Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2012 ({0})
- Drucksache 17/6600 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2011 bis 2015
- Drucksache 17/6601 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache
eine Redezeit von dreieinhalb Stunden beschlossen.
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12.
Als erster Redner hat das Wort der Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer.
({1})
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass
verlässliche Rahmenbedingungen für eine wachstumsfreundliche Politik und für einen soliden Bundeshaushalt
genau das sind, was die deutsche Öffentlichkeit von uns
erwartet.
({0})
Wenn wir die Politik im Bereich dessen betrachten,
was wir heute diskutieren, dann kann man, glaube ich,
sagen: Darauf können sich die Menschen in unserem
Lande auch verlassen.
({1})
- Sie von der SPD-Opposition kommen mir gerade
recht. Das soll auch gleich eine Warnung an die anderen
Oppositionsfraktionen für den Fall sein, dass sie groß tönen.
({2})
Ich habe mit großem Interesse gelesen, was Sie vor wenigen Tagen, am vergangenen Montag, unter der Überschrift „Nationaler Pakt für Bildung und Entschuldung.
Wir denken an morgen!“ großspurig verkündet haben.
Es gibt auch ein Kapitel „Die Situation der öffentlichen
Infrastruktur in Deutschland“. Das habe ich mir vorrangig vorgenommen. Darin kommen die Wörter „Bauwirtschaft“ oder „Verkehr“ überhaupt nicht vor. Dazu kann
ich nur sagen: Thema verfehlt.
({3})
Verlässlichkeit gilt gerade in den Schlüsselbereichen
Bauen, Wohnen und Mobilität - drei Bereiche, die für
die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes von herausragender Bedeutung sind - und auch für jeden Einzelnen in unserem Lande. Ich glaube, diese Verlässlichkeit liefern wir, wie ich gerne darstellen möchte, ohne
alle einzelnen Facetten dieses großen Bereichs so darstellen zu können, wie es erforderlich wäre. Aber dazu
haben wir in den kommenden Wochen und Monaten bei
den Etatberatungen in den Ausschüssen die notwendige
Zeit.
Der Gebäudebereich kann, muss und wird einen erheblichen strukturellen Beitrag leisten, wenn es um die
Bewältigung der Energiewende in unserem Lande geht.
Redetext
Wir investieren Milliardenbeträge, um all die Potenziale
zu heben, die im Gebäudebereich schlummern,
({4})
um zu mehr Energieeffizienz zu kommen.
({5})
Die Mittel für die bewährten KfW-Programme, die in
den ersten Jahren seit 2006 ein Volumen von rund 1 Milliarde Euro hatten und in den drei Jahren der Konjunkturpakete im Durchschnitt auf 1,5 Milliarden Euro erhöht worden sind - von den Vorzieheffekten abgesehen -,
werden wir bis 2015 auf dieselbe Summe wie im Zeitraum der Konjunkturpakete erhöhen. Das heißt, es bleibt
bei den 1,5 Milliarden Euro. Das ist ein verlässlicher
Beitrag der Politik zu dem, was die Bürger in Sachen
Förderung der Energieeffizienz erwarten.
({6})
Ich bedaure sehr, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen zur steuerlichen
Förderung der energetischen Gebäudesanierung von den
Ländern abgelehnt wurde. Ich kann an die Länder, von
denen viele in SPD-Hand gefallen sind,
({7})
nur appellieren, verhandlungsbereit zu sein.
({8})
Denn wir waren uns in den Gesprächen mit den
Ministerpräsidenten im Kanzleramt - ich war an all diesen Gesprächen stets beteiligt - immer einig, dass es
nicht allein Aufgabe des Bundes sein kann, Geld dafür
zur Verfügung zu stellen, sondern dass alle Körperschaften der öffentlichen Hand in Deutschland hier gefordert
sind, mithin auch die Länder. Ich appelliere an die Länder, sich einer Beteiligung bei der steuerlichen Förderung bitte schön nicht zu versagen.
({9})
Zum Bereich der Städtebaupolitik und Stadtentwicklung kann ich mich sehr kurz fassen.
({10})
- Sie wissen aber nicht, warum, weil Sie offensichtlich
nicht hier waren. - Wir hatten erst vor wenigen Wochen
zum 40-jährigen Jubiläum der Stadtentwicklungspolitik
und Städtebauförderung eine mehrstündige Debatte hier
im Haus. Damals wurden die wesentlichen Fakten dargelegt. Meine Kernbotschaft lautet jedenfalls: Der Bund
bleibt ein verlässlicher Partner bei der Städtebauförderung.
({11})
Wir werden in den nächsten Jahren 410 Millionen
Euro für die Städtebauförderung bereitstellen.
({12})
Es kommt aber noch etwas Neues hinzu. Ich bin sehr dafür, dass man die vorhandenen Instrumentarien immer
wieder hinterfragt und den Erfordernissen der Zeit anpasst. Wir legen ein neues Programm mit dem Titel
„Energetische Stadtentwicklung“ auf. Dieses Programm
dotieren wir mit 92 Millionen Euro. Bei all meinen Reisen durch Deutschland haben mir Kommunalpolitiker,
Bürgermeister und Oberbürgermeister immer wieder gesagt: Wir haben wunderbare Einzelprogramme im Bereich der Städtebauförderung. - Diese werden im Übrigen allesamt erhalten. Ein Programm für kleinere Städte
und Gemeinden haben wir im letzten Jahr sogar neu aufgenommen. - Die Kommunalpolitiker haben immer wieder betont: Es ist alles großartig.
({13})
Aber wir brauchen gerade für den Bereich der energetischen Stadtteilsanierung ein besonders zielgerichtetes
Programm;
({14})
denn es macht keinen Sinn, wenn man in Stadtquartieren
rein hausbezogen denkt und saniert. Es ist viel effektiver,
wenn man großräumiger denkt und im Quartier blockweise saniert. - Deswegen nehmen wir dieses Programm
zur energetischen Stadtentwicklung auf. 410 Millionen
Euro plus 92 Millionen Euro ergeben nach Adam Riese
502 Millionen Euro.
({15})
Ich muss Ihnen das in dieser Deutlichkeit vorrechnen.
Das ist mithin deutlich mehr, als die 455 Millionen Euro,
die wir bisher zur Verfügung gestellt haben. Also: Wir
handeln entsprechend.
Nun zur Verkehrspolitik. In einer Etatberatung ist es
wichtig, zunächst auf das Kernerfordernis hinzuweisen,
nämlich auf die verlässlich hohe Investitionslinie für unsere Verkehrswege. Diesem Erfordernis entsprechen wir,
indem wir bis zum Jahr 2015 durchschnittlich 10 Milliarden Euro in unsere Verkehrsinfrastruktur investieren.
Das ist mehr, als dies im Durchschnitt der Jahre 2002 bis
2008 der Fall war, also in der Zeit vor der Wirtschaftsund Finanzkrise. Dabei wird - das ist vollkommen klar die Straße der Verkehrsträger Nummer eins bleiben, bei
allem grundlegenden Bekenntnis zu einer Politik der
Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die
Schiene. Ich füge aber im gleichen Atemzug hinzu: Man
muss uns aber auch in die Schiene investieren lassen,
und man darf nicht immer - dieser Appell geht vor allen
Dingen an die Oppositionsfraktionen - dann, wenn es an
den Neubau oder den Ausbau der Schiene geht, Bürgerinitiativen zum Dagegensein aufhetzen. Das geht auch
nicht.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die hohe Beanspruchung unserer Infrastruktur hinterlässt ihre Spuren. Wir
stellen deshalb substanzerhaltende Maßnahmen vor
Neubau. Meine Devise bei knappen Mitteln heißt: Erhalt
vor Neubau.
({17})
Ein besonders beeindruckendes Beispiel ist der Umgang mit unseren knapp 39 000 Brücken an den circa
53 000 Kilometern Bundesfernstraßen in Deutschland.
Wir haben hier einen erheblichen Sanierungsbedarf.
Etwa ein Viertel der knapp 39 000 Brücken muss in den
nächsten fünf bis sieben Jahren instandgehalten werden.
Allein dazu bedarf es einer Summe von etwa 7 Milliarden Euro.
({18})
Herr Beckmeyer, Sie haben mir in mehreren Zeitungen einen haarsträubenden Vorwurf gemacht: Ramsauer
lässt die Brücken verrotten. Dazu kann ich nur sagen:
Welch ein Unsinn! Sie kennen ja das Sprichwort:
Wer auf andere mit dem ausgestreckten Zeigefinger
zeigt, der deutet mit drei Fingern seiner Hand auf
sich selbst.
Glauben Sie denn, dass die Brücken in Deutschland
mit Aushändigung der Ministerurkunde an mich, also
nach meiner Amtsübernahme, nach fünf SPD-Amtsvorgängern in elf Jahren von einem Tag zum anderen zu
bröckeln begonnen haben? Das glauben Sie doch nicht
einmal selbst.
({19})
In der Zeit zwischen 1998 und 2009 haben Sie, lieber
Kollege Beckmeyer, soviel ich mich erinnern kann für
Ihre Fraktion - die SPD-Fraktion war damals Regierungsfraktion - verkehrspolitische Verantwortung getragen.
({20})
Sie haben heute bestimmt die Möglichkeit, darzulegen,
was Sie in dieser Zeit zur Substanzerhaltung unserer
Brücken in Deutschland getan haben.
Wir haben mittlerweile Konsequenzen gezogen. In Ihrer Regierungszeit wurden pro Jahr knapp unter 300 Millionen Euro, ungefähr 270 Millionen Euro, in Brücken
investiert. Die Investitionen in Maßnahmen zur Instandhaltung von Brücken werden nach unserer Finanzplanung bis 2015
({21})
etwa verdoppelt; ihre Höhe liegt bei dann knapp unter
700 Millionen Euro. Im Vergleich zu dem, was Sie uns
vorexerziert haben, machen wir eine klare Kehrtwende.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf einen Kommentar in der Süddeutschen Zeitung von heute. Besser
kann man nicht darstellen, was Ramsauer übernommen
hat: „Ein Erbe in Asphalt“. Dieser Herausforderung werden wir uns stellen.
Dazu gehört das Bekenntnis - ich habe es an dieser
Stelle schon öfter abgelegt -: Wir befinden uns angesichts der Herausforderungen in einer dramatischen
Finanzierungssituation, in einem dramatischen Finanzierungsdilemma.
({22})
- Ich komme gleich darauf zu sprechen.
({23})
Ich bitte Sie, mit mir in aller Offenheit die Debatte darüber zu führen, wie wir künftig die Finanzierungsprobleme lösen können.
({24})
Ich bitte, intensiv darüber nachzudenken, wie wir entweder durch zielgerichtete Budgeterhöhungen oder, wie
es meine Partei vorschlägt, durch irgendeine Art nutzerorientierte Abgabe unsere Finanzierungsengpässe beseitigen können, sodass sich die Nutzer unserer Verkehrswege - ich spreche hier nicht nur von der Straße; das
Dilemma bei der Straße ist aber besonders groß - darauf
verlassen können, dass die Mehreinnahmen ungeschmälert in den Bereich Straße fließen, damit das „Erbe in Asphalt“ bewältigt werden kann, damit bessere, bedarfsgerechtere, umweltgerechtere, lärmärmere und sicherere
Straßen zur Verfügung stehen. Das ist die Herausforderung. Darüber zu diskutieren, dazu lade ich Sie in den
kommenden Wochen der Etatberatungen ein.
({25})
Zur Bahnpolitik. Ich schlage vor, wieder einmal eine
umfassende Debatte allein über die Bahn zu führen. Ich
glaube, dass es in den knapp zwei Jahren meiner Amtszeit gelungen ist, eine gewisse Kehrtwende in der bahnpolitischen Strategie herbeizuführen.
({26})
Wir wollen wegkommen vom Privatisierungswahn mit
all seinen Auswirkungen, den Sie betrieben haben. Man
kann ein Unternehmen wie die Bahn zwar kaufmännisch
führen, aber man darf es dabei nicht, wie es unter meinen
fünf Amtsvorgängern - nicht bei allen gleichermaßen als grundlegende Linie der Fall war, nur nach dem Cashflow-Prinzip unter Missachtung der Belange des öffentlichen Wohls ausrichten und es finanziell ausbluten lassen.
({27})
Nicht allein der Cashflow zählt bei der Deutschen
Bahn, sondern es zählen auch die Erwartungen, das
Brot-und-Butter-Geschäft, das, was die Menschen, die
täglich durchschnittlich 7,3 Millionen Bahnbenutzer in
Deutschland, von der Bahn erwarten.
({28})
Wir stellen hier auch zusätzliche Mittel bereit. Ich bin
ganz ehrlich. Mir ist am letzten Wochenende wieder einmal der Kragen geplatzt. Ich habe gestern zu einem
Bahngipfel eingeladen und habe die Bahnindustrie, die
Bahn, das Eisenbahn-Bundesamt und einige andere Akteure dazu verpflichtet, schnellstmöglich das rollende
Material bereitzustellen, damit wir die entsprechenden
Reserven beim rollenden Material haben. Wir haben
dazu klare politische Wartungsintervalle - so habe ich es
genannt - verabredet. Alle vier Wochen müssen mir alle
Beteiligten berichten, wie die Fortschritte sind, damit
wir auch hier vorankommen.
({29})
Viele weitere Themen, meine Damen und Herren, beschäftigen uns hier: Feldversuch mit Lang-Lkw, Fernbuslinien, Elektromobilität. Das zu vertiefen, werden wir in
den nächsten Wochen viel Gelegenheit haben. Ich lade alle
ein, sich konstruktiv an diesen Beratungen mit mehr Mitteln für die Verkehrs- und Bahninfrastruktur zu beteiligen.
Besten Dank.
({30})
Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs von der
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Minister, ich habe hier ja schon viel gehört. Aber Ihre Rede war unterirdisch. Wir führen hier
eine Debatte über den Bundeshaushalt. Sie jedoch haben
sich an uns abgearbeitet. Das kann ich verstehen; denn
das, was Sie gemacht haben, ist eben unterirdisch. Es
kommt nicht viel dabei herum. Ich schätze Sie ja persönlich sehr und die hinter Ihnen sitzende Boygroup auch;
das sind alles feine Jungs.
({0})
Aber im Ergebnis haben wir doch das Problem: Was Sie
zustande bringen, ist wirklich unterirdisch.
({1})
Das haben wir eben auch daran gesehen, wie geklatscht wurde, als Sie gesprochen haben: ein bisschen
mau bei der CDU/CSU und gar nicht bei FDP. Das zeigt
eigentlich relativ viel.
({2})
Fangen wir doch einmal mit dem an, mit dem Sie aufgehört haben. Sie haben hier, auch wenn Sie das Wort
nicht ausgesprochen haben, ein Plädoyer für die PkwMaut gehalten. Wir haben ja in den letzten Jahren lange
diskutiert, und wir haben Sie immer gefragt: Wollen Sie
nun die Pkw-Maut, oder wollen Sie sie nicht? In Ihrem
Haus wurde daran angeblich nie gearbeitet; keiner wollte
das. Sie haben das immer dementiert. Heute haben Sie
hier zumindest das erste Mal gesagt, dass Sie eine nutzerfinanzierte Beteiligung - wie auch immer man das
machen will - haben wollen. Das nennt sich übrigens
Pkw-Maut.
Wenn Sie das denn wollen, dann kann ich verstehen,
dass die FDP nicht ganz so laut geklatscht hat. Für Steuererhöhungen sind die eigentlich nicht zu haben.
({3})
Aber schauen wir einmal. Wir haben ja mitbekommen,
wer bei dieser Koalition in welchem Tempo umfällt.
({4})
- Wissen Sie, ich wäre an Ihrer Stelle jetzt ganz ruhig.
Sie haben Steuersenkungen versprochen. Schauen wir
doch einmal, wann Sie liefern. Ihr Minister ist ja fröhlich
dabei.
({5})
- Ach, wissen Sie, solide Haushalte sind kein Markenzeichen dieser Koalition.
({6})
Das hat die Große Koalition mit der Schuldenbremse
durchgesetzt. Sie zerstören hier die Haushalte.
In dieser Frage geht es einmal darum, dass Sie dieses
Hohe Haus und die Bevölkerung in den letzten Jahren
systematisch hinter die Fichte geführt haben. Sie haben
gesagt, Sie wollten keine nutzerfinanzierten Mauten
oder Ähnliches. Heute haben Sie sich das erste Mal anders geäußert. Ich glaube, das sollten wir einmal festhalten. Der ADAC hat zu dem Thema relativ viel gesagt.
Sie haben einen Haushalt mit einem Volumen von
25,3 Milliarden Euro. 13,7 Milliarden Euro sind für Investitionen vorgesehen. Von den 6 Milliarden Euro, die
in den Straßenbau gehen, kommen 3,5 Milliarden Euro
aus der Lkw-Maut. Aus Ihrem eigentlichen Haushalt
kommen nur noch 2,4 Milliarden Euro. Es gab ja mal die
Ansage, durch die Lkw-Maut gebe es mehr Geld für den
Straßenbau. Im Ergebnis ist das natürlich alles nicht so
gekommen, sondern das Geld ist in den Bundeshaushalt
geflossen.
Gucken wir uns doch jetzt einmal an, was denn mit
der Pkw-Maut passieren würde. Glauben Sie denn ernsthaft, das würde alles komplett in den Straßenbau gehen?
Das hat noch nie funktioniert. Sie machen es übrigens in
diesem Haushalt vor. Wir haben hier eine reine Abkassiernummer, wie der ADAC sagt. Sozialdemokratie und
ADAC Arm in Arm - Herr Ramsauer, da haben Sie ein
kleines Problem.
({7})
Gucken wir es uns einmal an: Die Kanzlerin hat gesagt: keine Pkw-Maut mit ihr. Sie haben gesagt: keine
Pkw-Maut. Dann entdeckt Herr Seehofer, dass in Bayern
Wahlkampf ist und dass Herr Ude in den Umfragen besser dasteht als er. Die CSU hat leichte Panik, fällt auf
einmal um und erzählt jetzt irgendetwas davon, dass die
Ausländer, wenn sie durch Deutschland fahren, nicht
zahlen müssen, wir hingegen, wenn wir im Ausland
sind, zahlen müssen. Damit wird dann gerechtfertigt,
dass die Ausländer endlich einmal zahlen sollen, und es
wird behauptet, alle anderen kämen ungeschoren um die
Kurve. Das ist natürlich, mit Verlaub und freundlich formuliert, Unsinn. Sie wissen doch, dass das nicht funktioniert.
({8})
Wir wissen doch, wie es im Ergebnis laufen wird;
denn es gibt keine aufkommensneutrale Pkw-Maut, in
welcher Form auch immer.
({9})
Allein schon für die Einführung einer Vignette fallen
Systemkosten in Höhe von über 200 Millionen Euro an.
Nach dem, was der ADAC berechnet hat, nehmen Sie
von den Ausländern, die auf deutschen Straßen fahren,
224 Millionen Euro ein. Das heißt, Sie veranstalten die
Nummer für 24 Millionen Euro. Das glaubt doch kein
Mensch. Wenn Sie so ein System einführen, wird das am
Ende dazu führen, dass der deutsche Autofahrer richtig
zahlt. Jeder weiß auch, dass Sie mit der Vignette nicht
weiterkommen. Dadurch würden ja die Vielfahrer entlastet und der normale Autofahrer belastet. Das kann es
nicht sein. So werden Sie am Ende, wenn das Ganze vernünftig laufen soll, in der Toll-Collect-Nummer landen.
({10})
Das kostet richtig viel Geld. Was Sie von den Ausländern einnehmen, würde dann nicht einmal die Systemkosten decken.
Es wäre ganz schön, wenn man sich einmal mit dem
beschäftigte, was der ADAC festgestellt hat. Zu diesem
Thema gibt es eine wunderbare Studie. Lesen bildet,
denken hilft. Ich denke, es würde viel Sinn machen,
wenn Sie sich diese einfach einmal anschauen.
Die Presse auf Ihre Vorschläge ist ein Desaster. Der
Focus schreibt: „Ramsauer macht Tempo bei PkwMaut“. Das heißt: zwei Jahre gelogen, heute Offenbarungseid, Geld reicht nicht - das haben wir ja von Ihnen
gehört.
({11})
- Das ist kein Quatsch. In der Sache haben Sie gelogen.
Jetzt machen Sie die Kehrtwende. Im Endeffekt wird
auch die FDP da mitmachen.
({12})
Die Kanzlerin steht noch halbwegs. Ihr Umfalltempo
liegt bei drei bis vier Monaten. Sprechen wir uns also im
Winter wieder, wenn sie umgefallen ist.
In den Energie- und Klimafonds haben Sie alle möglichen Titel versenkt, aber keine ausreichende Gegenfinanzierung vorgesehen. Das sage ich hier nur in aller
Kürze. In einem solchen Fall bin ich ein großer Fan der
Kameralistik: klare Ansage, transparent und offen, kann
jeder nachlesen. Wenn Sie alle möglichen Programme in
diesen Fonds stecken, der aber nicht durchfinanziert ist,
handelt es sich dabei am Ende um nichts anderes als um
eine Kürzung. Da muss man Ihr Wort, dass CO2-Gebäudesanierung die große Ansage ist, als scheinheilig bezeichnen; denn Sie entziehen ja durch dieses Vorgehen
das Geld.
({13})
Letzter Punkt: Nord-Ostsee-Kanal. Verzeihen Sie mir
einfach einmal die Ansage, aber angesichts dessen, was
zurzeit beim Nord-Ostsee-Kanal passiert, wird man geradezu sprachlos. Dort müssen die Schleusen saniert
werden. Damit diese Sanierung überhaupt durchgeführt
werden kann, ist die sogenannte fünfte Schleusenkammer notwendig. Dafür muss man Geld in die Hand nehmen. Ihr Staatssekretär, Herr Minister, war da. Jetzt kann
man lesen: kein Geld, Kanal dicht. Und weiter heißt es:
Der Staatssekretär bestätigt, dass es so ist, dass auf Verschleiß gefahren wird. Die CDU-Bundestagsabgeordneten sagen: Es muss dringend etwas passieren, eine
Grundinstandsetzung und der Bau der sogenannten fünften Schleusenkammer sind notwendig. - Passieren wird
aber nichts.
Herr Minister, wenn Sie das Geld, was Sie angeblich
nicht haben, nicht für irgendwelche Tunnel in Ihrem
Wahlkreis ausgeben würden - 168 Millionen Euro für
den Kirchholztunnel, den kein Mensch braucht! -,
({14})
sondern für die Dinge, die dieses Land braucht, dann
würden wir deutlich besser dastehen.
({15})
Ein Nord-Ostsee-Kanal, der nicht funktioniert, würde
ein Desaster für die gesamte deutsche Verkehrswirtschaft zur Folge haben. Das wäre eine Katastrophe. Wir
glauben, dass hier dringend etwas passieren muss.
({16})
Für den Hamburger Hafen ist das wichtig, für die Reeder
ist das wichtig. Reden Sie mit den Mitarbeitern vor Ort!
Gehen Sie einmal nach Schleswig-Holstein! Dort wird
man Ihnen das sagen. Sie haben ja im Wahlkampf genügend Gelegenheiten dazu. Der Wähler wird Ihnen dann
sagen, was er von dem hält, was Sie da veranstalten: einfach nur peinlich.
Vielen Dank. Schönen Tag noch!
({17})
Für die FDP spricht jetzt die Kollegin Dr. Claudia
Winterstein.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr verehrter Herr Kahrs, Ihre Rede war ja
ganz unterhaltsam; das gebe ich zu. Aber jetzt wird es
wieder überirdisch.
({0})
Wir werden uns jetzt mit Zahlen und Fakten befassen.
({1})
Genau das habe ich in Ihrer Rede ein wenig vermisst. Ich
habe nicht gehört, wie viel Sie eigentlich für Investitionen ausgeben wollen. Das hätte mich ja doch schon einmal interessiert, nachdem Sie uns vorgeworfen haben,
dass wir uns hier nur unterirdisch mit irgendwelchen
Dingen befassen, aber nichts zu Zahlen und Fakten sagen.
Herr Ramsauer, Sie haben in Ihrer Rede den Einzelplan 12 im Prinzip schon in allen seinen Facetten beleuchtet.
({2})
- Das hat er sehr wohl, vielleicht nicht so, wie Sie sich
das vorstellen, aber durchaus ganz klar. - Ich möchte
mich als Haushälterin auf zwei Themen konzentrieren,
die ich angesichts der aktuellen Diskussion für besonders wichtig halte.
({3})
Das ist zum einen der Bereich der Stadtentwicklung
- auch das ist schon angesprochen worden - und zum
anderen die Frage der Straßenfinanzierung.
Zunächst ist es sehr erfreulich, dass die Koalition es
geschafft hat, auch nach Auslaufen der Konjunkturprogramme die Investitionen in die Fernstraßen im Haushalt
2012 und in der Finanzplanung bis 2015 mit 4,8 Milliarden Euro jährlich konstant zu halten. Doch man muss
ganz klar festhalten - auch Sie haben es gesagt -: Leider
reicht das nicht aus, weil der Bedarf höher ist. Wir alle
wissen aber, dass wir in der jetzigen Situation mehr
Steuermittel nicht zur Verfügung stellen können; denn
diese Koalition steht ganz eindeutig für Haushaltskonsolidierung
({4})
und hat mit der Schuldenbremse für das Jahr 2016 ein
klares Ziel vor Augen. Der Schuldenabbau muss absolute Priorität haben. Wir sehen ja auch, was in einigen
europäischen Ländern gerade geschieht.
Daraus aber abzuleiten, dass eine Pkw-Maut die einzige Möglichkeit ist, mehr Mittel für die Autobahnen
und Fernstraßen zu generieren, halte ich für falsch.
({5})
Die Autofahrer dürfen nicht noch mehr zur Kasse gebeten werden. - Herr Kahrs, ich warte an dieser Stelle auf
Ihren tosenden Applaus.
({6})
- Nicht der Einzige, von rechts kam auch Applaus.
Meine Damen und Herren, Mineralölsteuer, Ökosteuer, Mehrwertsteuer, Kraftfahrzeugsteuer: 53 Milliarden Euro insgesamt zahlen die Autofahrer jährlich an
Steuern,
({7})
aber nur 17 Milliarden Euro geben Bund, Länder und
Gemeinden für den Bau und den Erhalt von Straßen aus.
Das muss man so zur Kenntnis nehmen. Die Autofahrer
tragen also schon ganz kräftig zum Steueraufkommen
bei. Darauf noch eine zusätzliche Gebühr zu setzen, ist,
meine ich, der falsche Weg.
({8})
Lassen Sie uns die Debatte mit mehr Kreativität führen. Wir wollen die vorhandenen Mittel effektiv einsetzen. Ein Anfang hierzu wurde mit der Umsetzung von
ÖPP-Modellen im Autobahnausbau gemacht.
({9})
- Die Erfahrungen mit den ersten vier Projekten sind
weitgehend positiv, Herr Claus. Es hat sich gezeigt, dass
Vorhaben schneller und effizienter bei gleichzeitig hohem Qualitätsstandard umgesetzt werden können.
({10})
Die neu geplanten ÖPP-Modelle sollten nun möglichst
schnell angegangen werden.
({11})
Beim Thema Straßenerhalt diskutieren wir derzeit ein
sehr interessantes Pilotprojekt, mit dem die vorhandenen
Mittel deutlich effektiver eingesetzt werden können. Es
ähnelt dem Prinzip der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung bei der Schiene. Partner für den Bund sind
hierbei die Länder. Der Bund wird in Bezug auf die Erhaltung und den Betrieb der Bundesfernstraßen zum Besteller eines gewünschten Zustandes dieser Fernstraßen.
Die Länder werden zu Auftragnehmern des Bundes und
erhalten von ihm einen pauschalen Betrag. Dafür organisieren sie in Eigenregie die komplette Erhaltung und den
Betrieb der Fernstraßen. Mehrere Länder haben ganz
klar Interesse bekundet, an solchen Projekten mitzuwirken. Sie erhalten einen Anreiz zu effektivem Handeln,
da sie die erwirtschafteten Mittel eigenständig für den
Ausbau und Erhalt von Fernstraßen verwenden können.
Berechnungen beziffern den Einspareffekt auf etwa
600 Millionen Euro im Jahr.
Herr Minister Ramsauer, ich ermuntere Sie, solche innovativen Modelle weiterzuverfolgen und zur Umsetzung zu bringen. Ich denke, wir werden diesen Weg im
Parlament sehr konstruktiv unterstützen.
Was für den Verkehr gilt, gilt natürlich auch für die
Stadtentwicklung. Auch hier schafft die Koalition den
Spagat zwischen Sparanstrengungen auf der einen Seite
und wirkungsvollen Investitionen auf der anderen Seite.
({12})
Ich darf an die vergangenen Haushaltsplanberatungen
erinnern. Für den Haushalt 2011 war von Regierungsseite eine Summe von 305 Millionen Euro an neuen Mitteln für die Städtebauförderung eingesetzt worden. Von
der Koalition ist diese Summe dann erhöht worden auf
455 Millionen Euro. Im Entwurf 2012 - Herr Ramsauer
hat es auch schon gesagt - sind neue Bundesmittel in
Höhe von 410 Millionen Euro vorgesehen. Dazu kommen noch die Mittel zur energetischen Stadtsanierung in
Höhe von 92 Millionen Euro.
({13})
Das heißt also: Zusammen stellt der Bund mehr als eine
halbe Milliarde Euro an Finanzhilfen für die Länder und
Kommunen zur Verfügung. Das ist angesichts der Sparvorgaben eine wirklich ansehnliche Summe.
({14})
Von der Opposition kritisiert wurden die Kürzungen
beim Programm „Soziale Stadt“ und die Konzentration
dieser Mittel auf ausschließlich investive Ausgaben.
Meine Damen und Herren von der Opposition, diese
Konzentration war, ist und bleibt richtig; denn die Stadtumbauprogramme des Bundes haben den Zweck, eine
Infrastruktur zu schaffen, die dann von den Kommunen
mit Leben gefüllt wird.
({15})
Leider wurden in einigen Bundesländern die Investitionsmittel über Jahre in nichtinvestive Bereiche verschoben, nämlich als Ersatz für zurückgefahrene Mittel
der Kommunen. Das ist nicht Sinn und Zweck dieser
Förderung.
({16})
Zum Vergleich: Die Sozialausgaben im Haushalt betragen insgesamt 155 Milliarden Euro, die Summe aller
Investitionen nur 26,4 Milliarden Euro. Die also ohnehin
schon sehr knappen Investitionsmittel sollten insofern
nicht zweckentfremdet werden. Darauf haben wir als
Haushälter in besonderem Maße zu achten.
({17})
Meine Damen und Herren, wir wollen die Investitionen zur Schaffung einer zukunftsfähigen Infrastruktur
effektiv und zielgerichtet einsetzen, sei es bei der Straße,
der Schiene oder in den Städten und Gemeinden. Ich
glaube, dass uns dies trotz der ganzen Sparaufgaben sehr
gut gelingen wird.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat der Kollege Roland Claus von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden hier über den Infrastruktur- und Investitionsetat des Bundes. Gewiss, Aufbau von Infrastruktur und
Investitionen finden auch in anderen Ressorts statt, aber
nicht in dieser Dimension. Mehr als 50 Prozent aller Investitionen des Bundes sind in diesem Ressort veranschlagt.
Es ist also ein enorm wichtiger Haushalt. Das ist auch
der Grund dafür, dass die Linke den zuständigen Bundesminister zu mehr Selbstbewusstsein auffordern muss.
({0})
Mehr Selbstbewusstsein, Herr Ramsauer! Es ist nämlich
nicht damit getan, dass Sie hier im Plenarsaal flotte
Sprüche gegen die Opposition ablassen und sich dann im
Kabinett alles gefallen lassen.
({1})
Es zeugt auch nicht von Selbstbewusstsein, hier im Plenarsaal zu tönen, da seien Länder an die SPD gefallen.
Das ist nun wirklich ein undemokratisches, feudales Verständnis, das wir zurückweisen müssen.
({2})
Herr Bundesminister, der Einzelplan 12 ist kein Steinbruch für den Bundesfinanzminister und dessen Sparattacken. Der Einzelplan 12 ist aber auch kein Tummelplatz für die ideologischen Schwesternkriege, die Ihr
Parteivorsitzender Seehofer zuweilen gerne anzettelt.
Das muss Ihnen deutlich gesagt werden. Wenn Sie nicht
aufpassen, Herr Bundesminister Peter Ramsauer, dann
werden Sie zum Schwarzen Peter des Kabinetts. Das
mag zwar vielleicht in der CSU ein dickes Lob oder ein
Ehrentitel sein; hier aber wäre es eine Peinlichkeit.
({3})
Anders die Linke. Die Linke hat einen klaren Kurs.
Die Linke steht für eine Verkehrs-, Bau- und Stadtentwicklungspolitik, die stets von sozialer Verantwortung
und demokratischer Teilhabe aller an den öffentlichen
Gütern ausgeht.
({4})
Was alle brauchen, muss öffentlich zugänglich und bezahlbar sein. Wenn die Linke sagt, dass unser Zusammenleben ökologischer werden muss, dann meint sie:
ökologischer für alle und nicht nur für Reiche.
({5})
Prüfen wir Ihren Etat an diesem Maßstab bei einigen
wenigen Positionen. Herr Bundesminister, Sie haben
sich hier mit deutlichen Worten gegen eine Privatisierung der DB AG ausgesprochen. Da sind wir natürlich
vollkommen an Ihrer Seite. Sie werden bei den abschließenden Beratungen zum Haushalt Gelegenheit haben, einem entsprechenden Antrag der Linken, vielleicht auch
noch von anderen, Ihre Zustimmung zu geben und so zu
bekunden: Es darf nicht dabei bleiben, dass die Privatisierung wegen der Krise nur verschoben wird; sie gehört
endgültig vom Tisch.
({6})
Sie haben die Chance, Herr Bundesminister.
In der Straßenpolitik verkörpert die Bundesregierung
den Sieg des Betons über die Vernunft; das ist an vielen
Stellen gesagt worden. Das Problem der Lkw-Maut
muss noch einmal zur Sprache gebracht werden: Es ist
noch immer ein Schiedsverfahren des Bundes gegen die
Gesellschaft Toll Collect anhängig, also jenes Konsortium, das vor Jahren eine 16-monatige Verzögerung bei
der Einführung der Lkw-Maut zu verantworten hatte.
Seitdem ist geraume Zeit vergangen. Es geht um einen
Ausfall von über 5 Milliarden Euro. Wir werden darauf
drängen, dass das hier nicht verschwiegen wird. Was
mich hier im Parlament allmählich ärgert, ist, dass wir,
die Linke, die Einzigen sind, die überhaupt noch nach
dem Schiedsverfahren und den entgangenen 5 Milliarden Euro fragen.
({7})
Liebe Kollegen, ich frage euch einmal: Hat das vielleicht
damit zu tun, dass ihr von Daimler oder der Telekom
wieder eine Spende bekommen habt, von der wir nichts
wissen? Es kann doch nicht sein, dass man eine solch
große Summe überhaupt nicht mehr thematisiert.
({8})
- Ich weiß nicht, von wem Sie alles Spenden bekommen; ich frage nur.
Was die Pkw-Maut anbetrifft, werden wir jetzt wohl
eine größere Schutzgemeinschaft mit dem ADAC gegen
die CSU bilden müssen. Mit der heutigen Rede von
Minister Ramsauer ist die Katze aus dem Sack. Wie fing
das denn an? Am Anfang haben Sie gesagt: „In meinem
Hause gibt es keine Denkverbote.“ Dagegen kann man
nichts sagen. Dann gab es etwas Aufregung, und Sie haben so etwas Ähnliches gesagt wie: Niemand hat die Absicht, eine Maut einzuführen.
({9})
Heute kommen Sie nun mit dieser Absicht daher. Ich
frage Sie: Reicht denn nicht die Abzocke der Autofahrerinnen und -fahrer an der Tankstelle? Muss denn das nun
auch noch sein? Wir meinen, nein.
({10})
Herr Bundesminister, Sie haben sich Ihre besten Förderprogramme bei der energetischen Gebäudesanierung
und beim Städtebau kürzen oder aus der Hand nehmen
lassen.
({11})
Das ist hier schon mehrfach kritisiert worden und nicht
hinzunehmen. Nun haben Sie vor einigen Monaten eine
bedeutende Logik entwickelt.
({12})
Sie haben gesagt: Na ja, jetzt ist mir der Laden halbiert
worden; aber ich habe gekämpft, sodass die Halbierung
zur Hälfte zurückgenommen wurde. Da kommen dann
genau 75 Prozent, drei Viertel, heraus. Ein Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, der nur eine
Dreiviertelposition im Kabinett hat, ist uns aber zu wenig. Lassen Sie sich das gesagt sein.
({13})
Wir könnten das gelegentlich beim Titel des Gehalts des
Bundesministers thematisieren.
({14})
Für die Finanzierung der energetischen Gebäudesanierung haben wir jetzt den Energie- und Klimafonds;
hier gab es eine große Ankündigung. Ich bin aber nach
den Erfahrungen mit dem Investitions- und Tilgungsfonds und dem Deutschlandfonds ein bisschen gewarnt,
wenn für solch einen großen Brocken vier Ministerien
zuständig sind, vor allen Dingen, wenn das Ministerium,
das bislang alle Instrumente zur Umsetzung dieses Programms in der Hand hatte, nämlich das BMVBS, jetzt
eines unter mehreren Ministerien ist. Ich kann nur hoffen, dass mehr Selbstbewusstsein, Zuversicht und Energie an den Tag gelegt werden, wenn es darum geht, dieses gute Programm abzuarbeiten.
Herr Bundesminister, wir werden die Aufstellung Ihres Etats mit Leidenschaft begleiten. Noch einmal zum
Thema Selbstbewusstsein: Trotz der vermeintlichen
Übermacht des Bundesfinanzministeriums gilt beim
Umgang mit diesem Ministerium: Kopf hoch und nicht
die Hände, Herr Minister!
({15})
Das Wort hat der Kollege Stephan Kühn vom Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann es nicht oft genug sagen: Der Haushalt ist
das in Zahlen gegossene politische Programm einer Regierung. Man müsste darin also eine Strategie erkennen,
({0})
wie einerseits das prognostizierte Verkehrswachstum
insbesondere im Güterverkehr bewältigt wird und andererseits Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen
im Verkehrsbereich deutlich reduziert werden.
Herr Minister, von einer solchen finanziell unterlegten Strategie habe ich weder etwas in Ihrer Rede gehört
- ich glaube, das Wort „Klima“ ist in Ihrer Rede gar
nicht aufgetaucht -, noch kann ich eine solche dem Etatentwurf entnehmen. Sie haben darauf überhaupt keine
Antwort.
({1})
Wo sind eigentlich die versprochenen sektorspezifischen
Ziele, die Sie in einem Energie- und Klimakonzept für
den Bereich Verkehr formulieren wollten? Diese haben
Sie im Januar 2010 angekündigt.
({2})
Bisher wurde nichts geliefert. Wir erinnern uns daran,
dass im Energiekonzept der Bundesregierung kein konkretes CO2-Minderungsziel für den Verkehrsbereich aufgeschrieben wurde. Herr Minister, ich frage Sie: Wie
sieht eigentlich Ihre Strategie für eine klimafreundliche
Mobilität aus? Darüber haben wir heute nichts gehört,
und wir finden auch im Etat nichts dazu.
({3})
Der Anteil des Verkehrssektors am Endenergieverbrauch in Deutschland steigt, während die Anteile der
Industrie, des Gewerbes und der Haushalte sinken. Für
über 80 Prozent des Endenergieverbrauchs ist der Straßenverkehr verantwortlich. Herr Minister, Ihre klimapolitische Antwort darauf sind Gigaliner?!
({4})
Da verzweifelt selbst der ADAC. Dass Gigaliner Umwelt und Verkehrswege entlasten würden, entbehrt jeder
Grundlage. Während Sie - so auch heute - keine Gelegenheit auslassen, den massiven Instandhaltungsrückstand bei der Straßeninfrastruktur zu kritisieren und zu
beklagen, wollen Sie gleichzeitig Gigaliner auf den
schon jetzt desolaten Straßen fahren lassen.
({5})
Das ist überhaupt nicht verständlich,
({6})
zumal Gigaliner die Verkehrssicherheit gefährden und
dem Ziel, Verkehr auf die Schiene zu verlagern, deutlich
schaden.
({7})
Nur 17 Prozent des Güterverkehrs werden über die
Schiene abgewickelt, über 70 Prozent über die Straße.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Klimaschutzziele der Bundesregierung.
({8})
Meine Damen und Herren, eine Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene ist also dringend erforderlich, findet aber nicht statt, weil das notwendige Geld für Schienenprojekte im Haushalt fehlt. Herr Minister, Sie
streichen 500 Millionen Euro an Bahndividende ein, die
wir im Übrigen für grundfalsch halten. Sie können sich
aber wieder nicht gegenüber dem Finanzminister durchsetzen; denn das Geld kommt nicht on top. Vielmehr
bleibt die bisherige Investitionslinie von 1,2 Milliarden
Euro für Bedarfsplanprojekte der Schiene plus 100 Millionen Euro für den Lärmschutz erhalten. Das Geld der
Bahndividende kommt nicht on top, sondern es verschwindet. Notwendige Investitionen gerade im Güterverkehrsbereich werden nicht getätigt. Die Bahn hat einen jährlichen Bedarf von 1,8 Milliarden Euro. Jeder
kann es nachrechnen: Bei 1,2 Milliarden Euro plus
100 Millionen Euro plus Bahndividende wären wir bei
der Größenordnung, die eigentlich jährlich gebraucht
wird, um wichtige Güterverkehrstrassen auszubauen.
Das passiert weiterhin nicht.
({9})
Sie rufen - so auch heute - immer nach mehr Geld für
die Straßen. Wir alle haben dies im Sommerloch mit Ihrer Forderung nach einer Pkw-Vignette, also nach einer
Flatrate für das Autofahren, erlebt. Diese Vignette unterscheidet jedoch nicht zwischen denjenigen, die viel fahren, und denjenigen, die wenig fahren. Sie unterscheidet
auch nicht zwischen denjenigen, die in einem Kleinwagen sitzen, und denjenigen, die in einem Geländewagen
unterwegs sind. Meine Damen und Herren, es kommt
selten vor, aber hier sind wir uns selbst mit dem ADAC
einig; denn diese Vignette ist ökologisch kontraproduktiv, und sie ist vor allen Dingen sozial ungerecht.
({10})
Mehr Geld löst im Übrigen das Grundproblem nicht.
({11})
Das Grundproblem ist, dass die Mittel falsch und nicht
effektiv eingesetzt werden. Sie setzen einfach die falschen Prioritäten. Es gibt kein bundeseinheitliches Erhaltungsmanagement. Wir wissen gar nicht genau, wie
schlimm es wirklich aussieht. Wir wissen nicht, wie der
steigende Instandhaltungsbedarf in den nächsten Jahren
finanziell dargestellt werden soll. Ich erinnere daran: Der
Großteil des westdeutschen Straßennetzes wurde Mitte
der 60er- bis Mitte der 80er-Jahre gebaut. Hier schieben
wir eine riesige Bugwelle an Instandhaltungsinvestitionen vor uns her. Andererseits wollen Sie über 2 000 Kilometer an neuen Bundesautobahnen bauen. Ich frage
mich, was das mit dem Prinzip „Erhalt vor Neubau“ zu
tun hat. Gedanken darüber, wie diese zusätzlichen Un14730
terhaltungskosten künftig abgedeckt werden sollen,
macht sich offensichtlich keiner.
Statt beim Planen und Bauen verkehrsträgerübergreifend zu denken, also in Netzen und Verkehrskorridoren,
und statt sich auf Engpässe und Lückenschlüsse zu konzentrieren, geht es weiter wie bisher: Jedem Wahlkreisabgeordneten und dem Minister seine Ortsumfahrung!
Das ist verkehrs- und klimapolitisch eine Sackgasse, und
das wissen Sie eigentlich auch.
({12})
Sie ändern aber nichts daran, obwohl Anspruch und
Wirklichkeit deutlich auseinanderklaffen. Es gibt 2011
und 2012 keine Neubeginne von Projekten im Straßenbereich. Der neue Investitionsrahmenplan, den Sie bald
vorlegen werden, wird dem bisherigen Plan gleichen und
keine neuen Projekte enthalten. Die bisherige Investitionsstrategie - wenn man überhaupt von einer Strategie
reden kann - ist deutlich gescheitert.
Legen Sie bitte endlich einen Haushalt vor, mit dem
die Erreichung der Klimaschutzziele und die Senkung
der Lärm- und Schadstoffemissionen wirklich gelingen
können. Was Sie machen, ist einfach planlos. Oder soll
beispielsweise die Kürzung der Mittel für den Radwegebau an Bundesstraßen Ihr Beitrag zur Haushaltskonsolidierung sein? Ich kann mir das, ehrlich gesagt, nicht vorstellen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, zum Schluss versöhnliche Worte zu finden und das Thema Transrapid
anzusprechen. In der Haushaltsdebatte vom 23. November 2010 hat der Minister zum Thema Transrapid gesagt:
Wir haben sofort die weiße Fahne eingeholt und
sind zu einer Marktoffensive übergegangen. Das
Ganze sieht jetzt Gott sei Dank einigermaßen erfolgversprechend aus. Wir werfen die Flinte nicht
ins Korn.
Herr Minister, Sie sind in der Zwischenzeit offensichtlich etwas weiser geworden. Sie haben endlich die
Beerdigungskosten für den Transrapid in den Haushalt
eingestellt. Das ist gut so. Ich hoffe, dass Sie in dieser
Richtung weiterhin so entscheidungsfreudig sind. Das
würde uns beglücken.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Arnold Vaatz von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich finde schon, dass es erneut gelungen ist, einen Etatentwurf des Ministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung vorzulegen, der angesichts der dramatischen finanzpolitischen Situation, in der er aufgestellt
worden ist, einen enormen investiven Anteil aufweist.
({0})
Ich finde auch, dass er ganz klare Akzente setzt. Peter
Ramsauer hat schon auf einige hingewiesen. Ich will das
auch tun.
({1})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
sprechen seit einiger Zeit ständig hämisch davon, dass
unsere Investitionsvorhaben unterfinanziert seien usw.
({2})
- Ja, aber er sagt es nicht hämisch,
({3})
sondern
({4})
er hat meines Erachtens in beeindruckender Art und
Weise für die Verstetigung unseres Investitionshaushaltes bzw. Investitionsanteils gekämpft, und er hat das erreicht. Das halte ich für eine große Leistung.
({5})
Dass Sie Kritik üben, ist Ihr gutes Recht, aber Ihre Kritik
wäre nur dann glaubwürdig, wenn Sie unter den von Ihnen eingebrachten zahlreichen Haushalten einen einzigen vorweisen könnten, der dieses Investitionsniveau erreicht oder gar übertrifft, aber das können Sie nicht.
({6})
Wir werden auch in Zeiten der notwendigen Haushaltskonsolidierung unsere wichtigen Investitions- und
Förderprogramme sichern und fortführen. Das ist für das
Land das Richtige. Der Kern unserer Verkehrs- und Baupolitik ist es, die Infrastruktur zu erhalten, zu verbessern
und keinen weiteren Werteverzehr aufgrund von unterlassenen Erhaltungs- und Instandhaltungsmaßnahmen
zuzulassen.
({7})
Das ist der Schwerpunkt.
Leider ist es so, dass es die Finanzlage erforderlich
macht, dass einige der Instandhaltungsaufgaben nun
auch zulasten von erforderlichen Neu- und Ausbauprojekten gehen.
({8})
Das ist bedauerlich, aber das ist nicht ausschließlich eine
Folge des knappen Geldes, sondern auch der Tatsache,
dass die Schar der SPD-Finanzminister über Jahre hinweg die Sanierung vernachlässigt hat, zuzuschreiben.
({9})
Was haben Sie denn gemacht? Sie haben uns jahrelang
mit Mogelpackungen traktiert.
({10})
Sie haben immer wieder neue klangvolle Namen erfunden: das Zukunftsinvestitionsprogramm ZIP - darin waren die UMTS-Gelder enthalten - oder das Antistauprogramm, wofür Sie die Mittel, die durch die Einführung
der Lkw-Maut eingenommen wurden, verbraten haben.
({11})
Es gab ständig neue wohlklingende Namen.
({12})
- Am Anfang waren Sie allein. Die ersten Programme
haben Sie unter Rot-Grün verabschiedet.
({13})
Den Investitionsprogrammen stand immer die gleiche
Menge an Mitteln zur Verfügung. Sie haben lediglich
Hütchenspiele betrieben, immer mit dem gleichen Geld.
({14})
Wir werden die künftigen Investitionen seriös planen.
({15})
Das Ministerium wird in diesem Herbst einen Investitionsrahmenplan für die nächsten fünf Jahre vorlegen.
Dieser Haushalt ist die Grundlage dafür und belegt, dass
wir das umsetzen.
({16})
Wir brauchen Planungs- und Finanzierungssicherheit.
Minister Ramsauer hat es gerade dargestellt: Er konnte
die Finanzierungssicherheit spürbar verbessern.
Ich möchte auf das Thema Schiene zu sprechen kommen. Im Rahmen der Verhandlungen mit der Deutschen
Bahn hat der Minister bekanntlich erreicht, dass in den
kommenden vier Haushaltsjahren Mittel in Höhe von
insgesamt 1 Milliarde Euro zur Verfügung stehen. Wären Sie ehrlich, dann würden Sie diese Leistung anerkennen.
({17})
Begrüßenswert ist auch, dass die DB Netz AG mit
Eigenmitteln in Höhe von immerhin 130 Millionen Euro
49 Kleinprojekte durchführt. Auch dadurch können
schnell Verbesserungen des Infrastrukturangebots des
Unternehmens herbeigeführt werden. Auch das ist ein
richtiges Signal.
Ein weiteres richtiges Signal: Die Einnahmen aus der
Lkw-Maut fließen wieder vollständig in den Bereich
Straße zurück.
({18})
Damit unternehmen wir, wie angekündigt, den nächsten
Schritt in Richtung Nutzerfinanzierung.
({19})
Jetzt kann jeder den sogenannten Mautkreislauf im
Haushalt genau verfolgen. Warum? Weil die Maut ein eigenes Kapitel erhält. Das ist das Ende des Hütchenspiels
mit den Mauteinnahmen, das Sie lange Zeit bewusst gespielt haben.
({20})
Damit schaffen wir Vertrauen.
({21})
Vertrauen ist in dieser Frage das Allerwichtigste. Unsere
Politik wurde dadurch diskreditiert, dass wir ursprünglich versprochen hatten, die Einnahmen aus der LkwMaut direkt in den Bereich Straße zurückzuführen, daraus aber nichts wurde. Wenn man so mit der Öffentlichkeit umgeht, glaubt einem die Öffentlichkeit natürlich
nicht mehr, dass Finanzmittel, die vom Nutzer einer Infrastruktur aufgebracht werden, in Zukunft direkt und
zweckgerichtet für die Erneuerung dieser Infrastruktur
verwendet werden. Ich glaube, an dieser Stelle haben wir
ein Stück weit Vertrauen wiederhergestellt. Ich halte das
für sehr wichtig.
Wir müssen in Zukunft dafür sorgen - ich hoffe, dass
wir diesbezüglich alle an einem Strang ziehen werden -,
dass die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft
kreditfähig ist.
({22})
- Nein, das ist kein Schattenhaushalt.
({23})
Sie muss in der Lage sein, flexibel auf Einschränkungen
zu reagieren, die durch schwankende Einnahmen aus der
Lkw-Maut entstehen können.
({24})
Ich halte das für eine wichtige Sache. Ich glaube, wir
sollten das versuchen und nicht diskreditieren. Dadurch
werden die Handlungsmöglichkeiten flexibler. Es wird
kein Geld versteckt.
({25})
- Es ist falsch, wenn Sie das sagen. Sie können jede dieser Kreditaufnahmen nachprüfen.
({26})
Bezüglich der Bundesfernstraßen müssen wir den
Wechsel von der Steuerfinanzierung zur Nutzerfinanzierung schrittweise durchführen. Es gibt bereits eine große
Diskussion über die Maut. Sie schießen sich darauf
schon ein, obwohl Frau Winterstein Ihnen in aller Deutlichkeit gesagt hat,
({27})
dass es eine Reihe von Alternativen gibt, über die man in
diesem Zusammenhang reden muss. Sie alle täten gut
daran, erst einmal abzuwarten, was das Ministerium
dazu vorlegt. Dann sollten wir darüber diskutieren. Das
wäre ein sachlicher Stil.
({28})
Es macht doch keinen Sinn, dass Sie sich schon jetzt auf
ein Phantom einschießen, über das Sie noch gar nichts
wissen.
Herr Claus, Ihnen will ich sagen: Ich konnte über Ihren dümmlichen Witz nicht so richtig lachen. Ich weiß
nicht, ob Sie zum Ausdruck bringen wollten, dass die
Mauer in irgendeiner Weise mit der Maut vergleichbar
ist.
({29})
Ich war bis jetzt der Meinung, dass die Mauer ein etwas
anderes Kaliber ist als die Maut.
({30})
Zur Maut selber. Uwe Beckmeyer
({31})
fordert eine flächendeckende Lkw-Maut, und zwar am
liebsten gleich noch für Kreisstraßen.
({32})
Ich muss sagen, das scheint ein typischer Robin-HoodReflex in der SPD zu sein: den Reichen etwas wegnehmen und den Armen etwas geben. Aber durchdacht ist
das nicht. Das ist ein Schuss aus der Hüfte, der keinerlei
Bedeutung hat, keinerlei Seriosität ausstrahlt und auch
kein Vertrauen bildet.
({33})
Ein zentraler Teil unseres Budgets fließt in die Städtebauförderung. Ich muss sagen, dass ich davon beeindruckt bin, dass es uns gelungen ist, basierend auf dem
Eckwertebeschluss von 266 Millionen Euro jetzt einen
Ansatz von 410 Millionen Euro, plus 92 Millionen Euro
aus dem Energie- und Klimafonds, vorzulegen. Das ist
eine enorme Leistung.
({34})
Ich finde es außerdem hervorragend, dass es uns gelungen ist, aus dem Programm „Soziale Stadt“ ein Programm zu machen, das nicht mehr der Finanzierung von
Malwettbewerben und Stadtteilfesten dient, sondern der
Infrastruktur.
({35})
Genau so haben wir das gewollt, und so ist es richtig.
Es gibt auch noch - ({36})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat der
Kollege Vaatz, und anschließend gibt es noch Redner Ihrer Fraktionen, die dazu Stellung nehmen können. Bitte.
Es gibt noch ein Problem, und ich hoffe, dass es uns
gelingt, dieses zu lösen.
({0})
Im Rahmen des Altschuldenhilfeprogramms stehen noch
146 Millionen Euro zur Verfügung, die bisher nicht in
Anspruch genommen worden sind.
({1})
Ich hoffe, dass es uns gelingt, diese Summe für diesen
Zweck nutzbar zu machen; die Gelder würden sonst im
Jahr 2013 verfallen. Ich vertraue darauf, dass die Versuche, die wir uns vorgenommen haben, glücklich enden
werden.
({2})
Im Übrigen möchte ich noch einmal an die Länder appellieren. Ich halte es für einen Skandal, wie man mit
dem Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung
von Maßnahmen zur energetischen Sanierung von
Wohngebäuden umgegangen ist.
({3})
Überdenken Sie Ihre Haltung und kehren Sie zu einem
vernünftigen, berechenbaren Konsens - es war schon
einmal einer erzielt - zurück. Unterstützen Sie dieses
Gesetz; sonst zerstören Sie eine Säule unserer Bemühungen bei der energiepolitischen Sanierung.
Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken. Lassen Sie
uns arbeiten. Ich hoffe, es gelingt uns in den nächsten
Wochen und Monaten, noch ein paar kleine Korrekturen
vorzunehmen, die den Haushalt noch weiter verbessern.
Er ist schon sehr gut.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Uwe Beckmeyer von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Vaatz, auf Ihre Rede gehe ich nicht ein.
({0})
Herr Minister Ramsauer, Sie wollen Mobilität in
Deutschland ermöglichen. Das ist Ihr Stehsatz, den Sie
bei jeder Gelegenheit, bei jedem öffentlichen Auftritt benutzen.
({1})
Die Frage ist: Was passiert wirklich? Menschen stehen
im Stau, sie schwitzen im Sommer in den Grillzügen, sie
warten frierend im Winterchaos bei der Bahn, sie leiden
unter Verkehrslärm, und sie sind frustriert über Ihr Missmanagement bei der Aschewolke. Die Menschen in
Deutschland sind es leid, nur Ausflüchte und leere Versprechungen von Ihnen zu hören. Herr Minister, ich
denke, wir brauchen Taten.
Sie sind ein getriebener, zudem unglücklich agierender Verkehrsminister, der der deutschen Verkehrspolitik
inzwischen mehr und mehr schadet. Wenn Sie, Herr
Minister, heute, aber auch in den letzten Tagen den Finanzierungsmangel bei der deutschen Verkehrsinfrastruktur öffentlich beklagen, klagen Sie sich im Grunde
selbst an. Denn Sie sind es gewesen, der es in den letzten
Jahren nicht geschafft hat, diesen Mangel bei den Investitionen für Sanierung und Modernisierung mit Nachdruck in der jetzigen Bundesregierung bei der Haushaltsaufstellung zu thematisieren und erfolgreich für Abhilfe
zu sorgen.
Herr Minister, Sie sind ein Minister der leeren Taschen. Während sich Ihre Kabinettskollegen ihren Anteil
am Haushalt sichern, schauen Sie mut- und kraftlos zu.
Ihrer Tatenlosigkeit folgt Ratlosigkeit. Zwar haben
Union und FDP in ihrem Koalitionsvertrag eine weitreichende Infrastrukturfinanzierung angekündigt, aber bisher ist nichts passiert. Am 22. März 2010 kündigten Sie,
Herr Minister Ramsauer, an, etwas im Hinblick auf die
Kreditfähigkeit der VIFG zu tun. Bis zum heutigen Tage
haben Sie keine gesetzliche Initiative ergriffen.
({2})
Wir haben bei der Auswertung der Medien ohne große
Mühe über 60 Ankündigungen von Ihnen persönlich als
Bundesverkehrsminister identifiziert. Bei allen ist nur
heiße Luft herausgekommen.
({3})
Sie organisieren nicht Mobilität, Sie organisieren den
Stillstand.
({4})
Wer heute in die Süddeutsche Zeitung schaut und den
großen Artikel auf Seite 1 liest, der stellt fest, in welchen
finanziellen Nöten Sie sich tatsächlich befinden. So wird
es ab 2012 kein einziges Neubauprojekt bei der Straße
geben.
({5})
Sagen Sie den Menschen im Lande, dass keine notwendige Ortsumgehung mehr gebaut wird! Sagen Sie den
Unternehmen im Ruhrgebiet und den Unternehmen der
verladenden Wirtschaft in Hamburg und Bremen, an den
Nord- und Ostseehäfen, dass sie auch in Zukunft mit ihren Fahrzeugen im Stau stehen! Sagen Sie den Menschen, dass für mehr Lärmschutz kein Geld da ist!
Wenn ich mir die in der Süddeutschen Zeitung beschriebene Unterfinanzierung vor Augen führe, verstehe
ich nicht, weshalb Sie sich seit zwei Jahren mit allem
Möglichen beschäftigen, nur nicht mit den zentralen Fragen der deutschen Verkehrspolitik. Die FAZ hat doch
recht, wenn sie schreibt:
Um Verkehrspolitik zu gestalten, reichen das Fummeln an der Punktekartei in Flensburg, das begleitete Autofahren mit 17 Jahren
- das ist sicherlich auch wichtig oder das Durchforsten des Verkehrsschilderwaldes
nicht aus.
Hören Sie auf mit diesem Klein-Klein! Sie pflegen Ihre
Bagatellen. Aber diese Bagatellen bringen uns nicht voran: weder die Einrichtung einer Taskforce, die sich mit
der Frage beschäftigt, wie englische Begriffe in die deutsche Sprache übersetzt werden können, noch die nationale Salzreserve
({6})
noch die Tatsache, dass Ihre Frau eine Cousine von Frau
Bullock ist. Das interessiert uns nicht. Uns interessiert
vielmehr, ob Sie in der Lage sind, die deutsche Verkehrswirtschaft und die Investitionen voranzubringen.
Herr Minister, Sie verpassen die großen Themen im
Bau- und Verkehrsbereich. Sie haben nicht nur ein Ausgabenproblem, weil Sie den vorhandenen Bedarf nicht
mit den unzureichenden Mitteln unter einen Hut bringen
können, sondern Sie organisieren sich auch noch ein
Einnahmeproblem. Wenn diese Koalition die neuen
Mautsätze für die Euro-3-Stinker zurücknimmt, verzichtet sie auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Auch was
die angekündigte Lkw-Maut auf vierstreifigen Bundesstraßen angeht, ist bis zum heutigen Tage kein Vollzug
gemeldet. Im Haushalt sind dafür für dieses und nächstes
Jahr jeweils 110 Millionen Euro vorgesehen. Sie werden
das bis zum Ende der Legislaturperiode aber nicht schaffen. Sie verzichten auf Einnahmen. Sie organisieren Ihr
Einnahmeproblem im Grunde selbst.
Nicht nur bei diesen Themen, den großen Zukunftsthemen der Mobilität, versagen Sie, sondern auch beim
Thema Stadtentwicklung. Wo Stadtentwicklung und Gebäudebestand dem demografischen Wandel und dem
Klimaschutz angepasst werden müssten, nehmen Sie
massive Einschnitte vor. Da ist bei Ihnen der Rückwärtsgang angesagt und keine flotte Fahrt nach vorn. Nein,
Sie müssen die Städtebauförderung im Rahmen des Nationalen Stadtentwicklungsprogramms endlich als Aufgabe der Politik, als Aufgabe des Bundes begreifen. Das
heißt, Sie müssen sie gemeinsam mit Ländern und Kommunen fortführen, sie verlässlich finanzieren und die
Programmstrukturen und Schwerpunkte weiterentwickeln. Sie dürfen aber nicht so ein dümmliches Zeug reden wie Herr Vaatz, der dies diskreditiert hat.
({7})
Allein, Sie, Herr Minister, haben auf diese Fragen
keine Antworten. Sie sind ein Mann der leeren Taschen
- ich wiederhole es - und der leeren Versprechungen.
Statt Finanzkraft zu schaffen, sind Ihnen die Milliardenbeträge vom Bundesfinanzminister und von der Regierungskoalition abgenommen worden. Im Zusammenhang mit der DB AG waren es 2 Milliarden Euro. Hinzu
kommen die Aussetzung der von der Großen Koalition
beschlossenen Erhöhung der Lkw-Maut - ich sage das
noch einmal -, die Luftverkehrsteuer und die misslungene Einführung einer Lkw-Maut auf Bundesstraßen.
Herr Minister, kein Verkehrsminister vor Ihnen war erfolgloser als Sie.
({8})
Nun wärmen Sie den CSU-Evergreen Pkw-Maut auf.
Sie machen die Mobilität damit teurer. Sie verhindern
Mobilität. Sie brechen mit Ihrem eigenen Credo, das besagt, dass Sie die individuelle Mobilität fördern wollen.
Der ADAC spricht von Abzocke; nehmen Sie das einmal
zur Kenntnis. Wider jede verkehrspolitische Vernunft,
heißt es vonseiten des ADAC. Die FDP will sie nicht.
Die CDU will sie nicht. Nur Sie wollen sie. Wir wissen
schon heute, dass Sie am Ende des Prozesses mit leeren
Händen dastehen werden. Sie haben nichts organisiert.
Sie haben nur heiße Luft produziert. Sie beschäftigen
uns damit, aber am Ende ist nichts geschafft.
({9})
Nicht der Individualverkehr auf unseren Straßen, sondern der Güterverkehr wächst. Deshalb brauchen wir
neue Konzepte und einen verkehrspolitischen Konsens
für den Güterverkehr. Sie holen aber niemanden an den
Tisch, um über das, was wir benötigen, zu reden. Sie reden mit niemandem darüber, wie wir es auf die Beine
stellen können, damit es gesamtgesellschaftlich im Konsens akzeptiert wird. Genau das ist doch aber nötig.
Kümmern Sie sich bitte darum oder treten Sie ab! Sie
müssen Antworten auf die Fragen geben, wie wir in
Deutschland Infrastruktur organisieren wollen, welches
Netz wir auf der Schiene brauchen, welches Autobahnnetz wir benötigen, wo Ergänzungen nötig sind und wie
Sie die Brückensanierungsprogramme ordentlich finanzieren wollen.
Herr Beckmeyer, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. - Ich will am Ende sagen: Es ist doch klar, worin
die Dramatik liegt. Die Regierungskoalition sagt, dass
10 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung stehen. Nehmen Sie aber bitte zur Kenntnis, dass in dieser Zeit die
Baupreise um 20 Prozent gestiegen sind und dass durch
Umplanungen Kostensteigerungen von weiteren 10 Prozent entstanden sind. Real stehen Ihnen dadurch für Ihre
Aufgaben aktuell 30 Prozent weniger zur Verfügung. Insofern stellen wir fest, dass wir es hier mit einem Werteverlust in der Verkehrsinfrastruktur zu tun haben. Sie
aber bemänteln das.
Herr Beckmeyer!
Sehr geehrter Herr Minister, da Sie diesen Aufgaben
nicht nachkommen, möchten wir Sozialdemokraten Sie
daran erinnern, dass Sie einen Eid gemäß Art. 56 des
Grundgesetzes geleistet haben. Sie haben sich dem Wohl
des deutschen Volkes zu widmen und seinen Nutzen zu
mehren. Tun Sie das bitte!
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von der
FDP-Fraktion.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
({0})
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Beckmeyer, einen Minister,
dem der Haushaltsgesetzgeber 25,3 Milliarden Euro, davon 13,7 Milliarden Euro für Investitionen, zur Verfügung stellen will, als Minister der leeren Taschen zu
bezeichnen, sagt viel über Ihr haushaltspolitisches
Grundverständnis aus.
({0})
In der letzten Fachdebatte vor der Schlussrunde in der
Haushaltswoche darf man so etwas sagen. Ich wundere
mich darüber, was die Haushaltspolitiker der Sozialdemokraten dieser Koalition in der allgemeinen Aussprache und auch in der Debatte über den Kanzleretat vorgehalten haben: Angeblich trickse die Koalition bei der
Berechnung der Schuldengrenze,
({1})
angeblich mache die Koalition mehr Schulden, als sie
müsse, und angeblich sei die Koalition nicht auf dem
Pfad der Konsolidierung. Beide Reden aus der sozialdemokratischen Fraktion zu diesem Etat waren reine Ausgabeerhöhungsreden ohne einen einzigen konkreten Gegenfinanzierungsvorschlag. So geht es nicht.
({2})
Am Ende wird der Blick auf die ganze Woche gerichtet. Als Opposition den Eindruck zu erwecken, das Geld
fiele in dem Moment, in dem andere regierten, vom
Himmel - das haben Sie getan; das wurde in dieser Woche deutlich -, ist schlichtweg unseriös. Ich finde es
schon bemerkenswert, dass der Kollege Beckmeyer
zwar die Muße und die Zeit hatte, der Neuen Osnabrücker Zeitung sein Konzept zu einer Schwerverkehrsabgabe auf allen Straßen in Deutschland zu erklären, aber
in seiner Redezeit kein Wort zu
({3})
einem Erhöhungsprogramm für jegliche Waren und Güter im täglichen Bedarf und zu einem Preiserhöhungsprogramm für jeden Umzug in der Stadt, was mit einer
gewaltigen Datenmenge und Verwaltungskosten garniert
wäre, verlor. Dazu müssten Sie hier einmal etwas sagen,
geschätzter Kollege, statt einfach nur drumherum zu reden.
({4})
Bemerkenswert ist auch die Einlassung der Sozialdemokraten zur Deutschen Bahn. Sie haben in Ihrer Regierungszeit mit den Grünen die Privatisierung einschließlich des Schienennetzes betrieben. Sie mussten am Ende
auf den Pfad der Tugend gebracht werden, sodass wenigstens die Infrastruktur nicht mit privatisiert wurde.
Sie haben unter Rot-Grün die Politik betrieben, die Sie
jetzt beklagen. Dem Bundesverkehrsminister vorzuwerfen, dass die in den 90er-Jahren angeschafften ICEs
Qualitätsprobleme haben, ist nun wirklich ein starkes
Stück. Das geht so nicht.
({5})
Es wurde insgesamt aus meiner Sicht zu viel über die
einzelnen Investitionsetats gesprochen, über die wir sicherlich auch kritisch diskutieren werden. Aber es gilt
am Ende: Was passiert mit dem Geld? Wie effizient wird
es eingesetzt? Ich finde es schon spannend, dass es einen
fundamentalen Widerspruch zwischen den beiden zukünftigen, am liebsten gemeinsam regierenden Fraktionen Grün und Rot gibt.
({6})
- Mal sehen, ob das so bleibt.
({7})
Der Kollege Kühn hat das beschrieben, was die Sozialdemokraten in Baden-Württemberg als kleinerer Partner
im Koalitionsvertrag mitgetragen haben: Aus der Sicht
der grünen Partei sind neue Projekte beim Straßenbau in
Deutschland nicht mehr nötig. Das ist ein fundamentaler
Widerspruch zu der Rede, die der Kollege Beckmeyer
gehalten hat. Das müssen Sie einmal in Übereinstimmung bringen. Ich bin sehr gespannt, wie Ihnen das gelingen wird. Wir haben grundsätzlich eine andere Einschätzung zu diesem Sachverhalt.
({8})
Wir werden bei der Frage, ob wir unsere Mittel effizient einsetzen, auch mit den Ländern, egal wie sie regiert
werden, sehr harte Auseinandersetzungen führen müssen.
Es lohnt, nachzufragen, warum wir nicht genau wissen,
wie hoch die Verwaltungskosten und die Planungskosten
in den einzelnen Bundesländern sind. Wir müssen überprüfen, warum die Bundesrepublik Deutschland so teuer
baut wie kein anderes Land in der Europäischen Union,
obwohl die gleichen Umweltstandards und die gleichen
Planungsrechte gelten. Daran muss man gehen, bevor
man sich überlegt, wo man zusätzliche Einnahmen generiert. Es ist möglich, Infrastrukturmaßnahmen zu realisieren, wenn man mit den Mitteln kreativ und effizient umgeht.
({9})
Deshalb sage ich für die FDP-Fraktion ganz klar: Das
Gleiche gilt zum Beispiel auch für das, was der Bundeshaushalt für die Finanzierung von Schienenpersonennahverkehr aufwendet. Der Bundesgerichtshof hat in einem
bemerkenswerten Urteil festgehalten, dass nach der derzeitigen Rechtslage Direktvergaben im Schienenpersonennahverkehr nicht mehr möglich sein sollen. Wir begrüßen dieses Urteil ausdrücklich. Es stellt sicher, dass
wir in der wettbewerblichen Vergabe das beste Angebot
bekommen. Das schafft Effizienz. Dadurch bekommen
wir mit den gleichen Mitteln im Bundeshaushalt mehr
Schienenpersonennahverkehr.
Diese Koalition will das. Ich bin gespannt, wie Sie
sich dazu einlassen. Ich höre, dass aus dem Bundesrat
der Wunsch kommt, die Direktvergabe wieder zu ermöglichen. Wir sollten im Sinne der Effizienz als Haushaltsgesetzgeber Bundestag gegenhalten.
({10})
Ein letztes Wort zur Stadtentwicklung und zur Gebäudesanierung. Dass diejenigen, die das CO2-Gebäudesanierungsprogramm bewusst befristet in den Bundeshaushalt eingestellt haben, wohl wissend, dass im nächsten
Jahr nichts mehr gemacht werden würde, uns vorhalten,
die 1,5 Milliarden Euro würden nicht reichen, ist schon
eine sehr bemerkenswerte politische Einschätzung.
({11})
Ich sage Ihnen: Geben Sie Ihren Widerstand gegen
die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten im Rahmen der Gebäudesanierung auf. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschen mit Eigenheim oder mit Eigentumswohnungen, für die Vermieterinnen und Vermieter
von ein bis zwei Wohnungen die Möglichkeiten zur steuerlichen Abschreibung verbessern; denn das schafft gute
Nachfrage bei Handwerk und Handel vor Ort.
({12})
Wenn Sie dort auch in den Ländern Ihren Widerstand
aufgeben, dann erzielen wir einen zusätzlichen positiven
Effekt für den Klimaschutz. Das Ministerium ist nämlich
nicht nur für Verkehr und Bau zuständig, sondern ganz
besonders auch für den Klimaschutz. Das beweisen wir
mit diesem Haushalt.
Vielen Dank.
({13})
Für die Linken hat jetzt das Wort der Kollege Thomas
Lutze.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Bund unterstützt den Eisenbahnverkehr in einem erheblichen Umfang. Neben den Regionalisierungsmitteln
sind das vor allen Dingen Investitionen in die Infrastruktur. Als Linke fordern wir dennoch mehr finanzielle Unterstützung für den Bahnverkehr. Wir sind gegen milliardenteure Prestigeprojekte, falls die Frage auftauchen
sollte, woher das Geld denn kommen soll.
({0})
Aber auch andere Entscheidungen der Bundesregierung sind wenig sinnvoll. Es wird immer wieder gesagt,
die Bahn sei zu teuer. Von vielen Bürgerinnen und Bürgern wird das auch so wahrgenommen. Doch anstatt der
Bahn stärker unter die Arme zu greifen, verursacht der
Gesetzgeber die hohen Preise zum Teil selbst.
Erstes Beispiel: Was hat Deutschland mit Bulgarien,
Estland, Litauen, Ungarn, Rumänien und der Slowakei
gemeinsam? - Den vollen Mehrwertsteuersatz auf Fernverkehrstickets. In allen anderen EU-Staaten sind diese
Fahrkarten entweder steuerfrei, zum Beispiel in Großbritannien, oder mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz
belegt, zum Beispiel in Frankreich. Ändern Sie das, und
die Fahrkarten werden direkt um mindestens 12 Prozent
günstiger.
({1})
Zweites Beispiel: Die direkte Konkurrenz der Bahn
ist der Flugverkehr. Das gilt zumindest, wenn man den
innerdeutschen Flugverkehr betrachtet. Doch während
die Eisenbahn Ökosteuer zahlen muss, ist Flugbenzin
nach wie vor steuerfrei.
({2})
Was hat das mit Wettbewerbsgleichheit zu tun? Beklagen Sie bitte nicht, dass die Bahn zu teuer ist. Sie subventionieren die Mitbewerber und halten die Bahnfahrkarten mit der Mehrwertsteuer und der Ökosteuer
künstlich teuer.
Noch ein schönes Beispiel: Die Bundesregierung
plant, die Einschränkungen beim Fernbusverkehr abzuschaffen. Hauptargument sind hierbei die Verbraucher,
die nun ein preiswerteres Angebot im Vergleich zur
Bahn erhalten sollen. Dass die Busse ohne Maut über die
Autobahn fahren dürfen, ist hierbei selbstverständlich.
Dass für den Bahnverkehr auf der Schiene aber Trassengebühren und Gebühren für jeden Halt in einem Bahnhof
abgedrückt werden muss, weiß kaum jemand. Was hat es
also mit Chancengleichheit im Wettbewerb zu tun, wenn
das eine Verkehrsmittel eine Maut zahlen muss und das
andere nicht?
({3})
Und noch ein Beispiel: Die Bahn - und damit der
Bund - investiert Millionenbeträge, damit Züge und
Bahnhöfe barrierefrei gestaltet werden können. Das ist
auch gut so. Ich frage Sie, Herr Ramsauer: Müssen ab
1. Januar 2012 auch alle Fernbusse behindertengerecht
ausgestattet werden? Bisher nicht. Das ist aber keine
freiwillige Leistung. Es ist geltendes Recht, resultierend
aus der Ratifizierung einer UN-Konvention. Wenn Sie
bei der Liberalisierung des Fernbusverkehrs diesen Faktor außen vor lassen, verstoßen Sie nicht nur gegen geltendes Recht, sondern behandeln auch hier die einzelnen
Verkehrsträger ungleich.
({4})
- Herr Döring, dann sorgen Sie einfach dafür, dass ab
1. Januar 2012 die Busse behindertengerecht ausgestattet
sind. Sie werden nicht einen Bus finden, der das ist.
({5})
- Ich sage Ihnen: Sie werden kein Busunternehmen finden, das seine Fernverkehrsbusse freiwillig so ausstattet,
dass sie behindertengerecht sind. Das kostet richtig Geld
und wird nur dann gemacht, wenn sie dazu verpflichtet
werden.
Wenn für diese Busse auch noch eine Autobahntrassengebühr bezahlt werden müsste, wären die Tickets fast
genauso teuer wie bei der Bahn.
Die sehr unterschiedlichen Tarifregelungen für die
Angestellten der Bahn und die Angestellten der Busunternehmen sind hier ein weiteres Thema.
Vergleichbares in Ihrer Politik gibt es beim Güterverkehr. Der Kollege von den Grünen hat es bereits angesprochen. Anstatt hier für die Verlagerung von der
Straße auf die Schiene zu sorgen, will die Bundesregierung sogar die Gigaliner zulassen.
({6})
Sie werden sich trotz unserer Kritik nicht von diesen
Projekten, die ich gerade aufgezählt habe, abhalten lassen.
({7})
Aber man kann Ihnen dann vorwerfen, dass ein fairer
marktwirtschaftlicher Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern für Sie ein Fremdwort ist.
Als die Linke sagen wir sehr deutlich: Wir wollen
eine leistungsfähige, flächendeckende und vor allen Dingen auch preisgünstige Bahn. Und überall da, wo keine
Schienen vorhanden sind oder dies betriebswirtschaftlich nun gar nicht funktionieren sollte, können wir gerne
Busse einsetzen. Dafür brauchen Sie die Gesetze nicht
zu ändern. Das geht heute schon.
Vielen Dank.
({8})
Für die Grünen spricht nun die Kollegin Bettina
Herlitzius.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Und täglich grüßt das Murmeltier: Seitdem
Schwarz-Gelb in Berlin regiert, treffen wir uns jährlich
im Plenum zu den Haushaltsberatungen, und immer läuft
dieselbe Szenerie ab. Den ganzen Sommer über sagen
uns die Mitglieder der Regierung, wie wichtig die Städtebauförderung für unsere Städte und die KfW-Förderung für unsere Gebäude ist. Was aber passiert? Sie legen uns tatsächlich wieder einen Haushaltsentwurf vor,
der bei genau diesen beiden Schlüsselthemen des Baubereiches, Städtebauförderung und energetischer Gebäudesanierung, massive Kürzungen vorsieht.
({0})
Herr Minister, mit diesem Haushalt verabschieden Sie
sich endgültig von Ihrem eigenen Klimakonzept der
Bundesregierung. Verantwortliche Energie- und Klimapolitik sieht anders aus.
({1})
Den ganzen Sommer über haben wir uns viele Sonntagsreden angehört. Wir haben von vielen Pressekonferenzen gelesen. Die Bauindustrie hat gestrahlt. Die Wähler, nicht nur in Bayern, waren sehr zufrieden, und unser
Minister Ramsauer zog stolz durchs Land und verkündete noch im Mai kämpferisch - ich zitiere -:
Die Städtebauförderung ist unverzichtbar für unsere
Städte … Ich werde mich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass im Bundeshaushalt 2012 mindestens
455 Millionen Euro für die Städtebauförderung bereitgestellt werden.
Gut gebrüllt, Löwe.
Herr Minister, gegen wen kämpfen Sie eigentlich? Sie
selbst haben die Budgetverantwortung für Ihren Haushalt. Übernehmen Sie sie endlich! Stehen Sie wenigstens
einmal zu Ihren Worten!
({2})
Finanzieren Sie eine Städtebauförderung, die ihren Namen verdient, und lassen Sie endlich die Finger weg von
der sozialen Stadt!
({3})
Sie haben es nicht verstanden. Der Kollege Vaatz hat das
noch einmal demonstriert.
Auch für die Bauindustrie gab es politische Visionen
in diesem Sommer. Eine Energie-AfA sollte kommen.
Es sollte eine Abschreibung für energetische Sanierung
eingeführt werden.
({4})
Noch im Juni hat Herr Ramsauer gesagt - Originalzitat -:
Um die Sanierungsquote auf 2 Prozent zu erhöhen,
stellt die Bundesregierung ab dem kommenden Jahr
jährlich 1,5 Milliarden Euro … zur Verfügung. Zusätzlich werden wir steuerliche Förderung schaffen,
um weitere Eigentümergruppen für eine energetische Sanierung zu gewinnen.
Das hört sich erst einmal gut an. Politische Visionen sind
aber die eine Seite, die nackten Haushaltszahlen im
Herbst sind die andere.
Frau Herlitzius, der Kollege Sebastian Körber würde
Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja.
Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Kollegin Herlitzius. Sie haben ein
sehr gutes Instrument angesprochen, das zur Gebäudesanierung in Deutschland beitragen könnte, nämlich die
steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für Immobilien. Der Gesetzesvorschlag der Koalition und der Bundesregierung ist bekanntermaßen im Bundesrat abgelehnt worden, und zwar unter Federführung der rot-grün
geführten Länder, aber auch des grün-rot geführten Landes, nämlich Baden-Württemberg.
Wenn man den Koalitionsvertrag von BadenWürttemberg liest, dann hat man das Gefühl, Klimaschutz steht in jeder dritten Zeile. Ich finde es fast unverschämt, wenn Sie hier sagen, dass der Bereich von unserer Seite nicht mit ausreichenden finanziellen Mitteln
bedacht worden ist. Ich frage Sie deshalb: Finden Sie es
nicht problematisch, oder ist es Ihnen nicht zumindest
etwas peinlich, wie sich der grüne Ministerpräsident
Herr Kretschmann in diesem Punkt verhält?
({0})
Herr Körber, ich glaube, es sollte Ihnen peinlich sein.
({0})
Denn Ihnen müsste das Subsidiaritätsprinzip bekannt
sein. Das heißt, was wir in Berlin beschließen, sollten
wir auch selber auf vernünftige Weise finanzieren.
({1})
Wenn es um den Länderanteil aus der Mehrwertsteuer, Einkommensteuer oder anderen Steuern geht,
dann müssen wir den Ländern Kompensation anbieten.
({2})
Wir können sie in den aktuellen Haushaltsdebatten nicht
im Regen stehen lassen.
({3})
Die 1,5 Milliarden Euro für die KfW-Gebäudesanierung sind leider anders als angekündigt aus dem Haushalt verschwunden. Man findet sie jetzt im Energie- und
Klimafonds, allerdings ohne eine sichere Finanzierung.
Mit der steuerlichen Abschreibung - Herr Körber hat
es gerade angesprochen - ist es ähnlich. Auch das hat
nicht geklappt.
({4})
Sie wollen sich auf Kosten der Länder einen schlanken
Fuß machen. Das ist nicht in Ordnung. Auch wir Grünen
wollen eine steuerliche Abschreibung für energetische
Sanierung.
({5})
Wir stehen dazu. Aber wir sollten sie richtig machen,
nämlich mit einem fairen Finanzausgleich für die Länder. So einfach ist das.
({6})
Im Haushalt sind aber noch einige andere Sommermärchen enthalten. Das Programm „Altersgerecht Umbauen“ der KfW war, glaube ich, Ihr Sommermärchen,
Herr Körber. Auch hierfür wollten Sie kämpfen. Seit
zwei Jahren ist dieses Förderprogramm auf dem Markt.
Die Bauherren hatten kaum Zeit, sich darauf einzustellen. Jetzt, da es langsam zu wirken anfängt, stampft
diese Regierung es ein.
Frau Kollegin Herlitzius, darf ich Sie noch einmal unterbrechen? - Der Kollege Fricke würde Ihnen gerne
eine Zwischenfrage stellen. Sie entscheiden das.
Okay.
Bitte schön.
Frau Kollegin Herlitzius, ich finde es schon beachtlich,
({0})
wenn eine Bundestagsabgeordnete fordert, dass die Länder Geld vom Bund erhalten sollen. Sie haben eine Verantwortung für den Bundeshaushalt. Vielleicht beruht
Ihre Haltung auf einer mangelnden Faktenkenntnis. Haben nach Ihrer Meinung die Länder und Kommunen
mehr Steuereinnahmen oder der Bund? Das wissen Sie
wahrscheinlich nicht.
({1})
Herr Fricke, das ist eine allgemeine Aussage. Auf
welche Steuern beziehen Sie sich?
({0})
Wir haben ein sehr differenziertes Steuersystem mit ganz
unterschiedlichen Sätzen. Denken Sie an die Mehrwertsteuer, die Einkommensteuer, die Grunderwerbsteuer
oder die Grundsteuer. Es gibt zig verschiedene InstruBettina Herlitzius
mente. Sie wollen jetzt pauschalisieren. Ich denke, das
passt nicht.
({1})
Wir wollen, dass Sie sich fair mit den Ländern auseinandersetzen und mit ihnen zusammen eine Lösung
finden. Sie haben etwas vorgeschlagen - das werfen wir
Ihnen vor -, und Sie wollen, dass es scheitert.
({2})
Das ist zu verurteilen; denn Sie spielen mit den Gebäudebesitzern, die Sie veräppelt haben. Genau das ist Ihre
Strategie: Große Ankündigungen, und dann setzen Sie
das Ding doch in den Sand.
({3})
- Regen Sie sich nur ordentlich auf! Machen Sie eine
vernünftige Finanzpolitik! ({4})
Ich komme zu dem Förderprogramm, das Herr Körber
angesprochen hat, zurück. Es ist seit zwei Jahren auf
dem Markt. Kümmern Sie sich darum. Demografischer
Wandel ist ein wichtiges Thema. Aber der demografische Wandel ist im Bauministerium offensichtlich so
weit fortgeschritten, dass man ihn einfach vergessen hat.
Dabei ist der demografische Wandel in unserer Gesellschaft neben dem Klimawandel eine weitere große Herausforderung. Nur 1 Prozent der Wohnungen ist barrierefrei. Das ist zu wenig. Wir Grüne fordern, dass Sie dieses
Programm wieder auflegen. Wir müssen die Barrieren in
unseren Wohnungen, in unseren Stadtvierteln, aber vor
allem die Barrieren in den Köpfen dieser Regierung beseitigen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsparteien, mit diesem Haushaltsentwurf machen Sie uns eines deutlich: Mit sozial Schwachen, mit Alten und mit
Behinderten haben Sie nichts am Hut. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Wie sieht es denn mit der Kultur aus? Ist die Baukultur, unser historisches Erbe, vielleicht eine Aufgabe, derer sich diese Regierung annimmt? Nein, weit gefehlt.
Diese Regierung braucht auch keine Baukultur. Selbst
ein kleines Förderprogramm wie das für die Unterstützung des UNESCO-Weltkulturerbes in Deutschland
wird von Ihnen nicht weitergeführt.
({6})
Dazu fällt mir ein Zitat von Gottlieb Saphir ein: Inwiefern sind Minister und Pantoffeln sich gleich? Man
gewinnt beide oft erst dann lieb, wenn sie abgetreten
sind.
In diesem Sinne.
({7})
Für die SPD hat der Kollege Florian Pronold das
Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Lieber Herr Minister Ramsauer, Sie sind bei
den vergangenen Debatten immer als Ankündigungsminister gestartet - eine Ankündigung nach der anderen.
Heute müssen wir feststellen: Sie sind der Stillstandsminister dieser Regierung, weil sich in keinem Ressort
so wenig bewegt wie in Ihrem. Der Ankündigung folgt
kein Handeln.
({0})
Im Februar waren Sie bei einem großen Ausstatter der
Deutschen Bahn AG und haben angekündigt: Jetzt wird
es besser. Die Züge werden geliefert, das EisenbahnBundesamt wird entsprechend handeln. - Gestern fand
ein Bahngipfel statt, auf dem dieselbe Ankündigung gemacht wurde, nämlich dass es besser wird, dass die Züge
geliefert werden und das Eisenbahn-Bundesamt schneller prüfen wird. Gleichzeitig kündigen Sie schon jetzt an,
dass sich die Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer auch in
diesem Winter wieder auf ein Chaos einstellen müssen,
weil es die entsprechenden Züge nicht gibt. Was stimmt
denn nun, Herr Minister?
Sie haben hier an diesem Mikrofon angekündigt, dass
zukünftig 100 Prozent des Zuwachses an Güterverkehr
auf der Schiene stattfinden soll. Wie sieht es jetzt aus?
Sie haben selber die Süddeutsche Zeitung von heute zitiert: „Bund fehlt Geld für neue Straßen und Schienen“.
Dem besagten Artikel in der Süddeutschen Zeitung entnehmen wir: Y-Trasse - kein Geld vorgesehen; RheinRuhr-Express - kein Geld vorgesehen; es gibt keine
neuen Mittel, um tatsächlich zu gewährleisten, dass
mehr Güterverkehr auf der Schiene stattfindet. - Das ist
das Ergebnis Ihrer Ankündigungen: heiße Luft und
nichts dahinter.
({1})
Sie haben selber im letzten Haushalt zum Beispiel im
Bereich kombinierte Verkehre gekürzt. Dort haben Sie
sogar das Gegenteil von dem gemacht, was vorher angekündigt worden ist. Was fällt Ihnen als Alternative ein?
({2})
Gigaliner. Anfang nächsten Jahres soll es einen entsprechenden Feldversuch geben. Übrigens ist es der zweite
Versuch dieser Art. Es ist ja nicht so, dass es nicht schon
welche gegeben hat, aus denen man Rückschlüsse hätte
ziehen können.
Selbst das CDU-FDP-regierte Land Hessen steigt aus
diesem Feldversuch jetzt aus.
({3})
Sie kündigen an, dass Sie Ihr Vorhaben mit einer Ausnahmeverordnung gegen den Willen der Mehrheit der
Länder durchsetzen.
Ich sage Ihnen hier von dieser Stelle - die Allianz pro
Schiene hat ein Gutachten vorgelegt -:
({4})
Das, was Sie machen, ist nicht nur inhaltlich falsch, es
ist auch verfassungswidrig.
({5})
Die SPD-Bundestagsfraktion wird klagen, wenn Sie
diese Ausnahmeverordnung in Kraft setzen. Der Weg,
den Sie hier einschlagen, ist kein Weg in die Zukunft;
das ist ein Weg in die verkehrspolitische Vergangenheit.
({6})
Eine weitere Ankündigung von Ihnen lautet, die Verkehrsfinanzierungsgesellschaften kreditfähig zu machen.
Darüber kann man trefflich streiten. Sie haben es angekündigt, Herr Ramsauer. Herr Vaatz hat es gerade angekündigt. Was wird aus den Ankündigungen? Sie haben
doch die Mehrheit hier. Bringen Sie endlich den angekündigten Gesetzentwurf ein; dann können wir auch darüber reden.
Die Bundeskanzlerin hat vor der Wahl versprochen:
Es wird mit dieser Regierungskoalition keine Einführung einer Pkw-Maut geben.
({7})
Da ist sie im Wort.
({8})
Was sagt dazu der Herr Bundesminister? Wessen Wort
gilt denn nun in dieser Bundesregierung? Wer gibt jetzt
den Ton an? Ist es der Herr Ramsauer, der auf einmal die
Pkw-Maut entdeckt? Er wollte sie erst nur prüfen, in dieser Legislaturperiode aber nicht einführen; binnen vier
Wochen ist nun ein Gesetzentwurf entstanden. Ich frage
Sie: Was gilt denn nun? Hat die Bundeskanzlerin recht?
Bleibt es bei dem Wort der Bundeskanzlerin? Oder ist es
so, dass der Herr Ramsauer nach längerer Prüfung doch
einen Gesetzentwurf vorlegt, der nur auf eines abzielt,
nämlich darauf, die Autofahrerinnen und Autofahrer abzuzocken?
({9})
Sie beklagen zu Recht, dass zu wenig Geld in die Infrastruktur fließt. Wenn Sie fragen: „Woher soll das Geld
kommen?“, dann stelle ich Ihnen eine Gegenfrage: Wie
kann man Milliarden für Geschenke an die Klientel, an
reiche Erben und an Hoteliers, ausgeben und nachher beklagen, dass Geld fehlt?
({10})
Wie kann man die Ausweitung der Lkw-Maut zurücknehmen und auf Geld für die Infrastruktur verzichten?
Wie kann man die vierspurigen Bundesstraßen nicht
vollständig, sondern nur zu einem Drittel in die LkwMaut aufnehmen wollen? Wie ist damit vereinbar, dass
diese Mauteinnahmen nicht einmal in den Haushalt fließen, weil das nicht umsetzbar ist?
({11})
Wie kann man von Verkehrsträgerfinanzierungskreisläufen reden - im letzten Haushalt waren eine Luftverkehrsabgabe und eine Zwangsdividende für die Bahn verankert - und die Mehreinnahmen nicht komplett dem
Verkehrshaushalt, sondern der allgemeinen Schuldentilgung zukommen lassen?
({12})
Sie reden immer davon, dass Sie mehr Geld für Investitionen brauchen. Da haben Sie recht. Aber dann nehmen Sie die Klientelgeschenke zurück und sorgen Sie
für echte Verkehrsträgerfinanzierungskreisläufe. Investieren Sie das zur Verfügung stehende Geld auch in die
Verkehrsinfrastruktur. Dann muss man keinen einzigen
Pendler belasten.
({13})
Die Halbzeitbilanz dieser Bundesregierung dokumentiert eines: Sie kann nicht regieren. Sie macht Ankündigungen, und daraus folgt im Regelfall nichts. Wenn es
einen Beleg für die Unfähigkeit zum Regieren gibt, dann
ist es die Personifizierung durch den Bundesverkehrsminister.
Herzlichen Dank.
({14})
Herr Kollege Sendker, ich habe Sie noch nicht aufgerufen. Aber Sie können gerne dort stehen bleiben; denn
Sie haben jetzt das Wort. Allerdings ruft immer noch der
Präsident die Redner auf. - Das Wort hat der Kollege
Reinhold Sendker von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
Pronold, Sie haben eben die Süddeutsche Zeitung zitiert
und unseren Minister als Stillstandsminister bezeichnet.
({0})
Ich darf einmal die Süddeutsche Zeitung vom 1. September zitieren. Darin werden Sie, verehrter Herr Pronold,
als „Trümmermann der SPD“ bezeichnet. So, wie Sie
sich heute Morgen eingelassen haben, haben Sie bei uns
auch nicht gerade den Eindruck erweckt, dass Sie für
Deutschland ein guter Ratgeber in Sachen zukünftige Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind.
({1})
Herr Pronold, richtig ist, dass auch in 2012 die investiven Mittel für den Verkehr nach Auslaufen der Konjunkturprogramme und trotz notwendiger Sparpolitik
höher sind als vor der Krise und auch höher als in 2011.
Solide Haushaltsverhältnisse und mehr investive Mittel
für den Verkehr leisten einen starken Beitrag, damit
Deutschland das bleibt, was es ist: Wachstumslokomotive in Europa. Das ist unser Ziel.
Unser Land ist das Kernland Europas. Es ist Transitland und der größte Logistikstandort der Welt. Daran
muss sich eine zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur
orientieren.
Beim Verkehrsträger Straße sind für uns drei Punkte
von großer Bedeutung: Erstens. Der Finanzierungskreislauf Straße ist hergestellt. Er schafft viel Transparenz
und Akzeptanz für unsere Investitionen. Zweitens ist es
ebenso erfreulich, dass im Haushaltsplanentwurf für
2012 mehr Mittel für die Straße eingestellt sind als für
2011. Drittens lautet bei den Investitionen in Straße unsere klare Priorität: Erhalt steht vor Neubau.
({2})
Der Minister hat das sehr eindrucksvoll begründet. Im
Sinne einer intakten Verkehrsinfrastruktur darf es hier
keine Rückstände geben.
Natürlich hätten wir gern mehr investive Mittel für
den Neubau zur Verfügung. Deshalb gilt unser Augenmerk natürlich den neueren Ansätzen zur Optimierung
von Bau und Bestand im Verkehr. Dazu gehört das
Thema öffentlich-private Partnerschaft mit ersten sehr
positiven Erfahrungen im Bundesfernstraßenausbau.
Wie wir hören, ist beispielsweise der Ausbau der A1 auf
sechs Spuren im Bereich von Osnabrück bis zum Kamener Kreuz bis zum Jahre 2020 herkömmlich nicht realisierbar. Ich darf feststellen: Mit einem ÖPP-Projekt wäre
das sehr wohl möglich gewesen. Leider wird aus erkennbar ideologischen Gründen ein schnellerer Ausbau auf
dieser wichtigen Nord-Süd-Verbindung vom grünen
NRW-Verkehrsstaatssekretär abgelehnt.
({3})
Das dient weder den Menschen noch der Region. Wer
vom Bund mehr Geld für Investitionen im Verkehr fordert, aber vor Ort ÖPP ablehnt, meine Damen und Herren, der muss Geld ohne Ende haben, oder er ist schlicht
unglaubwürdig.
({4})
Neben der ÖPP-Finanzierung verfolgen wir mit
Nachdruck den Prüfauftrag zur Herstellung eines Finanzierungskreislaufs Straße unter direkter Zuweisung der
Lkw-Maut an die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft VIFG.
Der Haushaltsentwurf enthält auch gute Mittelansätze
für den Lärmschutz, für Radwege an Bundesstraßen, für
die kombinierten Verkehre und 130 Millionen Euro für
die Beseitigung der Lkw-Stellplatzdefizite. Die Bereitstellung dieser Stellplätze ist nicht nur eine gesetzliche
Verpflichtung. Sie dienen vor allem der Sicherheit an unseren Autobahnen.
Apropos Verkehrssicherheit. Von 1970 bis 2010 sank
die Zahl der Verkehrstoten auf unseren Straßen von
20 000 auf 4 000. Im abgelaufenen Jahr 2010 starben auf
Deutschlands Straßen mit 3 648 so wenig Menschen wie
seit 60 Jahren nicht mehr. Zielführend war dabei auch
die Einführung des begleiteten Fahrens mit 17 als Dauerrecht, die auf unsere Initiative zurückgeht. Ich darf feststellen, auch hier sind wir auf einem guten Weg.
({5})
Auch beim Verkehrsträger Schiene ist mit über 4 Milliarden Euro mehr veranschlagt worden als in 2011. Es
gibt eine erfreuliche Perspektive im Finanzplan bis 2015
mit einem Aufwuchs um weitere 1,1 Milliarden Euro.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, beim
Thema moderne Bahnhöfe und zukunftsfähige Schieneninfrastruktur empfehle ich den Grünen, Projekte wie
Stuttgart 21 nicht länger und immer neu zu blockieren
und kurz und klein zu reden. Nehmen Sie stattdessen
endlich auch die sehr positiven und eindeutigen Ergebnisse des Stresstests zur Kenntnis und handeln Sie in
Verantwortung danach.
({6})
Die einen, meine Damen und Herren, reden immer
nur, andere handeln, darunter auch unser Minister, zum
Beispiel bei dem schwierigen Thema Zugbeschaffung;
das war ja eben hier schon Thema. Herr Minister, damit
wird alles getan, damit im Winter die Zahl der Zugausfälle und -verspätungen verringert wird. Das ist eine gute
Perspektive. Herzlichen Dank dafür.
({7})
Das Thema Instandhaltung und Erneuerung ist nicht
nur für Schiene und Straße von Bedeutung, sondern auch
für die Bundeswasserwege.
({8})
Hierbei hat der verkehrswirtschaftliche Nutzen absolute
Priorität. Ich darf anmerken, dass allein ein Viertel des
gesamten Gütertransports im größten Bundesland NRW
auf den Wasserstraßen verläuft.
Überaus erfolgreich - das soll hier auch erwähnt sein entwickelt sich das CO2-Gebäudesanierungsprogramm:
konjunktur-, wohnungs- und klimapolitisch. In diesem
Jahr wurden Mittel in Höhe von fast 1 Milliarde Euro
bereitgestellt. Es ist ein Aufwuchs in den nächsten Jahren bis 2014 auf dann jährlich 1,5 Milliarden Euro geplant.
({9})
Zum Thema Städtebauförderung hat mein Kollege
Arnold Vaatz alles Wesentliche festgestellt.
({10})
Es ist uns gelungen, gegenüber dem Eckwertebeschluss
vom März wieder einen Aufwuchs auf insgesamt über
500 Millionen Euro herzustellen. Als Baupolitiker darf
ich ergänzen, dass wir auch an den ländlichen Raum
denken. Den Ansatz des entsprechenden Programms für
kleine Städte und Gemeinden haben wir auf über 40 Millionen Euro angehoben. Auch das ist eine klare Aussage
in unserem Entwurf.
({11})
Wer all das im Ergebnis als zu wenig kritisiert, der
möge uns dann bitte sagen, wie denn ansonsten die
Haushaltsziele der Konsolidierung und das Einhalten der
Schuldenbremse erreicht werden sollen. Wir jedenfalls
stehen für eine realistische Politik, für solide Haushaltsverhältnisse und die Verstetigung der investiven Mittel
auf hohem Niveau, für die Prioritätensetzung Erhalt vor
Neubau, für den Zugang zu neuen Finanzierungsinstrumenten, für viel Innovation sowie für Planungssicherheit
in der Städtebauförderung und die Stärkung der Energieeffizienz.
({12})
Ich darf noch einmal auf das bereits angesprochene
Interview von meinem Kollegen Beckmeyer in der
Neuen Osnabrücker Zeitung zurückkommen. Dort haben
Sie, Herr Beckmeyer, etwas gesagt, was ich gerne unterstütze, nämlich dass die Wirtschaft von einer starken Infrastruktur in Deutschland profitiert. Ja, meine Damen
und Herren, wir haben eine starke Infrastruktur in
Deutschland.
({13})
Mit dem Etatentwurf für 2012 wollen wir sie erhalten
und ausbauen. Das ist unser Ziel.
({14})
Herzlichen Dank.
({15})
Als letzte Rednerin zu diesem Geschäftsbereich hat
die Kollegin Stefanie Vogelsang von der CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Netter Kollege. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Lassen Sie mich als Haushaltspolitikerin der
Union zum Abschluss dieser Debatte noch einmal einen
kurzen Blick auf den Etat des Bundesbauministers werfen. Wir hatten uns - das möchte ich eingangs sagen - in
den letzten Monaten, eigentlich schon seit über einem
Jahr, mit der Staatsschuldenkrise der Länder in der EuroZone zu beschäftigen. In der letzten Wahlperiode hatten
wir eine Wirtschafts- und Finanzkrise und haben über
80 Milliarden Euro als Konjunkturmittel zur Verfügung
gestellt. Das war eine richtige und wichtige Maßnahme,
um die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland voranzubringen. Genau das, was die
Bundeskanzlerin versprochen hat, nämlich dass Deutschland stärker aus der Krise hervorgeht, als es hineingegangen ist, ist damit auch wahr geworden.
Nun geht es aber darum, durch Konsolidierungsmaßnahmen diese 80 Milliarden Euro zu refinanzieren. Die
Konjunkturmittel wurden erfolgreich eingesetzt. Jetzt
geht es darum, die Ausgaben herunterzufahren. Deswegen ist es so wichtig und richtig, jeden einzelnen Bereich
zu evaluieren und zu schauen, wo eingespart werden
kann. Ich möchte meinen Schwerpunkt gerne auf drei
Punkte legen: die Verkehrsinvestitionen, das CO2-Gebäudesanierungsprogramm und die Äußerungen von Ihnen, Herr Kollege Beckmeyer, zum Thema Städtebauförderung.
Der Etat des Bundesbauministers beinhaltet mit einem Anteil von 52 Prozent den größten Teil der Gesamtinvestitionen des Bundes. Das ist eigentlich auch eine
Selbstverständlichkeit. Die Mittel für Investitionen in
diesem Bereich belaufen sich auf 13,7 Milliarden Euro.
Das ist ein enormer Betrag. Wichtig ist, wie ich finde,
dass dieser enorme Betrag in der mittelfristigen Finanzplanung stetig weitergeführt wird, dass dies also auch
der Ansatz für die nächsten Jahre ist. Nichtsdestotrotz
sind 13,7 Milliarden Euro und vor allen Dingen 10 Milliarden Euro für den Bereich der Verkehrsinfrastruktur
nicht gerade üppig. Wir werden uns in den Haushaltsberatungen jeden noch so kleinen vorhandenen Spielraum
anschauen, um vielleicht Möglichkeiten zu finden, diesen Bereich zu verstärken.
({0})
Der zweite Punkt ist das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Im Haushaltsausschuss und wahrscheinlich auch
in diesem Haus sind wir uns darüber einig, dass das ein
erfolgreiches Programm ist. Wir stellen in diesem Jahr
950 Millionen Euro für die zinsverbilligten Kredite bei
der KfW zur Verfügung. In den Folgejahren, 2012 bis
2014, werden es 1,5 Milliarden Euro sein. Das ist eine
verlässliche Politik: auf der einen Seite im Hinblick auf
die Reduzierung von CO2-Emissionen und auf der anderen Seite für die mittelständische Bauwirtschaft und die
kleinen Investoren vor Ort, die sich an diesem Programm orientieren. Das unterstützen wir sehr.
({1})
Der dritte Punkt, Herr Kollege Beckmeyer, ist die
Städtebauförderung.
({2})
Wichtig ist die Botschaft: Der Bund bleibt starker, verlässlicher Partner in der Städtebauförderung.
({3})
Wenn Sie, Herr Beckmeyer, hier die Äußerungen meines
Kollegen Vaatz als „dümmliches Zeug“ bezeichnen,
({4})
dann würde ich Ihnen gerne einmal das dümmliche Zeug
Ihres Kollegen Wowereit im Berliner Wahlkampf vor
Augen führen.
({5})
Das Programm „Soziale Stadt“ mit einem Schwerpunkt
auf Investitionen in Beton, wie es in der Neujustierung
des Bundesbauministeriums vorgesehen ist, bedeutet
keineswegs eine Abkehr des Programms von Investitionen in Menschen.
({6})
Hier im Land Berlin - das ist vielleicht das Vorzeigeland
für verschiedene Maßnahmen - haben die Kommunen
und das Land Sozialarbeiterstellen abgebaut und Mittel
des Programms „Soziale Stadt“ tatsächlich für Themen
wie Malkurse und Zusammenhalten eingesetzt.
({7})
Frau Kollegin Vogelsang, Entschuldigung, der Kollege Pronold würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage
stellen. Lassen Sie das zu?
Ich spreche meinen Satz noch zu Ende, dann lasse ich
sie gerne zu.
Wichtig ist doch, dass die Gebietskörperschaften in
diesem Bereich zusammenarbeiten. Wichtig ist, dass
nicht der eine mit dem Finger auf den anderen zeigt,
({0})
sondern dass man zusammen für Städtebauförderung
einsteht und nicht auf Kosten des Bundeshaushalts eigene Ausgaben einspart. Das ist eine völlig falsche und
verfehlte Politik.
({1})
Während wir uns von den Linken im Wahlkampf anhören müssen, dass das Programm „Soziale Stadt“ zur
Gentrifizierung in den Innenstadtbereichen beiträgt,
müssen wir uns von der SPD anhören, dass die „Soziale
Stadt“ dafür verantwortlich ist, dass in den Innenstadtbereichen kein ärmerer Mensch mehr lebt, weil alle hohe
Mieten zahlen müssen. Das ist in diesem Zusammenhang völlig unverständliches Zeug.
Jetzt würde ich die Zwischenfrage gerne zulassen.
Entschuldigen Sie, jetzt haben Sie Ihre Redezeit weit
überschritten; deshalb kommt das nicht mehr infrage.
({0})
Ein letzter Satz noch. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass wir so den richtigen Weg in diesem Bereich gemeinsam gehen können.
Danke schön.
({0})
Das hat jetzt natürlich den Wunsch nach einer Kurzintervention des Kollegen Pronold ausgelöst.
({0})
- Ich gebe Ihnen das Wort.
Liebe Frau Kollegin Vogelsang, Sie hätten sich einfach einmal die Projekte der „Sozialen Stadt“ anschauen
sollen, statt hier nur darüber zu reden.
({0})
Ich war im letzten Jahr den ganzen Sommer über unterwegs
({1})
und habe mir vor Ort angeschaut, was mit dem Geld gemacht wird. Was dieses Projekt „Soziale Stadt“ ausmacht, ist die Tatsache, dass man nicht nur in Beton in14744
vestiert, sondern in den Zusammenhalt der Menschen
vor Ort.
({2})
Wir reden darüber, dass es Problemviertel gibt. Es
langt aber nicht, dort einfach nur ein Gebäude zu sanieren, sondern dort muss aktiv etwas für Integration getan
werden.
({3})
Das geschieht mit dem Programm „Soziale Stadt“, dessen Mittel Sie jetzt um über 60 Prozent gekürzt haben.
Wenn Sie uns nicht glauben, dass das Unsinn ist, dann
glauben Sie doch wenigstens den Ergebnissen einer Studie über die Wirkung der Städtebauförderung, die das
Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegeben hat.
Dort ist insbesondere das Programm „Soziale Stadt“ - in
der alten Fassung - als besonders effizient und besonders gut bewertet worden.
({4})
Wir stehen für sozialen Zusammenhalt. Sie aber bringen soziale Kälte in die Stadt. Hier müssen Sie umkehren.
({5})
Es gibt den weiteren Wunsch nach einer Kurzintervention des Kollegen Liebich. Frau Vogelsang, Sie können dann auf beide zusammen antworten.
Bitte schön.
Liebe Frau Vogelsang, Sie haben den Berliner Wahlkampf in den Bundestag getragen. Das ist okay. Dann
müssen wir ihn aber auch miteinander führen. Ich will
hier noch einmal daran erinnern, dass es der rot-rote Senat von Berlin war, der auf Antrag des Wirtschaftssenators Harald Wolf im Bundesrat den Antrag gestellt hat,
die Kürzung bei der Städtebauförderung zurückzunehmen. Der Bundesrat hat dem zugestimmt. Das war die
Position des Landes Berlin. Diese Position war richtig.
Das Problem besteht nicht im Lande Berlin, sondern bei
der Mehrheit des Deutschen Bundestages.
({0})
Zu den Malkursen, die Ihr Kollege Vaatz angesprochen hat: Wer sich mit der Politik in der Stadt Berlin befasst, der weiß, dass das Quartiermanagement und das
Programm „Soziale Stadt“ ganz wichtige Arbeit für den
sozialen Zusammenhalt leisten. Die vielen Projekte, die
immer wieder gelobt werden - gerne auch von Politikern
der CDU, gerne auch von Stadträten; früher waren Sie ja
selbst Stadträtin hier in Berlin -, werden ganz maßgeblich vom Programm „Soziale Stadt“ mitfinanziert. Wir
brauchen diese Projekte in Berlin dringend. Wenn Sie
die Mittel hierfür mit Ihrer Mehrheit kürzen, dann tun
Sie den Berlinerinnen und Berlinern ganz sicher keinen
Gefallen.
({1})
Frau Kollegin Vogelsang, Sie können auf beide Interventionen reagieren.
Vielen Dank, dass Sie mir die Gelegenheit geben. Herr Kollege Pronold, im Gegensatz zu Ihnen habe ich
nicht nur einen Sommer getanzt, sondern ich habe mir
die Programme der „Sozialen Stadt“ über zehn, zwölf
Jahre angeschaut.
({0})
Ich weiß sehr wohl, wie wichtig aufsuchende Sozialarbeit gerade in schwierigen Kiezen und schwierigen
Gebieten ist.
({1})
Aufsuchende Sozialarbeit ist das Herz funktionierender
Sozialpolitik vor Ort. Hier in Berlin gibt es an aufsuchender Sozialarbeit fast nur noch null Komma null Stellen. Sie werden ersetzt durch eine Finanzierung des Bundes im Bereich von „Sozialer Stadt“. Das ist einfach
nicht richtig. Hier muss aufsuchende Sozialarbeit her,
und nicht eine Zweckentfremdung von Bundesmitteln.
({2})
Sehr geehrter Herr Kollege Liebich, mit über einer
halben Milliarde Euro im Bereich der Städtebauförderung brauchte dieser Bundesbauminister und erst recht
die schwarz-liberale Koalition
({3})
- Sie irritieren mich - christlich-liberale Koalition bestimmt keinen Antrag auf Initiative von Harald Wolf aus
dem Land Berlin.
({4})
Das haben wir schon selber hingekriegt.
({5})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen zur Schlussrunde. Als erstem Redner
erteile ich das Wort dem Kollegen Norbert Barthle von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Am Ende dieser Haushaltswoche kann man
die Debatten ein Stück weit Revue passieren lassen. Insbesondere wenn ich an die Beiträge der Opposition
denke, stelle ich fest, dass nur sehr wenig substanzielle
Kritik am Haushaltsentwurf der Bundesregierung geäußert wurde.
({0})
Ich will das gerne erläutern: Es wurde zwar viel kritisiert; aber ich habe wenig Kritik an den Grundlinien dieses Haushaltes gefunden. Dann gilt ein altes schwäbisches Sprichwort, das da lautet: Net gschempft isch
globt gnuag. Auf Deutsch heißt das: Wer nicht meckert,
der lobt eigentlich genügend.
({1})
Lassen Sie mich zunächst einmal auf die Grundlinien
eingehen und feststellen: Wo kommen wir eigentlich her
und wo wollen wir hin? Vor der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahre 2008 hatten wir noch eine Nettokreditaufnahme von 11 Milliarden Euro. Wir wären heute bereits
bei einem ausgeglichenen Haushalt angekommen, wäre
nicht die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise dazwischengekommen. 2009 gab es 34 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme. 2010, unter der Großen Koalition, war
eine Nettokreditaufnahme von 80 Milliarden Euro vorgesehen; tatsächlich sind es 44 Milliarden Euro geworden. Im Haushaltsentwurf für dieses Jahr, 2011, sind
48 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme vorgesehen;
wir werden am Jahresende voraussichtlich mit 30 Milliarden Euro, vielleicht sogar weniger, herauskommen.
Das heißt, diese Regierung nutzt, anders als die Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz und Baden-Württemberg, die bestehenden Verschuldungsspielräume nicht aus. Stattdessen senken wir
die Nettokreditaufnahme; wir senken den Schuldenstand
des Bundes, indem wir diese Spielräume nicht nutzen.
Das unterscheidet uns von anderen Regierungen.
({2})
Ich will deshalb an dieser Stelle dem Bundesfinanzminister und der Bundesregierung für diesen sehr guten
Haushaltsentwurf danken, der uns vorgelegt wurde. Darauf können wir aufbauen und gute Beratungen führen.
Wir unterschreiten die Vorgaben der Schuldenbremse im
Grundgesetz. Ich vermute, dass mein Nachredner, der
Kollege Carsten Schneider, gleich wieder dieses Thema
aufgreifen wird. Ich erspare uns das. Es genügt, wenn
wir das im Haushaltsausschuss in nahezu jeder Sitzung
rauf- und runterdeklinieren.
({3})
Die Opposition hat hier immer wieder vorgetragen,
wir hätten es mit einem Schönwetterhaushalt und einer
Schönwetterregierung zu tun. Ich will mich nicht in die
Reihe derer einreihen, die immer räsonieren, wer die
Verantwortung trägt, wem der Aufschwung, den wir haben, zu verdanken ist. Der Kollege Gabriel hat eine geschichtliche Reihe von Helmut Schmidt über Karl
Schiller bis zu sich. Mir fehlt in der Reihe nur noch
Willy Brandt. Ich sage eher: Unser Bundesfinanzminister reiht sich in eine große christlich-liberale Tradition
der Sparhaushalte ein, die schon bei Stoltenberg begonnen hat und bei Theo Waigel fortgeführt wurde.
({4})
Jetzt findet sich die Tradition in der Tatsache wieder,
dass wir den Ausgabenanstieg limitieren. Wir machen
Haushalte mit einem möglichst geringen Ausgabenanstieg in der mittelfristigen Finanzplanung: Der Anstieg
beträgt ganze 0,7 Prozent; das ist historisch einmalig.
Dies ist der Weg, den wir beschreiten und fortsetzen
wollen. Seit zwei Jahren regiert diese Koalition erfolgreich.
({5})
Das ist der Weg, den wir weiterhin einschlagen.
({6})
Ein Beispiel: Das Zukunftspaket, das wir beschlossen
haben, wird Zug um Zug umgesetzt. Wesentliche Zielsetzungen wurden bereits erreicht. Das steckt drin: Subventionsabbau, Beteiligung der Wirtschaft,
({7})
Änderungen in der Sozialgesetzgebung und Einsparungen im Verwaltungsbereich. Das machen wir; das setzen
wir weiterhin so um.
({8})
Lassen Sie mich wiederholen: Konsolidierungspolitik
ist mühsam und arbeitsreich. Wir beschreiten diesen arbeitsreichen und mühsamen Weg und scheuen vor den
Anstrengungen nicht zurück.
Lassen Sie mich auf einige Einzelpunkte eingehen,
die in dieser Woche vorgetragen wurden. Kollegin
Priska Hinz hat befürchtet, dass die Dividende der Bahn
womöglich nicht komme, dass es eine Luftbuchung sei.
({9})
In der vergangenen Woche hat mir Herr Grube, der sehr
stolz darauf ist, ein erfolgreiches Unternehmen zu führen
- das darf er auch sein -,
({10})
in einem Gespräch noch mal klar und deutlich versichert, dass die Bahndividende kommt; es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass sie kommt.
Lassen Sie mich etwas zur Neujustierung der Sozialgesetzgebung sagen. Frau von der Leyen muss als zuständige Ministerin Sparauflagen im Rahmen unseres
Sparpaketes erfüllen. Das tut sie auch. Das ist in diesem
Bereich auch möglich; denn wir haben historisch niedrige Arbeitslosenzahlen. Wir haben eine Arbeitslosenzahl von unter 3 Millionen, die Sie nie erreicht haben.
Damit ergeben sich in diesem großen Etat entsprechende
Spielräume und Einsparmöglichkeiten. Dort findet alles
andere als ein sozialer Kahlschlag statt, wie der Kollege
Poß es hier vorgetragen hat. Im Gegenteil: Wenn Sie sich
den Anteil der Sozialausgaben an unserem Bundeshaushalt anschauen, dann werden Sie feststellen, dass dieser
über 50 Prozent beträgt. Vor zwölf Jahren, als Rot-Grün
an die Regierung kam, waren wir bei 38 Prozent.
({11})
Diese christlich-liberale Koalition gibt mehr Geld für
den sozialen Bereich aus, als es eine rot-grüne Regierung jemals getan hat.
({12})
Deshalb ist vollkommen klar: Nicht nur die Finanz- und
Wirtschaftspolitik ist bei uns in guten Händen, auch die
Sozialpolitik.
({13})
Es wurde vorgetragen, die Bundeswehr erbringe die
Spardividende nicht. Dazu sage ich klipp und klar: Auch
die Bundeswehr wird das, was wir vereinbart haben, erbringen, allerdings nicht ganz so schnell. Das geschieht
zeitlich etwas verzögert.
({14})
Es ist nachvollziehbar, dass man, wenn man die Bundeswehr, die eine Parlamentsarmee ist, umbaut und völlig
umstrukturiert, die entsprechende Zeit zur Verfügung haben muss.
({15})
Das berücksichtigen wir.
({16})
Ein Hauptthema war die Finanztransaktionsteuer.
Dazu kann ich nur sagen: Wir unterstützen den Finanzminister, wenn es darum geht, die Beteiligung des Finanzsektors an dieser Stelle international durchzusetzen.
Hier hat er unsere ganze Unterstützung. Aber das muss
international geschehen. Wenn man das national macht,
wie die Linken es vorschlagen, dann zeigt man zweierlei: Erstens zeigt man, dass man von der internationalen
Finanzwirtschaft keine Ahnung hat. Zweitens riskiert
man den Abbau von Arbeitsplätzen. Das scheint Ihnen
egal zu sein. Uns ist das nicht egal.
({17})
Lassen Sie mich auf einen weiteren Bereich eingehen,
nämlich auf den Haushalt des BMZ, den Entwicklungshilfeetat.
({18})
Hier haben wir einen Aufwuchs von sage und schreibe
560 Millionen Euro. Der zuständige Minister Niebel
baut die Entwicklungshilfeorganisationen um und bringt
frischen Wind in diese Strukturen, was dringend notwendig war.
({19})
Was macht die Opposition? Sie arbeitet sich an der
Mütze des Ministers ab. Meine Damen und Herren, wir
haben uns nie an der Frisur von Frau Wieczorek-Zeul
abgearbeitet, sondern an den Inhalten, die sie vertreten
hat. Daran sollten Sie sich orientieren.
({20})
Was hören wir an Vorschlägen von der SPD?
({21})
In der Regel werden in allen Etats Mehrausgaben gefordert. Dafür gibt es dann ein Steuerkonzept,
({22})
ein Steuerkonzept mit einer Steuererhöhungsorgie, die
sich wirklich sehen lassen kann.
({23})
Hier denkt man an die Wiedereinführung der Vermögensteuer, an die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf
49 Prozent, an die Abschaffung des Ehegattensplittings,
an die Erhöhung der Erbschaftsteuer, an Erhöhungen der
Umsatzsteuer, an die Erhöhung der Kernbrennstoffsteuer
und an die Absenkung der Agrardieselermäßigung. Die
Landwirte sollen das bitte schön nachlesen.
({24})
Von einer Entlastung der unteren und mittleren Einkommen lese ich nirgendwo etwas. Von der Facharbeiterfalle haben Sie wohl noch nie gehört. Das scheint Ihnen egal zu sein. Wir gehen daran, diejenigen Menschen,
die tagtäglich aufstehen und zur Arbeit gehen, ein Stück
weit zu entlasten und sie von der Wirkung der kalten
Progression ein Stück weit zu befreien.
({25})
Das ist unser Konzept.
({26})
Lassen Sie mich zum Schluss an den Vortrag des Kollegen Trittin in dieser Woche erinnern.
({27})
Das war eine Rede, die eher polemisch vorgetragen war.
({28})
Ein Satz ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Herr
Trittin hat hier festgestellt: Unter der Regierung von
Angela Merkel gehe es Deutschland gut, aber der Regierung schlecht. Lieber Herr Kollege Trittin, ich kann mit
dieser Feststellung sehr gut leben; denn wir arbeiten für
das Interesse dieses Landes. Wenn es den Menschen in
Deutschland gut geht, dann sind wir zufrieden.
({29})
Dort, wo Rot-Grün regiert, geht es der Regierung gut,
aber den Menschen geht es schlecht.
Danke.
({30})
Carsten Schneider hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man die Haushaltsdebatten in dieser Woche Revue
passieren lässt und die Zeitungen liest, bekommt man
den Eindruck, es ging um vieles - insbesondere bei der
Koalition -, aber nur wenig um den Haushalt und die
Lage in unserem Land 2012.
({0})
Wenn Redner von der Koalition gesprochen haben, dann
ging es eher darum, eine Bindungswirkung herzustellen,
damit sie noch irgendwie zusammenhält, vor allen Dingen bei der Euro-Frage. Das war der wirklichen Lage in
Deutschland und in der Welt, wie sie sich am heutigen
Tage darstellt, nicht angemessen. Ich sage das auch bezogen auf den Haushalt.
Wir befinden uns in einer sehr kritischen weltwirtschaftlichen Situation. Die OECD senkt weltweit die
Wachstumsprognosen, auch für den Euro-Raum und für
Deutschland. Herr Trichet, der EZB-Präsident, hat gestern - die Überschrift im heutigen Handelsblatt lautet:
„Trichet steuert um“ - eher Leitzinssenkungen in Aussicht gestellt als weitere Erhöhungen. Auch die Wachstumsprognosen sind gesenkt worden. An den internationalen Finanzmärkten haben wir fast die gleiche Situation
wie 2008, was die Nervosität des Interbankenmarkts und
das Vertrauen der Banken untereinander betrifft. Diesen
Eindruck habe ich insbesondere, wenn ich den Absturz
des DAX sehe.
Wenn man das betrachtet und auch unsere Verantwortung berücksichtigt, wird deutlich, dass die Bundesregierung mit diesem Haushalt keine Antwort auf diese Situation gegeben hat. Es ist sicherlich richtig, dass es nicht
Aufgabe der Bundesregierung ist, schwarzzumalen. Das
wollen auch wir nicht. Aber es heißt doch: Jede revolutionäre Tat beginnt mit dem Aussprechen dessen, was
ist.
({1})
- Lassalle. Brüder im Geiste.
({2})
Deswegen gehört ein Blick in das Ist dazu.
Ich versuche das zu reflektieren, was hier in dieser
Woche besprochen wurde und was diesem Haushalt zugrunde liegt. Dann sehe ich, dass Sie noch im Konjunkturhochsommer leben. Aber wenn der Herbst kommt,
sind Sie überhaupt nicht darauf vorbereitet, in einer solchen Krisensituation zu handeln. Bisher galt: Unser
Land hat sich gut entwickelt, und zwar trotz dieser Regierung.
({3})
Ich mache mir ernsthafte Sorgen, was passiert, wenn es
unserem Land einmal nicht so gut geht und wir immer
noch diese Regierung haben.
({4})
Passen Sie auf: Sie haben in einer Situation, in der wir
für dieses Jahr die höchsten Steuereinnahmen und das
höchste Wirtschaftswachstum haben, einen Haushalt
vorgelegt, der die drittgrößte Neuverschuldung vorsieht,
die es jemals in der Bundesrepublik gab.
({5})
Vieles hat eine Rolle gespielt. Sie haben es mit Ausweichmanövern versucht und gesagt, die Sozialdemokraten in NRW würden nicht sparen. Der Haushalt sei
daher verfassungswidrig.
({6})
Carsten Schneider ({7})
Ich habe mir das alles noch einmal genau angeschaut.
Ich habe mir den Haushalt unter der Annahme angeschaut, dass wir noch die alten Schuldenregeln hätten. In
NRW und allen anderen Bundesländern gilt sie derzeit
noch, das heißt, dass die Kreditaufnahme nur so hoch
sein darf wie die Investitionen. Wenn das so wäre, dann
wären die Haushalte des Bundes 2010, 2011 und 2012
verfassungswidrig,
({8})
weil Sie die Investitionen in einer Art und Weise kürzen,
wie Sie es noch nie getan haben. Damit sparen Sie an der
Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
({9})
Ich komme zu den Landeshaushalten, weil ich die Argumente aufgreifen will, die Sie angeführt haben. Die
Landeshaushalte von Niedersachsen, Hessen, Schleswig-Holstein und Saarland sind allesamt verfassungswidrig,
({10})
und zwar in den Jahren 2009, 2010 und 2011.
({11})
Wer regiert dort eigentlich?
({12})
Schwarz-Gelb, noch. Zu Ihrer Verantwortung haben Sie
kein Wort gesagt. Warum ist das so? Warum sind die
Länder in Gänze in einer so schwierigen Situation? Weil
Sie gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit mit einem Gesetz,
das Sie „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ genannt haben - der Volksmund sagt dazu „Hoteliersbegünstigungsgesetz“ oder „Mövenpickgesetz“ -, dafür gesorgt
haben, dass den öffentlichen Haushalten zweistellige
Milliardenbeträge entzogen worden sind,
({13})
die dafür hätten genutzt werden können, die Konsolidierung voranzutreiben. Sie haben das Gegenteil davon getan.
({14})
Wer so fahrlässig handelt und es in den besten wirtschaftlichen Zeiten, die wir haben, was die Einnahmesituation betrifft, nicht schafft, die Kreditaufnahme deutlich zu senken - was Ihre Verpflichtung wäre, damit Sie
auch in schlechten Zeiten agieren können; aber genau
das tun Sie nicht ({15})
- ich rede vom Bund -, der gerät sehenden Auges - ich
vermute, es wird Sie in dieser Legislatur noch treffen in die Situation, dass er nicht mehr handeln kann, wenn
die Wirtschaft abschmiert. In diese Situation kommen
wir, weil Sie den Gegenwartskonsum fördern, nicht in
die Zukunft investieren und den Haushalt nicht in dem
Maße konsolidieren, wie das notwendig wäre.
({16})
Herr Kollege Barthle, es ist richtig: Wir haben dazu
ein Konzept vorgelegt. Wir Sozialdemokraten wollen
- dazu haben wir uns klar bekannt - die Schuldenbremse
einhalten, wie der Bundesrechnungshof, die Bundesbank
und der Sachverständigenrat das fordern und wir hier im
Bundestag das übrigens auch beschlossen haben.
({17})
Das bedeutet für das Jahr 2012: 5 Milliarden Euro weniger Kreditaufnahme, als Sie sich gönnen. Sie haben,
konjunkturell bedingt, 20 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen. Die Nettokreditaufnahme senken Sie um
13 Milliarden Euro. Das heißt, Sie haben 7 Milliarden
Euro verprasst.
In den FDP-geführten Ressorts wurde eine Viertelmilliarde Euro zusätzlich verbucht. Wo ist eigentlich Ihr
liberales Sparbuch geblieben?, frage ich mich da.
({18})
Ich sage das nicht einfach so im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung, sondern aus echter Sorge.
({19})
- Ja. Hören Sie: 2009 konnten wir aus der Krise herauskommen, weil wir Vorsorge getroffen haben. Es hat uns
geholfen, dass wir einen nahezu ausgeglichenen Staatshaushalt und bei der Bundesagentur für Arbeit eine Reserve in Höhe von 18 Milliarden Euro hatten. Sie tun das
Gegenteil. Sie verprassen das Geld heute, sodass Sie
später, wenn es kritischer werden könnte, keine Luft, um
atmen zu können, und keinen Spielraum mehr haben
werden, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.
({20})
Dieser Haushalt ist nicht sozial gerecht, nix da! Vor
einem Jahr hat dieses Kabinett nach einer Nachtsitzung
in Meseberg - damals noch mit Herrn Westerwelle; lang
sind die Zeiten her - ein Konsolidierungsprogramm mit
einem Volumen von 80 Milliarden Euro vorgelegt. Real
umgesetzt wurden 40 Milliarden Euro. Diese 40 Milliarden Euro betreffen zum größten Teil den Etat von Frau
von der Leyen.
({21})
Sie kürzen bei den Arbeitslosen in diesem Land, während die Vermögenden ungeschoren davonkommen.
({22})
Das ist ungerecht.
Als Antwort darauf haben wir ein Steuer- und Finanzierungskonzept vorgelegt, einen Nationalen Pakt für
Entschuldung und Bildung. Ja, Sie haben recht: Wir wollen den Spitzensteuersatz erhöhen.
({23})
Ab einem Einkommen von 64 000 Euro soll der Steuersatz sukzessive auf 49 Prozent steigen. Dieser Satz soll
ab einem Einkommen von 100 000 Euro gelten.
({24})
Das trifft - das können Sie in der Süddeutschen und der
FAZ nachlesen - die oberen 4 Prozent. Mit Verlaub, angesichts dessen, was wir an Risiken übernommen haben,
um Banken und damit letztendlich auch Einkommen und
Vermögen zu sichern - nicht nur deswegen haben wir
das getan, aber das ist natürlich auch ein Punkt -, ist es
nur gerecht, wenn wir das Angebot, das uns viele Millionäre in diesem Staat machen - sie wollen dem Staat ein
wenig geben, damit er existieren kann -, annehmen. Das
muss aber in Gesetzesform gegossen werden, wie es sich
gehört. Hier müssen Recht und Gesetz gelten; Steuergerechtigkeit gehört dazu.
({25})
Minister Schäuble hat in seiner Einführungsrede am
Dienstag sehr viel über die Schuldenbremse gesprochen.
Er hat gesagt, wie wichtig sie sei, insbesondere in den
ersten Jahren. Ich habe hier wirklich schon oft dargelegt,
dass Sie die Schuldenbremse untergraben, indem Sie
von falschen Werten ausgehen; ich versuche in jeder
Haushaltsausschusssitzung, ebenso wie die anderen aus
meiner Fraktion, das anzubringen.
({26})
Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der diese
Schlupflöcher schließen würde. Aber Sie tun das Gegenteil.
({27})
Sie behaupten hier zwar, dass Sie sich an die Schuldenbremse halten. Sie tun es aber, dem geballten Sachverstand dieser Republik zum Trotz, nicht. Sie bunkern
50 Milliarden Euro auf dem Kontrollkonto, die Sie für
zusätzliche Kredite nutzen können, obwohl sie Ihnen
nicht zustehen. Wenn Sie, Herr Minister Schäuble, diese
Möglichkeit nicht nutzen wollen, erwarte ich von Ihnen,
dass Sie hier, an dieser Stelle - Sie reden ja nachher
noch -, klipp und klar sagen: Diese 50 Milliarden Euro
werden wir niemals anrühren; deswegen werden wir
dem gesetzlich einen Riegel vorschieben. Nur dann gilt
es, und nur dann glaube ich es; denn Sie haben in den
vergangenen zwei Jahren hier so viele Pirouetten gedreht, dass man Ihrem Wort an sich nicht mehr glauben
kann.
({28})
Hier war, insbesondere vonseiten der FDP, viel von
der Schuldenbremse und davon, wie toll sie ist, die
Rede; diese Ansicht teile ich. Ich habe mir einmal das
Verhalten bei der Schlussabstimmung dazu angesehen.
Ein einziger Abgeordneter der FDP hat zugestimmt; das
war Florian Toncar. Alle anderen haben dagegen gestimmt oder sich enthalten. Das ist ein Armutszeugnis.
({29})
Ich will hier noch ein paar Sätze zur Europäischen
Union und zur Debatte über den Euro sagen; das hängt
natürlich alles zusammen. Im Rahmen der Kritik, die
hier vorgetragen worden ist - insbesondere am Mittwoch -,
verstieg sich Herr Westerwelle zu der Aussage, die Änderung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sei der
größte Fehler seit 1945; ich glaube, Herr Westerwelle,
das haben Sie so gesagt. Größer geht es nicht. Ein bisschen Aufklärung ist an dieser Stelle notwendig.
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sah, so wie er
ausgestaltet war, vor, dass man sich 3 Prozent Defizit pro
Jahr leisten konnte, egal ob in guten oder in schlechten
Zeiten; es waren immer 3 Prozent.
({30})
Ich sage Ihnen: Das war falsch. Gerade in guten Zeiten
müssen Sie Vorsorge treffen, um in schlechten Zeiten
Defizite machen zu können. Genau das sieht der neue
Stabilitäts- und Wachstumspakt vor. Bei nahezu ausgeglichenen Haushalten, „close to balance“, muss in guten
Zeiten sogar Vorsorge getroffen werden,
({31})
und das Geld darf nicht ausgegeben werden - Sie tun das
Gegenteil; Sie brechen ihn gerade -, um in schlechten
Zeiten agieren zu können.
({32})
Ich sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten stehen dazu, und
das steht im Übrigen auch im Grundgesetz.
({33})
Denn dieser Pakt war das Vorbild für die Schuldenbremse. - Das sind also alles nur Abwehrkämpfe.
Frau Bundeskanzlerin, wenn wir Sozialdemokraten damals eines falsch gemacht haben - das will ich klar sagen -,
dann war es, dass es damals keine Automatismen gegeben
hat oder sie für die Bundeshaushalte nicht genutzt wurden. Aus Fehlern muss man lernen, und wir Sozialdemokraten tun das. Aus diesem Grund unterstützen wir die
Kommission und das Europäische Parlament in dem Vorhaben, dass die Sanktionen demnächst immer automatisch
verhängt werden sollen. Ich frage mich, warum Sie eigentlich in Deauville beim Spaziergang mit Herrn
Sarkozy genau das wieder gestrichen haben. Genau das ist
nämlich der Punkt. Sie fordern hier im Bundestag Sanktionen ein, und in Europa opfern Sie sie. Das kann doch
wohl nicht wahr sein. Das ist doch nicht ehrlich.
({34})
Carsten Schneider ({35})
Ich hoffe, dass Sie in den Haushaltsberatungen noch
Einsicht zeigen werden, sowohl bezüglich dieser Flanke
der sozialen Ungerechtigkeit
({36})
bei der Finanzierung, Kollege Michelbach, als auch bei
den Ausgaben, insbesondere im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wo die Schwächsten der Schwachen
jede Chance auf Hilfe von Ihnen, Frau von der Leyen,
versagt bekommen werden. Die Umwandlung von
Pflicht- in Ermessensleistungen ist nichts weiter als eine
reine Kürzungsorgie zulasten der Schwächsten in dieser
Gesellschaft.
({37})
Ich hoffe, dass Sie mit uns dafür sorgen, dass die Vermögen in diesem Land ein Stück weit mehr dazu beitragen, dass dieses Land sicher, sozial ausgewogen und
fortschrittlich ist, fortschrittlich insbesondere dadurch,
dass wir notwendige Zukunftsausgaben im Bereich Bildung finanzieren und dass wir die zusätzlichen Mittel
nehmen, um die Neuverschuldung für 2012 deutlich unter die von Ihnen gesetzte Marke zu senken, nämlich auf
22 Milliarden Euro statt auf 27 Milliarden Euro. Jeder
Euro mehr Schulden wird dazu führen, dass wir in Zukunft bei steigenden Zinslasten noch höhere Belastungen
haben werden, dass die Zukunftsfähigkeit, die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland eingeschränkt wird und dass wir irgendwann nur noch Ewigkeitslasten tragen. Das wollen wir Sozialdemokraten
nicht. Deswegen stehen wir zu unserem Konzept, Mehreinnahmen bei den oberen 4 Prozent zu generieren,
Schulden in den guten Jahren, wie wir sie gerade erleben, abzubauen und in die Zukunft zu investieren.
Vielen Dank.
({38})
Der Kollege Dr. Jürgen Koppelin hat jetzt das Wort
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Carsten Schneider, von mir sehr geschätzt,
ist ja ein intelligenter Mensch.
({0})
Dass er hier so eine Rede hält, wundert einen dann
schon. Ich hoffe, dass er in den Ausschussberatungen
mehr sachliche Beiträge liefert und nicht nur Polemik
betreibt.
Ich will das aus Zeitgründen nur an einem Beispiel
deutlich machen, lieber Kollege Carsten Schneider. Da
wird gesagt, der Haushalt des Landes Schleswig-Holstein sei verfassungswidrig. Dieser Haushalt ist sehr,
sehr kritisch; das will ich sagen. Aber wie kommt das?
Weil wir ihn von einem Finanzminister Stegner von den
Sozialdemokraten haben übernehmen müssen, der Jahr
für Jahr neue Schulden aufgetürmt hat - nichts anderes.
({1})
Die bauen wir jetzt ab. Herr Stegner war der größte
Schuldenmacher im Lande Schleswig-Holstein; das ist
die Wahrheit.
({2})
Die Koalition hat in dieser Woche ihren Willen bekundet, die bisherigen Sparziele nicht aus den Augen zu
verlieren und vor allem die Neuverschuldung deutlich zu
reduzieren, und das, ohne auf Investitionen zu verzichten. Wir folgen dem Grundsatz haushaltspolitischer Vernunft und Verantwortung. Wenn die Nettokreditaufnahme wesentlich niedriger ausfällt als vorgesehen, dann
zeigt das, dass der Weg der Koalition richtig gewesen ist.
({3})
Dazu - das sei eingestanden - trägt natürlich vor allem die gute Wirtschaftssituation in Deutschland bei. Es
gibt weniger Arbeitslose und - darauf sind wir stolz kaum noch Jugendarbeitslosigkeit. Andere Länder in
Europa würden sich - ich sage es einmal ganz salopp die Finger danach lecken, wenn sie eine solche Bilanz
hätten wie wir. Das ist der Erfolg dieser Koalition.
({4})
Ich will Ihnen auch sagen, warum. Es ist richtig: Dieser Erfolg ist nicht allein der Erfolg der Koalition. Er ist
auch der Erfolg der Unternehmen in Deutschland und
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; sie haben einen großen Anteil daran. Aber das Entscheidende war
doch, dass diese Koalition dafür die Voraussetzungen
geschaffen hat, zum Beispiel durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
({5})
Das ist ein Beitrag dazu gewesen.
({6})
Vor allem: Wir haben den Unternehmen und den
Menschen in diesem Lande Mut gemacht; das war entscheidend. Das gehört nämlich auch dazu. Oder glauben
Sie, mit Ihren Ankündigungen, Steuern zu erhöhen, machen Sie den Menschen Mut und setzen Anreize für
mehr Leistung? Das doch wohl ganz bestimmt nicht!
Der Kollege Schneider macht das ganz salopp. Er sagt:
Vermögende sind Leute, die 65 000 Euro im Jahr verdienen. Bei denen wollen wir ordentlich rangehen. - Welches Weltbild haben Sie? Da lohnt sich doch Leistung
nicht mehr.
Sie waren einmal auf dem richtigen Weg. Waren es
nicht die Sozialdemokraten, die gesagt haben, dass der
Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt
werden sollte?
({7})
Das waren doch Sie.
({8})
Das war damals auch vollkommen richtig. Warum machen Sie jetzt „Kehrt, marsch!“?
Ich sage Ihnen, warum. Weil Sie langfristig denken.
Sie wissen, dass Sie frisches Geld brauchen, aber nicht
etwa, um damit dieses oder jenes zu erreichen. Das
merkt man zum Beispiel an Ihren Ideen zu Euro-Bonds.
Wenn Sie mit deutschen Steuergeldern schwächelnden
Staaten billige Kredite verschaffen wollen, brauchen Sie
natürlich frisches Geld. Dann müssen Sie die Steuern erhöhen; denn sonst können Sie das nicht machen.
({9})
Ich habe die ganz furchtbare Sorge, dass uns die Sozialdemokraten, wenn sie an die Regierung kommen, noch
andere steuerliche Folterwerkzeuge präsentieren werden. Ich bin froh, dass das Bundesverfassungsgericht Ihnen diese Woche gesagt hat, was es von Ihrer Idee zu
Euro-Bonds hält. Wir setzen darauf - das sage ich auch
mit Blick auf die Haushaltsberatungen -, dass Deutschland in der Haushaltspolitik Vorbild sein muss.
({10})
Wir sind Vorbild. Ich bin stolz darauf, dass diese Koalition das geschafft hat. Das wäre bei Ihnen nicht der Fall
gewesen. Sie hätten Griechenland das Geld hinterhergeworfen, und zwar sofort, gleich zu Anfang. Darüber haben wir lange genug diskutiert. Rainer Brüderle hat Ihnen gestern das Notwendige dazu gesagt.
Meine Damen und Herren, ich könnte es mir einfach
machen
({11})
und sagen: Das Gemurkse und die Polemik, die uns die
Opposition in dieser Woche geboten hat, sind auch eine
Chance für diese Koalition. Aber das ist mir zu einfach.
Wir werden unsere Akzente setzen.
({12})
Ich habe einen Kommentar gelesen. Er hat mir zwar
nicht besonders gut gefallen. Trotzdem möchte ich aus
ihm zitieren. Denn irgendwie trifft er den Punkt, wenn es
darum geht, wie die Menschen in unserem Lande vielleicht denken.
({13})
- Sie sollten einfach einmal ruhig zuhören.
({14})
- Es ist für Sie natürlich schwierig, zuzuhören, lieber
Kollege. - In diesem Kommentar hieß es:
So mies die Bundesregierung mitunter agieren mag,
({15})
ein Blick auf die Opposition genügt, um Merkel
und ihre Mannschaft … nicht zu lieben, aber zu
schätzen.
Das ist doch schon mal etwas. Darauf bauen wir auf.
({16})
Ich sage Ihnen ganz klar: Wer heute nicht bewusst mit
dem Ziel, zu konsolidieren und Ausgaben zu reduzieren,
in die Haushaltsberatungen geht, der muss vielleicht
morgen Kürzungen bei Gehältern, bei Pensionen, im Sozialbereich oder im Bildungsbereich vornehmen; in anderen Euro-Staaten erleben wir das gerade. Das wollen
wir nicht. Wir werden am Ende der Beratungen einen soliden Haushalt präsentieren. Davon bin ich fest überzeugt.
({17})
Ich hatte in dieser Woche allerdings den Eindruck:
Mit Ihnen, lieber Kollege Carsten Schneider, zu reden
und eine Sachdiskussion zu führen, war überhaupt nicht
möglich. Sie sind immer nur - das haben Sie auch heute
gemacht - in Polemik ausgewichen.
({18})
- Sie sind nur in Polemik ausgewichen. Sie haben keinen
Sachbeitrag geliefert.
({19})
Ich hatte in dieser Woche manchmal den Eindruck, mit
Ihnen zu reden wäre so, als würde ich mit einer Gans
über Weihnachten reden. Es war einfach zwecklos.
({20})
Wenn Sie als Opposition eine politische Kraft sein
wollen, die vielleicht morgen Regierungsverantwortung
übernimmt, dann sollten Sie einmal ein Sparbuch vorlegen, wie die FDP das gemacht hat. Dazu haben Sie aber
gar nicht die Kraft.
({21})
Dann müssten Sie nämlich anderen Leuten vielleicht
wehtun.
Ich kann Ihnen für die FDP nur sagen - damit will ich
zum Schluss kommen -:
({22})
Wir haben in diesen Tagen vom Bund der Steuerzahler
eine Broschüre mit Vorschlägen zugesandt bekommen,
an welchen Stellen im Bundeshaushalt noch Einsparungen vorgenommen werden könnten.
({23})
Ich habe das einmal durchgesehen. Manche Sachen kann
ich akzeptieren; über manches müsste man reden. Es ist
nicht alles akzeptierbar. Ich sage dem Bund der Steuerzahler aber zu, dass wir als FDP-Abgeordnete uns im
Haushaltsausschuss intensiv mit der Broschüre und den
darin enthaltenen Vorschlägen beschäftigen werden.
Denn der Schluss des Anschreibens, das wir vom Bund
der Steuerzahler bekommen haben, hat mir sehr gut gefallen.
({24})
Als FDP-Abgeordneter stimme ich natürlich mit einer
darin enthaltenen Aussage überein, die da lautet: Den
Haushalt zu konsolidieren - das schreibt der Bund der
Steuerzahler - und die Bürgerinnen und Bürger zugleich
steuerlich zu entlasten, sind Maßnahmen, um den wirtschaftlichen Aufschwung zu stärken. - Dem stimmen
wir voll zu. Insofern werden wir auch im Gespräch mit
dem Bund der Steuerzahler bleiben.
Ich danke Bundesminister Schäuble für einen realistischen Haushaltsentwurf für das Jahr 2012. Das ist ein
Haushaltsentwurf, der gute Zeichen setzt, auch um das
von Bundesminister Rösler angestrebte Wachstumsziel
von 2,6 Prozent zu erreichen.
({25})
Die Haushaltspolitiker der Koalition - da bin ich ganz
sicher - werden sich alle Mühe geben, damit dieses Ziel
erreicht wird. Es bedeutet nämlich Einnahmen für unseren Bundeshaushalt. Es wäre vor allem ein guter Start in
das Jahr 2012. Die Opposition ist eingeladen, statt Polemik konkrete Vorschläge zu machen.
({26})
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
({27})
Dietmar Bartsch hat jetzt das Wort für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Wir hatten hier
eine sehr interessante Haushaltswoche. Es gab nämlich
unterschiedliche Realitäten. Die der Regierung ist, dass
dies ein wunderschönes Land ohne jegliche haushaltspolitische Probleme ist. Die Opposition hat zweifelsohne
eine andere Realität.
Ich habe vor der Haushaltswoche in MecklenburgVorpommern eine dritte Realität kennenlernen dürfen.
Dies geschah nicht im Rahmen der Wahlveranstaltungen
der Partei, sondern im Rahmen vieler Gespräche mit
Menschen. Ich kann nur eines feststellen: Diese Menschen verstehen uns häufig nicht. Es sollte ein Alarmsignal und eine Herausforderung für uns sein, dass alle hier
im Bundestag vertretenen Parteien zusammen keine
50 Prozent der Stimmen der Wahlberechtigten in Mecklenburg-Vorpommern erreicht haben. Lassen Sie uns
auch bei Haushaltsdebatten gemeinsam darüber nachdenken.
Nach dieser Woche bleibt eines: Der Kabinettsbeschluss ist weder seriös noch verantwortungsbewusst. Er
ist das Gegenteil davon. Lassen Sie mich das an fünf
Gründen festmachen:
Erstens. Die Ausgangslage und die Rahmenbedingungen, die Frau Merkel und Herr Schäuble hier dargestellt
haben, sind weit dramatischer als das, was sie hier dargelegt haben. Was passiert denn in Griechenland, wenn die
Troika zu dem Ergebnis kommt, dass es kein neues Geld
geben soll? Was passiert dann in anderen EU-Ländern?
Was passiert dann in den Banken? Was passiert, wenn in
den Vereinigten Staaten das, was angekündigt ist, durch
den Wahlkampf konterkariert wird? Das alles wissen wir
nicht. Es ist viel dramatischer als hier dargestellt.
Zweitens. Die Risiken der Zinsentwicklung, auch im
Kontext der gesamten existierenden Schattenhaushalte,
sind in keiner Weise im Haushalt abgebildet.
Drittens. Es gibt eine Fehleinschätzung in Bezug auf
die Wirkung der aktuellen Krisenbewältigungsinstrumente.
Viertens. Sie rechnen mit einem Wirtschaftswachstum
von 1,6 Prozent in den nächsten fünf Jahren. Wo leben
Sie denn? Die OECD hat gestern gesagt, dass es im vierten Quartal ein Minuswachstum geben wird. Das ist die
Realität. Das sind alles Annahmen, die nicht seriös sind.
Fünftens. Die Regierung blockiert sich selbst. Sie
agiert in der Regel zu spät. Ich bedaure Herrn Schäuble,
dass er mit der Schülerunion koalieren muss und dass es
da ständig Querschüsse gibt.
({0})
Sie müssen Ihre tradierten Verhaltensmuster zur Krisenbewältigung überwinden. Ja, das sind viele neue Herausforderungen. Es wird ein enormes Tempo an Entscheidungen abgefordert. Klar bleibt eines: Regulieren
wir nicht die Finanzmärkte, bringen wir nicht die Banken und die Finanzmärkte unter öffentlich-rechtliche
Kontrolle, werden wir immer hinterherlaufen. Gerade
auf diesem Gebiet ist mehr oder weniger nichts passiert.
Es gibt ein weiteres Problem: Die Bundesregierung
trifft die notwendigen Entscheidungen, und zwar aus
ideologischen Gründen, in der Regel zu spät oder eben
gar nicht. Ich kann viele Stichwörter nennen. Ich erinnere zum Beispiel daran, dass wir vor Jahren einen Gesetzentwurf über die Finanztransaktionsteuer im Haushaltsausschuss eingebracht haben. Selbst der damalige
Finanzminister Steinbrück hat von Teufelszeug und von
einem Irrglauben der Linken gesprochen.
({1})
Sie reden darüber, aber passiert ist doch überhaupt
nichts.
({2})
So ist es auch bei der Finanzmarktkontrolle. Es wird geredet; aber außer dem Verbot von Leerverkäufen ist fast
nichts geschehen.
({3})
Auch die Verursacher der Krise und die Krisengewinnler
sind in keiner Weise zur Kasse gebeten worden. Fakt ist,
dass sich die Staatsschulden europaweit auf 10 Billionen
Euro belaufen. Auf der anderen Seite beträgt das Vermögen von Millionären und Multimillionären 10 Billionen
Dollar. Lassen Sie uns doch gemeinsam dafür sorgen,
dass beide Zahlen reduziert werden. Das könnten wir gemeinsam angehen, damit in Deutschland und Europa
mehr Gerechtigkeit entsteht.
({4})
Die Bundesregierung gibt vor, sich für Europa einzusetzen. Ja, Herr Schäuble, ich habe Sie hier wieder als
überzeugten Europäer erlebt. Aber was hat denn der Export des Sozialabbaus in Form von Sparauflagen nach
Griechenland real gebracht? Nichts, aber auch gar nichts
hat zur Überwindung der Schuldenkrise, zur Stabilisierung oder zum Wirtschaftswachstum in Griechenland
beigetragen. Der griechische Minister sagt - das ist auch
die Meinung der Experten -: Das Wirtschaftswachstum
sinkt um 5 Prozent; von Wachstum zu reden, ist in diesem Zusammenhang eigentlich absurd. Um dem Schuldenstand überhaupt adäquat begegnen zu können, wäre
ein Wachstum von 3 Prozent erforderlich. Wir geben
hier die völlig falsche Medizin. Herr Schäuble, ich rate
Ihnen: Fragen Sie einmal den Wirtschaftsminister, aber
nicht als Wirtschaftsminister - um Gottes willen -, sondern als Arzt. Wenn sich eine Medizin als falsch erwiesen hat, verordnet man etwas anderes. Fragen Sie hierzu
einmal den Arzt Rösler, nicht den Wirtschaftsminister
Rösler.
({5})
Wir brauchen für Griechenland einen Marshallplan mit
Investitionen in dem Land, damit irgendwann einmal
Überschüsse produziert werden können. Alles andere ist
wirklich absurd.
In Griechenland verfügen 2 000 Familien über
80 Prozent des gesamten privaten Vermögens. Warum
kann nicht die EU, warum können nicht wir Druck machen, dass diese Familien endlich zur Finanzierung des
Defizits in Griechenland herangezogen werden?
({6})
Warum lassen wir es zu, dass immer bei den Schwächsten gekürzt wird? Das ist doch ein ungerechtes Herangehen.
Ich will einen weiteren Punkt zu Griechenland sagen.
Griechenland liegt bei den Verteidigungsausgaben mit
685 Dollar pro Kopf auf Platz 3 in Europa. Das ist doch
ein unhaltbarer Zustand. Warum sorgen wir nicht dafür,
dass Deutschland keine Rüstungsgüter mehr dorthin exportiert? Das würde auch dazu führen, dass das Außenhandelsdefizit in Griechenland reduziert wird. Das wäre
doch eine Maßnahme. Warum muss Griechenland weiterhin ins Militär investieren? Das ist in dieser Situation
völlig falsch.
({7})
Die Bundeskanzlerin hat unrecht, wenn sie sagt,
Deutschland spare so, dass die Konjunktur nicht abgewürgt wird; Herr Barthle hat das noch einmal unterstrichen. Richtig ist: Der Haushalt des Jahres 2012 ist erneut
ein Haushalt des Schuldenmachens. Das, was die Bundesregierung hier vorlegt, ist eben nicht vorbildlich,
Jürgen Koppelin. Ich habe ständig das Gefühl, als würden wir im nächsten Jahr einen Überschuss von 27 Milliarden Euro erzielen. Die Realität ist: Wir machen
27 Milliarden Euro neue Schulden.
Herr Schäuble, Sie bleiben der Schuldenkönig unter
den deutschen Finanzministern.
({8})
Keine Regierung hat mehr Schulden gemacht. Nach jetziger Planung sollen in vier Jahren 144,5 Milliarden
Euro Schulden gemacht werden. Das hat noch keine Regierung geschafft.
({9})
Der grundlegende Fehler Ihrer Politik ist, dass Sie
keine echten Maßnahmen zur Verbesserung der Einnahmeseite vorschlagen. Das wäre der richtige Weg.
({10})
Das bedeutet nicht, wie Sie sagen, dass man den Leuten
in die Tasche greift; das ist nicht der Fall. Aber Diskussionen über Steuersenkungen sind in dieser Situation
völlig absurd. Beenden Sie das!
({11})
Frau Merkel, Sie dürfen nicht Arzt am Krankenbett der
FDP sein. Steuersenkungen in dieser Situation sind
falsch. Entlastungen bei Beziehern von kleinen und mitt14754
leren Einkommen sind richtig; aber diejenigen, die viel
verdienen, müssen stärker herangezogen werden. Herr
Schäuble, Sie könnten ein Held werden, wenn Sie eine
Millionärsteuer einführen würden mit der Begründung:
Wir treiben verspätet die Steuern ein, die Rot-Grün den
öffentlichen Haushalten vorenthalten hat. - Das wäre der
richtige Weg. Mit diesem Geld könnte man eine ganze
Menge bewegen.
({12})
Ich möchte dazu noch etwas sagen. Herr Schäuble,
Sie haben gesagt: Mit der Linken über Haushaltskonsolidierung zu reden, ist vielleicht amüsant, aber nicht zielführend. - Ich will Ihnen die konkreten Fakten nennen.
Die rot-rote Regierung in Mecklenburg-Vorpommern hat
das Land auf einen so guten Kurs gebracht, dass die
Neuverschuldung heute bei null liegt.
({13})
Die rot-rote Regierung in Berlin hat es geschafft, sich
nach den wahnsinnigen Schulden, die Herr Diepgen angehäuft hat, wieder ein paar Gestaltungsräume zu erarbeiten.
({14})
In Brandenburg stellen wir einen Finanzminister, der
eine grundsolide Politik macht. Das ist die Politik der
Linken in den Ländern. Die kann sich wirklich sehen
lassen.
({15})
Wir werden auch hier in den Haushaltsdebatten in den
nächsten Wochen ganz konkrete Vorschläge vorlegen,
wo wir etwas einsparen können. Möglichkeiten gibt es in
diesem Haushalt eine ganze Menge.
Ich bin sehr erstaunt, dass von dem schönen Sparbuch, das die FDP vorgelegt hat, unter Gelb-Schwarz
nichts übrig geblieben ist. Sie haben immer gesagt, wir
sollten die Anzahl der Staatssekretäre reduzieren usw.
Nichts davon ist übrig geblieben. Das ist wirklich sehr,
sehr peinlich.
Wir müssen eine nachhaltige Finanzpolitik machen.
Wir haben unsere steuerpolitischen Vorschläge eingebracht. Diese Vorschläge sind vernünftig. Sie fördern
Wachstum. Vor allen Dingen führen sie dazu, dass die
öffentliche Ebene wieder handlungsfähig ist.
Die Bilanz der schwarz-gelblichen Regierung ist nach
zwei Jahren keine gute. Nichts ist von den Wahlversprechen übrig geblieben. Was ist denn mit „Mehr Netto
vom Brutto“? Die Leute können doch nachschauen.
Nach zwei Jahren Regierung von Schwarz-Gelb haben
sie weniger Netto vom Brutto. Es ist richtig: Deutschland hat eine andere, eine bessere Regierung verdient und das möglichst schnell, meine Damen und Herren.
Danke schön.
({16})
Der Kollege Sven-Christian Kindler hat jetzt das Wort
für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Hinter uns liegt nun die erste Haushaltswoche
im Deutschen Bundestag in diesem Jahr. Im Gegensatz
zu anderen Haushaltswochen hatten wir eine ganz besondere Woche. Es ging vor allen Dingen um die Fragen: Wie gehen wir mit der Finanzkrise um? Wie gehen
wir mit der Krise des Euro um? Wie gehen wir mit der
Staatsschuldenkrise um?
Was waren die Antworten dieser Koalition darauf?
Ich fange einmal mit der CSU an. Der Chef der CSU,
Horst Seehofer, aus München spekuliert darüber, ob
Griechenland nicht aus dem Euro-Raum austreten sollte,
und stellt sich offen gegen die Kanzlerin, die eine europäische Wirtschaftsregierung vorschlägt. Die FDP mit
dem neuen Fraktionsvorsitzenden Rainer Brüderle zeigt:
Beim Anti-Euro-Populismus ist die FDP auf dem gleichen Niveau wie die CSU.
({0})
Wie wir heute lesen können: Ihr EU-Kommissar
Oettinger schlägt vor, in Brüssel die Flaggen von Krisenländern auf Halbmast zu setzen. - Mit solchen Reden bedienen Sie nur den deutschnationalen Stammtisch - auch
in Ihren eigenen Reihen - und befeuern die antieuropäische Stimmung in Deutschland.
({1})
Was macht die CDU? Was macht diese Kanzlerin?
Die Kanzlerin kämpft. Angela Merkel kämpft aber in
erster Linie nicht um Europa, sondern vor allen Dingen
um die eigene Mehrheit, um den Machterhalt in den eigenen Reihen.
({2})
Die Frage ist doch: Steht diese Koalition noch?
({3})
Was macht sie in Europa? Sie wehrt sich gegen vernünftige Maßnahmen wie europäische Anleihen. Sie
setzt sich dafür ein, dass es in den Krisenländern unsoziale Austeritätsprogramme gibt. Sie einigt sich in
Europa immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Eine europapolitische Linie dieser Koalition gibt es
nicht. Sie streiten sich nur. Das Schlimmste ist: Sie haben keinen gemeinsamen Willen, für die Zukunft Europas einzustehen.
({4})
Damit - das ist eigentlich das Schlimme - verspielen Sie
das europapolitische Erbe von Hans-Dietrich Genscher
und Helmut Kohl.
({5})
- Das waren Leute, die sich für Europa eingesetzt haben.
Diesen Willen spürt man bei dieser Koalition nicht mehr.
({6})
Wir haben aber nicht nur die Schuldenkrise in Europa
zu bekämpfen. Wir sind weiterhin mitten in einer schweren Finanzkrise; das müssen wir uns klarmachen. Wir
haben weltweit eine verschärfte Klimakrise. Wir haben
die soziale Spaltung in Europa und in Deutschland anzugehen. Weltweit hungern über 1 Milliarde Menschen.
Wie reagiert diese Koalition auf diese Krisen? Beim
Blick in den Bundeshaushalt fällt auf: Sie vergrößern mit
diesem Haushalt die haushälterische, die soziale und die
ökologische Verschuldung in diesem Land.
Zur haushälterischen Verschuldung. Sie feiern sich
jetzt groß für die Rückführung der Neuverschuldung.
Dabei ist längst klar - das haben wir auch dargelegt -,
dass Sie nicht wirklich konsolidieren, sondern nur konjunkturelle Effekte für die Rückführung der Neuverschuldung nutzen.
({7})
Es stimmt; wir haben Aufschwung in Deutschland. Aber
eines ist klar: Für diese gute Wirtschaftslage sind nicht
Sie verantwortlich. Wir können wirklich heilfroh sein,
dass die Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle und
Philipp Rösler in den letzten Jahren so wenig getan haben.
({8})
Gleichzeitig haben Sie in Ihrem Haushalt lauter Luftbuchungen und Risiken. Die Brennelementesteuer und
die Finanztransaktionsteuer sind falsch berechnet und
eingestellt. Sie sehen für 2014 und 2015 eine nicht konkretisierte Globale Minderausgabe von fast 10 Milliarden Euro vor. Die Kosten für die Euro-Rettung sind mit
keinem Cent etatisiert. Dafür ist keine Vorsorge getroffen. Das ist unsolide und unseriös. Aber das kennen wir
schon: Das ist schwarz-gelbe Haushaltspolitik.
({9})
Sie vergrößern auch die ökologische Verschuldung
mit diesem Haushalt. Sie drücken sich vor Einsparungen
zum Beispiel bei Bundesfernstraßen und Autobahnen.
Sie drücken sich vor dem Abbau umweltschädlicher
Subventionen, obwohl diese Subventionen eine doppelte
Rendite haben: für den Klimaschutz und für den Staatshaushalt.
Was haben Sie stattdessen in den letzten Jahren umweltpolitisch gemacht? Sie haben eine massive Verunsicherung bewirkt. Es gab einen Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg und ein Auf und Ab beim
Gebäudesanierungsprogramm und beim Marktanreizprogramm. Damit haben Sie das Handwerk, die Kleinunternehmer, die Mittelständler und die Betreiber von
Erneuerbare-Energien-Anlagen massiv verunsichert und
Milliardeninvestitionen verhindert und verzögert.
({10})
Neu ist an dem vorliegenden Haushalt, dass Sie mit
dem Energie- und Klimafonds einen Schattenhaushalt
schaffen. Daraus sollen neue Kohlekraftwerke finanziert
werden. Neue Klimakiller sollen daraus finanziert werden. Absurder geht es nicht. Das zeigt: Sie haben die
Energiewende nicht verstanden.
({11})
Sie vergrößern mit dem Haushalt auch die soziale
Verschuldung. Viele Menschen fragen sich zu Recht,
wer die Zeche für die Krise zahlt. Bei Schwarz-Gelb
zahlen vor allem die kleinen Leute, die Langzeitarbeitslosen und die sozial Benachteiligten.
Das Einzige, was Sie aus Ihrem sogenannten Sparpaket umgesetzt haben, waren die Kürzungen bei Arbeitsmarktprogrammen, die vor allem die Langzeitarbeitslosen betroffen haben, obwohl wir wissen, dass
Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte und Menschen
mit Behinderungen auf Bildung angewiesen sind und besondere Förderprogramme brauchen. Ihre Politik ist unsozial. Durch Ihre Kürzungen rauben Sie vielen Menschen die Chance auf Arbeit und Teilhabe in diesem
Land.
({12})
Wir sind immer noch in einer schweren Finanzkrise,
die wir bewältigen müssen. Um diese Krise zu bewältigen, haben sich die öffentlichen Haushalte massiv verschuldet; die Banken wurden gerettet, schwere Konjunkturpakete wurden aufgelegt. Deswegen ist es nur fair und
angemessen, dass jetzt auch der Finanzsektor und große
Vermögen, die von den hohen Renditen an den Finanzmärkten profitieren, einen angemessenen Beitrag zahlen.
Die soziale Schere hat sich in den letzten Jahrzehnten
in diesem Land weiter geöffnet. 10 Prozent der Menschen besitzen über 60 Prozent des privaten Nettovermögens in Deutschland. Die untersten 50 Prozent hingegen
haben fast nichts außer Schulden.
Wir wollen, dass die obersten 1 Prozent dieser Gesellschaft, die Millionäre in diesem Land, ihren fairen und
angemessenen Beitrag für die Kosten der Krise leisten,
und zwar mit einer einmaligen Vermögensabgabe über
zehn Jahre.
({13})
Das wollen auch immer mehr Reiche. Michael Otto,
Marius Müller-Westernhagen, Martin Kind und andere
haben gefordert, die Steuern für Reiche und Besserverdienende zu erhöhen. Wir wissen auch: Eine gerechte
Haushaltskonsolidierung ist nur möglich, wenn die Lasten fair und gerecht verteilt sind.
({14})
Wir Grünen werden Ihnen in den Haushaltsverhandlungen faire Angebote für eine nachhaltige und gerechte
Haushaltspolitik machen. Wir werden genau zeigen, wo
man gezielt und sinnvoll sparen, Subventionen abbauen
und gerechte Mehreinnahmen erzielen kann, damit wir
auch investieren können. Wir wollen in die Zukunft, in
die Energiewende, in den Klimaschutz und in ein zukunftsfähiges Bildungssystem investieren und für globale Gerechtigkeit eintreten. Das ist der zentrale Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wir denken an morgen.
Sie sind eine Koalition von gestern. Es wird Zeit, dass
Sie abgewählt werden.
({15})
Der Kollege Hans Michelbach hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Das Fazit der Haushaltsdebatten in dieser Woche
lautet: Die christlich-liberale Koalition ist der Anker der
Stabilität für Deutschland und Europa. Entschlossen und
besonnen bekämpfen wir die internationale Schuldenkrise und die Finanzmarktexzesse, und wir arbeiten für
eine erfolgreiche Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit
unserer Wirtschaft.
({0})
Das ist die Wahrheit, nicht das Schlechtreden unseres
Landes durch die Opposition.
Unser Land ist das Wachstums- und Chancenland
Nummer eins in Europa. Nach dem neuesten Wettbewerbsfähigkeitsreport belegen wir unter 142 Ländern
den guten sechsten Platz. Unser Arbeitsmarkt ist in bester Verfassung. Wir haben 2 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mehr als zu der Zeit, als
Rot-Grün regiert hat. 41 Millionen Erwerbstätige sind
ein Beschäftigungsrekord. Die Jugendarbeitslosigkeit
wurde halbiert. Das ist der beste Sozialstaat, den es in
Deutschland je gegeben hat.
({1})
Allein das zählt.
Rot-Grün hatte in dieser Woche keine Perspektiven
vorzuweisen, außer sozialistischen Fehlkonzepten, die
wir auch heute Morgen gehört haben. Was besonders
schlimm ist: Sie reden geradezu Krisen herbei. 50 Prozent einer guten Wirtschaftsentwicklung beruhen auf
Psychologie, hat Ludwig Erhard einmal gesagt. Wer die
Krise geradezu herbeiredet, wie dies Carsten Schneider
getan hat, versündigt sich an den Arbeitsplätzen in
Deutschland. Das ist die Situation.
({2})
Natürlich stehen wir vor Herausforderungen und haben Aufgaben, die in schwieriger Zeit nicht einfach zu
lösen sind. Es sind Aufgaben bei der Wachstumspolitik,
Aufgaben bei der Haushaltskonsolidierung, Aufgaben
bei der Stabilisierung der Währungsunion, Aufgaben bei
der Regulierung der Finanzmärkte. Das ist eine
Herkulesarbeit. Die christlich-liberale Koalition ist dabei
auf einem richtigen Kurs. Unsere Krisenbekämpfung
war bisher erfolgreich und wird von dem Bundesfinanzminister in diesem Sinne fortgesetzt werden. Der Euro
wurde trotz aller Finanzmarktturbulenzen stabil gehalten. Das ist doch der wichtigste Punkt. Die Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit unseres Landes gehen wir mit
dem Haushalt 2012 konsequent an. Den Wettbewerb um
die besseren Lösungen nehmen wir an.
Die Opposition ist keine zielführende Alternative bei
Wachstum, Haushaltskonsolidierung und Euro-Sicherung. Es gibt große Unterschiede in der Stabilitätspolitik; das ist zum Ausdruck gekommen. Die Koalition
steht für mehr Stabilität, Rot-Grün steht für die Verletzung des Stabilitätspakts.
({3})
- Wer hat denn den Stabilitätspakt als Erster gerissen?
Wer hat denn Griechenland in die Euro-Zone aufgenommen? Das waren doch Sie, meine Damen und Herren
von Rot-Grün, oder?
({4})
Wir setzen beim Euro-Rettungsschirm auf harte Auflagen. Wir stehen für eine funktionsfähige Wirtschaftsund Währungsunion durch klare Anpassungsprozesse.
Wir wollen eine Schuldenbremse in allen 17 Euro-Ländern.
Es gibt auch klare Unterschiede bei den Rettungsmaßnahmen. Die Koalition steht für Eigenverantwortung und Solidarität in Europa. Die Opposition hat nichts
anderes zu bieten als Euro-Bonds. Sie will die Schulden
und Zinsen zulasten der deutschen Steuerzahler vergemeinschaften. Das ist ein Irrweg.
({5})
Damit müsste Deutschland unmittelbar und unbeschränkt für die neuen Schulden der Krisenstaaten gesamtschuldnerisch haften. Ein intransparenter und kaum
kontrollierbarer Finanzausgleich, für den es keine
Grundlagen und vor allem keine Grenzen geben könnte,
ist ein Irrweg. Das darf es nicht geben. Eigenverantwortung, Subsidiarität und Hilfe zur Selbsthilfe sind angesagt. Das ist letzten Endes das, was auch das Bundesverfassungsgericht gesagt hat. Seine Entscheidung war eine
Ohrfeige für die rot-grünen Euro-Bonds.
({6})
Wir brauchen jetzt zur Sicherung der für Deutschland
wichtigen Währungsunion konditionierte, wachstumsorientierte Hilfen. Sie wollten in vorauseilendem Gehorsam Schiffscontainer voll Geld nach Griechenland
schaffen.
({7})
Herr Trittin hat uns gestern vorgeworfen, wir würden die
Container immer zu spät schicken. Ich kann Ihnen nur
deutlich sagen: Dieser vorauseilende Gehorsam ist der
falsche Weg. Sie müssen Anpassungs- und Reformprozesse und Eigenverantwortung verlangen, um Stabilität
zu erreichen. Das ist der wesentliche Punkt.
Mittlerweile gibt es auch in der Wachstumspolitik
klare Unterschiede. Die Koalition steht für mehr Wachstum. Die Opposition steht hingegen für höhere Steuern.
Sie verfolgt damit wieder einmal ein Wachstums- und
Arbeitsplatzvernichtungsprogramm. Das ist die Situation.
({8})
Die SPD will die mittelständischen Unternehmen als
Personengesellschaften höher belasten und gefährdet damit Arbeitsplätze. Die Umsetzung ihrer Pläne würde für
Tausende Unternehmen bedeuten, dass arbeitsplatzschaffende Investitionsmittel durch Steuern und Solidaritätszuschlag geradezu aufgefressen werden. Die Große
Koalition hat für die Wachstumsentwicklung 24 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Das hat die Wachstumsentwicklung begünstigt. Warum soll das heute falsch
sein? Heute wollen Sie Ihre ideologische Kiste auspacken und die oberen 4 Prozent der Einkommensbezieher
an den Pranger stellen.
({9})
Ich kann Ihnen sagen: Sie treffen 60 Prozent der mittelständischen Betriebe, die diese Mittel für Arbeitsplätze
brauchen. Das ist die Wahrheit.
({10})
Sie wollen wie immer liquiditätsfeindliche Substanzbesteuerungen. Sie wollen eine weitere Erhöhung der
Erbschaftsteuer. Sie wollen die Vermögensteuer wieder
erheben, obwohl das Verfassungsgericht gesagt hat, in
Deutschland dürfe die Steuerbelastung 50 Prozent nicht
überschreiten. Nach Ihren Vorstellungen müssten die
Spitzenverdiener von 1 Euro 82 Cent Steuern zahlen.
Das ist verfassungswidrig und geht daher in dieser Form
nicht. Wer soll denn noch Risiken bei Investitionen eingehen, wenn von jedem eingenommenen Euro 82 Cent
Steuern zu zahlen sind? Das kann doch nicht die Lösung
sein. Ich sage Ihnen: Blockieren Sie nicht unser Steuervereinfachungspaket. Schauen Sie, dass wir gemeinsam
zu einer Entlastung kommen. Das wäre das richtige
Konzept.
({11})
Die Steuerungerechtigkeit, die mit den SPD-Vorschlägen verbunden ist, gipfelt darin, dass Sie die Mittel,
die sich aus der kalten Progression ergeben, einfach einkassieren wollen. Das ist ein Anschlag auf die Bezieher
kleiner und mittlerer Einkommen.
({12})
Die kalte Progression muss abgeschwächt werden; denn
dahinter stecken heimliche Steuererhöhungen. Wir werden den Menschen diese Mittel zurückgeben. Ihr Steuerkonzept ist falsch.
({13})
Letzten Endes werden wir auch die Unterschiede im
Bereich der Finanzmarktregulierung deutlich machen.
Wir haben Wesentliches auf die Beine gestellt, von dem
Verbot der Leerverkäufe bis zur Bankenabgabe. Da lassen wir uns von niemandem übertreffen.
Herr Kollege.
Wir regulieren die Finanzmärkte, und wir werden dafür sorgen, dass der Faktor des Dienens der Finanzwirtschaft für die Realwirtschaft wieder Platz greift. Das ist
der richtige Weg; wir schlagen ihn ein.
Herzlichen Dank.
({0})
Nicolette Kressl spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Michelbach, ich glaube, Ihre Rede war symptomatisch für das Problem, in dem die Koalition steckt.
({0})
Sie haben gesagt: Was gestern richtig war, kann doch
heute nicht falsch sein. Genau das ist Ihr Problem: dass
Sie sich nicht mit veränderten Rahmenbedingungen in
dieser Welt und in Deutschland auseinandersetzen und
für Ihre Politik keinerlei Konsequenz daraus ziehen. Das
können wir Ihnen an mehreren Beispielen deutlich machen.
({1})
Sie stehen zum Beispiel beim Thema Steuersenkungen wie ein alter Holzpflock im Wasser, lassen die veränderten Rahmenbedingungen an sich vorbeirauschen
({2})
und glauben noch, Sie könnten mit Fug und Recht sagen:
Was gestern richtig war, kann doch heute nicht falsch
sein.
({3})
Das ist unflexible Politik; das ist Politik, die nicht auf die
Menschen ausgerichtet ist.
({4})
Schauen wir uns das doch einmal genau an: Spannend
war, dass Sie über Einnahmepolitik, über Steuerpolitik
die ganze Zeit so gut wie nichts gesagt haben, obwohl
sowohl die Ausgaben- als auch die Einnahmepolitik für
einen soliden Haushalt ein wichtiger Faktor sind. Ich
verstehe das: Wer keinen Plan hat, kann auch nichts sagen. Aber es gehört eigentlich zu den wichtigen Aufgaben, der deutschen Bevölkerung zu sagen, was Sie tatsächlich vorhaben.
({5})
Nach unserer sozialdemokratischen Überzeugung
brauchen wir für ein solidarisches und für ein wirtschaftlich erfolgreiches Gemeinwesen ausreichende Finanzkraft, und zwar auf allen Ebenen. Es geht nicht um Steuereinnahmen um ihrer selbst willen, sondern es geht
darum, dass die Gemeinschaft Ausgaben finanzieren
kann, durch die für Gerechtigkeit und für Wirtschaftswachstum gesorgt wird. Das ist beispielsweise bei den
Bildungsausgaben der Fall. Kein Wort ist während der
gesamten Debatte in der Haushaltswoche gefallen, das in
diesem Bereich einen ernsthaften Weg nach vorne weist.
Wir sind der Überzeugung, dass Menschen mit sehr
hohen Einkommen und Menschen mit sehr großen Vermögen einen größeren Beitrag für das solidarische Gemeinwesen leisten können, was sie im Übrigen - dies
finde ich spannend - ja auch wollen.
({6})
Das ist es, was ich meine: Sie merken überhaupt nicht,
dass die Zeit an Ihnen vorbeigeht.
({7})
Diejenigen, die betroffen sind, sagen: Ändert es doch. Sie aber stellen sich hin und verkünden die Rezepte von
vor fünf Jahren. Das ist keine kluge und keine vorausschauende Politik.
Wer sich weigert, veränderte Rahmenbedingungen
wahrzunehmen, der klammert sich wie die FDP immer
noch an Steuersenkungen, im schlimmsten Fall an Steuersenkungen auf Pump; das wäre in diesem Fall auch so.
({8})
Da der Finanzminister das weiß und viele in der CDU es
eigentlich auch wissen, wird immer die kalte Progression bemüht. Um kein Missverständnis aufkommen zu
lassen: Natürlich ist das ein Problem - wenn es denn der
Realität entspräche. Aber was ist die Realität in den letzten Jahren gewesen? Wir haben, weil Sie immer über
kalte Progression reden, einmal im Hause nachgefragt,
wie es denn wirklich damit aussieht. Ich darf Ihnen aus
der Antwort zitieren:
Im Zeitraum 2006 bis 2010 wurde die kalte Progression im Ergebnis durch gesetzliche Maßnahmen spürbar abgeschwächt.
Das wissen Sie auch. Wenn Sie über 6 Milliarden
Euro reden - die FDP will ja noch mehr -, dann bildet
das die Veränderungen durch die kalte Progression in
den letzten Jahren nicht ab. Dies zeigt, dass Sie nur ein
Mäntelchen brauchen, um die FDP-Forderungen nicht
vollends als hanebüchen erscheinen zu lassen und irgendwie begründen zu können, dass man jetzt Steuersenkungen machen müsse. Die Zahlen sprechen aber
eine andere Sprache, Herr Minister Schäuble und liebe
Koalitionsfraktionen.
({9})
Abgesehen von diesen Zahlen stellt sich natürlich die
Frage: Wen würden wir damit entlasten? Wir reden doch
von kalter Progression durch steigende Löhne. Ich
wüsste nicht, dass es im unteren und mittleren Einkommensbereich in den letzten Jahren tatsächliche Lohnsteigerungen gegeben hat. Sorgen wir doch gemeinsam dafür, dass die, die jeden Tag arbeiten gehen, tatsächlich
von dem Geld leben können! Dann können wir auch
über entsprechende Steuerpolitik reden. Aber es muss
schon die richtige Reihenfolge sein.
({10})
Dass Sie sich der Wirklichkeit in diesem Bereich verweigern, zeigt, wie ich finde, die gesamte Woche. Ich
denke nur an Dienstag: Von Herrn Wissing kam keinerlei
Vorschlag; er zeigte keinerlei positive Entwicklung auf.
Das Einzige, was geht, ist, dass die FDP immer noch
Opposition in der Regierung spielt und sich an irgendetwas abarbeitet. Wir erwarten verantwortungsvolles Handeln und Vorschläge, die deutlich machen, wie es in der
Zukunft weitergeht. Das erwarten wir von Ihnen, und
das erwarten auch die Menschen von Ihnen, wie ich
finde, zu Recht.
({11})
Solidarisch und wirtschaftlich vorausschauend wäre
es übrigens gewesen, wenn sich Herr Michelbach oder
Herr Barthle - ich weiß nicht, wer von beiden es war nicht hier hingestellt und gesagt hätte, wenn die Mehrwertsteuervergünstigung für die Klientel Hotels zurückgenommen würde, wäre das eine Steuererhöhung. So ein
Blödsinn. Es wäre die Rückkehr zu vernünftigem steuerpolitischen Handeln, wenn Sie diese 1 Milliarde pro Jahr
endlich wieder einnehmen und nicht locker wegschmeißen würden.
({12})
Grund dafür - das wissen Sie doch auch -, dass Ihre
mehrmals einberufene Mehrwertsteuerkommission irNicolette Kressl
gendwie nie tagt, ist, dass Sie sich nicht trauen, dieses
Problem anzugehen. Ich frage mich: Warum? Der Terminplan kann im Laufe von anderthalb Jahren irgendwie
nicht der Grund dafür sein. Es liegt daran, dass Sie nicht
zu Potte kommen, zu sagen: Da haben wir einen Fehler
gemacht. Das nehmen wir zurück. Damit haben wir für
eine vernünftige Struktur unseres Staates jährlich 1 Milliarde Euro mehr. - Das ist doch Ihr Problem. Sie stellen
sich den Herausforderungen nicht in verantwortlicher
Weise.
({13})
Solidarisch und vorausschauend wäre es übrigens
auch gewesen, wenn Sie im Rahmen der Gemeindefinanzkommission nicht aufgehört hätten, für strukturelle
Verbesserungen bei den Kommunen zu sorgen. Wir finden es ja gut, dass die Kosten für die Grundsicherung
übernommen werden. Es bedurfte übrigens massiven
Bohrens der A-Länder und der SPD-Seite, dass es so
weit gekommen ist.
Aber der Punkt ist: Nachdem Sie es nicht geschafft
haben, die der Gewerbesteuer zu beseitigen, weigern Sie
sich jetzt auch, über strukturelle Veränderungen, über
Gemeindewirtschaftsteuern oder Veränderungen bei der
Gewerbesteuer oder was auch immer nachzudenken, um
so dauerhaft die Situation der Kommunen strukturell zu
verbessern. Die Umsetzung eigener Vorschläge nicht gelungen, darüber beleidigt und dann Verweigerungshaltung gegenüber anderen Weiterentwicklungsmöglichkeiten - auch das ist symptomatisch für das, was Sie hier im
Bereich der Steuerpolitik bieten.
({14})
Sie sind auch nicht bereit, wie wir es sind, über mögliche Veränderungen beispielsweise im Bereich der
Brennelementesteuer zu reden. Sie wissen doch, dass
diese Steuer nicht das eingebracht hat, was eigentlich
vorgesehen war, weil Sie im Vorfeld massive Strukturfehler begangen haben. Ich denke, es ist an der Zeit, sich
zu überlegen, wie man es schaffen kann, dass auch aus
diesem Bereich entsprechende Einnahmen hereinkommen. In diesem Bereich gab es nämlich massiv steigende
Gewinne.
({15})
Ebenso machen Sie sich keine Gedanken darüber, wie
Menschen mit sehr hohem Vermögen zur Finanzierung
dieses Staates beitragen könnten. Hierfür gibt es ja nicht
nur ein einziges Instrument. Man kann darüber diskutieren, wie man es macht. Das Problem ist auch hier, dass
Sie sich der Wirklichkeit verweigern und nicht einmal
über entsprechende Instrumente reden, weil Sie immer
noch an den alten verrückten Zielen festhalten, die da
lauten: Steuersenkungen, Steuersenkungen. Aber die Finanzierung des Staates, die Chancengleichheit für Kinder - all das geht den Bach hinunter, weil Sie sich der
Wirklichkeit verweigern.
({16})
Dann gibt es noch die internationale Ebene; auch hier
könnten Sie für bessere Steuerpolitik sorgen. Wo bleibt
eigentlich eine neue deutsche Initiative zur Durchsetzung europäischer Mindeststandards bei der Unternehmensbesteuerung? Wir finden, spätestens nach der Debatte um Irland, die unter den Rettungsschirm wollten,
aber von vornherein ausgeschlossen haben, die Körperschaftsteuer zu erhöhen, hätte es eine deutsche Initiative
geben müssen, um dafür zu sorgen, dass das auf internationaler Ebene nicht mehr so weitergeht. Wir haben das
einmal in Angriff genommen. Man kann hier nicht
gleich Erfolge verzeichnen; das ist richtig. Ich hätte aber
erwartet, dass Sie deutlich gemacht hätten, dass es so
nicht geht. Das erwarte ich einfach von einer deutschen
Regierung.
({17})
Ganz großes Kino in der Steuerpolitik stellt ja die
Frage der Finanztransaktionsteuer dar. Schon vor der
Sommerpause haben wir Ihnen hier im Parlament nachgewiesen, dass die FDP eine andere Position als der Finanzminister vertritt.
({18})
Es war damals schon ganz klar und ist es jetzt wieder:
Der Finanzminister sagt: „Finanztransaktionsteuer auch
im Euro-Raum möglich“, die FDP sagt: „Auf keinen
Fall.“
({19})
Jetzt frage ich Sie einmal: Wer soll diese Regierung,
die keine feste Position hat, auf europäischer Ebene eigentlich ernst nehmen? Das wird nicht funktionieren. Ich
frage Sie auch: Wann stellen Sie Ihre Position eigentlich
klar? Ich finde, da muss dann auch die Kanzlerin ran und
sagen: Hier gibt es unterschiedliche Positionen. Ich lasse
meinen Finanzminister nicht von meinem Koalitionspartner demontieren. Wir machen es jetzt so oder so. Aber da bewegt sich nichts: leerer Raum, keinerlei Positionierung.
({20})
In der Biologie nennt man das Verhalten, das Sie bei
der Finanztransaktionsteuer an den Tag legen, Mimikry.
Ich habe einmal nachgeschaut, was das heißt. Die Biologie sagt: Mimikry ist eine Signalfälschung, die der Tarnung dient. Ich finde, alles, was Sie im Moment verbal
zum Thema Finanztransaktionsteuer sagen, ist Mimikry.
Sie reden darüber, Sie wollen es aber nicht. Dabei glauben Sie aber tatsächlich, dass die Menschen so doof sind,
das nicht zu merken. Ich sage Ihnen: Im Tierreich wären
Sie schon längst aufgefressen worden. So schlecht ist
Ihre Mimikry in diesem Punkt.
({21})
Das mag jetzt vielleicht witzig klingen, aber das Problem ist, dass Sie dadurch, dass Sie Ihre Positionen nicht
klären, verhindern, dass sich die Akteure auf den Finanzmärkten an einer ordentlichen Finanzierung der Staaten
beteiligen. Das ist das Problem an diesem Verhalten, das
man ansonsten als lustig einstufen könnte. Wir wollen,
dass Sie eine klare Position einnehmen. Dann unterstützen wir Sie auch in dem Kampf zur Einführung einer
Finanztransaktionsteuer auf europäischer Ebene.
({22})
Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, der unter
die Kategorie „Versagen auf internationalem Parkett“
fällt: Herr Minister Schäuble, im Interesse gerechter
Steuerpolitik hätten wir es für wichtig gehalten, Sie hätten in den Verhandlungen mit der Schweiz eine andere
Ausgangsposition eingenommen.
({23})
Es ist ja nicht so, dass dieser Ablasshandel der Kompromiss nach harten Verhandlungen gewesen wäre. Sie waren von Anfang an bereit, diesen pauschalen anonymisierten Ablass zu akzeptieren; das ist nachlesbar. Das hat
mit Steuergerechtigkeit nichts, aber auch gar nichts zu
tun.
({24})
Es ist immer wieder von der Kavallerie die Rede.
Dazu will ich Ihnen etwas sagen. Wenn nicht Finanzminister Peer Steinbrück, auch verbal, so massiv darauf
gedrungen hätte, dass dieses Thema international aufs
Parkett kommt, dann hätten wir bis heute noch nicht die
graue Liste bei der OECD,
({25})
und Sie hätten überhaupt keine Ausgangsbasis gehabt,
mit der Schweiz zu verhandeln;
({26})
denn deren Ziel ist, von der Liste herunterzukommen.
Sie fahren im Windschatten und erkennen nicht, wer die
Erkenntnis, dass die Schweiz sich in diesem Bereich bewegt, eigentlich ausgelöst hat.
Wenn wir jetzt eine Zwischenbilanz ziehen, müssen
wir feststellen: kein Plan, keine Zukunftsvorstellungen,
keine Ideen, wie es werden soll ({27})
deswegen haben wir die ganze Zeit auch nichts über das
Thema Steuern gehört -, und wenn einmal etwas kommt,
dann wird es durch höchst unprofessionelles Handeln
verklärt. Ich sage Ihnen: Kein Plan, keine gute Arbeit das schadet dem Haushalt und dem solidarischen Gemeinwesen in Deutschland.
Vielen Dank.
({28})
Otto Fricke hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir bei den Haushaltsberatungen über Zahlen reden, sollte man auch immer bei
Klarheit und Wahrheit bleiben. Ich bekomme von Bürgern, die uns zuhören, oft die Frage gestellt: Ist die geplante Neuverschuldung für 2012, wie sie das Kabinett
beschlossen hat, viel oder wenig? - Erster Teil der Antwort: Jede Neuverschuldung ist zu viel. Das wissen wir
hier alle.
({0})
Für den zweiten Teil der Antwort ist es sinnvoll, die
Zahl mit einer anderen zu vergleichen. Kollege
Schneider, es war ein bisschen unfair, falsche Fakten zu
bringen. Sie haben gesagt, es handele sich um die dritthöchste Neuverschuldung, die die Bundesrepublik
Deutschland je hatte. Ich darf Sie daran erinnern, dass im
ersten Haushalt von Rot-Grün 1999 bei einem viel geringeren Haushalt eine höhere Neuverschuldung geplant
war als jetzt von uns. Die jetzige Neuverschuldung ist
immer noch zu hoch. Aber die nächste Frage, die der
Bürger stellt, lautet: Ich kann mit der Zahl 27 Milliarden
gar nichts anfangen; mit solchen Zahlen habe ich nichts
zu tun. Sind Sie wenigstens auf dem richtigen Pfad? Wo
kommen Sie her und wo gehen Sie hin?
Schauen wir einmal, wie die SPD und ihr Finanzminister Steinbrück es damals gesehen haben, wo wir
landen werden.
({1})
- Es waren andere Rahmenbedingungen, weil wir die
Rahmenbedingungen verändert haben, Frau Kollegin
Hagedorn. Jetzt will ich versuchen, den Bürgern das darzustellen. Sie können sich ja dann ihre eigene Meinung
bilden. - Die SPD und ihr Finanzminister haben gemeint, wir wären im Jahre 2010 bei einer Neuverschuldung in Höhe von 86 Milliarden Euro. Diese Summe haben wir als Koalition halbiert.
({2})
Aber was hatte die SPD in Bezug auf das Jahr 2012 gedacht, über das wir jetzt reden - natürlich mit einer gewissen Ungewissheit hinsichtlich des Verlaufs der Entwicklung, die Sie aber auch bei unseren Zahlen
unterstellen?
({3})
2012 - das muss man der Bevölkerung sagen, damit sie
einen Vergleich hat, ob die jetzige Neuverschuldung eine
schlechte, schlimme, verschlimmernde ist - wollten Sie
und Ihr Herr Steinbrück 54 Milliarden Euro als Neuverschuldung in der Planung ansetzen. Das ist in Papieren
des Deutschen Bundestages schriftlich niedergelegt.
({4})
Die jetzige Koalition halbiert diese Summe im Entwurf
des Kabinetts. Also können wir für den Bürger festhalten: Wir senken die Neuverschuldung ständig.
({5})
Es gelingt nur noch Herrn Schneider, durch wildeste
Konstruktionen im Zusammenhang mit der Schuldenbremse festzustellen, dass das nicht so sei.
Halten wir also fest: Die SPD regt sich tierisch auf,
weil sie ertappt worden ist,
({6})
und die Koalition macht eine vernünftige Haushaltspolitik. Das ist doch auch schon etwas.
({7})
Diese Woche war die Woche des Parlaments; das will
ich einmal für uns alle hier festhalten. Die Fokus der
Meldungen und Diskussionen lag auf dem Parlament.
Die Frage ist: Warum eigentlich? Weil es im Parlament
um den Haushalt geht und wir darüber entscheiden? Ein Grund war vor allem, dass das Bundesverfassungsgericht das Parlament gestärkt hat.
Ich sage bewusst „das Parlament“, weil jetzt wieder
solche Äußerungen kommen, dass nur die Haushälter
gestärkt würden. Nein, das Parlament ist gestärkt. Wir
sind im Rahmen dieser Aufgabe dabei - das sage ich bewusst auch in Richtung der Oppositionsfraktionen, weil
es hier schon Gespräche gibt -, das Parlament insgesamt
zu stärken. Insoweit darf ich mich bei der Opposition dafür bedanken, wie konstruktiv das bisher gelaufen ist.
Wir versuchen, einen vernünftigen Entwurf hinzubekommen, der einerseits Rechte sichert und andererseits
dafür sorgt, dass wir nicht durch falsches Verhalten oder
durch Verzögerungen dazu kommen, dass das Ganze am
Ende teurer wird als geplant. Man sieht also: Wir können
auch zusammenarbeiten; und auch das ist eine Message.
({8})
- Natürlich machen wir es selber. Ich glaube, das ist
auch ganz klar. Dazu ist das Parlament in der Lage.
Ich möchte noch etwas zu einem Kommentar in der
FAZ sagen; dabei geht es um die Frage, wer welche
wichtigen Entscheidungen trifft. Dort hat ein Kommentator geschrieben, die Frage, ob jemand gute oder
schlechte Entscheidungen treffe, habe viel damit zu tun,
welche Position er in einer Partei oder in einer Regierung hat. Ich traue allen Abgeordneten hier zu, dass sie
die richtige Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen treffen. Ob es die bessere oder schlechtere ist,
hängt von der politischen Richtung ab.
({9})
Das sollten wir als Parlament auch mit einem gewissen
Selbstbewusstsein tun. Die Regierung macht ihre Arbeit
gut. Die Koalition macht ihre Arbeit gut. Die Opposition
muss selber beurteilen, ob sie ihre Arbeit gut macht. Ich
glaube, dann befinden wir uns auf dem richtigen Weg.
({10})
Diese Woche war bei weitem nicht die Woche der Opposition. Wo waren denn Ihre Vorschläge? Nichts kam.
({11})
Diese Woche ist eine Woche der Regierungskoalition in
diesem Parlament. Da gibt es Vorschläge von den Grünen zur Steuererhöhung; da gibt es die Vorschläge der
SPD, dass man ab 5 000 Euro brutto in Deutschland inzwischen als Reicher gelten soll.
({12})
- Na guck mal, das ist immer so schön. Da wird gesagt
„sechseinhalb“. Dass das Weihnachtsgeld mal eben nicht
mitgezählt wird, um die Leute auf eine falsche Fährte zu
locken, spielt da keine Rolle. Es sind 5 000 Euro, wenn
Sie das auf 13 Monatsgehälter umrechnen. Ich würde da
sehr vorsichtig sein. Es sind 5 000 Euro brutto, das muss
man den Bürgern noch einmal sagen.
({13})
- Aber Sie wollen doch nicht sagen, Sie besteuern vom
Nettoeinkommen! Das wäre für mich aber etwas Neues,
Frau Kollegin. Ich finde das alles sehr bemerkenswert.
Halten wir einmal fest:
({14})
Das ist die eine Sache. Die andere ist: In der Generaldebatte heißt es von Ihrer Seite jedes Mal „schlechter
Haushalt“, und in jeder Sachdebatte - der Bereich Verkehr war am allerbesten - sagen Sie: Es fehlen Milliarden, wir müssen mehr ausgeben.
({15})
Der beste Vorschlag kam von den Grünen. Obwohl
Länder und Kommunen von jedem Steuer-Euro mehr
Geld bekommen als der Bund, sagen die Grünen: Wir
müssen den Ländern und Kommunen noch mehr Geld
geben. Das ist auf jeden Fall notwendig. - Das ist ein
bisschen so wie ein Tanz im Kreis. Ich hoffe, Sie wissen,
welchen ich meine.
({16})
Es ist wirklich so: Mal das Beinchen nach rechts - ihr
müsst mehr sparen; mal das Beinchen nach links - ihr
müsst mehr ausgeben. Das ist nach meiner Meinung
keine vernünftige Oppositionspolitik. Sie haben jetzt als
Opposition in den kommenden Wochen und Monaten
die Möglichkeit, Ihre Einsparvorschläge einzubringen.
({17})
Ich warne Sie vor einem: Schlagen Sie nicht nur vor,
einen besseren Haushalt durch mehr Einnahmen machen
zu wollen.
({18})
Eines möchte ich dem Bürger noch zu bedenken geben:
Kennen Sie einen Politiker, dem man mehr Geld gibt
und der nachher weniger ausgibt? Ist es nicht vielmehr
so, dass die Politik am Ende immer wieder mehr Geld
ausgibt, wenn man ihr zuvor welches gegeben hat?
({19})
Wir, die FDP, bleiben klar und deutlich bei unserer
Position: Das Geld ist beim Bürger besser aufgehoben,
weil es der Staat am Ende nur ausgibt und nichts zur
Schuldentilgung tut. Das ist unsere Position.
({20})
Ich komme zum Schluss. Was bleibt von dieser Woche übrig? Für die Koalition bleibt eines, nämlich dass
eine gute Haushaltspolitik Markenzeichen dieser Koalition ist
({21})
und dass wir von Sigis Sirtaki-SPD in der Opposition
nicht viel zu erwarten haben.
Herzlichen Dank.
({22})
Jetzt hat Barbara Höll das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mir ist absolut schleierhaft, warum Sie den Haushalt
2012 so loben. Er macht im Ergebnis die Reichen reicher
und die Armen ärmer. Die Neuverschuldung steigt um
27 Milliarden Euro. Das haben Sie zu verantworten.
Die Schuldenmisere ist Ergebnis Ihrer Politik. Angefangen von Rot-Grün über Schwarz-Rot bis hin zu
Schwarz-Gelb haben Sie daran gearbeitet, die Einnahmebasis des Staates stetig zu verkleinern, sodass heute
Kindergärten und Schulen um jeden Euro betteln müssen
und viele Kommunen in einem desolaten Zustand sind.
Sie haben den Einkommenspitzensteuersatz gesenkt
von 53 auf 42 Prozent, die Körperschaftsteuer von
25 auf 15 Prozent, Sie haben Niedriglohnpolitik vorangetrieben, Minijobs und Leiharbeit gefördert. Sie haben
durch Steuerrechtsänderungen Einnahmeausfälle - über
die Jahre gerechnet von 1999 bis 2013 - in Höhe von
490 Milliarden Euro zu verantworten. Das sollten Sie
einmal zugeben und auch dazu stehen.
({0})
Nun sagt Herr Schäuble, wir brauchten eine mentale Abkehr vom extremen Pumpkapitalismus. Das kann nur
Selbstkritik sein.
Bei Schuldenabbau denken neun von zehn Zuhörern an Kürzungen im Sozialetat, obwohl eine Steuererhöhung bei jenen, welche die Krise ausgelöst haben, verursachergerechter wäre.
So Norbert Blüm gestern in der FAZ.
An Schulden verdienen die Gläubiger, und das sind
nicht die Hartz-IV-Empfänger und ihre globalen
Leidensgenossen. Und die FDP verlangt angesichts
der Schuldenmisere Steuersenkungen. Das ist so,
als wenn beim Hausbrand die Feuerwehr den Wasserhahn suchte, um sich die Hände zu waschen.
({1})
Das hat Ihnen Norbert Blüm gestern ins Stammbuch geschrieben, und er hat recht.
({2})
Bürgerinnen und Bürger fragen sich angesichts von so
viel Reichtum und Vermögen in unserem Land: Warum
wächst die Neuverschuldung? Was wird mit meinem
Geld in der Krise? Warum geht es mir trotz Arbeit immer schlechter? Wo bleiben denn nun Steuerentlastungen und Steuergerechtigkeit? Wo bleibt der Mindestlohn? Warum soll ich jetzt noch für die Banken zahlen?
Sie haben auf all diese Fragen keine Antworten.
({3})
Ich sage Ihnen auch, warum: Sie haben den Draht zu den
Bürgerinnen und Bürgern völlig verloren.
({4})
Seit Monaten stolpern Sie plan- und konzeptionslos
durch die Gegend. Damit steigt die Politikverdrossenheit
im Land; denn die Menschen wissen: Sie versprechen
hier viel, und Sie versuchen gar nicht, es umzusetzen.
Sie haben Steuerentlastungen versprochen, aber nichts
passiert. Sie haben für die Leistungsgerechtigkeit gekämpft, aber Geschenke an die Hoteliers ausgegeben.
Sie beleidigten mit Ihrer Dekadenzdebatte Hartz-IVEmpfängerinnen und -Empfänger.
In dieser Woche hat die FDP das Thema Steuergerechtigkeit entdeckt. Da fragt man sich schon: Was ist
hier los? Das Thema Steuergerechtigkeit ist bei uns, der
Linken, sehr gut aufgehoben. Wir haben Ihnen seit Jahren Vorschläge unterbreitet, wie Steuergerechtigkeit
machbar und finanzierbar ist. Wir brauchen einen durchgehend linear-progressiven Einkommensteuertarif. Der
Einkommensteuerspitzensatz muss erhöht werden, der
Grundfreibetrag angehoben werden. Damit wäre es
möglich, tatsächlich untere und mittlere Einkommen zu
entlasten, indem man die oberen Einkommen belastet.
({5})
Wir brauchen natürlich die Wiedererhebung einer
Vermögensteuer als Millionärsteuer. Wir brauchen eine
Reform der Erbschaftsteuer. Wir brauchen einen wirklichen Kampf gegen Steuerhinterziehung. All das muss
man tun, aber Sie sind untätig.
({6})
Fakt ist: Die Schere zwischen Arm und Reich geht
immer weiter auseinander. Wenn Sie hier, wie schon in
der gestrigen Debatte, mit Zahlen jonglieren und sagen,
dass die oberen 10 Prozent der Einkommensteuerleistenden tatsächlich 55 Prozent des Einkommensteueraufkommens erbringen, dann sollten Sie bitte auch einmal
sagen, wie hoch ihr Anteil am Einkommen ist. Das ist
doch die entscheidende Frage. Das Einkommen der sehr
gut verdienenden Haushalte ist nichtsdestotrotz gestiegen.
Der Abstand zwischen den Haushaltseinkommen der
unteren und der oberen Gruppe hat sich in den letzten
Jahren wieder vergrößert: 1999 verdiente der durchschnittliche Besserverdienerhaushalt das 3,5-Fache der
unteren Einkommensgruppe, 2009 war es bereits das
4-Fache. Das ist in lediglich zehn Jahren geschehen. Die
Gehälter gehen in unserer Gesellschaft immer weiter
auseinander. Und 10 Prozent der Bevölkerung besitzen
66 Prozent des Gesamtvermögens, über die Hälfte besitzt nichts oder hat Schulden. Das ist die Realität; da
muss man gegensteuern.
Es wurde schon mehrfach erwähnt, dass die Vermögensmillionäre Ihnen sagen: Bitte besteuert uns stärker!
({7})
Nein, bloß nicht, und wenn doch, dann vielleicht freiwillig. Vielleicht lebt Herr Wissing im Feudalismus: Da
kann man etwas abgeben, wenn man Lust hat, oder auch
nicht. Noch gilt das Grundgesetz: Eigentum verpflichtet.
Die Leute sagen Ihnen: Bitte setzt das bei allen durch!
Sie verweigern sich dem.
({8})
Der gesetzliche Mindestlohn ist etwas ganz Entscheidendes. Denn wenn wir einen gesetzlichen Mindestlohn
von 10 Euro pro Stunde hätten, dann hätten wir eine andere Situation. Wenn die Menschen einen Mindestlohn
von 10 Euro pro Stunde hätten, würden sie Steuern zahlen. Damit würde das Erwerbseinkommen um 26 Milliarden Euro steigen; die Einnahmen der Sozialversicherung würden steigen, es gäbe eine Entlastung der
Sozialkassen. Das wäre eine neue Realität. Dann könnten auch die Sozialtransfers sinken, weil die Menschen
von ihrer eigenen Hände Arbeit leben könnten.
Sie betonen immer, Geringverdiener zahlten gar keine
Steuern. Ich weiß nicht, ob Sie vergessen, dass alle in der
Bundesrepublik natürlich bei jedem Verbrauch Steuern
zahlen: bei jeder verbrauchten Windel 19 Prozent Mehrwertsteuer. Alles, was wir konsumieren, wird natürlich
besteuert, abgesehen von Kapitalgeschäften, denn wir
haben immer noch keine Finanztransaktionsteuer. Ich
muss Ihnen sagen: Ihre Politik geht völlig an der Realität
und an dem, was notwendig ist, vorbei.
Ich möchte schließen und noch einmal auf Norbert
Blüm zurückkommen. Er hat Ihnen gestern ins Stammbuch geschrieben, es sollte so sein:
Der Staat ist Koch, die Wirtschaft Kellner. So lautet
der Grundsatz der christlichen Soziallehre.
Es wäre gut, wenn Sie sich wieder auf Ihre Grundsätze der Politik besinnen könnten.
({9})
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Wolfgang
Schäuble.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Gegen Ende dieser Haushaltswoche ist es vielleicht gut, zunächst einmal das im Wesentlichen Unstreitige zu betonen. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber
im Wesentlichen unstreitig ist, dass es dem Land zumindest dann, wenn man die heutige Situation mit der Situation vergleicht, aus der wir kommen, gut geht
({0})
und dass wir aus einem schweren wirtschaftlichen Einbruch als Folge der Finanz- und Bankenkrise fast besser
herausgekommen sind, als wir es zu hoffen gewagt hätten. Es ist unstrittig, dass wir auf dem Weg der Rückführung der zu hohen Neuverschuldung mehr Fortschritte
gemacht haben, als wir es für möglich gehalten haben.
Damit wir nur bei den Punkten streiten, bei denen es
in der Sache begründet ist, will ich noch einmal ausdrücklich klarstellen: Es ist völlig klar, die Maßnahmen
zur Bekämpfung der dramatischen Krise mit dem
schwersten Wirtschaftseinbruch in der Nachkriegsgeschichte, nämlich mit einem Einbruch von 5,1 Prozent
nach den bereinigten Zahlen des Statistischen Bundesamtes, waren richtig. Richtig war auch der damit verbundene dramatische Anstieg der Neuverschuldung.
Wir hatten für das Jahr 2010 in der mittelfristigen Finanzplanung 6 Milliarden Euro geplant. Im Entwurf
wurden daraus plötzlich 86 Milliarden. Das ist völlig unstreitig. Gemessen daran ist es gut, dass wir in diesem
Jahr mit einer Neuverschuldung von etwa 30 Milliarden
Euro herauskommen, und im nächsten Jahr einen Haushaltsentwurf mit einer Neuverschuldung von 27 Milliarden Euro vorlegen werden. Das ist das Entscheidende.
Das ist ein großer Erfolg, wir sind auf einem guten Weg.
({1})
Wenn wir über Sozialpolitik diskutieren, dann sind
dies die wichtigsten Zahlen: Wir haben die höchste Anzahl an Erwerbstätigen und den niedrigsten Stand der
Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Das ist
doch ein Erfolg für die Menschen in diesem Land.
({2})
Herr Kollege Schneider, wir werden dies im Haushaltsausschuss noch rauf und runter diskutieren, aber es ist
so: Wir halten die Schuldenbremse des Grundgesetzes
auf Punkt und Komma und auf Euro und Cent ein.
Es gab eine Debatte über die Frage: Welcher Wert des
strukturellen Defizits im Jahr 2010 bildet die Ausgangslage? Anfang 2010, kurz nach dem Regierungswechsel,
hat das Bundesfinanzministerium noch amtlich gesagt:
Ausgangspunkt für die Schuldenbremse und für die
Rückführung ist das Soll des Haushalts 2010. Sie können sich vorstellen, welcher Finanzminister wahrscheinlich verantwortlich dafür war, dass man so geplant hatte.
({3})
Dann kam der neue Bundesfinanzminister und hat in der
ersten Haushaltsdebatte gesagt: Nein, wir werden das
sich abzeichnende, wirkliche Defizit zugrunde legen.
Das wird wesentlich niedriger sein. Manch einer hat vermutet: Der will nur aus anderen Gründen Haushaltsspielräume kleiner machen. Ich habe gesagt: Nein, der Wert,
den wir bei der mittelfristigen Finanzplanung, also Mitte
des Jahres, zugrunde legen, ist der Ausgangspunkt für
die Anwendung der Schuldenregel des Grundgesetzes,
damit wir, wie es in Art. 115 steht, in gleichmäßigen Raten bis zum Jahr 2016 den Wert von 0,35 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts erreichen. Diese Linie ist gezogen.
Nun kommt der nächste Punkt. Natürlich gibt es das
Ausgleichskonto. Zum wiederholten Male sage ich als
Finanzminister zu Protokoll des Deutschen Bundestages:
Die Bundesregierung - der Bundesfinanzminister - hat
die feste Absicht, dass wir das Ausgleichskonto nicht
nutzen werden. Wir sind in der Tat vor der Kurve. Sie
können es rechnen, wie Sie es wollen. Selbst wenn Sie
Ihren Wert zugrunde legen würden, wären wir mit dem
strukturellen Defizit in den Jahren 2011 und 2012 noch
unterhalb dessen, was das Grundgesetz fordert.
({4})
- Auch in 2012, doch.
({5})
- Wir werden das im Haushaltsausschuss weiter diskutieren. Sie werden sehen, dass Ihre Zahlen nicht stimmen.
({6})
Lassen Sie deshalb Ihre verleumderische Behauptung,
wir wollten an unser Polster gehen. Wir werden den
Kurs einer soliden Rückführung der zu hohen Verschuldung fortsetzen.
({7})
Frau Kollegin Kressl, bei allem Respekt: Lassen Sie
uns über ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der
Schweiz dann reden, wenn wir es unterzeichnet haben,
weil wir vorher nicht in der Lage sind, den Text vorzulegen. Das ist nun einmal so. Man muss auch auf die
Schweiz ein bisschen Rücksicht nehmen. Es ist paraphiert, aber noch nicht unterzeichnet.
({8})
Stochern Sie nicht mit der Stange im Nebel herum, nur
um irgendetwas zu finden. Angebliche Verdächtigungen
machen überhaupt keinen Sinn.
({9})
Wir werden es vorlegen. Ich sage Ihnen vorher: Wir werden eine Lösung finden. Sie werden sehen, dass wir das
unter allen Gesichtspunkten überhaupt Mögliche tun
werden.
Ich komme jetzt zu einem anderen Punkt. Es wird immer von der „Kavallerie“ gesprochen. Ich habe meinen
Vorgänger immer in Schutz genommen, indem ich gesagt habe: Der Humor in Deutschland ist unterschiedlich. Die Alemannen haben ein anderes Verständnis als
die Norddeutschen. Aber man muss sagen: Hilfreich war
es nicht, dass man in Luxemburg sagen musste: Wir haben deutsche Soldaten schon einmal erlebt. Deswegen
ist es besser, wenn wir auch mit unseren kleineren Nachbarn in Europa höflich umgehen, Verständnis zeigen und
sie nicht von oben herab behandeln.
({10})
- Die Schweiz hat ihre eigene Tradition. Damit muss
man umgehen. Wir werden darüber reden, wenn wir das
Abkommen unterzeichnet haben, und nicht im Vorhinein
die Dinge durch falsche Angaben diffamieren.
({11})
- Doch, genau das ist der Punkt.
({12})
Gegen Ende unserer Debatte möchte ich eine weitere
Bemerkung machen. Natürlich ist es wahr - was wir
heute in der OECD-Prognose lesen, bestätigt nur, was
ich am Dienstag zu Beginn dieser Haushaltswoche bereits gesagt habe -: So gut unsere Lage in Deutschland
ist - die Lage von Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Finanzen -, so sehr ist die Entwicklung der Weltkonjunktur an
einem kritischen Punkt. Ich habe am Dienstag schon angekündigt, dass ich im Anschluss an diese Haushaltsdebatte zum Treffen der Finanzminister und Notenbankgouverneure der G-7-Staaten in Marseille fahre. Wir
werden schwierige Debatten führen. Sie alle haben die
Rede des amerikanischen Präsidenten heute Nacht zur
Kenntnis genommen. Wir befinden uns an einem kritischen Punkt der Weltkonjunktur.
({13})
- „Kritisch“ heißt, dass wir uns in einer Situation befinden, in der sich viele Dinge entscheiden. Ich warne zunächst vor unangemessenen und falschen Dramatisierungen. Deswegen habe ich am Dienstag mit großer
Klarheit darauf hingewiesen: Bei allen Sorgen, was im
Bankensystem an Risiken und Ansteckungsgefahr stecken kann, ist es verkehrt, wenn wir mit falschen
Berechnungen Tatarenmeldungen schüren. Vertrauen ist
- das wissen wir seit Ludwig Erhard, auf den sich inzwischen alle berufen - die wichtigste Ressource für eine
nachhaltige und stetige Entwicklung der Wirtschaft.
({14})
Vertrauen ist wichtig, das heißt, man muss einseitige
Dramatisierungen vermeiden.
Das OECD-Gutachten spricht - so lauten heute die
Überschriften - von einer möglichen starken Abkühlung
der Konjunktur in Deutschland. Aber das OECD-Gutachten sagt zugleich, dass damit zu rechnen ist, dass wir
in Deutschland in diesem Jahr ein Wachstum von
2,9 Prozent haben werden. Der Kollege Rösler hat gestern gesagt, die Bundesregierung hat - so ist unsere amtliche Prognose - 2,6 Prozent zugrunde gelegt, das heißt,
selbst bei einer gewissen Eintrübung der Konjunktur in
Deutschland im Quartalsverlauf sind wir auch nach den
Aussagen der internationalen Experten vor der Kurve,
genau wie bei der Defizitreduzierung. Also bitte keine
falschen Dramatisierungen.
Meine zweite Bemerkung, die ich mit großen Ernst
machen will. Die Weltkonjunktur wird Auswirkungen
auf Deutschland haben, weil wir stark in die internationale Arbeitsteilung eingebunden sind und große Erfolge
auf den Exportmärkten haben. Deswegen hat uns die
Krise 2009 härter getroffen als andere.
Umso wichtiger ist, dass wir bei allen Maßnahmen in
dieser kritischen Phase daran denken, was die Hauptursachen der Krise sind. Eine Ursache ist die mangelnde
Regulierung der Finanzmärkte. Wir arbeiten auf internationaler und europäischer Ebene mit aller Kraft, damit
wir diesbezüglich so viel wie möglich erreichen. Wenn
wir Spielraum dafür haben, gehen wir notfalls auch auf
nationaler Ebene voran; das haben wir bereits bewiesen.
Das gilt übrigens auch für die Finanztransaktionsteuer.
Ich muss jetzt nicht wiederholen, was ich dazu oft genug
gesagt habe. Genauso wichtig ist die Erkenntnis - daran
halten wir neben der Forderung nach einer weiter gehenden Regulierung der Finanzmärkte fest; übrigens entspricht das auch dem Urteil aller internationalen Institutionen -: Die Hauptursache für die Krise ist das
Übermaß an öffentlicher Verschuldung in den Staatshaushalten.
Wenn wir die Krise bekämpfen und in dieser kritischen Phase Kurs halten wollen, und zwar in Deutschland, in Europa und in der Welt, dann muss der Kurs
maßvoller Defizitreduzierung fortgesetzt werden.
({15})
Nur in diesem Rahmen, ohne Veränderung der Defizitreduzierung, hat jedes Land die Möglichkeit - das kann jedes Land entscheiden; im Rahmen der Haushaltsberatungen werden wir auch in Deutschland weiter um jeden
Euro ringen -, durch zusätzliche Schwerpunktsetzungen
die Wirtschaft zu beleben, wenn die Situation schwieriger werden sollte. Dabei dürfen wir aber nicht den Kurs
der Defizitreduzierung verlassen. Das gilt in Deutschland, das muss in Europa und das muss weltweit gelten.
Wir können die Krise nicht dadurch bekämpfen, dass wir
die Probleme, die zu der Krise geführt haben, weiter verschärfen. Das wäre der falsche Weg. Mit den Möglichkeiten der Geldpolitik, der Geldschöpfung und einer
noch weiter gehenden öffentlichen Verschuldung die
Krise zu bekämpfen, wäre der falsche Weg. Damit würden wir die Probleme verschärfen und nicht lösen.
Wir befinden uns in einer guten Lage. Wir sind gut
vorangekommen. Die Bundesregierung und die Koalition sind entschlossen, Kurs zu halten. Kurs halten heißt:
solide Finanzen als Grundlage für wirtschaftlichen
Wohlstand und soziale Gerechtigkeit.
Herzlichen Dank.
({16})
Priska Hinz hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Haushaltsentwurf, über den wir in dieser Woche diskutiert haben, sind im Prinzip zentrale Weichenstellungen verbunden: für die Bewältigung der Euro-Krise,
über die wir in dieser Woche sehr ausführlich gesprochen haben, für die ökologische Modernisierung und für
den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Ich gebe den
Kollegen recht, die gesagt haben - das waren vor allen
Dingen Herr Barthle und Herr Koppelin -, dass uns
polemische Debatten nicht weiterhelfen.
({0})
Ich kann es aber nicht akzeptieren, dass Sie diese Debatten hier trotzdem weiterführen und dabei noch nicht einmal Revue passieren lassen, dass die Grünen zu jedem
Einzelplan Gegenvorschläge unterbreitet haben. Wir haben nicht nur kritisiert, sondern auch konkrete Gegenvorschläge unterbreitet. Wir haben gesagt, was man anders machen sollte.
({1})
Priska Hinz ({2})
Wir erkennen die Fortschritte bei den anderen Fraktionen an. Die SPD zum Beispiel schlägt in ihrem Steuerkonzept vor, ökologisch schädliche Subventionen
abzubauen. Diesbezüglich haben wir in den Haushaltsberatungen jetzt endlich Mitstreiter. Die Koalition hat
die Energiewende beschlossen. Dazu müssen wir aber
sagen, dass die Koalition beim Energie- und Klimafonds, der als Schattenhaushalt geführt wird - das ist an
sich ein schlechtes Instrument -, bisher nicht die Kraft
hatte, energisch voranzuschreiten und deutlich zu machen, dass wir viel mehr Geld im Bereich der Energieeffizienz brauchen; es gibt nur winzige richtige Ansätze.
Um das zu erreichen, muss man Subventionen kürzen;
aber dafür fehlt Ihnen die Kraft.
({3})
Das Hauptproblem auf diesem Feld ist immer noch
der Wirtschaftsminister, der von der Energiewende anscheinend nichts mitbekommen hat; denn er macht weiterhin Subventionspolitik - nicht von gestern, sondern
von vorgestern - ohne die notwendigen Investitionen in
die Zukunft der Netze und in die Ressourceneffizienz.
Da liegt das Problem Ihres Haushaltsentwurfes. Es wird
nicht in eine nachhaltige Zukunft investiert. Sparen ist
kein Selbstzweck. Man muss sparen und konsolidieren,
um zukünftig in gute Wirtschaftsstrukturen zu investieren.
({4})
Das Recht, den Haushalt des Bundes zu beschließen,
ist von zentraler Bedeutung für unsere parlamentarische
Demokratie; Herr Fricke, das ist richtig. Das hat uns das
Bundesverfassungsgericht bestätigt. Aber dieses Recht
gilt nicht nur für eine Beteiligung bei Entscheidungen
zur EFSF, sondern auch und vor allem für solides Haushalten. Das ist allerdings von der FDP bislang falsch verstanden worden. Sie stellen sich Ihrer Verantwortung
nicht; denn dann müssten Sie die Steuersenkungspläne
offiziell beerdigen.
({5})
Ich dachte schon - da Sie die ganze Woche lang so dröhnend dazu geschwiegen haben -, dass Sie diese Pläne
wohl nicht mehr aus der Mottenkiste hervorholen. Leider hat mich Kollege Koppelin eines Besseren belehrt.
Er kam wieder mit dem Thema Steuersenkungen.
({6})
Das ist nun wirklich nicht das, was wir brauchen. Herr
Bundesminister, es wird sich zeigen, ob Sie das Schatzkästlein Kontrollkonto nutzen werden,
({7})
wenn die FDP auf Steuersenkungen drängt. Wir werden
das jedenfalls ganz genau beobachten. Zur Einhaltung
der Vorgaben der Schuldenbremse würden Steuersenkungen jedenfalls nicht beitragen.
({8})
Die größte Volkswirtschaft in Europa ist Deutschland.
Die Solidität unserer Staatsfinanzen ist daher besonders
gefragt. Noch haben wir das Rating AAA - im Gegensatz zur Bundesregierung, die nach der Halbzeitbilanz
eher ein Default darstellt.
({9})
Die Risiken sind aber nach wie vor unübersehbar. Egal
ob Steuersenkungen kommen oder nicht, besteht angesichts Ihrer Finanzplanung trotz sinkender Neuverschuldung - das gebe ich gerne zu - das Risiko, dass bei höherem Zinsniveau die hohen Zinsausgaben nicht aus
dem Haushalt kompensiert werden können.
({10})
- Ich will es ja nicht beschreien; im Finanzplan ist jedenfalls keine Vorsorge getroffen.
({11})
Der Haushalt ist auf Kante genäht; das ist das Problem. Das Risiko der wirtschaftlichen Konjunktur, das
der Bundesfinanzminister gerade beschrieben hat, ist im
Haushalt nicht eingepreist. Auch dies ist ein Problem.
Sie rechnen über den ganzen Zeitraum des Finanzplans
mit 1,5 Prozent Wachstum.
Wichtig ist, dass wir Subventionsabbau betreiben,
dass wir bei den Ausgaben, die keine Zukunftsrendite
bringen, konsolidieren, zum Beispiel bei der Fusionsforschung, dass wir Mehreinnahmen durch den Abbau von
Mehrwertsteuerausnahmen erhalten und dass wir das
Steuersystem mit einem höheren Spitzensteuersatz gerechter machen. Sie brauchten Kraft zum Handeln und
Mut zur Entschlossenheit. Wir haben diesen Mut. Wir
werden Ihnen grüne Ideen für schwarze Zahlen liefern,
die - im Gegensatz zu den Plänen, die Sie hier bislang
vorgelegt haben - dafür Sorge tragen, dass wir auch bei
einem Konjunkturgewitter einen soliden Haushalt haben.
Danke schön.
({12})
Jetzt hat Hermann Gröhe für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Bei so mancher Rede aus den Reihen der Opposition in dieser Woche fragte man sich: In welchem Land
leben Sie eigentlich? Ihre Häme und Ihre Kritik passen
überhaupt nicht zur Realität in unserem Land. Man wird
den Eindruck nicht los, dass Sie den Menschen in unserem Land den gemeinsam erreichten Erfolg nicht gönnen.
({0})
Gemeinsam haben die Menschen durch die Politik
unserer Koalition dieses Land nach vorne gebracht. Unser Land ist gestärkt aus der Wirtschafts- und Finanzkrise hervorgegangen. 2010 ist die Wirtschaft um
3,6 Prozent gewachsen - das höchste Wachstum seit der
deutschen Einheit. Das bedeutet volle Auftragsbücher
für den Mittelstand, für das Handwerk und für die Industrie. Deutschland hat eine niedrigere Arbeitslosenquote
als vor der Krise. Die Horrorbilanz von Rot-Grün waren
5 Millionen und mehr Arbeitslose. Die Arbeitslosenzahl
wurde auf deutlich unter 3 Millionen gesenkt. Dahinter
stehen Tausende persönlicher Erfolgsgeschichten, Menschen, von denen jeder wieder für sich selbst und die eigene Familie sorgen kann. Das ist das Ergebnis unserer
Politik.
({1})
Wenn man sich die Jugendarbeitslosenquote, die
deutlich verringert werden konnte, anschaut und den
Blick nach Großbritannien und Spanien richtet, dann
zeigt sich, wie wichtig das ist. Deutschland ist erfolgreich. Dazu haben zwei Bundesregierungen unter Führung von Angela Merkel entscheidend beigetragen. Diesen Weg gehen wir weiter.
({2})
Unser Haushalt zeigt: Wir können die Konsolidierung
und deutliche Fortschritte bei der Rückführung der Neuverschuldung damit verbinden, klare Akzente zu setzen.
Wir halten die Schuldenbremse ein. Wir hören auf, die
Spielräume unserer Kinder und Kindeskinder zu beschneiden.
Was aber tut die SPD? Sie führen hier das Wort „Sparen“ im Munde. Aber in den Ländern geben Sie mit vollen Händen Geld aus, das Sie gar nicht haben.
({3})
NRW macht Rekordeinnahmen und zugleich Rekordschulden. Die Schuldenkönige sitzen in Düsseldorf,
Mainz, Bremen und Berlin.
({4})
Das ist der Unterschied: Christlich-Liberale sanieren,
Rot-Grüne ruinieren.
({5})
Wir haben die Weichen dafür gestellt, dass Deutschland ein starkes Land bleibt. Wir investieren in die Zukunft, in Bildung und Forschung. Der BAföG-Höchstsatz ist seit 2005 um 15 Prozent angehoben worden.
Durch den Hochschulpakt wurden 182 000 zusätzliche
Studienplätze in unserem Land geschaffen. Das bedeutet
für mehr junge Leute in diesem Land eine exzellente
Ausbildung.
({6})
Wir investieren in die Familien, die Keimzellen unserer Gesellschaft; das Kindergeld und die Kinderfreibeträge wurden erhöht. Wir investieren in eine zukunftsfähige Energieversorgung; wir zeigen, dass der Umstieg
ins Zeitalter erneuerbarer Energien mit ökologischem
und ökonomischem Augenmaß funktioniert.
({7})
Wir arbeiten für ein geeintes Europa. In wenigen Wochen wird der siebenmilliardste Mensch auf diesem Planeten geboren. 2050 werden wir Europäer nur noch
7 Prozent, wir Deutsche nur noch 0,7 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Das zeigt: Wir brauchen ein
starkes Europa, wenn wir nicht zum Spielball des Weltgeschehens werden wollen. Nur so und nur gemeinsam
können wir Wohlstand und Frieden sichern. Deshalb arbeiten wir für mehr Wettbewerbsfähigkeit der Staaten im
Euro-Raum und für eine Schuldenbremse in allen europäischen Verfassungen. Dieser Tage schreitet diese Politik in wichtigen Euro-Ländern erfolgreich voran. Ich zitiere Konrad Adenauer:
Europas Geschick ist das Geschick eines jeden
europäischen Staates.
Wir wollen Solidität und dafür nicht nur ein Beispiel
geben, sondern sie auch exportieren. Im Gegensatz dazu
stehen rot-grüne Vorschläge einer ausufernden Vergemeinschaftung von Schulden. Es war interessant, in dieser Woche zu beobachten, wie Sie sich auf leisen Sohlen
von diesen Ideen zu verabschieden versuchen. Nachdem
das Bundesverfassungsgericht dazu Klartext gesprochen
hat, wurden Sie im Hinblick auf Euro-Bonds plötzlich
ganz ruhig.
({8})
Dann haben Sie vollmundig ein Programm für Bildung und Entschuldung vorgelegt. Wenn das Ihre Prioritäten sind, brauchen Sie nur dem Haushalt zuzustimmen.
Denn dort sind die Prioritäten auf Zukunft und auf Bildung gerichtet. Zugleich schreitet die Entschuldung voran. Was aber ist Ihr Rezept? Steuererhöhungen für den
Mittelstand und Steuererhöhungen für unsere Familien.
Sie nennen so etwas sozialen Patriotismus. Das ist aber
weder sozial noch patriotisch. Das ist allenfalls ein peinliches Koalitionsangebot an die Linken.
({9})
Die christlich-liberale Koalition hat Deutschland erfolgreich durch stürmische Zeiten gelenkt. Es ist gut,
dass keine Leichtmatrosen am Ruder sind. Wir stellen
mit diesem Haushalt die Weichen für eine gute Zukunft,
für ein starkes Deutschland in einem starken Europa.
({10})
Florian Toncar hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Um diesen Haushalt zu beurteilen - das ist schon
gesagt worden -, muss man sehen, woher wir kommen.
Wir kommen von einer Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro, die Sie wollten, liebe Sozialdemokraten.
Innerhalb von nur zwei Jahren sind wir auf einen Ansatz
von nur 27 Milliarden Euro gekommen. Das ist noch
kein endgültiges Ergebnis. Es ist aber in jedem Fall ein
gewaltiger Fortschritt, die Neuverschuldung in nur zwei
Jahren so stark zu reduzieren.
Frau Kollegin Hinz, das ist solide gerechnet. Die
Haushaltsansätze der letzten zwei Jahre waren eher vorsichtig berechnet. Sie wissen auch, dass der Vollzug des
Haushalts wesentlich besser vonstattengegangen ist,
({0})
weil wir vorsichtig rechnen und weil wir nicht tricksen,
wie das Rot-Grün unter Herrn Eichel gemacht hat. Dieser musste sich immer wieder korrigieren. Wir dagegen
rechnen ganz sauber, verlässlich und solide. Da müssen
Sie überhaupt keine Sorgen haben.
({1})
Wir sind uns einig, dass wir Vorgaben der Schuldenbremse, die im Grundgesetz steht, schneller einhalten
wollen als verlangt. Wir sind nach unserer Finanzplanung auch auf dem besten Weg dahin. Der Anspruch dieser Koalition ist, dass wir nicht nur das machen, was die
Verfassung verlangt. Wir sagen: Die Schulden müssen
runter, und zwar so schnell wie möglich. - Genau auf
diesem Weg befinden wir uns mit der vorliegenden
Finanzplanung.
Ein Kontrast dazu ist das, was Sie dort abliefern, wo
Sie Verantwortung tragen. Ich messe Parteien eigentlich
immer eher an dem, was sie tun, als an dem, was sie in
der Opposition vertreten.
({2})
Rot-Grün hat vier Jahre in Folge die Latte des
Maastricht-Vertrags gerissen. Das ist beispiellos. Das hat
es so noch nicht gegeben. In Baden-Württemberg, wo
Sie dieses Jahr gerade die Regierung übernommen haben, haben Sie die 1 Milliarde Euro an Steuermehreinnahmen gleich wieder ausgegeben. Dadurch werden Sie
erst neun Jahre später, als von der alten Landesregierung
geplant, die Nullverschuldung erreichen. Klarer kann
man doch den Kontrast zu unserer Politik nicht deutlich
machen, als darauf hinzuweisen, was passiert, wenn Sie
Geld in die Hand bekommen.
({3})
Die These, dass man mit Einnahmeerhöhungen und
massiven Steuererhöhungen - die schlagen Sie vor Haushalte konsolidieren kann, haben Sie in Ihrer eigenen Zeit im Grunde genommen selbst widerlegt. In der
letzten Wahlperiode gab es die größte Steuererhöhung
auf einen Schlag, die es in Deutschland je gegeben hat.
Das Ergebnis war aber nicht ein ausgeglichener Haushalt
- auch vor der Krise nicht; aber das lasse ich bei dieser
Betrachtung einmal außen vor -, sondern das Ergebnis
war, dass außer den Steuereinnahmen in den drei Jahren
bis 2008 die Ausgaben des Staates um 23 Milliarden
Euro gewachsen sind. Das ist eben das Problem, wenn
man Steuern erhöht. Man kann dann bestimmten Ausgabewünschen nicht widerstehen. Deswegen wird die von
Ihnen vorgeschlagene Lösung ganz bestimmt nicht zu
solideren Staatsfinanzen führen.
Wir als Koalition nehmen in Kauf, dass wir durch unseren schnellen Konsolidierungskurs auch geringere
Spielräume für neue Ausgaben haben. Wir setzen aber
die richtigen Schwerpunkte, indem wir in vier Jahren zusätzlich 12 Milliarden Euro in Bildung und Forschung
und somit in die Zukunft investieren.
({4})
Das finanzieren wir aber nicht durch höhere Schulden
wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen, sondern dadurch, dass wir an anderen Stellen sparen. Das ist
Schwerpunktsetzung im Haushalt: Sparen an der richtigen Stelle, Investieren in Bildung und in Zukunft. So
macht es diese Koalition.
({5})
Trotz ausgesprochen geringer Spielräume für neue
Ausgaben und neue Ideen sind wir dieses Jahr eine
ganze Reihe von Großreformen und politischen Projekten angegangen, die wirklich bemerkenswert sind. Da
wäre die Bundeswehrreform zu nennen. Das ist die
größte Reform in der Geschichte der Bundeswehr.
({6})
Da wäre die Reform der Entwicklungszusammenarbeit
zu nennen. Das ist ein Projekt, an dem Sie sich jahrelang
die Zähne ausgebissen haben. Die Deutschen können
sich darauf verlassen, dass die Entwicklungszusammenarbeit in Zukunft effektiv und effizient funktioniert und
dass Steuergelder dort besser, wirtschaftlicher und sinnvoller eingesetzt werden als früher. Das ist ein großes
Reformwerk, auf das wir stolz sind.
({7})
Woran wir in diesem Herbst gerade arbeiten, ist die
überfällige Reform der Instrumente der Bundesagentur
für Arbeit. Das ist jahrelang moniert worden. Jeder weiß
doch im Grunde, dass in diesem Bereich viel Unsinniges
gemacht worden ist. Diese Koalition nimmt diese überfällige Reform in Angriff. Das bringt unseren Arbeitsmarkt und unser Land voran.
({8})
In Vorbereitung ist ein Gesetz, mit dem erstmals systematisch das Problem des Ärztemangels erfasst wird
und darauf eine Antwort zu geben versucht wird. Das
wird in diesem Herbst sicherlich eine ganz wichtige Beratung werden. Wir werden uns auch des Themas Pflege
annehmen.
Wir machen das alles unter schwierigsten haushalterischen Bedingungen. Dass das geht, dass wir so viele Reformprojekte gleichzeitig anstoßen, obwohl wenig Geld
vorhanden ist, ist eine gewaltige politische Leistung dieser Koalition.
({9})
Die Zeit verlangt nicht nach linker Politik, nach mehr
Ausgaben und immer neuen Programmen. Ich weiß, dass
Sie auf vielen Parteitagen und auch intern sich immer
neue Ausgaben ausdenken. Aber die Schuldenkrise in
Europa und auch die demografische Entwicklung in den
nächsten zehn Jahren verlangen nicht nur in Deutschland,
sondern in ganz Europa einen ganz anderen Ansatz. Das
ist eine Politik des schlanken Staates, eine Politik, die
jede Möglichkeit nutzt, unsere Wirtschaft wettbewerbsfähiger und stärker zu machen. Das heißt, Ihr Glaube, dass
Ihr Ansatz die Lösung für die nächsten zehn Jahre ist, ist
verwegen. Sollten Sie wirklich glauben, dass man heute
den Staat weiter ausdehnen und ihm neue Aufgaben übertragen kann, dann werden Sie Schiffbruch erleiden, sobald Sie das beweisen müssen.
({10})
Ich glaube, dass wir mit diesem Haushalt, mit dieser
Politik und mit den Reformprojekten, die wir neben dem
Haushalt angehen, Deutschland in einer Zeit voranbringen, die nicht einfach ist, und unter schwierigsten finanziellen Rahmenbedingungen politisch gestalten. Das
zeigt, dass wir mit Geld umgehen und dafür sorgen können, dass die Wirtschaft gut durch diese ausgesprochen
riskante und schwierige Zeit kommt.
({11})
Rüdiger Kruse hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte erst einmal auf das letzte Jahr zu
sprechen kommen. Vor einem Jahr habe ich hier in einem Beitrag zur Haushaltsdebatte die Regierung daran
erinnert, dass das Parlament sich für die Umsetzung des
Projekts Villa Tarabya entschieden hat, dass das aber
nicht so läuft, wie wir das gerne hätten. Ich komme darauf zurück, weil sich das Außenministerium unter der
Federführung von Frau Staatsministerin Pieper dieser
Kritik angenommen hat und sie nicht einfach an sich hat
abperlen lassen. Sie hat dieses Projekt in den letzten Monaten in Angriff genommen und umgesetzt. Dieses Projekt einer Künstlerakademie ist auf einem sehr guten
Weg, genauso wie wir uns das vorgestellt haben.
({0})
Wenn man eine Regierung kritisiert, insbesondere
wenn es die eigene ist, dann soll man sie auch loben,
wenn sie das tut, was das Parlament will. Es ist bemerkenswert, dass die Regierung in dieser Zeit solche Projekte vorantreibt, die ihren Wert erst wesentlich später
entfalten werden. Das spiegelt sich auch im vorliegenden Haushaltsentwurf wider. Sehr beliebt bei öffentlichen Forderungen nach Kürzungen ist der Kulturbereich. Das macht zwar keinen Sinn, weil der Kulturetat
immer sehr klein ist, aber trotzdem wird er immer gerne
genannt. Schauen Sie sich einmal in anderen Ländern
um, zum Beispiel in Holland, einem bürgerlich-demokratischen Land. Dort ist der Kulturetat zusammengestrichen worden. In Deutschland hingegen können wir
hier sehr zufrieden sein, weil der Kulturetat weitgehend
stabil geblieben ist; er weist über die Jahre sogar einen
leichten Aufwuchs auf. Auch das zeigt, dass hier mit ruhiger Hand regiert wird und nicht um des Sparens willen
Werte zerstört werden und hier auch nicht Populismus
betrieben wird.
Die Kulturszene und die Kunst widmen sich häufig
Sinnfragen und Sehnsüchten. Fangen wir einmal mit
Letzterem an. Auch in dieser Debatte wurden interessanterweise Sehnsüchte geäußert. Vielleicht aus der Tiefe
seiner Seele hat Herr Gabriel erklärt, er vermisse in den
Reihen der Sozialdemokraten Staatsmänner wie Helmut
Schmidt; auch Giscard d’Estaing wurde genannt. Sogar
Helmut Kohl hat er lobend erwähnt. Das kann ich gut
verstehen; denn wenn man keine Vision hat, dann sollte
man wenigstens einen Helmut Schmidt haben. Visionslosigkeit ist aber nicht der richtige Ansatz für Politik;
denn man muss schon Ziele haben, damit man auch den
richtigen Weg geht.
({1})
Das ist auch gut für die Regierung. Im Übrigen schätzen
auch wir unsere Altvorderen. Es ist aber nicht so, dass
wir sie so schmerzlich missen müssen,
({2})
wie das bei Ihnen offenbar der Fall ist, weil bei uns die
Lücken gut gefüllt sind.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesfinanzminister. Sie haben diese Debatte geprägt, und zwar nicht in typischer
Manier eines Haushälters. Haushälter haben ja oft, auch
wenn sie gut sind, den Beigeruch des Krämers.
({3})
Sie haben hier deutsche Haushaltspolitik, Belange unseres Landes und europäische Ziele in Einklang gebracht.
Das tun Sie nicht nur hier in dieser Debatte, sondern seit
Monaten unermüdlich. Der Lohn dieser Mühe ist, dass
die Zustimmung zur Politik dieser Regierung nicht nur
von Gerichten geäußert wird, sondern auch von der Bevölkerung.
({4})
Natürlich bekommen die Aufregungsszenarien, die die
Opposition gerne entwirft - auch heute wieder -, am Anfang erst einmal die gewünschte Aufmerksamkeit. Das
ist aber schnell vorbei, wenn wir erklären und verständlich machen - das haben der Minister und die Kanzlerin
in diesen Haushaltsberatungen getan -, warum das
Ganze solide ist und warum wir das eigentlich tun. Denn
nicht nur Kinder fragen, warum. Auch jeder Bürger fragt
zu Recht: Warum wollt ihr eigentlich sparen? Warum
wollt ihr den Euro retten? Wenn wir darauf nur die Antwort geben: „Das muss jetzt sein“, wäre das nicht richtig. Der Sparkurs, den wir aus Gründen der Konsolidierung des Haushalts eingeschlagen haben, ist nicht nur
alternativlos und moralisch geboten, sondern nutzt auch
den jetzt handelnden und lebenden Generationen, weil er
wieder Spielräume eröffnet.
Wir alle haben uns mit der Euro-Krise beschäftigt.
Die Analyse, dass die Ursache der Probleme die überbordende Staatsverschuldung ist, ist richtig. Genauso
richtig ist dann der von uns eingeschlagene Weg, der
zum Ziel hat, die Konsolidierung voranzutreiben. Wir
erliegen nicht der Versuchung, mit zusätzlichen Programmen oder Maßnahmesteigerungen konjunkturelle
Effekte zu nutzen und so eventuell Wählerstimmen zu
gewinnen. Das funktioniert bei uns sehr gut.
Schauen wir uns einmal an, was andere machen. Die
Linke hat den Hamburger Finanzsenator gelobt; darüber
soll er sich freuen. In Hamburg gilt jetzt offenkundig das
Motto „Pay as you go“. Frei übersetzt heißt das: Bezahlen Sie, wenn Sie gehen. Damit ist gemeint: Wir machen
so lange Party, bis es vorbei ist. Beim Hinausgehen verweisen wir dann auf die nachfolgende Generation; die
darf die Zeche zahlen.
({5})
Es kann doch nicht wahr sein, dass ein Bundesland wie
Hamburg das in seiner Landeshaushaltsordnung verankerte Schuldenverbot ab 2013 nun kippen will und erklärt, man werde sich ganz enthusiastisch für die Schuldenbremse des Bundes engagieren. Das ist so, als ob Sie
oder ich erklären würden, wir würden die Straßenverkehrsordnung einhalten. Die Schuldenbremse des Bundes muss auf jeden Fall eingehalten werden. Wenn sich
ein Bundesland wie Hamburg Berlin, Bremen, das Saarland und Sachsen-Anhalt zum Maßstab nimmt und deren
Ziele zu seiner Benchmark erklärt, dann ist das peinlich.
Das ist so, als ob die Bundesregierung sagen würde: Solange wir 2 Prozent besser sind als Griechenland, reicht
das.
Diese Haushaltberatungen zeigen meines Erachtens,
warum unser Kurs für Deutschland richtig ist. Ich bin
sehr froh darüber, dass nicht nur ein Gericht, sondern
auch die nette kleine Ratingagentur Einfach & Ärmlich
- besser bekannt als Standard & Poor’s ({6})
das von den Sozialdemokraten favorisierte Modell der
Euro-Bonds verworfen hat. Es war interessant, zu sehen,
was aus Ihrem Allheilmittel Euro-Bonds geworden ist.
Nun sollen diese Euro-Bonds plötzlich nicht mehr die
sein, über die alle gesprochen haben.
({7})
Mein Dank geht noch einmal an den Minister und die
Kanzlerin. Mit dem eingeschlagenen Weg werden wir einen guten Beitrag für Deutschland leisten und die Integration in Europa fördern. Das sehen Sie daran, dass andere Länder unser Modell übernehmen.
Herr Kollege.
Newsweek hat zur Haushaltspolitik von Spanien geschrieben: Budget control German style. - Und das ist
ein hohes Lob.
Danke.
({0})
Norbert Brackmann hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es liegt ein bisschen in der Natur der Sache,
dass wir in den Haushaltsberatungen über mögliche
Mehreinnahmen durch Steuererhöhungen sprechen oder
Bewertungen vornehmen, wie Einsparungen bzw. KürNorbert Brackmann
zungen möglich sind. Ein bisschen vermisst habe ich die
Würdigung des dritten Weges, den die Bundesregierung
gegangen ist, nämlich auch durch intelligentes Sparen
und Wachstumsförderung in nicht unerheblichem Umfang Einnahmen zu generieren.
Dieser Weg hat nämlich gerade in dieser Zeit dazu geführt, dass die Steuereinnahmen des Gesamtstaates in
den ersten sieben Monaten dieses Jahres gegenüber dem
Vorjahreszeitraum um 9,7 Prozent gestiegen sind. Die
Körperschaftsteuereinnahmen zum Beispiel stiegen um
31,8 Prozent. Aber auch die Lohnsteuereinnahmen legten mit 9,5 Prozent deutlich zu.
Das ist mehr als nur ein Indiz. Es ist geradezu der Beweis dafür, dass Wirtschaft und Arbeitsmarkt aufblühen.
Das Wachstum betrug im vergangenen Jahr 3,5 Prozent
und wird in diesem Jahr 2,5 bis 3 Prozent erreichen. Im
zweiten Quartal waren in Deutschland rund 41 Millionen
Menschen erwerbstätig. Das sind gut 500 000 mehr als
im Jahr zuvor und damit in diesem Frühjahr so viele wie
noch nie.
Es gibt noch mehr gute Zahlen. Im August dieses Jahres erreichte die Zahl der Jobsuchenden mit rund
2,95 Millionen den niedrigsten Wert im Monat August
seit 20 Jahren. Das sind nicht nur abstrakte Zahlen. Hinter jeder einzelnen Zahl steht ein menschliches Schicksal. Dass es so vielen Menschen wieder gut geht, ist kein
Zufall, sondern Ergebnis der guten Politik der deutschen
Regierung und der Schaffenskraft seiner Menschen.
({0})
Wenn über dieses hervorragende Ergebnis Einvernehmen besteht - es wurde in der gesamten Haushaltswoche
von niemandem bestritten -, dann mutet es etwas eigentümlich an, wenn davon gesprochen wird, wie heute
etwa von Ihnen, Herr Schneider, und am Mittwoch von
Herrn Steinmeier, dass dieses Ergebnis trotz dieser Regierung
({1})
und nicht wegen dieser Regierung erzielt wurde.
Herr Steinmeier hat vor einem Jahr gesagt, das Sparpaket der Bundesregierung drohe den Konjunkturaufschwung abzuwürgen.
Was wäre denn die Alternative gewesen? Wenn Sie in
diesem Jahr selbst bestätigen, dass es den Konjunkturaufschwung gegeben hat, dann kann das im Umkehrschluss doch nur bedeuten, dass es mit Ihrer Politik
nicht funktioniert hätte.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ist darüber hinaus mit Ihren steuerpolitischen Vorstellungen,
die Sie uns hier präsentieren? Es war doch Ihr Kanzlerkandidat in Lauerstellung, der, die 5 Millionen Arbeitslosen fest im Blick, darauf gekommen ist, dass die Leistungsträger in unserer Gesellschaft weniger Steuern
zahlen müssen, und seinerzeit maßgeblich dazu beigetragen hat, dass der Spitzensteuersatz erheblich gesenkt
wurde.
In der heutigen Situation wollen Sie dieses erfolgreiche Rezept, von dem Sie selbst profitieren - auch das
klagen Sie immer wieder ein -, wieder aufgeben und die
Leistungsträger unserer Gesellschaft zusätzlich besteuern, indem Sie den Spitzensteuersatz und andere Steuersätze erhöhen und eine Vermögensteuer einführen wollen. Das wird niemandem bei uns helfen.
({3})
Sie halten in der Debatte an den Euro-Bonds fest,
auch wenn Sie das partiell zurückgenommen haben
- Herr Gabriel hält sie mittlerweile für nicht mehr mit
der gegenwärtigen Vertragslage vereinbar - oder mit besonderen Auflagen versehen wollen - von SteinmeierBonds ist die Rede -, und bürden damit den deutschen
Steuerzahlern zusätzliche Aufwendungen auf. Nach
Schätzungen der Bundesregierung müssen 17 Milliarden
Euro pro Jahr zusätzlich aufgebracht werden.
({4})
Nach Schätzungen des Ifo-Instituts sind es sogar 47 Milliarden Euro. Wenn man die von Standard & Poor’s angekündigte schlechte Bewertung der Euro-Bonds zugrunde legt, sind es noch mehr.
({5})
Das ist dramatisch mehr als zum Beispiel die 10 Milliarden Euro, die wir im Investitionsetat des Verkehrsministeriums haben.
({6})
Mit diesen Investitionen sichern wir ein Stück weit die
Zukunft und die Arbeitsplätze. Sie wollen jährlich ein
Vielfaches dieser Summe ausgeben, um Euro-Bonds zu
finanzieren. Damit laufen Sie einem Hirngespinst hinterher.
({7})
Deutschland ist dank der guten Arbeit der christlichliberalen Koalition, der Sozialpartner und der fleißigen
Menschen besser aus der Krise herausgekommen, als es
hineingegangen ist. Deutschland benötigt jetzt Geradlinigkeit und Kontinuität. Kraftmeierei, neue Belastungsproben für Leistungsträger, unnötige Geldausgaben für
Euro-Bonds und Schwarzmalerei helfen den Menschen
nicht. Genauso wenig hilft die bloße Hoffnung auf Besserung; denn sie ist nur eine Mischung aus Feigheit,
Handlungsunfähigkeit und Selbstbetrug.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Haushaltsplan und der Finanzplan sind der Beweis, dass intelligentes Sparen gleichzeitig Wachstum und Wohlstand
bringen kann. Deshalb setzt die christlich-liberale Koalition diesen Konsolidierungskurs unbeirrbar fort. Diese
Selbstbeschränkung ist nicht nur eine Tugend, sie ist
auch Ausdruck unserer Verantwortung für die kommenden Generationen.
Diese Haushaltswoche war von der teils hitzig geführten Diskussion über die Rettungspakete in Europa
geprägt. Übermorgen ist der zehnte Jahrestag der verheerenden Terroranschläge in New York und anderswo. In
diesen Tagen ist es nicht nur Zeit, der Opfer zu gedenken, sondern auch Zeit, sich darauf zu besinnen, welch
lange Zeit des Friedens Europa uns gebracht hat. Unverzichtbarer Teil dieses Europas ist auch der Euro, und ich
füge hinzu: der stabile Euro. Ohne einen solchen Haushalt wird aber auch die stärkste Volkswirtschaft Europas
keinen nachhaltigen Beitrag zur Stabilität des Euro leisten können. Deswegen ist der vorgelegte Haushalt der
christlich-liberalen Koalition zugleich eine Investition in
Frieden, Freiheit und Wohlstand für Deutschland und
Europa.
Danke schön.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/6600 und 17/6601 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Vereinbarte Debatte
Für eine Verhandlungslösung im Nahostkonflikt
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Rainer Stinner für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Angesichts der veränderten Situation in der Region laufen diesmal in der Debatte, die wir seit Jahren führen,
mehrere neue Handlungsstränge zusammen, die wir bisher noch nicht kannten. Ich nenne einerseits die Veränderungen in der arabischen Welt, die natürlich einen wesentlichen Einfluss haben, ich nenne aber auch die uns
sehr beunruhigende Situation zwischen Israel und der
Türkei. Die Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten in diesen Tagen beunruhigen uns außerordentlich. Wir möchten hier sehr deutlich zum Ausdruck bringen, dass dies natürlich Einfluss hat.
({0})
Der Konflikt zwischen Israel und Palästina war nie
ein isolierter Prozess. Er hatte immer Auswirkungen auf
die Region und weltweit. Die Auswirkungen werden
jetzt noch deutlicher, und sie werden uns noch mehr betreffen. Deshalb ist es wichtig, diese Debatte in aller
Ernsthaftigkeit zu führen.
Wir müssen uns fragen, ob unsere Ziele, die wir jahrelang verfolgt haben, noch die richtigen sind. Wir müssen
prüfen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Für
meine Fraktion sage ich ganz deutlich: Die Ziele, die wir
in diesem Prozess haben, sind völlig unverändert. Wir
stehen nach wie vor eindeutig zu der für uns einzig sinnvollen Lösung: der Zwei-Staaten-Lösung. Wir wollen,
dass beide Staaten in Frieden und Sicherheit leben können, dass beide Staaten in die Lage versetzt werden, für
ihre Bürger eine Verbesserung der Lebensbedingungen
zu erreichen. Auch das gehört zu einer solchen Lösung.
({1})
Außerdem möchten wir, dass diese Lösung ohne weitere
militärische Konflikte, ohne weiteres Blutvergießen und
ohne weitere Tote erreicht wird. Das ist unser Ziel.
Die Elemente einer solchen Lösung sind seit Jahren
genau beschrieben - wir alle kennen sie -:
Erstens: die Gebietsfrage, Grenzen von 1967 plus einem beiderseitigen einvernehmlichen Gebietsaustausch.
Zweitens: die Frage Jerusalems als Hauptstadt beider
Staaten.
Drittens: die Frage der Rückkehr der Flüchtlinge. Ich
möchte nicht verhehlen, dass ich die Lösung, die in der
Genfer Initiative von 2003 beschrieben worden ist, immer noch für den richtigen und sinnvollen Ausgangspunkt der Diskussion halte.
Das heißt, die Themen liegen auf dem Tisch. Es bedarf - in Anführungsstrichen - „nur noch“ eines Prozesses, um entsprechend weiterzukommen. Darum geht es
in diesen Tagen.
Ich wiederhole gerne, was ich in jeder Debatte zu diesem Thema hier sage - ich tue das mit Inbrunst, weil es
meinem Denken entspricht -: Ich persönlich verstehe
sehr gut, dass im Zentrum jeglicher Überlegungen in Israel die Sicherheit des Staates stehen muss. Dafür habe
ich vollstes Verständnis. Ich meine daher, dass manche
Kritik an Israel übermäßig ist. Wir alle müssen wissen,
dass die Sicherheit Kern der Staatsräson Israels sein
muss. Angesichts der Veränderungen in der Region, angesichts der Geschichte Israels und angesichts neuer Raketen, die Israel bedrohen, haben wir noch mehr Verständnis dafür, dass Israel die Sicherheit seines Staates in
den Vordergrund stellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns fragen und die Freunde in Israel müssen sich fragen, welche Vorgehensweise Israels Sicherheitsinteressen eigentlich nachhaltig befördert; diese Frage muss gestellt
werden.
({2})
Was ist der richtige Weg, um Israels Sicherheitsinteressen wirklich nachhaltig zu befördern? Ich habe in einer
Rede im Frühjahr schon gesagt: Ich finde zum Beispiel
die Israeli Peace Initiative bemerkenswert, angestoßen
von - ich darf das einmal so despektierlich sagen Hardlinern der israelischen Sicherheitsdebatte, vom ExMossad-Chef und von Exgenerälen. Sie haben uns hier
in Berlin gesagt: Helft uns dabei, die israelische Regierung dahin zu bringen, dass sie in den Verhandlungsprozess einsteigt; bekanntlich arbeitet die Zeit - das sagen
wir seit Jahren - nicht für Israel. - Der Weg der Verhandlungen ist richtig, und wir sind nach wie vor dafür,
ihn zu gehen.
Die Palästinenser haben angekündigt, dass sie in diesem Monat in New York aktiv werden. Wir wissen noch
nicht genau, welchen Weg sie gehen werden. Das ist
auch bei ihnen noch sehr umstritten. Es kann jetzt noch
keine endgültige Positionierung zu einem Vorhaben geben, das noch gar nicht bekannt ist.
({3})
Wir wissen aber, dass es einige wichtige Determinanten
gibt. Neben der inhaltlichen Frage ist für meine Fraktion
ganz wichtig, dass die Europäische Union in dieser Angelegenheit möglichst - möglichst! - eine einheitliche
Position erreicht.
({4})
Das Ganze hat über den sachlichen Aspekt hinaus auch
für Europa erhebliche außen- und sicherheitspolitische
Konsequenzen, und deshalb müssen wir entsprechend
daran arbeiten.
Wir wissen, dass die Bundesregierung, insbesondere
der Außenminister, in diesem Zusammenhang seit Wochen, seit Monaten mit den Kolleginnen und Kollegen
der Partnerstaaten in der Europäischen Union ganz intensiv verhandelt. Natürlich können diese Verhandlungen nicht immer am offenen Tisch ausgetragen werden.
Der Außenminister reist an diesem Wochenende in die
Region, um nochmals zu eruieren, welche einvernehmlichen Lösungen gefunden werden können. Das zeigt das
Commitment dieser Bundesregierung; das zeigt das
Commitment dieses Außenministers. Meine Fraktion
unterstützt ausdrücklich, Herr Minister, Ihre Initiative
und Ihr Commitment in diesem Zusammenhang.
({5})
Zur Entscheidung in den Vereinten Nationen sind
mehrere Überlegungen abzuwägen.
Erstens müssen sich die Palästinenser überlegen, was
für sie der richtige Weg ist. Wir alle wissen, dass auch
unter den Palästinensern bis zum heutigen Tage umstritten ist, was der richtige Weg ist.
({6})
- Wir warten den Antrag ab. - Herr Fajjad hat sich sehr
skeptisch zu der Frage geäußert, ob es im Interesse Palästinas ist, den Weg nach New York zu gehen. Wir werden sehen, wie sich die Palästinenser einlassen. Wir wissen, dass sie noch über ihr Vorgehen verhandeln.
Zweitens müssen wir uns fragen, ob das, was in New
York passiert, eine Zwei-Staaten-Lösung - unser erklärtes Ziel - näher rücken lässt oder ob es uns von einer solchen Lösung eher entfernt. Das ist eine Frage, die wir
uns stellen müssen. Sie ist weiß Gott nicht einfach zu beantworten.
Wir müssen uns fragen, ob das, was in New York passiert, und unsere Entscheidung uns unserem ausdrücklichen Ziel, weitere militärische Konfrontation sowie weitere Tote und Verwundete zu vermeiden, näher bringt
oder ob die Gefahr besteht, dass das eventuell wieder
aufbricht. Wir müssen uns auch fragen, ob die Entscheidung in New York eine friedliche Lösung eher behindert
oder befördert.
Das muss sich natürlich auch Israel sehr genau überlegen; denn - das ist unsere Meinung, und diese Meinung wird von vielen in Israel geteilt; das wissen wir alle
genau - die Zeit arbeitet nicht für Israel, und auch Israel
muss einen Weg nach vorne gehen.
Wir alle wissen noch nicht, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wie die Umbrüche in der arabischen Welt enden werden. Aber eines möchte ich schon wagen vorauszusagen: Was auch immer dabei an staatlicher Struktur
in Ägypten und in anderen Staaten dort herauskommt,
die Position gegenüber Israel und die Position zwischen
Israel und Palästina werden sich jedenfalls nicht zugunsten Israels verändern - das will ich einmal so einigermaßen höflich ausdrücken -; denn es ist selbstverständlich,
dass sich jede neue ägyptische Regierung gegenüber
Israel anders verhalten wird als Mubarak und sein Regime. Damit müssen wir rechnen, und damit muss natürlich auch Israel rechnen.
Deshalb sage ich: Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher.
({7})
- Ich bin noch nicht ganz zu Ende, warte aber natürlich
mit großer Spannung auf Ihre Rede, Herr Gehrcke.
Wir können nicht so weitermachen wie bisher, den
Palästinensern unsere Sympathien zu versichern und
dann nichts weiter zu machen. Deshalb stelle ich als Parlamentarier in den Raum, dass die Lösung eines NonMember-Observer-Status für Palästina vielleicht ein
Weg sein könnte, der hier in die richtige Richtung weist.
Die Lösung wird häufig verkleinernd, verniedlichend
mit der Vokabel „Vatikan-Lösung“ umschrieben. Ich
halte das für falsch. Das ist keine Lösung für Briefmarkenstaaten. Sowohl die Schweiz als auch die beiden
deutschen Staaten haben jahrelang mit dieser Lösung gelebt. Also hat diese Lösung eine gewisse Mächtigkeit.
Wir sollten überlegen, ob das die richtige Lösung ist. Ich
weiß, es gibt durchaus Widerstände. Aber wir sind noch
nicht am Ende des Tages, und wir müssen gucken, wie
wir das lösen.
Es geht uns darum, die Zwei-Staaten-Lösung zu befördern, diesen Prozess entsprechend anzustoßen. Wir
sind überzeugt, dass dazu eine einvernehmliche Verhandlungslösung das Beste ist. Der Außenminister ist in
diesen Tagen da, um das entsprechend anzuschieben.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Deutsche
Politik kann dazu nur einen Beitrag leisten. Überheben
wir uns bitte nicht! Wir können im Rahmen der Europäischen Union einen Beitrag leisten. Der ist auch wichtig
genug. Ich habe ja einleitend gesagt, wie wichtig es für
die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union ist, hier eine gemeinsame Position zu
finden. Ich weiß, das ist schwer genug. Ich gehe auch
keine Wetten ein, ob das am Ende des Tages gelingt.
Aber wir sollten es auf jeden Fall versuchen; denn es
geht hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, um viel. Es
geht um viel für Palästina. Es geht um viel für Israel. Es
geht um viel für die Region. Es geht aber auch um viel
für Europa.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat Günter Gloser für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Juni einen Antrag zum heutigen Debattenthema eingebracht.
Ich darf den Titel wiederholen: „Den Nahost-Friedensbemühungen neuen Schwung verleihen“. Dabei haben
wir uns von jenen jungen Palästinensern inspirieren lassen, die in Ramallah, aber auch an anderen Orten im
Frühjahr zu Tausenden auf die Straße gegangen sind und
friedlich für ein Ende des politischen Stillstandes demonstriert haben. Das war und ist ein hoffnungsvolles
Zeichen in einer ansonsten recht verfahrenen Situation.
Ich sehe diesen Willen der Jugend in Palästina zur Veränderung deshalb auch als einen Bestandteil des arabischen Frühlings. Wir sollten der palästinensischen Jugend die gleiche Solidarität zusagen, die wir den jungen
tunesischen, ägyptischen, syrischen oder libyschen Revolutionären in diesen Tagen ganz selbstverständlich immer wieder versprechen.
({0})
Nun ist es aber auch fast ein halbes Jahr nach der
grundsätzlichen Einigung zur Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung noch immer nicht zu dieser Regierungsbildung gekommen. Der Unmut wächst also
wieder. Eigentlich sollten doch alle Akteure - das gilt
nicht nur für die Palästinenser - vom arabischen Frühling gelernt haben, dass Hinhaltetaktiken und Symbolpolitik von den Menschen nicht mehr toleriert werden.
Für das Erreichen einer Friedenslösung muss daher auf
palästinensischer Seite dringend neuer Schwung geholt
werden, indem eine international anerkennungsfähige
Regierung gebildet wird, die für alle Menschen in Gaza
und im Westjordanland sprechen kann.
Doch nicht nur aufseiten der Palästinenser sind Hindernisse für eine Verhandlungslösung auszumachen. Die
Massenproteste Hunderttausender in Tel Aviv gegen die
israelische Regierung zeigen das Unbehagen vieler Israelis gegenüber ihrer Regierung. Der Protest richtet sich
zwar vor allem gegen die Wohnungspolitik, gegen hohe
Mieten und steigende Kosten für die Lebenshaltung. Ich
will in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass die Bürgerinnen und Bürger Israels selbst ohne Gefahr für Leib und Leben demonstrieren können, um ihre Rechte, um ihre Ansprüche
durchzusetzen, und dass das auch beispielgebend für andere Regionen, für andere Länder in der Nachbarschaft
sein kann, wo das eben nicht möglich ist. Dieser Protest
zeigt aber auch die Folgen der Vernachlässigung des
Wohnungsbaus in Israel und der intensiven Förderung
des Siedlungsbaus im Westjordanland auf. Die israelische Nichtregierungsorganisation Peace Now hat dokumentiert, dass im letzten Jahr doppelt so viele Wohnungen in den Siedlungen gebaut wurden wie in ganz Israel.
Das zeigt diese inneren Spannungen auf, das zeigt, dass
es nicht dem Zusammenhalt der israelischen Bevölkerung dient, wenn es eine derartige Spaltung gerade in so
einem wichtigen Bereich gibt.
Nun wollen die Palästinenser nach vielen Bemühungen ihre Staatlichkeit von den Vereinten Nationen anerkennen lassen. Das kann - ganz abgesehen von den
schwierigen völkerrechtlichen Fragen, die das aufwirft eine Verhandlungslösung nicht ersetzen. Darauf habe ich
auch vor einigen Wochen in diesem Parlament hingewiesen. Wenn man nun die Verlautbarungen der israelischen
Regierung dazu liest, so scheint es zwingend, dass diese
Initiative der Palästinenser bei den Vereinten Nationen
eine Gewalteskalation zur Folge haben wird. Wir brauchen nur die entsprechenden Meldungen, Zeitungsberichte und Lagebeurteilungen zu lesen. Ich möchte doch
anmerken, ob sich denn nicht auch eine andere Frage
stellt: Was passiert eigentlich dann, wenn nichts passiert,
({1})
wenn wieder ein „Fenster der Gelegenheit“ zugeschlagen wird? Analyse hin oder her, jedenfalls tragen beide
Seiten Verantwortung dafür, eine solche Eskalation zu
verhindern. Das heißt: Zurück an den Verhandlungstisch!
({2})
Die territoriale Integrität und die Sicherheit Israels
stehen für uns Sozialdemokraten nicht zur Disposition,
und zwar für alle Zeiten. Die verbale Aufrüstung beider
Seiten im Vorfeld des 20. September beobachten wir
deshalb auch mit großer Sorge. Ich stimme da mit Ihnen
überein, Kollege Stinner. Das gilt übrigens auch bezüglich der Entwicklung zwischen Israel und der Türkei. An
anderer Stelle und in anderen Debatten haben wir ja immer herausgestellt, welch wichtige Rolle die Türkei in
dieser Region spielt, sei es in Bezug auf Syrien, den Iran,
aber auch in Bezug auf Israel. Ich sage den türkischen
Freunden ganz bewusst, dass sie sich fragen sollten, ob
sie sich durch die Verlautbarungen und Töne der letzten
Zeit nicht ihrer eigenen politischen Gestaltungsmöglichkeiten berauben, deren Wahrnehmung in dieser Region
ja eine Notwendigkeit darstellt.
({3})
Die politische Konstellation im gesamten Nahen Osten ist derzeit alles andere als stabil. In Ägypten werden
die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vielleicht
mehr Klarheit bringen. In Jordanien hat eben erst ein
Prozess zu mehr Bürgerbeteiligung begonnen. Aus Syrien erreichen uns jeden Tag Schreckensmeldungen über
das unerbittliche, brutale Vorgehen des Assad-Regimes
gegen die eigene Bevölkerung. Und die politische Lage
im Libanon ist weiterhin fragil.
Die Frage ist doch: Welche Schlüsse sind aus dieser
Situation für den Nahostkonflikt zu ziehen? Ja, die Situation wird nicht besser werden. Sie war zwar schon
besser, aber sie wird nicht besser werden. Wir haben deshalb die Bundesregierung bereits im Juni eindringlich
aufgefordert - ich zitiere aus unserem Antrag -, „sich für
die baldige Wiederaufnahme direkter Friedensgespräche
zwischen Israel und den Palästinensern … einzusetzen
und dafür Initiativen im Rahmen der Vereinten Nationen
und der Europäischen Union zu starten“, weil sonst dieses berühmte „Fenster der Gelegenheit“ bald wieder zugeschlagen werden würde.
Herr Außenminister, wir waren im Frühjahr ja eigentlich auf einem ganz guten Weg. Das ist auch an dieser
Stelle zu betonen. Großbritannien, Frankreich und die
Bundesrepublik Deutschland hatten in den Vereinten Nationen eine gemeinsame Initiative gestartet. Was passierte eigentlich danach? Heute müssen wir feststellen,
dass die Bundeskanzlerin und Sie, Herr Außenminister,
bislang zu wenig getan haben - wenn es anders wäre,
wäre es wirklich hinter verschlossenen Türen und nicht
transparent geschehen -, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Bundesregierung hat im letzten Vierteljahr entgegen
allen Beteuerungen versäumt, sich aktiv für ein sofortiges Ende des israelischen Siedlungsbaus in den palästinensischen Gebieten zu engagieren. Dies ist umso ärgerlicher, als gerade die deutsche Regierung in den
vergangenen Monaten eine besondere Chance gehabt
hätte, aus der historischen Verpflichtung Deutschlands
gegenüber Israel und den Palästinensern heraus einen
konstruktiven Beitrag zu einer Verhandlungslösung zu
leisten.
Diese Chance hätte bestanden, wenn Deutschland zuerst mit den europäischen Partnern gesprochen hätte, um
frühzeitig eine gemeinsame Haltung zur Staatlichkeit
Palästinas zu erreichen.
({4})
Doch die Kanzlerin hat es vorgezogen, sich bereits im
April beim Besuch des israelischen Premierministers
Netanjahu auf ein Nein zu jeglicher palästinensischer
Initiative in den Vereinten Nationen festzulegen.
({5})
Wie soll danach denn noch eine gemeinsame europäische Haltung entstehen können? Sie, Herr Außenminister, haben ja auch am informellen Rat in Sopot teilgenommen. Dort hat sich gezeigt, wie gegensätzlich die
Positionen sind.
An dieser Stelle haben Sie am Mittwoch dieser Woche gesagt - ich zitiere wieder mit Genehmigung der
Präsidentin -:
Die frühzeitige Festlegung auf eine bestimmte Option in der Frage der Anerkennung eines palästinensischen Staates brächte weit mehr Risiken als Nutzen.
Und weiter:
Eine geschlossene Haltung der Europäischen Union
ist das Ziel. Sie vergrößert auch unsere Möglichkeiten.
Sie haben recht, Herr Westerwelle. Nur befinden Sie
sich damit im Widerspruch zur Bundeskanzlerin. Die
Folge des Alleingangs der Kanzlerin ist: Sie hat damit
nicht nur Deutschlands Möglichkeiten minimiert, sondern auch für die Handlungsunfähigkeit Europas gesorgt.
({6})
Hat denn die Regierung in den letzten Monaten nichts
dazugelernt? Das ist doch das Gegenteil von gemeinsamer Europapolitik, aber vor allem das Gegenteil einer
Stärkung der gemeinsamen europäischen Außenpolitik.
Wir finden es gut, dass Sie in diese Region fahren.
Wir appellieren an Sie: Reden Sie mit den Parteien des
Konflikts, und üben Sie endlich gemeinsam mit den
Partnern in der EU Druck auf beide Seiten aus, sich zu
einer Verhandlungslösung zu bewegen! Alles andere
verkennt unsere Verantwortung für Israel und die Palästinenser. Alles andere wird zu einer weiteren Verhärtung
der Positionen führen. Das dient nicht dem Frieden und
widerspricht unseren Interessen ebenso wie denen der
Menschen in Israel und der Menschen in Palästina, die in
Freiheit, Sicherheit und Würde leben wollen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unsere Debatte über den Nahostkonflikt führen wir im
Vorfeld der UN-Generalversammlung, wo wir mit einem
möglichen Antrag der palästinensischen Führung rechnen, Palästina als Vollmitglied in die UNO aufzunehmen
und als Staat anzuerkennen. Nach allem, was man weiß,
würde es für einen solchen Antrag wahrscheinlich eine
Mehrheit in der Generalversammlung geben.
Trotzdem muss natürlich jeder, der den Konflikt
kennt, die Sorge haben, dass auch bei einer mehrheitlichen Annahme eines solchen Antrags sich für die Palästinenser vor Ort wenig Sichtbares ändert. In dem Fall
wäre die Enttäuschung in der palästinensischen Bevölkerung vorherbestimmt. Es käme zu Protesten, die nach aller Erfahrung in der Region wahrscheinlich das Risiko
einer gewaltsamen Eskalation bergen würden.
Deshalb ist es jetzt wichtig, zu schauen - das ist eine
weitere Sorge, die ich habe -, dass der Westen, die Europäische Union im Vorfeld dieser Generalversammlung
möglichst gemeinsam auftritt. Denn wenn wir nicht gemeinsam votieren, dann hat die Europäische Union,
dann hat der Westen im Nachhinein noch weniger Einfluss als jetzt. Das wäre verhängnisvoll.
Ebenso habe ich eine Sorge, wie diese Entwicklung
den arabischen Frühling beeinflussen würde. Bisher gab
es keine antiisraelischen, antiwestlichen Demonstrationen auf dem Tahrir Square und anderswo. Aber ein Eskalieren der Spannungen zwischen den Israelis und den
Palästinensern würde den alten Herrschern Ablenkungsmöglichkeiten bieten, wie sie sie in der Vergangenheit
gerne genutzt haben. Das ägyptische Militär hat nach
wie vor keinen klaren Kurs auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Vielleicht nutzt man dann solche Vorkommnisse und schwächt auf diese Weise die friedlichen
Reformbestrebungen in den arabischen Ländern. Auch
diese Nebenwirkungen können also von einer Verschlechterung im Nahostkonflikt nach der Generalversammlung ausgehen.
Auch habe ich nach den Anschlägen in Eilat, wo es
bei den Vergeltungsmaßnahmen Israels zum Tod ägyptischer Soldaten kam, die Sorge, dass inzwischen jede
kleine terroristische Splittergruppe in der Region weiß,
dass man bei dem vorhersehbaren Schema von Aktion
und Reaktion das Land oder die Region sehr schnell an
den Rand eines neuen großen Nahostkrieges bringen
kann.
Ich habe auch große Sorgen - Kollege Stinner hat es
angesprochen - wegen der Verschlechterung des israelisch-türkischen Verhältnisses. Das hat angefangen mit
dem Streit um die Flotilla. Jetzt sind die diplomatischen
Beziehungen heruntergestuft. Beide Seiten schauen vor
allen Dingen auf die innenpolitische Situation und geben
dort Raum für jeweils gegenseitige Ressentiments. Ich
glaube aber, dass Israel in diesem Konflikt mehr zu verlieren hat - egal wer recht hat. Denn die Herabstufung
der diplomatischen Beziehungen löst jetzt aus der Bevölkerung heraus einen ziemlich starken Druck in Jordanien
und Ägypten aus, dasselbe zu tun. Damit wäre das, was
durch die Friedensverträge wenigstens im Hinblick auf
einen kalten Frieden erreicht worden ist, infrage gestellt.
Natürlich trägt auf der einen Seite - da stimme ich
dem Kollegen Stinner ausdrücklich zu - das Säbelrasseln in der Rhetorik von Erdogan überhaupt nicht dazu
bei, die Situation einigermaßen in Grenzen zu halten.
Auf der anderen Seite möchte ich aber auf Folgendes
hinweisen: Heute war in der Zeitung zu lesen, dass der
israelische Außenminister Lieberman unter der Überschrift „Zusammenarbeitsprogramm mit den Feinden der
Türkei“ ankündigt, sich jetzt besonders den Kurden und
den Armeniern im amerikanischen Kongress zuwenden
zu wollen. Zwischen den Diplomaten Israels und der
Türkei war ja schon, soweit man lesen und hören konnte,
eine Formel gefunden, wie der Streit um die Flotilla beigelegt werden könnte. Das ist letztlich am israelischen
Außenminister gescheitert.
Bei all diesen Diskussionen geht unter - deshalb
möchte ich es hier erwähnen, vielleicht auch als Appell
an die israelische Seite, sich ein umfassendes Bild von
der Türkei zu machen -, dass die Türkei gerade jetzt zugestimmt hat, ein Hochleistungsradar im Osten des Landes zu installieren, das - zusammen mit Schiffen der
USA - der Abwehr der ballistischen Raketen aus dem
Iran dienen soll. Das Kerninteresse Israels ist es, vor der
iranischen Bedrohung geschützt zu sein. Hier steht auch
für die israelische Seite eine ganze Menge auf dem
Spiel.
Letztlich können beide, Türkei und Israel, nur verlieren, wenn es nicht gelingt, die Abwärtsspirale, in der wir
uns im Augenblick befinden, zu stoppen und den Streit
beizulegen. Ich denke, dass Deutschland hinter den Kulissen - ich weiß, Herr Außenminister, dass Sie sich darum bemühen - vielleicht etwas dazu beitragen kann,
diesen Streit beizulegen. Das wäre sehr wichtig.
Ich habe diese Punkte genannt, um den Hintergrund
zu beleuchten, der zeigt, wie wichtig es ist, einen Showdown in der Generalversammlung der Vereinten Nationen möglichst zu vermeiden. Es ist heute noch zu früh,
um etwas über das Abstimmungsverhalten zu sagen. Der
Text ist noch nicht bekannt, und vor allen Dingen - das
ist ganz wichtig, das hat heute noch keiner gesagt - ist
auch noch gar nicht bekannt, wie sich die Hamas zu diesem Text einlässt. Es ist ja keine palästinensische Regierung, die diesen Text einbringt.
({0})
- Ja, der Präsident; aber die Hamas sagt dazu nichts. Natürlich macht es einen Unterschied, ob die palästinensische Initiative Israel verspricht, es gehe um die Grenzen von 1967, das als Grundlage für Verhandlungen anbietet und das die Position ist, oder ob ein Teil der
Palästinenser nach New York geht und sagt: Wir ergreifen jetzt die Initiative und, was den anderen Teil betrifft,
müssen wir mal schauen, den bringen wir schon noch
dazu. - Das ist ein großer Unterschied.
Eine Zwei-Staaten-Lösung kann, wie Herr Stinner es
bereits ausgeführt hat, nur durch Verhandlungen entstehen. Deshalb müssen wir daran festhalten, dass weitere
Verhandlungen durch den Prozess in New York nicht behindert werden dürfen. Im Gegenteil: Wir sollten versuchen, ihm näherzukommen. Wir sollten auch dazu
beitragen, dass weitere Eskalationen möglichst nicht einRuprecht Polenz
treten. Das geht aber nur, wenn wir eine gemeinsame
Haltung der Europäischen Union zusammen mit den
Amerikanern erreichen.
Es steht aber außer Frage - auch hier schließe ich an
das an, was der Kollege Stinner gesagt hat und was auch
Sie gesagt haben, Herr Kollege Gloser -: Wir haben besondere Beziehungen zu Israel. Die besonderen Beziehungen Israels zu Deutschland verpflichten uns, dafür
einzutreten, dass der Staat Israel sicher in Frieden und
Freiheit mit seinen arabischen Nachbarn leben kann. Das
geht nur über eine Zwei-Staaten-Lösung. Das ist der
Konsens, den dieses Haus vielfach zum Ausdruck gebracht hat und der im Grunde auch die Linie der Bundesregierung ist. Diese Zwei-Staaten-Lösung kann aber nur
durch Verhandlungen erreicht werden. Einseitige
Schritte, die die Beteiligten von Verhandlungen entfernen, die Verhandlungen erschweren, sind falsch.
({1})
Herr Gloser, natürlich haben Sie recht damit, dass der
Siedlungsbau, Haus für Haus, sozusagen einen einseitigen Schritt nach dem anderen bedeutet.
({2})
- Richtig, der ist materiell. - Deshalb ist es wichtig - die
Bundesregierung tut es -, dies der israelischen Regierung deutlich zu machen.
Herr Gloser, bei allem Respekt vor der Rolle der Opposition: Es ist nicht richtig, hier der Regierung ein
Päckchen aufzupacken. Obama hat es mit all den Mitteln
und Möglichkeiten, die die Amerikaner gegenüber Israel
haben, vergeblich versucht, Israel vom Siedlungsbau abzuhalten; er hat es, wie wir wissen, nicht geschafft. Das
ändert nichts an der Richtigkeit dieses Ziels. Aber wir
sollten eben auch nicht aus dem Auge verlieren, dass unsere Möglichkeiten, in diesem Konflikt hilfreich zu sein,
begrenzt sind; wir sollten nicht zu hohe Erwartungen erwecken.
Wir haben als wichtiges europäisches Land und angesichts unseres besonderen Verhältnisses zu Israel die
Aufgabe, ehrlich zu sagen, wo unsere Sorgen liegen, was
auf dem Spiel steht und dass wir bereit sind, mitzuhelfen, eine Lösung zu finden. Dem soll auch die heutige
Debatte dienen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am
29. November 1947 beschloss die Generalversammlung
der Vereinten Nationen in der Resolution 181, die Teilung des historischen Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorzuschlagen. Großbritannien enthielt sich der Stimme; alle anderen Vetomächte, also die
USA, China, Frankreich und die Sowjetunion, unterstützten diesen Teilungsplan. Im Mai 1948 rief BenGurion, fortan israelischer Premierminister, den Staat
Israel aus. Es war, wenn man so will, ein einseitiger
Schritt Israels, aber eben unter Berufung auf den Teilungsvorschlag der Vereinten Nationen.
6 Millionen Jüdinnen und Juden wurden durch die
deutschen Nazis ermordet. Nur durch die in unserem
Land begangenen Verbrechen kam es überhaupt zu einem solchen UN-Beschluss. Deshalb müssen wir Deutsche dafür eintreten, dass die Jüdinnen und Juden das
Recht auf einen Staat haben, in dem sie die Mehrheit
stellen, aber - dies ist ebenso selbstverständlich - Nichtjüdinnen und Nichtjuden gleichberechtigt zu behandeln
haben.
({0})
Wir müssen aber auch dafür eintreten, dass die Palästinenserinnen und Palästinenser in einem eigenen souveränen Staat leben können. Sie dürfen nicht für die von
den deutschen Nazis begangenen Verbrechen büßen
müssen.
Die UNO hatte 1947 einen Teilungsplan mit zwei
politisch souveränen, unabhängigen Staaten, die aber
wirtschaftlich eng verbunden sein sollten, vorgeschlagen, also auch einen palästinensischen Staat. In Übereinstimmung mit sämtlichen UNO-Beschlüssen muss endlich der Staat Palästina in den Grenzen von 1967
anerkannt werden.
({1})
Ein Austausch von Territorien kann nur zwischen Israel
und Palästina vereinbart werden.
Herr Polenz, Sie haben, was die Hamas betrifft, wahrscheinlich recht. Aber gerade wenn die UNO Palästina
als Vollmitglied aufnimmt und dabei die Grenzen von
1967 festlegt, wird die Hamas gezwungen, dies zu akzeptieren. Wir können doch nicht auf das Einverständnis
der Hamas warten. Ich bitte Sie!
({2})
Viele Länder haben Botschafter mit Palästina ausgetauscht. Aber die Bundesregierung traut sich das nicht.
Ich finde es falsch; das muss endlich geschehen.
Nach dem Sechs-Tage-Krieg hatte es etliche Versuche
gegeben, den Konflikt auf friedlichem Wege zu lösen.
Erinnert sei an den Friedensprozess unter Vermittlung
Norwegens und an die zahlreichen Versuche auch amerikanischer Präsidenten, eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Palästinenserinnen und Palästinensern und Israelis
zustande zu bringen. Aber alle diese Friedensprozesse
scheiterten. Sie haben recht: Auch der letzte Versuch von
US-Präsident Barack Obama, eine Zwei-Staaten-Lösung
auf der Grundlage der Grenzen von 1967 zu erreichen,
blieb erfolglos.
Nunmehr haben die Palästinenserinnen und Palästinenser und ihr Präsident Abbas die Initiative ergriffen
und wollen bei den Vereinten Nationen beantragen, dass
Palästina endlich als Vollmitglied der internationalen
Staatengemeinschaft in die UNO aufgenommen wird.
Israel ist strikt dagegen. Warum eigentlich? Gerade wenn
sich die Lage zuspitzt, müsste Israel diesbezüglich sogar
initiativ werden und nicht ausschließlich versuchen, es zu
verhindern. Aber die USA sind auch dagegen. Deutschland, Tschechien und die Niederlande sind ebenfalls dagegen. Länder wie Frankreich, Großbritannien, Spanien,
Belgien, Polen, Schweden, Finnland, Luxemburg und
viele andere Staaten sind aber dafür. Haben die alle unrecht?
Die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister
warnen vor einseitigen Schritten. Herr Westerwelle, was
soll daran einseitig sein? Israel ist schon Mitglied der
UNO. Warum soll nicht auch Palästina endlich Mitglied
werden? Das ist doch nicht einseitig.
({3})
Wenn wir auf das Einverständnis der israelischen Regierung warten, dann sind wir nicht besonders souverän in
dieser Frage. Vielleicht müssen wir dann noch sehr viele
Jahre warten. Auch das ist nicht akzeptabel.
Sie haben völlig recht: Die Lage im Nahen Osten und
in Nordafrika hat sich verändert. Wir wissen noch nicht,
welche Strukturen in Ägypten, Tunesien, Libyen, Syrien,
Jemen und Bahrain entstehen. Gerade in einer solchen
Situation wäre das friedliche Nebeneinander der Staaten
Israel und Palästina für den Friedens- und Demokratieprozess im Nahen Osten und in Nordafrika ungeheuer
wichtig. Durch eine Mitgliedschaft Palästinas in der
UNO stünde Palästina Israel etwas gleichberechtigter
gegenüber. Das ist doch nicht nichts, das hat doch Gewicht, gerade auch für Friedensverhandlungen.
({4})
Das ist das Besondere: Es stärkte Palästina, ohne Israel
zu schwächen. Deutschland muss das Zwei-Staaten-Modell aktiv unterstützen, im Interesse der Palästinenserinnen und Palästinenser, im Interesse der Israelis und im
Interesse aller Menschen im Nahen Osten und der Weltgemeinschaft.
Herr Stinner, wir wissen, dass sich die Situation hinsichtlich des Antrags Palästinas noch ändern kann; das
stimmt. Vielleicht wird noch ein anderer Weg gefunden
und gegangen. Was wir aber entscheiden müssen, ist,
wie Deutschland sich verhält, wenn der Antrag Palästinas auf Mitgliedschaft in der UNO zur Abstimmung gestellt wird. Wir können uns doch nicht ewig davor drücken, Herr Bundesaußenminister.
({5})
Egal ob die Abstimmung im Sicherheitsrat - hier
üben wir den Vorsitz aus - oder in der UN-Vollversammlung stattfindet: Deutschland müsste schon aus historischer Verantwortung heraus dafür stimmen; alles andere
können wir uns meines Erachtens überhaupt nicht leisten.
({6})
- Für die Aufnahme Palästinas als Vollmitglied der
UNO. Erklären Sie einmal den Palästinenserinnen und
Palästinensern, weshalb sie wegen unserer Geschichte
benachteiligt werden. Ich kann es ihnen nicht erklären,
ich muss das ganz klar sagen. Das ist nämlich die
Schwierigkeit dabei.
({7})
- Natürlich hat das mit unserer Geschichte zu tun. Das
können Sie nun wirklich nicht leugnen.
Es ist zu befürchten, dass ein solcher Antrag im Sicherheitsrat am Veto der USA scheitern wird. Der Beschluss des Sicherheitsrates kann aber durch eine Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der UNO aufgehoben
werden. Völkerrechtlich wird dies unterschiedlich gesehen, aber viele sehen es so. Mindestens 128 der 192 Mitgliedstaaten müssten dafür stimmen; das ist durchaus
möglich.
Für mich ist es ein sehr positives Signal, dass sich
auch die Grünen und die SPD in diesem Sinne äußern,
sodass sich wenigstens die drei Oppositionsfraktionen
diesbezüglich im Prinzip einig sind. Vielleicht werden
wir uns sogar noch im gesamten Bundestag einig, was
besonders wichtig wäre.
({8})
Wir müssen unsere guten Beziehungen zu Israel aufrechterhalten. Ebenso müssen wir aber den Staat Palästina anerkennen und für die Mitgliedschaft Palästinas in
der UNO stimmen.
({9})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Kerstin Müller das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Lage in der Region ist für Israel in den letzten Monaten nicht gerade komfortabler geworden; viele Vorredner haben es schon dargestellt. Israel verhält sich gegenüber den arabischen Revolutionen eher abwartend.
Zum Teil kann man dies verstehen. Für viele Israelis
bestätigen die Anschläge in Eilat vom 18. August das
Misstrauen gegenüber den Veränderungen in den arabischen Staaten. Welches Gefahrenpotenzial das derzeitige
syrische Regime für den Fall, dass es sein Ende kommen
sieht, darstellt, ist auch noch offen.
Ich will auch auf das Verhältnis zur Türkei eingehen.
Dass sich Israel in dieser nicht einfachen Situation gerade jetzt, wo die Türkei zum einflussreichsten Staat in
der Region wird, ein dramatisches Zerwürfnis mit dem
strategischen Partner Türkei leistet, ist wirklich unverständlich. Viele Demokraten in den arabischen Ländern
Kerstin Müller ({0})
sehen in der Türkei ein Vorbild. Dass die Türkei ihrerseits damit droht, dass Kriegsschiffe die Lieferungen
nach Gaza begleiten sollen, ist ein nicht akzeptabler, ein
sehr besorgniserregender Schritt zur weiteren Eskalation; denn bisher war für beide, für die Türkei und Israel,
der jeweils andere ein extrem wichtiger strategischer
Partner in der Region. Wir sind uns offensichtlich einig,
dass man an beide Seiten eindringlich appellieren muss,
abzurüsten und wieder aufeinander zuzugehen; sonst
wird der außenpolitische Schaden für beide Seiten sehr
groß sein.
({1})
Hinzu kommt die völlige Blockade in den Nahostfriedensverhandlungen, der die Palästinenser im September
mit einem Gang zur UNO begegnen wollen. Die israelische Regierung meint: Würden die Palästinenser in dieser ohnehin sehr schwierigen Situation vor den Vereinten
Nationen erfolgreich sein, könnte die Lage noch weiter
eskalieren. Aber es ist nicht erkennbar, dass die israelische Regierung zu substanziellen Verhandlungen bereit
ist. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass sich die
Blockade in absehbarer Zeit lösen wird. Insofern kann
ich verstehen, dass sich die Palästinenser mit einem
Antrag an die UNO wenden. Man muss auch berücksichtigen: Premierminister Fajjad hat das Projekt der
Eigenstaatlichkeit immerhin seit zwei Jahren verfolgt,
übrigens finanziell und politisch unterstützt von der
UNO und der Europäischen Union. Es ist also eine komplizierte Lage.
Herr Stinner, es ist leider keineswegs so, dass die
Bundesregierung offen in die Gespräche mit den Konfliktparteien und den europäischen Partnern geht, sondern das Gegenteil ist der Fall: Die Festlegung von Bundeskanzlerin Merkel, eine solche Initiative - Klammer
auf: den Text kennen wir noch nicht, wie Kollege Polenz
eben zu Recht gesagt hat - abzulehnen, war kontraproduktiv und aus meiner Sicht völlig überflüssig.
({2})
Denn in dieser Gemengelage - da gebe ich Ihnen recht ist es zunächst wichtig, dass es ein gemeinsames Vorgehen mit den Partnern in der EU gibt, vor allem mit den
wichtigsten: den Franzosen und den Briten. Derzeit ist
die EU gespalten, und das ist sozusagen unsere Verantwortung. Auf dem Außenministertreffen in Sopot - es
wurde schon erwähnt - konnte man keine gemeinsame
Position finden. Die Europäische Union ist in einer zentralen außenpolitischen Frage wieder einmal gespalten,
und zwar aufgrund unserer Position. Das ist ein Trauerspiel.
Herr Westerwelle, ich habe heute gelesen, dass Sie am
Wochenende noch einmal in die Region fahren werden.
Ich bitte Sie: Revidieren Sie die bisherige Position des
voreiligen Neins. Gehen Sie offen in die Gespräche mit
den Konfliktparteien und setzen Sie vor allem alles daran, innerhalb der Europäischen Union zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Das ist von zentraler Bedeutung.
({3})
Es gibt eine gute Grundlage für eine solche gemeinsame europäische Position - es wurde bereits erwähnt -:
nämlich die gemeinsame Stimmerklärung der EU-3 vom
Februar 2011 zur sogenannten Siedlungsfrage. Da hat
Europa klar und mit einer Stimme gesprochen. Ich frage
mich: Wie bringt man das voreilige Nein der Regierung
zur Anerkennungsfrage mit dieser Erklärung vor dem
UN-Sicherheitsrat zusammen? In der Erklärung werden
die Parameter für die notwendigen Verhandlungen klar
und deutlich benannt: die Festlegung der Grenzen, die
Einsetzung von Sicherheitsarrangements, die Regelung
der Flüchtlingsfrage und Jerusalem. Für meine Fraktion
sage ich Ihnen klar: Wir teilen diese Position und diese
Parameter. Wir fanden es richtig, dass es diese Stimmerklärung gegeben hat.
Leider hat die israelische Regierung - nicht zuletzt
Netanjahu mit seiner Rede im Mai in Washington - wesentliche Teile dieser Parameter zurückgewiesen. Auch
der Siedlungsausbau wird vorangetrieben. In dieser Situation stellt sich erneut und dringlich die Frage, was getan werden kann, um das Konzept einer Zwei-StaatenRegelung überhaupt noch zu retten. Das ist die eigentliche Frage, die sich viele besorgt stellen, übrigens auch in
Israel und in den USA.
({4})
Der intensive Siedlungsausbau führt dazu, dass viele
- nicht nur bei den Palästinensern - die Zwei-StaatenRegelung in weiter Ferne sehen. Natürlich wird es die
Zwei-Staaten-Regelung letztlich erst durch Verhandlungen geben - da gebe ich allen Kollegen recht -, also
durch das Ende der Besatzung. Aber die Frage ist doch,
ob der Gang der Palästinenser zur UNO die Blockade in
den Verhandlungen lösen kann, uns also der Zwei-Staaten-Regelung näher bringt, oder ob er die Fronten verhärtet.
Ein Ende der Besatzung wird damit nicht erreicht.
Eine Zustimmung, etwa zu einer Aufwertung des palästinensischen Status bei der UNO zum „Nichtmitgliedstaat“ durch eine große Mehrheit der Generalversammlung - Herr Polenz, darüber wird zurzeit wohl
diskutiert -, würde aber signalisieren: Die internationale
Gemeinschaft steht zu einer Zwei-Staaten-Regelung und dazu gehört langfristig auch die Anerkennung eines
eigenständigen palästinensischen Staates.
Noch ein Argument: Natürlich kann es zu einer Eskalation kommen. Es kann aber auch sein, dass ein solches
Signal der internationalen Gemeinschaft ein Stück weit
die Frustration auffängt, die sich aufgrund der politischen Blockade in der Bevölkerung angestaut hat.
Es wird immer gesagt - auch das ist ganz wichtig -,
das würde zu einer Delegitimierung des Staates Israel
führen: Dieses Argument kann ich nicht nachvollziehen;
Kerstin Müller ({5})
denn die Palästinenser fordern einen eigenen Staat neben
Israel.
({6})
Es geht also um das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und nicht darum, in irgendeiner Form den Staat
Israel infrage zu stellen.
In der UNO macht es letztlich einen Unterschied, ob
die Europäer dabei sind oder nicht. Voraussetzung dafür
ist, dass es eine gemeinsame Position gibt. Ich sage: Das
ist offen. Das hängt von dem Text ab, der letztlich vorliegt. Die Frage ist, ob er uns weiterbringt oder nicht.
Umso wichtiger ist, dass die Bundesregierung offen in
die Verhandlungen geht. Wir spielen dabei eine zentrale
Rolle. Weil es den Palästinensern wichtig ist, dass die
Europäer dabei sind, haben sie sogar angeboten, den
Text mit der Europäischen Union abzustimmen. Deshalb
gilt: keine Vorfestlegungen und offen in die Verhandlungen gehen. Im Gegenteil: Wir sollten eher die Voraussetzungen formulieren, unter denen wir gegebenenfalls bereit wären, einer Resolution zuzustimmen.
Ich finde, das wäre das richtige Vorgehen. Wir dürfen
Europa nicht erneut spalten und leichtfertig Einflussmöglichkeiten verspielen, wie das bei der Libyen-Entscheidung der Fall war; denn das wäre zum Schaden einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Das darf
auf keinen Fall passieren.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für
die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im Vorfeld einer möglichen Zuspitzung des
Nahostkonflikts vor dem Hintergrund der zu erwartenden palästinensischen Anträge ist es sicherlich gut, dass
sich das Hohe Haus mit diesem Thema auseinandersetzt
und sich der Herr Bundesaußenminister trotz der Haushaltsdebatte in dieser Woche und der drängenden Probleme im Euro-Raum und in Europa diesem Thema widmet und in diesen Tagen in die Region reisen wird, um
sich des Themas vor Ort anzunehmen.
Bei allen Übereinstimmungen, die im Großen und
Ganzen in diesem Hause herrschen - einige Erläuterungen des Kollegen Gysi waren, glaube ich, sehr hilfreich -, möchte ich den Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition doch sagen: Durch das Verhalten des
Bundesaußenministers bzw. der Bundesregierung werden alle Optionen, zu einer gemeinsamen europäischen
Position zu kommen, gewahrt. Deswegen danke ich ausdrücklich für das Verhalten in den letzten Wochen und
für die Position, die zu diesem Thema eingenommen
wurde.
Wir sind uns darüber einig, dass Europa in der Lage
sein muss, auch zu einem so gewaltigen Problem wie
dem Nahostkonflikt eine gemeinsame Position zu formulieren. Das erfordert einerseits, dass die handelnden
Personen - an dieser Stelle möchte ich die Hohe Vertreterin, Lady Ashton, ausdrücklich nennen - ihre Aufgaben und ihr Amt wahrnehmen. Die europäische Außenpolitik hängt nicht nur von den Grundlagen ab, die im
Lissabonner Vertrag festgelegt wurden, sondern sie
hängt auch von den Personen ab, die die europäische
Außenpolitik gestalten wollen. Sie müssen Formulierungen finden und das Heft des Handelns in Europa in die
Hand nehmen. Ich glaube, wir können Lady Ashton nur
ermutigen, etwas deutlicher voranzugehen und sich zu
bemühen, die europäischen Positionen zu bündeln.
Auf der anderen Seite erwarten wir, dass kein Mitgliedstaat vorprescht, sondern sich alle bemühen, zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Frau Kollegin
Müller, ich glaube, es ist etwas zu früh, an dieser Stelle
von einem gespaltenen Europa zu sprechen. Natürlich
kann man gar nicht leugnen, dass es unterschiedliche
Positionen gibt und man unterschiedlich an die Fragestellung herangeht. Das letzte Treffen der Außenminister
habe ich aber so verstanden, dass man sich auf eine gemeinsame Lösung zubewegt.
An dieser Stelle, Herr Kollege Gysi, muss man sagen:
Die Frage einer Anerkennung des palästinensischen
Staates darf man zum jetzigen Zeitpunkt - ich habe Ihren
Ausführungen entnommen, dass Sie dies unstreitig stellen; möglicherweise habe ich Sie falsch verstanden - mit
Fug und Recht mit einigen Fragezeichen versehen. Die
Anerkennung ist schon aus völkerrechtlicher Sicht nicht
konstitutiv für eine Staatsqualität. Hierzu braucht es ein
genau definiertes Staatsgebiet, ein Staatsvolk, eine
Staatsgewalt und eine Anerkennung nach Art. 4 der VNCharta: Nur ein friedliebender Staat kann Mitglied werden. An die palästinensische Seite, insbesondere an die
Hamas, besteht die Aufforderung, sich vor den Verhandlungen klar zum Friedensprozess zu bekennen, auf Gewalt zu verzichten und insbesondere das Existenzrecht
Israels anzuerkennen. Das ist eine Voraussetzung für
Verhandlungen.
Wenn Sie, Herr Gysi, abschließend sagen, dass wir
gute Beziehungen zu Israel brauchen, sage ich, dass das
vollkommen klar ist. Vor dem Hintergrund nicht nur der
Bedrohung durch den Iran, sondern der gesamten Situation in dieser Region muss allen Parteien klar sein, dass
das Existenzrecht Israels außer Frage steht.
({0})
Das sage ich nicht nur in Ihre Richtung, sondern auch in
Richtung der Palästinenser, die natürlich erwarten, dass
jetzt Bewegung in den Prozess kommt.
Ich schließe mich auch der kritischen Bemerkung des
Kollegen Polenz im Hinblick auf die Siedlungspolitik,
die Israel betreibt - der Siedlungsstopp wurde nicht verlängert -, an. Die Europäische Union - das hat Lady
Ashton klar formuliert - hat das mit großer Enttäuschung zur Kenntnis genommen; dies gilt auch für die
Vereinigten Staaten von Amerika. Israel bleibt weiterhin
aufgefordert, seine Position zu korrigieren.
Ich würde gern abschließend in Richtung Nordafrika
blicken. Natürlich sehen wir die Demokratisierungsbewegungen überall mit großer Freude, auch mit freudiger
Erwartung auf das, was dadurch entstehen kann. Aber
wir dürfen diese Entwicklung nicht mit Naivität betrachten. Ich glaube, diese Entwicklung ist eine Chance. Herr
Stinner, da bin ich vielleicht etwas optimistischer als Sie.
Sie haben gesagt - so habe ich Sie verstanden -, bestenfalls bleibe der Status quo für Israel gewahrt. Es kann
auch besser werden.
Betrachten wir beispielsweise die Entwicklung in
Ägypten. Ägypten hat, glaube ich, schon allein aufgrund
seiner Größe und seines Bevölkerungsreichtums dort
den größten Einfluss. Wenn es in Ägypten eine Entwicklung zu Rechtsstaatlichkeit, zur Wahrung von Menschenrechten und zu einem wirklichen Demokratisierungsprozess gibt, dann bieten sich für Israel dadurch
natürlich größere Chancen in der Zukunft, als vielleicht
bei einem Fortbestehen des Mubarak-Regimes oder eines möglichen Nachfolgeregimes bestanden hätten.
Aber wir müssen auch die Gefahren zur Kenntnis
nehmen. Entsprechende Befürchtungen auf israelischer
Seite sind natürlich gut zu verstehen. Bis vor kurzem
konnte man sich durchaus sicher sein, dass der Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel eingehalten wird.
Aber man hat natürlich auch gesehen - das könnte sich
jetzt negativ auswirken -, dass eine Popularisierung dieses Friedensvertrages beispielsweise - pars pro toto - in
Ägypten unterblieben ist. Das birgt durchaus eine große
Gefahr, die wir ernst nehmen müssen.
Deswegen müssen wir allen, die jetzt politische, gesellschaftliche und militärische Verantwortung in diesen
Ländern übernehmen, sagen: Pacta sunt servanda, solche
Verträge müssen gewahrt werden. Sie müssen auch gelebt werden. Es wird für die neuen politischen Eliten, die
dort allenthalben entstehen, eine große Herausforderung
sein, dieser Friedenspolitik, die entstanden ist und die
beispielsweise in Ägypten schon seit vielen Jahrzehnten
Staatspraxis nach außen hin war, auch innerhalb des
Landes zu einer Mehrheit zu verhelfen. Ich denke, wenn
das gelingt, ist der Demokratisierungsprozess im Nahen
Osten eine große Chance für Israel.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, die Debatte heute zeigt, wie man ernst und
ohne Provokationen eine Debatte über ein ganz schwieriges Thema führen kann. Dafür bin ich sehr dankbar.
({0})
Ich hoffe, dass das auch im Fortgang dieser Diskussion
so bleiben wird.
Ich möchte mit dem Hinweis des Kollegen Gysi auf
das Jahr 1947 einsteigen. Ich glaube, dass damals Weichen für völkerrechtliche Entwicklungen gestellt worden
sind, die wir noch heute zur Kenntnis nehmen sollten.
Wenn man so will, dann kann man, glaube ich, zu
dem Ergebnis kommen, dass mit der damaligen Resolution 181 der Generalversammlung der Vereinten Nationen zumindest die Weichen für eine Zweistaatenlösung
in dieser Region gestellt worden sind. Das war vor
64 Jahren. Diese Entscheidung ist mittlerweile in die Geschichte eingegangen. Aus meiner Sicht - da bin ich
vielleicht etwas anderer Auffassung als Sie, Herr Kollege Wadephul - hatte diese Entscheidung auch völkerrechtliche Wirkung. Diese völkerrechtliche Wirkung,
mehrfach bestätigt durch verschiedenste Entscheidungen
der Generalversammlung, aber auch des Weltsicherheitsrates, bedeutet, dass das palästinensische Volk ein
Staatsvolk ist
({1})
und dass das palästinensische Volk insofern auch eigenständig von seinem Selbstbestimmungsrecht, einen eigenen Staat zu gründen, Gebrauch machen darf.
Dieser Realität muss man sich stellen. Dabei geht es
um folgende Fragen: Was ist eigentlich in den letzten
64 Jahren in dieser Region passiert? Wie hat sich die internationale Staatengemeinschaft zu diesen Entwicklungen verhalten? Welche Konsequenzen ziehen wir heute
daraus? Ich habe angesichts der Entwicklungen in dieser
Region - ich sage das einmal ganz persönlich und privat durchaus Verständnis dafür, dass Abbas jetzt die entsprechenden Anträge, von denen wir alle noch nicht wissen,
wie sie letztendlich aussehen, einbringt. Das ist verständlich, auch aus Gründen der Legitimierung der Palästinensischen Autonomiebehörde gegenüber der eigenen Bevölkerung. Ich glaube, dass viele Menschen in
dieser Region sehr genau hinschauen, was in New York
passiert und wie sich welches Land verhält.
Auch ich habe Bedenken - das sage ich ebenfalls
ganz deutlich -, ob der Schritt, Palästina jetzt zu einem
Vollmitglied der Vereinten Nationen zu erklären, tatsächlich die Folgen haben wird, die sich Abbas und andere
davon versprechen. Darüber muss man nachdenken. Es
stellt sich die Frage: Ist eigentlich klar bzw. kann man
davon ausgehen, dass durch eine solche Entscheidung
die Lösung der Probleme in dieser Region leichter wird?
Eines dürfte uns allen klar sein: Machen die USA im
Weltsicherheitsrat von ihrem Recht auf Einlegung eines
Vetos in Bezug auf eine entsprechende Empfehlung nach
Art. 4 der Charta der Vereinten Nationen nicht Gebrauch, kommt es also zu einer Zustimmung, sodass es
in Zukunft ein neues Vollmitglied der Vereinten Nationen gibt, werden die Probleme für die Menschen in dieser Region definitiv nicht gelöst sein. Dazu braucht es
sehr viel mehr. Ich würde gleich gerne noch in aller
Kürze auf die menschenrechtliche Situation in dieser Region eingehen.
Man kann feststellen - das haben wir bei Staatsneugründungen in den letzten zehn Jahren immer wieder erlebt; als Beispiele nenne ich den Südsudan und das Kosovo -: Die Erwartung, durch die Gründung eines neuen
Staates würden die Probleme in der Region und die Probleme der Menschen gelöst, war und ist ein Irrglaube. Im
Sudan sieht man das heute noch ganz deutlich, obwohl
dem Prozess der Staatsgründung ein einvernehmlicher
Friedensvertrag zugrunde lag und entsprechende Abmachungen getroffen wurden. Nichtsdestotrotz gehen die
Konflikte weiter, und sie verschärften sich sogar. Ich
finde, man muss darüber nachdenken, ob dieser Schritt
als endgültige Lösung für diese Region wirklich geeignet ist, um die dortigen Probleme zu lösen. Ich glaube,
das ist in dieser Situation nicht der Fall. Man könnte,
sollte und müsste an dieser Stelle über andere Möglichkeiten, mit denen man der Lösung der Probleme näherkommt, nachdenken. Das gilt auch mit Blick auf die Verhandlungen.
Wir alle wissen, dass wir seit vielen Jahrzehnten verhandeln, ohne dass es vorangeht; das rechtfertigt auch
unsere Ungeduld. Das ist nachvollziehbar. Aber ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie uns Auskunft
darüber erteilt, wie der Stand der Diskussion innerhalb
der Bundesregierung darüber ist, den Status der palästinensischen Vertretung in Berlin zu verändern.
({2})
In Frankreich und anderen EU-Ländern wurde sehr
deutlich: Auf diesem Weg kann man es vielleicht schaffen, einen Verhandlungsweg einzuschlagen, für eine
Aufwertung zu sorgen, die Palästinenser einzubinden
und ihnen mehr Verantwortung zu übertragen, als es bisher der Fall ist. Ich glaube, dies wäre ein erster Schritt,
der dazu führen würde, dass der Bundesaußenminister
auch eine gute Botschaft in die Region tragen kann,
wenn er, was ich sehr unterstütze, dorthin fährt.
Lassen Sie mich noch zwei oder drei Sätze zu der
Menschenrechtssituation und dazu, was auf die Menschen in dieser Region zukommt und wie sehr sie im
Moment leiden, sagen; man kann es wirklich so sagen:
wie sehr sie leiden. Ich erinnere wieder einmal an Folgendes - ich finde, man kann diese Debatte im Deutschen Bundestag nicht führen, ohne das zu tun -: Wir
fordern - würde diese Forderung erfüllt, wäre das auch
eine positive Grundlage für Verhandlungen - die Freilassung von Gilad Schalit. Das muss an dieser Stelle noch
einmal betont werden.
({3})
Genauso sollten wir uns - ich kann das jetzt nicht
mehr ausführen - massiv für die Verbesserung der Situation von Kindern und Frauen im Gazastreifen einsetzen.
Diese ist in menschenrechtlicher Hinsicht nach wie vor
desolat.
({4})
Ich finde, das muss man immer wieder ansprechen. Ich
möchte an dieser Stelle eine Forderung des Bundesaußenministers wiederholen - das tue ich nicht oft -: Als
eine der Voraussetzungen für einen vernünftigen Friedensprozess muss die Blockade Gazas beendet werden.
({5})
Wie bereits angesprochen worden ist, haben wir noch
andere Probleme. Diese können wir nicht allein lösen.
So müssen der Siedlungsbau und auch die Regelung des
Grenzverlaufs in den besetzten Gebieten im Westjordanland immer wieder thematisiert werden. Denn dort ist
die Situation für die Menschen sehr schwierig. Es ist für
sie schwer, sich frei zu bewegen, in die Schule zu gehen
oder Zugang zu gesundheitlicher Versorgung zu bekommen. Auch darüber muss man reden.
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen - der
ist Ihrer Aufmerksamkeit vielleicht entgangen -: Anfang
Oktober tagt in Straßburg wieder die Parlamentarische
Versammlung des Europarates. Dort wird über einen Antrag der Palästinensischen Autonomiebehörde über eine
Partnerschaft für Demokratie, also sozusagen über eine
beobachtende Mitgliedschaft in diesem Gremium, im
Europarat, zu entscheiden sein.
({6})
Ich habe heute gelesen, dass der Politische Ausschuss
dieses Europarates sich einstimmig dafür ausgesprochen
hat, dies zu unterstützen. Diese Möglichkeit gibt es erst
seit 2009. Das erste Mitglied, das aufgenommen wurde,
war Marokko. Ich könnte mir vorstellen, dafür zu werben, dass der Antrag der Palästinensischen Autonomiebehörde angenommen wird. Denn dann haben wir neue
Möglichkeiten der Verhandlungen über den Fortgang des
Prozesses. Im Sinne der Menschen aus der Region wäre
ein solcher Schritt sinnvoll, um endlich zu einem Ende
dieses furchtbaren Konfliktes zu kommen.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits
vor der Sommerpause haben wir hier am 1. Juli 2011
über die Anerkennung Palästinas als eigenständigen
Staat debattiert. Meine Auffassung, die ich damals geäußert habe, kann ich nur unterstreichen. Einseitige
Schritte, egal von welcher Seite, sind dem FriedensproThomas Silberhorn
zess eher abträglich als zuträglich. Bei dem erwägten
Antrag handelt es sich um einen einseitigen Schritt. Allerdings ist Bewegung in diese Debatte gekommen, die
sich schlecht ergebnislos beenden lässt. Man darf deshalb nichts unversucht lassen, um in den wenigen Tagen
bis zum Beginn der UN-Generalversammlung eine Friedensperspektive zu entwickeln, die den Interessen beider
Seiten Rechnung trägt.
Ohne eine Annäherung zwischen Israel und Palästina
wird man den Stillstand im Friedensprozess nicht überwinden können. Tragfähige Fortschritte erfordern aber
direkte Verhandlungen zwischen den beteiligten Akteuren in Richtung einer Zweistaatenlösung. Es besteht weiterhin die erhebliche Gefahr, dass das geplante palästinensische Vorgehen nicht nur erfolglos bleibt, was die
Eigenstaatlichkeit anbelangt, sondern dass es zu einer
Verhärtung der Positionen auf beiden Seiten oder - noch
schlimmer - zu einer erneuten Eskalation der Gewalt
kommt. Niemandem wäre mit einem solchen Ergebnis
gedient.
Sowohl die Abläufe bei der Generalversammlung und
im Sicherheitsrat als auch ihre Auswirkungen auf den
Friedensprozess sind noch mit vielen Fragezeichen versehen. Wir wissen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch
nicht, was genau Gegenstand eines palästinensischen
Antrags sein und an wen dieser Antrag gerichtet sein
wird. Verschiedene Äußerungen von palästinensischer
Seite, so zum Beispiel von Außenminister al-Maliki,
deuten darauf hin, dass Präsident Abbas noch vor Eröffnung der UN-Generalversammlung am 19. September
2011 dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon persönlich
einen Antrag auf staatliche Anerkennung übergeben
könnte.
Ein solches Vorgehen - wir haben das mehrfach gehört - ist bereits heute zum Scheitern verurteilt, auch
wenn 9 der 15 Mitglieder des Sicherheitsrates angekündigt haben, dieses palästinensische Anliegen unterstützen zu wollen. Es ist in jedem Fall mit einem Veto der
USA zu rechnen. Das hat das amerikanische Außenministerium gestern bereits öffentlich angekündigt.
Mit einer Abstimmung in der Generalversammlung
stünde ein Alternativweg offen. Man könnte mit einfacher Mehrheit und ohne Veto eine Aufwertung des Status der Palästinenser in den Vereinten Nationen herbeiführen. Statt des bisherigen Status eines nichtstaatlichen
Beobachters hätten die Palästinenser dann den Status eines nichtstaatlichen Mitglieds mit weitreichenderen
Rechten in der Generalversammlung und mit Zugang zu
Organisationen wie der UNESCO oder dem Internationalen Strafgerichtshof.
In einem dritten Szenario könnten die Palästinenser einen völkerrechtlich nicht verbindlichen Resolutionstext
in die Generalversammlung einbringen, der Kriterien und
Bedingungen für eine künftige Friedenslösung enthält.
Allerdings darf man nicht verkennen, dass eine solche
Festlegung Fakten schaffen würde, hinter die die Palästinenser in Verhandlungen kaum zurückgehen könnten.
Das muss eine Verhandlungslösung nicht unbedingt erleichtern. Das kann sie auch erschweren.
Neben all diesen Fragezeichen ist nach wie vor auch
alles andere als klar, ob ein Antrag bei den Vereinten Nationen sowohl von der Fatah als auch von der Hamas
mitgetragen wird. Die Palästinenser müssen im eigenen
Interesse Klarheit über ihr weiteres Vorgehen schaffen.
Wir können nur darauf setzen, dass sie sich dabei von
Augenmaß und Realismus leiten lassen.
Kurzfristig gilt es, vor allem zwei Ziele zu erreichen:
Einerseits muss für den geplanten Antrag der Palästinenser ein diplomatischer Weg des Umgangs gefunden werden, mit dem sich dauerhafte Schäden am Friedensprozess vermeiden lassen. Andererseits heißt das: Das zu
erwartende Scheitern des Antrags auf staatliche Anerkennung darf nicht zu einem erneuten Ausbruch von Gewalt führen. Die Protestaufrufe, die in den palästinensischen Gebieten für den 20. September zirkulieren, lassen
hier nicht unbedingt Gutes erwarten.
Gleiches gilt für die hohen Erwartungen der palästinensischen Bevölkerung an eine Abstimmung in den
Vereinten Nationen. Ein Ergebnis von Meinungsumfragen ist, dass mehr als 75 Prozent der Palästinenser den
Schritt vor die Vereinten Nationen befürworten. Eine
fast gleich hohe Mehrheit spricht sich für eine Ausdehnung der palästinensischen Souveränität auf das ganze
Westjordanland aus, auch zum Preis einer Konfrontation
mit Israel. Hier kommt der palästinensischen Führung
eine hohe Verantwortung zu, die Erwartungen in der Bevölkerung auf ein realistisches Maß zu drosseln und jegliche gewaltsamen Aktivitäten zurückzuweisen und zu
unterbinden.
({0})
Klar ist allerdings auch: Selbst wenn diese kurzfristigen Ziele erreicht werden können, so sind die zentralen
Fragen noch lange nicht gelöst: Wie kann ein Ausweg
aus der Sackgasse, in der der Friedensprozess derzeit
steckt, gefunden werden? Wie können Fortschritte für
eine Verhandlungslösung erzielt werden? Das sind die
entscheidenden Fragen, denen sich alle beteiligten Akteure stellen müssen, denn in der Frustration über den
unbefriedigenden Zustand der Verhandlungen liegt ein
wesentlicher Grund für den Weg zu den Vereinten Nationen, den die Palästinenser beschreiten wollen.
Diese Frustration ist zu einem gewissen Grad verständlich. Die Palästinenser haben in den letzten Jahren
substanzielle Fortschritte beim Aufbau eines Staatswesens gemacht, was international wiederholt bestätigt
worden ist. Damit nimmt eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine Zweistaatenlösung mehr und mehr
Gestalt an.
Die israelische Regierung unter Premier Netanjahu
hat mehrmals öffentlich ihre Bereitschaft zu Friedensverhandlungen bekräftigt, zuletzt vor wenigen Tagen.
Aber diese Haltung, die grundsätzlich zu begrüßen ist,
wird zugleich an substanzielle Einschränkungen geknüpft, an Bedingungen für eine Verhandlungslösung,
wie die Kontrolle über ganz Jerusalem, und an eine Fortsetzung des Siedlungsbaus im Westjordanland. Zuletzt
wurden Mitte August 200 Baugenehmigungen für Häuser in einer israelischen Siedlung angekündigt. Das war
allein im August das dritte Mal, dass die israelische Regierung einer Ausweitung der Siedlungsaktivitäten im
Westjordanland zugestimmt hat.
Es ist der Eindruck nicht ganz zu vermeiden, dass die
rhetorischen Zugeständnisse in erster Linie verhandlungstaktischer Natur sind und das Interesse an einer
Fortsetzung des Friedensprozesses in Wahrheit geringer
ausgeprägt ist, als es scheint. Der israelische Historiker
Moshe Zimmermann spricht daher in der FAZ vom
2. September dieses Jahres nicht ohne Grund von - ich
zitiere Netanjahus Taktik, von den Palästinensern die Aufnahme der Friedensverhandlungen zu verlangen,
ohne das Ende der Siedlungspolitik zu signalisieren, um so die Friedensverhandlungen ad calendas
graecas zu vertagen.
Dieser Eindruck könnte leicht zerstreut werden, indem die israelische Regierung darlegt, wie aus ihrer
Sicht eine Verhandlungslösung aussehen sollte, die den
Interessen beider Seiten gerecht wird.
Ich bin der festen Überzeugung: Von einer dauerhaften Friedenslösung würde gerade Israel profitieren. Zum
einen wäre sie die angemessene Antwort auf die fundamentalen Veränderungen, die wir im größeren Nahen
Osten erleben. Zum anderen würde sie Israel in seiner
Stellung als Leuchtturm der Demokratie im Nahen Osten
stärken.
Unabhängig vom Ausgang des palästinensischen Antrags bei den Vereinten Nationen gilt: Fortschritte im
Friedensprozess können nur in Verhandlungen erzielt
werden.
Aus diesem Grund müssen alle Kräfte nun darauf
konzentriert werden, die Wiederaufnahme der direkten
Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern
zu erreichen.
Vielen Dank.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Ich schließe die Aussprache.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 21. September 2011, 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.