der Kollegin Höger werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 48 unserer Kollegin
Katja Keul:
Wer hat die Lieferung von 72 Kampfjets durch das Eurofighter-Konsortium an Saudi-Arabien genehmigt, und inwiefern war die Bundesregierung hierbei eingebunden ({0})?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
({1})
- Eben war er noch da.
({2})
Ich habe ihn gerade noch gesehen. Deshalb habe ich die
Frage auch aufgerufen.
({3})
Ich schaue eben, welcher Geschäftsbereich als Nächstes an der Reihe ist.
({4})
Als Nächstes käme der Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen dran. Dessen Vertreter ist
momentan allerdings auch nicht anwesend.
({5})
Die vor diesem Geschäftsbereich vorgesehenen Fragen
zu den Geschäftsbereichen des Auswärtigen Amtes und
des Bundesministeriums des Innern sollen nämlich
schriftlich beantwortet werden.
({6})
Ich - ({7})
- Der Vertreter des Bundeskanzleramtes hat gerade
durch einen Zwischenruf erklärt, dass er dazu in der
Lage wäre, zu antworten. Wir wollen aber trotzdem beachten, dass das natürlich in den Zuständigkeitsbereich
des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie
fällt.
({8})
Mir wird gerade zugerufen, er kommt.
({9})
- Der Herr Staatssekretär wird sicher erklären können,
warum er kurzzeitig nicht am Platz war.
Es geht um die Frage 48 der Frau Kollegin Katja
Keul.
Herr Staatssekretär, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie
kurz erläutern könnten, warum Sie gerade nicht am Platz
waren; denn das hat hier allgemein zu Unruhe geführt.
({10})
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich war hier im
Hause bei einem Koalitionsgespräch über Energiepolitik.
({0})
Als ich vor einer Viertelstunde das Plenum verlassen
habe, waren wir bei Frage 28. Damit, dass ich so schnell
an der Reihe sein würde, habe ich nicht gerechnet.
({1})
Aber ich stehe jetzt gerne zur Verfügung, Frau Kollegin Keul, zur Beantwortung der Frage 48, in der es um
die Lieferung von 72 Kampfjets an Saudi-Arabien geht.
Dieser Lieferung liegt, wie Sie auch Presseberichten entnehmen konnten, ein Vertrag der britischen Regierung
mit der saudi-arabischen Regierung zugrunde. Die Auslieferung der Flugzeuge erfolgte nur von Großbritannien
aus. Dabei gilt das Exportkontrollrecht. Das heißt, die
Bundesregierung ist in das Exportvorhaben durch die
Genehmigung von Zulieferungen - und nur von Zulieferungen - deutscher Unternehmen zur Herstellung der
Flugzeuge in Großbritannien eingebunden.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Keul.
Verstehe ich Sie richtig, dass die Bundesregierung in
die Genehmigung von Exporten nach Saudi-Arabien in
keinster Weise eingebunden war, und ist die Bundesregierung mit diesem Zustand zufrieden?
Frau Kollegin Keul, der Sachverhalt ist folgender:
Die Eurofighter-Partnerländer - das sind die Länder
Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien - haben im Oktober 1986 ein Regierungsübereinkommen geschlossen, in dem genau festgelegt ist, was in solchen
Fällen zu passieren hat. Danach ist jedes Land verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Lieferung ermöglicht wird.
Wenn also ein Land die Zulieferungen nicht genehmigt,
dann muss es für eine alternative, funktionierende Bezugsquelle sorgen. Die Bundesregierung hat nach sorgfältiger Prüfung auf Grundlage von Ziffer II.4 der Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgütern keine Veranlassung gesehen,
Einwendungen gegen die Verwendung deutscher Zulieferungen für dieses Exportvorhaben geltend zu machen,
zumal, wie ich noch einmal betonen möchte, die Nichtlieferung von deutschen Zulieferkomponenten nicht
dazu geführt hätte, dass der Export gescheitert wäre;
vielmehr wären die Zulieferteile dann aus anderen Ländern gekommen.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Katja Keul.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Dann wüsste ich an
dieser Stelle gerne, ob die Bundesregierung zum Zeitpunkt der Zulieferungen von Deutschland schon wusste,
wohin das Endprodukt geliefert werden sollte. War also
bereits zum Zeitpunkt der deutschen Lieferungen klar,
dass die Eurofighter nach Saudi-Arabien geliefert werden würden?
Definitiv. Das war ein konkreter Auftrag, der erteilt
worden war - allerdings schon vor einigen Jahren. Dieser Auftrag ist ausgeführt worden. Der Bundesregierung
ist in einer solchen Situation - sie prüft das auch - natürlich bewusst, in welches Land ein Export erfolgt.
Vielen Dank. - Ich beabsichtige jetzt - das sage ich
für alle, die an den Bildschirmen sitzen -, die letzte
Frage für heute aufzurufen. Das ist die Frage 49, die
ebenfalls von der Frau Kollegin Katja Keul gestellt
wurde:
Inwiefern kann die Bundesregierung die vom Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Georg Adamowitsch, in
den Raum gestellte 80-prozentige Ablehnungsquote bei Anträgen bezüglich Kriegswaffen- und Rüstungsexporten ({0}) im Bundessicherheitsrat bestätigen,
bzw. welche anderen Zahlen hat sie, und wie viele Anträge
und Voranfragen - jährlich/monatlich - beziehen sich auf
diese Zahlen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, Sie wissen natürlich aus mehreren Fragerunden, die es in diesem Hause schon gab, dass der
Bundessicherheitsrat geheim tagt und dass deswegen die
Tagesordnungen und die Ergebnisse ebenso eingestuft
sind. Deshalb würde ich mich sogar strafbar machen,
wenn ich irgendwelche Erkenntnisse, die ich aus dem
Bundessicherheitsrat habe, hier preisgäbe.
In allgemeiner Form, also nicht konkret bezogen auf
die Behauptung von Herrn Adamowitsch, kann ich Ihnen sagen, dass die Bundesregierung jährlich im Rahmen des Rüstungsexportberichtes den Bundestag über
den jeweiligen Stand der Anträge informiert. Entsprechend dem zuletzt dem Bundestag vorgelegten Bericht
wurden im Jahr 2009 128 Anträge für die Genehmigung
von Rüstungsgüterausfuhren abgelehnt. Der Gesamtwert
der abgelehnten Anträge belief sich auf 62,6 Millionen
Euro. Dem steht aber - damit deute ich an, dass die Aussage von Herrn Adamowitsch wohl nicht ganz richtig ist ein Wert von insgesamt 5,043 Milliarden Euro für
16 826 erteilte Einzelausfuhrgenehmigungen gegenüber.
Auf der einen Seite wurden also rund 16 000 Genehmigungen, die Anträge in einem Wert von 5,043 Milliarden Euro umfassen, erteilt, und auf der anderen Seite
wurden 128 Anträge mit einem Wert von 62,6 Millionen
Euro abgelehnt. Das sind andere Zahlen als die von
Herrn Adamowitsch genannten. Allerdings weiß ich
nicht, ob er diese Aussage tatsächlich getätigt hat.
Frau Kollegin Katja Keul, Sie haben eine Nachfrage?
Ja. - Wenn ich nur die Zahlen in Erfahrung bringen
wollte, die ich auch im Rüstungsexportbericht finden
kann, dann hätte ich diese Frage hier sicherlich nicht
stellen müssen. Herr Adamowitsch hat sich speziell auf
die Genehmigungen im Bundessicherheitsrat bezogen.
Deswegen frage ich Sie: Wie kann es sein, dass Herr
Adamowitsch Zahlen über Anträge und Ablehnungen im
Bundessicherheitsrat hat, die wir als Parlamentarier
nicht haben und die Sie mir auch nicht mitteilen können?
Es könnte durchaus die Möglichkeit gegeben sein,
dass sich Herr Adamowitsch bei seiner Aussage geParl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
täuscht hat. Ich kann Ihnen jedenfalls nur die Zahlen
vortragen, die bis zum Jahr 2009 vorliegen. Denn der
Rüstungsexportbericht für das Jahr 2010 ist noch in der
Bearbeitung; er ist also noch nicht fertiggestellt. Welche
Zahlen darin enthalten sind, ist mir nicht bekannt. Ich
kann Ihnen aber sagen, dass auch im Jahr 2008 die Zahlen und die Quoten mit denen aus dem Jahre 2009 vergleichbar sind. Ich habe die Zahlen hier vorliegen; ich
könnte sie Ihnen vortragen. Daraus geht keinesfalls eine
Ablehnungsquote in Höhe von 80 Prozent hervor.
Sie wollen das Recht einer zweiten Nachfrage wahrnehmen. Bitte schön.
Danke sehr, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
können Sie mir denn die Frage beantworten, wie viele
der circa 2 000 rüstungsrelevanten Anträge, über die auf
ministerieller Ebene jedes Jahr entschieden wird, in den
Bundessicherheitsrat verwiesen werden?
Nein, diese Zahl kann ich Ihnen jetzt leider nicht präsentieren. Soweit das zulässig ist, werde ich sie Ihnen
selbstverständlich gerne nachreichen.
Es ist völlig eindeutig: Es gibt klare gesetzliche Vorschriften, welche Anträge in den Bundessicherheitsrat
verwiesen werden müssen. Es ist also nicht so, dass es
im Ermessen des Bundeswirtschaftsministeriums liegt,
über solche Anträge allein und ohne den Bundessicherheitsrat zu entscheiden. Es gibt ganz klare gesetzliche
Regelungen, wofür der Bundessicherheitsrat zuständig
ist und wofür nicht.
({0})
Vielen Dank. - Damit ist die Fragestunde beendet.
Bei den weiteren Fragen verfahren wir so, wie es in unserer Geschäftsordnung vorgesehen ist.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Nein zum Betreuungsgeld - Familien- und Bildungspolitik zukunftsfähig gestalten
Erster Redner in der Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. FrankWalter Steinmeier. Bitte schön, Kollege Frank-Walter
Steinmeier, Sie haben das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im Allgemeinen - das wissen Sie - gehöre ich
zu den eher gelassenen Menschen dieser Republik. Aber,
so befürchte ich, diese Regierung und auch diese Regierungsfraktionen bringen in den nächsten Minuten mein
Selbstbild in Gefahr. Ich kann jedenfalls nicht gelassen
bleiben, wenn ich sonntagabends vor dem Fernseher
sitze und mir anschaue, worüber sich diese Koalition angeblich einig ist. Das macht mich wieder und wieder fassungslos.
({0})
Da werden zum einen die wirklich wichtigen Themen
der Koalition umschifft. Die FDP muss zur Kenntnis
nehmen, dass über den Mindestlohn auf dem CDU-Bundesparteitag entschieden wird, nicht aber in der Koalition. Stattdessen werden dann Notfallkoffer gepackt. Da
sind Trostpflästerchen und Placebos drin. Für die siechende FDP gibt es eine kleine Vitaminspritze in Form
von Steuersenkungen, immerhin in der Größenordnung
von 6 Milliarden Euro, und für die CSU gibt es eine familienpolitische Beruhigungspille für 2 bis 3 Milliarden
Euro. So kauft man vielleicht ein paar Wochen Ruhe in
der Koalition, aber gesund wird diese Koalition dadurch
nicht. Das ist rausgeschmissenes Geld.
({1})
Das vorab.
Sie ahnen, dass ich mich heute nicht deshalb zu Wort
gemeldet habe; vielmehr habe ich ehrlich die Sorge, dass
wir in der Debatte um das Betreuungsgeld so tun, als sei
das eine der vielen familienpolitischen Debatten hier im
Hause, in der es die einen so sehen, die anderen es anders sehen und alles gangbare Wege sind. Meine Damen
und Herren, ich habe mich deshalb zu Wort gemeldet,
weil ich fest davon überzeugt bin, dass das, was wir
heute Nachmittag hier diskutieren, eine andere Qualität
hat. Was Sie mit dem Betreuungsgeld auf den Weg bringen wollen, ist finanzpolitisch, familienpolitisch, integrationspolitisch, frauenpolitisch und auch wirtschaftspolitisch Unsinn. Das ist eine verhängnisvoll falsche
Weichenstellung für die Zukunft.
({2})
Ich habe mich auch deshalb zu Wort gemeldet - das in
allem Ernst -, weil ich ahne, dass das auch viele in Ihren
Reihen ganz genauso sehen. Und ich habe mich zu Wort
gemeldet, weil ich Sie bitten möchte, diesen verhängnisvoll falschen Weg nicht zu gehen und auch nicht mitzugehen.
({3})
Das fängt aus meiner Sicht damit an, dass wir ehrlich
über das streiten, worum es wirklich geht. Ihre Ministerin sagt, sie wolle den Frauen Anerkennung zollen, die
sich entscheiden, zu Hause bei den Kindern zu bleiben.
Schon das ärgert mich maßlos, weil sie so tut, als wolle
irgendjemand in diesem Hause diesen Frauen Anerken16416
nung verweigern. Niemand will das. Es würde in der Debatte schon helfen, wenn Sie aufhören würden, mit dieser Unterstellung zu arbeiten.
({4})
Für mich geht es um ganz etwas anderes. Es geht für
uns darum, dass die Weichen an dieser entscheidenden
Stelle jetzt nicht falsch gestellt werden. Es geht darum,
dass wir mit der Einführung eines Betreuungsgeldes
nicht Chancen aufs Spiel setzen, vor allem Chancen der
Kinder, die der Betreuung in öffentlichen Einrichtungen
am dringendsten bedürfen. Das darf nicht geschehen.
({5})
Sie aber sind dabei, genau das zu tun. Ich behaupte,
Sie wissen es sogar. Sie wissen es; denn ich habe Ihren
Rednern und Rednerinnen in der vergangenen Woche
genau zugehört. Da haben sie nicht über das Betreuungsgeld geredet - ganz ehrlich -; vielmehr haben wir miteinander geredet auf zahllosen Veranstaltungen, Festakten,
Kongressen, Tagungen. Anlass war: 50 Jahre Anwerbeabkommen Deutschland/Türkei. Da waren Redner von
Ihnen, Redner von uns; keiner hat vergessen, den Dank
gegenüber denjenigen abzustatten, die von weither gekommen sind und am Wohlstand dieses Landes mitgearbeitet haben. Keiner hat auch den Hinweis vergessen,
dass uns auf der Wegstrecke der letzten 50 Jahre Integration nicht restlos geglückt ist, dass da Defizite geblieben
sind, an denen wir arbeiten müssen - das haben auch
Ihre Leute immer wieder gesagt -, und dass wir bei der
Aufarbeitung dieser Defizite nur dann erfolgreich sein
werden, wenn es uns gelingt, diese Kinder endlich mit
gleichen Chancen - das heißt auch, gleichen Sprachkenntnissen - in die Schule zu bringen.
({6})
Wer das aber alles richtig findet, der muss doch dann
auch den nächsten Schritt gehen und sagen, dass das
ohne frühkindliche Betreuung, ohne Betreuung in Kitas
und Kindergärten, nicht funktioniert. Das haben Sie auch
in allen öffentlichen Reden landauf, landab in der vergangenen Woche gesagt. Und dann, nicht zwei Jahre
später, nicht zwei Monate später, sondern am Sonntag
derselben Woche, nachdem zahllose Reden dieser Art
gehalten worden sind, entscheiden Sie genau das Gegenteil.
({7})
Dann entscheiden Sie sich für einen finanziellen Anreiz, der dazu führen wird - das garantiere ich Ihnen -,
dass viele von denen, die es dringend nötig hätten, aus
Kitas ferngehalten werden, und das ist der falsche Weg.
({8})
Es ist der falsche Weg. Sie haben dieselben Zahlen zur
Verfügung wie ich.
({9})
Sie führen dieselben Gespräche mit den Bürgermeistern
und Oberbürgermeistern von CDU-regierten Städten, die
Ihnen alle dasselbe sagen.
({10})
Was die FDP anbelangt, so darf ich Ihnen die Aussage
von Miriam Gruß aus dem Jahr 2008 im Bundestag zitieren:
Mit dem Betreuungsgeld verstärken wir den Teufelskreis, in dem Kinder, die von zu Hause keine
Chance auf frühe Bildung … haben, vom Kindergarten ausgeschlossen werden …
({11})
Meine Damen und Herren, ich will ja nur daran erinnern, dass wir in der Debatte zu diesem Thema hier in
diesem Haus miteinander schon einmal etwas weiter waren. Ich will nicht zurück in eine Zeit, in der ein FranzJosef Wuermeling von der „gemeinschaftszersetzenden
Berufstätigkeit der Frau“ sprach. Das kann nicht sein.
Dahin wollen wir nicht zurück.
({12})
Wenn Sie wirklich etwas für die Kinder tun wollen,
dann nehmen Sie das Geld, über das Sie am vergangenen
Wochenende geredet haben, und geben es dorthin, wo es
dringend benötigt wird: in die Schaffung von Plätzen in
Kindertagesstätten.
Ich sage Ihnen noch: Sorgen Sie vor allem dafür, dass
in den neuen Kitas schließlich Erzieher arbeiten werden.
Darum geht es nämlich.
({13})
Bitte kommen Sie zum Schluss.
Das muss der Weg sein. Deshalb sagen wir Nein zu
den von Ihnen entschiedenen Maßnahmen.
({0})
Vielen Dank, Kollege Dr. Steinmeier. - Jetzt für die
Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Dorothee Bär.
Bitte schön, Frau Kollegin Dorothee Bär.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Ministerin! Herr Kollege Steinmeier,
hier geht es nicht darum, ob Ihr Selbstbildnis in Gefahr
ist. Vielmehr geht es darum, was wir tun, um Familien in
diesem Lande eine Wahlfreiheit zu ermöglichen.
({0})
Diese Koalition macht keine Politik für ehemalige
Kanzlerkandidaten, sondern für die Mehrheit der Bevölkerung in diesem Lande.
({1})
Betreuungsgeld ist Zukunftsgeld, weil wir in die Zukunft
unseres Landes und in die Zukunft unserer Kinder investieren,
({2})
weil wir kein staatlich verordnetes Familienmodell wollen und weil wir echte Wahlfreiheit wollen. Diese Wahlfreiheit ist übrigens ein urliberaler Gedanke.
({3})
Ich möchte nicht, dass sich junge Frauen und Männer
für das Familienmodell rechtfertigen müssen, das sie leben wollen.
({4})
Häufig werden Frauen auf Spielplätzen angesprochen,
wenn sie selber mit ihren Kindern dort sind. Sie werden
gefragt: Warum ist dein Kind nicht in der Krippe? Hast
du keinen Platz bekommen?
({5})
Die junge Frau sagt: Nein, ich habe mich ganz bewusst
gegen einen Krippenplatz entschieden, weil mir diese
Zeit mit meinem Kind wichtig ist. - Das heißt, man
muss sich für eine solche Entscheidung rechtfertigen.
Man erkennt anhand des Geschreis, dass man bei der
Opposition offensichtlich einen Nerv getroffen hat.
({6})
Es geht Ihnen nämlich überhaupt nicht darum, ob nun
ein Betreuungsgeld eingeführt wird oder nicht. Vielmehr
zeigt die hochemotionale Reaktion, dass es Ihnen um etwas anderes geht. Die SPD hat einfach wahnsinnige
Angst. Herr Kollege Steinmeier, wenn wir schon beim
Zitieren sind, dann möchte ich sagen: Die SPD hat
wahnsinnige Angst, ihre Lufthoheit über den Kinderbetten zu verlieren. So hat es Ihr damaliger Generalsekretär
Olaf Scholz doch gesagt.
({7})
- Herr Kollege Pronold, Sie müssen auch nicht so garstig sein, nur weil Sie in Bayern nicht selber kandidieren
dürfen, weil man es Ihnen nicht zutraut. Seien Sie einfach etwas ruhiger.
Wir müssen uns einmal darüber unterhalten, um welche Gesellschaftsbilder es geht. Unser Gesellschaftsbild
sieht so aus: Wir trauen es den Eltern zu, selbst zu entscheiden, wie sie ihre Kinder erziehen wollen. Deswegen sorgen wir für den Ausbau der Kinderbetreuung,
halten das aber nicht für das allein selig machende Modell. Es gibt hundert verschiedene andere Modelle. Jedem dieser Modelle wollen wir Rechnung tragen.
Eines finde ich wirklich mehr als schofel: Der große
Familienpolitiker und SPD-Grande Herr Oppermann,
der sich in den Medien so großartig zu diesem Thema
äußert, es heute aber nicht nötig hat, zu dieser Debatte zu
erscheinen,
({8})
hat gesagt: Das Betreuungsgeld ist obszön. - „Obszön“
kommt aus dem Lateinischen und heißt „schmutzig, verderblich, schamlos“.
({9})
Da muss ich ganz ehrlich fragen: Welche Beschimpfungen müssen sich junge Eltern von Ihnen, die Sie überhaupt nicht wissen, was täglich an Familienarbeit in diesem Land geleistet wird, eigentlich noch gefallen lassen?
({10})
Es muss endlich mit den Diffamierungen aufhören, die
von Ihrer Seite kommen.
({11})
Es geht um Folgendes: Leben und leben lassen, also die
Möglichkeit schaffen, dass jede Familie - im Idealfall
sind sich Mutter und Vater einig - ihre Kinder so erziehen kann, wie sie es für richtig hält. Da hat der Staat
nicht reinzureden und zu sagen: Es gibt an der Stelle nur
ein richtiges Modell.
({12})
Denn Wahlfreiheit ist eben auch Familienmodellfreiheit.
Herr Steinmeier, ich sehe es Ihnen nach; denn Sie sind
kein Experte auf dem Gebiet: Sie haben Kitas und Kindergärten durcheinandergeschmissen und haben die Betreuung von Null- bis Dreijährigen mit der Betreuung
von Drei- bis Sechsjährigen verwechselt. Das macht
nichts; ich erkläre Ihnen gern unter vier Augen, wie wir
uns das vorstellen.
({13})
- Ich mache das gerne, weil ich den Kollegen persönlich
schätze. Nur hat er sich da von seinen Kolleginnen etwas
Falsches aufschreiben lassen.
({14})
- Das ist genau das richtige Stichwort. Vielen Dank, das
war wie bestellt. - Es wird immer gesagt: Bei einem
zwölf Monate alten Kind ist es das Wichtigste, es mit
Bildung vollzuknallen. - Erst einmal unterstellen Sie damit, dass Bildung im Elternhaus nicht stattfinden kann.
Es ist absurd, den Eltern zu sagen: Ihr bildet eure Kinder
nicht. - Natürlich findet Bildung zuallererst in den Familien statt.
({15})
Zweitens ärgert es mich wahnsinnig, dass von Bindung überhaupt nicht die Rede ist. Ohne Bindung kann
keine Bildung geschehen. Bildung kann im schlimmsten
Fall nachgeholt werden, Bindung nicht. Kinder, die
keine festen Bezugspersonen haben, werden bindungsgestört. Da muss man sagen: Es ist eine Unverschämtheit und wirklich gemein, Eltern einzureden, dass sie ihren Kindern schaden, wenn sie sie in den ersten Jahren
von irgendwelchen großartigen Bildungseinrichtungen
fernhalten.
({16})
Wir reden hier wirklich nicht über die Drei- bis Sechsjährigen. Ich möchte, dass Sie in der Debatte sachlich
bleiben.
({17})
- Die SPD ist irgendwie ein Karnevalsverein; das finde
ich wirklich wahnsinnig schade.
({18})
Ich möchte nicht, dass wir sagen: Das eine ist richtig,
und das andere ist falsch. - Zudem investieren wir wahnsinnig viel in Betreuungsplätze.
Ein kleiner Tipp am Rande: Sie sollten vielleicht einmal - ({19})
- Hören Sie von der SPD einmal zu.
({20})
Wenn Ihnen das alles so wichtig ist, dann reden Sie doch
einmal mit Ihrer Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
({21})
- Frau Humme, ist Frau Kraft von der schwarz-gelben
Regierung? Also, bitte! Jetzt lassen wir doch einmal die
Kirche im Dorf.
({22})
Frau Kraft hat eine Betreuungsquote von gut 15 Prozent
erreicht.
({23})
- Ja, die Wahrheit tut weh. - Nordrhein-Westfalen steht
von allen Bundesländern am allerschlechtesten da. Wenn
Ihnen das so wichtig ist, dann setzen Sie einmal in den
eigenen Reihen an: Kümmern Sie sich um den Ausbau
der Kinderbetreuung hauptsächlich in Nordrhein-Westfalen! - Ich wohne in Bayern. Da ist die Welt in Ordnung.
({24})
Ich will, dass das in ganz Deutschland so ist.
Vielen Dank.
({25})
Vielen Dank, Frau Kollegin Dorothee Bär. - Jetzt
spricht für die Fraktion Die Linke unser Kollege Ralph
Lenkert. Bitte schön, Kollege Ralph Lenkert.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Die Idee zu einem Betreuungsgeld
stammt leider aus Thüringen. Ein Blick auf die Entstehung des Thüringer Erziehungsgeldes - so heißt dort das
Betreuungsgeld - erleichtert die Bewertung: 2005 wollte
die damalige CDU-Alleinregierung bei Kindertagesstätten Geld kürzen. Nun ist es im Lande Fröbels, in Thüringen, schwer, gegen Kitas vorzugehen; denn wir Thüringer sind stolz auf eine Thüringer Errungenschaft: die
Kindergärten.
({0})
Also entwarf die CDU die Familienoffensive. Der offizielle Kernpunkt der Offensive war die Einführung eines
Landeserziehungsgeldes in Höhe von 150 Euro je Monat
für Kinder zwischen zwei und drei Jahren, Kostenpunkt:
35 Millionen Euro. Aber geht das Kind in eine Kita,
muss das Landeserziehungsgeld abgetreten werden. Das
ist Ihre Wahlfreiheit.
Inoffiziell verringerte der Freistaat Thüringen die Förderung der Kitas um insgesamt 20 Millionen Euro pro
Jahr, und das bei steigenden Kinderzahlen. Das fehlende
Geld glich die CDU-Regierung durch einen schlechteren
Personalschlüssel und somit durch Abstriche bei Bildung und Betreuung unserer Kinder, also bei unserer Zukunft, aus. Die CDU glaubte, mit dem Erziehungsgeld
ein Schweigen der Eltern zu den Einschnitten bei den
Kitas erkaufen zu können.
Leider durchschauten die Thüringer Eltern den Etikettenschwindel und initiierten das Volksbegehren für
eine bessere Familienpolitik.
({1})
Verkürzt lautete der Kern des Volksbegehrens: Bildungsqualität und zukünftige Chancen unserer Kinder sind
wichtiger als ein Erziehungsgeld für Mutti oder Vati am
Herd und das Kind in der Küche.
({2})
Die Thüringer Eltern waren schon 2005 so weit, wie
viele Experten in der Anhörung es heute sind und wie es
die CDU wahrscheinlich niemals sein wird.
({3})
2009 verlor die CDU in Thüringen auch wegen ihrer verfehlten Bildungspolitik die Alleinherrschaft. 2010
zwang das Volksbegehren mit über 60 000 Unterschriften die CDU zum Kompromiss mit ihrem neuen Regierungspartner. Das neue Thüringer Kitagesetz verbesserte
die Qualität von Bildung und Betreuung in den Thüringer Kitas deutlich. Fünf Jahre Kampf mit direkter Demokratie von uns Eltern, den Erzieherinnen und Erziehern,
den Gewerkschaften, von der SPD, den Grünen und der
Linken erzwangen diesen Erfolg. Danke an alle Thüringer Unterstützer des Volksbegehrens.
({4})
Der Preis des Kompromisses war: Das Landeserziehungsgeld blieb.
Als Technologe bewerte ich Zahlen. In Jena hatten
wir schon immer mehr als 50 Prozent der unter Dreijährigen in Kitas - ein Spitzenwert in Thüringen - und eine
Abiturquote von 60 Prozent - ein Spitzenwert in Thüringen.
({5})
Daraus folgt: Zeitige und gute frühkindliche Bildung erhöht das Bildungsniveau - Herr Kurth, auch bei Ihnen.
Das ist der Vorteil unserer frühkindlichen Bildungseinrichtungen.
Aber warum bestand die CDU auf dem Landeserziehungsgeld? Mit Ihrem Anerkennungsargument für Mütter und Väter zu Hause schlage ich mich seit fünf Jahren
herum. Aber mit diesem Argument unterstellen Sie Müttern und Vätern, die einen Beruf ausüben und ihre Kinder erziehen, sie würden sie nicht erziehen.
({6})
8 760 Stunden hat ein Jahr. Etwa 230 Tage geht ein Kind
in die Kita - gehen wir einmal von zehn Stunden wochentags aus. Das ist der erkämpfte Rechtsanspruch in
Thüringen. Das ergibt 2 300 Stunden Betreuungszeit pro
Jahr in der Kita. Das sind 26 Prozent der Jahresstunden.
6 400 Stunden jährlich, also über 70 Prozent des Jahres,
betreuen und erziehen die Eltern ihr Kind zu Hause.
Wenn es Ihnen von der CDU wirklich um die Anerkennung der Erziehungsleistung gehen würde, müssten Sie
für 70 Prozent der Erziehungsleistung den Kitaeltern
auch 70 Prozent des Erziehungsgeldes zahlen.
({7})
Dies planen Sie nicht einmal. Also ist dieses Argument
der Anerkennung der Erziehungsleistung vorgeschoben.
({8})
Sie missachten die Erziehungsleistung von Millionen Eltern, die Kitas nutzen.
Warum also will die CDU das Betreuungsgeld? Ein
Platz für unter Dreijährige kostet in Thüringen 750 Euro
im Monat. 750 Euro Kosten minus 150 Euro Elternbeitrag minus 150 Euro Erziehungsgeld ergibt 450 Euro
weniger Kosten im Monat für die Kinderbetreuung - für
jedes Kind bei Mutti am Herd. Diese 5 400 Euro Einsparung im Jahr sind der Grund für Ihr Betreuungsgeld. Sie
opfern die Zukunft unserer Kinder. Machen Sie den Eltern keine unmoralischen Angebote!
({9})
Die Linke fordert Sie auf: Verzichten Sie auf Ihr Betreuungsgeld! Garantieren Sie jedem Kind ab dem ersten
Geburtstag ohne Einschränkung und Bedarfsprüfung einen ganztägigen Kitaplatz, wie das in Thüringen die Eltern erkämpften!
Zuletzt noch eine Botschaft nach Thüringen an Ministerpräsidentin Lieberknecht und Kultusminister
Matschie: Eltern haben das Kitagesetz erstritten. Diese
Eltern werden mit dem gleichen Einsatz für die Einheit
von Grundschulhort und Grundschule eintreten. Wir lassen nicht zu, dass Sie nach dem Scheitern der Sparpläne
bei Kitas jetzt die Horte ausbluten lassen.
Wir von der Linken fordern: Weg mit dem Betreuungsgeld! Schluss mit der Kitaverzichtsprämie! Und für
Thüringen: Hände weg vom Grundschulhort!
({10})
Vielen Dank, Kollege Lenkert. - Jetzt spricht für die
Fraktion der FDP unsere Kollegin Miriam Gruß. Bitte
schön, Frau Kollegin.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ja, am Sonntag wurde ein Betreuungsgeld beschlossen. Unsere Bedenken zum Betreuungsgeld sind, glaube ich, bekannt.
({0})
Aber die Koalition hat sich auf ein Gesamtpaket verständigt. Wenn man dieses Gesamtpaket betrachtet, wird
deutlich, dass wir etwas für die Familien im Lande tun.
Erstens. Wir lassen ihnen mehr Geld in der Tasche, weil
wir den Grundfreibetrag erhöhen. Zweitens. Wir schaffen Gerechtigkeit, indem wir die kalte Progression abmildern. Drittens. Wir verbessern die Pflegesituation, indem wir Demenzkranke besser versorgen.
({1})
Viertens. Wir sorgen für mehr Generationengerechtigkeit in der Pflegeversicherung, indem wir eine zusätzliche staatlich geförderte Säule einführen. Fünftens. Wir
erleichtern die Zuwanderung von dringend benötigten
Fachkräften, indem wir die Einkommensgrenze deutlich
senken.
({2})
Das alles kann sich sehen lassen.
({3})
Beim Betreuungsgeld kommt es nun auf die konkrete
Ausgestaltung an.
({4})
Wir müssen es auf rechtlich sichere Beine stellen und
Fehlanreize vermeiden. Dabei werden wir die Familienministerin unterstützen.
Ziel dieser Koalition ist es, Wahlfreiheit für die Familien zu schaffen. Jede Familie soll so leben können, wie
sie will.
({5})
Zu dieser Wahlfreiheit gehört auch ganz entscheidend
der Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Das Statistische Bundesamt hat diese Woche hierzu
Zahlen veröffentlicht, die eine deutliche Sprache sprechen. Der Anspruch ist, bis 2013 eine Betreuungsquote
von 35 Prozent zu erreichen. Stand heute: Nur knapp 25
Prozent wurden erreicht. Von Bundesseite wurden hierfür 4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Fakt ist jedoch leider, erstens, dass die Bundesländer diese Gelder
höchst unterschiedlich abrufen, und zweitens, dass sie in
höchst unterschiedlichem Maße selber Gelder für den
Ausbau zur Verfügung stellen.
({6})
Die Länder sind hier nun ganz klar in der Pflicht.
In der Sache sind wir uns einig: Es kommt nicht nur
darauf an, wo ein Kind betreut wird, sondern auch, wie
es gefördert wird.
({7})
Dies kann und muss zu Hause der Fall sein, aber nicht
ausschließlich. Es gilt der afrikanische Leitspruch: Es
braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen.
({8})
In diesem Sinne werden alle gebraucht: die Eltern, die
Gesellschaft und der Staat.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin Gruß. - Jetzt für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Ekin
Deligöz. Bitte schön, Frau Kollegin Deligöz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Einzige, was die Rede von Frau Bär hier demonstriert
hat, ist, dass es beim vorgesehenen Betreuungsgeld wohl
eher um das Überleben der CSU geht als um die Zukunftschancen der Kinder.
({0})
Das war die Aussage Ihrer Rede, Frau Bär. Wenn ich die
Rede von Frau Gruß hinzuziehe, würde ich sagen: Sie
sind nicht überzeugend. Mit Ihren Argumenten überzeugen Sie hier keinen Menschen.
({1})
Das sage übrigens nicht nur ich. Es gab eine Anhörung
im Ausschuss des Bundestages, bei der relativ wenige
von Ihnen anwesend waren. Das mag Ihnen jetzt nicht
passen, aber Sie haben keinen einzigen Experten gefunden, der sich für das geplante Betreuungsgeld ausgesprochen hat.
({2})
Sie mussten einen MdL, ein Mitglied einer Landtagsfraktion, bemühen, um endlich jemanden zu haben, der
sich für das Betreuungsgeld ausgesprochen hat.
({3})
Das nennt man: Experten aus den eigenen Reihen generieren. Sie finden absolut niemanden in unserer Gesellschaft und auch niemanden unter den Experten, der sich
dafür ausspricht.
({4})
Es sind hier viele richtige Argumente genannt worden. Aber mit einem Trugbild konservativer Natur
möchte ich aufräumen:
({5})
Sie tun so, als ob der Kitaausbau die Familien in unserem Land im Regen stehen lasse und man für eine echte
Wahlfreiheit das Betreuungsgeld einführen müsse.
({6})
Das ist verantwortungslos. Das ist nicht nur Unsinn, sondern Sie verbreiten hier wissentlich Falsches. Wenn Sie
sich hier schon als Expertin gerieren, dann sollten Sie
das wissen.
({7})
Wir investieren durch das Ehegattensplitting derzeit
20 Milliarden Euro in die Hausfrauenehe. Wir haben die
beitragsfreie Mitversicherung der Ehegattinnen, was
Milliarden kostet.
({8})
Das wurde auch aus Ihren Reihen angesprochen.
({9})
Beim Elterngeld investieren wir in einen Sockelbetrag,
den Sie bei den Schwächsten, bei den ALG-II-Empfängern, aus Haushaltsgründen gekürzt haben. All das dient
dazu, die Hausfrauenehe zu fördern. Sie halten daran
fest, um die Hausfrauen zu unterstützen. Bekennen Sie
sich wenigstens dazu! Diese falsche Politik führen Sie
durch das Betreuungsgeld fort. Sie manifestieren Rollenbilder, die in unserer Gesellschaft längst überholt sind.
Das ist nicht das, was Frauen wollen. Das ist nicht das,
was junge Eltern wollen.
({10})
Das Schlimmste daran ist, dass Sie in diesem Zusammenhang von Wahlfreiheit reden. Ich weiß nicht, von
welchem Bayern Sie reden. Ich kenne in Bayern nur Eltern, die auf Krippenplätze für ihre Kinder warten.
({11})
Ich kenne nur Eltern, die darauf warten, endlich einen
Platz zu bekommen. Ich kenne nur junge Mütter, die sagen: Ich würde ja gerne arbeiten, aber wie soll ich das
machen, wenn der Kindergarten um 12 Uhr schließt?
({12})
Diese Eltern kenne ich. Für diese Eltern haben Sie keine
Antwort.
({13})
Die Debatte der letzten Tage hat gezeigt - das ist das
Absurde an der Geschichte -, wie engagiert Sie in Wirklichkeit sind. Sie spielen Pingpong. Sie sagen: Die Länder sind schuld. Die Kommunen sind schuld. - Dann
geht es hin und her. Keiner kümmert sich. Keiner war es.
Keiner ist verantwortlich. Von einer Ministerin wünsche
ich mir ein überzeugenderes Auftreten. In einer solchen
Situation wünsche ich mir von einer Ministerin ein bisschen mehr Einsatz, und zwar im Sinne der Kinder.
({14})
Ihr Verhalten ist auch durch Eitelkeit zu erklären. Das
war ein Modell von Frau von der Leyen. Die neue
Ministerin distanziert sich davon. Emotional mögen das
manche verstehen. Das geht aber zulasten der Kinder.
Sie tragen Ihre Spielchen auf dem Rücken der Kinder
aus. Sie fahren den ganzen Bereich der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige gegen die Wand. Sie fahren
das ganze System gegen die Wand, und das nur, weil Sie
sich nicht davon freimachen können. Setzen Sie sich für
die Kinder ein! Das erwartet die Gesellschaft.
({15})
Auf diesem Gebiet haben wir nämlich die größten Defizite. Das müssen wir angehen, um für Wahlfreiheit in
diesem Land zu sorgen. Tun Sie nicht so, als ob Sie diesbezüglich schon genug getan hätten.
({16})
Die Zahlen in Bayern beweisen genau das Gegenteil: Sie
haben nicht genug getan.
Noch etwas zu Ihrer Ankündigungspolitik: Sie wissen
ja noch nicht einmal, was am Ende dabei herauskommen
soll. Sie wissen noch nicht einmal, wie Sie das finanzieren sollen. Sie wissen noch nicht einmal, wer das Geld
am Ende bekommen soll.
({17})
Wir alle wissen aber, dass Sie dafür Schulden zulasten
der künftigen Generationen machen. Das ist der falsche
Weg, um ein falsches Instrument zu finanzieren. Dass
Sie an diesem Instrument festhalten, ist ein Skandal. Es
ist ein Skandal, dass Sie mit der Zukunft der Kinder
spielen. Dass Sie das hier auch noch verteidigen, zeigt,
dass Sie überhaupt nicht verstanden haben, worum es in
diesem Land geht und was es bedeutet, für bessere Zu16422
kunftschancen der Kinder zu sorgen. Da müssen Sie
nachsitzen, liebe Kollegin!
({18})
Vielen Dank, Frau Kollegin Deligöz. - Jetzt spricht
als nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde Frau
Bundesministerin Dr. Kristina Schröder. Bitte schön,
Frau Bundesministerin.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
14. September 2011 habe ich ein Konzept zum Betreuungsgeld angekündigt. Die Ergebnisse des Koalitionsgipfels vom Wochenende haben dafür die Grundlage
geschaffen. Seit Sonntag steht fest: Familien in Deutschland bekommen künftig mehr Unterstützung.
({0})
Eltern erhalten mehr Anerkennung für ihre Erziehungsleistung. Mütter und Väter kleiner Kinder haben künftig
mehr Wahlfreiheit, das Familienleben so zu gestalten,
wie sie selbst es für richtig halten.
({1})
Mir waren vor allen Dingen drei Punkte wichtig - ich
bin froh, dass wir in diesen drei Punkten jetzt Klarheit
haben -:
Erstens. Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir angesichts der Haushaltslage klar im Ziel, aber realistisch
in der Umsetzung sein sollten. Der Koalitionsausschuss
ist dieser Einschätzung gefolgt. Das Betreuungsgeld
wird zunächst für das zweite Lebensjahr gezahlt, ab
2014 dann auch für das dritte Lebensjahr. Das ist eine
praktikable, das ist eine finanzierbare Lösung.
Zweitens war mir wichtig, dass wir Hausfrauen nicht
gegen berufstätige Mütter ausspielen.
({2})
Genau das ist gelungen, auch wenn Sie das ganz offenkundig noch nicht verstanden haben. Wir haben uns am
Sonntag darauf geeinigt
({3})
- daran rüttelt jetzt auch keiner mehr -, dass mit dem
Betreuungsgeld eben auch Mütter unterstützt werden
sollen, die berufstätig sind. Das ist genau richtig.
({4})
Diese ideologischen Debatten über die Lebensentwürfe
von Frauen finde ich unerträglich. Ich bin mir sicher, die
meisten Mütter in Deutschland sehen das ebenso.
({5})
Es ist eine Unverschämtheit, wenn manche hier von einer „Herdprämie“ reden. Damit unterstellen sie, dass
Frauen, die sich Zeit für ihre Kleinstkinder nehmen,
kleine Dummchen sind.
({6})
Meine Überzeugung ist: Mütter und Väter verdienen
unabhängig davon, wie sie leben, Wertschätzung. Das
unterstreicht die Einigung vom Wochenende.
({7})
Sie gibt mir Rückenwind für mein Ziel, Eltern zu unterstützen, die zugunsten der Familie für eine gewisse Zeit
auf Einkommen und Karriere verzichten oder die Betreuung selbst organisieren,
({8})
genauso wie wir mit Milliardeninvestitionen in den Kitaausbau auch diejenigen Eltern unterstützen, die für ihr
Kind Betreuung wollen oder brauchen.
({9})
Das ist der Unterschied zur Opposition. Wir fragen: Was
wollen die Familien?
({10})
Die Antwort kann nur heißen: Vielfalt in der Familienförderung; denn wir haben in Deutschland keine Einheitsfamilien.
({11})
Die Opposition hingegen sagt: Die Politik weiß besser,
was gut für die Familien ist.
({12})
Dieses Anmaßende, dieses Gouvernantenhafte sind wir
satt.
({13})
Ein dritter Punkt ist mir in der Diskussion über das
Betreuungsgeld wichtig. Ich bin froh, dass wir auch diesbezüglich am Wochenende ein klares Signal gesendet
haben.
({14})
Keine Kita, keine Tagesmutter und auch keine Nanny
kann die Familie ersetzen.
({15})
Was Familien Kindern fürs Leben mitgeben, lässt sich
niemals delegieren oder ersetzen. Die meisten Eltern
würden ihr letztes Hemd für ihre Kinder geben.
({16})
Deshalb finde ich es beschämend und anmaßend, wenn
SPD, Grüne und Linke
({17})
den Eltern eine gute Förderung ihrer eigenen Kinder
nicht zutrauen.
({18})
Natürlich gibt es Familien, bei denen man sagt: Für die
Entwicklung ihrer Kinder ist es besser, wenn sie möglichst früh in einer Kita gefördert werden. Aber das ist
eine Minderheit. Es ist richtig: Für diese Minderheit dürfen wir mit dem Betreuungsgeld keine Fehlanreize setzen.
({19})
Aber die Lösung kann doch nicht sein, alle Familien unter Generalverdacht zu stellen, wie Sie, Herr Steinmeier,
es eben wieder getan haben.
({20})
Ich kann Ihnen ein schönes Beispiel nennen. Herr
Oppermann - er ist leider nicht anwesend - hat heute
dazu etwas sehr Interessantes getwittert. Herr
Oppermann hat getwittert - ich zitiere -:
Eure Fernhalteprämie gefährdet das Wohl vieler
Kinder u. entspricht einem Familienbild von vorgestern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des Abg. Kai Gehring
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Caren
Marks [SPD]: Das ist der einzige vernünftige
Satz in Ihrer Rede!
- Es war mir klar, dass Sie an dieser Stelle klatschen.
Denken Sie jetzt aber einmal ganz kurz darüber nach,
wen Sie damit treffen. Sie treffen damit nicht die Koalition, sondern zwei Drittel der Eltern in Deutschland;
denn zwei Drittel der Eltern in Deutschland betreuen
ihre Kinder in den ersten drei Lebensjahren selbst.
({21})
Sie wollen allen Ernstes sagen, dass diese Eltern ihren
Kindern schaden?
({22})
Sie werfen zwei Drittel der Eltern in Deutschland vor,
dass sie im Vorgestern leben, weil sie sich selbst um ihre
Kleinstkinder kümmern?
({23})
Es tut mir leid; aber solche Dinge sind eben entlarvend.
Weiteres Beispiel: Frau Nahles.
({24})
Frau Nahles hat gestern in ihrem Videoblog gesagt, das
Betreuungsgeld sei etwa so - ich zitiere -, wie wenn
man Geld dafür bekommt, dass man sein Kind nicht auf
das Gymnasium schickt.
({25})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über
zweijährige Kinder und nicht über Homeschooling für
Gymnasiasten. Wollen Sie allen Ernstes sagen, dass die
Eltern in Deutschland nicht fähig sind, ihre zweijährigen
Kinder zu bilden? Worüber reden wir hier? Wir reden
über die ersten Worte, über die ersten Sätze. Wir reden
darüber, dass sie ihnen beibringen, wie man sich die
Zähne putzt, und dass sie ihnen sagen, dass man mit
Messer, Gabel, Schere und Licht vorsichtig sein muss.
Die Opposition meint, die Eltern in Deutschland könnten
das nicht oder eine Institution könne das besser?
({26})
Es ist auch entlarvend, dass Sie von einer Fernhalteprämie sprechen. Egal, wie falsch der Begriff ist, allein dass
Sie davon reden, zeigt ganz deutlich, wo Sie den Lebensmittelpunkt von Kindern sehen: in Familien offensichtlich nicht.
({27})
Von daher: Mit dieser Ideologie muss Schluss sein.
Die Anerkennung von Betreuung und Erziehung in der
Familie steht doch nicht im Gegensatz zum Ausbau der
Betreuung in Kitas und Tagespflege, sondern beides gehört zusammen. Deshalb gibt es ab 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Auch wenn Christian Ude
unbedingt will, dass dieser Rechtsanspruch verschoben
wird: An diesem Rechtsanspruch wird nicht gerüttelt. Da
haben sich die Eltern auf uns verlassen.
({28})
Die Einigung vom Wochenende stellt klar: So sicher
wie der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz kommt, so
sicher kommt auch das Betreuungsgeld.
({29})
Wir haben hier ein großes Projekt vor uns. Dieses Projekt werden wir zum Wohle der Familien gestalten.
({30})
Union und FDP sind nämlich die Einzigen, die es mit der
Wahlfreiheit für Familien wirklich ernst meinen.
({31})
Vielen Dank, Frau Bundesministerin Dr. Schröder. Jetzt spricht für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Dagmar Ziegler. Bitte schön, Frau
Kollegin Ziegler.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der schwarze Sonntag der letzten Woche
({0})
ist schlimmer, als wir je gedacht haben.
({1})
Seit letztem Sonntag gibt es nicht etwa eine gut funktionierende Koalition, wie Sie es der Öffentlichkeit weismachen wollen, sondern seit letztem Sonntag startet
diese Koalition eine Verdummungskampagne. Diese
Kampagne beginnt mit den Steuergeschenken, die keine
wahren sind.
({2})
Das wissen mittlerweile wir alle. Das hat jeder in unserem Land begriffen. Herr Kurth, darüber haben wir gestern eine ausgiebige Diskussion geführt, die Sie nicht gerade gewonnen haben.
({3})
Zweitens haben Sie im Pflegebereich ein Reförmchen
verabschiedet,
({4})
das den Namen „Reform“ wirklich nicht verdient. Drittens - um dieses Thema geht es heute - haben Sie etwas,
das der größte Teil der Koalition gar nicht wollte, beschlossen, nämlich das unsägliche Betreuungsgeld.
Bildungsdefizite, Frauen, die mit schlechten Chancen
im Erwerbsleben dastehen, und Fachkräftemangel, das
sind die Herausforderungen, auf die Sie, Frau Dr.
Schröder, genau die falschen Antworten geben. Sie faseln - das haben wir heute mehrfach gehört - von der
Wahlfreiheit für Eltern.
({5})
Ich frage Sie: Wo ist die Wahlfreiheit, wenn es keine
ausreichende Zahl an Kitaplätzen gibt?
({6})
Kitaplätze und Ganztagsschulen sind Mangelware.
({7})
Auch fehlt es immer noch an einer Vereinbarkeitskultur.
Ich sage Ihnen: Dafür tragen Sie die Verantwortung, erst
unter Kohl, dann unter Merkel.
Wer zahlt denn am Ende dafür? Nicht mit Ihrem Betreuungsgeld wird dafür gezahlt. Die Kinder, die Jugendlichen und die Frauen und Männer müssen für diese
Politik die Zeche blechen.
({8})
Dafür zahlen vor allen Dingen Kinder und Jugendliche mit schlechteren Bildungschancen; Kitas und Ganztagsschulen könnten nämlich manch - ich wiederhole:
manch - elternhausbedingten Nachteil ausgleichen. Wir
stellen keine Familie unter Generalverdacht;
({9})
das muss man ganz deutlich sagen. Sie wissen genauso
gut wie ich, dass frühkindliche Bildung notwendig ist,
dass es aber auch Familien gibt, in denen Kinder diese
nicht erhalten können. An dieser Stelle muss Ehrlichkeit
in die Debatte.
({10})
Frauen zahlen dafür auch mit schlechteren Chancen
im Erwerbsleben. Frauen und Alleinerziehende zahlen
mit einem skandalösen Armutsrisiko; wir werden es in
den nächsten Jahren in unserem Land erleben. Das Fehlen von Kitas und Ganztagsschulen versperrt gerade
vielen Alleinerziehenden den Weg in eine existenzsichernde Arbeit.
Schließlich zahlt dafür auch die Wirtschaft, nämlich
mit schlechteren ökonomischen Chancen. Denn Ihr falDagmar Ziegler
sches Angebot führt dazu, dass viele gut ausgebildete
Frauen
({11})
nach der Geburt eines Kindes zu Hause bleiben. Diese
Frauen stehen uns in Zukunft nicht als Fachkräfte zur
Verfügung.
({12})
- Wir sprechen uns noch, wenn es um das Thema Fachkräftebedarf geht. Dann werden Sie sehen, dass dies genau die falschen Anreize sind.
({13})
- Nein. Ich habe diesen Aspekt als letzten Punkt einer
langen Aufzählung genannt. Aber, Frau Bär: Wenn Sie
am Anfang nicht zuhören, können Sie das Ende nicht kapieren. Das ist nun einmal so.
({14})
Unter Rot-Grün gab es das 4-Milliarden-Euro-Programm zum Ausbau von Ganztagsangeboten. In der
Großen Koalition ging es dann um den Rechtsanspruch
auf einen Kitaplatz, der nicht etwa, wie Frau
Dr. Schröder immer behauptet, ab 2013 eingeführt wird,
sondern der ab 2013 gilt; er ist schon beschlossene Sache. Das klitzekleine Problem, liebe Frau Ministerin, ist,
dass die Umsetzung den Kommunen und Ländern mangels ausreichender finanzieller Mittel immer schwerer
fällt. Das wissen Sie, aber Sie tun nichts.
({15})
Wir fordern seit Monaten, dass erneut ein Krippengipfel
durchgeführt wird. Alle staatlichen Ebenen müssen sich
an einen Tisch setzen, um die Finanzmisere endlich zu
thematisieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
({16})
Das ist Ihre Verantwortung als Familienministerin, Frau
Dr. Schröder. Nichts tun Sie. Sie sitzen da, twittern und
denken, das Problem werde sich schon irgendwie in Luft
auflösen.
({17})
Ich komme noch dazu, was sich hier in Luft auflösen
sollte.
({18})
Sie starten auch keine Fachkräfteoffensive. Wir haben
heute zufällig mit den Spitzenverbänden der Kommunen
gesprochen. Nichts wird hier getan; es gibt keine Unterstützung. Was haben wir denn davon, wenn in Frankfurt
am Main Kitas gebaut werden, drei aber bisher leerstehen, weil die Fachkräfte nicht da sind, die die Arbeit machen können?
({19})
Frau Dr. Schröder, wo ist denn Ihre Initiative, um diese
Missstände gemeinsam mit den Ländern und Kommunen anzugehen? Nichts tun Sie, absolut nichts!
({20})
Sie geben 2 Milliarden Euro für das Betreuungsgeld
aus, die eigentlich nicht vorhanden sind. Sie streiten sich
über die Ausgestaltung dieses Betreuungsgeldes. Herr
Geis sagt: Natürlich muss die Anerkennung auch Familien zugutekommen, die in Hartz IV leben. Beim Elterngeld haben Sie das leider nicht gesagt; dies wird bei
Hartz-IV-Empfängern angerechnet. Herr Lindner von
der FDP sagt: Wieso soll das Betreuungsgeld bei den
Hartz-IV-Empfängern nicht angerechnet werden? Die
gucken sich wahrscheinlich kein Bilderbuch mit ihren
Kindern an. Deshalb muss das Betreuungsgeld angerechnet werden. - Auch an diesem Punkt sind Sie sich
heute wieder nicht einig. Kraut und Rüben ist bei Ihnen
das Menü, das tagtäglich auf der Speisekarte steht.
({21})
Sehr geehrte Frau Schröder, was Sie machen - das ist
jetzt wirklich ohne jede Polemik -, ist verantwortungslos.
({22})
Das sagt die Wirtschaft, und das sagen die Familien.
Weil Sie Ihre Aufgabe nicht als Lehrstelle, sondern als
Leerstelle verstehen: Nehmen Sie endlich Ihren Hut!
({23})
Vielen Dank, Frau Kollegin Ziegler. - Jetzt spricht für
die Fraktion der FDP unsere Kollegin Sibylle Laurischk.
Bitte schön, Frau Kollegin.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
nach Verfolgen dieser Debatte den Eindruck, dass man
eigentlich gar nicht weiß, was man an der Entscheidung
vom Sonntag kritisieren soll. Nun hat man sich das Betreuungsgeld herausgesucht.
({0})
Ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass ich hier durchaus
Fragen zu stellen habe. Die werden wir aber im Zuge der
Ausformung des Betreuungsgeldes beantworten. Eine
der Fragen wird sicherlich sein, ob wir hier ein Gutscheinmodell umsetzen können, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben.
({1})
Wir haben ein hohes Maß an Verantwortung zu tragen, keine Frage. Dazu gehört eine gute Kinderbetreuung, sodass auch die Wünsche der Familien berücksichtigt werden können, die sich dafür entscheiden, länger
als nur während der Elterngeldzeit zu Hause zu bleiben.
Dass ich mir hier auch eine andere Lösung hätte vorstellen können, ist kein Geheimnis, aber so sind Kompromisse nun einmal, und Kompromisse muss man dann
auch weiter gestalten.
({2})
Ich denke, von einem Krippengipfel, der hier in den
Raum gestellt wird, haben wir nichts zu erwarten. Das
sind Gesprächsrunden; darum geht es uns letztendlich
nicht.
({3})
Wir wollen die Betreuung von Kindern so gestalten, dass
die Vielfalt der Nachfrage, die es nun einmal in der Gesellschaft gibt, berücksichtigt wird. Dazu gehört, dass
wir für die Kindertagesstätten und die Krippen auch qualifiziertes Personal zur Verfügung stellen können. Das ist
in dieser Debatte noch gar nicht zur Sprache gekommen.
({4})
Mittlerweile wird eine duale Ausbildung gefordert. Es
soll also nicht mehr eine Ausbildung von vier Jahren geben, bis eine Erzieherin bzw. ein Erzieher in den Beruf
starten kann, sondern eine zügige qualitätsorientierte
Ausbildung.
({5})
Diese Fragen sind meiner Ansicht nach in vielen Bundesländern noch nicht beantwortet. Ich wünschte, dass
ein jahrzehntelang von der SPD regiertes Bundesland
wie Nordrhein-Westfalen hier beispielhaft wäre.
({6})
Sie können das nun zeigen. Wir sind gespannt, wie Sie
den Ausbau der Kinderbetreuung und der Tagesbetreuung trotz des Mangels an Fachkräften gestalten.
({7})
Dieses Thema sollte uns viel mehr beschäftigen als dieses Herumgehacke auf einem Stichwort. Die Ministerin
hat gerade sehr deutlich gezeigt, dass wir uns auf eine
flexible Lösung geeinigt haben und dass wir allen Eltern
ein Angebot machen wollen.
Unabhängig davon bin ich der Meinung, dass wir als
Koalition familienpolitisch einiges vorzuweisen haben.
({8})
Das ist es, was die Opposition so sehr stört. Wir haben in
der Vergangenheit schon einiges auf den Weg gebracht.
Wir haben das Kindergeld erhöht und den Kinderfreibetrag angehoben.
({9})
Wir haben den Kinderzuschlag auf den Weg gebracht.
Wir haben bereits zu Beginn dieser Koalition Leistungen
tatsächlich auf den Weg gebracht.
({10})
Von denen wollen Sie nicht mehr reden, weil Sie wissen,
dass das gute Angebote und klare familienpolitische
Weichenstellungen sind.
Entsprechend wollen wir auch das Unterhaltsvorschussrecht für Alleinerziehende reformieren. Sie wissen, das ist ein besonderes Anliegen von mir. Ich meine,
wenn wir über familienpolitische Leistungen sprechen,
gehört es dazu, solche Angebote und solche Möglichkeiten zu entwickeln. Die Anhebung der Altersgrenze von
12 Jahren auf 14 Jahre im Unterhaltsvorschussrecht ist
im Koalitionsvertrag verankert. Das wollen wir.
({11})
Das andere Thema, das Alleinerziehende ganz wesentlich interessiert, insbesondere die nichtehelichen Väter, ist das Sorgerecht.
({12})
Ich wünsche mir, dass auch Frau Bär aufmerksam zuhört; denn das Thema Sorgerecht ist überfällig und ist
meiner Ansicht nach eines der nächsten zu lösenden Probleme.
({13})
Was mir auch sehr wichtig ist, ist,
({14})
dass eine der Entscheidungen, die die Koalition am
Sonntag getroffen hat, die Zuwanderungspolitik betrifft.
Wir wollen, dass Zuwanderung leichter wird,
({15})
und zwar dadurch, dass die Einkommensgrenze für eine
Niederlassungserlaubnis auf 48 000 Euro pro Jahr abgesenkt wird. Ganz wesentlich ist aber auch die Anerkennung von Berufsabschlüssen. Diese sehr moderne Zielsetzung haben wir umgesetzt.
({16})
Das hat die SPD nicht fertiggebracht. Ich erinnere
mich gut an Herrn Scholz, der das damals als Arbeitsminister nicht geschafft hat. Insofern haben wir durchaus
positive Beispiele einer modernen Gesellschaftspolitik
vorzuweisen. Daran werden wir weiter arbeiten.
({17})
Dies wird sich nicht ausschließlich am Thema Betreuungsgeld festmachen lassen.
({18})
Vielen Dank, Frau Kollegin Laurischk. - Jetzt für die
Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Caren
Marks. Bitte schön, Frau Kollegin Marks.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Laurischk,
man merkt, dass bald Weihnachten ist: Die FDP hat viele
Wünsche vorgetragen. Es wäre gut, wenn Sie sich einmal ans Regieren machten. Noch besser wäre es, wenn
Sie zum Thema geredet hätten.
({0})
Es ist noch nie da gewesen und absolut absurd, dass
Geld für die Nichtinanspruchnahme eines staatlichen
Angebotes, in diesem Fall für die Nichtinanspruchnahme eines Krippenplatzes, gezahlt werden soll. Man
stelle sich das einmal vor: Jemand nutzt ein ganzes Jahr
lang nicht die Bibliothek vor Ort oder das städtische
Schwimmbad und bekommt dafür monatlich vom Staat
einen Geldbetrag überwiesen.
({1})
Oder der Staat würde in Zukunft einem Jugendlichen
Geld überweisen, weil er nach zehn Jahren und nicht
nach dreizehn Jahren die Schule verlässt.
({2})
Diese Beispiele machen deutlich, Frau Bär, wie schräg
schon allein die Idee Ihres Betreuungsgeldes ist.
({3})
Das Betreuungsgeld, die Fernhalteprämie, ist ein vergiftetes Geschenk für Familien.
({4})
Der Gesetzgeber würde damit finanzielle Anreize schaffen, die Bildungsbeteiligung von Kindern und gleichermaßen die Erwerbstätigkeit von Eltern, und zwar insbesondere von Müttern, zu verringern statt zu erhöhen. Ich
sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Damit wäre
das Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes konterkariert.
Das Betreuungsgeld würde ganz klar gegen Art. 3
Abs. 2 unseres Grundgesetzes verstoßen; denn es trägt
eben nicht zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen bei.
({5})
Schon gar nicht wirkt es auf die Beseitigung bestehender
Nachteile hin. Das Betreuungsgeld wäre also klipp und
klar verfassungsrechtlich höchst problematisch.
({6})
Außerdem verfestigt es alte, traditionelle Rollenverteilungen zwischen Frauen und Männern.
({7})
Es setzt insbesondere für Frauen falsche Anreize, länger
zu Hause zu bleiben, die eigene Existenzsicherung und
damit auch die eigene Alterssicherung zu vernachlässigen.
Es stellt sich aber auch die Frage: Welches Signal gibt
die Bundesregierung bzw. diese Familienministerin in
Richtung des Arbeitsmarktes, wenn sie gut ausgebildete
Frauen gerade von diesem fernhalten will? Statt weitere
Hürden für die Berufstätigkeit von Frauen aufzubauen,
wäre es die Pflicht der Bundesregierung, diese abzubauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf partnerschaftlich zu ermöglichen.
({8})
Ein Blick, Frau Ministerin Schröder, in den Gleichstellungsbericht würde vielleicht auch Ihnen endlich einmal
auf die Sprünge helfen.
Die CSU bemüht immer wieder das Argument der
Wahlfreiheit. Das haben wir auch heute schon mehrfach
gehört. Ich sage Ihnen: Wahlfreiheit gibt es erst dann,
wenn genügend Bildungs- und Betreuungsangebote zur
Verfügung stehen. Es fehlen aber - auch das haben wir
heute schon mehrfach und völlig zu Recht gehört - insbesondere in den alten Bundesländern Tausende von
Krippenplätzen. Hier wäre dringender Handlungsbedarf,
({9})
ganz besonders auch in Bayern, Frau Kollegin Bär.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch nach Art. 6
Abs. 1 unseres Grundgesetzes ist die Idee des Betreuungsgeldes verfassungsrechtlich höchst fragwürdig.
Denn nach Art. 6 Abs. 1 unseres Grundgesetzes muss
der Staat alle Familien fördern.
({11})
Wenn er nur bestimmte Familien fördern will, dann
muss er dies gut begründen. Genau deswegen, wie wir
heute in der Presse lesen konnten, sind Expertinnen und
Experten sowohl im Kanzleramt als auch im Familienministerium ratlos, wie das Betreuungsgeld denn nun
verfassungsrechtlich einwandfrei in ein Gesetz gegossen
werden soll. Ich sage Ihnen: Lassen Sie es doch einfach!
({12})
Wenn man bedenkt, dass für das unsinnige Betreuungsgeld 2 Milliarden Euro jährlich ausgegeben werden
sollen und damit die Zustimmung der CSU zu den
ebenso unsinnigen Steuersenkungen erkauft wurde, dann
ist das alles andere als eine solide Haushaltspolitik. Das
ist ein Offenbarungseid dieser schwarz-gelben Koalition.
({13})
Noch viel schlimmer ist aber: Diese Regierung lässt
Eltern mit kleinen Kindern im Regen stehen, die dringend einen Krippenplatz benötigen. Ministerin Schröder
legt wie immer die Hände in den Schoß und tut nichts
dafür, den ins Stocken geratenen Krippenausbau zu beschleunigen. Das ist verantwortungslos.
Es drängt sich durchaus der Verdacht auf: Vielleicht
ist das Betreuungsgeld auch ein Mittel zum Zweck, um
die Nachfrage nach Krippenangeboten zu verringern.
({14})
Für uns ist das Betreuungsgeld ein weiteres Indiz für den
familien-, bildungs- und gleichstellungspolitischen
Blindflug der zuständigen Ministerin und der gesamten
schwarz-gelben Regierung.
Wie tagesaktuellen Meldungen zu entnehmen ist, befindet sich das Ministerium von Frau Schröder in einer
konzeptionellen Phase zur Ausgestaltung des Betreuungsgeldes. Ich sage Ihnen: Ohne Konzept, Frau Ministerin, hilft auch keine konzeptionelle Phase.
({15})
Die SPD wird weiter dafür kämpfen, dass die
schwarz-gelbe Koalition ihren Blindflug beendet. Es
wäre gut, wenn Ihnen endlich ein Licht aufginge und Sie
endlich sehen würden, was Familien in diesem Land
wirklich brauchen. Auf jeden Fall brauchen sie eine bessere Regierung.
Vielen Dank.
({16})
Vielen Dank, Frau Kollegin Caren Marks. - Jetzt für
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Alexander
Dobrindt. Bitte schön, Kollege Dobrindt.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau Marks, lassen Sie sich eines sagen:
Unser Signal mit dem Betreuungsgeld an Millionen von
Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen, heißt: Sie sind
uns wichtig, ihre Erziehungsleistung ist für uns wertvoll,
und deswegen muss sie dem Staat auch etwas wert sein.
Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!
({0})
Sie von Rot, Grün und der Linkspartei machen eines
ganz deutlich, nämlich dass Ihnen diese Menschen unwichtig sind. Sie wollen sie abschreiben.
({1})
Deswegen sagen Sie auch in aller Deutlichkeit: Von uns
habt ihr nichts zu erwarten, kommt bitte alleine zurecht. - Aber wir werden Sie damit nicht durchkommen
lassen. Wir wollen diejenigen unterstützen, die sich frei
für eine andere Art der Kindererziehung entscheiden, als
Sie sie ihnen vorschreiben wollen.
({2})
Frau Marks von der SPD und Herr Lenkert von der
Linkspartei, Sie treten hier mit einer unverschämten Arroganz auf.
({3})
„Fernhalteprämie“ und „Mutti am Herd“ waren Ihre
Worte. Diese unverschämte Arroganz, die Sie an den
Tag legen, spottet wirklich jeder Beschreibung. Nehmen
Sie auch das zur Kenntnis!
({4})
Das Betreuungsgeld ist keine Fernhalteprämie. Jeder,
der Betreuungsgeld bekommt, kann gleichzeitig voll berufstätig sein. Keine einzige Mutter und kein einziger
Vater wird durch das Betreuungsgeld von der Berufsausübung abgehalten. Das Betreuungsgeld hat nicht zur Voraussetzung, dass ein Elternteil beruflich pausieren
muss.
({5})
Sie haben jahrelang versucht, auch heute wieder, den
Menschen in Deutschland klarzumachen, dass sie nur
dann Betreuungsgeld bekommen, wenn sie ihren Beruf
aufgeben. Das, was Sie hier versuchen, ist Volksverdummung.
({6})
Sie haben die Menschen belogen, Sie haben versucht,
mit der Unwahrheit Stimmung zu machen. Geben Sie
bitte zu, dass Sie den Menschen die Unwahrheit gesagt
haben. Sie haben sie belogen, Sie wollten sie aufwiegeln. Sie sollten sich jetzt dafür schämen, dass Sie die
Unwahrheit gesagt haben.
({7})
Sie von Rot-Grün haben Milliarden für die Menschen
ausgegeben, die Sie in die Arbeitslosigkeit geschickt haben. Wir haben die Zahl der Arbeitslosen von 5 Millionen auf jetzt 2,5 Millionen halbiert.
({8})
Deswegen haben wir jetzt Geld für die Familien in
Deutschland und müssen nicht mehr die von Ihnen verschuldete Arbeitslosigkeit finanzieren.
({9})
Lassen Sie sich bezüglich Ihrer unverschämten Arroganz eines sagen:
({10})
Wenn sich jemand dafür entscheiden sollte - das tun
viele junge Frauen, und das tun übrigens auch junge
Männer -, seine Berufstätigkeit zu unterbrechen, um
sich der Erziehung zu Hause zu widmen, dann hat das
höchste Anerkennung verdient.
({11})
Das ist eine mutige Entscheidung, weil die Person nicht
weiß, ob sie zu adäquaten Bedingungen wieder in den
Beruf einsteigen kann. Diese Menschen haben es verdient, dass man ihren Mut lobt und ihnen Respekt ausdrückt. Ihre feige Häme in diesem Haus ist fehl am
Platz.
({12})
Es ist richtig, dass gerade in dieser Zeit eines der
größten Programme zum Ausbau der Kinderbetreuung in
Deutschland läuft.
({13})
Es ist richtig, dass wir mit dem Elterngeld eine weitere
familienpolitische Leistung eingeführt haben, die von
vielen in Anspruch genommen wird, die beruflich pausieren wollen. Deswegen ist es eine konsequente Fortsetzung unserer Politik, dass wir eine Lücke schließen und
denen helfen, die keine staatliche Kinderbetreuung in
Anspruch nehmen. Diese Eltern darf der Staat nicht vergessen. Deswegen muss er bereit sein, deren Erziehungsleistung auch finanziell zu honorieren.
({14})
- Wir haben ein freiheitliches Bild von der Familie.
({15})
Deswegen werden Sie nie von uns hören, dass wir irgendeine Art der Erziehung oder Eltern, die frei entscheiden, eine Kita zu nutzen, in irgendeiner Art und
Weise schlechtreden.
({16})
Wir werden Eltern, die eine Kita nutzen, nicht schlechtreden. Aber Sie von der SPD, von den Grünen und von
der Linkspartei reden permanent diejenigen Eltern
schlecht, die keine Kita nutzen, die ihre Kinder nicht in
die Kita geben.
({17})
Sie wollen nur die eine Erziehungsleistung haben. Sie
wollen die Eltern in Deutschland spalten. Sie sind diejenigen, die Erziehungsleistungen zu Hause schlechtreden.
Ich kann Ihnen sagen: Wir werden nicht zulassen, dass
Sie Eltern in Deutschland spalten und gegeneinander
ausspielen. Wir stehen für die echte Wahlfreiheit bei der
Erziehung.
({18})
Meine Damen und Herren, hören Sie bitte endlich mit
dieser unglaublichen Unterstellung auf, dass Kinder zu
Hause schlechter erzogen werden als in der Kita.
({19})
Das, was Sie hier heute aufführen - SPD, Grüne und
Linkspartei -, gegen das Betreuungsgeld zu stänkern,
das diffamiert in unerträglicher Weise die Erziehungsleistung von vielen Millionen Vätern und Müttern in diesem Land, und das lassen wir nicht zu.
({20})
Vielen Dank, Kollege Alexander Dobrindt. - Jetzt für
die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin
Marianne Schieder. Bitte schön, Frau Kollegin Marianne
Schieder.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allen Dingen liebe Kolleginnen und Kollegen
aus den Reihen der CSU! Es war schon schlimm genug,
was Frau Bär und was Frau Dr. Schröder hier geboten
haben. Aber was der Herr Generalsekretär Dobrindt
eben abgeliefert hat, „des zäigt oim“, wie wir in Bayern
sagen, „d’Schouh aas“. Anders kann man das nicht bezeichnen.
({0})
Kein Mensch hat heute und auch die Monate und
Jahre zuvor hier in diesem Hohen Hause davon geredet,
dass Kinder zu Hause schlechter erzogen werden als in
Kindertagesstätten. Sie wissen doch genauso gut wie wir
alle hier, dass das Betreuungsgeld nur auf den ersten
Blick so verfangen kann, dass man davon ausgehen
könnte, dass es eine längst überfällige Anerkennung von
Erziehungsleistung im Elternhaus mit sich bringt. Sie
wissen doch ganz genau, dass bereits der zweite Blick
zeigt, dass dieses Betreuungsgeld geeignet ist, eine katastrophale Steuerungswirkung zu entfalten und dafür zu
sorgen, dass gerade Kinder, die einer frühkindlichen Förderung bedürfen, nicht mehr in unseren Kindertagesstätten auftauchen werden und damit ihrer Zukunftschancen
beraubt werden.
({1})
Die ganze SPD-Fraktion hat viel Verständnis dafür,
dass Eltern, die sich heute bewusst entschieden haben, in
den ersten drei Lebensjahren mit ihren Kindern zu Hause
zu bleiben, oder dass Eltern, die dies tun müssen, weil
sie gar keinen Kitaplatz gefunden haben, gerne diese
150 Euro nehmen. Aber Sie müssen doch auch zugeben,
dass Sie mit der kleinen milden Gabe, die Sie auf der einen Seite verteilen, auf der anderen Seite, nämlich bei
Kindern aus sozial schwächeren Familien, viel Schaden
anrichten, den Sie nicht mehr gutmachen können.
({2})
Dieses Betreuungsgeld ist eine Entscheidung gegen
die frühe Förderung von Kindern, gegen eine frühe Förderung, die vielen Kindern sehr gut täte und die dafür
sorgen würde, dass Benachteiligungen abgebaut werden
und dass gute Startbedingungen entstehen können. Ich
frage Sie, Frau Bär oder Herr Dobrindt: Wo erleben Sie
denn in Bayern die Wahlfreiheit? Bayern gehört zu den
Bundesländern, in denen es diese Wahlfreiheit nicht gibt.
Mit einer Betreuungsquote von 20,6 Prozent sind wir
ganz hinten im bundesweiten Ranking.
({3})
Da gibt es viel zu tun für Ihre Familienministerin.
Sie wissen das doch auch. Ich lese Ihnen einmal vor,
was die bayerische Sozialministerin in der Frankfurter
Rundschau von heute gesagt hat. Auf die Frage, ob nicht
die Gefahr bestehe, dass gerade Geringverdiener lieber
das Bargeld nähmen, als ihre Kinder in die Krippe zu geben, antwortete sie - ich zitiere -:
Wissenschaftliche Studien und die Erfahrungen in
Finnland, Schweden und Norwegen haben das Gegenteil erwiesen. Die Eltern, die ihre Kinder schon
mit einem Jahr in eine Krippe geben, sind außerdem meistens gut verdienende Berufstätige. Und
die werden sich von den 150 Euro nicht umstimmen
lassen.
Ach, siehe da, die Ministerin stellt sich dumm, weiß
aber ganz genau, was los ist.
({4})
Sie weiß nämlich ganz genau, dass dieses Betreuungsgeld dort angenommen wird, wo es zur Fernhalteprämie wird und Kindern ihre Lebenschancen genommen werden. Sie wissen doch auch, dass gerade in sozial
schwächeren Familien dieses Geld als Lockmittel geeignet ist.
({5})
Da frage ich Sie, Frau Bär: Wo ist denn Ihr christliches Menschenbild geblieben? Und ich frage die Vertreter von der liberalen Seite: Wo bleibt denn das einst so
hoch gehaltene Engagement der Liberalen für die Bildung?
({6})
Marianne Schieder ({7})
Ich sage Ihnen: Sie sind lediglich eine sogenannte christlich-liberale Koalition. Sie sorgen mit diesem Betreuungsgeld für den Ausbau der sozialen Spaltung und für
noch mehr Bildungsungerechtigkeit in diesem Land.
({8})
Sie wissen genau, dass das Beste, was wir unseren Kindern mitgeben können, Bildung ist und dass diese Bildung nicht in der Schule, sondern bereits im vorschulischen Bereich beginnt.
({9})
Deswegen müssen wir die Zahl der Kitaplätze ausbauen,
({10})
um eine echte Wahlfreiheit zu schaffen und dafür zu sorgen, dass es wirklich genügend Kindertagesstättenplätze
gibt und dass Eltern die Frage entscheiden können und
nicht in ein Rollenbild hineingedrängt werden, in das sie
nicht hineingedrängt werden wollen.
({11})
Aber ich kenne die Argumentationsmuster der CSU,
und ich weiß, wie vor Ort diskutiert wird. Schneller als
Sie glauben, haben Sie an den Stammtischen
({12})
wieder diejenigen, die als Alleinerziehende oder als
junge Familien Familie und Beruf vereinbaren wollen
oder als junge Eltern gezielt einen Kitaplatz wollen,
({13})
wegen der Förderung in die Rabenfamilien-Ecke hineingedrängt.
({14})
Das ist ein konservatives, ein rückwärtsgewandtes Familienbild, von dem ich eigentlich gedacht hätte, dass es
die CSU schon längst überwunden hat.
Die Erziehung unserer Kinder sowohl im Elternhaus
als auch in den Kitas und Schulen ist eine der wichtigsten Aufgaben für die ganze Gesellschaft, und die dort
geleistete Erziehungsarbeit muss von der Gesellschaft
besser honoriert und besser gefördert werden. Aber der
Weg über das Betreuungsgeld ist ganz bestimmt der falsche Weg. Familien brauchen bessere Rahmenbedingungen, um Familie und Beruf in Einklang bringen zu können, und da können Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
seitens der CSU, gerade in Bayern noch viel mehr tun,
bevor Sie so einen Unsinn wie das Betreuungsgeld anstreben.
({15})
Vielen Dank, Frau Kollegin Marianne Schieder. Jetzt spricht für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Daniela Ludwig. Bitte schön.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine wertvolle Redezeit zu Beginn
gerne noch einmal dafür nutzen, Ihnen von Herzen zu erklären, wie das von uns am Sonntag beschlossene Betreuungsgeld in Wahrheit funktioniert. Bevor Sie jetzt
gelangweilt gähnen, hören Sie einfach einmal zu.
({0})
Denn wenn Sie es schon kapiert hätten, hätte sich der
eine oder andere Redebeitrag erledigt oder innerhalb von
fünf Minuten umgeschrieben werden müssen, liebe Frau
Marks. So schnell konnten Sie aber leider nicht mehr reagieren.
Also: Das Betreuungsgeld funktioniert zweigleisig.
Es ist Anerkennung für die Eltern, die sich bewusst für
die Betreuung ihrer Kleinst- und Kleinkinder - Herr
Steinmeier, wir sprechen nicht von Kindergartenkindern ({1})
zu Hause entscheiden und dafür eine Zeit lang auf nichts
Geringeres als auf ihre eigene Berufstätigkeit verzichten. Punkt eins.
({2})
Punkt zwei: Das Betreuungsgeld ist Unterstützung
auch der Eltern, die weiter berufstätig sind, sich aber anmaßen,
({3})
eine Krippe nicht in Anspruch nehmen zu wollen, weil
sie sich die Betreuung des Wichtigsten, was sie im Leben haben, nämlich ihrer Kinder, anders vorstellen als
beispielsweise Sie.
({4})
- Die Lautstärke Ihres Geschreis steht leider im umgekehrten Verhältnis zur Sinnhaftigkeit Ihrer Äußerungen.
Von daher wäre es schön, wenn Sie einfach weiter zuhören würden.
({5})
So viel jetzt nur zur fachlichen Aufklärung für die, die
immer noch mit den billigen Argumenten wie „Herdprämie“, „Hausfrauensubventionierung“ und anderem Blödsinn, der Ihnen sonst noch eingefallen ist, um die Ecke
kommen.
({6})
Das sind alte Textbausteine. Entledigen Sie sich dieser,
und setzen Sie sich fachlich mit dem auseinander, was
wir hier machen!
({7})
Ganz abgesehen davon, dass wir es hier mit einer bodenlosen fachlichen Ahnungslosigkeit Ihrerseits zu tun
haben,
({8})
diskreditieren Sie. Ob Sie das gerne hören oder nicht, es
ist so.
({9})
- Es wird deswegen nicht falscher, Frau Ziegler. Sie haben allerdings vieles wiederholt, was falsch ist. - Ganz
abgesehen davon, dass Sie fachlich ahnungslos sind, diskreditieren Sie auf unsägliche Art und Weise Mütter und
Väter. Erweitern Sie einmal Ihren Horizont!
({10})
Es gibt nämlich auch Väter, die zu Hause bleiben.
({11})
Und in Bayern bleiben prozentual die meisten Väter zu
Hause. Diese sind nicht vorher von Ihnen agitiert worden, sondern sie machen es freiwillig.
({12})
Sie diskreditieren also Mütter und Väter,
({13})
die es sich trauen, zu sagen: Ich will mein Kind nicht in
eine Krippe geben. Ich will es selbst machen.
Es gibt ja vermutlich kaum einen anspruchsvolleren
Job als den, Kleinstkinder und Kinder zu erziehen
({14})
und ihnen Liebe und Gefühle entgegenzubringen.
({15})
Auch darum geht es nämlich. Das muss man einmal gegenüber Ihrer Generalsekretärin festhalten, die da irgendetwas von gymnasialem Schwachsinn erzählt.
({16})
Mir fehlen angesichts Ihrer Äußerungen wirklich die
Worte. Wie viele Eltern machen sich vor der Geburt und
nach der Geburt intensivst, Tag und Nacht - Sie haben es
angesprochen, liebe Frau Ministerin - Gedanken darüber, was für ihr Kind gut ist? Da brauchen sie die SPD
nicht. Da brauchen sie im Übrigen auch uns nicht. Jeder
Elternteil, jeder Vater, jede Mutter, soll individuell das
für sein Kind bekommen können, was er will.
({17})
Das kann ein Krippenplatz sein, das kann die häusliche
Betreuung sein, das kann ein Kindermädchen sein, das
kann die Nachbarschaftshilfe sein. Erweitern Sie auch
hier Ihren Horizont!
({18})
Es gibt nicht nur Ballungsräume. Es gibt auch dörfliche
Gemeinschaften, in denen durch Absprachen wunderbare Lösungen gefunden werden. Diese organisieren selber die Betreuung, weil sie dann wissen, was sie haben.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Was Sie hier abliefern,
stellt nichts anderes dar als eine permanente Anmaßung.
Dann setzen Sie dem Ganzen noch die Krone auf, indem
Sie sagen: Kita für alle, weil die Kinder sonst leider verdummen. Aha! Elternhäuser verdummen ihre Kinder. Interessant! Auch da kann ich Ihnen nur sagen: Mir fehlen
fast die Worte.
({19})
Man kann es gar nicht oft genug wiederholen: Das ist offenbar Ihre Einstellung zu elterlicher Erziehung und elterlicher Liebe gegenüber Kindern.
({20})
Anders kann ich es nicht sagen. Sie alle hatten eine wunderbare Gelegenheit, das darzustellen. Das ist Ihnen leider nicht gelungen.
({21})
Deswegen noch einmal: Erweitern Sie Ihren Horizont! Erweitern Sie Ihr Lebensbild!
({22})
Schauen Sie sich an, was die ganz große Mehrheit der
Eltern will!
({23})
Die ganz große Mehrheit der Eltern will selber entscheiden, was sie macht
({24})
mit ihrem Säugling, mit ihrem einjährigen, mit ihrem
zweijährigen, mit ihrem dreijährigen Kind. Die ganz
große Mehrheit der Eltern kann das wunderbar selbst
entscheiden. Wir stellen allen Eltern gleichmäßig die
Möglichkeiten zur Verfügung,
({25})
die sie brauchen, um diese Entscheidung ganz frei und
ohne staatlichen Zwang und nur für sich selber zu treffen.
({26})
Vielen herzlichen Dank.
({27})
Vielen Dank, Frau Kollegin Ludwig. - Jetzt geben
wir noch alle Aufmerksamkeit dem letzten Redner unserer Aktuellen Stunde. Für die Fraktion der CDU/CSU
spricht unser Kollege Dr. Peter Tauber. Bitte schön, Kollege Dr. Tauber.
({0})
- Herr Kollege Dr. Tauber, Sie haben das Wort, auch
wenn es sich anders anhört.
Herr Präsident, ich werde mir Mühe geben, so laut zu
sprechen, dass mir alle folgen müssen, auch die, die es
vielleicht nicht wollen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine
Herren! Ich glaube, es war vorher klar, dass diese Debatte emotional wird. Ich habe, ehrlich gesagt, auch damit gerechnet, dass aus den Reihen der Opposition der
eine oder andere Redner oder die eine oder andere Rednerin bei diesem Thema Schaum vor dem Mund hat.
({0})
Es ist zwar kein neues Thema, es ist aber nach wie vor
ein strittiges Thema. Vielleicht ist es Ihrer Emotionalität
geschuldet, dass Sie das eine oder andere gesagt haben,
was so aus meiner Sicht nicht stehen bleiben darf. Frau
Kollegin Deligöz, Sie haben sinngemäß gesagt, Eltern,
die sich selber kümmern, stehlen ihren Kindern die Zukunft.
({1})
Das kann so absolut nicht stehen bleiben. In allen Redebeiträgen der Opposition wird eines getan: Sie stellen die
Erziehung in der Kita und die Erziehung zu Hause einander konfrontativ gegenüber. Aber beides hat seinen Wert.
({2})
Beides kann gut sein, und beides kann zu Problemen
führen.
Damit bin ich bei einem Satz vom Kollegen
Steinmeier, der leider schon gegangen ist.
({3})
Das ist bedauerlich; aber vielleicht geben Sie an ihn weiter, was ich dazu zu sagen habe, und vielleicht denkt er
dann noch einmal darüber nach. - Er hat als Problempunkt beim Betreuungsgeld die Frage aufgeworfen: Was
geschieht mit Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, aus anregungsarmen, bildungsfernen
Schichten? Er hat ganz pauschal gesagt: Wir wollen eigentlich kein Betreuungsgeld für die Kinder türkischstämmiger Familien, weil wir glauben, dass sie dann
nicht in die Kita gehen und nicht den Anschluss in dieser
Gesellschaft finden. - Auch dieser Satz darf so pauschal
nicht stehen bleiben.
({4})
- Den hat er so gesagt; das können Sie gerne nachlesen.
Den hat er so pauschal gesagt. Das darf man aber so
nicht sagen.
({5})
Das mag es geben, und das ist eines der Probleme, über
die wir reden müssen, wenn wir das Betreuungsgeld ausgestalten. Aber die pauschale Aussage, dass Kinder mit
Migrationshintergrund nicht den Anschluss in dieser Gesellschaft finden, wenn sie im zweiten und dritten Lebensjahr zu Hause bleiben, kann, ganz ehrlich, nicht Ihr
Ernst sein. Denken Sie das einmal zu Ende, und fragen
Sie sich, was dieser Satz eigentlich bedeutet.
({6})
Dann darf man einmal daran erinnern - das ist für die
Sozialdemokraten ein bisschen schmerzhafter als für die
Linken und die Grünen -: Sie haben das mit auf den Weg
gebracht.
({7})
Denn das Betreuungsgeld ist eine von drei Säulen einer
modernen Familienpolitik.
({8})
Diese Säulen sind das Elterngeld, der Ausbau der Krippenplätze und das Betreuungsgeld. Das schmerzt Sie
wahrscheinlich auch deswegen, weil mit Ursula von der
Leyen eine christdemokratische Familienministerin das
angestoßen hat, während Sie vorher nur geschlafen haben.
({9})
Das müssen Sie sich an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen lassen.
({10})
Diese drei Säulen gehören sehr wohl zusammen,
wenn wir nicht wollen, dass der Staat die Lufthoheit
über die Kinderbetten hat. Das wollen wir nicht, im Gegensatz zu Ihnen.
({11})
Sie gehören deswegen zusammen, weil wir wollen, dass
es qualitativ gute Betreuungseinrichtungen gibt, auch für
Kinder unter drei Jahren.
({12})
An dieser Stelle muss man einmal sagen, dass die Erzieherinnen und Erzieher in dem Bereich in der Regel einen
tollen Job machen.
({13})
Zu dem Ganzen gehört auch, dass wir anerkennen,
dass es in der Entscheidungsfreiheit der Familie liegt, ob
sie das Angebot ab dem zweiten oder dritten Lebensjahr
des Kindes oder später nutzen möchte.
({14})
- Sie setzen aber Anreize, die dazu führen; das ist der
entscheidende Punkt.
({15})
Wenn Sie nur für Krippenausbau plädieren, kein Betreuungsgeld wollen und andere Formen von Familienleben
negieren, setzen Sie Anreize, die in die falsche Richtung
führen. Das ist nicht in Ordnung.
({16})
- Frau Marks, Sie schreien immer dazwischen. Meine
Mama hat mir beigebracht: Wer schreit, hat unrecht.
({17})
Das lernt man zu Hause, und das lernt man auch in der
Kita oder in der Krippe, dass man nicht schreit und dass
man, wenn man schreit, meistens unrecht hat.
({18})
Ich schreie im Gegensatz zu Ihnen nicht; das habe ich so
gelernt.
({19})
Ich weiß nicht, wo Sie etwas gelernt haben; aber das ist
auch nicht meine Baustelle, Frau Marks. Keifen Sie ruhig weiter; ich nehme das alles in Demut zur Kenntnis.
Sie verhalten sich hier auch nicht anders als im Ausschuss.
Es geht uns im Kern darum, dass Familien selbst entscheiden können, wie sie ihr Zusammenleben organisieren, und dass wir für alle gleiche Rahmenbedingungen
schaffen, auch für diejenigen, die selbstständig sind und
die sich in den ersten drei Jahren selbst um ihr Kind
kümmern wollen, weil sie das mit ihrer Selbstständigkeit
vereinbaren können, und für die, bei denen die Großeltern im selben Haus leben und die ersten drei Jahre mithelfen, sodass keine Betreuungseinrichtung benötigt
wird.
({20})
Für diese Fälle des Lebens wollen wir ein Betreuungsgeld. Wir wollen eben nicht eine holzschnittartige Gesellschaft, wo es nur schwarz oder weiß gibt, wo die
Krippe gut und die Erziehung in der Familie schlecht ist,
({21})
sondern wir wollen die Vielfalt des Lebens und die individuelle Entscheidungskraft der Familien stärken. Das
tun wir mit den drei Säulen unserer modernen Familienpolitik: Krippenausbau, Elterngeld und Betreuungsgeld.
({22})
Das ist das Entscheidende. Dass Sie das nicht verstehen, nehme ich Ihnen nicht übel. Aber hören Sie auf,
diese Debatte mit Schaum vor dem Mund zu führen.
({23})
Es ist eine rein sachliche Debatte. Sie sind leider nicht
sachlich, aber vielleicht gewinnen Sie noch an Ruhe und
Gelassenheit. Das wünsche ich Ihnen zum Schluss dieser
Debatte.
Herzlichen Dank.
({24})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt,
wir hätten noch genügend Kraft und Argumente, diese
Debatte weiterzuführen. Dennoch beende ich jetzt die
Aktuelle Stunde.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 10. November
2011, 9 Uhr, ein. Ich freue mich, wenn wir uns dann alle
hier wiedersehen.
Die Sitzung ist geschlossen.