Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich grüße Sie sehr
herzlich. Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der gestrigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Aktionsplan 2011 der Bundesregierung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Frau Dr. Kristina Schröder. Bitte schön,
Frau Bundesministerin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gestern hat das Bundeskabinett den besagten
Aktionsplan beschlossen. Damit setzen wir die bisherigen Maßnahmen auf diesem Gebiet fort und intensivieren die Anstrengungen dort, wo es notwendig ist oder
wo neue Herausforderungen auf uns zugekommen sind.
Das Thema „Sexueller Missbrauch/sexuelle Gewalt“
hat ja uns alle im letzten Jahr sehr beschäftigt. Das Besondere an dem Aktionsplan 2011 ist somit, dass auch
die Ergebnisse des Runden Tischs „Sexueller Kindesmissbrauch“ sowie die Ergebnisse der Arbeit der Beauftragten der Bundesregierung zum Umgang mit dem
sexuellen Kindesmissbrauch, Frau Dr. Christine
Bergmann, also der ehemaligen Familienministerin, in
ihn eingeflossen sind. Gleichzeitig stützt sich dieser Aktionsplan aber auch auf einen mehrjährigen Prozess, der
auf nationaler und internationaler Ebene stattgefunden
hat.
Der Aktionsplan umfasst sieben Handlungsfelder:
Das erste und wahrscheinlich wichtigste Handlungsfeld ist das der Prävention. Hier geht es vor allen Dingen
darum, Fachkräfte und Eltern dahin gehend zu befähigen, dass sie sexuellen Kindesmissbrauch erkennen können und dann auch angemessen reagieren können. In
diesem Feld setzen wir deswegen vor allen Dingen auf
eine Fortbildung von Fachkräften im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Wir planen groß angelegte Schulungsmaßnahmen, weil es gerade für diese Fachkräfte so
besonders wichtig ist, dass sie die Kompetenzen erlangen, sexuellen Missbrauch zu erkennen und angemessen
damit umzugehen. Auch das Kinderschutzgesetz, zu
dem wir am Montag eine Anhörung hatten, ist natürlich
ein ganz wesentlicher Baustein des Aktionsplans. Hier
haben wir neue Standards für Einrichtungen in Deutschland verankert, in denen es eine besondere Nähe zwischen Kindern und Erwachsenen gibt. Insofern ist dieses
Kinderschutzgesetz nach meiner festen Überzeugung
auch ein Meilenstein auf dem Gebiet der Prävention.
Der zweite Schwerpunkt - nämlich dann, wenn die
Prävention nicht funktioniert hat - ist die Intervention.
Hier geht es einerseits um Hilfe und Schutz für die Opfer, andererseits aber natürlich auch um eine konsequente Ermittlung und Bestrafung der Täter.
Der dritte Schwerpunkt sind die digitalen Kommunikationsnetze. Diesen haben wir gegenüber dem letzten
Aktionsplan 2003 weitgehend neu konzipiert. Zum
Thema „Digitale Kommunikationsnetze“ kann man sagen: Wenn es um Kinder geht, ist eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen in diesem Bereich, sichere Kommunikationsräume im Internet zu schaffen, in
denen sich die Kinder bewegen können, ohne Gefahr zu
laufen, auf Seiten zu geraten, die sie gefährden könnten.
Bei Jugendlichen kann man mit solchen sicheren, abgezäunten Räumen sicherlich nicht mehr allzu viel erreichen. Hier geht es vor allem um die Stärkung der Medienkompetenz. Weil dieses Thema in den letzten Jahren
so enorm an Bedeutung gewonnen hat, habe ich dies in
meinem Ministerium nachgezeichnet: Bei uns wurde ein
Referat „Jugend und Medien“ neu eingerichtet, das sich
mit ebendiesen Punkten befasst, und zum Beispiel auch
die Plattform „Dialog Internet“ gestartet.
Der vierte und der fünfte Schwerpunkt sind die Bekämpfung des Handels mit Kindern einerseits und die
Bekämpfung des Tourismus zur sexuellen Ausbeutung
von Kindern andererseits. Hier geht es einmal um eine
effizientere Strafverfolgung. Es geht aber auch um eine
Redetext
Zusammenarbeit mit der Tourismusbranche. Wir wollen
Unternehmen dafür gewinnen, dass sie alles tun, um
sexuelle Ausbeutung zu verhindern. Wir sind zum Beispiel sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist, dass
von führenden Verbänden und Unternehmen ein Verhaltenskodex zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung im Tourismus, ein Code of Conduct, unterzeichnet wurde.
Der sechste Schwerpunkt sind Forschungsvorhaben;
denn wir wissen auf diesem Gebiet zwar schon einiges,
haben aber immer noch einige Wissenslücken.
Der siebte und letzte Handlungsschwerpunkt ist
schließlich die internationale Zusammenarbeit, um Kinderschutzstandards weltweit zu verankern.
Das Ganze wird von einem Monitoringverfahren begleitet, damit immer wieder überprüft werden kann, ob
die Ziele des Aktionsplans erreicht werden.
Abschließend möchte ich sagen: Wenn es nicht den
Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ und die
Arbeit von Christine Bergmann gegeben hätte, dann
sähe dieser Aktionsplan - das ist ganz klar - jetzt etwas
anders aus. Insofern haben wir hier ein konkretes Ergebnis, eine konkrete Konsequenz aus den Missbrauchsskandalen, die im letzten Jahren aufgedeckt wurden und
uns alle sehr bewegt haben. Mit dem Aktionsplan können wir darauf nunmehr eine konzertierte und gebündelte Antwort der Bundesregierung geben.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Bevor ich die erste
Frage aufrufe, möchte ich das bei den vergangenen Regierungsbefragungen praktizierte Verfahren in Erinnerung rufen. Ich bitte Sie daher, sich bei Ihren Fragen und
Antworten an die Ein-Minuten-Regelung zu halten.
Nach Ablauf der Minute wird ein ganz sympathisches
Signal ertönen, das daran erinnert, dass man zum
Schluss kommen möge.
({0})
- Herr Kollege, es ist noch das gleiche Signal. Hier hat
in der Tat jeder eine andere Empfindung.
Jetzt versuchen wir, hier die richtige Reihenfolge zu
finden. Ich bitte um Nachsicht, wenn wir den einen oder
anderen übersehen haben.
Die erste Frage stellt nun Frau Kollegin Kerstin
Griese.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, ich
habe eine Frage zur Konkretisierung des sicherlich notwendigen Aktionsplanes. Sie haben selber darauf hingewiesen, dass es ohne den Runden Tisch „Sexueller
Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im
familiären Bereich“ dazu gar nicht in dieser Form gekommen wäre. Wir wüssten nun gerne ein bisschen genauer, welche Empfehlungen Sie konkret im Aktionsplan umgesetzt haben. Auch Christine Bergmann hat ja
immer wieder darauf hingewiesen - das war ein Ergebnis ihrer Arbeit -, dass es nicht reicht, den Bedarf festzustellen, sondern jetzt sehr konkrete Maßnahmen folgen
müssen.
Herzlichen Dank. Ich möchte Ihnen vielleicht zwei
Punkte nennen:
Der erste Punkt ist - das wurde unter anderem in der
Unterarbeitsgruppe „Prävention“ des Runden Tisches,
die ich geleitet habe, ganz deutlich -, dass es dringend
verbindlicher Standards und ihrer Umsetzung bedarf, um
eine Prävention sexuellen Missbrauchs zu erreichen. Wir
brauchen Standards in allen Einrichtungen und Organisationen, in denen eine besondere Nähe zwischen Kindern und Erwachsenen besteht. Das beginnt im Sportverein - auch hier gibt es diese besondere Nähe - und endet
bei Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder auch
Internaten. Es gibt dort ganz unterschiedliche Grade an
Verbindlichkeit; aber wir brauchen überall solche Standards. Diese Standards, die wir in der Unterarbeitsgruppe des Runden Tisches erstmals definiert haben, haben wir im Kinderschutzgesetz verankert, damit sie in all
den betroffenen Einrichtungen beachtet werden.
Der zweite Punkt, den ich Ihnen noch nennen möchte
- auch wenn gerade das sympathische Signal erklungen
ist -, betrifft die Ausstattung der Opferberatungsstellen.
Es gibt ein besonderes Bedürfnis, diese zu verbessern.
Aber dazu gibt es sicherlich noch Fragen.
Ganz sicher. - Nächste Fragestellerin, Frau Kollegin
Michaela Noll.
Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin, zunächst einmal herzlichen Dank. Der Aktionsplan 2011
ist dringend notwendig. Ich war selber bei der Rio-Konferenz und weiß, dass nach wie vor Handlungsbedarf besteht.
Ich habe eine kurze Frage zu den Therapieangeboten.
Das Projekt „Kein Täter werden“ ist ein Therapieangebot an der Berliner Charité, das einen Präventionsansatz
verfolgt und mit dem man meiner Meinung nach sehr
gute Erfahrungen gemacht hat. Es geht darum, dass aus
potenziellen Tätern keine richtigen Täter werden. Ist an
eine Ausweitung des Angebots gedacht? Was plant man?
Ist das ein Modell, das auch in anderen Regionen angewendet wird? Denn Berlin allein wird nicht die gesamte
Gruppe der möglichen Täter ansprechen können. Ich
wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dazu etwas sagen könnten.
Ich habe noch eine Frage zum Thema „Opferrechte
stärken“. Sie wissen, dass wir in der letzten LegislaturMichaela Noll
periode das Mainzer Modell auf den Weg gebracht haben, das vorsieht, dass Videovernehmungen von Kindern
zugelassen werden. Wird das auch auf internationaler
Ebene verfolgt? Greift man vermehrt auf Videovernehmungen zurück, um Kinder vor Mehrfachvernehmungen
zu schützen? Kinder sollten in Verfahren ja nicht erneut
zu Opfern werden.
Danke schön.
Zunächst zu dem Projekt „Kein Täter werden“. Professor Beier, der maßgeblich hinter diesem Projekt an
der Berliner Charité steht, es wissenschaftlich konzipiert
und umsetzt, war auch am Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ beteiligt und hat dort von seinen Erfahrungen berichtet. Eine Konsequenz daraus ist, dass das
Projekt „Kein Täter werden“ ausgeweitet wird. Es wird
in Zukunft also nicht nur an der Berliner Charité durchgeführt werden, sondern beispielsweise auch in Regensburg und anderen Standorten. Die Bundesregierung
- wobei ich das Lob vor allen Dingen an das Justizministerium weitergeben muss - wird nochmals 1,1 Millionen Euro in die Hand nehmen, um dieses wichtige
Projekt auszuweiten.
Zu Ihrer zweiten Frage: Wir sind uns in Deutschland
inzwischen einig, dass Videovernehmungen in der Tat
der richtige Weg sind, um die notwendigen Aussagen in
Strafverfahren von Kindern so schonend wie möglich zu
erhalten. Das ist ein wichtiger Punkt, den wir auf internationaler Ebene aus eigener Erfahrung einbringen können.
Danke. - Nächste Fragestellerin, unsere Kollegin
Frau Katja Dörner.
Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen herzlichen Dank
für Ihre Ausführungen. - Sie haben in die Präambel zum
Aktionsplan ausdrücklich aufgenommen, dass es Ihnen
darum geht, Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen gemeinsam mit
Kindern und Jugendlichen zu entwickeln. In welcher
Form sind Kinder und Jugendliche bei der Erarbeitung
des Aktionsplanes konkret eingebunden worden? Wie
soll diese Einbindung auch bei der Umsetzung der geplanten Maßnahmen gewährleistet werden?
Wir haben an vielen Stellen auf die Partizipation von
Kindern und Jugendlichen gesetzt. Als Beispiel nenne
ich Ihnen die Konferenz in Rio. Dort haben wir vorab
gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen Forderungen
erarbeitet. In den Jahren danach - angefangen hat es
2008 - wurden im Ministerium Nachfolgekonferenzen
veranstaltet, in die wir Kinder und Jugendliche einbezogen haben.
Gerade beim Thema Internet wären wir ohne die
Expertise der Jugendlichen nicht so weit, wie wir jetzt
sind. Deswegen hat die Bundesregierung den „Dialog
Internet“ ins Leben gerufen, in dem wir auch mit Jugendlichen, die selbst im Internet Akteure sind, einen
Maßnahmenkatalog ausarbeiten, zum Beispiel, welche
Maßnahmen man zum Schutz von Kindern ergreifen
kann. Eine Idee, die dabei herausgekommen ist, betrifft
die Frage, ob man es schaffen kann, virtuelle Kinderschutzzentren einzurichten.
Man sieht: Dort, wo es geht, haben wir auf die Mitarbeit von Kindern und Jugendlichen gesetzt.
Danke schön. - Nächste Fragestellerin, unsere Kollegin Frau Sibylle Laurischk.
Frau Ministerin, Sie haben in Ihrem Eingangsstatement gesagt, dass großer Wert auf die Prävention gelegt
wird. Wenn es um Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder
geht, ist aber auch die Intervention nicht zu vernachlässigen. Insofern interessiert mich, wie Sie die flankierenden
Maßnahmen, mit denen Opfern geholfen werden soll,
gestalten wollen. Es ist die Rede von einem noch nicht
existierenden regionalen Hilfesystem mit verbindlichen
Richtlinien. Sie planen auch die Bestandsaufnahme
möglicher Versorgungslücken. Welcher zeitliche Rahmen ist dafür vorgesehen?
Die Ausstattung der regionalen Anlaufstellen, insbesondere der Opferberatungsstellen, war ein großes
Thema der Unterarbeitsgruppe „Prävention“ beim Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“. Die Expertinnen und Experten haben uns gesagt: Schaut euch die Situation, vor allem die finanzielle Situation, erst einmal
genau an. Deswegen haben wir eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse werden im Oktober, also im nächsten Monat, vorliegen. Ich kann Ihnen
aber schon jetzt sagen, dass sich abzeichnet, dass bei den
Opferberatungsstellen in der Regel eine Mischfinanzierung vorherrscht; denn fast keine Beratungsstelle kann
allein aufgrund der Regelfinanzierung existieren. Das
bindet natürlich Ressourcen. Deshalb sind alle aufgefordert, eine Antwort auf die Frage, wie man die Finanzierung solcher Opferberatungsstellen auf eine sicherere
Grundlage stellen kann, zu suchen.
Ein finanzielles Problem ergibt sich für die Opferberatungsstellen insbesondere daraus, dass sie die Beratungsarbeit an Schulen und in Vereinen in der Regel
nicht abrechnen können. Deshalb haben wir im Kinderschutzgesetz für alle Personen, die beruflich in Kontakt
mit Kindern und Jugendlichen stehen, einen Anspruch
auf Beratung festgeschrieben. Von diesem Anspruch
profitieren dann wiederum die Opferberatungsstellen.
Nächste Fragestellerin, unsere Kollegin Frau Diana
Golze.
Vielen Dank, Herr Vorsitzender. - Frau Ministerin,
sowohl in den Diskussionen am Runden Tisch als auch
in der Anhörung am Montag zum Kinderschutzgesetz ist
die Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für
Gesundheit als zu gering eingeschätzt worden. Auch die
unabhängige Beauftragte, die Sie erwähnt haben, hat in
ihrem Abschlussbericht festgestellt, dass es diesbezüglich zahlreiche Lücken gibt. Ich finde in dem Aktionsplan auch keinen Hinweis, wie man diese Lücken schließen möchte. Ich frage deshalb konkret: Wie sieht die
Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Gesundheit auf dem Gebiet des Kinderschutzes aus, insbesondere bezüglich der Therapieangebote im ländlichen
Raum und der Krankenkassenleistungen für Opfer von
sexueller Gewalt?
Es gibt eine sehr intensive Zusammenarbeit mit dem
Bundesministerium für Gesundheit. Wir sind uns darüber einig, dass der Kinderschutz nicht an ministeriellen Grenzen haltmacht, sondern wir in der Regel eine
Problemlage vorfinden, die die Zuständigkeiten der unterschiedlichen Ministerien berührt. Es geht etwa um
psychisch-soziale oder medizinische Probleme. Deswegen spielt das Angebot der Familienhebammen im Kinderschutzgesetz eine so große Rolle; denn gerade die
Hebammen haben einen gemischten Zugang, weil sie bei
ihrer Arbeit sowohl auf medizinische als auch auf psychisch-soziale Notwendigkeiten stoßen. Deswegen genießen sie ja auch eine so hohe Glaubwürdigkeit.
Man kann sicherlich darüber streiten, inwiefern die
normalen Hebammen - so nenne ich sie jetzt einmal weitere Aufgaben übernehmen können. In diesem Zusammenhang haben viele Experten in der Anhörung am
Montag, an der auch ich teilgenommen habe, allerdings
gesagt, dass die rein medizinisch arbeitenden Hebammen zumindest eine Zusatzqualifikation benötigen, um
auf all das eingehen zu können, was Familienhebammen
leisten.
Nächste Fragestellerin, unsere Kollegin Frau Petra
Crone.
Danke schön, Herr Präsident. - Frau Ministerin, Sie
haben in Ihrer Einführung die Handlungsfelder aufgeführt. Ich möchte Sie fragen: Welchen konkreten gesetzlichen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung im
Zusammenhang mit dem Schutz vor sexuellem Missbrauch?
Was mein Ressort angeht, kann ich sagen, dass das
Kinderschutzgesetz unsere entscheidende Antwort auf
diese Herausforderung darstellt. Das Kinderschutzgesetz
ist kein Gesetz, mit dem wir alles verhindern können;
das ist klar. Es ist aber in einem langen Prozess unter
Einbindung der Fachwelt und in intensiver Beratung entstanden. Die Experten in der Anhörung am Montag waren ja der einhelligen Meinung, dass das Kinderschutzgesetz durch viele, teilweise auch sehr fachliche
Stellschrauben dazu beiträgt, sowohl die Vernachlässigung als auch den Missbrauch von Kindern etwas weniger wahrscheinlich zu machen, insbesondere dadurch,
dass das Kinderschutzgesetz sehr stark auf Prävention
setzt, dass es Standards für Einrichtungen verankert und
dass nunmehr an einzelnen Stellen ein erweitertes Führungszeugnis verlangt wird. Mit all diesen Maßnahmen
wird durch das Kinderschutzgesetz dazu beigetragen,
eine adäquate Antwort auf diese Herausforderung zu geben.
Nächste Fragestellerin, unsere Kollegin Frau Ekin
Deligöz.
Frau Ministerin, im Zusammenhang mit sexuellem
Missbrauch interessiert mich die Anlaufstelle der ExKollegin Bergmann. Es hat sich herumgesprochen, dass
Frau Bergmann zum Ende des Jahres aufhören wird. Wie
wird sich diese Stelle weiterentwickeln? Haben Sie dafür
Mittel im Haushalt eingestellt? Für welchen Zeitraum
haben Sie Mittel eingestellt? Wo finden wir das wieder?
Wie soll die Konzeption dieser Stelle in Zukunft aussehen?
Erst einmal muss man sagen, dass Frau Bergmann
wirklich einen großartigen Job gemacht hat. Sie hat bis
jetzt, also September 2011, insgesamt 20 000 Anrufe,
Briefe und Eingaben zum Thema sexueller Missbrauch
bekommen. Ihre Forderungen und ihre Handlungsempfehlungen, die sie am 24. Mai vorgelegt hat, sind ja auch
auf sehr große Zustimmung gestoßen.
In der Tat wird die Arbeit von Frau Bergmann im Oktober enden. Wir möchten aber, dass ihre Arbeit, die Arbeit dieser Stelle, fortgeführt wird, allerdings nicht mehr
in Form einer Beauftragten der Bundesregierung, sondern in Form einer unabhängigen Anlaufstelle, die es
weiterhin in meinem Haus geben wird. Damit besteht
auch in Zukunft die Möglichkeit - ich kann zumindest
für diese Legislaturperiode sprechen -, sich in Fällen sexuellen Missbrauchs ratsuchend an die Anlaufstelle zu
wenden. Also: Die Stelle wird fortbestehen.
Danke. - Nächste Fragestellerin, unsere Kollegin
Frau Heidrun Dittrich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau
Ministerin, wie wird die Bundesregierung die im Aktionsplan benannten Rechte der Opfer sowie den Schutz
von Kindern so verbessern können, dass Kinder unabhängig von den Eltern einen vorbehaltlosen Rechtsanspruch auf Beratung erhalten? Nach § 8 des SGB VIII
- Kinder- und Jugendhilfe - sind Kinder und Jugendliche nämlich bei allen sie betreffenden Entscheidungen
der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen. Eine Beratung ohne Eltern gibt es allerdings nur dann, wenn eine
Notlage dargestellt werden kann. Die Frage ist: Können
die Kinder ihre Notlage selbst definieren? Wie stärken
Sie die Rolle der Opfer, die sich unabhängig von den Eltern beraten lassen möchten?
Hinsichtlich der Beratung stellt sich außerdem die
Frage: Wie wollen Sie die Opferberatungsstellen, die es
schon jetzt gibt, wie Wildwasser und Zartbitter, gesetzlich verankern, personell qualifizieren und stärken? Wie
wollen Sie insgesamt eine personelle Verstärkung bei
den Beratungskräften, auch im öffentlichen Dienst, im
Jugendamt, erreichen?
Frau Kollegin, zu Ihrer ersten Frage: Es ist verfassungsrechtlich umstritten, ob es möglich ist, Kindern
und Jugendlichen unabhängig von den Eltern generell,
also auch außerhalb von Notlagen, einen eigenen Beratungsanspruch zuzubilligen. In diesem Zusammenhang
wird immer wieder das Argument vorgebracht, dass dies
ein Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern und deswegen verfassungsrechtlich problematisch sei.
Ich sage Ihnen aber auch, dass wir dies in unserem
Haus ganz genau prüfen; denn man kann in der Tat darüber streiten, ob es nicht doch einen solchen Beratungsanspruch geben sollte. Es gibt ja auch vergleichbare
Fälle. So können Jugendliche beispielsweise von sich
aus sagen: Wir möchten, dass geprüft wird, ob wir aus
unseren Familien herauskommen können. - Hier haben
wir ja dieses Konstrukt. Insofern muss man wirklich einmal prüfen, ob dies verfassungsrechtlich nicht doch
möglich ist.
Die zweite Frage, die Sie angesprochen haben, betrifft
die Opferberatungsstellen. Ich habe bereits erwähnt, dass
dies nach wie vor ein großes Thema am Runden Tisch
„Sexueller Kindesmissbrauch“ ist.
({0})
- Es waren ja zwei Fragen. - Die Opferberatungsstellen
werden erstens dadurch gestärkt, dass wir im Bundeskinderschutzgesetz nicht nur für Mitarbeiter der Kinderund Jugendhilfe, sondern für alle, die in einem besonderen Arbeitsverhältnis mit Kindern stehen, beispielsweise
Lehrer, einen Beratungsanspruch verankern.
Zweitens wird es eine Fortbildungsinitiative geben, in
deren Rahmen überwiegend Mitarbeiter der Opferberatungsstellen die Fortbildung durchführen. Insofern gibt
es auch hier eine Unterstützung.
({1})
Drittens muss man sagen, dass dies sicherlich nicht
allein Aufgabe des Bundes ist - auch das gehört zur
Wahrheit -, sondern vorwiegend eine kommunale Aufgabe. Diese Verantwortung kann nicht einfach zu uns herübergeschoben werden.
Nächster Fragesteller, unser Kollege Ilja Seifert.
Frau Ministerin, in welchem Maße berücksichtigt Ihr
Aktionsplan die Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen? Ich weise darauf hin, dass es immer noch so ist,
dass die Vergewaltigung einer behinderten Frau nicht als
Straftat gilt, sondern nur als Vergehen. Das sage ich vor
dem Hintergrund, dass es in Art. 7 der UN-Behindertenrechtskonvention um „Kinder mit Behinderungen“ und
in Art. 16 um die „Freiheit von Ausbeutung, Gewalt und
Missbrauch“ geht. Gibt es also einen besonderen
Schwerpunkt in Ihrem Aktionsplan, oder kommt dies gar
nicht vor?
Eine zweite Frage, die vielleicht ganz leicht zu beantworten ist: Gibt es eine verbindliche Vorgabe, dass alle
Beratungsstellen, die jetzt aufgrund Ihres Aktionsplanes
eingerichtet werden, barrierefrei zu sein haben?
Herr Kollege, zu Ihrer ersten Frage: In der Tat - das
haben uns auch Studien gezeigt - besteht für Kinder und
Jugendliche mit Behinderungen eine besonders große
Gefahr, Opfer sexuellen Missbrauchs zu werden.
Schauen wir uns einmal die Zahlen an: 16 Prozent der
Kinder und Jugendlichen, die auf normale Schulen - ich
nenne es jetzt einmal so - gehen, berichten, dass es einen
Vorfall in diese Richtung gab. In Internaten beträgt die
Zahl 28 Prozent, und bei Einrichtungen speziell für Behinderte beträgt die Zahl 30 Prozent. Insofern ist hier
- das ist unmittelbar einleuchtend - eine besondere Gefahrenlage gegeben. Gerade deswegen richten wir im
Bundeskinderschutzgesetz ganz besonders den Blick auf
die Standards in den Einrichtungen - dieser Punkt ist
sehr wichtig -, definieren hier Standards und schreiben
vor, dass deren Einhaltung dann auch überprüft wird.
Barrierefreiheit ist sicherlich ein wichtiger Punkt;
aber diese Frage betrifft eher die Ausgestaltung der Einrichtungen durch die Kommunen. Ich schaue mir diesen
Punkt dennoch gern einmal an.
({0})
Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Frau Aydan
Özoğuz.
Vielen Dank, Herr Vorsitzender. - Sehr geehrte Frau
Ministerin, ich habe wahrgenommen, dass Sie die Entwicklung eines Konzepts zur Medienbildung planen. Sie
haben eben ja auch noch einmal auf Ihre Internetaktivitäten hingewiesen. Meine Frage dazu lautet: Inwiefern
wird hier eine Verzahnung mit den Ergebnissen der Projektgruppe Medienkompetenz aus der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages vorgenommen?
Die Ergebnisse der Enquete-Kommission werden für
uns ganz wichtige Maßgaben dafür sein, wie wir als
Bundesregierung mit diesem Thema weiter umgehen.
Ich weiß, dass die Enquete-Kommission auf sehr innovative Möglichkeiten zurückgegriffen hat, um Knowhow abzuschöpfen und Hinweise zu bekommen. Wir
werden uns deshalb die Ergebnisse sehr genau anschauen.
Generell führt die Bundesregierung ganz unterschiedliche Maßnahmen auf diesem Feld durch.
Bei Kindern geht es uns vor allen Dingen darum, dass
sie sichere Webseiten besuchen. Ich möchte gerne auf
die von der Bundesregierung geförderte Suchmaschine
„Blinde Kuh“ hinweisen; diese kann ich Ihnen allen ans
Herz legen. Durch diese Suchmaschine finden Sie nur
Seiten, die für Kinder und Jugendliche geeignet und pädagogisch wertvoll sind.
Bei Jugendlichen dagegen setzen wir vor allen Dingen auf die Stärkung ihrer Kompetenz, gute Seiten zu erkennen.
Nächste Fragestellerin, unsere Kollegin Frau
Michaela Noll.
Herr Präsident! Frau Ministerin, ich habe eine kurze
Nachfrage. Ich habe eben bereits darauf hingewiesen,
dass einige meiner Kollegen im Jahre 2008 am großen
Weltkongress in Rio de Janeiro teilgenommen haben.
Dort wurde ziemlich deutlich: Deutschland hatte schon
damals Vorbildcharakter. Wir wurden von den Vertretern
anderer Länder oft gebeten, Informationen bereitzustellen.
Da wir wissen, Missbrauch endet nicht an deutschen
Grenzen, frage ich Sie: Inwieweit ist geplant, grenzüberschreitende Kontakte zu pflegen? Ist angedacht, Folgekonferenzen durchzuführen? Wie findet der Austausch
statt? Ich fände es sehr gut, wenn Deutschland weiterhin
darauf hinwirken würde, dass die richtigen Weichen gestellt werden. Im Rahmen der Folgekonferenzen haben
wir das schon getan. Welche Maßnahmen sind angedacht, damit Missbrauch grenzüberschreitend noch besser verfolgt werden kann? - Danke schön.
Frau Kollegin, wir sind vor allen Dingen über den Europarat international tätig. Wir unterstützen beispielsweise die Kampagne des Europarates zur Bekämpfung
sexueller Gewalt gegen Kinder. Wir haben uns auch entsprechend im Rahmen der Verhandlungen der Europäischen Richtlinien eingesetzt. Insofern: Wir wissen um
die besondere Rolle Deutschlands und versuchen, diese
auszufüllen.
Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Frau Katja
Dörner.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, mir ist in Ihren Ausführungen noch nicht deutlich geworden, welche konkreten Maßnahmen im Aktionsplan tatsächlich neu sind.
Ich möchte Sie auch fragen, wie die konkreten neuen
Maßnahmen im Haushaltsplan für 2012 finanziell unterlegt sind. Ich frage das vor dem Hintergrund, dass im
Haushaltsplan für 2012 sowohl für den Plan zum Jugendschutz, der uns noch nicht vorgelegt worden ist, als
auch für den Aktionsplan, über den wir heute diskutieren, gerade einmal 750 000 Euro zur Verfügung gestellt
worden sind.
Zunächst einmal: Es ist ein Missverständnis, von einem Aktionsplan zu verlangen, dass jede einzelne Maßnahme neu ist. Vielmehr knüpft dieser Aktionsplan an
den Aktionsplan 2003 an. Das, was sich bewährt hat,
wird fortgesetzt, und dort, wo es noch Lücken gibt, beispielsweise weil weiterer Forschungsbedarf besteht,
wird Neues initiiert.
Das wichtigste neue Gesetzgebungsvorhaben im Rahmen des Aktionsplans ist das Kinderschutzgesetz. Wenn
Sie sich die finanzielle Unterlegung des Kinderschutzgesetzes anschauen, dann werden Sie feststellen, dass wir
allein für den Einsatz von Familienhebammen in den
nächsten Jahren 120 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Man kann also wirklich nicht behaupten, die Bundesregierung sei nicht bereit, hierfür neue Mittel in die
Hand zu nehmen, und das trotz all der finanziellen Probleme, die wir haben. Aufgrund unserer Verantwortung
kann keine staatliche Ebene sagen: Das interessiert uns
nicht. - Der Bund muss vorlegen. Ich wünsche mir allerdings, dass auch Länder und Kommunen entsprechende
Anstrengungen unternehmen.
Nächster Fragesteller ist unser Kollege Herr Sönke
Rix.
Mich interessiert nicht nur die Frage, welche neuen
Maßnahmen im Aktionsplan enthalten sind, sondern
auch, welche anderen Ressorts beteiligt sind. Darüber hiSönke Rix
naus frage ich Sie: Frau Ministerin, welche konkreten
Maßnahmen und vor allen Dingen welche verbindlichen
Maßnahmen planen Sie im Bereich der Tourismuswirtschaft? Wird es verbindliche Zielvereinbarungen mit der
Tourismuswirtschaft geben? Schließlich haben Sie insbesondere darauf hingewiesen, wie es in Deutschland im
internationalen Vergleich um den Kinderschutz bestellt
ist.
Mit der Tourismuswirtschaft sind wir bereits zu verbindlichen Zielvorgaben gekommen. Wir haben gemeinsam - darüber sind wir sehr froh - den Code of Conduct
weiter vorangetrieben und arbeiten auf diesem Gebiet
- das sage ich, weil Sie nach der Beteiligung anderer
Ressorts gefragt haben - mit dem Bundeswirtschaftsministerium sehr eng zusammen.
Ein weiterer Punkt, der uns mit Blick auf den Tourismus wichtig ist, ist die Schulung derjenigen, die in diesem Bereich arbeiten. Sie müssen für das Thema „Sexueller Missbrauch von Kindern“ sensibilisiert werden.
Wir halten die Schulung und die Sensibilisierung der
Mitarbeiter in dieser Branche für einen weiteren ganz
wesentlichen Punkt.
Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Miriam
Gruß.
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Ministerin, ich habe
zwei Fragen.
Erste Frage. Sexueller Missbrauch findet ja vielfach
in den Familien statt. Wir haben uns sehr um die potenziellen Täter und um die Opfer - die Kinder und die Jugendlichen - gekümmert. In dem gesamten familiären
Umfeld gibt es aber natürlich auch Mitwisser oder zumindest Mitspürer, das heißt Menschen, die merken,
dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Inwiefern trägt
der Aktionsplan diesen Menschen Rechnung, möglicherweise durch eine Anlaufstelle in den Beratungsstellen?
Zweite Frage. Wir haben vorhin schon von den Rechten der Kinder gegenüber den Erziehungsberechtigten
gesprochen, womit nicht ein Gegeneinander, sondern
eine eigene Rechtsstellung der Kinder gemeint ist. Sie
haben ausgeführt, dass das Ministerium die rechtliche
Stellung von Kindern prüft. Ist darin auch explizit die
Prüfung einer Stärkung oder ausdrücklichen Nennung
von Kinderrechten im Grundgesetz eingeschlossen?
Frau Kollegin, zu Ihrer ersten Frage, welche Beratungsmöglichkeiten es für das Umfeld gibt. Das ist in der
Tat ein ganz entscheidender Punkt; denn wir wissen: Bei
sexuellem Kindesmissbrauch in Familien befinden sich
die Täter in der Regel im näheren sozialen Umfeld. Täter
sind nicht in erster Linie die leiblichen Eltern, sondern
eher Personen aus dem sozialen Nahfeld, zum Beispiel
die Bekannten der Eltern und unter Umständen auch die
neuen Partner der leiblichen Elternteile. Besonders in
diesen Fällen stellt sich die Frage, wie man sich verhält.
Man kann sich vorstellen, wie virulent das ist.
Die Bundesregierung wird die Arbeit der zentralen
Anlaufstelle von Frau Bergmann auch deswegen fortsetzen, damit die Betroffenen genau in diesen Fällen einen
Ansprechpartner haben; denn eines wurde sehr deutlich:
Dort haben viele angerufen, die gar nicht selbst betroffen
sind, sondern einfach nur wissen wollten, wie sie sich
adäquat verhalten. Deswegen ist auch die Arbeit der Opferberatungsstellen vor Ort so wichtig; denn auch sie
sind wesentliche Ansprechpartner.
Zu Ihrer zweiten Frage. Sie wissen, dass es auch in
der Koalition durchaus unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz gibt. Ich glaube, prüfen müssen wir hier nicht mehr
viel. Es ist uns schon relativ klar, was damit verbunden
und vielleicht auch nicht verbunden ist. Das ist jetzt Gegenstand der politischen Meinungsbildung. Ich habe hier
meine Vorbehalte, weil ich glaube, dass wir die Kinderrechte damit sogar eher entwerten würden; denn schon
jetzt steht im Grundgesetz nach meiner Überzeugung
dazu alles, was notwendig ist.
Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Diana
Golze.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, ich
muss schon noch einmal nachfragen. Ich hatte Sie
gefragt, wie sich die Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Gesundheit hinsichtlich der Therapieangebote gestaltet. Ich habe damit nicht die Familienhebammen gemeint. Auch hier wird die mangelnde
Zusammenarbeit kritisiert; aber mir ging es um den Abschlussbericht der Unabhängigen Beauftragten, in dem
von wirklich massiven Versorgungslücken gerade im
ländlichen Raum die Rede ist und in dem auch gefordert
wird, zu klären, welche Leistungen zukünftig noch in
den Katalog der Krankenkassenleistungen für die Opfer
von sexueller Gewalt aufgenommen werden. Dazu hatte
ich meine Frage gestellt.
In der Tat hat die Beauftragte der Bundesregierung,
Dr. Christine Bergmann, bei den Therapieangeboten Lücken identifiziert. Sie hat ihren Bericht im Mai 2011 vorgelegt. Dieser Bericht ging an den Runden Tisch zum
Thema „Sexueller Kindesmissbrauch“, der seine Arbeit
noch nicht abgeschlossen hat. Dort werden Empfehlungen dafür erarbeitet, wie diese Forderungen von Frau
Bergmann umgesetzt werden können. Hinsichtlich der
Therapieangebote ist natürlich auch das Bundesgesundheitsministerium gefragt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt jetzt noch
drei Fragesteller zu diesem Themenbereich. Ich gehe davon aus, dass ich sie auch noch aufrufen werde, um das
Ganze abzurunden. Danach gibt es noch eine Frage zur
gestrigen Kabinettssitzung, bevor wir dann zur Fragestunde kommen. - Die nächste Frage stellt jetzt unsere
Kollegin Frau Heidrun Dittrich.
Vielen Dank. - Erstens. Frau Ministerin, ist Ihnen bekannt, dass gerade bei sexueller Gewalt - im Volksmund
auch „sexueller Missbrauch“ genannt - die Aufklärungsrate sehr gering ist? Das heißt, gerichtlich eindeutig
nachweisbar ist die sexuelle Gewalt an Kindern nur in
den wenigsten Fällen, weil die medizinische Untersuchung nur sehr selten zu einer eindeutigen Beweislage
führt. Ist Ihnen das bekannt?
Zweitens. Ist Ihnen bekannt, dass die Jugendämter sowie die freien und öffentlichen Träger der Jugendhilfe
nur eine Möglichkeit haben, nämlich eine Person des
Vertrauens in die Familie und an die Seite des Kindes zu
geben? Wie wird mit Blick darauf die Personalaufstockung betrieben? Sie können sich nicht damit herausreden, dass die Kommunen kein Geld haben, auch wenn
das tatsächlich so ist, sondern Sie müssen sich als Regierungsmitglied fragen lassen: Wie kommt es, dass die
Kommunen für diese wichtigen Aufgaben, die schon
lange im Gesetz festgeschrieben sind, kein Geld haben?
Wie kann es sein, dass Sie da nicht gegensteuern?
Frau Kollegin, zu Ihrer ersten Frage: Selbstverständlich ist mir bekannt, dass, wie bei allen Straftaten, auch
hier ein Dunkelfeld existiert. Dass die Beweisführung
hier besonders schwierig ist, ist vollkommen klar, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass viele Menschen
erst im Erwachsenenalter darüber sprechen können und
wollen, was ihnen als Kind oder als Jugendlicher widerfahren ist. Daraus hat beispielsweise die Bundesjustizministerin die Konsequenz gezogen, eine Verlängerung
der Verjährungsfristen durchzusetzen. Das ist eine adäquate Antwort auf diese besondere Herausforderung.
Zu Ihrer zweiten Frage, die sich darauf bezog, dass
die Jugendämter kein Geld haben, um hier ihre wichtigen Aufgaben zu erfüllen, kann ich Ihnen nur sagen: Ich
mache da andere Beobachtungen in den Jugendämtern.
Es stimmt, dass die Jugendämter teilweise mit sehr
knappen personellen Ressourcen arbeiten müssen. Ich
merke aber doch, dass alle Jugendämter bei Hinweisen
auf sexuellen Kindesmissbrauch bereit und auch in der
Lage sind, so schnell wie möglich jemanden dort hinzuschicken. Gerade deswegen wurde argumentiert, dass
dies ohnehin gute Praxis der Jugendämter sei und im
Bundeskinderschutzgesetz nicht eigens festgeschrieben
werden müsse. Den letzten Punkt habe ich anders gesehen; aber das war die Argumentation aller Jugendämter.
Die nächste Frage stellt unser Kollege Dr. Ilja Seifert.
Frau Ministerin, vorhin reichte Ihre Antwortzeit leider nur dazu, uns mitzuteilen, dass Sie wissen, dass es
im Bereich von Menschen mit Behinderungen besonderen Handlungsbedarf gibt. Ich möchte Ihnen jetzt gerne
Gelegenheit geben, uns noch zu sagen, ob Sie in Ihrem
Aktionsplan vorgesehen haben, es wenigstens zu einem
Straftatbestand zu machen, wenn Kinder oder Jugendliche mit Behinderung vergewaltigt werden.
Zweitens. Gibt es in Ihrem Aktionsplan überhaupt einen Punkt dazu, dass an dieser Stelle besondere Aufmerksamkeit erforderlich ist?
Selbstverständlich ist die Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen genauso
strafbar wie die Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen ohne Behinderung. Dennoch habe ich Ihnen
auch erläutert, dass wir uns in besonderem Maße auf die
Standards in den Einrichtungen fokussieren.
Weiterhin ist zu erwähnen, dass auch die Behindertenverbände am Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ in besonderem Maße beteiligt waren. Auch sie
haben auf die Notwendigkeit solcher verbindlichen qualitativen Standards hingewiesen.
Die nächste und letzte Frage zu diesem Themenkomplex stellt unsere Kollegin Frau Gabriele Fograscher.
Frau Ministerin, Sie haben vorhin als Beispiel für einen Standard das Vorliegen des polizeilichen Führungszeugnisses genannt. Für welchen Personenkreis soll dies
gelten? Haben Sie daran gedacht, dass auch in Vereinen
ehrenamtlich Tätige ein solches Führungszeugnis vorlegen müssen?
Wir werden in Zukunft für alle hauptamtlichen Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe das erweiterte polizeiliche Führungszeugnis verbindlich verlangen. Natürlich war es ein heißes Thema am Runden Tisch
„Sexueller Kindesmissbrauch“, inwiefern man das auch
für Ehrenamtliche verlangen sollte. Es war dann aber
doch - so kann man, glaube ich, sagen - die sehr überwiegende Meinung, dass dies über das Ziel hinausschießen und ehrenamtliches Engagement kaputtmachen
würde. Dennoch wollen wir im Kinderschutzgesetz den
Trägern der Kinder- und Jugendhilfe ermöglichen, in bestimmten Situationen zu sagen: In diesem Fall verlangen
wir es aber doch. - Wenn beispielsweise ein dreiwöchiges Zeltlager begleitet werden soll, kann man sich vorstellen, dass es sinnvoll ist, ein solches erweitertes FühBundesministerin Dr. Kristina Schröder
rungszeugnis zu verlangen. Dazu geben wir den
Kommunen die Möglichkeit.
Vielen Dank, Frau Bundesministerin Dr. Kristina
Schröder.
Damit ist dieser Themenbereich beendet. Mir liegt
jetzt eine angemeldete Frage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen des Kollegen Dr. Gerhard Schick vor.
Ich habe eine Frage zur gestrigen Kabinettssitzung
zum Thema EFSF. Bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds sind verschiedene Varianten einer
effizienteren Nutzung der EFSF diskutiert worden. Der
Fachterminus dafür ist Leverage. Es ist daraufhin in
Deutschland von verschiedenen Mitgliedern der Regierungsparteien gesagt worden, das wolle man nicht. Über
die gestrige Kabinettssitzung ist öffentlich bekannt geworden, es gebe ein Einvernehmen darüber, dass das
Volumen der EFSF nicht aufgestockt werden solle.
Ich möchte präzise nachfragen: Besteht im Kabinett
Einvernehmen, dass die am Rande der Jahrestagung des
IWF diskutierten Formen der effizienteren Nutzung der
Garantien, also des Leverage, nicht eingesetzt werden
sollen? Verhandelt die Bundesregierung darüber mit den
Partnerstaaten, oder bereitet sie Verhandlungen vor, oder
tut sie das nicht?
Herr Kollege Schick, Sie haben den Sachverhalt zutreffend wiedergegeben. Ich kann das, was Sie gesagt
haben, bestätigen. Solche Verhandlungen finden nicht
statt.
Herr Kollege Dr. Schick, haben Sie eine Nachfrage?
Ich bedanke mich für die Beantwortung meiner zweiten Frage. Ihre Antwort auf die Frage zu den Verhandlungen ist klar. Meine erste Frage beinhaltete aber ein
„oder“.
Nein, die zweite Frage war eine Oder-Frage.
Schließt die Bundesregierung eine Nutzung der dort
diskutierten Instrumente, die ein Leveraging bezüglich
der Garantien im Rahmen der ESFS vorsehen, aus?
Ja. Aber der Kollege Kampeter kann dazu vielleicht
noch mehr sagen. Der erste Teil Ihrer Frage war aber
nicht insofern eine Oder-Frage, Herr Kollege, als man
die eine Frage mit Nein und die andere mit Ja hätte beantworten müssen. Deswegen war die Sachverhaltsdarstellung zutreffend.
Herr Kollege Schick, Sie fragen die Bundesregierung
nach Spekulationen. Dazu kann ich mich naturgemäß
nicht äußern, weil jeden Tag neue Spekulationen in der
Presse verbreitet werden. Wir sind aufgerufen, verlässliche Informationen zu geben.
Verlässlich kann ich Ihnen sagen, dass die Bundesregierung ganz klar daran festhält: Die Haftung im Fonds
ist auf 211 Milliarden Euro begrenzt, wozu wir dem
Deutschen Bundestag morgen eine Beschlussempfehlung vorlegen werden. Jedes weitere Wort dazu verbietet
sich, weil das spekulativ ist. Ich sage in aller Klarheit:
Sollte sich an dieser Lage irgendetwas verändern, wäre
nach der Beschlussfassung von morgen eine neuerliche
Befassung des Parlamentes nötig. Die klare Botschaft
ist: Die Obergrenze liegt bei 211 Milliarden Euro. Daran
wird jetzt nicht gerüttelt.
Nun hat der Kollege Herr Dr. Konstantin von Notz
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen noch eine
Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Haftungsobergrenze ist nicht das Gleiche wie der Leverage. Der Kollege Schick hat nach dem Leverage gefragt. Deswegen
bitte ich noch einmal um eine präzise Beantwortung der
Frage.
Herr Kollege, in der Beschlussempfehlung, die morgen dem Deutschen Bundestag vorgelegt wird, wird zum
einen die Höhe des ausgebrachten Volumens für Garantien auf rund 211 Milliarden Euro beziffert. Wir alle hoffen, dass wir sie nicht verwenden werden müssen; aber
sie sind ein guter Schutz für die deutsche Volkswirtschaft und die deutschen Arbeitsplätze.
Zum anderen werden die Instrumente benannt, mit
denen die EFSF ertüchtigt wird. Das sind erstens die
vorsorglichen Kreditlinien, die dazu dienen, Illiquiditäten in einzelnen Volkswirtschaften zu vermeiden. Zweitens sind es die Möglichkeiten zur Rekapitalisierung des
Bankensystems und damit zum Schutz der Stabilität des
deutschen Finanzwesens. Drittens ist es die Aufrechterhaltung von Liquiditätsmaßnahmen auf den sogenannten
Sekundärmärkten. Alle weiteren instrumentellen Verän15146
derungen verweise ich weiterhin in den Bereich der Spekulation.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe keine weiteren Fragen, sodass ich die Befragung der Bundesregierung beende.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/7083, 17/7169 Auch hier erinnere ich an die nun schon mehrfach
praktizierte Ein-Minuten-Regelung für Fragen und Antworten. Diese werde ich wieder durch ein entsprechendes Tonsignal unterstützen.
Bei der ersten Antwort werde ich das Signal jedoch
jeweils nicht auslösen. Ich bitte Sie dennoch, sich zu bemühen, auch bei der ersten Antwort die Minute nicht zu
überziehen.
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Satz 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 17/7169 auf.
Wir kommen zur dringlichen Frage 1 unserer Kollegin Frau Dr. Marlies Volkmer:
Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen,
um der laut Handelsblatt vom 26. September 2011 - „Bahrs
Verschlusssache birgt Sprengstoff für die Krankenkassen“ vielen Krankenkassen drohenden Insolvenz zu begegnen?
Zur Beantwortung der Frage steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Kollegin Annette WidmannMauz zur Verfügung.
Herr Präsident! Frau Kollegin Volkmer, Pressemeldungen, wonach die Hälfte aller gesetzlichen Kassen
kurz vor der Pleite stünde, entbehren jeder tatsächlichen
Grundlage. Dieser Behauptung widersprechen auch die
Verfasser des Gutachtens zu den Auswirkungen des Risikostrukturausgleichs. Vielmehr hat sich die Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten
Jahren deutlich verbessert. Besondere Maßnahmen zur
Verhinderung von Insolvenzen bei einer großen Zahl von
Krankenkassen sind daher nicht erforderlich.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin, Tatsache ist, dass die Bundesregierung der spektakulären Pleite der City BKK zu
lange tatenlos zugesehen hat, mit all den entwürdigenden Begleiterscheinungen insbesondere für ältere Menschen, die sich plötzlich eine neue Krankenversicherung
suchen mussten. Weitere Kassenschließungen sind nicht
auszuschließen.
Meine Frage ist: Hat die Bundesregierung Informationen über die Höhe der Unterdeckung, die die City BKK
damals hatte, und hat sie Erkenntnisse über eine aktuelle
Unterdeckung anderer Krankenkassen?
Frau Kollegin Volkmer, uns liegen keine aktuellen
Daten über die Deckungsquoten der Krankenkassen vor.
Da das Schließungsverfahren der City BKK, wie Sie
wissen, noch nicht vollständig abgeschlossen ist, wird
die Bundesregierung sicherlich erst den Abschlussbericht hierzu abwarten.
Im Übrigen fällt die Beurteilung der Liquidität und
der Deckungsquoten der einzelnen Kassen in die Zuständigkeit der jeweiligen Aufsichtsbehörde.
Frau Kollegin Dr. Volkmer, Sie haben eine zweite
Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, die Bundesregierung hat auf
eine Anfrage von mir in diesem Monat schriftlich geantwortet, dass sie derzeit keinen Bedarf an Änderungen
des bestehenden Risikostrukturausgleichs sieht. Ich frage
Sie: Schließen Sie aus, dass aufgrund dieser Einschätzung und Ihres Nichthandelns Krankenkassen in finanzielle Schieflagen geraten und Kasseninsolvenzen drohen könnten?
Frau Kollegin Volkmer, zunächst einmal möchte ich
Ihnen kurz über die Finanzsituation der gesetzlichen
Krankenkassen Auskunft geben; denn Sie werden dann
sicherlich meine entsprechenden Einschätzungen bestätigen bzw. Ihre Befürchtung revidieren.
Ende des Jahres 2008 verfügten die Krankenkassen in
ihrer Gesamtheit über Finanzreserven in Höhe von
4,9 Milliarden Euro. Für das Jahr 2011 spricht das Halbjahresergebnis der gesetzlichen Krankenversicherung
mit einem Kassenüberschuss von 2,4 Milliarden Euro
dafür, dass am Ende des Jahres 2011 - auch wenn im
zweiten Halbjahr die Überschüsse sicherlich nicht mehr
in demselben Umfang ausfallen werden - die Finanzreserven der GKV den Wert von rund 7 Milliarden Euro
bei weitem übersteigen werden. Auch wenn die Finanzreserven der einzelnen Krankenkassen sehr unterschiedlich sind, verfügt der mit Abstand größte Teil der
Krankenkassen unter Berücksichtigung der Halbjahresergebnisse 2011 mittlerweile über die erforderliche Mindestreserve von 25 Prozent einer Monatsausgabe. Deshalb schließen wir uns der Meinung der Wissenschaftler
an, dass derzeit Veränderungen nicht notwendig sind.
Ich rufe die zweite dringliche Frage der Kollegin
Dr. Marlies Volkmer auf:
Wie steht die Bundesregierung zu den Empfehlungen des
Wissenschaftlichen Beirates zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs, die dieser in seinem jetzt veröffentlichVizepräsident Eduard Oswald
ten Gutachten macht, insbesondere zu den Fragen der Begrenzung der Krankheiten im Risikostrukturausgleich und des
Methodenfehlers bei den Versicherten, die im laufenden Jahr
die gesetzliche Krankenversicherung verlassen?
Bitte schön, Frau Widmann-Mauz.
Frau Kollegin Volkmer, in seinem Bericht kommt der
Wissenschaftliche Beirat zur Weiterentwicklung des
Risikostrukturausgleichs zu dem Ergebnis, dass keine
wesentlichen Änderungen am derzeitigen Risikostrukturausgleich vorzunehmen sind. Der derzeitige Risikostrukturausgleich wirke zielgerichteter als der bis in das
Jahr 2008 geltende Risikostrukturausgleich. Vor diesem
Hintergrund besteht derzeit kein unmittelbarer Bedarf an
grundlegenden Änderungen. Hier soll zunächst die Erfahrungsgrundlage mit weiteren Jahresergebnissen aus
dem neuen morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich verbreitert werden.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Ich möchte fragen: Wie beurteilt die Regierung die
Erkenntnis des Gutachtens, dass Krankenkassen für gesunde Versicherte zu hohe Zuweisungen erhalten, während Geld für die Behandlung von krebskranken und
multimorbiden Patienten, also von Patienten mit vielen
Krankheiten, fehlt? Wie gehen Sie mit dieser Erkenntnis
um?
Die Bundesregierung schließt sich der Bewertung des
Beirates bzw. der Wissenschaftler an, nach der die
jetzige Auswahl an Krankheiten zu einer guten Zielgenauigkeit des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs führt, und zwar zu einer deutlich besseren,
wie ich in meiner Antwort auf die letzte Frage ausgeführt habe, als der Risikostrukturausgleich, der bis in das
Jahr 2008 Gültigkeit hatte.
({0})
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Dr. Volkmer.
Es ist schön, dass Sie das bestätigen, was die SPD
schon immer gesagt hat, nämlich dass ein morbiditätsbezogener Risikostrukturausgleich zu einer sachgerechteren Zuweisung führt. Dennoch kommt der Beirat zu
dem Schluss, dass es in diesem Bereich eine Unterdeckung gibt, wie ich sie bereits beschrieben habe. Mich
interessiert, welche Experten Ihnen bekannt sind, die die
aktuelle Methodik der Ermittlung der Zuweisungen für
die Krankenkassen aus dem RSA für zielgenau halten
und keinen Verbesserungsbedarf sehen.
Zunächst einmal darf ich darauf hinweisen, dass der
Wissenschaftliche Beirat in seinem Gutachten sowohl
eine Verringerung als auch eine Ausweitung der Zahl der
Krankheiten evaluiert hat. Auch hier hat er keine Veränderungen empfohlen, weder eine Reduzierung der Zahl
der zu berücksichtigenden Krankheiten noch eine Komplettierung der Zahl der zu berücksichtigenden Erkrankungen. Da es sich um namhafte Professoren wie Professor Wasem und Professor Wille handelt, die schon die
Vorgängerregierungen hilfreich beraten haben, haben
wir keinerlei Zweifel an den Aussagen, die vom Wissenschaftlichen Beirat getroffen wurden. Im Übrigen darf
ich daran erinnern, dass der geltende morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich auf die Beschlusslage der
Großen Koalition, also nicht nur der SPD, sondern auch
der Unionsfraktion, in der letzten Legislaturperiode zurückgeht.
Vielen Dank. - Hierzu gibt es eine Nachfrage der
Frau Kollegin Maria Klein-Schmeink.
Ich zitiere Seite 5 der Zusammenfassung des Gutachtens:
Die Erweiterung
- des Krankheitsspektrums würde zu einer Verbesserung der Zielgenauigkeit
des Morbi-RSA auf der Ebene von Individuen und
Gruppen von Versicherten führen und systematische Überdeckungen bei Krankenkassen mit geringer und Unterdeckungen bei Krankenkassen mit
hoher Morbidität tendenziell abbauen.
Wie verträgt sich diese schriftlich niedergelegte Aussage des Gutachtens mit Ihren Einschätzungen? Planen
Sie, auf die Empfehlungen des Gutachtens korrigierend
einzugehen?
Frau Kollegin Klein-Schmeink, bei meiner letzten
Antwort habe ich ausgeführt, dass der Beirat nicht nur
die Frage nach der Erweiterung, sondern auch nach der
Reduktion der Anzahl der zu berücksichtigenden Krankheiten untersucht hat. Er gibt keine Empfehlung ab, welche Maßnahme zielgenauer und damit unmittelbar umzusetzen sei. Wir halten es für richtig, den neuen
geltenden morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich erst nach einigen Jahren auszuwerten, bevor
Handlungen abgeleitet werden.
Es gibt eine weitere Frage unserer Kollegin Frau Elke
Ferner.
Frau Widmann-Mauz, Sie haben eben gesagt, dass die
Ausweitung der Zahl der Krankheiten von der Großen
Koalition beschlossen worden ist, also nicht nur von der
SPD, sondern auch von der Union. Trifft es zu, dass die
Union damals überhaupt keine Krankheiten im Rahmen
des Risikostrukturausgleichs berücksichtigen wollte,
während wir keine Begrenzung nach oben haben wollten? Trifft es ferner zu, dass die Aussage, die Sie gerade
gemacht haben, nämlich dass die Sachverständigen
keine Empfehlung gegeben haben, die Anzahl der
Krankheiten auszuweiten, im Widerspruch zu dem steht,
was die Kollegin aus der Kurzzusammenfassung des
Gutachtens vorgetragen hat?
Herr Präsident, ich möchte für das Protokoll anmerken, dass zumindest wir - ich hoffe aber, auch das Präsidium - der Frage nachgehen, ob ein Mitglied der Bundesregierung dem Parlament ordnungsgemäß und richtig
Auskunft gegeben hat oder nicht.
Frau Kollegin, ich will noch einmal ausdrücklich erwähnen, dass der Wissenschaftliche Beirat keinen akuten Handlungsbedarf sieht. Er hat verschiedene Szenarien bewertet und durchgerechnet. Wir schließen uns der
Meinung, dass kein akuter Handlungsbedarf besteht, an.
Dies schließt nicht aus, dass wir in einigen Jahren nach
der Auswertung des neuen morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs aufgrund einer größeren Erfahrung
zu neuen Erkenntnissen kommen. Der neue morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich beruht auf Daten, die
innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums erhoben worden sind. Deshalb werden wir diesen Bereich weiterhin
aufmerksam beobachten und die Diskussion mit dem
Parlament weiter führen.
Ich rufe die dringliche Frage 3 des Kollegen Harald
Weinberg auf:
Warum sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf, obwohl das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates
zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs gravierende Mängel darlegt, die unter anderem auf einer zu geringen
Anzahl der zugrunde gelegten Krankheiten und der mangelnden, aber international empfohlenen Einbeziehung verstorbener Versicherter beruhen und damit zu Überdeckungen für
junge und gesunde Versicherte sowie bestimmte Regionen
führen, und liegen der Bundesregierung Daten darüber vor,
wie hoch die Unterdeckung der City BKK im Jahre 2009 war?
Sehr geehrter Herr Kollege Weinberg, in seinem Bericht zum Risikostrukturausgleich hat der Beirat empfohlen, keine wesentlichen Änderungen am derzeitigen
Risikostrukturausgleich vorzunehmen. Der derzeitige
Risikostrukturausgleich wirke zielgerichteter als der bis
2008 geltende Risikostrukturausgleich. Vor diesem Hintergrund sieht die Bundesregierung keinen unmittelbaren
Bedarf an grundlegenden Änderungen; vielmehr soll zunächst die Erfahrungsgrundlage mit weiteren Jahresergebnissen aus dem neuen Morbi-RSA verbreitert werden.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Weinberg.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Es hat einige
Zeit gedauert, bis das Gutachten - die erste Fassung lag
bereits im Mai dieses Jahres vor - dann auch veröffentlicht worden ist. Meine Frage: Ist das Gutachten zumindest dem BVA zeitnah nach Erstellung übermittelt worden? Konnte es damit auch zur Aktualisierung des
Morbi-RSA verwendet werden?
Herr Kollege Weinberg, weil ich die Einzelheiten des
Postversandes und die dazugehörigen Eingangs- und
Ausgangsstempel im Moment nicht im Kopf habe, bitte
ich darum, diese Frage schriftlich beantworten zu dürfen.
Sie haben das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage,
Herr Kollege Weinberg.
Auch wenn Sie jetzt dargestellt haben, dass das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates mehrere Szenarien beinhaltet, kommt man in diesem Gutachten zu Ergebnissen, die wesentlich anders sind als das, was in
Ihrem Koalitionsvertrag enthalten ist. Dort wird nämlich
im Prinzip eine Reduzierung der Anzahl der im MorbiRSA zu berücksichtigenden Krankheiten angestrebt.
Gehe ich recht in der Annahme, dass wir zumindest auf
der Basis dieses Gutachtens nicht zu erwarten haben,
dass es zu einer weiteren Reduzierung kommt?
Das Ziel der Bundesregierung ist es, einen Risikostrukturausgleich zu etablieren, der zielgerichtet und so
unbürokratisch wie möglich ist. Ich habe Ihnen gegenüber ausgeführt, dass die Zielgerichtetheit des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs wesentlich besser ist als die des alten Risikostrukturausgleichs. Daher
sind wir diesem Ziel bereits deutlich näher gekommen.
Wir werden die weiteren Erfahrungen mit den entsprechenden Jahresergebnissen auswerten, auch im Lichte
dessen, was der Wissenschaftliche Beirat für diesen kurzen Zeitraum erarbeitet hat.
Vielen Dank. - Im Anschluss an die Fragen des Kollegen Weinberg möchte unsere Kollegin Dr. Marlies
Volkmer eine Nachfrage stellen.
Der Wissenschaftliche Beirat plädiert in seinem Evaluationsbericht dafür, die berücksichtungsfähigen LeisDr. Marlies Volkmer
tungsausgaben zukünftig nicht mehr über Stichproben,
sondern über eine Vollerhebung zu ermitteln. In diesem
Bericht steht, dies könne ohne Rechtsänderung vom
Bundesversicherungsamt und dem GKV-Spitzenverband
vereinbart werden. Werden Sie entsprechende Verfahrensänderungen unterstützen?
Frau Kollegin Volkmer, ich habe mehrfach ausgeführt, dass wir derzeit keinen akuten Handlungsbedarf
sehen, dass wir aber die Empfehlungen bei unserer Arbeit berücksichtigen werden. Ich wiederhole: Wir sehen
keinen akuten Handlungsbedarf.
Frau Dr. Volkmer, ich gebe Ihnen das Wort zu einer
weiteren Nachfrage, weil es einen Sachzusammenhang
gibt. Danach darf Frau Kollegin Bärbel Bas eine Nachfrage stellen.
Gerade bei dem letzten Sachverhalt besteht für Sie
keine Notwendigkeit, gesetzgeberisch tätig zu werden.
Das Bundesversicherungsamt kann von sich aus tätig
werden. Es braucht nur Ihre Zustimmung dazu. Wenn
das Bundesversicherungsamt hier zwecks Umsetzung tätig werden will, werden Sie dann entsprechende Unterstützung gewähren?
Frau Kollegin Volkmer, auch Fragen, die Handlungsbedarf auf nichtgesetzgeberischer Ebene anbelangen,
werden von mir mit derselben Antwort versehen. Deshalb: Wir sehen keinen akuten Handlungsbedarf. Das
heißt aber nicht, dass wir keine weiteren Erfahrungen
durch neue Ergebnisse von Berechnungen in unsere
Überlegungen einbeziehen. Genau das haben wir vor.
Jetzt erteile ich unserer Kollegin Bärbel Bas das Wort
zu einer Nachfrage.
Wir haben vorhin über Insolvenzen wie die der City
BKK gesprochen. Ist Ihnen die Situation der BKK für
Heilberufe bekannt? Droht da möglicherweise etwas?
Vorhin haben Sie ausgeschlossen, dass in den nächsten
Monaten weitere Insolvenzen anstehen.
Frau Kollegin Bas, diese Fragen richten sich an das
Bundesversicherungsamt. Sie wissen, dass ich hierzu
keine Aussagen machen kann. Ich habe in meiner vorherigen Antwort nicht ausgeschlossen, dass es Insolvenzen
geben kann. Aber der Eindruck, der über die Presse vermittelt wurde, dass flächendeckend mit Insolvenzen
infolge des Risikostrukturausgleichs zu rechnen sei,
entbehrt jeder Grundlage. Ich habe Ihnen die Gesamtergebnisse der Finanzsituation, auch was die Mindestrücklagen anbelangt, vorhin dargestellt. Wir sehen keinen Zusammenhang zwischen der Situation einzelner
Krankenkassen und dem Risikostrukturausgleich.
Jetzt hat unsere Kollegin Maria Anna KleinSchmeink das Wort zu einer Nachfrage.
Ich habe ein weiteres Zitat dabei und habe dazu Fragen. - Auf der Seite 7 der Zusammenfassung wird auf
den etwaigen Zusammenhang zwischen dem Rückgang
der Präventionsleistungen der Krankenkassen und dem
Morbi-RSA oder anderen Entwicklungen eingegangen.
Da wird festgestellt, dass es durch die Einführung der
Zusatzbeiträge zu einem Preiswettbewerb gekommen
ist, der unter anderem auch dafür verantwortlich sein
kann, dass die Präventionsleistungen zurückgehen. Es
wird empfohlen, den Zusammenhang im Auge zu behalten.
Daher meine Frage an Sie: Was tun Sie? Werden Sie
diesen eventuellen Zusammenhang mit dem Morbi-RSA
im Auge behalten? Mit welchen Instrumenten werden
Sie das konkret umsetzen?
Frau Kollegin Klein-Schmeink, Sie wissen, dass insbesondere den Koalitionsfraktionen sehr viel an dem
Thema Prävention und an der Berücksichtigung von Präventionsmaßnahmen bei den gesetzlichen Krankenkassen gelegen ist. Vor diesem Hintergrund werden wir weitere Erfahrungen sammeln, indem wir zukünftige
Jahresergebnisse auswerten.
({0})
Wir werden aufgrund der Erkenntnisse, die wir dabei gewinnen, zu Schlüssen kommen. Denen will ich aber
nicht vorgreifen.
Vielen Dank, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind, kommen wir zu den mündlichen
Fragen auf Drucksache 17/7083, und zwar zunächst zu
denen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Zur Beantwortung steht uns Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
werden schriftlich beantwortet. Das gilt auch, wie ich
eben gehört habe, für die Fragen 3 und 4 der Kollegin
Ute Vogt.
Vizepräsident Eduard Oswald
Ich rufe jetzt die Frage 5 des Kollegen Dr. Matthias
Miersch auf:
Inwieweit sind für Brennelemente aus den acht in 2011
stillgelegten Atomkraftwerken ausreichend Castorbehälter
verfügbar, um die Verweildauer in Abklingbecken auf das
technisch notwendige Maß zu begrenzen, und, falls diese
nicht vorliegen, welche Gründe sind gegebenenfalls dafür
verantwortlich?
Bitte schön.
Herr Kollege Miersch, aufgrund des Sachzusammenhangs würde ich die Fragen 5 und 6 von Ihnen gern zusammen beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 6 des Kollegen
Dr. Matthias Miersch auf:
Werden Brennelemente aus den in 2011 stillgelegten
Atomkraftwerken auch nach einer Abklingzeit von fünf Jahren in Abklingbecken gelagert werden, und welche Standorte
betrifft dies im Einzelnen?
Entsprechend § 9 a Abs. 1 Atomgesetz haben Betreiber der Kernkraftwerke dafür Sorge zu tragen, dass die
bestrahlten Brennelemente aus dem Betrieb geordnet beseitigt werden. Es liegt auch im Interesse der Betreiber
der Kraftwerke, die mit der 13. Atomgesetznovelle die
Berechtigung zum Leistungsbetrieb verloren haben, die
bestrahlten Brennelemente, sobald die sicherheitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind, in Zwischenlager zu
überführen, um die Anlagen zügig zurückbauen zu können. Es ist daher zu erwarten, dass die erforderlichen Behälter in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen werden. Der Bundesregierung liegen derzeit keine
anderslautenden Informationen vor.
Herr Dr. Miersch, Sie haben jetzt die entsprechende
Zahl von Nachfragen, da beide Fragen zusammenhängend beantwortet sind. Bitte schön, Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, die Frage lautete konkret, inwieweit Sie aufgrund der anfallenden
Atommüllmengen Engpässe bei der Bereitstellung von
Castorbehältern befürchten. Dazu haben Sie gesagt, dass
Ihnen keine Erkenntnisse vorliegen. Ich frage Sie: Sehen
Sie sich nicht in der Pflicht, zusammen mit den Betreibern eine Konzeption zu entwickeln, damit ausreichend
Castorbehälter zur Abholung dieses Mülls zur Verfügung stehen?
Zunächst: Wir sehen solche Engpässe nicht, Herr
Kollege Miersch. Wir haben aber die ESK um eine Stellungnahme gebeten. Diese Stellungnahme finden Sie
auch im Internet. Darin ist genau aufgelistet, welche
Schritte im Einzelnen zu unternehmen sind. Die Zeit für
den Verbleib von bestrahlten Brennelementen im Abklingbecken ist nicht limitiert. Sie liegt in der Regel in
der Größenordnung von fünf Jahren. Wenn es von jetzt
gerechnet fünf Jahre sind, können wir durchaus annehmen und berechtigte Hoffnung haben, dass wir, wenn
sich der Genehmigungsbedarf aufgrund des Abbrands
verändern sollte, rechtzeitig entsprechende Genehmigungen erteilen können. Den von Ihnen befürchteten
Engpass sehen wir nicht.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege Miersch.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir die Frage beantworten, mit welcher Anzahl von Castoren pro Atomkraftwerk das Bundesumweltministerium rechnet? Welche Anzahl von Castoren wird beispielsweise notwendig
sein, um eine Entsorgung in Biblis durchführen zu können?
Diese Frage kann ich Ihnen deshalb nicht beantworten, weil uns keine detaillierten Informationen vorliegen,
wie viele beschädigte Brennstäbe in den einzelnen Kraftwerken vorliegen. Aber ich verweise in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Stellungnahme der Entsorgungskommission, erschienen am 27. Mai dieses Jahres.
Die ESK befasst sich vertieft mit dieser Fragestellung.
Ich kann Ihnen konkret zu der Menge keine Auskunft
geben. Dies liegt im Ermessen des Betreibers.
Herr Dr. Miersch, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Bitte schön.
Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang auf einen
Artikel des Handelsblatts vom heutigen Tag verweisen,
wonach ein Experte allein für ein Kraftwerk in Biblis mit
einem Bedarf von 50 Castoren rechnet. Warum liegen
dem Bundesumweltministerium bislang diese Zahlen
nicht vor, obwohl es doch seine Aufgabe ist - Sie haben
die Aufsicht -, den Transport und damit auch die Bereitstellung der benötigten Castoren sicherzustellen?
Ich habe gerade gesagt, dass es keine Limitierung für
den Verbleib von Brennelementen in den Abklingbecken
der Kraftwerke gibt. Bei zwei Kraftwerken besteht die
Situation, dass eine Abschaltung erfolgte, bevor die Zeit
für die Nutzung der Brennelemente abgelaufen war. Insofern müssen längere Zeiten in den Abklingbecken zur
Abkühlung einkalkuliert werden. Vorher ist ein Abtransport gar nicht möglich.
Zu den Spekulationen des Handelsblattes wiederum
kann ich keinen Kommentar abgeben. Ich verweise noch
einmal darauf, dass wir keine Aufstellung über die konkrete Anzahl der beschädigten Brennelemente in den
Kraftwerken haben. Wir sind allerdings dabei, die entsprechenden Informationen zusammenzustellen. Wir erwarten sie aber nicht vor Beginn des nächsten Jahres.
Herr Kollege Dr. Miersch, Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte.
Frau Staatssekretärin, angesichts der eben von mir genannten Zahl von 50 Castoren pro AKW - Sie mögen
diese Zahl vielleicht nicht glauben - und angesichts der
Tatsache, dass wir erst heute wieder im Umweltausschuss im Zusammenhang mit Gorleben, wo wir erhöhte
Strahlenwerte feststellen müssen, über die Möglichkeit
eines weiteren Transportes gesprochen haben, möchte
ich Sie fragen: Sehen Sie das Ministerium nicht in der
Pflicht, ganz schnell in den Fragen hinsichtlich Zwischenlager und Endlager weiterzukommen? Wann können Sie uns endlich vermelden, dass der Bundesumweltminister einen Entwurf zu einem Endlagersuchgesetz
dem Parlament präsentieren wird?
Ich nehme an, dass heute im Ausschuss meine Kollegin Frau Staatssekretärin Heinen-Esser Ihnen mitgeteilt
hat, dass wir bis zum Ende des Jahres ein Endlagersuchgesetz vorlegen. Was Gorleben betrifft, wollen wir in einen Dialog eintreten. Diese Maßnahme hat man bei den
Vorgängerregierungen über einen Zeitraum von zwölf
Jahren vermisst. Insofern treten wir in eine neue Qualität
der Endlagersuche und der Kommunikation mit der Bevölkerung vor Ort ein.
Vielen Dank. - Wir haben eine weitere Nachfrage.
Kollege Ulrich Kelber, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie hatten eben angekündigt,
dass Sie bis Ende des Jahres den Entwurf eines Endlagersuchgesetzes vorlegen. Sie haben fast wörtlich gesagt: Wir werden ein Endlagersuchgesetz vorlegen. Warum ist dies nicht im Vorhabenplan der Bundesregierung enthalten? Warum ist in der Antwort auf meine
schriftliche Frage, warum es nicht im Vorhabenplan enthalten sei, nicht etwa von einem Gesetzentwurf, sondern
nur von einem Vorschlag für ein Gesetz die Rede?
Diese Bundesregierung hat sich im Gegensatz zu den
Vorgängern im Bundesumweltministerium Trittin und
Gabriel vorgenommen, eine Lösung für die Endlagerung
von Kernkraftwerksabfällen vorzulegen. Das ist ein
Meilenstein. Wir haben sogar erstmals - auch im Gegensatz zu den Vorgängerregierungen - den Bundesrat mit
diesen Fragen befasst. Es gibt eine Protokollerklärung
im Rahmen der Abstimmungen des Bundesrates über die
gesamte Energiewende, in der die Bundesregierung genau dies zugesagt hat. In diesem Prozess sind wir. Wir
werden auch den Dialog mit den Ländern führen, das
heißt mit der Bevölkerung vor Ort sowie mit den betroffenen Ländern. Dieser Prozess läuft. Ohne einen solchen
Austausch geht es nicht, weil wir ansonsten die geforderte Transparenz nicht herstellen können. Ich bin sehr
zuversichtlich, dass wir das im Laufe dieses Jahres bewältigen können.
Die nächste Nachfrage kommt von unserem Kollegen
Ralph Lenkert.
({0})
- Zuerst hat der Kollege Ralph Lenkert das Wort, und
dann schauen wir, ob sich das zwischenzeitlich erledigt
hat. - Bitte schön, Kollege Ralph Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
wir müssen ja davon ausgehen, dass die abgebrannten
und teilabgebrannten Brennelemente noch mindestens
fünf Jahre in den Abklingbecken liegen werden. Die
Atomkraftwerke wurden mit einer Betriebsdauer von
40 Jahren konzipiert, die Abklingbecken ebenso. Es besteht also ein erheblicher Handlungsbedarf.
Inwieweit planen Sie, eine maximale Verweildauer
von Brennelementen in den Abklingbecken über die Abschaltung der Atomkraftwerke hinaus festzulegen? Oder
wollen Sie in Kauf nehmen, dass die Abklingbecken
eventuell versagen?
Ihre Frage stellt eine Menge Behauptungen in den
Raum, die ich gar nicht im Einzelnen kommentieren
will.
({0})
Fakt ist, Herr Kollege Lenkert, dass ich Ihnen ganz speziell die Lektüre der Stellungnahme der Entsorgungskommission vom 27. Mai dieses Jahres empfehle. Dort
finden Sie eine ganz genaue Abfolge dessen, was zu tun
ist: Verbleiben im Reaktor, Umladen in das Nasslagerbe15152
cken, Lagerung im Nasslagerbecken, Umladen in Zwischenlagerbehälter, Transport zum Reaktorgebäude
usw., usf. Das alles sind Schritte, die beschrieben, definiert und genehmigt werden müssen.
Trotzdem müssen Brennelemente abklingen, bevor
sie in entsprechende Transportbehälter verladen werden
können. Das sind üblicherweise - so habe ich gesagt fünf Jahre. Wir werden zwar alles tun, diesen Prozess so
zu beschleunigen, wie es möglich ist. Wir werden uns
dabei aber keinesfalls über die Sicherheit hinwegsetzen,
sondern das beachten, was sicherheitstechnisch gefordert ist.
Die nächste Nachfrage kommt von Kollegin Johanna
Voß.
Frau Staatssekretärin, die Bundesregierung hat im
Haushaltsentwurf 2012 für die Weitererkundung von
Gorleben weitere 30 Millionen Euro vorgesehen. Da ich
selbst aus der Region komme, stelle ich vor Ort fest,
dass dort in drei Schichten täglich rund um die Uhr weitergearbeitet wird und weiter vollendete Tatsachen geschaffen werden.
Können Sie mir das erklären? Wenn wir vor der
Schaffung eines Endlagersuchgesetzes stehen, also vor
der Auswahlfindung für ein geeignetes Endlager, wie
können Sie das dann glaubhaft machen angesichts dessen, dass in Gorleben trotzdem weitererkundet wird?
Sieht die Bundesregierung darin nicht eine Vorwegnahme der anstehenden parlamentarischen Beschlüsse
zur Atommüllverwahrung?
Frau Kollegin, Ihnen ist möglicherweise entgangen,
dass wir das Moratorium aufgehoben haben und ergebnisoffen weitererkunden. Ich möchte noch einmal die Protokollerklärung zitieren, übrigens auch als konkrete Antwort, weil der Kollege Kelber meinte, da sei etwas offen
geblieben.
({0})
Protokollerklärung vom 8. Juli 2011: Die Bundesregierung bekräftigt,
dass die Generationen, die die Kernenergie nutzen,
auch für die Lagerung der anfallenden radioaktiven
Abfälle Sorge tragen müssen. Dies schließt die ergebnisoffene Weitererkundung des Salzstocks in
Gorleben ebenso ein wie ein Verfahren zur Ermittlung allgemeiner geologischer Eignungskriterien
und möglicher Entsorgungsoptionen.
- Das läuft also parallel.
Die Bundesregierung wird dazu bis Ende des Jahres
2011 einen Vorschlag für eine gesetzliche Regelung
erarbeiten.
({1})
Das, Herr Kollege Kelber, ist bereits protokolliert. Insofern verstand ich Ihre Nachfrage nicht, Herr Kollege
Kelber, und Ihre Nachfrage, Frau Kollegin Voß, ist dann
hoffentlich auch beantwortet.
({2})
Es gibt noch die Nachfrage unserer Kollegin Ute
Vogt. Bitte schön, Kollegin Ute Vogt.
Frau Staatssekretärin, ich möchte Sie konkret fragen:
Wird diesem Parlament noch in diesem Jahr ein Gesetzentwurf zur Endlagersuche vorgelegt?
Wir werden einen Vorschlag für eine gesetzliche Regelung unterbreiten.
Kollege Volker Beck. Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, ich bin kein Fachmann für
Atomrecht; aber die Antwort, die Sie gegeben haben,
war keine Antwort auf die gestellte Frage. Die Kollegin
hat gefragt, ob noch dieses Jahr ein Gesetzentwurf der
Bundesregierung zu erwarten ist. Da können Sie sagen:
„Ja“ oder „Nein, zu einem anderen Zeitpunkt“; den Zeitpunkt sollten Sie dann benennen. Ich frage Sie: Wann
plant die Bundesregierung die Vorlage eines Gesetzentwurfs? Sagen Sie mir jetzt nicht: „In diesem Jahrtausend“!
({0})
Ich habe gesagt, dass wir zum Ende des Jahres einen
Vorschlag unterbreiten werden.
({0})
Jetzt kommt die Nachfrage unseres Kollegen Ulrich
Kelber.
Frau Staatssekretärin, vielleicht sind Sie bei einer
anderen Frage zu einer konkreten Antwort bereit. Teilen
Sie meine Ansicht, dass es zumindest bei den stillgelegten deutschen Atomkraftwerken, die in der Frage des
Abklingbeckens dem Fukushima-Reaktortyp gleichen
- das Abklingbecken liegt außerhalb des inneren Containments -, richtig wäre, die Brennstäbe nach aus technischer Sicht kürzestmöglicher Zeit, also in etwa fünf
Jahren, aus dem offenen Abklingbecken herauszunehmen und in Castorbehältern in ein Zwischenlager zu
bringen?
Herr Kollege Kelber, auch dazu macht die ESK in ihrer Stellungnahme Aussagen. Es wird geprüft, inwiefern
technische Voraussetzungen erfüllt werden. Das ist zum
jetzigen Zeitpunkt aber nicht zu sagen. Fakt ist, dass wir
eine Abklingphase brauchen. Fakt ist auch, dass es Veränderungen bei der Genehmigung geben wird. Es ist die
Aufgabe der nächsten Zeit, diese zu erarbeiten und zu
überprüfen, inwiefern sie überhaupt erforderlich sind.
Ich bin mir sicher, dass wir eine solche Überprüfung binnen fünf Jahren bewerkstelligen können.
({0})
Jetzt kommt die Nachfrage unseres Kollegen Ralph
Lenkert.
Frau Staatssekretärin, die Stellungnahme ist uns bekannt, nicht nur Ihnen. Meine Frage lautet: Planen Sie
einen maximalen Zeitraum, in dem das abgeschlossen
sein soll, nicht dass irgendwann einmal ein Unternehmen aufhört, zu existieren, und die gesamten Kosten
beim Steuerzahler landen? Deshalb stelle ich die explizite Frage: Innerhalb welchen Zeitraums planen Sie zum
Beispiel die Abklingbecken außer Betrieb zu nehmen,
nachdem ein Atomkraftwerk stillgelegt worden ist?
Herr Kollege Lenkert, wir planen nicht, Abklingbecken außer Betrieb zu nehmen. Abklingbecken und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen werden so lange in
Betrieb sein, wie es sicherheitstechnisch erforderlich ist.
({0})
Eine Nachfrage der Frau Kollegin Dr. Enkelmann.
Herr Präsident, in diesem Falle keine Nachfrage. Es
hat sich sehr deutlich gezeigt, dass die Staatssekretärin
nicht in der Lage ist, die Fragen, die ihr gestellt werden,
zu beantworten. Ich beantrage deswegen die Herbeirufung des Umweltministers.
Zunächst darf ich den Kollegen Grund und die Parlamentarische Staatssekretärin zu mir bitten. - Wie ist der
Umweltminister - ({0})
Das kann ich nicht sagen. Ich bin ja hier, um die Fragen zu beantworten. Insofern halte ich das Ganze für etwas überzogen; aber das muss die Opposition selbst wissen.
({0})
Die Beratungen der Geschäftsführer haben ergeben,
dass der Wunsch nach Herbeizitierung des Bundesumweltministers bestehen bleibt.
({0})
Insofern ist dies ein Antrag der Oppositionsfraktionen.
Ich lasse darüber abstimmen. Wer für diesen Antrag ist,
den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Es
ist eindeutig: Die Mehrheit ist für diesen Antrag. Insofern müssen wir die Sitzung unterbrechen und den
Minister herbeizitieren.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir haben die Situation mit den Fraktionsgeschäftsführern erörtert. Wir haben die Information erhalten,
dass sich der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit bei der Feierstunde zum 60-jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe aufhält, was dem Präsidium und auch den Fraktionen nicht bekannt war. Insofern ist ein Herbeizitieren
nicht möglich.
Wir setzen die Fragestunde fort. - Ich rufe die Frage 7
des Abgeordneten Manfred Nink auf:
Welche Ergebnisse der Prüfung des französischen Atomkraftwerkes Cattenom durch die französische Atomaufsichtsbehörde bei der Kontrolle im August dieses Jahres, die im
Rahmen des europäischen Stresstests stattfand, sind der Bundesregierung bekannt, und wie bewertet die Bundesregierung
die Tatsache, dass - wie Medien in der 38. Kalenderwoche berichteten - der französische Betreiber EDF das Kraftwerk
Vizepräsident Eduard Oswald
Cattenom in einem eigenen Prüfbericht als sicher bezeichnet
hat, und zwar auch bei Erdbeben bis zu einer Stärke von 5,4
auf der Richterskala?
Bitte schön.
Herr Kollege Nink, bei der Sitzung der Arbeitsgruppe
„Notfallschutzplanung“ der Deutsch-Französischen
Kommission für Fragen der Sicherheit kerntechnischer
Einrichtungen am 22. September 2011 in Köln haben
sich die deutsche und die französische Delegation gegenseitig über den aktuellen Stand der Durchführung des
europäischen Stresstests in beiden Ländern informiert.
Die Fortschrittsberichte des Betreibers Cattenom sowie
der nationale Fortschrittsbericht der französischen Regierung sind im Internet veröffentlicht und der Bundesregierung bekannt. Der Abschlussbericht des Betreibers
ist der französischen atomrechtlichen Behörde ASN bis
zum 31. Oktober 2011 vorzulegen. Der Abschlussbericht
der französischen Regierung ist bis zum 31. Dezember
2011 an die Europäische Kommission zu übermitteln.
Danach werden die Berichte in einem Prüfprozess durch
Experten der atomrechtlichen Behörden der EU-Mitgliedstaaten überprüft und bewertet.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Manfred Nink.
Frau Staatssekretärin, wenn meine Informationen
stimmen, haben die Inspektoren der französischen
Atomaufsichtsbehörde festgestellt, dass das Kernkraftwerk insbesondere gegen Naturereignisse nicht abgesichert ist. Vor diesem Hintergrund frage ich die Bundesregierung: Wie bewerten Sie die Sicherheit und das
Risiko für die Bevölkerung, insbesondere auf der deutschen Seite, zum Beispiel im Landkreis Trier-Saarburg
und in der Stadt Trier?
Der EU-Kommissar für Energie, Oettinger, hat erstmals einen europäischen Stresstest für alle Kernkraftwerke in der Europäischen Union in Gang gesetzt. In
diesem Prozess befinden wir uns. Die Deutsch-Französische Kommission für Fragen der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen dient dem intensiven Austausch aller Informationen. Es ist nicht unsere Aufgabe, eine
explizite Bewertung vorzunehmen. Klar ist aber, dass
wir davon überzeugt sind, dass für die deutschen Kernkraftwerke höchste Sicherheitsstandards gelten und wir
im europäischen Vergleich sicherlich die höchsten Anforderungen haben. Ob auf andere Kernkraftwerke demnächst Nachrüstanforderungen zukommen, kann ich
zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.
Kollege Manfred Nink, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Die hat sich erübrigt, Herr Präsident.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Nink auf:
Welche konkreten Maßnahmen oder Schritte plant die
Bundesregierung, um sich für einen internationalen Atomausstieg einzusetzen und somit auch zum Beispiel unser Nachbarland Frankreich - mit seinem Kernkraftwerk in Cattenom - zu
einem Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie Atomkraft zu
bewegen?
Die Frage 8 beantworte ich wie folgt: Ob Kernkraftwerke betrieben werden, ist in der EU grundsätzlich der
souveränen Entscheidung eines jeden Mitgliedstaates
überlassen. Es obliegt der jeweiligen nationalen Atomaufsicht, hier der ASN, für die Sicherheit zu sorgen.
Nachfrage?
Ja.
Bitte schön, Kollege Nink.
Damit haben Sie meine Frage nicht beantwortet; denn
eigentlich wollte ich wissen, ob die Bundesregierung
plant, sich mit der französischen Regierung auseinanderzusetzen. Ich wollte wissen, ob zum Beispiel das Kernkraftwerk Cattenom, aber auch andere in Europa abgeschaltet werden.
Ich frage trotzdem: Gibt es in dieser Hinsicht eine gewisse Zusammenarbeit zwischen der französischen Regierung und der Bundesregierung, und wie arbeitet die
Bundesregierung mit den Landesregierungen des Saarlandes und von Rheinland-Pfalz diesbezüglich zusammen?
Herr Kollege, Sie wissen, dass jede nationale Regierung selbst über die nationale Energiestrategie entscheidet. Unbenommen der Tatsache, dass wir an einem europäischen Energie- und Strommarkt arbeiten, gilt: So wie
wir für unsere Entscheidung, aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie rasch auszusteigen, Respekt und
Akzeptanz von anderen europäischen Staaten erwarten,
erwarten diese von uns, dass wir uns nicht wertend über
ihre Strategien erheben, so sage ich das einmal.
Was die Zusammenarbeit betrifft, Herr Kollege, kann
ich Folgendes sagen: Seit Jahren sind in der deutschfranzösischen Kommission auch Vertreter der Länder
Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und des Saarlandes. Regelmäßig finden überkreuz Inspektionen statt.
Wenn es Vorkommnisse gab, wurde diesen auch seitens
der Kommission nachgegangen. Insofern können wir bei
diesem Austauschverfahren keine Defizite feststellen.
Vielen Dank. - Kollege Nink, Sie haben noch eine
weitere Nachfrage. Dann folgen Nachfragen anderer
Kollegen.
Frau Staatssekretärin, ich unterstelle, dass der Bundesregierung bekannt ist, dass der Rat der Stadt Trier am
14. April 2011 einstimmig eine Resolution mit dem Titel
„Cattenom sofort abschalten!“ beschlossen hat. Muss ich
Ihre bisherigen Antworten so interpretieren, dass die
Bundesregierung keine Handlungsmöglichkeit hat, um
diese Resolution zu unterstützen?
Herr Kollege, die Bundesregierung kann der französischen Regierung nicht vorschreiben - das gilt auch für
andere europäische Länder -, welche Strategie im Bereich Energie sie zu verfolgen hat.
({0})
Jetzt kommen wir zur Nachfrage des Kollegen
Dr. Miersch.
Frau Staatssekretärin, habe ich Sie richtig verstanden,
dass die Bundesregierung angesichts der Situation, dass
einige Länder in Europa weiter auf die Hochrisikotechnologie Atomkraft setzen, sich überhaupt nicht veranlasst sieht, einen Anstoß zu geben, damit auch unsere
Nachbarstaaten einen anderen Weg einschlagen? Ich erinnere Sie daran, dass der EU-Kommissar für Energie
die Bundesrepublik Deutschland ermahnt hat, auf Energiesicherheit zu setzen. Stimmen Sie mir zu, dass die
Bundesregierung angesichts dessen zumindest die Aufgabe hat, darauf hinzuwirken, dass die Zeit der Hochrisikotechnologie in Europa zu Ende geht? Müsste sie nicht
zumindest versuchen, unsere Nachbarländer für das Abschalten zu gewinnen, und entsprechende Initiativen
starten?
Die Bundesregierung ist im Rahmen der Diskussionen um den europäischen Stresstest für Kernkraftwerke
beteiligt. Dort vertreten wir unsere Forderung nach
höchsten Ansprüchen an Sicherheit. Wir tun alles, damit
wir die Anforderungen, die wir in Deutschland seit Jahr
und Tag haben - offensichtlich bestreitet niemand in diesem Haus, dass wir über Jahre hinweg die höchsten Anforderungen haben und noch immer weiterentwickeln -,
auch in der Europäischen Union, in Ländern, in denen
die Kernkraft genutzt wird, implementieren können.
Gleichwohl ist dies lediglich ein Diskussionsprozess, der
nicht zur Folge hat, dass wir andere Länder dazu zwingen können, unsere Standards zu übernehmen. Allerdings werben wir dafür. Ebenso werben wir dafür, dass
die Strategie der Bundesregierung, konsequent auf Effizienzsteigerung und erneuerbare Energien zu setzen, von
noch mehr Ländern in der Europäischen Union geteilt
wird.
Es gibt eine Nachfrage unseres Kollegen Ralph
Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
Sie haben gerade gesagt, dass weltweit niemand die
höchsten Sicherheitsbestimmungen in der Bundesrepublik bezweifele. Vergleichbares habe ich in jedem Land
gehört, in dem irgendetwas passiert ist, beispielsweise in
Japan. Ich kann Ihnen versichern: Es gibt genügend
Menschen, die daran Zweifel haben; Sie vielleicht nicht.
Aber jetzt zu meiner Frage: Plant die Bundesregierung Initiativen, um die Hochrisikotechnologie Atomkraft europaweit zu beenden? Plant sie Gespräche und
macht sie gemeinsam mit anderen Ländern, die der
Atomkraft abgeschworen haben, Vorschläge, um wiederum andere Länder zum Umstieg zu bewegen, ja oder
nein?
({0})
Herr Lenkert, wir haben innerhalb der Europäischen
Kommission einen gemeinsamen Fahrplan, der für alle
EU-Mitgliedstaaten verbindlich ist, um mehr für erneuerbare Energien, für Energieeffizienz und für den Bereich Biokraftstoffe im Verkehrssektor zu tun. All dies
zeigt, dass wir auch in der Europäischen Union an dieser
Position, die wir schon lange haben, arbeiten.
Aber noch einmal, Herr Kollege: Die Energieversorgung obliegt in jedem Mitgliedstaat der jeweiligen Hoheit eines Landes. So, wie wir uns verbitten, für einen
konsequenten Ausstieg kritisiert zu werden, können wir
wiederum anderen Ländern keine Ratschläge erteilen.
Das ist nicht möglich, und das werden wir auch in Zukunft nicht tun. Allerdings werben wir konsequent dafür,
dass unser Weg erfolgreich ist und dass andere Länder
diesem Weg folgen.
Es gibt eine Nachfrage unserer Kollegin Frau Ute
Vogt.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie schon aufgrund Ihrer
Verantwortung und aus Sorge um die Sicherheit der Bevölkerung die Nutzung der Hochrisikotechnologie in
Deutschland zum Ende bringen, geböte es die Sorge um
die Sicherheit der Menschen auch in unserem Land dann
nicht, dass Sie nicht nur werben, sondern mit konkreten
Initiativen auf die Abschaltung insbesondere der grenznahen Atomkraftwerke hinwirken?
Frau Kollegin Vogt, ich kann mich nur wiederholen:
Die Bundesregierung kann ihre eigene Strategie und
auch den Erfolg ihrer Strategie als bestes Überzeugungsbeispiel dafür nehmen, dass Wachstum auch ohne Kernkraft möglich ist. Im Übrigen habe ich auf die Gespräche
zum europäischen Stresstest für Kernkraftwerke verwiesen. Auch hier sind wir mit konkreten Vorschlägen und
Definitionen dabei. Darüber hinaus haben wir aber keine
Einflussmöglichkeit.
Ich frage mich, ob Sie diese Frage jetzt wissentlich
oder unwissentlich gestellt haben. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass eine Regierung in anderer Konstellation
einen Mehrheitsbeschluss darüber fassen würde, die
französische Regierung zu zwingen, aus der Kernenergie
auszusteigen. Zumindest ich kann mir das nicht vorstellen.
Frau Kollegin Johanna Voß hat eine Nachfrage.
Danke schön. - Frau Staatssekretärin, sicherlich
könnte man diesbezüglich keine direkten Gespräche mit
Frankreich führen. Aber ich möchte darauf hinweisen,
dass Deutschland und Frankreich Gründerstaaten des
Euratom-Vertrages sind; wir sind da Vertragspartner.
Dieser Vertrag sieht in Art. 1 vor, dass sich Deutschland
darum bemüht, überall die friedliche Nutzung der Atomkraft voranzutreiben und zu fördern. Meine Frage: Wie
viel Geld gibt die Bundesregierung dafür in diesem Jahr
aus? Wie viel Geld ist eingeplant, um atomare Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Rahmen des
Euratom-Vertrages weiterhin zu unterstützen?
Außerdem: Könnte hier nicht die Bundesregierung ihren Einfluss geltend machen und aus dem Atomfördervertrag einen Atomausstiegsvertrag entsprechend der nationalen Gesetzgebung machen?
Die Frage zum Geld kann ich nicht beantworten. Eine
entsprechende Vertragsänderung, wie Sie sie vorschlagen, planen wir nicht.
Weitere Frage unseres Kollegen Ulrich Kelber.
Frau Staatssekretärin, worin liegt der Unterschied
zwischen den Atomkraftwerken Cattenom und Temelin?
Bei Cattenom möchte eine von Union und FDP gebildete
Bundesregierung keinen Einfluss auf den Nachbarn ausüben, aber bei Temelin möchte eine von Union und FDP
geführte Landesregierung Einfluss auf ihren Nachbarstaat ausüben, um die Nutzung dieses Atomkraftwerks
zu beenden.
Herr Kollege Kelber, ich spreche hier für die Bundesregierung und habe - auch schon in der Fragestunde mehrfach dargelegt, was wir auf europäischer Ebene tun
und wo die Dialoge stattfinden. Insofern ist Ihre Frage
mehrfach beantwortet. Allerdings stelle ich mir die
Frage: Wenn es der SPD mit einem noch schnelleren
Ausstieg so ernst ist, wieso gab es dann seitens des Bundesumweltministers Gabriel oder auch seitens der rotgrünen Bundesregierung
({0})
keine Initiativen, andere Länder zum Ausstieg aus der
Kernenergie zu bewegen?
({1})
- Das war eine rhetorische Frage.
({2})
Der Kollege Kelber verzichtet darauf, auf eine rhetorische Frage noch eine Frage zu stellen.
Herr Kelber, ich habe ja mich gefragt.
Das ist geklärt.
Ich rufe Frage 9 unserer Kollegin Dr. Bärbel Kofler
auf:
Zu welchem Zeitpunkt wird das überarbeitete kerntechnische Regelwerk förmlich in Kraft gesetzt, und wie wird siVizepräsident Eduard Oswald
chergestellt, dass die darin enthaltenen Maßgaben zu einer aktiven Überprüfungspraxis durch die jeweilige Atomaufsicht
führen, soweit in den jeweiligen Atomanlagen solche angepassten Maßgaben oder Standards nicht erfüllt sind?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Kofler, das überarbeitete kerntechnische
Regelwerk soll nach Abschluss der vorgesehenen Beratungen veröffentlicht werden. Eine solche Veröffentlichung ist jedoch weder erforderlich für die laufende Berücksichtigung des Standes von Wissenschaft und Technik
durch die Behörden, noch hat sie eine rechtliche Bindungswirkung des Regelwerks zur Folge. Vielmehr dient
das untergesetzliche Regelwerk der jeweiligen atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde als Grundlage für behördliche Entscheidungen.
Es bedarf der Umsetzung des untergesetzlichen Regelwerks im konkreten verwaltungsbehördlichen Verfahren. Die Veröffentlichung kerntechnischer Regelwerke
erfolgt üblicherweise nach Beratungen des Länderausschusses für Atomenergie, in denen die zuständigen
atomrechtlichen Behörden übereinkommen, die entsprechenden kerntechnischen Regeln in atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren zugrunde zu legen.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Dr. Kofler.
Frau Staatssekretärin, ich habe nach dem konkreten
Zeitpunkt gefragt. Wenn man sich die Homepage des
Ministeriums für Umwelt ansieht, dann stellt man fest,
dass dort angekündigt ist, dass das überarbeitete kerntechnische Regelwerk Mitte 2011 in Kraft gesetzt wird.
Ich frage Sie noch einmal nach dem konkreten Zeitpunkt
- wir befinden uns im Herbst 2011 - und danach, welche
Gründe es für die Verzögerung bei der Inkraftsetzung
gibt.
Frau Kollegin Kofler, da diese Frage schon öfters in
den Fragestunden gestellt wurde, erlaube ich mir einen
kurzen Rückblick. 2003 hatte die damalige Bundesregierung ein kerntechnisches Regelwerk in Auftrag gegeben.
Der jeweilige Bearbeitungsstand ist immer im Internet
veröffentlicht und umfangreich kommentiert worden.
Zuletzt wurde 2008 die Version D veröffentlicht. Im Juli
2009 haben Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und das BMU beschlossen, es probeweise anzuwenden. Die Länder haben ihre
Erfahrungsberichte, wie vereinbart, bis Ende 2010 vorgelegt. Auf dieser Grundlage ist nun die Version E zustande gekommen, die dem BMU zur Prüfung vorliegt.
In diese Prüfung werden wiederum die atomrechtlichen
Behörden der Länder sowie die Reaktor-Schutzkommission einbezogen. Dieser Prozess läuft. Insofern befinden
wir uns im Zeitplan.
({0})
Nachfrage des Kollegen Kelber.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir an ein oder
zwei Beispielen erläutern, welche entscheidenden Unterschiede zwischen der Version D und der Version E des
kerntechnischen Regelwerks bestehen, die dazu geführt
haben, dass wir im Jahr 2010 und bisher im Jahr 2011
weiterhin mit einem kerntechnischen Regelwerk aus den
70er-Jahren gearbeitet haben - auch als Reaktion auf den
Unfall in Fukushima -, anstatt mit einer einzigen Unterschrift Ihres Ministers das Regelwerk D bereits in Kraft
zu setzen?
Herr Kollege Kelber, ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin: Wir haben das Atomgesetz bereits vor
Fukushima dergestalt geändert, dass wir einen § 7 d eingeführt haben, der dazu verpflichtet, die sicherheitstechnischen Anforderungen jeweils nach dem Stand von
Wissenschaft und Technik zu ergänzen. Dieser Prozess
läuft sowieso. Er bedeutet eine permanente Weiterentwicklung der Sicherheitsanforderungen, übrigens unabhängig von einem kerntechnischen Regelwerk.
({0})
Herr Kelber hat das Wort.
Die Frage war: Können Sie uns entscheidende Unterschiede zwischen den Versionen D und E erläutern?
Nein, Herr Kollege Kelber, das kann ich nicht. Ich
habe darauf hingewiesen, dass wir § 7 d des Atomgesetzes neu eingeführt haben. Ich finde, es ist eine wichtige
Mitteilung - an Ihnen ist sie offenbar permanent vorbeigegangen -, dass die Betreiber verpflichtet sind, nach
dem Stand von Wissenschaft und Technik nachzurüsten,
und somit die Aufsichtsbehörden dies auch überprüfen
müssen.
Es gibt eine weitere Frage des Kollegen Dr. Miersch.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir die Frage beantworten, wie ein Paragraf, der § 7 d des Atomgesetzes,
ein Regelwerk, das aus über 1 100 Seiten besteht, ersetzen soll?
Herr Kollege Miersch, Sie haben mich falsch verstanden, wenn Sie meinen, dieser Paragraf könne das Regelwerk ersetzen. Der Prozess, den wir damit in Gang gesetzt haben, führt allerdings zu einer Qualifizierung: von
„statisch“ zu „dynamisch“. Früher war es so, dass ein bestimmter Stand galt. Jetzt muss der Stand unabhängig
davon, was eine Regierung entscheidet und was in einem
Regelwerk festgelegt ist, nach dem Stand von Wissenschaft und Technik weiterentwickelt werden. Dieser Prozess führt dazu, dass auch Maßnahmen, die nicht zwingend vorgeschrieben sind, geprüft und berücksichtigt
werden müssen. Dies ist ein qualitativer Fortschritt, der
der Sicherheit der Bevölkerung und der Sicherheit der
Kernkraftwerke in Deutschland dient.
Frau Kollegin Dr. Bärbel Kofler stellt ihre zweite
Nachfrage zu Frage 9.
Können Sie die Aussagen, die Sie gerade zum Stand
des kerntechnischen Regelwerks gemacht haben, präzisieren? Aus unserer Sicht haben Sie sich selbst nämlich
gerade ein bisschen widersprochen.
Vielleicht ist es eher so, Frau Kollegin Kofler, dass es
für Sie schwierig ist, zu akzeptieren, dass es diese Bundesregierung war, die die sicherheitstechnischen Weichen hin zu mehr Sicherheit gestellt hat.
Ich erläutere es Ihnen gerne noch einmal. Bis Ende
2010 haben die atomrechtlichen Behörden ihre Erfahrungsberichte vorgelegt. Die praktische Anwendbarkeit
wurde geprüft. Teilweise wurde sie bestätigt, teilweise
wurden weitere Vorschläge zur Überarbeitung vorgelegt.
Auf dieser Grundlage und nach entsprechenden Fachgesprächen erfolgt die Überarbeitung. Damit tragen wir
auch dem Anliegen, das Sie gerade formuliert haben,
Rechnung.
Es gibt hierzu eine weitere Nachfrage. - Bitte schön,
Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, ist es richtig, dass in § 7 d des
Atomgesetzes nur die Dinge beschrieben werden können, die im kerntechnischen Regelwerk enthalten sind?
Der qualitative Fortschritt ist die Dynamik; auch das
habe ich bereits gesagt. Es muss nach dem Stand von
Wissenschaft und Technik nachgerüstet werden.
Eine weitere Nachfrage der Frau Kollegin Ute Vogt.
Frau Staatssekretärin, wir bitten Sie, für uns zu präzisieren, wie Sie den Stand von Wissenschaft und Technik
einfordern wollen, wenn die dazu erforderliche Rechtsgrundlage nicht veröffentlicht ist.
Frau Kollegin Vogt, zwischen dem Bund und den
Landesbehörden laufen permanent Gespräche. Ich habe
den Prozess eben ausführlich beschrieben. Nehmen Sie
doch bitte zur Kenntnis, dass dieser Prozess der Weiterentwicklung und der Inkraftsetzung des kerntechnischen
Regelwerks inklusive der Einführung von § 7 d Atomgesetz nicht mit einem bestimmten Tag beendet, sondern
fortwährend ist. Zu diesem Prozess gibt es noch keinen
konkreten Abschluss.
Keine weitere Nachfrage dazu.
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Dr. Kofler auf:
Wie wird die von der Bundesregierung angekündigte weitere Überprüfung der heute noch betriebenen Atomkraftwerke
auf Konsequenzen aus den Erfahrungen mit der Havarie erfolgen - bitte mit Datumsangabe -, und welche Vorbereitungen
sind in diesem Kontext seit der Vorlage des Sonderprüfberichts der Reaktor-Sicherheitskommission getroffen worden?
Für die Überprüfung der weiter betriebenen Kernkraftwerke - auch hinsichtlich der sich nach dem Unfall
in Fukushima ergebenen Erkenntnisse und Risikobeurteilungen - sind die atomrechtlichen Aufsichtsbehörden
der Bundesländer zuständig. Das Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wird die
entsprechenden Verfahren begleiten.
Zusammen mit den zuständigen Aufsichtsbehörden
der Länder hat das BMU am 24. Mai 2011 beschlossen,
die RSK mit der Fortsetzung der Beratung zu beauftragen. Daneben hat es die zuständigen Aufsichtsbehörden
der Länder mit Schreiben vom 20. Juni 2011 gebeten,
die von der RSK in ihrer Stellungnahme aufgezeigten
Empfehlungen umzusetzen und die offenen Punkte bei
den in ihrer aufsichtlichen Zuständigkeit liegenden
Kernkraftwerken zu klären.
Derzeit erfolgt die entsprechende Prüfung bei den zuständigen Behörden. Sobald sich insbesondere aus den
Beratungen der RSK weitere Erkenntnisse ergeben, wird
das BMU entsprechende Maßnahmen mit den zuständigen Behörden beraten.
Eine Nachfrage, Frau Kollegin Kofler.
Das war auch wieder ein wenig wie bei den Antworten, die ich vorher bekommen habe. Wenn man nach
konkreten Zeiträumen fragt, dann erhält man die Antwort, es sei ein Prüfauftrag erteilt worden.
Es stellt sich natürlich schon die Frage, was jetzt in
Bezug auf die Länderaufsicht konkret passieren soll. Die
bayerische Atomaufsicht hat sich bei der Revision eines
Risses in einem Rohr im AKW Grafenrheinfeld - ich
sage es einmal flapsig - nicht mit Ruhm bekleckert und
auf Zeit gespielt. Kommt das in Zukunft, wenn Ihre
Prüfaufträge abgeschlossen sind und Sie sich mit den
Ländern ins Benehmen gesetzt haben, dann nicht mehr
vor? Wird dadurch vermieden, dass solche Fälle wie der
von Grafenrheinfeld noch einmal vorkommen?
({0})
Wir befinden uns mit den Ländern in einem laufenden
Erörterungsprozess, der auch eine baldige Umsetzung
der sogenannten Nachrüstliste umfasst. Aus dem eben
dargestellten Prozess ergeben sich dann auch weitere
Anforderungen.
Dann frage ich jetzt noch einmal nach: Welche konkreten weiteren Anforderungen sind das?
Frau Kollegin, das kann ich Ihnen an dieser Stelle
nicht beantworten. Ich würde Ihnen gerne einen schriftlichen Bericht zur Verfügung stellen.
Vielen herzlichen Dank. - Kollege Dr. Miersch hat
noch eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, vor dem Hintergrund, dass Sie
mit den Ländern in Kontakt sind, um gegebenenfalls Sicherheitsanforderungen auf der Grundlage der Forderungen der Reaktor-Sicherheitskommission zu formulieren,
frage ich Sie: Halten Sie es nicht für notwendig, dass
man gerade diesbezüglich noch einmal für eine Klarstellung der Rechtsgrundlagen sorgt, und ist insofern nicht
die Inkraftsetzung des kerntechnischen Regelwerks von
ganz erheblicher Bedeutung?
Herr Kollege Miersch, niemand bestreitet die Notwendigkeit des kerntechnischen Regelwerkes. Trotzdem
dauert der Prozess, weil sich Anforderungen verändern
bzw. neu ergeben. Wir haben gerade nach Fukushima
noch einmal eine umfangreiche Neubewertung, Neuzusammenstellung und auch -kombination von Risiken
vorgenommen. Deshalb bitte ich Sie, zu respektieren,
dass bei dem Dialogprozess, dessen Umsetzung Sie vielleicht beschleunigen möchten, immer wieder eine Rückkopplung mit den Ländern und Betreibern erfolgen
muss.
Kollege Kelber stellt die letzte Nachfrage.
Der Bundesumweltminister hat sowohl am 28. Oktober - betreffend die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke - als auch am 30. Juni - betreffend Rücknahme der Laufzeitverlängerung - angekündigt, dass
eine konkrete, mit Jahreszahlen versehene Nachrüstungsliste für alle verbleibenden Atomkraftwerke und
auch für die abgeschalteten - wenn es in den dortigen
Bereichen der Sicherheit vorgesehen ist - vorgelegt
wird. Dazu habe ich eine Nachfrage: Wann wird sich die
Bundesregierung eine Meinung gebildet haben, ob bei
den abgeschalteten Atomkraftwerken, bei denen das Abklingbecken mit den Brennelementen außerhalb des Sicherheitscontainments liegt, Nachrüstungen oder auch
technische Veränderungen durchgeführt werden müssen? Das soll spätestens in fünf Jahren erledigt sein. Von
daher interessiert es mich, ob das innerhalb dieser fünf
Jahre passieren wird.
Herr Kollege Kelber, zur Nachrüstliste habe ich sowohl der Kollegin Kofler als auch gerade dem Kollegen
Miersch gesagt, dass wir uns mit den Ländern in einem
Prozess befinden. Die Nachrüstliste soll umgesetzt werden. Ich kann Ihnen aber nicht genau sagen, welche
Maßnahme in welchem Kraftwerk zu welchem Zeitpunkt umgesetzt werden kann. Wir befinden uns immer
noch in einem Erörterungsprozess mit den Bundesländern, weil es unterschiedliche Auffassungen gibt. Auch
das gehört zu einem Diskussionsprozess.
Bevor Sie mich jetzt fragen, wo es unterschiedliche
Auffassungen gibt bzw. für welches Kraftwerk wir welche Maßnahme möglicherweise diskutiert, verworfen
oder doch genehmigt haben, schlage ich vor, Ihnen, sobald es möglich ist, etwas Schriftliches zur Verfügung zu
stellen. Ansonsten bleibt es bei meinen schon bisher gegebenen Antworten.
Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
behandeln gerade den Geschäftsbereich des Bundes15160
Vizepräsident Eduard Oswald
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Es gibt einen Beschluss des Plenums, dass der
Bundesminister zu diesem Geschäftsbereich selbst erscheinen soll. Der Bundesminister ist noch nicht in Berlin, er befindet sich im Anflug. Es ist zeitlich sichergestellt, dass er nach seiner Landung hier sein kann.
Um dem Wunsch des Plenums Rechnung zu tragen,
werden wir jetzt die Behandlung des Geschäftsbereichs
des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit unterbrechen. Die zu beantwortenden
Fragen werden wir dann im Anschluss - in der Hoffnung, noch im geplanten Zeitfenster zu sein - behandeln.
Wir werden mit den anderen Geschäftsbereichen
- wir befinden uns ja noch in der Fragestunde - weitermachen. Die Aktuelle Stunde folgt dann unmittelbar darauf. So war das einvernehmlich festgestellt worden.
({0})
- Der amtierende Präsident wird dann schauen, dass
auch die Zeit zur Beantwortung der entsprechenden Fragen an den Bundesminister bleibt. Das ist einvernehmlich so festgestellt worden.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung
der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Helge Braun zur Verfügung.
Die Fragen 16 und 17 der Kollegin Ulla Burchardt
und die Fragen 18 und 19 des Kollegen René Röspel
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen dann zur Frage 20 des Kollegen Oliver
Kaczmarek:
Für wann konkret ist die Unterzeichnung des Nationalen
Paktes für Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland zwischen Bund und Ländern geplant, und welche Partner
haben angekündigt, sich an dem Pakt zu beteiligen?
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Herr Kollege
Kaczmarek, Sie haben gefragt, wann mit der Unterzeichnung des „Nationalen Paktes für Alphabetisierung und
Grundbildung in Deutschland“ zu rechnen ist und wer
die beteiligten Paktpartner sind. Die beteiligten Paktpartner sind der Bund, die Länder, die Sozialpartner - also
Arbeitgeber und Gewerkschaften -, die kommunalen
Spitzenverbände und einige gesellschaftlich engagierte
Gruppen, die in diesem Bereich gute Arbeit leisten.
Wir als Bund haben immer deutlich gemacht, dass wir
möglichst bald zu Ergebnissen kommen wollen und deshalb nach Möglichkeit noch in diesem Jahr zu einem Abschluss kommen wollen. Garantieren kann ich Ihnen das
aber nicht; denn es sind hieran, wie Sie sehen, viele Partner beteiligt. Momentan wird in Arbeitsgruppen an den
Beiträgen der einzelnen Partner für diesen Pakt gearbeitet. Wenn diese fertig sind, können wir den Pakt unterzeichnen.
Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung meiner Frage. Ich möchte nachfragen. Für den Fall,
dass es doch nicht zu einer zügigen Unterzeichnung
kommen sollte: Können Sie gewährleisten, dass zum
Ende des Jahres aufgrund auslaufender Projektförderung
bei den Trägern der Alphabetisierung und Grundbildung
nicht Strukturen wegbrechen, die wir zu Beginn des Paktes dringend benötigen?
Ja. Wir haben als Bundesministerium für Bildung und
Forschung selber eine Studie in Auftrag gegeben. Das
Ergebnis ist, dass in Deutschland bis zu 7,5 Millionen
funktionelle Analphabeten leben. Deshalb ist unser Ziel,
dass wir für die nächsten drei Jahre in einer Programmphase insgesamt 20 Millionen Euro verausgaben, um
dieser Gruppe mit gezielten Maßnahmen zu helfen.
Bund, Länder und alle Paktpartner sind sehr engagiert
und wollen zusammenarbeiten. Die richtige Schlagkraft
bekommt das Programm nur, wenn wir es gemeinsam
durchführen. Gerade die Kommunen sind besonders gefragt, weil dort aufgrund der Infrastrukturen und Lehreinrichtungen die konkreten Angebote gemacht werden
können. Deshalb ist ein alleiniges Handeln des Bundes
schwierig.
Ich sehe momentan auch nicht die Schwierigkeit, dass
wir den Pakt nicht zustande bringen, weil das Wissen um
die Bedeutung des Themas von allen geteilt wird. Aber
wir werden selbstverständlich dafür sorgen, dass das Engagement, das der Bund zeigt, in jedem Fall auch im
nächsten Jahr zum Tragen kommt.
Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Bitte schön.
Es ist richtig, wenn Sie sagen: Der Bund darf hier
nicht vorpreschen, sondern er muss alle Projektpartner
mitnehmen. Ihr Kollege Herr Rachel hat mir in der vergangenen Sitzungswoche auf die Frage, was die Bundesregierung in den Alpha-Pakt einbringen möchte, einen
Förderschwerpunkt genannt, nämlich die „Arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung“.
Deshalb die Frage: Ist damit nicht schon eine Vorwegnahme verbunden? Ist gewährleistet, dass auch die
anderen Projektbereiche finanziell unterlegt und möglicherweise vom Bund mitberücksichtigt werden, auch
wenn es nicht um die arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung geht?
Anstoßgeber für die Initiative ist die Studie, in der gezeigt wird, wo die Probleme des Analphabetismus lieParl. Staatssekretär Dr. Helge Braun
gen. In der Studie ist deutlich geworden, dass der Bereich Arbeitsplatz einen ganz besonders wunden Punkt
berührt. Deshalb ist dieses Engagement keine Vorwegnahme, sondern es ist einfach ein sich aus den Fakten,
die wir gesammelt haben, ergebender Schwerpunkt, bei
dem wir als Bund gesagt haben: Das wollen wir in jedem
Falle einbringen. Selbstverständlich ist das eine Säule
neben vielen anderen, die wir genauso im Blick haben.
Insofern ist dies exemplarisch für das, was wir tun wollen. Aber das ist natürlich noch lange nicht der gesamte
Pakt.
Damit sind wir bei Frage 21 des Kollegen
Kaczmarek:
Aus welchem Grund hat sich das Bundesministerium für
Bildung und Forschung aus der Finanzierung der Fachtagung
Alphabetisierung, organisiert vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e. V., in diesem Jahr erstmals zurückgezogen, und wie wird diese Entscheidung fachlich begründet?
Lieber Herr Kollege, eine etwaige Finanzierung der
Fachtagung Alphabetisierung war in der Vergangenheit
stets eine einzelfallbezogene Unterstützung. Das vom
Fachverband Alphabetisierung und Grundbildung vorgelegte Konzept für die diesjährige Fachtagung Alphabetisierung entsprach nicht den bildungspolitischen
Kriterien des Förderschwerpunkts Forschung und Entwicklung - ich betone: Forschung und Entwicklung zur Alphabetisierung und Bildung Erwachsener, sodass
in diesem Fall eine Förderung nicht möglich war.
Eine Nachfrage? - Bitte sehr.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung dieser Frage. Ich möchte aber trotzdem nachfragen.
Ist es richtig, dass die Bundesregierung zugesagt hat, für
den gesamten Verlauf der Weltalphabetisierungsdekade,
also bis einschließlich nächsten Jahres, die Finanzierung
dieser Fachtagung zu übernehmen?
Nein, wir haben keine Förderung für die gesamte
Laufzeit zugesagt. Es ist in der Tat so: Für jede einzelne
Fachtagung muss ein Antrag gestellt werden, der gegebenenfalls bewilligt wird. Es handelt sich also immer um
eine Einzelfallentscheidung. Im Rahmen der Weltalphabetisierungsdekade stellen wir zur Finanzierung des
Weltalphabetisierungstages jedes Jahr 20 000 Euro regulär zur Verfügung.
Diese Fachtagung ist etwas anderes. Sie muss sich mit
ihrem Konzept jedes Mal neu beweisen. Sie hat selbstverständlich auch im nächsten Jahr wieder eine Chance
auf Förderung, wenn das Konzept den Kriterien entspricht. Aber ich habe eben die Worte „Forschung“ und
„Entwicklung“ deshalb so betont, weil der Ansatz der
Tagung in diesem Jahr weniger forschungspolitisch war.
Der diesjährige Ansatz war, Betroffene zu einem Erfahrungsaustausch zusammenzubringen. Das entspricht
nicht unseren Förderkriterien für diese forschungspolitischen Fachtagungen.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte sehr.
Bei diesen Tagungen sind auch Betroffene zu Wort
gekommen; sie konnten sich einbringen, wenn sich Experten aus Forschung und Alphabetisierungspraxis austauschen. Deswegen frage ich Sie: Haben Sie die Absicht, die vielleicht freigewordenen Mittel einzusetzen,
um andere Veranstaltungen zu fördern, die diese Zielgruppe entsprechend bedienen?
Bei dem entsprechenden Haushaltstitel handelt es
sich um einen Titel, aus dem unterschiedliche Maßnahmen in dem Bereich finanziert werden. Ich gehe davon
aus, dass wir den Mittelabfluss bei diesem Haushaltstitel
in diesem Jahr schaffen werden. Insofern ist das selbstverständlich der Fall.
Damit kein falscher Zungenschlag hineinkommt,
möchte ich aber eines betonen: Mit dem Bundesverband,
der die Fachtagung ausrichtet und zum Beispiel auch an
dem Pakt beteiligt ist, den wir entwickeln, haben wir ein
gutes Einvernehmen. Die Tatsache, dass in diesem Jahr
die Förderung der Fachtagung, bei der der Forschungsaspekt nicht im Vordergrund stand, nicht möglich war,
hat nicht zu einer Verstimmung geführt, schon gar nicht
auf unserer Seite. Es war eine Einzelfallentscheidung,
die wir, glaube ich, in gutem Einvernehmen getroffen
haben. Das ist auch kein Präjudiz für kommende Jahre.
Dann kommen wir zur Frage 22 des Kollegen Swen
Schulz:
Inwieweit und in welcher Höhe erwartet die Bundesregierung Mehrausgaben bei der Umsetzung des Gesetzentwurfs
auf Bundestagsdrucksache 17/6260 - Entwurf eines Gesetzes
zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen - und den begleitenden Maßnahmen?
Herr Staatssekretär.
Lieber Herr Kollege Schulz, die Bundesregierung erwartet über die im Vorblatt und in der Begründung zum
Gesetzentwurf ausgewiesenen und im Haushalt 2012
und in der Finanzplanung berücksichtigten finanziellen
Auswirkungen hinaus keine sich unmittelbar aus dem
Gesetzentwurf ergebenden Mehrkosten.
Die erfolgreiche Umsetzung des Gesetzes zu gewährleisten und eine nachhaltige Verbesserung der Anerken15162
nungspraxis zu erreichen, liegt in unserem Zuständigkeitsbereich und wird von den verschiedenen Ressorts
mit gesetzesbegleitenden Maßnahmen unterstützt. Zum
einen wollen wir eine stärkere Vereinheitlichung und
Standardisierung des Verwaltungsvollzugs erreichen.
Zum anderen geht es darum, ein umfängliches Informations- und Beratungsangebot für Anerkennungssuchende
zu etablieren. Auch das ist Gegenstand unserer Initiativen.
Herr Schulz, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
wir haben heute im Ausschuss über diesen Gesetzentwurf gesprochen und auch darüber abgestimmt. Im
Rahmen der Diskussion haben Sie, Herr Staatssekretär,
darauf hingewiesen, dass Antragstellerinnen und Antragsteller gegebenenfalls einen Anspruch etwa auf weitere Qualifizierungsmaßnahmen durch die Bundesagentur erhalten, weil nicht immer die volle Anerkennung
ausgesprochen werden kann. Das dürfte ein großer Posten sein, was die Kosten angeht. Haben Sie diesbezüglich eine Vorstellung, wie hoch die Zahl der Betroffenen
sein wird und wie hoch die Kosten sein werden, die aus
Mitteln der Agentur für Arbeit zu bestreiten sind?
Das ist heute sehr schwierig zu beantworten, weil
beim Anerkennungsgesetz jeder weltweit Anträge stellen kann, es also theoretisch Milliarden von möglichen
Antragstellern gibt. Denn jeder, der über eine Berufsqualifikation verfügt, kann einen Antrag stellen.
Was diejenigen angeht, die schon in Deutschland
sind, haben wir, um uns eine Vorstellung zu machen,
eine Auswertung des Mikrozensus vorgenommen und
festgestellt, dass von 285 000 potenziellen Antragstellern aus Deutschland auszugehen ist. Die Einschätzung,
ob alle potenziellen Antragsteller tatsächlich einen Antrag stellen werden und ob es sich bei ihnen um Personen handelt, die derzeit quasi berufsfremd einer Arbeit
nachgehen oder ob sie unter den Geltungsbereich des
SGB II oder III fallen, war im Rahmen der Auswertung
der uns vorliegenden Daten leider nicht möglich.
Insofern können wir die Frage, welche Mittel im Rahmen der arbeitsmarktpolitischen Instrumente in dem
Kontext tatsächlich abgerufen werden, zurzeit nicht präzise beantworten. Ich will aber darauf hinweisen, dass
wir über die arbeitsmarktpolitischen Instrumente hinaus
mit Programmen unseres Hauses, dem BMBF, Fördermöglichkeiten vorsehen, gerade um zum Beispiel ausländische Akademiker weiter zu qualifizieren.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Noch einmal zu meinem besseren Verständnis: Sie
können das nicht genau sagen; dafür habe ich volles Verständnis. Alles andere wäre Spekulation. Aber damit,
dass es Mehrausgaben geben wird, ist durchaus zu rechnen. Ist in irgendeiner Form Vorsorge im Bundeshaushalt hinsichtlich möglicher Mehraufwendungen im Bereich der Bundesagentur für Arbeit getroffen?
Unserer Überzeugung nach haben wir es mit einer
Klientel zu tun, deren ausländische Abschlüsse bislang
nicht anerkannt wurden. Soweit die Betreffenden am Arbeitsmarkt nicht teilnehmen, ist dieser Personenkreis
schon heute anspruchsberechtigt, Maßnahmen zu erhalten, die eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt ermöglichen sollen. Wir wollen mit dem Anerkennungsgesetz
einen qualitativen Schritt gehen und dafür sorgen, dass
die entsprechenden Maßnahmen zielgerichteter durchgeführt werden, sodass die Betreffenden nach Anerkennung ihrer Abschlüsse in ihren Ursprungsberufen arbeiten können. Die Frage, ob nicht sowieso Maßnahmen
- quasi substitutiv, aber zielgerichteter - zugunsten des
Einzelnen durchgeführt werden oder ob es sich um zusätzliche Maßnahmen handelt, ist unglaublich schwierig
zu beantworten; denn es handelt sich um ein neues Gesetz, das einen neuen Anspruch begründet.
Dann kommen wir jetzt zu Frage 23 des Kollegen
Swen Schulz:
Welche konkreten Planungen hat die Bundesregierung
hinsichtlich einer neuen Kooperation der Berliner Charité mit
dem Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, und innerhalb welchen Zeitraumes sollen zusätzliche Mittel des
Bundes in diese Kooperation investiert werden?
Herr Staatssekretär.
Ich beantworte Ihnen die Frage wie folgt: Die Bundesregierung hat derzeit keine konkreten Pläne, eine etwaige neue Kooperation zwischen der Charité Universitätsmedizin Berlin und dem Max-Delbrück-Centrum für
Molekulare Medizin, MDC, in Berlin-Buch zu unterstützen.
Es gibt keine Nachfrage dazu.
Dann kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Für die Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 24 der Kollegin Karin Roth:
Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass
44,7 Prozent der Mittel des develoPPP-Programms an Unternehmen mit Projekten in Schwellenländern, China oder Indien, ausgezahlt werden, aber lediglich 7,9 Prozent an ProVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
jekte in allen Least Developed Countries, LDC, und wie passt
dies mit der Aussage des Bundesministers für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, zusammen,
China sei kein Entwicklungsland mehr und es würden keine
Mittel aus dem Einzelplan 23 für Vorhaben in und mit China
ausgegeben?
Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Roth,
Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Seit dem Jahr 2010
erfolgen keine bilateralen Neuzusagen aus Haushaltsmitteln des Einzelplans 23 an die Volksrepublik China. Aus
dem Programm develoPPP.de fließen keine Mittel an die
chinesische Regierung. Vielmehr werden sie in direkter
Kooperation mit der Wirtschaft eingesetzt. Das BMZ informiert Unternehmen über Chancen in Entwicklungsländern und unterstützt sie bei entwicklungsrelevanten
Investitionen. Die Entscheidung über das Zielland einer
Investition liegt beim Unternehmen selbst. Bei develoPPP.de setzen wir bewusst keine regionalen Schwerpunkte, damit wir weiterhin die besten Vorschläge von
Unternehmen aufgreifen können, dort, wo die Interessen
des BMZ und seiner Partnerländer mit denen der Wirtschaft am meisten übereinstimmen.
Frau Roth, eine Nachfrage, bitte schön.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, es
ist zwar richtig, dass das Land China nicht direkt das
Geld bekommt, sondern die einzelnen Unternehmen.
Aber Sie haben angekündigt, dass China kein Entwicklungsland mehr ist und dass daher die Bundesregierung
keine entsprechenden Maßnahmen mehr durchführt. Tatsächlich gehen nur ungefähr 8 Prozent der Mittel dieses
Programms an Least Developed Countries. Eigentlich ist
vorgesehen, dass gerade diese Länder entsprechend unterstützt werden. Wenn ich mir die Liste der Projekte anschaue, die Sie nicht finanziert haben, weil keine Mittel
vorhanden waren, dann stellt sich für mich die Frage,
welche Prioritäten Sie setzen. Ist Ihre Priorität die Entwicklung von wenig entwickelten Ländern - dann muss
das Geld dorthin fließen; es gibt genügend Projekte -,
oder sind wie bisher die Schwellenländer Ihre Priorität?
Ich habe den Eindruck, dass es große Ankündigungen
gibt, dass aber das genaue Gegenteil gemacht wird.
Frau Kollegin Roth, in den Ländern Brasilien, China,
Indien, Indonesien, Mexiko und Südafrika leben insgesamt mehr als die Hälfte der wirklich armen Menschen,
nämlich Menschen, die weniger als 1,25 Dollar pro Tag
zur Verfügung haben. Diese Länder werden vom DAC
der OECD weiter als Entwicklungsländer eingestuft. Ich
sage ausdrücklich: Wir arbeiten nicht mit den dortigen
Regierungen zusammen. Wir geben keine frischen Gelder dorthin. Vielmehr arbeiten wir mit Unternehmen zusammen, die wir nach entwicklungspolitischen Aspekten
auswählen. Zur Statistik: Seit 1999 wurden 9,2 Prozent
der Mittel aus develoPPP.de für Entwicklungspartnerschaften mit den ärmsten Ländern eingesetzt. 32,9 Prozent der Mittel wurden für Schwellenländer gemäß der
Definition nach Punkt 2 des „Konzepts der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Globalen Entwicklungspartnern“ des BMZ zur Verfügung gestellt.
Frau Roth, Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte
sehr.
Frau Staatssekretärin, es ist unstrittig, dass es bisher
so war. Aber Sie haben angekündigt, es anders zu machen. Entwicklungshilfe geht in der Regel nicht an Staaten, sondern an Projekte, sofern sie bilateral sind. Daher
ist meine Frage: Beabsichtigen Sie in Zukunft aufgrund
der Antragslage - Anträge sind vorhanden -, mehr Least
Developed Countries zu berücksichtigen und dafür weniger Schwellenländer? Sie haben zwar recht, dass auch
diese noch Probleme haben, aber die Frage ist: Worauf
konzentrieren wir unsere Hilfe, unabhängig davon, was
die Unternehmen angeht?
Im Fokus stehen für uns diejenigen Länder, die am
meisten Hilfe brauchen.
({0})
In diesen Ländern fördern wir insbesondere die ländliche
Entwicklung. Wir haben heute Morgen im Ausschuss
darüber geredet, wie wichtig Rechtssicherheit ist. Entwicklungsländer müssen zu mehr Rechtsstaatlichkeit
kommen, die Menschenrechte einhalten und auch die
Gründung von Unternehmen ermöglichen. Sie wissen,
dass erst dadurch überhaupt Arbeitsplätze entstehen und
die Wirtschaft florieren kann. Insofern stehen die Ärmsten für uns im Fokus. Bei der Auswahl der Projekte sehen wir sehr genau hin, was unserem Ziel am nächsten
kommt.
Zu China sage ich Ihnen: Alle Leistungen, auch die,
die dort seitens der Regierung nachgefragt werden, erbringen wir. Das gilt auch für Beratungsleistungen. Wir
erbringen sie aber gegen Bezahlung.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Sascha Raabe auf:
Welche Unternehmen wurden in den vergangenen zwei
Jahren mit Mitteln in welcher Höhe aus dem Haushaltstitel
687 11 „Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft“ des
Einzelplans 23 gefördert?
Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Raabe, ich möchte vorweg sagen, dass
wir mit Mitteln des Haushaltstitels 687 11 nicht Unternehmen direkt fördern, das heißt, hier werden keine Subventionen gezahlt, sondern Entwicklungspartnerschaften
und Machbarkeitsstudien finanziert, zu denen Unternehmen mindestens 50 Prozent der Gesamtkosten beitragen.
Seit 2010 wurden aus dem Haushaltstitel, den ich eben
nannte, für Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft etwa 54 Millionen Euro vertraglich belegt. Es gibt
hier eine Aufstellung von Einzelprojekten, nämlich 216
an der Zahl, die in diesem Zeitraum mit Unternehmen
eingegangen wurden. Diese Liste liegt mir im Detail vor.
Ich biete Ihnen an, Ihnen diese zur Einsicht zur Verfügung zu stellen.
Herr Raabe, eine Nachfrage? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 26 des Kollegen Sascha Raabe auf:
Um wie viel Prozent ist die Zahl der Anträge auf eine Förderung aus dem Haushaltstitel 687 11 „Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft“ des Einzelplans 23 und das tatsächlich abgerufene Volumen aus dem Titel 687 11 in den
vergangenen zwei Jahren angestiegen, und wie bewertet das
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung die Nachfrage nach Förderungen aus dem Titel
seitens der Wirtschaft?
Herr Kollege Raabe, die Nachfrage nach Förderung
aus dem Haushaltstitel 687 11 „Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft“ des Einzelplans 23 ist mit
Einführung des Ideenwettbewerbs vom Januar 2009 gestiegen und in den vergangenen zwei Jahren 2010, 2011
auf dem gleichen Niveau geblieben.
Das tatsächlich abgerufene Volumen aus dem genannten Titel ist in den vergangenen zwei Jahren ebenfalls
gleich geblieben, weil die Mittel immer voll abgerufen
wurden. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bewertet es als äußerst
positiv, dass die Nachfrage der Unternehmen nach einer
Kooperation mit dem BMZ die Höhe der verfügbaren
Fördermittel übersteigt und somit ein Wettbewerb um
die besten Vorschläge stattfindet.
Für uns ist neben der Anzahl der Förderanträge vor
allem die Qualität entscheidend. Auch in dieser Hinsicht
bewertet das BMZ es positiv, dass in den vergangenen
zwei Jahren die Zahl der strategischen Allianzen gestiegen ist, dass also mehr groß angelegte Entwicklungspartnerschaften mit einer besonderen Breitenwirksamkeit
eingegangen werden konnten.
Sie haben eine Nachfrage, Herr Raabe. Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, was den ersten Teil Ihrer Antwort angeht, habe ich Sie so verstanden, dass das Volumen in den letzten zwei Jahren im Prinzip relativ konstant geblieben ist. Wie verträgt sich das mit der Aussage
des Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, dass die Privatwirtschaft unter seiner
Ägide besonders profitiert und dass sie zum Aufbau in
den Entwicklungsländern beiträgt? Durch seine sämtlichen Konzepte zieht sich das Motto: Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft. Steht das nicht im Widerspruch dazu,
dass in diesem Bereich anscheinend gar nicht so viel geschehen ist?
Herr Kollege Raabe, ich verstehe Ihre Skepsis gegenüber der Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft nicht
wirklich. Allein im Titel „Ministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung“ drückt sich doch eigentlich aus, wie wertvoll die Privatwirtschaft ist. Sie
wissen sicher auch, dass unsere Haushaltsansätze nicht
annähernd reichen, um die Entwicklungsarbeit zu leisten,
die wir gerne leisten würden. Das heißt, wir brauchen
Partner. Partner sind auf der einen Seite die Zivilgesellschaft und auf der anderen die Privatwirtschaft. Dass es
eine große Nachfrage nach unseren Projekten gibt - nach
Projekten, mit denen wir eine Kooperation anbieten -,
finde ich positiv. Ich sehe darin überhaupt nichts Negatives. Auf diese Weise gelingt es uns, Investitionen in Entwicklungsländern in erheblichem Umfang zu generieren
und somit Entwicklung voranzutreiben. Ich bitte Sie, das
auch einmal von der positiven Seite zu sehen.
Dafür haben Sie jetzt noch eine Zusatzfrage.
({0})
Frau Staatssekretärin, ich glaube, Sie haben meine
erste Frage völlig missverstanden. Ich wollte gerade darauf hinweisen, dass Entwicklungsminister Niebel immer betont, dass die vorige Regierung die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft vernachlässigt habe und dass er
es viel besser mache. Ihre Antwort hat gerade bestätigt,
dass der Umfang dieser Zusammenarbeit in den letzten
zwei Jahren im Prinzip konstant geblieben ist. Natürlich
haben wir zu unserer Regierungszeit gesehen, dass diese
Zusammenarbeit durchaus positive Effekte haben kann.
Mich wundert, dass Minister Niebel immer so tut, als sei
das jetzt sein neues Instrument; schließlich hat sich im
Prinzip faktisch gar nichts getan. Ich vermute, Sie haben
bei der Beantwortung meiner Frage das abgelesen, wovon Sie glaubten, dass ich es hören will. Meine eigentliche Frage zielte aber auf etwas anderes.
Ich habe bei der Beantwortung des zweiten Teils Ihrer
Frage nicht abgelesen; darauf weise ich ausdrücklich hin.
Die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft ist etwas, was wir als neue Bundesregierung enorm propagieren. Eine solche Zusammenarbeit hat es in den elf Jahren
zuvor nicht gegeben. Wir sprechen jetzt von Mitteln, die
wir im Rahmen eines Ideenwettbewerbs vergeben, weil
die Nachfrage danach so groß ist. Das belegt eigentlich
den positiven Aspekt, also auch den erzielbaren Erfolg.
Es gibt viele andere Projekte, die wir gemeinsam mit
der Privatwirtschaft verfolgen. Ich glaube, dass das der
richtige Weg ist, um in Zukunft mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit zu erhalten, aber auch um
mehr Wirksamkeit zu bekommen, Stichwort „Wettbewerb um die Gelder“. Das ist einleuchtend, jedenfalls für
uns.
Frau Roth, eine Nachfrage, bitte.
Dass es eine gute Entwicklung gegeben haben soll,
nehmen wir einfach einmal so hin.
Sie haben gesagt, dass es seit kurzem Ideenwettbewerbe gibt. Frau Kollegin Kopp, vielleicht ist es Ihnen
möglich - wenn nicht jetzt, dann doch zumindest im
Nachgang -, uns eine Liste zur Verfügung zu stellen, aus
der hervorgeht, wie viele Maßnahmen Sie hätten bewilligen können, wenn Sie genügend Mittel gehabt hätten.
Frau Kollegin Roth, das ist aus dem Stegreif schwer
zu sagen. Ich habe von den 216 gelisteten Projekten gesprochen. Es gibt Informationen über weitere Anfragen.
Aber die Zahl müsste ich Ihnen nachliefern; die habe ich
jetzt nicht dabei. Ich habe die Zahl genannt, die belastbar
ist und somit auch schon „eingepreist“ ist. So können Sie
genau nachvollziehen, auf welcher Ebene wir zusammenarbeiten. Wenn Sie möchten, liefere ich die Sie interessierende Zahl gern nach.
({0})
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht unser Kollege Parlamentarischer
Staatssekretär Ernst Burgbacher zur Verfügung.
Die Fragen 27 und 28 des Kollegen Krischer werden
schriftlich beantwortet. Die Frage 29 ist bereits beantwortet worden. Die Frage 30 des Kollegen Fell wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 31 der Kollegin Nestle auf:
Was sind die Gründe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, dass es sich schon mehrfach gegen
die Schaffung eines Kapazitätsmarkts ausgesprochen hat,
gleichzeitig aber ein Kraftwerksförderprogramm mit Investitionszuschüssen vorantreibt?
Frau Präsidentin, ich würde gern die Fragen 31 und 32
zusammen beantworten, weil sie in einem engen Zusammenhang stehen.
Dann rufe ich auch die Frage 32 der Kollegin Nestle
auf:
Inwiefern greift eine pauschale Förderung von Kraftwerken mit 15 Prozent der Investitionssumme weniger in den
Markt ein als ein Kapazitätsmarkt, den der Bundesminister
Dr. Philipp Rösler aufgrund seines tiefen Eingriffs in die
Marktmechanismen beim EU-Ratstreffen der Wirtschaftsund Energieminister in Breslau abgelehnt hat?
Liebe Kollegin Nestle, Kapazitätsmechanismen können, je nach Ausgestaltung, einen tiefen Eingriff in die
Energiemärkte bedeuten, insbesondere dann, wenn sie
auf einer zentralen Bestimmung zukünftiger Kraftwerksbedarfe beruhen. Das Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie lehnt derartige Mechanismen nicht
grundsätzlich ab - auch der Minister nicht -, will einen
solch weitreichenden Schritt aber sorgfältig prüfen. Deswegen hat unser Ministerium einen Forschungsauftrag
unter anderem zur Frage der Notwendigkeit und der
möglichen Ausgestaltung von Kapazitätsmärkten vergeben.
Das Kraftwerksförderprogramm ist dagegen auch vor
dem Hintergrund des EU-beihilferechtlichen Rahmens
von vornherein auf die Jahre 2013 bis 2016 befristet und
zudem auf Erzeuger mit einem Anteil von weniger als
5 Prozent der Stromerzeugung begrenzt.
Frau Nestle, eine Nachfrage. Bitte sehr.
Danke schön. - Ich würde gern nachfragen, wie Sie
sich das mit dem Kraftwerksförderprogramm eigentlich
vorstellen. Wie soll durch dieses Programm sichergestellt werden, dass Kraftwerke dort entstehen, wo man
sie wirklich braucht? Wir haben in der Debatte um die
Kaltreserve gesehen, dass der Standort der Kraftwerke
entscheidend ist. Es geht darum, effizient darüber zu entscheiden, welche Kraftwerke wo gebraucht werden. Ein
pauschales Kraftwerksförderprogramm bedeutet letztlich aber doch nur, dass derjenige, der am teuersten baut,
die höchste Subvention bekommt.
Das wird sicher nicht der Fall sein, Frau Kollegin
Nestle. Wir sind jetzt in einer ganz schwierigen Situation; das wissen wir alle. Wir brauchen Kraftwerkszubau. Wir haben eine enorme Steigerung der Erneuerbaren, die aber nicht immer verfügbar sind. Die
notwendigen Speichertechniken sind noch nicht einsatzbereit. Deshalb müssen wir vom Staat aus fördern.
Wir haben das von vornherein auf vier Jahre begrenzt,
wie ich schon gesagt habe, und wir haben parallel dazu
einen Auftrag vergeben, Kapazitätsmärkte zu untersuchen. Wir müssen jetzt zunächst einmal alles zur Verfügung stellen, was wir haben, um Engpässe zu vermeiden.
Ich denke, wir sollten gemeinsam in diese Richtung gehen.
Sie haben eine weitere Nachfrage. Bitte.
Ich würde gern noch nachfragen, worauf Sie erstens
die Annahme gründen, dass wir neben den Kraftwerken,
die bereits im Bau sind und von diesem Kraftwerksförderprogramm gar nicht betroffen sind, noch den Zubau
weiterer fossiler Kraftwerke brauchen, und worauf Sie
zweitens die Annahme gründen, dass nicht gebaut
würde, wenn es das Kraftwerksförderprogramm nicht
gäbe. Es ist doch so, dass gerade das Reden darüber,
nämlich zu sagen: „Später bekommt ihr eine Förderung“, alle davon abhält, jetzt zu bauen; man wartet doch
lieber, bis man noch ein bisschen Geld extra bekommt.
Worauf gründen Sie also erstens die Annahme, dass das,
was schon im Bau ist, nicht ausreicht, und zweitens die
Annahme, dass ohne ein Kraftwerksförderprogramm
nichts gebaut würde?
Wir können uns im Augenblick auf Erhebungen beziehen. Wir wissen, dass es kurzfristig schwierig werden
kann. Wir beschränken die Förderung auf die kleinen
Stromerzeuger - unter 5 Prozent Anteil an der Stromerzeugung - und begrenzen sie zeitlich. In dem Gutachten,
das wir in Auftrag gegeben haben, soll ja ausdrücklich danach gefragt werden: Wie sind die Anforderungen? Was
kommt auf uns zu? Wir werden die entsprechenden Zahlen bekommen, und das Gutachten wird zeitnah vorgelegt werden.
Die Fragen 33 und 34 der Kollegin Höhn werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen 35 und 36 des Kollegen
Bülow. - Er ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie
in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Frage 37 des Kollegen Hans-Joachim Hacker, die
Frage 38 der Kollegin Katja Keul sowie die Frage 39 der
Kollegin Heike Hänsel werden - ebenso wie die darauf
folgenden Fragen 40 bis 47 - schriftlich beantwortet.
Da die Kollegen Wieland, Ströbele und Kurth nicht
im Saal sind, verfahren wir bei den Fragen 48, 49, 50, 51
und 52 sowie bei der Frage 61, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Ich schlage vor - so ist es von den Parlamentarischen
Geschäftsführern vereinbart -, dass wir unsere Sitzung
jetzt unterbrechen. Die Geschäftsführer haben sich darauf geeinigt, dass wir nach der Unterbrechung die Fragestunde weiterführen und dann die Aktuelle Stunde anschließen. - Bitte, Herr Grund.
Wir haben vereinbart, dass wir bis gegen 16 Uhr die
Fragestunde weiterlaufen lassen, soweit die Fragesteller
noch im Saal sind. Danach wollen wir ungefähr eine
halbe Stunde mit dem Minister über die Fragen der Opposition reden. Um 16.30 Uhr soll die Aktuelle Stunde
aufgerufen werden. Darüber sind alle Kollegen informiert, und sie haben sich dementsprechend darauf eingestellt.
Ich gehe davon aus, dass der Minister vor 16.15 Uhr
hier sein wird, da der Flieger um 15.35 Uhr gelandet ist.
Wir verfahren so, dass wir nach der halben Stunde, die
für die Befragung des Ministers vorgesehen ist, mit der
Aktuellen Stunde fortfahren.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir setzen die Fragestunde fort. Wie verabredet werden wir für maximal 20 Minuten zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit zurückkehren.
Ich rufe erneut die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten
Dr. Matthias Miersch auf:
Inwieweit sind für Brennelemente aus den acht in 2011
stillgelegten Atomkraftwerken ausreichend Castorbehälter verfügbar, um die Verweildauer in Abklingbecken auf das technisch notwendige Maß zu begrenzen, und, falls diese nicht
vorliegen, welche Gründe sind gegebenenfalls dafür verantwortlich?
Werden Brennelemente aus den in 2011 stillgelegten Atomkraftwerken auch nach einer Abklingzeit von fünf Jahren in
Abklingbecken gelagert werden, und welche Standorte betrifft
dies im Einzelnen?
Der Minister steht zur Beantwortung bereit. Bitte
schön.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich erklären, wo ich war. Ich
war bei der Feierstunde zum 60-jährigen Bestehen des
Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Ich bin eben
erst in Berlin eingetroffen und bin selbstverständlich
gerne bereit, Ihre Fragen zu beantworten. Ich würde die
Fragen 5 und 6 des Kollegen Miersch gerne im Zusammenhang beantworten.
Entsprechend § 9 a Abs. 1 Atomgesetz haben die Betreiber der Kernkraftwerke dafür Sorge zu tragen, dass
die bestrahlten Brennelemente aus dem Betrieb geordnet
beseitigt werden. Es liegt auch im Interesse der Betreiber, bei denen entsprechend der 13. Novelle zum Atomgesetz die Berechtigung zum Leistungsbetrieb erloschen
ist, die bestrahlten Brennelemente, sobald die sicherheitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind, in die
Zwischenlager zu überführen, um die Anlagen zügig abbauen zu können. Es ist daher zu erwarten, dass die erforderlichen Behälter in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen werden. Der Bundesregierung liegen derzeit
keine anderslautenden Informationen vor.
Die Zeit für den Verbleib von bestrahlten Brennelementen im Abklingbecken ist in den Genehmigungen
der Kernkraftwerke nicht limitiert. Sie liegt in der Regel
bei fünf Jahren; das ist die Größenordnung. Begrenzend
sind allerdings die Randbedingungen aus der verkehrsrechtlichen Zulassung der Behälter sowie die technischen Ausnahmebedingungen der Zwischenlager bei der
Überführung der bestrahlten Brennelemente in die trockene Zwischenlagerung. Ich nenne insbesondere die
Nachwärme, die Sicherstellung der Unterkritikalität und
die Quellstärke für die Neutronen- und Gammastrahlung. Im Hinblick auf den Nachweis der Unterkritikalität
spielt die geringe Einsatzzeit von Brennelementen, die in
der letzten Revision in den in Rede stehenden Kernkraftwerken nachgeladen wurden, eine sicherheitstechnisch
wichtige Rolle.
Detaillierte Untersuchungen, welche Mengen von
Brennelementen in welchen Kernkraftwerken betroffen
sind, liegen nicht vor. Die Entsorgungskommission hat
sich im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit in ihrer Stellungnahme „Anforderungen an bestrahlte Brennelemente aus
entsorgungstechnischer Sicht“ vom 27. Mai 2011 vertieft mit Fragen in diesem Zusammenhang befasst. Die
Stellungnahme wurde auf der Homepage der ESK veröffentlicht. Die ESK kommt in ihrer Stellungnahme jedoch
auch zu dem Ergebnis, dass es möglich erscheint, da die
Beladung der Behälter erst in einigen Jahren erfolgen
kann, in der Zeit bis dahin die erforderlichen Genehmigungsverfahren durchzuführen und abzuschließen.
Herr Miersch, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte
schön.
Herr Minister, können Sie aus Ihrer heutigen Perspektive abschätzen, wie viele Castoren notwendig sind, um
die Brennelemente eines AKW zu transportieren?
Nein, die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.
Sie sagen, dass Sie augenblicklich keine Erkenntnisse
haben -
Herr Miersch, das ist jetzt Ihre zweite Nachfrage.
Nur, damit wir uns einig sind.
Genau. Aber da es zwei Fragen sind, habe ich, glaube
ich, vier Nachfragen.
Sie dürfen gerne vier Nachfragen stellen. Wenn Sie
mir die Gelegenheit geben, mitzuzählen, wäre das aber
sehr freundlich.
Selbstverständlich, Frau Präsidentin.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank für die Erteilung des Wortes.
Ich möchte Sie gerne mit einem Artikel aus dem Handelsblatt von heute konfrontieren: Nach Angaben von
Experten werden allein für Biblis 50 Castorbehälter notwendig sein. - Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Arbeiten Sie an Konzepten, die es Ihnen ermöglichen, eine
ausreichende Anzahl an Castorbehältern bereitzustellen,
um den Verbleib im Abklingbecken so kurz wie möglich
zu halten?
Ich sage es noch einmal: Wir haben keine Umrechnung quasi von Kernkraftwerken in Behälter. Selbstverständlich wird das Teil eines Rückbau- und Entsorgungskonzepts sein, um das sicherheitstechnische Optimum
realisieren zu können.
Herr Kelber.
Ich bin mir unsicher: Hat man als einfaches Mitglied
zwei Nachfragen, weil die Fragen 5 und 6 gemeinsam
beantwortet wurden?
Wir behandeln die Fragen 5 und 6 gemeinsam. Herr
Miersch könnte noch zwei weitere Nachfragen stellen.
Sie könnten zwei Fragen stellen. Auch Frau Nestle, die
sich bereits gemeldet hat, könnte zwei Fragen stellen,
wie alle anderen auch. Alles muss aber im Rahmen der
verabredeten Zeit bleiben.
({0})
Danke schön. - Herr Bundesminister, erstens, ist die
Bundesregierung bereit, sich in nächster Zeit darüber zu
informieren, wie viele Brennelemente für den Castor15168
transport anstehen und wie viele Castoren dafür benötigt
werden? Wenn ja: bis wann?
Zweitens. Teilen Sie angesichts der Tatsache, dass
mehrere der abgeschalteten deutschen Atomkraftwerke
den Fukushima-Reaktoren dergestalt ähneln, dass das
Abklingbecken außerhalb des inneren Sicherheitscontainments liegt, meine Meinung, dass es sinnvoll wäre,
in diesen Fällen den Verbleib im Abklingbecken auf die
technisch notwendigen fünf Jahre zu reduzieren?
Noch einmal: Acht Kernkraftwerke sind in der Tat
nicht mehr am Netz. Sukzessive werden wir zur Beendigung der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie
kommen. Die Kernkraftwerke werden aber nicht einfach
abgeschaltet, sondern es schließt sich ein Rückbau- und
Entsorgungskonzept an, das erarbeitet bzw. entwickelt
wird. Es wird sich an dem Standard des sicherheitstechnischen Optimums orientieren; das ist der Maßstab, der
zu formulieren ist. Das ist klare und eindeutige Betreiberpflicht. Dies unterliegt uneingeschränkt der Aufsicht
der Länder als zuständige Behörden und auch der Aufsicht des Bundes, die er über die Länder ausübt. Der
Standard des sicherheitstechnischen Optimums wird
- wie schon für den Betrieb von Kernkraftwerken selbstverständlich auch für den Rückbau und die Entsorgung der Maßstab für die Maßnahmen sein.
Jetzt Frau Nestle, bitte.
Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, Sie würden
einen Plan für den Rückbau der Atomkraftwerke und die
sichere Entsorgung vorlegen. Wann werden Sie diesen
Plan vorlegen, und wann werden Sie ein Endlagersuchgesetz vorlegen?
Ich habe nicht gesagt, dass wir den Plan vorlegen,
sondern ich habe gesagt, dass es Aufgabe der Kernkraftwerksbetreiber ist, den Rückbau zu organisieren. Sie
trifft auch die Pflicht der Entsorgung, die unter staatlicher Aufsicht steht. Die staatliche Aufsicht wiederum
wird sich an dem sicherheitstechnisch realisierbaren Optimum als Maßstab orientieren. Das ist die Aussage
dazu.
Zu Ihrer zweiten Frage, zum Endlagersuchgesetz. Wir
alle miteinander - das ist ein Novum - haben als Teil des
energiepolitischen Konsenses erreichen können, dass wir
auch die Frage der Endlagerstandortsuche in einem Konsensverfahren regeln. Darum habe ich hier im Deutschen
Bundestag angekündigt, dass es dazu ein eigenes Gesetz
geben wird. Ich habe schon einige Elemente dargelegt,
nämlich die partizipatorische Beteiligung und die wissenschaftlichen Kriterien, die Teil des Gesetzes sein sollen. Weiterhin habe ich zum Ausdruck gebracht, dass wir
das im Konsens insbesondere zwischen Bund und Ländern erreichen wollen. Aber auch die Zivilgesellschaft
soll in diesen Prozess integriert werden.
Im Rahmen des Energiekonsenses haben wir angekündigt, dass wir bis zum Ende des Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen wollen. Aber entscheidend ist, dass
das, was wir vorlegen, auch Ausdruck des Konsenses,
den wir erreichen, sein muss und sein wird. Wir werden
nicht einseitig etwas auf den Tisch legen, sondern wir
werden uns bemühen, einen gemeinsamen Konsens zu
erarbeiten und die Ergebnisse dann hier vorzulegen.
Herr Lenkert, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Bundesminister, ich möchte bezüglich der Betriebsdauer nachfragen.
Atomkraftwerke sind im Durchschnitt auf 40 Jahre Betriebsdauer ausgelegt. Jetzt kommen noch fünf Jahre
hinzu, die Zeit, in der die Brennelemente nachklingen
müssen. Will die Bundesregierung eine maximale Verweilzeit in den Abklingbecken festlegen, um sicherzustellen, dass zwischenzeitlich nichts passiert?
Zur zweiten Frage. Sie haben gerade von der Beteiligung der Zivilgesellschaft an dem Prozess der Endlagersuche gesprochen. Da würde mich ganz massiv interessieren, ob Sie auch die Fachleute der entsprechenden
Bürgerinitiativen einbeziehen werden und ob die Einbeziehung dann mit möglichen Vetorechten verbunden ist.
Vielen Dank.
Zum ersten Punkt. Ich möchte noch einmal unterstreichen: Es geht darum, dass wir das sicherheitstechnische
Optimum realisieren. Wie sich das im Einzelnen darstellt, kann hier noch nicht dargelegt werden. Der Maßstab aber ist klar: So, wie sich der Betrieb an dem Stand
von Sicherheit und Technik orientiert, werden sich auch
der Rückbau und die Entsorgung an dem Stand von Sicherheit und Technik orientieren. Das ist der Maßstab,
der von den Betreibern einzuhalten und staatlicherseits
zu garantieren ist. Wie sich das technisch ausdrückt, ist
eine andere, auch technische Frage. Aber die politische
Frage ist der Maßstab, und der Maßstab ist der, den ich
genannt habe.
Der zweite Punkt ist: Selbstverständlich ist das ein
breiter Dialog. Alle Erfahrungen lehren uns, dass dieser
Dialog breit sein muss. Er soll auch breit sein, weil am
Ende eine verantwortliche Entscheidung steht. Das
Wichtigste ist, dass wir akzeptieren, dass das unser Müll
ist und dass es die politische Verantwortung dieser Generation ist, radioaktive Abfälle sicher zu entsorgen. Das
werden wir in der Gesellschaft mit den verantwortlichen
Ländern und dem Bund entscheiden und klären.
Frau Kotting-Uhl.
Ich nehme an, dass ich meine zwei Fragen nacheinander stellen darf. - Meine erste Frage: Sie sagten eben, es
sei die Verantwortung dieser Generation, dafür zu sorgen, dass der Atommüll sicher und verantwortungsvoll
gelagert wird. Wie lässt sich das mit den Aussagen Ihres
Parteikollegen Ministerpräsident McAllister aus Niedersachsen vereinbaren, der sehr stark für die Rückholbarkeit plädiert, um sich - so vermute ich - des Problems
Gorleben elegant zu entledigen und darüber nicht weiter
diskutieren zu müssen? Rückholbarkeit heißt ja, dass
man die endgültige Entscheidung und damit auch die
Kontrolle sehr weit in die Zukunft verschiebt.
Das heißt Rückholbarkeit nach unserem Verständnis
nicht. Das Kriterium der Rückholbarkeit und Bergung ist
kein neues Kriterium, sondern schon in der Diskussion.
Aber das beinhaltet - nach unserem Verständnis, aber,
ich glaube, auch nach dem Verständnis des niedersächsischen Ministerpräsidenten - ganz sicher nicht die
Verschiebung der Entscheidung auf einen späteren Zeitpunkt. Vielmehr bedeutet „Rückholbarkeit und Bergung“, dass es eine Entscheidung für den Standort gibt,
dass sie aber nicht unwiderrufbar sein soll, sondern dass
man offen für neue Erkenntnisse ist, die man in der Zukunft, in 30, 50 oder 80 Jahren, für die Behandlung von
radioaktiven Abfällen möglicherweise gewinnt. So erhält man sich die Möglichkeit, neue Erkenntnisse für die
bessere Behandlung von Abfällen zu realisieren; das ist
der eigentliche Sinn von Rückholbarkeit und Bergung.
Im Gegensatz dazu steht eine möglichst geschlossene,
definitive Abschirmung von der Biosphäre. Man muss
die Entscheidung wissenschaftlich und politisch abwägen. Es geht aber nicht um eine Vertagung der Entscheidung auf nächste Generationen; es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen.
Frau Kotting-Uhl.
Ich möchte im Nachklapp sagen: Wir sind uns sicherlich einig, dass Bergbarkeit und Rückholbarkeit keine
identischen Konzepte sind.
Genau.
Rückholbarkeit beinhaltet, dass man das Endlager offenlässt. Das ist dann schon eine Vertagung der Entscheidung.
Nein, nein.
Ich habe noch eine ganz konkrete Frage an Sie, die
natürlich damit zu tun hat. Es muss eine Entscheidung
darüber herbeigeführt werden, ob man vom bisherigen
Konzept des baldigen Verschlusses abgeht und welches
Konzept man dann voranbringen möchte, ob man ein
Konzept der offengehaltenen Rückholbarkeit oder ein
Konzept der Bergbarkeit wählt. Das Versprechen der
Kanzlerin ist unterschiedlich verstanden worden.
Möchte sie - respektive möchten Sie - nun bis zum Jahresende ein Endlagersuchgesetz vorlegen, oder sollen
das nur Vorschläge sein, welche Schritte man gehen
kann? Diese Frage steht unbeantwortet im Raum. Deshalb lautet meine konkrete Frage an Sie: Bedeutet dieses
etwas unklare Versprechen, dass es noch im Laufe dieses
Jahres ein Endlagersuchgesetz geben wird, oder bedeutet
es dies nicht?
Das Entscheidende an dem, was wir verabredet haben, ist, dass wir versuchen wollen, darüber einen gesellschaftlichen Konsens zu erzielen. Das ist der entscheidende Punkt. Wenn Sie meine Prämisse teilen, dass es
die Verantwortung dieser Generation, unserer Generation, ist, dies zu entscheiden, dann, glaube ich, sind gesellschaftliche Akzeptanz und Konsensbildung eine Bedingung dafür, dass wir unserer Verantwortung gerecht
werden. Das ist mein Maßstab. An diesem Maßstab wird
sich die Gesetzgebung orientieren. Das Ziel ist Konsens;
wir sind dabei, diesen zu bilden. Ich habe schon einige
Vorschläge gemacht. Darüber wird in der Breite diskutiert werden, und dann müssen wir irgendwann zu Entscheidungen kommen.
Herr Miersch.
Ich möchte noch einmal daran anschließen; denn die
Frage des Castortransports offenbart, dass es notwendig
ist, auch ein Konzept für die Endlagerung zu haben. Es
ist wichtig, ein Endlagersuchgesetz zu bekommen, das
hier einen Konsens herbeiführt. Deswegen lautet meine
konkrete Frage: Können Sie heute nicht mehr die Garantie geben, dass Sie noch in diesem Jahr einen Entwurf eines Endlagersuchgesetzes im Kabinett vorlegen werden?
Ich habe Sie bislang so verstanden, dass Sie einen Entwurf vorlegen und über den Gesetzentwurf dann dieses
Haus entscheidet.
Wir streben das an; aber wir wollen mit den Vorschlägen, die wir machen, dem Konsens dienen. Darum muss
das Gesetz den Konsens nicht herbeiführen, sondern das
Gesetz sollte den Konsens ausdrücken. Ich lade Sie ein
- das sage ich ganz deutlich -, daran mitzuwirken und
nicht nur zu warten, was andere vorlegen. Ich verstehe
Konsensbildung nicht so, dass der eine dem anderen
sagt, wo er zustimmen soll. Konsens besteht vielmehr
darin, dass alle an der Meinungsbildung beteiligt sind
und sich diese gemeinsame Meinung in einem Gesetz
ausdrückt. Nur so kann Konsens funktionieren. Wenn
die eine Seite meint, einen Konsens dadurch erreichen
zu können, dass die andere Seite die Vorschläge übernimmt, dann ist das, wie ich glaube, kein zielführender
Beitrag. Unser Vorschlag ist, Sie einzuladen. Unsere
Bitte und unser Appell an Sie lauten, mitzumachen und
sich der Verantwortung zu stellen. Das gilt für dieses
Haus, das gilt für die Länder, und das gilt auch für betroffenen Regionen und Kommunen. Alle müssen ihre
Verantwortung wahrnehmen und zusagen, am Inhalt mitwirken, um ein gemeinsames Ergebnis zu erzielen.
Noch einmal Herr Miersch, bitte.
Ist die Grundvoraussetzung dafür nicht, dass Sie als
Vertreter der Exekutive endlich einen Gesetzentwurf
vorlegen, damit das Parlament Ihrer Einladung folgen
kann?
Ich finde es, weil ich auch Parlamentarier und nicht
nur Mitglied der Exekutive bin,
({0})
bemerkenswert, dass Sie die Exekutive auffordern, einen
Gesetzentwurf vorzulegen.
({1})
Nach meinem Verständnis ist nach wie vor der Bundestag der Gesetzgeber.
({2})
- Das habe ich bislang gesagt? Nein, ich glaube, ich
habe immer gesagt, dass Gesetze vom Deutschen Bundestag beschlossen werden; das ist jedenfalls meine Auffassung.
({3})
Die Bundesregierung wird und will diesen Konsensprozess durchführen, gar keine Frage. Wenn ein wirklicher Konsens erzielt werden soll, dann müssen aber auch
andere Beteiligte daran mitwirken. Darum lautet mein
Appell an die Fraktionen, sich an der Konsensbildung zu
beteiligen. Wenn wir erfolgreich arbeiten, wird der Deutsche Bundestag im Konsens einen Gesetzentwurf beschließen können. Das ist mein Vorschlag.
Frau Steiner.
Herr Minister Röttgen, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass Sie bei der Erarbeitung eines Endlagersuchgesetzes wissenschaftliche Kriterien zugrunde legen
wollen. Außerdem haben Sie ausgeführt, dass Sie diese
Kriterien schon dargelegt haben. Ich kann mich, ehrlich
gesagt, nicht genau daran erinnern, wo Sie die dargelegt
haben. Vor dem Hintergrund dieser wissenschaftlichen
Kriterien und der Debatte um Bergbarkeit und Rückholbarkeit möchte ich Sie fragen: Wie bewerten Sie die Vorschläge aus Niedersachsen - in diesem Fall konkret die
Vorschläge des dortigen Umweltministers Sander, der
der FDP angehört -, die Castorbehälter in Bunkern zu lagern und perspektivisch auch eine Endlagerung in Bunkern vorzunehmen?
Ich will klarstellen: Ich habe die wissenschaftlichen
Kriterien eben nicht inhaltlich benannt. Vielmehr habe
ich schon in meiner Haushaltsrede einige Elemente eines
Endlagersuchgesetzes erwähnt. Dazu gehört, dass es
nicht mehr Teil des Atomgesetzes sein, sondern eine eigenständige gesetzliche Grundlage haben soll, dass ein
partizipatorisches Verfahren vorgesehen werden soll und
dass der Bundestag über die wissenschaftlichen Kriterien, anhand derer zu entscheiden ist, entscheiden soll.
In dieser Diskussion geht es auch darum, Abwägungen vorzunehmen. Der Vorschlag des Herrn Kollegen
Sander sieht vor, keine unterirdische Endlagerung mehr
durchzuführen, sondern eine - für längere Zeiträume,
aber endliche - obertägige Lagerung in Bunkern, wie Sie
sagen. Das ist ein Vorschlag, über den man reden muss,
wenn ein Landesminister ihn macht.
({0})
Die einen sagen, die Rückholbarkeit muss gewährleistet
sein. Die anderen sagen, der Abschluss von der Biosphäre ist das Wichtigste. Über diese Fragen muss man
diskutieren. Die Ergebnisse dieser Debatten müssen
dann in das Gesetz einfließen.
Die letzte Frage, die in der Zeit, die wir zur Verfügung haben, möglich ist, stellt die Kollegin Vogt.
Herr Minister, Sie haben vorhin ausgeführt, dass der
Rückbau selbstverständlich Sache der Betreiber ist. In
welcher Form werden Sie als Bundesumweltminister gewährleisten, dass der Rückbau in einem vernünftigen
zeitlichen Rahmen vonstattengeht? Das heißt: Mit welchen Zeiträumen rechnen Sie beim Rückbau, und wie
werden Sie gewährleisten, dass der Rückbau jeweils
nach dem tatsächlichen Stand von Sicherheit und Technik erfolgen wird? Welchen rechtlichen Rahmen planen
Der rechtliche Rahmen dafür existiert: Betreiberpflicht, Aufsicht der Länder, Aufsicht über die Bundesauftragsverwaltung der Länder durch den Bund. Das ist
der rechtliche Rahmen, der in der Verfassungsordnung
vorgesehen ist. Er wird auch eingehalten; er ist Alltagsund Verwaltungspraxis. In genau diesem Aufsichts- und
Pflichtenregime - als Ausgangspunkt sind zunächst einmal die Betreiber betroffen - wird der rechtliche Anspruch und Maßstab erfüllt. Die Maßnahmen selber werden sicher Jahre dauern - das steht außer Frage -, und
sie werden nach diesem Kriterium von den Betreibern zu
erfüllen sein. Die Erfüllung gemäß diesem Maßstab wird
durch den Staat - Länder, Behörden und Bund - gewährleistet sein.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
({0})
- Nein, eine zweite Frage ist nicht möglich. Wir sind
schon über die Zeit.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Haltung der Bundesregierung zur Frage einer
Umlenkung von Verkehrsinvestitionsmitteln
des Bundes für die Autobahn A 100 auf andere
Verkehrsprojekte des Bundes in Berlin
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Kai Wegner für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die christlichliberale Koalition hat heute diese Aktuelle Stunde beantragt, um Fakten zu sortieren und eine angemessene
Sachlichkeit in die Diskussion zu bringen. Es geht um
die Umlenkung von Investitionsmitteln des Bundes aus
dem Bundesverkehrswegeplan. Die Aktualität begründet
sich darin, dass ein wichtiges Projekt des Bundesverkehrswegeplanes zu scheitern droht, nämlich der Ausbau
der A 100 in Berlin.
Was mussten wir in den letzten Tagen in der Diskussion in den Medien nicht alles zur Kenntnis nehmen:
„Rot-grüne Geisterfahrt“, „Autobahn auf dem Parkstreifen“, „Rot-Grün in Berlin: Realsatire um die A 100“ bis
hin zu „Irgendwie riecht das hier alles nach Comedy“.
Das ist wahrlich kein guter Start für Koalitionsverhandlungen und wahrlich auch kein gutes Zeichen für verlässliches Regierungshandeln in Berlin für die Zukunft.
({0})
Zu den Fakten. Wohlgemerkt: 2003 hat das rot-grüne
Bundeskabinett unter Kanzler Gerhard Schröder den
Ausbau der A 100 in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen. 2003! Damals saß auch Renate Künast am
Kabinettstisch.
({1})
Die A 100 wurde damals als Bestandteil der Projektlisten für den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen.
Sie ist eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte für die
deutsche Hauptstadt. Mit der Verlängerung der A 100
wird der neue Flughafen in Schönefeld - BER - besser
an Berlins Mitte und an den nördlichen Rand von Berlin
angebunden. Das gilt gleichzeitig auch für den Innovationsstandort Adlershof.
Angesichts der 63 Milliarden Euro Schulden, die die
deutsche Hauptstadt derzeit zu schultern hat, kann es
sich Berlin nicht leisten, auf 420 Millionen Euro vom
Bund zu verzichten.
({2})
Bereits jetzt reiben sich andere Länder für den Fall die
Hände, dass Berlin auf diese Realisierung verzichtet.
({3})
Dann bringen andere Bundesländer nämlich ihre Infrastrukturprojekte voran, und Berlin hat einmal mehr das
Nachsehen. Das wollen wir nicht.
Berlin steht in den nächsten Jahren vor großen Herausforderungen, um die Zukunft zu gestalten. Der zukünftige Berliner Senat muss verantwortungsbewusst
und zum Wohle Berlins und der Menschen, die in der
Hauptstadt leben, handeln. Der Bund nimmt seine Verantwortung für die deutsche Hauptstadt wahr.
({4})
Die Bundesregierung steht zum Ausbau der A 100.
Hier gilt mein Dank dem Bundesverkehrsminister
Peter Ramsauer. Er hat in den letzten Tagen noch einmal
klargestellt, dass der Bund zu diesem Projekt steht, dass
Mittel bereitstehen und, liebe Frau Rawert, dass diese
Mittel nicht umgelenkt werden können. Dafür bin ich
Peter Ramsauer sehr dankbar. Wenn Sie mir oder der
Bundesregierung nicht glauben, dann glauben Sie doch
dem Vorsitzenden des Verkehrsausschusses. Anton
Hofreiter hat heute gesagt - nachzulesen in den Potsdamer Neuesten Nachrichten -: Ein Umschichten der
Gelder für andere Berliner Projekte sei nicht möglich. Wo Herr Hofreiter recht hat, hat er recht.
({5})
Rot-Grün befindet sich beim Thema A 100 im Kreisverkehr ohne Ausfahrt. Bei der A 100 gibt es keinen
Kompromiss. Entweder sie wird gebaut, oder sie wird
nicht gebaut. Das ist die ganze Wahrheit.
Große Sorge umtreibt mich bei den unterschiedlichen
Interpretationen einiger Akteure. Der Regierende Bür15172
germeister sagt: Wenn die Mittel nicht umgeschichtet
werden können, wird die A 100 gebaut.
({6})
Der Vorsitzende der Fraktion der Grünen im Preußischen
Landtag bzw. im Berliner Abgeordnetenhaus sagt: Das
werden wir niemals unterschreiben.
({7})
Das zeigt einmal mehr, dass sich Rot-Grün, bevor es losgegangen ist, im Kreisverkehr ohne Ausfahrt befindet.
Die Grünen setzen auf Zeit. Sie wollen damit eine
Entscheidung für die A 100 umfahren. Dieser Trick wird
aber nicht aufgehen. Berlin benötigt dringend Investitionen. Sämtliche Unternehmensverbände fordern den Ausbau der A 100. Investitionen in Infrastruktur schaffen
Arbeitsplätze, die diese Stadt so dringend braucht. Wir
sollten nicht mehr so lange über das Ob diskutieren, sondern endlich darüber, wie wir die A 100 bauen: Wie können sich kleine und mittelständische Unternehmen an
der Ausschreibung beteiligen, um sich an dieser tollen
Maßnahme des Bundes zu beteiligen und davon zu profitieren? Es geht also nicht so sehr um das Ob.
({8})
Berlin benötigt eine moderne Infrastruktur, einen modernen öffentlichen Personennahverkehr, aber eben auch einen modernen Individualverkehr.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Berlin
benötigt die Unterstützung des Bundes. Der Bund erwartet zu Recht Verlässlichkeit auch vom Land Berlin. Berlin braucht Stabilität, ganz bestimmt in den nächsten
fünf Jahren.
Herzlichen Dank.
({9})
Mechthild Rawert hat jetzt das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Zuhörende und Zuschauende! Da verschlägt es einem doch die Sprache:
({0})
Wir stecken in einer der größten wirtschaftlichen Krisen
überhaupt. Diese schwarz-gelbe Regierung weiß nicht,
ob sie morgen eine eigene Mehrheit für einen europäischen Stabilitäts- und Wachstumsmechanismus hinbekommt. Und was machen die schwarz-gelben Regierungsfraktionen? Sie sorgen sich um ein einzelnes
Projekt in Berlin.
Das gibt mir aber die Gelegenheit, mich bei den Berlinerinnen und Berlinern zu bedanken, die sich am
18. September für die SPD mit Klaus Wowereit an der
Spitze entschieden haben und der SPD den Regierungsauftrag erteilt haben, den Sie verpasst haben.
({1})
Wir haben sofort engagierte Politik gemacht und ergebnisoffene Sondierungsgespräche - bekanntermaßen
mit Ihnen, bekanntermaßen aber auch mit Bündnis 90/
Die Grünen - geführt, und wir haben uns verantwortungsvoll entschieden. Wir stehen für eine verlässliche,
vertrauensvolle und politisch tragfähige Politik im Interesse aller Berlinerinnen und Berliner, und wir stehen
natürlich dafür, dass wir unser Berlin-Programm möglichst breit umsetzen können.
Wir haben uns im SPD-Landesvorstand dafür entschieden, die Verhandlungen für eine Regierungsbildung
mit Bündnis 90/Die Grünen zu beginnen, und das ist gut
so. Der Landesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen hat
ebenfalls entschieden, mit uns zusammen in die Verhandlungen für eine Regierungsbildung einzutreten, und
auch das ist gut so.
Wir wollen gemeinsam eine leistungsfähige Infrastruktur. Wir glauben, dass dies Voraussetzung und
Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg sowie soziale und
ökologische Gerechtigkeit in Berlin ist. Für diese originären Berliner Interessen gestalten wir gemeinsam eine
rot-grüne Zukunft.
Ja, zu den strittigen Punkten im Berliner Wahlkampf
und auch bei den Berliner Sondierungsgesprächen gehörte der Ausbau der Bundesautobahn 100. Gemeint ist
eine 3 Kilometer lange Autobahn zwischen Neukölln
und Treptow. Wir reden über viel Geld: 420 Millionen
Euro.
({2})
Aber das Bemerkenswerte - darüber ärgern Sie sich
wahrscheinlich am meisten - ist: Rot-Grün war erfolgreich darin, eine Brücke zueinander zu bauen
({3})
und einen Kompromiss zu finden, auf den sich beide
Partner einigen konnten.
Sowohl die SPD als auch die Grünen wollen diese
leistungsfähige Infrastruktur. Wir wollen dafür Mittel
des Bundes einsetzen. Hier besteht absolute Einigkeit.
({4})
Rot-Grün hat sich darauf verständigt, dass die A 100
nicht grundsätzlich aufgegeben wird. Vielmehr wird aktiv und ernsthaft zu prüfen sein, ob eine alternative Verwendung der Bundesmittel
({5})
in anderen Infrastrukturmaßnahmen in Berlin möglich
ist. Ist eine alternative Verwendung der Bundesmittel
möglich,
({6})
erfolgt der Bau der A 100 nicht. Ist eine alternative Verwendung der Bundesmittel für Infrastrukturmaßnahmen
nicht möglich, so werden die investiven Bundesmittel
für den Weiterbau der A 100 verwendet.
({7})
Es ist richtig, das Klaus Wowereit die ganze Zeit darauf
besteht, diesen Konfliktstoff nicht dauerhaft präsent zu
haben.
Was machen Sie? Was macht Herr Ramsauer? Herr
Ramsauer verkündet seit Monaten die Maxime seines
Hauses: Erhalt und Sanierung vor Neubau, Erhalt und
Lärmschutz vor Neu- und Ausbau. Hat sich Herr
Ramsauer selbst nicht zugehört, wie auch Sie ihm nicht
zugehört haben? Gilt der von ihm propagierte Paradigmenwechsel hin zur Bestandssicherung und zum Lärmschutz grundsätzlich nicht mehr oder nur noch in dem
dann rot-grün regierten Berlin?
({8})
Das BMVBS ging doch davon aus, dass eine Umwidmung grundsätzlich möglich ist. Das hat die schriftliche
Beantwortung der Kleinen Anfrage 16/13760 bestätigt.
({9})
Bei Vorliegen des entsprechenden Bedarfs und der rechtlichen Voraussetzung ist eine Umwidmung der für den
Autobahnbau eingeplanten Mittel in Erhaltungs- und
Lärmschutzmaßnahmen an Autobahnen „grundsätzlich
möglich“. Das Leben ist aber nicht grundsätzlich. Das
Leben ist konkret. In einem Punkt hat Herr Ramsauer
recht - dadurch wird die ganze Scheindebatte, die Sie
hier führen, umso deutlicher -: Die Gelder für die A 100
- ich komme zum Schluss - können
Ihre Redezeit wäre jetzt auch konkret zu Ende.
- nicht umgeschichtet werden. Was wie ein Widerspruch aussieht, liegt allein darin begründet, dass diese
bislang weder im Bundeshaushalt noch in der Finanzplanung eingestellt sind. Deswegen, meine werten Kollegen
und Kolleginnen: Bleiben Sie bei der Realität und freuen
Sie sich nicht zu früh!
({0})
Der Parlamentarische Staatssekretär Jan Mücke hat
jetzt das Wort für die Bundesregierung.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kollegin Rawert, die rot-grüne Brücke, die Sie gerade beschrieben haben, ist soeben dabei, krachend zusammenzustürzen, denn das, was Sie vorhaben, wird niemals
Realität werden; davon können Sie ausgehen.
({0})
Der Deutsche Bundestag hat den Bedarf für den Ausbau der A 100 schon festgestellt, und zwar mit dem Beschluss zum Bundesverkehrswegeplan 2003 - ich will
das hier ausdrücklich zu Protokoll geben -, 6-streifig, im
vordringlichen Bedarf.
({1})
Auf Grundlage des Bundesverkehrswegeplans ist von
diesem Deutschen Bundestag ein Bundesfernstraßenausbaugesetz beschlossen worden. In diesem Bundesfernstraßenausbaugesetz finden Sie genau diese Ausbauvariante, die wir jetzt verfolgen und die wir gemeinsam
weiterverfolgen sollten, und zwar aus gutem Grund, weil
dieser Weiterbau, dieser 16. Bauabschnitt der A 100, für
die überregionale Erschließung des Ostteils von Berlin
wichtig ist. Es ist für die Stadtteile Treptow und Neukölln wichtig. Es ist für alle Anwohnerinnen und Anwohner wichtig, die im Moment in ihren Wohnungen in
kleinen Nebenstraßen nicht nur vom Durchgangsverkehr, sondern auch vom Zubringerverkehr auf dem Weg
zur Autobahn schwer belastet sind, was beispielsweise
auch Schulen und Tempo-30-Zonen betrifft. Deshalb ist
der Ausbau der A 100 dringend erforderlich.
({2})
Insofern ist es besonders kurios, dass die Möchtegernkoalitionäre in Berlin ein Projekt torpedieren wollen,
dass sie selber als rot-grüne Koalition in Berlin in den
Bundesverkehrswegeplan aufgenommen haben. Das ist
ein besonders schönes Beispiel für die Doppelgesichtigkeit, die Rot-Grün an den Tag legt.
({3})
Die Bundesregierung steht zum Auftrag des Gesetzgebers, die A 100 in Berlin zu bauen. Der Bund finanziert
die Berliner Bundesfernstraßenprojekte grundsätzlich bedarfsorientiert. Deshalb ist auch das Bundesministerium
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit Minister Peter
Ramsauer bereit, die Finanzierung für den 16. Bauabschnitt vorzusehen.
Ich will sehr deutlich sagen - machen Sie sich da
nichts vor -: Einen Verhandlungsspielraum, wie Sie ihn
sich vorstellen, gibt es überhaupt nicht, weil wir grundsätzlich nicht mit Ihnen über die Ausführung von Bundesgesetzen verhandeln.
({4})
Das Verfahren ist sehr weit gediehen. Der Planfeststellungsbeschluss liegt schon seit längerer Zeit vor. Es
sind einige Klagen - relativ wenig für ein solch großes
Projekt - anhängig. Wir gehen davon aus, dass das Bundesverwaltungsgericht im nächsten Jahr darüber entscheiden wird. Ich kann Ihnen versichern: Die Bundesregierung wird alles tun, dass nach der Herstellung des
Baurechts auch die Finanzierung dieses Projekts gesichert sein wird und dass wir sehr schnell mit dem Bau
der A 100 beginnen werden.
({5})
Bei allem, was Sie bisher über mögliche Alternativprojekte gesagt haben, lohnt es sich, genauer hinzusehen. Sie können kein einziges Alternativprojekt vorlegen. Es gibt kein einziges Lärmschutzprojekt, über das
Sie diskutieren können. Es gibt kein einziges Projekt,
mit dem man die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit
entsprechend der einschlägigen Gesetze begründen
kann, die erforderlich wären, um eine solche Planung
umzusetzen. Es gibt nichts von dem, was Sie behaupten.
Deshalb wird die Bundesregierung Ihnen keinesfalls die
Hand reichen, wenn es darum geht, faule Kompromisse
zulasten des Bundes zu schließen.
({6})
Ich kann den Berlinerinnen und Berlinern nur mit auf
den Weg geben, dass sich andere Bundesländer - hier
sitzen Kollegen aus ganz Deutschland - sehr freuen würden, wenn sie die 420 Millionen Euro erhalten würden
und für sinnvolle Investitionen einsetzen könnten.
({7})
Ich sage Ihnen aber ganz klar: Die Bundesregierung
steht zu ihrer Verpflichtung. Sie steht zu ihrer Zusage.
Wir wollen den 16. Bauabschnitt der A 100 in Berlin
umsetzen.
Ich richte eine letzte Bemerkung an die Verantwortungsträger in Berlin. Denn Berlin ist eine Stadt, die, wie
man täglich mitbekommt, jeden Cent gut brauchen kann.
Besonders bemerkenswert ist, dass das Land bis zum
Baubeginn die Planungskosten trägt. Der Bund beteiligt
sich erst an den Planungskosten, wenn gebaut wird. Ich
will das sehr deutlich sagen: Wenn nicht gebaut wird, erfolgt auch keine Bundesbeteiligung. Mir ist völlig
schleierhaft, wie in der Berliner Landespolitik ernsthaft
darüber diskutiert werden kann, den zweistelligen Millionenbetrag, den die Stadt Berlin schon ausgegeben hat,
um die Planung auf den Weg zu bringen, in den märkischen Sand zu setzen. Das ist den Steuerzahlerinnen und
Steuerzahlern gegenüber unverantwortlich.
({8})
Meine Damen und Herren insbesondere von den Grünen, ich kann gut verstehen, dass Sie in einer absoluten
Zwickmühle sind. Deshalb sollte man sich sehr hüten,
unhaltbare Wahlversprechen abzugeben. Wir werden Sie
jedenfalls nicht aus der selbst gestellten Falle entkommen lassen.
Der Bund steht zu seiner Infrastrukturverantwortung.
Wir wollen die A 100 in Berlin weiterbauen. Darauf
können Sie sich verlassen.
({9})
Stefan Liebich hat das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
A 100 stoppen - Betonköpfe abwählen, das war die Aussage des Wahlplakats, das Bündnis 90/Die Grünen die
letzten Wochen an den Berliner Straßen an Laternen aufgehängt haben. Als wäre es nicht genug, hat Volker
Ratzmann noch eine Schippe obendrauf gelegt. Für die,
die es nicht wissen: Volker Ratzmann ist der Berliner
Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Er
hat vor den Wahlen klar und deutlich gesagt:
Wir werden keinen Koalitionsvertrag unterzeichnen, der den Weiterbau der Stadtautobahn A 100
zum Inhalt hat.
({0})
Dafür gibt es gute Gründe. Da unterscheide ich mich
ganz ausdrücklich von meinen Vorrednern; denn die mit
420 Millionen Euro für 3,2 Kilometer teuerste Autobahn
Deutschlands braucht kein Mensch.
({1})
Aber nun die Überraschung. Seit vorgestern sagen der
gleiche Volker Ratzmann und die Spitze von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin: Das Projekt 16. Bauabschnitt der BAB 100 wird nicht grundsätzlich aufgegeben. - Schneller sind selten Wahlziele über Bord geworfen worden als bei den Grünen in Berlin. Aber man hätte
es sich ja denken können: Autobahn 281 in Bremen, Elbvertiefung und Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg,
die Hochmoselbrücke in Rheinland-Pfalz - vor den
Wahlen grüne Worte, nach den Wahlen Beton.
Herr Hofreiter hat es mir eben zugerufen und hat völlig recht: Na klar, wir bedauern, dass wir wegen anderthalb Prozent Verlust der Stimmen und wegen zweieinhalb Prozent Verlust der Stimmen bei der SPD nicht
unsere erfolgreiche zehnjährige rot-rote Politik fortsetzen können. Da rede ich nicht drum herum. Wir wollten
regieren. Jetzt sind wir Opposition, und das - darauf
müssen sich Bündnis 90/Die Grünen im Bund und auch
in Berlin einstellen - können wir auch.
({2})
Sie haben keine Regierende Bürgermeisterin Künast
durchbekommen. Sie sind nicht stärkste Partei geworden. Sie sind nicht einmal zweitstärkste Partei geworden.
Aber immerhin haben Sie jetzt noch ein, zwei Stimmen
Mehrheit, um endlich zu regieren, und das offenkundig
um jeden Preis. Sie kennen das Geschäft, wir kennen das
Geschäft. Alles, was Sie den Berlinerinnen und BerliStefan Liebich
nern versprochen haben, sind nun die Pfeile im Oppositionsköcher.
Ich zitiere daher sogleich die ehemalige Spitzenkandidatin der Grünen in Berlin, Franziska EichstädtBohlig, die 2003 als Koalitionsabgeordnete im Deutschen Bundestag gesessen hat, als - Herr Wegner und
Herr Staatssekretär Mücke haben es schon gesagt - die
rot-grüne Bundesregierung unter Beteiligung von Renate
Künast den Bundesverkehrswegeplan mit vordringlichem Bedarf für die BAB 100 beschlossen hat. Im Mai
2009, als ich zusammen mit Frau Eichstädt-Bohlig im
Abgeordnetenhaus saß, sagte sie Folgendes:
Jetzt das Wichtigste, das Versteckspiel gegenüber
dem Bund: Der Bund baut keinen Meter Autobahn,
den nicht das Land plant, beantragt und einfordert.
Insofern kann sich Berlin nicht hinter dem Bund
verstecken. Die Verantwortung für die Planung, für
die Entscheidung, das liegt alles zu 100 Prozent bei
Berlin, und der Bund nimmt der Stadt auch nicht
ab, dass wir für diese Entscheidung verantwortlich
sind. Da sollten Sie sich nicht verstecken.
So Frau Eichstädt-Bohlig. Da hatte sie vollkommen
recht.
({3})
So ist es.
Deshalb sollte sich der neue rot-grüne Senat auch
nicht hinter dem Bund verstecken, sondern, wie es
Volker Ratzmann vor den Wahlen angekündigt hat, klar
und ehrlich sagen, was er will. Stattdessen eiert der Berliner Grünen-Chef Daniel Wesener nun herum und sagt:
Wir haben es uns nicht leicht gemacht. Er gibt zu: Klappt
die Umwidmung nicht - davon gehen alle aus; das
wurde eben bestätigt -, dann wird die A 100 gebaut. Ich kann dem Berliner CDU-Parteivizevorsitzenden,
Herrn Heilmann, nur recht geben, der zu diesen Ergebnissen gesagt hat: Wenn ich das richtig verstehe, was da
vereinbart wurde, haben die Grünen alle ihre Kernpositionen aufgegeben.
Herr Ratzmann hat vor den Wahlen öffentlich vermutet, dass sich die SPD einen späteren Verzicht auf den
Ausbau des Teilstücks teuer abkaufen lassen werde. Er
hat gesagt: Wowereit will schon jetzt sein Konto für
Koalitionsverhandlungen auffüllen. Das habe ich auch
gedacht, nur umgekehrt. Ich kenne Klaus Wowereit gut.
Das passt zu ihm. Leider haben Sie, meine Damen und
Herren von den Grünen, nun Ihr Kernthema verkauft,
und man fragt sich, was Sie dafür bekommen haben außer einer Kartoffelsuppe. Im Antrag für die Landesdelegiertenkonferenz am Freitag kann man lange nach weiteren konkreten Ergebnissen suchen. Die einzige konkrete
Aussage ist die zur Bundesautobahn 100, und das ist für
Berlin tatsächlich eine schlimme Entscheidung. Aber
ehrlich gesagt bleibt noch im Dunkeln, was Sie dafür
ausgehandelt haben, wenn Sie überhaupt etwas dafür
ausgehandelt haben. Das ist mir nun tatsächlich wichtig,
auf jeden Fall wichtiger als diese Straße: Etliches in Berlin ist in Gefahr. Sagen Sie doch einmal: Bleibt es bei der
Sicherung der Unternehmen hinsichtlich der öffentlichen
Daseinsvorsorge, oder kehrt Berlin zurück zur Privatisierungspolitik der 90er-Jahre?
Bleibt der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor erhalten, oder vergeben die Jobcenter wieder nur
noch 1-Euro-Jobs? Bleibt das Sozialticket zum halben
Preis der Umweltkarte, oder werden künftig S-BahnStrecken für Privatunternehmen ausgeschrieben? Bleiben die öffentlichen Gemeinschaftsschulen, in denen die
Schüler von der ersten Klasse bis zum Abitur lernen
können, oder setzt der neue Senat wieder auf Privatschulen und Gymnasien?
({4})
Das sind die Fragen, auf die die Berlinerinnen und
Berliner gerne eine Antwort bekommen hätten. Ehrlich
gesagt, es wäre schön gewesen, wenn die Spitzenkandidatin wenigstens heute noch demonstriert hätte, dass sie
sich ein bisschen für Berliner Landespolitik interessiert,
und auf diese Fragen eine Antwort gegeben hätte.
Ich bedanke mich.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Anton Hofreiter für das
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Liebich, Ihre Rede war die beleidigte Rede von jemandem, der die Wahl verloren hat.
Es geht hier nicht darum, was in dem Koalitionsvertrag
ausgehandelt wird, sondern es geht um die A 100 und
darum, wie in der Bundesrepublik im Zusammenspiel
zwischen Bund und Ländern überhaupt Verkehrswege
geplant, gebaut und unterhalten werden.
Es wurde gesagt, der Bund vollziehe selbstverständlich Bundesgesetze. Bei dem konkreten Beispiel wäre
ich ganz vorsichtig. Schauen wir uns einmal die Realitäten an: Wir haben nach Aussage dieser Bundesregierung
allein im Bereich Straße noch Projekte mit einem Volumen von 47 Milliarden Euro im Vordringlichen Bedarf.
In diesem Jahr stehen Bedarfsplanmittel in Höhe von
1,2 Milliarden Euro plus 100 Millionen Euro für Grunderwerb zur Verfügung. Das ergibt 1,3 Milliarden Euro.
Sind wir großzügig und runden wir auf, dann sind wir
bei 1,5 Milliarden Euro. Der Bundesverkehrswegeplan
soll noch bis 2015 gelten. Aufgrund der Finanzkrise und
der Entscheidungen, die wir noch zu treffen haben, kann
man davon ausgehen, dass nicht mehr Geld zur Verfügung stehen wird. 1,5 Milliarden Euro mal 4 ergibt
6 Milliarden Euro. Ziehen wir von 47 Milliarden Euro
6 Milliarden Euro ab, dann kommen wir auf eine Summe
von 41 Milliarden Euro, die für Projekte fehlt.
Schauen wir uns an, was im Rest der Bundesrepublik
los ist. In der vorletzten Sitzung des Verkehrsausschusses hat der Herr Minister seinen Haushalt vorgestellt und
erläutert, dass allein 80 Projekte mit einem Volumen von
2,6 Milliarden Euro bundesweit baureif seien, die nicht
finanziert seien.
({0})
- Im Haushalt für das nächste Jahr ist sie nicht aufgeführt.
({1})
Heute haben wir im Ausschuss mit dem Staatssekretär
darüber diskutiert, dass viel zu wenig Geld für den Unterhalt vorhanden und vollkommen ungeklärt ist, wie Ersatzinvestitionen für die Autobahnen aus den 70er-Jahren getätigt werden können. Hier findet nun aber eine
rein parteipolitisch motivierte Debatte statt, obwohl jetzt
endlich ein Bundesland Vernunft zeigt.
({2})
Es gibt eine ganze Reihe von Bundesländern, die eine gigantische Liste - da brauchen Sie nicht zu lachen; das
wissen alle Fachpolitiker im Ausschuss - von Projekten
haben, die wir nicht finanzieren können.
({3})
Wir alle im Ausschuss wissen, dass wir eigentlich
noch mehr Geld für den Unterhalt des Straßennetzes
brauchten als die 2,4 Milliarden Euro. Fachleute gehen
davon aus, dass 3,5 Milliarden Euro benötigt werden.
Anstatt sich zu freuen, dass wir ein erstes Bundesland
haben, das Einsicht zeigt und es für sinnvoller hält, das
vorhandene Netz zu unterhalten und zu sichern, anstatt
es auszubauen,
({4})
wird Kritik geübt, und zwar nur, um eine künftige rotgrüne Landesregierung in Schwierigkeiten zu bringen.
Dabei sind sich die Fachpolitiker doch völlig einig, dass
wir mehr Geld für den Unterhalt des Straßennetzes brauchen. So herum ist es nämlich richtig: Unterhalt muss
vor Neubau und Ausbau des Netzes gehen.
({5})
Angesichts der Tatsache, dass der Bund noch nicht
einmal in Ansätzen in der Lage ist, das vorhandene Netz
zu unterhalten, ist es unerträglich, dass jetzt auf die auf
Landesebene eingehackt wird, die Vernunft zeigen und
klar erkannt haben, dass es sinnvoller ist, das vorhandene Netz auszubauen und auf Lärmschutz zu setzen,
anstatt immer wieder neue Projekte zu planen, die nicht
finanziert sind. Statt diesen Leuten Danke zu sagen und
zuzugeben, dass das genau das ist, was fachlich notwendig ist und eigentlich auch der eigenen Konzeption entspricht, wird aus rein parteipolitischen Gründen dagegengeschossen.
({6})
Das ist armselig. Das ist der Fachdebatte nicht angemessen.
Angemessen wäre es, zu sagen: Wunderbar, ihr habt
vollkommen recht. Wir erhöhen die für euch vorgesehenen Unterhaltsmittel - im Haushaltsentwurf sind ja auf
2,4 Milliarden Euro erhöhte Unterhaltsmittel veranschlagt -, und Berlin bekommt sogar noch einen Bonus,
weil es im Gegensatz zu den anderen Bundesländern so
viel Vernunft gezeigt hat.
({7})
Ich kann dem Verkehrsministerium nur raten: Stellen
Sie dies gegenüber anderen Landesverkehrsministern als
vorbildlich dar und bedanken Sie sich dafür.
({8})
Der Kollege Patrick Schnieder hat das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir hier in Berlin bei den sich anbahnenden Koalitionsverhandlungen im Zuge der Diskussion
um die A 100 erleben, ist bestenfalls eine Posse, und Sie
führen diese Posse hier kräftig fort, lieber Herr Kollege
Hofreiter. Ihr zukünftiger Koalitionspartner hier in Berlin möchte dieses Projekt. Sie haben hier gerade die besten Voraussetzungen dafür geliefert, dass die Koalitionsverhandlungen sehr honorig ablaufen werden.
Sie führen diese Posse nicht nur in Bezug auf die Erklärungen der Grünen vor der Wahl, dass es eine Koalition nur ohne die A 100 geben werde, fort, sondern auch
dahin gehend, dass Sie genau wissen, dass der Bund
baut.
Ich darf Aussagen von Herrn Ratzmann, und zwar
von vor der Wahl zitieren:
Die Koalition
- gemeint ist die rot-rote in Berlin versucht die Stadt für dumm zu verkaufen. Wenn
die Planfeststellung steht, dann wird auch die Baugenehmigung erteilt, und dann wird der Bund die
Bagger losschicken.
Das ist schon eine Dreistigkeit, so zu tun, als könnte man
dieses Projekt noch aufhalten. Damit verkauft man die
Leute für dumm.
({0})
Das Ergebnis dieser vollmundigen Ankündigungen,
widerstreitend von Rot und von Grün hier in Berlin, ist
ein fauler und substanzloser Formelkompromiss. Sie
sollten zugeben: Hier geht es nur um die Machtfrage.
Hier geht es nur darum, Senatorensessel zu besetzen.
Sachfragen spielen überhaupt keine Rolle.
({1})
Im Übrigen: Dieses Theater um die A 100, das hier in
Berlin inszeniert wird, ist zugleich ein verkehrspolitischer Offenbarungseid von Rot und von Grün. Das ist
Realsatire. Mit Realpolitik hat das überhaupt nichts gemein.
({2})
Dafür gibt es ganz offensichtlich Vorbilder, verehrte
Frau Kollegin. Ich nenne den Hochmoselübergang in
Rheinland-Pfalz.
({3})
- Natürlich tut das weh, Herr Kollege Herzog. - Die
SPD war dafür. Der Landtag in Mainz hat das Projekt
mit 100 Prozent bestätigt. Die Grünen haben im Wahlkampf gesagt: Wir werden es verhindern. - Dieser Übergang wird heute gebaut. Die Kröte musste also geschluckt werden.
({4})
Genauso wird man in Berlin - sagen Sie das doch bitte
ehrlich - die Kröte A 100 schlucken müssen.
({5})
Das, was dort inszeniert wird, ist nichts als Theater.
Ein weiteres Beispiel ist Stuttgart 21. Das ist nichts
anderes, nur sind dort die Vorzeichen umgekehrt: Da
gibt es einen Ministerpräsidenten, der vor der Wahl gesagt hat: Wir werden dieses Projekt stoppen. Ich prophezeie Ihnen: Die dortige Volksabstimmung, die man mit
einer Trickserei auf den Weg gebracht hat, wird zu einer
krachenden Niederlage dieser grün-roten Koalition führen.
({6})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir stellen fest:
Rot-grüne Verkehrspolitik heißt, dass Straßenneubau
selbst da, wo Bedarf besteht, nicht mehr stattfinden soll.
({7})
Das soll in Berlin in Zukunft so sein. Das steht im Koalitionsvertrag der Regierung in Baden-Württemberg, das
steht im Koalitionsvertrag der Regierung in RheinlandPfalz. Ich zitiere, was der Genosse Buschkowsky zu diesen Verhandlungen wörtlich sagt:
Hier siegt Ideologie vor Stadtgestaltung.
Ich füge hinzu: Bei Ihnen geht in der Verkehrspolitik
Ideologie vor vernünftiger Sachpolitik.
({8})
Rot-grüne Verkehrspolitik heißt auch - das müssen
die Menschen wissen -: Die Belange von Wirtschaft,
von Klima- und Umweltschutz - es geht dabei übrigens
auch um die Menschen, die an solchen Straßen wohnen -,
aber auch die Arbeitsplätze haben bei Ihnen keinen Stellenwert. Deshalb sollten die SPD-Genossen hier in der
Stadt bei dem, was sie angehen, ganz vorsichtig sein. Es
gibt Vorbilder für das, was passieren kann, wenn man
knappe Mehrheiten mit gefährlichen Fragen verknüpft.
Man sollte Frau Ypsilanti und Frau Simonis einmal fragen, was dabei herauskommen kann.
Rot-Grün für Berlin, aber auch weit darüber hinaus
heißt: Das ist das Ende einer vernünftigen und verlässlichen Verkehrspolitik.
({9})
Das darf es nicht geben.
({10})
Michael Groß hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr
Schnieder, durch Ihre Rede ist noch einmal klar geworden, dass die Beantragung der Aktuellen Stunde eigentlich die Fortsetzung Ihres Wahlkampfs ist. Sie betreiben
weiter Wahlkampf und akzeptieren das Ergebnis in Berlin nicht.
({0})
Sie versuchen, die Koalitionsgespräche zu beeinflussen,
weil Sie nicht die erste Wahl sind. Darüber, dass Sie es
nicht sind, können Sie traurig sein, aber so ist es nun
mal.
Es ist richtig: Der Ausbau der A 100 wurde in der aktuellen Bedarfsplanüberprüfung des Bundes als Maßnahme des Vordringlichen Bedarfs bestätigt. Es ist laut
Pressemitteilung das einzige neue Bauprojekt für das
Land Berlin im Investitionsrahmenplan bis 2015. Dabei
ist die Frage, ob es diesen Plan überhaupt gibt. In der
letzten Woche wurde seine Existenz durch den Parlamentarischen Staatssekretär vehement bestritten, obwohl
die Presse aus dem Plan zitiert hat.
({1})
Nach verlorenen Wahlen für die Union, zum Beispiel
in NRW, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, ist
ein deutlich erkennbares Muster, dass der Verkehrsminister Millionen für Verkehrsinfrastrukturprojekte
streichen will. Die Schlagzeile „Ramsauer droht … mit
Geldentzug“, so im Spiegel, wiederholt sich ständig. So
wundert es auch niemanden mehr, dass in Berlin sofort
die Gelder für den Ausbau der A 100 gestrichen werden
sollen, falls man Ihren Wünschen nicht nachkommt.
({2})
Dabei haben die Koalitionsverhandlungen von Rot und
Grün noch nicht einmal begonnen. Die Bundesregierung
streicht gern, wo Rot-Grün regiert. In NRW ist es angeblich der RRX, in Baden-Württemberg stehen gleich alle
Verkehrsinfrastrukturprojekte auf dem Prüfstand,
({3})
und in Berlin sind es wichtige Infrastrukturmittel.
In Bayern wollen Sie 29 Bauvorhaben beginnen - in
Berlin nur eines.
({4})
Darf ich Sie daran erinnern, dass Herr Ramsauer Bundesminister ist? Sie sind bundesweit zuständig und
sollten bundesweit die Verantwortung für die Verkehrsinfrastruktur übernehmen und bundespolitische Entscheidungen treffen. Die Zuständigkeit des Bundesverkehrsministers für Koalitionsgespräche auf Landesebene
ist mir bisher entgangen, aber ich bin ja erst seit zwei
Jahren dabei und lerne natürlich gerne dazu.
({5})
Mir fehlt allerdings eindeutig, dass der Bundesminister schlicht und ergreifend, wie vollmundig angekündigt,
Verantwortung für sein Ressort übernimmt. Der Verkehrsetat ist gnadenlos unterfinanziert. Bereits aus dem
letzten Investitionsrahmenplan wurden 213 Maßnahmen
nicht abgearbeitet. Der Erhaltungsbedarf wird nur zu
etwa zwei Dritteln finanziert; Aus- und Neubau werden
nur zur Hälfte finanziert. Mit Investitionen in das Straßennetz in Höhe von circa 130 Euro pro Einwohner liegt
Deutschland im europäischen Vergleich auf den hintersten Plätzen.
Herr Ramsauer selbst fordert 14 Milliarden Euro vom
Finanzminister - so war letztens zu lesen -, um die notwendigen Verkehrsprojekte aus dem Bundesverkehrswegeplan umzusetzen. Im Verkehrsausschuss hat die
Regierung jetzt erklärt, dass die Mittelbindung durch
laufende Vorhaben in den nächsten Jahren grundsätzlich
keine Neubeginne erlaubt. Im Straßenbauplan 2012 ist
der Ausbau der A 100 gar nicht enthalten. Setzen Sie
sich dafür ein und sorgen Sie dafür, dass die Infrastrukturmittel in den Bundeshaushalt eingestellt werden und
Berlin zur Verfügung stehen!
({6})
Anstatt verkehrspolitische Verantwortung zu übernehmen, Gespräche zu führen und über Alternativen
nachzudenken, die umweltpolitische und verkehrspolitische Lösungen darstellen, verweigern Sie sich in der
Koalition; dasselbe gilt für den Minister. Es fehlen der
Bundesregierung Mobilitätskonzepte, die Probleme lösen. Die Arbeit an pragmatischen Lösungen ist aber notwendig, um beispielsweise Verkehr aus den Städten und
Ballungszentren wie Berlin hinauszuführen.
({7})
Herr Ramsauer ruft nur nach mehr Geld und nach einer
Pkw-Maut oder streicht Projekte. Das ist keine Bundesverkehrspolitik. Fangen Sie endlich mit Fachpolitik an!
Akzeptieren Sie das Ergebnis in Berlin und führen Sie
endlich lösungsorientierte Gespräche!
Herzlichen Dank.
({8})
Patrick Döring hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ihr Beitrag, geschätzter Herr Kollege Groß, gibt mir
Gelegenheit, einmal darauf hinzuweisen, dass wir vor
folgender Situation stehen: In den Koalitionsverträgen,
die in den letzten Monaten Rote und Grüne abgeschlossen haben, ist eine konsequente Verweigerung gegenüber der Fortsetzung von Straßenbauprojekten niedergelegt. Wenn man ein Anhänger der föderalen Ordnung
und der Auftragsverwaltung der Länder ist, dann muss
man das durchaus hinterfragen. Denn es ist so, dass die
Länder im Auftrag des Bundes Bundesfernstraßen planen, bauen und bewirtschaften. Es gibt von Rot und
Grün regierte Länder, die sich diesem Auftrag verweigern. Vor dieser politischen Situation stehen wir. Das ist
offensichtlich auch in Berlin der Fall. Man kann daher
dem Bundesverkehrsminister nicht vorwerfen, er realisiere Projekte nicht; denn die jeweiligen Landesregierungen blockieren diese Projekte konsequent. Das ist
nun wirklich verkehrte Welt.
({0})
Ich hätte schon erwartet, Frau Kollegin Rawert und
Herr Kollege Groß, dass Sie sich einmal vor Ihren Spitzenkandidaten und wahrscheinlich wiedergewählten Regierenden Bürgermeister stellen, der immerhin gesagt
hat: Es gibt keinen faulen Kompromiss im Klein-Klein,
die Trasse ist frei, der Bund zahlt. Es kann gebaut werden. Da gibt es nichts zu verhandeln.
({1})
Es ist eigentlich Ihre Aufgabe, diese Position hier vorzutragen, und nicht die Aufgabe eines Abgeordneten der
Freien Demokraten.
Ich muss schon sagen: Diese Art der Verhandlung, die
wir hier erleben, zeigt deutlich, dass man es schon vor
der Wahl mit der Durchführung der Kampagne nicht
ernst gemeint hat. Immerhin haben die Grünen im Rahmen einer Kleinen Anfrage in der 16. Wahlperiode sehr
viele Fragen gestellt. Am 16. März 2010 wurde sie von
der neuen Bundesregierung beantwortet. Darin steht
zum Beispiel:
Der Bedarfsplan, in dem die Verlängerung der
A 100 enthalten ist, bedeutet einen Planungsauftrag
an die Auftragsverwaltung, die Planung an dem
Vorhaben aufzunehmen und durchzuführen.
Genau das ist passiert. Obwohl Sie wussten, dass die
Planfeststellung abgeschlossen wird und Baurecht bestehen könnte, wenn nicht Sie und Ihre Büchsenspanner
den Planfeststellungsbeschluss beklagen würden, haben
Sie hier Plakate mit einem Versprechen geklebt, das
nicht zu halten ist. Das muss man Ihnen vorhalten dürfen, auch deswegen, weil wir gerade Haushaltsplanberatungen haben.
({2})
Noch abenteuerlicher ist allerdings die Vorlage, die
Sie Ihren eigenen Delegierten zu Ihrer Landesdelegiertenkonferenz vorlegen. Da steht allen Ernstes in
Zeile 117:
Bislang sind die Mittel für den Weiterbau der A 100
im Bundeshaushalt … gar nicht eingestellt.
Zumindest die hier anwesenden Mitglieder des Deutschen Bundestages wissen, dass das die Unwahrheit ist.
Ich verweise auf die Tabelle 4 im Straßenbauplan des Einzelplans 12, Land: Berlin, laufende Nr.: 51, Straße: A 100.
Für „Bauliche Vorleistungen im S-Bahnhof Bln-Ostkreuz“ sind Gesamtkosten von 16,5 Millionen Euro vorgesehen, davon in 2012 5 Millionen Euro. - Sie wissen,
dass der Satz in dem Antrag, den Sie Ihren Delegierten
vorlegen, gelogen ist. So kann man die Demokratie nicht
stärken, geschätzte Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Hier den Eindruck zu erwecken, der Bund stehe nicht
zu seinen Verpflichtungen, ist nun wirklich abenteuerlich. Der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium
hat deutlich gemacht: Der Bund will das einzige Projekt
für Berlin aus dem Bundesverkehrswegeplan im Vordringlichen Bedarf realisieren. Dieser Bundesverkehrswegeplan ist von Rot-Grün beschlossen.
({4})
Er muss unbedingt umgesetzt werden. Der wiederzuwählende Regierende Bürgermeister möchte ebenfalls
dieses Projekt umsetzen.
Inmitten von Haushaltsplanberatungen, den Eindruck
zu erwecken, man könne als Partei, die in Umfragen
zweifellos außerordentlich gut dasteht, hier Wünsch-dirwas spielen und Bundesmittel mal eben in die eine oder
andere Richtung schieben, wie es einem gerade passt,
geht aber zu weit. Deshalb kann ich nur sagen: Dieses
Verhandlungsergebnis wird dazu führen, dass die A 100
gebaut wird. Sie werden wie bei Moorburg, bei der
Hochmoselbrücke und wie bei vielen anderen Infrastrukturprojekten wieder einmal Ihre Wähler betrogen haben.
Ich sage Ihnen: Diese werden es merken.
Vielen Dank.
({5})
Stefanie Vogelsang hat das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
A 100 - ein wichtiges, ein wesentliches Infrastrukturprojekt für die Stadt Berlin. Die A 100 - nicht erst im letzten Wahlkampf das wesentliche Thema, das die Auseinandersetzungen zwischen den Parteien beherrscht hat.
Die A 100 - nicht bloß eine Autobahn, nicht bloß
3,2 Kilometer, sondern ein weiterer Bestandteil des Lückenschlusses des Stadtringes in Berlin, der vor allen
Dingen den Ostteil der Stadt mit dem Westteil der Stadt
verbindet. Es ist damit eines der großen Projekte, das
nach Fertigstellung die komplette Wiedervereinigung
dieser Stadt auch im Straßenbild widerspiegelt. Ich
glaube, dass es darauf ankommt, dies hier und heute
deutlich zu sagen.
({0})
Gestern habe ich habe den Kollegen Liebich im Radio
gehört. Er hat mit stolzer Stimme gesagt: In der letzten
Wahlperiode - obwohl in der Koalitionsvereinbarung
klar vereinbart war, die A 100 zu bauen - hätte die Linke
das Projekt totgemacht,
({1})
und er hätte jetzt alle Hoffnungen auf die Grünen gesetzt, dass nunmehr auch sie dieses Projekt totmachen
würden.
Mehr als die Hälfte der Berlinerinnen und Berliner
haben Parteien gewählt, die sich ganz klar und deutlich
für den Weiterbau der A 100 eingesetzt haben. Das war
auf der einen Seite ganz klar die CDU, und das war auf
der anderen Seite ganz klar die SPD mit ihrem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit.
({2})
Frau Rawert, Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, es sei für die SPD doch mal an der Zeit, sich bei
den Wählerinnen und Wählern für den Wahlausgang am
18. September zu bedanken. Glauben Sie nicht, Frau
Kollegin, dass der eine oder andere Wähler dabei war,
der Klaus Wowereit und Ihrer SPD das Vertrauen geschenkt hat, weil er darauf setzte, dass man bald nicht
mehr von Friedrichshain aus 35 Minuten braucht, um irgendeine Autobahnanschlussstelle zu erreichen, dass
man eben nicht mehr stundenlang in Staus stehen muss,
wenn man vom Ostteil, zum Beispiel von Treptow, nach
Neukölln fahren möchte,
({3})
dass man nicht mehr lange Planungen vornehmen muss,
wenn man von Neukölln aus in einen anderen Bereich
fahren will? Es waren bestimmt viele Menschen, die auf
Klaus Wowereit vertraut haben
({4})
und gesagt haben: Er setzt sich für die Autobahn ein, und
das ist uns wichtig.
({5})
Doch, ich denke, schon.
Mehr als die Hälfte der Berlinerinnen und Berliner
haben bei einem zentralen Wahlkampfthema in dieser
Wahl, dem Weiterbau der A 100 als Symbol für Infrastrukturfähigkeit und Zukunftsfähigkeit dieser Stadt, gesagt: Ja, genau das wollen wir haben. - Und jetzt finde
ich in dieser Vereinbarung nichts als unehrliches Hinund Hergeschummel. Sie vertrauen darauf, es aussitzen
zu können. Sie vertrauen darauf, dass sich die Berlinerinnen und Berliner nicht direkt von Ihnen geohrfeigt
fühlen, wenn sie bei den Grünen schwammig dies und
bei der SPD schwammig das erkennen können. Aber so
dämlich sind wir Berlinerinnen und Berliner nicht.
({6})
Das entdeckt jeder.
Frau Kollegin Rawert, ich möchte Ihnen genauso, wie
das der Staatssekretär Mücke vorhin getan hat, eine Zusage machen: Wenn Sie ganz schnell eine klare und
deutliche Aussage der Koalition bzw. des Senats von
Berlin zum Weiterbau der A 100 bringen, sorgen wir, sobald das Baurecht vorliegt, dafür, dass dieses Projekt
umgehend finanziert und bezahlt wird.
({7})
Ich glaube, dass es für Klaus Wowereit einen verlässlichen und starken Partner gibt. Er sollte aber nicht eine
einzige Sekunde darauf vertrauen, dass wir ihm angesichts der Unzuverlässigkeit der Grünen aus der Patsche
helfen. Frau Kollegin, Sie müssen das doch selber gemerkt haben, als Sie die Rede von Herrn Hofreiter gehört haben. Ich kann nur sagen: Bei einer Stimme Mehrheit in einer Regierungskoalition wäre ich sehr
vorsichtig, mit wem ich ins Bett stiege.
Danke.
({8})
Das Wort hat Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Mit
dem, was Sie hier treiben, wollen Sie etwas kaschieren,
und zwar dergestalt: Machen wir es denen in Berlin einmal richtig schwer!
({0})
Sie tun das vor dem Hintergrund einer politischen Situation, in der Merkels Macht zerbröselt.
({1})
Sie verlieren ein Bundesland nach dem anderen. Ihre
Macht im Bundesrat wird immer geringer. Einer der
Koalitionspartner ist inzwischen unter „ferner liefen“.
Aber Sie treiben dieses Thema wie bisher voran.
Worum geht es eigentlich? Der Regierende Bürgermeister hier in Berlin hat klar gesagt: Die Sozialdemokraten wollen das Projekt, wollen all das, was die A 100
ausmacht.
({2})
Bei den Grünen dagegen ist folgende Position erkennbar: Wir brauchen auch Mittel für Lärmschutz, Flüsterasphalt und andere wichtige Projekte in diesem Land.
({3})
- Hören Sie zu!
({4})
Da merkt man doch, was momentan mit dem Verkehrshaushalt los ist: Es ist die pure Not. Für viele wichtige
Projekte ist zu wenig Finanzmasse vorhanden; da hat der
Kollege Anton Hofreiter völlig recht.
({5})
Wir haben heute im Verkehrsausschuss über den
Haushalt des Jahres 2012 gesprochen. Wir haben von der
Koalition keinen einzigen Antrag zur Ausweitung des
Haushaltes bekommen.
({6})
- Richtig, ein absolut peinlicher Vorgang. Keine einzige
weitere Initiative aus der Koalition für eine Anhebung
der Mittel!
({7})
- Hören wir einmal zu.
Heute höre ich an diesem Pult vom zuständigen
Staatssekretär, dass das Geld für die A 100 bereitgestellt
wird. Ich sage „Wunderbar!“ und klatsche Beifall.
({8})
Es freut mich, dass Sie eine solche stramme Aussage
machen können. Die Frage ist nur: Wo haben Sie die entsprechenden Mittel tatsächlich eingestellt?
({9})
Herr Döring, es ist nicht ganz richtig, wenn Sie sagen,
das Geld komme automatisch, wenn es an der Stelle, die
Sie vorhin genannt haben, eingestellt ist. Die definitive
Aufnahme in den Straßenbauplan und damit die Darstellung der Finanzierung im Bundeshaushalt findet entsprechend den Regularien des BMVBS nach dem Vorliegen
eines rechtskräftigen Planfeststellungsbeschlusses statt.
({10})
Der entsprechende Planfeststellungsbeschluss wird momentan in Leipzig beklagt. Es wird damit gerechnet,
dass im Frühjahr 2012 eine gerichtliche Entscheidung
dazu vorliegt. Das ist die aktuelle Lage.
({11})
Nun kommt aus Berlin der Wunsch, Gespräche zu
führen. Im politischen Bereich ist das Gespräch eigentlich ein übliches Mittel der Kommunikation. Da können
Sie doch nicht einfach sagen: Wir führen keine Gespräche.
({12})
Führen Sie doch einmal Gespräche! Auf der anderen
Seite gibt es bei der grünen Fraktion die Erwartung, dass
die Gespräche zu einem anderen Ergebnis führen als zu
dem, worauf zurzeit noch die Planungen beruhen.
Ich habe die persönliche Einschätzung - ich bin kein
Berliner und auch kein Abgeordneter des Berliner Abgeordnetenhauses -, dass das Umwidmen von Mitteln im
Bundesverkehrswegeplan und die Verwendung für andere Projekte nicht so einfach geht. Ich kenne wenige
Beispiele dafür; in Bezug auf die aktuelle Situation
kenne ich eigentlich gar keine Beispiele dafür.
({13})
- Klatschen Sie nicht zu früh. - Nur, meine Damen und
Herren, das, was hier in Berlin, im Brennpunkt unserer
Republik, passiert, macht doch exemplarisch klar: Es
geht nicht nur um die A 100, sondern auch um Lärmschutz, den Schutz der Bevölkerung vor Verkehrsemissionen und vieles andere mehr. Darauf hat diese Koalition überhaupt keine Antwort.
({14})
Wir haben heute Anträge zum Lärmschutz gestellt.
({15})
Wir haben heute gefordert und dafür gestimmt, dass zugunsten dieser Bereiche zusätzliche Anstrengungen bei
der Infrastrukturfinanzierung unternommen werden. Wir
haben einen entsprechenden Deckungsbeitrag geleistet,
den Sie von der FDP aus dem Haushalt gekegelt haben.
({16})
Wir haben gesagt: Wir wollen eine Rücknahme der von
Ihnen durchgesetzten Streichung der Mauterhöhung. Da
geht es locker um einen dreistelligen Millionenbetrag im
Haushalt. Setzen Sie Ihre Beschlüsse zur Bundesstraßenmaut, die Sie im Deutschen Bundestag gefasst haben,
endlich um.
({17})
Wir haben keinen Anlass, Ihnen zu trauen, weil Sie nicht
in der Lage sind, Ihren Haushalt auf der Einnahmeseite
ordentlich in Gang zu setzen.
({18})
Auf der anderen Seite hoffen wir natürlich, dass die Koalition in dieser Legislaturperiode vielleicht noch einmal
die Kraft hat - es wäre ein letztes Aufbäumen -, ein bisschen Geld für die Verkehrsinfrastruktur zusammenzubringen. Dann habe ich auch die Hoffnung, dass Herr
Mücke seine Versprechungen einhalten kann.
({19})
Herzlichen Dank.
({20})
Das Wort hat Dr. Martin Lindner für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Es
gibt in Deutschland eine Partei, die uns immer erzählt, es
gehe ihr nur um Inhalte - nie um Minister- oder Senatorenposten, sondern immer nur um ihre grünen Inhalte.
Ich bin beglückt, Ihnen heute ein Zitat des geschätzten
Regierenden Bürgermeisters von Berlin aus der Sitzung
des Abgeordnetenhauses vom 1. September 2011 zum
Thema „Grüne Inhalte“ vortragen zu können. Ich zitiere:
Ich bin hocherfreut darüber, dass Herr Ratzmann
- das ist der Fraktionsvorsitzende ({0})
und neulich auch Frau Künast den inhaltlichen
Wahlkampf angekündigt haben. Zehn Punkte sind
dort benannt worden, und es hieß: Wenn diese zehn
Punkte nicht akzeptiert werden, dann werden die
Grünen gar nichts mitmachen. - So lautete die Parole. Herr Ratzmann! Das ist heute eingedampft
worden. Von Ihren zehn Punkten haben Sie nur
noch einen zum harten Kern gemacht, nämlich die
A 100. Sie haben gesagt: Wenn das nicht erfüllt
wird und wenn der Wowereit da nicht einknickt,
dann - - Ja, was ist denn dann, Herr Ratzmann?
Dann bleibt Ihr Anzug wieder im Schrank hängen
wie beim letzten Mal, oder was?
({1})
Dann setzt der Regierende Bürgermeister seine Rede
fort und sagt:
Das müssen Sie sich doch einmal klarmachen. Sie
sitzen doch auf einem hohen Ross, das Ihnen längst
weggeschossen ist. Herr Ratzmann,
- das ist Ihr zukünftiger Koalitionspartner, sehr martialisch dass Sie noch meinen, Bedingungen für Koalitionsverhandlungen stellen zu können! Wo leben wir
denn eigentlich? Wo leben Sie denn eigentlich?
Ich wünsche Ihnen weiterhin großartige Verhandlungen
mit diesem wirklich fairen Partner!
({2})
Dann kam Ratzmann, sitzengeblieben auf diesem einzelnen Punkt, und sagt in der Berliner Morgenpost:
A-100-Ausbau wird es mit den Grünen nicht geben
Er führt weiter aus:
Wenn Wowereit die A 100 bauen will, muss er das
mit der CDU machen.
Jetzt haben Sie einen großartigen Kompromiss gefunden. Sie sagen: Jetzt verhandeln wir erst einmal mit dem
Verkehrsminister, und zwar ganz ergebnisoffen. - Was
glauben Sie denn eigentlich, was der Verkehrsminister
jetzt tut? Meinen Sie, er sagt: „Wir schmeißen alle Pläne,
die damals von Rot-Grün beschlossen wurden, über den
Haufen, um euch zu helfen, eure schon vor Abschluss
des Vertrages bestehende Koalitionskrise zu lösen“?
({3})
Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!
Es ist lächerlich, wenn Sie glauben, dass der Bau aufzuhalten ist. Das Ding wird gebaut, und der dann amtierende Innen-, Verkehrs- oder Wirtschaftssenator
Ratzmann wird in dem Moment das rote Band durchschneiden, in dem der Ministerpräsident von BadenWürttemberg das rote Band bei Stuttgart 21 durchschneidet.
({4})
So wird es kommen. Ich freue mich auf die Einladung
zum Abschluss dieses wirklich exzellenten Projekts.
({5})
Das einzig Überraschende ist doch, wie schnell der
Genickbruch erfolgt. Das ist doch das einzig Spannende.
Bei den Linken, Herr Liebich, war der Regierende Bürgermeister so anständig und hat gewartet, bis er zum
Regierenden Bürgermeister gewählt wurde. Anschließend hat er mit den Linken das Blindengeld gekürzt,
30 000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut, die
Wohnungsbaugesellschaften und die Landesbank privatisiert. So viel zu Ihren Versprechungen, Herr Liebich. Aber bei euch wartet er noch nicht einmal!
({6})
Das ist sensationell dreist,
({7})
und Sie sind sensationell devot; das muss man hier feststellen.
({8})
Ich wünsche Ihnen weiterhin gute Verhandlungen mit
diesem wunderbaren Regierenden Bürgermeister. Wir
werden in der Bundesregierung, in dieser Koalition, dafür sorgen, dass das vernünftige Projekt A 100 in Berlin
weiter gebaut wird. Ratzmann heißt jetzt Ypsilanti.
Herzlichen Dank.
({9})
Arnold Vaatz hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde angelangt.
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Das ist eine gute Gelegenheit, noch einmal die Fakten
zusammenzutragen.
Die Rechtslage ist eindeutig - das haben direkt oder indirekt eigentlich alle Redner bestätigt -: Es gibt einen
Bundesverkehrswegeplan, der im Jahr 2003 unter RotGrün beschlossen wurde. Es gibt eine gesetzliche Grundlage zur Umsetzung, den Bundesfernstraßenbedarfsplan.
Das entsprechende Gesetz ist 2004 beschlossen worden,
auch unter Rot-Grün. Damit ist der unverbindliche Bundesverkehrswegeplan in ein verbindliches Gesetz überführt worden.
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In dem Bundesfernstraßenbedarfsplan haben wir den
Abschnitt 16 der A 100 - Dreieck Neukölln bis Treptower Park - als vordringlichen Bedarf eingeordnet. Das
Land Berlin hat daraufhin den Planungsauftrag des Bundes umgesetzt. Wir haben gerade gehört, wie hoch die
eigenen Kosten waren. Der Planfeststellungsbeschluss
ist Ende 2010 ergangen. Er ist beklagt worden. Sobald
die Gerichtsentscheidungen gefällt sind und der Planfeststellungsbeschluss umgesetzt werden kann, wird der
Bund das dafür erforderliche Geld bereitstellen. Wir haben heute die verbindliche Zusage des Ministers bzw.
des Ministeriums gehört.
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Herr Kollege Beckmeyer, die Voraussetzungen für die
Finanzierung, die Sie eingefordert haben, sind, sobald
der Rechtsstreit beendet ist, gegeben. Insofern sind Ihre
Einwände gegenstandslos. Ich habe mich ein bisschen
über Ihre Argumentation gewundert. Sie haben so getan,
als bekämen Sie das Geld zweimal. Erst habe ich mich
gewundert, aber dann fiel mir ein, dass Sie der größten
Schuldenfabrik, die es in dieser Republik gibt, entsprungen sind, dem Senat von Bremen.
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Deshalb weiß ich, dass es Ihnen leichtfällt, Geld zu fordern, ohne irgendeine Ahnung zu haben, wo es herkommen soll.
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Auch politisch ist die Situation vollkommen klar. Der
Kompromiss, über den in der Zeitung geschrieben
wurde, ist nur angeblich ein Kompromiss. Es ist auffällig, dass Sie eine Volksbefragung zu diesem Thema gemieden haben. Warum haben Sie sie gemieden? Weil es
repräsentative Umfragen gibt, die den Feststellungen der
Linken widersprechen, Herr Liebich. Die Linken glauben immer, besser zu wissen, was die Menschen brauchen, als die Menschen selber. Sie sagen: Die Autobahn
braucht keiner. Die Berliner sagen zu 52 Prozent: Wir
brauchen sie.
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In Ostberlin, wo die Betroffenen leben - ihre Fahrzeit
wird deutlich verkürzt -, sagen 63 Prozent, dass sie die
Autobahn brauchen.
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Das halte ich für ein ganz wichtiges Votum.
Aus diesem Grund muss von Rot-Grün ein anderer
Weg zur Verhinderung beschlossen werden, damit das
böse Autobahngeld in gutes, grünes Lärmschutzgeld
verwandelt werden kann. Dazu braucht man aber das
Einverständnis des Bundes. Deshalb soll mit dem Bund
verhandelt werden, und wenn das nicht fruchtet, wird,
sagt Herr Wowereit, die A 100 gebaut. Weil wir wissen,
dass eine Umwidmung der 420 Millionen Euro nicht infrage kommt, ist das Ergebnis völlig klar: Die Verlängerung der A 100 bis zum Treptower Park wird gebaut.
Das ist die Aussage. Sie haben sich ganz offensichtlich
selbst Bedingungen gestellt, die Sie nicht erfüllen können. Sie müssen die Konsequenzen ziehen und die Autobahn bauen. Die Frage ist nur, ob die Berliner Unterhändler der Grünen wirklich so naiv waren, zu glauben,
man könne dem Bund eine solche Umwidmung abhandeln. Ich persönlich meine, dass sie das nicht glauben.
Sie sind nicht so naiv. Sie wissen ganz genau, dass das
nur ein Placebo ist, mit dem sie ihre eigene Basis beruhigen und Herrn Ratzmann den Weg in den Senat ebnen
wollen. Das ist das Ziel. Aber das - da bin ich mir sicher wird selbst Ihre grüne Klientel in Berlin merken.
Sie haben ja vorhin mit dem Finger auf andere gezeigt. Aber auch mit Ihnen wird es schnell bergab gehen.
Bei Ihnen wird der Lack genauso schnell ab sein, wenn
Sie Ihre Wählerklientel weiter so betrügen.
Den Berlinern können wir von diesem Platz aus sagen: Die A 100 wird gebaut.
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Das Geld dafür wird bereitstehen,
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sobald der Rechtsstreit beendet ist. Die CDU im Berliner
Abgeordnetenhaus wird den Regierenden Bürgermeister
Herrn Wowereit auch aus der Oppositionsposition heraus, wenn es so kommen sollte, dabei unterstützen, die
Autobahn zu bauen. Diese Zusicherung haben Sie.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 29. September 2011, 9 Uhr, ein. Genießen Sie
den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.