Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich und nehme mit Interesse zur
Kenntnis, dass noch viele Plätze frei sind. Das wird im
Laufe des Tages ganz sicher anders.
({0})
- Auch das ist richtig beobachtet, Herr Kollege Wieland.
Der Kollege Dr. Wiefelspütz feiert heute seinen
65. Geburtstag.
({1})
Uns allen leuchtet ein, dass man ein solches Ereignis nirgendwo schöner feiern kann als im Rahmen der Kolleginnen und Kollegen.
({2})
- Sicherlich auch für die guten Wünsche, die ich zu diesem Anlass im Namen des Hauses ausdrücklich bekräftigen möchte.
Bereits am Dienstag hat die Kollegin Cornelia Behm
ihren 60. Geburtstag begangen. Auch ihr noch einmal
alle guten Wüsche.
({3})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu ergänzen:
ZP 4 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({4}) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Zuteilung von Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Handelsperiode 2013 bis 2020 ({5})
- Drucksachen 17/6850, 17/6961 Nr. 2.2,
17/7064 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung ({6})
Frank Schwabe
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Bärbel Höhn
ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP
Für die konsequente Begleitung der Energiewende durch steuerliche Maßnahmen zur
Erhöhung der Energieeffizienz im Gebäudebereich
- Drucksache 17/7022 Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem ist vorgesehen, den Tagesordnungspunkt 33
von morgen Nachmittag auf heute vorzuziehen. Er soll
später nach den Ohne-Debatten-Punkten aufgerufen
werden.
Ich mache auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der am 8. September 2011 überwiesene nachfolgende
Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Haushaltsausschuss
({7}) und dem Ausschuss für Arbeit und Soziales ({8}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beherbergungsstatistikgesetzes und
des Handelsstatistikgesetzes
- Drucksache 17/6851 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({9})
Innenausschuss
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Der am 8. September 2011 überwiesene nachfolgende
Antrag soll zusätzlich dem Innenausschuss ({10}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista
Sager, Memet Kilic, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Anerkennung ausländischer Abschlüsse tatsächlich voranbringen
- Drucksache 17/6919 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({11})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes
- Drucksache 17/6925 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({12})
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann können
wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesinnenmister Dr. Hans-Peter Friedrich.
({13})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte Ihnen, lieber Herr Wiefelspütz, nicht
nur zu Ihrem Geburtstag, sondern zu der erhalten gebliebenen jugendlichen Dynamik ganz herzlich gratulieren.
({0})
Wir haben vor gerade einmal elf Tagen der schrecklichen Ereignisse in den Vereinigten Staaten am 11. September 2001 gedacht. Was uns damals, glaube ich, alle
gemeinsam gleichermaßen erschreckt und beunruhigt
hat, war die Erkenntnis, dass diese Anschläge unter anderem auch von Menschen vorbereitet wurden, die, jedenfalls zeitweise, in Deutschland gelebt haben.
Der deutsche Gesetzgeber hat damals gehandelt. Er
hat dafür gesorgt, dass die Nachrichtendienste neue Instrumente
({1})
und neue Möglichkeiten an die Hand bekommen. Man
hat damals Neuland betreten. Ich glaube, dass es, wo immer man Neuland betritt, richtig ist, zu sagen: Wir
schauen uns erst einmal an, wie die Entwicklung weitergeht, sowohl was die terroristische Bedrohung als auch
was die Erfahrungen mit den Gesetzen angeht. Man hat
diese Gesetze befristet, zunächst bis 2007. Damals
wurde ihre Geltungsdauer um weitere fünf Jahre verlängert. Nun stellt sich die Frage: Was passiert künftig mit
diesen Gesetzen, deren Geltungsdauer 2012 einer weiteren Verlängerung bedarf?
Ich denke, dass die Gesetze sich in den letzten zehn
Jahren bewährt haben. Sie haben dazu beigetragen, dass
einige terroristische Anschläge im Vorfeld aufgeklärt
und verhindert werden konnten. Ich erinnere nur an die
Düsseldorfer Zelle, die in diesem Jahr dingfest gemacht
wurde. Ich erinnere an die Sauerland-Gruppe, von der
das OLG Düsseldorf gesagt hat: Sie hatten vor, etwas
Ähnliches wie den 11. September ins Werk zu setzen. Ich denke, die Gesetze haben sich auch aus dem Grund
bewährt, weil unsere Behörden sehr sorgfältig und sehr
restriktiv mit diesen Befugnissen umgegangen sind.
({2})
Mir liegen zwar noch nicht die Zahlen für 2010 vor; ich
kann Ihnen aber die Zahlen für 2009 vortragen. Im Bereich der Flugdaten gab es gerade vier Anfragen. Bei
Unternehmen der Finanzbranche hat der Bundesverfassungsschutz 14-mal in einem ganzen Jahr angefragt, bei
den Telekommunikationsdienstleistern 62-mal.
({3})
Bei 82 Millionen Menschen kann man, glaube ich, sagen, dass die Behörden sehr sorgfältig und sehr zurückhaltend mit diesen Befugnissen umgegangen sind.
Die zweite Frage, die sich stellt, lautet: Sind diese Gesetze noch notwendig? Ja, meine Damen und Herren, die
Bedrohungslage hat sich seit 2001 verändert, und zwar
dahin gehend, dass wir nicht mehr nur Rückzugsraum
für Terroristen sind, wie es damals der Fall war, sondern
inzwischen in Europa auch Ziel terroristischer Anschläge sind. Deswegen ist es auch unter diesem Gesichtspunkt mehr als notwendig, die Geltungsdauer dieser Gesetze zu verlängern.
({4})
Es hat sich allerdings auch die Struktur der Bedrohung verändert. Wir haben es heute mit dezentralen
Strukturen und Netzwerken zu tun, auf die es manchmal
nur vage Hinweise gibt. Unsere Behörden müssen, auch
im Rahmen der internationalen Kooperation, oft sozusagen ein Mosaik zusammensetzen, um Anschläge zu verhindern. Deswegen ist es heute umso notwendiger, dass
wir ihnen die Möglichkeit geben, einzelnen Hinweisen
mit diesem Instrumentarium nachzugehen.
Wir haben die Gesetze optimiert. Ich will zwei Beispiele nennen, die sehr wichtig sind. Erstes Beispiel:
Bisher mussten die Behörden jede einzelne Fluggesellschaft abfragen, wenn sie Auskunft über Flugdaten von
Passagieren haben wollten. Das war wichtig insbesondere bei der Überwachung internationaler Flugbewegungen von islamistischen Terrorverdächtigen. Wir haben
jetzt die Möglichkeit vorgesehen, konzentriert auf die
zentralen Buchungssysteme zuzugreifen. Bei den Fluggesellschaften muss also nicht mehr flächendeckend angefragt werden.
({5})
Zweites Beispiel: Wir haben auch im Bereich der Finanzbranche optimiert. Bei den Kreditinstituten muss
nicht mehr in der Breite, flächendeckend, angefragt werden, sondern man kann jetzt auf die Stammdaten in den
zentralen Buchungsstellen zugreifen. Das ist, lieber Herr
Kollege von den Grünen, eine wichtige Verbesserung,
die außerordentlich datenschonend ist. Man muss nicht
mehr flächendeckend anfragen, sondern kann ganz gezielt eine Stammdatenabfrage vornehmen.
({6})
Deswegen hoffe ich, dass Sie dieser Neuerung, die notwendig und sinnvoll ist, zustimmen werden.
({7})
Wir haben gleichzeitig Vorschriften, die weniger notwendig waren bzw. nicht angewendet wurden, weil sie
nicht praktikabel waren, abgeschafft; auch das gehört
dazu. Wir haben den rechtsstaatlichen Schutz in allen
Gesetzen verbessert, indem wir erstens die Kontrollmöglichkeiten der G-10-Kommission gestärkt und zweitens
die Eingriffsschwelle bei Verdacht erhöht haben. Das bedeutet insgesamt eine Stärkung des rechtsstaatlichen
Schutzes der Betroffenen. Ich denke, dass das eine richtige Maßnahme ist.
({8})
Ziel ist es, den Terroristen immer einen Schritt voraus
zu sein. Die Antiterrorgesetze sind ein Beitrag, dieses
Ziel zu erreichen. Wir sind damit in der Lage, mit den
Diensten befreundeter Länder in vertrauensvoller Kooperation den Terrorismus auf internationaler Ebene zu
bekämpfen. Das ist unser Ziel. Ich denke, dass wir insgesamt mit diesen Gesetzen auf einem guten Weg sind. Ich
bitte Sie, dies bei den parlamentarischen Beratungen in
den nächsten Wochen zu berücksichtigen und die Geltungsdauer dieser Gesetze zügig zu verlängern.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun die Kollegin Christine Lambrecht
für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr
Minister Friedrich, wenn die Angelegenheit nicht so
ernst wäre, könnte man über die Rede, die Sie hier zu
diesem ernsten Thema gehalten haben, wirklich ins Lachen geraten.
({0})
Ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie die Hintergründe genannt haben, warum wir im Jahr 2002 diese
Gesetze auf den Weg gebracht haben. Es war Rot-Grün,
das damals die Verantwortung aufgrund der Eindrücke
der Terrorangriffe angenommen und gesagt hat: Wir
müssen handeln.
({1})
Das war kein einfacher Schritt. Aber wir haben damals diese Verantwortung angenommen. Das kann ich
bei Ihnen in dieser Frage nicht feststellen.
({2})
Man hat es heute wieder sehr schön erkennen können.
Ich weiß nicht, für wen Sie wirklich sprechen. Die CDU/
CSU klatscht lautstark, die FDP schaut verschämt nach
unten.
({3})
- Nein, Sie haben nicht geklatscht.
({4})
Herr Brüderle war der einsame Rufer in der Wüste. Ansonsten habe ich keine Übereinstimmung gesehen.
({5})
Das wundert einen nicht, wenn man sieht, was Sie in
den letzten Monaten und Jahren dazu vorgelegt haben.
Seit 2007 wissen Sie, dass im Januar 2012 die Geltungsdauer dieser Gesetze auslaufen wird und dass sie entweder verlängert werden muss oder die Gesetze in irgendeiner Weise verändert werden müssen.
({6})
Was passiert? Seit 2009 tragen Sie Verantwortung,
und seit dieser Zeit streiten und zanken Sie sich wie die
Kesselflicker.
({7})
Aber es geschieht kaum etwas. Wenn Sie, Herr
Friedrich, sagen, wir sollen die parlamentarischen Beratungen zügig vorantreiben, dann frage ich: Warum
denn? - Sie hatten zwei Jahre Zeit. Jetzt legen Sie einen
Gesetzentwurf vor, der angeblich eilig ist. Noch nicht
einmal der Bundesrat konnte dazu Stellung nehmen.
({8})
Warum ist er denn eilig geworden? Weil Sie es verpennt
haben. Das ist die Realität.
({9})
Lassen Sie mich zu einigen Punkten kommen, die Sie
uns vorgelegt haben. Bei Ihrer Pressekonferenz hat man
gedacht, Sie feierten einen Jahreswechsel. Lassen Sie
uns einmal schauen, um was es dabei ging. Frau
Leutheusser-Schnarrenberger war ganz verzückt darüber, dass in Zukunft die Befugnis, Auskünfte über
Postfächer einzuholen, beseitigt wird - die Befugnis zu
Auskünften über Postfächer! Wer glaubt denn allen
Ernstes, dass diese Befugnis in der Praxis überhaupt
noch eine Rolle gespielt hat?
({10})
Die Innenminister haben schon längst darauf hingewiesen, dass man diese Befugnis nicht mehr braucht. Daher
empfinde ich es als mageres Ergebnis, ausgerechnet
diese Beseitigung zu feiern.
Viel interessanter ist die deutliche und klare Ausweitung. Sie haben es angesprochen. In Zukunft sollen Flugdaten von zentralen Buchungssystemen abgerufen und
Kontostammdaten zentral abgefragt werden. Mich erinnern diese Erweiterungen sehr an das SWIFT-Abkommen. Deswegen werden wir in der parlamentarischen
Beratung zu diesen Fragen sehr genau Stellung nehmen.
Ich bin gespannt, wie insbesondere die Kolleginnen und
Kollegen der FDP sich in dieser Frage verhalten.
Einen Punkt haben Sie nicht angesprochen; ihn finde
ich besonders peinlich: Sie wollen in Zukunft eine Regierungskommission bilden, die sich weiterhin mit diesen Gesetzen beschäftigt. Was ist denn eine Regierungskommission? „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann
bilde ich einen Arbeitskreis“, oder was? Der Innenminister und die Justizministerin sind für diese Gesetze zuständig.
({11})
Sie hatten Zeit, um darüber zu verhandeln. Sie sind
nicht weitergekommen, und jetzt verlagern Sie es auf
eine irgendwie besetzte Regierungskommission. Übernehmen Sie Verantwortung! Handeln Sie so wie damals
Rot-Grün unter dem Eindruck vom 11. September!
({12})
Da das, was wir hier sehen, nicht ein Einzelfall eines
Trauerspiels ist, lassen Sie mich noch auf einen weiteren
Punkt zu sprechen kommen, der in diesem Zusammenhang steht - ich vermute, wir werden da genau so weiterhin vertröstet werden -: Das ist die Frage, wie es mit der
Vorratsdatenspeicherung weitergeht. Das ist der zweite
Akt des schwarz-gelben Trauerspiels in der Innenpolitik.
Die Regierung kann sich nicht einigen. Man kommt auf
keinen gemeinsamen Nenner. Mittlerweile hat Deutschland ein Verfahren am Hals. Warum? Weil Sie nicht in
der Lage sind, eine gemeinsame Position zu entwickeln.
Als Konsequenz daraus können wir uns auf europäischer
Ebene bei der Überarbeitung der betreffenden EU-Richtlinie nicht einbringen. Das heißt, andere verhandeln über
diese Richtlinie, und wir sind außen vor - wie peinlich -,
weil unsere Regierung nicht in der Lage ist, eine gemeinsame Position zu erarbeiten. Meine Damen und
Herren, deswegen an dieser Stelle ein Appell: Hören Sie
auf mit diesem Herumgewurschtel! Machen Sie den
Weg frei!
Vielen Dank.
({13})
Gisela Piltz ist die nächste Rednerin für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ganz besonders für Sie, Frau Lambrecht: Ludwig Erhard
hat einmal gesagt:
Kompromisse setzen die Beherrschung der Kunst
voraus, eine Torte so aufzuschneiden, dass jeder
glaubt, er habe das größte Stück Kuchen abbekommen.
In diesem Sinne meinen wir, dass das ein hervorragender
Kompromiss geworden ist.
({0})
Dass Sie das nicht so sehen, habe ich mir vorher gedacht. Ihr Problem ist, dass Sie diese Gesetze erfunden
haben
({1})
und jetzt eigentlich zustimmen müssten, das aber nicht
können und deshalb hier irgendetwas erzählen müssen,
um selber aus der Nummer herauszukommen.
({2})
Das ist Ihnen nicht gelungen. Das heißt, Sie bekommen
heute kein Stück Torte ab; das tut mir leid, Frau
Lambrecht.
Das größte Stück der Torte haben aber die Bürgerrechte abbekommen. Das ist wirklich etwas Besonderes.
Das ist etwas, was es unter der Überschrift „Terrorismusbekämpfung“ in diesem Haus lange nicht mehr gegeben
hat; denn - das haben Sie freimütig eingeräumt - das
Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz, besser bekannt als sogenannte Otto-Kataloge, hat seinen Ursprung
bei Ihnen,
({3})
der rot-grünen Koalition.
({4})
Damals hat eine Fraktion, die heute immer gerne von
sich behauptet, sie achte die Bürgerrechte,
({5})
beispiellosen Verschärfungen zugestimmt. Nahtlos
wurde das dann fortgesetzt.
({6})
Wir gehen jetzt anders damit um; denn wir haben das
wirklich evaluiert. Das, was Sie gemacht haben, war ja
weiße Salbe für die Bundesregierung. Ich finde, wie gesagt, herausgekommen ist ein gutes Gesetz. Das könnte
sogar Herr Wiefelspütz sagen, dem ich zu seinem heutigen 65. Geburtstag gerne ein Stück Torte in diesem
Sinne überreichen möchte.
({7})
In diesem Gesetzentwurf werden die rechtsstaatlichen
Hürden - ich rede jetzt einmal zu dem Gesetzentwurf,
Frau Lambrecht, was Sie ja nicht konnten - für Maßnahmen der Nachrichtendienste angehoben.
({8})
- Gerne heute Nachmittag;
({9})
unter vier Augen, Herr Wiefelspütz, kein Problem.
({10})
- Ja, da müssen Sie durch.
Es reicht nicht mehr ein vager Verdacht, sondern
- wie eigentlich in einem Rechtsstaat anzunehmen - es
muss schon etwas Substanziiertes vorliegen, wenn in die
Grundrechte eingegriffen wird.
Es sollen auch Regelungen wegfallen - das haben Sie
überhaupt nicht hinbekommen -; auch ohne diese können wir Sicherheit gewährleisten und eine Abwägung
zwischen Freiheit und Sicherheit vornehmen.
({11})
Dazu gehören der sogenannte kleine Lauschangriff
zur Eigensicherung, der nie angewandt wurde, ebenso
wie die Bestandsdatenabfrage bei Postfächern und die
Einholung von Auskünften zu Umständen des Postverkehrs. Außerdem wird die Höchstspeicherdauer von personenbezogenen Daten wieder von 15 auf 10 Jahre zurückgesetzt. Und: Neben der Anhebung der materiellen
Eingriffsschwellen werden auch die parlamentarischen
Kontrollmöglichkeiten verbessert. Sowohl die Kontrolle
im G-10-Gremium als auch die im Parlamentarischen
Kontrollgremium werden erweitert. Damit werden die
Rechte der Betroffenen wirklich gestärkt. Das ist, finde
ich, ein wirklicher Fortschritt,
({12})
den Sie nie hinbekommen haben.
({13})
Sicherheitsüberprüfungen werden zukünftig transparenter ausgestaltet. Angesichts der hohen Anzahl von
über 64 000 Personen, die einer Sicherheitsüberprüfung
unterzogen wurden, ist das sicherlich auch ein guter
Schritt.
Die Sahne auf der Torte - Herr Wiefelspütz, die gibt
es heute nicht für Sie - ist, dass das Gesetz in keiner
Hinsicht verschärft worden ist. Frau Lambrecht, Sie
müssen einmal genau hinschauen. Ich kann Ihre Rede
dazu überhaupt nicht verstehen.
({14})
- Ich habe zugehört.
({15})
- Sagen wir es so: Wenn ich es nicht verstehe, ist es vielleicht Ihr Problem und nicht meines.
Keine Verschärfung ist aus meiner Sicht in der Änderung der Praxis bei Auskünften zu Fluggastdaten und zu
Bankkontodaten zu sehen.
({16})
- Waren Sie dabei?
({17})
Wir haben uns konstruktiv auseinandergesetzt und nicht
gestritten; das ist der Unterschied.
({18})
Bislang mussten die Nachrichtendienste bei jeder Airline
einzeln anfragen. Das galt auch für die Banken. Es
musste an jede Bank einzeln ein Auskunftsersuchen gerichtet werden. Das ist für den Datenschutz und für den
Datenschützer auch nicht schön. Jetzt machen wir das
effizienter.
({19})
- Wenn die Grünen sich einmal nicht mit sich selbst beschäftigen, sondern mir zuhören würden,
({20})
würde ich ihnen noch ins Stammbuch schreiben, dass die
zentrale Abfrage aller Kontostammdaten nicht unsere
Idee ist,
({21})
sondern von Rot-Grün erfunden worden ist.
({22})
Sie haben sogar jedem Mitarbeiter im Sozialamt die Abfrage erlaubt. Ich glaube, da ist klar, woher es kommt.
Das Gesetz wird erneut befristet, und es gibt eine ordentliche Evaluierungsklausel; denn diese Koalition
nimmt den Auftrag des Gesetzgebers ernst, Gesetze, die
in Grundrechte eingreifen, immer wieder zu überprüfen.
Es soll böse Zungen geben - ich komme zum Schluss,
Herr Präsident -, die sagen, wir könnten nicht liefern.
({23})
Heute haben wir geliefert,
({24})
und es passt Ihnen auch nicht. Sie müssen sich am Ende
entscheiden. Wir finden: Es wird ein besseres Gesetz
sein als vorher. Wir haben das gemacht, was man macht,
wenn man regiert. Man überprüft jede einzelne Vorschrift. Wie lange das dauert, ist am Ende egal; Hauptsache, es kommt etwas Gutes dabei heraus.
({25})
Das haben Sie nicht geschafft, aber wir.
Vielen Dank.
({26})
Das Wort erhält nun der Kollege Jan Korte für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollegin Piltz, ich habe gerade gedacht, dass Sie einen
Anflug von Selbstkritik üben wollten. Das war nicht der
Fall. Um bei dem Tortenbild zu bleiben: Die Torte hat
Herr Friedrich allein aufgegessen.
({0})
Da ist nicht ein Krümel für Sie übrig geblieben. So sieht
es aus!
({1})
Wir haben seit 2001 bekanntermaßen unzählige Gesetze zur Terrorismusbekämpfung erlassen - es waren
damals die sogenannten Otto-Pakete -,
({2})
mit Zustimmung der Grünen; die FDP war damals erfreulicherweise dagegen. Es gibt ein Problem, über das
wir heute noch einmal reden sollten.
Es war 2001 eine Klausel zur sogenannten Evaluierung aufgenommen worden. Das Hauptproblem ist, dass
in einer bestimmten historischen und weltpolitischen Situation, in einer Notsituation, Gesetze erlassen wurden,
die nun, zehn Jahre später, fortbestehen sollen. Übersetzt
gesagt: Das Hauptproblem, über das wir reden, ist, dass
der Ausnahmefall hier zum Normalfall, zum Regelfall
wird. Es ist nicht akzeptabel, dass der Eingriff in Grundund Freiheitsrechte hier zum Normalfall wird. Die FDP
hat in dieser Frage völlig versagt.
({3})
Es ist so, dass die Geheimdienste, die bekanntermaßen geheim agieren - deswegen kann man sie intern ja
auch nicht kontrollieren -, weiter Auskünfte bei Banken,
Fluggesellschaften oder Telekommunikationsanbietern
einholen können. Alles das sind - Kollege Stadler, Sie
haben immer zu Recht darauf hingewiesen - schwerwiegendste Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte, in den
Datenschutz und damit im Kern in den demokratischen
Rechtsstaat.
({4})
Das ist nach wie vor das Problem, und Sie schreiben es
nun fort.
Es ist ganz interessant, was jetzt vorgelegt wurde. Wir
haben es natürlich aufmerksam gelesen. Die Befugnisse
sollen nun sogar erweitert werden. Es ist klar: Die CDU/
CSU ist bei dem, was vorgelegt wurde, gut drauf heute.
Minister Friedrich sagt auch noch: Die Dienste können
jetzt zentral Flugdaten bei Buchungssystemen abfragen.
Das ist eine Verbesserung. - Es ist natürlich, im Gegenteil, bürgerrechtlich der totale Horror, wenn man alles
zentral abfragen kann. Das ist eine grandiose Verschlechterung und nicht eine Verbesserung, wie Sie behaupten, Frau Piltz.
({5})
2001 wurde das Vorhaben, eine Evaluierung durchzuführen, eingeführt. Das war das Einzige, was die Grünen
durchbekommen haben. Eine Evaluierung an sich ist erst
einmal gar nicht schlecht.
({6})
- Das ist eine gute Idee. - Um die richtige Idee der Grünen zu verstehen, muss man sich klarmachen: Was
bedeutet Evaluierung? Wir müssen das übersetzen. Evaluierung bedeutet: Man erlässt für einen bestimmten
Zeitraum ein Gesetz und überprüft nach einer festgelegten Frist, ob die darin vereinbarten Maßnahmen verhältnismäßig sind und ob sie etwas im Kampf gegen den
Terrorismus nützen.
({7})
So weit, so richtig. In diesem einen Punkt sind wir einer
Meinung. - Ich sehe, dass der Präsident blinkt.
Jawohl, weil der Kollege Ströbele Ihnen gerne eine
Zwischenfrage stellen oder eine Bemerkung machen
möchte.
Er will mich sicherlich unterstützen.
({0})
Das warten wir gespannt ab.
Gut.
Danke, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. Ich
wollte eigentlich schon während der Rede der Kollegin
Piltz eine Frage stellen. - Sie alle schimpfen auf die rotgrüne Regierung des Jahres 2001. Ich fühle mich persönlich angesprochen,
({0})
weil ich bei der Formulierung des „Otto-Katalogs“ beteiligt gewesen bin.
({1})
- Ja, ja.
Damals sind große Befürchtungen ausgesprochen
worden - auch ich habe diese Befürchtungen geteilt -,
etwa dass mit der Bankenabfrage eine Verletzung der
Bürgerrechte angerichtet werden kann.
({2})
Aber anders als die Große Koalition, die anschließend
das Gesetz „korrigiert“ hat, haben wir so viele Schranken eingebaut, dass von den im Gesetz vorgesehenen
Maßnahmen nur in einstelliger Zahl Gebrauch gemacht
worden ist.
({3})
Sie haben ja gesagt: Das lässt sich alles parlamentarisch nicht kontrollieren. - Auch da fühle ich mich als
Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums angesprochen und sage: Das stimmt in diesem Falle so nicht.
Können Sie mir deshalb sagen, in wie vielen Fällen
- ab 2001, 2002 und 2003 - von der Befugnis der Bankenabfrage Gebrauch gemacht worden ist und in wie
vielen Fällen sich das geändert hat, nachdem die Große
Koalition unsere engen Bedingungen ausgeweitet bzw.
aufgeweicht hat? Das wird ja im vorliegenden Gesetzentwurf fortgesetzt. Können Sie die Zahlen auf den
Tisch legen? Ich kann sie Ihnen sonst selber nennen.
Aber Sie müssten sie eigentlich auch wissen.
Herr Kollege Ströbele, eine Bemerkung vorweg: Es
gab eine Zeit, da waren Sie ein Linker. Im Herzen sind
Sie es, glaube ich, immer noch.
({0})
Deswegen ist es auch schwierig für Sie, bei den Grünen
zu sein. Es gab eine Zeit, in der Sie besonders laut - inzwischen machen Sie das nur noch manchmal - die Unkontrollierbarkeit von Geheimdienstbefugnissen kritisiert haben, und zwar zu Recht.
Ich bin kein Mitglied des PKGr. Deswegen kann ich
Ihnen die konkreten Zahlen nicht nennen. Das ganze
Problem bei den Terrorismusbekämpfungsgesetzen, Herr
Kollege Ströbele, ist doch, dass wir keine Zahlen bekommen. Als Beispiel nenne ich die Onlinedurchsuchungen.
Wir haben die Bundesregierung 2010 gefragt, wie viele
Onlinedurchsuchungen es gegeben hat. Die Auskunft der
Bundesregierung 2010 war: Keine einzige. - 2011 haben
wir - jetzt komme ich direkt auf Ihre Frage - noch einmal gefragt - nun den Innenminister Friedrich -, wie
viele Onlinedurchsuchungen durchgeführt wurden.
Denn es kann ja sein, dass die Onlinedurchsuchung in
der Tat, wie Herr Friedrich meint, ein Instrument zur
Terrorismusbekämpfung ist.
({1})
Das Problem ist, Herr Ströbele, dass die Bundesregierung uns 2011 geantwortet hat: Das können wir Ihnen
aus Geheimhaltungsgründen nicht sagen. - Das ist doch
das ganze Problem. Sie sollten sich dafür aussprechen,
dass alles, was in dem PKGr - was außer Ihnen und den
Mitgliedern keiner weiß, weil es nicht öffentlich ist - besprochen wird, öffentlich gemacht werden muss. Dafür
sollten wir gemeinsam streiten.
({2})
Ich will an das Thema Terrorismusbekämpfungsgesetz 2001 anknüpfen, um zum Thema Evaluierung zu
kommen. Es ist in einer bestimmten Situation verab15008
schiedet worden. Es wurde vereinbart, dass man es
evaluiert, was auch stattfand. Aber jetzt kommt der
Hammer: Das Terrorismusbekämpfungsgesetz wird vom
Bundesinnenministerium evaluiert!
({3})
Das ist eine ganz tolle Idee. Heraus kam, dass alle Maßnahmen absolut notwendig sind und erweitert werden
sollten. So funktioniert Evaluierung nicht. Das lehnt die
Linke grundsätzlich ab. Da müssen unabhängige Personen aus der Mitte des Parlamentes ran. Das wäre angemessen.
({4})
Ich komme zu meinem nächsten Punkt, dem großen
Sieg der FDP.
({5})
Frau Piltz hat darauf hingewiesen: Jetzt entfallen einige
Maßnahmen, die damals beschlossen worden sind. - So
weit, so richtig. Wir wollen ja sachlich diskutieren.
Liebe Kollegin Piltz, liebe FDP, es ist natürlich sehr
wohlfeil, zu sagen, dass das, was ohnehin nie angewandt
wird, entfällt. Das Problem, das wir haben, ist doch das,
was ständig angewandt wird, nicht die Streichung von
Regelungen, die eh nicht angewandt werden. Was ist das
denn für ein toller Erfolg? Das ist überhaupt kein Erfolg.
({6})
Ich möchte daran erinnern - das haben wir auch gerade in einem Zwiegespräch mit dem Kollegen Ströbele
festgestellt -, dass Geheimdienste kaum zu kontrollieren
sind. Trotzdem geht es so weiter: Geheimdienste dürfen
überall Daten abfragen. Damit wird der Rechtsstaat ausgehöhlt. Es stellt sich auch die Frage, was mit diesen Daten eigentlich passiert. Was bedeutet das für diejenigen,
die zu Unrecht in die Mühlen dieses Überwachungsapparates gekommen sind? Das zu klären, ist doch wichtig.
Deswegen sagt die Linke ganz klar: Statt diese „Notstandsgesetze“ fortzuschreiben, wäre doch die richtige
Antwort der Gesellschaft und des Bundestags auf die
Bedrohung, die es sicherlich gibt: mehr Demokratie,
mehr Offenheit, mehr Solidarität und vor allem mehr demokratischer Rechtsstaat. Das wäre die richtige Antwort. Das bekommen Sie in dieser Koalition mit dieser
Truppe aber nicht hin, was ich sehr bedaure. Das muss
ich leider zur Kenntnis nehmen.
({7})
Wenn wir schon bei der Evaluierung, also bei der
Überprüfbarkeit von Politik und von Gesetzen sind, will
ich im Zusammenhang mit dem internationalen Terrorismus, über den wir diskutieren, auch dazu etwas sagen.
Schön wäre es, wenn die Bundesregierung und der gesamte Bundestag evaluieren würden, was die Beteiligung Deutschlands an diesem sinnlosen Krieg in Afghanistan für die Sicherheit in diesem Land bedeutet. Das
wäre eine notwendige Evaluation; das wäre richtig. Ziehen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan ab! Das wäre
eine konkrete Verbesserung der Sicherheit.
({8})
Ich will natürlich nicht nur kritisieren, was Aufgabe
der Opposition ist, sondern ich will auch zwei konstruktive Vorschläge machen,
({9})
von denen ich hoffe, dass Sie sie aufnehmen werden. Einigen wir uns darauf, dass die Evaluierung an sich eine
sinnvolle Idee ist. Dann sollten wir uns aus der Mitte des
Parlaments zusammentun. Der Bundestagspräsident kritisiert zu Recht des Öfteren die Tendenz der Entmachtung des Parlaments. Also stärken wir das Parlament!
Machen wir eine wirkliche Evaluierung, und zwar zusammen mit Abgeordneten aller Fraktionen! Machen wir
eine Evaluierung all dieser großen Grundrechtseingriffe
mit Datenschützern, mit Bürgerrechtlern und mit vielen
anderen! Schauen wir einmal, was das eigentlich gebracht hat, und schauen wir vor allem, inwieweit der demokratische Rechtsstaat davon betroffen ist und ob die
Verhältnismäßigkeit gewahrt worden ist. Das wäre eine
wirkliche Evaluierung solcher Gesetze.
({10})
Abschließend muss ich die FDP wirklich loben. Sie
haben lange gezögert; das war richtig. Jede Verzögerung,
die dieses Gesetz hinausschiebt, ist eine gute Verzögerung. Ich hoffe, Sie machen das weiter so. Wir würden
Ihnen dabei helfen. Sie sind aber damals mit dem Versprechen einer Umkehr in der Innen- und Sicherheitspolitik gewählt worden. Das tun Sie leider nicht. Sie haben auch in diesem Bereich völlig versagt. Eines will ich
schon noch sagen: Ihr Deal, der zu dem geführt hat, was
heute vorliegt, ist nun wirklich die bürgerrechtliche
Bankrotterklärung der Freien Demokraten in diesem
Land. Für Ihre Steuerpolitik, die an Irrsinnigkeit kaum
zu überbieten ist, opfern Sie bürgerrechtliche Positionen,
die Sie lange Zeit vertreten haben. Das kritisieren wir
aufs Schärfste, weil das wirklich schade ist. Von Ihnen
ist inhaltlich kaum noch etwas übrig geblieben. Das können wir heute ganz eindeutig feststellen.
({11})
Heute kann man einen Strich darunter ziehen und sagen: Ob Schily, Schäuble oder Friedrich, es ist alles dasselbe in der Innenpolitik. Es gibt überhaupt keine Unterschiede. Es gibt überhaupt kein Ringen in diesen
Konstellationen, wie eine Innenpolitik anders aussehen
könnte. Je mehr Sie sich aufregen, umso besser bin ich
drauf, weil das zeigt, dass wir mit unserer Kritik richtig
liegen.
({12})
Wir brauchen eine Umkehr, mit der die Grund- und
Freiheitsrechte wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Eines will ich dann doch noch einmal zum Schluss
sagen: Die Grund- und Freiheitsrechte, die Trennung
von Geheimdiensten und Polizei, der demokratische
Rechtsstaat und vieles andere sind nicht vom Himmel
gefallen, sondern sie sind in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten - übrigens unter großen Opfern erkämpft worden. Deswegen geht man damit nicht so
leichtfertig um.
Liebe Kollegin Lambrecht, der SPD würde ich Folgendes empfehlen: Die FDP ist schon eingeknickt. Sie
brauchen sich jetzt nicht auch noch anzubiedern, unbedingt beim Grundrechteabbau mitmachen zu wollen. Sie
sind in der Opposition; da können Sie ausnahmsweise
wieder für die Grundrechte sein. Die Linke ist das in der
Regierung und in der Opposition. Das ist der Unterschied zwischen uns.
({13})
Der Kollege Wolfgang Wieland hat nun das Wort für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Piltz! An dem Tag, an dem der Papst dieses Haus
besuchen wird,
({0})
sollten wir es doch alle mit dem achten Gebot noch genauer nehmen als sonst: Du sollst nicht falsch Zeugnis
ablegen wider deinen Nächsten.
({1})
In dem Sinne bin auch ich ein Nächster. Also: Mut zur
Wahrheit, noch mehr Mut!
Zur Wahrheit gehört zunächst die Feststellung:
Schon der Titel dieses Gesetzentwurfs ist verschleiernd. Das ist doch nicht nur ein Änderungsgesetz zum
Bundesverfassungsschutzgesetz; es werden zugleich
x andere Gesetze geändert. Nach dem Terrorismusbekämpfungsgesetz von Rot-Grün - vulgo „Otto-Kataloge“ -, nach dem Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz der Großen Koalition legt Schwarz-Gelb
nunmehr ein „Terrorismusbekämpfungsergänzungsergänzungsgesetz“ - TBEEG - vor.
({2})
So wollten Sie das Ding aber nicht nennen; das verstehe
ich. Hier aber - wie Ihre Justizministerin - von einer
Trendwende zu sprechen, von einer neuen Phase der
Bürgerrechtlichkeit, das ist eine Chuzpe ohnegleichen,
Frau Kollegin Piltz.
({3})
Zur Wahrheit auf unserer Seite - das gebe ich zu - gehört: Es gibt auch Verbesserungen:
({4})
stärkere Kontrolle der G-10-Kommission, höhere Eingriffsschwelle, bessere Formen der Benachrichtigung das sind Verbesserungen. Es fallen auch Befugnisse weg.
Das hat die Große Koalition nach der ersten Evaluierung
leider nicht geschafft. Nur, bitte schön - das sagen Sie ja
selber -, das alles sind Befugnisse, die zehn Jahre lang
nicht angewendet wurden. In dem Zusammenhang hätten Sie noch triumphierend sagen können: Wir überwachen auch keine Postkutschen mehr. Das wäre die gleiche Melodie gewesen.
({5})
Das ist wirklich dürftig. Terroristen schreiben nun einmal so wenige Ansichtskarten wie der Rest der Menschheit.
Sie haben gerade erklärt, Sie hätten sich konstruktiv
auseinandergesetzt. Was haben Sie nicht alles im Vorfeld
versprochen, zum Beispiel die Abschaffung des
MAD - nun bekommt er mehr Befugnisse. Herr Kollege
Stadler, ich freue mich immer, wenn Sie hier sitzen - das
wissen Sie -, aber ich vermisse eigentlich die Justizministerin.
({6})
- Dann ist es gut. Dann freue ich mich noch mehr, dass
Sie sie vertreten. Nun seien Sie doch mal friedlich,
({7})
so friedlich, wie ich Sie kenne und schätze.
Sie haben seinerzeit als Abgeordneter Rot-Grün sehr
maßvoll kritisiert. Andere aus Ihren Reihen waren nicht
so maßvoll. Die Ministerin sagte den schönen Satz: Wir
nehmen die Otto-Kataloge nicht an. - Als die Kontenstammdatenabfrage kam, hat das Präsidium der FDP sogar einen Beschluss gefasst mit der Überschrift:
„Schluss mit der staatlichen Schnüffelei“. Das war im
März 2005. Ich darf zitieren:
Die FDP lehnt den ungehinderten Datenzugriff von
Finanzämtern und anderen Behörden auf die Konten der Bürger im Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit entschieden ab. Den Finanzbehörden
wird quasi eine Rasterfahndung ermöglicht.
Sie und Herr Funke, der damals noch hier saß, erklärten
unisono: Wenn wir regieren, schaffen wir das wieder ab.
Das wäre ja schön gewesen. Nun hat - wie Sie sagen,
liebe Frau Piltz - Ihr Catering-Service geliefert, und
beim BKA und beim Bundesamt für Verfassungsschutz
knallen die Sektkorken. Das sind die Lieferungen, die
Sie zustande bringen.
({8})
Sie sagen allen Ernstes: Ihr habt einen Datenberg geschaffen zu Steuerehrlichkeitszwecken, nur dazu und für
nichts anderes, schon gar nicht für die Sicherheitsbehörden. Nun kommen Sie mit der Logik: Weil Rot-Grün das
gemacht hat, müssen wir die Tür für die Sicherheitsbehörden öffnen; das ist sozusagen alles eine Erbsünde von
Rot-Grün oder von Grün.
({9})
In der letzten Legislaturperiode haben wir eine
„Lange Nacht der Bürgerrechte“ veranstaltet. Da gab es
die FDP in Berlin-Mitte noch. Sie kamen mit einem
Flyer, den hätte Herr Korte schreiben können.
({10})
In dem Flyer stand, wie fürchterlich es ist, dass 2001 das
Bankgeheimnis aufgegeben wurde, und wie fürchterlich
es ist, dass bei den Fluggesellschaften Daten abgefragt
werden können. Jetzt können Sie in den Verhandlungen
mit der CDU/CSU noch nicht einmal mehr den Status
quo verteidigen. Ihre Justizministerin hat gebrüllt wie
eine Löwin, und dann hat sie Pfötchen gegeben. Das
können Sie hier nicht vom Tisch wischen.
({11})
Was haben Sie im Bundesjustizministerium noch im
Mai dieses Jahres zu der Möglichkeit, die Buchungsdaten nunmehr zentral bei Amadeus abzufragen, geschrieben? Am 24. Mai 2011 schrieben Sie im Rahmen dieser
konstruktiven Auseinandersetzung, dies sei eine neue
Qualität des Grundrechtseingriffs und dies sei nicht akzeptabel, da mit einer einzigen Abfrage umfangreiche
Bewegungsprofile erstellt werden können. Das BMJ
schrieb von einer Abfragebefugnis, die einem Verdachtsoder Verdächtigengewinnungseingriff im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nahekommen könnte. Deutlicher geht es doch wohl nicht.
Nun sagen Sie: Als Gegenleistung haben wir eine unabhängige Regierungskommission - das ist ein Widerspruch in sich -, die alles richten wird. Meine Damen
und Herren von der FDP, wenn diese Kommission irgendwann einmal ein Ergebnis vorlegt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Sie dann noch regieren. Dann
bleibt Ihnen wenigstens erspart, zuzugucken, wie die
CDU alle Ergebnisse in den Reißwolf schiebt.
({12})
Wir Grüne hatten immer einen klaren Kompass in Bezug auf die Bekämpfung der terroristischen Bedrohung.
Diese Bedrohung existiert bis heute. Deswegen sind wir
nicht gegen die Verlängerung der Geltungsdauer der Gesetze. Deswegen haben wir seinerzeit die Otto-Kataloge
eingedämmt. Das ist in der juristischen Fachliteratur
anerkannt. So sagte zum Beispiel Herr Professor
Lüderssen: Die Grünen haben das Schlimmste verhindert, zum Beispiel die Initiativermittlungskompetenz des
BKA.
Die Evaluierung ist schlecht gelaufen; da hat Herr
Korte Recht. Jetzt gibt es aber immerhin einen unabhängigen Experten. Wir müssen dies weiter ausbauen. Darin
sind wir uns doch alle einig. Genauso stehen wir dazu,
dass hier in Berlin das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum aufgebaut wurde. Es arbeitet gut. Es wurde von
Rot-Grün installiert.
({13})
- Es wurde installiert, Herr Kollege Krings. Es arbeitet
bis heute gut. Es ist international anerkannt. Es ist das,
was man ein Erfolgsmodell nennt.
({14})
Wir fordern stets die Sicherstellung der Sicherheit der
Bürger durch den Staat. Das gilt aber ebenso für die Sicherheit der Bürger vor dem Staat. An beides müssen wir
denken. Sicherheit ist kein Selbstzweck. Sicherheit dient
der Freiheit, nicht umgekehrt. Wenn wir die rechtsstaatlichen Prinzipien in dem Irrglauben über Bord werfen, es
gäbe eine absolute Sicherheit, dann verhelfen wir dem
Terror letztlich zum Sieg über unseren Rechtsstaat. Das
darf nicht geschehen. So weit darf es nicht kommen.
Deswegen sagen wir Ja zu einer Verlängerung der Geltungsdauer dieser Gesetze. Wir lehnen aber die Verschärfungen, die hier eingeführt werden sollen, ab.
Vielen Dank.
({15})
Dr. Günter Krings ist der nächste Redner für die
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich darf mich zunächst im Namen der CDU/
CSU-Fraktion den Glückwünschen an Herrn Kollegen
Wiefelspütz anschließen. Herzlichen Glückwunsch zu
Ihrem Geburtstag! Ich hoffe, Sie bleiben uns in der Innenpolitik noch lange erhalten.
({0})
Zu Beginn möchte ich sagen, dass ich mich angesichts der Ernsthaftigkeit dieses Themas nicht auf das
Niveau mancher Oppositionsredner begebe. Der Minister hat es eben ausgeführt: Wir debattieren heute zehn
Jahre und elf Tage nach den schrecklichen Attentaten
des 11. September 2001, die eine Scheidemarke im
Kampf gegen den Terrorismus dargestellt haben, über
die notwendigen Befugnisse der Nachrichtendienste.
Die jüngsten Anschläge und Anschlagsversuche haben gezeigt: Der Terrorismus ist keineswegs überwunden. Terrorismus ist kein Phänomen, das nur in Asien
oder Amerika stattfindet; nein, er bedroht uns real auch
hier in Deutschland. Die Realität zeigt es: jüngste Vorbereitungen eines Sprengstoffanschlages in Berlin, zuvor
die Aktivitäten der Düsseldorfer Zelle oder die bestialische Tötung von zwei US-Soldaten in Frankfurt. Deutsche Mitbürger sind auch im Ausland Opfer gerade des
islamistischen Terrors geworden. Allein bei den Anschlägen auf das World Trade Center starben elf unserer
Landsleute; das wird oft vergessen.
Meine Damen und Herren, in den letzten zehn Jahren
haben wir in Deutschland dennoch weiter in einer relativ
guten Sicherheitslage gelebt. Das ist nicht selbstverständlich; wir verdanken das der Arbeit unserer SicherDr. Günter Krings
heitsbehörden. Möglich ist das nicht allein durch die
Polizei. Sie kann nicht omnipräsent sein und soll nicht
an jeder Straßenkreuzung und jedem Wochenmarkt postiert werden. Deswegen werden Nachrichtendienste immer wichtiger. Ohne ihre Erkenntnisse würden wir uns
praktisch ständig nur nachträglich auf den Anschlag von
gestern vorbereiten. Wir müssen aber mögliche Anschläge von morgen erkennen und verhüten. Deswegen
haben die Nachrichtendienste eine so zentrale Bedeutung im Kampf gegen den Terror.
({1})
Um diese Aufgabe im Interesse unser aller Sicherheit erledigen zu können, braucht man Personal und Geld, aber
eben auch die angemessenen Befugnisse. Aus dem
Grunde finde ich es vollkommen richtig, dass wir auch
in der Koalition intensiv über die Fortschreibung und
Anpassung dieser Befugnisse diskutiert haben. Der Leitgedanke der Politik unserer christlich-liberalen Koalition
ist nach wie vor, dass der Einsatz für die Sicherheit unserer Bürger höchste Priorität hat.
Bei der Frage der Befugnisse für Nachrichtendienste
- das ist richtig - stellt sich sofort die Frage nach der
richtigen Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Inzwischen ist es in vielen Reden schon zum Allgemeinplatz geworden, dass Freiheit und Sicherheit in einem
Spannungsverhältnis stehen. Zugespitzt wird oft sogar
gesagt, Freiheit bedeute zwangsläufig auch Unsicherheit, und Sicherheit bedeute zwangsläufig Freiheitsbeschränkung. Auch wenn das oft gesagt wird: Ich halte
das für zu kurz gedacht. Richtig ist: Sicherheit bleibt
auch im 21. Jahrhundert der fundamentale Staatszweck.
Seit Thomas Hobbes wissen wir, dass der Einzelne nur
bereit sein kann, seine naturgegebene Freiheit ein Stück
weit zugunsten des staatlichen Gewaltmonopols aufzugeben, wenn dafür sein Leben und sein Eigentum gesichert werden. Auf der anderen Seite ist Freiheit natürlich
das zentrale Versprechen des Rechtsstaates. Aber Freiheit und Sicherheit bilden deswegen noch lange kein
Nullsummenspiel: je mehr von dem einen, desto weniger
von dem anderen. Mehr Sicherheit bedeutet nicht
zwangsläufig weniger Freiheit; denn der Rechtsstaat verspricht Freiheit nicht abstrakt, sondern verbürgt sie auch
tatsächlich und effektiv.
Sicherheit - das stimmt, Herr Wieland - hat eine der
Freiheit dienende Funktion.
({2})
Sie macht aus dem abstrakten Freiheitsversprechen eine
effektive Garantie im praktischen Leben. Denn Freiheitsrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit
werden tatsächlich viel seltener von einem Staat als von
Dritten, von Privaten, verletzt, eben auch von Terroristen. Freiheit wäre deshalb ohne Sicherheit wertlos. Das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das immer
wieder als Argument gegen nachrichtendienstliche Befugnisse angeführt wird, wird in der Praxis von Kriminellen bis hin zu Terrornetzwerken verletzt, die unsere
Daten ausspionieren, um ihre Straftaten verüben zu können. Auch die Attentäter vom 11. September zielten
nicht primär auf unsere Sicherheit; sie wollten unsere
Freiheit treffen, unseren freiheitlichen westlichen Lebensstil. Die Bekämpfung des Terrorismus stärkt daher
nur vordergründig unsere Sicherheit; sie schützt letztlich
unsere Freiheit.
({3})
Mehr Sicherheit bedeutet daher tendenziell mehr
Freiheit. Das gilt - ich will das klarstellen - natürlich
nicht ad infinitum: Im Polizeistaat mag die Sicherheit
total sein, aber die Freiheit verschwindet; das haben wir
in der Geschichte unseres Landes im 20. Jahrhundert
zweimal bitter erfahren, einmal im Dritten Reich, ein
zweites Mal in der DDR. Wenn man manche Reden,
auch die von Ihnen, Herr Korte, hört, könnte man meinen, sie zielten auf einen Musterstaat DDR ab und beträfen noch gar nicht unseren Staat.
({4})
So klingen Ihre Einlassungen. Sie passen wunderbar zu
dem, was in der DDR Praxis war, aber nicht zu dem, was
heute Praxis ist.
({5})
Insofern gilt: Maximale Sicherheit bedeutet natürlich
nicht maximale Freiheit. Umgekehrt gilt: Minimale
Sicherheit bedeutet sehr wohl minimale Freiheit. Wer
Sicherheitsbehörden ihre Instrumente aus der Hand
schlägt, handelt damit gegen die Freiheit.
({6})
Wenn wir gemeinsam die richtige Balance zwischen
Freiheit und Sicherheit finden wollen, dann heißt das
eben nicht, die Mitte zwischen beidem zu definieren,
sondern dann müssen wir den Punkt bestimmen, bis zu
dem ein Sicherheitszuwachs auch noch mit einem Freiheitsgewinn verbunden ist. Genau das haben wir in diesem Gesetzentwurf getan. Auf dieser Grundlage haben
wir uns der Aufgabe gestellt, die einzelnen Befugnisse
fortzuschreiben und anzupassen. Bestimmte Befugnisse
- das wurde angesprochen - im Bereich der Postfächer,
des Postverkehrs konnten wir streichen. In anderen
Punkten haben wir die Einholung von Auskünften praktikabler gestaltet, in Bezug auf den Flugverkehr und die
Kontenstammdaten. Stichwort „Flugverkehr“: Es ist
nach wie vor wichtig, zu wissen, wer beispielsweise aus
Deutschland in den afghanisch-pakistanischen Grenzraum reist und dort ein Terrorcamp besucht. Wahrscheinlich ist es noch viel wichtiger, zu wissen, wer zu uns zurückkehrt, um entsprechende Anschläge vorzubereiten.
Die Auskünfte über Kontenstammdaten sind wichtig,
um Erkenntnisse über die Finanzierung von Terrororganisationen zu gewinnen, aber auch über den Aufenthaltsort von möglichen Terroristen.
Dass wir es uns mit der Fortschreibung und Anpassung der Befugnisse in der Koalition nicht leicht gemacht haben, sieht man daran, dass wir die parlamentarische Kontrolle mit der G-10-Kommission intensivieren,
aber auch daran, dass wir nicht eine Entfristung vor15012
schlagen, sondern eine erneute Befristung, die ganz
zwangsläufig mit einer regelmäßigen Überprüfung verbunden ist.
Dass wir in einem der sichersten Länder der Welt leben, kommt nicht von selbst. Es bedarf der steten Wachsamkeit von Bürgern und Behörden. Daher ist für uns
die Verlängerung der Befugnisse zur Terrorabwehr unerlässlich, wenn wir unsere Freiheit in Sicherheit nicht
aufs Spiel setzen wollen.
Vielen Dank.
({7})
Nun erhält der schon mehrfach beglückwünschte Kollege Dr. Wiefelspütz das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herzlichen Dank für die freundlichen Glückwünsche
und für die Torte. Frau Piltz, ich werde mich erkenntlich
zeigen und mit Ihnen eines Tages Tango tanzen.
({0})
Wir sind heute Zeugen eines bemerkenswerten Vorgangs. Die in Fragen der inneren Sicherheit unseres Landes völlig zerstrittene und, Herr Friedrich, konzeptionslose Bundesregierung tut etwas Vernünftiges: Sie legt
einen in Kern und Substanz rot-grünen Gesetzentwurf
vor.
({1})
Nichts anderes tut sie. Der Gesetzentwurf sieht zwar ein
paar Änderungen vor; wenn man das aber ganz nüchtern
betrachtet, stellt man fest, dass diese Veränderungen eher
marginal sind. Herr Wieland, das ist ein rot-grünes Gesetz.
({2})
Das einzige relevante Gesetz, die innere Sicherheit unseres Landes betreffend, das Sie in dieser Legislaturperiode zustande bringen, ist im Kern ein rot-grünes Gesetz von Ende 2001.
({3})
Ende 2001 fand das Gesetz die Zustimmung von
SPD, Grünen und CDU/CSU - bei einer Gegenstimme;
ich weiß nicht mehr, wer von Ihnen dagegen gestimmt
hat;
({4})
die CDU/CSU hat damals aber zugestimmt. Bei der
Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes im Jahr
2006 stimmten lediglich SPD und CDU/CSU zu. Jetzt
will - man höre und staune - sogar die FDP zustimmen,
während die Grünen, Herr Wieland, sich offenbar erneut
({5})
- vom Acker machen - aus der Verantwortung stehlen.
({6})
Es geht um Ihr eigenes Gesetz, Herr Wieland. Wo sind
wir denn eigentlich? Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung!
({7})
Das Gesetz war Ende 2001 notwendig. Die Verlängerung der Geltungsdauer war im Jahr 2006 notwendig.
Nach meiner persönlichen Auffassung ist es auch heute
- ich will den Beratungen nicht vorgreifen - im Kern
verlängerungswürdig und notwendig.
({8})
Hat sich die Sicherheitslage in unserem Land seit 2001
verändert? Nein, sie hat sich nicht verändert. Wenn ich
an die „terroristischen Qualitäten“ in unserem Land
denke, muss ich sagen, dass sie sich in der einen oder anderen Hinsicht vielleicht sogar verschlechtert hat. Deswegen spricht vieles dafür - ich will den Beratungen, die
vor uns liegen, nicht vorgreifen -, die Geltungsdauer
dieses Gesetzes zu verlängern.
({9})
Das Gesetz, über das wir heute reden, war und ist eine
wichtige deutsche Reaktion auf die Herausforderung des
11. September 2001. Ich denke, wir haben damals maßvoll, umsichtig und angemessen reagiert.
({10})
Wir haben nicht hysterisch reagiert. Es gab keine Panikmache und keinen Alarmismus, nur vielleicht das eine
oder andere überflüssige Interview - da gab es verschiedene - eines Bundesinnenministers. Wir haben den Verfassungsstaat Deutschland in den Jahren nach 2001 nicht
beschädigt, sondern ausgebaut und gefestigt. Dieses
Land ist ein sehr freies Land geblieben; unsere Grundrechte und Grundfreiheiten wurden nicht beschädigt.
Auch wenn es keine absolute Sicherheit geben kann: Die
Sicherheit unserer Bürger wurde durch das Gesetz, über
das wir heute sprechen, spürbar verbessert. Hinzu kamen
und kommen sicherlich tüchtige und erfolgreich arbeitende Mitarbeiter in unseren Sicherheitsbehörden und
bei der Justiz.
Grenzüberschreitungen, die in anderen Staaten - ich
sage das ohne Hochmut - praktiziert worden sind - ich
nenne nur die Stichworte Rendition, Guantánamo, Waterboarding, Abu Ghureib, Feindstrafrecht und Folter -,
sind in Deutschland nicht einmal in Erwägung gezogen
worden. Es gab nicht einmal die Versuchung, über solche Dinge nachzudenken; dies gilt für alle Seiten dieses
Hauses und jede Bundesregierung seit dem Jahre 2001.
({11})
Unsere Antworten auf Terrorismus sind das Recht, der
Rechtsstaat und das Grundgesetz.
Über dieses nach meiner Auffassung grundsolide Gesetz aus rot-grüner Zeit hat die Koalition der Liebe aus
Schwarz und Gelb, Herr Brüderle, monatelang wie die
Kesselflicker gestritten. Welch ein unwürdiges Schauspiel!
({12})
Aufgrund solider und seriöser Arbeit von Rot-Grün und
anschließend Schwarz-Rot haben Sie nach der Bundestagswahl 2009 auf Bundesebene eine intakte und effektive Sicherheitsarchitektur vorgefunden. Seither herrschen Stillstand, Blockade und Kesselflickerei. Unser
Land wird das wohl noch längstens zwei Jahre aushalten
müssen. Das Land wird es wohl auch aushalten können;
es werden aber nach meiner festen Überzeugung vier
verlorene Jahre sein.
({13})
Nötig wäre - das wissen die Fachleute hier im Kreise die Weiterentwicklung unserer Sicherheitsarchitektur,
nötig wäre die Weiterentwicklung unseres Rechts- und
Verfassungsstaates. Es geht darum, den Rechtsstaat ohne
Niveauverlust sozusagen aus der analogen Zeit in das digitale Zeitalter zu transformieren, und zwar mit den
Qualitäten, die wir uns im analogen Zeitalter in der Bundesrepublik gemeinsam erarbeitet haben.
({14})
Das werden aber nicht Sie, meine sehr verehrten Damen
und Herren von CDU und CSU - Vorsicht beim Klatschen! - leisten. Sie werden konzeptionslos dem Ende
Ihrer Koalition entgegendämmern. Diese Weiterentwicklung, die notwendig ist, werden andere leisten, spätestens ab September 2013.
Erlauben Sie mir, noch einen Gedanken anzusprechen. Auch wenn wir nach dem 11. September 2001 in
Deutschland überwiegend angemessen reagiert haben,
will ich auf eine Reaktion hinweisen, die mich persönlich berührt hat. Am 22. Juli 2011 erschütterten die Anschläge von Oslo und Utoya die Welt. Als Reaktion auf
dieses Jahrhundertverbrechen in Norwegen sagte der
norwegische Ministerpräsident Stoltenberg unter anderem: Unsere Antwort auf dieses Verbrechen ist mehr Demokratie. - Ich will freimütig sagen, dass mich das persönlich sehr beschämt hat. Wie kleingläubig sind wir
eigentlich gelegentlich? Ich glaube, dass dies auch für
uns die Kompassnadel sein muss. Die Attraktivität unseres Lebensmodells gründet auf Freiheit, Demokratie,
Menschenwürde, Rechts- und Verfassungsstaat. Die Attraktivität unseres Lebensmodells steigern wir nur durch
den Ausbau von Bürger- und Freiheitsrechten, nicht
durch ihren Abbau. Mehr Demokratie bedeutet langfristig auch mehr Sicherheit. Dies sollten wir insbesondere
bei der Auseinandersetzung mit terroristischen Herausforderungen bedenken. Ich räume aber ein: Wenn akut
Menschenleben in Gefahr sind und sehr schnell gehandelt werden muss, dann brauchen wir intakte Sicherheitsbehörden, motivierte Mitarbeiter und ein angemessenes Handwerkszeug, das der Gesetzgeber zu liefern
hat.
Wir geben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, über
den wir heute sprechen und den wir in den nächsten
Wochen beraten werden, den Nachrichtendiensten des
Bundes ein nach meiner Überzeugung angemessenes,
notwendiges und verfassungsmäßiges Instrument an die
Hand. Dieses Instrument ist ein grundsolides rot-grünes
Instrument.
Schönen Dank fürs Zuhören.
({15})
Das Wort erhält nun der Kollege Christian Ahrendt
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Kollege Wieland, Sie haben im
Vorgriff auf den Papstbesuch das achte Gebot zitiert: Du
sollst nicht falsch Zeugnis ablegen. Sie hätten dieses Gebot aus Ihrer eigenen Sicht mit etwas mehr Leben füllen
können.
({0})
Sie hätten die Möglichkeit gehabt, hier etwas zu tun, was
man „Beichte ablegen“ nennt. Das sollte man nämlich
tun, wenn man an anderer Stelle etwas ganz anderes tut,
als man hier vorgibt.
({1})
Alle Länder - Herr Kollege Korte, wenn Sie mir zuhören, bekommen auch Sie das mit - haben im Innenausschuss des Bundesrates eine Verschärfung des TBEG
gefordert. Alle Länder wollten erreichen, dass ihre Lan15014
desverfassungsschutzämter auf die Kontostammdaten
der Bürgerinnen und Bürger zugreifen können. Wenn Sie
sich dann hier hinstellen und sagen: „Es wird alles
schlimmer“,
({2})
muss ich Ihnen entgegnen: Sie sollten erst einmal Ihre
Hausaufgaben in den Ländern, in denen Sie an der Regierung beteiligt sind, machen, statt auf eine Verschärfung des Rechts hinzuwirken. Insofern war der Beginn
Ihrer Rede etwas pharisäerhaft.
({3})
Mit meiner nächsten Bemerkung möchte ich an die
Ausführungen des Kollegen Wiefelspütz anschließen. Es
wäre vielleicht klug gewesen, wenn der Kollege
Wiefelspütz seine Rede vorher Frau Lambrecht gegeben
hätte. Dann wäre uns der erste Teil seiner Ausführungen
erspart geblieben.
({4})
Wir befinden uns tatsächlich in einer Situation, in der
wir permanent Sicherheitsinteressen gegen Freiheitsinteressen abwägen müssen. Wir haben in den letzten Monaten immer wieder festgestellt, dass unsere Sicherheitsbehörden gut aufgestellt sind. Es ist ihnen gelungen,
vorbereitete Terroranschläge aufzuklären und abzuwehren. Das ist sicherlich auch eine Folge der ausgewogenen Sicherheitsgesetzgebung. Allerdings ist Sicherheit
kein Selbstzweck, sondern sie soll in erster Linie die
Freiheit schützen.
Beim TBEG galt es, genau diese Messlatte anzulegen.
Wir haben uns gefragt: Welche gesetzlichen Vorschriften
brauchen wir nicht? Welche sind überflüssig? Diese Vorschriften wurden gestrichen. Wir haben gesagt: Wenn
Eingriffstatbestände zu geringe Schwellen haben, verstärken wir die Schwellen. Auch das ist gemacht worden. Wir haben das Gesetz mit einem Haltbarkeitsdatum
versehen. Außerdem werden wir eine Kommission einsetzen, die in den nächsten vier Jahren überprüfen wird,
ob alle Vorschriften sinnvoll sind, ob wir Verbesserungen brauchen oder ob bestimmte Regelungen wegfallen
können. Die im Gesetz vorgesehene Einsetzung einer
Regierungskommission ist ein sehr kluger und ausgewogener Vorschlag.
({5})
So können wir dauerhaft überprüfen: Wo brauchen wir
mehr Sicherheit? Wo sind Freiheitsrechte bedroht? Wo
besteht ein Spannungsverhältnis? Wie können wir es
vernünftig lösen?
Die Bundesjustizministerin hat bei der Erarbeitung
des TBEG und dieser Reform mit viel Beharrlichkeit
durchgesetzt, dass die Geltungsdauer dieses Gesetzes
auf vier Jahre beschränkt und eine Kommission eingesetzt wird, die überprüft, welche Sicherheitsbeschränkungen weiterhin erforderlich sind und an welchen Stellen den Menschen mehr Freiheit gewährt werden kann
bzw. wo entsprechende Beschränkungen zurückgenommen werden können. Das haben wir mit diesem Gesetz
schon getan.
({6})
Unser Vorschlag ist gut und ausgewogen. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Wieland, brauchen wir nicht immer
auf eine Mindermeinung in der Literatur Bezug zu nehmen, die darauf hinweist, dass die Grünen irgendwann
einmal gekämpft haben, was wahrscheinlich niemand
bemerkt hat.
({7})
Bei uns sieht man, dass wir um Lösungen ringen.
({8})
Manchmal wird man deshalb als Kesselflicker bezeichnet. Aber wenn Kesselflicken das Ringen um Freiheit
bedeutet, dann machen wir das gerne.
({9})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Michael Frieser ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Verbunden mit den herzlichen Glückwünschen
an Kollegen Wiefelspütz, vielen Dank auch, dass Sie uns
das Geschenk bereiten, in den eigenen Reihen Überzeugungsarbeit zu leisten. Wir versuchen, uns einmal an anderer Stelle dafür zu revanchieren.
Sehr verehrter Herr Innenminister, das muss schon
ein tolles Gesetz sein; denn die meiste Redezeit der Opposition, die bisher ins Land ging, hat sich mit etwas
ganz anderem beschäftigt, aber nicht mit dem vorgelegten Gesetz. Das heißt normalerweise für die Regierung
immer, dass sie eine gute Arbeit gemacht und etwas
Treffsicheres vorgelegt hat. Herzlichen Glückwunsch
dazu!
({0})
Ich bin dem Kollegen Krings dankbar dafür, dass er
den Gedanken aufgegriffen hat, wo die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit ist; denn darum geht es im
Kern. Das ist die staatsrechtliche, die staatstheoretische
Debatte. Schon in der Europäischen Menschenrechtskonvention, in Art. 5 Abs. 1, ist verankert, dass es ein
Grundrecht auf Sicherheit und Freiheit gibt. Wir haben
dies damals nur deshalb nicht in unsere Verfassung übernommen, weil wir angesichts des Scheiterns von Weimar
überrascht waren und nicht unbedingt der Sicherheit,
wohl aber der Freiheit den Vorrang einräumen wollten.
Deshalb mussten wir sagen: Wir dürfen keine Entwederoder-Politik machen. Es kann nicht entweder Sicherheit
oder Freiheit geben, sondern ein freiheitlicher Rechtsstaat kann immer nur dann bestehen, wenn er sich das
Sowohl-als-auch auf seine Fahne geschrieben hat, wenn
er sowohl die Sicherheit als auch die Freiheit zum Gegenstand seiner Politik macht. Denn letztendlich ist beides zusammen in der richtigen Balance die Grundlage
dafür, dass Demokratie am Ende wirklich funktioniert.
Wenn der Staat Sicherheit garantieren will, dann reden wir nicht über Staatssicherheit. Es mutet schon seltsam an, wenn die Linken auf der einen Seite bei Staaten
wie der DDR „Hurra!“ rufen, aber auf der anderen Seite
die Bürgerrechte dann ausrufen, wenn es um die Frage
der Terrorbekämpfung geht.
({1})
Das sind Dinge, die nicht zueinander passen; das tut mir
furchtbar leid.
({2})
Einerseits geht es auch darum, dass man nicht in einem ständigen Alarmismus leben darf - auch Herr
de Maizière hat das formuliert -; denn das stumpft sich
mit der Zeit ab. Wir können nicht ständig neue Walzen
drehen, zum Alarm rufen und neu die Frage beantworten, ob wir heute besonders wachsam sein müssen. Andererseits neigt man immer etwas zur trügerischen Ruhe.
Ich bin dem Innenminister sehr dankbar dafür, dass er im
Mai deutlich formuliert hat: Natürlich gilt es, wachsam
zu sein und sich keine Illusionen darüber zu machen,
dass vor allem der islamistische Terrorismus auch
Deutschland zum Ziel hat und dass es an dieser Stelle
keine Entwarnung geben kann. Allerdings sollten wir
nicht ständig aufgeregt durch die Welt laufen.
Natürlich hat die Freiheit ihren Preis. „Der Preis der
Freiheit ist ewige Wachsamkeit.“ Das ist kein Zitat von
Herrn Wiefelspütz, sondern ein Zitat von Thomas
Jefferson. Er ist immerhin einer der Väter einer der
wichtigsten freiheitlichen Verfassungen. Um diese Frage
beantworten zu können, haben wir dieses Gesetz eingebracht. Darum geht es.
Es geht darum, dass wir in der Lage sind, den geänderten Voraussetzungen des Terrorismus wirklich eine
Antwort entgegenzustellen. Es geht darum, dass wir
Menschen, die radikalisiert sind, die sich mittlerweile
mitten unter uns in der Gesellschaft radikalisieren und
sich radikalisieren lassen, mit einer Hochtechnologie
treffsicher aufspüren können. Auf der einen Seite geht es
um Hochtechnologie und auf der anderen Seite um fast
althergebrachte mafiose Botenkommunikation und Botenstrukturen. Darin bewegt sich die Welt. Wir sind aufgerufen, treffsicher darauf zu antworten.
Die Diskussion, von wem der Kern dieses Gesetzes
ist, führt meines Erachtens nicht weiter. Ich kann mich
nur bei jedem bedanken, der in der Frage der Terrorismusbekämpfung die richtigen Instrumente liefert, auf
die wir uns einlassen können. Deshalb kann ich nur darauf hinweisen, dass es entscheidend ist, dass wir hier
immer die Balance wahren.
Als Integrationsbeauftragter der CDU/CSU-Fraktion
muss ich natürlich auch über die Schattenseiten einer
solchen Terrorismusbekämpfung reden. Wir haben die
Integrationspolitik in diesem Land mit einem großen Impetus, mit wirklich großer Anstrengung vorangetrieben.
Aber leider ist durch die Anschläge vom 11. September
so etwas wie ein Generalverdacht entstanden, vor allem
gegenüber Mitbürgern islamischen Glaubens. Der Sinn
dieses Gesetzes, die Überarbeitung und das Anpassen
der Instrumente, hat vor allem auch den Grund, Treffsicherheit zu bekommen, damit wir die Menschen nicht
mit einem Generalverdacht überziehen müssen. Vielmehr müssen wir die radikalisierte islamistische Seite
von denjenigen Menschen trennen und unterscheiden
können, die friedlich in unserem Land mit uns zusammenleben.
Also: Dieser Gesetzentwurf dient auch einer effektiven Integrationspolitik, weil wir damit in der Lage sind,
die schwarzen von den weißen Schafen zu trennen und
diejenigen aufzuspüren - durch treffgenaueres und besseres Hinsehen auf präzise Vorkommnisse und durch
präzisere Untersuchungsmethoden -, um die es geht.
Deshalb darf es nie mehr einen Generalverdacht geben.
({3})
Die entscheidenden Punkte wurden bereits angesprochen. Wir sind in der Lage, wirklich wichtige Daten über
die Reisewege, die Zielgebiete und die Zwischenaufenthalte zu erhalten. Ich glaube, dieser Gesetzentwurf ist es
deshalb wert, ihn zu unterstützen.
Es wird nie eine hundertprozentige Sicherheit geben.
Wenn wir in einem freien Rechtsstaat leben wollen, dann
ist es notwendig, dass wir das erkennen. Dem Preis, der
für diese Freiheit erforderlich ist, einer ständigen Wachsamkeit, hat sich diese Koalition verschrieben.
So, wie es jetzt ausschaut, glaube ich deshalb, dass
dieser Gesetzentwurf eine große Zustimmung dieses
Hauses finden wird. Darüber brauchen wir uns wirklich
keine Gedanken zu machen. Der Verlauf dieser Debatte
hat gezeigt, dass wir ein gutes Stück Arbeit vorgelegt haben.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile dem Kollegen Hartfrid Wolff von der FDPFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die rotgrüne Bundesregierung hat die „Otto-Kataloge“ vorgelegt und damit Rechtsgeschichte geschrieben.
({0})
- Berüchtigte Rechtsgeschichte.
({1})
Ihre Leistung, Herr Wieland und lieber Herr Ströbele,
wurde von der Süddeutschen Zeitung damals als „Feindstrafrecht“ bezeichnet.
({2})
Die Unschuldsvermutung wurde von Rot-Grün in ihr
Gegenteil verkehrt. Sogenannte Terroristenlisten wurden
eingeführt, in denen Verdächtige aufgeführt wurden Verdächtige, nicht Verurteilte, Herr Wieland.
({3})
Der Sonderermittler des Europarates hat Ihre Leistung
von Rot-Grün damals als rechtsstaatlich skandalös abgetitelt. Er hat recht.
({4})
Mitte Januar 2012 wird die Geltung dieser Gesetze
auslaufen. Wir Liberale sind stolz darauf, heute gemeinsam mit unserem Koalitionspartner einen Gesetzentwurf
vorzulegen, der der Sicherheit unseres Landes uneingeschränkt dient und der zugleich die Freiheitsrechte der
Bürgerinnen und Bürger achtet und stärkt.
({5})
Die FDP ist sich ihrer Verantwortung für die Gewährleistung der Sicherheit der Bürger vor Terrorismus sehr
bewusst. Deshalb wissen wir auch, dass die aktuelle Sicherheitslage einen ersatzlosen Verzicht auf einige Regelungen nicht zulässt.
Mit diesem Gesetzentwurf setzen wir in der Koalition
heute gemeinsam eine freiheitliche Wendemarke in der
Innenpolitik gegen die „Otto-Kataloge“;
({6})
denn wir bewahren mit diesem Gesetzentwurf die Mittel
der Verhältnismäßigkeit, die Rot-Grün damals abhanden
gekommen sind.
({7})
Es kommt weder zu Verschärfungen noch zu pauschalen
Entfristungen,
({8})
und die rechtsstaatliche Kontrolle wird durch diesen Gesetzentwurf deutlich gestärkt. Gleichzeitig modernisiert
diese Koalition die Sicherheitsarchitektur, indem wir
Doppelstrukturen abschaffen. Unseres Erachtens ist beispielsweise der MAD verzichtbar.
({9})
Mehr Effektivität, mehr rechtsstaatliche Kontrolle,
mehr Effizienz im Sicherheitsbereich, Freiheit und Sicherheit mit menschlichem Gesicht: Das ist das Leitbild
der FDP für die innenpolitischen Herausforderungen.
({10})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir diesem
auch in vorbildlicher Weise gerecht. Wir geben unseren
Bürgern nämlich wieder das Vertrauen zurück, das ihnen
zusteht, das sie verdienen und das ihnen von Rot-Grün
entzogen worden ist.
({11})
Der Garant für die Sicherheitspolitik mit Augenmaß
und für die Aufrechterhaltung der Bürger- und Freiheitsrechte ist diese Koalition, ist die FDP.
Vielen Dank.
({12})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Clemens Binninger von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
In diesem Monat jährt sich zum vierten Mal die Festnahme der Sauerland-Gruppe. Damals war es den
Sicherheitsbehörden gelungen, einen der größten in Europa geplanten Anschläge rechtzeitig zu verhindern. Wer
allerdings geglaubt hat, dass damit eine Beruhigung unserer Sicherheitslage einhergeht, der sah sich getäuscht.
Ich will schon daran erinnern: Alleine in den letzten
zehn Monaten gab es verschiedene schwerwiegende
Sicherheitsvorfälle in Deutschland oder mit Bezug auf
Deutschland: im November letzten Jahres die gescheiterten Paketbombenanschläge auf Transportmaschinen, von
denen eine in Köln zwischengelandet war; im Dezember
2010 und Januar 2011 die Drohung gegen den Reichstag,
verbunden mit den Schutzmaßnahmen, die wir zwei Monate lang alle erlebt haben und bei denen wir noch heute
den Polizeikräften für ihren bewundernswerten Einsatz
dankbar sein können;
({0})
ein paar Monate später die Festnahme der Düsseldorfer
Zelle, die einen Anschlag an einer Bushaltestelle begehen wollte; und erst vor wenigen Wochen in Berlin die
Festnahme von zwei Terrorverdächtigen, die einen Anschlag begehen wollten.
Die Bedrohungslage ist unverändert ernst. Sie ist
hoch. Wir müssen darauf reagieren. All die Erfolge, dass
es nicht zu Anschlägen kam, sind auch dem Umstand zu
verdanken, dass wir den Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren die richtigen Instrumente gegeben haben.
({1})
Übrigens waren fast alle Parteien mit dabei. Deshalb
verstehe ich hier den Streit nicht ganz.
Rot-Grün hat mit diesen Maßnahmen begonnen, allerdings mit unserer Unterstützung. Wir haben mitgestimmt.
({2})
Dann kam die Große Koalition, bei der wir wieder mit
dabei waren. Jetzt machen wir gemeinsam mit der FDP
ein Gesetz, das durchaus - das muss man sagen - die
Handschrift der Liberalen trägt.
({3})
Das kann man wirklich zugestehen. Das ist nichts
Schlechtes, sondern etwas Gutes. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Wieland, und den Grünen: Sie sind doch bei
Otto Schily strammgestanden, nichts anderes.
({4})
Jetzt von der Zuschauertribüne aus schlaue Ratschläge
zu geben, ist Heldentum nach Ladenschluss, nichts anderes.
({5})
Nichts von dem, was Sie heute gerne einfordern, haben
Sie selber umgesetzt, als Sie in der Regierung waren.
Das ist nicht weiter tragisch, aber dann halten Sie es anderen nicht vor.
({6})
Was wir als Kern dieser Gesetze immer wieder brauchen - darin sind wir uns einig -, sind Erkenntnisse über
Terrorverdächtige, die sich konspirativ verhalten. Wir
brauchen Informationen über das Kommunikationsverhalten: Wer telefoniert mit wem? Wer sendet wem eine
E-Mail?, über die Reisebewegungen: Wer reist in Terrorcamps ins pakistanische Grenzgebiet?, und über Finanztransaktionen: Wer ordert und bekommt Geld zur Beschaffung für Utensilien für Bomben? In diesem Gesetz
geht es darum, dass wir diese Instrumente erhalten. Übrigens richten sich diese Maßnahmen nicht gegen jedermann, auch nicht flächendeckend, wie immer wieder
suggeriert wurde. Sie richten sich gegen Terrorverdächtige oder deren Umfeld, und zwar anhand von Tatsachen.
Hier so zu tun, als ob wir quasi ein flächendeckendes
Überwachungssystem etabliert hätten, ist absurd.
Herr Kollege Korte - der Kollege Ströbele unterhält
sich gerade mit dem Innenminister, vielleicht hört er
trotzdem zu -, dieser Dialog zwischen Ihnen beiden,
dem Neu-Linken und dem Alt-Linken, beide unbelastet
von Fachwissen, die hier etwas suggerieren wollen ({7})
- nein, das ist nicht arrogant -, ärgert mich wegen Ihrer
Unwissenheit. Sie stellen sich hier hin und erklären, es
gebe keine Zahlen, wie häufig solche Maßnahmen angewandt wurden, die Regierung halte sie geheim. Dazu
gibt es eine Bundestagsdrucksache. Daher zeugt Ihr Verhalten von Unfähigkeit und Inkompetenz, nichts anderes.
({8})
Das hat mit Arroganz nichts zu tun. Bleiben Sie bei den
Tatsachen!
Einen Augenblick bitte. Es ist sicherlich für beide
Seiten aufschlussreich, dennoch ist die Privatkonversation zwischen dem Innenminister und dem Kollegen
Ströbele für den Redner ein bisschen störend. - Bitte
schön, Herr Kollege.
Ich gestehe Ihnen eine andere Meinung zu, Herr
Korte. Aber Sie können hier nicht etwas behaupten, was
nicht stimmt, nämlich dass es hierzu keine Zahlen gibt,
während eine Bundestagdrucksache vorliegt, in der alle
Zahlen nachgelesen werden können. Die Zahlen belegen, dass die Maßnahmen sehr maßvoll, überhaupt nicht
flächendeckend und in ihrer Häufigkeit zum Teil nur im
einstelligen Bereich angewandt wurden.
Mit dem neuen Gesetz verbessern wir die Instrumente. Wir machen sie zielgenauer. Wir berücksichtigen
dabei das, was uns in den letzten fünf Jahren die Praxis
gezeigt hat.
Herr Kollege Binninger, darf der Kollege Korte Ihnen
eine Zwischenfrage stellen?
Ich habe ihn heftig kritisiert, dann darf er auch fragen.
Herr Kollege Binninger, ich möchte Sie auf zwei
Punkte hinweisen.
Ich habe eben am Beispiel der Onlinedurchsuchungen
darauf verwiesen, dass die Bundesregierung einmal Zahlen genannt hat und einmal nicht, aus Geheimhaltungsgründen. Deswegen kann ich zu manchen Zahlen in der
Tat nichts sagen.
Ich möchte grundsätzlich etwas klarstellen. Ich
möchte mich präziser ausdrücken; vielleicht stimmen
Sie mir dann zu; möglicherweise habe ich mich zuvor
nicht ganz eindeutig ausgedrückt. Der Evaluierungsbericht, über den wir heute diskutieren - er liegt mir vor ist VS-NfD eingestuft. Soweit ich weiß, ist es nicht angesagt, daraus hier Zahlen zu zitieren. Wenn hier alle
einverstanden sind, kann ich das jetzt natürlich gern tun.
Auf Zahlen in diesem Bericht bezog ich mich.
Ich will gern darauf eingehen. Der Kollege Ströbele
hat die Frage gestellt, ob Sie wissen, wie häufig Informationen über Finanztransaktionen bei Banken abgerufen
wurden.
({0})
Ich habe diese Zahl präsent. Ich will aber nicht aus diesem VS-NfD-eingestuften Bericht zitieren. Sie haben
gesagt: Diese Regierung nennt diese Zahlen nicht.
Das stimmt eben nicht. Die Bundestagsdrucksache ist
allen zugänglich.
({1})
Wir haben diese Zahlen; sie sind kein Staatsgeheimnis.
Ich wiederhole: Sie sind Ihnen zugänglich. Daher dürfen
Sie das nicht behaupten.
({2})
Um die Onlinedurchsuchungen geht es heute überhaupt nicht. Es geht um die konkreten Befugnisse in diesem Gesetz. Sie sind bekannt; sie liegen vor. Ich bitte
Sie, so etwas nicht zu behaupten; schließlich gibt es eine
Drucksache, in der alle nachlesen können, die nachlesen
wollen.
({3})
In unserem jetzigen Gesetzentwurf wird die Befristung beibehalten. Es soll erneut evaluiert werden. An
zwei Stellen wurden die Befugnisse den Anforderungen
der Praxis angepasst. Das macht auch Sinn.
({4})
Herr Kollege Wieland, dass Sie sagen: „Deswegen stimmen wir nicht zu“, ist wenig plausibel.
({5})
Im Hinblick auf die Luftfahrtunternehmen frage ich
Sie ganz offen: Was ist grundrechtschonender? Ist es
grundrechtschonender, dass die Sicherheitsbehörden bei
sieben Airlines fragen müssen, ob ein Terrorverdächtiger, dessen Name bekannt ist, mit ihnen geflogen ist, um
dann von vier dieser Airlines keine Antwort zu bekommen, oder bei „Amadeus“, der zentralen Buchungsstelle,
eine Anfrage zu stellen, dort eine Antwort zu erhalten,
woraufhin die Angelegenheit beendet ist?
({6})
Es ist doch besser, ein einziges Mal bei „Amadeus“ anzufragen als insgesamt siebenmal bei verschiedenen Airlines. Deshalb ist unsere Korrektur richtig, sinnvoll, zielgenau und grundrechtschonend.
({7})
Was die zweite Korrektur, diejenige bei den Bankdaten, angeht, gilt das Gleiche. Wenn die Sicherheitsbehörden den Namen eines Terrorverdächtigen und seinen
Wohnort kennen, dann kennen sie in aller Regel nicht
seine Bankverbindung. Die bisherige Vorgehensweise
war, dass man bei den Banken am Wohnort eine Anfrage
stellte, etwa bei der Sparkasse, der Volksbank, der Deutschen Bank, wo auch immer. Man musste also jedes Mal
von neuem fragen: Hat diese Person bei Ihnen ein
Konto? Gab es irgendwelche Kontobewegungen? In Zukunft reicht eine Anfrage beim Bundeszentralamt für
Steuern. Dort kann man gezielt anfragen und erfährt, wo
ein Konto vorhanden ist. Sie können doch nicht ernsthaft
behaupten, dass eine Anfrage ein größerer Grundrechtseingriff ist als fünf Anfragen.
Ich glaube, tief in Ihrem Herzen
({8})
wissen Sie ganz genau, dass das, was Ihnen Kollege
Wiefelspütz ins Stammbuch geschrieben hat, Punkte
sind, die Sie schon mitgetragen haben und auch heute
mittragen könnten. Wenn Sie daran wirklich ein Interesse haben - alle Fraktionen in diesem Hause mit Ausnahme der Linken haben schon Zustimmung signalisiert;
wir, die Union, waren immer dafür -, dann stimmen Sie
für diesen Gesetzentwurf. Wenn er verabschiedet wird,
werden die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzt,
auch zukünftig erfolgreiche Arbeit zu leisten, übrigens
zum Schutz aller Bürger in diesem Land. Das sollten wir
nicht vergessen.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf der Drucksache 17/6925 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 26 a und 26 b:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen
Schulz ({0}), Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Personaloffensive für den wissenschaftlichen
Nachwuchs starten
- Drucksache 17/6336 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra
Sitte, Diana Golze, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Befristung von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft eindämmen - Gute Arbeit in Hochschulen und Instituten fördern
- Drucksache 17/6488 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({2})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache wiederum eineinviertel Stunden vorgesehen. - Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Also
können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Swen Schulz für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland
ist auf gute Bildung und starke Wissenschaft angewiesen. Darum brauchen wir auch wissenschaftlichen Nachwuchs. Wir brauchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Lehre an den Hochschulen gestalten und
damit auch Fachkräfte ausbilden, die Forschung betreiben und damit Probleme lösen.
Es ist also ein gutes System nötig, das Nachwuchswissenschaftler fördert. Leider haben wir damit Probleme, von denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten und die auch in verschiedenen
Studien nachgewiesen sind. Die Betroffenen sind hochmotiviert und wollen Wissenschaft betreiben, aber sie
leiden unter großer beruflicher Unsicherheit. Es gibt zu
wenig Aufstiegschancen und Dauerstellen. Weniger als
10 Prozent haben eine unbefristete Stelle. Wir müssen
teilweise sogar von nachgerade prekärer Beschäftigung
im Wissenschaftsbereich reden. Für die Betroffenen besteht die reale Gefahr, im fünften Lebensjahrzehnt, also
über 40-jährig, trotz höchster Qualifikation schlichtweg
ausgemustert zu werden.
Wir thematisieren dieses Problem nicht, um etwa einer speziellen Gruppe etwas Gutes zu tun, sondern es ist
ein Problem für die gesamte Gesellschaft, weil uns Leute
verloren gehen. Sie gehen ins Ausland. Sie verlassen die
Wissenschaft. Es ist schlecht für Deutschland, diese klugen Köpfe zu verlieren. Darum müssen wir gegensteuern.
({0})
Die SPD macht in dem Antrag, den wir vorgelegt haben, eine ganze Reihe von Vorschlägen. Ich kann nicht
alle vorstellen und greife darum nur einige wenige heraus.
Wir wollen eine Personaloffensive für die Hochschulen mit 2 500 zusätzlichen Professuren für bessere
Karrierechancen, aber auch für eine bessere Betreuung
der Studierenden. Wir wollen zusätzliche 1 000 Juniorprofessuren als Alternative zur Habilitation. Wir wollen
den sogenannten Tenure Track stärken, um bessere Karrierewege an den Hochschulen zu schaffen. Wir wollen
die Kinderbetreuungsangebote ausbauen, damit die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft verbessert
wird. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir wollen außerdem die Hochschulen bei der Personalplanung unterstützen.
Es gibt viele weitere Vorschläge nicht nur von uns,
sondern auch von anderen Oppositionsfraktionen in diesem Haus und auch aus der Wissenschaft. Wir könnten
sehr viel machen, und wir müssen sehr viel machen, allein diese Bundesregierung tut nichts. Sie lässt die Dinge
einfach so laufen und verweigert sich.
Wir hatten bereits letztes Jahr eine Debatte zu diesem
Thema im Deutschen Bundestag. Wir haben Aktivitäten
der Bundesregierung und der Regierungskoalition angemahnt. Damals hat Staatssekretär Braun, der heute nicht
anwesend ist, für die Bundesregierung gesagt, bald
komme der große Evaluationsbericht zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Dieser Bericht liegt seit Monaten vor, und er skizziert die Probleme, die ich angesprochen habe. Aber die Bundesregierung stellt sich taub
und blind. Dabei müsste doch mindestens eines endlich
allen klar sein: Die Tarifsperre muss weg.
({1})
Swen Schulz ({2})
Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen die Möglichkeit
haben, gemeinsam Regelungen über das Gesetzliche hinaus zu treffen. Staatssekretär Braun hat damals für die
Bundesregierung gesagt, die Bundesregierung sei nicht
untätig, ganz im Gegenteil. Ich zitiere, was er gesagt hat:
Es war Bundesministerin Annette Schavan,
- so Staatssekretär Braun die 2008 den ersten „Bundesbericht zur Förderung
des Wissenschaftlichen Nachwuchses“ vorgelegt
hat. Es war diese Bundesregierung, die den HISBericht „Wissenschaftliche Karrieren“ in Auftrag
gegeben hat, damit wir erstmals empirische Zahlen
zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses
erhalten. Schon dieser Bericht … ist ein erster Beweis dafür, dass die Bundesregierung nicht tatenlos
ist, sondern sich intensiv diesem Thema widmet.
Das ist richtig. Es war der erste Beweis, aber leider auch
der letzte. Was nützen die besten Berichte, wenn Sie
keine Konsequenzen ziehen und nichts daraus machen?
({3})
Sie sind jetzt schlauer, aber Sie stellen sich dumm. Sie
kommen mir vor wie ein Kurzsichtiger, der sich eine
Brille besorgt, um besser sehen zu können, sich aber
dann, wenn er die Wohnung verlässt, eine Augenbinde
umbindet. Meine Damen und Herren, so geht das nicht.
({4})
Wir haben doch Möglichkeiten. Der Hochschulpakt
kann ergänzt werden, damit die Personaloffensive an den
Hochschulen wirklich ankommt und mehr unbefristete
Stellen geschaffen werden. Die Overhead-Finanzierung
der DFG kann gesteigert werden, was der Grundfinanzierung der Hochschulen helfen würde. Wo ist denn das
lange angekündigte Wissenschaftsfreiheitsgesetz? Es
könnte, wenn es richtig gemacht ist, auch helfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie müssen nicht alle unsere Vorschläge übernehmen. Aber machen Sie doch wenigstens
irgendetwas. Zeigen Sie Aktivität!
({5})
Sie folgen an den verschiedenen Stellen immer wieder
zwei Argumentationsmustern, die Sie je nach Bedarf,
wie es Ihnen gerade passt, austauschen. Entweder sagen
Sie: „Die Länder sind zuständig; wir können da gar
nichts machen“, oder Sie sagen: „Alles ist gut.“ Das
reicht für eine Bundesregierung nicht aus. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht etwas anderes.
Herzlichen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Albert Rupprecht für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herr Kollege Schulz, Sie wissen, dass wir als Unionsfraktion auf unserer Klausurtagung mehrere Schwerpunkte für die Bildungs- und Forschungspolitik formuliert haben und dass einer dieser Schwerpunkte, über den
wir im Augenblick beraten und zu dem wir in wenigen
Wochen einen Antrag einbringen werden - das haben
wir in der Ausschusssitzung angekündigt -, die Zukunft
des wissenschaftlichen Nachwuchses ist. Deswegen ist
es unredlich und unfair, zu sagen, dass wir da nichts tun.
Wir beraten gerade über einen entsprechenden Antrag.
Daher wäre es fair und höflich gewesen, wenn Sie mit
der Einbringung Ihres Antrages ein paar Wochen gewartet hätten.
({0})
Dann hätten wir über alles gemeinsam diskutieren können.
({1})
Bevor ich zu den Maßnahmen komme, die wir für
notwendig erachten, muss ich die Fakten klarstellen.
Fakt ist, dass die Anzahl der Wissenschaftler und vor allem der Nachwuchswissenschaftler in Deutschland erheblich gestiegen ist. Das liegt in unser aller Interesse.
Zuerst zu den Zahlen - das sind die letzten, die im Statistischen Bundesamt vorliegen - zur Entwicklung der
Hochschulen im Zeitraum von 2005 bis 2009: Die Zahl
der wissenschaftlichen Mitarbeiter hat in diesem Zeitraum um 25 Prozent zugenommen, das heißt um 60 000.
Bei den Professoren ist ein Plus von 6 Prozent, bei den
wissenschaftlichen Mitarbeitern ein Plus von 31 Prozent,
bei sonstigen Lehrkräften ein Plus von 23 Prozent, bei
den wissenschaftlichen Hilfskräften ein Plus von 46 Prozent und bei den Lehrbeauftragten ein Plus von 35 Prozent zu verzeichnen. Die Zahlen zeigen ganz klar: Es
gab in Deutschlands Geschichte noch nie so viele Stellen
für den wissenschaftlichen Nachwuchs an Hochschulen
wie derzeit. Der wesentliche Grund dafür ist die Finanzierung, die wir vonseiten des Bundes ermöglichen. Die
Finanzierung der Hochschulpakte weist einen massiven
Zuwachs auf. Ich erinnere an die 5 Prozent Aufwuchs
pro Jahr bei der DFG und damit auch bei der Hochschulforschung, die Overhead-Finanzierung bei der DFG und
beim BMBF sowie den kontinuierlichen Ausbau der
Projektförderung.
Auch in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen erleben wir eine ausgesprochen positive Entwicklung. Dazu die Zahlen für den Zeitraum von 2005
bis 2010: Es gibt einen massiven Zuwachs von 16 Prozent beim Personal im Bereich Forschung und Entwicklung, einen Zuwachs von 89 Prozent bei der strukAlbert Rupprecht ({2})
turierten Doktorandenförderung, einen Zuwachs von
63 Prozent bei den betreuten Doktoranden, einen Zuwachs von 120 Prozent bei den selbstständigen Nachwuchsgruppen und einen Zuwachs von 45 Prozent bei
den DFG-geförderten Postdocs, und das alles in nur wenigen Jahren. Auch im außeruniversitären Bereich gab
es noch nie eine derartig große Chance für den wissenschaftlichen Nachwuchs, eine Stelle zu bekommen.
Auch hierfür sind die zusätzlichen Mittel, die wir vonseiten des Bundes zur Verfügung stellen, ursächlich.
({3})
Ich erinnere an die bedeutendsten und entscheidendsten Größen. Der Pakt für Forschung und Innovation
weist für den Zeitraum von 2006 bis 2010 einen Zuwachs von 3 Prozent pro Jahr und im Zeitraum von 2011
bis 2015 einen Zuwachs von 5 Prozent pro Jahr auf. Wir
garantieren über Jahre hinweg nicht nur das Niveau, sondern sogar einen Zuwachs. Wir leben Verlässlichkeit,
Nachhaltigkeit und Sicherheit über Jahre hinweg. Wir
müssen daher die Frage stellen, wieso die Hochschulen
dem wissenschaftlichen Nachwuchs diese Sicherheit,
Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit nicht in den Arbeitsverträgen weitergeben. Das ist die entscheidende Frage
und der kritische Punkt.
Es gibt in der Tat zu viele Stellen, die über die Maßen
befristet sind, und zu wenige, die eine langfristige Perspektive bieten. Wir vonseiten des Bundes bieten dem
Wissenschaftssystem Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit;
wir verlangen aber auch Orientierung an Leistung, Exzellenz und Qualität. Wir wollen, dass sich die Leistungsorientierung, Exzellenz und Qualität in den Arbeitsverträgen des wissenschaftlichen Nachwuchses
widerspiegeln, aber wir wollen keine lebenslangen akademischen Hängematten unabhängig von Leistung und
Engagement, wie es die Linken befürworten. Was wir
aber schon wollen, ist Planbarkeit, Planungssicherheit,
Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit für Wissenschaftler,
die sich engagieren und Leistung bringen.
({4})
Das sind unsere Leitbilder. Jetzt komme ich zum
Konkreten.
({5})
Was heißt das? Was ist zu tun? Ich komme zuerst zur außeruniversitären Forschung, zu den Doktoranden und
Postdocs. Die bestehenden Jahresverträge müssen künftig vermehrt um Zielvereinbarungen mit einer Leistungskomponente ergänzt werden. Wenn Leistung erbracht
wird, darf die Verlängerung des Vertrages bis zur Erreichung des Qualifizierungsziels nur eine Formalität sein.
Für die besten Postdocs wünschen wir uns mehr TenureTrack-Programme. Bis dato gibt es einen Flaschenhals
- das ist richtig - bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die mehr Geld von uns bekommen, die
aber auf der anderen Seite, wenn sie W-3-Stellen genehmigt bekommen wollen, die Zustimmung des Finanzministers und der Haushälter brauchen. Diese bekommen
sie nicht immer, selbst wenn das Geld kurzfristig zur Verfügung stünde. Deswegen werden wir in wenigen Wochen ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz vorlegen, das nach
unseren Vorstellungen genau das beinhaltet: mehr Freiheit für die Forschungseinrichtungen, eigenständig zu
entscheiden, ob und wann sie W-3-Stellen einrichten
werden.
({6})
Wir erwarten von den Forschungseinrichtungen aber
schon, dass sie die Möglichkeiten für Tenure-Track-Programme tatsächlich nutzen.
Ich komme zweitens zum universitären Bereich. Wir
müssen klar sehen, wo wir Verantwortung haben und wo
nicht. Man kann die Verfassung ändern, aber wir müssen
unsere Politik auf der Basis der bestehenden Verfassung
machen. Das ist so, und das ist zu respektieren. Wir geben auch in diesem Bereich massiv mehr Geld aus, und
zwar für projektfinanzierte Maßnahmen. Es fehlt aber
- das ist richtig - zu einem großen Teil die Grundfinanzierung vonseiten der Länder. Unsere projektfinanzierten Maßnahmen reichen nicht oder nur begrenzt aus, um
zusätzliche W-3-Stellen zu schaffen. Wir können nur an
die Länder und die Hochschulen appellieren. Es besteht
in der Tat ein Missverhältnis zwischen dem Zuwachs bei
projektfinanzierten Maßnahmen vonseiten des Bundes
und bei der Grundfinanzierung, für die die Länder verantwortlich sind. Die Grundfinanzierung wächst nicht in
demselben Maße. Deswegen gibt es so viele befristete
Stellen.
Was muss sich ändern? Die Grundfinanzierung der
Länder muss mit dem Anwachsen der Projektfinanzierung Schritt halten. Dazu gibt es mehrere Pakte, und die
Vereinbarung, wie die Rollenverteilung ist, war ganz
klar. Wir liefern, aber zumindest einige Länder entziehen
sich der Verantwortung. Ich sage bewusst „einige Länder“, weil die Länder unterschiedlich zu bewerten sind.
Ich sehe, dass meine Redezeit zu Ende geht. Deswegen werde ich einige Seiten überspringen, die konkrete
Vorschläge beinhalten. Diese werden die nachfolgenden
Kollegen noch machen.
Aber eine fröhliche Schlussformel würde allgemeine
Begeisterung hervorrufen.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich möchte
kurz an eine Veranstaltung erinnern. Wir hatten ein
Fachgespräch mit Professor Kleiner und Professor
Schwarz zur GAIN-Tagung, in dem beide uns folgende
Aspekte nähergebracht haben: Tenure-Track-Systeme
sind auch bei der heutigen Struktur durchaus möglich.
Das ist insbesondere ein Mentalitätsproblem an den Universitäten. Professor Kleiner hat darauf hingewiesen,
dass auch mit Projektmitteln durchaus unbefristete Verträge an den Hochschulen möglich sind. Deswegen geht
mein Appell an die Hochschulen und die Forschungseinrichtungen: Wir vonseiten des Bundes leisten einen massiven Mitteleinsatz und bitten, dass die Verantwortung
Albert Rupprecht ({0})
an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen wahrgenommen wird.
Herzlichen Dank.
({1})
Die Kollegin Petra Sitte hat nun das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn in
dieser Debatte über akademischen Nachwuchs gesprochen wird, dann haben wir es nicht gewissermaßen mit
der Vorschulgruppe des Wissenschaftssystems zu tun.
Wir reden hier nicht über Lernende, die sich tapfer auf
ihr Berufsleben vorbereiten. Nein, wir reden über
85 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen und Instituten dieses Landes. Diese
sichern tagtäglich im befristeten Angestelltenverhältnis
oder als Stipendiaten, als Lehrbeauftragte oder als Privatdozentinnen und Privatdozenten die Leistungsfähigkeit dieser Einrichtungen.
Das geschieht zumeist unter schwierigen finanziellen
Rahmenbedingungen. Bei vielen ist die persönliche Arbeits-, Einkommens- und Versicherungssituation mittlerweile prekär. Unterfinanzierte Hochschulen und Universitäten setzen auf deren Wissenschaftsenthusiasmus und
auf deren Bereitschaft, unbezahlt zu forschen. Dieses
Problem ist lange bekannt, und es ist seit langem unbewältigt. Auch die selbst gelobten Milliarden aus diesem
Haushalt ändern nichts daran. Sie kommen nämlich gar
nicht dort an, wo sie am dringendsten gebraucht werden
bzw. am besten angelegt wären.
({0})
- Natürlich ist das Ihre Verantwortung. Ich möchte
schon wissen, was mit dem Geld passiert, das die Steuerzahler hier in das Gesamtsystem einbringen.
({1})
Es geht also nicht um eine akademische Randgruppe,
sondern es geht um viele Hochqualifizierte, die nur eines
nicht erreichen können, nämlich den Status als verbeamteter Professor bzw. verbeamtete Professorin auf Lebenszeit. Darin liegt das Kernproblem des deutschen
Wissenschaftssystems. Es weist immer noch die Personalstruktur des 19. Jahrhunderts, also der alten Ordinarienuniversität auf. Das ist das Problem.
Manchmal hilft auch der Blick von Außenstehenden,
um die eigenen Probleme besser erkennen zu können.
Der Schweizer Historiker Caspar Hirschi von der renommierten ETH Zürich vergleicht die Situation angestellter
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland mit der von Günstlingen an Fürstenhöfen - Zitat -:
Um sich im akademischen Betrieb zu halten, müssen sie den Ruhm ihres professoralen Patrons durch
treue Dienste und wissenschaftliche Taten erhöhen.
Ein entscheidender Unterschied zum Fürstenhof besteht jedoch darin, dass Gönner und Günstling im
gleichen Feld agieren, womit sie, sobald sich der
Günstling einen eigenen Namen gemacht hat,
zwangsläufig in ein Konkurrenzverhältnis treten.
Diese Konkurrenz zwischen etablierten Professorinnen und Professoren und dem innovativen Nachwuchs
könnte beispielsweise durch die Aufhebung dieser
Hierarchien und ebenjener persönlichen Abhängigkeiten
produktiv wirken.
({2})
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Lehrstuhl sollten also Möglichkeiten bekommen, selbstständig
zu forschen. Modelle wie Forschungsgruppenleiterinnen
und -leiter an außeruniversitären Forschungseinrichtungen findet man aber eben nicht an Hochschulen. Die
schon erwähnten Juniorprofessuren, die das bieten könnten, werden viel zu selten angeboten. Wenn sie doch angeboten werden, dann fehlt nach Ende der Frist zumeist
eine echte klare akademische Perspektive. Man hängt
also nach Ablauf dieser Frist wieder in der Luft und
muss sein akademisches Dasein durch Antragsrennen
um Fördergelder, die sogenannten Drittmittel, irgendwie
absichern. Sie werden zugeben, meine Damen und Herren von der Koalition, dass das selbst in Ihrer Logik ein
absurder Vorgang ist.
Nun schauen wir einmal, wie die Wissenschaftseinrichtungen auf diese Misere reagieren. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, flexibilisieren sie ihre Stellenpläne seit
Jahren mehr und mehr. Was folgt? Neben Lehrbeauftragten und Privatdozenten, die ohnehin nicht Angehörige
der Hochschulen sind, wird der gesamte akademische
Mittelbau mittlerweile zur Verschiebemasse. Sieben von
acht angestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben befristete Verträge. Die durchschnittliche Vertragsdauer im Angestelltenverhältnis beträgt
zwölf Monate - wohlgemerkt: zwölf Monate - für Spitzenwissenschaftler. Drei Viertel haben zwar eine Teilzeitstelle, arbeiten aber trotzdem Vollzeit. Zwischenzeitlich ist es normal, dass sich zwei Doktoranden eine
Stelle teilen und jeweils mit etwa 1 000 Euro netto am
Monatsende nach Hause gehen.
({3})
Nun fragt man sich: Wieso funktioniert das System?
Die Antwort ist ziemlich einfach - das beweisen auch
die Umfragen -: Die meisten haben die Hoffnung auf
eine Professur eben immer noch nicht aufgegeben. Andere, gerade im geisteswissenschaftlichen Bereich, finden häufig gar keine adäquate Beschäftigung außerhalb
der Akademie. Wer es dann endgültig leid ist - das hat
mein Kollege schon gesagt -, der bricht mit seiner Alma
Mater, was übrigens so viel heißt wie nährende, gütige
Mutter, und lässt selbige zurück.
Der vorhin zitierte Historiker Caspar Hirschi verleiht
der deutschen Wissenschaft denn auch den Titel „Exportweltmeister beim akademischen Überschuss“. Er
kritisiert, dass Deutschland mit den Graduiertenschulen
aus der Exzellenzinitiative massenhaft Nachwuchskräfte
produziert. Ich zitiere ihn wieder:
Es wäre daher an Bildungspolitikern in Bund und
Ländern, den wissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Sinn einer Forschungspolitik zu hinterfragen, die zur Profilierung weniger „principal investigators“
- das heißt übersetzt „Spitzenwissenschaftler“ eine international einmalige Verschleuderung personeller und finanzieller Ressourcen betreibt.
({4})
Verschleuderung von Ressourcen!
Eigentlich müsste Politik darauf mit besseren Chancen und klaren Perspektiven durch dauerhafte Beschäftigung reagieren; das liegt doch auf der Hand.
({5})
Stattdessen ist das Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft gestärkt worden. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz - bei dem Titel darf man sich nicht verstolpern wurde geschaffen, um besonders im Drittmittelbereich
den Wissenschaftseinrichtungen als Arbeitgeber alle
Freiheiten für befristete Verträge einzuräumen. Selbst abweichende tarifliche Regelungen - und seien sie noch so
positiv - sind nach diesem Gesetz nicht möglich. Das ist
in Deutschland absolut einmalig. Es gibt keine andere
Branche, in der das so ist.
({6})
Anstatt also Mindeststandards für gute Arbeit in der
Wissenschaft zu definieren, haben sich CDU/CSU und
SPD 2007 darin gefallen, prekäre Beschäftigung noch
auszuweiten.
Die jüngste Prüfung dieses Gesetzes brachte nicht nur
ultrakurze Vertragslaufzeiten ans Tageslicht, sondern
zwangsläufig auch große Unzufriedenheit. 27 Prozent
der befristet Beschäftigten an Hochschulen und 33 Prozent der befristet Beschäftigten an außeruniversitären
Forschungseinrichtungen waren mit ihrer Arbeitsplatzunsicherheit unzufrieden. Trotz vielfachen Kinderwunsches unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entscheiden sich die meisten doch gegen eine
Familiengründung.
({7})
Nun sagt der gesunde Menschenverstand: Da ist was
faul, da müssen wir was ändern. - Und was tun Sie? Was
erklärt das Forschungsministerium? Es sagt - es ist unglaublich -, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz habe
sich bewährt. Es ist nicht zu fassen.
({8})
Das Einzige, was es hervorgebracht hat, ist akademisches Proletariat in Massen.
({9})
- Jawohl, da müssen Sie durch!
Deshalb fordern wir mindestens, dass das Gesetz die
Befristungsmöglichkeiten nicht weiter ausdehnt, sondern eindämmt:
Erstens. Die Tarifsperre sollte gestrichen werden
- das hat der Kollege von der SPD schon gesagt -, sodass abweichende Regelungen möglich sind.
({10})
Zweitens. Es sollten Mindestvertragslaufzeiten bestimmt und die Möglichkeit von Vertragsverlängerungen
für Eltern als Rechtsanspruch ausgestaltet werden.
Drittens. Dort, wo eingeworbene Drittmittel die Wissenschaftsfinanzierung leisten, sollten befristete Verträge mindestens so lange laufen, wie das beauftragte
Projekt oder die angekoppelte Qualifizierungsphase jeweils dauert.
Natürlich reicht die Änderung dieses Gesetzes nicht,
um Wissenschaft als Beruf wirklich attraktiv zu machen.
Gebraucht werden auch keine weiteren gutgemeinten
Wettbewerbe von Bund und Ländern, sondern gebraucht
wird ein nachhaltiger Ausbau von unbefristeten Stellen.
({11})
Die Hochschulen sollten zusätzliche und verlässliche
Anschubfinanzierungen für die Einstellung von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bekommen. Ob Juniorprofessuren oder Hochschuldozenturen
geschaffen werden, wollen wir nicht vorschreiben; das
sollen die Hochschulen entscheiden.
({12})
Gebraucht wird also endgültig ein glaubwürdiges Signal als Botschaft an junge Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler, dass ihnen hier Chancen geboten werden, ihr innovatives Potenzial zu entfalten. Lassen Sie
uns endlich auch das Hofstaatsdenken an unseren Universitäten beenden!
Danke schön.
({13})
Nun erhält der Kollege Martin Neumann für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Sozialdemokraten und die Linken sorgen
sich einmal mehr um das deutsche Wissenschaftssystem
({0})
und fordern eine Personaloffensive für den wissenschaftlichen Nachwuchs.
({1})
Dr. Martin Neumann ({2})
Ich glaube, wir müssen etwas genauer hinschauen. Was
Kollege Schulz und Sie gerade dargestellt haben, schießt
über das Ziel hinaus.
Ihre Analyse mag in dem einen oder anderen Punkt
sogar zutreffen - das will ich so deutlich sagen -;
({3})
die Frage ist aber, welche Konsequenzen wir in Zukunft
aus Ihren Forderungen ziehen.
Auch uns bewegt selbstverständlich die Situation unserer klügsten und am besten ausgebildeten Köpfe. Meldungen wie „Nur jeder dritte Doktorand schließt sein
Promotionsprojekt tatsächlich ab“, lassen uns natürlich
nicht kalt. Aber ist es nicht bemerkenswert, dass in
Deutschland die Promotionsquote bei knapp 12 Prozent,
genauer 11,7 Prozent, eines Hochschuljahrgangs liegt?
Diesbezüglich sind wir tatsächlich Weltmeister. Der EUDurchschnitt ist deutlich niedriger: Er liegt bei 2,3 Prozent, in Frankreich sogar nur bei 2,09 Prozent. So düster,
wie Sie die Aussichten für Nachwuchswissenschaftler in
Deutschland zeichnen, sind sie auch wieder nicht.
({4})
Bitte vergessen Sie nicht, dass sich unsere Hochschulen in einem internationalen Wissenschaftsraum bewegen. Hier ist kein Platz für deutsche Besonderheiten. Das
Verlangen nach Sicherheit in einem hochkomplexen und
dynamischen System, mit Beamtenstatus und lebenslangen Beschäftigungsverhältnissen, ist für Außenstehende
wenig attraktiv und aus unserer Sicht daher nicht geeignet, unsere Hochschulen zu stärken.
Unser deutsches Hochschulsystem hat sich zunehmend in ein übergeordnetes internationales Gefüge integriert, und unsere Hochschulen positionieren sich auf einem globalen Bildungsmarkt. Unsere Hochschulen
bemühen sich im internationalen Wettbewerb um die
besten Nachwuchswissenschaftler. Ein Beispiel ist das
GAIN-Projekt. An dieser Stelle sieht man, welche Bemühungen unternommen werden, um deutsche Wissenschaftler in unser System zurückzuholen. Es gibt auch
Projekte, in denen sich Hochschullehrer mit internationalem Renommee intensiv um Drittmittel für Forschungsprojekte bemühen und vor allen Dingen Kooperationen mit Wirtschaftspartnern eingehen.
Wir müssen unsere Promotionsvorhaben mehr unterstützen und - wenn erforderlich - durch eine bessere
Einbindung in Forschung und Lehre flankieren. Das ist
völlig unstrittig. Damit sichern wir höchste wissenschaftliche Qualität. Die Forderung nach mehr Stellen,
um Wissenschaftlern unbefristete Verträge zu verschaffen, ist eher kritisch zu bewerten. Ich sage Ihnen auch,
warum: Gerade in modernen, auf Dynamik ausgerichteten Hochschulorganisationen und in einer zudem globalisierten Wissenschaftslandschaft würden sich hieraus
mehr Probleme als Lösungen ergeben.
({5})
Dem Appell, die Hochschulen und Studienplatzkapazitäten weiter auszubauen und Betreuungsverhältnisse
vor Ort zu verbessern, können wir uns hingegen nur anschließen.
({6})
Die christlich-liberale Bundesregierung macht mit dem
Hochschulpakt und dem Qualitätspakt Lehre bereits sehr
viel. Auch das muss deutlich gesagt werden.
({7})
Ich möchte den Sozialdemokraten die konkrete Frage
stellen: Wie erklären Sie es sich, dass Sie bei den laufenden Ausgaben je Professur - beispielsweise in Brandenburg und Bremen; auch dort regieren Sie meines Wissens schon seit Ewigkeiten - die traurigen Schlusslichter
sind? Gerade heute stand in der Märkischen Allgemeinen
- mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich zitieren -:
Unipräsident sieht die Qualität bedroht - Sorge wegen Sparhaushalt des Landes
Der Präsident der BTU Cottbus beklagt sich zu Recht
über ein Moratorium für die Besetzung von Stellen, wonach - jetzt hören Sie genau zu - SPD und Linke von
den Hochschulen fordern, dass sie über 10 Prozent ihrer
Professuren in einen Pool geben, woraus folgt, dass sie
sie vorläufig nicht besetzen dürfen. Das passt nicht zusammen.
({8})
Allein die BTU in Cottbus darf 28 Professuren in Kernbereichen nicht neu besetzen. Sie hat 20 Wissenschaftler
befristet angestellt. Das ist an dieser Stelle deutlich hervorzuheben.
Weiter heißt es in dem Artikel:
„Die Nachwuchssicherung im Land ist gravierend
gefährdet“ … Die Hälfte der Studiengänge sei bedroht, wenn sich die aktuelle Haushaltspolitik nicht
ändere.
Ich könnte die Zahlen vortragen, aber aus Zeitgründen spare ich mir das. Ich empfehle Ihnen: Schicken Sie
den vorliegenden Antrag Ihren Genossen in Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Bremen, und machen Sie dort
endlich Ihre Hausaufgaben!
({9})
Für uns gibt es eine relativ einfache Lösung für die
Vielzahl der von Ihnen zu Recht angesprochenen Probleme: Gewähren wir unseren Hochschulen doch endlich mehr Freiheit! Wir wollen mehr Freiheit für die
Hochschulen.
({10})
Dr. Martin Neumann ({11})
Nur wenn die Wissenschaftseinrichtungen und Hochschulen autonomer werden, werden sich auch Verbesserungen für die Beschäftigten in diesem Sektor ergeben.
Die Koalition wird demnächst - Kollege Rupprecht hat
das angesprochen - ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz
vorlegen, in welches zentrale Forderungen aus Ihrem
Antrag aufgenommen werden können.
Ihre Forderung, den außeruniversitären Forschungseinrichtungen mehr Personalverantwortung zu übertragen, ist sicherlich gut und richtig. Es ist der richtige
Weg. Wenn Sie aber gleichzeitig vorschreiben wollen,
über welchen Zeitraum die Verträge von befristet beschäftigtem wissenschaftlichen Personal zu laufen haben, wie viele Promotionsstellen die Einrichtungen vorzuhalten haben, wie Sie diese sanktionieren wollen usw.,
dann kann ich das an dieser Stelle nicht verstehen; denn
das passt nicht zusammen: einerseits zentrale Regelungen, die dann andererseits in kleinkarierten Regelungen
münden sollen.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind herzlich
eingeladen, das Wissenschaftsfreiheitsgesetz mitzutragen. Dabei sollten Sie auch auf Ihre Länderkollegen zugehen, denn ich denke, auch die Länder brauchen Wissenschaftsfreiheitsgesetze; in Nordrhein-Westfalen ist
ein solches bereits erfolgreich eingeführt worden. Auf
diese Weise können wir den Hochschulen endlich mehr
Autonomie zubilligen.
({13})
Der wissenschaftliche Nachwuchs wird es uns danken.
({14})
Die nächste Rednerin ist Krista Sager für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Befristete Beschäftigungsverhältnisse sind im deutschen
Wissenschaftsbereich inzwischen der Normalfall. Herr
Kollege Rupprecht, Sie haben recht: Wir haben eine sehr
große Anzahl wissenschaftlicher Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter. Tatsache ist aber auch, dass die Zahl der prekären Teilzeit- und nebenberuflichen Beschäftigungsverhältnisse massiv angestiegen ist. Das ist ein wirkliches
Problem für das deutsche Wissenschaftssystem.
Unser wissenschaftlicher Nachwuchs ist hochmotiviert und hochengagiert. Das deutsche Wissenschaftssystem gibt ihm aber jenseits der Promotion immer weniger verlässliche Perspektiven. Wenn Wissenschaft als
Beruf im internationalen Wettbewerb und im Wettbewerb mit privaten Arbeitgebern immer unattraktiver
wird, dann wird damit das deutsche Wissenschaftssystem insgesamt gefährdet.
({0})
Wir haben dieses Problem hier mehrfach miteinander
diskutiert. Zuerst haben Sie, Herr Feist, gesagt, das sei
nur Gejammer auf hohem Niveau. Dann kam die
Stimme der Vernunft: Frau Grütters hat gesagt, in der
Analyse habe die Opposition eigentlich recht. Ich muss
schon sagen: Bis man es geschafft hat, Sie zum Jagen zu
tragen, dauert es mir eigentlich zu lange.
({1})
Sie brüten jetzt über einem Antrag. Wir haben in dieser Woche aber festgestellt, dass sich im Haushalt zu
dieser Problematik nichts findet. Nun ist es an der Zeit,
das, was man vorhat, zu unterfüttern.
Es ist völlig richtig, dass wir auf den GAIN-Konferenzen in Boston und San Francisco gemeinsam festgestellt haben, dass die Chancen, deutsche junge Postdocs
aus den USA wieder nach Deutschland zu holen, noch
nie so gut waren wie heute, und zwar aus verschiedenen
Gründen. Wir können diese Chancen aber doch gar nicht
nutzen, wenn wir ihnen keine attraktiven Perspektiven
anbieten können.
({2})
Jemand, der eine Postdoc-Stelle in den USA hat, kommt
doch nicht nach Deutschland zurück, weil er dort wieder
eine befristete Postdoc-Stelle bekommen kann. Vielmehr
will er doch wissen, wie es weitergeht oder ob er mit
Mitte 40 im Nirwana steht. Wenn Sie dem sagen:
„14 Prozent der wissenschaftlichen Stellen in Deutschland sind Professorenstellen, darunter sind 86 Prozent
Nachwuchs, und wenn Sie es nicht schaffen, sich durch
diesen Karriereflaschenhals hindurchzuwinden, dann haben Sie keine Möglichkeit, im Rahmen einer unbefristeten Stelle selbstständig zu forschen und zu lehren“, was
ist denn das für eine Perspektive für jemanden, der in
den USA seinen Weg schon halbwegs gegangen ist?
({3})
Herr Neumann, es ist auch nicht so, dass die jungen
Wissenschaftler erwarten, dass wir ihnen sozusagen die
Beamtenprofessur vor die Füße legen.
({4})
Sie haben durchaus Verständnis dafür, dass ein wissenschaftlicher Beruf auch ein Bewährungsweg ist, dass
man erst einmal zeigen muss, was in einem steckt. Aber
heute liegen die Befristungszeiten zum Teil schon unter
einem Jahr. Die Katastrophe ist, dass wir den Menschen
zumuten, sich auf Befristungen von unter einem Jahr
einzulassen. Gleichzeitig müssen sie beten, nicht mit
Mitte 40 in der Sackgasse zu stecken.
Herr Neumann, dass wir in Deutschland sehr viele
Promovierende haben, wissen wir alle. Wir wissen auch,
dass es nicht Sinn der Sache ist, anschließend alle im
Wissenschaftssystem unterzubringen. Wenn wir es aber
nicht schaffen, die besten Köpfe aus dieser Gruppe dau15026
erhaft für Forschung und Lehre zu gewinnen, dann ist
das Geld, das jetzt in die Exzellenzinitiativen für Graduiertenkollegs und Graduiertenprogramme investiert
wird, nicht nachhaltig angelegt. Das muss man auch sehen.
({5})
Die Probleme haben sicherlich mehrere Ursachen.
Das Schöne daran ist, dass es dann mehrere Handlungsoptionen gibt. Ein Problem sind die unattraktive Personalstruktur und die unattraktiven Karrierewege. Hier
muss etwas passieren. Ein anderes Problem ist - Herr
Rupprecht, das haben Sie richtig angesprochen -: Wenn
immer mehr Mittel wettbewerblich als Projektmittel vergeben werden und dadurch die Drittmittelquote gegenüber der Grundfinanzierung immer weiter steigt, dann
kann man nicht sagen: Alles, was über Drittmittel finanziert wird, ist immer befristet. Das geht auf Dauer nicht.
Hier ist das Personalmanagement in den Hochschulen
und in den Forschungseinrichtungen gefordert.
Ich sehe aber auch, dass Herr Schulz vollkommen
recht hat: Die Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz war ein großer politischer Fehler. Diese Tarifsperre muss aufgehoben werden.
({6})
Dabei gibt es aber ein Problem. Herr Neumann, hier
kommen Sie mit Freiheit allein nicht raus.
({7})
Die Hochschulen haben heute sehr viele Freiheiten. Das
Problem ist: Die Länder müssen durch die erfreulichen
Aufwüchse bei der gemeinsamen Forschungsfinanzierung einen immer größeren Anteil an Komplementärmitteln einbringen. Diese Mittel fehlen ihnen bei der Grundfinanzierung der Hochschulen. Hier können Sie den
Hochschulen nicht mit Freiheit helfen; was diese vielmehr benötigen, ist ein entsprechender finanzieller
Handlungsspielraum,
({8})
um wirklich etwas für die Beschäftigungsverhältnisse zu
tun.
Einen Vorwurf kann man Ihrer Koalition nicht ersparen. Sie haben weder den Hochschulpakt noch die Aufwüchse bei der Forschungsförderung dafür genutzt, um
bessere Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs jenseits der Promotion zu schaffen. Das ist leider
so.
({9})
Die SPD fordert in ihrem Antrag - genau wie wir
Grünen in unserem Antrag - vom Bund ein Programm
für die Juniorprofessur mit der Perspektive auf Tenure
Track bei entsprechender Bewährung. Das ist doch eine
Hausmarke für die Zeit nach dem Regierungswechsel!
({10})
Hier ist jetzt die Koalition gefragt, Butter bei die Fische
zu tun.
Die SPD hat auch ein anderes Thema aufgegriffen,
nämlich das der Programmpauschalen. Das hat auch die
DFG in die Diskussion gebracht. Ich finde den Ansatz
richtig. Wenn der Bund etwas mehr über die Programmpauschalen tun würde, könnte man versuchen, die Länder in die Pflicht zu nehmen und darüber etwas mehr für
die Grundausstattung der Universitäten zu erreichen.
Ich glaube nur, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der SPD, dass in Ihrem Vorschlag ein Denkfehler steckt.
({11})
Sie schlagen nämlich vor, die Erhöhung der Programmpauschale hälftig von Bund und Ländern finanzieren zu
lassen. Denken wir das einmal zu Ende: Der Bund zahlt
jetzt 20 Prozent alleine. Nehmen wir einmal an, in einem
ersten Schritt gehen wir von 20 Prozent auf 50 Prozent,
sagen dann aber - wie Sie das vorschlagen -: Bund und
Land tragen die Kosten zur Hälfte. Dann müsste der
Bund auf seine 20 Prozent nur noch 5 Prozent aufsatteln.
Die Länder müssten aber 25 Prozent aufsatteln.
Dann sind wir doch wieder bei demselben Problem:
Den Ländern werden Gegenfinanzierungsmittel für besonders exzellente, starke Forschungsbereiche sozusagen aus der Tasche gezogen; und das fehlt ihnen am
Ende wieder für die Grundausstattung der Hochschulen.
Ich glaube, das ist nicht so ganz der Weg, wie wir zu besseren Beschäftigungsverhältnissen kommen können.
({12})
Ich würde Sie dringend bitten, noch einmal über unseren Vorschlag einer Risikopauschale nachzudenken. Darüber könnten wir im Ausschuss im Zusammenhang mit
der Projektförderung diskutieren. Das Gute ist: Wenn die
Ministerin mehr Geld hat, kann sie sich nicht mehr damit
herausreden, dass kein Geld da ist. Dann sieht man, wo
sie die Prioritäten wirklich setzt. Leider muss man sagen: Bei den Beschäftigungsverhältnissen und den Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs setzt
sie diese Priorität nicht. Mehr Geld bedeutet nicht automatisch mehr Erkenntnis. Die Erkenntnis kommt aus
den Köpfen. Deswegen müssen wir vor allen Dingen in
die guten Köpfe investieren. Da sind Sie uns noch etwas
schuldig.
({13})
Michael Kretschmer hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich auf das hinweisen, was im Antrag der SPD steht. Darin steht nämlich sehr Bemerkenswertes. Darin steht, dass das Sonderbefristungsrecht im
Wissenschaftszeitvertragsgesetz ganz offensichtlich den
Befristungstrend nicht verstärkt hat. Man kommt zu dem
Ergebnis, dass die Befristungen in der Qualifizierungsphase in aller Regel bei zwölf Monaten bleiben und nicht
weiter verkürzt werden. Darin steht geschrieben, Herr
Kollege Röspel, dass die Grundmittel für die Hochschulen in den vergangenen Jahren um 12 Prozent und die
Drittmittel dank des Bundes um 4,8 Milliarden Euro,
also um 71 Prozent, gestiegen sind.
Weiterhin loben Sie diese Koalition dafür, dass sie mit
dem Pakt für Forschung und Innovation sowie mit der
Exzellenzinitiative für finanzielle Verlässlichkeit sorgt.
Sie sagen zu Recht, dass diese Bundesregierung durch
die vorhandenen Pakte und den Aufwuchs in diesem Bereich der DFG die Möglichkeit gibt, 250 Graduiertenkollegs zu fördern.
({0})
Es gibt außerdem 470 geförderte Nachwuchsgruppen im
Emmy-Noether-Programm und vieles mehr. Man muss
sagen, dass nicht alles schlecht gewesen sein kann, wenn
selbst die SPD zu dem Ergebnis kommt, dass wir vieles
richtig gemacht haben.
({1})
Frau Sager, bemerkenswert ist - das ist schon ein dicker Hund, was Sie hier zum Teil vortragen -, wie Sie
ein Zerrbild über die deutsche Wissenschaft verbreiten.
Man muss einmal zu Ende denken, was uns die Kollegin
Sitte hier vorträgt. Denn im Endeffekt heißt es doch:
Weg von den befristeten Stellen hin zu Vollzeit- und
Festangestellten.
({2})
Was bedeutet das für ein Wissenschaftssystem, das
durchlässig und innovativ sein soll? Ich kann Ihnen das
sagen: Das ist wie in den 70er-Jahren oder wie in der
DDR,
({3})
wo es viele Festangestellte und für Neue keine Zugangsmöglichkeiten von unten gab. Das wollen wir in der Tat
nicht.
({4})
Die Menschen, insbesondere die Wissenschaftler, erinnern sich noch sehr gut daran, wie es zu der Zeit war,
als Rot-Grün regiert hat. Da gab es das, was Sie in Ihrem
Antrag gelobt haben, alles nicht. Da gab es vor allen
Dingen eines nicht: Es gab keine finanzielle Verlässlichkeit für den Wissenschaftsbereich. Finanzielle Verlässlichkeit ist die Basis für alles. Wenn man Tenure Track
will, dann funktioniert das nur, wenn man einen jungen
Menschen einstellt und auch eine Stelle hat, die dieser
junge Mensch später einmal besetzen kann. Sie erzeugen
den Eindruck, als würde Tenure Track ohne finanzielle
Basis funktionieren. Das tut es nicht.
({5})
Alles, was wir in diesem Bereich getan haben, ist ein
Beitrag für die Nachwuchsforschung. Die Linken schreiben, dass Geld für die Lehre zweckentfremdet für die
Forschung eingesetzt wird. Daran merkt man, wessen
Geistes Kind das ist.
({6})
Was ist denn das für ein Wissenschaftssystem, in dem
man sagt: Die Lehre findet isoliert von der Forschung
statt? Beide Bereiche funktionieren nur zusammen. Lesen Sie das einmal in Ihrem Antrag nach.
({7})
Herr Kretschmer, würden Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Rossmann zulassen?
Ja, gern.
Bitte schön.
Herr Kollege Kretschmer, sosehr wir es schätzen,
dass Sie die Analyse auf den ersten Seiten unseres Antrags so differenziert gelesen haben: Sie könnten doch
auch differenziert zu den Forderungen Stellung nehmen
und die Frage beantworten, ob es Änderungsbedarf gibt
oder nicht, und zwar im Detail und in Bezug auf ganz
bestimmte Gruppen von wissenschaftlichem Nachwuchs. So könnten wir das Niveau der Debatte auf der
Höhe Ihres differenzierten Einstiegs halten.
Herr Rossmann, ich bin dankbar für die Frage, weil
ich länger reden darf. Zunächst einmal muss man sich
folgende Frage stellen: Wofür bilden wir eigentlich aus?
Sie erwecken den Eindruck, dass wir rein für die Wissenschaft ausbilden.
({0})
Das ist doch aber nicht die Realität. Die wissenschaftliche Ausbildung dient der Wirtschaft, der Verwaltung,
den Leuten, die sich selbstständig machen, und dem
internationalen Bereich. Deswegen braucht man Flexibilität. Ohne Flexibilität kann es nicht funktionieren. Natürlich wollen wir die Situation von Nachwuchswissenschaftlern verbessern. Deswegen kann und muss man
mit den Hochschulen darüber sprechen, wie es anders
ginge.
Damit sind wir beim nächsten Thema. Schauen Sie
doch einmal, was in Ihren eigenen Bundesländern passiert: In Brandenburg wird das Geld aus dem Hochschulpakt, das wirklich dem Nachwuchs in der Wissenschaft
zugutekommen soll,
({1})
unter einer rot-roten Regierung im Finanzministerium
gebunkert und geht nicht an die Hochschulen. In Thüringen sagt der frühere Staatssekretär im BMBF, Herr
Matschie, heute Wissenschaftsminister, in einer Pressemitteilung: „Ich kürze jetzt den Etat des Hochschulbereichs um nur 3 Millionen Euro, weil ich Geld vom
Bund nehme und deshalb nicht so viel kürzen muss.“
Was ist denn das für eine Einstellung!
({2})
Was für ein Bild zeichnen Sie, wenn Sie uns hier die
Verantwortung zuschieben wollen, aber in den Ländern,
in denen Vertreter Ihrer Parteien Verantwortung tragen,
nichts sagen! Übrigens hat heute auch Kollege Schulz
nicht einen Satz zu den Ländern gesagt, nicht einen Satz
dazu, dass die Länder bei der Hochschulbildung in der
Verantwortung stehen.
({3})
Das kann doch nicht sein.
({4})
Wir haben in den vergangenen Jahren - das werden
wir auch in Zukunft machen - den Schwerpunkt ganz
klar auf Forschung und Wissenschaft gelegt. Wir haben
diesen Bereich mit erheblichen Mitteln gestärkt. Jetzt
geht es darum, dass sich auch die Länder ihrer Verantwortung stellen.
({5})
Wir haben heute schon gesagt, dass wir in der nächsten
Zeit über das Wissenschaftsfreiheitsgesetz beraten wollen. Das wird keine leichte Aufgabe, denn Freiheit bedeutet auch Verantwortung. Diejenigen, die im Deutschen Bundestag die Verantwortung für Haushalt und
Finanzen tragen, werden ganz genau hinschauen, ob mit
diesem Gesetz Freiheit realisiert werden kann. Ich
denke, das ist möglich; wir wünschen uns ein solches
Gesetz. Aber auch da muss man sagen: Es gibt in den
Ländern alle Möglichkeiten, dies ebenfalls zu tun. Wir
erleben, wie in einem Land, nämlich in Nordrhein-Westfalen, in dem eine Regierung aus CDU und FDP ein vorbildliches Hochschulgesetz und neue Initiativen auf den
Weg gebracht hatte,
({6})
unter der neuen rot-grünen Minderheitsregierung die
Verhältnisse zurückgedreht werden.
Wenn wir über Geld für die Hochschulen reden, muss
man auch darüber sprechen, dass man den Hochschulen
in Nordrhein-Westfalen jetzt durch die Abschaffung der
Studienbeiträge eine finanzielle Ressource wegnimmt;
die entsprechenden Mittel werden nicht über den Landeshaushalt kompensiert. Das wird zulasten des wissenschaftlichen Nachwuchses gehen.
Wir wünschen uns eine sachliche Debatte
({7})
über die Frage, wie der wissenschaftliche Nachwuchs in
Deutschland weiter gefördert werden kann. Wir wünschen uns eine ehrliche Analyse und kein Zerrbild. Es
gibt keinen Grund dafür, den Wissenschaftsstandort
Deutschland schlechtzureden.
({8})
Im Ausland, sei es in der Schweiz oder in Amerika, wo
viele Deutsche sind, wird sehr genau gesehen, was wir
hier in Forschung und Entwicklung investieren, dass hier
ein wirklich interessanter Standort ist und es sich lohnt,
hierhin zu gehen. Dementsprechend muss man diese
Diskussion führen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Michael Gerdes hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Rede, die wir gerade gehört haben, war als solches sicherlich nicht der Sache dienlich.
({0})
Daher möchte ich versuchen, einige Aspekte aus unserer
Sicht geradezurücken.
Vor genau drei Monaten fand im Schloss Bellevue ein
Empfang für junge Wissenschaftler statt. Bei dieser Gelegenheit verglich unser Bundespräsident Christian
Wulff die Wissenschaft und den Weg zur Professur mit
einer politischen Ochsentour; das ist schon bemerkenswert. Wörtlich sagte er:
Man muss für die Sache leben können - auch, weil
man oft nicht sicher sein kann, ob und ab wann man
von der Sache leben kann.
({1})
Das sagt eigentlich schon eine ganze Menge aus.
Sicherlich geht es in Forschung und Wissenschaft zunächst um den reinen Erkenntnisgewinn. Aber die Gewinnung von Erkenntnissen ist für Wissenschaftler kein
Ehrenamt und kein Freiwilligendienst. Es ist in erster Linie ihr Beruf; dafür müssen sie anständig entlohnt werden. Wir von der SPD-Fraktion wollen vor allem, dass
auch die jungen Wissenschaftler von ihrem Beruf, von
ihrer Arbeit leben können. Sie sollen bereits vor einer
möglichen Professur die Chance auf ein sicheres, unbefristetes Arbeitsverhältnis erhalten.
({2})
Wir wollen unserem wissenschaftlichen Nachwuchs attraktive Bedingungen und Entwicklungschancen bieten.
Ich hörte gerade: Bis zur Rente. Der Weg bis zur
Rente ist sehr lang. Damit man bis zur Rente kommt,
muss man zunächst eine Einstiegsmöglichkeit haben.
({3})
Wir wollen nicht, dass eine Karriere in der Wissenschaft als übermäßiges Risiko oder gar brotlose Kunst
eingestuft wird. Deshalb legen wir heute einen umfangreichen Katalog mit Verbesserungsmaßnahmen vor.
Dazu gehört der grundlegende Aufbau neuer Professuren. Dazu gehört aber auch die Veränderung von Strukturen. Hier denke ich an die Einführung von zeitgemäßen
Personalentwicklungsplänen oder die bessere Betreuung
und Qualifizierung des Nachwuchses.
({4})
Mein Kollege Swen Schulz hat dazu bereits einiges aufgezählt.
Wer sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln
muss, kann weder privat noch beruflich planen.
({5})
Versuchen Sie doch einmal, mit einem befristeten Arbeitsvertrag bei einer Bank ein Darlehen zu bekommen,
um beispielsweise eine Wohnung einrichten zu können.
Oftmals ist die Planungssicherheit, die gefordert wird,
nicht vorhanden. Das demotiviert und macht unzufrieden, egal in welcher Branche, egal in welchem Beruf.
({6})
Besonders schockierend finde ich - Frau Sager hat das
gerade angesprochen - Vertragszeiten von einem Jahr
oder weniger. Das ist aus sozialer Sicht unverantwortlich
und widerspricht dem Schutz von Arbeitnehmern, den
wir uns als Sozialstaat auf die Fahne schreiben.
({7})
Aus Arbeitgebersicht, konkret aus Sicht von Bund
und Ländern, müssen wir nach dem Mehrwert solcher
Kurzarbeitsverträge fragen. Gerade in der Wissenschaft,
wo es um immer komplizierter werdende Sachverhalte
geht, dürfte allein die Einarbeitungszeit länger sein, als
viele Verträge dauern. Das macht für keine Seite Sinn.
Für uns als Gesellschaft sind unzufriedene Wissenschaftler doppelt schlecht:
({8})
Einerseits leidet die Qualität des Wissenschaftsstandorts.
Andererseits müssen wir auch quantitativ gegen den prognostizierten Mangel an Akademikern ankämpfen. Ich
erinnere an die jüngste Veröffentlichung der OECD, in
der es heißt:
Deutschlands Beitrag zum weltweiten Pool an Talenten schrumpft rapide.
Für uns als SPD ist die Förderung junger Wissenschaftler gesellschaftliche Chance und Pflicht zugleich.
Wenn wir unseren Wohlstand und unsere Stellung im
Wettbewerb halten wollen, brauchen wir kluge Köpfe.
Wir brauchen ihre innovativen Ideen. Im Gegenzug müssen wir diesen Menschen aber auch Verlässlichkeit,
Planbarkeit und Perspektiven bieten. Sie brauchen die
richtigen Anreize, um in Deutschland zu forschen und zu
lehren. Andernfalls wandern noch mehr von ihnen ins
Ausland ab.
Ende August hatte ich gemeinsam mit einigen Kollegen die Gelegenheit, mit deutschen Nachwuchswissenschaftlern in den USA zu sprechen.
({9})
Die gute Nachricht vorweg: Rund 80 Prozent von ihnen
wollen gerne wieder zurück, um in ihrer Heimat zu forschen. Dennoch bleiben Zweifel: Viele der Rückkehrwilligen fürchten sich vor befristeten Arbeitsverträgen,
schlechter Bezahlung, intransparenten Aufstiegschancen, zu langen Berufungsverfahren, bürokratischen Hürden sowie vor einer schlechten Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
({10})
Ich durfte in den USA viele engagierte und motivierte
junge Wissenschaftler und Studenten kennenlernen. Einige befanden sich bereits im Zweitstudium. Viele waren
verheiratet und hatten Kinder. Sie wollen auch für ihre
Partner berufliche Perspektiven, für ihre Kinder guten
Krippen und Kindergärten. Natürlich gehören auch gute
schulische Angebote zum Wunschkatalog.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Nein, im Moment nicht.
Geld ist nicht alles, die Promotion aber im Übrigen
auch nicht. Ich denke, beides ist wichtig. Manche sagten
mir: In Deutschland fehlt es auch an Vertrauen in junge
Menschen und ihre fachlichen Fähigkeiten. Es fiel der
Begriff „Altherrenwirtschaft“. Dieses negative Image
müssen wir abstreifen.
({0})
Die Fragen und Probleme unserer Gesellschaft werden immer komplexer. Wir brauchen jede noch so junge
Idee. Wir müssen den jungen Leuten die Antworten zutrauen. Dazu müssen wir ihnen Aufgaben mit mehr Verantwortung geben und sie längerfristig und zielgerichtet
in das Wissenschaftssystem integrieren. So wie bei der
GAIN-Veranstaltung in den USA sollten wir die Chance
nutzen, um mit unseren jungen Wissenschaftlern auf der
ganzen Welt in Kontakt zu treten. Für die deutsche Wissenschaft, aber auch für die Industrie liegt hier viel Wissenskapital, viel junges Wissen. Unsere Wissenschaft
braucht nicht nur die etablierten, zumeist männlichen
Professoren. Unsere Wissenschaft muss sich öffnen für
die jüngeren Forscher, insbesondere auch für die weiblichen.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Röhlinger für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wie Sie sehen, habe ich nur vier Minuten Redezeit. Ich lasse mein Manuskript beiseite.
({0})
Das Wichtigste wurde gesagt, aber noch nicht von jedem. Deswegen konzentriere ich mich auf einige wenige
Dinge, die wir schon gehört haben.
Erstens. Ich habe mit Wissenschaftlern gesprochen,
die aus den Vereinigten Staaten nach Jena oder zum Beispiel auch nach Tübingen gekommen sind. Sie haben
mir genau das gesagt, was auch Sie ausgeführt haben:
Geld ist nicht alles.
({1})
In den USA hätten die mich vergoldet, aber die Arbeit
macht in den Einrichtungen in Tübingen und in Jena
mehr Spaß. - Das heißt, über die Finanzausstattung hinaus genießen wir international einen guten Ruf; diesen
sollten wir ausbauen.
({2})
Zweitens. Das Problem sind nicht die Forschungseinrichtungen, sondern - das kam hier zwischendurch
schon zum Vorschein - die Hochschulen. Tatsächlich haben die Hochschulen landauf, landab - Sie brauchen nur
den Blätterwald durchzuschauen, um das zu sehen; neuerdings ist es auch in Thüringen so - große Probleme mit
der Finanzierung. Hier sind tatsächlich alle Fraktionen,
insbesondere die in Regierungsverantwortung, gefragt.
Sie müssen mit dem Steuergeld - um nichts anderes geht
es - so umgehen, dass auch die Länder in die Pflicht genommen werden. Wo das nicht passiert, kann auch der
Bund die Lücke nicht schließen.
({3})
- Wissen Sie, das ist ein weites Feld. Da kommen wir
zum Beispiel zu der Frage von Steuersenkungen.
({4})
Es ist, wie bei Fontane nachzulesen ist, ein zu weites
Feld, Luise.
({5})
Bleiben wir bei dem, was wir beeinflussen können.
Diese Schere zu schließen, ist schwierig. Deswegen sollten wir uns auf das Machbare konzentrieren. Das ist
auch der Auftrag von vielen Forschungseinrichtungen,
die mich sozusagen nach Berlin geschickt haben und
mich noch heute begleiten. Sie sagen: Finanziell sind wir
gut ausgestattet, aber uns stören die Reglementierungen,
auch die hinsichtlich der Personalpolitik.
({6})
Gebt uns Freiheit - auch an den Hochschulen -, damit
wir das Geld im Interesse der Forschungseinrichtungen
- und auch der Hochschulen - so einsetzen können, wie
wir es für richtig halten.
Auf die Hochschulen - das muss ich sagen - haben
wir nur einen begrenzten Einfluss. Aber hinsichtlich der
Forschungseinrichtungen sollten wir uns alle Mühe geben. Wir setzen - das haben Herr Rupprecht und andere
schon angesprochen - auf das Wissenschaftsfreiheitsgesetz.
({7})
Wir gehen davon aus, dass wir uns da in einem gewissen
Umfang bewegen können. Die Grenzen werden uns die
Haushälter aufzeigen. Inhaltlich liegen wir schon nah
beieinander, aber die Haushälter werden uns als Vertreter
der Steuerzahler an einigen Stellen nicht alle Wünsche
erfüllen können.
Noch ein Wort zu Ihnen, Frau Sitte. Sie haben mich
angesprochen, als Sie über das akademische Proletariat
gesprochen haben.
({8})
Ich bin von Beruf Tierarzt. Tatsächlich waren die Tierärzte zu DDR-Zeiten die Proletarier unter den Akademikern. Ich habe das nie als eine Schande empfunden, sondern war einigermaßen stolz darauf. Denn Sie wissen:
„Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
({9})
Wir waren in guter Gesellschaft. Insofern ist es aus unserer Sicht eine nette Ergänzung und Erinnerung.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({10})
Die Landesministerin Professorin Dr. Johanna Wanka
hat das Wort.
({0})
Dr. Johanna Wanka, Ministerin ({1}):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Natürlich sind die Länder die Arbeitgeber der
meisten wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Hochschulen. Deswegen freue ich mich, dass ich hier als Landesministerin zu diesem Thema etwas sagen kann. Wir
haben, wie zum Beispiel gestern Abend im Rahmen der
Helmholtz-Veranstaltung - Gott sei Dank auch noch an
vielen anderen Stellen -, die Möglichkeit, exzellente
wissenschaftliche Leistungen auszuzeichnen. Jedem ist
klar, dass vorn in der Regel der Professor steht, dass aber
diese Leistungen nur durch die intensive Arbeit des wissenschaftlichen Nachwuches möglich sind.
In den letzten zehn Jahren verstand man unter wissenschaftlichem Nachwuchs in der Regel diejenigen, die
promovieren oder sich in der Postdoc-Phase befinden.
({2})
In zunehmendem Maße haben wir es mittlerweile allerdings auch mit Projektmitarbeitern zu tun. Dass diese
Entwicklung im vorliegenden Antrag berücksichtigt
wird, finde ich sehr gut. Wir müssen unser Augenmerk
nämlich auch auf diese Gruppe richten.
({3})
Ich gehe davon aus, dass man bei der Bewertung zwischen diesen zwei großen Kategorien trennen muss. Die
Selbsteinschätzung derjenigen, die einer dieser Kategorien angehören, ist sehr unterschiedlich.
({4})
Wenn man den Antrag liest und sich vor Augen hält, wovon in der Öffentlichkeit oft die Rede ist - Stichwort
„Drittmittelkarrieren“ -, dann stellt man fest: Es wird
immer von Einzelfällen oder kleinen Gruppen ausgegangen, und dann wird Kritik geäußert, zum Beispiel im
Hinblick auf die Unzufriedenheit der Betroffenen. Das
ist völlig legitim; denn bei gesetzlichen Regelungen geht
es darum, ordentliche Bedingungen zu schaffen. Man
darf aber nicht vergessen - dies wird aber oft vergessen
und fließt nicht in die Betrachtung ein -, auch die Sicht
der Hochschulen zu berücksichtigen. Sie ist genauso
wichtig.
({5})
Alle wollen Spitzenleistungen, und Deutschland
braucht sie. Wir befinden uns in einem internationalen
Wettbewerb.
({6})
Insofern brauchen die Hochschulen vernünftige Bedingungen. Gerade in diesem Bereich sind geeignete, leicht
handhabbare und rechtssichere Bestimmungen erforderlich. Dies ist ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Ich
glaube, hier hat Deutschland noch eine Menge zu tun.
({7})
Nun zu der ersten Gruppe, also zu denjenigen, die
promovieren oder sich in der Postdoc-Phase befinden.
Die HIS-Evaluation - sie wurde vonseiten der SPD
schon angesprochen - kam zu dem Ergebnis, dass die
Arbeitgeber mit den rechtlichen Grundlagen der Arbeitsverhältnisse bzw. mit der Befristung bestens zurechtkommen. Genauso interessant an den Ergebnissen der
HIS-Untersuchung ist, dass 90 Prozent der Befragten,
die einer dieser Kategorien angehören, zufrieden sind,
wenn ihnen die Zeit, die sie befristet tätig sind, tatsächlich für die Erbringung wissenschaftlicher Leistungen
zur Verfügung steht. Ich wiederhole: 90 Prozent.
({8})
- Das habe ich gesagt.
({9})
- Auch ich unterstreiche gleich etwas, das Sie gesagt haben.
Erst einmal zu Frau Sitte. Sie sprach von einer Ordinarienuniversität und von Hofstaatsdenken; der eine
oder andere Wissenschaftler darf so etwas sagen. Ich
habe Sie immer dafür geschätzt, dass Sie an den Hochschulen sehr nah dran sind und die Verhältnisse kennen.
Die Veränderungen, die in den letzten Jahren an den
Hochschulen vorgenommen wurden - ein Beispiel sind
die strukturierten Promotionsphasen -, sollte man aber
nicht mit solchen Vokabeln belegen. Wir haben nicht
mehr die Universitäten von vor sieben Jahren. Es ist
Grundlegendes geändert worden.
({10})
- Nein, das ist nicht nur ein strukturelles Problem. Vielmehr besteht das Problem auch darin, wie man über die
Universitäten redet.
({11})
Ministerin Dr. Johanna Wanka ({12})
Ich möchte niemandem Ratschläge erteilen, schon gar
nicht in diesem Hohen Haus. Aber ich finde, es ist für
den Wissenschaftsstandort Deutschland wichtig, dass
wir kritisch hinterfragen, wo Veränderungen notwendig
sind; das gehört dazu. Hierzu sind finanzielle und andere
Anstrengungen notwendig. Wir müssen aber auch zur
Kenntnis nehmen, wo wir im internationalen Maßstab
stehen, was unser Hochschulsystem und seine Leistungsfähigkeit betrifft. Hier geht es nicht nur um irgendwelche komischen Rankings von Platz 1 bis Platz 100,
sondern auch um ganz andere Kriterien. Unsere Wissenschaftler müssen sich nicht verstecken. Ich finde es sehr
gut, wenn die Politik dies honoriert.
({13})
Wir haben hier gehört, dass Befristungen ganz
schlimm sind. Sie wurden gegeißelt. Seit wann gibt es
denn diese Regelungen? Es gibt sie seit dem Jahr 2002,
seit der 5. HRG-Novelle,
({14})
in der dieser gesamte Bereich geregelt wurde. Das war
zu Zeiten von Frau Bulmahn und zu Zeiten von RotGrün. Auch die Tarifsperre, die hier gegeißelt wurde,
war schon in dieser HRG-Novelle enthalten. Sie ist also
nichts Neues. Wir nehmen jetzt eine kritische Überprüfung vor und nutzen dabei die Erfahrungen der letzten
Jahre. Aber das ist keine Idee dieser Bundesregierung.
Das haben Sie eingeführt.
({15})
- Lassen Sie mich ausreden.
Weil sich viele Veränderungen, die damals vorgenommen wurden, bewährt haben, sind sie jetzt auch im Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu finden. Ich denke, Sie
sollten die gute Tat, die Sie an dieser Stelle vollbracht
haben, nicht schlechtreden. Man muss natürlich alles
überdenken. Zum Beispiel gab es damals noch keine Regelungen zu Befristungen und Kinderzeiten. Jetzt ist
nach dem Gesetz pro Kind eine zweijährige Verlängerung der Befristung möglich. Das ist in unser aller Sinn
und eine vernünftige Änderung.
({16})
Der wesentlich kritischere Bereich sind die Drittmittelkarrieren. Dazu muss man sagen, dass hier die Zufriedenheit in keiner Weise so hoch ist wie bei den Promovenden und Postdocs, sondern dass es eine große
Unzufriedenheit gibt, und zwar vor dem Hintergrund der
Tatsache, dass man nur schlecht planen kann - das gilt
auch für die persönliche Planung -, wenn man auf Dauer
immer nur befristete Arbeitsverträge hat.
An die Hochschulen ist die Forderung zu richten - dafür müssen wir uns wirklich engagieren; dies tun wir aus
der Sicht der Landesregierung -, die Regelungen nicht
zulasten der jungen Leute anzuwenden. Bei Projektzeiträumen von drei Jahren gibt es keinen Grund, beispielsweise Halbjahresverträge abzuschließen.
({17})
Für diesen Missstand ist nicht der rechtliche Rahmen
verantwortlich, sondern die Art und Weise, wie dies
praktiziert wird.
({18})
Natürlich wünscht sich jeder für sich selbst ein unbefristetes Arbeitsverhältnis; das ist völlig klar und logisch. Aber wenn man Ihrer Philosophie folgt, nämlich
einer weitestgehenden Ausweitung der unbefristeten Arbeitsverhältnisse aus sozialen Gründen, dann ist das vielleicht für diejenigen sozial, die jetzt in den Genuss einer
Stelle kommen. Aber was ist mit den Tausenden, die vor
den Toren stehen und in den nächsten Jahren in den akademischen Bereich wollen, wenn auch nur temporär? Sie
alle werden daran gehindert. Das ist ein Punkt, der überhaupt nicht sozial ist und der die Chancen Deutschlands
in den nächsten Jahren beeinträchtigt.
({19})
Man kann Wissenschaft nicht ohne Wettbewerb betreiben; das ist völlig klar. Ein Wettbewerb muss möglich sein. Das drückt sich dann in Professorenstellen
oder in rechtlichen Bedingungen aus.
Hier wurde eine Bemerkung zur OECD-Studie gemacht. Darauf reagiere ich immer ein bisschen allergisch, wenn Kritik von der falschen Seite kommt. In der
letzten OECD-Studie ist bilanziert worden, wie Deutschland bei der Finanzierung von Hochschulen aufgestellt
ist. Schauen Sie sich einmal an, wie wir im Hochschulbereich finanzieren. In der Studie steht eindeutig, dass
wir die öffentlichen Ausgaben, also von Bund und Ländern, in diesem Bereich in den letzten Jahren überproportional gesteigert haben. Die Kosten pro Student
- diese haben Auswirkungen darauf, wie viele Leute
man dann einstellen kann - liegen bei rund 15 000 Euro,
das heißt 2 000 Euro über dem OECD-Durchschnitt.
Wissen Sie, warum die Zahlen in anderen Ländern
zum Teil sehr gut sind? Weil nicht nur die öffentlichen,
sondern auch die privaten Ausgaben einbezogen werden.
Großbritannien erhöht die Studiengebühren, und dadurch gehen dort die Leistungen hoch. Deutschland hat
seine Ausgaben im öffentlichen Bereich überproportional gesteigert. Deswegen kann das Ganze keine Katastrophe sein, auch was die Beschäftigungsverhältnisse in
diesem System betrifft.
({20})
Wenn Sie erlauben, möchte ich zum Schluss noch
zwei Bemerkungen machen. Wir haben seit 2006 - dies
war auch durch den Hochschulpakt möglich, wodurch
frisches Geld in bestimmten Größenordnungen in das
System gekommen ist - den Anteil der unbefristeten
Ministerin Dr. Johanna Wanka ({21})
hauptamtlichen wissenschaftlichen Beschäftigungen in
einem Maße ausgedehnt, wie es vorher nie möglich gewesen ist. Das mag vielleicht nicht ausreichend sein, und
wir können noch mehr erreichen. Aber das ist auf jeden
Fall passiert.
Nun zu der Problematik der Juniorprofessuren. Ich
habe Frau Bulmahn von Anfang an unterstützt, weil ich
dieses Vorgehen für richtig halte. Das Ganze ist eine Erfolgsgeschichte; denn viele kommen in feste Beschäftigungsverhältnisse.
({22})
Unter anderem auch durch das Professorinnenprogramm
des Bundes konnten wesentlich mehr Frauen als sonst
Zugang zu diesem Bereich bekommen. Hier sind die
Hochschulen vor allen Dingen sehr stark mental gefordert; denn sie engagieren sich nicht immer ausreichend
in diesen Bereichen. Das ist keine Frage des Geldes und
auch nicht unbedingt von Agitation und Propaganda,
wohl aber eine Frage von Überzeugungsarbeit in dem
Bereich.
({23})
Sehr geehrte Frau Sager, ich bin voll auf Ihrer Seite,
dass es dann, wenn der Bund Mittel zur Verfügung stellt
- vorher muss mit uns besprochen worden sein, dass das
Projekt vernünftig ist -, zusätzlich eine Komplementärfinanzierung durch die Länder gibt. Mir steht es hier allerdings nicht zu, Beispiele zu nennen,
({24})
auch wenn ich gerade ein Beispiel vor Augen habe. Ihre
Forderung ist aber prinzipiell richtig.
Ich würde alle hier darum bitten - ich spreche hier als
niedersächsische Ministerin und habe keinen Grund, andere Kollegen zu bewerten -, einmal in die Pläne zu
schauen, um herauszufinden, wie die Kofinanzierung in
den einzelnen Bundesländern gesichert ist und was mit
den Mitteln aus dem Hochschulpakt geschieht. Das ist
nämlich sehr unterschiedlich. In Niedersachsen haben
wir alles on top: Kofinanzierung, Exzellenzinitiative,
Hochschulpakt etc. Dies alles und sogar die Spitzabrechnung der ersten Phase sind gesichert.
Ich freue mich darüber, dass ich hier die Möglichkeit
hatte, zu sprechen. Ich finde es auch sehr anregend,
wenn Sie darüber diskutieren, wie man die Anzahl der
Freiheitsgrade im Bereich der außeruniversitären Forschungseinrichtungen erhöhen kann. Diese Aufgabe haben wir ja wirklich gemeinsam zu bewältigen. Ich
glaube, dort sind wir ein Stück weit hinter dem, was bei
den Hochschulen möglich ist, zurück.
Deswegen würde ich mich freuen, wenn man sich hier
in diesem Hause gemeinsam mit uns um diese Probleme
kümmern würde, weil ich glaube, dass wir hierdurch das
deutsche Wissenschaftssystem wirklich entscheidend
verbessern könnten. Das ist keine Frage des Geldes.
Danke schön.
({25})
Das Wort hat der Kollege René Röspel für die SPDFraktion
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Wanka, ich darf Ihnen für eine doch überwiegend differenzierte Darstellung und Abarbeitung des
Problems danken, die ich als wohltuend empfunden
habe. Diesen Dank will ich aber mit einer Klage bezüglich einiger Koalitionsredner verbinden, bei deren Beiträgen ich diese Differenziertheit und auch Souveränität
leider vermissen musste.
({0})
Die Forschungs- und Bildungspolitik des Bundes
fängt nicht 2005 mit der Großen Koalition an. Wenn Sie
noch weiter zurückschauen wollen, dann empfehle ich
Ihnen einen Blick in das EFI-Gutachten des letzten Jahres, das eine aussagekräftige Tabelle enthält, die bis in
die 80er-Jahre hinein zurückreicht und in der dargestellt
wird, wie sich der Anteil der öffentlichen Investitionen
in der Forschung entwickelt hat. Hier erhält man ein paar
Daten, nämlich zum Beispiel, dass nach einer Lethargie
im Bildungs- und Forschungsbereich - unter anderem
verursacht von Herrn Rüttgers und Herrn Kohl - RotGrün ab 1998 nicht nur endlich wieder Geld für Bildung
und Forschung in die Hand genommen, sondern gesellschaftlich auch einen anderen Stellenwert von Bildung
und Forschung auf den Weg gebracht hat, was noch viel
wichtiger ist.
({1})
Wir danken Ihnen ausdrücklich, dass das durch
Schwarz-Rot im Rahmen der Großen Koalition fortgesetzt wurde und auch jetzt in dieser Koalition fortgesetzt
wird. Das ist unser Lob an Sie, das wir im Antrag in Teilen auch dokumentiert haben und das Sie, Herr
Kretschmer, zu Recht vorgelesen haben. Wir finden das
in vielen Teilen ja auch gut.
Man muss auch feststellen, dass wir mit dem Pakt für
Forschung und Innovation, durch den wir den Forschungseinrichtungen Geld für die nächsten Jahre verlässlich zusichern - es sei übrigens gesagt, dass das eine
sozialdemokratische Erfindung ist -, und mit dem Hochschulpakt, durch den wir Studienplätze finanzieren,
wirklich Geld in die Hand genommen haben. So konnte
sich die Forschungslandschaft entwickeln. Das sieht
man auch von außen. Die Amerikaner gucken mittlerweile vielleicht sogar neidisch auf die Entwicklung in
Deutschland und sagen: Da tut sich etwas. - Das stellen
ja auch die deutschen Wissenschaftler fest, die in den
USA arbeiten. Man kann auch davon sprechen, dass die
Universitäten wirklich sichtbarer geworden sind und
dass diese Forschungslandschaft belebt worden ist.
Wir können über Zuwächse und auch über Stellenanteile reden. Herr Rupprecht, das haben Sie richtig zitiert.
Das Problem ist aber, dass Forschungslandschaft nicht
bedeutet, dass irgendwo Bäume oder neu gestrichene
Universitäten herumstehen, sondern es geht um Menschen.
({2})
Wir haben Geld zur Verfügung gestellt, damit Menschen wissenschaftliche Karrieren beginnen können. Mit
dieser Förderung haben wir noch viel früher angesetzt.
Ich bin Mitglied des AWO-Unterbezirks Ennepe-Ruhr,
und ich werde in zwei Wochen wieder das Vergnügen
haben, einen unserer Kindergärten zum „Haus der kleinen Forscher“ ernennen zu können. Das heißt, wir fangen ganz früh damit an, Kinder für die wissenschaftliche
Arbeit und für Experimente zu interessieren und sie für
die Forschung zu begeistern. Das setzen wir in der
Schule fort, und auch an den Universitäten versuchen
wir, das fortzusetzen; denn sie sind die Ausbildungszentren für Wissenschaft und Forschung - übrigens in Länderhoheit, Frau Wanka.
Geld ist hier ganz wichtig, aber das ist nur eine Komponente. Wenn wir Menschen für Forschung begeistern
wollen, dann müssen wir ihnen auch eine Perspektive
geben. Deswegen bin ich Swen Schulz und den vielen
anderen sehr dankbar dafür, dass sie diesen Antrag geschrieben haben. Wir müssen uns wieder darauf fokussieren, um was es tatsächlich geht.
({3})
Es gibt begeisterte Menschen, die nach dem Studium
sagen: Ja, ich will ein paar Jahre forschen und promovieren. - Sie sind sogar bereit, unter wirklich fürchterlichen
Arbeitsbedingungen und für wenig Geld drei, vier oder
fünf Jahre zu arbeiten, ihre Dissertation zu erstellen und
etwas Neues herauszufinden. Dabei nehmen sie hin, dass
ihre Arbeitsbedingungen so schlecht sind. Das nehmen
sie vielleicht noch für eine weitere befristete Zeit von
drei Jahren hin, in denen sie Geldbeträge erhalten, von
denen man keine Familie ernähren und sich auch keine
Lebensperspektive aufbauen kann. Trotzdem sind sie
dazu bereit.
Auf der anderen Seite - das haben Sie in Teilen angesprochen, Frau Wanka - gibt es die Perspektive der
Hochschulen und auch der außeruniversitären Forschungseinrichtungen bis hin zum Max-Planck-Institut,
die sagen: Wir brauchen einen relativ hohen Durchlauf
an Wissenschaftlern, die wir nicht länger als drei Jahre
beschäftigen, um dann aus der großen Vielzahl denjenigen aussuchen zu können, der am besten dazu geeignet
ist, weiterzumachen oder sogar Hochschulprofessor zu
werden.
Das ist ein Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite
steht das Interesse der Hochschulen, Innovationen zu
fördern, viele Projekte durchzuführen, viele Menschen
einzustellen. Auf der anderen Seite befinden sich die
jungen Menschen, die bereit sind, sich in der Wissenschaft zu engagieren, und die sich freuen, nach dem Studium das erste Mal ein bisschen Geld zu verdienen, in
einer schwierigen Situation; denn mit 40 Jahren fragen
sie sich: Wie geht es nun weiter?
Der Deutsche Hochschulverband hat in einer Stellungnahme Anfang des Jahres erklärt, dass die wissenschaftliche Karriere in Deutschland leider weniger von
der eigenen Leistung als von der Haushaltslage abhängt.
Wenn jemand mit 28 Jahren sein Studium abschließt,
eine wissenschaftliche Karriere anstrebt und auch eine
freie Stelle findet, dann weiß er nicht, was nach der Promotion sein wird. Er kann sich möglicherweise in einer
Situation wiederfinden, in der er nicht weiterkommt. Genau das ist das Spannungsfeld, innerhalb dessen sich das
Wissenschaftszeitvertragsgesetz bewegt.
Frau Wanka, es gab auch eine Zeit vor 2002. Damals
gab es keine Familienregelung, nach der sich die befristeten Verträge mit der Zahl der Kinder verlängern ließen.
Es gab die Möglichkeit, über einen Arbeitgeberwechsel
Befristungen neu starten zu lassen. Das heißt, man
konnte sich von einem Fünfjahresvertrag zum nächsten
hangeln, wenn man einen neuen Arbeitgeber, sprich: ein
neues Institut an der Universität, fand. Auch das war
nicht gut. Dieses Spannungsverhältnis müssen wir auflösen.
Dazu hat die SPD schon einige Vorschläge wie Tenure Track vorgelegt: Wenn jemand als wissenschaftlicher Mitarbeiter gut ist, dann wird ihm zum Beispiel
eine Festanstellung als Professor oder Professorin angeboten. Wir fordern deutlich mehr Juniorprofessuren.
Aber wir werden auch darüber reden, inwieweit die Länder durch die Programmpauschale belastet werden.
Am Kernproblem kommen wir jedoch nicht vorbei.
Bund und Länder sind hier gemeinsam gefordert, eigene
Interessen oder Befindlichkeiten aufzugeben. Die zentrale Ausbildungsstelle für Wissenschaft sind die Universitäten. Wenn wir als Bund Geld geben, wir aber sehen, dass die Länder zunehmend nicht mehr in der Lage
sind - ich will jetzt nicht von der Steuerpolitik dieser
Koalition reden -, ihren Anteil zu leisten, dann können
wir die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses es geht darum, mehr unbefristete Stellen an den Universitäten zu schaffen - nicht weiter verbessern. Deswegen
appelliere ich an Bund und Länder, die eigenen Interessen zurückzustellen, sich die Interessen des wissenschaftlichen Nachwuchses anzuschauen und gemeinsam
mit Geld in der Hand für mehr unbefristete Stellen zu
sorgen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Tankred Schipanski für die
Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
SPD hat immer ein gutes Händchen für Öffentlichkeitsarbeit. Von daher findet die Debatte zum Thema wissenschaftlicher Nachwuchs zur Primetime statt. Dafür vielen Dank!
Das bietet natürlich auch der Linken die Möglichkeit,
hier noch einmal den Inhalt ihres populistischen Antrags
vorzutragen und ihre Kampfparolen zu verkünden.
({0})
- Doch, Frau Dr. Sitte. - Dass Sie sich auf den Beitrag
von Herrn Hirschi in der FAZ beziehen, ist schön und
zeigt, dass Sie nicht nur das Neue Deutschland lesen,
sondern eben auch die FAZ. Dass Sie sich der Forderung
anschließen, die Lehrstühle an deutschen Universitäten
abzuschaffen, ist ein bisschen gewagt.
({1})
Das werden wir in unserem Antrag, den wir vorbereiten
- Kollege Rupprecht hat das dargestellt -, nicht tun.
Die Kollegen der Opposition sind bei der Erstellung
von Anträgen zwar sehr schnell, aber es kommt auf den
Inhalt an. Weil wir unseren Antrag zum wissenschaftlichen Nachwuchs gut vorbereiten und ihn mit allen relevanten Playern abstimmen möchten, wird er - ohne Effekthascherei mit Blick auf das Wintersemester - erst in
Kürze kommen.
Wir benutzen auch eine andere Rhetorik. Sie fordern
ja, eine Personaloffensive zu starten oder - auch das
wurde heute wieder verlangt - einen Hochschulpakt Plus
einzuführen. Das wird nur noch von den Grünen getoppt,
die uns die Zukunft in den düstersten Farben malen und
einen Hochschulpakt-Notfallplan fordern. Hier hilft kein
Populismus und auch keine Schwarzmalerei. Es helfen
auch keine bunten Sammlungen an politischen Wünschen, die Sie uns heute hier vorgetragen haben. Vor allen Dingen tun Sie dies ohne sinnvolle Finanzierungsvorschläge und ohne Beachtung der föderalen Struktur
in unserer Republik, mit der festgelegt ist, wofür die
Länder und wofür der Bund zuständig sind.
({2})
Die Kollegen der Opposition haben auf die HIS-Studie zurückgegriffen. Wenn man dies tut, dann sollte man
die ganze Wahrheit darstellen. In der HIS-Studie wird
eine durchaus positive Einschätzung der wissenschaftlichen Karrieren vorgenommen. Es wird gezeigt, dass die
Nachwuchswissenschaftler mit zeitlichen Rahmenbedingungen und mit der Arbeitsorganisation zufrieden sind.
Sie haben Zeit für ihr Privatleben und profitieren von Familienfreundlichkeit. An meiner Heimatuniversität, der
TU Ilmenau, gibt es extra Kinderkrippen und Kindergärten. Anscheinend ist die Tätigkeit an der Universität eine
Phase, in der junge Leute eine Familie gründen. Es ist
von Vorteil, dass unser System so viel Flexibilität bietet.
Zwei Problemfelder gibt es in der Tat: die Betreuung
von Doktoranden und die Planbarkeit der Karriere. Gut,
dass Sie das erkannt haben, liebe Kollegen der Opposition. Wir nehmen aber eine andere Bewertung vor und
ziehen andere Schlussfolgerungen. Die Doktorandenausbildung ist gut strukturiert - man schaue sich die Promotions- bzw. die Graduiertenkollegs an -, und das fördert
primär der Bund. An den Universitäten gilt es jetzt,
nachzuziehen. Der Bund hat hierfür einen sehr guten
Weg bereitet. Ihren Vorschlag, das Recht der Promotion
auf Fachhochschulen auszuweiten, halte ich für nicht
sinnvoll. Gut wären engere Kooperationen.
Die Splittung von Mitarbeiterstellen wurde angesprochen, Stichwort „zu kurze Befristungen“. Dem müssen
wir in der Tat entgegenwirken. Das ist nicht nur ein Problem mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz, sondern
es kommt auch auf die Umsetzung in den Universitäten
- das hat Frau Ministerin Wanka richtig dargestellt - an.
Sollte es da Probleme geben, sind wir die Letzten, die
sich da nicht heranwagen.
Blicken wir auf die Postdoc-Phase. Hier wurde heute
schon oft gesagt: Den Karrierewegen mangelt es an
Planbarkeit. Das liegt zum einen an der Personalstruktur
und zum anderen an einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis. Verehrte Kollegen der SPD, da hilft es nichts,
zusätzliche Professorenstellen zu fordern oder ganz viele
unbefristete Arbeitsverhältnisse, die anscheinend vom
Himmel fallen sollen. Ihre Forderung ist wie ein Weihnachtswunschzettel, gepaart mit sozialdemokratischer
Gießkannenpolitik.
({3})
Selbstständig forschen ist nicht gleichbedeutend mit
unbefristet beschäftigt sein. Selbstständig forschen und
lehren kann nicht nur ein Professor. Das können auch
Postdoktoranden, die eine wissenschaftliche Karriere
machen möchten. Unser Ziel ist es, diesen möglichst
frühzeitig Selbstständigkeit zu geben und sich ein eigenes Profil in der Forschung und in der Lehre - den Bereich Lehre vermisst man in Ihrem Antrag völlig - aufzubauen.
({4})
Das tun wir bereits: mit dem Heisenberg-Programm, mit
dem Emmy-Noether-Programm, mit weiteren guten Programmen, die allesamt vom Bund finanziert werden. Das
sind Impulse, die es aufzugreifen gilt.
({5})
Wir wollen nicht zurück zum alten System der Akademischen Räte. Qualität von Forschung und Lehre verbessert sich nicht durch Dauerstellen, sondern durch
Wettbewerb.
({6})
Das heißt nicht, dass wir auf Dauerstellen im System
ganz verzichten wollen; sie muss es in einer begrenzten
Anzahl geben. Planungssicherheit und Karrierewege eröffnen sich den Nachwuchswissenschaftlern durch Zielvereinbarungen und durch konkrete Bedingungen, die
sie erfüllen müssen, um an einer Hochschule dauerhaft
unterrichten zu dürfen.
Befristete Arbeitsstellen gibt es doch nicht nur im
Wissenschaftsbereich - Sie zeichnen hier ein Biotop auf,
das es gar nicht gibt -; vielmehr sind befristete Arbeitsstellen in unserer heutigen Zeit eine völlig normale Sache. Wir sollten angesichts der Personalstruktur lernen,
stärker zu differenzieren. Wenn Sie in Ihrem Antrag stärker differenziert hätten, dann hätten wir uns damit differenzierter auseinandersetzen können.
Herr Kollege.
Frau Präsidentin, ich habe gesehen, dass die Lampe
leuchtet.
Schon seit einiger Zeit.
Lassen Sie mich abschließend auf die Einleitung der
HIS-Studie verweisen. Bereits Max Weber stellte in seinem Werk „Wissenschaft als Beruf“ aus dem Jahre 1919
fest: „Das akademische Leben ist … ein wilder Hazard.“
Das war 1919!
Herr Kollege.
2011 ist das anders. Ich hoffe, dass wir hier in diesem
Hohen Hause für unseren akademischen Nachwuchs
eine gute Zukunft in der Bildungsrepublik initiieren.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/6336 und 17/6488 an die Aus-
schüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung fin-
den. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 34 a bis g auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Gräbergesetzes
- Drucksache 17/6207 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 6. April 2010 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und der Republik
Albanien zur Vermeidung der Doppelbesteue-
rung und der Steuerverkürzung auf dem Ge-
biet der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen
- Drucksache 17/6613 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
tokoll vom 29. Dezember 2010 zur Änderung
des Abkommens vom 24. August 2000 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Österreich zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steu-
ern vom Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 17/6614 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Agrarstatistikgesetzes
- Drucksache 17/6642 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({1})
Innenausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Marieluise Beck ({2}), Volker
Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Namen von Bundeswehrkasernen überprüfen
- Drucksache 17/6495 -
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sören
Bartol, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Klimagerechte Stadtpolitik - Potentiale nutzen, soziale Gerechtigkeit garantieren, wirtschaftliche Entwicklung unterstützen
- Drucksache 17/7023 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, Sabine Stüber,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines
Ordnungsrahmens für den Bodenschutz und
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
zur Änderung der Richtlinie 2004/35/EG
({5})
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des
Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
Bodenschutz europaweit stärken
- Drucksache 17/7024 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Es handelt sich dabei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 35 a bis g
sowie Zusatzpunkt 4. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 35 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Energiebetriebene-Produkte-Gesetzes
- Drucksachen 17/6278, 17/6893 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({7})
- Drucksache 17/7061 Berichterstattung:
Abgeordnete Johanna Voß
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/7061, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksachen 17/6278 und 17/6893 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch Koalitionsfraktionen und
SPD. Dagegen hat niemand gestimmt. Bündnis 90/Die
Grünen und Linke haben sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen
wollen, mögen sich bitte erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter
Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Tagesordnungspunkt 35 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes
und des Personenbeförderungsgesetzes
- Drucksache 17/6262 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8})
- Drucksache 17/7058 Berichterstattung:
Abgeordnete Kirsten Lühmann
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/7058, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/6262 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung
durch Koalitionsfraktionen und SPD. Die Linke hat dagegen gestimmt, Bündnis 90/Die Grünen sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen
wollen, erheben sich bitte. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit
dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Tagesordnungspunkt 35 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({9})
- zu der Verordnung der Bundesregierung
Einundneunzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
- zu der Verordnung der Bundesregierung
Zweiundneunzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksachen 17/6169, 17/6392 Nr. 2, 17/6871,
17/6961 Nr. 2.3, 17/7062 Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, die Aufhebung der Einundneunzigsten Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der
Außenwirtschaftsverordnung auf Drucksache 17/6169
nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Dagegen
hat die Fraktion Die Linke gestimmt; die übrigen Fraktionen waren dafür.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7062
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
die Zweiundneunzigste Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung auf
Drucksache 17/6871 mit einbezogen. Über diese Vorlage
soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann kommt es zur Abstimmung.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung, die Aufhebung der Zweiundneunzigsten Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung auf Drucksache 17/6871 nicht zu verlangen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt; alle übrigen Fraktionen haben dafür gestimmt.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 35 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 305 zu Petitionen
- Drucksache 17/6938 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 35 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 306 zu Petitionen
- Drucksache 17/6939 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist ebenfalls einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 35 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 307 zu Petitionen
- Drucksache 17/6940 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Die
Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt; die übrigen
Fraktionen haben dafür gestimmt.
Tagesordnungspunkt 35 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 308 zu Petitionen
- Drucksache 17/6941 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen, dagegen gestimmt haben die Oppositionsfraktionen.
Zusatzpunkt 4:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({14}) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Zuteilung von Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Handelsperiode 2013 bis 2020 ({15})
- Drucksachen 17/6850, 17/6961 Nr. 2.2, 17/7064 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung ({16})
Frank Schwabe
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Bärbel Höhn
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7064, der Verordnung auf Drucksache 17/6850 zuzustimmen. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen, die Linke hat dagegen gestimmt, Bündnis 90/Die
Grünen und SPD haben sich enthalten.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/7064 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung
angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen hat niemand gestimmt. Die Oppositionsfraktionen haben sich enthalten.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 sowie Zusatzpunkt 5
auf:
33 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Daniela Wagner, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Anrufung des Vermittlungsausschusses durch
den Deutschen Bundestag
- Drucksache 17/6946 ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP
Für die konsequente Begleitung der Energiewende durch steuerliche Maßnahmen zur
Erhöhung der Energieeffizienz im Gebäudebereich
- Drucksache 17/7022 Verabredet ist es, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben im Juni gemeinsam beschlossen, dass Deutschland
aus der Atomenergie aussteigt. Dazu gehört auch, dass
wir die Bedingungen für den Umstieg und den Einstieg
organisieren müssen. Eine der Schlüsselfragen, die dabei
zu lösen sind, ist: Wie schafft man in einem von einem
wachsenden Anteil erneuerbarer Energien geprägten
Energiesystem den Ausgleich zwischen Angebot und
Nachfrage? Da müssen wir mehr Speicher bauen. Wir
brauchen bessere Netze. All dies ist im Energiepaket berücksichtigt. Aber das wird nicht reichen. Wir brauchen
flexiblere Kraftwerke. Solche Kraftwerke werden aber
nur mit Gas betrieben werden können. Wenn wir nicht
mehr Gas importieren wollen, müssen wir anderswo Gas
einsparen. Ich glaube, über all das, was ich bisher gesagt
habe, herrscht Konsens.
Ihr Energiepaket enthielt den Entwurf eines Gesetzes
zur besseren Wärmedämmung von Gebäuden. Zurzeit
dämmen wir 0,7 Prozent unserer Gebäude jährlich. Das
heißt, wir sind noch nicht einmal in 100 Jahren damit
fertig. Dieser Teil des Energiepakets war der einzige, der
im Bundesrat zustimmungsbedürftig war.
({0})
Sie haben die Mehrheit dafür nicht bekommen. Der Hintergrund, warum Sie die Mehrheit nicht bekommen haben, war relativ einfach. Sie sind zwar der Meinung,
dass Wärmedämmung eine schöne Sache ist. Aber die
Hauptlast - 57,5 Prozent - sollen die Länder und Gemeinden tragen. So hoch ist der Anteil der Länder und
Gemeinden am Steuerausfall.
Nun bin ich der Auffassung - damit da gar keine
Schärfe hineinkommt -, dass auch die Länder ihren Beitrag dazu leisten müssen. Wenn Sie aber bedenken, dass
sich in diesem Land Hunderte Kommunen in einer Haushaltsnotlage befinden und dass die Kommunalaufsichten
vielen Kommunen verbieten, selbst effiziente Einsparmaßnahmen durchzuführen, weil sie schon Kassenkredite aufnehmen müssen, dann können Sie nicht ernsthaft
den Wunsch an die Kommunen herantragen, zusätzlich
zur Haushaltsnotlage noch Einnahmeausfälle hinzunehmen.
({1})
In der Verfassung ist ein Verfahren vorgesehen, wenn
man sich in einem Interessenkonflikt zwischen Bund
und Ländern nicht einigen kann: die Anrufung des Vermittlungsausschusses. Sie haben gemeinsam mit den von
Ihnen geführten Ländern gegen Baden-Württemberg und
gegen andere Länder, in denen die Grünen an der Regierung beteiligt sind, die Anrufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat verhindert. Sie hätten aber die
Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss durch die Bundesregierung anrufen zu lassen.
({2})
Es ist das Normalste von der Welt, dass eine Bundesregierung, wenn sie mit etwas nicht durchkommt, versucht, eine Einigung zu erzielen. Das tun Sie nicht, obwohl beispielsweise alle Unionsumweltpolitiker sagen:
Bitte ruft den Vermittlungsausschuss an! - Sie verfallen
in eine katatonische Lähmung. Sie tun das, was Sie am
besten können, nämlich nichts. Ich glaube, das können
wir uns alle nicht leisten.
({3})
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht -
Herr Trittin, es gibt eine Zwischenfrage des Kollegen
Körber. Möchten Sie die zulassen?
Bitte.
Bitte.
Vielen Dank. - Herr Kollege Trittin, ich habe eine
Frage an Sie. Ich denke, wir sind uns in der Analyse einig. Sie haben zutreffend ausgeführt, dass es nicht nur
um das Dämmen geht, sondern auch um die Gebäudetechnik, um mehr Energie einzusparen. Deswegen stellt
sich bei mir eine gewisse Verwunderung ein. Sie regieren in einem großen Land, in Baden-Württemberg, mit.
Dort gibt es einen grünen Ministerpräsidenten. Meine
Frage berührt ein Stück weit die Glaubwürdigkeit der
Grünen, die ich vermisse. Die Grünen drehen ihr Fähnchen nach dem Wind. Warum haben Ihr Ministerpräsident und Ihre stellvertretenden Ministerpräsidentinnen
dem Gesetzentwurf im Bundesrat nicht einfach zugestimmt?
({0})
Das wäre die einfachste Möglichkeit gewesen; denn die
Investitionen, die generiert werden - Sie haben die Steuerverteilung angesprochen -, kommen in erster Linie
den Kommunen und den Ländern zugute. Ihr Verhalten
zeugt in keiner Weise von Glaubwürdigkeit. Was sagen
Sie dazu?
({1})
Lieber Herr Kollege, ich habe es Ihnen schon eben zu
erklären versucht, aber ich mache es noch einmal: weil
sich die meisten Kommunen diese Anfangsinvestitionen
schon heute nicht mehr leisten können. Deswegen hat es
zwei Abstimmungsverhalten der von Grünen mitregierten Länder im Bundesrat gegeben. Diese Länder haben
gesagt: Wir können dem Gesetzentwurf wegen unserer
Verantwortung gegenüber den Gemeinden nicht zustimmen; wir wollen vielmehr einen anderen und besseren.
Deswegen haben unsere Länder die Anrufung des Vermittlungsausschusses beantragt. Das ist das normale
Verfahren in einer solchen Situation.
({0})
Welche Länder haben die Anrufung des Vermittlungsausschusses abgelehnt? Das waren die von Ihnen mitregierten Länder. So viel zu Ihrer Glaubwürdigkeit, meine
Damen und Herren.
({1})
Jetzt können Sie als Bundesregierung ein geordnetes
Verfahren einleiten. Es geht im Föderalismus nie - auch
nicht bei dieser Frage - darum, dass eine Seite zu
100 Prozent ihren Willen durchsetzt. Auch wir wissen,
dass die Vorstellungen, die die Grünen dazu haben, nicht
Ergebnis der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss
sein werden.
Aber wenn ich in Delmenhorst oder sonst wo zur
Handwerkskammer komme, dann wird mir zurzeit nur
eine Frage gestellt: Wann beginnt endlich dieses Vermittlungsverfahren, damit wir mit der Wärmedämmung
und ähnlichen Maßnahmen anfangen können? Ihnen ergeht es genauso. Sie sind genauso unter Druck. Also, hören Sie auf, einen vernünftigen Kompromiss in dieser
Frage durch Untätigkeit zu blockieren! Das ist der
Grund, warum wir sagen: Dann ruft eben der Deutsche
Bundestag den Vermittlungsausschuss an. Irgendjemand
muss ja vernünftig sein.
({2})
Der Kollege Olav Gutting hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben vor wenigen Monaten hier in diesem Hause
den Einstieg in die Energiewende, den Einstieg in das
Zeitalter der erneuerbaren Energien beschlossen. Das ist
kein einfacher Weg; denn wenn man wie wir in der Koalition Ökonomie und Ökologie nicht gegeneinander
ausspielen will, dann muss man vieles beachten. Erste
Erfolge sind im Übrigen schon erkennbar. Wir haben bereits im ersten Halbjahr 2011 den Anteil der erneuerbaren Energien an der Energieerzeugung auf über 20 Prozent steigern können. Das ist ein toller Erfolg. Darauf
können wir alle stolz sein.
Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass es zum Beispiel
bei der Einspeisevergütung für die Unternehmen und die
Investoren bei einem planbaren Kurs bleibt; denn Planbarkeit ist die Voraussetzung dafür, dass der Kapitalmarkt auf der einen Seite und die technische Entwicklung und Innovation auf der anderen Seite miteinander
verknüpft werden können. Planbarkeit ist auch die Voraussetzung dafür, dass wir in Deutschland auf dem
wichtigsten Wachstumsmarkt, bei den erneuerbaren
Energien, auch zukünftig in der ersten Liga mitspielen
können. Gleichzeitig sind wir aufgefordert, Überförderung in diesem Bereich abzubauen und den Innovationsdruck in diesem Bereich noch zu verstärken.
Neben der Förderung der erneuerbaren Energien wollen wir aber auch zusätzliche Impulse setzen. Wir alle
wissen: Gerade beim Wohngebäudebestand gibt es noch
einen ganz erheblichen Bedarf und ein ganz erhebliches
Potenzial zur Einsparung von Energie und CO2. Wir hatten uns deshalb entschlossen, für die energetische Sanierung an Gebäuden zusätzlich zu den bereits bestehenden
Programmen der KfW eine steuerliche Förderung anzubieten. Auch in diesem Bereich ist Planbarkeit von allergrößter Bedeutung.
Leider hat der Bundesrat - deswegen haben wir heute
diese Debatte -, in dem unsere Regierungskoalition
keine Mehrheit hat, dieses Vorhaben gestoppt. Das ist
ganz besonders schade,
({0})
weil die Argumente der Bundesländer in diesem Fall
nicht stichhaltig sind.
Was sind die Einwendungen? Zum einen wird moniert, es gebe Mitnahmeeffekte. Aber wir haben beim
Gesetzgebungsverfahren gerade darauf geachtet, dass
solche Mitnahmeeffekte vermieden werden und dass die
Förderung zielgenau ankommt. Mit der Vorgabe, dass
nach der Sanierung der Standard eines KfW-Effizienzhauses 85 erreicht werden muss, haben wir ein so ambitioniertes Ziel formuliert, dass die Umsetzung dessen
nicht mal eben so funktioniert. Dieses hochgesteckte
Ziel - davon sind wir überzeugt - kann nur mit dieser
zusätzlichen Förderung umgesetzt werden.
Die Länder monieren vor allem - das hat der Kollege
Trittin hier zu erklären versucht - den hohen Finanzierungsanteil, den sie tragen müssen. Dabei wird aber der
Selbstfinanzierungseffekt dieser Maßnahmen völlig vergessen; denn die Förderung der energetischen Sanierung
löst ein Vielfaches der eingesetzten Summe an Investitionen aus. Allein die Umsatzsteuer, die sich aus den dadurch ausgelösten Investitionen ergibt, dürfte die befürchteten Steuermindereinnahmen um ein Mehrfaches
ausgleichen.
({1})
Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass wir
parallel das KfW-Programm um 1,5 Milliarden Euro
aufgestockt haben. Nun wissen wir aus den Zahlen, die
bei der KfW vorliegen, dass die Fördermittel regelmäßig
das Neunfache an Investitionen auslösen. Das bedeutet,
dass allein durch die Aufstockung der Mittel bei der
KfW um 1,5 Milliarden Euro das Neunfache an Investitionsvolumen ausgelöst wird. Das wiederum bedeutet,
dass die Länder im Rahmen der Mehrwertsteuer einen
Anteil von ungefähr 800 Millionen Euro allein aufgrund
dieser Aufstockung erhalten werden.
Bei der Freigabe des Gesetzes durch den Bundesrat
darf auch das Handwerk vor Ort eine spürbare Belebung
erfahren. Was die Kommunen angeht, so bedeutet das
natürlich mehr Arbeitsplätze. Natürlich bedeutet das
auch ein höheres Gewerbesteueraufkommen für die
Kommunen. Insofern ist es falsch, hier die Situation der
Kommunen als Gegenargument heranzuziehen; denn sie
werden davon profitieren.
Die Zahlen machen deutlich, dass es den Ländern vor
allem um eines geht: um Blockade. Der Bundesrat will
offenbar die eigene Stärke demonstrieren. Ich kann nur
sagen: Wir nehmen diese Machtdemonstration zur Kenntnis. Aber ich sage Ihnen auch: Die Länder sollten diese
Blockade schleunigst aufgeben;
({2})
denn sie schaden damit der Energiewende. Sie schaden
auch dem Handwerk; denn es gibt bei den Investitionswilligen bereits einen spürbaren Attentismus. Sie investieren nicht, weil sie warten, bis dieses Gesetz kommt.
Sie schaden den Kommunen, und die Länder schaden
letztendlich auch sich selbst, wenn wir, wie gerade aufgezeigt, berücksichtigen, zu welchen Steuermehreinnahmen auch für die Länder dieses Gesetz führen kann.
({3})
Wenn wir in unserem Land gemeinsam dem anspruchsvollen Ziel einer nachhaltigen Verringerung der
Treibhausgasemissionen und dem zügigen Umstieg in
das Zeitalter der erneuerbaren Energien einen Schritt näher kommen wollen, dann müssen die Länder jetzt ihre
Verhinderungshaltung aufgeben. Deshalb fordern wir die
Bundesregierung mit unserem Antrag heute auf, nochmals zu versuchen, einen erfolgreichen Abschluss des
Gesetzgebungsverfahrens bei den Ländern zu erreichen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Nicolette Kressl für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zum Thema „energetische Gebäudesanierung“ drei Punkte deutlich machen:
Erstens. Wir halten die Förderung der energetischen
Gebäudesanierung für sinnvoll. Die Energiewende ist
dann machbar, wenn auch Energie eingespart wird. Wir
gehen davon aus, dass eine Förderung in diesem Bereich
ein Mehrfaches an privaten Investitionen initiiert. Deshalb wäre eine solche Förderung auch für das Handwerk
ein ganz entscheidender Faktor. So weit sind wir uns einig.
({0})
Im Gesetzgebungsverfahren haben wir von der SPD
deutlich gemacht, dass wir eine progressionsabhängige
Förderung - eine solche haben Sie vorgesehen - für
falsch halten, und zwar nicht nur deshalb, weil die Gerechtigkeitsfrage eine Rolle spielt, sondern auch deshalb,
weil bei einer progressiven Förderung
({1})
deutliche Mitnahmeeffekte entstehen.
({2})
Das hat auch der Bundesrat deutlich so formuliert.
Ja, es werden private Investitionen ausgelöst. Aber
eine Förderung nach dem Motto „Je höher das Einkommen, desto höher die Förderung“ - so haben Sie das im
Gesetz vorgesehen - macht in diesem Fall ökonomisch,
um es ganz deutlich zu sagen, keinen Sinn, und das haben wir im Gesetzgebungsverfahren kritisiert.
({3})
Im Gesetzgebungsverfahren haben wir von der SPD
einen Änderungsantrag eingebracht, in dem wir gesagt
haben: Die Umlage der Sanierungskosten auf die Mieterinnen und Mieter muss eingeschränkt werden. Es kann
nicht sein, dass Vermieter dann, wenn sie eine steuerliche Förderung bekommen, sämtliche Kosten an die Mieterinnen und Mieter weitergeben können. Das ist eine
Frage der Logik und der Konsequenz.
({4})
Das waren zwei Änderungen, die wir eingebracht haben und denen Sie im Gesetzgebungsverfahren nicht zugestimmt haben.
({5})
Fazit zu meinem ersten Punkt: Sie hatten zwar das
richtige Ziel, aber Sie haben wieder einmal - wieder einmal! - die falschen Mittel gewählt.
({6})
Zweitens. Im Interesse der Sache halten wir es für
richtig, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Deshalb
werden wir dem dazu vorliegenden Antrag zustimmen.
Mir ist die Weigerung von Schwarz-Gelb völlig unverständlich; denn es ist ein völlig normales Verfahren, den
Vermittlungsausschuss anzurufen.
({7})
Gestern hat sich beim Steuervereinfachungsgesetz
doch gezeigt, dass die Vernunft ganz schnell siegen
kann. Dazu waren Sie im Gesetzgebungsverfahren im
Bundestag nicht in der Lage.
({8})
Daran sieht man, wie effizient ein Vermittlungsverfahren
sein kann. Zack, und Sie haben die unsinnige Regelung,
nach der die Steuererklärung nur alle zwei Jahre abgegeben werden muss, herausgenommen. Das Gesetz ist gültig. Insofern ist völlig unklar, warum Sie den Vermittlungsausschuss jetzt nicht anrufen wollen.
({9})
Drittens. Zu dem sehr kurzfristig eingebrachten Antrag der Koalition kann ich nur sagen: Jeder blamiert
sich so, wie er kann. Sie blamieren sich in diesem Fall
ganz besonders. Sie wollen nur verdecken, dass Sie eine
allgemeine Forderung aufstellen, aber nicht bereit sind,
der Anrufung des Vermittlungsausschusses zuzustimmen. Ein Blick in die Verfahrensregeln hilft vielleicht.
Deswegen sage ich: Jeder blamiert sich so, wie er kann.
Es gibt überhaupt keine formale Möglichkeit mehr,
dass die Länder irgendwie zustimmen.
({10})
Entweder rufen Sie den Vermittlungsausschuss an, oder
das Gesetz ist gescheitert.
({11})
Es wäre ganz sinnvoll, sich das einmal anzuschauen, bevor Sie hier nur allgemeines Blabla von sich geben. Sie
haben bisher in keiner Rede begründet, warum Sie dem
normalen Weg der Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht zugestimmt haben.
({12})
- Der Herr Wissing ist wieder auf seinem üblichen Weg.
Das haben wir schon ein paarmal erlebt. Er ruft: Sie hätten doch zustimmen können!
({13})
Es lohnt sich, etwas dazu zu sagen: Herr Wissing, das
Einzige, was Sie können, ist, auf der Opposition herumzuhacken. Ich interpretiere das so: Sie sind nicht in der
Lage, eigene konstruktive Vorschläge zu machen.
({14})
Das erleben wir nicht nur heute, sondern das erleben wir
dauernd. Das haben wir gestern und vorgestern erlebt.
Ich sage Ihnen noch einmal - offensichtlich haben Sie
nicht zugehört, oder Sie sind nicht in der Lage, es zu verstehen -: Es gibt gute inhaltliche Gründe, diesem Gesetz
nicht zuzustimmen; denn es ist wegen der Mitnahmeeffekte ökonomisch unsinnig.
({15})
- Da fragt wieder so ein Spezialist. Ich habe Gott sei
Dank genügend Zeit, das zu erklären. Es wurde gefragt:
Welche Mitnahmeeffekte?
({16})
- Herr Wissing, es gibt keinen Grund, das Ganze progressiv zu gestalten. Es geht nicht um die Frage, wie beispielsweise bei den Werbungskosten, ob man die Kosten
von der Bemessungsgrundlage abziehen kann, sondern
es geht um eine wirtschaftliche Initialzündung. Die können Sie mit einer progressionsunabhängigen Zulage, so
wie wir das beantragt haben, ökonomisch sinnvoller und
gerechter gestalten.
({17})
Insofern ist es völliger Blödsinn, zu sagen, es hätte keine
besseren Wege gegeben, das Vorhaben auf den Weg zu
bringen. Sie hätten nur unseren Änderungsanträgen zustimmen müssen, dann wäre es wesentlich einfacher gewesen. Dann würden wir diese verquere Debatte nicht
führen. Das Handwerk hätte einen Vorteil.
({18})
Ich finde es wirklich schade, dass Sie heute zum ersten Mal von dem normalen Verfahren abweichen. Klar
ist doch: Das Gesetz ist zustimmungsbedürftig. Die Länder sind massiv davon betroffen und halten Teile davon
für falsch. Wir müssen nicht alle Gründe für die Anrufung des Vermittlungsausschusses teilen, aber einen Teil
der Gründe, beispielsweise die absehbaren Mitnahmeeffekte, halten wir für sinnvoll.
({19})
Der Bundesrat hat die Möglichkeit - das ist ein demokratisches Recht und in der Verfassung vorgesehen -, zu
sagen: Wir wollen über die Änderungen diskutieren. Sie verweigern bis heute die Möglichkeit, gemeinsam
mit den Ländern über Änderungen zu diskutieren. Das
ist falsch.
({20})
Sie sollten über Ihren Schatten springen und Ihre Ideologie beiseitelassen.
({21})
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Birgit Reinemund für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um ein
bisschen Ruhe in die Debatte zu bringen: Herr Trittin,
Frau Kressl, wie scheinheilig ist das denn? Sie bzw. Ihre
Parteien haben das Vorhaben im Bundesrat blockiert,
und nun behaupten Sie, Sie wollen die energetische Gebäudesanierung.
({0})
Ich darf mit dem Zitat eines grünen Kollegen beginnen, Herr Trittin:
Das Handwerk wartet überall. Überall werden die
Entscheidungen zur Gebäudesanierung aufgeschoben. Das ist schlecht für die Konjunktur und die
CO2-Bilanz.
Das ist ein Zitat Ihres Kollegen Volker Beck in einer
Agenturmeldung von gestern Abend. Hat er nicht klar
erkannt, wie fatal die rot-grüne Blockadehaltung im
Bundesrat ist?
({1})
Allerdings unterschlägt er das Hauptargument für das
gestoppte Gesetz: die Energieeinsparung.
({2})
Fast 40 Prozent der Endenergie in Deutschland wird im
Wohnungsbestand aufgewendet. Hier liegt ein enormes
Einsparpotenzial. Über alle Parteigrenzen hinweg hat
der Deutsche Bundestag vor kurzem die Energiewende,
den Umstieg von der Kernenergie auf die erneuerbaren
Energien bis 2022 beschlossen. Das ist eine riesige Herausforderung für uns alle. Ohne Energieeinsparung wird
dies nicht gelingen.
Doch statt bei der energetischen Gebäudesanierung
mitzuziehen und die erste Maßnahme schnell auf den
Weg zu bringen, kneift der rot-grün dominierte Bundesrat, frei nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach
mich nicht nass.
({3})
Natürlich wollen auch die Bundesländer die Energiewende, nur kosten darf sie eben nichts, zumindest
nicht die Länder.
({4})
Selbst das grün-rote Baden-Württemberg verweigert die
Zustimmung, ausgerechnet die Grünen, die noch schneller aussteigen wollten, koste es, was es wolle.
({5})
Die Begründung des Bundesrats ist ziemlich fadenscheinig.
({6})
Was sind denn die angeblichen Gründe? Die Kosten sollen vollständig vom Bund übernommen werden. Ja, klar,
aber so funktioniert das nicht! Noch vor zwei Wochen
hatten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und
Grünen, im Rahmen der Haushaltsberatung vehement
eine noch strengere Haushaltskonsolidierung gefordert.
Jetzt haben Sie keine Skrupel, gemeinsame Aufgaben finanziell komplett dem Bund aufzubürden. Wie passt das
denn zusammen?
({7})
Es ist allen klar, dass die Energiewende nicht zum
Nulltarif zu haben ist. Eine gerechte Aufteilung der Kosten sollte selbstverständlich sein. Das Gejammer, dass
die Kosten die Länder und Kommunen finanziell total
überfordern, ist nicht nachvollziehbar. Aufgrund der soliden Wirtschaftspolitik dieser Regierung sprudeln auch
bei den Ländern und Kommunen wieder die Steuereinnahmen.
({8})
In Baden-Württemberg sah sich die grün-rote Landesregierung jetzt sogar gezwungen, schon 2011 die Nullverschuldung anzustreben.
({9})
Vier Wochen zuvor wollte sie das erst im Jahr 2020 angehen, und das, obwohl sie die Verwaltung aufgebläht
und Ministerien neu erfunden hat.
({10})
In der Begründung des Bundesrats heißt es:
Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Förderung von selbstnutzenden Wohnungseigentümern
würde dazu führen, dass die Förderung bei Spitzenverdienern je nach Steuerprogression entsprechend
höher ausfällt als bei Eigentümern mit einem durchschnittlichen Einkommen.
Ja, klar, so ist das; denn so funktioniert unsere Steuersystematik, aber nicht erst seit dieser Legislatur. Von
Steuern entlastet werden kann nur, wer Steuern zahlt.
Wer mehr Steuern zahlt, kann auch stärker entlastet wer15044
den. Das ist das Prinzip von Progression bei der Besteuerung und Degression bei der Entlastung. Das ist nicht
neu. Das ist keine Parteiideologie. Das ist unsere Steuersystematik seit 60 Jahren.
({11})
Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl
zulassen?
Von Frau Kressl immer.
Bitte schön.
Liebe Frau Kollegin Reinemund, nach diesem Versuch eines kleinen Seminars über Steuerpolitik will ich
Sie fragen: Können Sie sich daran erinnern, dass die
SPD einen Antrag eingebracht hat, der darauf abzielte,
eine steuerrechtlich verankerte, progressionsunabhängige Zulage auf den Weg zu bringen, die genauso möglich wäre und keine Mitnahmeeffekte zur Folge hätte?
({0})
Sie haben damit im Finanzausschuss und im Plenum
zu Recht keine Mehrheit gefunden. Im Übrigen gibt es in
diesem Fall keine Mitnahmeeffekte, wie Sie es uns hier
rhetorisch unterstellen wollen.
({0})
Für Nichtsteuerzahler und Menschen mit niedrigem
Einkommen stehen nach wie vor die zinsbegünstigten
KfW-Kredite und Zuschüsse zur Verfügung. Diese wurden jetzt weiter auf 1,5 Milliarden Euro erhöht. Dieses
Instrument, das Sie versucht haben zu implementieren,
haben wir also schon eingerichtet.
Jetzt sollen zusätzlich Eigenheimbesitzer und Selbstnutzer motiviert werden, schneller zu sanieren. Das ist
neu. Was machen denn junge Familien, die nach Auszahlung eines Bausparvertrags oder im Rahmen einer
Erbschaft ein älteres Häuschen energetisch sanieren wollen? Es sind doch gerade die Bezieher mittlerer Einkommen, die eine steuerliche Entlastung brauchen, damit sie
investieren.
Mit Ihrer Blockade bestrafen Sie die Familien, weil
Sie in ideologischer Verblendung in jedem Gesetz dieser
Bundesregierung sofort eine Maßnahme zur Begünstigung von Villenbesitzern und Millionären sehen.
({1})
Ihre Schwarz-Weiß-Denke - oder sollte ich besser RotGrün-Denke sagen? - grenzt an Realitätsverweigerung.
({2})
In der Haushaltsdebatte der letzten Sitzungswoche
haben Sie uns vorgeworfen, wir würden mit einem zu
hohen Wachstum rechnen. In den Bereichen, in denen
man Wachstum erzeugen kann, blockieren Sie aber jetzt.
1 Euro Fördergeld im Baubereich erzeugte erfahrungsgemäß ein Investitionsvolumen von 12 Euro im
Jahr 2009 und von 16 Euro im Jahr 2010. Die energetische Gebäudesanierung ist ein Investitions- und Konjunkturprogramm für Handwerk und Handel und sichert
Arbeitsplätze.
({3})
Es beschert den Ländern und vor allen Dingen den Kommunen höhere Einnahmen bei der Einkommen-, der Umsatz- und der Gewerbesteuer. Es geht nicht an, dass die
Länder diese Vorteile gerne mitnehmen, die Anschubkosten aber nicht mittragen wollen.
Vor diesem Hintergrund appellieren wir an die Länderkammer, ihre ablehnende Haltung nochmals zu überdenken.
({4})
Wenn Sie die Energiewende wirklich wollen, dann
schalten Sie um von obstruktiv auf konstruktiv.
({5})
Heidrun Bluhm hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir wollten hier eigentlich eine sachliche Debatte führen. Ich will versuchen, die Diskussion auf den Kern zurückzubringen. Wir alle, nicht nur die Koalitionsfraktionen, sondern auch die Oppositionsfraktionen, haben
damals der Energiewende und den Klimazielen dieser
Bundesregierung zugestimmt. Das haben wir getan, weil
wir wissen, dass diese Frage elementar für die weitere
Entwicklung nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas und der ganzen Welt ist.
({0})
Jetzt geht es darum, diese Ziele zu untermauern, sie für
jeden erreichbar zu machen und jeden am Prozess Beteiligten in die Lage zu versetzen, diese Ziele zu unterstützen.
Mit Ihrem Steuergesetz werden diese Ziele zwar unterstützt; dies gilt aber nur für einige. Das ist Klientelpolitik, Klientelpolitik für diejenigen, die es sich ohneHeidrun Bluhm
hin leisten können, Sanierungen vorzunehmen, und dies
auch leisten müssen, weil Eigentum verpflichtet.
({1})
Wenn wir diesen Prozess unterstützen wollen, dann müssen wir ihn richtig und vor allem sozial ausgewogen unterstützen. Das heißt, wir müssen alle am Prozess Beteiligten im Auge haben und beobachten, was dort passiert.
Was Sie hier vorhaben, führt letztlich dazu, dass die,
die viele Steuern zahlen - Frau Dr. Reinemund hat es
vorhin gesagt -, auch viele Steuern sparen können, nämlich in Höhe von 10 Prozent der Sanierungskosten, wenn
durch die Sanierung erreicht wird, dass ein Primärenergiebedarf von 85 Prozent, bezogen auf einen vergleichbaren Neubau, nicht überschritten wird.
({2})
- Ja, sicher, auch dem Durchschnittsverdiener kann das
durchaus nutzen. Aber was macht denn derjenige, der
diese Sanierung nicht zahlen kann, weil er das Einkommen nicht hat? Der wird also von der energetischen Sanierung ausgeschlossen,
({3})
weil er sich den gesamten Finanzierungsprozess nicht
leisten kann.
Sie hätten parallel zu Ihrem Steuergesetz vielleicht
auch darüber nachdenken sollen, dass die Mieterinnen
und Mieter dazu ebenfalls ihren Beitrag zu leisten haben.
Diesen Beitrag leisten die Mieter parallel zur Steuerabschreibung zehn Jahre lang, indem nämlich eine 11-prozentige Sanierungsumlage auf die anzuerkennenden
Kosten angesetzt werden kann;
({4})
Dieser Beitrag ist zudem überproportional, weil die eingesparten Betriebskosten das bei weitem nicht kompensieren werden.
Möchten Sie die Frage von Herrn Körber zulassen,
Frau Kollegin?
Gern.
Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich habe eine kurze
Nachfrage. Sie haben, glaube ich, einen Sachverhalt
nicht ganz zutreffend dargestellt. Von der energetischen
Gebäudesanierung - das hat ja auch eine Anhörung im
Finanzausschuss des Deutschen Bundestages ergeben ({0})
profitieren nicht nur die Hauseigentümer, sondern auch
die Mieter, und zwar aus dem einfachen Grund, weil die
Nebenkosten spürbar reduziert werden können. Je nachdem, um welche Wohnung es sich handelt und in welchem Zustand sich ein Gebäude befindet, können das
zwischen 30 und 70 Prozent sein.
Vielleicht können Sie noch einmal erklären, was Sie
vorhin gemeint haben; denn meiner Auffassung ist es
sehr wohl möglich, dass gerade Mieter durch eine reduzierte Warmmiete sehr deutlich und spürbar von der
Maßnahme profitieren. Was sagen Sie dazu?
Herzlichen Dank für die Frage. Ich werde noch einmal ausführlich auf ein Rechenbeispiel eingehen. In der
Tat ist es so, dass die Betriebskosten - insbesondere bei
der Heizung - dadurch gesenkt werden, dass energetisch
saniert wird. Das erkennen wir an; das haben auch die
Anhörungen ergeben.
Diese Einsparung wird aber bei weitem nicht das
kompensieren können, was an zusätzlicher Miete zu zahlen ist. Nehmen wir einmal folgenden Fall an: ein Sechsfamilienhaus, ein gewerblicher Vermieter, sechs Mietverträge. Der Vermieter führt eine energetische
Sanierung durch. Für diese energetische Sanierung gibt
er etwa 350 000 Euro aus. Jetzt ziehen wir einmal Kosten von 50 000 Euro ab - wenn ich eine Komplettsanierung mache, ist das so -,
({0})
die bei der Betrachtung nicht anerkannt werden können.
Dann bleiben etwa 300 000 Euro übrig. Von dieser
Summe muss sich der Vermieter noch einen Teil als
Eigenleistung abrechnen lassen. Dann bleiben
240 000 Euro übrig, die er steuerlich ansetzen kann und
die er gegebenenfalls auch auf die Miete anrechnen
kann, und zwar mit 11 Prozent im Jahr, zehn Jahre lang.
Diese Erhöhung macht der Vermieter später nicht mehr
rückgängig; die Miete bleibt auf diesem Niveau.
Von den 240 000 Euro, die vielleicht übrig bleiben,
können Sie 11 Prozent auf die Mieter umlegen; das sind
25 000 Euro im Jahr. Dies bedeutet für den Mieter eine
Erhöhung der Nettokaltmiete von im Durchschnitt
3 Euro pro Quadratmeter aufgrund der Sanierungs- und
Modernisierungsmaßnahmen.
({1})
Dabei sparen die Mieter bei den Heizkosten lediglich bis
zu maximal 70 Cent pro Quadratmeter. Und jetzt sagen
Sie mir bitte, Herr Körber, warum es für die Mieter keine
Belastung bedeutet, wenn sie 2,30 Euro mehr zahlen
müssen. Auch dieses Ergebnis hat die Anhörung ergeben; Ihre Argumentation, das Ganze pauschal auszuglei15046
chen, ist schlicht nicht richtig. Das muss hier ganz deutlich gesagt werden.
({2})
Ich will noch einmal zum Ausdruck bringen: Auch
wir haben damals dem Gesetzentwurf wegen der Mängel
nicht zugestimmt. Ich muss das nicht noch einmal sagen;
Frau Kressl hat das bereits sehr deutlich zum Ausdruck
gebracht, und dieser Meinung schließen wir uns an.
Wir sind aber trotzdem dafür, dass im Vermittlungsausschuss nachgearbeitet wird. Herr Gutting, den Ländern zu unterstellen, dass sie eine reine Machtdemonstration vornehmen, halte ich für bedenklich. Denn das
Recht auf Anrufung des Vermittlungsausschusses steht
dem Bundesrat zu. Sie verweigern sich heute. Wenn die
Machtdemonstration von Ihnen durchbrochen werden
sollte, dann kann man sich mit Ihnen gemeinsam im Vermittlungsausschuss hinsetzen und das Gesetz so nacharbeiten, dass die Länder und Kommunen nicht überproportional belastet werden. Wenn das auf den Weg
gebracht ist, dann sind auch wir dafür, dass es steuerliche Erleichterungen gibt. Das muss aber auf einer sozial
gerechten Grundlage geschehen und vor allem nicht gegen den Willen und gegen das Portemonnaie der Mieterinnen und Mieter.
Danke schön.
({3})
Antje Tillmann hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuschauer! Die steuerliche Förderung der
energetischen Gebäudesanierung ist ein wichtiger Baustein der Energiewende und Teil des Paketes von acht
Energiegesetzen, das wir im Juni dieses Jahres im Bundestag verabschiedet haben. Der Bund nimmt dafür viel
Geld in die Hand. Neben den 1,5 Milliarden Euro, über
die wir heute sprechen, steckt der Bund aus dem Energieund Klimafonds bis 2014 1,5 Milliarden Euro zusätzlich
in die KfW-Förderprogramme zur CO2-Gebäudesanierung. Mit den 700 Millionen Euro, die aus dem Bundeshaushalt in den Energiefonds fließen, finanzieren wir
weitere Maßnahmen, etwa zur Förderung der Elektromobilität sowie zur Förderung erneuerbarer Energien und
Energieeffizienz.
Die steuerliche Förderung der Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung ist sehr gut geeignet, um
diese Programme zu ergänzen. Liebe Frau Kollegin
Bluhm, natürlich ist derjenige, der keine Steuern zahlt,
nicht vom CO2-Gebäudesanierungsprogramm ausgenommen; denn die KfW setzt an genau dieser Stelle an.
Wir haben einen großen Strauß an Maßnahmen, und jeder kann entsprechend seiner privaten Leistungsfähigkeit entscheiden, was er tun möchte. Die KfW-Programme haben wir aufgestockt, damit die Leute, die
keine steuerliche Förderung in Anspruch nehmen wollen, Unterstützung finden.
({0})
Herr Trittin, Sie wollen sich als Retter des Gebäudesanierungsprogramms verkaufen. Man muss Sie einfach
entlarven: Wäre es nach Ihnen gegangen - das zeigt sich
an Ihrem Abstimmungsverhalten -, dann wäre das
Thema Gebäudesanierung im Bundestag schon längst
tot. Sie persönlich wollten dieses Gesetz nicht. Tun Sie
also heute nicht so, als könnten wir im Vermittlungsausschuss ein Ergebnis erzielen, das auch Sie unterstützen.
({1})
Sie persönlich haben dem Gebäudesanierungsprogramm
nicht zugestimmt. Liebe Frau Kressl, das gilt auch für
Sie.
({2})
Zu Ihrem Vortrag über das Verfahrensrecht kann ich nur
sagen: Der Vermittlungsausschuss ist nicht dazu da, damit Sie das, was Sie im Bundestag nicht durchsetzen
konnten, im Bundesrat durchsetzen.
({3})
Sie haben Ihre Position nicht halten können. Der Vermittlungsausschuss ist dazu da, einen Dissens zwischen
Bund und Ländern zu lösen.
({4})
Wenn dieser Dissens zu lösen wäre, dann würden wir
selbstverständlich den Vermittlungsausschuss anrufen.
({5})
Wir haben gestern Abend im Hinblick auf das Steuervereinfachungsgesetz einen Kompromiss zugunsten der
Bürgerinnen und Bürger gefunden. Gucken Sie sich die
Bundesratsbank doch einmal an! Dann sehen Sie, wie
groß das Interesse daran ist, einen Kompromiss zu finden.
Es kann nur zwei Gründe dafür gegeben haben, dass
die Länder diesem Verfahren nicht zugestimmt haben:
Der erste Grund könnte gewesen sein, dass sie nach den
Erfahrungen mit dem Steuervereinfachungsgesetz davon
ausgehen, dass dem Bund manche Maßnahmen so wichtig sind, dass er sie komplett alleine bezahlt. Die Gesamtkosten von 800 Millionen Euro schultern wir alleine. So viel haben wir uns das gestern Abend kosten
lassen.
Nein, liebe Länder und liebe Kollegen, das wird nicht
wieder passieren. Die Reduzierung des CO2-Ausstoßes
ist ein gesamtstaatlicher Konsens. Wir alle wollten das.
Es kann nicht sein, dass der Bund die Kosten ständig alleine trägt.
({6})
Herr Trittin, Sie haben mir vorgerechnet, wie die finanzielle Situation der Kommunen ist. Ich kann Ihnen
voll zustimmen. Aber der Bund hat keine Schätze auf
dem Bankkonto liegen, sodass er wieder einmal einspringen kann. Ich halte es auch für absolut unehrlich,
wenn Ministerpräsidenten der Länder, zum Beispiel Frau
Kraft, große Reden halten und sagen, wie wichtig die
Gebäudesanierung ist, und dann hinzufügen, dass wir
viel zu wenig Geld dafür ausgeben. Auf die Frage, wie
viel denn ihr Land dafür ausgibt, kommt dann die Antwort der Ministerpräsidentin: Wir haben kein Geld. Das
soll doch bitte der Bund alleine machen. - Das finde ich
einfach unehrlich.
({7})
Es gibt im Vermittlungsausschuss keine Chance für
dieses Gesetz. Sonst hätten die Länder den Vermittlungsausschuss angerufen. Sie haben es nicht getan.
Der zweite Grund, weshalb die Länder den Vermittlungsausschuss nicht angerufen haben, war vielleicht,
dass sie auf die Einhaltung der Schuldenbremse achten.
Ich finde, das ist ein sehr beachtenswertes Argument.
Das wird aber nichts daran ändern, dass wir nächste Woche noch einmal darüber sprechen werden.
Die Länder und der Bund müssen natürlich immer
überlegen, ob sie Geld für Subventionen ausgeben. Der
Bund hat das getan. Wir haben gesagt: Die energetische
Gebäudesanierung ist richtig. Wir können dadurch den
Umfang der CO2-Emissionen reduzieren. Wir haben dafür Mittel in den Haushalt eingestellt. Wenn die Länder
das Gleiche getan hätten, bräuchten wir kein Vermittlungsverfahren. Dann wären wir an dieser Stelle fertig.
({8})
Sie haben Ihren grünen Ministerpräsidenten gelobt.
Diesem Lob kann ich mich in einem Punkt anschließen:
Ich habe selten einen solch höflichen Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses wie den von Herrn
Kretschmann gelesen, der da lautet:
Der Bundesrat betrachtet es als wünschenswert,
dass das Gesetz zur steuerlichen Förderung von
energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden … im Vermittlungsausschuss beraten wird.
Auch wir empfinden das als wünschenswert.
({9})
Wünschenswert wäre aber auch, wenn in demselben Antrag von Herrn Kretschmann stünde: Ja, wir übernehmen
unseren Anteil an den Kosten für die Gebäudesanierung.
Das steht aber nicht drin.
({10})
Es gibt auch keine Initiative der Länder, von sich aus zu
sagen, dass sie ihren Anteil übernehmen.
({11})
Es gibt bei diesem Gesetz weder mit Ihnen im Deutschen Bundestag noch mit den Ländern im Bundesrat
eine Chance, im Vermittlungsverfahren zu einer positiven Abstimmung zu kommen, es sei denn, Herr Trittin da bin ich fröhlicher Erwartung -, dass Sie in den Haushaltsberatungen in der nächsten Woche einen Änderungsantrag mit dem Ziel einbringen, dass der Bund
auch noch für den Anteil, den die Länder nicht bezahlen
wollen, die Kosten übernimmt. Wenn Sie diesen Antrag
stellen, können wir weiterreden.
({12})
Ansonsten kann ich Ihnen nur sagen: Wir werden
wieder Gelegenheit haben, über energetische Gebäudesanierung zu sprechen. Denn meine Fraktion und die
FDP-Fraktion stehen zur Bereitstellung der Bundesmittel; wir werden unseren Anteil an der steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung, der bisher im
Gesetz gebunden war, zur Verfügung stellen. Über die
Art der Bereitstellung werden wir beraten: entweder
über die KfW oder über ein Zuschussprogramm. Dann
haben Sie im Bundestag erneut die Möglichkeit, sich
positiv zu positionieren.
({13})
Wir wollen steuerliche Begünstigungen bei der energetischen Gebäudesanierung. Wenn auch Sie sie wollen,
dann brauchen wir keinen Vermittlungsausschuss; dann
können wir es hier im Deutschen Bundestag beschließen. Ich bin sehr gespannt, ob Sie bis dahin Ihre Meinung ändern. Wir laden Sie ein, sich daran zu beteiligen.
Wir werden den Häuslebauern die Möglichkeit geben,
Gebäude mit steuerlicher Begünstigung zu sanieren.
Danke.
({14})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/6946 zur Anrufung des Vermittlungsausschusses
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
durch den Deutschen Bundestag. Wer stimmt für diesen
Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag bei Zustimmung durch alle Oppositionsfraktionen abgelehnt. Die Koalitionsfraktionen waren dagegen.
Zusatzpunkt 5. Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf
Drucksache 17/7022 mit dem Titel „Für die konsequente
Begleitung der Energiewende durch steuerliche Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz im Gebäudebereich“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen.
SPD und Linke haben dagegen gestimmt. Bündnis 90/
Die Grünen haben sich enthalten.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten
Jahresbericht 2010 ({1})
- Drucksachen 17/4400, 17/6170 Berichterstattung:
Abgeordnete Anita Schäfer ({2})
Christoph Schnurr
Paul Schäfer ({3})
Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, die
weiteren Diskussionen nach draußen zu verlegen, anstatt
sie in den hinteren Bankreihen zu führen.
Das Wort hat der Wehrbeauftragte, der Kollege
Hellmut Königshaus.
Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend den Jahresbericht 2010 und die
Stellungnahme des Ministers dazu. Ich will darauf im
Folgenden eingehen.
Ich freue mich ganz besonders, dass eine meiner Vorgängerinnen, Frau Claire Marienfeld-Czesla, heute mit
ihrem Gatten anwesend ist.
({4})
Ich freue mich immer, wenn wir die Kontinuität deutlich
machen können, in der dieses Amt steht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch einige Worte des Dankes voranstellen, zunächst natürlich
an unsere Soldatinnen und Soldaten gerichtet, insbesondere an diejenigen, die in unser aller Namen im Einsatz
sind und dafür Entbehrungen und Belastungen hinnehmen. An sie denke ich ebenso wie an ihre Angehörigen,
die diese Belastungen immer mittragen müssen.
Ich danke auch Ihnen, meine Damen und Herren Abgeordneten, insbesondere den Mitgliedern des Verteidigungs- und des Haushaltsausschusses. Sie haben meine
Hinweise stets konstruktiv aufgenommen und meine Arbeit immer mit Wohlwollen begleitet. Dafür danke ich
Ihnen. Weiterhin gilt mein Dank den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern in meinem Amt. Sie haben mich immer
großartig unterstützt. Mein Dank gilt natürlich auch dem
Minister und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
im Ministerium und in den nachgeordneten Bereichen.
Man muss hinzufügen: Trotz mancher Meinungsverschiedenheiten im Detail war die Zusammenarbeit meist
reibungslos und brachte letztlich für unsere Soldatinnen
und Soldaten gute Ergebnisse.
Nicht alle der im Jahresbericht angesprochenen Probleme sind gelöst. Welche Probleme noch immer bei Ausrüstung und Ausstattung bestehen, habe ich unlängst in
einem Zwischenbericht an den Verteidigungs- und an den
Haushaltsausschuss dargestellt. Teilweise stieß ich auf
Unverständnis. Darauf will ich eingehen. Was, wurde gelegentlich auch von Mitgliedern des Hohen Hauses gefragt, gehen Beschaffungsfragen eigentlich den Wehrbeauftragten an? Die Frage ist natürlich berechtigt; denn
was wann und in welchem Umfang beschafft werden soll,
ist schließlich zunächst eine politisch zu beantwortende
Frage. Das Ergebnis ist aber dann für den Wehrbeauftragten relevant, wenn Fähigkeitslücken sichtbar werden, die
unmittelbare Auswirkungen auf den Schutz und die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten haben. Das Grundgesetz hat in Art. 45 b dem Wehrbeauftragten - natürlich
nicht nur ihm, aber ausdrücklich auch ihm - den Schutz
der Grundrechte der Soldaten und ihrer Angehörigen
übertragen. Der Wehrbeauftragte kann und darf deshalb
nicht schweigen, wenn es darum geht, Mängel und Defizite anzusprechen, die den Schutz und die Sicherheit der
Soldaten beeinträchtigen.
Soldatinnen und Soldaten klagen mir gegenüber immer wieder über als Beschwichtigung empfundene Stellungnahmen militärischer Vorgesetzter. Hier fallen Einsatzrealität und deren Wahrnehmung im Ministerium
und in den Stäben oftmals auseinander. Ich bin dem
BundeswehrVerband und ganz besonders seinem Vorsitzenden, Oberst Kirsch, sehr dankbar, dass er meine Arbeit gerade deshalb nachdrücklich unterstützt.
In der Bundeswehr ist keineswegs alles schlecht, wie
mancher gelegentlich aus meinen Berichten herauszulesen scheint; keineswegs, vieles ist gut. Zu Recht weist
der Minister in seiner Stellungnahme auf zahlreiche Verbesserungen hin, die inzwischen erreicht wurden.
Gleichwohl gibt es nach wie vor erhebliche Defizite, die
sicherheitsrelevant sind. Das räumt das Ministerium in
seiner Stellungnahme ja auch ein. Ich will gerne bestätigen, dass an der Abstellung der meisten Mängel intensiv
gearbeitet wird. Ich denke aber, dass wir auch weiterhin
einen Meinungsaustausch darüber führen müssen - gelegentlich auch kontrovers -, was auch in Zeiten knapper
Kassen für die Bundeswehr und unsere Soldaten unbedingt einzufordern ist.
Dazu gehört auch der Bereich der Fürsorge, der Betreuung, der Versorgung. Erlauben Sie mir dazu einige
Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus
Anmerkungen. Die Soldatinnen und Soldaten haben einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch darauf,
sich aus allgemein zugänglichen Informationsquellen ungehindert zu unterrichten, wie jeder andere Staatsbürger
auch. Wenn nun in der Stellungnahme darauf abgehoben
wird, dies sei ebenso wie die Rechte aus Art. 6 des Grundgesetzes - Ehe und Familie - lediglich ein Schutzrecht,
aus dem kein Leistungsanspruch der Soldaten abzuleiten
sei, dann muss ich dem nachdrücklich widersprechen.
Dies greift bereits rechtlich aus meiner Sicht zu kurz: Der
Wille des Verfassungsgebers ist vor dem Hintergrund der
gesetzlichen Fürsorgepflicht nach dem Soldatengesetz so
auszulegen, dass jedenfalls die Betreuungskommunikation - auch durch Internet und Bildtelefonie - sowie der
Zugang zu den Medien durch den Dienstherrn auch im
Einsatz zu gewährleisten ist. Wer Soldaten dorthin
schickt, wo sie ansonsten keine Möglichkeit haben, sich
zu informieren, muss diese Informationsmöglichkeit gewährleisten.
({5})
Das ergibt sich klar aus der Fürsorgepflicht. Vor allem
aber haben die Soldaten und ihre Angehörigen kein Verständnis für juristische Spitzfindigkeiten. So empfinden
sie das, sagen sie mir. Solche Auffassungen sollen lediglich verdecken, dass zeitgemäße Kommunikationsversorgung natürlich Geld kostet und dem Dienstherrn
möglicherweise zu teuer ist. Deshalb bin ich dem Parlament und den zuständigen Ausschüssen sehr dankbar,
dass dort übergreifend die Auffassung vertreten wird,
dass wir im Bereich der Betreuungskommunikation etwas tun müssen. Herzlichen Dank dafür.
Zum Einsatz gehören heute leider auch Verwundung
und Tod, wie wir immer wieder sehr schmerzlich erfahren müssen. Soldatinnen und Soldaten verlieren im Einsatz ihr Leben, werden verwundet oder kehren traumatisiert aus dem Einsatz zurück. Das ist zum Glück nicht
die Regel, aber das hilft den dennoch Betroffenen natürlich nicht. Mit den berechtigten Ansprüchen der Betroffenen und ihrer Angehörigen umzugehen, das ist eine
der großen Herausforderungen, vor denen nicht nur das
Parlament, nicht nur die Regierung, sondern unsere Gesellschaft stehen.
Was wir im Parlament tun können, sollten wir tun. Mit
dem Einsatzversorgungs- und dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz hat der Gesetzgeber bereits ein erstes
deutliches Zeichen gesetzt. Auch die Streitkräfte haben
reagiert. Der Standard der medizinischen Versorgung im
Einsatz hat sich weiter verbessert. Mit der Einrichtung eines Traumazentrums, der Berufung eines PTBS-Beauftragten - ich verkürze das einmal - und der Schaffung
einer Ansprechstelle für Hinterbliebene und für Versorgungsempfänger sind wir bereits auf dem richtigen Weg.
Aber es bleibt noch eine lange Wegstrecke vor uns.
Andere Länder sehen die Fürsorge des Staates für
seine Soldatinnen und Soldaten nicht auf die Zeit zwischen dem Ein- und dem Austritt in die und aus der Armee begrenzt, sondern als eine lebenslange Verpflichtung. Das sollte auch unser Anspruch sein. Nehmen wir
uns ein Beispiel an den USA. Dort gibt es ein eigenes
Veteranenministerium, das sich um die ausgeschiedenen
Soldatinnen und Soldaten kümmert. Diesem steht ein
jährliches Budget von insgesamt 126,5 Milliarden
US-Dollar zur Verfügung; das ist etwa das Dreifache unseres gesamten Verteidigungshaushaltes. Das macht
deutlich, wie man dort Fürsorge sieht. Natürlich ist die
Anzahl der Veteranen dort größer. Gott sei Dank gibt es
bei uns noch nicht so viele, die wir versorgen müssen;
aber es macht deutlich, wo wir stehen.
Bevor ein ehemaliger Soldat überhaupt in die Betreuung durch das Veteranenministerium kommt, wird der
Dienstherr, wird die aktive Armee für ihn tätig. Ziel ist
es, wenn irgendmöglich, die Weiterbeschäftigung in den
Streitkräften zu ermöglichen, ähnlich wie wir es mit der
Weiterbeschäftigung anstreben. Allein der US-Army stehen dafür 900 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Es
freut mich sehr, Herr Minister, dass Sie sich für dieses
Thema besonders interessiert zeigen und dort etwas unternehmen wollen. Ich bin mir sicher, dass wir die Unterstützung dieses Hohen Hauses dafür bekommen werden.
In Kürze wird der Deutsche Bundestag über die Verbesserung der Einsatzversorgung beraten. Die im Entwurf der Bundesregierung vorgesehene Erhöhung verschiedener Leistungen und die Rückwirkung des
Gesetzes werden die Versorgung der Betroffenen deutlich verbessern. Allerdings fehlt dort insbesondere noch
die vom Bundestag fraktionsübergreifend angeregte Herabsetzung der Schwelle zur Erreichung eines Anspruchs
auf Weiterbeschäftigung von 50 Prozent Schädigung auf
30 Prozent. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass das Hohe Haus in diesem Punkt weitere Verbesserungen durchsetzen will. Ich möchte Sie ganz
nachdrücklich bitten, alle Energie hierfür aufzubringen.
Unsere Soldatinnen und Soldaten haben es verdient.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Thomas de
Maizière.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, lieber Herr
Königshaus! Wir diskutieren heute über Ihren Jahresbericht, Ihre Hinweise und Ihre Bemerkungen. Das Bundesministerium der Verteidigung und ich selbst sind Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Ihre
Arbeit ausdrücklich dankbar.
Es ist eine gute Tradition, in der Sie mit Ihrem Amt
stehen, eine Tradition, auf die auch unsere Verbündeten
mit Interesse schauen. Es liegt in der Natur der Sache,
dass die Jahresberichte des Wehrbeauftragten und seine
Zwischenberichte in erster Linie Mängellisten sind, so
wie Sie solche Mängel sehen. Es liegt natürlich auch in
der Natur der Sache, dass sich der Wehrbeauftragte und
das Bundesministerium der Verteidigung bzw. der Bundesminister der Verteidigung in der Bewertung nicht immer ganz einig sind; sonst bräuchte es Sie ja nicht, wenn
wir uns in der Bewertung immer einig wären.
({0})
Ich finde, das sollten wir offen aussprechen und mit diesen Meinungs- und Bewertungsunterschieden konstruktiv umgehen.
Die innere Verfassung der Bundeswehr, der Geist, der
in ihr herrscht, ist nach meiner Auffassung insgesamt
gut. Das gilt ungeachtet festgestellter Mängel und trotz
immenser Belastungen durch Auslandseinsätze und
Neuausrichtung. Die Bundeswehr wird nie ohne Mängel
sein; denn die Bundeswehr besteht aus Menschen. Zu
grundsätzlicher Kritik oder grundsätzlicher Besorgnis
über die innere Lage unserer Bundeswehr besteht kein
berechtigter Anlass.
Ich bin dankbar, dass der Wehrbeauftragte in seinem
Jahresbericht erneut darauf hingewiesen hat, dass unsere
Soldatinnen und Soldaten eine - ich zitiere - „für die
Gesellschaft unverzichtbare und viel zu wenig gewürdigte Aufgabe“ wahrnehmen. Für die meisten Menschen
in Deutschland sind die teils extremen Eindrücke und
Gewalterfahrungen, denen unsere Soldaten im Einsatz
ausgesetzt sind, kaum nachzuvollziehen. Das ist verständlich. Es ist kaum ein größerer Kontrast vorstellbar
als der zwischen mancher Einsatzrealität unserer Soldaten und unserem zivilen, weitestgehend gewaltfreien Leben in Deutschland. Zu dieser Einsatzrealität gehört
auch, dass es in Deutschland seit einigen Jahren wieder
Veteranen gibt, Veteranen der Bundeswehr. Ich bekenne
mich heute zu diesem Begriff. Die Bundeswehr ist eine
Armee im Einsatz. Wie andere Nationen sollten auch wir
deshalb von unseren Veteranen sprechen.
({1})
Junge Menschen werden sich nur dann für den Dienst
in der Bundeswehr entscheiden und im äußersten Fall ihr
Leben für unser Land und unsere Freiheit einsetzen,
wenn unsere Gesellschaft den soldatischen Dienst als
wertvoll, ja als ehrenhaft ansieht. Ich werde es daher zu
einem Schwerpunkt meiner künftigen Arbeit machen, in
der Bundeswehr eine Politik für den Umgang mit unseren Veteranen und ihre Versorgung zu formulieren und
auf den Weg zu bringen. Ich bin sehr froh, dass wir in
dieser Frage mit Ihnen völlig einig sind.
Der Bundesminister der Verteidigung ist hier natürlich besonders gefordert. Richtig ist aber auch: Die
ganze Gesellschaft ist hier gefordert. Es geht darum, sicherzustellen, dass unsere Streitkräfte, unser Staat und
unsere Gesellschaft denjenigen, die im Einsatz für unser
Land Opfer gebracht haben, die verdiente Fürsorge und
Anerkennung zukommen lassen. Der Platz der Bundeswehr ist in der Mitte unserer Gesellschaft. Die Bundeswehr wird ihren Beitrag dazu leisten, den Dienst in den
Streitkräften attraktiv zu gestalten und diejenigen, die in
Ausübung ihres Dienstes physisch oder psychisch zu
Schaden gekommen sind, angemessen zu versorgen. Finanzielle Anreize sind dabei wichtig - wir werden diese
Woche noch darüber diskutieren -, sie reichen aber nicht
aus. Hinzu kommen müssen Respekt und Wertschätzung
sowie attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Ich will eine Forderung aufgreifen, für die Sie werben: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier ist
schon einiges geschehen. Vieles muss noch besser werden. Perfekt kann es nie werden. Es liegt in der Natur der
Sache, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
nicht nur während der Einsatzzeit, sondern auch ohne
Einsatz in der Bundeswehr besonders schwierig zu organisieren ist. Aber: Wir wollen besser werden. Wir wollen
daran arbeiten.
Herr Königshaus, ich danke Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die zahlreichen Hinweise und Anregungen, die Sie gegeben haben. Ihr Bericht ist für uns Ansporn, nicht nachzulassen, die Fehler
abzustellen und dafür zu sorgen, dass die Bundeswehr
weiterhin in der Gesellschaft verankert ist. Dazu brauchen wir den guten Geist des Miteinanders, den Verzicht
auf unberechtigte Vorwürfe, das harte Nachgehen bei berechtigten Vorwürfen und ein gutes Miteinander in diesem Hohen Haus.
Vielen Dank.
({2})
Karin Evers-Meyer hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Auslandseinsätze, die Strukturreform, die
Frage nach einer Bundeswehr als attraktiver Arbeitgeber - das sind extreme Belastungen für die Bundeswehr
und vor allem für die Soldaten. Die Fachpolitiker der
Fraktionen wissen das. Wir begleiten diese Prozesse
nach Kräften.
Aber natürlich sind wir auch für Unterstützung dankbar. Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist eine solche Unterstützung. Im Namen meiner Fraktion danke ich
dem Wehrbeauftragten, Herrn Königshaus, und seinen
Mitarbeitern sehr für diese Arbeit.
({0})
Gerade das Jahr 2010 war für die Bundeswehr ein turbulentes Jahr: heftige Gefechte in Afghanistan mit toten
und verwundeten Soldaten, die Ankündigung einer tiefgreifenden Bundeswehrreform mit großen Einsparungen, die Aussetzung der Wehrpflicht mit all ihren Folgen
und nicht zuletzt der Fall „Gorch Fock“, der den Tod einer jungen Kadettin gefordert und die Bundeswehr und
vor allem die Marine Vertrauen gekostet hat, das mühsam zurückgewonnen werden muss. Das alles fällt in
den Berichtszeitraum.
Fast schon vergessen ist dabei der enorme Wirbel, den
der Fall zu Guttenberg rund um die Bundeswehr ausgelöst hat und auf den wir alle in Anbetracht der wirklich
drängenden Fragen hätten verzichten können.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der VerteidigungBundesminister Dr. Thomas de Maizière
Vor dem Hintergrund dieser komplexen Gemengelage
ist es eine durchaus mutige und konsequente Entscheidung des Wehrbeauftragten gewesen, sich in seinem Bericht 2010 auf drei Kernpunkte zu konzentrieren. Insoweit teile ich die Auffassung des Wehrbeauftragten, dass
neben der ganzen Aufregung eines absolute Priorität haben muss: Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen einen unabhängigen Ansprechpartner, an den sie sich mit
ihren Beschwerden und Hinweisen wenden können und
der dann dafür sorgt, dass die Kritik in geeigneter Form
gesammelt, ausgewertet und wirksam kommuniziert
wird. Das ist mit dem vorliegenden Bericht im Wesentlichen gelungen.
Es gibt aber auch Kritik, und zwar auch am Wehrbeauftragten selbst. Herr Königshaus, ich erinnere mich
noch sehr gut an Ihre Vorstellung bei uns in der Arbeitsgruppe. Sie wollten zukünftig immer zuerst das Parlament und vor allem den Verteidigungsausschuss informieren und erst dann die Medien. Wenn wir nun auf die
15 Monate Ihrer Amtszeit zurückblicken, dann müssen
wir sagen: Wir erfahren Alarmmeldungen immer häufiger aus der Presse. Das war bei der „Gorch Fock“ sowie
bei angeblichen Ausrüstungsmängeln in Afghanistan so,
und das betraf auch die Kritik an einzelnen Stützpunkten. Das ist nicht das, was Sie sich vorgenommen hatten,
als Sie Ihr Amt angetreten haben.
Im Wehrbeauftragtengesetz heißt es: Der Wehrbeauftragte informiert das Parlament. Die Regierung berichtet
dem Ausschuss und dem Parlament, nicht zuerst dem
Wehrbeauftragten. - Ich finde, da hat sich etwas eingeschlichen, wo man etwas sensibler sein muss; denn das
ist nicht das, was die Abgeordneten von ihrem Wehrbeauftragten und in der Reaktion letztlich von der Regierung erwarten.
({1})
Ich möchte ansonsten gar nicht weiter auf den Bericht
und die Stellungnahme des Ministers im Einzelnen eingehen. Das Ministerium hat sich wieder einmal bemüht,
auf alle Kritikpunkte detailliert einzugehen. Die Antworten überzeugen natürlich nur in Teilen; das ist bei der
Opposition ja üblich. Gut gelungen, so finden wir, ist der
Bericht im Bereich der Sanität.
Wir haben aber auch wesentliche Kritikpunkte. Gerade ist das Soldatenversorgungsgesetz angesprochen
worden. Man muss sagen, dass es der Regierung nicht
gelungen ist, auf den gemeinsamen Vorschlag der Fraktionen einzugehen. Das vermissen wir. Zwar sagten Sie
gerade, das alles sei gut geregelt. Aber ich meine, da hat
die Regierung noch einen gewaltigen Nachholbedarf.
({2})
Ein anderes Thema ist die ewige Sorge um die Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Die Antworten, die
gegeben werden, helfen niemandem weiter. Ich nenne
einmal ein Beispiel:
Der Wehrbeauftragte kritisiert in seinem Bericht, dass
viele Soldatinnen und Soldaten deutlich länger als vier
Monate im Einsatz sind - vor allen Dingen in Afghanistan. Das ist eine Klage, die nicht nur der Wehrbeauftragte regelmäßig zu hören bekommt, sondern das bekommen auch alle Kolleginnen und Kollegen bei den
Besuchen in den Standorten regelmäßig zu hören. Was
das für die Soldaten und vor allem für die Familien bedeutet, haben wir in diesem Hause ja auch schon ausführlich besprochen. Das erspare ich mir hier.
Mehr als ärgerlich finde ich aber die Reaktion des
Ministeriums. Da ist dann wieder nur von Einzelfällen
und davon die Rede, dass es sich bei manchen Gruppen,
wie Spezialisten, nicht vermeiden lässt, dass der Auslandseinsatz länger dauert. Ich finde, diese Antwort ist
ärgerlich, weil unsere Erfahrung und die der Soldatinnen
und Soldaten und vor allen Dingen die der Angehörigen
ganz anders ist. Mittlerweile gehen ganze Einsatzkontingente mit der Ansage nach Afghanistan, dass sie auf jeden Fall sechs Monate lang da bleiben müssen. Von einer Ausnahme kann hier nicht die Rede sein. Vor diesem
Hintergrund finde ich die Aussage des Ministeriums ein
bisschen unehrlich. Die Realität sieht anders aus; das
wissen wir.
Das wird ja auch denjenigen berichtet, die sich für die
Arbeit bei der Bundeswehr interessieren. Daran sollte
man auch denken, wenn man die Bundeswehr zu einem
attraktiven Arbeitgeber machen will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe,
dass die Bundesregierung die Kraft findet, die anstehenden Reformen kraftvoll und konsequent zu gestalten. Es
steht ein Kraftakt bevor. Die Soldaten und Zivilbeschäftigten schauen in diesen Wochen gebannt darauf, was die
Bundesregierung tut. Ich wünsche Ihnen Erfolg, weil es
um diese Menschen und um die Zukunft der Bundeswehr insgesamt geht.
Vielen Dank.
({3})
Der Kollege Christoph Schnurr hat das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Herr Wehrbeauftragter, zu Beginn möchte
ich Ihnen noch einmal für den Bericht danken. Es ist immer gut, wenn ausführlich über den Zustand der Truppe
und auch über einzelne Mängel berichtet wird. An dieser
Stelle danke ich insbesondere auch dem Ministerium,
das, wie ich glaube, sehr detailliert auf die Fragen geantwortet hat, welche Mängel noch vorhanden sind und
welche Mängel schon abgestellt wurden; denn es gehört
auch dazu, dass man das offen anspricht.
Die Institution des Wehrbeauftragten ist wichtig; das
ist schon angeklungen. Sie ist im Grundgesetz verankert.
Das Amt ist ein Hilfsorgan des Parlamentes. Ich glaube,
dass es nicht nur wichtig für uns ist, damit wir unsere
Aufgabe wahrnehmen können, sondern sicherlich auch
für die Soldatinnen und Soldaten und für einen großen
Teil der Öffentlichkeit, die so von der Arbeit der Bundeswehr und dem Zustand der Truppe erfahren kann.
Frau Evers-Meyer, Sie sagen, dass die Arbeit des
Wehrbeauftragten gut und wichtig ist. Gleichzeitig haben Sie aber das Gefühl, dass Informationen des Wehrbeauftragten an die Presse gelangen.
({0})
- Zuerst an die Presse, bevor sie an den Ausschuss gelangen: Das ist der entscheidende Punkt. - Damit begeben Sie sich natürlich auf sehr dünnes Eis, weil Sie - das
glaube ich zumindest - nicht wissen, wie es tatsächlich
gewesen ist. Die Frage ist doch, von wem die Informationen, die beispielsweise in einem Schriftwechsel zwischen der Dienststelle des Wehrbeauftragten und dem
BMVg oder aber auch dem Ausschuss oder einzelnen
Abgeordneten ausgetauscht werden, an die Presse gegeben werden.
Ich glaube, es ist notwendig und richtig, dass die einzelnen Organisationen, Mitarbeiter und Abgeordneten,
die sich mit dem Themenkomplex beschäftigen, auch
vertrauliche Informationen austauschen können. Deswegen haben wir ja auch eine Geheimschutzordnung. Wir
wissen aus anderen Fällen, beispielsweise aus dem Untersuchungsausschuss, dass immer wieder Informationen
durchsickern. Das ist sehr ärgerlich und macht die Sache
nicht besser. Deswegen muss auch an dieser Stelle nachgearbeitet und nachgebessert werden.
Der Wehrbeauftragte hat ganz klar festgestellt, dass es
unterschiedliche Missstände gegeben hat, aber dass das
Ministerium diese abgestellt hat. Über 5 000 Eingaben
sind in dem Berichtszeitraum beim Wehrbeauftragten
eingegangen. Drei Schwerpunkte hat er daraus gebildet:
die Problematik des Sanitätsdienstes, die Herausforderung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst und natürlich die Situation in den Auslandseinsätzen und die
damit verbundene Frage nach der Ausrüstung und Ausbildung.
Bei den Gesprächen mit den Soldatinnen und Soldaten, ob in Deutschland oder in den Einsätzen, ist uns,
glaube ich, immer wieder bewusst geworden, welche
hohe Relevanz die Betreuungskommunikation der Soldaten mit ihren Familien und ihrem sozialen Umfeld in
Deutschland hat. Die Soldaten wollen per Post, per
E-Mail, telefonisch, per SMS oder auch per Internettelefonie mit ihrem sozialen Umfeld Kontakt aufnehmen.
Dass dieser Wunsch erfüllt wird, sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten schuldig.
({1})
Es gibt hierfür auch einen neuen Anbieter, Astrium. Eine
erste Evaluierung dieses Angebots wird vom Ministerium bald vorgelegt werden. Dann müssen wir sehen,
wie wir damit weiter umgehen.
Eines steht schon fest: Die Kosten für die Soldaten
sind gesunken. Eine bessere technische Anbindung ist
möglich geworden, auch weil die Videotelefonie zur
Verfügung steht. Es ist zu begrüßen, dass der Deutsche
Bundestag jedem Soldaten und jeder Soldatin 30 Freiminuten zur Verfügung gestellt hat, die er bzw. sie nutzen
kann, um nach Deutschland zu telefonieren. Diese Verbesserungen werden positiv aufgenommen.
Der gesamte Themenkomplex der Vereinbarkeit von
Familie und Dienst ist auch in puncto Attraktivität der
Bundeswehr und Nachwuchsgewinnung wichtig. Gerade
hier stehen wir natürlich vor Herausforderungen, wenn
wir auch weiterhin für die Bundeswehr Nachwuchs gewinnen wollen. Eines ist klar: Die Bundeswehr ist ein attraktiver Arbeitgeber. Aber wir müssen kontinuierlich
daran arbeiten, sie noch attraktiver zu machen.
({2})
Das Ministerium hat Anfang des Jahres einen Maßnahmenkatalog vorgelegt. Weitere Maßnahmen werden
folgen. Wir alle sind aufgerufen, uns damit konstruktivkritisch auseinanderzusetzen und uns einzubringen. Eines dürfte aber klar sein: Es wird nicht möglich sein,
dass jede einzelne Maßnahme von heute auf morgen umgesetzt wird, sondern auch dies wird ein längerer Prozess sein. Aber der Weg, der hier eingeschlagen wird, ist
richtig.
Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere.
Soldaten können in gefährliche, ja, wie wir alle schmerzlich erleben mussten, in lebensgefährliche Einsätze befohlen werden, entsendet von uns, dem Deutschen Bundestag. Die Bundeswehr ist nunmehr seit zehn Jahren in
Afghanistan. Wie gefährlich dieser Einsatz ist, das wissen wir alle. Ja, es gibt keinen hundertprozentigen
Schutz, den kann es nie geben. Aber wir müssen dafür
Sorge tragen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten die
bestmögliche Ausbildung und Ausrüstung für ihren sehr
schwierigen Einsatz erhalten.
({3})
Wir alle wissen, dass es auch in der Frage der Ausrüstung noch Verbesserungsbedarf gibt. Aber angesichts der
Zahl von momentan über 1 000 geschützten Fahrzeugen
in Afghanistan können wir sagen: So viele hatten wir vor
Ort noch nie, und das ist auch richtig so.
({4})
Meine Redezeit geht zu Ende. Herr Minister, ich
möchte Ihnen für eine Sache ganz ausdrücklich danken,
nämlich dass Sie heute von diesem Pult aus das erste
Mal von „Veteranen“ gesprochen haben. Es ist ein Quantensprung, dass wir ganz offen mit dem Zustand umgehen, dass wir nicht nur unsere Soldatinnen und Soldaten
in Auslandseinsätze entsenden, dass wir uns nicht nur
gemeinsam darum kümmern, wenn Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen nach ihrem Einsatz
im Ausland zurückkommen, sondern dass wir uns auch
offen der Herausforderung stellen, dass es Veteranen
gibt. Das ist nicht zu tabuisieren, das haben Sie nicht getan. Ganz im Gegenteil: Sie haben das ganz offensiv aufgenommen. Seien Sie sich der Unterstützung der Koalition in dieser Frage gewiss.
({5})
Die Soldaten machen einen schwierigen Job, der in
der Öffentlichkeit leider oft nicht anerkannt wird. Das ist
sehr bedauerlich. Deswegen darf ich von dieser Stelle all
unseren Soldatinnen und Soldaten, den zivilen Beschäftigten und natürlich auch den Reservisten, aber auch
ganz bewusst den Familien, die das soziale Umfeld ausmachen, ein herzliches Dankeschön ausrichten. Ihnen allen gilt unsere Anerkennung.
Vielen Dank.
({6})
Der Kollege Paul Schäfer hat jetzt für die Fraktion
Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Wehrbeauftragte ist eine Art Kummerkasten der Soldaten. Deshalb diskutieren wir folgerichtig über die Versorgung von im Einsatz Verwundeten und Traumatisierten sowie über die Vereinbarkeit von Dienst und Familie.
All das ist in Ordnung.
Wir haben es mit dem Phänomen zu tun, dass viele
der im Bericht angesprochenen Defizite hinlänglich bekannt sind. Das heißt, sie wiederholen sich immer, ob es
das Fehlverhalten von Vorgesetzten ist, Versäumnisse
bei der Fürsorge für die Soldatinnen und Soldaten, Überlastung in den Einsätzen oder - der Klassiker schlechthin die ausgebliebene Neufassung des Haar- und Barterlasses. Ich fürchte nur, dass sich daran wenig ändern wird.
Das hat meines Erachtens sehr viel damit zu tun, dass
den Belangen der Armee im Einsatz von der politischen
und militärischen Führung der Streitkräfte alles untergeordnet wird. Davon ist die Tagesordnung bestimmt.
Das führt mich zu dem Punkt, den ich ansprechen
möchte. Der Originalauftrag des Wehrbeauftragten laut
Grundgesetz heißt: Schutz der Grundrechte und Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte. - Das ist der Punkt.
Dass hier die parlamentarische Kontrolle herausgehoben
wird, hat natürlich etwas mit der Besonderheit von Armeen und mit der leidvollen deutschen Wehrmachtsgeschichte zu tun. Aus deren Aufarbeitung ist das neue
Leitbild Staatsbürger in Uniform entwickelt worden.
Dieser Staatsbürger in Uniform sollte in seinem Handeln
strikt an Recht und Gesetz gebunden sein. Er sollte dafür
auch die Gesetze und das Völkerrecht kennen. Er
braucht eine ethisch-normative Grundbildung, um eigenständig, verantwortungsbewusst handeln zu können. Er
braucht Einspruchs- und Widerspruchsrechte. Er muss
über seine Rechte Bescheid wissen, und die innere Verfasstheit der Streitkräfte darf sich nicht nur nach dem
Befehl-und-Gehorsam-Prinzip richten, sondern es muss,
soweit es geht, demokratisch zugehen. Ich denke, dass
dieses Leitbild durch die forcierte Ausrichtung der Bundeswehr auf eine Armee im Einsatz in Gefahr gerät. Es
besteht die Gefahr, dass dieses Leitbild ausgehöhlt wird.
Hier liegt unsere Kontrollpflicht und auch die des Wehrbeauftragten.
Was müsste geschehen?
Erstens. Es geht um Einstellungen und Sensibilitäten.
Spätestens der 4. September 2009 - Bombardierungsbefehl in Kunduz - und der Umgang damit haben gezeigt,
dass wir Dinge kritisch prüfen müssen. Hier geht es um
die Sensibilisierung von Soldatinnen und Soldaten. Es
kann auf keinen Fall angehen, dass man bestimmte
Dinge über die ethisch-moralischen Grundprinzipien
stellt, weil man fürchtet, dass die Kampfmoral, die
Wehrmoral zusammenbrechen. Das darf nicht sein.
Zweitens. Es bedeutet, sorgfältiger auf das Verhältnis
von militärisch-taktischer Ausbildung und allgemeiner
Bildung zu achten. Es läuft doch etwas schief, wenn
politische Bildung nach Nachtmärschen stattfindet - das
kommt immer noch vor -, wenn die Soldatinnen und
Soldaten also kaum mehr aufnahmefähig sind. Es läuft
ebenfalls etwas schief, wenn sich Lehrkräfte der Führungsakademie der Bundeswehr bitter darüber beklagen,
dass der Bereich ethisch-normative Bildung immer mehr
ausgedünnt wird, weil man sagt: Das brauchen wir unter
den Bedingungen einer Einsatzarmee gar nicht mehr. Ich finde, da muss viel geschehen. Es wäre gut, wenn
sich die Bundeswehr bei der Vermittlung der ethischen
Grundlagen noch mehr für zivile Expertinnen und Experten öffnen würde. Die Militärseelsorge kann und
sollte das nicht leisten.
Drittens. Schließlich ist es eine bleibende Aufgabe,
genau hinzuschauen, wenn es um sogenannte Rituale
oder andere Dinge geht, mit denen ein bestimmter
Korpsgeist ausgebildet werden soll, auch weil es dabei
darum geht, den Soldaten als Kämpfer zu formen. Das
gilt auf geistiger Ebene auch für falsche Traditionspflege. Hier ist parlamentarische Kontrolle Pflicht. Das
ist auch eine Aufgabe des Wehrbeauftragten.
({0})
Viertens. Es geht darum, die weitere Demokratisierung der Streitkräfte zu fördern. Demnächst werden wir
über die Neufassung von Beteiligungsrechten reden. Es
geht aber auch um die Einbindung der Soldatinnen und
Soldaten in die Bundeswehrreform und um neue Wege
bei der Gewinnung von Führungspersonal. Da gibt es
viele Dinge, die man ändern kann.
Der Hinweis des Wehrbeauftragten, das alles gehöre
zum Alltag seiner Dienststelle, ist gut und richtig. Sie,
Herr Königshaus, machen eine gute Arbeit. An dieser
Stelle einen recht herzlichen Dank an Sie und an alle
Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
({1})
Sie machen wirklich einen guten Job, gar keine Frage.
Beispiele: „Gorch Fock“, Schießunfälle in Afghanistan
usw. Da haben Sie zeitnah berichtet und haben sich
furchtlos mit der Regierung angelegt. Genau das ist Ihre
Aufgabe, die des Wehrbeauftragten. Ich bleibe dabei:
Wir müssen weiterhin auch über die Schwerpunkte Ihrer
Amtsführung reden. Dazu gehört meines Erachtens der
Paul Schäfer ({2})
Bereich Innere Führung. Er darf nicht vernachlässigt
werden.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat Omid Nouripour für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Wehrbeauftragte ist eine Institution, die ein Pulsmesser
für die Belange der Bundeswehr ist. Um diese Institution
des Deutschen Bundestages beneiden uns viele Länder
auf der Welt. Für die gründliche Arbeit dieser Institution,
die seit Jahren gemacht wird, und natürlich auch für den
sehr gründlichen Bericht, den Sie auch dieses Jahr vorgelegt haben, Herr Königshaus, möchte ich Ihnen und
Ihrem Stab herzlich danken.
({0})
An dieser Stelle ist es wichtig, auch zu schauen, wie
die Bundesregierung mit den analysierten Defiziten umgeht. Ich halte eine Formulierung wie „wandelnde Defizitanalyse“ nicht unbedingt für ein Zeichen von Respekt
und dafür, dass die Arbeit des Wehrbeauftragten ernst
genommen wird. Vor allem ist wichtig - ich glaube, dieses Zitat kennen alle hier und können es auch richtig zuweisen -, was hinten rauskommt.
Natürlich ist es erlaubt, die Arbeit des Wehrbeauftragten zu kritisieren. Ich habe ebenfalls Kritik an Ihrer Arbeit; das wissen Sie auch. Ich finde, an der einen oder
anderen Stelle könnte es ein bisschen weniger technisch
sein oder auch ein bisschen weniger schnell gehen.
Wichtig ist aber, dass das, was ausgearbeitet wird, ernst
genommen und Punkt für Punkt behandelt wird. Hinten
kommt aber an einigen Stellen seit einigen Jahren nichts
raus. Ich möchte zwei Beispiele nennen.
Die Betreuungskommunikation für die Soldaten im
Einsatz ist mehrfach genannt worden. Es ist nicht erträglich, dass im zehnten Jahr des Einsatzes der Bundeswehr
in Afghanistan Bundeswehrangehörige nicht per Video
mit ihren Familiengehörigen nach Hause kommunizieren können. Das ist auch deswegen indiskutabel, weil es
Anfang des Jahres den Skandal gegeben hat, dass sehr
persönliche Briefe geöffnet worden sind. Bis heute gibt
es keine Antwort darauf, wie das passiert ist. In diesem
Umfeld ist das Skypen von besonderer Bedeutung für
die Soldaten, aber es funktioniert auch im zehnten Jahr
noch nicht. Wir sehen aber seit Jahren, dass die Australier, Österreicher und Amerikaner das hinbekommen.
Sogar deutsche Polizisten im selben Feldlager, Wand an
Wand mit den deutschen Soldaten, können skypen. Aber
die deutschen Soldaten können das nicht.
({1})
- Welche Regierung hat denn den jetzigen Vertrag abgeschlossen, mit dem es immer noch nicht geht? Das ist die
zentrale Frage.
({2})
Der Mangel ist schon länger bekannt. Damit haben Sie
recht. Aber im Wissen um den Mangel einen neuen Vertrag abzuschließen, mit dem es immer noch nicht funktioniert, ist ein Skandal. Wichtig ist, wie gesagt, was hinten rauskommt: Es funktioniert nicht.
Zweites Beispiel. Das ist nicht der erste Bericht des
Wehrbeauftragten, in dem Führungsversagen, mangelhaftes Führungsverhalten, Defizite bei der Dienstaufsicht, auch aufgrund der Unerfahrenheit von Vorgesetzten, und vor allem mangelndes Unrechtsbewusstsein
festgestellt werden. Das sind sehr ernst zu nehmende
Punkte, die man nicht einfach beiseiteschieben kann, vor
allem nicht bei einer Armee im Umbruch hin zu einer
Freiwilligenarmee, die auf dem Arbeitsmarkt mit zivilen
Konkurrenten um Nachwuchs werben muss. Schließlich
muss man - damit hat Herr Schäfer völlig recht - mit
diesem Personal die Innere Führung, das Prinzip des
Staatsbürgers in Uniform nicht nur aufrechterhalten,
sondern auch weiterentwickeln und vertiefen. Auch dabei ist festzustellen - das ist alles nicht neu -: Hinten
kommt nicht sehr viel raus. Das ist ein großes Problem
für die Bundeswehr im Umbruch.
Die dafür notwendige Klarheit fehlt. Das ist das Problem. Herr Minister, Sie haben gestern ein Papier vorgelegt; „Sachstand“ heißt es in der Überschrift. Nach der
Lektüre meine ich, „Vertagen“ wäre für die Überschrift
besser geeignet. Die Klarheit ist in sehr vielen Bereichen
nicht gegeben. Die größtmögliche Bundeswehrreform
aller Zeiten wird immer kleiner und immer mehr zum
Stückwerk. Dass die Verunsicherung in der Truppe immer größer wird, ist kein Wunder. Man kann nur froh
sein, dass die Soldatinnen und Soldaten wenigstens einen Wehrbeauftragten haben, an den sie sich im konkreten Fall wenden können.
Herzlichen Dank.
({3})
Die Kollegin Anita Schäfer hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter!
Lassen Sie mich in meinen Anmerkungen zunächst auf
die besondere Situation eingehen, in der sich die Bundeswehr derzeit befindet, eine Situation, die mit Fug und
Recht durchaus als historisch bezeichnet werden kann.
Zum 1. Juli ist das Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 in
Kraft getreten. Damit wurde fast auf den Tag genau nach
55 Jahren die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt, die seit
Anita Schäfer ({0})
Anbeginn die Grundlage der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland war.
Wir sind mit dieser Wehrform gut gefahren, die den
Sicherheitserfordernissen während des Kalten Krieges
gerecht wurde und die gemeinsam mit den Konzepten
der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform
die Bundeswehr zu einem untrennbaren Teil unserer demokratischen Gesellschaft gemacht hat. Letzteres soll
und wird sich auch durch den Übergang zu einer reinen
Freiwilligenarmee nicht ändern.
Ich möchte an dieser Stelle den Millionen Wehrpflichtigen danken, die in den vergangenen Jahrzehnten
ihren Dienst für die Sicherheit Deutschlands geleistet haben.
Wie gut der Übergang zur Freiwilligenarmee gelingt,
wird wesentlich von der öffentlichen Wahrnehmung des
Dienstes bei der Bundeswehr abhängen. Wir sind zuversichtlich, diesen zukünftig noch attraktiver gestalten zu
können, als er bereits ist. Hierzu wird die Koalition im
Rahmen der Reform schon bald weitgehende Maßnahmen umsetzen. Darüber hinaus muss dieser Dienst noch
stärker als bisher als Ehrendienst wahrgenommen werden, nicht als Beruf wie jeder andere mit guten materiellen Bedingungen, sondern als Engagement für die
Sicherheit unseres Landes, das eine bewusste Entscheidung zur Inkaufnahme persönlicher Risiken erfordert.
Wir brauchen gewissermaßen sowohl eine äußere als
auch eine innere, eine materielle und eine wertegebundene Attraktivität des Dienstes. Nur dann werden wir
auch in Zukunft den qualifizierten Nachwuchs für die
Freiwilligenarmee Bundeswehr gewinnen, der die Wehrpflichtarmee Bundeswehr ausgezeichnet hat.
Unsere Aufmerksamkeit muss jetzt darauf gerichtet
sein, möglichst viele noch dienende Soldaten, insbesondere Mannschaftsdienstgrade, für den weiteren Dienst zu
gewinnen. Mir ist von vielen Mannschaften berichtet
worden, die gerne die geplanten längeren Verpflichtungszeiten nutzen würden, aber nach den jetzigen Regeln in den nächsten Monaten ausscheiden müssten. Das
gilt gerade für einsatzerfahrene Soldaten. Es ist wichtig,
jetzt rasch die Grundlagen zu schaffen, damit diese
wunschgemäß weiter bei der Truppe dienen können und
der Bundeswehr damit dieses Potenzial erhalten bleibt.
Hinsichtlich der Auslandseinsätze können wir erneut
konstatieren, dass sich die Ausrüstungssituation laufend
verbessert. So ist die früher stets kritisierte Ausstattung
mit geschützten Fahrzeugen und Bewaffnung in Afghanistan mittlerweile zufriedenstellend. Wir haben aber vor
einiger Zeit erst wieder erfahren müssen, dass selbst das
bestgeschützte Fahrzeug, etwa der Schützenpanzer Marder A5, keine vollständige Sicherheit vor Tod und Verwundung bedeutet. Insbesondere müssen daher die Aufklärungsmöglichkeiten weiter verbessert werden, damit
es erst gar nicht zu Anschlägen kommt.
Der Jahresbericht hat erneut auf das Problem der
Route Clearance zur Beseitigung versteckter Ladungen
hingewiesen. Ein Kommandeur im Einsatz hat mir vor
kurzem gesagt: Gut wäre es, wenn ein Soldat noch im
selben Kontingent sieht, dass ein erkannter Mangel im
Rahmen des einsatzbedingten Sofortbedarfs abgestellt
wird. - Das wäre ein ehrgeiziger Anspruch. Zumindest
bei komplexen Systemen wie etwa denen zur Route
Clearance werden wir das in der Realität wohl nicht
schaffen; denn Tatsache ist, dass die Produktionskapazitäten für diese Spezialfahrzeuge beschränkt sind, selbst
wenn wir marktverfügbare Kauflösungen wählen, wie es
ja in diesem Fall geschieht. Bis Ende dieses Jahres soll
bekanntlich ein Interimssystem im Einsatz sein. Die dafür nötige Zeit hängt allerdings nicht vom politischen
Handeln ab, sondern von der Lieferfähigkeit der Industrie. Bis dahin werden die deutschen Kräfte weiterhin im
Rahmen des Möglichen durch Fähigkeiten unserer amerikanischen Verbündeten unterstützt.
Aktuell haben wir aber bereits zwei andere für die
Soldaten im Einsatz wesentliche Punkte verbessert bzw.
stehen wir dabei kurz vor dem Abschluss. Das ist zum
einen die Kommunikation mit den Familien durch den
Vertrag mit einem neuen Dienstleister. Die in meiner
letzten Rede angesprochenen Fortschritte gegenüber
dem bisherigen Zustand sind mittlerweile praktisch umgesetzt.
Noch wichtiger ist aber die bevorstehende Änderung
des Einsatzversorgungsgesetzes. Damit werden wir die
Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen für einsatzversehrte Soldaten verdoppeln. Hinterbliebene von getöteten Zeitsoldaten werden in der Versorgung nunmehr
denen von Berufssoldaten gleichgestellt. Es wird endlich
möglich, die Ausgleichszahlungen beim Ausfall privater
Lebensversicherungen durch sogenannte Kriegsklauseln
an juristische Personen zu leisten, was wichtig ist, wenn
Ansprüche aus solchen Lebensversicherungen etwa zur
Finanzierung des Wohnungsbaus an eine Bank abgetreten worden sind.
Zudem wird das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz
künftig auch Einsatzunfälle ab 1992 - bisher war der
Stichtag der 1. Dezember 2002 - erfassen, sodass auch
Betroffene aus früheren Einsätzen, aus Einsätzen vor
Afghanistan, die Möglichkeit eines weiteren sicheren
Lebensunterhalts bei der Bundeswehr haben. Die Gesetzesänderung wird noch einige weitere Neuregelungen
umfassen, die unseren Soldaten eine größere Gewissheit
geben, dass im Fall des Falles für sie und ihre Familien
gesorgt ist. Den damit erreichten Stand müssen wir auch
künftig darauf kontrollieren, ob weitere Anpassungen an
die Lebens- und Einsatzrealitäten nötig und möglich
sind, damit das Risiko unserer Soldaten, die in den von
uns mandatierten Einsätzen Leib und Leben für die Sicherheit Deutschlands aufs Spiel setzen, so gut wie menschenmöglich abgedeckt ist. Dafür müssen wir alle hier
im Deutschen Bundestag weiterhin Sorge tragen.
Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, Ihnen und Ihren
Mitarbeitern danke ich ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit und den gründlichen Bericht.
Nun, meine Damen und Herren, ich bin die letzte
Rednerin vor dem Papst
({1})
Anita Schäfer ({2})
und bin gespannt auf die sicher nachdenkliche, aber auch
frohe Botschaft, die uns Seine Heiligkeit übermitteln
wird. Ich jedenfalls freue mich darauf sehr.
Herzlichen Dank.
({3})
Sie vergessen dabei, dass Sie nicht die Rolle des Bundestagspräsidenten übernehmen werden, der den Papst
nachher begrüßen wird, bevor er zu Wort kommt.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zum Jahresbericht 2010 des Wehrbeauftragten; das sind die Drucksachen 17/4400 und
17/6170. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 23. September 2011,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.