Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zur 135. Sitzung des Bundestages.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/7359 zu
erweitern. Dieser Zusatzpunkt soll zusammen mit dem
ersten Tagesordnungspunkt aufgerufen werden. Außerdem ist vorgesehen, die Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 3 Abs. 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes - das ist unser Tagesordnungspunkt 7 - auf
heute vorzuziehen. Die Wahl soll im Anschluss an die
im Zusammenhang mit der Regierungserklärung vorgesehenen namentlichen Abstimmungen erfolgen. Nach
der Fragestunde ist dann noch eine von der Fraktion Die
Linke verlangte Aktuelle Stunde zur Steuerpolitik geplant.
({0})
- Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Zwischenrufe,
wie meistens, im Protokoll erfasst sind, sodass sie hier
nicht wiederholt werden müssen.
({1})
Ich stelle jedenfalls Einvernehmen zu den von mir gerade vorgetragenen beabsichtigten Veränderungen fest.
Dann können wir so verfahren.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 sowie den gerade
aufgesetzten Zusatzpunkt 1 auf:
1 Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat und zum Eurogipfel
am 26. Oktober 2011 in Brüssel
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Fritz Kuhn, Dr. Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung einer Kommission des Deutschen
Bundestages zur Regulierung der Großbanken
- Drucksache 17/7359 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Zu der Regierungserklärung liegen mehrere Entschließungsanträge vor. Wir werden mindestens drei namentliche Abstimmungen im Anschluss an die Regierungserklärung haben. Stellen Sie sich darauf bitte schon
einmal ein.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Auch hierzu höre ich
keinen Widerspruch. Dann können wir das so handhaben.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung erhält nun die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
gut drei Jahren löste die Insolvenz der Investmentbank
Lehman Brothers den größten Börsencrash der Nachkriegszeit aus. Was als amerikanische Immobilienkrise
begann, entwickelte sich rasch zu einer globalen Finanzkrise. Gemeinsame Anstrengungen der Bundesregierung
und des Bundestages haben damals verhindert, dass
Deutschland in eine tiefe Rezession geriet. Den Bürgerinnen und Bürgern hat die Krise dennoch viel abverlangt: wirtschaftliche Einbußen, aber auch Geduld und
Vertrauen.
Heute können wir festhalten: Unsere gemeinsamen
Anstrengungen haben sich gelohnt; denn Deutschland ist
Redetext
stärker aus der globalen Finanzkrise hervorgegangen, als
es in sie hineingegangen ist. Wir können uns über ein beachtliches Wirtschaftswachstum freuen. Und vor allen
Dingen ist die Arbeitslosigkeit so gering wie seit 20 Jahren nicht mehr.
({0})
Klar ist aber auch: Deutschland kann es auf Dauer
nicht gut gehen, wenn es Europa schlecht geht. Deshalb
ist jetzt das wichtigste Anliegen der Bundesregierung,
dass auch Europa stärker aus der Krise hervorgeht, als es
in sie hineingekommen ist. Das bedeutet nicht mehr und
nicht weniger als: Europa muss eine Stabilitätsunion
werden. Was heißt das?
Das bedeutet erstens: Wir müssen die akute Krise bewältigen. Dazu müssen wir tragfähige Lösungen für die
Länder finden, die eine zu hohe Verschuldung aufweisen, und damit die Fehler der Vergangenheit korrigieren.
Gleichzeitig müssen wir verhindern, dass sich die Krise
immer weiter auf andere Länder ausbreitet.
Genauso wichtig wie das Erstgesagte ist zweitens:
Wir müssen Vorsorge für die Zukunft treffen. Dazu müssen wir die Ursachen dieser Krise entschlossen an ihrer
Wurzel packen. Das ist die übermäßige Verschuldung,
aber auch die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit einiger
Euro-Mitgliedstaaten. Das bedeutet nichts anderes, als
dass wir die Fundamente der Wirtschafts- und Währungsunion maximal verstärken müssen.
Jede dieser beiden von mir genannten Herausforderungen ist für sich genommen schon relativ groß. Wir
müssen jedoch auf diese Herausforderungen gleichzeitig
überzeugende Antworten finden, wenn die Wirtschaftsund Währungsunion ihre Belastungsprobe bestehen und
dauerhaft gestärkt aus ihr hervorgehen will. Ich glaube,
wir sind uns einig: Dies ist die größte Belastungsprobe
der Wirtschafts- und Währungsunion, die es je gegeben
hat.
({1})
Bei der Formulierung der Antworten sind wir am vergangenen Wochenende in den Beratungen der Finanzminister und der Staats- und Regierungschefs ein gutes
Stück vorangekommen, und ich werde mich heute
Abend dafür einsetzen, dass wir insgesamt zu tragfähigen Entscheidungen kommen. Die Probleme, mit denen
wir es zu tun haben, haben ihren Ursprung zum Teil weit
vor Ausbruch der aktuellen Krise. Dieses wurde jedoch
interessanterweise sowohl von den Märkten, aber eben
leider auch von der Politik viel zu lange ignoriert.
Die Wahrheit ist: Jahrelang war es möglich, Schulden
zu machen, ohne dass es Sanktionen der Märkte in Form
von erhöhten Zinsen gab oder die Sanktionen im Stabilitäts- und Wachstumspakt, die eigentlich dafür vorgesehen sind. Jahrelang war es möglich, notwendigen Reformen auszuweichen und in der Wettbewerbsfähigkeit
zurückzufallen. Zur Wahrheit gehört auch, dass die für
die Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der
Europäischen Union vorgesehenen Fonds - die Strukturfonds und der Kohäsionsfonds - teilweise zu Fehlwirkungen geführt und gerade nicht das gewünschte Ergebnis gezeitigt haben. Mit diesem jahrelangen Reformstau
haben wir jetzt zu kämpfen. Deshalb wäre es völlig unseriös, zu behaupten, das könne man über Nacht einfach
auflösen.
Aber es gibt auch positive Nachrichten. Vor allem Irland ist wieder auf einem guten Weg, Portugal ist fest
entschlossen, sein Anpassungsprogramm durchzusetzen,
und die griechische Regierung hat in den letzten Monaten mit dringend notwendigen Reformen begonnen. Es
ist auch einmal der Erwähnung hier wert, dass den Menschen in Griechenland viel abverlangt wird. Sie verdienen unseren Respekt, und sie verdienen vor allen Dingen
eine tragfähige Zukunftsperspektive in der Euro-Zone.
({2})
Dennoch: Es ist noch sehr viel zu tun, um die Probleme Griechenlands in den Griff zu bekommen. Die sogenannte Troika aus Vertretern von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem
Währungsfonds überwacht die Umsetzung des Programms und bewertet, ob Griechenland seine Schuldenlast grundsätzlich tragen kann. Aus dem inzwischen vorliegenden neuesten Bericht der Troika müssen wir jetzt
die richtigen Schlüsse ziehen. Der Bericht zeichnet auf
der Basis der Erfahrungen von inzwischen anderthalb
Jahren ein realistisches Bild der Lage Griechenlands.
Das ist insbesondere das Verdienst des IWF und seiner
neuen Direktorin, Christine Lagarde, der ich an dieser
Stelle ausdrücklich danken möchte.
({3})
Der Troika-Bericht verdeutlicht, dass Griechenland
erst am Anfang eines langen und schwierigen Weges
steht. Er verdeutlicht auch, dass der Privatsektor einen
erheblichen Beitrag leisten muss, um die Schuldentragfähigkeit Griechenlands nachhaltig zu verbessern. Das
Ergebnis lautet auch: Die Maßnahmen, die wir am
21. Juli 2011 im Europäischen Rat auf der Grundlage der
damals vorliegenden Ergebnisse beschlossen haben, sind
heute nicht mehr tragfähig. Das Ergebnis der heutigen
Beratungen muss sein - das ist das Ziel -, dass die
Schuldentragfähigkeit Griechenlands so ausgestaltet
wird, dass Griechenland im Jahr 2020 auf einen Schuldenstand von 120 Prozent Verschuldung des Bruttoinlandsprodukts kommt. Das geht nicht, ohne dass sich
der private Sektor in erheblich größerem Umfang an den
Lasten beteiligt, als das am 21. Juli 2011 vorgesehen
war.
({4})
Ein Schuldenerlass allein - das will ich hier ganz
deutlich sagen -, egal wie er ausgestaltet ist, löst allerdings die Probleme Griechenlands nicht. Schmerzhafte
und notwendige Strukturreformen müssen konsequent
umgesetzt werden. Sonst stehen wir trotz Schuldenerlass
nach kurzer Zeit wieder da, wo wir heute stehen. Das
muss immer klar sein.
({5})
Deshalb ist das Prinzip, das wir von Anfang an anwenden, richtig: Hilfen kann es nur geben, wenn der Empfänger Eigenverantwortung übernimmt. Hilfen müssen
immer an strenge Bedingungen geknüpft sein.
Meine Damen und Herren, auf diesem Weg müssen
wir Griechenland mit Sicherheit noch eine ganze Zeit
begleiten. Ich glaube - auch darüber werden wir heute
sprechen -, es reicht nicht aus, dass alle drei Monate eine
Troika kommt und wieder geht. Es wäre wünschenswert,
dass eine permanente Überwachung in Griechenland
stattfindet.
({6})
Genauso sind wir verpflichtet, alles dafür zu tun, dass
Griechenland die Möglichkeit gegeben wird, wieder zu
wachsen. Das bedeutet natürlich auch: Investitionen unter wahrscheinlich verbesserten Voraussetzungen. Deshalb gibt es eine EU-Mission unter Leitung des Deutschen Horst Reichenbach. Deshalb gab es die Reise des
Bundeswirtschaftsministers nach Griechenland - mit einer Vielzahl potenzieller Investitionen deutscher Unternehmen im Gepäck.
({7})
Und deshalb gibt es auch ein Treffen der Vertreter deutscher und griechischer Kommunen in der nächsten Woche. Sie wollen darüber beraten, wie sie sich gegenseitig
helfen können.
Ich sage ausdrücklich - ich glaube, ich sage das in Ihrer aller Namen -: Wir wollen, dass Griechenland
schnell auf die Beine kommt. Wir werden in allen Bereichen das tun, was uns möglich ist, im Sinne der deutschgriechischen Partnerschaft.
({8})
Ein Schuldenschnitt für Griechenland, das heißt eine
Beteiligung der privaten Gläubiger, bedeutet, egal wie er
aussieht, dass wir gleichzeitig auch eine Lösung finden
müssen, um systemische Risiken zu vermeiden, das
heißt, um zu vermeiden, dass andere Länder aufgrund
dieses Vorgangs angesteckt werden. Deshalb müssen wir
zwei Wege beschreiten.
Wir müssen dafür sorgen - das ist der eine Weg -,
dass die Banken das Vertrauen ineinander nicht verlieren. Deshalb wurde am vergangenen Wochenende eine
stärkere Rekapitalisierung der Banken von den Finanzministern auf der Grundlage der Vorschläge der europäischen Bankenaufsicht beschlossen. Diese ist unbedingt
notwendig und wird ein ganz wichtiges Element sein,
um eine solche Ansteckung zu verhindern. Wenn wir
diese Rekapitalisierung der Banken durchführen, dann
gilt die folgende Reihenfolge - das ist klar -: Zuerst sind
die Banken aufgefordert, die Kapitalisierung aus eigener
Kraft zu leisten, an zweiter Stelle müssen die Nationalstaaten helfen, und nur dann, wenn die Stabilität des
Euro insgesamt in Gefahr ist, weil ein Nationalstaat das
nicht leisten kann, kann es in Betracht kommen, dass die
EFSF dazu herangezogen wird. Das ist die Reihenfolge.
Ein zweites wichtiges Element, um die Ansteckungsgefahr zu verhindern, ist der sogenannte Schutzwall,
über den wir jetzt sehr viel gesprochen haben. Sie können es auch Firewall nennen, wenn Sie des Englischen
mächtig sind;
({9})
ich wollte mich allerdings deutsch ausdrücken, was sicherlich hilfreich ist.
({10})
Hierzu müssen wir - das ist der zweite Weg - alle anderen Länder von den Ansteckungsgefahren, die von Griechenland ausgehen können, abschirmen. Dazu sage ich:
Unabdingbar, bevor wir solche Abschirmungen vornehmen, ist erst einmal, dass jedes Land, das davon betroffen sein könnte, seine Hausaufgaben macht und mit zusätzlichen Maßnahmen versucht, eigene Solidität zu
beweisen. Auch darüber wird zuerst gesprochen.
Nun geht es um die Formen der Abschirmung; darüber ist schon viel geredet worden. Die EFSF hat jetzt
eine effektive Kapazität von 440 Milliarden Euro; das
haben wir hier beschlossen. Deutschland übernimmt dabei Garantien in Höhe von 211 Milliarden Euro. Dabei
bleibt es: sowohl hinsichtlich des Gesamtvolumens der
EFSF als auch der Obergrenze der deutschen Garantien.
In unserer heutigen Beratung geht es darum, dass die
EFSF mit dieser Kapazität eine möglichst große Wirkung bei der Verhinderung von Ansteckungsgefahren erzielt. Die Wirkung dieser Abschirmung muss groß genug
sein. Es hat eine umfassende öffentliche Diskussion
dazu gegeben. Ich sage noch einmal - das ist ganz wichtig in diesem Zusammenhang -: Alle Modelle, die eine
Beteiligung der Europäischen Zentralbank voraussetzen,
sind vom Tisch und heute nicht Gegenstand der Beratung.
({11})
Sie widersprechen den europäischen Verträgen. Ich habe
klar gemacht, dass solche Lösungen mit der Bundesregierung nicht infrage kommen.
({12})
Nun werden zwei Optionen ohne Beteiligung der
Europäischen Zentralbank verfolgt: erstens die Teilabsicherung neuer Staatspapiere des betreffenden Euro-Staates und zweitens die Schaffung der Möglichkeit zur Beteiligung von privaten und öffentlichen Investoren an der
Finanzierung von Maßnahmen, also an der EFSF. Beide
Optionen können nur im Rahmen der für die EFSF vereinbarten Instrumente Anwendung finden. Damit ist
auch sichergestellt, dass die geltenden klaren Prinzipien
der EFSF immer Anwendung finden. Der Mitgliedstaat
muss einen Antrag auf Hilfe stellen, es wird ein Memorandum of Understanding ausgehandelt, und darin wird
eine strenge Konditionalität der Hilfen vereinbart.
Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung
müssen der Gewährung einer Hilfe im Einzelfall und damit der Anwendung einer der beiden Optionen zustimmen, und zwar in der Form, die die Vorschläge für das
parlamentarische Vorgehen beinhalten. Über beide
Optionen wird der Bundestag heute politisch im Grundsatz befinden, über beide Optionen werden wir heute
Abend im Rahmen des Treffens der Staats- und Regierungschefs noch einmal politisch im Grundsatz beraten
und sie beschließen. Selbstverständlich werden die Leitlinien, wenn sie vorliegen, anschließend entsprechend
dem parlamentarischen Verfahren hier im Deutschen
Bundestag beraten.
({13})
Darüber hinaus besteht auf europäischer Ebene Konsens, mit dem Internationalen Währungsfonds Gespräche darüber zu führen, wie der IWF über das heutige
Maß hinaus zur Stabilisierung der Euro-Zone beitragen
kann, und zwar mit Blick sowohl auf seine Expertise als
gegebenenfalls auch auf seine Finanzierungsinstrumente.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, weil es für
die Beschlussfassung von heute wichtig ist: Wer auch
immer möchte, dass sich private Gläubiger an der Schuldentragfähigkeit Griechenlands beteiligen, der muss
Sorge dafür tragen, dass eine Abschirmung, ein Schutz
gegenüber Ansteckungsgefahren mit beschlossen wird.
Alles andere ist grob unverantwortlich.
({14})
Ich habe es gesagt: Die Bundesregierung will, dass
die Wirtschafts- und Währungsunion zu einer Stabilitätsunion wird. Deshalb müssen wir neben der Bewältigung
der akuten Krise natürlich auch Vorsorge für die Zukunft
treffen, und zwar dadurch, dass die Euro-Mitgliedstaaten
mehr gemeinsame Verantwortung übernehmen. Dazu
haben wir bereits erste Schritte gemacht, zum Beispiel
mit dem Euro-Plus-Pakt, mit dem die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone freiwillige Verpflichtungen
eingegangen sind, Strukturreformen durchzuführen. Das
bedeutet: Wettbewerbsfähigkeit ist jetzt auch in der Europäischen Union Chefsache. Mit dem neuen, gerade in
Kraft getretenen Verfahren zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte können Wettbewerbsschwächen früher erkannt und auch behoben
werden. Auch die Struktur- und Kohäsionsfonds müssen
in Zukunft mehr dahin gehend eingesetzt werden, dass
sie wirklich der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit
dienen.
Aber ich sage auch - darauf werden wir im weiteren
Verfahren achten -: Wirtschaftliche Ungleichgewichte
sind noch nicht als solche schlecht. Wenn ein Überschuss entsteht, weil ein Land wettbewerbsfähiger als
ein anderes ist, dann darf das natürlich nicht infrage gestellt und nivelliert werden, genauso wie unterschiedliche Zinsen Ausdruck unterschiedlicher Stärke sind.
({15})
Wir haben den Stabilitäts- und Wachstumspakt verschärft. Sanktionen setzen früher ein. Sie sind effektiver.
Der Pakt bekommt jetzt sehr viel mehr Biss. Insofern
haben wir hier eine Trendumkehr eingeleitet.
Zudem haben der französische Präsident und ich vorgeschlagen - auch darüber werden wir sprechen -, dass
sich Parlamente, wenn die Europäische Kommission im
Rahmen des Europäischen Semesters bei der Überprüfung der Haushalte Kritik äußert, freiwillig verpflichten,
diese bei der Umsetzung im nationalen parlamentarischen Verfahren zu berücksichtigen, und dass sich alle
Euro-Mitgliedstaaten verpflichten, eine Schuldenbremse in ihrer Verfassung aufzunehmen.
({16})
Die Diskussion darüber ist in vollem Gange. Ich finde es
absolut bemerkenswert, dass ein Land wie Spanien noch
kurz vor den Wahlen seine Verfassung geändert hat, um
eine solche Schuldenbremse aufzunehmen.
({17})
Wir verschärfen und verbessern damit europäische
Verfahren. Diese ergänzen und verstärken wir durch
Selbstverpflichtungen, wie ich es eben gesagt habe. Wir
schöpfen damit den Rahmen der geltenden europäischen
Verträge weitestgehend aus. Die Probleme, vor denen
wir heute stehen, müssen und können heute in diesem
Rahmen gelöst werden. Aber ich sage auch: Wir brauchen mehr. Es ist meine feste Überzeugung, dass wir
über diesen Ansatz hinausgehen müssen.
Es ist im Übrigen auch so: Wenn die internationale
Öffentlichkeit auf uns in Europa schaut, dann will sie
auch wissen, wie die Entwicklung der Europäischen
Union mittelfristig weitergeht, weil sie Sicherheiten
braucht, dass der Euro-Raum zusammensteht, seine
Wettbewerbsfähigkeit verbessert und die Stabilitätskultur stärkt.
Deshalb werden wir die europäischen Verträge ändern
müssen.
({18})
Dafür hat sich der Bundesaußenminister am Samstag,
und dafür habe ich mich am Sonntag eingesetzt, und
zwar dahin gehend, dass wir - das wird sich auch in den
Schlussfolgerungen widerspiegeln - den Präsidenten des
Rates bitten, uns im Dezember Vorschläge zu machen,
wie die Stabilitätskultur besser verankert werden kann.
Dabei geht es nicht um eine umfassende Reform des Vertrags von Lissabon - damit hätte man sich zu viel vorgenommen -, es geht auch nicht um eine Vergemeinschaftung weiter Teile der Wirtschafts- und Finanzpolitik,
({19})
sondern im nächsten Schritt geht es darum, erst einmal
im Hinblick auf Länder, die permanent und immer wieder den Stabilitäts- und Wachstumspakt verletzen, eine
Möglichkeit zu schaffen, durchzugreifen und auf ihre
Verletzungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes
wirklich Einfluss zu nehmen.
({20})
Denn - weil hier gerade wieder gemurmelt wird - es
ist so: Es kann nicht sein - das ist über 50 Mal passiert -,
dass gemeinsame Verabredungen im Stabilitäts- und
Wachstumspakt nicht eingehalten werden. Wir wissen
jetzt, dass eine Nichteinhaltung in einem der 17 Mitgliedstaaten - Griechenland ist nicht der größte - zur
Gefährdung der Stabilität des Euro insgesamt führen
kann.
({21})
Deshalb müssen Verletzungen dieser Stabilitätskultur
schärfer geahndet werden, zum Beispiel durch ein Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof, wenn sich ein
Land permanent nicht an die Vorgaben hält.
({22})
Ich bin mir sehr sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, die sich mit Recht viele Sorgen machen, genau dies verstehen. Sie wollen nicht einfach
mehr Europa, aber sie wollen mehr Sicherheit für die
Stabilitätskultur in Europa.
Ich glaube, erst dann, wenn wir in diesem Sinne mehr
Europa schaffen, wenn wir Europa also weiterentwickeln, haben wir die politische Dimension dieser Krise
verstanden. Dann haben wir auch verstanden, dass wir
die Konstruktionsschwächen bzw. die Konstruktionsmängel bei der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion entweder jetzt oder gar nicht beseitigen.
Wenn wir sie jetzt beseitigen, dann nutzen wir die
Chance dieser Krise. Ansonsten würden wir versagen.
({23})
Ich bin mir durchaus bewusst: Eine Vertragsänderung
birgt immer Risiken. Sie ist ein mühsamer Weg. Alle
27 Mitgliedstaaten müssen zustimmen. Dennoch ist sie
der notwendige und beste Weg, eine Spaltung der Europäischen Union in Euro- und Nicht-Euro-Staaten zu verhindern. Wenn uns das nicht gelingt, dann wird sich die
Notwendigkeit ergeben, dass die Euro-Staaten untereinander verbindliche Verträge abschließen. Das will ich
nicht. Das fände ich nicht vernünftig, weil noch viele
Länder dem Euro beitreten wollen. Deshalb muss man
bereit sein, diesen Weg zu gehen.
Da wir in einer solch existenziellen Krise in Europa
sind, frage ich: Wo steht eigentlich geschrieben, dass
eine Vertragsänderung immer eine Dekade dauern muss?
Wer auf der Welt wird uns für handlungsfähig halten,
wenn wir uns hinstellen und sagen: „Nach dem Lissabonner Vertrag darf es nie wieder eine Änderung
geben“? Die ganze Welt ändert sich, also muss auch
Europa veränderungsbereit sein.
({24})
So wie wir im Zusammenhang mit der deutschen Einheit in sechs Monaten einen Zwei-plus-Vier-Vertrag hinbekommen haben, wird es doch wohl auch möglich sein
- der Euro sollte uns so viel wert sein -, dass wir gemeinsam Vertragsänderungen ins Auge fassen.
({25})
Angesichts der Dimension bei der Bekämpfung der
Krise ist nicht zu vergessen: Entstanden ist sie maßgeblich auch durch zu wenig Regulierung. Deshalb bleibt
die Regulierung der Finanzmärkte eine der großen Aufgaben, die bei weitem noch nicht erledigt ist.
({26})
Deswegen hat sich auch der Europäische Rat am
Sonntag noch einmal damit beschäftigt und betont, dass
wichtige Vorschläge zur Regelung der Derivate, der Einlagensicherung und der Eigenkapitalanforderungen an
Banken jetzt zügig angenommen werden müssen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal betonen,
dass sich die Bundesregierung für die Einführung einer
Finanzmarkttransaktionsteuer einsetzt,
({27})
und zwar in den nächsten Tagen zunächst einmal beim
G-20-Gipfel in Cannes. Wir sind auch dankbar dafür,
dass die Europäische Kommission einen Vorschlag dafür
vorgelegt hat. Die Finanzminister werden diesen Vorschlag Anfang November beraten, und Deutschland wird
alles tun, damit dieser Vorschlag der Europäischen Kommission ein Erfolg wird.
({28})
Wahr ist aber auch: Viele Fragen erfordern nicht nur
eine nationale oder europäische Antwort, sondern globale Antworten. Dafür ist die G 20 das geeignete Gremium. Die G 20 verkörpert immerhin zwei Drittel der
Weltbevölkerung und 80 Prozent der Weltwirtschaftskraft. Deshalb war der Ausgangspunkt der G-20-Beratungen im Übrigen auch eine bessere weltweite Regulierung der Finanzmärkte.
Man kann sagen: Wir haben einiges geschafft. Ein
wichtiger Schritt wird jetzt in Cannes gegangen werden:
Systemrelevante Banken werden nicht mehr so, wie es in
der Krise der Fall war, behandelt, dass nämlich letztlich
der Steuerzahler dafür eintreten muss. „Too big to fail“
gibt es nicht mehr, und international wird ein Restrukturierungsprozess für die systemischen Banken vereinbart,
so wie wir das in Deutschland mit dem Restrukturierungsgesetz für Banken bereits vorgeschlagen haben.
({29})
Das hat lange gedauert, aber es ist gut, dass wir das jetzt
in Cannes beschließen können.
({30})
Gleichzeitig werden wir den Auftrag erteilen, dass
das, was für die Banken gilt, auch für die „Schattenbanken“ gelten muss, zum Beispiel für die Hedgefonds;
denn auch sie stellen genauso ein systemisches Risiko
für die Finanzmärkte dar. Dieser Auftrag wird von dem
sogenannten Financial Stability Board als Nächstes bearbeitet werden.
({31})
In Europa haben wir bereits die Hedgefonds geregelt.
Aber weltweit ist das noch nicht in ausreichendem Maße
geschehen. Deshalb muss auch das Thema Steueroase
wieder auf den Tisch; denn wir hatten uns seitens der
G 20 zu Beginn vorgenommen, dass jedes Instrument,
jeder Platz und jeder Akteur einer Regulierung unterworfen wird. Da reicht es nicht, dass wir das national
oder in Europa tun, sondern das muss weltweit geschehen. Allerdings sage ich auch: Mit Einzelmaßnahmen in
Deutschland, zum Beispiel dem Verbot von Leerverkäufen, haben wir gute Erfahrungen gemacht; denn jetzt
wird das ganze Thema wenigstens in Europa diskutiert.
Nun müssen wir es noch weltweit nach vorne bringen.
({32})
Was auch sehr wichtig ist: G 20 wird nur dann funktionieren, wenn nicht jedes Jahr neue Beschlüsse gefasst
werden. Im letzten Jahr in Toronto hatten wir uns verpflichtet, dass alle Industrieländer bis 2013 ihr Staatsdefizit halbieren. Deutschland wird das schaffen, aber
längst nicht alle Industrieländer in der G 20. Ich halte
nichts davon, jedes Jahr nach Konjunkturlage gerade das
zu beschließen, was passt. Vielmehr glaube ich, dass die
G 20 die Verpflichtung hat, auf einem langen Pfad das
Beschlosssene durchzuhalten und der Ursache vieler der
Schwierigkeiten entgegenzuwirken. Verschuldung gibt
es nicht nur in Europa, sondern Verschuldung gibt es
auch in anderen Teilen der Welt, zum Beispiel in Japan
oder in den Vereinigten Staaten von Amerika. Deshalb
glaube ich: Es reicht nicht, wenn wir uns gegenseitig
immer nur ermahnen, sondern es geht vor allen Dingen
darum, dass wir gemeinsam handeln.
Wer in diesen Tagen im Lande unterwegs ist und mit
den Bürgerinnen und Bürgern spricht, wer die Demonstrationen in New York, Brüssel, Frankfurt oder Berlin
verfolgt, der weiß, wie sehr die Schuldenkrise die Menschen bewegt. Ich sage: Dafür habe ich großes Verständnis. Die Lage ist sehr ernst. Die Krise zu bewältigen,
erfordert Ausdauer. Wir alle betreten Neuland. Die Ursachen der Krise habe ich dargestellt. Sie sind komplex.
Einfache Lösungen, den einen Paukenschlag, wird es
nicht geben. Die Themen werden uns noch Jahre beschäftigen.
Ihnen liegen heute die Unterlagen mit Details zur Maximierung der Kreditvergabekapazität der EFSF vor, die
derzeit nach bestem Wissen und Gewissen vorgelegt
werden können. In der öffentlichen Debatte über diese
Maximierung ist viel von einem größeren Ausfall- und
Haftungsrisiko, das Deutschland mit der Maximierung
der EFSF möglicherweise eingeht, die Rede. Ob das so
sein wird, kann letztlich niemand abschließend abschätzen. Ich sage aber ausdrücklich: Ausschließen können
wir es nicht.
({33})
Deshalb ist es richtig und gut, dass wir dies in unserem
Entschließungsantrag so verankert haben.
({34})
Ich möchte darüber sprechen, weil wir hier an einem
Punkt sind, an dem wir, die wir alle politische Verantwortung tragen, eine schlichte politische Frage beantworten müssen. Sie lautet: Wie gehen wir in einer solchen Situation, wie wir sie jetzt haben, mit Risiken um?
Anders gefragt: Wann halten wir Risiken für vertretbar?
Können wir im konkreten Fall das Risiko, das wir mit
der Maximierung der EFSF eingehen, für vertretbar halten oder nicht? Das ist heute die konkrete Frage. Wenn
ich das Risiko für nicht vertretbar halte, dann darf ich es
natürlich nicht eingehen. Wenn ich es aber nach Abwägung aller Argumente für und wider für vertretbar halte,
dann muss ich das Risiko eingehen. Genau das zeichnet
politisches Handeln aus und unterscheidet es von anderem Handeln.
({35})
Bezogen auf die Maximierung der EFSF können wir
festhalten:
Erstens. Der deutsche Anteil bleibt bei 211 Milliarden
Euro.
Zweitens. Verträge werden nicht gebrochen.
Drittens. Die wirtschaftlich stärkste Nation sind wir.
Aber - auch das sage ich - wir sind nicht der Nabel der
Welt. Die Welt schaut auf Europa und Deutschland. Sie
schaut darauf, ob wir bereit und fähig sind, in der Stunde
der schwersten Krise Europas seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Verantwortung zu übernehmen.
Viertens. Dem möglichen Ausfall- und Haftungsrisiko steht der ökonomische Gewinn gegenüber, den
Deutschland wie kein anderes Land vom Euro hat.
Fünftens. Mein Fazit lautet deshalb: Das Risiko, das
mit der jetzt beabsichtigten Maximierung der EFSF verbunden ist, ist vertretbar.
({36})
Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Es wäre nicht
vertretbar und nicht verantwortlich, das Risiko nicht einzugehen. Eine bessere Alternative, eine vernünftigere
Alternative liegt mir nach Prüfung aller Möglichkeiten
nicht vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für
Ihre bisherige Unterstützung und kritische Begleitung
auf unserem Weg, den Euro zu schützen und zu stärken.
Es ist mir ein persönliches Anliegen, in enger Abstimmung mit dem Deutschen Bundestag - mit Regierungsund Oppositionsfraktionen - Lösungen zum Wohle unseres Landes zu finden.
Ich bin überzeugt: Mit unserem umfassenden Ansatz,
so wie ich ihn dargestellt habe, zur Bewältigung der akuten Krise einerseits und kluger Vorsorge für die Zukunft
andererseits wird es uns gelingen, die Wirtschafts- und
Währungsunion wieder zur Stabilitätsunion zu machen.
Unseren Bürgerinnen und Bürgern sage ich: Es gilt: Was
gut ist für Europa, das ist auch gut für Deutschland. Dafür steht ein halbes Jahrhundert Frieden und Wohlstand
in Deutschland und in Europa.
Gestatten Sie mir angesichts der Lage - nicht nur der
ökonomischen Lage wegen der Schuldenkrise, sondern
auch der politischen Lage in einzelnen Staaten Europas zum Schluss ein persönliches Wort. Niemand sollte glauben, dass ein weiteres halbes Jahrhundert Frieden und
Wohlstand in Europa selbstverständlich ist. Es ist es
nicht. Deshalb sage ich: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa. Das darf nicht passieren.
({37})
Wir haben eine historische Verpflichtung, das Einigungswerk Europas, das unsere Vorfahren nach Jahrhunderten des Hasses und des Blutvergießens vor über
50 Jahren auf den Weg gebracht haben, mit allen uns zur
Verfügung stehenden verantwortbaren Mitteln zu verteidigen und zu schützen. Die Folgen, wenn das nicht gelänge, kann niemand von uns absehen. Es darf nicht geschehen - das ist meine tiefe Überzeugung -, dass später
einmal gesagt werden kann, dass die politische Generation, die im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in
Europa politische Verantwortung getragen hat, vor der
Geschichte versagt hat.
Als umso wertvoller empfinde ich das politische Signal, das heute der Deutsche Bundestag mit einem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und
Bündnis 90/Die Grünen an die Menschen in Deutschland, nach Europa und in die Welt aussendet. Er sendet
damit eine Botschaft aus, die weit über die finanzpolitischen Aussagen des Antrags hinausreicht. Er sendet die
Botschaft aus, dass Deutschland parteiübergreifend das
europäische Einigungswerk schützt und für dieses Ziel
zusammensteht. Dafür danke ich allen, die daran mitgewirkt haben. Sie können sicher sein, dass ich diese Botschaft auch für die nicht einfachen Verhandlungen heute
mit nach Brüssel nehme.
Herzlichen Dank.
({38})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige Debatte
findet große Aufmerksamkeit nicht nur in der deutschen,
sondern auch in der internationalen Öffentlichkeit. Stellvertretend für die vielen Gäste, die heute hier im Deutschen Bundestag die Debatte verfolgen, begrüße ich besonders gerne unseren Kollegen Klaus Hänsch, den
früheren Präsidenten des Europäischen Parlaments.
({0})
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Dass die
FDP und die CSU zu dieser Regierungserklärung Beifall
geklatscht haben, wird in der Tat viele in Deutschland
überraschen. Frau Bundeskanzlerin, ich hätte viele dieser Sätze gerne vor einem Jahr gehört,
({0})
zum Beispiel den guten und richtigen Satz über die Anerkennung der Eigenanstrengungen der Griechen. Er
wäre vor einem Jahr in diesem Hause und gegenüber der
Öffentlichkeit dringend notwendig gewesen.
({1})
Stattdessen haben Sie Ressentiments geweckt, mit denen
Sie jetzt zu kämpfen haben.
Das ist ein besonderer Tag, nicht nur für Europa, sondern auch für uns Deutsche. Griechenland ist ohne
fremde Hilfe zahlungsunfähig. Italien ist seit Monaten
politisch nahezu führungslos. In Portugal ist eine Regierung schon aus dem Amt. In Spanien steht ein Regierungswechsel bevor. Frankreich ringt um seine Bonität.
Die europäischen Institutionen wirken hilflos, sind kaum
sichtbar, und überall in Europa haben die Menschen
Sorge um ihren Wohlstand.
Ich schildere es so dramatisch, weil sich Ehrlichkeit
auch gegenüber der Öffentlichkeit gehört.
({2})
Da helfen keine Beschwörungsformeln. Ich sage es, wie
es ist: Das europäische Projekt steht auf der Kippe, und
deshalb ist das, was wir in Brüssel im Augenblick erleben, kein normales Gipfelgeschehen, sondern das ist
eine Operation am offenen Herzen. Jeder vernünftige
Mensch in Deutschland muss hoffen, dass diese Operation gelingt. Ich tue das, meine Damen und Herren.
({3})
Meine Fraktion tut das in gleicher Weise. Die SPD
steht - das wissen Sie - zur europäischen Geschichte
und zur europäischen Integration, und wir flüchten nicht
aus dieser Verantwortung für Europa, nur weil wir Oppositionspartei in diesem Lande sind. Auch wir kennen
den Wert für eine Demokratie, wenn man Fragen solcher
Grundsätzlichkeit - um die geht es - nicht auf dem Altar
des täglichen Hickhacks opfert. Es gibt eine Tradition in
diesem Hause, dass die großen Grundlinien der Außenund Europapolitik von einer breiten Mehrheit getragen
werden. So weit werden mir auch die Koalitionsfraktionen zustimmen. Nur, Sie sind in diesen Tagen heftig da15956
bei, diese Tradition zu zerstören. Frau Merkel und Herr
Schäuble, Sie gehen nicht offen und ehrlich mit diesem
Parlament um, und das zerstört den Rest von Vertrauen,
den Ihre Regierung dringender braucht als jede andere
vorher.
({4})
Ich verstehe es nicht. Ihr Motiv, Herr Schäuble, wird
Ihr Geheimnis bleiben.
({5})
- Ich würde nicht so überheblich sein an Ihrer Stelle,
meine Damen und Herren.
({6})
Warum nicht? Weil Sie es auch den Gutwilligen in den
Reihen der Opposition von Mal zu Mal schwerer machen. Es wird Sie nicht weiter interessieren, weil Sie ohnehin nur auf das Ergebnis der Abstimmung in knapp
zwei Stunden warten. Aber wenigstens einmal in dieser
Debatte soll es gesagt sein: Ihren Umgang mit dem Parlament bei der Debatte über den Rettungsschirm fand ich
unverschämt.
({7})
Es lagen alle Fragen auf dem Tisch. Sie haben taktiert
und Informationen zurückgehalten. Sie hatten die
Chance zur Wahrheit, weil nämlich gefragt worden ist,
ob über den Rettungsschirm hinaus Weiterungen und
Hebelungen beabsichtigt seien. Die Spatzen pfiffen es
doch schon von den Dächern. Sie haben, statt irgendetwas dazu zu sagen, mit gespielter Empörung geantwortet. Die CSU ist aufgetreten und hat die roten Linien beschworen, Herr Brüderle hat Hebelungsinstrumente
jeder Art als Massenvernichtungswaffen gebrandmarkt,
und der Finanzminister hat von diesem Pult aus Nebelkerzen gezündet.
({8})
Das Ganze ist nicht drei Jahre her, das Ganze ist nicht
drei Monate her, es ist nicht einmal drei Wochen her. Sie
wollen das alles vergessen machen und sagen heute: Ab
sofort gilt das Gegenteil.
({9})
Verstehen Sie eigentlich, dass es in meiner Fraktion
und vermutlich nicht nur in meiner Fraktion nicht wenige Kollegen gibt, die mich fragen: Warum sollen wir
eigentlich für die die Kohlen aus dem Feuer holen, warum sollen wir für das Chaos, das die angerichtet haben,
noch die Finger heben? - Das ist doch die Lage.
({10})
Wir entziehen uns unserer Verantwortung nicht. Da
können Sie sicher sein. Aber Hilfe und Unterstützung
hätten Sie nach diesem Vorlauf eigentlich nicht verdient.
Im Gegenteil: Sie im Regen stehen zu lassen, wäre nicht
nur verständlicher Oppositionsreflex gewesen; das wäre
die naheliegendste Entscheidung gewesen.
Wir stimmen heute aber nicht über die Zukunft einer
Regierung ab. Wir spekulieren nicht auf das Ende einer
Regierung, die politisch gescheitert ist. Die Regierung
hat allein nicht mehr die Kraft, das Notwendige zu tun.
Das wissen Sie. Sie stehen am Abgrund und wissen es
genau.
({11})
Um all das geht es bei dieser Abstimmung eben nicht.
Worum es geht,
({12})
ist die Zukunft Europas. Die Zukunft Europas ist in
höchster Gefahr. Sie darf nicht weiter durch drei Regierungsparteien gefährdet werden, die seit 18 Monaten
zwischen leichtfertigem Populismus auf der einen Seite
und europäischen Rationalitäten auf der anderen Seite
schwanken. Ich sage Ihnen: Die SPD wird in diesen europäischen Fragen berechenbar und gegenüber den
Europäern eine verlässliche Kraft bleiben. Ob das bei Ihren eigenen Leuten auch so ist, wage ich zu bezweifeln.
({13})
Dass Sie immer mehr Schwierigkeiten haben, Ihre eigenen Leute hinter sich zu bekommen, wundert mich
auch nicht; denn Sie dementieren im Drei-Wochen-Abstand immer genau das, was bis dahin ehernes Gesetz zu
sein schien. Wir haben Ihnen vor drei Wochen in diesem
Parlament gesagt: Wenn das Krisenszenario, das Sie uns
allen hier gezeichnet haben, stimmt, dann ist der Rettungsschirm zu klein gestrickt. - Stimmt nicht, haben Sie
gesagt. Wir haben Ihnen gesagt: Wenn Sie das Volumen
des Rettungsschirms hebeln, dann hebeln Sie auch die
Risiken. - Stimmt nicht, haben Sie gesagt. Wir haben Ihnen gesagt: Wenn die Ausfallwahrscheinlichkeit der Garantien sich verändert, sich vergrößert, dann muss die
Entscheidung hier ins Plenum. - Bloß nicht, haben Sie
gesagt.
Sie haben das alles dementiert und kommen mit einigen Tagen Verspätung doch auf unseren Kurs zurück.
Meine Damen und Herren, ich finde es ja gut, dass wir
am Ende noch die Kraft für eine gemeinsame Entschließung finden. Aber jenseits des Nutzens, den diese Entschließung für Europa hat - Frau Bundeskanzlerin, Sie
haben es am Ende gesagt -, brauchen Sie sie auch, um
sich von eigenen Irrtümern zu verabschieden. Vor allen
Dingen brauchen Sie diese Entschließung, weil Sie sich
auf die Seehofer-CSU und die Schäffler-FDP nicht verlassen können. Das ist doch der Grund.
({14})
Alle Ihre europapolitischen Wendungen, von denen
wir in den letzten 18 Monaten genügend mitbekommen
haben, folgen derselben Dramaturgie. Ich könnte das vor
den Gipfeln schon herunterbeten. In den Überschriften
steht immer, was Frau Merkel zurückweist, was Frau
Merkel richtigstellt und was Frau Merkel ausschließt.
Am Ende wird aber genau das getan, was vorher verschwiegen und ausgeschlossen worden ist.
Wir alle in diesem Hause kennen das Struck’sche Gesetz, dass kein Gesetz das Parlament so verlässt, wie es
hineingekommen ist. Bislang blieb unerkannt, dass sich
ein weiteres Gesetz eingeschlichen hat, nämlich das
Merkel’sche Gesetz: Je bestimmter ich etwas ausschließe, desto sicherer kommt es am Ende doch. - So
ist das, meine Damen und Herren.
({15})
Sie erinnern sich: Kein Cent für Griechenland. - Am
Ende waren es 22,4 Milliarden Euro. Weiter hieß es: Griechenland ist ein Einzelfall. - Dann kam der Rettungsschirm. Danach wurde gesagt: Der Rettungsschirm wird
nicht in Anspruch genommen. - Dann kamen Irland und
Portugal. Schließlich wurde gesagt: Der Rettungsschirm
ist temporär. - Dann kam der ESM, der Europäische Stabilitätsmechanismus. Das setzt sich jetzt bei der Weiterung des Rettungsschirms fort.
Frau Merkel, wenn man so agiert, dann kann man
nicht auf Dauer hoffen, dass man auch nur die eigenen
Leute auf eine gemeinsame Linie bringt. Das funktioniert doch nach unser aller Erfahrung nicht. Das geht
nicht, meine Damen und Herren.
({16})
Solange es bei all dem nur um Ihre Glaubwürdigkeit
ginge, könnten Sie ja sagen, das könne der SPD doch
egal sein. Es geht aber um Politik. Es geht um Demokratie in diesem Lande. Ich sage es zum wiederholten Male:
Diese Art und Weise, Politik zu betreiben, untergräbt
Ansehen und Handlungsfähigkeit der Politik insgesamt.
({17})
Vertrauen ist die Ressource, mit der wir alle gegenüber
den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Lande arbeiten.
Dieses Vertrauen wird untergraben durch die Politik, die
ich gerade geschildert habe. Das merken Sie noch nicht
heute Mittag. Das merken Sie auch noch nicht morgen
Nachmittag. Aber genau das ist der langfristige Schaden
für die Demokratie. Für den sind Sie mitverantwortlich,
meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen.
({18})
Wo ist der Weg nach vorn? Was brauchen wir konkret? Sie wissen, dass wir Sozialdemokraten seit langem
sagen: Wir brauchen einen Schuldenschnitt, wir brauchen eine Schuldenreduzierung zugunsten Griechenlands; Peer Steinbrück und ich haben das vor einem Jahr
geschrieben. Damals haben Sie gesagt: Alles Unsinn! Wir Sozialdemokraten sind auch dafür, dass das europäische Bankensystem stabilisiert wird. Wir wissen: Der
Schuldenschnitt ist nur hinzubekommen, wenn wir ihn
gleichzeitig mit einer Bankenstabilisierung begleiten.
Das ist unsere Überzeugung, und das bleibt sie.
Des Weiteren sind wir der Überzeugung, dass der
Rettungsschirm - das haben wir vor drei Wochen auch
gesagt - nicht ausreicht, wenn er wirklich Wirkung haben soll. Aber ob er Wirkung und welche Wirkung er haben wird, kann ich beim besten Willen nicht aus den
dreieinhalb dürren Seiten erschließen, die uns von Ihnen
zugegangen sind. Ich verstehe mittlerweile, was eine
Versicherungslösung ist. Ja, ich könnte sie mittragen.
Aber ich müsste die zweite Option, von der die Rede ist,
wenigstens verstehen, um mir ein Urteil zu bilden: Ist
das ein Fonds mit einer internationalen Beteiligung, oder
was bedeutet diese Investmentlösung? Bedeutet das
etwa, dass wir jetzt in den Handel mit Produkten einsteigen, die wir doch eigentlich verbieten wollen? Wir wollen jedenfalls Klarheit, bevor wir solche Modelle hier im
Hohen Haus absegnen.
({19})
Deshalb ist sich meine Fraktion einig: Das, was wir
heute hier erteilen, ist keine Carte blanche. Wir erwarten
- nicht mehr und nicht weniger -, wie es im Schlusssatz
der gemeinsamen Entschließung heißt, dass solche Instrumente in Kenntnis der Risiken und der Funktionsweise vor Inkraftsetzen, vor Ingebrauchnahme vom
Deutschen Bundestag beraten und beschlossen werden.
({20})
All das wird heute in Brüssel zur Sprache kommen.
Ich habe gesagt: Wir haben ein Interesse daran, dass der
Brüsseler Gipfel Ergebnisse zeitigt, die Europa weiterhelfen. Aber wir alle sollten wissen, dass das nicht ausreicht. Jeder weiß hier: Die Wunderwaffe gegen die
Krise gibt es nicht. Aber allein mit Stückwerk werden
wir Europa nicht retten. Was wir brauchen, ist eine
glaubwürdige, auf Dauer angelegte Gesamtstrategie.
Sonst werden wir dieses Europa nicht vom Krankenbett
herunterbringen. Wir müssen eben auf mehr setzen als
nur auf Haushaltsdisziplin und Rettungsschirme. Sparen
ist eine Tugend. Ja, wir brauchen sie. Aber wo kein Geld
mehr hereinkommt und die Wirtschaft den Bach heruntergeht, nutzt auch eisernes Sparen nichts mehr. Das sehen wir im Augenblick an dem Großprojekt Griechenland.
({21})
Was wir jetzt brauchen - etwas vom heutigen Tag und
von der näheren Zukunft abgesetzt -, ist ein mit konkreten Zielen und Zwischenzielen unterlegtes Zehnjahreskonzept für eine Wirtschafts- und Fiskalunion in Europa.
Wir müssen uns daran orientieren, was in früheren Zeiten gelungen ist, zum Beispiel bei der Einführung des
Euro. Ich erinnere an den Delors-Plan, der über den langen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren angelegt war. So etwas brauchen wir jetzt auch zur Wiedergesundung dieses
Europas, wenn Sie so wollen einen Delors-Plan II.
Dabei geht es natürlich - das vertrete ich auch - um
die Durchsetzung der Haushaltsdisziplin. Aber vor allem
muss es auch um eine Wachstumsstrategie für die südliche Peripherie in Europa gehen. Sonst wird das Ganze
nicht gelingen.
({22})
Wir brauchen Konvergenz in der Steuerpolitik. Dazu gehören eben auch Regeln, die dazu führen, dass das
elende Steuerdumping in Europa endlich beseitigt wird.
Sonst funktioniert es nicht.
({23})
Dazu gehört auch ein gemeinsamer europäischer Umgang mit den Steueroasen, von denen es noch viel zu
viele auf der Welt gibt. Das muss man gemeinsam in
Europa regeln. Bilaterale Abkommen werden da allein
nicht ausreichen.
({24})
Wir brauchen Regelungen für die Finanzmärkte. Wir
müssen dahin zurückkommen, wo wir 2008 waren, als
wir schon einmal gesagt haben: Kein Produkt mehr auf
den Finanzmarkt, das nicht vorher auf seine Risiken
untersucht und zugelassen worden ist. Wenn der Derivatehandel ein Vielfaches des globalen Bruttosozialproduktes ausmacht, dann müssen wir das selbstverständlich zurückschneiden. Zurückschneiden müssen wir
auch das, was sich an Dynamik im Hochfrequenzhandel
entwickelt, wo kein einziger Mensch mehr, sondern namenlose Logarithmen darüber entscheiden, was gekauft
und was verkauft wird, und damit die Negativdynamik
noch weiter verstärken. Wir müssen die grauen Finanzmärkte austrocknen, und wir müssen dem Treiben der
Schattenbanken ein Ende setzen. Sie werden sagen: Das
alles ist nicht unbekannt. - Ja, das alles ist nicht unbekannt. Was fehlt, ist das Handeln. Da ist Fehlanzeige,
leider auch in dieser Regierung.
({25})
Ich bin froh über den Satz zur Besteuerung der
Finanzmärkte. Die Finanzmarkttransaktionsteuer ist das
Stichwort, an dem hier noch vor einem Jahr, Herr
Kauder, eine gemeinsame Entschließung gescheitert ist.
Dass das jetzt enthalten ist, ist gut. Wir erwarten, dass
das keine Lippenbekenntnisse bleiben, sondern dass
diese Steuer jetzt auch durchgesetzt wird, maßgeblich
auf deutschen Druck hin, auch durch Überzeugung der
anderen, die in Europa möglicherweise noch dagegenhalten.
({26})
Meine Damen und Herren, in den letzten Wochen
sind in Europa Tausende auf die Straße gegangen. Wenn
ich es richtig gehört habe, Frau Merkel, haben Sie an einer Stelle auch Verständnis für die Motive dieser Menschen gezeigt. Nur, diese Menschen haben - davon bin
ich überzeugt - mehr verdient als warme Worte. Was
sich hier Bahn bricht - davon bin ich überzeugt -, das ist
eben nicht klassisch links oder rechts, sondern das ist die
Sorge von Menschen, dass die Politik dem Treiben der
Märkte nur noch hilflos zusehen kann, und dagegen
- gegen diese Angst, gegen diese Sorge - hilft eben nur
überzeugende Politik. Spätestens seit der Pressekonferenz von Herrn Schäuble und Herrn Rösler in der vergangenen Woche und der Reaktion von Herrn Seehofer
darauf haben Sie bitte Verständnis dafür, dass diese überzeugende Politik von dieser Bundesregierung nicht mehr
erwartet wird.
({27})
Nur, das ist keine Privatangelegenheit dieser Regierung, nicht in diesen Zeiten. Die Zerrüttung dieser Regierung wird zu einer Hypothek für Europa. Aber
Europa darf an dieser Regierung nicht scheitern.
Herzlichen Dank.
({28})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Steinmeier, ich bin wahrlich ein Freund einer kraftvoll-lebendigen Parlamentsdebatte. Aber ich glaube, das
heutige Thema sollte nicht überlagert werden von dem
Showdown der SPD über den Kanzlerkandidaten.
({0})
Nachdem Helmut Schmidt Ihren Kollegen Steinbrück
gesalbt hat, sollten Sie die Debatte ruhig entspannt führen. Sie haben wahrlich keinen Anlass, so kraftvoll herumzuschimpfen.
({1})
Bei der Griechenland-Hilfe I haben Sie sich vom Acker
gemacht und haben sich kraftvoll enthalten. Da hatten
die Sozialdemokraten keine Meinung.
({2})
Als Herr Minister Rösler den Schuldenschnitt für Griechenland gefordert hat, haben Sie seinen Rücktritt gefordert,
({3})
statt ihn zu unterstützen.
({4})
Sie haben elf Jahre den Bundesfinanzminister gestellt
und - um es vorsichtig zu formulieren - viel Aufzuarbeitendes hinterlassen.
Vom heutigen europäischen Gipfel wird ein Signal
der Entschlossenheit ausgehen: ein Signal der Entschlossenheit, aus der Schuldenkrise Einzelner keine Währungskrise entstehen zu lassen, ein Signal der Entschlossenheit, keine zweite Bankenkrise zuzulassen, und ein
Signal der Entschlossenheit, keine tiefe Wirtschaftskrise
zuzulassen.
Im Vorfeld wurde international geunkt, ein zweigeteilter Gipfel werde die Situation verschlimmern. Aber
der Deutsche Bundestag hat sich für das Primat der Politik entschieden. Das hat die Märkte beeindruckt. Sie sind
nicht abgestürzt. Wir haben mit der Parlamentsbeteiligung einen demokratischen Meilenstein gesetzt.
({5})
Das ist eine Herausforderung für unsere europäischen
Partner, aber auch eine Herausforderung für uns selbst.
Wir müssen unserer Regierung genügend Flexibilität in
den Verhandlungen lassen.
Volker Kauder hat es vor wenigen Wochen hier deutlich dargelegt: Wir halten ein Verfahren ein, das der
Bundestag sich selbst gegeben hat.
({6})
Wir gehen verantwortungsvoll mit unseren neuen Rechten um. Das ist wichtig: Werden sie überdehnt, werden
sie missbraucht, dann werden sie entwertet.
({7})
Der gemeinsame Entschließungsantrag der vier Fraktionen ist ein gutes Signal für Europa, und es zeigt, dass
wir trotz aller unterschiedlichen Positionen noch die
Kraft haben, dann, wenn es darauf ankommt, gemeinsam
ein Signal zu setzen. Das sollte heute im Vordergrund
stehen.
({8})
Wir stärken damit die Position der Kanzlerin auf dem
Gipfel. Uns ist bewusst: Wir müssen die Ansteckungsgefahren im Euro-Raum eindämmen. Wir müssen das Bankensystem stabil halten. Wir müssen eine Umschuldung
Griechenlands vorbereiten, müssen darauf auch vorbereitet sein.
Die Troika hat grünes Licht für die nächste Griechenland-Tranche gegeben. Das Urteil ist eher eine Vier minus. Keiner hat erwartet, dass Griechenland über Nacht
zum Einserschüler wird. Aber ein „Befriedigend“ müsste
es schon sein. Wenn Griechenland nicht mehr erreicht,
wird das die Versetzung gefährden.
({9})
Die Beteiligung privater Gläubiger im Fall Griechenland wird erheblich größer ausfallen als geplant. Der
Schuldenschnitt ist ein Gebot der Fairness. Das ist ein
Gebot der sozialen Marktwirtschaft. Es muss klar sein:
Wer mit Risiken hohe Gewinne erreichen kann, muss
auch für die Verluste einstehen. Dieser Grundsatz muss
wieder stärker zum Tragen gebracht werden.
({10})
Es muss in Griechenland ein umfassender Umdenkprozess stattfinden. Früher lebte in Griechenland nur
Diogenes in einem Fass ohne Boden.
({11})
Die Griechen haben es selbst in der Hand, dass nicht alle
Griechen in einem Fass ohne Boden leben.
({12})
Der Troika-Bericht hat sehr deutlich gemacht: Griechenland ist ein Transformationsland, wie es die Staaten
Osteuropas vor 20 Jahren waren. Griechenland braucht
Wettbewerbsfähigkeit, eine funktionierende Verwaltung, Privatisierung und Reformen.
Viele Banken haben in den Büchern bereits Vorsorge
für einen Schuldenschnitt getroffen. Dennoch müssen
die Ansteckungsgefahren eingedämmt werden. Mich beunruhigt, dass viele Banken wieder mehr Geld bei der
Zentralbank, bei der EZB, parken. Unangenehme Erinnerungen werden wach. Bei den Banken muss es sein
wie bei den Staaten: Machen sie ihre Hausaufgaben
nicht, nehmen wir sie an die Hand. Notfalls müssen die
Staaten den Banken auch klare Vorgaben machen.
Zunächst sind nationalstaatliche Aufgaben zu erledigen. Das muss koordiniert, grenzübergreifend geschehen. Aber klar muss sein: Die Bereitstellung europäischer Gelder ist nicht der erste Schritt, sondern nur der
allerletzte Schritt dessen, was man im Bankensektor machen muss.
({13})
Ich will es noch einmal deutlich sagen: Bei der EFSF
gilt der Grundsatz der Einstimmigkeit. Macht ein Land
nicht mit, dann geht nichts. Deshalb müssen die Regeln
klar eingehalten werden.
Ich habe vor drei Wochen hier gesagt, die EFSF darf
nicht zur Investmentbank werden; in diesem Zusammenhang habe ich Warren Buffett zitiert. Deshalb kam eine
Banklizenz für den Rettungsfonds für uns nicht infrage.
Es gab andere in Europa, die das wollten. Ich begrüße
sehr, dass SPD und Grüne heute auf dieser Linie sind.
({14})
Sie sind nicht dem DGB auf den Leim gegangen. Der
DGB hat vor kurzem wörtlich gesagt: Präsident Sarkozy
hat recht, genau eine solche Banklizenz einzuführen. 15960
Teile des DGB haben die Zentralbank oft als verlängerten Arm der Wirtschafts- und Finanzpolitik gesehen, frei
nach dem Motto von Helmut Schmidt: 6 Prozent Inflation sind besser als 6 Prozent Arbeitslosigkeit. Er hat am
Schluss beides erreicht: Stagflation. Das ist nicht unser
Weg.
({15})
Wir wollen eine unabhängige Zentralbank. Der Kurs
stimmt. Wir führen keine Euro-Bonds ein. Der Rettungsfonds bekommt keinen Zugriff auf die Notenpresse. Eine
Beteiligung der privaten Gläubiger erfolgt.
Ich sage ganz klar zur Finanztransaktionsteuer: Sie
kann dämpfende Wirkung entfalten.
({16})
Aber diese ist nur dann gegeben, wenn entsprechende
Finanzplätze einbezogen sind. Eine Wettbewerbsverzerrung löst die Probleme nicht. Entscheidend ist, das breit
anzulegen.
({17})
Meine Damen und Herren, das Haftungsrisiko kann in
diesem Zusammenhang - es wird sehr unterschiedlich
interpretiert - auch vermindert werden. Die beiden Ansätze, die unser Entschließungsantrag enthält, bedeuten
Diversifikation. Wenn man das intelligent macht, kann
das Haftungsrisiko sinken. Eine alte Anlegerweisheit
lautet: Lege nie alle Eier in ein Nest. Deshalb ist es gut,
dass hier verschiedene Instrumente aufgezeigt werden
und eine Kombination möglich ist.
Entscheidend ist immer, dass Deutschland und Frankreich sich zusammenfinden. Das ist nicht einfach, weil
die zentralistische Tradition unseres Nachbarn und die
dezentrale soziale Marktwirtschaft nicht leicht zu kombinieren sind. Aber Deutschland und Frankreich haben
sich immer gefunden. Wir sind gute Freunde. Das ist
auch die Basis, das historische Verdienst eines erfolgreichen Wirkens. Da bin ich bei Ihnen, Herr Steinmeier: Ja,
die Europäische Union ist das erfolgreichste Friedensprojekt aller Zeiten. Aber - die Kanzlerin hat es angesprochen, und auch der Außenminister hat es deutlich
gemacht - wir brauchen Vertragsänderungen, kleine und
größere. Ich halte den Gedanken, wieder einen Konvent
in Betracht zu ziehen, für durchaus erwägenswert. Europa braucht ein gutes und verständliches Recht, und es
braucht Bürger, die hinter Europa stehen.
({18})
Die zentrale Aufgabe, die uns allen gestellt ist, lautet,
dass die krisenhaften Zustände auf den Finanzmärkten
keine Legitimationskrise der parlamentarischen Demokratie auslösen. Das sollte unsere gemeinsame Basis
sein. Wir sollten der Versuchung widerstehen, die
Ängste zu missbrauchen. Was wir brauchen, ist Ordnungspolitik, ein Ordnungsrahmen für die Finanzwirtschaft. Erste Schritte hat die Regierung getan. Sie hat ungedeckte Leerverkäufe verboten, die Bankenabgabe auf
den Weg gebracht und Verbriefungen mit einem Selbstbehalt eingeführt. Was weiter ansteht, ist, den Hochfrequenzhandel unter die Lupe zu nehmen. Der computerisierte Handel birgt viele Gefahren. Wir brauchen
unabhängige und mehr Ratingagenturen, mehr Bereiche,
die im Wettbewerb stehen. Der Schattenbanksektor muss
in die Regulierung des Bankensektors einbezogen werden. Wer wie eine Bank handelt, muss auch wie eine
Bank behandelt werden. Sonst haben wir eine Schieflage
im Finanzsektor.
({19})
Meine Damen und Herren, die Welt verändert sich
dramatisch schnell. Europa muss sich neu aufstellen.
Wir handeln entschlossen. Wir bringen mit dem Rettungsschirm und der heutigen Grundausrichtung wichtige Entscheidungen auf den Weg. Damit sichern wir
eine gute Entwicklung in Deutschland und in Europa.
Das sollte die Kernposition unseres gemeinsamen Tuns
sein. Wir müssen aber auch die Kraft haben, dann, wenn
wir unterschiedlicher Meinung sind, dies nicht zu verdecken, weil dies sonst bei den Menschen, die ganz unterschiedliche Empfindungen haben, nicht als ein glaubwürdiges Handeln einer parlamentarischen Demokratie
ankommt.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir verdanken es der Opposition, dass es überhaupt zur Abstimmung über den Hebel im Bundestag kommt. Sie wollten
das in den Haushaltsausschuss verlegen. Ich sage Ihnen:
Es ist immer Ausdruck der Arroganz der Macht, wenn
man anfängt, das Parlament zu vernachlässigen. Das
sollten Sie sich nicht leisten.
({0})
Ich sage ferner, dass der Bundestag vor der letzten
Abstimmung am 29. September 2011 getäuscht wurde;
denn damals haben gerade Sie, Herr Brüderle, den Hebel
ausgeschlossen. Ich werde Sie einmal zitieren. Am
29. September, also am Tag der Abstimmung, haben Sie
gegenüber dem Deutschlandfunk gesagt: „Meines Erachtens wird es ihn“ - gemeint war der Hebel - „nicht
geben.“
({1})
Der Vorsitzende der CSU, Herr Seehofer, hat einen
Tag nach der Abstimmung Folgendes gesagt:
Weitere Aufstockungen oder größere Risiken aus
den übernommenen Garantien - beispielsweise
über finanztechnische „Hebel“ - lehnen wir jedoch
ab.
Was machen die Abgeordneten der CSU heute? Sie
werden zustimmen. Sie widerlegen die Aussagen ihrer
eigenen Politiker innerhalb weniger Wochen.
({2})
Am 1. September hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Kampeter unserer
Abgeordneten Sahra Wagenknecht schriftlich mitgeteilt,
dass eine Ausweitung der Risiken nicht erfolgen wird.
Auch das ist nicht wahr.
Was bedeutet nun der Hebel? Das müssen wir der Bevölkerung einmal sagen. Am 29. September habe ich
hier davon gesprochen, dass ein Schuldenschnitt kommen wird. Sie alle haben dazu nichts gesagt. Es ist bestritten worden, dass ein Schuldenschnitt kommen wird.
Ich habe gesagt: Anders geht es überhaupt nicht mehr
mit Griechenland, anders ist es nicht einmal im Ansatz
lösbar.
Interessant ist: Jetzt reden alle vom Schuldenschnitt.
Früher, Herr Kauder, brauchten Sie mehrere Jahre, um
mir zu folgen. Jetzt dauert es nur noch drei Wochen.
Vielleicht sollten wir darüber einmal nachdenken.
({3})
Jetzt wollen Sie den Hebel einführen. Was heißt das?
Die ersten 20 Prozent soll der europäische Rettungsschirm, bezahlt von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern der Euro-Zone und damit vornehmlich von
Deutschland, übernehmen - die ersten 20 Prozent, das ist
wichtig zu wissen. Angenommen, es würde nur ein
Schuldenschnitt von 20 Prozent beschlossen werden,
dann würden die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler alles allein bezahlen. Die Banken müssten nicht einen halben Euro dazulegen. Das ist Ihre Entscheidung.
Nun sagen Sie aber: Es sollen nicht 20 Prozent sein,
sondern es soll mehr werden; dazu komme ich noch.
Aber was heißt denn das? Während es bisher ein vages
Haftungsrisiko war - Sie haben immer gesagt: „Ob der
europäische Rettungsschirm überhaupt in Anspruch genommen wird, das wissen wir noch gar nicht“ -, machen
Sie daraus heute eine zwangsläufige, direkte Zahlung;
denn es wird den Schuldenschnitt geben. Das heißt, dass
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die ersten
20 Prozent davon ganz alleine und direkt bezahlen. Das
müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern einmal so ehrlich erklären.
({4})
Nun wird aber von einem Schuldenschnitt von 50 bis
60 Prozent geredet. Auch dazu muss man etwas erklären: Bei einem Schuldenschnitt von 50 Prozent oder
60 Prozent geht es nicht nur um den Betrag, den man gezahlt hat, als man die Anleihen kaufte, sondern für die
Banken geht es immer um alles, also auch um die Zinsen.
Nehmen wir das Beispiel, eine Bank hätte für 1 Milliarde Euro griechische Anleihen gekauft. Je nach Laufzeit und Zinshöhe hat sie dann am Ende einen Anspruch
auf 2 Milliarden Euro. Wenn eine Kürzung um 50 Prozent erfolgt, bekommt diese Bank immer noch 1 Milliarde Euro. Das heißt, sie verliert, nachdem sie schon
jahrelang Zinsen kassiert hat, nur weitere Zinsen. Von
dem eigentlichen Betrag büßt sie überhaupt nichts ein.
Auch das müssen Sie einmal der Öffentlichkeit so deutlich sagen.
({5})
Nun ist die Frage: Was machen wir mit den Zinsverlusten? Völlig richtig. Dabei stellt sich auch die Frage,
wer die Zinsverluste bezahlt. Da gibt es theoretisch drei
Varianten, meine vielen Herren und wenigen Damen von
der FDP:
Die erste Variante wäre, zu sagen: Tja, das ist eben
das Pech der Banken. Dann haben sie eben einmal einen
Zinsverlust. - An so etwas denken Sie noch nicht einmal
nachts oder heimlich. Bei dem Gedanken, dass die Deutsche Bank auch nur einen halben Euro verlieren könnte,
bekommen Sie ja das Gruseln. Das käme für Sie überhaupt nicht infrage.
Eine zweite Variante wäre, dass die Staaten die Zinsverluste ihrer Banken direkt bezahlen. Dann müssten
Frankreich und Deutschland für ihre Banken zahlen.
Frankreich müsste aber sehr viel mehr zahlen als
Deutschland. Deshalb gefällt dieser Weg den Franzosen
nicht.
Daher schlagen diese vor - das wäre die dritte Variante -: Entweder die EZB oder der Rettungsschirm
sollte diese Zahlungen übernehmen. Das würde bedeuten, dass die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Verluste der französischen Banken mitbezahlen.
Darum geht der Streit. Warum sagen Sie das nicht
einfach so offen? Dann wissen die Bürgerinnen und Bürger wenigstens, worum eigentlich diesbezüglich gestritten wird.
({6})
Sie haben ein Chaos verursacht, das eine Wirrnis organisiert, die alle überfordert. Ich behaupte, auch das
Parlament. Ich behaupte, auch die Medien
({7})
und erst recht die Bevölkerung. Sie sagen jede Woche etwas Neues zu dieser Krise. Sie lehnen einen Vorschlag
in der ersten Woche ab, um ihn in der zweiten Woche zu
übernehmen. Bringen Sie doch einmal einen Zug von
Klarheit in diese Sache hinein! Erst soll ein EU-Gipfel
stattfinden und dort etwas beschlossen werden. Dann teilen Sie uns mit: Nein, es wird doch nichts beschlossen.
Er wird erst am Mittwoch tagen. - Dann soll die Kanzlerin am Freitag reden. Dann wird gesagt: Nein, sie redet
nicht. Sie redet erst am Mittwoch. - Mein Gott! Auch
das Recht der Bundesregierung, die Bevölkerung in Verwirrung zu bringen, hat Grenzen, und die müssen irgendwann einmal gesetzt werden.
({8})
Kommen wir wieder zur FDP. Jetzt machen die USA
Druck.
({9})
Die USA sagen, wir sollten das Eigenkapital unserer
Banken erhöhen. Es sollte, wenn ich richtig informiert
bin, bei 9 Prozent der Bilanzsumme liegen. Was bedeutet
es eigentlich, wenn eine Bank zu wenig Eigenkapital
hat? Dann ist sie überschuldet. Es stellt sich daher die
Frage: Wie kommen sie zu diesen 9 Prozent? Da gibt es
wieder verschiedene Varianten: Sollen das die Staaten
selbst bezahlen? Bezahlt das Europa? Auch da haben die
Franzosen wieder andere Vorstellungen als wir. Für uns
ist ganz klar - da müssen Sie mir keinen Vogel zeigen -:
Wir fordern zwar 9 Prozent der Bilanzsumme als Eigenkapital; dies leisten aber weder die Commerzbank noch
die Landesbanken. Das heißt, sagen Sie doch den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern heute, dass sie die Differenz bezahlen müssen, und zwar direkt an die Banken.
Das ist das, was Sie planen und was Sie nie ehrlich zugeben.
Ich sage Ihnen noch etwas dazu, dass die Banken
überschuldet sind. Die Banken bieten doch Dispokredite
an. Die Commerzbank nimmt bei einem Dispokredit
Zinsen in Höhe von 13,24 Prozent. Das ist eine Unverschämtheit. Die Deutsche Bank nimmt bei einem Dispokredit 13,25 Prozent; auch das ist eine Unverschämtheit. Das heißt, wenn sich eine Bürgerin oder ein Bürger
bei einer dieser beiden Banken überschuldet, dann muss
sie bzw. er für diesen Betrag so hohe Zinsen bezahlen.
Nun wäre doch das Mindeste, meine Damen und Herren
von der FDP und von der Union, dass Sie sagen: Wenn
wir einer Bank Geld geben, dann verlangen wir die Zinsen, die die Bank bei einem Dispokredit fordert; denn sie
hat sich ja auch überschuldet.
({10})
Das wäre das Mindeste. Aber Sie kommen mit lächerlich kleinen Zinsen. Das interessiert Sie nicht.
Zurück zum Eigenkapital der Banken. Wir können
das in Deutschland vielleicht noch irgendwie meistern,
Frankreich vielleicht auch noch, Griechenland aber bestimmt nicht, Spanien und Italien auch nicht. Und was
passiert dann? Dann - so sagt es auch die Bundeskanzlerin - muss es der europäische Rettungsschirm bezahlen. Wer ist der europäische Rettungsschirm? Es sind
wieder - überwiegend, nicht nur - die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Da heißt, Sie verpulvern
hier Milliarden - das gilt auch für diese Abstimmung -,
ohne es den Bürgerinnen und Bürgern ehrlich zu sagen.
({11})
Wie war das denn bei Griechenland? Erst hieß es:
110 Milliarden Euro reichen; dann ist Griechenland gerettet. Das war im Mai 2010. Im Juli 2011 haben Sie
gesagt: Na ja, wir brauchen doch noch weitere 109 Milliarden Euro. Jetzt sagen Sie: Ach, wir haben uns verrechnet, es sind doch 252 Milliarden Euro. - Man kann
gespannt sein, was wir im Dezember oder Januar hören
und wie sich diese Zahlen entsprechend weiterentwickeln. Es ist übrigens ein absurder Zahlenwirrwar, den
Sie hier liefern.
Warum ist Griechenland unter anderem in diese
schwierige Situation gekommen? Unter anderem durch
den deutschen Exportüberschuss, das möchte ich einmal
klipp und klar sagen. Der ist möglich geworden durch
Lohndumping in Deutschland. Beides war falsch, beides
ist falsch, und beides bleibt falsch.
({12})
Die Rezepte für das Griechenland-Problem sind falsch.
({13})
Ein griechischer Linker hat bei uns auf dem Parteitag gesprochen und erzählt, wie es in Griechenland aussieht:
massenhafte Entlassungen, Lohnsenkungen, Rentensenkungen, Streichung von Investitionen, Verschleuderung
des öffentlichen Eigentums.
Ich nenne Ihnen nur zwei Beispiele aus Griechenland:
27 000 kleine Unternehmen - für die Sie angeblich
durchs Feuer gehen, liebe FDP -, mussten schon die Insolvenz anmelden. Eine Lehrerin erhielt im Juni 2011
bei einer Neueinstellung einen monatlichen Bruttolohn
von 1 020 Euro. Ab Dezember wird sie einen monatlichen Bruttolohn von 575 Euro erhalten. Soll sie verhungern? Wie wollen Sie das Ganze überhaupt bewerkstelligen?
({14})
Sie stehen vor dem Scherbenhaufen Ihrer Auflagenpolitik. Das geht so nicht weiter. Wir brauchen in Griechenland, in Italien und in Deutschland nicht Abbau,
sondern Aufbau. Wenn Sie Investitionen streichen, streichen Sie auch die Steuern. Wenn Sie aber die Steuern
streichen, versenken Sie das ganze Geld, weil dann keines zurückfließen kann.
({15})
- Wissen Sie, erst einmal ist es überhaupt gut, wenn Sie
mir zuhören, weil Sie dabei dazulernen können.
({16})
Ich komme jetzt aber zur SPD und zu den Grünen.
({17})
Sie legen heute einen gemeinsamen Entschließungsantrag mit Union und FDP vor. Sie tragen fast alles mit,
was Union und FDP diesbezüglich geplant haben. Es
bringt nur nichts, Herr Steinmeier, wenn Sie hier den
Oppositionellen spielen, in der Sache aber vollständig
mit Union und FDP übereinstimmen.
({18})
Ich sage Ihnen, Herr Bundestagspräsident: Die Reihenfolge der Redner war falsch; denn nach der Bundeskanzlerin soll eigentlich ein Oppositioneller sprechen. In
diesem Falle hätte ich das dann sein müssen.
({19})
Sie bringen das nicht, Herr Steinmeier. Ich will Ihnen
auch sagen, was an Ihrer Argumentation falsch ist; das
ist mir wichtig. Sie unterstützen doch den „Hebel“. In
dem Zusammenhang sagen Sie, dass er zu einer Veränderung der Risiken führt. Warum sind Sie nicht ehrlich?
Warum sagen Sie nicht, dass aus einem Risiko direkt die
Zahlung durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
wird? Das ist nämlich die Veränderung, die stattfindet.
({20})
Darüber hinaus verkünden Sie stolz: Die Europäische
Zentralbank soll keine Staatsanleihen mehr kaufen.
Schaut man sich den Entschließungsantrag aber genauer
an, dann stellt man fest: Die EZB soll keine Anleihen
mehr von den Staaten kaufen, aber von den privaten
Banken soll sie weiterhin Anleihen kaufen. Damit sichern Sie wiederum die Banken. Ich sage Ihnen: Ihre
vier Fraktionen sind die Fraktionen der Banken. Wir
brauchen endlich Fraktionen für die Bevölkerung.
({21})
Herr Kollege Gysi!
Ich komme zum Schluss. - Eine Garantieerklärung ist
im Entschließungsantrag übrigens auch nicht enthalten.
Wir haben Ihnen klare Modelle genannt. Um zwei Dinge
werden Sie nicht herumkommen: Wir brauchen erstens
in Europa und in Deutschland endlich eine Vermögensteuer. Ich bin es leid, dass die Hartz-IV-Empfängerin,
der Stahlarbeiter und die Lehrerin die Folgen der Krise
bezahlen. Das müssen andere bezahlen, nämlich die, die
an der Krise verdient haben.
({0})
Zweitens brauchen wir endlich öffentlich-rechtlich
organisierte Banken im Sinne des Art. 14 Abs. 2 und
Art. 15 Grundgesetz,
({1})
nicht Ihre großen Privatbanken, die die Staaten in Abhängigkeiten treiben.
({2})
Wir brauchen die Unabhängigkeit der Staaten von den
Privatbanken,
({3})
sonst führen die Sie noch länger durchs Land, und zwar
Sie alle vier zusammen.
({4})
Herr Kollege Gysi, nachdem Sie mit der Reihenfolge
der Redner schon nicht restlos zufrieden waren, werden
Sie mit umso größerer Zufriedenheit die großzügige Bemessung der Redezeit durch den Präsidenten registriert
haben.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Volker Kauder für die
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Die Bundeskanzlerin kann heute Abend beim Gipfel in
Brüssel über das Programm, das sie heute hier zu den anstehenden Entscheidungen in Europa vorgetragen hat,
verhandeln. Es entspricht nämlich genau dem Rahmen,
den wir von Koalition, SPD und Grünen der Bundesregierung mit dem gemeinsamen Entschließungsantrag
setzen. Das heißt also, der Bundestag ermutigt die Regierung, er hemmt nicht. Der Deutsche Bundestag macht
die Bundesregierung stärker zur Durchsetzung unserer
Interessen, die nicht ausschließlich deutsche Interessen
sind, sondern einer guten Zukunft Europas dienen. Darauf kommt es an; das ist entscheidend.
({0})
Ich finde es schön, dass es gelungen ist, hier im Deutschen Bundestag bei einer wirklich bedeutenden - man
kann vielleicht sogar sagen: existenziellen - Frage für
Europa zu einer breiten Mehrheit zu kommen und eine
gemeinsame Entschließung zu verabschieden. Lieber
Herr Kollege Gysi, wir haben schon am Wochenende vorausgesehen, dass Sie bei einer solchen Entschließung
nicht mitmachen können; wer für Sozialismus und kommunistische Wirtschaftsthesen eintritt, der kann keine
gute Zukunft für Europa mitgestalten.
({1})
Deswegen ist es ganz klar, dass Sie, Herr Gysi, nicht dabei sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was wir in
diesem Antrag formulieren, bedeutet eine Perspektive
für Europa und Stabilität für den Euro. Herr Kollege
Steinmeier, jetzt will ich ein paar Hinweise zu dem machen, was Sie gesagt haben. Sie haben in Ihrer Rede in
der großen Linie deutlich gemacht, dass es keine „Wunderwaffe gegen die Krise gibt“ und man jetzt und in ein
paar Wochen noch gar keine absolut richtige Entscheidung dazu treffen kann, was man alles machen sollte. Ich
würde Ihnen sehr raten,
({2})
nie zu vergessen, dass ein Teil der Probleme, die wir
jetzt miteinander zu beheben haben, auf Entscheidungen
aus der Regierungszeit von Rot-Grün beruht.
({3})
Ich kann nur sagen: Es ist in Ordnung, wenn Herr
Gabriel sagt, dass er sich für das, was geschehen ist
- man hat die Finanzmärkte dereguliert -, entschuldigt
und vielleicht sogar ein bisschen schämt. Es ist aber
Fakt, dass es geschehen ist. Deswegen sollten Sie hier
nicht in einer Art und Weise auftreten, die dem, was
auch Sie mit zu verantworten haben, nicht angemessen
ist.
({4})
- Ich will gar nicht in die Vergangenheit schauen. Ich
will nur sagen: Wer von anderen Demut einfordert, muss
sie auch selber einmal aufbringen, vor allem, wenn er
Grund dazu hat. Herr Steinmeier, das ist der entscheidende Punkt.
({5})
Wir wollen, dass dieses Europa wieder auf stabile
Füße kommt. Hier ist mehrfach gesagt worden, dass man
Grundlinien vermisse. Dazu kann ich nur sagen: Es gibt
ein paar entscheidende Positionen, die diese Koalition
von Anfang an durchgehalten hat, wo sie nie etwas geändert hat und ich manchmal Zweifel hatte, ob Sie von der
Opposition da richtig liegen. Wir haben von Anfang an
gesagt: Es wird überhaupt keine Lösung geben, wenn einige glauben, sie könnten aus Solidarität Geld bekommen, ohne ihre eigenen Probleme anzupacken.
({6})
Es wäre doch völlig falsch gewesen, damit zu starten,
dass wir sagen: „Wir nehmen euch alle Schulden ab; erst
wenn wir alle Schulden abgenommen haben, könnt ihr
uns einmal sagen, was ihr machen wollt.“ Dann wäre
nichts geschehen. Insofern war es der richtige Weg, zunächst einmal dafür zu sorgen, dass notwendige Reformen durchgeführt werden, und dann miteinander darüber zu reden, wie es weitergehen kann.
Wissen Sie, Herr Gysi, Sie vergießen hier dicke Tränen. Da kann ich nur sagen: Natürlich kann der einzelne
Mensch in Griechenland nichts für das, was geschehen
ist, aber es ist zwingend erforderlich - dafür waren auch
die Maßnahmen, die die Bundesregierung in Europa vorangetrieben hat, erforderlich -, dass wir bei der Rente
und anderen Ansprüchen ein Niveau erreichen, das für
alle in Europa gilt. Es kann nicht sein, dass einige wenige in der Welt glauben, sie könnten es sich leichter machen, und andere es dafür schwerer haben. Daher war
unser Vorgehen zwingend notwendig.
({7})
Den Kurs der Hilfe und Solidarität - gegen entsprechende Auflagen - hat die Bundesregierung konsequent
durchgehalten. Die Bundesregierung hat auch durchgängig die Meinung vertreten, dass der private Sektor beteiligt werden muss. Was Rainer Brüderle formuliert hat,
ist völlig richtig: Risiko und Haftung gehören ganz eng
zusammen. Deswegen wird heute Abend der Gipfel in
Europa nur dann zu einem Erfolg führen, wenn der private Sektor stärker als bisher beteiligt wird. Das hat die
Bundeskanzlerin klar und deutlich gesagt. Ich möchte an
dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass der private Sektor diese Mahnung ernst nehmen und nicht glauben soll, er könne ausschließlich mit dem Schielen auf
Steuergelder durchkommen. Das dürfen wir und das
wird die Bundesregierung nicht zulassen. Der private
Sektor muss sich beteiligen.
({8})
Herr Kollege, der Kollege Ernst würde gerne eine
Zwischenfrage stellen.
Wir wollen, dass dies auf dem Gipfel heute Abend
klar und deutlich wird. Das wollen wir formulieren.
Ja, es ist richtig, dass wir in Bezug auf die Entschließung - die wir heute fassen und die die Bundesregierung
und die Bundeskanzlerin bei ihren Verhandlungen stärken wird -, auch darauf hinweisen, dass wir den privaten
Sektor nicht nur auffordern, sich zu beteiligen, sondern
dass wir dem privaten Sektor deutlich machen: Wir wollen eine Besteuerung von bestimmten - nicht allen Finanztransaktionen. Ja, es wäre auch uns lieb und recht,
wenn dies auf internationaler Ebene durchführbar wäre
und sich alle daran beteiligen würden. Das ist aber nicht
zu erwarten. Deswegen müssen wir es zumindest in
Europa umsetzen.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen.
Ich bitte Sie, Frau Bundeskanzlerin, heute Abend Folgendes klarzustellen: Wir nehmen es hin - manchmal
auch mit der Faust in der Tasche -,
({0})
dass uns die Briten erklären, wie man aus der Krise herauskommt, aber dann erwarten wir auch ihre Solidarität
und dass sie endlich bereit sind, der Finanztransaktionsteuer zuzustimmen.
({1})
Man kann nicht ständig Ratschläge geben, aber sich
dann, wenn es ernst wird, davonmachen. Das geht nicht.
Das gehört zur Solidarität in Europa.
Wir haben auch klar formuliert - das ist für uns ein
zentraler Punkt -, was die EFSF nach den neuen Regeln
machen kann. Unter anderem ist vorgesehen - jeweils mit
Zustimmung des Deutschen Bundestages, vertreten durch
den Haushaltsausschuss -, dass unter eng begrenzten
Möglichkeiten Anleihen am Sekundärmarkt aufgekauft
werden können. Da Einstimmigkeitsprinzip herrscht,
kommt es ganz entscheidend auf unsere Zustimmung im
Deutschen Bundestag an.
Die Bundeskanzlerin hat gestern klargestellt, was die
EZB auf gar keinen Fall machen darf und für welche Bereiche Deutschland seine Zustimmung nicht geben wird.
({2})
Ich möchte für unsere Koalition ausdrücklich darauf hinweisen: Wenn wir im Zuge der Gestaltung der EFSF
klargestellt haben, dass unter bestimmten Voraussetzungen Anleihen am Sekundärmarkt aufgekauft werden
können, dann wollen wir aber nicht mehr, dass die EZB
in Zukunft solche Anleihen aufkauft. Das muss Aufgabe
des Rettungsschirms sein und bleiben.
({3})
Wir hätten mit unserem Nein nichts erreicht, wenn die
EZB später doch einspringt. Wir legen großen Wert darauf, dass das klargestellt wird.
Es ist angesprochen worden, dass die Bürger viele
Fragen stellen und sich Sorgen machen, weil sie viele
der Details, die hier diskutiert werden, gar nicht so richtig verstehen. Sie wissen gar nicht, worauf es im Einzelfall ankommt. Umso notwendiger ist es, dass wir den
Menschen sagen: Wir haben Rezepte; wir wissen, wie
wir diesen Risiken begegnen können. Der heutige Tag,
an dem der Deutsche Bundestag in großer Geschlossenheit entscheidet, ist ein guter Tag, um diese Botschaft
auszusenden. Natürlich gibt es bei der einen oder anderen Frage noch unterschiedliche Auffassungen. Ich wünsche mir aber, dass wir, nachdem wir diesen Antrag gemeinsam verabschiedet haben, auch zum Ausdruck
bringen, dass wir unsere Bundesregierung, unsere Verhandlungsführer für die Verhandlungen in Brüssel so
ausgestattet haben, dass das Notwendige getan werden
kann. Ich wünsche mir, dass zum Ausdruck kommt, dass
es dafür eine breite Zustimmung im Parlament gab.
Jetzt zum Parlament. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, gerade wir, die wir Gesetze verabschieden, sollten größten Wert darauf legen, dass mit diesen
Gesetzen anständig umgegangen wird und die Bestimmungen der Gesetze ordentlich angewandt werden.
({4})
In dem Antrag, über den wir am letzten Freitag beraten
haben, steht ausdrücklich, dass laut Gesetz die Befassung mit Richtlinien, mit Leitlinien zum Aufgabenbereich des Haushaltsausschusses gehört. Es ging um
technische Fragen. Es waren keine politischen Entscheidungen zu fällen.
({5})
Wir haben den Gesetzestext eng ausgelegt und gesagt:
Wir wollen, dass der Haushaltsausschuss darüber entscheidet - Punkt und aus. Wir haben uns doch alle etwas
dabei gedacht, als wir den Gesetzentwurf verabschiedet
haben.
({6})
Wir haben aber auch gesagt: Bei jeder anstehenden
Entscheidung prüft der Deutsche Bundestag, ob er oder
der Haushaltsausschuss zuständig ist. Das Ergebnis der
Prüfung ist in diesem Fall - das ist eine politische Entscheidung -, dass das Parlament die Entscheidung treffen soll. Ich sage Ihnen: Nachdem in Brüssel Entscheidungen getroffen worden sind, schauen wir uns die
Situation erneut an. Wenn in Brüssel Richtlinien vereinbart werden, dann spricht einiges dafür, dass sich der
Haushaltsausschuss damit befassen wird. Bauen Sie hier
doch keinen Popanz auf. Das Parlament hat sich Regeln
gegeben, und diese Regeln werden eingehalten. Wenn
der Haushaltsausschuss zuständig ist, ist der Haushaltsausschuss zuständig, und wenn das Parlament zuständig
ist, ist das Parlament zuständig. Daran halten wir uns.
Deswegen diskutieren und entscheiden wir heute im Parlament, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Darüber entscheidet nicht die Opposition und auch nicht
die Koalition, sondern das steht im Gesetz. Danach richten wir uns.
Ich glaube, dass wir mit dem, was wir der Bundesregierung heute mit auf den Weg nach Brüssel geben,
auch zum Ausdruck bringen, dass dieser Deutsche Bundestag sich in breiter Mehrheit seiner Verantwortung bewusst ist. Es freut mich, dass wir diese Geschlossenheit
im Deutschen Bundestag zum Ausdruck bringen. Damit
stärken wir unserer Regierung bei den Verhandlungen in
Brüssel den Rücken. Das stärkt die Position der Bundeskanzlerin. Sie muss stark sein, um den teilweise abwegigen Wünschen, die an sie gerichtet werden, begegnen zu
können. Frau Bundeskanzlerin, wir wünschen Ihnen
heute viel Kraft. Die Entschließung des Deutschen Bundestages, die wir Ihnen heute mit auf den Weg geben,
kann Sie ermutigen und dazu beitragen, dass Sie die
richtigen Entscheidungen fällen.
({8})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Klaus
Ernst das Wort.
({0})
Herr Kollege Kauder, Sie haben meine Zwischenfrage
nicht zugelassen. Deswegen reagiere ich so.
Sie haben hier vorgetragen, die Griechen seien nicht
auf europäischem Niveau und sie müssten das europäische Niveau erreichen. Herr Gysi hat gerade vorgetragen, dass das Gehalt einer Lehrerin von knapp über
1 000 Euro - ihr Einkommen ist bereits gekürzt worden durch Maßnahmen infolge der Auflagen, die Sie befürworten, auf 575 Euro im Monat gekürzt wurde. Halten
Sie diese Politik als Modell für Deutschland für akzeptabel? Ich halte das, was Sie hier vorgetragen haben, für
ungeheuerlich. Ich will das mit aller Deutlichkeit sagen.
({0})
Aus einem einzigen Grund werde ich dem Paket nie
und nimmer zustimmen:
({1})
Das, was Sie in Europa machen, geht zulasten der normalen Bürger, zulasten der Gesundheit und zulasten der
Bildung. Portugal haben Sie Auflagen gemacht, die dazu
führen, dass der Bildungsetat und der Gesundheitsetat
heruntergesetzt werden. In Griechenland werden die
Renten und die Löhne gekürzt. Das ist für mich Grund
genug, nie und nimmer einem solchen Paket zuzustimmen. Während die Banken nach wie vor das Geld in den
Hintern gestopft bekommen, ziehen Sie es den Leuten
aus der Nase. Das, was Sie hier vorgetragen haben, ist
ungeheuerlich.
({2})
Wenn das das Modell Deutschland ist, wird mir himmelangst und bange. Eine Frage, Herr Kauder, hat Ihre
Regierung noch nicht beantwortet. In einem Brief an die
Regierung, an Frau Merkel stellen mein Kollege Gysi,
meine Kollegin Gesine Lötzsch und ich die Frage, ob Sie
hier für die Bundesrepublik Deutschland eine Garantie
für die Löhne und für die Renten geben, sodass die Menschen wissen, dass ihnen nicht das passiert, was den
Menschen in Griechenland, Portugal und Spanien von
Ihnen aufgebürdet wird. Diese Frage haben Sie nicht beantwortet. Das ist mein Punkt, Herr Kauder.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann
doch gar nicht daran vorbeidiskutieren, dass die Menschen angesichts der Summen, über die wir sprechen
- wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt -, zutiefst
verunsichert sind. Ich sage Ihnen, lieber Herr Kauder:
Ein Teil der Verunsicherung kommt auch daher, dass Sie
am Mittwoch das Gegenteil von dem, was Sie am
Freitag hier praktiziert haben, für richtig erklären.
({0})
Sie haben am Freitag unseren Antrag, in dem lediglich
gefordert wurde, dass, wenn eine Hebelung kommt, hier
im Deutschen Bundestag darüber entschieden werden
muss, gemeinsam abgelehnt. Heute stellen Sie sich hier
hin und erklären das zu einem Ausbruch Ihrer politischen Kultur. Das verunsichert die Menschen in diesem
Lande.
({1})
Ich füge ein Weiteres hinzu - das gilt auch für Sie,
Herr Brüderle -: Sie haben vor drei Wochen unisono - es
ist ja selten Einigkeit in der Koalition, aber in diesem
Fall war es so - mit Herrn Seehofer erklärt, dass es eine
Hebelung nicht geben wird. Heute beschließen Sie es.
({2})
Lieber Herr Brüderle, es ist ja nicht schlimm, dass man
schlauer wird, aber die Menschen im Lande erwarten
von jemandem in Ihrer Position, dass er begründet und
darlegt, warum er heute anderer Meinung ist als vor drei
Wochen. Das ist politische Kultur, lieber Kollege
Brüderle.
({3})
Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, Frau Bundeskanzlerin, dass man in einer solchen Situation ernsthaft über
Risiken sprechen muss. Ich habe versucht, Ihnen sehr
genau zuzuhören; ich habe es auch nachgelesen. Auch
Sie haben es vermieden, das Wort „Hebel“ in den Mund
zu nehmen. Warum eigentlich? Warum scheuen Sie sich,
den Menschen die Wahrheit zu sagen,
({4})
die sie in den letzten Tagen ohnehin verstehen mussten?
Es ist auch falsch, die Menschen darüber im Unklaren
zu lassen, was damit verbunden ist. Selbstverständlich
bleibt die Summe gleich - das hat niemand bestritten -,
aber wenn Sie sich den Mechanismus einmal anschauen,
dann stellen Sie fest: Wenn nur 20 Prozent der Garantien
fällig werden, wenn Sie lediglich 200 Milliarden Euro,
also nicht alles, in die Hebelung bringen, was Sie ja
nicht können, dann würden ohne die Hebelung für
Deutschland 24 Milliarden Euro fällig werden. Mit einer
Hebelung liegt dieser Betrag bei 66 Milliarden Euro.
Das ist eine Verdreifachung des Risikos. Ich sage Ihnen,
Frau Bundeskanzlerin: Es wäre dieses Hohen Hauses
würdig gewesen und ein berechtigter Anspruch der Menschen im Lande, dass Sie ihnen dies erklären und ihnen
auch erklären, warum es richtig ist, dieses Risiko einzugehen. Davor haben Sie sich heute hier gedrückt.
({5})
Reden wir über die Risiken. Noch vor Monaten haben
Sie bestritten, dass man an einem Schuldenschnitt für
Griechenland nicht vorbeikommt; er ist übrigens die
Grundvoraussetzung dafür, dass das Land wirtschaftlich
wieder auf die Beine kommt und die Dinge, die einige
Kollegen zu Recht kritisiert haben, abgestellt werden
können. Sie haben in diesem Zusammenhang gesagt, es
gehe dabei auch um die Beteiligung privater Gläubiger.
Ja, aber eben auch. Sie alle wissen doch, dass ein Großteil der Verbindlichkeiten, die bestehen, in mittlerweile
verstaatlichten Banken liegt, also nicht im privaten Sektor - nicht bei der Deutschen Bank oder der Commerzbank, die zu drei Vierteln in privater Hand ist -, sondern
in der Bad Bank der Hypo Real Estate. Auch das hätten
Sie den Menschen hier und heute sagen müssen, weil es
zum Gesamtpaket und zum Gesamtbild der Wahrheit gehört.
({6})
Sie hätten auch deutlich machen müssen, dass wir
nicht darum herumkommen, diesen Schritt zu gehen,
weil alle Sparanstrengungen in Griechenland sonst nicht
zum Erfolg führen werden, und dass wir dies tun müssen, damit dort wieder geordnete Verhältnisse einkehren.
Weil das so ist, müssen wir dafür sorgen, dass die Risiken, die in Griechenland bestehen, nicht auf Spanien und
Italien überschwappen.
({7})
Deswegen ist die Hebelung trotz der damit verbundenen
Risiken notwendig. Deswegen müssen wir heute im
Bundestag gemeinsam diesen Weg gehen.
({8})
Es ist notwendig - dies betrifft zweierlei: das Risiko,
aber auch die Rekapitalisierung, die Sie alle ursprünglich nicht in unserem gemeinsamen Entschließungsantrag haben wollten -, endlich dafür Sorge zu tragen,
dass nicht nur der Überschuldung von Staaten, sondern
auch der systematischen Überschuldung von Banken ein
Riegel vorgeschoben wird.
({9})
Sie haben gesagt, Sie wollen dieses Thema jetzt im
Rahmen der G 20 behandeln. Liebe Frau Merkel, darauf
hätten Sie nicht warten müssen. Es war schon in der
Schweiz möglich, systemrelevanten Banken eine Kernkapitalquote von 12 Prozent zwingend zu verordnen.
({10})
- Lieber Herr Lindner, passen Sie auf! Jetzt kommen für
Sie nämlich ganz schlimme Zahlen. - Sie sind jetzt stolz
darauf, dass Sie beabsichtigen, den Banken zum 30. Juni
nächsten Jahres eine Kernkapitalquote von 9 Prozent
aufzudrücken, wissen aber noch nicht, ob sich das alle
Banken leisten können. Auch hier sage ich: Die Menschen erwarten im Hinblick auf die Bankenregulierung
nicht nur, dass man Ankündigungen macht, sondern sie
erwarten auch, dass Ankündigungen in politisches Handeln umgesetzt werden. Regieren heißt, politisch zu handeln, aber nicht, sich so zu verhalten, wie Sie es getan
haben.
({11})
Schließlich: Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben sich
auf die Bewegung „Occupy Wall Street“, auf die Menschen, die hier in Berlin und in der Frankfurter Innenstadt, im Bankenviertel, demonstriert und protestiert haben, bezogen. Sie haben gesagt, Sie hätten Verständnis
für diese Menschen. Ich glaube, Sie sollten sich noch
einmal genau anhören, was diese Menschen vertreten.
Diese soziale Bewegung bringt nicht nur Kritik an unregulierten Banken zum Ausdruck, sondern klagt auch
eine falsche Arbeitsteilung zwischen Politik und wirtschaftlich Mächtigen sowie einen Mangel an Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft an.
({12})
Bei diesen Menschen ist der Eindruck entstanden
- die Wirklichkeit hat ihn bestätigt -, dass die Lasten
dieser Krise nicht hauptsächlich von denjenigen, die sie
verursacht oder von den Rettungsmaßnahmen profitiert
haben, getragen werden.
Liebe Frau Bundeskanzlerin, glauben Sie im Ernst,
dass irgendjemand von „Occupy Wall Street“ zum Beispiel Verständnis dafür hat, dass Sie in diesen Tagen ein
Abkommen mit der Schweiz getroffen haben, durch das
Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe straffrei gestellt
wird und die Hände der Finanzbehörden auch künftig in
Fesseln gelegt werden sollen? Glauben Sie im Ernst,
dass das bei denen, die in Frankfurt demonstrieren, auf
Verständnis stößt?
({13})
Dahinter steht ein tiefer liegendes Problem. Diejenigen, deren Vermögensbestände nun durch diese Rettungsmaßnahmen gesichert werden, müssen für die Bewältigung der Folgen dieser Krise ihren Beitrag leisten.
Deswegen muss die FDP der Finanztransaktionsteuer
jetzt in einem gemeinsamen Antrag zustimmen und an
dieser Stelle, wie bei der Hebelung, ihre Meinung ändern.
({14})
Deshalb bleibt es richtig, dass wir auf den Skandal
hinweisen, dass in Deutschland durch Rettungsmaßnahmen Vermögensbestände gesichert werden, Sie aber bis
heute nicht den Mut haben, diejenigen, die über sehr
große Vermögen verfügen - das sind die Vermögen, die
hier durch solche Maßnahmen gesichert werden -, durch
eine Vermögensabgabe zu einer entsprechenden Beteiligung an den Kosten heranzuziehen. Das ist bei aller Gemeinsamkeit für dieses Europa, bei aller Gemeinsamkeit
darin, dass jetzt die notwendigen Rettungsschritte wirklich verbindlich, bewusst und aufrichtig gegangen werden müssen, indem die tatsächlichen Risiken benannt
werden, der Grund, warum wir an dieser Stelle noch
lange nicht übereinkommen. Ich bin mir aber sicher: Am
Ende werden Sie uns auch in diesem Punkt folgen.
Vielen Dank.
({15})
Der Kollege Michael Link hat das Wort für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Trittin, Ihre Empörung war vorhersehbar.
Verständlich wäre sie, wenn Sie sich selbst an das, was
Sie fordern, in Ihrer eigenen Regierungszeit gehalten
hätten.
({0})
Das, was wir jetzt mühsam aufräumen müssen, haben
Sie uns mit der Aushöhlung des Stabilitäts- und Wachstumspakts in den Jahren 2003, 2004 und 2005 eingebrockt. Das können wir Ihnen - haben Sie die Gnade,
sich umzudrehen und zuzuhören - nicht ersparen.
Ihre Empörung wäre dann verständlich, wenn Sie
- wenn es denn so ist, dass Ihre Thesen zur Finanzmarktsteuer zutreffen - Ihre eigene Regierungszeit dazu genutzt hätten, das durchzusetzen. Damals war das SPDgeführte Finanzministerium gegen die Tobin-Tax, gegen
die Finanztransaktionsteuer, wissend, wie schwierig sie
unter anderem unter den Gesichtspunkten „Finanzplatz
London“ etc. durchzusetzen ist.
Sie betonen hier den Punkt Transparenz sehr stark. Ja,
ich weiß mich im Kampf um Transparenz mit vielen
Kollegen gerade in Ihrer Fraktion sehr einig. Wir haben
freundschaftlich gestritten, auch darum, wie wir die Parlamentsbeteiligung ausgestalten. In einem Fraktionspapier vom 30. August 2011 haben Sie hinsichtlich
EFSF - ich rede also nur über EFSF und nicht über
ESM - gesagt - ich zitiere -:
Vor der Entscheidung über die Gewährung von Finanzhilfen … soll die Bundesregierung Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen.
Das ist die Fraktionsposition der Grünen vom 30. August 2011.
({1})
Gleichzeitig sagen Sie weiter hinten, weil es so delikat sei, so etwas im Plenum zu diskutieren, und weil die
gesamte Thematik so delikat sei, sei das stille Verfahren
im Haushaltsausschuss in der Regel vorzuziehen. Trotzdem haben Sie in der letzten Woche lauthals gefordert,
das Plenum damit zu befassen. Das passt nicht zusammen. Deshalb haben wir an dieser Stelle klar entschieden, einen Entschließungsantrag einzubringen.
({2})
Wir haben im Übrigen - dafür bin ich vielen Kollegen
gerade aus den Koalitionsfraktionen, aber auch aus den
Oppositionsfraktionen dankbar - beim Thema Parlamentsbeteiligung gemeinsam etwas geschafft, was wir
nicht kleinreden dürfen, sondern was wir selbstbewusst,
aber auch verantwortungsbewusst wahrnehmen müssen.
Für all diejenigen, die es noch nicht wissen: Diese Entscheidungen gehören hierher.
Ich möchte einen Leitsatz aus der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zitieren, weil er nicht oft genug zitiert werden kann:
Als Repräsentanten des Volkes
- so das Gericht müssen die gewählten Abgeordneten des Deutschen
Bundestages auch in einem System intergouvernementalen Regierens
- wie der EU die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten.
Deshalb debattieren wir heute hier. Deshalb diskutieren wir abgestuft im Haushaltsausschuss. Deshalb war
die Position Ihrer Fraktion vom 30. August spätestens
am 7. September, als aus Karlsruhe offiziell die Entscheidung erging, überholt. Genauso sind ihre Vorschläge überholt, wie man die Wachstums- und Schuldenkrise bekämpfen könnte. Dafür haben Sie in Ihrer
eigenen Regierungszeit exakt die falschen Weichen gestellt.
Wir als Koalition sagen ganz klar: Stabilitätsunion
statt Schuldenunion.
({3})
Das ist die Grundlinie dieser Koalition. Diese verfolgen
wir, seit diese Koalition angetreten ist. Weil wir sie konsequent weiterführen wollen, weil wir zeigen wollen,
dass europäische Integration und ordnungspolitische
Vernunft kein Widerspruch sind - im Gegenteil -, treten
wir als Koalition - Frau Bundeskanzlerin hat es gesagt für Vertragsänderungen ein.
Diese Vertragsänderungen brauchen wir. Wir brauchen sie jetzt nicht, um einen Nachfolgevertrag für den
Vertrag von Lissabon zu machen. Das ist noch Zukunftsmusik. Wir brauchen sie, um den jetzigen Vertrag so zu
schärfen, dass wir agieren können. Dazu gehören Durchgriffsrechte. Dazu gehören - Kollege Kauder hat es angesprochen - vielleicht Überlegungen, wie man die EZB
Michael Link ({4})
dazu bringt, nicht mehr am Anleihenmarkt tätig zu werden. Das kann man nicht gerichtlich und auch nicht politisch machen. Aber man kann sehr wohl in den Vertrag
Präzisierungen aufnehmen, welches die Aufgaben der
einzelnen Institute sind. Das können wir machen.
Von daher müssen wir genau diese Punkte in kontrollierten und begrenzten Vertragsänderungen in einem
kleinen Konvent angehen. Dafür steht die FDP-Fraktion
ganz intensiv zur Verfügung. Wir wünschen der Bundesregierung für die heutigen Verhandlungen viel Erfolg.
({5})
Gerda Hasselfeldt hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es war richtig, dass die Entscheidungen beim EU-Gipfel
zunächst um einige Tage verschoben wurden. Auch die
Entscheidung, heute im Plenum darüber zu diskutieren
und über die weiteren Schritte zu entscheiden, war richtig. In der vergangenen Woche war nichts entscheidungsreif, weder hier noch auf EU-Ebene. Heute haben
wir eine hinreichend konkrete Vorlage und einen darauf
aufbauenden Entschließungsantrag.
Worum geht es? Es geht um weitere Schritte zur
Schuldenkrisenbewältigung, ausgehend von der Krise in
Griechenland. Es geht um Schritte zur Bewältigung einer Krise, die zwar in anderen Euro-Ländern ihren Ursprung, aber Auswirkungen auf uns alle hat. Es geht
nicht um griechische Probleme, sondern es geht um die
Bewältigung von Problemen, die sich auf uns, auf den
gesamten Euro-Raum auswirken. Es geht um die Auswirkungen auf unsere Arbeitsplätze, unseren Wohlstand,
unsere soziale Sicherheit, unsere Spareinlagen. Um all
das geht es. Es geht um unsere ureigensten Probleme im
gemeinsamen Währungsraum.
({0})
Wir in Deutschland sind davon durch die Größe unseres Exports, durch die wirtschaftlichen Verflechtungen
im gesamten globalen Sektor, aber insbesondere im
Euro-Bereich, ganz besonders betroffen. Wir profitieren
vom Euro am allermeisten. Deshalb haben wir auch die
höchste Verantwortung in diesem Sektor.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit der Bundeskanzlerin für all das herzlich danken, was sie in den letzten
Monaten auf europäischer Ebene schon verhandelt und
erreicht hat. Das alles war bei den unterschiedlichsten
Interessen, den unterschiedlichsten Ausgangspositionen
der einzelnen Euro-Länder nicht selbstverständlich. Es
wurde vieles verhindert, was andere auch in diesem
Haus wollten, beispielsweise eine Vergemeinschaftung
von Schulden. Das ist auch auf ihren Einsatz zurückzuführen. Dafür sollten wir ihr herzlich danken.
({1})
Die Grundlage unseres Handelns war und ist auch
heute noch: Unterstützung und Solidarität ja, aber nur in
Verbindung mit Solidität, Eigenverantwortung der einzelnen Länder und eigenen Anstrengungen der Schuldnerländer, aus ihrer Situation herauszukommen und wieder wettbewerbsfähig zu werden. Diese Verbindung
- Solidarität und Eigenverantwortung - ist die Grundlage des europäischen Rettungsschirms. Das haben wir
in den vergangenen Wochen durch die Ertüchtigung der
EFSF zum Ausdruck gebracht, aber das gilt auch für den
vorliegenden Entschließungsantrag.
Dass dieses System und die Gewährung von Hilfen
nur in Verbindung mit konkreten Auflagen und deren
Kontrollen funktionieren, das zeigen die Beispiele Irland
und Portugal. Das macht auch deutlich, dass wir mit diesem Grundsatz auf dem richtigen Weg sind.
({2})
Heute geht es darum, wie die Mittel noch effizienter
eingesetzt werden können, um die Märkte zu stabilisieren und zu entspannen und um mögliche Ansteckungen
auf andere europäische Länder, insbesondere auf andere
Euro-Länder, zu verhindern. Für uns ist dabei erstens besonders wichtig, dass der festgelegte Haftungsrahmen
von 211 Milliarden Euro für Deutschland auf keinen Fall
überschritten wird, und zweitens, dass sich der Rettungsschirm kein zusätzliches Geld über die Europäische Zentralbank besorgen kann. Der Rettungsschirm darf keine
Gelddruckmaschine werden.
({3})
Ein Blick auf die Zusammenhänge zeigt, dass alle
diejenigen, die eine noch höhere Gläubigerbeteiligung
beispielsweise bei Griechenland fordern, auch für eine
Effizienzsteigerung des Rettungsschirms sein müssen.
Denn beides hängt eng miteinander zusammen. Nur mit
einer Steigerung der Effizienz der Mittelvergabe beim
europäischen Rettungsschirm ist die Ansteckungsgefahr,
die mit einer stärkeren Gläubigerbeteiligung verbunden
ist, einzudämmen.
Es wird immer wieder darüber diskutiert, ob bei den
möglichen Optionen einer Versicherungslösung oder
Fondslösung, die jetzt im Raum stehen, das Ausfallrisiko
höher ist und wie es begrenzt bzw. beziffert werden
kann. Ganz eindeutig kann man das nicht beantworten,
weil es vom Verlauf der Entwicklung abhängig ist. Aber
alles spricht dafür, dass mit der Effizienzsteigerung dieser Mittel die Entspannung und Stabilisierung der
Märkte und die Minderung der Ansteckungsgefahren
verbunden ist. Allein dies bedeutet schon eine Verringerung des Risikos.
Hinzu kommt, dass auch die Risikostreuung größer
wird, weil durch die angedachte Effizienzsteigerung vermehrt privates Kapital mit einfließt. Auch das bedeutet
eine Risikominderung für die öffentlichen Mittel. Nur zu
sagen, Effizienzsteigerung führe in jedem Fall zu einer
Erhöhung des Ausfallrisikos, ist mit Sicherheit so nicht
richtig.
({4})
Aber jenseits dieser Maßnahmen, die in dem Entschließungsantrag stehen, über die wir dann entscheiden
und die Gegenstand der Gespräche beim Gipfel sind,
bleibt eine Fülle zusätzlicher Aufgaben auf der Tagesordnung. Es bleibt dabei - das ist vorhin schon angesprochen worden -: Jede Anstrengung, die Verschuldung
in den einzelnen Euro-Ländern zurückzuführen, muss
fortgesetzt werden.
({5})
Deshalb begrüße ich es, dass die Bundeskanzlerin auf
europäischer Ebene die Diskussion über die Einführung
der Schuldenbremse in den nationalen Haushalten vorangetrieben hat. Wir waren Vorreiter in Europa, wir sind
Stabilitätsanker und Wachstumslokomotive in einem.
Das hat sich bewährt. Dass jetzt auch andere Euro-Länder zumindest teilweise zu einer Schuldenbremse bereit
sind und dass diese Diskussion auf europäischer Ebene
fortgeführt wird, ist nicht von Anfang an selbstverständlich gewesen. Das ist eine gute Entwicklung.
Wir brauchen weiterhin eine Regulierung der Finanzmärkte und auch mehr Transparenz. Aber dazu muss ich
sagen: Diejenigen, die heute so kritisieren, dass wir in
dieser Beziehung noch nicht weitergekommen sind, und
die die Vereinbarung mit der Schweiz kritisieren, wie es
vorhin Herr Trittin gemacht hat, müssen sich schon fragen lassen, was denn Rot-Grün in seiner Regierungszeit
gemacht hat.
({6})
Welches Abkommen haben Sie denn mit der Schweiz
getroffen?
({7})
Was haben Sie denn gemacht, außer unsere Kollegen
dort mordsmäßig zu verärgern? Sie haben doch nichts
auf den Weg gebracht. Auch was die Regulierung der
Finanzmärkte betrifft, haben Sie damals das Gegenteil
gemacht.
({8})
Auch das gehört mit zur Wahrheit. Deshalb ist es notwendig, nach vorne zu blicken und zu sehen, was man
machen kann und was man machen muss.
({9})
Man darf auch nicht übersehen, was schon gemacht
wurde auf nationaler Ebene, beispielsweise was den Bereich der Leerverkäufe anbetrifft, aber auch auf europäischer Ebene.
Wir brauchen eine höhere Widerstandsfähigkeit der
Banken - das ist schon angesprochen worden -, und wir
brauchen eine bessere Koordinierung der Wirtschaftsund Finanzpolitik auf europäischer Ebene. Dazu sind
schon eine Menge Vorarbeiten geleistet worden. Ich begrüße ausdrücklich das, was zu den möglichen Vertragsänderungen gesagt wurde.
Ein Wort noch zu der Diskussion, ob wir mehr oder
weniger Europa brauchen. Ich finde die Diskussion unter
diesen Überschriften nicht allzu hilfreich. Das sage ich
ganz offen. Das ist zu allgemein. Jeder versteht darunter
irgendetwas anderes. Wenn ich über mehr Europa nachdenke, dann will ich ausdrücklich nicht mehr Bürokratie,
zusätzliche Vorschriften und Regulierungen zu etwas,
was nicht dringend notwendig ist, beispielsweise die Bodenschutzrichtlinie.
({10})
Aber alles, was zur Stärkung der Stabilitätskultur in
Europa beiträgt, muss ernsthaft geprüft werden. Wenn
nach der Prüfung Maßnahmen tauglich sind, um mehr
Stabilität unserer gemeinsamen Währung zu erreichen,
dann müssen diese durchgeführt werden.
({11})
Ich begrüße ausdrücklich, dass der vorliegende Entschließungsantrag eine breite Zustimmung dieses Hauses erfährt. Je deutlicher unser Votum heute für diesen
Entschließungsantrag ist, desto stärker ist die Verhandlungsposition der Bundeskanzlerin heute Abend und in
den nächsten Wochen und Monaten. Je stärker ihre Verhandlungsposition ist, desto besser können unsere, die
deutschen Interessen und das Interesse an der Stabilität
unserer gemeinsamen Währung in Europa durchgesetzt
werden.
Deutschland steht in Europa für eine gewachsene Stabilitätskultur. Die Bundeskanzlerin hat diese Stabilitätskultur von Anfang an als Maßstab für ihre Arbeit und
ihre Verhandlungen auf europäischer Ebene angenommen und sie immer wieder als Maßstab eingebracht.
Frau Bundeskanzlerin, ich wünsche Ihnen für die weiteren Verhandlungen viel Erfolg. Alles Gute für Sie und
insbesondere für die Bevölkerung in unserem Land!
({12})
Der Kollege Michael Roth hat jetzt für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das ist schon ein starkes Stück. Frau Kollegin
Hasselfeldt, während Ihrer fulminanten Rede haben Sie
in unsere Richtung geschaut und uns die Deregulierung
der Finanzmärkte vorgeworfen.
({0})
Die Gralshüter von Neoliberalismus und Marktradikalismus sitzen doch auf der anderen Seite.
Michael Roth ({1})
({2})
Ihnen ging doch alles nicht weit genug.
({3})
Sie haben doch jede Regulierung abgelehnt und groß herumgetönt.
Ein Stückchen mehr Selbstkritik, wie Sie es - nicht
ganz zu Unrecht - von uns eingefordert haben, würde
ich auch einmal von Ihnen erwarten, liebe Kolleginnen
und Kollegen von CDU/CSU und FDP.
Was wir hier seit Monaten erleben, ist doch eine nicht
enden wollende Serie gebrochener Versprechen, Dementis und Kehrtwenden. Heute haben Sie es wieder genauso gemacht. In dieser Hinsicht sind Sie sehr konsequent. Sie bleiben bei Ihrer Linie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und
FDP, wir werfen Ihnen ja nicht vor, dass Sie Zweifel haben. Zweifel haben auch wir bisweilen in diesen schwierigen Fragen. Wir werfen Ihnen auch nicht unbedingt
vor, dass Sie keine Ahnung haben.
({4})
Wir werfen Ihnen aber vor, dass Sie jedes Mal im
Brustton der Überzeugung Vorschläge ablehnen, die Sie
kurze Zeit später kleinlaut unterstützen. Das zerstört
Vertrauen in der Europäischen Union.
({5})
Leider zerstört das nicht nur Vertrauen in das Regierungshandeln oder in die Fähigkeit Ihrer Koalition, die
Probleme zu lösen. Es bringt arge Probleme für das
Europa, für das wir alle gemeinsam streiten, mit sich.
Zusätzlich zerstört es auch das Vertrauen in die Fähigkeit
der Politik, Probleme zu lösen.
Das müssen Sie sich zuschreiben, die Damen und
Herren von CDU/CSU und FDP und leider auch die
Riege in der Regierung.
({6})
- Zu den Euro-Bonds kann ich Ihnen gerne etwas sagen.
Das ist nämlich der Gipfel der Heuchelei. Sie stellen sich
bestimmt auch heute wieder hier hin und sprechen sich
gegen Gemeinschaftsanleihen aus. Herr Schäuble hat ja
noch kürzlich im Europaausschuss erklärt, er sei gegen
unkonditionierte Gemeinschaftsanleihen.
Meine Damen und Herren, unkonditionierte Gemeinschaftsanleihen hat in diesem Hause noch nie jemand gefordert, erst recht nicht Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.
({7})
An Ihrer Stelle wäre ich auch ganz bescheiden und
ein bisschen demütig;
({8})
denn Sie werden irgendwann auch diesen Vorschlägen
folgen müssen, weil die Zeiten nun einmal so sind, wie
sie sind.
In dem gleichen Brustton der Überzeugung, in dem
Sie immer wieder Vorschläge voreilig ablehnen, sollten
Sie sich einmal auf eine ernsthafte Diskussion mit uns
einlassen. Das würde ich mir wünschen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD Dr. Michael Meister ({9}): Sind Sie
auch dafür, Herr Roth?
Immerhin gibt es zwei Gründe, warum die SPD-Bundestagsfraktion aus Überzeugung dem gemeinsamen
Antrag zustimmen kann.
({10})
Zum allerersten Mal wird diese Koalition ehrlich. Wir
haben von Anfang an von den Risiken der Hebelwirkung
gesprochen. Diese geben Sie jetzt endlich zu. Dies liegt
im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, die Sorgen haben. Ich finde es schon schmählich, dass Sie dazu erst
uns brauchten, damit wir Ihnen das in Ihren ursprünglichen Antragsentwurf hineindiktieren, meine Damen und
Herren.
Frau Hasselfeldt spricht ganz kommod von Effizienzsteigerung. Meinen Sie allen Ernstes, dass das allein
hilft? Warum sprechen Sie nicht von dem Hebel? Warum
sprechen Sie nicht davon, dass der vorläufige Rettungsschirm ertüchtigt bzw. gestärkt werden muss? Und warum wählen Sie dann immer solche verschwurbelten
Sätze, die sicherlich auch nicht das notwendige Maß an
Vertrauen wachsen lassen, das wir nun einmal brauchen?
Ich will aber durchaus zugeben, dass es bei den zwei
Optionen zur Hebelwirkung auch in meiner Fraktion kritische Fragen gibt.
Das erste Modell der Versicherungslösung will ich
nicht weiter bewerten und nur auf die zweite Option zu
sprechen kommen, nämlich die Zweckgesellschaften.
Wir wollen das Finanzkasino schließen. Zweckgesellschaften hören sich aber gelegentlich arg nach Zockermodell an. Insofern werden wir auch auf die Details dessen achten, was Sie uns aus Brüssel mit nach Hause
bringen. Hier muss man sehr genau aufpassen.
Ich bin gespannt, wie es mit der Finanztransaktionsteuer weitergeht. Herr Brüderle hat eben Herrn Kauder
wahrscheinlich aufmerksam zugehört. Wir wollen auf jeden Fall nicht so lange warten, bis sich alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit der Einführung einer
Finanztransaktionsteuer einverstanden erklären. Wir
wollen in der Euro-Zone voranschreiten. Wenn das nicht
gelingt, dann wollen wir gemeinsam mit Frankreich und
anderen Staaten dazu beitragen, dass auch die Krisenverursacher endlich ihren Beitrag zur Finanzierung der Bewältigung dieser schwerwiegenden Krise in der Europäischen Union leisten.
({11})
Michael Roth ({12})
Zum Schluss. Eines, Frau Bundeskanzlerin, habe ich
in Ihrer Regierungserklärung einmal mehr vermisst:
Europa bezeichnet sich als Raum des Wohlstands. Das
ist derzeit für viele junge Menschen in der Europäischen
Union blanker Hohn. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt
in Spanien fast 50 Prozent, in Griechenland rund 40 Prozent und in Irland - so gepriesen - genauso wie in einer
Reihe anderer Staaten um die 30 Prozent. Auch gut ausgebildete Menschen drohen zur verlorenen Generation
Europas zu werden.
Herr Kollege!
Ich wünsche mir, dass auf dem Gipfel in Brüssel auch
an diese Generation gedacht wird. Denn sie ist es wert,
dass mit Europa etwas Positives und Zukunftsweisendes
verbunden wird.
Herr Kollege!
Ich hoffe, dass Sie Ihren heutigen Worten auch Taten
folgen lassen. Wir erwarten das!
Herr Kollege!
Wir fordern das von Ihnen ein, Frau Bundeskanzlerin.
({0})
Norbert Barthle hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Bei dem Gipfel heute Abend - darauf hat die
Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung hingewiesen - geht es insbesondere um die laufenden Verhandlungen auf europäischer Ebene, die sich auf die Ausgestaltung und die Funktionsweise des europäischen
Rettungsschirms EFSF konzentrieren. Dazu liegt uns ein
Papier mit möglichen Modellen zur Optimierung der
EFSF und zur Maximierung der Schlagkraft des Rettungsschirms vor. Wir stimmen heute unter anderem
über einen gemeinsamen Entschließungsantrag ab. Er
basiert inhaltlich auf diesem Papier. Es geht letztendlich
darum, unserer Bundesregierung und unserer Bundeskanzlerin die geballte Rückendeckung des Parlaments
für die Verhandlungen in Brüssel zu geben, um ihr damit
die Lösung der schwierigen Aufgabe, die sie dort zu erfüllen hat, zu erleichtern, nämlich bei der Ausgestaltung
dieses Rettungsschirms einerseits Verantwortung für
Europa und den Euro wahrzunehmen und andererseits
nationale Interessen zu wahren. Das muss kein Gegensatz sein. Das kann eins sein, wenn man es richtig macht.
Darum geht es bei den Verhandlungen.
Nun wurde im Vorfeld Kritik an den Parlamentsbeteiligungsrechten in Deutschland laut. Es hieß, wir blockierten damit Entscheidungen. Das muss man genau
betrachten. Nach meiner Auffassung ist es jedenfalls
richtig und gut, dass wir unsere Beteiligungsrechte so
klar und konsequent gesetzlich verankert haben. Das
zeigt sich auch in diesem Vorgang.
Nun würde der gemeinsame Entschließungsantrag
von SPD, Grünen - ich nenne bewusst die Opposition
zuerst -, CDU/CSU und FDP noch viel mehr Kraft entfalten, wenn sich die gemeinsame Unterstützung auch in
den Reden widergespiegelt hätte. Das allerdings vermisse ich leider. Ich finde es schade, dass sowohl Herr
Steinmeier als auch Herr Trittin versuchen, in kleiner
Münze zu zahlen und innenpolitisch Kapital aus einem
Thema zu schlagen, das das eigentlich nicht verdient hat.
({0})
Herr Kollege Barthle, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele zulassen?
Herr Ströbele, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Barthle, ich danke Ihnen. - Sie sind
heute quasi meine letzte Hoffnung. Ich habe heute Morgen aus den Nachrichten erfahren, dass ich nun über einen Schuldenschnitt zugunsten Griechenlands abstimmen soll. Die Bundeskanzlerin hat heute gesagt, die
Beteiligung privater Gläubiger solle vereinbart werden.
Ich habe die Papiere, die uns gestern und heute Nacht
zur Verfügung gestellt wurden, und auch den Entschließungsantrag, den Sie so gelobt haben, aufmerksam gelesen. Ich finde dazu nichts.
Nun habe ich gehört, dass darüber heute gar nicht entschieden werden soll. Können Sie das Hohe Haus aufklären - Sie sind haushaltspolitischer Sprecher Ihrer
Fraktion, einer der Regierungsfraktionen; bei Ihnen sitzt
auch der Bundesfinanzminister -, wie der Plan für die
Beteiligung privater Gläubiger an der GriechenlandHilfe aussieht? Inwieweit werden Schulden von privaten
Gläubigern geschnitten? Berücksichtigen Sie dabei bitte,
was der Kollege Gysi gesagt hat: dass man gar nicht an
das Kapital herangeht, sondern möglicherweise nur an
die Zinsen. Berücksichtigen Sie dabei bitte auch, was der
Kollege Trittin vorhin gesagt hat:
({0})
dass ein Großteil der Schulden, die Griechenland hat, inzwischen bei staatlichen Banken sind. Das heißt, dass
nicht private Gläubiger beteiligt werden, sondern dass es
wieder die Steuerzahler aus Deutschland sind, die es
trifft. Erklären Sie mir: Was sollen die Banken als Gegenleistung bekommen, wenn sie auf 40, 50, 60 oder
mehr Prozent verzichten? Wenn Sie mich darüber aufklären, kann ich mir noch einmal überlegen, ob ich vielleicht doch zustimme.
Herr Kollege, ich weiß nicht, welches Papier Sie gelesen haben. Aber das Papier, das ich gelesen habe, beschreibt, wie die Wirkungsweise der EFSF durch einen
entsprechenden Einsatz der Möglichkeiten maximiert
werden soll, die wir der EFSF vor drei Wochen hier in
diesem Hohen Hause mit einer Erweiterung ihrer Möglichkeiten und der Abstimmung über die sogenannten
Leitlinien gegeben haben. Davon ist in diesem Papier die
Rede. Uns wurden zwei verschiedene Modelle beschrieben, wie dies geschehen könnte. Es wird darin beschrieben, dass ein Prüfungsauftrag an die EFSF erteilt werden
soll, dass die EFSF diese Möglichkeiten evaluiert, testet,
auf ihre Marktgängigkeit hin überprüft und dann entsprechend zum Einsatz bringt.
Das, was Sie hier vortragen, finde ich in diesen Papieren überhaupt nicht. Deshalb weiß ich nicht, welches
Papier Sie gelesen haben. Das, was uns als Haushaltsausschussdrucksache vorliegt, haben Sie jedenfalls nicht
gelesen, und deshalb kann ich auf Ihre Frage auch gar
nicht eingehen.
Danke.
({0})
Lassen Sie mich aber nochmals eines feststellen, auch
auf die Zwischenfrage von Herrn Ströbele hin: Ich wünsche mir, dass Sie in Ihrer Fraktion einmal klären, was
Sie eigentlich unter „Hebel“ verstehen. Der Vorwurf,
den Sie erhoben haben - er wurde auch an Herrn
Brüderle gerichtet -, hat etwas damit zu tun, dass Sie
ständig eine falsche Definition des Begriffes „Hebel“
verwenden.
({1})
Es gibt Finanzhebel. Es gibt Hebel im operativen Sinne.
Es gibt Derivatehebel. Was wir hier vorhaben, ist finanztechnisch kein Hebel. Das, was Sie uns vorwerfen, beruht auf Ihrer eigenen Definition. Sie wollen einen möglichst großen Finanzhebel und möglichst hohe Risiken
beschreien. Warum? Weil Sie meinen - das gilt auch für
die SPD -, mit einem solchen möglichst großen Hebel
die Regierung aushebeln zu können.
({2})
Das wird Ihnen aber nicht gelingen; denn einerseits gibt
es diesen Hebel gar nicht, und andererseits fehlt Ihnen
dazu das Gewicht.
({3})
Lassen Sie mich zum Thema zurückkommen. Ich
glaube, man muss an dieser Stelle zunächst festhalten
- das hätte ich mir auch vonseiten der Opposition gewünscht -, dass unsere Bundesregierung bei den Verhandlungen auf internationaler Ebene schon sehr große
Erfolge erzielt hat. Es ist nun einmal so: Wir reden nicht
mehr über eine Bankenlizenz für die EFSF. Wir reden
nicht mehr über Hebel durch die EZB. Das ist nicht mehr
in der Diskussion, sondern wurde wegverhandelt. Wir
reden nicht mehr über unkonditionierte Hilfsprogramme
für Länder. Wir reden nicht mehr über eine Rekapitalisierung der Banken direkt über die EFSF, sondern nur
noch über ein bestimmtes Land. Zunächst der Markt,
dann das Land und dann erst die EFSF; diese Reihenfolge ist eingehalten worden. Das ist ein Verhandlungserfolg dieser Bundesregierung. Das sollten Sie einmal
zur Kenntnis nehmen.
({4})
Ich will an dieser Stelle dem Bundesfinanzminister
noch einmal ausdrücklich danken; denn wir hatten zu
diesem Thema im Haushaltsausschuss ausführliche und
gute Beratungen. Zu all diesen Beratungen stand der
Bundesfinanzminister zur Verfügung. Das habe ich in
den Jahren, in denen ich im Haushaltsausschuss bin
- das sind schon einige -, noch von keinem seiner Vorgänger erlebt. Auch das will ich hier einmal deutlich ansprechen.
({5})
Es gibt eine immer wiederkehrende öffentliche Debatte über die Frage des Risikos. Kein Mensch will wegreden, dass mit einer Erweiterung der Möglichkeiten der
EFSF eine Erhöhung des Risikos verbunden sein kann.
Aber ich sage bewusst „kann“ und nicht „muss“. Sie
kann nämlich auch zu einer Verringerung des Risikos
führen, je nachdem, wie die Mittel eingesetzt werden.
Schauen Sie sich das zweite Optionsmodell an! Das
ist so angelegt, dass man Fremdkapital, privates Kapital,
akquirieren will, um damit Staatsanleihen aufzukaufen.
Da verringert sich das Risiko für das eingesetzte EFSFKapital; die Kapitalsumme wird erhöht, aber nicht durch
das EFSF-Kapital, sondern durch das Kapital privater
Anleger. Das sollten Sie sich einmal vor Augen führen.
Deshalb ist eine Debatte, in der immer nur von der Erhöhung der Risiken gesprochen wird, nicht sachgerecht.
Wäre es so sicher, dass das Risiko sich erhöht, und
könnte man dafür Garantien abgeben, dann könnte man
mit diesem Wissen wunderbare Geschäfte an den Börsen
machen. Das weiß aber niemand so genau. Deshalb ist
diese Frage auch offen.
Lassen Sie mich zu dem Thema „Rekapitalisierung/
Griechenland“ noch ein paar Sätze sagen. Ich glaube, es
ist gut und richtig, dass die Bundesregierung versucht,
auf europäischer Ebene eine höhere Beteiligung des privaten Sektors zu verhandeln. Das ist in zweierlei Hinsicht gut und richtig. Erstens geht es darum, den Finanzbedarf für Griechenland auch stemmen zu können.
Zweitens geht es darum, den Bürgerinnen und Bürgern
klar zu sagen: Mit der höheren Beteiligung des privaten
Sektors geben wir auch ein Stück weit die Verantwortung an diejenigen, die über Jahre hinweg gute Renditen
hatten. Das ist korrekt. Das ist in Ordnung. Ich hoffe,
dass es erfolgreich so verhandelt wird.
Ich wünsche unserer Bundesregierung, dass sie bei
den Verhandlungen in den kommenden Tagen, aber vor
allem heute Abend, im Sinne von Europa, im Sinne der
Sicherung des Euro bei gleichzeitiger Wahrung unserer
nationalen Interessen weiterhin so erfolgreich verhandelt
wie bisher.
Danke sehr.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus-Peter Flosbach
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass wir heute mit großer Mehrheit einen gemeinsamen
Entschließungsantrag von vier Fraktionen des Hauses
verabschieden werden, ist ein wichtiges Zeichen für eine
gemeinsame Europapolitik und gibt unserer Bundesregierung einen starken Rückhalt und ein starkes Verhandlungsmandat für Brüssel. Dafür sollten wir allen danken,
die daran mitwirken.
({0})
Wir sollten aber nicht vergessen, dass eine der wichtigsten Entscheidungen bereits im Vorfeld des Gipfels
gefallen ist, nämlich dass der Rettungsschirm EFSF
keine Banklizenz erhält, dass er sich also nicht bei der
Europäischen Zentralbank refinanzieren kann. Um es so
zu formulieren wie unsere Bundesbanker: Es ist verhindert worden, dass eine Lizenz zum Gelddrucken ausgereicht wurde. - Das ist entscheidend.
({1})
Wenn wir an die Zukunft und an nachhaltige Stabilität
denken: Die wichtigste Bedingung für unsere Währungsunion ist und bleibt die Nachhaltigkeit und der Verzicht
darauf, die Notenpresse anzuwerfen.
Wir haben es mit einer dramatischen Überschuldung
von Staaten zu tun. Wir in Deutschland sind bereit, unseren Beitrag zu leisten und anderen Ländern konkrete
Hilfe zu gewähren. Das haben wir zugesagt; das werden
wir auch einhalten. Es gibt nur viele Diskussionen - das
kennen wir aus unseren Wahlkreisen -: Viele glauben,
wir bräuchten keine Hilfe zu leisten. Das ist falsch. Wir
müssen nicht nur unsere Nachbarn unterstützen; wir
müssen auch wirtschaftlich und finanzpolitisch intensiver zusammenarbeiten sowie wirtschaftliche Hilfe
geben.
Wir dürfen nie vergessen - das sagt die Bundesbank
bei jeder Gelegenheit -, dass nach wie vor eine sehr
starke Ansteckungsgefahr gegeben ist. Wir haben viele
Berater, liebe Kolleginnen und Kollegen, die uns in dieser Krise Ratschläge geben. Aber wenn wir auf die
Ansteckungsgefahren zu sprechen kommen, werden
manche sehr still. Was passiert, wenn in Griechenland
die Banken oder das Sozialsystem oder die Rentensysteme zusammenbrechen? Was passiert mit denen, die
den Griechen Geld geliehen haben? Was passiert mit den
Unternehmen, die in Geschäftsbeziehungen mit Griechenland stehen? Was passiert mit den anderen Ländern?
Platzieren sie überhaupt noch Anleihen an den Märkten?
All das hat dazu geführt, dass wir unseren Rettungsschirm erweitert haben, um neue Möglichkeiten der
Darlehensvergabe, der Absicherung, aber auch einer Rekapitalisierung zu schaffen. Das ist der entscheidende
Vorteil der Erweiterung des Rettungsschirms.
({2})
Wir geben Hilfe, aber immer - das ist das Prinzip von
Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und Europäischer Kommission - mit strengen Konditionen und bei entsprechenden Anpassungsprogrammen. Das hat sich bisher bewährt und wird sich auch in
Zukunft bewähren. Nur wenn wir möglichst nah an den
alten Stabilitätspakt herankommen, werden wir ein nachhaltig stabiles Europa erreichen.
Herr Steinmeier, Sie haben die Kanzlerin gebeten, auf
die Situation vor einem Jahr zurückzublicken, als die
ersten Entscheidungen für Griechenland gefallen sind.
Ich bitte Sie, einmal auf die Jahre 2002 bis 2005 zurückzublicken; viele Ihrer Kollegen tun das auch. Damals
war immer von den Defizitländern Deutschland und
Frankreich die Rede. Sie wissen, dass falsch gehandelt
wurde, als der Stabilitätspakt gebrochen wurde. Deshalb
sollten Sie in dieser Frage etwas demütiger sein.
({3})
Das war auch einer der Gründe dafür, dass wir im
Jahre 2009 eine Schuldenbremse eingeführt haben.
Diese sollte nach der ersten Finanzkrise, die von den
Banken ausgelöst worden war und die uns viel Geld gekostet hat, dazu dienen, die Finanzen in Deutschland
nachhaltig zu stabilisieren.
Die heutige Finanzkrise ist aber keine Bankenkrise,
sondern zunächst eine Staatsverschuldungskrise. Deshalb geht es in erster Linie um die Haushaltskonsolidierung. Gleichzeitig geht es um die Frage: Wie können wir
die Finanzmärkte insgesamt stabilisieren, bzw. was müssen wir tun, damit die Märkte sich entsprechend verändern?
Wir haben festgeschrieben, dass große und systemische Banken mehr Eigenkapital vorhalten müssen. Denn
es kann nicht sein, dass der Steuerzahler das Kapital zugunsten der Banken bereithält. Wichtig war auch, dafür
zu sorgen, dass die EFSF in der Lage ist, Banken aus
Ländern zu unterstützen, in denen das Bankensystem
zusammenbrechen könnte, indem über die Länder Beteiligungen an diesen Banken erfolgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland war in
vielerlei Hinsicht Vorreiter bei der Regulierung der Finanzmärkte. Schauen Sie sich noch einmal die Anträge
der SPD oder auch der Linken an, und achten Sie genau
darauf, was für den deutschen Markt gefordert wird. Wir
waren Vorreiter bei der Restrukturierung von Banken,
bei deren Umwandlung, Restrukturierung oder Abwicklung. Das haben wir in Deutschland zuerst durchgeführt,
und es ist wichtig, dass das in Europa insgesamt umgesetzt wird.
({4})
Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie in den
G-20-Verhandlungen das Thema der Schattenbanken angeht.
({5})
Es kann nicht sein, dass wir die regulierten Märkte noch
stärker regulieren und die unregulierten Märkte über die
regulierten herrschen. Das ist ein wichtiges Thema, und
da hat die Bundesregierung eine gewisse Verantwortung.
({6})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Frau Präsidentin, ich komme damit auch zum
Schluss. - Ich weise darauf hin, dass wir, die Deutschen,
auch im Bereich der Leerverkäufe Vorreiter waren,
indem wir diese bei Aktien, Staatsanleihen und Kreditversicherungen verboten haben. Das war ein spekulativer Handel, der nicht zu akzeptieren war. Heute sagen
die Europäische Kommission, das EU-Parlament oder
auch der Europäische Rat: Das soll in ganz Europa gelten; das habt ihr hervorragend gemacht! Gratulation an
die Bundeskanzlerin und den Finanzminister!
Herr Kollege!
Ich schließe mit einem letzten Satz. - Frau Bundeskanzlerin, Sie haben unser Vertrauen bei den weiteren
Verhandlungen. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und
viel Glück. Alles Gute!
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Wir beginnen mit den namentlichen
Abstimmungen. Im Anschluss daran werden wir noch
weitere, einfache Abstimmungen sowie eine Wahl
durchführen. Ich weise darauf hin, dass zahlreiche Erklä-
rungen zu den Abstimmungen vorliegen, und zwar aus
allen Fraktionen des Hauses.
Wir kommen nun zu den drei Entschließungsanträ-
gen, zu denen namentliche Abstimmung verlangt wurde.
Es geht zunächst um den Entschließungsantrag der Frak-
tionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/7500.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen be-
setzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstim-
mung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das die
Stimmkarte nicht abgeben konnte? - Das scheint nicht
der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen.
Wir kommen dann zum Entschließungsantrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7457. Die Schrift-
führerinnen und Schriftführer sind an ihren Plätzen. -
Dann eröffne ich die zweite namentliche Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgeben konnte? - Das ist offensicht-
lich nicht der Fall. Dann schließe ich diese Abstimmung.
Wir kommen nunmehr zum Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7456. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das
ist der Fall. Dann ist die Abstimmung eröffnet.
Was uns noch fehlt, sind Schriftführerinnen und
Schriftführer, die beim Auszählen helfen. Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, die ihre Stimmkarte bereits ein-
geworfen haben, begeben sich bitte zum Auszählen, da-
mit wir vor Mitternacht damit fertig sind. Das ist auch
im allgemeinen Interesse.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen
werden Ihnen später bekannt gegeben.1)
Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort.
Ich komme zum Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/7455. Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Die einbringende Fraktion hat zugestimmt; alle anderen
haben dagegen gestimmt.
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/7501. Wer stimmt dafür? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist abgelehnt. Dafür gestimmt hat die ein-
bringende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dagegen ge-
stimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU, FDP und
der Linken. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten.
1) Ergebnisse S. 15978 C, 15981 A, 15983 B
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7359 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann verfahren wir so.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 3
Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes
- Drucksache 17/7454 Es liegen Wahlvorschläge aller fünf Fraktionen auf
Drucksache 17/7454 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Damit sind die Wahlvorschläge einstimmig angenommen.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Dieser Tagesordnungspunkt scheint im Haus auf breites Interesse zu stoßen. Ich bitte diejenigen Kolleginnen
und Kollegen, die diesem Tagesordnungspunkt nicht direkt, sondern mental oder anders folgen wollen, den Plenarsaal möglichst schnell zu verlassen.
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierung
zur demografischen Lage und zukünftigen Entwicklung des Landes.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Hans-Peter
Friedrich. - Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Kabinett hat sich heute mit dem Demografiebericht befasst, der nicht nur eine Zusammenfassung
der demografischen Lage in Deutschland und der Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf alle Lebensbereiche gibt, sondern sich auch mit den bereits ergriffenen Maßnahmen auseinandersetzt.
Zur demografischen Entwicklung allgemein sei vorausgeschickt: Es handelt sich dabei um das häufig vorkommende Phänomen, dass man eine über viele Jahrzehnte anhaltende Entwicklung, die schleichend, aber
stetig in allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen zu
Veränderungen führt, in der tagespolitischen Auseinandersetzung nur eingeschränkt zur Kenntnis nimmt.
Die demografische Entwicklung ist eine solche Entwicklung: Im Grunde beeinflusst sie schon seit 40 Jahren
Stück für Stück unsere gesellschaftliche, wirtschaftliche
und soziale Situation; aber jetzt haben wir einen Punkt
erreicht, an dem man schon bei den tagespolitischen
Auseinandersetzungen feststellt, dass das Thema in allen
Bereichen angekommen ist.
Es gibt zwei Trends, die Sie nicht überraschen werden. Der eine Trend ist, dass wir seit vielen Jahren weniger Geburten haben, als notwendig wären, um eine Reproduktionsrate von 100 Prozent zu erreichen. Der
zweite Trend ist, dass die Lebenserwartung der Menschen immer höher wird. Nach Modellrechnungen des
Statistischen Bundesamtes werden in knapp 50 Jahren,
also im Jahr 2060, etwa 65 bis 70 Millionen Menschen
in Deutschland leben, also 17 Millionen Menschen weniger als heute. Bis dahin wird es aber - das ist das Ergebnis der beiden genannten Trends, die zahlenmäßig
gegenläufig sind - eine völlig andere Alterszusammensetzung der Bevölkerung geben: Jeder Dritte wird dann
65 Jahre oder älter sein; jeder Siebte wird 80 Jahre oder
älter sein. Das ist eine Entwicklung, die definitiv auf uns
zukommt. Wir können sie mit aktuellen politischen Entscheidungen nicht mehr verändern, sondern ihr nur
Rechnung tragen. Das ist ein wichtiger Punkt.
Ich denke, dass man die demografische Entwicklung
nicht nur als Bedrohung sehen darf, sondern durchaus
auch die Chancen, die darin liegen, erkennen muss. Der
Demografiebericht, den ich heute dem Kabinett vorgelegt habe und über den beschlossen worden ist, zeigt,
dass wir in allen Bereichen - Familie, Gesellschaft, Zuwanderung, Integration, Wirtschaft, Arbeit, Bildung,
Forschung, Alterssicherung - betroffen sind und es in
den letzten Jahren und Jahrzehnten Maßnahmen der
Bundesregierungen gegeben hat, um sich darauf vorzubereiten. Was wir nicht haben, ist eine Strategie, die einer Entwicklung, die sich erst in den letzten Jahren immer deutlicher abgezeichnet hat, ressortübergreifend
Rechnung trägt. So gibt es bei der demografischen Entwicklung außerordentlich unterschiedliche regionale Betroffenheiten; in den ländlichen Räumen ist es völlig anders als in den Großstädten. Das haben die Berichte
bisher nicht im Einzelnen widergespiegelt.
Wir wollen auf der Grundlage des Berichts anhand
von vier Leitzielen eine Strategie entwickeln: Das erste
Leitziel ist, die Chancen, die mit dem längeren Leben
und der höheren Lebenserwartung verbunden sind, zu
erkennen und zu nutzen. Das zweite Leitziel ist, dafür zu
sorgen, dass wir in Zukunft trotz der anderen Alterszusammensetzung und dem Schrumpfen der Bevölkerung
die gleiche oder am besten eine gestärkte Innovationskraft sowie Wachstumsperspektiven und Wettbewerbsfähigkeit erreichen. Das dritte Leitziel ist, trotz der Entwicklungen in der Lage zu bleiben, soziale Gerechtigkeit
und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten.
Schließlich ist es das vierte Leitziel, die Handlungsfähigkeit des Staates zu bewahren, und zwar nicht nur in
finanzieller Hinsicht - ich glaube, da hat man mit der
Schuldenbremse schon einen wesentlichen Beitrag geleistet -, sondern auch, indem wir der demografischen
Entwicklung im Bereich der Verwaltung Rechnung tragen.
Insgesamt geht es um ein Thema, bei dem - das weiß
die Bundesregierung - wesentliche Entscheidungen und
Maßnahmen nicht vom Bund getroffen werden, sondern
von den Ländern und Kommunen. Wir hoffen und wünschen uns natürlich, dass die Länder mit ihren Programmen und die Kommunen mit ihren Vorstellungen und
spezifischen Problemen unmittelbar an die Strategie, die
wir jetzt entwickeln wollen, anschließen und andocken
können, sodass es zu einer harmonischen Entwicklung
kommt. - So viel, Frau Präsidentin, zur Einführung.
Die erste Frage stellt die Kollegin Dittrich.
Vielen Dank, Herr Minister. - Ich möchte gerne eine
Frage zum Bereich Pflege stellen. Sie haben es zwar
nicht direkt angesprochen, aber wir wissen, dass Sie für
den Pflegebereich eine Ausbildungsoffensive planen.
Wie möchten Sie dafür sorgen, dass im Pflegebereich
mehr Männer beschäftigt werden, sodass es zu gemischten Teams kommen kann; denn Pflege ist Schwerstarbeit. Außerdem haben wir einen Mindestlohn in Höhe
von nur 7,50 Euro im Osten und in Höhe von 8,50 Euro
im Westen.
Liebe Frau Kollegin, ich habe zunächst vorausgeschickt, dass der Demografiebericht eine Bestandsaufnahme dessen ist, was wir an aktuellen Entwicklungen
haben und was wir an Auswirkungen in den einzelnen
Bereichen zu erwarten haben.
({0})
Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit, nämlich aufgrund
dieser Fragestellung eine Strategie zu entwickeln.
Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. In der Strategie, in der wir neben vier Leitzielen, die ich genannt
habe, zehn Handlungsfelder definiert haben, wollen wir
uns insbesondere mit der Frage beschäftigen, wie wir die
Pflege insbesondere in den ländlichen Räumen, wo die
jungen Menschen zum Teil in großem Ausmaß weggezogen sind, sicherstellen. Die von Ihnen gestellte Frage
wird sicherlich eine zentrale Rolle spielen.
({1})
Nachfragen gibt es hier nicht, aber ich schreibe Sie
gerne noch einmal auf.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Rawert.
Herr Minister, herzlichen Dank für Ihre Einführung.
Die Einführung war auch nötig, da wir Abgeordnete den
Bericht erst gestern Abend bekommen haben. Vielleicht
war der eine oder andere in der Lage, wenigstens die
Kurzfassung zu lesen.
Mich interessiert der Bereich „Zuwanderung und
Fachkräfte“. Sie haben ausgeführt, dass Sie im vorliegenden Bericht eine Bestandsaufnahme der aktuellen
Entwicklungen vorgenommen haben. Können Sie etwas
zum künftigen Fachkräftemangel und dessen Bekämpfung in Kombination mit dem Aspekt Zuwanderung
bzw. einer gezielten Zuwanderungsstrategie sagen?
Wie Sie wissen, hat es in der Vergangenheit bereits
Änderungen im Zuwanderungsrecht gegeben. Beispielsweise wurde die Gehaltsgrenze für Hochqualifizierte auf
66 000 Euro gesenkt; früher lag sie bei 80 000 Euro. Es
hat also bereits erste Öffnungen bzw. Ausweitungen in
diesem Bereich gegeben.
Sie weisen auf eine Grundsatzfrage hin, nämlich:
Können wir die demografischen Herausforderungen, vor
denen wir stehen, durch Zuwanderung lösen? Die Antwort lautet: mit Zuwanderung allein mit Sicherheit nicht.
Bevor man aber über Zuwanderung diskutiert, muss man
zuallererst prüfen - ich glaube, das ist zwingend -, ob
und in welchem Umfang wir in der Lage sind, unseren
Fachkräftebedarf mit eigenem Potenzial zu decken. Ich
halte es für das richtige Vorgehen, zunächst dafür zu sorgen, das vorhandene Potenzial an Erwerbsfähigen auszubauen und für die künftige Entwicklung zu nutzen. Wenn
das nicht ausreichen sollte, die Lücke auf dem Arbeitsmarkt zu schließen - die Zahlen besagen, dass wir in den
nächsten 50 Jahren eine Reduzierung der Bevölkerung
um 17 Millionen zu verzeichnen haben; auch für den Arbeitsmarkt rechnet man mit einer Lücke in einer Größenordnung von mehreren Millionen -, muss wahrscheinlich mit Zuwanderungsszenarien gerechnet werden.
Die zweite Stufe wäre daher meines Erachtens - wir
werden das in den nächsten Monaten im Rahmen der Erarbeitung einer Strategie diskutieren -, dass wir die
Möglichkeiten nutzen, die uns der europäische Arbeitsmarkt bringt. Ich nenne insbesondere unsere Partner in
der Euro-Zone; das sind 16 Länder. Ich erinnere an Spanien, das derzeit eine Jugendarbeitslosigkeit von 40 Prozent zu verzeichnen hat. In Portugal geht eine verlorene
Generation - so nennt sie sich selber - auf die Straße und
sagt: Wir haben trotz guter Ausbildung keine Perspektive. - Wir sollten dem europäischen Gedanken Rechnung tragen und versuchen, Fachkräfte aus diesen Ländern für Deutschland zu gewinnen. Diese Fachkräfte
können später grenzüberschreitend und damit völkerverständigend tätig werden. Erst wenn dieses Potenzial ausgeschöpft ist, kann man über Zuwanderung aus Drittstaaten reden. Auch darüber spricht man in der
Koalition.
Das, was bereits entschieden ist, und das, was noch
auf den Weg gebracht wird, werden wir selbstverständlich in die Strategie einbinden.
Herr Minister, Sie hatten Glück, dass wir ein Problem
mit der Technik hatten. Sonst hätte es längst geklingelt.
Das gibt mir Gelegenheit, alle an die Ein-MinutenRegelung für Fragen und Antworten zu erinnern. Daran
wird sich als Nächste die Kollegin Tabea Rößner halten.
Vielen Dank, Herr Minister, für die Vorlage des Berichts und die Klarstellung, dass es sich um eine Zustandsbeschreibung handelt. Eine Strategie und ein
Handlungskonzept wären aus unserer Sicht wesentlich
wichtiger.
In dem Bericht heißt es: „Die Bevölkerungsabnahme
wird vor allem in dünn besiedelten ländlichen Räumen
zu einer zurückgehenden Auslastung“ der Infrastruktur
führen. Diesbezüglich widerspreche ich Ihnen: Das wird
nicht erst in der Zukunft so sein, sondern das ist bereits
Fakt. In diesem Zusammenhang vermisse ich Analysen
und Grundsatzfragen wie diese: Nach welchen Kriterien
soll die Infrastruktur zukünftig ausgebaut, erhalten oder
eventuell sogar zurückgebaut werden? Ich würde mir
wünschen, dass Sie darauf kurz eingehen.
Damit verbunden frage ich, inwieweit davon der
Grundsatz bezüglich der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse betroffen ist. Schließlich schreiben Sie,
dass daran zwar nicht gerüttelt werden soll, aber dennoch an die jeweilige Region „angepasste Lösungen“
entwickelt werden sollen.
Vielen Dank.
Ich will mit der zweiten Frage beginnen. Natürlich ist
es notwendig, dass man der spezifischen Situation einer
Region Rechnung trägt; denn die Wirtschaftsstrukturen
und die Altersstrukturen sind überall anders. Insofern ist
es, glaube ich, richtig, dass man mit den Kommunen vor
Ort angepasste Strategien entwickelt. Das ist aber in erster Linie Aufgabe der Länder. Wir versuchen nur, das,
was der Bund darüber hinaus leisten muss, zu koordinieren und die Maßnahmen in einer Strategie zu bündeln.
Was die Infrastruktur angeht, muss man den Begriff
Infrastruktur etwas weiter fassen und darf darunter nicht
nur die Verkehrsinfrastruktur verstehen.
({0})
Im Grunde geht es um alles. Es geht auch um die soziale
Infrastruktur, um Bildungseinrichtungen und um die
Kommunikationsinfrastruktur, zum Beispiel um das
Thema Breitbandversorgung. Die Breitbandtechnologie
wird in der Strategie eine wichtige Rolle spielen; das
vermute ich jedenfalls.
Dieser Bericht ist die Grundlage für das, was wir erarbeiten wollen. Ob an der einen oder anderen Stelle ein
Rückbau notwendig bzw. möglich sein wird, kann ich
jetzt noch nicht sagen.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, die von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt zu
geben:
Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zu der Abgabe
einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat auf Drucksache 17/7500: Es wurden 596 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben 503 gestimmt. Mit Nein haben 89 gestimmt. Es gab 4 Enthaltungen. Damit ist dieser Antrag angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 596;
davon
ja: 503
nein: 89
enthalten: 4
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Manfred Behrens ({1})
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen
({2})
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Herbert Frankenhauser
({6})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({11})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({12})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({13})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({14})
Anita Schäfer ({15})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({16})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({17})
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({18})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({20})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({21})
Peter Weiß ({22})
Sabine Weiss ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({24})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({25})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({26})
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({27})
Hubertus Heil ({28})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({29})
Frank Hofmann ({30})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({31})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({32})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Andrea Nahles
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({33})
Michael Roth ({34})
Marlene Rupprecht
({35})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({36})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({37})
Ulla Schmidt ({38})
Silvia Schmidt ({39})
Carsten Schneider ({40})
Swen Schulz ({41})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Daniel Bahr ({42})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({43})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({44})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({45})
Michael Link ({46})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({47})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({48})
Dirk Niebel
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Johannes Vogel
({49})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({50})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({51})
Volker Beck ({52})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({53})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({54})
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({55})
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({56})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Wolfgang Bosbach
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Josef Göppel
Manfred Kolbe
Paul Lehrieder
Dr. Carsten Linnemann
Thomas Silberhorn
Klaus-Peter Willsch
SPD
Wolfgang Gunkel
Werner Schieder ({57})
Rolf Schwanitz
Rüdiger Veit
FDP
Jens Ackermann
Nicole Bracht-Bendt
Sylvia Canel
Frank Schäffler
Torsten Staffeldt
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({58})
Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Enthalten
CDU/CSU
Veronika Bellmann
SPD
Gerold Reichenbach
Ottmar Schreiner
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/7457: 594 Stimmen wurden abgegeben.
Mit Ja haben 199 gestimmt, mit Nein 394. Es gab 1 Enthaltung. Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 594;
davon
ja: 199
nein: 394
enthalten: 1
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({59})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({60})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({61})
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({62})
Hubertus Heil ({63})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({64})
Frank Hofmann ({65})
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({66})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({67})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Andrea Nahles
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({68})
Michael Roth ({69})
Marlene Rupprecht
({70})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({71})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({72})
Werner Schieder ({73})
Ulla Schmidt ({74})
Silvia Schmidt ({75})
Carsten Schneider ({76})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({77})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({78})
Volker Beck ({79})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({80})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({81})
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({82})
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({83})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({84})
Manfred Behrens ({85})
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen
({86})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({87})
Dirk Fischer ({88})
Axel E. Fischer ({89})
Dr. Maria Flachsbarth
Herbert Frankenhauser
({90})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({91})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({92})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({93})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({94})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({95})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({96})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({97})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({98})
Anita Schäfer ({99})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({100})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({101})
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({102})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({103})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({104})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({105})
Peter Weiß ({106})
Sabine Weiss ({107})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({108})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({109})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({110})
Heinz Lanfermann
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({111})
Michael Link ({112})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({113})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({114})
Dirk Niebel
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Johannes Vogel
({115})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({116})
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({117})
Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/7456 zum selben Thema: abgegebene
Stimmen 594. Mit Ja haben gestimmt 137, mit Nein 455.
Es gab 2 Enthaltungen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 593;
davon
ja: 137
nein: 454
enthalten: 2
Ja
SPD
Dr. Peter Danckert
Daniela Kolbe ({118})
Swen Schulz ({119})
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({120})
Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({121})
Volker Beck ({122})
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({123})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({124})
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({125})
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({126})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({127})
Manfred Behrens ({128})
Veronika Bellmann
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen
({129})
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({130})
Dirk Fischer ({131})
Axel E. Fischer ({132})
Dr. Maria Flachsbarth
Herbert Frankenhauser
({133})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({134})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({135})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({136})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({137})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({138})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({139})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({140})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({141})
Anita Schäfer ({142})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({143})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({144})
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({145})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({146})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({147})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({148})
Peter Weiß ({149})
Sabine Weiss ({150})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({151})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({152})
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({153})
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({154})
Hubertus Heil ({155})
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Frank Hofmann ({156})
Dr. Eva Högl
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({157})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Andrea Nahles
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({158})
Michael Roth ({159})
Marlene Rupprecht
({160})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({161})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({162})
Werner Schieder ({163})
Ulla Schmidt ({164})
Silvia Schmidt ({165})
Carsten Schneider ({166})
Ottmar Schreiner
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({167})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({168})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({169})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner ({170})
Michael Link ({171})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({172})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({173})
Dirk Niebel
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Johannes Vogel
({174})
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({175})
Enthalten
SPD
Ulla Burchardt
Petra Hinz ({176})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich bitte jetzt die Kollegin Klamt um ihre Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, Sie haben gerade ausgeführt, dass wir nun eine Analyse und
erste Bestandsaufnahme vorliegen haben. Ich freue mich,
dass uns im Hause jetzt ein so ausführlicher Bericht vorliegt und dass ressortübergreifend daran gearbeitet wird.
Ich denke, uns alle hier im Hause interessiert: Wann rechnen Sie damit, dass uns ein Strategiekonzept - es wird
wohl im kommenden Jahr sein - vorgelegt werden wird?
Ich gehe davon aus, dass wir, aufbauend auf diesem
Bericht, sehr zügig arbeiten und im ersten Halbjahr 2012
über eine Strategie diskutieren können.
Die nächste Frage kommt vom Kollegen Birkwald.
Herr Minister, haben Sie herzlichen Dank für Ihre
einführenden Worte. Ich hatte Gelegenheit, schon einmal
in die Kurzfassung des Demografieberichts zu schauen,
und beziehe mich auf die Aussagen zur Alterssicherung.
Dort heißt es unter anderem, dass es um einen „angemessenen Interessensausgleich zwischen Jung und Alt“
gehe und um eine „generationengerechte Ausgestaltung
der sozialen Sicherungssysteme“. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die Anhebung der
Regelaltersgrenze in der Rentenversicherung auf 67 eine
gute Maßnahme ist.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat bei Forsa eine
Umfrage in Auftrag gegeben. Es ging darum, ob es sinnvoll ist, die Regelaltersgrenze auf 67 anzuheben, da die
geplante Beitragssenkung pro Durchschnittsverdienerin
und -verdiener nur etwas mehr als 6 Euro betragen wird.
Die Ergebnisse sind deutlich: 79 Prozent der Befragten
wollen, dass die Beiträge nicht gesenkt werden und die
Rente mit 67 abgeschafft wird; stattdessen soll das Geld
für die Bekämpfung von Altersarmut ausgegeben werden. Übrigens: Auch 71 Prozent der CDU/CSU-Anhänger und 64 Prozent der FDP-Anhänger äußerten sich so.
Nur 12 Prozent der Befragten wollen eine Senkung der
Rentenbeiträge. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie,
ob Sie nicht vielleicht noch einmal darüber nachdenken
wollen: Ist es aus Ihrer Sicht wirklich sozial gerecht, die
Rente ab 67 einzuführen, oder könnte man angesichts
von 6 Euro weniger Beitrag pro Beschäftigtem nicht darauf verzichten?
Die Zahlen, die ich mit diesem Bericht vorgelegt
habe, und auch die Zustandsbeschreibung sind Fakten
einer Entwicklung, die wir schon haben bzw. objektiverweise zu erwarten haben. Jetzt gilt es, aus der anderen
Alterszusammensetzung der Bevölkerung die richtigen
Schlüsse ziehen. Sie können schon heute am Arbeitsmarkt feststellen, dass beispielsweise in den letzten zehn
Jahren die Zahl der Beschäftigten, die über 55 Jahre alt
sind, dramatisch gestiegen ist. Während vor zehn Jahren
noch gut ein Drittel der Menschen in diesem Alterssegment berufstätig waren, sind es jetzt fast 60 Prozent.
Man muss auf die Tatsache, die ich vorhin vorgetragen habe, dass die Menschen eine höhere Lebenserwartung haben und dass sie gesünder älter werden, reagieren. Wir erwarten eine Auflösung der bisher üblichen
Dreiteilung - Ausbildung, Berufstätigkeit, Ruhestand im Leben eines Menschen. Die Rente mit 67 ist ein Vorläufer der strukturellen Veränderungen, die in den nächsten Jahren notwendig sein werden.
Die nächste Frage stellt der Kollege Kurth.
Herr Minister, herzlichen Dank für diesen umfassenden Demografiebericht. Es ist in der Tat ein Zukunftspapier. Wie bindend ist dieses Papier für die gesamte Bundesregierung, also auch andere Ministerien? Welche
Schlüsse werden daraus gezogen? Wie stark sind die anderen Ministerien mit diesem Papier verhaftet?
Ich habe eine weitere Frage. Die demografische Entwicklung ist in den Regionen sehr unterschiedlich. Zum
Teil sind schon an Landkreisgrenzen Unterschiede feststellbar. Sie haben im Handlungskonzept für die neuen
Länder erste Maßnahmen verankert. Inwieweit ist man
in den neuen Ländern - oder überhaupt innerhalb von
Bundesländern - bereit, gezielt für Landkreise, in denen
dies nötig ist, Unterstützungsmaßnahmen auf den Weg
zu bringen? Duldet man es, dass einzelne Landkreise dadurch quasi bevorteilt würden? Wie ist Ihre Einschätzung?
Zunächst einmal zur ersten Frage. Beschlossen wurden die Erstellung dieses Berichts und die Erarbeitung
der Strategie vor zwei Jahren in Meseberg. Dieser Bericht wurde ressortübergreifend erarbeitet und wird von
allen betroffenen Ressorts getragen. Natürlich werden
wir auch die Handlungsstrategie, die notwendig ist, gemeinsam erarbeiten und dem Deutschen Bundestag vorstellen.
Was die Situation in den neuen Ländern angeht, haben wir insofern bereits einen Blick in die Zukunft geworfen, als sich dort schon heute demografische Entwicklungen abzeichnen, die in den alten Bundesländern,
jedenfalls in großen Teilen, vielleicht erst in fünf oder
zehn Jahren deutlich werden. Das, was wir in den neuen
Ländern vorfinden, ist eine Art Großpilotprojekt für die
Entwicklungen, zu denen es bundesweit kommen wird.
Sicherlich wird man - allerdings koordiniert von den
Bundesländern und nicht von der Bundesregierung auch der spezifischen Situation in den einzelnen Landkreisen, die sehr unterschiedlich sein wird, Rechnung
tragen müssen.
Herr Müntefering.
Herr Minister, dass der Bericht mit Akribie erstellt
wurde, will ich nicht bestreiten. Aber ein bisschen mehr
Herzblut und Leidenschaft in der Sache wären ganz gut
gewesen.
Wenn ich mir den Zeitplan, den Sie gerade noch einmal erläutert haben, ansehe, muss ich sagen: Er lässt eigentlich nichts Gutes vermuten. Sie haben gesagt, bis
Mitte 2012 sei über die Strategie zu sprechen. Das ist
etwa ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl. Dann
wird seitens der Bundesregierung nicht mehr besonders
viel geschehen.
({0})
Es wird bestimmt 2014, ehe wirklich etwas in Bewegung
kommt.
Ich hätte von Ihnen gerne eine Äußerung dazu gehört,
wie Sie sich das vorstellen, insbesondere vor dem Hintergrund - dazu finde ich im Bericht ganz wenig -, dass
Bund, Länder und Gemeinden hier eine gemeinsame
Verantwortung haben. Der demografische Wandel trifft
die Kommunen und Regionen in sehr unterschiedlichem
Maße; allerdings trifft er jede Kommune und jede Region. Die Frage ist: Was passiert dann? Wäre die Einsetzung einer Demografiekommission, in der sich Bund,
Länder und Gemeinden gemeinsam mit diesem Thema
befassen, Ihrer Meinung nach ein Vorschlag, der das Finden einer Lösung erleichtern könnte?
Sie sprechen im Wesentlichen über die Bundesebene.
Die Entscheidungen in den Regionen und Kommunen
sind allerdings sehr unterschiedlich. An diesem Punkt
brauchen wir Klarheit. Wenn Sie, was die Abfolge betrifft, so arbeiten, wie Sie es angekündigt haben, werden
wir eine entsprechende Strategie in Deutschland nicht
vor 2014 umsetzen. Das wäre aber zu spät.
Sie haben völlig recht: Das ist eine Entscheidung, die
zuallererst für die Kommunen vor Ort relevant ist. Zunächst einmal will die Bundesregierung eine ressortübergreifende Strategie erarbeiten. In einem weiteren Schritt
wird man selbstverständlich die Länder, die übrigens
schon viele Prozesse angestoßen haben, einbeziehen. Inzwischen gibt es in jeder Region Handlungskonzepte, in
denen vorgezeichnet ist, was man erreichen will. Dass
man diesen Dialog führen muss, ist richtig.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Ich glaube, dass es
bei der Erarbeitung der Strategie notwendig ist, von der
konkreten Situation vor Ort auszugehen und dann das
Land und den Bund in den Blick zu nehmen. Man sollte
sich fragen: Was ist notwendig, um eine konkrete Lösung vor Ort zu finden? Dabei muss man die Gesamtsituation, von der Kommune über das Land bis hin zum
Bund, vor Augen haben. Dabei geht es auch um die
Frage: Welche Gesetzesänderungen oder Durchgriffsmöglichkeiten braucht man im Hinblick auf die einzelnen Ressorts auf Bundesebene? Das ist im Grunde die
Aufgabe, vor der wir jetzt stehen. Sie haben also völlig
recht: Man muss von der konkreten Situation vor Ort
ausgehen und dann abstrahieren, um herauszufinden,
welche Gesetze man auf Bundesebene verändern muss.
Frau Deligöz.
Herr Minister, ich möchte eine etwas konkretere
Frage stellen. Sie haben in dem Bericht geschrieben,
dass Sie die Versorgung mit leistungsfähigen Breitbandanschlüssen für notwendig und wichtig halten; das haben
Sie gerade noch einmal betont. Insbesondere im Rahmen
des TKG wurde aber die Chance verpasst, dies in die Tat
umzusetzen. Wie sehen Ihre Pläne und wie sieht vor allem der konkrete Zeitplan hierfür aus?
Dies ist ein wichtiger Punkt. In unserem Handlungskonzept für die neuen Länder, das ich vor drei Wochen
vorgestellt habe und in dem wir sehr viele Pilotprojekte,
die wir in den neuen Ländern durchführen, untersucht
haben, haben wir festgestellt, dass die Breitbandstrategie
eines der zentralen Elemente ist. Dies gilt sowohl im
Hinblick auf Arbeitsplatzmöglichkeiten wie Telearbeitsplätze als auch dann, wenn es darum geht, die Industrie,
mittelständische Unternehmen und das Handwerk im
ländlichen Raum zu halten. Hier kommt der Breitbandversorgung eine zentrale Aufgabe zu.
Deswegen glaube ich, dass wir bei der Entwicklung
der Strategie besonderen Wert darauf legen müssen. Hier
gilt, was Herr Müntefering vorhin gesagt hat, in besonderer Weise; denn es gibt Breitbandstrategien der Länder
und der Bundesregierung. Auch in dieser Frage werden
wir, wenn wir unsere Schlussfolgerungen vorbereitet haben, sehr eng mit den Ländern zusammenarbeiten müssen.
Frau Bluhm, bitte.
Herr Minister Friedrich, Sie haben jetzt mehrfach
zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei diesem Bericht
um eine Analyse handelt und die Handlungsempfehlungen im nächsten halben Jahr zu erwarten sind.
Wir als Parlament werden uns mit diesem Bericht
auseinandersetzen und ihn auch bei den aktuellen Debatten zum Haushalt 2012 berücksichtigen. Uns würde interessieren, welche Empfehlungen oder Vorschläge für
künftige Schwerpunktsetzungen im Bundeshaushalt der
Bericht der Bundesregierung zur demografischen Lage
und künftigen Entwicklung des Landes enthält. Die
Frage lautet konkret: Wie passen die Erkenntnisse in diesem Bericht der Bundesregierung mit den Kürzungen
der Bundesmittel für das Jahr 2011 - die Kürzungen sind
vollzogen worden und sollen 2012 fortgesetzt werden im Bereich der allgemeinen Städtebauförderung zusammen? Es geht insbesondere um die Programme „Altersgerecht Umbauen“ und „Die soziale Stadt“. Können Sie
in Aussicht stellen, dass Sie Ihr aktuelles Handeln in diesem Punkt noch einmal überdenken?
Wenn Sie sich den Bericht anschauen, dann sehen Sie
im letzten Kapitel die Handlungsfelder - es sind zehn an
der Zahl - aufgelistet. Hier spielt insbesondere die Ertüchtigung der ländlichen Räume eine zentrale Rolle. Ich
glaube, das haben Sie mit dem Stadtumbauprogramm
angesprochen. Das sind wichtige Punkte.
({0})
- Diese Punkte werden in der Strategie natürlich eine
zentrale Rolle spielen; keine Frage.
Die verschiedenen Handlungsempfehlungen muss
man in den nächsten Jahren entsprechend unterlegen.
Wir wollen ja gemeinsam eine etwas längerfristige Strategie angehen und hier im Hohen Hause beschließen.
Dass man dem in den Haushalten Rechnung tragen
muss, ist überhaupt keine Frage.
Jetzt bitte Frau Bätzing-Lichtenthäler.
Vielen Dank, Herr Minister, für den Bericht. - Ich
schließe an die vorhergehende Frage an. Sie beschreiben
in Ihrem Bericht die Rahmenbedingungen, die gesetzt
werden müssen, um dem demografischen Wandel zu begegnen, und schreiben, dass man die Kommunen dabei
unterstützen muss, Infrastrukturen aufrechtzuerhalten
und Wohnungsangebote für älter werdende Menschen zu
schaffen. Meine Frage, die Kollegin unterstützend, lautet: Wie kann es dann sein, dass man die Mittel für Programme wie „Die soziale Stadt“ um 70 Prozent kürzt
und andere Programme, die gut laufen und die man einfach weiterlaufen lassen könnte, wie „Altersgerecht Umbauen“, auslaufen lässt?
Ich möchte noch ein anderes Feld ansprechen, nämlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Bezug
auf Fachkräfte. In Ihrem Bericht schreiben Sie: Wir wollen die Erwerbsquote von Frauen erhöhen und die Kinderbetreuung flexibler gestalten. - Wie passt das von Familienministerin Schröder angekündigte Betreuungsgeld
dazu?
Das Thema, das Sie zuletzt angesprochen haben - Vereinbarkeit von Familie und Beruf -, ist deswegen wichtig,
weil es ein erhebliches Potenzial insbesondere an Frauen
gibt, die entweder derzeit unfreiwillig nicht berufstätig
sind oder mehr arbeiten möchten als in Teilzeit. Ich
denke, dass es wichtig ist, mit der bereits eingeleiteten
Politik, mit dem Recht auf einen Kindergartenplatz und
all den anderen Maßnahmen der Vergangenheit konsequent weiterzumachen, um das Potenzial gut ausgebildeter Frauen und Männer, das sich hier bietet, zu nutzen. Sie
waren gezwungen, sich so zu entscheiden, wie sie sich
entschieden haben, aber sie hätten anders entschieden,
wenn sie die Möglichkeit dazu gehabt hätten. Dort müssen wir mehr Flexibilität schaffen. Deswegen ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz wichtig.
Wie gesagt, wir haben in den letzten Jahren insgesamt
eine Vielzahl von Programmen auf den Weg gebracht.
Viele von denen sind Pilotprojekte, bei denen man von
vornherein gesagt hat: Diese laufen fünf Jahre, und dann
ist Schluss. Dass das nicht immer günstig ist, ist mir bekannt. Das weiß ich auch aus eigener Anschauung. Ich
denke, deswegen ist es umso notwendiger, dass man eine
langfristige Strategie erarbeitet, um langfristige Programme durchführen zu können.
Herr Kilic, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben in Ihrer Berichterstattung als einen von
vier wichtigen Punkten die Einwanderung selbst angesprochen. Es ist bekannt, dass die Regierung im Rahmen
der Umsetzung der Bluecard-Richtlinie der Europäischen Union weitere Änderungen im Bereich des Aufenthaltsrechts vornehmen möchte, um die Fachkräfteeinwanderung zu erleichtern. Wird die Regierung, wie
angekündigt, noch im November einen Gesetzentwurf
vorlegen? Welche Erleichterungen wird dieser Gesetzentwurf enthalten? Wo gibt es in welchem Umfang noch
Meinungsverschiedenheiten?
Falls die Regierung im November einen solchen Gesetzentwurf vorlegen und er hier im Bundestag von der
Mehrheit beschlossen wird, wird das selbstverständlich
als gegebene Tatsache in unsere Strategie Eingang finden. Wir müssen bei der Erarbeitung unserer Strategie
natürlich immer von den gesetzlichen Gegebenheiten
ausgehen. Wenn bis dahin eine Modifizierung des Einwanderungsrechtes vorliegt, wird das selbstverständlich
dieser Strategie zugrunde gelegt.
Weitere Fragen zu diesem Themenbereich können wir
nicht berücksichtigen. Aber es gibt noch eine Frage zu
einem anderen Thema der heutigen Kabinettssitzung
durch die Kollegin Enkelmann. Bitte schön.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Minister, der Spiegel
hat in dieser Woche über einen Bericht der Bundesregierung zum Thema Mindestlöhne informiert.
Frau Enkelmann, wollen Sie die Frage auch an Minister Friedrich stellen?
Ich weiß nicht, ob er das weiß.
Frau Enkelmann, im Zweifel weiß ich alles.
Logischerweise wäre dafür der Bereich Arbeit und
Soziales zuständig. Vielleicht entscheidet die Regierung,
wer antwortet.
Das war meine Frage. Dann könnte sich der Kollege
Friedrich zunächst setzen, und dann entscheidet die Regierung untereinander, wer antwortet.
So soll es sein.
Alles klar. Danke, Frau Präsidentin. - Es geht um eine
Information des Spiegel zu einem weiteren Bericht der
Bundesregierung zum Thema Mindestlöhne. Die Bundesregierung hat vier Forschungsinstitute beauftragt. Sie
kommen zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass bei einer
Einführung von Mindestlöhnen keine nennenswerten
Folgen für Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit
nachzuweisen wären. Das stimmt mit den Argumenten
der Linken zu Mindestlöhnen überein.
Hat sich das Kabinett mit diesem Bericht beschäftigt?
Welche Schlussfolgerung hat das Kabinett im Zusammenhang mit der flächendeckenden Einführung gesetzlicher Mindestlöhne gezogen?
Herr Fuchtel, bitte.
Ich hatte nicht die Ehre, an diesem Tag am Kabinettstisch zu sitzen. Deswegen muss ich die Frage wieder zurückgeben und kann sie also hier jetzt nicht beantworten.
({0})
Also jetzt doch Herr Friedrich.
({0})
Liebe Frau Enkelmann, das, was Sie angesprochen
haben, war heute nicht Gegenstand im Kabinett. Aber
wenn es eine solche Untersuchung gibt, werden wir uns
die Sache, auch in der Ressortzuständigkeit des Kollegen, Staatssekretär Fuchtel, anschauen. Das ändert natürlich an unserer grundsätzlichen Auffassung darüber, wie
Mindestlöhne in Deutschland, auch unter dem Gesichtspunkt der Tariffreiheit und der Tarifautonomie, zu beurteilen sind, überhaupt nichts.
({0})
- Wir haben in vielen Bereichen mit dem hervorragenden Instrument eines tariflich geregelten Mindestlohns
- es wurde in früheren Jahren ausgearbeitet -, der sehr
gezielt und sehr spezifisch auf die Situation in den Branchen zugeschnitten ist, hervorragende Erfahrungen gemacht. Ich könnte mir vorstellen, dass das vielleicht
Grundlage dieser Untersuchung war. Ich werde sie mir
anschauen.
Vielen Dank. - Damit beende ich die Befragung der
Bundesregierung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 17/7411 Auch hierbei gilt die Ein-Minuten-Regelung. Allerdings werden wir das Signal bei der ersten Antwort nicht
benutzen, damit sie etwas ausführlicher ausfallen kann.
Sie müssen höchstens damit rechnen, dass die Präsidentin oder der Präsident eingreift.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der
Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Rainer Arnold
auf:
Wie kann eine im Umfang und in der Ausrüstung deutlich
reduzierte Bundeswehr das gleiche Fähigkeitsprofil und die
damit verbundenen Aufgaben wie vor der Reform erfüllen?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege
Arnold, auf Ihre Frage kann ich antworten, dass es nicht
zutrifft, dass die Bundeswehr künftig dieselben Aufgaben und dasselbe Fähigkeitsprofil wie vor der Neuausrichtung haben wird. Wie Sie wissen, sind im Mai dieses
Jahres die Verteidigungspolitischen Richtlinien vorgestellt worden, die das Fähigkeitsprofil weiterentwickeln.
Die Neuausrichtung ist sicherheitspolitisch begründet
und basiert auf einer Analyse der Risiken und Bedrohungen, denen wir so weit wie möglich gemeinsam mit unseren Verbündeten und Partnern begegnen wollen.
Wir haben das Fähigkeitsprofil auch in Erkenntnis
dessen, was die vorherigen Strukturen einer gedanklichen und faktischen Dreiteilung der Bundeswehr in unterschiedliche Kräftekategorien aufgegeben haben, angepasst und die eher auf Stabilisierungsoperationen
ausgerichteten Kräfte stärker auf das gesamte Aufgabenund Intensitätsspektrum ausgerichtet. Wir werden künftig nicht mit weniger Kräften dasselbe wie oder mehr als
in der Vergangenheit leisten können, werden aber uns
künftig auf die Fähigkeiten konzentrieren, die wir als relevant ansehen. Dazu gehört, zum Landesschutz gegen
direkte Bedrohungen die über das Instrument des Grundwehrdienstes sehr personalintensiv sichergestellte Fähigkeit zur Rekonstitution, also den Wiederaufwuchs, durch
ein neues, der Lageänderung angepasstes Konzept für
den Heimatschutz zu ersetzen.
Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Eingreif- und
Stabilisierungskräften. Wir werden unter dem wunderschönen deutschen Wort - Frau Präsidentin, mit Ihrer
Genehmigung - Single Set of Forces - das bedeutet
schlicht und einfach, dass grundsätzlich jeder für jede
Fähigkeit zur Verfügung stehen muss - diese Aufgaben
bewältigen und auf Parallelstrukturen, die sich leider
entwickelt hatten, verzichten.
Herr Arnold, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, sehen Sie es mir nach: Ganz verstehe ich Ihre Antwort nicht. Denn wenn ich die Verteidigungspolitischen Richtlinien lese, dann stelle ich fest,
dass sich die sicherheitspolitischen Herausforderungen
in den letzten Jahren nicht gewandelt haben und dass es
bei der gesamten Breite der Aufgaben für die Streitkräfte
bleiben soll.
Wenn Sie sagen, Sie hätten andere Prioritäten, dann
müsste wenigstens in den Bereichen, in denen Sie andere
Prioritäten sehen, die Bundeswehr materiell und personell gestärkt werden. Die Ausplanungen und Vorgaben
zeigen aber, dass alles außer den Infanteriekräften geschwächt und reduziert werden soll. Können Sie die
Prioritäten, die Sie neu definieren, näher beschreiben?
Wir haben schon eine Reihe von Prioritäten geändert
bzw. gesetzt. Der sogenannte Single Set of Forces, also
das gemeinsame Fähigkeitsprofil, soll uns mehr Flexibilität bieten. In der Tat haben Sie recht - darin stimme ich
Ihnen zu, Herr Kollege -, dass sich die Herausforderungen bzw. die Bedrohungslagen in ihrer Unkalkulierbarkeit nicht geändert haben. Gerade deswegen müssen wir
uns mit den zur Verfügung stehenden Kräften auf das
konzentrieren, was wir für das Wahrscheinlichste halten.
Dazu dienen vor allem die Erkenntnisgewinnung, die
Kommunikation und die schnelle Beweglichkeit und Organisation.
Ich denke, dass wir gerade in diesen Punkten in den
Verteidigungspolitischen Richtlinien und jetzt in der
Umsetzung des Konzepts einiges an Verbesserungen eingebracht haben. Ich darf beispielsweise daran erinnern,
dass wir mit dem Beginn der SIGINT-Überwachung mit
unbemannten Luftfahrzeugen auch eine völlig neue Kategorie von Fähigkeiten einbringen werden.
Sie haben eine zweite Nachfrage, Herr Arnold? Bitte.
Betrachtet man die Aufklärungskomponente, Herr
Staatssekretär, stellt man einfach fest, dass auch dort entgegen den ursprünglichen Planungen zumindest eine Reduktion des technischen Gerätes stattfinden soll. Insofern erschließt sich mir das nicht ganz. Eines interessiert
mich ganz besonders, mit Blick auf Mangelfähigkeiten,
die zweifellos die Bundeswehr hat, die aber auch die
Verbündeten in NATO und EU insgesamt haben: Haben
Sie darüber nachgedacht und entsprechende Vorkehrungen getroffen, damit wir gerade bei den internationalen
Mangelfähigkeiten nicht noch schwächer werden, sondern stabil bleiben oder gar stärker werden? Gibt es
hierzu Überlegungen?
Ja, hier gibt es eine Reihe von Überlegungen. Frau
Präsidentin, die Nachfrage des Kollegen Arnold steht im
Zusammenhang mit der zweiten Frage des Kollegen
Bartels, der neben ihm sitzt. Kann ich sie gleichzeitig
mit beantworten?
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Hans-Peter
Bartels auf:
Für welche Bereiche der Streitkräfte hat vor den Reduzierungsbeschlüssen eine Abstimmung mit anderen ({0}) NATO-Mitgliedern stattgefunden?
Ich darf auf die zweite Nachfrage zurückkommen.
Natürlich sind wir uns alle bewusst und wissen, dass wir
begrenzte Fähigkeiten bei der Bundeswehr, was das Material betrifft, haben. Kollege Arnold und Kollege
Bartels, deswegen muss Konzentration stattfinden. Ich
darf darauf hinweisen, dass wir das in einer guten und
vernünftigen Art und Weise, gerade was die einsatzrelevanten Fähigkeiten betrifft, gemacht haben. Dafür müssen wir allerdings auch viel Material binden.
Gerade deswegen - nun beantworte ich Frage 4 - ist
es aus unserer Sicht unabdingbar notwendig, dass wir international, sei es auf Ebene der Europäischen Union,
der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
oder auch auf Ebene der NATO, eine enger verknüpfte
Herangehensweise an Fähigkeitsplanung und an das
Zurverfügungstellen von Fähigkeiten haben. Ich nenne
ein Beispiel: Es gab eine Diskussion, inwieweit eine spezielle Fähigkeit im Luftbereich - Sie kennen die Fähigkeit der sogenannten ECR-Tornados - bleiben soll. Ist
das eine Mangelfähigkeit auf Ebene der NATO oder
nicht? Wir haben uns ganz bewusst entschieden, diese
Fähigkeit beizubehalten, weil sie ein Beitrag dazu sein
kann, in internationalen Missionen eine Fähigkeitslücke
nicht entstehen zu lassen.
Herr Bartels, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte.
Bei Ihren Experimenten mit der Wehrpflicht haben
Sie in dem Gesetz, das wir im Bundestag beschlossen
haben, immerhin eine Evaluationsklausel eingefügt. Die
Erfahrungen aus dem freiwilligen Wehrdienst sollen
zum 1. Januar 2013 überprüft werden, damit man möglicherweise nachsteuern kann. Ist es auch für die jetzt vorgelegte Strukturreform der Bundeswehr vorgesehen, zu
evaluieren, wie sinnvoll die Strukturen und die Ausrüstungsentscheidungen tatsächlich sind? Kollege Arnold
hat es angesprochen: Mangelfähigkeit Lufttransport.
Statt dass die Mittel bei einer kleiner werdenden Bundeswehr aufwachsen oder zumindest im vorgesehenen
Bereich bleiben und somit Fähigkeiten verbessert werden, reduzieren Sie in dem Maße, in dem die Bundeswehr kleiner wird, also um ein Drittel. Dann verbessert
sich nichts. Ein Drittel weniger A400M, ein Drittel weniger Hubschrauber. Wird denn das Joint Support Ship,
das diese Fähigkeit des Transports verbessern soll, in absehbarer Zeit kommen? Was sind die Perspektiven der
Fähigkeitsverbesserung?
Herr Kollege Bartels, wenn in Bezug auf die von Ihnen genannten Gerätschaften, insbesondere das strategische Transportflugzeug A400M und den mittelschweren
Transporthubschrauber NH-90, den Sie insinuieren, nun
die freudige Erwartung endlich befriedigt ist und wir
diese Gerätschaften irgendwann wirklich zur Verfügung
haben, wird die Fähigkeit der Bundeswehr in diesem Bereich keine Lücke aufweisen.
Allerdings teile ich Ihre von Ihnen nicht geäußerte,
aber mir unterstellte Erwartung, dass dies auch endlich
der Fall sein wird. Sie wissen, dass wir mit großer Hoffnung auf die Fähigkeiten der deutschen Industrie bauen,
die Dinge nun auch zeitgerecht fertigzustellen.
Sie haben eine zweite Nachfrage, Herr Bartels. Bitte
schön.
Ich will noch einmal an den ersten Teil der Frage erinnern. Wird es eine Evaluierung bzw. Überprüfung geben? Wird man zu irgendeinem Zeitpunkt noch einmal
schauen, ob das so jetzt vernünftig aufgestellt ist?
In Bezug auf die Reform denke ich, dass die Veränderungen konzeptionell zugrunde gelegt sind und schon allein wegen der Planungsentscheidung eine Nachhaltigkeit haben. Ich stehe aber nicht an, zu sagen, aus den
Erfahrungen der letzten 20 Jahre sei erkennbar, dass man
gut daran tut, eine gewisse Flexibilität einzuplanen. Deswegen gilt: keine förmliche Revision, aber doch ein Verständnis dafür, dass Dinge auch angepasst werden müssen und sich ändern können.
Wir versuchen in unserer jetzigen Reformstruktur
durch eine Beschleunigung der Beschaffungsverfahren
allerdings auch dem Dilemma zu entkommen, das wir
leider in den letzten 30 Jahren miterleben mussten. Herr
Kollege, Sie wissen es; erlauben Sie bitte, dass ich es
trotzdem als Beispiel anfüge. Der Kampfhubschrauber
Tiger, über dessen Beschaffung bzw. Indienststellung gerade in diesen Tagen geredet worden ist, datiert von seiner abschließenden militärischen Forderung her aus dem
Jahre 1986. Im Jahr 2011 haben wir die freudige Erwartung, ihn vielleicht im nächsten Jahr endlich in Einsatz
bringen zu können. So kann das nicht sein. Deswegen
müssen wir auch das Beschaffungsverfahren beschleunigen - das ist eine der Erfahrungen aus diesen Fällen -,
weil wir damit auch mehr Flexibilität gewinnen.
Jetzt kommen wir zu Frage 2 des Kollegen Arnold:
Wie viele Soldaten und Zivilbeschäftigte der Bundeswehr
sind durch die Reform der Bundeswehr von Versetzungen betroffen, und wie viele dieser Versetzungen sind durch Standortschließungen begründet?
Lieber Kollege, die genaue Anzahl der Versetzungen
kann noch nicht genannt werden. Ich denke, dass das
von Ihnen auch nicht erwartet worden ist. In der Tat erfordert die personelle Umsetzung der Stationierungsentscheidungen, die heute früh vom Minister druckfrisch
vorgestellt worden sind, jetzt eine genaue Analyse sowie
anschließend die Feinausplanung. Dann kann man verlässlich sagen, wie viele Beamtinnen und Beamte, Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Beschäftigte betroffen sind.
Ich will es mir auch versagen, eine gegriffene Zahl als
Vorstellungsrahmen zu nennen. Ich bitte um Verständnis
dafür, dass wir gerne erst noch einmal die Fakten ausplanen und analysieren würden. Dann kann ich allerdings
gerne auf die Frage zurückkommen.
Herr Arnold, Sie haben eine Nachfrage. Bitte.
Diese Geduld sagen wir Ihnen natürlich gerne zu.
Aber können wir wenigstens über den Bereich der Zivilbeschäftigten, die der Verteidigungsminister an andere
Ressorts abgeben will, reden? Wie viele sollen das sein?
Und wann wird der Minister diese Entscheidung treffen?
Vielleicht können Sie auch dazusagen, ob dies personalrechtlich unter Wahrung der tarifvertraglichen Absicherung der Beschäftigten möglich ist.
Sie wissen - das wurde auch angedeutet -, dass gewisse Aufgaben der Verwaltung anderweitig erfüllt werden sollen, insbesondere im Bereich des Abrechnungswesens oder auch im Bereich der Reisekostenabrechnung.
Über diese Frage finden innerhalb der Bundesregierung
Gespräche statt, insbesondere mit dem BMI. Dabei geht
es auch um die daraus entstehenden dienstrechtlichen und
verfahrensmäßigen Konsequenzen.
Das Ganze kann natürlich nur dann Sinn machen,
wenn es Synergieeffekte bietet. Wir gehen sehr davon
aus, dass es zu diesen Synergieeffekten kommen wird.
Wenn dieses Modell sich bewährt, ist es übrigens
auch eines, das sich nicht auf die Beziehungen zweier
Ressorts untereinander beschränken muss. Weitere Planungen in diesem Bereich sind gegenwärtig aber nicht
aktiv.
Sie haben eine zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist unsere Information richtig,
dass andere Ressorts bereit sind - Sie selber haben davon gesprochen -, dem Innenministerium bestimmte
Aufgaben zu übertragen, aber das dafür notwendige Personal behalten wollen? Anders gefragt: Müssen wir als
Verteidigungspolitiker nicht nur auf den Einzelplan 14,
den Verteidigungshaushalt, schauen, sondern auch feststellen, dass es dem Steuerzahler und dem Bundeshaushalt nicht sehr hilft - das Personal ist da; die Menschen
haben Verträge -, wenn die Kosten von einem Etat in
den anderen verschoben werden?
Wenn es bei einer reinen Verschiebung von der rechten Tasche in die linke Tasche bliebe, würde das keinen
Sinn machen. Es kann nur dann Sinn machen, wenn daraus ein Synergie- und Effizienzgewinn resultiert, sei es
bei der Leistung, den Nutzungsmöglichkeiten oder dadurch, dass Personal adäquat und punktgenau eingesetzt
werden kann. Ich denke, dass wir uns das, wenn die entsprechenden Vorlagen zur Abstimmung vorliegen, noch
einmal genau anschauen müssen. Es geht um keinen
ideologischen Ansatz, sondern um sehr pragmatische
Überlegungen. Die entscheidende Frage kann nicht sein,
ob am Türschild das Zeichen der Bundeswehr bzw. einer
dem Bundesverteidigungsministerium nachgeordneten
Behörde oder ob eventuell das Zeichen einer dem Bundesministerium des Innern nachgeordneten Behörde zu
finden ist.
Der Kollege Bartels hat dazu noch eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, von der Reduzierung der Zahl der
zivilen und militärischen Beschäftigten durch die Strukturreform sind die Bundesländer sehr unterschiedlich betroffen. Mein Heimatland Schleswig-Holstein ist zu über
40 Prozent und Niedersachsen zu 20 Prozent betroffen.
Warum sind die Bundesländer so unterschiedlich betroffen? Die Zeit des Kalten Krieges ist doch vorbei. Die natürlichen Stationierungsräume entlang der möglichen
Frontlinie eines dritten Weltkriegs sind nicht mehr vorgegeben. Sie haben heute relativ viel Freiheit, Stationierungsentscheidungen zu treffen. Warum haben Sie sie so
getroffen?
Herr Kollege, ich kann und würde Ihnen die Zahlen
über die Zivilbeschäftigten, aufgeschlüsselt nach Bundesländern, nachreichen. Ich vermute, dass Sie auf die
Zahlen in toto Bezug genommen haben, die sowohl die
militärischen als auch die zivilen Planstellen betreffen.
Es ist eine rein funktionale Ausrichtung, die sich daraus
ergibt. Wir haben natürlich bei der Dislozierung die Vorstellungen und Situationen zu berücksichtigen, wie wir
sie vorgefunden haben und die vielleicht ein Stück weit
Bezug zu früheren Zeiten haben. Nehmen Sie als Beispiel nur die hohe Personalkonzentration in der sogenannten Rheinschiene. Das hat historische Gründe. Eine
besondere Orientierung an den Bundesländern hat es
aber nicht gegeben. Das Ganze wurde funktional betrachtet. Ein regionaler Ausgleich ist dort, wo er möglich
und notwendig ist, in die Wege geleitet worden.
Damit sind wir bei Frage 3 des Kollegen Bartels:
Mit welchen Kostensteigerungen rechnet die Bundesregierung bei dem Outsourcing von Aufgaben der Bundeswehr
durch den geplanten weiteren Abbau des Zivilpersonals - Materialerhaltung, Sanitätswesen und anderes?
Lieber Kollege, auf Ihre Frage antworte ich wie folgt:
Ein Outsourcing von Aufgaben ist nur insoweit vorgesehen, wie es zweckmäßig und wirtschaftlich sinnvoll ist;
allerdings vermute ich, dass Sie mir und der Bundesregierung auch nichts anderes unterstellen wollen. Das
heißt, dies muss im Einzelfall genau zu untersuchen sein.
Die Bundesregierung lässt sich nicht von der Vorstellung
leiten, dass alles, was outgesourct sei, billiger oder günstiger sei. Vielmehr erfolgt zuvor eine präzise Bewertung,
ob dieses Ziel mit Outsourcing erreicht werden kann.
Bislang gibt es gute Beispiele, aber auch Beispiele, die
zur Vorsicht Anlass geben.
Als Beispiel für die Schwierigkeiten darf ich an das
vormalige Projekt der Privatisierung der Verpflegung erinnern. Verpflegung ist eine außerordentlich sensible
Materie, nicht nur bei Soldaten. Deswegen war es gut,
hier dem Pragmatismus jenseits von irgendwelchen
grundsätzlichen Vorstellungen den Vorzug zu geben und
die Entscheidung zurückzunehmen.
Herr Bartels, eine Nachfrage, bitte.
Da Sie die Sinnhaftigkeit unter Beweis stellen wollen,
will ich an Ihr Verständnis der Sensibilität des
Outsourcings im Bereich der Materialerhaltung der Marine appellieren; Sie können mit Ja oder Nein antworten.
Die Marinearsenale müssen, nachdem Ausschreibungen
stattgefunden haben, Aufgaben an privatwirtschaftliche
Einrichtungen abgeben. In der Vergangenheit ist evaluiert worden, was teurer und was günstiger ist. Das Ergebnis - oh Wunder -: Die öffentliche Auftragserfüllung
war drastisch, bis zu achtmal, günstiger als die Vergabe
an Monopolisten, die diese Aufgaben im zivilen Bereich
natürlich ebenfalls erfüllen können. Die Frage ist, ob Sie
diese Sensibilität dem Bereich der Materialerhaltung der
Marine entgegenbringen wollen.
Herr Kollege, diese Sensibilität bringen wir entgegen.
Es wird nicht so sein, dass die Beispiele anderer Teilstreitkräfte - dazu gehören die Heeresinstandsetzungslogistik als ein Projekt des Heeres und die spezielle Zusammenarbeit der Luftwaffe mit Triebwerksherstellern
etc. in der Wartung - dazu verleiten, dies etwa auf die
Spezifika der Marine zu übertragen. Auch hier gilt: Es
muss das tragfähig und leistungsfähig sein, was angestrebt wird und was gedacht wird, und es geht nicht nur
um ein bestimmtes Etikett.
Was die Arbeit in dem Marinearsenal betrifft, kann
man feststellen, dass sie dem ersten Anschein nach und
vielleicht auch dem zweiten in der Tat eine sehr ermutigende, erfolgreiche, gute Tätigkeit ist und dass wir das
bei der Beurteilung der Sensibilität natürlich in Betracht
ziehen müssen.
Eine zweite Nachfrage, Herr Bartels? - Die haben Sie
nicht.
Die von Ihnen gestellte Frage 4 ist vorhin schon beantwortet worden.
Wir kommen zu Frage 7 der Kollegin Inge Höger:
Welche Rüstungsfirmen nahmen am Mittwoch, dem
19. Oktober 2011, an dem Gespräch zwischen dem Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, und führenden Unternehmern aus der Rüstungsbranche teil, und um
welche Beschaffungsmaßnahmen ging es dort konkret?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, an dem Gespräch waren Vertreter der
wesentlichen Unternehmen der wehrtechnischen Industrie in Deutschland beteiligt. Der Bundesminister der Verteidigung informierte die Firmenvertreter über das im
Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr beauftragte
Projekt zur Überprüfung von Rüstungs- und Beschaffungsvorhaben. Er teilte mit, dass für alle Großprojekte
Abnahmeverpflichtungen bestünden - das wisse man;
man nennt das juristisch „Pacta sunt servanda“ -, die zum
Teil deutlich oberhalb des nach Überprüfung der Ausrüstungsvorhaben ermittelten Bedarfs für das zukünftige Fähigkeitsprofil lägen. Deshalb müsse über Möglichkeiten
nachgedacht werden, wie trotz der bestehenden Vertragslage ein Einstieg in die weitere Modernisierung der Bundeswehr gemeinsam mit der gewerblichen Wirtschaft
gestaltet werden könnte. Der Bundesminister der Verteidigung eröffnete den Anwesenden die geplanten Stückzahlen von Hauptwaffensystemen der Streitkräfte. Sie
entsprechen den Zahlen, die in dem Schreiben, das unser
Haus an den Verteidigungsausschuss und, ich denke, auch
an den Haushaltsausschuss gerichtet hatte, genannt waren. Es war ein Einstieg in Gespräche. Es sind keine Vereinbarungen getroffen worden.
Frau Höger, Ihre erste Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär Schmidt, Ihr Kollege Kossendey
hat mir in der Verteidigungsausschusssitzung gesagt, die
Reduzierung der Stückzahlen sei ein Schritt in Richtung
Abrüstung der Bundeswehr. Im Gegensatz dazu hat
Minister de Maizière in verschiedenen Interviews, unter
anderem in den Tagesthemen, gesagt, das Ziel dieser
Maßnahme sei nicht, Ausgaben zu kürzen, sondern wieder Aufträge auslösen zu können. Das sind sehr widersprüchliche Aussagen. Was ist das Ziel dieser Gespräche?
Das Ziel der Gespräche ist - ich habe es vorhin in anderem Zusammenhang mit Blick auf den Kampfhubschrauber Tiger genannt - eine Anpassung der Stückzahlen an die heutigen Planungen. Ich darf darauf
hinweisen, dass dieses „Pacta sunt servanda“ sich auch
auf Liefertreue, auf zeitnahes, pünktliches und vollständiges Liefern nach Pflichtenkatalog, bezieht. Insofern ist
sehr viel Raum für Gespräche eröffnet, wie wir das auch
beispielhaft an den Gesprächen mit Airbus über das strategische Lufttransportflugzeug A400M sehen konnten.
Es geht somit einmal darum, dass wir die Investitionsmittel des Verteidigungsetats - sie sind zu circa drei
Vierteln gebunden - wieder etwas flexibler einsetzen
und auf Neues hin ausrichten können.
Weiter geht es darum, die Exportbemühungen der
deutschen Industrie insofern zu unterstützen, als wir als
zufriedener Kunde Referenz für ihre Leistungsfähigkeit
geben können.
Frau Höger, Sie haben eine weitere Frage. Bitte
schön.
Herr Staatssekretär Schmidt, Sie haben gerade von
Exportbemühungen der Rüstungsindustrie gesprochen.
Meine erste Frage lautet: Gehen die Gespräche in die
Richtung, dass im Hinblick auf die Stückzahlen, die die
Bundeswehr nicht mehr abnehmen wird, Exportbemühungen der Rüstungsindustrie unterstützt werden und
dementsprechend Zusagen gegeben werden?
Zweite Frage: Geht es nur um Exporte in Richtung
NATO und EU, die ja nicht so restriktiv zu handhaben
sind wie Exporte in andere Länder? Was schwebt Ihnen
da vor?
Sie wissen, dass bei Großprojekten in Einzelfällen die
Möglichkeit eröffnet worden ist, überzählige Flugzeuge
- um beim Beispiel der Flugzeuge zu bleiben - weiterzuveräußern. Ungeachtet der Frage der genauen rechtlichen
Konstruktion - in Form eines Zwischenerwerbs oder auf
andere Weise - will ich auf Folgendes hinweisen: Wir haben Exportbemühungen sowohl beim A400M - Reduzierung auf 40 Flugzeuge, sodass de facto gegenwärtig
13 Flugzeuge überzählig sind - als auch beim Kampfflugzeug Eurofighter unternommen. Es gibt gegenwärtig
insbesondere zwei Länder, die ein Abnahmeinteresse haben. Das eine Land ist Indien und das andere die
Schweiz.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zur Frage 8, die unsere Kollegin Katja
Keul gestellt hat:
Welche Art der Unterstützung von Rüstungsexporten
wurde der Rüstungsindustrie durch den Bundesminister der
Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, - Financial Times
Deutschland am 20. Oktober 2011 - zugesagt?
({0})
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, ich verstehe Ihre Frage so, dass Sie
den Hintergrund des Gesprächs, um das es in der Frage
von Kollegin Höger ging - darauf durfte ich schon antworten -, noch etwas ausleuchten wollen.
Es war so, dass die Industrievertreter die Möglichkeit
angesprochen haben, durch den Export von Gütern eine
entsprechende Auslastung zu erzielen. Unter Exporthilfe
für die wehrtechnische Industrie versteht die Bundesregierung Maßnahmen wie bilaterale Gespräche mit Regierungsvertretern anderer Länder, um die Bemühungen
der deutschen Industrie, Verträge mit diesen zu schließen, flankierend zu unterstützen. Beispielhaft sei daran
erinnert, dass sich die Bundeskanzlerin sowie der Bundesminister Herr Dr. de Maizière während der gemeinsamen deutsch-indischen Kabinettssitzung im Mai dieses
Jahres in Neu-Delhi in bilateralen Gesprächen für das
Programm Eurofighter eingesetzt haben; ich hatte darauf
bereits hingewiesen. Dann sei noch die Funktion der
Bundeswehr als Referenzkunde erwähnt, wobei das natürlich nur funktioniert, wenn der Kunde zufrieden ist.
Das kann er bei deutschen Produkten allerdings nahezu
durchgängig sein. Darin sehen wir die Schwerpunkte
solch einer unterstützenden Zusammenarbeit.
Bitte, Ihre erste Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Daran, dass
Deutschland der drittgrößte Waffenexporteur der Welt
ist, sehen wir ja, dass die Kunden mit der deutschen
Ware sehr zufrieden sind.
Ich hatte in meiner Frage nur ganz allgemein wissen
wollen, welche Unterstützung zugesagt worden war, auf
die sich Verbandspräsident Adamowitsch in seinen Presseäußerungen bezogen hat. Aber verstehe ich Ihre Aussage richtig, dass in erster Linie und schwerpunktmäßig
Exportförderung zugesichert worden war? Dann frage
ich Sie, ob zu dieser Exportförderung auch die Zusage
weiterer Bürgschaften gehört und ob darüber hinaus
auch über eine Lockerung der bestehenden Rüstungsexportrichtlinien gesprochen worden ist.
Sie gestatten, Frau Kollegin, dass ich die in den Medien zitierten Äußerungen von Herrn Adamowitsch nicht
weiter kommentiere. Inhalt unseres Gespräches waren
nicht in erster Linie Exportfragen, sondern die Anpassung der Verträge. Das hat in der von mir genannten Art
und Weise zu Fragen geführt. Über Bürgschaften im
konkreten Sinne oder eine grundsätzliche Veränderung
der Position ist nicht geredet worden.
Weitere Nachfrage, Frau Kollegin?
Ja, vielen Dank. - Sie hatten gerade den Verkauf der
sozusagen überschüssigen Flugzeuge - hier konkret:
Eurofighter - an Indien erwähnt. Ich möchte Sie fragen,
wie eine solche Förderung mit der restriktiven Rüstungsexportpolitik, die die Bundesregierung angeblich betreiben will, zu vereinbaren ist. Schließlich handelt es sich
bei Indien um einen Drittstaat, in den schon nach unserem Grundgesetz in der Regel keine Kriegswaffen geliefert werden dürfen, höchstens im Ausnahmefall. Wie ist
damit zu vereinbaren, dass im Zuge der Reform ausgerechnet Kriegswaffen massiv in Drittländer geliefert
werden sollen?
Indien, ein sehr großer demokratischer Staat, ist ein
vertrauenswürdiger Partner. Alle Fragen, die mit rechtlichen Begrenzungen zu tun haben, müssen in den Gremien, die dazu berufen sind, beraten und entschieden
und dann entsprechend beachtet werden. Die Bemühungen der Firma EADS, Flugzeuge nach Indien zu exportieren - es ist nicht so, dass die Bundesrepublik DeutschParl. Staatssekretär Christian Schmidt
land als Vertragspartner beteiligt wäre -, unterliegen im
Hinblick auf die Waffenexportkontrolle dem gleichen
Regime.
Vielen Dank. - Ich habe jetzt eine Reihe von weiteren
Nachfragen. Zunächst Kollege Dr. Hans-Peter Bartels.
Herr Staatssekretär, soll es im Verteidigungsministerium in Zukunft eine gesonderte, nur für Fragen des Rüstungsexports zuständige Organisationseinheit geben?
Abgesehen davon, dass wir über das neu eingerichtete
Bundesamt für Ausrüstung und Nutzung auch internationale Kontakte im Sinne von multilateralen Programmen
pflegen, ist die Frage der Exportförderung nicht primäre
Aufgabe des Bundesministeriums der Verteidigung. Entsprechende Bemühungen sind mir nicht bekannt.
Vielen Dank. - Als Nächste Frau Kollegin Inge
Höger.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, Sie haben eben
gesagt, Indien sei ein demokratisches Land und Sie sähen keine Probleme, Rüstungsgüter nach Indien zu exportieren. Die Rüstungsexportrichtlinien untersagen aber
die Lieferung von Rüstungsgütern in Krisenregionen.
Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan spricht ja
wohl eindeutig dafür, dass es sich um eine Krisenregion
handelt. Wie vereinbaren Sie das miteinander?
Frau Kollegin, ich glaube, es ist in unser aller Sinne,
wenn die Fragen präzise beantwortet werden. Dann
sollte man aber auch die Antworten genau zur Kenntnis
nehmen. Ich habe keine Bewertung des konkreten Geschäfts abgegeben und auch nicht dazu, ob es aufgrund
der rechtlichen Rahmenbedingungen möglich ist. Ich
habe darauf hingewiesen, dass solche Fragen in den entsprechenden Gremien - Sie wissen, dass das in unserem
Lande insbesondere der Bundessicherheitsrat ist - zu bewerten und zu entscheiden sind und dass dann auch andere Überlegungen, die anzustellen nicht Aufgabe der
Bundesregierung ist, miteinzubeziehen sind.
Das Projekt der Veräußerung von Flugzeugen nach
Indien ist also ein Projekt, das nach Prüfung eine gewisse Unterstützung im Sinne dessen, was ich eben als
die Haltung des guten Kunden bezeichnet habe, erfährt.
Jetzt habe ich eine weitere Nachfrage, und zwar des
Kollegen Omid Nouripour.
Herr Staatssekretär, ist vertraglich gewährleistet, dass
Indien weder zeitnah noch später die Flugzeuge weiterverkaufen kann?
Lieber Kollege, gemäß den Exportrichtlinien ist eine
Endverbleibklausel vorzusehen, durch die sicherzustellen ist, dass das jeweilige wehrtechnische Gerät dort verbleibt, wohin es nach Prüfmaßstäben geliefert werden
darf, und nicht dorthin kommt, wohin es nach Prüfmaßstäben nicht geliefert werden darf. Die Endverbleibklausel ist also ein Instrument, um so etwas grundsätzlich zu
verhindern.
Vielen Dank. - Bevor ich die Frage 9 unserer Kollegin Katja Keul aufrufe, muss ich noch erwähnen, dass
die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Kekeritz schriftlich beantwortet werden.
Jetzt die Frage 9 unserer Kollegin Katja Keul:
Welche Daten sind bei dem laut Zeitungsberichten ({0}) am 21. Juli 2011 stattgefundenen
Erprobungsflug des Euro-Hawk von Kalifornien nach Oberbayern gesammelt und gespeichert worden, und welche
Rechtsgrundlage liegt dem zugrunde?
Verehrte Kollegin, auf dem Überführungsflug des
Euro-Hawk Full Scale Demonstrators, der die volle
Bandbreite dessen demonstrieren kann, was das Seriengerät später leisten kann, aus den USA nach Deutschland
wurden nur Flugparameter und Flugleistungsdaten erfasst.
Das Aufklärungssensorsystem wird erst jetzt in einer
Folgephase installiert. Deswegen konnten auf diesem
Flug Daten weder gesammelt werden noch wurden sie
gespeichert.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Sie haben sicherlich
recht, wenn Sie sagen, dass diese enormen Datenmengen
am 21. Juli noch nicht gespeichert werden konnten, da
die Technik noch nicht eingebaut war. Nun wird sie aber
eingebaut. Mit Sicherheit wird es auch weitere Probeflüge des Euro-Hawk geben.
Nach dem, was wir so lesen, wird in technischer Hinsicht alles in den Schatten gestellt, was wir bisher jemals
im Zusammenhang mit Lauschangriffen und Vorratsdatensammlungen für möglich gehalten haben. Es wird
davon gesprochen, dass der Euro-Hawk Daten wie ein
Staubsauger aufsauge und selbst aus enormer Höhe jede
SMS und jedes Telefongespräch erfassen könne.
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die
Bürger am Boden in Zukunft davor geschützt werden,
dass von diesem Datenstaubsauger sämtliche Daten aufgenommen und gespeichert werden?
Frau Kollegin, bitte gestatten Sie mir die Bemerkung:
Ich glaube, dass das eine Frage ist, die sehr berechtigt ist
und der man sich nicht nur nähern muss, sondern die
man auch beantworten muss. In einem freien Land haben freie Bürger ein Interesse daran und ein Recht darauf, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umgesetzt wird. Dies wird durch technische und
organisatorische Maßnahmen gewährleistet. Wenn Sie
mich fragen sollten, wie das im Einzelfall technisch
funktioniert, muss ich auf eine schriftliche Beantwortung verweisen. Ich bin nicht darauf vorbereitet, das im
Detail zu erläutern.
Im Ergebnis kommt es darauf an, dass bei der Erfassung von Fernmeldeverkehren - hierunter fällt auch die
moderne Form der SMS - durch diese Aufklärungsdrohne der Bundeswehr Fernmeldeverkehre von Personen anhand von erkannten Kriterien - Länderkennung,
Anschlussnummer usw. - unterdrückt und ausgeschlossen werden. Die Erfassung von unbeabsichtigt erfassten
Verkehren ist, sobald erkannt wird, dass sie dem Schutz
des Art. 10 des Grundgesetzes unterliegen, unabhängig
vom jeweiligen Stand und Grad der Bearbeitung und
Auswertung sofort einzustellen, und bisherige Aufzeichnungen und Daten sind sofort zu löschen.
Bei dem eingesetzten Personal werden verpflichtend
nachweispflichtige Belehrungen in Form von Erst- und
jährlichen Wiederholungsbelehrungen durchgeführt. Zudem wird großer Wert darauf gelegt, dass die Sensibilität
der Arbeit mit dem Verantwortungsbewusstsein der Betroffenen korrespondiert.
Frau Kollegin Keul, haben Sie eine weitere Nachfrage? Oder sind Sie vielleicht schon zufrieden?
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, Herr Staatssekretär, dass mich Ihre Antwort noch nicht befriedigt. Ich bin
sicherlich kein Technikfreak. Ich würde mich jedoch
freuen, wenn Sie noch ein paar Einzelheiten liefern
könnten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie aus einem
mit einem Staubsauger aufgesaugten Datenpool die privatsensiblen Daten aussortiert werden sollen. Wenn alles
gelöscht wird, dann könnten wir uns den Euro-Hawk
auch komplett sparen. Ich wäre daher dankbar, wenn Sie
diese Information nachliefern könnten.
Meine zweite Nachfrage betrifft die Bürger auf deutschem Boden: Was passiert, wenn sie die Grenze übertreten? Was passiert mit unseren europäischen Nachbarn? Was passiert weltweit mit diesen Daten? Wie
werden die Menschen am Boden davor geschützt?
Ich verstehe die Frage so, dass sie sich auf deutsches
Gerät und auf den Euro-Hawk bezieht. Die Verantwortung, die wir weltweit tragen, wird noch ganz anderer
Betrachtung zu unterwerfen sein. Wir werden uns im
Rahmen der rechtlichen Vorgaben bewegen und keinesfalls darüber hinausgehen.
Es ist nicht die Aufgabe von Euro-Hawk, Fernmeldeverkehre abzuhören. Es kommt ausschließlich darauf an,
militärisch relevante Signale im Einsatzland wie Signale
von Raketen- und Radarstellungen, Funktürmen, Fahrzeugen, Flugzeugen oder Schiffen mit Funk- oder Radaranlagen an Bord zu erkennen und im Rahmen der
Aufklärung einzuordnen. Daran sieht man, dass sich die
eigentliche Nutzung von Euro-Hawk auf die Einsatzgebiete der Bundeswehr beschränkt. Hinzu kommt, dass
die Rules of Engagement einen entsprechenden Filter für
die Nutzung von Euro-Hawk und anderer Aufklärungsgerätschaften bilden.
Vielen Dank. - Die Frage 10 des Kollegen Ströbele
wird schriftlich beantwortet.
Herr Staatssekretär, Sie werden es nicht glauben: Zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verteidigung liegen keine weiteren Fragen vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung. Die Frage 11
der Kollegin Haßelmann, die Fragen 12 und 13 des Kollegen Schwartze, die Fragen 14 und 15 der Kollegin
Lazar sowie die Fragen 16 und 17 der Kollegin Marks
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zur Frage 18 unserer Kollegin
Aydan Özoğuz:
Wie ist der aktuelle Sachstand des von der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 17/5868 ({0}) genannten Projekts zur Untersuchung der Karriereverläufe bei jugendlichen Gewalttätern, und liegen bereits Ergebnisse vor?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Sie haben auf Drucksache 17/5868 verwiesen. Das
Projekt mit dem Titel „Jugendliche Gewalttäter zwischen Jugendhilfe und krimineller Karriere“, das dort
angesprochen wird, ist am 1. Oktober dieses Jahres gestartet. Es wird bis zum 30. September 2014 andauern.
Mit validen Ergebnissen kann von daher frühestens im
Juli 2014 gerechnet werden.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ist
denn geplant, für dieses Projekt auch eine wissenschaftliche Begleitung vorzunehmen? Hat das Ministerium einen solchen wissenschaftlichen Auftrag erteilt?
Das weiß ich nicht genau. Da muss ich mich einmal
erkundigen. Ich werde Ihnen dann schriftlich Auskunft
geben.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin.
Die hat sich damit erübrigt.
Dann ist das damit erledigt.
Herr Staatssekretär, wir kommen zur Frage 19 der
Kollegin Özoğuz:
Wie begründet die Bundesregierung, dass in dem genannten Projekt über Karriereverläufe jugendlicher Gewalttäter
({0}) „ausschließlich männliche Schwerststraftäter … und
Täter mit Migrationshintergrund“ in den Fokus genommen
werden sollen, und wie wird die Unterscheidung in der Zielgruppe des Projekts ({1}) gerechtfertigt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Bei dem Projekt, das in der Drucksache beschrieben
ist, geht es um männliche Schwerststraftäter im Alter
zwischen 14 und 20 Jahren und um Täter mit Migrationshintergrund, das heißt also nicht um alle Täter mit
Migrationshintergrund.
Statistisch gesehen handelt es sich um eine kleine
Gruppe von zumeist männlichen Jugendlichen, die wiederholt durch schwerste kriminelle Straftaten aufgefallen
sind. Wenn man sich das genauer ansieht, erkennt man,
dass dahinter häufig eine verdichtete Problemkonstellation wie schwierige Familienverhältnisse und teilweise
auch Alkoholmissbrauch stecken. Ein Teil dieser Gruppe
ist den Jugendämtern seit langem bekannt. Häufig ergeben sich parallel zu den kriminellen Karrieren auch Jugendhilfekarrieren.
Die Jugendhilfe hat jedoch große Zugangs- und Akzeptanzschwierigkeiten bei dieser Gruppe. Das trifft in
besonderer Weise auf Jugendliche mit Migrationshintergrund zu. Völlig unabhängig voneinander ist es nicht so
einfach, einen Zugang zu den Milieus zu finden. Man tut
sich auch sehr schwer dabei, geeignete Unterbringungsmöglichkeiten zu finden. Deswegen endet das Ganze
häufig im Jugendstrafvollzug, obwohl das unter anderen
Voraussetzungen nicht notwendig wäre.
Bei diesem Forschungsvorhaben geht es somit auch
darum, die Dynamiken dieser Karriere sowohl aus der
Perspektive der betroffenen Jugendlichen und deren Sorgeberechtigten als auch aus der Perspektive der beteiligten Institutionen zu erhellen und dabei die Zeitpunkte für
mögliche Eskalationen sowie für mögliche Abbrüche genauer in den Blick zu nehmen. Es geht darum, mehr Hinweise zu erhalten, damit noch nicht ausreichende Strategien der Kinder- und Jugendhilfe in diesem Bereich
fachlich weiterentwickelt werden können.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Sie haben es eben schon ausgeführt, aber ich hätte
gerne die unterschiedlichen Zielgruppen noch einmal erläutert bekommen. Auf der einen Seite sprechen Sie von
„männlichen Schwerststraftätern“, auf der anderen Seite
von „allen Tätern mit Migrationshintergrund“.
Nein.
So ist es hier aber formuliert. Gibt es da irgendeine
Eingrenzung? Letztere sind ja nicht alles Schwerststraftäter.
Keineswegs. Es ist nicht die Rede von „allen Tätern
mit Migrationshintergrund“, so wie es Ihre Frage unterstellt. In der Drucksache ist nicht von „allen Tätern“ die
Rede.
Doch, da steht „Täter mit Migrationshintergrund“.
Es werden Jugendliche in den Blick genommen, die
Schwerstgewalttäter sind, und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Aus Letzteren wird die Tätergruppe
ausgewählt, die schwerstkriminell ist.
Okay. Also auch bei denen mit Migrationshintergrund?
Ja, es ist aber nicht so, dass alle Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den Blick genommen werden;
sondern es werden schwerstkriminelle Jugendliche und
Jugendliche mit Migrationshintergrund in den Blick genommen, also nicht alle.
Gut, dann sehe ich das einfach nur als Mangel in der
Formulierung, habe es aber ansonsten verstanden.
Habe ich das richtig verstanden, dass das noch keine
zweite Frage war? Sie haben also noch eine Frage. Bitte
schön.
Vielen Dank, Herr Präsident! Das ist nett. - Könnten
Sie noch etwas dazu ausführen, wie die geplante Kooperation zwischen der Jugendhilfe und der Justiz aussehen
soll?
Welche Konsequenz daraus zu ziehen ist, kann ich Ihnen noch nicht sagen. Wir sind noch bei den Untersuchungen. Ich hatte bereits gesagt: Das Ganze hat am
1. Oktober dieses Jahres begonnen. Wir haben noch
nicht einmal Ende Oktober. Zu verlässlichen Aussagen
werden wir erst - ich habe die Jahreszahl bereits
genannt - im Jahr 2014 in der Lage sein; da müssen Sie
sich also noch ein bisschen gedulden. Vielleicht gibt es
Zwischenergebnisse, dann können wir uns darüber gerne
austauschen. Das Projekt befindet sich derzeit noch in
den Anfängen. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich,
dass ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mehr dazu
sagen kann.
Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gibt es keine weiteren Fragen, sodass wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
kommen.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung.
Die Fragen 20 und 21 des Abgeordneten Dr. Anton
Hofreiter, die Fragen 22 und 23 der Abgeordneten Tabea
Rößner, die Frage 24 der Abgeordneten Bettina
Herlitzius sowie die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten
Gustav Herzog werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 27 der Abgeordneten Cornelia
Behm auf:
Wie will die Bundesregierung durch fortwährende Baumaßnahmen an der Elbe den Wassermangel beheben, und
welche Folgen hätte die während der Konferenz der Elbanlieger-Handelskammern in Prag am 27. September 2011 in Aussicht gestellte Neuklassifizierung der Elbe?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Behm, ich bedanke mich, dass Sie mit den
zwei Fragen zur Elbe noch ausgeharrt haben.
Die Antwort ist wie folgt: Die Maßnahmen an der
Binnenelbe beschränken sich auf Maßnahmen, die die
Schifffahrtsverhältnisse vor dem Hochwasser vom August 2002 wieder herstellen und erhalten. Dieses Konzept geht konform mit dem sogenannten Modernisierungskonzept der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung.
Für die Elbe sind derzeit durch das Konzept zur
Neustrukturierung des Netzes der Bundeswasserstraßen
keine Auswirkungen erkennbar.
Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung der Frage. Wie man dem Bericht zur Reform der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung vom April dieses
Jahres entnehmen konnte, gibt es Vorschläge des
BMVBS, die Elbe südlich von Lauenburg als Nebennetz
mit einem Gütertransport größer/gleich 1 Million Tonnen einzuteilen. In der Übersicht über die Auswirkungen
der Netzstruktur auf Ausbau, Unterhaltung und Betrieb
heißt es in Hinblick auf das Nebennetz, dass bezüglich
des Ausbaus eine „geringere Intensität“, bezüglich der
Optimierungen eine „geringere Intensität“, bezüglich der
verkehrsbezogenen Unterhaltung die „gleiche Intensität
wie heute“ und bezüglich des verkehrsbezogenen Betriebs die „gleiche Intensität wie heute“ vorgesehen ist.
Jetzt frage ich Sie: Was ist mit der „geringeren Intensität“ bei den ersten beiden Punkten, also beim „Ausbau“ und bei den „Optimierungen“, gemeint? Laut Definition beinhaltet der Ausbau im Vorrangnetz
Baumaßnahmen …, die mit erheblichen Eingriffen
verbunden sind und die Befahrbarkeit mit wesentlich größeren Fahrzeugen als bisher ermöglichen
({0}).
Frau Kollegin Behm, genau das ist der Hintergrund.
Wir nehmen zum einen, beauftragt durch das Parlament,
eine Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
vor. Ausfluss des entsprechenden Diskussionsprozesses
ist nicht nur die Verwaltungsreform, sondern auch die
Analyse der Netzstruktur. Die Elbe ist so kategorisiert
worden, wie Sie es gesagt haben, auch abgeleitet aus den
Gütertransportmengen. Die Analyse, die durchgeführt
wurde, wird von den Fachleuten als unkritisch betrachtet. Im Verkehrsausschuss und auch hier in der Fragestunde ist intensiv darüber diskutiert worden; ich war
eingeladen, zweieinhalb Stunden lang zu diversen Fragen zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
Auskunft zu geben, was ich sehr gerne gemacht habe,
um so mehr Transparenz zu schaffen.
Bitte verwechseln Sie diese Kategorisierungen nicht
mit den Maßnahmen zum Hochwasserschutz und den
Modernisierungen, die wir jetzt in Angriff nehmen müssen, um die Elbe insoweit fit zu machen, dass wieder alParl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer
les dem Stand vor dem Hochwasser 2002 entspricht. Sie
gehen wohl insofern mit mir d’accord bzw. sind auch daran interessiert, dass der umwelt- und klimafreundliche
Verkehrsträger Binnenschifffahrt zu stärken ist und
Hochwasserschutzmaßnahmen in der Art und Weise zu
ergreifen sind, dass die Bürgerinnen und Bürger vor entsprechenden Ereignissen geschützt sind. Dazu braucht
man Baumaßnahmen.
Frau Kollegin Behm, Ihre weitere Zusatzfrage.
Ich denke, Hochwasserschutzmaßnahmen sind unstrittig, wenn damit nicht in ein Flusssystem in der
Weise eingegriffen wird, dass ein frei fließender Fluss zu
einem nicht mehr frei fließenden Fluss, wie es die Elbe
ist, wird. Nichtsdestotrotz habe ich das Gefühl, dass Sie
versuchen, meiner schriftlich und meiner mündlich gestellten Frage durch geschickte Formulierungen auszuweichen.
Frau Kollegin Behm, niemals!
„Niemals“, ich weiß. Wir haben uns schon oft genug
an dieser Stelle getroffen.
Sie kennen das Papier des UBA „Die Elbe: Schifffahrt und Ökologie im Einklang?“ vom Januar dieses
Jahres. Darin empfiehlt das UBA - das sind Fachleute,
die sich damit beschäftigt haben - eine „Eindämmung
der Tiefenerosion“, die es an verschiedenen Stellen der
Elbe gibt, „indem das Flussbett weniger durch Buhnen
eingeengt … wird.“ Ich frage Sie: Werden sich die Maßnahmen, die Sie im Bereich der Elbe im Interesse des
Hochwasserschutzes ergreifen werden, an diesen Empfehlungen orientieren?
Das UBA hat sehr viele Experten; wir haben sehr
viele Experten. Deswegen stimmen wir die Maßnahmen
ab. Sie gehen doch mit mir insofern d’accord, dass Maßnahmen, die dem Hochwasserschutz dienen, unterstützenswert sind. Ich weiß, dass Sie von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Verkehrspolitik andere
Ausbauziele als die christlich-liberale Koalition haben,
die den Logistikweltmeister Deutschland stärken möchte
und für leistungsfähige Verkehrsnetze sorgen will. Darüber diskutieren wir ja intensiv im Verkehrsausschuss.
Fakt ist: Die Planungen zu Maßnahmen im Bereich
der Elbe basieren allein darauf, was notwendig ist, um
die Verhältnisse vor dem Hochwasser 2002 wieder herzustellen; diese Maßnahmen sind nun abzuarbeiten. Natürlich gibt es gerade bei einer Wasserstraße hohe Auflagen; es gibt ökologische Begutachtungen und vieles
mehr. Wir haben natürlich die Meinungen der Experten,
vor allem der Experten im Hause des BMVBS, mit einbezogen. Bei solchen Maßnahmen ist das unsere Pflicht.
Vielen herzlichen Dank.
Ich rufe die Frage 28 der Kollegin Cornelia Behm
auf:
Mit welchen konkreten Maßnahmen und in welchem Zeitraum will die Bundesregierung die vom Parlamentarischen
Staatssekretär Enak Ferlemann auf einer Konferenz der Elbanlieger-Handelskammern in Prag am 27. September 2011 gemachte Aussage, die Elbe solle bis zur tschechischen Grenze
eine Fahrrinne von 1,60 Meter Tiefe erhalten und an 345 Tagen im Jahr befahrbar sein, angesichts der Tatsache, dass wiederholt aus dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung die Aussage gemacht wurde, diese Wassertiefe könne nicht sichergestellt werden, in die Realität umsetzen, ohne dabei den nach dem Elbehochwasser 2002 von der
Bundesregierung gefassten Beschluss, Ausbaumaßnahmen
und alle ausbauähnlichen Unterhaltungsmaßnahmen einzustellen, zu konterkarieren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Behm, Sie beziehen sich auf eine Konferenz in Prag, an der mein Kollege Parlamentarischer
Staatssekretär Enak Ferlemann teilgenommen hat. Er
lässt Sie persönlich herzlich grüßen. Er ist gerade im
Haushaltsausschuss, daher stehe ich zur Beantwortung
zur Verfügung.
Die Bundesregierung hat das Ziel, die Fahrrinnenverhältnisse für die Schifffahrt auf der Elbe, die vor dem
Jahr 2002 - Stichwort: Hochwasser - bestanden, wiederherzustellen. Das heißt konkret: Fahrrinnentiefen an
durchschnittlich 345 Tagen im Jahr von 1,60 Metern
zwischen Geesthacht und Dresden und von 1,50 Metern
zwischen Dresden und der Grenze zur Tschechischen
Republik. Dazu ist zum einen die Wiederherstellung von
Stromregelungsbauwerken erforderlich. Zum anderen ist
ein Bündel von Maßnahmen zur Sohlstabilisierung, welche vor allem aus wasserwirtschaftlichen und ökologischen Gründen konzipiert wurden, umzusetzen.
Diese werden Bestandteil des von BMVBS und BMU
initiierten Gesamtkonzepts für die Elbe. Bevor weitergehende Planungen hierzu aufgestellt werden, soll das Gesamtkonzept für die Elbe mit allen Beteiligten entwickelt
und abgestimmt werden. Daher können zu den konkreten Zeiträumen noch keine Angaben gemacht werden.
Mit Blick auf Ihre eben gestellte zweite Zusatzfrage sage
ich: Natürlich gibt es ein Gesamtkonzept in Zusammenarbeit mit dem BMU.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Behm.
Sie bestehen also auf der mutigen Zusage, dass an
345 Tagen im Jahr eine Wassertiefe von 160 Zentimetern
eingehalten wird. Wenn ich Sie richtig verstanden habe,
gibt es Buhnenbauwerke, also eine Einengung der Fahrrinne, um diese Wassertiefe zu gewährleisten.
In der Antwort der Bundesregierung auf Drucksache
17/6716 auf die Kleine Anfrage der Linken „Erhaltung
der Elbe“ vom August dieses Jahres schreibt die Bundesregierung:
… eine Mindesttiefe eines frei fließenden Flusses
wie der Elbe kann nicht garantiert werden, weil die
Mindesttiefe von den hydrologischen Bedingungen
des jeweiligen Jahres ({0}) abhängt.
Im Jahr 2011, das noch nicht zu Ende ist - es war ein
sehr nasses Jahr; Sie werden sich daran erinnern, wenn
Sie an den Sommer denken -, wurde die Fahrrinnentiefe
von 1,60 Metern Tiefe bereits an 80 Tagen unterschritten. Ich frage mich: Mit welchen Maßnahmen wollen Sie
künftig sicherstellen, dass an 345 Tagen diese Wassertiefe erreicht werden kann?
Frau Kollegin Behm, wenn ich das so sagen darf: Ich
glaube, Sie verwechseln die Reform der Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung und damit die Einkategorisierung der Netze mit den jetzigen Maßnahmen zur Erhaltung der Elbe, die dazu dienen, die Verhältnisse von vor
dem Hochwasser 2002 wiederherzustellen. Es ist unstrittig, dass die Zweitgenannten - BMVBS und BMU - ein
Gesamtkonzept auflegen, um genau dies zu erreichen.
Ich unterstelle nicht, dass es schon jetzt erreicht wird.
Das Gesamtkonzept wird noch entwickelt, auch mit den
von Ihnen zitierten Fachleuten. Das wird in nächster Zeit
in Abstimmung - deshalb gab es die Konferenz in Prag mit unseren tschechischen Freunden erfolgen. Der tschechische Verkehrsminister war unlängst zum Gespräch
mit Herrn Bundesminister Dr. Ramsauer in Berlin. Bei
der Gelegenheit wurde auch über dieses Thema gesprochen. Wie gewohnt, hat die Bundesregierung ein völlig
abgestimmtes Gesamtkonzept,
({0})
das gilt auch für die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn in der Tschechischen Republik.
Frau Kollegin Behm, Sie haben eine weitere Zusatzfrage?
Ja. - Herr Staatssekretär, Sie betonen immer wieder,
die Verhältnisse von vor 2002, also vor dem Elbehochwasser, wiederherstellen zu wollen. Sie müssen aber
doch einkalkulieren, dass Sie das mit den Niederschlägen nicht so regeln können, wie es manchmal wünschenswert wäre.
In diesem Zusammenhang möchte ich Folgendes anmerken: Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf
eine Kleine Anfrage der Grünen zum Gesamtkonzept
Elbe - Drucksache 17/6874 - geschrieben:
Die vorhandenen hydrologischen Daten an der Elbe
der Zeitreihe 1961 bis 2008 lassen keine statistisch
signifikanten Trends für eine Veränderung der
Niedrigwasserextreme erkennen.
Das gilt für die Zeit bis 2008. Ich frage: Ist der Bundesregierung bekannt, dass nach einer Untersuchung der
Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe, IKSE,
vom August dieses Jahres die Niedrigwasserstände an der
Elbe einen signifikanten Abwärtstrend aufweisen und
sich daher die Probleme hinsichtlich der Schiffbarkeit der
Elbe verschärft haben? Welche Konsequenzen zieht die
Bundesregierung daraus?
Frau Kollegin Behm, mich überrascht, dass Sie nachfragen. Es geht um das verkehrspolitische Ziel, den umweltverträglichen und klimafreundlichen Verkehrsträger
Binnenwasserstraße zu stärken. Aus der Region habe ich
sehr viel Kritik aufgrund der Tatsache vernommen, dass
die Bundesregierung die Elbe nicht in die höchste Kategorie - Ausbau des Verkehrsweges - eingeordnet hat,
sondern in die Kategorie „Erhalt der Verhältnisse“. Es
geht um den wichtigen Zugang zu den Häfen an der
Nordsee, von wo aus die Güter in die Welt verschifft
werden. Wenn ich mir vor Augen führe, dass ein Lastkahn etwa 130 Lkw fassen kann, was bei Einhaltung des
Sicherheitsabstands auf der Autobahn einer Länge von
5,3 Kilometern entspricht, dann wird mir klar, welche
Möglichkeiten die Binnenwasserstraßen bieten.
Natürlich schauen wir uns die Niederschlagsverhältnisse an. Der Deutsche Wetterdienst, eine nachgeordnete
Behörde des BMVBS, kann nicht steuern, wie viel Niederschlag wir haben. Das maßen wir uns nicht an. Aber
wir haben Zugriff auf die Daten bezüglich der Wasserstraßen. Die Verhältnisse sind natürlich wetterabhängig.
Das Ziel muss aber sein - deswegen führen wir diese
Maßnahmen durch -, dass die Fahrrinnenverhältnisse an
der Elbe wieder so werden wie vor dem Hochwasser
2002, um mehr Möglichkeiten im Bereich des klimafreundlichen Verkehrsträgers Wasserstraße zu bekommen.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir verlassen
nun Ihren Geschäftsbereich.
Alle Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
werden schriftlich beantwortet. Es handelt sich um die
Fragen 29 bis 36.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Hier ist es
ebenso: Alle Fragen werden schriftlich beantwortet. Es
handelt sich um die Fragen 37 bis 45.
Auch alle Fragen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes werden schriftlich beantwortet. Es handelt sich um die Fragen 46
bis 48.
Vizepräsident Eduard Oswald
Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie ist das, wenn ich das richtig
sehe, ebenso. Es handelt sich um die Fragen 49 bis 62.
Damit kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht uns Frau
Kollegin Staatsministerin im Auswärtigen Amt,
Cornelia Pieper, zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 63 des Kollegen Sönke Rix auf:
Was waren vor dem Hintergrund der letztjährigen Probleme bei der Finanzierung der dänischen und deutschen Minderheiten in Schleswig-Holstein und Sonderjylland die Gesprächsinhalte sowie Positionen der dänischen Regierung und
Schlussfolgerungen der deutschen Bundesregierung nach dem
Gespräch des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Christoph
Bergner nach seinem Besuch in Kopenhagen am 10. August
2010, der in der Fragestunde am 7. Juli 2010 von der Staatsministerin Cornelia Pieper angekündigt wurde, und was waren die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeitsgruppe, die nach
einer telefonischen Verständigung vom 29. Juni 2010 zwischen dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten
Peter Harry Carstensen und dem damaligen dänischen Regierungschef Lars Lökke Rasmussen, nach den Worten der
Staatsministerin Cornelia Pieper in derselben Fragestunde,
eingerichtet werden sollte, um die finanziellen Grundlagen
der Minderheiten, auch der Minderheitsschulen, auf beiden
Seiten der Grenze zu dokumentieren?
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Kollege Rix, der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Dr. Christoph
Bergner, führte am 10. August 2010 in Kopenhagen Gespräche mit dem dänischen Innenminister Haarder und
den Staatssekretären Ahrenkiel und Grube aus der Staatskanzlei und dem Außenministerium. Hauptthema waren
die vom Bund und vom Land Schleswig-Holstein geplanten Kürzungen der Mittel für die dänische und deutsche
Minderheit in den jeweiligen Haushalten 2011.
Bei den Gesprächen wurde vereinbart, einen Vertreter
der Bundesregierung als Beobachter in die zwischen
Dänemark und Schleswig-Holstein gebildete dänisch/
schleswig-holsteinische Arbeitsgruppe zur Behandlung
von Gleichstellungsfragen in der Finanzierung der Schulen der dänischen und der deutschen Minderheiten zu
entsenden. Der Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe
ist auf der Internetpräsenz der Schleswig-holsteinischen
Landesregierung einsehbar.
Die Arbeitsgruppe hatte insbesondere zwei Aufgaben:
erstens die Beschreibung der historischen und politischen
Entwicklung der Bedingungen der dänischen und deutschen Minderheiten sowie der gesetzlichen Grundlagen
für den Betrieb für die dänischen und deutschen Minderheitenschulen und zweitens die Darlegung der Entwicklung der Zuschüsse und Einnahmen zum Schulbetrieb
- auch mit Blick auf die Entwicklung der Finanzierung
der sonstigen privaten und öffentlichen Schulen - für die
dänischen und deutschen Minderheiten jeweils in
Deutschland und Dänemark. Ziel der Arbeitsgruppe war
eine Analyse des ermittelten Istzustandes, nicht jedoch
die Erarbeitung konkreter Handlungsanweisungen für die
Beteiligten.
Im Ergebnis waren sich die Vertreter beider Parteien
einig, dass die Aufarbeitung der Fragen zu einem besseren gegenseitigen Verständnis der nur bedingt miteinander vergleichbaren Systeme beigetragen hat.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Rix.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin. - Zunächst einmal habe ich die Frage, wie Sie diese Ergebnisse der Arbeitsgruppe bewerten. Vielen Dank für den Hinweis auf
die Internetseite. Aber welche Schlussfolgerungen für
die Praxis ziehen Sie aus den dort aufgeführten Ergebnissen?
Herr Abgeordneter, ich freue mich sehr, dass Sie das
Auswärtige Amt mit diesen Fragen beschäftigen. Ich beantworte Ihre Frage sehr gern, will aber auch darauf hinweisen, dass wir uns mit dem Bundesinnenministerium
einig sind, dass aus unserer Sicht der Umgang mit der
dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein ein Vorzeigemodell in Europa bezüglich des Umgangs mit Minderheiten ist. Sowohl der Herr Staatssekretär Bergner als
auch ich werden zukünftig darauf achten, dass die
Rechte von deutschen Minderheiten im Ausland, aber
auch von Minderheiten hier in Deutschland anerkannt
und entsprechend ausgebaut werden.
Ihre zweite Nachfrage. Bitte schön, Herr Kollege Rix.
Ist die Kürzung der entsprechenden Mittel um
3,5 Millionen Euro Ausdruck dieser Wahrnehmung der
Interessen, die Sie gerade erläutert haben?
({0})
Herr Abgeordneter, ich möchte Sie darauf hinweisen
- diese Fragen wurden mir schon einmal im Rahmen einer Regierungsbefragung gestellt -, dass es sich bei den
3,5 Millionen Euro um zusätzliche Zuschüsse handelt,
die in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses
für das Haushaltsjahr 2011 gewährt wurden. Sowohl der
Deutsche Bundestag und das zuständige Ministerium als
auch das Auswärtige Amt - der Außenminister hat mehrere Gespräche dazu mit dem dänischen Außenminister
und auch mit der Staatskanzlei geführt; das wissen Sie haben sich dazu verpflichtet gefühlt, nachdem die Landesregierung Schleswig-Holstein aufgrund von Sparzwängen Mittel in der Bildungspolitik gekürzt hat; man
kann darüber streiten, ob das politisch sinnvoll ist oder
nicht. Sie wissen, dass die Bundesregierung genau das
nicht tut. Wir konsolidieren die Haushalte und investieren gleichzeitig 12 Milliarden Euro in Bildung und Forschung. Wir haben dadurch, glaube ich, den Weg eröffnet, die dänische Minderheit an deutschen Schulen
weiter in gleicher Höhe zu fördern.
Vielen Dank. - Eine weitere Nachfrage unseres Kollegen Franz Thönnes.
Frau Staatsministerin, schönen Dank, dass Sie die
Fragen beantworten. Man könnte jedoch fragen, warum
nicht das zuständige Ministerium, in dem die Finanzmittel ressortiert sind, hier antwortet. Gleichwohl möchte
ich zu den Finanzmitteln fragen. Sie haben gerade gesagt, dass die Förderung in gleicher Höhe fortgesetzt
wird. Wie kommt es dann, dass im Haushaltsentwurf der
Bundesregierung für das Jahr 2012 die dänische Minderheit ausdrücklich nicht wiederum mit 3,5 Millionen Euro
gefördert werden soll, wie es im Haushalt 2011 der Fall
war? Wie ist das in Übereinstimmung zu bringen mit Ihren Worten, dass in gleicher Höhe gefördert wird?
Jetzt stellt es sich so dar: Die CDU-geführte Landesregierung von Schleswig-Holstein hatte die Mittel gekürzt, und die Bundesregierung ist im letzten Jahr beim
Haushalt 2011 eingesprungen. Aber im Haushalt 2012
ist dies nicht vorgesehen. Für die Betroffenen im dänischen Schulverein bedeutet dies, dass ihre Kinder im
Vergleich zu anderen schleswig-holsteinischen Kindern
nur zu 85 Prozent gefördert werden, obwohl ihre Eltern
als deutsche Staatsbürger genauso Steuerzahler sind wie
alle anderen Eltern in Schleswig-Holstein.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Thönnes, ich kann
Ihre Aufregung in dieser Frage verstehen und will für die
Bundesregierung noch einmal ausdrücklich sagen, dass
Angelegenheiten der Bildungs-, Forschungs- und Wissenschaftsfinanzierung für uns höchste Priorität haben.
Ich will aber gerade Sie als Bundestagsabgeordneten daran erinnern, dass dieses Hohe Haus mit einer Zweidrittelmehrheit zur Zeit der damaligen Großen Koalition,
also auch mit Stimmen der SPD, beschlossen hat, ein
Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der
Bildung im Grundgesetz zu verankern. Es steht dem
Bund nach der Verfassung nicht zu, in die Schulen bzw.
in den Bildungsbereich der Länder zu investieren. Wir
haben die Kulturhoheit der Länder im Grundgesetz verankert. Die Länder haben ihre Verantwortung in diesen
Fragen wahrzunehmen.
Ich nehme zur Kenntnis, dass sich die Landesregierung Schleswig-Holstein aufgrund der besonderen finanziellen Lage gezwungen sah, gerade an dieser Stelle zu
kürzen. Die Bundesregierung - das sage ich ausdrücklich - tut das in ihrem Haushalt nicht. Es handelte sich
im Haushalt 2011 übrigens um eine Überbrückungszahlung. Dazu sind wir laut Grundgesetz nicht verpflichtet;
das dürfen wir eigentlich gar nicht. Wie Sie wissen,
wurde diese Zahlung aus Projektmitteln des BMI finanziert und damit ausgeglichen. Aber das kann keine Dauerlösung sein.
Vielen Dank. - Jetzt rufe ich die Frage 64 unseres
Kollegen Sönke Rix auf:
Hat die Bundesregierung mit der Landesregierung Schleswig-Holstein Gespräche über diese Problematik geführt, und
welche Vorstellungen sind dabei entwickelt worden, wie eine
verlässliche Förderung des dänischen Schulvereins in Schleswig-Holstein in 2012 und den folgenden Jahren erreicht werden kann?
Die Bundesregierung hat mit der Landesregierung
Schleswig-Holstein natürlich Gespräche über die Frage
der Finanzierung der Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland geführt. Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Christoph Bergner, steht in engem Kontakt sowohl
zum Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Torsten Geerdts, als auch zu den Betroffenen selbst.
Unter anderem nahm der Beauftragte am 13. April 2011
an einer Sitzung des Gremiums des Schleswig-Holsteinischen Landtages für Fragen der deutschen Minderheit in
Nordschleswig teil, das zweimal jährlich unter der Leitung des schleswig-holsteinischen Landtagspräsidenten
tagt.
Die Weiterführung der Überbrückungszahlung des
Bundes in Höhe von 3,5 Millionen Euro zur Förderung
des dänischen Schulvereins und dessen finanzielle Situation im Jahre 2012 waren Gegenstand einer Sondersitzung des Beratenden Ausschusses für Fragen der dänischen Minderheit beim Bundesministerium des Innern
am 29. Juni 2011 unter Leitung des Beauftragten. Diesem Gremium gehören sowohl Bundestagsabgeordnete
aus Schleswig-Holstein als auch Vertreter der dänischen
Minderheit und der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung an.
Der Beauftragte legte dar, dass die Weiterführung der
Sonderförderung des dänischen Schulvereins 2012 nur
dann möglich sei, wenn der Förderbetrag an anderer
Stelle im Einzelplan 06, dem Etat des Bundesministeriums des Innern, eingespart würde. Dies sei bei einer
Summe von 3,5 Millionen Euro nicht darstellbar. In der
Sitzung zeigte sich der dänische Schulverein für die
Überbrückungszahlung des Bundes im Jahr 2011 dankbar, verlieh aber seiner Erwartung Ausdruck, dass das
Land Schleswig-Holstein seinen Verpflichtungen zur
Förderung der dänischen Schulen in Südschleswig in ursprünglicher Höhe nachkommen solle. Ähnliches habe
ich eben zum Ausdruck gebracht.
Vielen Dank. - Ihre erste Nachfrage, Kollege Rix.
Kann ich also davon ausgehen, dass es in dieser Frage
einen Dissens zwischen der Schleswig-Holsteinischen
Landesregierung und der Bundesregierung gibt, weil es
nach den Gesprächen nicht so aussieht, dass die Landesregierung die Zahlungsausfälle kompensieren wird?
Nein, das können Sie meinen Worten ganz sicher
nicht entnehmen, Herr Abgeordneter. Ich sehe eher den
Bedarf, dass sich dieses Hohe Haus erneut mit dem
Thema „Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildung“ auseinandersetzt. Aufgrund der
haushaltspolitischen Notwendigkeiten, auch in den Bundesländern, wird es für strukturschwache Länder zukünftig nämlich schwerer sein, in Bildung, Forschung
und Wissenschaft zu investieren.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Der Hinweis auf das Kooperationsverbot ist das eine.
Das andere ist die Zusage in den Bonn-Kopenhagener
Erklärungen, in denen wir gesagt haben, dass die Bundesrepublik dafür geradesteht, dass es eine dementsprechende Förderung im Bereich der Minderheiten gibt.
Dieser Aufgabe müssen wir uns trotz des Kooperationsverbotes weiterhin stellen. Wie bewerten Sie das, und
wann gibt es die Initiative der Bundesregierung zur Aufhebung des Kooperationsverbotes?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich will als Erstes
sagen, dass der Haushalt jetzt in den Händen des Bundestages - im Haushaltsausschuss - liegt. Sie kennen das
Verfahren vom letzten Jahr. Ich kann Sie hier als Vertreterin der Bundesregierung, die Ihnen Rede und Antwort
zu stehen hat, nur noch einmal auf das Haushaltsrecht
des Parlamentes hinweisen.
In der Tat kann ich nur bekräftigen, dass wir alles daransetzen werden, die Empfehlungen des Europarates zu
den Minderheiten einzuhalten und auch umzusetzen.
Nun gibt es eine Nachfrage des Kollegen Ingbert
Liebing.
Bei allem persönlichen Verständnis von meiner Seite
für diese Fragen - in meinem Wahlkreis wohnt die dänische Minderheit - möchte ich die Bundesregierung fragen, ob dies der richtige Ort und der richtige Zeitpunkt
für eine Debatte über diese Fragen ist oder ob Sie meine
Einschätzung teilen, dass dieses Thema jetzt in erster Linie in die Haushaltsberatungen des Parlaments und damit in die Beratung der zuständigen parlamentarischen
Gremien gehört, nachdem die Regierung ihre Arbeit abgeschlossen hat und wir als Fraktionen im Haushaltsausschuss und in den anderen parlamentarischen Gremien
darüber mit Blick auf den Haushalt 2012 zu entscheiden
haben.
Herr Abgeordneter, bei der Beantwortung der letzten
Frage habe ich bereits versucht, den Ball zurück ins Parlament zu spielen. In der Tat sollten wir jetzt die parlamentarischen Beratungen und auch die Vorschläge abwarten, die der Haushaltsausschuss unterbreiten wird.
Dann können die Parlamentarier noch selbst Initiativen
ergreifen.
Der Kollege Franz Thönnes hat hierzu auch noch eine
Nachfrage. Bitte schön, Herr Kollege.
({0})
Frau Staatsministerin, Sie haben auf das Kooperationsverbot hingewiesen. Kann ich daraus entnehmen,
dass Sie der Auffassung sind, dass das Parlament und die
Bundesregierung bei der Förderung für das Jahr 2011
dagegen und möglicherweise sogar auch gegen die Verfassung verstoßen haben?
Herr Präsident, ich darf zumindest rhetorisch einflechten: Ist es nicht merkwürdig, dass der Beauftragte
der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale
Minderheiten permanent von der Staatsministerin zitiert
wird, wonach er dieses und jenes gemacht habe - er sitzt
neben ihr -, während das Innenministerium, in dem die
Mittel ressortieren, jetzt nicht antworten kann? Das
übernimmt das Außenministerium, obwohl wir nach der
Förderung der dänischen Minderheit in Deutschland und
damit nach etwas fragen, was in unserem Land geschieht.
Sie wissen, dass die Bundesregierung harmonisch zusammenarbeitet.
({0})
Deswegen habe ich kein Problem damit, zu antworten,
auch wenn die Fragen in die Zuständigkeit des BMI fallen. Es macht mir regelrecht Freude, dass die Abgeordneten derartige Fragen stellen, weil wir uns durchaus bewusst sind, dass Investitionen in die Bildung, in die
Köpfe junger Menschen, das Wichtigste sind, was uns
für die Zukunft unseres Landes beschäftigen sollte. Das
bringen Sie auch mit Ihren Fragen zu der dänischen Minderheit zum Ausdruck. Ich glaube, mein Kollege
Bergner wäre überhaupt nicht abgeneigt, sich auch zu
diesen Themen zu äußern, wenn Sie das denn wünschen.
Der Präsident müsste ihm dazu das Wort erteilen. Das
habe nicht ich zu entscheiden.
Sie wissen, dass wir im haushalterischen Verfahren
für den Haushalt 2011 einen Weg gefunden haben, dem
dänischen Schulverein ordnungsgemäß über Zuschüsse
im Rahmen einer Projektfinanzierung zu helfen. Das geschah nach Recht und Gesetz und hat dem Grundgesetz
nicht widersprochen.
Vielen Dank. - Ich werde auf diesen Punkt noch einmal zurückkommen; denn der Kollege Franz Thönnes
hat ja die Fragen 69 und 70 gestellt. Dort können wir der
Bundesregierung die Möglichkeit zur zusätzlichen Beantwortung geben.
Die Fragen 65 und 66 der Kollegin Hiller-Ohm sowie
die Fragen 67 und 68 des Kollegen Rossmann werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu der Frage 69 des Kollegen Franz
Thönnes, die ich gerade schon angekündigt habe:
Wird durch die Weigerung der Bundesregierung, die Förderung des dänischen Schulvereins in 2012 im gleichen Maß
wie 2011 fortzusetzen, nicht das deutsche außenpolitische Interesse vernachlässigt, und werden dadurch nicht die deutschdänischen Beziehungen belastet, wenn der Bundesminister
des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, auch im Namen von
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in seinem Schreiben vom
23. September 2011 an den Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Torsten Geerdts, noch formulierte,
dass die 2011 erfolgte zusätzliche Bereitstellung von 3,5 Millionen Euro für den dänischen Schulverein „ausschließlich
dem außenpolitischen Interesse geschuldet“ war, „um die
deutsch-dänischen Beziehungen nicht weiter zu belasten“?
Bitte, Frau Staatsministerin.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege
Thönnes, die Förderung von Schulen ist grundsätzlich
Angelegenheit der Länder. Das habe ich hier schon erwähnt. Wie ich in den Antworten auf die Fragen Ihres
Kollegen Rix bereits darlegte, handelt es sich bei der
Überbrückungszahlung an den dänischen Schulverein
2011 um eine einmalige Förderung aufgrund übergeordneter Interessen, nämlich um Raum für eine dauerhafte
Lösung zu schaffen. Eine Dauerförderung des dänischen
Schulvereins aus Bundesmitteln ist nicht beabsichtigt.
Die deutsch-dänischen Beziehungen sind ausgesprochen gut, solide und belastbar. Gleichwohl wurden die
schleswig-holsteinischen Kürzungen beim dänischen
Schulverein auf dänischer Seite als Verschiebung der finanziellen Ausgewogenheit und gemeinschaftlichen Finanzierung der Minderheiteneinrichtungen im deutschdänischen Grenzland wahrgenommen und thematisiert.
Sowohl der Bund als auch das Land Schleswig-Holstein
sind um den Erhalt der ausgesprochen guten und freundschaftlichen deutsch-dänischen Beziehungen bemüht.
Allerdings wird im Zuge der allgemeinen Haushaltskonsolidierung auch ein Beitrag der Minderheiten zu erbringen sein.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Thönnes.
Danke schön, Herr Präsident. - Herzlichen Dank,
Frau Staatsministerin, für die Beantwortung. Nun ist es
so, dass sich seitens der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung die Kürzung für 2011 in der Größenordnung von 4,7 Millionen Euro bewegt hat und der Bund
2011 mit 3,5 Millionen Euro versucht hat, einen Teil davon aufzufangen. Darüber reden wir.
Dass aber dann am 23. September der Bundesinnenminister, Herr Dr. Friedrich, auch im Namen von Bundeskanzlerin Angela Merkel an den Präsidenten des
Schleswig-Holsteinischen Landtages geschrieben hat,
dass die 2011 erfolgte zusätzliche Bereitstellung von
3,5 Millionen Euro „ausschließlich dem außenpolitischen Interesse geschuldet“ war, um die deutsch-dänischen Beziehungen nicht weiter zu belasten, veranlasst
doch auch angesichts Ihrer jetzigen Aussage, dass man
konsolidieren muss und dass dazu Beiträge geleistet
werden sollen, zu der Frage, ob man dann, wenn für
2012 kein Ausgleich für die fehlenden 3,5 Millionen
Euro erfolgt, aus den Aussagen des Bundesinnenministers in diesem Brief - auch im Namen der Kanzlerin schließen kann, dass die deutsch-dänischen Beziehungen
belastet werden und dass man das außenpolitische Interesse nicht so berücksichtigt, wie man das 2011 gemacht
hat.
Sie können davon ausgehen, Herr Abgeordneter
Thönnes, dass ich es außerordentlich begrüße, dass Bundesinnenminister Friedrich zum Ausdruck gebracht hat,
dass unsere Beziehungen zu Dänemark und auch zur dänischen Minderheit vorbildlich in Europa sind. Weil wir
natürlich in diesem Zusammenhang die finanziellen Probleme gesehen haben, ist die Bundesregierung in 2011
aktiv geworden. Sie haben diesem Antrag, die 3,5 Millionen Euro bereitzustellen, soweit ich weiß, im Parlament zugestimmt.
Ich will Sie nur darauf hinweisen, dass es haushaltsrechtlich nicht möglich ist, eine Dauerförderung für eine
Aufgabe einzurichten, die nicht Aufgabe der Bundesregierung, sondern originäre Aufgabe des Landes Schleswig-Holstein ist. Nun weiß ich natürlich, dass Schleswig-Holstein einen Haushalt für zwei Jahre beschlossen
hat und dass sich für 2012 keine Mittel mehr einstellen
lassen. Deswegen will ich den Ball noch einmal zurückspielen und auf das hinweisen, was der Kollege von der
Union vorhin zum Ausdruck gebracht hat. Ich sehe als
Außenpolitikerin durchaus die Perspektive, dass man
dem dänischen Schulverein auch im Haushalt 2012 hilft.
Ich sage aber ganz klar: Die Haushaltsberatungen laufen.
Es obliegt nicht mir als Vertreterin der Bundesregierung,
jetzt aktiv zu werden.
Herr Thönnes, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Bitte schön.
Wie die Entwicklung zeigt, hat sich in den vergangenen Jahren aufgrund der Reduzierungen der Förderung
durch die Schleswig-Holsteinische Landesregierung und
auch durch die Bundesregierung, was die deutsche Minderheit in Dänemark angeht, ein zunehmend ungleiches
Verhältnis zwischen den Förderanteilen des Landes Dänemark gegenüber der dänischen Minderheit in Deutschland und der deutschen Minderheit in Dänemark ergeben. Können Sie angeben, auf welche Größenordnung
Sie die Verschiebung dieses Verhältnisses beziffern? Ich
denke, es lag früher in der Größenordnung von 55 Prozent Dänemark gegenüber 45 Prozent Deutschland. Das
hat sich in den letzten Jahren mit Sicherheit erheblich
verschlechtert. Wie bewertet die Bundesregierung diese
Verschlechterung?
Ich würde die Frage gerne ausführlich beantworten,
aber ich glaube, dass mir der Signalton des Herrn Präsidenten dazwischenkommt.
Sie haben recht, Herr Abgeordneter: Die dänische Regierung hat in ihren Haushaltsberatungen für 2011 beschlossen, die Förderung der Schulen der deutschen
Minderheit in Nordschleswig auf 100 Prozent des Schülerkostensatzes zu erhöhen und damit die volle Einhaltung der Gleichbehandlung gegenüber den deutschen
Minderheitenschulen gemäß dem Gleichstellungsprinzip
zu sichern.
Vorher hatte bereits die Bundesregierung beschlossen,
die Förderung der deutschen Minderheit in Nordschleswig zu kürzen. Die Entscheidung zur Kürzung der Zuwendung des Bundes an die Nordschleswiger im Sozialtitel um 500 000 Euro und im Investitionstitel um 200 000
Euro ist im Frühjahr 2010 gefallen. Auf die Forderung einer Beibehaltung der seinerzeit für zwei Jahre vorgesehenen Erhöhung des Sozialtitels um 800 000 Euro ist der
Bund nicht eingegangen. Im Rahmen der Bereinigungsgespräche zum Haushalt 2011 im November letzten Jahres hat der Haushaltsausschuss den Sozialtitelansatz aber
wieder um 500 000 Euro erhöht, also ausgeglichen. Die
Förderungen aus den Mitteln des Kulturstaatsministers
sind im Übrigen für 2011 gleich geblieben.
Ich will als Letztes darauf hinweisen, dass nach einem
Schreiben des Bundestagsabgeordneten Herrn Brackmann
von der CDU/CSU-Fraktion an Herrn Bundesminister
Westerwelle eine weitere Finanzierungslücke für den
BDN aus Mitteln des Goethe-Instituts gedeckt worden
ist. Wir haben also hier die Mittel nicht gekürzt, sondern
aufgestockt.
Wir kommen dann zur Frage 70 des Kollegen
Thönnes:
Hat das Thema Minderheitenförderung nach der Bundeshaushaltsaufstellung 2011 bei Kontakten zwischen Vertretern
der deutschen und der dänischen Regierung oder bei dem Besuch von Staatsminister Dr. Werner Hoyer am 14. Oktober
2011 beim neuen dänischen Europaminister in Kopenhagen
eine Rolle gespielt, und, wenn ja, wie sieht die dänische Regierung diese Problematik, und hat man sich dort auf Initiativen oder Maßnahmen verständigt?
Bitte, Frau Staatsministerin.
Lieber Kollege Thönnes, ich beantworte die Frage 70
wie folgt: Bei dem Besuch des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Dr. Werner Hoyer, am 14. Oktober 2011
in Kopenhagen hat der dänische Europaminister Nicolai
Wammen die Gleichstellung der Schüler des dänischen
Schulvereins im Schulgesetz von Schleswig-Holstein in
allgemeiner Form angesprochen. Die dänische Regierung fordert grundsätzlich die Gleichstellung der Schüler
des dänischen Schulvereins im Schulgesetz des Landes
Schleswig-Holstein.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herzlichen Dank, Frau Staatsministerin. - Dann lautet
meine erste Nachfrage: Wie lautete denn die Antwort
von Herrn Staatsminister Hoyer auf das Interesse des dänischen Europaministers?
Ich habe an dem Gespräch zwischen Staatsminister
Hoyer und Europaminister Wammen nicht teilgenommen, aber ich kann Ihnen zumindest sagen, dass man
sich in dieser Sache nicht auf neue Initiativen verständigt
hat.
Ich will aber gerne zur Aufklärung beitragen. Ich
weiß, dass eine unterschiedliche Behandlung von dänischen Ersatzschulen bzw. Privatschulen im Vergleich zu
deutschen staatlichen Schulen bzw. Privatschulen immer
wieder ins Gespräch gebracht wird. Sie kennen die Gesetzgebung von Schleswig-Holstein, des Bundeslandes,
aus dem Sie kommen, wahrscheinlich sehr gut und wissen, dass es sich bei den Schulen der dänischen Minderheit in der Tat nach dem Gesetz um Ersatzschulen, also
Privatschulen, handelt, die zu 85 Prozent bezuschusst
werden. Gleichwertige deutsche Schulen werden nur zu
80 Prozent bezuschusst. Das heißt, eigentlich werden die
Schulen der Minderheit im Vergleich zu deutschen Privatschulen bessergestellt. Das Missverständnis ist daraus
entstanden, dass die dänische Regierung, soweit ich
weiß, gerne möchte, dass die Schulen der dänischen
Minderheit mit den staatlichen Schulen im Schulsystem
gleichgestellt und mit 100 Prozent bezuschusst werden.
Das würde allerdings die deutschen privaten Schulen in
freier Trägerschaft benachteiligen.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Nun ist es ja so, dass an dieser Stelle die dänische
Minderheit von einer Kürzung betroffen wurde. In der
Vergangenheit war die deutsche Minderheit von Kürzungen seitens der Bundesregierung betroffen. Für das Jahr
2012 bleibt nominal der gleiche Betrag für Förderungen
der deutschen Minderheit in Dänemark wie 2011.
Gleichwohl entsteht die Situation, wie in der Vergangenheit auch, dass die deutsche Minderheit aufgrund der Tarifsteigerungen in Dänemark an die 200 000 Euro aufwenden muss, um das Lehrpersonal zu bezahlen. Diese
sind in der Förderung, die sie bekommt, nicht eingepreist. Das heißt, dass für die eigentliche Arbeit
200 000 Euro weniger vorhanden sind. Kommt das nicht
auch einer Kürzung gleich, weil dies von der Bundesregierung nicht aufgefangen wird?
Herr Abgeordneter, ich möchte Sie noch einmal darauf hinweisen, dass wir die Probleme des Bundeslandes
Schleswig-Holstein nicht hier im Deutschen Bundestag
diskutieren können.
({0})
- Nein.
({1})
- Sie haben mich gerade nach den Lehrergehältern gefragt.
({2})
Wir sind jetzt in der Fragestunde und treten nicht in
einen Dialog ein. Es tut mir leid.
({0})
Ich will darauf hinweisen, Frau Präsidentin, Herr
Thönnes, dass wir die entsprechenden Haushaltstitel
nicht gekürzt haben. Ich sage das noch einmal: Die
3,5 Millionen Euro waren eine Überbrückungsförderung. Was die Finanzierung des dänischen Schulvereins
anbelangt, können wir keine dauerhafte Förderung einrichten. Ich betone ausdrücklich, dass bei den Haushaltstiteln für die deutsche Minderheit, die sich insbesondere
im Etat des Kulturstaatsministers Neumann wiederfinden, nicht gekürzt worden ist, sondern sie in gleicher
Höhe von der Bundesregierung wieder eingestellt wurden.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Liebing
das Wort.
Frau Staatsministerin, Sie haben die Erwartungshaltung der dänischen Staatsregierung nach rechtlicher
Gleichstellung der Schüler der dänischen Schulen im
schleswig-holsteinischen Schulgesetz zitiert. Die rechtliche Gleichstellung im schleswig-holsteinischen Schulgesetz ist die Erwartungshaltung auch des Dansk Skoleforening. Wenn das die Position ist, ist es dann richtig,
dass diese Position und die Erwartungshaltung der dänischen Staatsregierung weder durch die Bundesregierung
noch durch den Bundestag erfüllt werden können, sondern ausschließlich durch den Schleswig-Holsteinischen
Landtag als Landesgesetzgeber des schleswig-holsteinischen Schulgesetzes?
Das ist richtig, Herr Abgeordneter.
Die Fragen 71 und 72 der Kollegin Bettina Hagedorn
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 73 des Kollegen Klaus Barthel auf:
Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die
laut aktuellen Presseberichten geplante Lieferung französischer Tarnkappen-Fregatten an Griechenland, und seit wann
besitzt sie diese gegebenenfalls?
Bitte, Frau Staatsministerin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Abgeordneter
Barthel ist zugegen. Wie gut! Ich hatte Sie eben noch
nicht gesehen.
Wegen des engen Sachzusammenhanges möchte ich
gerne die Fragen 73 und 74 zusammen beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 74 des Kollegen Klaus
Barthel auf:
Wie will die Bundesregierung ausschließen, dass deutsche
Steuermittel direkt oder indirekt für die Lieferung französischer Tarnkappen-Fregatten an Griechenland mit aufkommen,
und gibt es Bestrebungen seitens der Bundesregierung, auf
europäischer Ebene gegen das angeblich geplante Geschäft
vorzugehen?
Der Bundesregierung sind die langjährigen französischen Bemühungen bekannt, Fregatten des in Rede stehenden Tarnkappentyps FREMM an Griechenland zu
verkaufen. Die Verhandlungen wurden jedoch nach
Kenntnis der Bundesregierung Anfang 2010 beendet
bzw. ohne Datum vertagt. Von einer aktuell geplanten
Lieferung oder von aktuellen Vertragsverhandlungen ist
der Bundesregierung nichts bekannt. Entsprechende
Pressemeldungen können nicht bestätigt werden.
Vor diesem Hintergrund stellt sich aus Sicht der Bundesregierung derzeit die in Ihrer zweiten Frage aufgebrachte Problematik der Verwendung deutscher Steuermittel für das von Ihnen erwähnte Geschäft nicht.
Ihre erste Nachfrage.
Dann habe ich jetzt vier Nachfragen, wenn ich das
richtig sehe.
Natürlich.
Die erste Nachfrage lautet: Ist denn dieser Zustand
des Nichtwissens der Bundesregierung vor dem Hintergrund der Tatsache, dass gleichzeitig Medienberichte erscheinen, und im Zuge dessen, dass wir in der EU einen
Gemeinsamen Standpunkt betreffend Rüstungsexporte
sowie eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
haben, für die Bundesregierung befriedigend?
Herr Abgeordneter, als Erstes möchte ich sagen, dass
die Bundesregierung ihre Arbeit nicht auf die Berichterstattung in namhaften Nachrichtenmagazinen aufbauen
kann, denen Sie diese Information entnommen haben.
Ich kann Ihnen nur bestätigen, dass wir bei allen zuständigen Stellen - auch Auslandsvertretungen - nachgefragt haben und die Antwort, die ich Ihnen gegeben
habe, die reelle ist.
Als Zweites will ich aber auch Folgendes sagen: Eine
unmittelbare Pflicht der Unterrichtung über die Beschaffung von Rüstungsgütern durch die EU-Partner existiert
nicht. Der öffentliche Jahresbericht der EU gemäß Art. 8
Abs. 2 des Gemeinsamen Standpunktes 2008/944/GASP
des Rates betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern enthält Informationen über die von den EU-Partnern
erteilten Genehmigungen - nicht aber über tatsächliche
Vertragsabschlüsse - für Ausfuhren in andere EU-Mitgliedstaaten, jedoch nur in aggregierter Form.
Es mag ja sein, dass es im Moment noch nicht so ist.
Aber ich habe meine Frage ja vor dem Hintergrund der
aktuellen Situation gestellt. Betrachten wir zum Beispiel
diesen Fall, über den in den Medien berichtet worden ist.
Nehmen wir einmal an, dass da etwas dran ist, oder nehmen wir an, es gäbe vergleichbare Fälle. Ist denn der
Zustand, dass es diese Nichtinformation und dieses
Nichtwissen gibt, angesichts der Problemlage für die
Bundesregierung befriedigend, und wie würden Sie einen solchen Vorgang bewerten, wenn er den Tatsachen
entspräche? Es muss ja etwas dran sein, wenn schon
2010 Verhandlungen stattgefunden haben.
Die Bundesregierung kann spekulative Äußerungen
überhaupt nicht bewerten. Das werden wir uns auch
nicht anmaßen. Diese Qualität der Arbeit möchten wir
Ihnen auch nicht zumuten.
Ich kann nur noch einmal bekräftigen: Die Deutschen
Botschaften in Athen und Paris haben auch nach Kontakten zur französischen bzw. zur griechischen Regierung keine Bestätigung für das erwähnte Geschäft mit
FREMM-Fregatten erhalten.
Ihre nächste Nachfrage, bitte.
Dann muss ich noch einmal andersherum fragen. Wie
man den Presseberichten entnehmen kann, bin ich nicht
der Einzige, der sich dafür interessiert. Auch Abgeordnete der Koalition haben angekündigt, dieser Sache
nachzugehen. Das Ganze ist auch vor dem Hintergrund
der hier vor wenigen Stunden geführten Diskussion über
die europäische Situation der Staatsverschuldung interessant.
Ein solcher Vorgang kann doch eine Bundesregierung
nicht kaltlassen. Gibt es denn eine generelle Haltung und
ein kritisches Bewusstsein gegenüber solchen Vorgängen? Nehmen wir einmal an, es geht an dieser Stelle um
größere Rüstungsbeschaffungen zum Beispiel Griechenlands, die teilweise vielleicht durch ein anderes EU-Mitgliedsland finanziert werden, aber auf jeden Fall auch
durch das hochverschuldete Land Griechenland mitzufinanzieren sind. Gibt es denn hier ein kritisches Bewusstsein und eine Sensibilität der Bundesregierung?
Es gibt in der Tat eine Sensibilität der Bundesregierung für alles, was uns zurzeit im Zusammenhang mit
Griechenland und auch im Zusammenhang mit der EuroKrise beschäftigt.
Herr Abgeordneter, Sie haben auch gefragt, ob die
Bundesregierung es für verantwortbar hält, dass Griechenland vor dem Hintergrund des zukünftigen Einsatzes von Steuermitteln für die EFSF weiterhin solche
Geschäfte tätigt. Ich will in diesem Zusammenhang Folgendes erwähnen: Die Troika legt im Benehmen mit den
griechischen Behörden gesamtstaatliche Einsparungsziele fest. Der Anteil des griechischen Verteidigungshaushalts am Bruttoinlandsprodukt beträgt im Jahr 2011
2,16 Prozent. Nach Kenntnis der Bundesregierung werden in 2011 rund 50 Prozent der Mittel zur Bezahlung
von Außenständen aus alten Verträgen genutzt. Die verbleibenden Mittel gehen überwiegend in die Erhaltung
des vorhandenen Materials. Die diesbezüglichen Zahlen
besagen, dass keine neuen Bestellungen vorgenommen
werden können.
Frau Staatsministerin, nach meinen Informationen hat
Griechenland einen im Vergleich zu seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten überproportionalen Rüstungshaushalt. Da die Troika und die Bundesregierung ständig
Druck auf die griechische Regierung ausüben, Haus16008
haltskonsolidierung zu betreiben, und bis ins Detail Vorschriften betreffend arbeitsrechtliche Beziehungen, den
öffentlichen Dienst und Privatisierungen gemacht werden, stellt sich die Frage: Macht man solche Vorgaben
auch in Bezug auf den Rüstungshaushalt, und ist die
Bundesregierung bereit, sich für eine Ausgabenreduzierung im Zuge der Haushaltssanierung in verschuldeten
EU-Staaten einzusetzen?
({0})
Herr Abgeordneter, ich möchte Sie noch einmal darauf hinweisen, dass nicht die Bundesregierung, sondern
die Troika, bestehend aus Vertretern des Internationalen
Währungsfonds, der Europäischen Union und der Europäischen Zentralbank, im Benehmen mit den griechischen Behörden gesamtstaatliche Einsparziele festlegt.
Die griechische Regierung macht sodann ihrerseits in
Wahrnehmung ihrer Souveränität und unter Beachtung
der Budgethoheit des griechischen Parlaments Vorschläge, wie diese Ziele zu erreichen sind. Wie Sie wissen, existieren Instrumente zur Festlegung spezifischer
Einsparziele derzeit nicht. Das heißt, die Troika kann
nicht diktieren, auf welche Weise Einsparungen zu erzielen sind.
Damit sind die vier Nachfragemöglichkeiten erschöpft.
Die Fragen 75 und 76 des Kollegen Dr. Rolf
Mützenich werden schriftlich beantwortet. Dies gilt auch
für die Frage 77 des Kollegen Memet Kilic.
Herzlichen Dank, Frau Staatsministerin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner zur
Verfügung.
Die Frage 78 des Kollegen Memet Kilic wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 79 des Kollegen Lars Klingbeil auf:
Welche Gespräche hat es seitens der Bundesregierung
oder seitens der Ermittlungs- oder Strafverfolgungsbehörden
des Bundes mit Skype und anderen VoIP-Anbietern zur Zusammenarbeit und der Ermöglichung der rechtmäßigen Telekommunikationsüberwachung gegeben, und zu welchem Ergebnis sind diese gekommen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Klingbeil, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Das Bundeskriminalamt hat im Dezember
2010 Gespräche mit dem Leiter der Kontaktstelle für die
Strafverfolgung bei der Firma Skype geführt. Von diesem wurde mitgeteilt, dass Skype keine Kommunikationsinhalte zur Verfügung stellen kann. Kommunikationsinhalte unverschlüsselter VoIP-Dienste können über
die klassische Telekommunikationsüberwachung zugänglich gemacht werden. Hier besteht kein Anlass zur
Kontaktaufnahme. Bei Anbietern verschlüsselter VoIPDienste hat sich mit Ausnahme von Skype bisher keine
fachliche Notwendigkeit einer Kontaktaufnahme ergeben.
Ihre erste Nachfrage, Herr Klingbeil.
Herzlichen Dank für die Antwort. - Gestatten Sie mir
folgende Nachfrage: Sie haben gesagt, es habe Gespräche gegeben und Skype habe deutlich gemacht, man
werde keine Gesprächsinhalte übermitteln. Ist der Bundesregierung denn bekannt, dass es Aussagen gibt, wonach in anderen europäischen Ländern eine solche Zusammenarbeit stattfindet?
Unabhängig von der Lage in anderen europäischen
Ländern kann ich in diesem Zusammenhang nur auf die
in den Gesprächen gegebene Auskunft und das Verhandlungsergebnis verweisen. Ich mache darauf aufmerksam
- das ist bereits Gegenstand meiner Antwort auf Ihre
nächste Frage -, dass die Grenzen, die sich für Skype ergeben, technisch plausibel sind, was die Weitergabe von
Kommunikationsinhalten im Rahmen dieser speziellen
Konstellation angeht. Insoweit müsste ein gewisses Verständnis für die Lage von Skype bestehen.
Ihre zweite Nachfrage.
Sie haben gerade von technischen Grenzen gesprochen. Können Sie mir bitte kurz erläutern, welche technischen Grenzen Skype angedeutet hat?
Es gibt für die Übermittlung im Netz ganz unterschiedliche Wege, die im Grunde nicht ohne Weiteres
definiert werden können. Das heißt, Skype ist häufig gar
nicht Herr der Inhaltsdaten, die über Skype übermittelt
werden.
Dann kommen wir jetzt zur Frage 80 des Kollegen
Klingbeil:
Wie bewertet die Bundesregierung - vor dem Hintergrund,
dass es in der Datenschutzerklärung von Skype wörtlich heißt,
dass „Skype, der örtliche Skype-Partner oder der Betreiber
bzw. Anbieter, der die Kommunikation ermöglicht … personenbezogene Daten, Kommunikationsinhalte oder Verkehrsdaten Justiz-, Strafvollzugs- oder Regierungsbehörden zur
Verfügung ({0}), die derartige Informationen rechtmäßig anfordern“ - die Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs
Dr. Ole Schröder in der Fragestunde vom 19. Oktober 2011
({1}), derzufolge die
Bundesregierung dies geprüft und festgestellt habe, dass es
keine Alternativen zur Quellen-TKÜ gebe, und wie begründet
sie diese Feststellung?
Vizepräsidentin Petra Pau
Bitte, Herr Staatssekretär.
Der Telekommunikationsdienst Skype bietet Telefondienste über das Internet an, die entweder unmittelbar
zwischen zwei internetfähigen Endgeräten oder zwischen einem internetfähigen Endgerät und herkömmlichen Telefonanschlüssen, also Mobiltelefonen bzw.
Festnetztelefonen, stattfinden können. Letzteres wird je
nach Gesprächsrichtung als Skype-In oder Skype-Out
bezeichnet. Im Falle der Telefonie zwischen zwei internetfähigen Endgeräten, also der VoIP, fließen die Inhaltsdaten auf beliebigen Wegen im Internet und nicht über
technische Einrichtungen von Skype. Dieser Punkt berührt die vorherige Frage. Skype ist es in diesem Fall
nach derzeitigem Kenntnisstand der Bundesregierung
schon aus technischen Gründen nicht möglich, Inhaltsdaten den Justiz-, Strafvollzugs- und Regierungsbehörden zur Verfügung zu stellen.
Bei Skype-In bzw. Skype-Out werden die Gespräche
über sogenannte Media Gateways von Skype geleitet. Es
besteht prinzipiell die Möglichkeit der Ausweitung von
Kommunikationsinhalten. Skype verweist in seinem Informationsblatt „Responding to Law Enforcement Records
Requests“ darauf, dass es ihm auf entsprechende Anordnung ausschließlich möglich ist, bestimmte Bestandsdaten, also Mail-Adressen und Rufnummern des Teilnehmers, sowie Verkehrsdaten, Zielrufnummern, für jedes
Gespräch in öffentliche Telefonnetze bereitzustellen.
Gesprächsinhalte werden in keinem Fall von Skype zur
Verfügung gestellt, nicht einmal, wenn diese als Voicemail auf den Servern von Skype abgelegt werden.
Die kriminalpolizeiliche Erfahrung zeigt darüber hinaus, dass in der Vielzahl der Fälle Skype unmittelbar
zwischen zwei internetfähigen Endgeräten eingesetzt
wird. Ohne Quellen-Telekommunikationsüberwachung
gäbe es keine Möglichkeit, diese Gespräche zu überwachen.
Ihre Nachfrage, bitte.
Stimmen Sie denn mit mir überein - ich zitiere jetzt
aus den Datenschutzerklärungen von Skype -, dass die
Datenschutzerklärungen von Skype nicht mit dem übereinstimmen, was man Ihnen erklärt hat? Hier ist nämlich
ausdrücklich erwähnt, dass man auf Kommunikationsinhalte zurückgreifen kann und sie auch zur Verfügung
stellen würde.
Ich stimme Ihnen in dieser Hinsicht nicht zu. Die Erfahrungen aus den Gesprächen, soweit sie mir bekannt
sind, haben eine Grenze aufgezeigt: Ohne die Möglichkeiten der Quellen-Telekommunikationsüberwachung
hat man keine Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung. Dieses Prüfungsergebnis ist der Ansatz
für die entsprechenden richterlich angeordneten Quellen-Telekommunikationsüberwachungen, die vorgenommen wurden.
Die letzte Nachfrage.
Niemand spricht sich hier gegen die Quellen-TKÜ
aus. Aber es geht darum - darin sind wir uns, glaube ich,
einig -, die grundrechtsschonendsten Mittel einzusetzen.
Deswegen war die Frage: Welche Gespräche gab es?
Jetzt haben wir gehört - dem gehen wir gerne nach -: Es
gibt keine Möglichkeit, zusammenzukommen.
Die Frage, die ich Ihnen noch stellen will, ist: Hat es
denn Vereinbarungen mit Skype gegeben, wie man das
Thema weiter bearbeiten will? Sie haben vorhin von
technischen Grenzen geredet. Hat es Fragen der Bundesregierung gegeben, wie Skype sich weiterentwickeln
könnte und wo man mit den Strafermittlungsbehörden
zusammenarbeiten kann? Gibt es da einen Prozess, der
eingeleitet wurde?
Gehen Sie bitte davon aus, dass die Bundesregierung,
insbesondere das Bundesinnenministerium, die Sondierungen fortführen wird, um sich auch bei zukünftigen
Entscheidungen immer darauf verlassen zu können, dass
der Einsatz von Quellen-TKÜ im Vergleich zu anderen
Möglichkeiten angemessen ist.
Danke, Herr Staatssekretär.
Alle übrigen Fragen der Fragestunde, die Fragen 81
bis 98, werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Unklare Konzepte der Bundesregierung zu
Steuersenkungen - Pläne zur Entlastung niedriger und mittlerer Einkommen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „50 Minuten Geschlossenheit“, „Regierung
blamiert sich bei Steuerreform“, „Steuerharmonie für
eine Stunde“, „Seehofer stört den Steuerfrieden“ - das
sind einige der Schlagzeilen, die Sie mit Ihrer chaotischen Steuersenkungsdebatte produziert haben.
({0})
Seit 2009 - da haben Sie den Koalitionsvertrag geschlossen - kündigen Sie alle paar Monate Steuersenkungen an, dann warten wir wieder auf die nächste
Steuerschätzung; das geht immer so als Spiel. Den traurigen Höhepunkt bildete in der letzten Woche die Bundespressekonferenz mit Finanzminister Schäuble und
Wirtschaftsminister Rösler. Es wurden dort Steuererleichterungen ab 2013 versprochen. Aber selbst auf
Nachfragen sagte Herr Schäuble nichts dazu, wie er sich
die Entlastung genau vorstellt. Nicht einmal eine Stunde
später ertönte der Paukenschlag aus Bayern, und seitdem
streiten Sie sich wie im Kindergarten. Sie sollten sich
mit Steuererleichterungen vielleicht wirklich etwas beeilen. Wer weiß, wie lange Sie noch regieren!
({1})
Damit dieses Hin und Her bei Ihnen ein Ende findet,
haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt. Ich denke,
Sie sind der Öffentlichkeit gegenüber verpflichtet, endlich konkrete Angaben zu Ihren Steuerplänen zu machen.
({2})
Viele Menschen in unserem Land glauben eh nicht
mehr an Steuergerechtigkeit und Steuererleichterungen.
Die Menschen haben Angst.
({3})
Sie fragen sich, wie teuer sie die Rettung der Banken
kommen wird, wenn die Milliarden erst einmal fällig
werden. Wie viele Schulen bleiben dann weiter unsaniert? In wie vielen Universitäten bleiben die Hörsäle weiter überfüllt? Wie viele Straßen bleiben Ruckelpisten?
Für die Menschen ist doch die Lohnpolitik entscheidend und nicht die kalte Progression. Die will ich Ihnen
aber doch einmal erklären. Ein Arbeitnehmer bekommt
eine Lohnerhöhung, die gerade mal die Inflation ausgleicht. Durch den höheren Bruttolohn rutscht er in einen höheren Tarif, sodass er am Ende weniger bekommt,
weniger Reallohn zur Verfügung hat. - Das ist die kalte
Progression.
({4})
Aber das ist nicht das Entscheidende.
({5})
- Herr Michelbach, wir haben Sie doch schon 2007 in einem Antrag aufgefordert, endlich tätig zu werden. Ich
finde es gut, dass Sie jetzt endlich aufwachen und etwas
machen wollen.
({6})
Trotzdem ist die kalte Progression nicht das Hauptproblem. Wir haben - die Menschen haben das in den
vergangenen zehn Jahren gespürt - Reallohnverluste von
4 Prozent. Demgegenüber haben sich die Unternehmensgewinne und die Einkommen aus Vermögen verdreifacht.
({7})
Das ist die Ungerechtigkeit in diesem Land, und hier
spielt die Musik.
({8})
Ich betone noch einmal: Alle in diesem Land zahlen
Steuern, zum Beispiel Mehrwertsteuer auf Butter und
Milch. Sehr vielen Menschen - es sind inzwischen
1,4 Millionen -, die arbeiten gehen, oftmals in Vollzeit,
reicht ihr Lohn nicht zum Leben; sie müssen noch zum
Amt, um aufzustocken. Das müsste Ihnen die Schamesröte ins Gesicht treiben. Da geht es wirklich um Entlastung. Da geht es darum, dass wir endlich einen Mindestlohn einführen. Ein solcher Mindestlohn vernichtet auch
keine Arbeitsplätze. Das wissen Sie genauso gut wie ich;
das ist empirisch bewiesen.
({9})
Ein Mindestlohn würde Steuermehreinnahmen bringen,
die Sozialkassen füllen und den Menschen den entwürdigenden Gang zum Amt ersparen.
({10})
Herr Schäuble hat auf der Pressekonferenz nebulös
eine Tarifveränderung angesprochen. Gut, dann fangen
wir mal konkret an! Im Gegensatz zu Ihnen haben wir
schon einen konkreten Vorschlag vorgelegt. Stellen Sie
sich also einmal Folgendes vor: Wir hätten einen durchgängig linear-progressiven Einkommensteuertarif. Wir
würden den Grundfreibetrag auf 9 300 Euro erhöhen bei
14 Prozent Eingangssteuersatz und hätten 53 Prozent
Spitzensteuersatz ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 65 000 Euro. Dann wäre automatisch die
Mehrzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlastet. Ich rechne Ihnen das gern vor: Bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von etwa 26 000 Euro,
also abzüglich Freibeträge, Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen und Werbungskosten, würde
man gegenüber heute 1 086 Euro weniger zahlen. Wenn
man ein Jahreseinkommen von 40 000 Euro zu versteuern hätte, wären es 1 410 Euro weniger. Erst ab einem zu
versteuernden Jahreseinkommen von 70 000 Euro gäbe
es eine Mehrbelastung von 86 Euro. Ich finde, das ist bei
diesem Jahreseinkommen aufs Jahr verteilt wirklich zu
verkraften.
({11})
Nach dem, was Sie vorgelegt haben - im Ausschuss
konnten Sie noch nicht einmal sagen, ob das nur für die
niedrigen und mittleren Einkommen gilt oder auch für
die großen Einkommen -, betrüge die Entlastung bei einem Jahreseinkommen von 26 000 Euro wahrscheinlich
maximal 200 Euro. Nun vergleichen Sie das einmal mit
dem durchgehend linear-progressiven Tarif: Nach meinen Vorgaben wäre die Entlastung um über 1 000 Euro
höher. Das wäre ein richtiger Schritt.
Im Übrigen finde ich es völlig unverschämt, dass Sie
hier vollmundig verkünden, ab 2013 für Steuererleichterungen in Höhe von 6 bis 7 Milliarden Euro sorgen zu
wollen, wobei Sie, wie gesagt, noch nicht einmal wissen,
für wen, und auch nicht genau, wie. Dass Sie darüber natürlich erst einmal mit den Ländern und Kommunen reden müssen, weil es um die Einkommensteuer geht, oder
ob Sie sich dazu verpflichtet haben, dass alles der Bund
zahlt, lassen Sie völlig außen vor. Insofern sind das alles
nur Luftblasen. Sie denken, Sie könnten damit irgendetwas gewinnen; aber Ihnen wird nicht geglaubt. Kehren
Sie endlich zu einer seriösen Politik zurück, zu einer
Politik, die tatsächlich Steuergerechtigkeit herstellt!
({12})
Der Kollege Olav Gutting hat nun für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Jedes Jahr haben wir bis zu 3 Milliarden Euro Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer. Darüber könnte man
sich eigentlich freuen. Aber Steuermehreinnahmen auf
der Seite des Staates bedeuten auf der anderen Seite eine
zusätzliche Belastung bei denjenigen, die das Ganze erarbeiten, nämlich bei den Bürgerinnen und Bürgern.
Steuermehreinnahmen haben also immer auch eine
Kehrseite.
Diese zwei Seiten der Medaille scheinen einige hier
immer wieder zu vergessen. Diesen Eindruck gewinnt
man zumindest, wenn man die Steuererhöhungspläne der
versammelten Opposition betrachtet. Was droht, wenn
wir nicht mehr regieren, haben Sie vorhin schon angedeutet. Sie haben aber nur die halbe Wahrheit gesagt.
Denn Sie wollen den Spitzensteuersatz auf über 50 Prozent erhöhen; das Ehegattensplitting soll wegfallen; das
Dienstwagenprivileg - was auch immer das sein soll wird gestrichen; die Pendlerpauschale wird ebenfalls gestrichen usw.
Sie sagen dann zwar, Steuersenkungen müssten durch
die Streichung von Steuervergünstigungen gegenfinanziert werden. Am Ende läuft es aber darauf hinaus, dass
Sie auf der einen Seite Steuern erhöhen und auf der anderen Seite Steuervergünstigungen streichen.
({0})
Während die Opposition sich also derzeit nach dem
Motto „Wer bietet mehr?“ mit Steuererhöhungsplänen
beschäftigt, nehmen wir zur Kenntnis, dass im Jahr 2011
in diesem Land die höchsten Lohnzuwächse seit 20 Jahren zu verzeichnen sind.
({1})
Dieser Bundesregierung ist es gelungen, mit gezielter
Wachstumspolitik die schwerste Wirtschaftskrise in diesem Land zu überwinden und Arbeitsplätze nicht nur zu
sichern, sondern die Arbeitslosigkeit auf das niedrigste
Niveau seit der Wende zurückzuführen.
({2})
Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land haben in
der Wirtschaftskrise Maß gehalten. Jetzt, im Aufschwung, steht ihnen dafür eine kräftige Lohnerhöhung
zu. Wir wollen, dass die Menschen spüren, dass es wieder aufwärts geht und dass es sich lohnt, wenn man sich
anstrengt.
Was ist das aber für ein Steuerrecht, das die Inflation
und deren Ausgleich über eine Lohnerhöhung dazu
nutzt, die Bürger schleichend in eine höhere Steuerprogression zu führen? Die Weigerung der Opposition und
die Blockade des Bundesrates, die ja bereits angekündigt
ist,
({3})
konsequent zu Ende gedacht führen dazu, dass innerhalb
der nächsten Jahre immer mehr Menschen dem Spitzensteuersatz unterliegen, obwohl sie tatsächlich gar kein
Spitzeneinkommen haben.
({4})
Wenn man davon ausgeht, dass das verdiente Geld
beim Staat besser aufgehoben ist als bei den Menschen,
dann ist Ihr Ansatz konsequent; dann ist die Argumentation von Grünen, SPD und Linken in der Tat richtig.
Aber wir glauben, dass es hier einer Korrektur bedarf.
Wir glauben, dass es richtig ist, den Menschen möglichst viel von dem, was sie sich hart erarbeitet haben, zu
belassen. Wir glauben - und dies gerade vor dem Hintergrund einer drohenden Abflachung der Konjunktur -,
dass es falsch ist, die Steuergarotte über die kalte Progression immer weiter zuzuziehen.
Meine Damen und Herren, wenn wir über den Abbau
der kalten Progression sprechen, dann geht es weder um
Steuergeschenke noch um Mindereinnahmen. Vielmehr
geht es um den Verzicht des Staates auf Steuermehreinnahmen, die durch die Kombination von Inflation und
Lohnerhöhung entstehen und die nichts mit der Idee des
linear-progressiven Tarifs zu tun haben, nach der derjenige, der leistungsfähiger ist, einen höheren Steuersatz
zahlen muss als derjenige, der weniger leistungsfähig ist.
({5})
Unser Konzept ist völlig klar.
({6})
Es geht uns darum, den Menschen in diesem Land den
Teil ihres sauer verdienten Lohnes zu belassen, der ihnen
auch zusteht. Um nichts anderes geht es uns.
Herzlichen Dank.
({7})
Die Kollegin Nicolette Kressl hat für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Bei dem Titel der Aktuellen Stunde stellt
sich zunächst einmal die Frage, um welche Konzepte der
Regierung es eigentlich geht.
({0})
Heute haben wir im Ausschuss gehört, dass das, was
die beiden Minister vorgestellt haben, nicht das Konzept
der Regierungsfraktionen sei. Man müsse sich erst zusammensetzen und darüber reden.
({1})
Außerdem hätten wir beim Vorliegen von Konzepten erwartet, dass Sie uns irgendwelche Eckpunkte vorstellen,
Herr Gutting. Ich habe sehr genau zugehört, aber außer
allgemeinen Bekenntnissen haben wir nichts gehört, was
auch nur annähernd als Eckpunkt zu bewerten gewesen
wäre. Insofern ist das weniger als unklar. Es gibt kein
Konzept.
({2})
- Wir nicht.
Ein weiterer Punkt ist sehr wichtig. Was Sie in der
vergangenen Woche hier aufgeführt haben - die Zeitungen haben zum Teil getitelt: „50 Minuten Einigkeit“ -,
zeigte eines: Das war der schlimmste Dilettantismus,
den wir seit langer Zeit im Bereich der Steuerpolitik erlebt haben. Aus den vergangenen zwei Jahren sind wir
bereits einiges gewöhnt, aber das hat nun wirklich alles
übertroffen.
({3})
Man könnte eigentlich sagen: Bei verrückten Ideen ist
immer Verlass auf die CSU, dass sie ein bisschen Sand
ins Getriebe wirft. Mittlerweile ist aber die CSU selbst
zerstritten. Frau Hasselfeldt hat gestern gesagt, es sei alles abgesprochen gewesen und Herr Seehofer sei auf
dem falschen Weg.
({4})
Dieses Chaos der vergangenen Woche könnte man als
Opposition ja noch fröhlich betrachten. Jedoch führen
Sie dieses Chaos nicht nur in internen Zirkeln auf. Vielmehr sorgen Sie dafür, dass die Menschen in dieser ohnehin schwierigen Situation auf eine absolut unerträgliche Weise verunsichert werden. Das müssen wir Ihnen
schon einmal ganz deutlich sagen.
({5})
Diese Verunsicherung führt dazu, dass das Vertrauen
in die Fähigkeit der Politik insgesamt, gradlinige und
klare Positionen aufzeigen zu können, immer mehr verloren geht. Das haben wir Ihnen heute Morgen in der Europadebatte schon deutlich gesagt. Das Gleiche wiederholen Sie jetzt bei der Frage der Steuerpolitik.
Es wäre gut, wenn Sie wenigstens Ihre grundsätzlichen Bekenntnisse und Vorstellungen zum Beispiel zum
Thema der kalten Progression mit Zahlen belegen könnten. Wir müssen hier gar nicht darüber streiten, dass das
irgendwann zu einer politischen Konsequenz führen
muss. Der entscheidende Punkt ist aber doch, dass die
Antwort seitens des Finanzministeriums auf meine
Nachfrage in einer Fragestunde und auch im Ausschuss
lautete, dass es in den vergangenen Jahren keine kalte
Progression gegeben habe.
Heute haben wir in der Sitzung des Finanzausschusses gefragt, Herr Koschyk, ob Sie uns denn wenigstens
mit irgendwelchen Zahlen belegen können, ob diese
6 Milliarden Euro Entlastung, die Sie planen, tatsächlich
der kalten Progression im Jahr 2013 entsprechen. Sie haben es nicht belegen können.
({6})
Sie haben uns keine konkrete Zahl genannt. Sie haben irgendetwas von der Inflation erzählt. Dabei haben Sie
nicht einmal erwähnt, dass die Inflation allein gar nicht
zur kalten Progression führt. Das gilt nur für die Kombination von Inflation und Lohnerhöhungen.
({7})
Ich sage nicht, dass wir uns weigern, darüber zu reden. Wir erwarten von Ihnen hier im Parlament aber ein
paar Fakten, bevor Sie irgendwelche Pressekonferenzen
abhalten; das muss ich Ihnen einmal sagen.
({8})
Ich komme zu meinem letzten Punkt: Die Tatsache,
dass Sie das nicht mit Zahlen belegen können,
({9})
deutet sehr stark darauf hin, dass es Ihnen eher darum
geht, Ihren dahinsiechenden Koalitionspartner FDP ein
wenig zu schützen und ihm etwas mitzugeben.
({10})
Dabei verkennen Sie aber völlig, dass die Menschen in
diesem Land inzwischen nicht mehr vorrangig Steuerentlastungen erwarten. Deren Prioritäten haben sich
längst so verlagert, dass sie sagen: Es muss zu einem
Schuldenabbau kommen. Wir müssen den Schwerpunkt
auf die Bildungspolitik und die Infrastruktur setzen. Das heißt: Sie setzen bei Ihren nicht vorhandenen Konzepten und Ideologien auch noch auf das falsche Pferd.
Wir erwarten von Ihnen, dass Sie die veränderten Rahmenbedingungen wahrnehmen und Ihre Politik darauf
einstellen.
Ich möchte mit den Worten des baden-württembergischen Finanzministers Nils Schmid aus der heutigen Debatte des Landtags schließen. Er sagte, dass diese Koalition dem gesunden Menschenverstand hartnäckigen
Widerstand leiste. Ich finde, er hat recht. Sie sollten sich
ein bisschen darauf konzentrieren, logische Politik zu
machen.
({11})
Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Wissing für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Frau Kollegin Kressl hat gesagt, man muss sich mit
veränderten Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Ich
will Ihnen einmal etwas zu den heutigen Rahmenbedingungen und zu den Rahmenbedingen unter Rot-Grün sagen: Als Rot-Grün die Verantwortung hatte, gab es fast
5 Millionen Arbeitslose.
({0})
Unter Schwarz-Rot waren es 3,5 Millionen. Unter
Schwarz-Gelb sind es nur noch 3 Millionen.
({1})
Zum Haushalt: Für 2010 hatte der sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück eine Neuverschuldung in Höhe von 86,1 Milliarden Euro geplant. SchwarzGelb kam mit 44 Milliarden Euro aus. Für 2011 hatte
Peer Steinbrück eine Neuverschuldung in Höhe von
71,4 Milliarden Euro geplant. Schwarz-Gelb kommt mit
unter 50 Milliarden Euro aus.
({2})
Das heißt: In zwei Jahren schaffen wir es, 65 Milliarden
Euro weniger Schulden zu machen. Damit sind wir in jeder Hinsicht besser, als Sie es bei der Haushaltskonsolidierung jemals waren. Das wollen wir, was die Rahmenbedingungen angeht, einmal festhalten.
({3})
Zu den Steuern: Wir haben es geschafft, dass eine Familie mit einem Durchschnittseinkommen von 3 200 Euro
im Jahr 2011 netto 604 Euro mehr in der Tasche hat als
noch 2009.
({4})
65 Milliarden Euro weniger Staatsverschuldung und
über 600 Euro netto mehr für eine Durchschnittsfamilie,
das beweist: Haushaltkonsolidierung und maßvolle, vernünftige Steuerpolitik kann man erfolgreich miteinander
kombinieren. Damit ist die Richtigkeit Ihrer Politik widerlegt.
({5})
Jetzt stellt sich ein Herr Schmid in Baden-Württemberg hin und sagt,
({6})
die Pläne seien verrückt. Dann stellt sich in RheinlandPfalz ein Kurt Beck hin
({7})
und sagt, die Beseitigung der kalten Progression sei
Quatsch und dass er das für verfassungswidrig halte.
Verrückt ist, dass sich eine Partei wie die SPD, die die
größte Steuererhöhung in der deutschen Geschichte beschlossen und bei der Haushaltkonsolidierung versagt
hat, jetzt hinstellt und eine Steuererhöhung nach der anderen fordert. Das ist verrückt.
({8})
Quatsch ist, was die Linkspartei fordert. Die Linke
fordert - das haben wir heute Morgen erst wieder von Ihnen gehört - eine Erbschaftsteuer von 60 Prozent.
({9})
Das haben Sie ernsthaft gefordert. Sie fordern außerdem
eine Vermögensteuer von 5 Prozent. Das ist Ihre Politik.
Das ist schlichtweg Quatsch.
({10})
Wir hingegen bleiben bei einer vernünftigen Steuerpolitik. Die beiden Minister haben deutlich gemacht: Sobald die Wachstumsprognose vorliegt, werden wir sagen, in welchem Umfang wir in den nächsten Jahren
dafür sorgen können, dass Lohnsteigerungen nicht nur
beim Staat ankommen,
({11})
sondern auch zu einer Verbesserung des Nettoeinkommens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führen.
Das mag Ihnen nicht passen,
({12})
weil wir damit etwas aufgreifen, was auch bei Ihnen einmal im Wahlprogramm stand, wovon Sie aber heute
nichts mehr wissen wollen, nämlich mehr Steuergerechtigkeit für Bezieher unterer Einkommen.
Ich finde es bemerkenswert, dass Sie immer von
Steuergeschenken sprechen. Dagegen finde ich, dass
Lohnsteigerungen keine Geschenke für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, sondern dass sie ihnen zustehen.
({13})
Das unterscheidet Sie von uns.
Für die christlich-liberale Koalition gilt: Wir wollen
die kalte Progression für die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen spürbar abmildern. Wir wollen den Mittelstandsbauch abflachen,
({14})
und wir werden konkrete Vorschläge dazu machen. Die
Bundesregierung hat gesagt, wohin sie will. Die Koalitionsfraktionen werden das gemeinsam mit der Bundesregierung auf den Weg bringen. Wir werden einen konkreten Gesetzentwurf vorlegen und ihn selbstverständlich
mit Zahlen untermauern. Dann werden Sie sehen, dass
Sie auf der falschen Seite stehen, wenn Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Gerechtigkeit verweigern.
Wir bleiben dabei: Wir stehen für eine strikte Stabilitätspolitik. Deswegen wollen wir den Bundeshaushalt
nicht auf inflationsbedingte Mehreinnahmen stützen, sondern wir wollen ihn auf der Ausgabenseite konsolidieren.
Für uns ist es nicht hinnehmbar, dass die Bezieher unterer
und mittlerer Einkommen von Lohnsteigerungen nichts
haben sollen. Das ist eine Gerechtigkeitslücke in unserem Steuersystem.
Genauso wie wir die Sozialleistungen an veränderte
Rahmenbedingungen anpassen und dort einen Ausgleich
schaffen, müssen wir auch denjenigen, die einen Arbeitsplatz haben, die morgens aufstehen und bei der
Arbeit anpacken - gerade im unteren und mittleren Einkommensbereich -, einen Ausgleich bieten. Den wollen
wir in unserem Steuersystem schaffen.
Ich finde es offen gestanden mutlos von Ihnen, dass
Sie immer nur sagen: Wir leben in Krisenzeiten, und
deswegen kann man für die Bezieher unterer Einkommen nichts tun. Wir geben den Ehrgeiz nicht auf und
wollen - gerade in Krisenzeiten - die Reformen in unserem Land nicht vernachlässigen. Denn es kann nicht
sein, dass wir bei all den notwendigen Rettungsmaßnahmen und Stabilisierungspaketen, die wir auf europäischer Ebene auf den Weg bringen - heute haben wir viel
darüber diskutiert -, diejenigen vergessen, die in
Deutschland den Karren mitziehen. Es kann nicht sein,
dass ausgerechnet Sozialdemokraten, Grüne und auch
die Linkspartei dabei ihre Unterstützung verweigern, vor
allem, wenn es um die Bezieher unterer und mittlerer
Einkommen geht. Sie als Sozialdemokraten sind sogar
noch stolz darauf, dass Sie mit Ihren merkwürdigen Ankündigungen im Bundesrat die Bezieher unterer und
mittlerer Einkommen hängen lassen.
({15})
Sie sollten sich dafür schämen und nicht hier im Bundestag selbstbewusste Reden halten.
({16})
Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was sich uns gerade dargeboten hat, war ein Zerrbild.
({0})
Das ist umso trauriger, als wir ja wissen, dass Kollege
Wissing in den Fakten eigentlich präzise sein kann,
({1})
aber es war heute wieder einmal nicht gewollt.
({2})
Ich finde es gut, dass die Debatte, in der es um das Problem der Staatsschulden geht - das uns gerade stark beschäftigt -, am selben Tag geführt wird wie die Debatte
über die Steuersenkung.
({3})
Solange für den nächsten Bundeshaushalt sowie für
Landes- und Kommunalhaushalte viele Milliarden Euro
Neuverschuldung eingeplant sind, wäre jede Steuerentlastung eine Steuerentlastung auf Pump und angesichts
des Schuldenstandes unverantwortlich.
({4})
Ich will das einmal konkret machen: Der Bund gibt
Berlin zur Einhaltung der Schuldenbremse Konsolidierungshilfen in Höhe von 80 Millionen Euro pro Jahr.
Wenn die Steuerentlastung kommt, die Sie jetzt avisieren, dann verliert Berlin 200 Millionen Euro.
({5})
Ist das sinnvoll? Das ist natürlich nicht sinnvoll. Das
Ganze könnte man ebenso für Schleswig-Holstein
durchrechnen, das zurzeit 80 Millionen Euro Konsolidierungshilfen bekommt und dann 120 Millionen Euro
weniger hätte.
Die Bundesländer lehnen ja die Steuerentlastungen
nicht deshalb ab, weil sie es den Leuten nicht gönnen.
Der Grund ist vielmehr die Schuldenbremse, die es zu
Recht gibt, und dass die Bundesländer jetzt versuchen
müssen, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen, und
gleichzeitig dafür sorgen müssen, dass die Infrastruktur
stimmt, Bildungsleistungen für alle zur Verfügung stehen und die Polizei anständig ausgestattet werden kann.
Deswegen sind Steuerentlastungen in dieser Situation
einfach unverantwortlich.
({6})
Ich komme zum zweiten Punkt: die Inflation und der
Ausgleich bei der kalten Progression. Clemens Fuest,
nun wirklich niemand, der hier in den Oppositionsreihen
sitzen würde, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats
beim Bundesministerium der Finanzen, schreibt:
Wenn man Einkommensteuerentlastungen in der
aktuellen Situation trotz der schlechten Lage der öffentlichen Haushalte will, sollte man bessere Argumente ins Feld führen als das Märchen von der kalten Progression.
Ich finde, er hat recht. In den letzten Jahren gab es das
Phänomen in Deutschland einfach nicht; es existiert
theoretisch, aber taucht, wie man sehen kann, in den Statistiken nicht auf.
({7})
Die Steuerquote, das Verhältnis zwischen Einkommensteuereinnahmen und der jährlichen Wirtschaftsleistung,
war ziemlich konstant; sie war übrigens in der rot-grünen Regierungszeit niedriger als heute. Insofern hat es
diesen Effekt nicht gegeben.
Sie bringen bei der Lösung der realen steuerpolitischen Probleme dieses Landes nichts auf die Reihe:
({8})
Die Kommission zur Reform der Ermäßigungen bei der
Mehrwertsteuer hat nicht ein einziges Mal getagt. Die
Kommission zur Frage der Kommunalfinanzen hat ihre
Arbeit ergebnislos beendet. Jetzt gehen Sie an ein Phänomen heran, das einfach nicht das Hauptproblem ist,
über das wir uns unterhalten sollten.
({9})
Eines ist zu beobachten - ich gebe noch einmal Herrn
Fuest wieder -: Wenn es eine höhere Belastung der Bezieher unterer und mittlerer Einkommen gibt, sich aber
die Belastung bzw. das Steueraufkommen insgesamt
nicht verändert hat, muss eine Verschiebung der Steuerlasten stattgefunden haben.
Wenn wir etwas für Bezieher unterer und mittlerer
Einkommen tun wollen, geht es deshalb darum, die Verteilung der Steuereinnahmen zu verändern; genau das
machen wir. Ja, Bündnis 90/Die Grünen sagen: Es soll
eine steuerliche Entlastung für Bezieher unterer und
mittlerer Einkommen geben; wir wollen den Grundfreibetrag anheben. Aber wir machen es, anders als Sie,
nicht auf Pump, sondern verantwortlich. Wir werden dafür den Spitzensteuersatz erhöhen, denn wir machen seriöse Steuerpolitik und sorgen für eine Gegenfinanzierung. Dazu haben Sie nicht den Mut. Sie schauen immer
nur dann auf die Gerechtigkeit, wenn es zu Ihrer Klientelorientierung passt.
Wir wollen einmal das Argument der Entlastung der
Bezieher unterer und mittlerer Einkommen betrachten.
Wenn man sich die groben Skizzen, die wir haben, anschaut, dann erkennt man: Ein Single mit einem zu
versteuernden Einkommen von heute 10 000 Euro
würde um etwa 80 Euro im Jahr entlastet; ein Steuerpflichtiger mit einem zu versteuernden Einkommen von
250 000 Euro würde um 870 Euro entlastet. Daran erkennt man die Schieflage. Es geht also nicht um die Entlastung der Bezieher unterer und mittlerer Einkommen,
über die Sie gerne reden, sondern um die der hohen Einkommen, die Sie deutlich mehr entlasten wollen. Seien
Sie da bitte einmal ehrlich.
({10})
Wenn Sie wirklich etwas für die Bezieher unterer und
mittlerer Einkommen tun wollten, dann müssten Sie an
die Sozialabgaben herangehen oder es so machen, wie es
unser Vorschlag vorsieht, also gezielt im unteren Einkommensbereich entlasten und durch Belastungen im
oberen Bereich gegenfinanzieren. Aber dazu haben Sie
nicht den Mut; denn es geht bei Ihnen um eine Politik für
die oberen 10 Prozent. Das muss einmal klar gesagt werden.
Danke schön.
({11})
Der Kollege Norbert Schindler spricht nun für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte
Gäste auf der Tribüne! Lieber Herr Schick, Sie haben
hier ein Zerrbild des Steuersystems abgegeben. Sie alle
wissen doch: Bei den höheren Gehältern wird bei einer
Gehaltserhöhung aufgrund des Spitzensteuersatzes im
oberen Bereich immer gleich viel abgeschöpft. Bei den
Gehältern der Leistungsträger, der Damen und Herren,
deren Gehalt darunter liegt, werden im Falle einer geringen oder starken Lohnerhöhung sofort hohe Steuern abgeschöpft. Nicht bei allen, aber bei vielen ergibt sich
eine Nullsummenrechnung, gerade wenn man die steigenden Sozialbeiträge mit einrechnet. So entsteht doch
draußen bei den Leistungsträgern der Frust.
Sie verkünden jetzt, wir würden eine Politik für Millionäre machen. Ich muss Ihnen doch nur vorrechnen,
wie es damals unter Rot-Grün war. Damals wurden die
Spitzensteuersätze deutlich gesenkt, weil es hieß, man
müsse diese international angleichen.
({0})
Was wurde denn damals wegen der Freiheit des Kapitalflusses beschlossen, meine Damen und Herren? Ich will
jetzt gar nicht das Alte hervorholen,
({1})
sondern nur einmal darauf hinweisen.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag, die kalte Progression zu mindern, was wir als Regierung wollen.
({2})
Sie fragen nach dem Konzept. Es gibt einen Koalitionsvertrag, auf den wir uns verständigt haben.
({3})
Es gibt ein Wahlversprechen, für dessen Einhaltung wir
unter anderem 2009 gewählt wurden. Die Wählerinnen
und Wähler haben uns damals den Auftrag gegeben, dieses Versprechen einzulösen. Da ist es nur legitim, wenn
wir uns in dieser Legislaturperiode dieser Frage widmen
und sie beantworten.
({4})
Dass die kalte Progression ein Abstrafen darstellt, weil
der Staat bei jeder Lohnerhöhung automatisch partizipiert, das haben viele, auch Sie, Herr Dr. Schick, in anderen Debatten schon eingesehen. Sie wollen dem mit
einem anderen Konzept beikommen.
({5})
Sie werfen uns vor, wir hätten noch kein fertiges Konzept. Es ist doch legitim, in einer Regierung, die aus drei
Koalitionsparteien besteht, vernünftig über den richtigen
Weg zu streiten.
({6})
Wir wissen um die Schuldensituation unseres Staates.
Dr. Volker Wissing und auch Olav Gutting haben zu
Recht darauf hingewiesen, wie die Zustände waren, als
wir Rot-Grün beerbten, und dass wir in den letzten Monaten und Jahren gute Politik gemacht haben. Das gilt in
Bezug auf die große Entscheidung, wie man die Banken
retten kann. Das hat dazu geführt, dass wir im internationalen Vergleich Weltmeister sind: was unsere absolute
Entwicklung angeht, die Steuereinnahmen, die Staatskonsolidierung und die deutliche Verminderung der
Neuverschuldung. Das alles redet ihr schlecht. Das versteht ein normaler Mensch beim besten Willen nicht.
({7})
Sie werfen uns vor, wir hätten in der Konzeption eine
Drohgebärde in Bezug auf den Solidaritätszuschlag aufgebaut. Sie kündigten im Bundesrat an, dass Sie die
Leistungsträger nicht entlasten wollen. Diese stellen
doch gerade den Mittelbau, bekommen in der Regel Kinder und schaffen ein Häuschen oder eine Eigentumswohnung an. Die Menschen werden über die kalte Progression abgestraft. Das entspricht nicht dem Ziel, das wir
uns im Bereich Steuerentlastung gesetzt haben.
({8})
Wir wollen keine griechischen Zustände. Es muss
nicht gerade Freude auslösen, Steuern zu zahlen, aber
wichtig ist die Akzeptanz. Das alles darf nicht durch
Staatsverdrossenheit, sondern muss durch Staatszustimmung getragen werden.
({9})
Die Leistungsträger, die den Mittelbau unserer Republik
finanzieren, brauchen ein deutliches Zeichen, was wir
als Entlastung für ihre Leistungen vorsehen; denn Leistungen werden erbracht. Ich sage das an die Linke gerichtet: Sie sprechen nur von den Leistungsempfängern
und den armen Menschen, die am Staatstropf hängen.
Sie sprechen nicht mehr über jene, die die Leistung erbringen. Es geht nicht an, die Leistungen anderer Leute,
die diese ganz selbstverständlich für den Wohlfahrtsstaat
Bundesrepublik Deutschland erbringen, umverteilen zu
wollen.
In Bezug auf die gesamte Debatte möchte ich darauf
hinweisen: Die deutsche Wiedervereinigung hat über
2 Billionen Euro gekostet. Der Rettungsschirm umfasst
500 Milliarden Euro. Wie viele Restschulden haben wir
noch durch die Wiedervereinigung? Es sind um die
400 Milliarden Euro. Ich lasse gern mit mir streiten, wie
wir das aufrechnen. Der Bundesbankgewinn trägt sicherlich dazu bei. Es stellt sich die Frage: Wie viele Restbürgschaften bestehen noch vom Aufspannen des Bankenrettungsschirms? 500 Milliarden Euro. Die Summe,
die für die Rettung der Hypo Real Estate inklusive der
Einrichtung einer Bad Bank aufgewendet wurde, betrug
nicht einmal ein Viertel der Summe. Sie lag bei circa
100 Milliarden Euro. Aber darüber redet niemand mehr.
Im Gegenteil: In den Debatten wird das Volk durch die
Milliardenbeträge verrückt gemacht. Es wird das
schlimmste Szenario geschildert. Unser Mut, den wir damals hatten, wurde damit belohnt, dass das Misstrauen
gegenüber den Banken abgenommen hat.
Abschließend stelle ich fest: Bei allen Leistungen, die
Deutschlands Bürgerinnen und Bürger erbracht haben,
die der Staat geschickt gelenkt hat, auch in der Großen
Koalition mit den Sozialdemokraten: Es gab keinen AbNorbert Schindler
strich beim Wohlstand. Was wir in dieser Koalition an
Topleistung im Konjunkturpaket II erbracht haben, hat
zwischen Großbritannien und Italien Wallfahrten ausgelöst. Alle haben sich gefragt, wie wir Deutsche das gemeistert haben. Ihr redet dieses Deutschland schlecht.
Unsere Leistungsträger, die die Hauptsteuerlast tragen,
haben das Recht, dass Wahlversprechen eingelöst werden.
({10})
Ob es nun 6 Milliarden Euro oder 10 Milliarden Euro
sind: Es ist eine gesunde Entwicklung, dass wir unter
3 Millionen Arbeitslose haben. Wer hätte das angesichts
der schweren wirtschaftlichen Wolken, die am Himmel
standen, gedacht?
Ich bin stolz auf das Geleistete. Reden wir positiv
über die Zukunft unseres Landes! Es ist wichtig, dass die
Leistungsträger motiviert werden. Es muss Spaß machen, in diesem Land Steuern zu zahlen. Die Leistungsträger müssen diesen Staat mittragen. Sie tragen nicht
dazu bei, dass diese positiv in die Zukunft schauen.
Danke schön.
({11})
Der Kollege Martin Gerster hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Geschätzter Kollege Schindler, ich finde es toll, dass Sie
erwähnt haben, dass es einen Koalitionsvertrag gibt.
Ehrlich gesagt: Wir haben gedacht, es gibt überhaupt
keine Koalition mehr.
({0})
Der Auftritt in der letzten Woche war eine ganz komische Geschichte. Ich habe noch nie erlebt, dass zwei
Minister eine Pressekonferenz geben und anschließend
der Ministerpräsident von Bayern sagt: Das war alles nur
Fasching.
({1})
Das kann doch wohl nicht wahr sein.
Angesichts dieses Vorgehens wundere ich mich nicht
über das, was Infratest dimap uns gestern gesagt hat: Die
Linkspartei liegt in Sachen Steuerkompetenz inzwischen
vor der FDP.
({2})
Natürlich bewegen sich beide auf ganz niedrigem Niveau.
Deswegen ist es auch völlig in Ordnung, dass wir im
Rahmen einer Aktuellen Stunde über diese Vorgänge reden. Heute Morgen haben wir gehört, dass es nicht nur
das Struck’sche Gesetz, sondern auch das Merkel’sche
Gesetz gibt, das da heißt: Je deutlicher die Kanzlerin etwas ausschließt, desto wahrscheinlicher ist, dass es tatsächlich kommt. Seit Schwarz-Gelb hier regiert - na ja,
„regiert“ ist falsch -, sich im Regieren übt - so muss
man das sagen -, gilt ein neues Gesetz: Egal welches
Problem kommt, es ist immer einer da, der „Steuersenkungen sind die Lösung des Problems!“ ruft.
({3})
Das ist vielleicht das Westerwelle’sche Gesetz. Jetzt
muss man es wohl umbenennen, weil Herr Rösler jetzt in
der Verantwortung steht. Aber vielleicht trifft das aber ja
auch schon nicht mehr zu.
Auf jeden Fall muss man konstatieren: Der x-te Versuch, einen Überraschungscoup zu landen, das Kaninchen aus dem Hut zu zaubern - Steuersenkungen!
Hurra! -, ist misslungen. Das muss man ganz klar sagen.
Das wurde auch in den Medien entsprechend kommentiert. Ich will zitieren und ein paar Presseschnipsel anbringen. Die Welt spricht von einem „Kommunikationsdesaster“, das einfach nicht enden will. Herr Michelbach
ich weiß nicht, ob Sie Welt-Leser sind.
({4})
Vielleicht sind Sie auch Leser der Süddeutschen Zeitung:
„50 Minuten Geschlossenheit“, dann war das übliche
Steuerchaos zurück. Kennen Sie den Film Und täglich
grüßt das Murmeltier mit Bill Murray in der Hauptrolle?
({5})
Das war ein großer Erfolg. Jetzt in der Neuverfilmung
von dieser Koalition! Herzlichen Glückwunsch!
Wenn man sich vor Augen führt, wie oft wir schon
über dieses Thema diskutiert haben, muss man ganz klar
sagen: Diese Aktuelle Stunde dauert schon mindestens
eine halbe Legislaturperiode.
({6})
Aber man weiß ja nicht, wie lange diese Legislaturperiode wirklich dauert. So, wie Sie sich präsentieren, kann
sie ja auch ganz schnell zu Ende sein, was bedeuten
würde, dass wir uns schon im zweiten Drittel dieser Veranstaltung befinden.
Insofern muss man sagen: Auch der jüngste Versuch,
die FDP wiederzubeleben - ich meine das 7 Milliarden
Euro schwere Rösler-Rettungspaket -, ist misslungen.
Die Financial Times Deutschland schreibt dazu - Herr
Michelbach, vielleicht sind Sie ja auch Leser dieser Zeitung -:
Merkels Truppe wirkte wieder einmal wie ein Dilettantenstadl.
({7})
Die Bild am Sonntag - Springer-Presse - kann ich noch
anbieten:
Die Drei von der Zankstelle
Das ist ein schöner Titel.
({8})
Was soll man von dieser Regierung halten, wenn sie
sich noch nicht einmal darüber verständigen kann, wer
die Verantwortung für dieses verhunzte Steuersenkungsstückchen trägt. Einerseits heißt es beim Bundeskanzleramt: Es gab noch nicht einmal eine Panne. Herr Rösler,
der Vizekanzler sagt: Ja, es gab eine Panne. Dann wird
darüber gestritten, ob sich jemand entschuldigt hat, aber
hinterher weiß man nicht, wer bei wem. Das, was Sie
hier aufführen, ist ein wirklich tolles Theaterstück. Das
ist einfach eine klasse Sache.
({9})
Auch der Regierungssprecher musste betonen:
Reinlegen ist kein Teil der gegenseitigen Umgangsformen.
({10})
Ich finde es wichtig, dass das vom Regierungssprecher
unterstrichen wurde und nicht Worte aus dem Bereich
Fauna und Flora benutzt wurden. Diese Umgangsformen
wollten Sie ja auch ablegen.
Insofern trifft die Analyse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu; Herr Michelbach, vielleicht haben Sie
diese Zeitung ja im Abo. Dort war zu lesen: Falls sie bis
zum Ende durchhält - diese Koalition ist gemeint -,
dann wird der Stoff für Streit bis zum Schluss nicht ausgehen. Auch das, denke ich, kann man nur unterstreichen.
({11})
Apropos Steuerchaos, ich will die FDP an dieser
Stelle - die Gelegenheit jetzt ist einfach so schön - noch
an eine Pressemitteilung vom Mai 2010 erinnern. Damals hat Herr Lindner gesagt, die FDP prüfe jetzt intensiv, ob man die Steuersenkungen für Hoteliers zurücknehmen wolle. - Ich wollte einmal nachfragen - Herr
Volk, Sie sind, glaube ich, der nächste Redner -, ob Sie
nach eineinhalb Jahren mit der Prüfung fertig sind
({12})
und ob es ein Ergebnis gibt. Ich denke, wenn Sie diese
Steuersenkungen zurücknehmen würden, hätten Sie eine
gute Basis, um das Thema kalte Progression anzugehen.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat der Kollege Dr. Daniel Volk von der
FDP-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Kollege Gerster, kommen wir erst
einmal zurück zur Sache und zum eigentlichen Thema
dieser Aktuellen Stunde.
({0})
Wenn ich es richtig verstanden habe, so haben zwei von
drei Oppositionsfraktionen durch ihre Redner hier in der
Aktuellen Stunde zugegeben, dass wir im Bereich der
unteren und mittleren Einkommen eine Änderung in der
Steuergesetzgebung vornehmen müssen. Die einzige
Oppositionsfraktion, die dies nicht fordert, die sich als
Vertreterin der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
zwischenzeitlich vollkommen abgemeldet hat, ist die
SPD-Fraktion. Daher, Herr Kollege Gerster, ist klar, warum Sie während Ihrer gesamten Rede kein einziges
Wort zu der eigentlichen Thematik, zum Problem der
kalten Progression bei den unteren und mittleren Einkommen, gesagt haben.
({1})
Kommen wir ganz nüchtern zurück zum Thema. Herr
Schick hat dies als ein nur theoretisches Problem bezeichnet. Ich glaube, dass dieses von Ihnen als theoretisch bezeichnete Problem für eine sehr große Anzahl
von Steuerpflichtigen ein sehr praktisches Problem ist.
({2})
Deswegen sollten wir als verantwortliche Politiker nicht
realitätsfern die Augen davor verschließen. Vielmehr
müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es gerade in den
letzten Jahren eine deutliche Preissteigerung, also Inflation, gegeben hat. Wir haben in den letzten Monaten
deutliche Einkommenserhöhungen aufgrund der Tarifverhandlungen beobachtet, und wir werden sie in den
nächsten Monaten beobachten können.
({3})
In dieser Kombination kann, denke ich, niemand abstreiten,
({4})
dass es im Bereich der unteren und mittleren Einkommen einige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt,
die in die kalte Progression rutschen. Dies ist kein rein
theoretisches Problem. Frau Höll hat es dargestellt. Die
kalte Progression führt dazu, dass die nominale Lohnerhöhung im Wesentlichen durch ein Hochrutschen in den
Steuersätzen aufgefressen wird.
Ich finde es gut, dass wir uns hier zumindest zwischen
vier Fraktionen - die Ausnahme ist die SPD-Fraktion einig sind, dass wir dieses Problem angehen müssen.
({5})
- Frau Kressl, ich habe mir die Beschlüsse der SPD in
den letzten Monaten sehr genau angesehen. Sie haben
sich rasant davon verabschiedet,
({6})
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier im Parlament zu vertreten. Volker Wissing hat es schon gesagt:
Sie sollten sich dafür schämen, dass Sie als traditionelle
Arbeitnehmerpartei dieses Feld vollkommen aufgeben.
Aber es gibt ja andere Parteien, zum Beispiel die FDP,
die sich dieser Gruppe annehmen werden.
({7})
Natürlich wird von den Oppositionsfraktionen sofort
wie ein Mantra gesagt: Wir müssen dann aber an anderer
Stelle Steuern erhöhen. Ich möchte zu bedenken geben,
dass es bei den Themen kalte Progression und Inflation
insgesamt um Gerechtigkeit, um das Austarieren zwischen den Interessen des Staats in Form des Fiskus einerseits und den Interessen der Steuerpflichtigen andererseits geht. Es darf nicht sein, dass der Fiskus
sozusagen als Gewinner der Inflation zulasten der Steuerpflichtigen auftritt. Das ist für mich ein grundsätzlicher Verstoß gegen die Gerechtigkeit.
Insofern ist auch eine Forderung wie „Wir müssen an
anderer Stelle Steuern erhöhen!“ ein Verstoß gegen die
Leistungsgerechtigkeit, die wir in Deutschland weiterhin
verteidigen müssen. Denn nur mit einer gesunden Leistungsgerechtigkeit, gerade im Steuer- und Abgabensystem, sorgen wir dafür, dass die Konjunktur bzw. die
Wirtschaft in Deutschland gut läuft, dass mehr Arbeitsplätze geschaffen werden und dass mehr Leute in Lohn
und Brot kommen. Das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit hat in den letzten zwei Jahren zu fantastischen Wirtschaftsdaten geführt.
({8})
Vor diesem Hintergrund kann ich nur dringend empfehlen, dass sich auch die Opposition des Themas „Kalte
Progression“ annimmt und nicht sofort reflexartig sagt:
Wir lehnen das ab.
Teilweise wurde gesagt, es gebe noch keine konkreten
Vorstellungen.
({9})
Offensichtlich waren sie aber so konkret, dass Sie sie sofort reflexartig ablehnen konnten.
({10})
Ich denke, wir sollten dieses Problem insgesamt angehen.
({11})
Ich lade Sie ein, zu diesem Thema einen konstruktiven
Dialog mit uns zu führen,
({12})
um dazu beizutragen, dass das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit weiterhin gilt.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat der Kollege Dr. Axel Troost von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man die FDP hört, dann hat man das Gefühl, es
habe seit zehn Jahren ständig Steuersatzsteigerungen gegeben und nun müssten wir endlich einmal eine Steuersatzsenkung durchführen. Das Gegenteil ist doch der
Fall. Seit 2000 gab es - erst von Rot-Grün, dann von der
Großen Koalition, dann fortgesetzt von der jetzigen Regierung - ständig Steuersenkungen. Wenn man die Steuersenkungen von 2000 bis 2011 summiert, kommt man
zu dem Ergebnis: Es waren Mindereinnahmen von mehr
als 400 Milliarden Euro zu verzeichnen, nur bedingt
durch Steuersenkungen.
({0})
Dieses Geld fehlt den öffentlichen Haushalten. Dies war
ein ganz wesentlicher Grund dafür, dass wir eine steigende Staatsverschuldung hatten.
({1})
Jetzt gibt es das Regime der Schuldenbremse. Die
Schuldenbremse kann allerdings zur Investitionsbremse
und zur Zukunftsbremse werden, wenn wir nicht dafür
sorgen, dass die Einnahmen gesteigert werden. Deswegen hat Herr Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrats, damals in der Diskussion über die Schuldenbremse
gesagt: Wir brauchen keine Schuldenbremse, sondern
eine Steuersenkungsbremse. - Das halten wir für völlig
richtig.
({2})
Das heißt natürlich nicht, dass man am Grundkonzept
der Steuern nicht einiges ändern und dass man nicht in
bestimmten Bereichen Steuersenkungen durchführen
muss. Aber wir wollen keine Nettosenkung, sondern insgesamt mehr Steuereinnahmen. Insofern ist - abgesehen
von dem ganzen Chaos des Vorstellens - die Grundintention Ihres Konzeptes falsch. Das liegt nicht etwa daran, dass es noch nicht fertig ist, sondern daran, dass Sie
nicht auf ein Gesamtkonzept abzielen, das zumindest
aufkommensneutral ist oder zu Mehreinnahmen führt.
Wir haben unser Konzept zur Einkommensteuer heute
erneut dargelegt. Wir haben ein Gesamtkonzept, das wir
Ihnen bereits vor vielen Monaten und sogar schon in der
letzten Legislaturperiode erläutert haben. Die Kollegin
Höll hat es schon gesagt: Wir sind in der Tat für eine Linearisierung des Einkommensteuertarifs. Wir wollen dafür sorgen, dass der sogenannte Waigel-Buckel verschwindet. Damit würden wir einen großen Teil des
Gesamtproblems lösen, das darin besteht, dass Einkommenssteigerungen gerade im unteren und mittleren Einkommensbereich zu besonders hohen Steuersatzsteigerungen führen.
Das muss allerdings gegenfinanziert werden. Für uns
ist völlig klar: Wir brauchen bei der Einkommensteuer
wieder einen Spitzensteuersatz von mindestens 53 Prozent. Das ist übrigens nichts Besonderes. Das gab es
schon unter Helmut Kohl. Auch damals hatten wir keinen Sozialismus
(Norbert Schindler ({3}): Nein! Da haben wir eure Schulden bezahlt!
- nein, nein -,
({4})
sondern ein Steuersystem, das in der Tat noch einigermaßen zur Finanzierung der Infrastruktur beigetragen hat.
({5})
Wenn wir für Entlastungen sorgen wollen - ich glaube,
das macht Sinn und ist notwendig -, müssen wir uns um
die Gegenfinanzierung kümmern.
({6})
Um das einmal deutlich zu sagen: Nach Ihrem Konzept soll es im Einkommensteuerbereich zu einer Kürzung von 6,5 Milliarden Euro kommen. 57,5 Prozent
dieser Kürzung entfallen auf die Länder und Gemeinden.
Das wären 3,7 Milliarden Euro pro Jahr weniger. Um das
einmal konkret zu machen: Nordrhein-Westfalen hätte
pro Jahr 790 Millionen Euro weniger, Bayern 560 Millionen Euro und Baden-Württemberg 480 Millionen
Euro.
({7})
- Ihr Hinweis auf das „Mehr“ ist sehr schön.
Schauen Sie sich an - Herr Koschyk hat mir im Finanzausschuss, als wir darüber geredet haben, völlig zugestimmt -, wie die Steuerprognose für das Jahr 2012 im
Jahre 2008 im Vergleich zu der im Mai 2011 ausgesehen
hat. Es fehlen immer noch 60 Milliarden Euro. Wir haben bei den Schätzungen für das Jahr 2012 noch immer
nicht das Niveau von vor der Krise erreicht. Es stehen ja
auch weiterhin viele Kürzungen an, zum Beispiel das
80-Milliarden-Euro-Paket allein hier im Bund.
({8})
Insofern ist es für uns völlig inakzeptabel, hier neue
Löcher zu reißen, wodurch bei den Kommunen und bei
den Ländern, die jetzt schon nicht wissen, wie sie die
Schuldenbremse einhalten sollen, ebenfalls neue Löcher
gerissen werden. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, und
das haben wir heute dargelegt. Danach wird nicht nur
unten entlastet, sondern dadurch werden auch der Spitzensteuersatz verändert, die Vermögensteuer eingeführt,
die Erbschaftsteuer verändert, die Finanztransaktionsteuer eingeführt und viele andere Privilegien abgeschafft.
({9})
Nur so können wir insgesamt zu mehr Steuergerechtigkeit beitragen und eine Entlastung im unteren Bereich
erreichen.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Michelbach von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Zur Klarstellung: Unser politisches Konzept ist erstens, eine solide Haushalts- und Finanzpolitik zu betreiben - das sind
wir konkret angegangen -, zweitens, eine wirtschaftliche
Erholung zu erzielen und Wachstumschancen zu geneDr. h. c. Hans Michelbach
rieren - das sind wir erfolgreich angegangen -, und drittens, eine ungerechte Bereicherung des Staates durch die
kalte Progression zulasten der Steuerzahler zu verhindern - das gehen wir jetzt an. So sieht die Politik aus, die
wir im Koalitionsvertrag ganz klar gemeinsam festgelegt
haben.
({0})
Deswegen finde ich, dass wir auch heute offensiv darüber reden müssen.
({1})
Die Koalition will die Empfänger kleinerer und mittlerer Einkommen entlasten und die kalte Progression abschwächen.
({2})
Dadurch kann verhindert werden, dass Lohn- und Einkommenssteigerungen in Zukunft überproportional steuerlich belastet werden. Das ist im Sinne eines erfolgreichen
Wirtschaftsstandortes Deutschland und insbesondere im
Sinne unserer Steuerzahler und unserer Arbeitnehmer in
Deutschland.
({3})
Sie wissen es scheinbar gar nicht: Die Mehrheit der
Steuerzahler leidet unter der kalten Progression.
({4})
Bislang führt der Tarifverlauf dazu, dass selbst bei geringen Einkommenssteigerungen die Steuerbelastung überproportional steigt. Die Bundesbürger haben bei der
derzeitigen Inflation trotz Lohnerhöhungen unter dem
Strich monatlich oft weniger im Geldbeutel. Eine Gehaltserhöhung muss auch zu einem höheren Einkommen
führen und darf nicht nur eine höhere Steuerbelastung
bedeuten. 1 Euro mehr an Verdienst darf in Zukunft
nicht zu 2 Euro mehr an Steuern führen.
({5})
Zu dieser Situation kommt es durch eine überproportionale Steigerung der Steuerbelastung. Dieser Automatismus, der zu immer höheren Steuereinnahmen aufgrund prozentual immer höherer Steuerbelastungen
führt, wird von uns nach dem Prinzip „Mehr netto vom
Brutto“ gebremst werden.
({6})
Soweit progressionsbedingte Steuermehrbelastungen
auf rein nominalen Einkommenssteigerungen beruhen,
mit denen lediglich die Preissteigerungsraten im Zeitraum zwischen 2010 und 2012 ausgeglichen werden,
sollen sie durch eine gezielte Tarifsenkung zurückgenommen werden. Zum 1. Januar 2013 soll der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer angehoben und der
Steuertarif nach rechts verschoben werden. Zudem soll
der Tarif alle zwei Jahre an die Entwicklung der kalten
Progression angepasst werden, danach sollen entsprechende Tarifkorrekturen vorgenommen werden. So sieht
dieses Konzept aus.
({7})
Sie behaupten, dass es keine Inflation und daher keine
Notwendigkeit für einen Inflationsausgleich gibt. Das
klingt nach Ihrem Weltökonomen Helmut Schmidt, den
Sie heute oft zitieren. Mir ist noch bekannt, dass ihm
6 Prozent Inflation lieber waren als 6 Prozent Arbeitslosigkeit. Wie wir wissen, hat er beides bekommen. Das
ist Ihre Ökonomie. Wir haben eine Entlastung und kein
Modell zum Abkassieren vor.
({8})
Niemand soll hier verunsichert werden.
({9})
Unser Konzept führt für alle Steuerzahler zu mehr Steuergerechtigkeit. Die Opposition - das muss man deutlich
machen - hat letzten Endes vor, dem Steuerzahler möglichst viel Geld abzunehmen. Das heißt, Sie pflegen den
unersättlichen Staat. Sie wissen gar nicht, dass es uns
nicht um Steuergeschenke geht. Das Geld gehört zunächst den arbeitenden Menschen in Deutschland.
({10})
Sie aber verteilen das Geld schon jetzt. Das ist Ihre Philosophie.
({11})
Niemand wird von uns verunsichert. Es ist aber so:
Die Opposition ist für heimliche Steuererhöhungen. Sie
fordern Lohnerhöhungen, wollen aber für Ihre Staatsideologie Geld einnehmen. Das ist die Situation.
({12})
Staatsbeglückung der sogenannten Gutmenschen nennt
man das. Das Geld gehört nicht Ihnen, damit Sie wunderbare politische Ideologie betreiben können.
({13})
Das Geld gehört unseren Bürgerinnen und Bürgern. Sie
wissen am besten, was sie damit anfangen können.
({14})
Angesichts Ihres Steuererhöhungsprogrammes wird
klar, dass Sie arbeitnehmerfeindlich sind, weil Sie die
kalte Progression nicht abschaffen wollen bzw. ersetzen
wollen.
({15})
Ihre Steuerpolitik ist auch höchst leistungsfeindlich, insbesondere für die mittelständischen Steuerzahler. Der
Spitzensteuersatz für Personengesellschaften soll schon
bei 64 000 Euro gelten. Das trifft den Handwerker, der
für Investitionen Eigenkapital braucht. Das wollen Sie
wegsteuern. Die Erbschaftsteuer wollen Sie erhöhen.
Die Vermögensteuer wollen Sie einführen. Diese Programme kann Deutschland nicht brauchen. Das führt zu
Verhältnissen wie in Griechenland und zu nichts anderem.
({16})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Hinz von der
Fraktion der SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Volksmund hat fast immer recht, auch in diesem Fall. In
dieser Debatte - ich muss es am Anfang doch bringen -,
bekommt das Sprichwort - ich schaue in Richtung FDP,
Herr Dr. Volk - „Lügen haben kurze Beine“ eine ganz
neue Dimension.
Was wir hier gerade an Geschichtsklitterung gehört
haben, war schon sehr interessant. Die Aktuelle Stunde
trägt die Überschrift „Unklare Konzepte der Bundesregierung …“. Diese Überschrift zieht sich in dieser Regierung wie ein roter Faden durch die gesamte bisherige
Regierungszeit.
Steuererleichterung: Die FDP hat lange um Steuererleichterungen gekämpft. Endlich, endlich knickt die
CDU, knicken der Finanzminister und die Kanzlerin ein.
Allerdings zahlt die sogenannten Steuererleichterungen
der Steuerzahler.
(Dr. Daniel Volk ({0}): Was ist denn zum
1. Januar 2010 passiert?
Der Steuerzahler wird von den Erleichterungen kaum etwas merken.
({1})
Was Sie hier betreiben, ist Augenwischerei. Sie haben
permanent davon gesprochen, die kalte Progression abzumildern. Ich habe von Ihnen dazu überhaupt nichts gehört: keine Zahlen, kein tatsächliches Konzept, keine
Idee. Es gab nur Oppositionsbeschimpfung.
({2})
Das ist aber kein Problem; denn alle Ihre Ankündigungen wurden innerhalb einer Stunde einkassiert.
({3})
Oder sprechen wir es ruhig aus: Der Rettungsschirm
gilt der FDP, und zwar auf Kosten der Bürgerinnen und
Bürger. Dieser Rettungsschirm, der nichts anderes zum
Inhalt hat, als den kleinen Koalitionspartner FDP zu retten, zieht die CDU mit in den Abgrund. Ich kann Ihnen
versichern: Das wird Ihnen keine Stimme mehr einbringen.
({4})
Wie soll das alles bezahlt werden? Wenn es nach
CDU und FDP geht, wird es durch die Bürger, die Kommunen und die Länder finanziert. Das ist von den Kolleginnen und Kollegen schon sehr oft dargestellt worden.
Die kleinen Steuergeschenke, die Sie gerade verpacken
wollen, werden Kostensteigerungen und Gebührenerhöhungen zur Folge haben.
({5})
Am morgigen Donnerstag werden wir den Gesetzentwurf zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen beraten und verabschieden. Ist das nicht grotesk? Morgen
wollen wir die kommunalen Finanzen stärken, und heute
nehmen wir den Kommunen das Geld weg. Herzlichen
Glückwunsch, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP
und der CDU/CSU!
({6})
Auf dem sogenannten Gipfeltreffen der Koalition haben Sie beschlossen, weitere Milliarden Euro für Infrastruktur, Gesundheit und Pflege auszugeben. Es war
vom Koalitionsvertrag die Rede. Ich würde eher von einem Letter of Intent, einer beabsichtigten Vereinbarung
zu weiteren Projektgruppen und Arbeitsgruppen, sprechen; denn mehr ist es definitiv nicht.
({7})
Wo sind denn Ihre klaren Prioritäten? Wo ist Ihre Linie? Sie haben nichts als Kostensteigerungen vor. Von
Haushaltskonsolidierung ist nicht die Rede. Die Frage
der Neuverschuldung haben Sie schon gar nicht mehr im
Griff. Wie sollen die ganzen Mindereinnahmen kompensiert werden?
Kommen wir auf die Steuergeschenke zurück.
({8})
Schuldenfinanzierte Steuergeschenke sind unverantwortlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierung.
({9})
Allein in Nordrhein-Westfalen - Sie haben es bereits angesprochen, Herr Kollege - geht es um 700 Millionen
Euro.
({10})
Petra Hinz ({11})
- Wenn wir schon immer wieder über Geschichte reden:
Wer war denn dort fünf Jahre in der Verantwortung? Waren das nicht CDU und FDP?
({12})
Die sogenannten Steuergeschenke werden das Land
Nordrhein-Westfalen 700 Millionen Euro an Mindereinnahmen kosten. Damit sind das Geschenke auf Pump.
Aber vielleicht greifen Sie wieder in die Trickkiste
und erkaufen die Zustimmung im Bundesrat, der
schließlich auch zustimmen muss. Was sagen die B-Länder, also die CDU/CSU- und - die FDP gibt es ja auch
noch - FDP-geführten Bundesländer? Wir sagen: Steuersenkungen, also Mindereinnahmen, müssen durch eine
stärkere Belastung der Reichen über den Spitzensteuersatz ausgeglichen werden.
Was aber sagen die CDU-Ministerpräsidenten? Der
schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry
Carstensen sagt ganz klar, dass er keinen Spielraum für
Steuersenkungen sieht. Ich zitiere den Ministerpräsidenten: „Steuersenkungen zulasten der Landeskasse können
wir uns als Konsolidierungsland nicht erlauben.“
({13})
Ich könnte noch weitere Ministerpräsidentinnen und
Ministerpräsidenten anführen. Alle Ihre Kollegen schreiben Ihnen ins Stammbuch, dass diese Steuersenkung auf
Kosten der Länder und der Kommunen erfolgt.
Es bleibt bei Ankündigungen. Auch auf Anfrage im
Finanzausschuss bleibt die Steuerpolitik der schwarzgelben Regierungskoalition unklar und chaotisch. Sowohl in der Steuerpolitik als auch bei anderen finanzpolitischen Themen ist Schwarz-Gelb offensichtlich zerstritten.
({14})
Es gibt kein Konzept, sondern, wie gesagt, maximal einen Letter of Intent. Niemand weiß, woran er in der
Steuerpolitik ist.
Sie sollten wichtige Weichenstellungen vornehmen.
Heute war nichts zur kalten Progression oder zu einem
Konzept zu hören. CDU/CSU und FDP sind handlungsunfähig.
Ich will auch die Meinungen Dritter zitieren. Die
Wirtschaftsforscher stellen der Regierung ein miserables
Zeugnis aus.
({15})
Aus Zeitgründen will ich nicht näher darauf eingehen.
Frau Kollegin Hinz, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Noch einen Satz. - Nehmen wir zum Beispiel Herrn
Weidmann, den Bundesbankpräsidenten. Sie wissen sicherlich noch, dass er vorher als Berater von Bundeskanzlerin Merkel tätig war. Er hat ganz klar gesagt: „Angesichts der Risiken in der Finanzplanung und eines
krisenbedingt sehr hohen Schuldenstands muss die
Haushaltskonsolidierung Vorrang haben.“ Er spricht sich
gegen Steuersenkungsgeschenke aus.
Nehmen wir den Finanzminister.
Frau Kollegin Hinz, kommen Sie bitte jetzt sofort
zum Schluss.
Der Finanzminister hat deutlich gemacht, dass Ihre
Steuergeschenke und vermeintlichen Superentlastungen
nicht zu dramatischen Entlastungen führen würden. Das
war Ihr Minister.
({0})
Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat der
Kollege Dr. Mathias Middelberg von der CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Da hier eben die kalte
Progression angesprochen wurde, sollte man das Problem kurz am praktischen Beispiel erklären.
({0})
Nehmen wir einen Facharbeiter, der ein Jahreseinkommen von 43 000 Euro nach Hause bringt, als Beispiel. Wenn er eine Lohnsteigerung von 2,5 Prozent bekommt, erhält er im nächsten Jahr 44 075 Euro. Weil
durch die Steuerprogression die Summe, die er mehr
verdient, mit einem höheren Satz besteuert wird, steigert
sich seine Steuerlast von 4 644 Euro auf 4 900 Euro. Er
zahlt jetzt auch höhere Sozialabgaben. Was ihm netto
verbleibt, wird aufgrund der Preissteigerung, der Inflation, weniger wert. Das heißt, seine Kaufkraft wird effektiv geringer. Somit hat der Facharbeiter zwar nominal
gut 800 Euro mehr am Jahresende verdient, er und seine
Familie haben aber 138 Euro an Kaufkraft verloren.
Wir wollen nun diese schleichende Belastung, die
durch die Inflation und durch die Steuerprogression entsteht - der Steuertarif belastet die Leute immer stärker -,
über die Jahre ausgleichen. Das ist nichts anderes als ein
Stück Gerechtigkeit.
({1})
Darum geht es. Es geht nicht darum, dass wir besondere
Gruppen dieser Gesellschaft bevorzugen oder entlasten
oder bestimmte Gruppen gegeneinander ausspielen wollen. Es geht vielmehr ganz einfach um Gerechtigkeit.
({2})
Wir wollen, dass die Lohnsteigerungen nicht in der
Steuerkasse des Staates landen, sondern bei denen ankommen, die sie erwirtschaftet haben. Das sind die Arbeitnehmer in Deutschland.
({3})
Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger und grundlegender
Punkt. Es geht um Gerechtigkeit. Deswegen machen wir
diese Operation, deswegen halten wir das für richtig.
Es ist noch ein anderer Punkt angesprochen worden,
der auch mir wichtig ist. Ich glaube, man kann beide
Punkte miteinander verbinden - Herr Wissing hat das
schon erklärt -: Man kann Steuern in einem moderaten
Umfang senken und gleichzeitig die Staatsverschuldung
im Griff behalten.
({4})
Wie wichtig das Thema Staatsverschuldung ist, haben
wir heute Morgen ausgiebig diskutiert. Es ist jedem in
Deutschland und Europa jetzt deutlich geworden, dass
Staatsverschuldung gerade für unsere Währung sehr gefährlich ist.
Da wir beim Thema Staatsverschuldung sind: Ich bin
verwundert, welche Beiträge dazu hier teilweise geleistet wurden, gerade von den Kolleginnen und Kollegen
der Sozialdemokratie. Wenn ich mir die jüngere Entwicklung in Ihrem - ich sage mal - Mustervorzeigeland
Nordrhein-Westfalen ansehe, dann stelle ich fest, dass
das eine reine Katastrophe ist. Die Regierung dort hat
nach ihrem Antritt die Neuverschuldung des Haushalts
um 30 Prozent erhöht. Der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof hat den Haushalt 2010 inzwischen
für verfassungswidrig erklärt. Die Neuverschuldung des
Haushalts steigt von 6,6 Milliarden Euro, die von der
Vorgängerregierung vorgesehen waren, um 1,8 Milliarden Euro auf 8,4 Milliarden Euro. Im Endeffekt beträgt
die Neuverschuldung nicht so viele Milliarden.
({5})
- Auch wenn man die Mittel für die WestLB herausrechnet, ist das eine Katastrophenbilanz, Frau Hinz. Das ändert sich dadurch nicht.
({6})
Das Problematische ist - hier ist das Stichwort „Sparen“ angesprochen worden -, dass sich im Haushalt kein
einziger konkreter Sparvorschlag findet. Es sind nur
Positionen mit Mehrausgaben darin. Sie verteilen einfach nur Geld. Sie in Nordrhein-Westfalen verstreuen
das Geld der Bürger, Geld, das Sie nicht haben.
({7})
Das hat der Kollege Schick eben sehr richtig gesagt. Das
ist eine absolute Katastrophenbilanz: alles auf Pump,
kein einziger Sparbeitrag.
({8})
Die Süddeutsche Zeitung - weiß Gott kein CDU-Blatt schreibt dazu, mittlerweile habe sich ein politischer
Konsens herausgebildet:
… dass man die Neuverschuldung der Haushalte
senken muss, sich vorbereiten auf die Schuldenbremse, die im Jahr 2020 kommen wird.
In Nordrhein-Westfalen geht man den umgekehrten
Weg, man macht mehr Schulden als jemals zuvor.
Der Spiegel hat kommentiert: „Alle sparen, nur die
Neue nicht.“ Gemeint war Frau Kraft, Ihre Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen.
Das markiert den Unterschied zwischen unserer von
CDU/CSU und FDP geführten Bundesregierung und Ihrer von SPD und Grünen geführten Landesregierung in
Nordrhein-Westfalen.
({9})
Ich glaube, dass die Menschen mit dieser Bundesregierung ziemlich gut dran sind. Wie erwähnt worden
ist, sind wir von 5 Millionen auf weniger als 3 Millionen
Arbeitslose heruntergekommen.
({10})
Das ist im Grunde genommen schon der wichtigste Bilanzpunkt. Wir hatten im vergangenen Jahr 3,6 Prozent
Wachstum; in diesem Jahr sind es 2,8 Prozent. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren in diesem Land und kommen jetzt auch deutlich damit voran,
endlich die Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen.
Man kann zwar manches an der Art der Darstellung
dieser Regierung kritisieren. Ich sage Ihnen ganz ehrlich,
dass auch ich mir manche Optimierung in der Performance nach außen wünsche. Was die Resultate und die
Fakten angeht, können die Bürger in diesem Land sich
im Moment aber keine solidere, vernünftigere und bessere Regierung vorstellen.
Vielen Dank.
({11})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Vereinbarte Debatte
50 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei
({0})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin Frau Professor Dr. Maria Böhmer für die Bundesregierung das Wort.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Almanya“ hieß der Traum von einem besseren Leben. Allein zwischen 1961 und 1972 kamen
750 000 türkische Männer und Frauen in die Bundesrepublik. Sie wurden hier dringend als Arbeitskräfte gesucht. Mit ihrem unermüdlichen Einsatz haben diese
Gastarbeiter maßgeblich zum Wohlstand unseres Landes
beigetragen. Dafür danken wir ihnen sehr herzlich.
({0})
Für die Türkei war das Anwerbeabkommen ohne
Zweifel ebenfalls ein Gewinn. Mit ihrem in Deutschland
verdienten Geld unterstützten die Gastarbeiter ihre Familie. Das trug zur wirtschaftlichen Entwicklung in der
Türkei bei.
Was als Aufenthalt auf Zeit geplant war - zunächst
für zwei Jahre -, wurde für viele Menschen ein Bleiben
für immer. Heute leben viele schon in der dritten, ja in
der vierten Generation hier. Sie sind Teil unserer Gesellschaft. Deutschland ist ihre Heimat geworden.
50 Jahre Anwerbeabkommen - das bietet Anlass, innezuhalten und den Blick nach vorne zu richten.
In den letzten Jahren hat sich die Bundesregierung
mit aller Kraft für eine bessere Integration eingesetzt.
Wir wollen Migranten die gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen. Und wir wollen den Zusammenhalt in unserem Land stärken. Das ist angesichts der wachsenden
Vielfalt in unserer Bevölkerung unverzichtbar.
({1})
Im Deutschen Bundestag gibt es einen breiten Konsens darüber, dass Integration eine Schlüsselaufgabe für
unser Land ist. Wir haben in der Integrationspolitik bewusst umgesteuert. Integration muss gezielt gefördert
werden, aber sie muss auch gefordert werden. Integration kann nur gelingen, wenn wir mit den Migranten
sprechen und nicht über sie. Deshalb habe ich von Anfang an die Migranten und Migrantinnen und die gesellschaftlichen Gruppen an einen Tisch geholt. Das hat sich
bewährt.
Wir sind vorangekommen. Gerade bei türkischstämmigen Migranten lohnt sich ein differenzierter Blick.
Viele haben sich hier erfolgreich eine Existenz aufgebaut
- als Unternehmer, als Selbstständige. Beispiele gelungener Integration gibt es auch in anderen Bereichen. Sie
sind ein Vorbild dafür, dass man es schaffen kann, dass
der Aufstieg in unserem Land gelingt.
Damit Zuwanderer die Chancen in unserem Land voll
nutzen können, müssen sie die deutsche Sprache gut beherrschen. Darüber gibt es zum Glück keinen Streit
mehr. Mit den Integrationskursen haben wir eine wirkliche Erfolgsgeschichte geschrieben. Aber das reicht
nicht. Wir müssen von der nachholenden zur vorbereitenden Integration kommen. Für die Sprachförderung
heißt das, wir müssen so früh wie möglich ansetzen:
beim Spracherwerb im Herkunftsland und hier in
Deutschland in den Kindergärten. Die PISA-Ergebnisse
belegen, dass es vor allem bei Jugendlichen aus Zuwandererfamilien einen klaren Aufwärtstrend bei Bildung
und Ausbildung gibt. Wir sind auf dem richtigen Weg.
Aber noch immer gibt es großen Nachholbedarf bei den
drei Großbaustellen: Sprache, Bildung und Ausbildung
sowie Arbeitsmarkt.
Das 50-jährige Jubiläum des Anwerbeabkommens
bietet die Chance, ein neues Kapitel in der Integration
aufzuschlagen.
Erstens. Wir wollen mehr Verbindlichkeit. Dafür steht
meine Initiative der individuellen Integrationsvereinbarungen. Dafür steht der Nationale Aktionsplan. Und dafür steht das Gesetz zur Anerkennung von im Ausland
erworbenen Abschlüssen. Mit dem Anerkennungsgesetz
erhalten erstmals alle Migranten einen Rechtsanspruch
auf ein Anerkennungsverfahren. Viele Migranten aus der
Türkei haben sehnsüchtig darauf gewartet. Das Gesetz
bedeutet aber weit mehr als die Anerkennung beruflicher
Qualifikationen. Die Lebensleistung von Migranten wird
anerkannt und wertgeschätzt. Es ist ein Meilenstein in
der Integration und Teil unserer neuen Willkommenskultur.
({2})
Ich appelliere deshalb an die SPD, den Gesetzentwurf im
Bundesrat zügig zu verabschieden. Blockieren Sie ihn
nicht! Das haben die Menschen nicht verdient.
({3})
Zweitens. Es kommt darauf an, Zuwanderer von Anfang an und konsequent dabei zu unterstützen, in unserem Land anzukommen. Vor wenigen Tagen erklärte der
Minister für die Auslandstürken:
Menschen, die Deutsch wie ihre Muttersprache,
Türkisch jedoch wie eine Fremdsprache sprechen,
sind Ausdruck der Assimilation.
Das dient nicht der Integration. Wir brauchen von der
türkischen Regierung die klare Botschaft, die vielen Migranten ihre innere Zerrissenheit nimmt: Engagiert euch
mit ganzer Kraft in unserem Land! Sagt Ja zu Deutschland! Es ist eure neue Heimat.
Gestern habe ich die Preisträger des von mir initiierten Wettbewerbs „Heimat Almanya - Zeig uns Dein
Deutschland“ ausgezeichnet. Viele junge Leute haben
mitgemacht. Wir haben sie gefragt: Wie fühlt es sich an,
als junge Migrantin oder junger Migrant in Deutschland
zu leben? Was bedeutet Heimat, wenn man selbst in Berlin, Frankfurt oder Leipzig geboren ist, die Eltern aber
aus Trabzon, Istanbul oder Gaziantep stammen? Wo
fühlt ihr euch zu Hause? - Die Jugendlichen haben uns
ihre Antwort gegeben: Heimat ist da, wo man sich wohlfühlt. - Das ist so in ihrem Deutschland, in unserem gemeinsamen Deutschland. Mit gemeinsamen Geschichten
stärken wir das Wirgefühl. Aus vielen einzelnen Geschichten entsteht eine gemeinsame Geschichte. Es ist
die Geschichte unserer Zukunft.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Aydan Özoğuz von
der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Professorin
Böhmer, ich finde, wir sollten diese Debatte nutzen, um
an die zu erinnern, die damals zu uns gekommen sind.
Mir mutet ein bisschen befremdlich an, dass Sie uns zurufen, wir sollten dem Gesetz zur Anerkennung von im
Ausland erworbenen Abschlüssen zustimmen und es
nicht blockieren. Sie und Ihre Kollegen waren es doch
bisher, die das Ganze verschleppt haben. Wir fordern
schon seit langem ein solches Gesetz. Das war ein eigenartiger Zuruf, der nicht in diese Debatte passt.
({0})
Ein Teil deutscher Geschichte liest sich so:
In München holten sie uns in einen großen Raum.
Jeder von uns hatte eine Startnummer bekommen,
ich hatte die Nummer 311, und jetzt drückte man
uns einen Zettel in die Hand, auf dem das Ziel
stand, wo wir hinfahren sollten. Die anderen Türken waren immer in Gruppen, zu viert oder zu
fünft, und ich war die Einzige, die alleine war. Auf
meinem Zettel stand Uelzen. … In meinem Abteil
fand ich einen Plan, den blätterte ich durch und
schaute nach dem Namen „Uelzen“. Das war das
Einzige, was ich verstanden hatte. Ich werde in Uelzen arbeiten.
Nermin Özdil kam im März 1973 nach Deutschland.
Sie war damals eine von mittlerweile 600 000 Menschen, die aus der Türkei nach Deutschland gekommen
waren. Sie arbeitete in einer Stoßdämpferfabrik und in
einer Schneiderfirma in unserem Land, und dies einige
Jahrzehnte.
Das Abkommen, über das wir sprechen, jährt sich,
wie erwähnt, zum 50. Mal. Die Türkei war nach Italien
als erstem Land, 1955, Griechenland und Spanien das
vierte Land, mit dem ein solches Anwerbeabkommen
geschlossen wurde. Im ersten Jahr, also 1962 - ich
denke, auch an so etwas sollte man sich erinnern -, kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes
knapp 18 000 Türken nach Deutschland. Eine solche
Zahl - 18 000 - mutet heute fast ein bisschen niedlich
an. Es waren oft harte Tätigkeiten, für die in Zeiten des
wirtschaftlichen Aufschwungs keine einheimischen Arbeitskräfte gefunden werden konnten. Es ist diesen Menschen nicht allzu oft für das gedankt worden - ich fand
sehr schön an der Rede von Professor Böhmer, dass sie
es getan hat -, was sie für Deutschland getan haben. Das
vielzitierte Wirtschaftswunder Deutschlands wäre nämlich ohne ihre Mithilfe sicherlich nicht vollendet worden.
({1})
Deswegen danke ich ihnen sehr und drücke im Namen
der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten meine
Anerkennung aus.
Viele dieser ersten Gastarbeiter sind inzwischen verstorben; auch Nermin Özdil, von der ich berichtete - sie
hat mir einmal ihre Geschichte erzählt -, lebt nicht mehr.
Die meisten haben ihre Geschichten leider nie erzählt,
häufig nicht einmal den eigenen Kindern. Daher ist es so
wertvoll, dass in den vergangenen Jahren Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Regisseurinnen und Regisseure, Journalistinnen und Journalisten recherchiert und
dokumentiert haben. Einer der größten Erfolge war der
Film Almanya der Schwestern Yasemin und Nesrin
Samdereli, mit dem sie ein größeres Publikum erreicht
haben. Ich glaube, sie haben ihrem Publikum das nahegebracht, was der vielzitierte Satz von Max Frisch: „Wir
riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“, wirklich
bedeutet. Meines Erachtens wurde dieser Teil der
deutsch-türkischen Lebensgeschichten zu wenig dokumentiert. Vielleicht ist das eine Anregung, es doch mehr
zu tun.
Die größte Zuwanderungswelle erlebte die Bundesrepublik im Jahr 1973. Die Arbeitsmigranten übernahmen
Jobs als un- oder angelernte Arbeiter in der Landwirtschaft, auf dem Bau, in der Stahl- und Automobilindustrie sowie im Bergbau. Interessanterweise wird meistens
nur der Bergbau erwähnt; aber es war ein breiteres Feld.
Die Arbeitsmigranten wurden meist in Wohnbaracken
untergebracht. Die ursprünglich geplante maximale Aufenthaltsdauer von zwei Jahren wurde dann entfristet,
weil es die Arbeitgeber hier in Deutschland waren, die
nicht damit einverstanden waren, die Leute anzulernen
und sie nach zwei Jahren wieder wegzuschicken, um
neue Arbeitskräfte zu bekommen. Diese Arbeitgeber haben damals dafür gesorgt, dass das Rotationsprinzip aufgegeben wurde.
Meine Eltern waren keine Gastarbeiter. Sie waren Unternehmer. Sie kamen schon in den 50er-Jahren immer
wieder nach Deutschland. Sie haben dieses Land häufig
besucht, bevor sie hierher siedelten, und sie gehörten damit zu den ungefähr 7 000 türkischen Staatsbürgern, die
schon vor der Anwerbung von Gastarbeitern hier waren.
Auch in den 70er- und 80er-Jahren sind Menschen aus
vollkommen unterschiedlichen Beweggründen hierhergekommen, meist im Familiennachzug, wie wir wissen,
als Studenten, als Flüchtlinge. Die Differenziertheit von
Lebensentwürfen zu verstehen und diese nicht pauschal
über ethnische Herkünfte oder gar über Religionszugehörigkeiten zu definieren, das sehe ich als eine der ganz
großen Aufgaben für unsere Zukunft an; denn das schaffen wir bisher irgendwie noch nicht.
Johannes Rau sagte im Jahr 2000 - Zitat -:
Wir brauchen einen breiten Konsens über Integration und Zuwanderung.
Das ist schon elf Jahre her.
Darum bitte ich alle, die in unserer Gesellschaft
Auftrag und Stimme haben: Streiten Sie über den
besten Weg zu diesem Ziel. Aber so, dass weder
Angst geschürt noch Illusionen geweckt werden.
Dieses Ziel haben wir noch nicht erreicht, besonders
was das Erste angeht. Leider wird häufig mit dem Schüren von Ängsten gearbeitet, wenn es um Integration
geht.
({2})
Politisch ist für eine Kultur der Anerkennung und als
starkes Signal gerade für das deutsch-türkische Zusammenleben der Schritt hin zu echter doppelter Staatsangehörigkeit für uns Sozialdemokraten längst überfällig.
({3})
Ich glaube, das haben sich gerade die Älteren lange für
ihre Kinder gewünscht. Es ist schon ein Armutszeugnis,
dass das 50 Jahre nach Abschluss des Anwerbeabkommens immer noch nicht möglich ist; die Reaktionen aus
der Union zeigen, an wem es liegt.
Es ist schade, dass einst Zugewanderte, die mittlerweile im Rentenalter sind, einen Einbürgerungstest
durchlaufen sollen, in dem sie solche Fragen beantworten sollen wie die, welche Ausländer in der DDR gelebt
haben oder was behördlich zu tun ist, wenn man einen
Hund verschenken möchte. Ich glaube, das könnten wir
uns so langsam sparen.
({4})
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Die Aufgabe, die 56 Jahre nach der ersten Anwerbung von Gastarbeitern und 50 Jahre nach Abschluss dieses deutschtürkischen Abkommens vor uns liegt, heißt: Wie wachsen wir zu einer solidarischen und starken Gesellschaft
zusammen? Ich ende mit einem Satz von Johannes Rau:
Es kommt nicht auf die Herkunft des Einzelnen an,
sondern darauf, dass wir gemeinsam die Zukunft
gewinnen.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat der Kollege Serkan Tören von der FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der
30. Oktober 1961 markiert, geschichtlich betrachtet, den
Beginn der Arbeitsmigration in die Bundesrepublik
Deutschland. An diesem Tag wurde das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei unterschrieben.
Zu diesem Jahrestag gibt es unterschiedlichste Veranstaltungen. Mit dem Kollegen Marco Buschmann, der
hier rechts sitzt, haben wir uns Gedanken darüber gemacht, was wir anlässlich dieses Tages aus dem Parlament heraus machen können. Ich bin froh darüber, dass
wir uns auf diesen Tagesordnungspunkt heute verständigt haben.
Rund 2,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben in Deutschland. Knapp 1 Million davon sind
mittlerweile deutsche Staatsangehörige. In den 60er-Jahren wurden Menschen aus der Türkei eingeladen, um
hier zu arbeiten. Sie waren tätig in der Schwerindustrie,
im Bergbau unter Tage und in der Stahlindustrie. Die türkischen Migranten der ersten Stunde haben unser Land
mit aufgebaut und unseren Wohlstand mit begründet.
({0})
Diese Menschen haben Offenheit bewiesen. Sie hatten
Durchhaltevermögen, sie hatten Leidenschaft und viel
Mut. Danke, dass Sie gekommen sind, sich mit Ihrem
Fleiß und Ihrer Kraft für unser Land eingesetzt haben,
und danke, dass Sie auch geblieben sind!
({1})
Zur aktuellen Situation muss man natürlich auch das
erwähnen, was vielleicht nicht so gut funktioniert hat.
Beispielsweise haben 38 Prozent der Jugendlichen türkischer Herkunft keine Ausbildung. Mit 21 Prozent sind
türkischstämmige Männer am häufigsten von Arbeitslosigkeit betroffen.
Aber es gibt auch viele positive Entwicklungen, die
leider allzu oft unter den Tisch fallen. So machen aktuell
rund 23 Prozent der Frauen türkischer Herkunft das Abitur - gegenüber 18 Prozent der Gesamtgruppe. Im Zeitraum von 1980 bis 1996 nahm die Gesamtzahl türkischer
Studentinnen um das 9,5-Fache zu. Viele türkischstämmige Migranten nutzen seit langem die wirtschaftlichen
Chancen der Selbstständigkeit, die sich hier in Deutschland bieten.
Im Großen und Ganzen, so muss man sagen, ist die
Zuwanderung aus der Türkei eine Erfolgsgeschichte für
uns alle.
({2})
Daran anknüpfend müssen wir in die Zukunft schauen.
Unser Ziel ist ein erfolgreiches Miteinander. Dazu müsAydan ÖzoðuzAydan Özoğuz
sen alle mitwirken: einheimische und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.
Mit Blick auf die Türkei heißt es: Umdenken!
Deutschland braucht qualifizierte Zuwanderer, und das
ist keine Frage von Hautfarbe oder Religion. Die Türkei
ist nicht nur als Handelspartner von immenser Bedeutung
für Deutschland; dort gibt es auch ein zunehmendes Fachkräftepotenzial. Das Bildungsniveau steigt stetig an.
Viele gut ausgebildete junge Menschen haben Beziehungen zu Deutschland, sind vielleicht sogar mit der Sprache
vertraut.
Hieran sollten wir anknüpfen und mit Leidenschaft,
Mut, Einsatz und Offenheit diese Erfolgsgeschichte
deutsch-türkischer Beziehungen fortschreiben. Leidenschaft, Mut, Einsatz und Offenheit, das sind die Eigenschaften, die Einwanderer und Einheimische auch im Jahr
2011 brauchen, um gemeinsam erfolgreich und friedlich
miteinander zu leben.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
Deutschland spricht man gern von deutschen Tugenden.
Man spricht auch gern vom deutschen Wirtschaftswunder oder von Deutschland als Exportweltmeister. Allzu
oft vergisst man dabei, dass die Hebung der Bundesrepublik Deutschland aus den Ruinen des Zweiten Weltkrieges und das Fundament der wirtschaftlichen Entwicklungen der Nachkriegsjahre von Menschenhand erarbeitet
wurden, von Menschen, die noch heute oft nicht an den
Früchten ihrer Arbeit teilhaben dürfen.
50 Jahre deutsch-türkisches Anwerbeabkommen - da
ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Diese Bilanz stellt die Feierlaune gerade aufseiten der bisherigen Bundesregierungen erheblich infrage. Denn wenn die Einwanderung aus
der Türkei als Erfolgsgeschichte dargestellt werden
kann, dann nicht wegen, sondern trotz der herrschenden
Migrations- und Integrationspolitik.
({0})
Deshalb möchte ich im Namen der Fraktion Die Linke
den vielen türkischen Migrantinnen und Migranten für
ihre Lebensleistung danken, mit der sie maßgeblich mitgeholfen haben, ein Wohlfahrts- und Sozialstaatsmodell
aufzubauen.
({1})
Die daraus erwachsenen sozialen Mindestsicherungen
haben ihnen die Bundesregierungen aber gezielt vorenthalten. Am 23. Januar 1971 hieß es im Handelsblatt:
Der nicht integrierte, auf sehr niedrigem Lebensstandard vegetierende Gastarbeiter verursacht relativ geringe Kosten von vielleicht 30 000 DM. Bei
Vollintegration muß jedoch eine Inanspruchnahme
der Infrastruktur von 150 000 bis 200 000 DM je
Arbeitnehmer angesetzt werden. Hier beginnen die
politischen Aspekte des Gastarbeiterproblems.
Jahrzehntelang basierte die offizielle Politik der Bundesregierungen darauf, den Betroffenen politische und
soziale Rechte zu verweigern: Integrationshilfen oder
Sprachkursangebote - Fehlanzeige; stattdessen Ausweisungsdrohungen und sogenannte Rückkehrförderung.
1988 legte der damalige Bundesinnenminister Friedrich
Zimmermann von der CSU einen Gesetzentwurf vor,
wonach ein Ausländer, der sich gut integriert hat, die
Aufenthaltserlaubnis verliert. Die Begründung war, dass
er durch seine Integration zeige, dass er nicht rückkehrwillig sei. Das ist völlig unverständlich.
({2})
Wenn auch heute gerade türkische Migrantinnen und
Migranten überdurchschnittlich oft keinen Schul- und
Berufsabschluss haben - das haben wir vorhin schon gehört -, dann ist dies nicht zuletzt auch eine Folge von
50 Jahren Diskriminierung und Dequalifizierung. Rolf
Weber von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände brachte es 1971 im Spiegel auf den Punkt:
Kein deutscher Arbeitgeber beschäftigt Ausländer,
um damit Bildungs- oder Entwicklungspolitik zu
betreiben. In erster Linie interessiert ihn die Arbeitskraft und was sie für den betrieblichen Produktionsprozeß zu leisten imstande ist.
Auch die Bundesregierungen hatten an sozial- und
bildungspolitischen Angeboten für die Migrantinnen und
Migranten keinerlei Interesse - als hätte sich seit 1912
nichts geändert. Am 23. Februar 1912 sagte Karl
Liebknecht im Deutschen Reichstag:
Sie wollen die ausländischen Arbeiter in Deutschland, aber sie sollen in Deutschland Sklaven sein …
Meine Damen und Herren, die aktuellen Zahlen vom
Statistischen Bundesamt zum Internationalen Tag für die
Beseitigung der Armut kommen einer Bankrotterklärung
der unsozialen Politik der letzten Jahrzehnte durch Konservative und Liberale, aber auch durch Sozialdemokraten und Grüne gleich. Diese trifft die Migranten aufgrund der rechtlichen Benachteiligung und strukturellen
Diskriminierung in besonderem Maße. Aber auch Berichte der Bundesregierung wie der 8. Lagebericht, der
Migrationsbericht, das Working Paper 36 „Migranten am
Arbeitsmarkt in Deutschland“ und andere zeigen die
Folgen von Ausgrenzung und Diskriminierung.
Obwohl die wesentlichen Handlungsfelder und die
Knackpunkte seit Jahrzehnten bekannt sind, hat sich im
Leben der meisten Migranten kaum etwas bis gar nichts
verändert. Wie auch? Der Bundesregierung geht es gar
nicht um die soziale Integration. Sonst würde sie dafür
sorgen, dass das vorhandene Geld in massive Ausbildungs-, Bildungs- und Arbeitsmarktförderung fließt
({3})
statt in milliardenschwere Bankenrettungspakete.
Keine gute Nachricht also zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens. Der Bundesregierung sind die Rechte türkischer
Staatsangehöriger egal. Auf diese kurze Formel lässt
sich die Politik der Regierung gegenüber türkischen Migrantinnen und Migranten bringen. Will sie dies ändern,
müssen Ausgrenzung und Diskriminierung endlich ein
Ende haben.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat der Kollege Memet Kilic von Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße sehr, dass wir den
50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens im Plenum des Deutschen Bundestags mit einer
besonderen Veranstaltung würdigen. Obwohl wir mutig
nach vorne schauen können, liebe Frau Böhmer, muss zu
diesem Anlass auch ein kritischer Blick auf die Integrationspolitik erlaubt sein.
Als türkischstämmiger Bundestagsabgeordneter erlaube ich mir, sowohl als Einwanderer, aber auch als Repräsentant des deutschen Volkes zu sprechen. Ich
möchte gleich am Anfang meiner Rede festhalten, dass
es viele gute Gründe gibt, trotz aller Schwierigkeiten, die
wir gemeinsam erlebt haben, uns gegenseitig Dank auszusprechen.
Die Einwanderinnen und Einwanderer aus der Türkei
haben ihre Jugend und Gesundheit in den Aufbau und
Ausbau unseres Landes investiert, haben unter schwierigsten Bedingungen gearbeitet und ungeliebte Tätigkeiten ausgeübt, für die sie keine hohen Löhne erhalten
haben. Wir bedanken uns für den Fleiß und die Bescheidenheit der türkischen Einwanderer der ersten Generation und für ihre hervorragenden Leistungen: Danke.
({0})
Immer wieder gab es in Krisensituationen Schuldzuweisungen gegen Einwanderer. Sie wurden zu Sündenböcken der unfähigen Politik gemacht. Im November 1973
wurde die Anwerbestoppverordnung erlassen. Ende der
70er-Jahre überboten sich CDU/CSU und SPD bei der
Das-Boot-ist-voll-Politik nach dem Motto: Wer geht härter gegen Einwanderer vor? 1982 sagte Helmut Schmidt
gegenüber der Zeit: Mir kommt kein Türke mehr über die
Grenze. - Acht Jahre später kam Memet Kilic über die
Grenze. 1983 wurde das sogenannte Rückkehrförderungsgesetz verabschiedet, um älter gewordene Einwanderer loszuwerden. Nach der Wiedervereinigung nahm
die Das-Boot-ist-voll-Politik überhand. Die Folgen waren verheerend. In Rostock, Hoyerswerda und Lichtenhagen wurden Flüchtlingsheime in Brand gesteckt. In Mölln
und Solingen wurden türkischstämmige Immigranten
verbrannt. - Dies sind die Schattenseiten, die neben den
prekären Lebenssituationen wie den alltäglichen Diskriminierungen den Einwanderern in Deutschland das Leben schwer gemacht haben. Dafür muss man sich entschuldigen.
Als es in der Türkei 1971 und 1980 zu Militärputschen kam, haben viele politisch Verfolgte in Deutschland Schutz für sich und ihre Kinder gefunden. Dafür
muss man sich bedanken. Viele Menschen haben eine
Arbeitsstelle gefunden. Herzlichen Dank dafür. Im Jahr
2000 wurde die sogenannte Kinderstaatsangehörigkeit
eingeführt, damit die Kinder von Einwanderern, die in
der dritten und vierten Generation in unserem Land geboren werden, nicht als Ausländer, sondern als Staatsbürger unseres Landes aufwachsen können. Herzlichen
Dank dafür.
({1})
Wir müssen aus der Vergangenheit lernen und mutig
in die Zukunft schauen. Es gibt noch Baustellen, die
dringend angepackt werden müssen. In erster Linie muss
unser Bildungssystem so ausgestaltet werden, dass die
Schulerfolge der Kinder weder vom Portemonnaie noch
von der Herkunft ihrer Eltern abhängen.
Des Weiteren müssen Einbürgerungen unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit erleichtert und das kommunale Wahlrecht auch auf Nicht-EU-Bürger erweitert werden. Dies hat schon der erste Ausländerbeauftragte, Heinz
Kühn, gefordert. Es ist ein Armutszeugnis für die Politik,
dass das Heinz-Kühn-Memorandum nach 32 Jahren immer noch auf dieselben offenen Baustellen hinweist.
({2})
Schließlich muss Deutschland die europarechtlichen
Vorgaben beachten. Das bedeutet zum einen Visafreiheit
für türkische Staatsangehörige. Das bedeutet zum anderen, dass Deutschkenntnisse nicht mehr zur Bedingung
für den Ehegattennachzug gemacht werden dürfen.
Ein gutes Miteinander ist von allen Seiten gewünscht.
Dies erfordert aber auch ein entsprechendes gesellschaftliches Klima. Wir brauchen endlich - nach mehr als
50 Jahren Anwerbeabkommen - ein Wirgefühl. Wir
können unsere Schwierigkeiten gemeinsam in die Hand
nehmen und bewältigen. Wir sind eine Gesellschaft. Unser Schicksal ist untrennbar mit dem Schicksal unseres
schönen Landes, der Bundesrepublik Deutschland, verbunden. Deutschland ist auch unser Land. Als Einwanderer stehen wir dazu, und als Deutsche finden wir das
gut. Bitte mehr Mut und Optimismus, liebe Kolleginnen
und Kollegen!
Vielen herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Reinhard Grindel von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
50. Jahrestag des Anwerbeabkommens mit der Türkei ist
auch für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein guter
Anlass, den positiven Beitrag zu würdigen, den unsere
türkischen Mitbürger zum wirtschaftlichen, aber auch
sozialen Wohlstand in unserem Land geleistet haben.
Frau Özoğuz hat die unterschiedlichen Wege und die unterschiedlichen Gruppen von türkischen Mitbürgern beschrieben, die zu uns gekommen sind. Es ist wahr: Darunter gibt es auch Flüchtlinge, die bei uns geblieben
sind, obwohl sie vielleicht kein Recht dazu gehabt haben. Aber das ist eben nicht die Mehrheit. Die Mehrheit
ist zu uns gekommen, weil wir sie - und damit auch ihre
Familien - zu uns geholt haben. Es ist richtig, dass diese
Menschen oftmals Arbeiten verrichtet haben, für die sich
keine deutschen Arbeitnehmer gefunden haben. Deshalb
sage ich: Auch für unsere Fraktion ist dieser Jahrestag
Anlass zur Dankbarkeit gegenüber unseren türkischen
Mitbürgern.
({0})
Zu Recht werden in diesen Tagen viele erfolgreiche
Zuwanderungsgeschichten in den Medien erzählt. Das
zeigt auch, welche große Bedeutung eine gute berufliche
Perspektive für eine erfolgreiche Integration hat. Gleichzeitig hören wir von einer wachsenden Zahl junger Türkinnen und Türken, die unser Land auch deshalb verlassen, weil sie - wahrscheinlich zu Recht - den Eindruck
haben, dass sie wegen ihres Migrationshintergrundes
nicht die beruflichen Chancen bekommen, die sie aufgrund ihrer Ausbildung verdienen. Deswegen will ich
mit allem gebotenen Nachdruck festhalten: Wir müssen
begreifen, dass wir uns nicht allein deshalb für Integration einsetzen, weil wir eine soziale Verantwortung
gerade gegenüber den nachfolgenden Generationen der
türkischen Arbeitnehmer haben, die vor 50 Jahren angeworben wurden; sondern im Kern geht es um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Es ist unser ureigenstes
Interesse - gerade angesichts der demografischen Entwicklung -, dass alle ausländischen Mitbürger in unserem Land eine gute Perspektive haben, weil nur so unser
Land eine gute Perspektive haben wird.
Mein Appell geht deshalb insbesondere an die vielen
türkischen Unternehmer, die es in Deutschland geschafft
haben: Sorgen Sie dafür, dass auch andere es schaffen!
Es ist so, dass die Ausbildungsquote bei den Unternehmen, die von türkischen Mitbürgern geleitet werden, leider unter dem Durchschnitt liegt. Das muss besser werden. Es muss mehr ausgebildet werden.
Das Thema Integration steht heute ganz oben auf der
politischen Agenda. Der Vorwurf ist berechtigt, dass das
viele Jahre - um nicht zu sagen: Jahrzehnte - nicht der
Fall war. Viele Deutsche gingen von einem nur vorübergehenden Aufenthalt aus. Aber auch viele unserer türkischen Mitbürger haben das lange Zeit so gesehen. Ich
kann mich entsinnen - mein Kollege Franz Josef Jung
hat eben daran erinnert -, dass die Bemühungen, in den
Schulen intensiv Deutschkenntnisse zu vermitteln, von
unterschiedlichen politischen Gruppen als Zwangsgermanisierung angesehen wurden und es manchmal noch
zum Konzept gehörte, den Jüngeren zu sagen: Bewahrt
doch die Heimatsprache!
Jetzt hat das Thema Integration eine neue Dynamik
erfahren. Die Integrationsbeauftragte, Staatsministerin
Böhmer, hat zu Recht darauf hingewiesen. Ich glaube, es
war richtig, dieses Amt dem Bundeskanzleramt zuzuordnen. Damit haben wir deutlich gemacht: Integration ist
für uns eine Querschnittsaufgabe; es ist aber auch Chefsache. Es wurden wichtige Themen angegangen: die Integrationskurse und das Gesetz zur Anerkennung von
Abschlüssen, mit dem wir die Qualifikationsschätze unserer ausländischen Mitbürger heben wollen. Das sind
ganz konkrete Maßnahmen, mit denen wir den Menschen vonseiten des Bundes wirklich helfen wollen.
Frau Özoğuz, Sie haben als einzige Forderung das
Thema doppelte Staatsbürgerschaft angesprochen. Das
hat mich deshalb überrascht, weil Ihr Förderer, der Parteivorsitzende Gabriel, nach einem unwidersprochenen
Bericht der FAZ am Montag im SPD-Präsidium gefragt
hat, ob die Neuauflage der Debatte über die doppelte
Staatsbürgerschaft nicht reichlich rückwärtsgewandt sei.
({1})
Er ging noch weiter. Er hat erklärt, die SPD habe zu
lange ein paternalistisches Verhältnis zu den Migranten
gepflegt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo Herr
Gabriel recht hat, hat er recht.
({2})
Es war die Bundeskanzlerin Angela Merkel, die zu Integrationsgipfeln in das Kanzleramt eingeladen hat, wo ich finde, das ist ein wichtiger Ansatz - nicht über die,
sondern ganz bewusst mit den Menschen mit Migrationshintergrund diskutiert wurde. Wir haben immer wieder
junge Migranten - Sie haben das in Ihrer Regierungszeit
nicht gemacht - zu Diskussionen im Kanzleramt über ihre
Lebensperspektiven in unserem Land eingeladen, auch
um ein deutliches Signal zu setzen, dass wir nicht über
sie, sondern mit ihnen reden wollen. Wir wollten damit
gerade auch für jüngere Migranten, die aufgrund der Optionsregelung oftmals deutsche Staatsbürger sind, das Signal setzen - ich sage das hier mit Blick auf die eine oder
andere Rede von Herrn Erdoğan -: Ihr Regierungschef ist
Angela Merkel und niemand anders.
({3})
Auch das muss festgehalten werden.
Lassen Sie mich kurz zu zwei Bereichen kommen, in
denen wir die Integrationsbemühungen meines Erachtens deutlich verstärken müssen: zu den Kindertagesstätten und zum Ehrenamt. Nahezu jedes zweite Kind, das
heute geboren wird, hat einen Migrationshintergrund.
Wir brauchen alle Kinder; wir können kein einziges am
Wegesrand stehen lassen. Insofern kommt den Kindertagesstätten eine zentrale Bedeutung zu.
({4})
- Weil ein Zwischenruf mit der Frage kam, was wir konkret täten: Wir haben gerade ein 400-Millionen-EuroProgramm des Bundes zur speziellen Sprachförderung in
Kitas aufgelegt. - Den Kindertagesstätten kommt deswegen eine zentrale Bedeutung zu, weil man dort die Erziehungsleistungen der Eltern unterstützen kann, wenn
das zum Beispiel in sprachlicher Hinsicht notwendig ist,
damit alle Kinder, wenn sie in die Schule kommen die
gleichen Startbedingungen haben. Gleiche Startbedingungen sind die entscheidende Voraussetzung dafür,
dass das vermieden wird, was im Zusammenhang mit
dem beruflichen Scheitern junger türkischer Mitbürger
zu Recht beschrieben worden ist. In den ersten fünf Lebensjahren werden die wesentlichen Weichen gestellt.
Da müssen wir mit sprachlichen und anderen Maßnahmen konkret helfen und gute Perspektiven schaffen.
Ich bin dafür, dass wir mehr dafür tun, dass sich gerade auch Türken ehrenamtlich in unseren Vereinen betätigen, und zwar nicht nur bei Türkiyemspor, sondern
auch bei der Eintracht oder bei Viktoria, als Trainer, Betreuer, Schiedsrichter oder eben auch im Vorstand, als
Schatzmeister oder Vorsitzender. Weil ich aus dem ländlichen Raum komme, will ich gern hinzufügen: Es gibt
noch viel zu wenige türkischstämmige Schützenkönige
({5})
und Mitglieder in Freiwilligen Feuerwehren. Auch das
gehört dazu: Menschen im Ehrenamt, die gemeinsam Integration erfahren und im wahrsten Sinne des Wortes
Schulter an Schulter mit Menschen mit Migrationshintergrund zusammenarbeiten.
Herr Grindel, kommen Sie bitte zum Schluss.
Integration muss im Staat und in der Zivilgesellschaft
gelingen. Wir von der Union leisten unseren Beitrag
dazu.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Josip Juratovic von der
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Grindel, ich kann Sie beruhigen: Ich war einmal Schützenkönig.
({0})
Das vor 50 Jahren geschlossene Anwerbeabkommen
mit der Türkei ist ein bedeutender Teil unserer deutschen
Einwanderungsgeschichte. Somit ist es auch ein bedeutender Teil des deutschen Wirtschaftswunders. Es waren
die sogenannten Gastarbeiter aus aller Herren Länder,
die Deutschland gemeinsam mit den deutschen Kolleginnen und Kollegen teilweise unter schwierigsten Bedingungen wirtschaftlich zu einer der erfolgreichsten
Gesellschaften der Welt gemacht haben. Dafür gebühren
ihnen unser Respekt und unsere Anerkennung.
Die Menschen kamen zu uns zunächst als Gastarbeiter. Sie kamen im jungen Alter, oftmals mit traurigen
Geschichten aus ihrer Heimat, die sie aus wirtschaftlichen, familiären oder politischen Gründen verlassen
mussten. Zu lange dachte die deutsche Gesellschaft, dass
die Gastarbeiter in ihre Heimat zurückkehren würden;
das dachten leider auch viel zu viele der Gastarbeiter.
Ich selbst habe eine klassische Gastarbeiterkarriere
durchlebt: Nach einer Ausbildung zum Kfz-Mechaniker
habe ich sieben Jahre lang als Lackierer am Fließband
gearbeitet und dort Integration gelebt. Denn mit mir arbeiteten kaum Deutsche, sondern hauptsächlich Gastarbeiter. Ich wurde vom Gastarbeiter zum Ausländer,
dann zum Migranten und schließlich zum Deutschen mit
Migrationshintergrund,
({1})
dabei wollte ich eigentlich immer nur ein Mensch sein.
({2})
In der Geschichte der Gastarbeiter war Integration
viel zu lange nicht vorgesehen. Doch spätestens seit die
Kinder und Enkelkinder der Gastarbeiter hier geboren
wurden, ist auch Deutschland zu ihrer Heimat geworden.
In Deutschland aber galt das Motto „Man hat sich gefälligst anzupassen“; andere wiederum warben für mehr
Toleranz. Doch Integration ist mehr als nur Anpassung
oder Toleranz. Erst unter Rot-Grün wurde akzeptiert,
dass wir hier tätig werden müssen. Erst dann wurde anerkannt, dass Deutschland, wie fast alle anderen europäischen Staaten, ein Einwanderungsland ist.
Anfänglich kam es hier zu sehr irritierenden Reaktionen, vor allem aus dem konservativen Lager, zum Beispiel mit der Debatte um Leitkultur. Es wurde sogar behauptet, dass Multikulti gescheitert sei. Aber Multikulti
ist doch Realität, zum Beispiel in unseren Fußgängerzonen: Neben dem Dönerstand befindet sich ein italienischer Modeladen, holländische Blumen werden verkauft, und im Radio wird überwiegend Musik mit Texten
in englischer Sprache gespielt - um nur ein paar Klischees zu benennen. Das heißt nicht, dass es beim Zu16032
sammenleben keine Probleme gibt; aber es heißt, dass
wir an dieser Realität nicht vorbeikommen.
Wir müssen vor allem verstehen: Integration ist mehr
als nur Sprachkenntnisse. Integration bedeutet vor allem
Identifikation, und zwar von beiden Seiten; denn Migration verändert unsere Gesellschaft, und zwar fortdauernd. Mit dieser sich im ständigen Veränderungsprozess
befindenden Gesellschaft müssen sich alle identifizieren,
die hier leben: aufnehmende Gesellschaft und Migranten. In der Integrationspolitik geht es nicht nur um juristische Feinheiten, sondern um Integration mit dem Herzen, die zu der von mir geforderten Identifikation führt.
({3})
Daran müssen wir unsere Politik ausrichten, und dafür
müssen wir die entsprechenden Rahmenbedingungen
schaffen.
Ich nenne als Beispiel die Debatte um die Staatsangehörigkeit. Die Staatsbürgerschaft hat für die Migranten
eine hohe symbolische Bedeutung. Sie ist eine Anerkennung für die Lebensleistung im Sinne von: „Ja, du gehörst zu uns.“ Es darf nicht darum gehen, entweder nur
die deutsche oder eine andere Staatsbürgerschaft zu haben. Auch bei der Visavergabe brauchen wir mehr Herz.
Im Petitionsausschuss habe ich oft Fälle, in denen Kindern der Familiennachzug verwehrt wird, oder Fälle, in
denen Familien ihre Verwandten nicht zu sich nach
Deutschland einladen dürfen.
Wir müssen Integrationspolitik mit Herz und Verstand
machen.
({4})
Identifikation schafft man nicht nur mit juristischen Paragrafen, sondern indem wir ein Klima der Empathie
aufbauen. Nur dann wächst zusammen, was zusammen
gehört, nicht nur Ost und West, sondern auch Deutsche
und Migranten in unserer gemeinsamen Heimat
Deutschland.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Jetzt hat der Kollege Johannes Vogel von der FDPFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich möchte meinen beiden Kollegen Serkan Tören
und Marco Buschmann für die Initiative danken, dass
wir heute diese Debatte führen. Es ist gut, dass wir der
50 Jahre Anwerbeabkommen gedenken; denn das war
der Beginn einer Einwanderungswelle, die unser Land
wie kaum eine andere geprägt, aber auch bereichert hat.
Deutschland ist schon immer ein Einwanderungsland
gewesen. Das ist keine neue Erfahrung für uns Deutsche.
Vor 300 Jahren sprach ein Viertel der Berliner fließend
Französisch, und Thomas de Maizière ist heute Bundesminister der Verteidigung. Vor 100 Jahren sprach eine
halbe Million Menschen im Ruhrgebiet fließend Polnisch,
und Deutschland wurde 1974 mit einem Grabowski im
Kader Weltmeister. Heute sprechen 2 Millionen Menschen in Deutschland die türkische Sprache, und wir alle
hoffen, dass Deutschland mit Mesut Özil bald Europameister wird.
({0})
Es ist wichtig, dass wir uns vergegenwärtigen, dass
Deutschland eine lange und erfolgreiche Einwanderungsgeschichte hat, weil wir in einer Zeit leben, in der
uns junge türkischstämmige Mitbürger leider in Richtung Türkei verlassen und in der wir den klügsten Köpfen der Welt endlich den roten Teppich ausrollen müssen. Ich glaube, dass Deutschland zu spät verstanden hat,
was Max Frisch gesagt hat: Wir riefen Gastarbeiter, und
es kamen Menschen. - Ich glaube, dass wir uns das zu
spät eingestanden haben. Ich glaube, dass uns das lange
den gesellschaftlichen Blick darauf verstellt hat, dass Integrationspolitik konkret gestaltet werden muss, von der
Sprachförderung über die Integrationskurse bis hin zum
modernen Staatsbürgerschaftsrecht. Mir ist wichtig, zu
betonen, dass uns das aber nicht den Blick auf folgende
Tatsache verstellen darf: Die türkische Einwanderung,
die nach Abschluss des Anwerbeabkommens bald weit
über das konkrete Anwerben von Fachkräften hinausging - das war schlicht eine Einwanderungswelle -, ist
vor allem eine große Erfolgsgeschichte für unser Land.
({1})
Das wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie
viele Erfolgsgeschichten, wie viele Aufstiegsgeschichten es gibt. Schauen wir einmal auf die Zahlen: Es gibt
heute 82 000 selbstständige Unternehmer, die entweder
die türkische Staatsbürgerschaft oder türkische Wurzeln
haben. Sie beschäftigen 400 000 Menschen in diesem
Land, erwirtschaften jährlich einen Umsatz von 40 Milliarden Euro und investieren jedes Jahr 8 Milliarden
Euro. Ich glaube, diese Zahlen verdeutlichen: Die türkische Einwanderung ist ein entscheidender Teil der Geschichte vom deutschen Wirtschaftswunder und ist auch
heute noch für unsere wirtschaftliche Stärke mit verantwortlich.
({2})
Dass es sich dabei um eine Erfolgsgeschichte handelt
- es ist mir wichtig, das zu betonen -, wird aber vor allem abseits der Zahlen deutlich. Ich möchte an dieser
Stelle ganz persönlich sagen: Dass sich der Vater meiner
Freundin in seinem Heimatdorf an der türkischen Westküste als junger Mann, der in Europa studieren wollte,
Johannes Vogel ({3})
entschieden hat, über Frankreich nach Deutschland zu
kommen, hatte ganz sicher auch damit zu tun, dass es
damals eben nicht ungewöhnlich war, als junger Türke
nach Deutschland zu gehen. Die Tatsache, dass er das
getan hat, dass er seine spätere Frau kennenlernte und
meine Freundin geboren wurde, ist für mich ganz persönlich abseits aller Zahlen entscheidend. Ich bin dankbar, dass er sich so entschieden hat, und ich bin dankbar
dafür, dass es die türkische Einwanderung nach Deutschland gab, weil sie mir die Liebe meines Lebens beschert
hat.
({4})
An dieser Stelle muss Folgendes einmal gesagt werden - ich denke an meine Freundin, an frühere Mitspieler mit türkischen Wurzeln bei TuRU Wermelskirchen,
lieber Kollege Grindel, und die unzähligen türkischen
Unternehmer und Vereine, die wir alle kennen; denn es
wird nicht nur mir so ergangen sein, sondern Millionen
Menschen in diesem Land -: Unser Land wäre heute ärmer, hätte es die türkische Einwanderung nicht gegeben.
Ich will mit einem Zitat der Schauspielerin Aylin Tezel,
die in dem wunderschönen Film Almanya mitgespielt
hat, schließen. Sie hat einmal gesagt, dass ihr in der Integrationsdebatte der liebevolle Blick auf das Ganze fehlt.
Ich glaube, sie hat recht - noch. Deshalb würde ich mich
freuen, wenn wir alle über diese Debatte hinaus den
kommenden Sonntag - das ist der 30. Oktober 2011 dazu nutzten, das 50. Jubiläum des Anwerbeabkommens
wirklich zu feiern. Wir feiern heute 50 Jahre türkische
Anwerbung.
Feiern kann man auch, indem man Danke sagt. Deshalb schließe ich mit dem Dank an die vielen Menschen,
die nach Deutschland gekommen sind und uns mit zu
dem gemacht haben, was wir heute sind, an. Ich glaube,
wir alle sollten das tun.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt der Kollege Stephan Mayer von der CDU/CSUFraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen!
Sehr geehrte Kollegen! In vier Tagen jährt sich zum
50. Mal der Abschluss des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei. Ich möchte zu Beginn gleich darauf hinweisen, dass dieses Abkommen
unter einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung geschlossen worden ist, insbesondere auf Betreiben des damaligen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard. Der Vollständigkeit halber muss man aber auch darauf
hinweisen, dass die Initiative von den USA ausging
- aus geopolitischen Erwägungen - und von der türkischen Regierung, aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus.
Es ist klar festzuhalten: Deutschland, vor allem die
deutsche Wirtschaft, hat enorm von der Einwanderung
türkischer Gastarbeiter profitiert. Das Wirtschaftswunder war Anfang der 60er-Jahre zwar schon voll im
Gange - das hat in den 50er-Jahren begonnen -, aber es
ist unzweifelhaft festzuhalten, dass die insgesamt mehr
als 800 000 türkischen Gastarbeiter, die im Rahmen des
Anwerbeabkommens bis 1973 nach Deutschland gekommen sind, entscheidend mit dazu beigetragen haben,
dass sich Deutschland so entwickelt hat, wie es sich entwickelt hat. Deswegen sollten wir an dieser Stelle ein
ausdrückliches Wort des Dankes und der Anerkennung
an die Adresse der türkischen Gastarbeiter richten.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass unsere türkischen Mitbürger damals auch große Demütigungen und
Diskriminierungen erleiden mussten, möchte aber darauf
hinweisen, dass auch die türkische Gesellschaft, auch
das türkische Volk von diesem Anwerbeabkommen profitiert hat. Ich zitiere Necla Kelek, die vorgestern im
Feuilleton der FAZ geschrieben hat:
Ein deutscher Arbeitsvertrag war so wertvoll wie
ein Lottogewinn. Es gab viermal so viele Bewerber,
wie Stellen vermittelt werden konnten.
Sie führt in ihrem Artikel aus, dass 1970 ungefähr
10 Prozent der damals 30 Millionen Menschen, die in
der Türkei lebten, teilweise oder gänzlich von Überweisungen aus Deutschland profitiert haben.
Es kamen Gastarbeiter, sie blieben, gründeten Familien, hatten Kinder und wurden sesshaft. Es gilt auch
festzuhalten, dass von den jetzt 3 Millionen in Deutschland lebenden Türken der überwiegende Teil sehr gut bis
gut in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Es gibt beeindruckende Lebensläufe und Karrieren. Unternehmer,
Ärzte, Juristen, Ingenieure, Bankkaufleute und Politiker
stammen von unseren türkischen Mitbürgern ab.
Lieber Herr Kollege Vogel, ich habe zwar keine türkische Freundin, aber ich habe in meinem Büro derzeit einen Praktikanten, der deutscher Staatsangehöriger ist
und dessen Großeltern als Gastarbeiter aus der Türkei
eingewandert sind. Er steht kurz vor dem erfolgreichen
Abschluss seines Jurastudiums und ist - auch dies ist bemerkenswert - ehrenamtlich engagiert. Er ist Basketballtrainer eines Damenzweitligisten hier in Berlin. Das ist
schön. Ich glaube, gerade angesichts dieses 50-jährigen
Jubiläums gilt es, die positiven Beispiele gelungener und
erfolgreicher Integration stärker ins Bewusstsein zu bringen und in den Vordergrund zu stellen.
({0})
Aber wir dürfen die Augen nicht vor den Problemen
verschließen. Teilweise bilden sich Parallelgesellschaften. Der Anteil der Schulabbrecher ist bei den türkischen
Schülern immer noch wesentlich höher als bei den deutschen Schülern; er ist ungefähr doppelt so hoch. Unter
den türkischen Mitbürgern ist der Anteil der Arbeitslosen etwa dreimal so hoch. Auch gibt es immer noch
Stephan Mayer ({1})
- zwar sehr vereinzelt, aber dies ist durchaus nennenswert - Probleme, wenn es um das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung geht.
Die Integration gehört ganz oben auf die politische
Agenda. Ich bin froh, dass seit 2005, seit die CDU/CSU
in der Bundesregierung ist, das Thema Integration nicht
nur in Sonntagsreden behandelt wird, sondern auch ganz
konkret in aktive Integrationspolitik mündet.
({2})
Dies gilt es an dieser Stelle positiv herauszustellen. Integration darf und kann nie eine Einbahnstraße sein. Wir
haben in sehr vorbildlicher, in beeindruckender Art und
Weise in den letzten Jahren allein seitens des Bundes
über 1 Milliarde Euro für Sprach- und Integrationskurse
unter anderem auch für türkische Mitbürger zur Verfügung gestellt. Ich erwarte, dass diese Angebote auch angenommen werden.
Es ist schön, dass das 50-jährige Jubiläum des Abschlusses des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und
der Türkei in einem großen Festakt am 2. November dieses Jahres in Anwesenheit unserer Bundeskanzlerin,
Angela Merkel, und des türkischen Ministerpräsidenten,
Tayyip Erdoğan, begangen wird. Ich glaube, dass mit
dem sehr würdigen Begehen dieses Jahrestages deutlich
wird, dass es traditionell eine enge Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern, zwischen unseren beiden
Völkern gibt. Ich glaube, wir sollten diesen Jahrestag
zum Anlass nehmen, noch stärker darauf hinzuwirken,
dass Missverständnisse und Vorurteile abgebaut werden
und dass deutlich gemacht wird, dass unsere türkischen
Mitbürgerinnen und Mitbürger eine Bereicherung für
unser Land darstellen und die Vielfalt unseres Landes erweitern.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. Oktober 2011,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.